Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/6/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Ich darf Sie bitten, für einen Augenblick stehen zu bleiben. Am Montag dieser Woche, am 3. März 2008, verstarb Annemarie Renger im Alter von 88 Jahren. Dr. h. c. Annemarie Renger war von 1953 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1972 bis 1976 dessen erste Präsidentin und zugleich weltweit die erste Frau an der Spitze eines frei gewählten Parlaments. Am 7. Oktober 1919 in Leipzig als Tochter eines führenden Funktionärs der Arbeitersportbewegung geboren, wuchs Annemarie Renger in einer Familie mit langer sozialdemokratischer Tradition auf. Nach dem Krieg wurde Annemarie Renger, deren Mann in Frankreich gefallen war, engste Mitarbeiterin und Vertraute Kurt Schumachers. Nach seinem Tod 1952 trat sie selbst in die aktive Politik ein und wurde 1953 über die Landesliste Schleswig-Holstein der SPD erstmals in den Bundestag gewählt. Von 1969 bis 1972 war sie eine der vier Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Im Dezember 1972 wurde sie als Nachfolgerin von KaiUwe von Hassel zur Bundestagspräsidentin gewählt. Nur wer sich daran erinnert, welchen Bedenken die erste Bundestagspräsidentin sich innerhalb wie außerhalb des Parlamentes gegenübersah, kann die Genugtuung ermessen, mit der sie vier Jahre später beim Wechsel in das Amt einer Vizepräsidentin feststellen konnte, dass sie bewiesen habe, dass eine Frau das kann. Die Würde ihres Auftretens, ihre Bestimmtheit und ihr energischer Durchsetzungswille wie ihre Fähigkeit zum Kompromiss haben dazu beigetragen. Annemarie Renger hat wichtige Parlamentsreformen auf den Weg gebracht und sich persönlich stark für die Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn engagiert. So leitete sie die ersten Bundestagsdelegationen auf ihren Reisen nach Polen, nach Rumänien und in die Sowjetunion. Ein besonderes Herzensanliegen von Annemarie Renger waren die Beziehungen zu Israel. Der Deutsche Bundestag wird ihr Andenken in Ehren bewahren. Im Rahmen eines Staatsakts werden wir der Verstorbenen am kommenden Donnerstag hier im Deutschen Bundestag gedenken. Schon Anfang der vergangenen Woche haben wir mit Betroffenheit erfahren, dass unser Kollege JohannHenrich Krummacher am Montag, dem 25. Februar 2008, im Alter von erst 61 Jahren nach kurzer und schwerer Krankheit verstorben ist. Jo Krummacher wurde am 27. Dezember 1946 in Heidelberg geboren und studierte Evangelische Theologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Heidelberg und Tübingen. Nach zwei Jahrzehnten der Tätigkeit im Pfarrdienst der Evangelischen Landeskirche Baden-Württemberg sowie als Lehrer leitete er von 1996 bis 2005 als geschäftsführender Direktor die Evangelische Akademie in Bad Boll. In seinen publizistischen Werken widmete er sich insbesondere Fragen aus dem Bereich der Ethik, der Theologie, der Kunst und der Kultur. Die beiden zuletzt genannten Themen förderte er aktiv als langjähriger Vorsitzender des Vereins für Kirche und Kunst in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sowie als Gründer und Chefredakteur der Kulturzeitschrift Das Plateau. Nach Jahrzehnten beruflichen Engagements entschloss sich Johann-Henrich Krummacher, als aktiver Christ auch politisch tätig zu werden. Er trat 2001 in die Christlich Demokratische Union Deutschlands ein und errang bereits bei den Bundestagswahlen 2005 im Wahlkreis Stuttgart I ein Direktmandat. Als Mitglied dieses Hauses engagierte er sich besonders in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Medien. Trotz der Kürze seiner Zugehörigkeit zu unserem Parlament hat er gerade im Bereich der Kulturpolitik, den er als Mitglied der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Ausschusses für Kultur und Medien sowie des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung bearbeitete, wichtige Akzente setzen und sich über die Fraktionsgrenzen hinweg persönlich hohen Respekt und Anerkennung erwerben können. Wir alle werden ihn als einen besonders liebenswürdigen Kollegen in Erinnerung behalten. Seiner Familie, Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert seiner Frau und seinen sechs Kindern, sprechen wir unsere Anteilnahme aus. Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn unserer heutigen Sitzung müssen wir einige Wahlen durchführen. Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass Professor Richard Schröder und der Kollege Markus Meckel für eine weitere Amtszeit Mitglieder des Beirats nach § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bleiben sollen. Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist Ulrike Poppe zur Wiederwahl benannt worden. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Herren Schröder und Meckel sowie Frau Poppe erneut in den Beirat nach § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gewählt. Die SPD-Fraktion schlägt außerdem vor, anstelle der Kollegin Christel Humme die Kollegin Caren Marks zum stellvertretenden Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Kollegin Marks zum stellvertretenden Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundgesetzes gewählt. Die Kollegin Diana Golze hat aufgrund ihrer Schwangerschaft das Amt als Schriftführerin vorübergehend niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion Die Linke die Kollegin Elke Reinke vor. Sind Sie damit einverstanden? - Auch das ist der Fall. Damit ist die Kollegin Reinke zur Schriftführerin gewählt. ({0}) Bei diesem hohen Maß an Einmütigkeit besteht gute Aussicht, dass auch die vereinbarten Veränderungen der Tagesordnung auf Zustimmung stoßen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 19 abzusetzen und die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Computermesse CeBIT - IT-Forschung als Wachstumsimpuls für Deutschland ({1}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten - Drucksache 16/8377 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Freiwilligen projektbasierten Klimaschutz auf verbreiteter Grundlage voranbringen - Drucksache 16/7174 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu den Folgerungen aus der Onlineentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Innere Führung stärken und weiterentwickeln - Drucksache 16/8376 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard ScheweGerigk, Volker Beck ({6}), Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gleichstellung von Frauen und Männern in den Gremien des Bundes tatsächlich durchsetzen - Drucksachen 16/7739, 16/8412 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eva Möllring Renate Gradistanac Ina Lenke Irmingard Schewe-Gerigk ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE: Massenentlassungen bei deutschen DAX-Konzernen trotz Gewinnexplosion Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der bisher zur Aussprache vorgesehene Tagesordnungspunkt 16 - hier handelt es sich um die erste Beratung des Gesetzentwurfs zum Straßburger Vertrag - kann ohne Debatte an die Ausschüsse überwiesen werden. Präsident Dr. Norbert Lammert Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7}) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften - Drucksache 16/8100 überwiesen: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Arbeit und Soziales Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9}) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften - Drucksache 16/8148 überwiesen: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11}) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf Schiffen ({12}) - Drucksache 16/8154 überwiesen: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Der in der 146. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({14}) zur Mitberatung überwiesen werden. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Potenziale der Tourismusbranche in der Entwicklungszusammenarbeit durch Aufgabenbündelung im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausschöpfen - Drucksache 16/8176 überwiesen: Ausschuss für Tourismus ({15}) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Widerspruch ist nirgendwo zu erkennen. Dann haben wir auch das einvernehmlich so beschlossen. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich zu einer Reihe von Geburtstagen: Der Kollege Gerd Höfer feierte am 23. Februar seinen 65. Geburtstag, und der Kollege Alfred Hartenbach ist gestern 65 Jahre alt geworden. ({16}) Die Kollegen Rainder Steenblock und Thomas Kossendey begingen ihre 60. Geburtstage am 29. Februar und am 4. März. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich allen Jubilaren nachträglich sehr herzlich und wünsche alles Gute. ({17}) Auf der Ehrentribüne hat der Parlamentspräsident unseres Nachbarlandes Luxemburg, der Präsident der Abgeordnetenkammer des Großherzogtums, Herr Lucien Weiler, mit seiner Delegation Platz genommen. - Im Namen des ganzen Hauses begrüße ich Sie sehr herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({18}) Ich hatte gestern Abend schon Gelegenheit, Sie nicht nur in aller gebotenen Freundlichkeit zu begrüßen, son- dern auch unsere Freude darüber zum Ausdruck zu brin- gen, dass Sie mit Ihrem Besuch und der hochrangigen Besetzung Ihrer Delegation aus allen Fraktionen des lu- xemburgischen Parlaments das große Interesse an mög- lichst engen und traditionell freundschaftlichen Bezie- hungen zwischen unseren beiden Ländern deutlich machen. Wir beteiligen uns gern an Ihren Bemühungen, die Beziehungen auch zwischen unseren Parlamenten, soweit es überhaupt noch geht, zu vertiefen. Für Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr weiteres parlamentari- sches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung - Drucksache 16/8305 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({19}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Präsident Dr. Norbert Lammert b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb - Drucksache 16/8306 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({20}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb beschleunigen - Drucksache 16/7872 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({21}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister Michael Glos.

Michael Glos (Minister:in)

Politiker ID: 11000691

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute, wie wir gerade vom Präsidenten gehört haben, den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und den Entwurf eines Gesetzes zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb. Ich meine, das sind zwei wichtige Bausteine unseres Energie- und Klimaschutzpakets. Wir wissen ja: Klimaschutz wollen wir alle. Darüber sind wir uns einig. Ich finde, Klimaschutz muss zu bezahlbaren Preisen möglich sein. Wir meinen, mit den Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele müssen wir einen Weg wählen, der Verbrauchern und Unternehmungen im Land die geringstmöglichen Lasten auferlegt. ({0}) Durch zusätzliche Flexibilität bei den Förderbedingungen ist es möglich, mit dem gleichen Geld mehr Investitionen in Kraft-Wärme-Kopplung auszulösen. Der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung soll bis zum Jahr 2020 auf etwa 25 Prozent, also etwa auf das Doppelte, ansteigen. Stärkung der Verbraucher, mehr Wettbewerb im Energiemarkt und Klimaschutz müssen sich ergänzen. Dies wird gerade im Messwesen bei Strom und Gas deutlich. Bislang gibt es ein Monopol des Netzbetreibers für den Einbau und das Ablesen des Zählers. Damit soll jetzt Schluss sein, nach dem Motto: Es ist aus damit, dass der Gasmann zweimal klingeln muss. ({1}) Künftig soll jeder Verbraucher selbst bestimmen können, wer bei ihm den Strom oder das Gas abliest. Mithilfe sogenannter intelligenter Zähler wollen wir den Stromund Gaskunden die Möglichkeit eröffnen, ihren Energieverbrauch selbst bedarfsgerecht und kostenoptimal zu steuern. Man kann dann gleich ablesen, wie viel Strom gerade gebraucht wird. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen bei der Nutzung der Geräte die günstigsten Tarife wählen und damit leichter sparen können. Das schont den Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher, und es stärkt die Position der Kunden gegenüber den großen Energieversorgern. Auch über die muss ich noch ein paar Worte verlieren. Wichtigstes Ziel meiner Politik als Bundesminister für Wirtschaft ist, die Verbraucher zu stärken. Ich meine, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher im Mittelpunkt unserer Betrachtungsweise stehen müssen. ({2}) Dazu gehört, dass wir den Wettbewerb auf diesem Gebiet mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die ich jetzt nicht alle aufzählen will, gestärkt haben. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die Stromkunden ihre Anbieter jetzt sehr rasch wechseln können. Ich kann nur empfehlen, davon Gebrauch zu machen - das geschieht bereits sehr rege -, dann allerdings immer streng darauf zu achten, dass der neue Lieferant innerhalb eines Jahres seine Bedingungen nicht so ändert, dass man wieder mehr bezahlt. Wir brauchen einfach kostenbewusstere Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Maßnahmen, die wir zur Stärkung des Wettbewerbs und gegen den Missbrauch von Marktmacht im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht haben, beginnen zu wirken. Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt machen von ihren neuen Instrumenten rege Gebrauch. So hat das Bundeskartellamt in den letzten Tagen ein Preismissbrauchsaufsichtsverfahren gegen 35 Gasversorger eingeleitet. ({3}) - Vielen Dank für den Beifall von ganz links. ({4}) Ich möchte noch einmal betonen: Für die länderübergreifenden Gasversorger ist das Bundeskartellamt zuständig. Für diejenigen, die sich auf ein Bundesland beschränken, sind es die Landeskartellbehörden. Ich fordere die Landeskartellbehörden noch einmal nachdrücklich auf, von ihren gewachsenen Vollmachten Gebrauch zu machen. ({5}) Ich meine, Gewinne, ja, das ist selbstverständlich; aber Übermaßgewinne, die manche auf diesem Gebiet zu vereinnahmen gewohnt sind, sind total falsch. In diesen Tagen findet auch eine Diskussion statt, in der sich das Bundesumweltamt als Sachverständiger über eine mögliche Stromlücke im Land zu profilieren versucht hat. Das ist etwas, worüber wir uns Gedanken machen müssen. Der Energieminister ist auch für die Sicherheit der Energieversorgung zuständig. Natürlich werden in Deutschland und Europa morgen nicht plötzlich die Lichter ausgehen. Heute wird aber darüber entschieden, wie sicher die Versorgung morgen und übermorgen ist, und vor allen Dingen darüber, wie viel dann für Strom oder für Gas bezahlt werden muss. Was wir derzeit in der öffentlichen Debatte erleben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Mit Blick in die Zukunft ist es eigentlich ein Stück weit verantwortungslos. Neue Kohlekraftwerke finden dort, wo sie gebaut werden sollen, keine Akzeptanz, obwohl sie unter besseren Bedingungen für die Umwelt produzieren als die jetzt vorhandenen. Die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken ist gegenwärtig ein politisches Tabu, weil es nicht gelungen ist, sich in der Großen Koalition zu Beginn entsprechend zu vereinbaren. ({6}) - Wir haben uns vereinbart, dass wir nicht einig sind, Herr Kollege. Das war aber alles. Über mehr haben wir uns nicht vereinbart. ({7}) Selbst der Ausbau erneuerbarer Energien wie der Windenergie stößt zunehmend auf Widerstände. Der Doppelausstieg aus Kohle und Kernenergie ist für mich undenkbar. Die Folge wäre, dass die Energieversorgung in Deutschland dramatisch in Gefahr geriete. Die erneuerbaren Energien könnten eine solche Lücke nicht rasch genug schließen. Wir brauchen deshalb eine offene und sachliche Diskussion über die energiepolitische Zukunft unseres Landes; dazu lade ich ein, Herr Kollege Kelber. Mehr Strom in den Netzen ist die Bedingung dafür, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Dauer niedrige Preise bekommen. ({8}) Unabhängig davon, wie der Energiemix zukünftig aussieht, führt an einem Ausbau des Leitungsnetzes kein Weg vorbei. Dazu möchte ich noch ein paar Worte sagen: Wenn man zum Beispiel den Wind aus dem Norden in den Süden bringen will, braucht man neue Leitungen. Der Bau neuer Leitungstrassen ist sehr unbeliebt. Ich kann das sogar nachvollziehen. Wenn wir jedoch alles für teures Geld unter die Erde legen wollen, dann sind die Hochspannungsleitungen unsicherer, und es kostet ein Vielfaches. Dies müsste dann auf die Verbraucher umgelegt werden. Mein Haus arbeitet deshalb für den zweiten Teil des Energie- und Klimapaketes an einem Netzausbaugesetz. Ziel ist eine Beschleunigung des Netzausbaus, damit in die Netze rasch investiert wird. Wir wollen Planungssicherheit für den Netzausbau. Die Vorstellungen der EU-Kommission zu einer sogenannten eigentumsrechtlichen Entflechtung lehnt die Bundesregierung deshalb ab. Wir wollen nicht, dass das verpflichtend wird. ({9}) Wir wollen uns auch nicht von der EU-Kommission vorschreiben lassen, dass wir enteignungsgleiche Eingriffe in das Eigentum an Netzen, aber auch an Gasleitungen vorzunehmen haben. Etwas anderes ist es, wenn ein Unternehmen sein Eigentum freiwillig verkauft, wie das der Eon-Konzern jetzt offensichtlich vorhat. Ich weiß nicht, welche Motive dahinterstehen. Vor kurzem hat dieser Konzern noch eine andere Haltung an den Tag gelegt. Man hört auch davon, dass irgendwelche Deals und der Erlass von Kartellstrafen ihn plötzlich in diese Richtung bewegt haben. ({10}) Insofern ist das Handeln der EU-Kommission manchmal etwas mysteriös und nur schwer nachvollziehbar. Wenn jemand gegen Kartellrecht verstoßen hat, dann muss er dafür zahlen, finde ich; das darf nicht mit anderen Dingen abgefunden werden. ({11}) Die faulen Deals, die da offensichtlich gemacht worden sind, und zwar ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als der Energierat über die verschiedenen Modelle beraten hat, bedürfen meiner Ansicht nach einer intensiven Überprüfung. Das kam überraschend. In der Sache bin ich natürlich für so viel Wettbewerb wie möglich. Wenn die Leitungen und die Erzeugung nicht in einer Hand sind - wir haben gesetzliche Einspeiseberechtigungen schon bevorzugt Nichtnetzbesitzern erteilt -, dann ist das im Prinzip zu begrüßen. Aber es ist eine Reihe von Fragen zu beantworten: Wer hält die Netze in Zukunft so intakt, wie das bis jetzt der Fall gewesen ist? Wer will sie überhaupt kaufen? Die öffentliche Hand ist dafür am wenigsten geeignet. Was wird aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die dort beschäftigt sind? Dieser Bereich ist ja der beschäftigungsintensivste Bereich der Stromkonzerne. Ich glaube, auf all diese Fragen müssen wir Antworten finden, und uns muss gerade die Sorge um die Beschäftigten umtreiben. ({12}) Ich warne deshalb vor Schnellschüssen. Gerade angesichts der Tatsache, dass aus den vorhin genannten Gründen so viel Geld in den Netzausbau investiert werden muss, wäre es sehr problematisch, wenn Teile der Netze - es handelt sich ja zunächst um einen Konzern, der das vorhat, aber andere Konzerne signalisieren ähnliche Absichten - plötzlich den Eigentümer wechseln. Wir werden, wie gesagt, all das sehr sorgfältig betrachten. Es ist meiner Ansicht nach eine vordringliche Aufgabe, das sehr genau zu prüfen. In dem Zusammenhang möchte ich noch sagen: Wir streben eine Ergänzung des Außenwirtschaftsgesetzes an, gemäß der eine Mitsprachemöglichkeit bzw. ein Einspruchsrecht der Bundesregierung verankert wird, wenn Anlagen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreffen, den Besitzer wechseln oder mehr als 25 Prozent der Stimmrechte von Betreibern solcher Anlagen erworben werden. Ich appelliere an alle, die noch unentschlossen sind, dieses Gesetz rasch auf den Weg zu bringen. Sonst sieht es hinterher möglicherweise so aus, als ob sich die Gesetzesänderung gegen einen bestimmten Käufer richten würde. Ich fände es gut, wenn es dieses Instrument gäbe; denn dann könnte man es, wenn man es braucht, anwenden. Ich hoffe, dass Unternehmen sich, falls sie einen Verkauf vornehmen - so etwas können wir ja nicht verhindern -, sehr verantwortungsbewusst bei der Auswahl der Firma, die dann möglicherweise das Netz erwirbt, zeigen und sich nicht rein nach dem Verkaufserlös richten, sondern all die von mir angesprochenen Punkte mitberücksichtigen. ({13}) Ansonsten wünsche ich mir eine gute Gesetzesberatung. Wir vom Bundeswirtschaftsministerium sind jederzeit bereit, auftauchende Fragen zu klären. Herzlichen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Gudrun Kopp, FDPFraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Das EU-Kartellrechtsverfahren gegen Eon ist in der Vergangenheit, Herr Minister Glos, in der Tat sehr gespenstig gelaufen. Ich hätte mir gewünscht, dass kein Deal, so wie es geschehen ist, abgeschlossen worden wäre, sondern dieses Kartellrechtsverfahren erst einmal ganz normal durchgeführt worden wäre. ({0}) Mich beunruhigt nicht, dass Eon sein Übertragungsnetz verkaufen möchte. Dabei handelt es sich um eine freie unternehmerische Entscheidung. Diesen Schritt würden wir durchaus begrüßen. Es kann aber nicht sein, dass ein Deal geschlossen wird, wobei wir den „Preis“ dafür nicht erfahren. So etwas sollte es nicht geben. Gerade in der Energiewirtschaft brauchen wir strukturelle Reformen. Wir müssen hier Strukturen aufbrechen. Dabei geht es darum, dass die Stromerzeugung von der Netzverantwortung in gewisser Weise getrennt wird. Wir haben hierzu einen entsprechenden Antrag eingebracht und darin festgehalten: Die eigentumsrechtliche Entflechtung stellt für uns die Ultima Ratio dar. Zugleich haben wir in einem weiteren Antrag die Schaffung einer Netz AG für Deutschland, in die alle Netze von Netzbetreibern eingebracht werden, vorgeschlagen. Eine solche Netz AG sollte unabhängig arbeiten und Investitionsentscheidungen treffen können, also alle Verantwortung für die Netze tragen, damit auf der einen Seite dem Durcheinander und auf der anderen Seite der Marktkonzentration, die wir augenblicklich haben, ein Ende gemacht wird. Außerdem wollen wir eine Entflechtungsnorm aufnehmen. Auch das ist eine wichtige Forderung. Das Kartellamt muss die Möglichkeit haben, bestimmte Strukturen gerade im Erzeugungsbereich aufzubrechen. Dazu braucht man mehr als nur einige wenige Gesetzeskorrekturen, nämlich vielmehr ein Schwert, mit dessen Hilfe entsprechende Maßnahmen tatsächlich durchgesetzt werden können. ({1}) Was in die derzeitige politische Landschaft passt, das ist die Frage, wer, wenn jemand die Netze verkauft, sie kaufen soll. Plötzlich kommt die Debatte auf, ob nicht der Staat der Eigentümer der Netze sein sollte. Diese Einstellung aufseiten der Linken wundert mich nicht. Aber in Richtung SPD und Grünen muss ich sagen: Wir haben doch erlebt, dass der Staat eben nicht der bessere Verwalter ist. Als Beispiel nenne ich die Bahn. Hier sind wir derzeit in schwierigsten Privatisierungsberatungen. Dies zeigt, dass es nicht sinnvoll ist, den Staat zum Verwalter zu machen. Die DDR haben wir mit all den wirtschaftspolitischen Dissonanzen, die es dabei gegeben hat, hinter uns gelassen. ({2}) Das kann es nicht sein. ({3}) Ich hoffe, Herr Minister Glos, dass Sie die Kraft haben, sich hier durchzusetzen, und dass Sie die Marktöffnung an dieser Stelle positiv begleiten und nicht durch mehr Staat intervenieren wollen. Wir haben heute den Gesetzentwurf zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung vorliegen. Beim KraftWärme-Kopplungsgesetz, das ja ein weiteres Mal verändert werden soll, gibt es eine Besonderheit. Die Ausgangslage war, dass auf der Basis der Daten von 1998 im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung von 2002 bis 2005 CO2-Einsparungen im Umfang von 10 Millionen Tonnen und bis 2010 im Umfang von mindestens 20 Millionen Tonnen erfolgen sollen. In der Zwischenzeit hat die Bundesregierung einen Bericht, eine Art Zwischenbilanz, vorgelegt. Dieser Bericht gibt sehr klar und deutlich zu erkennen, dass diese Einsparungen nicht annähernd erreicht wurden. Das heißt, das Instrument hat nicht gewirkt. Die Bundesregierung hat jetzt entschieden, einen Turnaround zu machen und zu sagen, wir wollen weiter fördern, weil das Ergebnis nicht gestimmt hat, und zwar so lange, bis ein Ergebnis herauskommt, das uns passt. Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz bis 2010 mit Zusatzkosten, die die Verbraucher zu tragen haben, im Umfang von 5,6 Milliarden Euro zu rechnen ist. Das bedeutet eine Steigerung der Kosten bis 2010 um 1,2 Milliarden Euro. Wer hat diese Zusatzkosten zu tragen? - Natürlich wieder einmal die Energiekunden. Das ist nicht akzeptabel, ganz zu schweigen davon, dass auch diese Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes im Grunde genommen technologieselektiv ist. Hier will Politik eine ganz bestimmte Technologie umsetzen. Auch wenn die Instrumente nicht greifen und das Ergebnis nicht zufriedenstellend ist, soll weitergemacht werden. Nun, so hat Minister Glos ausgeführt, sollen bis 2020 25 Prozent des gesamten Stroms in Deutschland durch KraftWärme-Kopplung erzeugt und damit eine Verdoppelung vorgenommen werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass mit der Verlängerung der Laufzeit des Gesetzes auch eine Ausweitung des Geltungsbereichs einhergeht. Es sollen jetzt nicht nur kleinere Anlagen Fördermittel beantragen dürfen, sondern auch größere Anlagen. ({4}) Das heißt, die Größengrenzen werden gestrichen und die Wärmenetze sollen mit in die Förderung hinein. Die Anzahl der zu fördernden Anlagen und Netze wird also steigen. Es wird ein Finanzvolumen von 750 Millionen Euro pro Jahr aufgesetzt, und zwar gedeckelt. Darüber hinaus soll für diejenigen, die solche Anlagen betreiben, die Möglichkeit bestehen, bis Ende 2014 ihren Dauerbetrieb anzumelden. Die Förderung würde dann bis 2020 laufen. Das bedeutet im Umkehreffekt: Durch die Änderung dieses Gesetzes werden - wiederum zulasten der Verbraucher - bis 2020 weitere 7,5 Milliarden Euro als Fördermittel gebunden. Dieses Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz entwickelt sich zu einem Dauersubventionsinstrument. Wir haben davon ja schon einige andere; das kennen wir aus der Vergangenheit. Das können wir von der FDP-Bundestagsfraktion nicht akzeptieren. ({5}) Wir sagen: Die neuen Fördertatbestände bringen neue Informationspflichten, also neue Bürokratie, mit sich. Pro Jahr fallen dadurch Verwaltungskosten von circa 430 000 Euro für die jeweiligen Einheiten an. Diese Belastungen entstehen Wirtschaft und Verwaltung in diesem Bereich zusätzlich. Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben schon lange gefordert, dass die Instrumente, die angewandt werden, um Klimaschutz zu realisieren, dringend durchforstet werden müssen. Die Liberalen haben den Entwurf eines Wärmegesetzes eingebracht. Dieses Wärmegesetz sollte in den Emissionshandel integriert werden. Dann gäbe es an dieser Stelle Klimaschutz plus Kosteneffizienz und somit eine ganz andere Bilanz. Das, was die Bundesregierung jetzt andenkt, also eine Verlängerung der Geltungsdauer des Kraft-WärmeKopplungsgesetzes, mit dem die festgelegten Ziele - ich sage es noch einmal sehr deutlich - nicht erreicht, sondern verfehlt worden sind und das zusätzliche Kosten verursacht, wird die Verbraucher unter dem Strich belasten, ohne dass es zu dem notwendigen Ergebnis und zur Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente kommt. Dies lehnen wir deutlich ab. ({6}) Zu dieser Debatte passt eine Umfrage. An diese will ich erinnern, weil natürlich immer wieder die Frage im Raum steht, wie nahe wir in der Energiepolitik an der Realisierung unseres Zielkanons, bestehend aus Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit, sind. In einer aktuellen Umfrage des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung wurden 200 Energieexperten aus Deutschland danach befragt, was nach ihrer Beobachtung Priorität in der Energiepolitik hat, die die Bundesregierung betreibt. Die Forscher sagten: Höchste Priorität hat bei der Bundesregierung mit 61 Prozent die Umweltverträglichkeit, nur noch mit 25 Prozent die Wirtschaftlichkeit und mit mageren 14 Prozent die Versorgungssicherheit. Herr Minister Glos, das zeigt sehr deutlich: Sie haben bescheinigt bekommen, dass das, was Sie leisten, nicht dazu beiträgt, dass der in der Energiepolitik bestehende Zielkanon, der gerade für die Wirtschaftspolitik, für Sie als Ressortleiter von besonderer Bedeutung wäre, ausgewogen realisiert wird. Sie müssten dafür sorgen, dass Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit eine Einheit mit dem Klimaschutz bilden können. Das tun Sie leider bis heute nicht. Deshalb mahnen wir Liberalen Sie noch einmal: Tun Sie etwas, um diesen Zielkanon endlich in ein Gleichgewicht zu bringen! Sorgen Sie für mehr Wettbewerb und sorgen Sie auch dafür, dass die Privatverbraucher genauso wie die Unternehmen in unserem Land nicht über Gebühr mit Kosten belastet werden, wodurch sie weniger wettbewerbsfähig sind! ({7}) Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen heute einen Antrag vor, der sich mit mehr Wettbewerb im Messwesen im Strom- und Gasbereich befasst. Gerade im Messbereich gibt es eine große Chance. In den Haushalten und Unternehmen gibt es 125 Millionen Messgeräte für Wasser, Strom und Gas. Hier Wettbewerb zu schaffen und mit intelligenten Zählern und Messmethoden den Verbrauchern zu verdeutlichen, wann sie wie viel Strom verbrauchen und wie sie ihren Stromverbrauch regulieren können, bietet eine hervorragende Chance, Gebühren zu sparen. Diese Chance gibt es sowohl für die Wirtschaft als auch für die Privatverbraucher. Herr Minister Glos, zwei Dinge sind nach unserer Ansicht nicht in Ordnung: Sie treten in Ihrem Gesetzentwurf für eine Öffnung des Messwesens innerhalb von sechs Jahren ein. Sie möchten, dass zunächst das Gewerbe und die Industrie davon profitieren und erst dann, zeitversetzt, die Privatkunden, also die Haushalte. Zu dieser Abstufung sagen wir: Sie sind nicht ehrgeizig genug. Gehen Sie schneller voran. Sie brauchen keine sechs Jahre, um die Marktöffnung zustande zu bringen. Sorgen Sie dafür, dass die Marktöffnung schnellstmöglich erfolgt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Legen Sie die notwendige Verordnung vor und sorgen Sie dafür, dass die Privatkunden von der Öffnung genauso profitieren wie die Gewerbe- und Industriekunden. ({0}) Das nützt den Verbrauchern und wäre eine konsequente, marktorientierte Energiepolitik. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch wenn wir gerne über vieles andere reden, beschäftigen wir uns heute vor allen Dingen mit der Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, des KWKG. Für viele von uns ist das ein vertrautes Thema. Spätestens seit den Koalitionsverhandlungen fordern einige Fraktionen, unter anderem die SPD-Fraktion, die Vorlage eines Monitoringberichts. Es war klar, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht. Mit dem am 5. Dezember im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf wurde eine tragfähige Grundlage für die parlamentarischen Beratungen geschaffen, die von allen an der Kraft-Wärme-Kopplung Interessierten positiv aufgenommen wurde. Vielen Dank dafür. Die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung ist neben der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des EEG, und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes ein Schwerpunktthema des integrierten Energie- und Klimapakets der Bundesregierung. Zu der geplanten Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 soll dieses Paket mit einer Minderung des CO2-Ausstoßes um 36 Prozent beitragen. Der Ausbau der hocheffizienten KWK - im Jahr 2020 sollen 25 Prozent des Stromverbrauchs durch KWK gedeckt werden - ist ein unverzichtbarer Bestandteil dieser Strategie. Die Verdopplung des KWK-Anteils - heute liegt er bei etwa 12 Prozent - wird zu einer jährlichen Reduktion der CO2-Emissionen um knapp 15 Millionen Tonnen führen; der Minister hat das eben schon erwähnt. Dieses Potenzial - ich denke, darüber sind wir uns in diesem Hause einig - darf nicht ungenutzt bleiben. ({0}) Spätestens seit Vorlage des Monitoringberichts zum derzeit geltenden KWKG wissen wir, dass auf diesem Sektor Handlungsbedarf besteht. Der KWK-Anteil konnte in den letzten Jahren gerade einmal stabilisiert werden - insbesondere aufgrund von Investitionen kommunaler Unternehmen. Gleichzeitig hat die Zwischenprüfung, also der Monitoringbericht, gezeigt, dass auf der Grundlage des bisherigen Gesetzes das CO2-Minderungsziel für das Jahr 2010 nicht erreicht werden kann. Unter anderem deshalb haben wir frühzeitig zu dieser Novelle gedrängt. Nach dem Motto „Besser spät als nie“ freuen wir uns, dass der Entwurf heute vorliegt. Die KWK ist die effizienteste Technologie zur Ausnutzung des Energiegehaltes eines Primärenergieträgers. Wir können mit ihr nach dem derzeitigen Stand der Technik Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent erreichen. Sie leistet damit nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Minderung des CO2-Ausstoßes, sondern trägt auch zur Ressourcenschonung bei. Aufgrund dieser Vorteile ist das 25-Prozent-Ziel für 2020 auch kein End-, sondern ein Zwischenziel. Wir können davon ausgehen - das vom BMWi ausgegebene Gutachten macht das deutlich -, dass hier noch weitere Potenziale schlummern, die mittelfristig gehoben werden sollten. Wir setzen nicht auf ein einzelnes Instrument zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, sondern wir schaffen neben dem KWKG auch an anderen Stellen geeignete Rahmenbedingungen für die KWK, unter anderem im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Denn - viele haben das beobachtet - gerade in Regionen, in denen es hohe Anteile sowohl von erneuerbaren Energien als auch von Kraft-Wärme-Kopplung gibt, haben wir es durchaus mit einem Konkurrenzverhältnis zwischen beiden zu tun. Deswegen wird jetzt im KWKG eine Gleichbehandlung von KWK und erneuerbaren Energien eingeführt. Zugleich streben wir in der Novelle des EEG eine verbesserte Netzintegration der erneuerbaren Energien an. Das schafft mehr Planbarkeit in diesem Bereich und entschärft die Binnenkonkurrenz zwischen KWK und erneuerbaren Energien. Ein zweiter Bereich, in dem wir die Rahmenbedingungen für KWK setzen, ist der Emissionshandel. Hier haben wir eine Doppelbenchmark für den Nationalen Allokationsplan bis zum Jahre 2012 durchgesetzt. Das heißt, es gibt eine Zuteilung sowohl für den Strom- wie für den Wärmeanteil. Wir wollen diese Präferenz der KWK auch weiterhin, also auch nach 2012, erhalten. Wir begrüßen deswegen den Kommissionsvorschlag, für die Wärmeproduktion im Bereich der KWK keine Versteigerung von Zertifikaten vorzusehen. ({1}) Dennoch - auch wenn diese Instrumente wichtig sind ist das KWKG das zentrale Instrument zur Förderung dieser Technologie. Deswegen wollen wir an dieser entscheidenden Baustelle schnell vorankommen. Wir bauen im Gesetzentwurf weiterhin auf eine umlagefinanzierte Förderung der KWK - das ist richtig -, aber wir stehen dazu, dass wir auch neue Fördertatbestände schaffen. Es ist klargeworden, dass wir allein mit den bisherigen Mitteln die ambitionierten Ziele nicht erreichen werden. Wir setzen die Förderung modernisierter KWK-Anlagen fort. Hinzu kommt aber, dass wir neu errichtete KWK-Anlagen ohne Größenbeschränkungen fördern und die industrielle Eigenerzeugung einbeziehen wollen. All diese Schritte sind notwendig, um die vorgegebenen Mengenziele erreichen zu können. Im Übrigen - das ist jedenfalls ein Petitum unserer Fraktion - sollten wir überprüfen, ob wir Eigenerzeugung nur in der Industrie oder auch in anderen Branchen und Sektoren - im Handel, im Gewerbe, im Dienstleistungssektor - einbeziehen. Ich denke, die Trennung, wie wir sie bisher im Entwurf haben, macht relativ wenig Sinn. ({2}) Wir haben einige andere Petita, die wir im Rahmen der parlamentarischen Beratungen ansprechen werden. So ist durchaus darüber zu diskutieren, dass wir zur Zielerreichung mindestens die zugesagten Mittel flexibler über die Jahre verwenden können. Möglicherweise muss man auch über eine Mittelerhöhung nachdenken. Wir brauchen mit Sicherheit eine Verlängerung der Anmeldefristen über den 31. Dezember 2014 hinaus. Ich will nur einen Grund nennen, der für eine solche Fristverlängerung spricht: Wir alle wissen, dass wir im Kraftwerksbereich - das gilt im Übrigen für Anlagen bei erneuerbaren Energien genauso wie in jedem anderen Bereich, also auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung - einen stark überhitzten Kraftwerksbaumarkt haben. Das führt zu Knappheiten und erhöhten Preisen. Dies lässt sich am besten durch eine Streckung des Investitionszeitraums ausgleichen. Insofern ist auch eine entsprechende Verlängerung der Anmeldefristen notwendig. ({3}) Ein weiterer uns wichtiger Punkt betrifft die Förderabbrüche, die wir bei den kleinen KWK-Anlagen kommen sehen. Hier gibt es eine sprunghafte Entwicklung. Die Förderung in bestimmtem Umfang bei kleinen und in geringerem bei größeren KWK-Anlagen wollen wir durch gleitendere Regelungen ersetzt sehen. Hier haben wir also - Sie sehen das - noch eine ganze Menge Detailarbeit vor uns. Wir begrüßen ausdrücklich, dass in dem vorliegenden Entwurf auch der Aus- und Neubau von Nah- und Fernwärmenetzen vorgesehen ist. Hier sollen Investitionszuschüsse gegeben werden. Ich glaube, das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Gesetzes insgesamt. Schließlich ist die Erschließung von Wärmesenken notwendig, um die zusätzlichen Wärmepotenziale, die wir durch die Erhöhung des Anteils der KWK schaffen wollen, auch vermarkten zu können. Meine Damen und Herren, ich denke, dass viele Fragen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, durch den vorliegenden Gesetzentwurf schon beantwortet sind. Über einige andere Fragen, die ich gerade aufgezählt habe, werden wir in der weiteren Debatte noch zu diskutieren haben. Klar ist: Die KWK trägt zur weiteren Dezentralisierung unserer Energieversorgungslandschaft bei. Sie führt uns ein Stück weit weg von den großen Kondensationskraftwerken und hin zur Erhaltung lokaler Wertschöpfung und lokaler Arbeitsplätze. Sie stärkt die Stadtwerke, die ihren Strom bereits zu über 80 Prozent durch KWK erzeugen. Damit stärkt sie auch die Anbietervielfalt und den Wettbewerb. Das sind viele zusätzliche Argumente, die dafür sprechen, die Kraft-WärmeKopplung weiterzuentwickeln. Auch wenn wir im Bereich der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2020 sehr erfolgreich sind und es schaffen, ihren Anteil an der Stromerzeugung auf 30 Prozent zu erhöhen, ist für uns klar, dass wir in großem Umfang auch fossile Energieträger verstromen müssen, hier in Deutschland, vor allem aber im Ausland, insbesondere in Schwellenländern wie China und Indien. Wenn wir bei der KWK Fortschritte erzielen, dann können wir national und international einen Beitrag zur klimaverträglichen Nutzung fossiler Energieträger leisten. Das ist gut für das Klima. Das ist aber auch gut für unseren Export. Deswegen glaube ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. In den letzten Monaten haben wir erlebt, dass Neuinvestitionen in Kraftwerke, insbesondere in Kohlekraftwerke, vor Ort auf Widerstände stoßen. Das ist in gewissem Umfang nachvollziehbar, zum Beispiel dann, wenn es um große Kondensationskraftwerke geht. Ich persönlich glaube allerdings, dass wir auch in diesem Bereich nicht ganz ohne neue Kraftwerke auskommen werden. Schließlich sollen sie alte, klimaschädliche Anlagen ersetzen. Jedenfalls ist klar: Wir alle müssen ein großes Interesse daran haben, dass neue Kraftwerke entstehen, die auf der Basis von Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden. Es werden aber auch solche dabei sein, die mit Kohle befeuert werden. Ich denke, es ist auch die Aufgabe von Politik, hier für Aufklärung und Akzeptanz zu sorgen. Wir brauchen in Deutschland eine Art Arbeitsteilung. Wir müssen eine sichere Energieversorgung, die Schaffung der Rahmenbedingungen für die Erhaltung von Industriearbeitsplätzen in der energieverbrauchenden Industrie und unsere anspruchsvollen Klimaschutzziele miteinander verbinden. Das wird nicht funktionieren, wenn man republikweit überall CO2-freie Zonen einrichtet. Auch die Regionen müssen bereit sein, über neue KWK-betriebene Kraftwerke hinaus einen Beitrag zu leisten. ({4}) Ansonsten würden wir von den Realitäten sehr schnell überholt. Wir müssen an vielen Fronten gleichzeitig erfolgreich sein. Wir brauchen den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien; dazu haben wir in der letzten Sitzungswoche die erste Lesung des Erneuerbare-EnergienGesetzes und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes durchgeführt. Wir brauchen eine massive Steigerung der Energieeffizienz auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite; dazu werden wir entsprechende Maßnahmenpakete auf der Basis der Beschlüsse von Meseberg vorlegen. Wir brauchen die Modernisierung des fossilen Kraftwerksparks, und zwar möglichst unter Einsatz der umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung. Wenn wir diese drei Ansätze parallel verfolgen, dann ist das eine gute Voraussetzung sowohl für Fortschritte im Bereich der Ökologie als auch im Bereich der Ökonomie. Ein weiterer wichtiger Punkt, der heute bereits angesprochen worden ist und den auch ich nicht unerwähnt lassen will, betrifft die Netze. Auch eine wettbewerbsneutrale Organisation des Netzbetriebes muss in unser aller Interesse liegen. Wir brauchen einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen, wir müssen möglichst vielen Anbietern eine faire Chance auf diesem Markt geben, wenn wir den Wettbewerb vorantreiben wollen. Wir brauchen aber auch den Ausbau der Netze. Denn es ist klar, dass unsere Netze, wenn unsere Energieversorgung durch KWK und durch erneuerbare Energien dezentralisiert wird, immer leistungsfähiger werden müssen. Wir brauchen deswegen Rahmenbedingungen, die auf ein angemessenes Netzentgelt abzielen. Es muss am Ende so sein, dass der Verbraucher keinen Euro mehr zahlt als notwendig, zugleich aber Renditen erzielt werden können, die Investitionen in die Netze attraktiv halten. Das ist ein schwieriger Balanceakt, insbesondere für die Bundesnetzagentur. Aber Enteignungsfantasien, Entflechtungsvorschläge, wie sie aus Brüssel kommen, haben nicht den Nachweis gebracht, dass sie zu dem gewünschten Doppelziel - zu sinkenden Preisen und mehr Investitionen - führen; wer sich die Zahlen des United Kingdom anschaut, wird zu diesem Ergebnis kommen. Meine Redezeit ist abgelaufen, und ich möchte nicht dem nächsten Redner unserer Fraktion Redezeit stehlen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der nächste Redner - dem Sie die Redezeit nicht stehlen können - ist der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verstehe ja, dass Sie mir gern die Redezeit stehlen würden; aber da steht die parlamentarische Geschäftsordnung davor. Insofern müssen Sie jetzt zuhören. Es war heute Morgen schon von der sozialen Marktwirtschaft die Rede. Wir definieren soziale Marktwirtschaft als eine wirtschaftliche Ordnung, die Lohndumping und Monopolpreise verhindert. Wenn wir die Situation in unserem Lande betrachten, müssen wir feststellen, dass wir nicht besonders erfolgreich gearbeitet haben: Wir haben derzeit fallende Löhne, also echtes Lohndumping, während die Monopolpreise steigen. Das ist das Gegenteil von dem, was das Ergebnis der Ordnungs- und Wirtschaftspolitik einer sozialen Marktwirtschaft sein müsste. ({0}) Es hat keinen Sinn, wenn wir hier - dieser Ansatz ist ja unstreitig - über die energetischen Wirkungsgrade der Kraft-Wärme-Kopplung dozieren. Die Frage ist vielmehr, in welchem politischen Umfeld wir diskutieren: Viele Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland leiden zurzeit darunter, dass sie fallende Löhne, fallende Renten zu verkraften haben, während die Monopolpreise schamlos steigen. Das muss das Thema der heutigen Debatte sein. ({1}) Ich widme mich jetzt nicht den fallenden Löhnen, ich widme mich den steigenden Preisen und sage, dass die bisherige Ordnungspolitik der Regierung schlicht und einfach nicht die gewünschten Erfolge hat oder, wenn man so will, dass in den letzten Jahren eine Ordnungspolitik gemacht worden ist, deren Ergebnisse im Gegensatz zu den Zielen stehen, die immer wieder vorgetragen werden. Die Monopolunternehmen kassieren immer noch schamlos ab. Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger, die, ich sage es noch einmal, mit fallenden Löhnen und fallenden Renten konfrontiert sind. Das ist die Lage in Deutschland. ({2}) Was kann man machen, um diese Entwicklung zu verhindern? Es gibt einen Ansatz, den die Linke schon mehrfach vorgetragen hat und den auch andere Fraktionen befürworten: Das ist eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung. Eine verschärfte Kartellgesetzgebung ist in einer marktwirtschaftlichen Ordnung die einzige Möglichkeit, Monopole zu bekämpfen und dafür zu sorgen, dass der Wettbewerb seine soziale Funktion erfüllt: zu Preisen zu führen, die akzeptabel sind. Monopole haben die Folgen, die ich angesprochen habe. Die Linke ist für eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung, weil es nicht darum geht - ich zitiere das sehr gerne -, wirtschaftliche Macht zu kontrollieren, sondern darum, wirtschaftliche Macht überhaupt zu verhindern. ({3}) Das ist ein Ansatz, für den ich mich immer wieder ausgesprochen habe. Ich berufe mich hier nicht auf Karl Marx, sondern auf Walter Eucken - damit Sie wissen, woher dieser Ansatz kommt. Es ist nicht gelungen, wirtschaftliche Macht zu kontrollieren. Wir haben in Deutschland Monopolunternehmen, die die Energiepolitik in den letzten Jahren weitgehend bestimmt haben und die teilweise über Lobbyisten die Gesetzgebung beeinflusst haben, was zu den negativen Folgen geführt hat, mit denen wir heute konfrontiert sind. ({4}) Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Kartellgesetzgebung verschärft wurde und dass die Verfahren nicht länger auf die Stromerzeuger beschränkt bleiben, sondern auch auf die Gasversorger ausgedehnt werden. Das war notwendig. Ich stimme der Kritik durchaus zu: Es geht nicht an, dass sich die Monopolunternehmen mit einigen Gesten freikaufen können. Die Kartellverfahren sollten durchgezogen werden, damit Vertrauen in solche Verfahren entsteht und nicht damit gerechnet werden muss, dass der Lobbyismus wieder zu einem Deal führt und die Kartellverfahren zurückgezogen werden. ({5}) Erstens ist also - darin besteht offensichtlich Übereinstimmung - eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung notwendig, wenn wir Monopolpreise verhindern wollen. ({6}) Zweitens stellt sich die Frage - darin gibt es unterschiedliche Auffassungen -, wer für die Netze zuständig sein soll. In der Fachdebatte ist es weitgehend unstreitig, dass man die Netze von den Stromerzeugern trennen sollte. Ich wundere mich, dass die Bundesregierung in dieser Frage den falschen ordnungspolitischen Ansatzpunkt vertritt - damit ist sie innerhalb der Europäischen Union ziemlich isoliert -, Netzbetrieb und Stromerzeugung nicht zu trennen. Das passt ordnungspolitisch wie die Faust aufs Auge. Denn wenn man an dieser Position festhält, dann wird es nicht gelingen, Monopolpreise zu verhindern. ({7}) Daher treten wir für die Trennung der Netze von den Stromerzeugern ein. Daraus ergibt sich die Frage, wem die Netze übertragen werden sollen. Dabei kann ich mich mit einem gewissen Vergnügen auf Hermann Scheer berufen. Denn er hat sich als ein Energiepolitiker ausgewiesen, der tatsächlich die Verbraucher und den Umweltschutz im Blick hat. Er fordert eine öffentliche Netzbetriebsgesellschaft unter gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und der Länder, die Eigentümer aller Stromübertragungsnetze werden sollten. Stromnetze seien unverzichtbarer Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur und gehörten zur Daseinsvorsorge ebenso wie Straßen und Schienen. Die Übernahme der Stromnetze durch die öffentliche Hand könnte Scheer zufolge über die Netznutzungsgebühren refinanziert werden. Eine öffentliche Netzgesellschaft sei zudem neutral gegenüber allen Stromproduzenten und könne behördlich zum Netzerhalt und -ausbau verpflichtet werden. Damit trifft Hermann Scheer den Kern der Sache. ({8}) Die private Nutzung der Netze hat nur dazu geführt - das hat das Beispiel Eon gezeigt -, dass man auf der einen Seite überhöhte Preise fordert, aber auf der anderen Seite die notwendigen Netzinvestitionen unterlässt, und wenn man Schwierigkeiten mit der Kartellbehörde bekommt, bietet man das mehr oder weniger marode Netz anderen an. Dass man sich so der Verantwortung entziehen kann, ist die Folge einer falschen wirtschaftlichen Ordnung im Stromsektor. ({9}) An dieser Stelle will ich mit besonderem Genuss darauf hinweisen, dass die Kollegen der SPD-Fraktion ihre Vorlagen überarbeiten müssen. Wenn Sie sich mit den vermeintlich völlig unhaltbaren Forderungen der Linken auseinandersetzen, gilt der Vorschlag, die Netze in öffentliche Hand zu übertragen, immer als sehr kostenträchtig. Wir begrüßen es außerordentlich, dass dieser Vorschlag jetzt aus Ihren eigenen Reihen kommt. Das ist durchaus eine Veränderung. Zur Kostensituation möchte ich Folgendes feststellen - leider ist der Kollege Struck nicht anwesend; vielleicht kann man es ihm ausrichten -: Man muss die Prozentrechnung beherrschen. Die einzige geistige Aufgabe, die man leisten muss, besteht darin, 5 Prozent des Sozialprodukts zu errechnen. Wenn man das ausrechnet, dann erkennt man, dass die gesamte Argumentation gegen die Linke in sich zusammenfällt. Ich wiederhole mein Angebot: Ich schenke demjenigen eine goldene Uhr, der widerlegt, dass in Deutschland bei der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote Europas in den letzten Jahren keine einzige soziale Kürzung notwendig gewesen wäre. All diese Kürzungen waren ein einziger Betrug, weil man nicht in der Lage war, in Deutschland eine durchschnittliche Steuer- und Abgabenquote zu erheben, die dem europäischen Durchschnitt entspricht. ({10}) Ich fordere also alle neoliberalen Professoren, Journalisten und Abgeordneten auf, diesen Satz zu widerlegen. Eine goldene Uhr müsste eigentlich ein Anreiz sein. Aber zurück zum Thema. Wir halten eine öffentliche Netzstruktur für notwendig. Der dritte Vorschlag der Linken, neben der Verschärfung des Kartellrechts und einer öffentlichen Netzstruktur, ist die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Das wird auch durch meinen Vorredner Herrn Hempelmann gestützt. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Kraft-Wärme-Kopplung gerade im kommunalen Bereich finanziert worden ist. Das hat seine Gründe. Es hängt mit den Auseinandersetzungen zusammen, zu denen es häufig kommt, wenn vor Ort größere Kraftwerksanlagen durchgeboxt werden sollen. Wir hatten eine ähnliche Situation in einer saarländischen Gemeinde, in der RWE die Leistung eines Kraftwerksblocks von 400 Megawatt auf 1 600 Megawatt erhöhen wollte. Hätte man dort beispielsweise eine KraftWärme-Kopplungsanlage auf einer vernünftigen Megawattbasis angeboten, dann wäre das sicherlich bei den Bürgerinnen und Bürgern auf große Zustimmung gestoßen. Wenn man aber die bisherige falsche Politik fortsetzt, den Monopolisten große Kraftwerksanlagen zu genehmigen, die keinen vernünftigen Effizienzgrad erreichen, dann ist es richtig, dass die Bürgerinnen und Bürger eine solche verfehlte Politik ablehnen. Das ist der entscheidende Zusammenhang. ({11}) Aus diesen Gründen ist die Linke für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung. Dies ist nach unserer Auffassung ein geeignetes Instrument, um dem jetzigen Trend steigender Monopolpreise entgegenzuwirken und dem Gedanken des Umweltschutzes Rechnung zu tragen. Aufgrund von Naturgesetzen ist es unwiderlegbar, dass eine dezentrale Energieversorgung die umweltgerechteste Energieversorgung ist. Wenn man eine dezentrale Energieversorgung will, dann braucht man ein kartellrechtliches Vorgehen gegen die bisherigen Anbieter, die alles im Sinn haben, aber nicht eine dezentrale kleinräumige Energieversorgung. Eine dezentrale Energieversorgung ist aber nicht nur ökologisch, sondern auch beschäftigungspolitisch sinnvoll, wie alle Untersuchungen in den letzten Jahren gezeigt haben. Man kann hier tatsächlich vieles zusammenbinden. Wenn man akzeptiert, dass man bei Ökologie nicht nur an Umweltschutz denken darf, sondern diesen Gedanken mit der sozialen Frage verbinden muss, dann muss man alle ordnungspolitischen Weichenstellungen so vornehmen, dass das Soziale mit dem Ökologischen verbunden wird; das heißt, man muss Monopolpreise unterbinden. Das heißt für uns auch eine Verschärfung des Kartellrechts und - das wiederhole ich eine öffentliche Netzstruktur, damit man wirklich Wettbewerb organisieren kann. Es bringt nichts - das ist ein großer Irrtum -, den einen privaten Eigentümer zu wechseln und ihn durch einen anderen privaten Eigentümer zu ersetzen. Auch dieser wird im Sinne haben, hohe Erträge und Renditen zu erwirtschaften. Damit wird er genauso preistreibend wie die bisherigen Netzeigentümer wirken. Geben Sie diesen verfehlten ordnungspolitischen Ansatz endlich auf! ({12}) Da Sie eben wieder von der DDR angefangen haben, muss ich Ihnen sagen, dass das langsam ein bisschen billig und nervend ist. Im Norden Europas befindet sich nicht die DDR. Wenn Sie beispielsweise in Dänemark oder Schweden Verhältnisse wie in der DDR festgestellt haben, dann haben Sie vielleicht eine falsche Sichtweise. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man in diesen Staaten sehr gute Erfahrungen mit der öffentlichen Netzstruktur gemacht hat. Ich fahre gerne mit Ihnen dorthin und unterhalte mich vor Ort mit konservativen und auch liberalen Politikerinnen und Politikern. Für die Linke reklamiere ich eine solche Struktur. Sie ist ein besseres Instrument als die bisherige Netzstruktur und wird zu sinkenden Preisen führen. Ich fasse zusammen. Wir können die Energiedebatte nicht nur auf der Grundlage technischer Daten führen. Wir können die Energiedebatte nicht abgehoben von der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Bundesrepublik führen. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir hier ordnungspolitisch versagt haben, weil wir eine wesentliche Zielsetzung der sozialen Marktwirtschaft grob verfehlt haben. Deutschland hat die dritthöchsten Gaspreise und mit die höchsten Strompreise in Europa. Sie liegen um 50 Prozent - man höre! - über dem europäischen Durchschnitt. Wenn noch fallende Löhne hinzukommen, dann zeigt das, dass die bisherige Energiepolitik zu korrigieren ist. Sie muss einer Energiepolitik weichen, die Umweltschutz und Soziales miteinander verbindet. Dazu haben wir Vorschläge gemacht. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand die Rede von Oskar Lafontaine schon spannend; denn eines hat er nicht gemacht: Er hat nicht zum Thema geredet. ({0}) Er hat sich gedacht: KWK - das versteht sowieso kein Mensch; die Kraft-Wärme-Kopplung ist so abstrakt. Da trage ich lieber meine bekannten Positionen wieder vor. Ihre Art, Energiepolitik zu betreiben, Herr Lafontaine, ist sehr widersprüchlich. ({1}) Sie haben eben wieder das Kraftwerk Ensdorf im Saarland genannt; da kennen Sie sich ja gut aus. Die Leute haben mir auf einer Veranstaltung in Ensdorf - auch ich bin dort gewesen - gesagt, dass Sie sich gegen das Kraftwerk aussprechen, weil dort keine heimische Kohle verfeuert wird. ({2}) Hier gilt offensichtlich das Motto: Wenn saarländische Kohle verfeuert würde, dann würde es kein CO2-Problem geben. - Diese Energiepolitik ist nicht konsistent, Herr Lafontaine. ({3}) Sie haben hier zu Recht gesagt: Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind eine gute Sache. - Darum geht es hier ja eigentlich. Ich frage Sie nun aber: Warum verteidigen Ihre Parteifreunde in den neuen Bundesländern jedes Braunkohlekraftwerk, und zwar große Kohlekraftwerke, die überhaupt keine Wärme auskoppeln können? ({4}) Ihre Haltung ist, auf alle Fragen eine einzige Antwort zu geben, egal wie das Thema heißt, nämlich Verstaatlichung. Da muss ich in der Tat sagen: Das ist nicht die richtige Logik, Herr Lafontaine. Verstaatlichung allein ist kein Konzept. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Höhn, darf Ihnen die Kollegin Enkelmann eine Zwischenfrage stellen?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin Höhn, Sie haben gerade behauptet, die Linke stimme für weitere Braunkohlekraftwerke. Ist Ihnen bekannt, dass die Linke in Brandenburg eine Volksinitiative gegen den Aufschluss weiterer Braunkohletagebaue und gegen den Bau weiterer Kraftwerke unterstützt? Dann können Sie hier nicht so etwas behaupten. ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist mir in der Tat bekannt. Auf der einen Seite nehmen Sie in Brandenburg diese Position ein, weil Sie versuchen, die Stimmung in der Bevölkerung zu nutzen; ({0}) auf der anderen Seite stellen Sie sich in anderen Bundesländern hin und verteidigen die Braunkohlekraftwerke. Frau Enkelmann, das ist doch widersprüchlich: ({1}) Einmal so und einmal so, wie gerade der Volkswille ist. Das geht nicht. Sie müssen schon eine konsistente Politik betreiben und ein klares Konzept haben; sonst funktioniert es nicht. Ich kenne mich in dieser Debatte, gerade in Bezug auf die neuen Bundesländer, ganz gut aus. ({2}) Ich habe mich gerade gemeinsam mit Ihren Kollegen vor Ort gegen das Kraftwerk in Lubmin ausgesprochen; es gibt bei Ihnen ein paar Vernünftige. Es gibt aber auch die anderen, die eine vollkommen kontraproduktive Politik betreiben. Wie Sie handeln, hängt davon ab, wie die Stimmung vor Ort ist. Das mache ich Ihnen zum Vorwurf; denn wer immer nur die Stimmung vor Ort aufgreift, betreibt keine Politik, die durchgehend nachvollziehbar ist. ({3}) Wir debattieren hier über Kraft-Wärme-Kopplung; ich möchte darauf zurückkommen. Kraft-Wärme-Kopplung hört sich irgendwie abstrakt an. Ich schätze einmal, 50 Prozent der Bevölkerung wissen gar nicht, was KraftWärme-Kopplung ist. - Herr Präsident, Sie haben ein Zeichen gegeben?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, so ist es. Ich bin ganz gerührt; denn es kommt so selten vor, dass Redner prompt auf solche Signale reagieren. - Auch die Kollegin Kurth wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte dafür sorgen, dass bei der Debatte hier im Hause kein einseitiges Bild entsteht, und daher meine Fraktionskollegin Bärbel Höhn fragen, ob ihr bekannt ist, dass im Burgenlandkreis - er liegt meines Wissens in den neuen Bundesländern - gerade von SPD, CDU, FDP und der Linken einträchtig ein Beschluss für den Bau eines Kraftwerks in Profen und für die Erschließung eines neuen Braunkohletagebaus gefasst worden ist? ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Ich bedanke mich bei der Kollegin Kurth, dass sie darauf hingewiesen hat, damit die Widersprüche noch einmal deutlich werden. ({0}) Ich möchte zur Kraft-Wärme-Kopplung zurückkommen. Ich sagte bereits: Ich glaube, 50 Prozent der Bevölkerung wissen gar nicht, was das ist. Bei uns gibt es große Kraftwerke, die Strom erzeugen. Die meisten dieser großen Kraftwerke können die Wärme, die dabei produziert wird, überhaupt nicht nutzen. Eine KraftWärme-Kopplungsanlage - das ist entscheidend - koppelt Strom, also Kraft und Wärme. Die großen Anlagen, die bei uns in Deutschland stehen und Strom erzeugen, können die abgegebene Wärme nicht nutzen und sind deshalb absolut ineffizient. Woran liegt es, dass diese nichteffizienten Kraftwerke so stark verbreitet sind? Würden Sie hier in Berlin ein großes Kraftwerk auf dem Alex bauen? Nein, denn die Leute würden dann natürlich sofort demonstrieren; das würden sie sich nicht gefallen lassen. Also werden die großen Kraftwerke draußen auf dem Land gebaut. Dort gibt es aber niemanden, der die Wärme abnehmen kann. Der Effizienzgrad der alten Kraftwerke liegt bei rund 30 Prozent; die neuen Kraftwerke haben einen Effizienzgrad von 45 Prozent. Das heißt, dass mehr als die Hälfte der Energie ungenutzt bleibt und nicht von der Bevölkerung genutzt werden kann. Diese Art von großen Kraftwerken - die Wärme kann nicht genutzt werden, weil es keinen gibt, der sie abnimmt - können wir uns unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes nicht mehr leisten. ({1}) Die kleinen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen - sie sind teilweise so klein, dass man sie in ein Hotel oder in ein Familienhaus einbauen kann - haben einen Effizienzgrad von über 90 Prozent. Das heißt, nur ein kleiner Teil der Energie geht verloren. Wir führen gerade die Diskussion: Können wir uns neue große Kraftwerke in Deutschland noch leisten? Wir, die Grünen, sagen dazu: Wir können uns in Deutschland keine großen Kohlekraftwerke, keine großen Braunkohlekraftwerke und keine großen Steinkohlekraftwerke, mehr leisten; das ist mit dem Klimaschutz nicht vereinbar. ({2}) Interessanterweise sagt das Bundesumweltministerium: Wir können noch sechs oder sieben davon bauen, mehr aber nicht. Das finde ich schon spannend. De facto ist es aber so, dass momentan über 20 dieser großen Kraftwerke schon im Bau oder im Genehmigungsverfahren, also kurz vor der Realisierung, sind. Ich will noch einmal an einen Satz von Angela Merkel aus dem letzten Jahr erinnern. Sie hat gesagt, dass jeder Mensch auf dieser Erde das Recht hat, die gleiche Menge CO2 auszustoßen. Wir wissen von den Experten, dass das nicht mehr als 2 Tonnen pro Person und Jahr sein dürfen, eher weniger. - Herr Göppel nickt. Da wir in Deutschland 80 Millionen Menschen sind, dürfen wir im Jahr 2050, für das dieses Ziel angestrebt wird, also einen CO2-Ausstoß von 160 Millionen Tonnen haben. Dieselbe Angela Merkel, die diesen Satz zu Recht gesagt hat, legt dann aber zusammen mit dem damaligen RWE-Chef Roels - jetzt heißt der Chef Großmann - den Grundstein für das Braunkohlekraftwerk in Neurath. Und welchen Wirkungsgrad hat dieses Kraftwerk? 43 Prozent. Welchen CO2-Ausstoß hat es? 14 Millionen Tonnen. Allein dieses eine Kraftwerk wird im Jahre 2050 10 Prozent der CO2-Menge ausstoßen, die uns dann noch erlaubt sein wird. Da sieht man, wie absurd es ist, eine solche Politik zu machen. Das geht so nicht! ({3}) Man darf nicht auf der einen Seite immer sagen, man sei für den Klimaschutz, sich aber auf der anderen Seite zum Beispiel für das große Kraftwerk in Lubmin oder das Kraftwerk in Neurath aussprechen. Interessant ist auch die Position der SPD. Ich habe mir genau angeschaut, was die SPD auf ihrem Parteitag im letzten Jahr beschlossen hat. Man hat sich gegen große Kraftwerke ausgesprochen. Wenn es überhaupt noch Steinkohlekraftwerke geben solle, dann nur als kleine Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. ({4}) Es ist schon spannend, dass die SPD-Basis weiter ist als der Bundesumweltminister. Denn dieser verteidigt immer noch die großen Kraftwerke. ({5}) Das Gesetz, über das wir momentan sprechen, ist absolut notwendig. Wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen, müssen wir es besser machen als bisher. Denn das alte KWK-Gesetz hat nicht das erfüllt, was alle sich davon erwartet hatten. Kraft-Wärme-Kopplung hat momentan einen Anteil von gerade einmal gut 11 Prozent. Wir bräuchten aber viel mehr. Deshalb ist es falsch, wenn jetzt ein Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vorgelegt wird, das eine Ausgabendeckelung bei 750 Millionen Euro vorsieht. Das ist zu wenig Geld, insbesondere wenn 20 Prozent der Mittel für den Netzaufbau eingesetzt werden sollen. Wir brauchen mehr Geld für die Kraft-Wärme-Kopplung; denn wir brauchen mehr Kraft-Wärme-Kopplung in diesem Land. ({6}) - Sehr schön, dass Sie mir dieses Stichwort geben, Frau Kopp. Das Bundesumweltministerium hat nämlich ausgerechnet, dass Kraft-Wärme-Kopplung sich sehr wohl rechnet, und zwar in Höhe von 12,90 Euro je eingesparter Tonne CO2. Schauen Sie sich nur einmal an, wie teuer das - durchaus notwendige - Gebäudesanierungsprogramm ist, das dieselbe Bundesregierung aufgelegt hat, die dieses Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vorgelegt hat. Verglichen mit den Kosten dafür, ist auch die Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch Kraft-Wärme-Kopplung finanziell effizient. Genau das wollen wir, und deshalb müssen wir in diesem Bereich mehr tun. ({7}) Schauen wir doch einmal, was andere können. Dänemark liegt mittlerweile bei 53 Prozent Kraft-WärmeKopplung. Die Niederlande liegen bei 38 Prozent. Sie haben in den 90er-Jahren in nur fünf Jahren eine Verdoppelung hinbekommen. Es gibt eine Aussage vom Bremer Energie-Institut, wonach in Deutschland 57 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung wirtschaftlich möglich seien. Diese 57 Prozent sollten wir so schnell wie möglich anstreben. Das muss das Ziel sein. ({8}) Ich möchte noch kurz auf die Stromnetze eingehen, über die gerade diskutiert wurde, obwohl sie eigentlich nicht Thema der Debatte sind. Eon hat in der letzten Woche in der Tat einen Coup gelandet, indem es seine Netze einfach zum Verkauf angeboten hat. Herr Glos, ich möchte einmal wissen, wie Sie sich gefühlt haben, als Sie in Brüssel noch über einen dritten Weg verhandelt haben, als Sie als Lobbyist von RWE gekämpft haben und aus der Zeitung erfahren haben, dass Eon schon lange einen Deal mit der EU-Kommission gemacht hat. Das war doch eine Blamage für die Bundesregierung! ({9}) Es war auch deshalb eine Blamage, weil Ihr dritter Weg überhaupt nicht tragfähig ist. Das, was Sie wollten, ging zurück auf die Lobbyarbeit der Energiekonzerne, aber noch nicht einmal aller. Eon hat dann gezeigt, dass es, um nicht in dem Kartellverfahren zu unterliegen und hohe Strafen zahlen zu müssen, bereit ist, sich auf einen Deal einzulassen. Ich gebe Ihnen recht, dass das nicht in Ordnung ist. Aus meiner Sicht ist die Infrastruktur, also die Energienetze und das Schienennetz der Bahn, für die Wirtschaft in diesem Land absolut wichtig und notwendig. Deshalb muss der Staat die Kontrolle über die Infrastruktur haben. ({10}) Ob das alles in staatlicher Hand sein muss, ist eine zweitrangige Frage. Entscheidend ist doch, welche Kriterien wir für die Netze festlegen. Wir müssen für einen Ausbau sorgen, sodass der im Norden mit Windkraft erzeugte Strom in das Netz eingespeist werden kann. Es kann nicht sein, dass ein großer Teil dieses Stroms nicht in das Netz eingespeist werden kann. Das müssen wir ändern. Wir müssen des Weiteren die Netzengpässe beseitigen und die Kuppelstellen ausbauen. Wir müssen zudem neuen Stromproduzenten den Zugang zu den Netzen erleichtern. Das sind die entscheidenden Kriterien. Ob das alles in staatlicher Hand sein muss oder ob das im Rahmen einer privaten Gesellschaft gemacht wird, ist eine zweitrangige Frage. Zuerst geht es um das inhaltliche Ziel, die Gestaltung der Netze. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, es ist total einfach, permanent Verstaatlichung zu fordern. Aber das ist nicht immer das beste Mittel. Gehen Sie ein bisschen differenzierter an die Sache heran! ({11}) Lassen Sie uns schauen, was sinnvoll ist: Ist es besser, wenn es in staatlicher, oder ist es besser, wenn es in privater Hand bleibt? Ist zum Beispiel eine Netzgesellschaft besser, die sowohl privat als auch staatlich sein kann? Das sehen wir in Dänemark und in der Schweiz. Das wäre ein viel besseres Vorgehen. Das sollten wir auch tun. Lassen Sie uns lieber inhaltlich diskutieren, anstatt plumpe ideologische Lösungen vorzuschlagen! Das brauchen wir nicht. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesumweltminister Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nicht in meiner Eigenschaft als Minister, sondern als Abgeordneter des Deutschen Bundestages gemeldet. Ich danke der SPD-Fraktion, dass sie mir Gelegenheit gibt, ihr sozusagen die Redezeit zu stehlen. Es war nicht beabsichtigt, dass ich nach Herrn Lafontaine spreche.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie sich mit dieser Klarstellung dem starren Regime unseres Redezeitmanagements unterworfen haben. ({0})

Sigmar Gabriel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003755, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe mir vorher sagen lassen, dass ich nur fünf Minuten reden darf, und die schlimme Konsequenz erklären lassen, wenn nicht. Ich finde es gut, dass Herr Lafontaine gesagt hat, welche Richtung er bei der Energiepolitik in Deutschland einschlagen will. Erstens. Frau Höhn hat absolut recht: Es wird in den nächsten Jahren um den Netzausbau gehen. Zweitens. Es ist eine zweitrangige Frage, wer der Träger des Netzausbaus ist. Drittens. Es ist interessant, festzustellen, wie die Realitäten dort aussehen, wo sich die Netze in öffentlichem Eigentum befinden. Herr Lafontaine, Sie haben auf die skandinavischen Länder verwiesen. Wenn man Dänemark dazuzählt, dann muss man feststellen: Dort, wo sich die Netze in öffentlichem Eigentum befinden, gibt es die höchsten Nutzungsentgelte. Herr Lafontaine, auch ich bin mit der Höhe der Strompreise in Deutschland nicht zufrieden. Aber eines ist klar: Deutschland ist netto Stromexporteur. Sie sagen immer, Sie hätten viel Ahnung von Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der Börse. Dann wissen Sie, dass die Preise an den europäischen Strombörsen festgelegt werden. Es fließt nur deshalb Strom von Deutschland in andere europäische Staaten, weil dort die Preise höher sind als in Deutschland. Das ist die Realität der Stromversorgung in Deutschland. ({0}) Wenn Sie der geschätzten Öffentlichkeit erklären, wir sollten das alles verstaatlichen bzw. zurückkaufen, dann sollten Sie wenigstens einen Satz dazu sagen, dass die Voraussetzung dafür ist, dass der Staat eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt und einen ausgeglichenen Haushalt hat. Sie können der Öffentlichkeit nicht bei jeder Gelegenheit sagen, der Staat solle es bezahlen, und dabei die Antwort auf die Frage schuldig bleiben, wie wir zu vernünftigen staatlichen Einnahmen kommen sollen. ({1}) Was Sie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wollen, führt dazu, dass das, was Sie hier öffentlich erklären, überhaupt nicht möglich ist. Mir geht es auch um die Konsequenzen Ihres Handelns. Sie fordern die Rekommunalisierung. Sie wollen also den Netzausbau in Deutschland, die Milliardeninvestitionen, die notwendig sind, den Kommunen aufbürden. Ich kann bei dem Vorschlag nur sagen: Gute Besserung. - Das wird dazu führen, dass wir mit dem Netzausbau nicht vorankommen. Das Ergebnis wird sein, dass die erneuerbaren Energien nicht marktfähig werden. Übrigens werden auch die Stadtwerke keine Investitionen in Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung tätigen, wenn Sie ihnen den Netzausbau in Deutschland aufbürden. Was Sie machen, ist blanke Rabulistik und nichts anderes. Das hat mit Energiepolitik und Energieversorgung in Deutschland überhaupt nichts zu tun. ({2}) Deutschland hat übrigens die größte Netzstabilität in ganz Europa; Deutschland hat die geringsten Ausfallzeiten in ganz Europa. Es ist nicht ganz ohne, daran weiter zu arbeiten. Das erfordert Investitionen in das Netz. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Netzeigentümer Rendite erwirtschaftet. Tun Sie doch nicht so, als müsste ein Netzeigentümer in Zukunft keine ausreichenden Renditen mehr erwirtschaften! Bei dem, was Sie öffentlich erzählen, kann man den Eindruck gewinnen, dass das ein Nullsummengeschäft ist. Ich sage Ihnen: Da werden Milliardeninvestitionen fällig. Deswegen muss in diesem Bereich auch Geld verdient werden können. Wir werden über die Eigentümerstruktur zu reden haben. Ich zum Beispiel will nicht, dass ausländische Staatsfonds zu neuen Oligopolisten werden und die alten Oligopolisten ablösen. Ich will nicht, dass Arbeitnehmerinteressen gefährdet werden. ({3}) Der Staat muss Rahmenbedingungen schaffen, aber wir sind doch nicht selber Unternehmer in dem Bereich. Wenn dem so wäre, dann hieße das, dass unsere Beamtinnen und Beamten bessere Netzinvestoren wären als diejenigen, die damit Geld verdienen wollen. Ich will den wirtschaftlichen Anreiz, mit dem Netz Geld zu verdienen, nutzen, damit mehr Anbieter in das Netz einspeisen können und damit mehr Wettbewerb entsteht. Es soll am Netz Geld verdient werden und nicht daran, dass man das Netz besitzt und andere, die einspeisen wollen, außen vor lässt. Darum geht es in der öffentlichen Debatte. Das wollen wir durchsetzen. ({4}) - Doch, wir tun das in Deutschland über eine Regulierungsbehörde. Wir haben nämlich inzwischen so niedrige Netznutzungsentgelte, weil es eine Regulierungsbehörde gibt, die sich darum kümmert, ({5}) und nicht deshalb, weil wir Eigentümer sind. - Wir setzen auf die dezentrale Energieversorgung, Herr Lafontaine redet darüber. ({6}) Der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommarkt beträgt inzwischen 14 Prozent. Das ist deutlich mehr, als wir erwartet haben. Wir wollen den Anteil auf bis zu 30 Prozent ausbauen. Es sind nicht nur die Kommunen alleine, sondern Hunderttausende von Menschen in Deutschland, die ihr Geld in erneuerbare Energien investiert haben, in Windenergie, in Solarenergie, in Wärmepumpen und in Holzpelletanlagen. ({7}) Das ist dezentrale Energieversorgung. Wir setzen auf das Kartellrecht und verschärfen es. Herr Glos tut das. Wir brauchen Ihre Ratschläge nicht dazu. Wir brauchen auch, Herr Lafontaine, niemanden, der den Eindruck erweckt, es gehe ihm hier im Bundestag um Klimaschutz; denn Mitglieder seiner eigenen Fraktion fordern dort, wo sie betroffen sind, mehr Verschmutzungsrechte für Braunkohlewerke in Deutschland. Das ist die Doppelzüngigkeit in der Energiepolitik, die Sie und Ihre Fraktion permanent an den Tag legen. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst Folgendes feststellen: Frau Höhn, wenn Sie mir vor einigen Monaten gesagt hätten, dass ich einmal Ihre Meinung teile und Ihnen voller Überzeugung hier in diesem Hause applaudiere, dann hätte ich das in das Reich der Fabel verwiesen. Aber heute war es so. ({0}) Sie hatten im Wesentlichen mit dem, was Sie hier ausgeführt haben, recht. Auch ich möchte auf die Linken und Meister Lafontaine eingehen; denn das ist in der Tat doppelzüngig und scheinheilig. Es sind schon die richtigen Begriffe genannt worden. Er stellt sich hier hin und sagt, dass die Preise steigen. In der Tat, die Preise steigen, ({1}) aber sie steigen auch deshalb, weil 40 Prozent des Preises von Haushaltsstrom staatlich induziert sind, aus Steuern und Abgaben bestehen. Ihre Fraktion hat schon zig Anträge gestellt, aber schauen Sie einmal dorthin, wo Sie in Verantwortung sind wie hier in Berlin. Was passiert dort mit den Abgaben, mit der Konzessionsabgabe und anderen? Sie erhöhen sie. Das heißt, Sie sind der größte Preistreiber. ({2}) Sie haben sich als Retter bzw. Hüter des Kartellrechts hingestellt. Ich frage mich, wo Sie waren, als wir darüber im Wirtschaftsausschuss und hier im Plenum diskutiert haben. Sie haben gegen die Novelle des Kartellrechts gestimmt, die wir im letzten Jahr eingebracht haben. ({3}) Das ist schon etwas doppelzüngig. Zum Thema staatliche Netze. Das Netz ist ein natürliches Monopol. Ob das natürliche Monopol in staatlichem oder privatem Eigentum ist - es bleibt ein natürliches Monopol. Deshalb brauchen wir eine Regulierung, die diesem natürlichen Monopol entsprechende Rahmenbedingungen setzt und einen Als-ob-Wettbewerb darstellt. Hier haben wir vor fast drei Jahren gehandelt, und als Folge der seinerzeit eingeführten Regulierung sinken die Netznutzungsentgelte. Noch im vorletzten Jahr betrug der Anteil der Netznutzungsentgelte bei Haushaltsstrom 35 Prozent; im letzten Jahr sind die Entgelte um 1 Cent gesunken. Das heißt, die Regulierung hatte eine preisdämpfende Wirkung; dies werden Sie durch staatliche Reglementierung mit Sicherheit nicht erreichen. Insofern ist es unerträglich, wenn Sie hier den Robin Hood, den Rächer aller Enterbten, geben, in Wirklichkeit aber der Sheriff von Nottingham sind, der die Leute mit Planwirtschaft und Sozialismus entmündigt und auspresst. Das geht so wirklich nicht; das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen. ({4}) Jetzt aber zum Thema des heutigen Tages, der KWKFörderung und der Liberalisierung des Zähl- und Messwesens: Die Große Koalition ist keine innige Liebesbeziehung, wohl aber eine funktionierende Arbeitsbeziehung. Dies zeigt sich auch bei den beiden Themen, die wir jetzt diskutieren. Es ist schon ein bisschen schwierig, zu erklären, was KWK überhaupt bedeutet; Herr Kollege Hempelmann und andere haben es versucht. Wenn man sich mit Leuten, die nicht jeden Tag mit dem Energiebereich zu tun haben, über Kraft-Wärme-Kopplung unterhält, dann gucken sie einen erst einmal etwas komisch an. KWK ist in der Tat keine neue Kraftsportart und auch nichts Unanständiges; es soll niemand verkuppelt werden. Bei KWK geht es schlicht um die Tatsache, dass bei der Stromerzeugung auch Wärme entsteht und dass diese Prozesswärme für Heiz- oder Kühlzwecke sehr effizient eingesetzt werden kann und muss. Eigentlich brauchte KWK gar nicht gefördert zu werden, weil es jeder von sich aus machen müsste. Leider ist das aber nicht der Fall. Da aus verschiedenen Gründen KWK nicht im notwendigen Umfang stattfindet, müssen wir das KWK-Gesetz erneut revidieren, Frau Kollegin Kopp. Es hat zwar nicht nicht gewirkt, wie Sie gesagt haben, aber es hat nicht in dem Umfang gewirkt, wie wir es uns vorgestellt haben. Deshalb justieren wir jetzt das KWK-Gesetz neu und ergänzen es um die Wärmenetze. Es soll also auch die Möglichkeit geben, über KWK Wärmenetze zu fördern. Ich habe es gerade zu beschreiben versucht: Wenn jemand in einer Anlage durch Stromerzeugung auch Wärme erzeugt, dann braucht er einen Abnehmer - eine Senke -, der diese Wärme kontinuierlich über das ganze Jahr abnimmt. Bei der Ausstattung mit Netzen gehen wir sehr differenziert vor und fordern keine Wärmenetze und auch keine Nahwärmepflicht. Bei Neubaugebieten brauchen wir heute nämlich keine Wärmenetze und auch keine Kraft-Wärme-Kopplung im großen Stil mehr, weil wir mit dem Passivbaustandard oder gar mit dem Plus-Haus nicht mehr so viel Wärmebedarf - keine so große Wärmesenke - in einem Neubaugebiet haben. Dort brauchen wir Klein-KWK, was wir mit diesem Gesetz jetzt auch fördern wollen. Wir wollen mit diesem KWK-Gesetz neue, innovative Anlagentechniken einsetzen können, die in Deutschland entwickelt wurden und jetzt zum Exportschlager werden. Was wollen wir damit erreichen? Wir haben das Integrierte Klima- und Energieprogramm und CO2-Reduktionsziele, die wir alle unterstützen und die natürlich nicht nur mit einem Instrument erreicht werden können. Insgesamt wollen wir bis 2020 CO2 um eine Größenordnung von 220 Millionen Tonnen reduzieren. So, wie wir das Gesetz jetzt angelegt haben, können wir mit einem Beitrag von 15 Millionen Tonnen 7 Prozent davon erreichen. Wir machen das aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil es effizient ist. Es ist eine Win-win-Situation, die letztlich allen Beteiligten etwas Positives bringt. Nun gehe ich auf den zweiten Punkt, die Liberalisierung des Mess- und Zählwesens, ein, der etwas technisch daherkommt, aber in seiner Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen ist. Heute bekommt jeder Bürger einmal im Jahr seine Stromrechnung, und während des Jahres leistet er Abschlagszahlungen auf der Basis des Vorjahresverbrauchs. Er weiß also gar nicht, was er monatlich, geschweige denn täglich oder stündlich an Strom verbraucht. Er kann zwar ab und zu einmal in den Keller gehen und den alten analogen Zähler ablesen - da läuft so eine komische Drehscheibe -; aber letztlich hat er keine direkte Beziehung zu dem von ihm verursachten Stromverbrauch. Mit den neuen Techniken - ich bin überzeugt, dass sie eine Revolution auslösen werden erhält der Verbraucher die Hoheit über seinen Stromverbrauch; denn er kann sich jederzeit am Computer anschauen, wie viel Strom er verbraucht, etwa wenn er fernsieht, seine Geräte im Standby laufen lässt, sich rasiert oder auch nicht rasiert, wie mancher hier im Haus; Herr Thierse ist nicht da. Durch die neuen Techniken entstehen auch neue Geschäftsfelder; es werden neue Produkte und Dienstleistungen angeboten werden. Es wird sogar so weit gehen - dazu gibt es schon erste Überlegungen -, dass man einen Kuchen zwei Stunden später backt, weil nicht nur Großverbraucher, sondern auch Angehörige normaler Haushalte die jeweils aktuellen Strompreise kennen. Das heißt, der vermeintlich kleine Schritt der Liberalisierung des Zähl- und Messwesens wird zu großen Umwälzungen führen und Effizienzvorteile für alle bringen: für den Verbraucher im Haushalt sowie für die Industrie und das Gewerbe. Der Wettbewerb eröffnet neue Geschäftsfelder. Das ist die Energiepolitik, die wir betreiben wollen. Wir setzen auf Wettbewerb und erreichen so das Beste für den Verbraucher und die Wirtschaft. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Dirk Becker, SPDFraktion. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir Sozialdemokraten uns die Redezeit solidarisch geteilt haben, möchte ich mich auf einige Eckpunkte zum Thema Kraft-Wärme-Kopplung beschränken. Zu den allgemeinen energiepolitischen Themen ist genug gesagt worden. Die Aussagen zur Kraft-WärmeKopplung waren übersichtlich. Ich möchte daher einige Punkte noch einmal betonen. Frau Höhn und Herr Pfeiffer haben zu Recht von dem Problem berichtet, Kraft-Wärme-Kopplung zu vermitteln. Das ist nicht sexy. Solarenergie, Geothermie, das sind spannende energiepolitische Themen. Kraft-WärmeKopplung ist eigentlich viel zu einfach: Es geht darum, einen normalen Verbrennungsprozess, egal mit welchem Brennstoffträger, zu nutzen, um Wärme und Strom auszukoppeln. Das ist eine ganz einfache Sache. Die höchste Effizienz, die es auf dem Energiemarkt gibt, zu nutzen und somit einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, ist der Kern der heutigen Diskussion. Heute Morgen haben beide Energieminister gesprochen - ich sehe gerade keinen von beiden -; ({0}) ich will auf den ersten kurz Bezug nehmen. Herr Glos hat natürlich - das ist in Energiedebatten üblich - einen Schwenk auf das Thema Atomenergie gemacht. Dass es darüber in der Großen Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt, wissen wir. Eines will ich deutlich sagen: Wenn wir die Energie, die wir verwenden, um das Thema Atomenergie strittig zu diskutieren, nutzen würden, um die KWK auszubauen, würde sich die Diskussion über die Atomenergie erledigen; denn die Potenziale der KWK sind entsprechend groß. ({1}) - Frau Kopp, Sie schütteln den Kopf: Das ist nicht Beckers Wunschkonzert. Sie sollten die Gutachten lesen. Sie sollten schauen, was eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ermittelt hat: Die Potenziale sind riesig. - Dass Ihnen das nicht passt, ist klar. Ihre energiepolitische Linie führt in eine Einbahnstraße. KWK ist im Endeffekt ein wichtiger Baustein für den Energiemarkt der Zukunft. ({2}) Die SPD-Fraktion hat schon 2005 begonnen, einen Gesetzentwurf vorzubereiten. Wir haben ihn letztes Jahr in die Diskussion eingebracht. Das war aufgrund der Haltung des zuständigen Ministeriums lange Zeit nicht einfach, weil es grundsätzlich andere Ausrichtungen bezüglich der Fragen „Ist KWK schon eigenwirtschaftlich darstellbar?“ und „Wie sieht es mit der Erreichung des Ziels, den CO2-Ausstoß zu vermindern, aus?“ gab. Ich möchte mich beim Wirtschaftsministerium ausdrücklich bedanken - man braucht jetzt nicht zurückzublicken -, dass dort mittlerweile die Einsicht eingetreten ist, dass es weiterhin einer umfassenden Förderung der Kraft-WärmeKopplung bedarf, damit wir unser gemeinsam vereinbartes Ziel erreichen. Dieses Ziel heißt: Der Anteil des KWK-Stroms soll bis 2020 auf 25 Prozent steigen. Ich sage sehr deutlich: Für die SPD ist dieses Ziel das Kriterium, an dem wir unsere Maßnahmen ausrichten wollen. Wenn wir dieses Ziel verfehlen, ist nicht nur ein Ziel im IKEP verfehlt. Wenn wir mit dieser Technologie die 25 Prozent nicht erreichen, scheitert auch das Ziel der Bundeskanzlerin, bis 2020 die Energieeffizienz in diesem Land zu verdoppeln. Ohne KWK gelingt es nicht. Ohne KWK realisieren wir auch keine 40 Prozent CO2-Minderung. Das heißt: KWK ist ein Schlüsselbaustein in der gesamten Klimastrategie, und so sollten wir sie jetzt auch behandeln. Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Wirtschaftsministerium Eckpunkte, die unseren Forderungen entsprechen, gesetzt hat. Dazu gehören Neubau und Modernisierung ohne Größenbegrenzung. Frau Höhn, an dieser Stelle bin ich anderer Auffassung als Sie. Wir können nicht sagen, dass KWK toll und effizient ist, dies aber nur im kleinsten Bereich wollen. Sie sprachen von Hotels, Areal- und Objektversorgung. Wenn wir die Kapazitäten in diesem Land insgesamt erneuern wollen, gehört es zur ehrlichen Diskussion, dass wir auch große Anlagen mit dem Brennstoff Kohle brauchen, die in der Doppelung der Energieauskopplung für Wärme und Strom wesentlich effizienter sind als konventionelle Kondensationskraftwerke. Das müssen wir den Menschen ehrlich sagen, um für Akzeptanz größer Kraftwerke, unabhängig vom Brennstoff, zu werben. ({3}) Für uns Sozialdemokraten sind im Endeffekt drei weitere Punkte wichtig. Die industrielle KWK muss in Gänze berücksichtigt werden, nicht nur das produzierende Gewerbe. Wir müssen den Anmeldezeitraum - Rolf Hempelmann hat es gesagt - verlängern. Man müsste eigentlich sagen: bis die 25 Prozent erreicht sind. Das wird aber so nicht möglich sein. Wir werden uns über einen anderen Zeitraum verständigen müssen. Wir müssen außerdem über die Frage der Finanzen reden. Der Bundesrat hat einen Antrag gestellt, der eigentlich schlüssig ist. Wir Sozialdemokraten hatten ursprünglich 850 Millionen Euro gefordert. Das war die Höchstbelastung im Jahr 2006. Es würde also keine Mehrbelastung der Verbraucher geben, sondern der Höchstbetrag von 2006 würde entsprechend beibehalten. In jedem Fall muss es einen Ausgleich zwischen der Förderhöhe und der Höhe des Deckels geben sowie Flexibilisierung, was Netzausbau und Energieerzeugung angeht. Ansonsten haben wir ein großes Problem, unser Ziel zu erreichen. Noch einmal: Für uns steht die Frage der Zielerreichung im Mittelpunkt. Alle Instrumente müssen darauf ausgerichtet werden. Eines noch zur Frage der Zielerreichung. Die Große Koalition und die Bundesregierung haben sich ein hohes Ziel gesetzt: 25 Prozent. Das ist ein Ziel, mit dem man auch nach außen entsprechend auftreten sollte. Von daher ist es nach meiner Einschätzung eigentlich selbstverständlich, dass dieses Ziel im Gesetz zu Beginn deutlich benannt wird. Man braucht es nicht ein bisschen verschämt in der Begründung zu verstecken; wir haben keinen Grund dazu. Wir sollten dieses Ziel offensiv im Gesetzestext nennen; das würde ich mir wünschen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Weiter gute Beratungen! ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Franz Obermeier ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist mehrfach gesagt worden: Bis 2020 25 Prozent KWKStrom, das ist die vorgegebene Zielsetzung. Wir Parlamentarier sollten alles daransetzen, dieses Ziel zu erreichen. Ich halte das für extrem ambitioniert; denn die KWKRealisierung war schon in der Vergangenheit - nicht erst, seit es die Gesetze gibt - mit einem großen Problem behaftet. Ich verweise auf die Kombination von Strom und Wärme bzw. Kälte an einer Lokalität - als jemand, der früher Anlagen konzipiert und entwickelt hat, weiß ich sehr genau, wovon ich rede -; genau dieser Umstand ist die Ursache dafür, dass die Regelung, die irgendjemand einmal Schläferprämie genannt hat, nicht den notwendigen Erfolg hatte. Wir laufen auch mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf Gefahr, die Ziele noch nicht zu erreichen. ({0}) Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das PrognosGutachten. Es besagt, dass mit den Möglichkeiten, die im Gesetz vorgesehen sind, 77 Terawattstunden Strom durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt werden können. Das entspricht nicht 25 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland, sondern ist erheblich weniger. Zugleich besagt das Prognos-Gutachten: Die Kosten für die Vermeidung von CO2-Ausstoß über Kraft-WärmeKopplung liegen zwischen 33 und 49 Euro je Tonne CO2. - Das ist ein interessanter Wert und gibt mir die Motivation, für die Kraft-Wärme-Kopplung zu kämpfen und alles für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, die anerkanntermaßen eine ganz hervorragende Art der Energieerzeugung bzw. Energienutzung ist, zu tun. Wir haben nun die Förderung bei 750 Millionen Euro gedeckelt. Es ist schon von einer Kollegin bzw. einem Kollegen gesagt worden, dass man diesen Betrag nicht starr bezogen auf ein Jahr sehen sollte, sondern eine gewisse Flexibilisierung ermöglichen sollte, damit es zu keinem Abbruch bei der Förderung kommt. Es ist meines Erachtens gerechtfertigt, die Frage zu stellen, wie der zukünftige Kraftwerkspark in Deutschland aussehen soll, ob wir die großen fossilen Kraftwerke in Deutschland überhaupt noch brauchen. Selbst wenn wir es nämlich anlagen- und planungstechnisch darstellen können, dass die Wärme an mindestens 300 Tagen im Jahr vernünftig genutzt wird, stellt sich immer noch die Frage nach der Größenordnung, also wie viel Wärme tatsächlich sinnvoll genutzt werden kann. Deswegen ist es natürlich wichtig, zu überlegen, ob man nicht mit der Schaffung kleinerer Kapazitäten zu einer besseren Ausnutzung kommt. Ich könnte mir vorstellen, dass immer dann, wenn eine größere Fabrik errichtet wird - in meinem Wahlkreis ist das gerade der Fall -, neben der Produktionsstätte auch eine Kraftwerksanlage gebaut wird, die Prozesswärme für diese Anlage und eventuell auch für weitere, in der Umgebung liegende Verbraucher erzeugt. Wenn unsere Gesetzgebung dafür sorgt, dass Betreiber solcher Anlagen einen Anreiz bekommen, in Kraft-Wärme-Kopplung zu investieren, dann haben wir ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht. In der vergangenen Woche, Herr Bundeswirtschaftsminister, war Ihre Staatssekretärin Dagmar Wöhrl bei der Inbetriebnahme einer Brennstoffzellenanlage in meinem Wahlkreis dabei. Es handelt sich um eine Anlage, die 200 Kilowatt elektrische Leistung und einen erheblichen Anteil an Wärme erzeugt. Diese Wärme wird dann in einer Kläranlage für die Trocknung von Klärschlamm genutzt. Ich meine, wir sind technologisch auf einem sehr guten Weg. Dieses Gesetz wird die Kraft-Wärme-Kopplung weiter befördern. Wir müssen scharf beobachten, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir technologisch weiterkommen und dass neben der Doppelnutzung von Primärenergie zugleich auch die Energieeffizienz von Anlagen zunimmt. So könnten wir die Kraft-Wärme-Kopplung zu einem Erfolgsmodell werden lassen und es schaffen, dass bis zum Jahr 2020 ihr Anteil 25 Prozent an der Stromerzeugung beträgt. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Klaus Barthel ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja jetzt endlich wieder bei den Themen angekommen, um die es heute eigentlich geht. Wir sollten dabei die Schlagzeilen, die die Stromzähler derzeit machen, für unsere Zwecke nutzen. Auf der diesjährigen CeBIT konnte man sehen, dass die Stromzähler digital werden; manche Zeitungen schrieben von „Hightech-Stromzählern“. Für uns Verbraucher bedeutet dieser Fortschritt, dass wir dann zu Hause am Stromzähler oder am PC sehen können, wenn wir stromfressende Geräte betreiben, und unser Verhalten entsprechend verändern können. Im Kfz ist es ja heute schon zur Normalität geworden, dass man nicht erst an der Tankstelle, sondern schon während des Fahrens darauf aufmerksam gemacht wird, wenn man zum Beispiel aufgrund des Fahrverhaltens zu viel Sprit verbraucht. In Kombination mit den lastabhängigen Stromtarifen kann intelligente Haustechnik Kosten sparen. Zum Beispiel kann sich die Waschmaschine erst dann einschalten, wenn der Strom günstig ist, und eben nicht sofort. Der bisher durchaus schon vorhandene Wettbewerb beim Einbau und Betrieb von Strom- und Gaszählern hat bisher weder dazu geführt, dass die Preise für die längst abgeschriebenen Zähler gesunken sind, noch dazu, dass innovative Zähler eingeführt wurden. Man muss sich ja auch fragen, welches Interesse der bisherige Zählerbetreiber, nämlich die EVUs, haben sollte, moderne Zählertechnik einzubauen; denn er lebt ja vom Verbrauch und nicht vom Sparen. Die Bundesregierung hat in ihrem Evaluierungsbericht aufgezeigt, dass die fehlende Marktöffnung bei der Messung, also bei dem Ablesen der Messgeräte, ein wesentliches Wettbewerbshindernis beim Betrieb dieser Messstellen ist. Dieses Hindernis wird mit Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung beseitigt. Auch wenn es in den Berichten wie Science Fiction klingt und die intelligente Waschmaschine noch nicht auf dem Markt ist, haben wir jetzt auf dem Strommarkt die Chance, intelligente Zähler im Wettbewerb zu etablieren und den Verbraucherinnen und Verbrauchern damit eine deutlich erweiterte Kontrolle ihres Stromverbrauchs zu geben. Dahinter steckt die Zielvorstellung, innerhalb der nächsten sechs Jahre zu einem möglichst flächendeckenden Einsatz von solchen Zählern und Steuerungen sowie zu lastvariablen Tarifen zu kommen. ({0}) Nach der E-Energy-Studie, die im Auftrag des BMWi erarbeitet worden ist, geht es hier um einen Markt von etwa 49 Millionen Zählstellen mit einem Gesamtvolumen von etwa 5 Milliarden Euro. Das ist eine hohe Investition, aber auf die Dauer sicherlich lohnend für die Verbraucher, die Volkswirtschaft und das Klima. Gerade im Zusammenhang mit den künftigen lastvariablen Tarifen kann eine Stromkostenkontrolle zur Verschiebung der Nachfrage in Schwachlastzeiten genutzt werden. Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie geht von einer Einsparmöglichkeit von 5 bis 10 Prozent des Gesamtstromverbrauchs der Haushalte aus. Das wären etwa 5 bis 10 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Das ist doch was! Wenn teure Spitzenlastkraftwerke nicht mehr in gleichem Umfang benötigt werden wie bisher, dann führt das außerdem zu sinkenden Stromerzeugungskosten und zur Entlastung der Netze. Es geht darum, den Wettbewerb so zu gestalten, dass ein Anreiz für neue Anbieter und für die Nachfrage nach deren Angeboten entsteht. Dazu benötigen wir einfache, schnelle und kostengünstige Geschäftsprozesse. Deswegen brauchen wir eine Standardisierung und Anwendungsmöglichkeit der Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur auf die Beziehung zwischen den Netzbetreibern und den Messstellenbetreibern und hinsichtlich der Wechselmöglichkeit der Endverbraucher gegenüber den Messstellenbetreibern. Das mag sich alles technokratisch anhören, aber bei der Lösung der Energie- und Klimaschutzprobleme führt nur eine Gesamtstrategie mit vielen Elementen zum Erfolg. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb ist ein nicht zu unterschätzendes Element dieser Gesamtstrategie und deswegen hier nicht zu verachten. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Als Umweltpolitiker bin ich der festen Überzeugung, dass wir die Verdoppelung des Anteils von Strom aus KraftWärme-Kopplung an der Gesamtstromerzeugung bis 2020 im Sinne von Ressourcenschonung und Klimaschutz brauchen. Deutschland als führende Wirtschaftsnation hat an dieser Stelle eine nicht zu unterschätzende Vorbildfunktion. Dass wir das im Rahmen der Umlagefinanzierung tun, halte ich für nicht verkehrt. Die Umlagefinanzierung wird nämlich wie beim EEG in ganz besonderer Weise der Verantwortung der Stromverbraucher für eine ressourcen- und klimaschonende Stromversorgung gerecht. Sie ist an dieser Stelle sehr viel zielorientierter und effizienter als beispielsweise die Ökosteuer, mit der wir den Stromverbrauch auch belasten. ({0}) Wenn man über das Thema Effizienz redet, dann muss man, wie hier schon mehrfach angeklungen, klipp und klar sagen, dass man, um die Effizienz zu steigern, die bei der Stromproduktion entstehende Wärme nutzen muss. Das geht nur durch Dezentralität. Dezentralität ist unabdingbar. Aus Sicht eines Wirtschaftspolitikers sage ich: Sie bietet natürlich auch Chancen; denn es geht bei diesem Thema auch um den Mittelstand, sowohl was die Produktion als auch den Verbrauch angeht. Für den Mittelstand steht die Union wie kaum eine andere Partei. ({1}) Die Netze sind reguliert worden. Den Stadtwerken müssen wir zurufen, dass sie ihr Heil auch in der Stromproduktion suchen müssen, weil dank des Bundeswirtschaftsministers im Bereich der Netze keine Monopolgewinne mehr möglich sind. Das ist auf der einen Seite ein entscheidender Erfolg. Auf der anderen Seite müssen wir aber den Stadtwerken, denjenigen, die auch davon betroffen sind - das sind ja nicht nur die großen Vier -, entsprechende Geschäftsmodelle aufzeigen. In diesem Sinne ist das Einspeiserecht, das wir im KWK-Gesetz genauso verankert haben wie im EEG, ein wichtiges regulatorisches Element, eine Voraussetzung dafür, dass auch kleine Unternehmen, Mittelständler Zugang zu den Netzen haben. Wir tun hier etwas ganz besonders Wichtiges und Richtiges. Angesichts dessen, was Oskar Lafontaine heute zum Besten gegeben hat, frage ich mich schon, warum er immer dann, wenn unser Wirtschaftsminister handelt, nicht mit dabei ist, zum Beispiel dann, wenn es um eine Verschärfung des Kartellrechts geht. Warum stimmen Sie da nicht zu? Als Vertreter der Union sage ich aber auch: Sehr viel Wert legen wir auf die Stimmen der Linken nicht. ({2}) Die Effizienzförderung ist im Übrigen ein industriepolitischer Eingriff, um auch in diesem Bereich die Technik voranzubringen. Es besteht die Frage, wo in Zukunft Klimaschutz gemacht wird und wie über das Thema des Klimaschutzes entschieden wird. Nur dann, wenn es uns gelingt, technisch voranzukommen, werden wir nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit etwas verändern. Nun ist heute mehrfach über den Strompreis diskutiert worden. Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass wir hier eine Deckelung brauchen, dass wir aber nicht alles, was mit Klimaschutz zu tun hat, sofort deckeln sollten. Das sage ich auch in Richtung der eigenen Reihen. Wir können letztendlich nicht unsere Kanzlerin deckeln. Das sollten wir nicht tun; denn sie ist die Galionsfigur beim Klimaschutz. ({3}) Deshalb bitte ich, dies entsprechend zu berücksichtigen. Wenn man eine solche Deckelung beschließt, wie man sie im Moment vorsieht - eine Deckelung der KWK-Zuschlagssumme bei 750 Millionen Euro pro Jahr und eine Deckelung des Zuschlags für den Neu- und Ausbau von Wärmenetzen bei 150 Millionen Euro pro Jahr -, dann entsteht ein Problem, wenn der Kreis der zuschlagsberechtigten KWK-Anlagen- und Wärmenetzbetreiber sehr weit gefasst wird. Darüber sollten wir im Laufe der Debatte noch einmal nachdenken. Wir brauchen aus meiner Sicht zum einen Eingrenzungen, was das Thema Netze angeht. Da dürfen wir uns nicht zu stark auf die großen Netze, die Fernwärmenetze im großstädtischen Bereich, versteifen. Die Investitionsvolumina sind hier sehr groß; hier würden wir die Deckelung relativ schnell erreichen. Zum anderen müssen wir beim Thema der Versorgung über die Frage nachdenken, ob industrielle Anlagen zur Eigenversorgung wirklich erkennbar förderbedürftig sind oder ob man da nicht noch etwas nachjustiert, damit wir nicht zu schnell einen zu großen Druck auf diesen Deckel bekommen, was dazu führen würde, dass wir ihn relativ schnell anheben würden. Das bringt letztendlich nicht das gewünschte Ergebnis. Wir setzen uns für eine zielgerichtete Förderung ein, für eine Förderung, die Investitionssicherheit schafft, insbesondere im Bereich der kleinen Anlagen unterhalb einer Leistung von 10 Megawatt; denn hier geht es wirklich darum, einen Anstoß zu geben, dass dieses Thema vorankommt. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/8305, 16/8306 und 16/7872 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Wissenschaftsfreiheitsgesetz einführen - Mehr Freiheit und Verantwortung für das deutsche Wissenschaftssystem - Drucksache 16/7858 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({1}), Kai Gehring, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wissenschaftssystem öffnen - Mehr Qualität durch mehr verantwortliche Selbststeuerung und Kooperation - Drucksache 16/8221 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Präsident Dr. Norbert Lammert zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({4}) und der Fraktion DIE LINKE Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken - Drucksachen 16/3192, 16/8369 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Grütters Uwe Barth Kai Gehring Interfraktionell sind für diese Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion. ({5})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag könnte zu einer Sternstunde des deutschen Parlaments werden; denn wir beraten die Initiative der FDP-Bundestagsfraktion für ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz. ({0}) Der Antrag liegt Ihnen, Herr Tauss, bereits seit Ende Januar vor. Wollen wir den rasanten Herausforderungen im globalen Wettbewerb standhalten, die Qualität unseres Wissenschaftssystems stetig steigern, vor allem aber internationalen Entwicklungen immer einen Schritt voraus sein und die besten Köpfe nach Deutschland holen, dann brauchen wir eine neue Kultur für Innovationen. Mit einem Wort: Wir müssen in der Wissenschaft mehr Freiheit wagen! ({1}) Dazu bedarf es eines mutigen Schrittes hin zu einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das der Wissenschaft wie der Wirtschaft gleichermaßen die notwendige Luft zum Atmen gibt, das Barrieren abbaut und Forschung und Lehre enger zusammenführt, das Eigenverantwortung stärkt und Bürokratie abbaut, das eine bessere Bezahlung der in- und ausländischen Wissenschaftselite ohne Fesselung innerhalb des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes ermöglicht und das Grenzen für Fachkräfte öffnet. Das ist die Wissenschaftspolitik, die wir von der Bundesregierung erwarten. ({2}) Ein athenischer Staatsmann, Perikles, hat bereits gesagt: Das Geheimnis der Freiheit ist Mut. ({3}) Angst schafft keine Zukunft! Angst vor neuen Forschungsfeldern und Erfindungen würde Deutschland in der Technologieführerschaft um Jahrzehnte zurückwerfen. Schauen wir uns die Politik der Bundesregierung an: Sie setzt in manchen Bereichen mehr auf Risiken denn auf Chancen. Schauen wir uns die grüne Biotechnologie an. Schauen Sie sich die Haltung der Bundesregierung zur kerntechnischen Sicherheitsforschung an. Aber auch die aktuelle Debatte über Stammzellforschung ist nicht das, was der Spitzenstandort Deutschland braucht. Wir brauchen mehr Freiheit für die Forschung in diesem Land. ({4}) Im Vergleich der größten Forschungsnationen liegt Deutschland hinter den USA und Japan auf Platz drei. Schwellenländer wie Indien, China und die Länder Südamerikas holen aber in einem rasanten Tempo nach, was sie in den letzten Jahren bei Forschung und Entwicklung versäumt haben. China wird Deutschland nach Einschätzung der Bundesagentur für Außenwirtschaft im kommenden Jahr als Exportweltmeister ablösen. Was heißt das? Wir müssen auf Ideen, auf neue Forschung setzen. Wir müssen auf Innovationen setzen. Die CeBIT ist ein Beispiel dafür, was wir damit weltweit bewirken können. Deutschland braucht ein positives Forschungsklima frei von ideologischen Debatten. Die vorherrschende, oft angstbesetzte Kultur des Risikos muss sich in eine zukunftsorientierte Kultur der Chancen wandeln, in der die Herausforderungen tatkräftig angegangen werden. ({5}) Deswegen setzt sich die FDP vehement dafür ein, dass der in Art. 5 des Grundgesetzes verankerten Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in einem umfassenden Sinne Geltung verschafft wird. Die freie Entfaltung von Wissenschaft und Forschung muss ermöglicht werden. Bürokratische Hürden und ideologisch determinierte Überregulierungen gehören abgebaut, Frau Ministerin. Eine Hochschule oder eine Forschungseinrichtung muss zukünftig wie ein Unternehmen geführt werden können. Trotz vieler Reformen ist es im außer- und universitären Forschungsbereich in den letzten 20 Jahren nicht gelungen, bestehende Hemmnisse im Haushaltsrecht, im Tarifrecht oder im Vergaberecht zu beseitigen. Das müssen wir jetzt anpacken. Es geht um ein leistungsfähiges deutsches Wissenschaftssystem. Wir müssen große Forschungsverbünde zwischen Wirtschaft, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen ermöglichen. Präsente und hervorragende Beispiele sind die RWTH Aachen, das Forschungszentrum Jülich oder auch das Karlsruhe Institute of Technology. Ausgerechnet dort, wo die FDP mitregiert, findet so etwas statt. ({6}) Beteiligungen an Ausgründungen und Unternehmen sind ein wichtiges strategisches Instrument. GlobalhausCornelia Pieper halte müssen eingeführt und die kameralistische Haushaltsführung muss abgeschafft werden. Das ist die Voraussetzung für die weitgehende Selbstverwaltung der Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland. Wir fordern die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern zu handeln. Wir wollen insbesondere, dass der Wissenschaftstarifvertrag ein Thema für dieses Haus wird. Frau Ministerin, ich glaube, das ist eine Kernaufgabe für die, die sich für die Freiheit für Wissenschaft begeistern. Denn wir alle wissen: Der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes ist der größte Hemmschuh für unser Wissenschaftssystem im internationalen Wettbewerb. Er muss abgeschafft werden. ({7}) Frau Ministerin, fassen Sie Mut, überzeugen Sie den Innenminister und sorgen Sie dafür, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen endlich einen eigenen Wissenschaftstarifvertrag bekommen. Dann wären wir hinsichtlich der attraktiven Arbeitsbedingungen von deutschen, aber auch ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in diesem Land ein großes Stück weiter. Ich frage Sie: Wann haben wir Ihr Wissenschaftsfreiheitsgesetz zu erwarten? Für mich heißt der Schlüssel zum Erfolg: Freiheit für die Wissenschaft. Handeln Sie endlich! ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Annette Schavan. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, wenn über die Entscheidungen der Bundesregierung die sie tragenden Fraktionen, Vertreter der Länder - Kollege Pinkwart, herzlich willkommen - und auch die Opposition einer Meinung sind. ({0}) - Pardon, Teile der Opposition, die Linke also ausgeschlossen. Das hätte mich auch gewundert. ({1}) - Was haben Sie mit den Linken zu tun? Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht, Herr Taus. Ich finde jedenfalls, dass es eine positive Entwicklung ist, wenn immer mehr Vertreter dieses Hohen Hauses die Ideen für mehr Selbstständigkeit, mehr Spielräume und für eigene Verantwortung vor Ort mittragen. Wir reden damit letztlich über den nächsten wichtigen Schritt zur Steigerung der Attraktivität Deutschlands im internationalen Wettbewerb der Wissenschaftssysteme und der Innovationsstandorte. Das ist das Thema. Was in diesem Wettbewerb wird bedeutsam? Welche Faktoren spielen eine Rolle in diesem internationalen Wettbewerb, der keineswegs nur die Hochschulen, sondern zum Beispiel auch ganz zentral die Möglichkeiten, die Spielräume für die Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft betrifft? Ich rufe in Erinnerung - ich sage das auch, weil es in einem der vorliegenden Anträge steht -: Das ist natürlich nicht der einzige notwendige Schritt. Wir reden über ein ganzes Paket unterschiedlicher Schritte. Viele wurden schon getan. Ich erinnere an die Exzellenzinitiative, die eine wichtige Ausdifferenzierung im Wissenschaftssystem mit einer deutlich höheren Sichtbarkeit von einzelnen Hochschulstandorten geschaffen hat, an die Hightechstrategie und an den Spitzenclusterwettbewerb, der ein Paradebeispiel für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft darstellt. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Internationalisierungsstrategie und auf strukturelle Weiterentwicklungen - ich habe das KIT eben schon genannt hin. Übrigens ist das klare Bekenntnis der Bundesregierung und der sie tragenden Regierungsfraktionen zum 3-Prozent-Ziel nicht zu vernachlässigen. ({2}) Auch das hat viel Dynamik ins System gebracht. Schließlich geht es um die Stärkung der Forschung an Universitäten durch die Einführung der Programmkostenpauschale. In einem Satz: Die Große Koalition hat bislang schon deutliche Bewegung in den Innovationsstandort Deutschland gebracht. ({3}) - Liebe Frau Burchardt, jetzt komme ich zum nächsten Punkt, der in Meseberg beschlossen wurde. Kurz gesagt geht es dabei um die Spielregeln des Good Governance. Unsere Institute, das FraunhoferInstitut, das Max-Planck-Institut, die Helmholtz-Gemeinschaft und andere, die in vielen internationalen Netzwerken sind und sich im Wettbewerb befinden, müssen in diesem Wettbewerb in den nächsten Jahren die gleiche Stärke behalten, die sie bislang hatten. Denn gerade unsere außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind im internationalen Wettbewerb stark. Klar ist aber: Das bisherige Regelwerk behindert die weitere Entfaltung und die weitere Internationalisierung. Deshalb muss dieses Regelwerk weiterentwickelt, modernisiert und flexibilisiert werden. Die Spielräume müssen vergrößert werden. ({4}) Wie ist im Moment der Stand der Dinge? Die Themen, um die es geht, und die Teile des Regelwerkes, die verändert werden sollen, sind identifiziert. Die Beratungen auf Arbeitsebene haben begonnen. Erste Schritte, die das BMBF ohne die Einbeziehung anderer Ressorts unternehmen kann - sie betreffen verwaltungsinterne Erlasse -, werden oder sind bereits auf den Weg gebracht. Die Eckpunkte für entsprechende Neuregelungen werden dem Kabinett im Sommer vorliegen. ({5}) Ich nenne vier Beispiele für das, was geplant ist: Erstens. Die haushaltsrechtliche Detailsteuerung im Hinblick auf die Forschungseinrichtungen muss zurückgefahren werden. Mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz müssen die haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen flexibilisiert werden: Globalhaushalte, Übertragung der Haushaltsmittel, Ausbau der vorhandenen Deckungsfähigkeiten und Verzicht auf Stellenpläne. Wir brauchen eine aufgaben- und ergebnisbezogene Steuerung - keine Abschaffung der Steuerung, aber eine Modernisierung der Steuerung mit Blick auf Ergebnisse und Aufgaben. Zweitens. Forschungseinrichtungen müssen ohne umständliche Genehmigungsverfahren Beteiligungen an Unternehmen im In- und Ausland eingehen können, um sich national, aber auch international zu vernetzen. Dadurch werden neue strategische Geschäftsfelder erschlossen und neue Kooperationspartner gefunden. Beteiligungen an Ausgründungen und die Gründung von Joint Ventures mit der Industrie sind die Voraussetzungen für die Verwertung von Spitzentechnologie. Drittens. Bei Bau- und Vergabeverfahren müssen wir wissenschaftsfreundlicher werden. Aufwendige Verfahren und administrative Hemmnisse schaden der Innovationskraft. Deshalb muss es auch hier größere Spielräume für globale Bewilligungen geben. Viertens. Wir brauchen die Flexibilisierung des Vergaberahmens. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, bei dem vor allem die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern wichtig sein wird. Es gehört ja zu den Stärken des deutschen Systems, dass Bund und Länder die Forschungsorganisationen gemeinsam tragen. Wenn ich von einer Flexibilisierung des Vergaberahmens spreche, dann meine ich nicht seine Abschaffung. Das dauert länger. Ich vermute, dass das erst der übernächste Schritt sein wird. Der nächste Schritt muss sein, dass wir auch im Hinblick auf die Globalhaushalte für eine Flexibilisierung sorgen, sodass es bei konkreten Verhandlungen deutlich größere Spielräume gibt als jetzt. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, manches ist auch ohne Wissenschaftsfreiheitsgesetz machbar. Mein Haus wird schon jetzt, also im Vorgriff, die bestehenden Möglichkeiten nutzen, um die Beschränkungen der Förderung der Projekte von Forschungseinrichtungen, zu denen es in der Vergangenheit gekommen ist, aufzuheben. Das betrifft insbesondere die Bagatellgrenze für Zuwendungen; ein ganz konkretes Beispiel ist der berühmte Dudenhausen-Erlass. ({7}) Wir werden die Bagatellgrenze bzw. den Höchstwert für freihändige Vergaben im Wettbewerb von 8 000 Euro auf 30 000 Euro anheben. ({8}) Das heißt, dass die Forschungseinrichtungen bei vielen Beschaffungen von der Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung befreit sein werden. ({9}) Wenn wir von mehr Selbstständigkeit und mehr Freiheit reden, geht es nicht um weniger Verantwortung und weniger Rechenschaft. Wir - die Haushälter, die Finanzpolitiker, die Innenpolitiker und diejenigen, die sich in spezieller Weise mit Innovationsfragen beschäftigen sind dabei, die Weichen zu stellen und neue Schritte zu tun, um die Innovationsbedingungen für die Organisationen zu modernisieren, die in besonderer Weise die Verstetigung der Dynamik, die entstanden ist, leisten sollen. Je größer der Konsens in diesem Hause, je größer der Konsens zwischen Parlament und Regierung, zwischen Ländern und Bund ist, desto umfassender kann das Paket werden. Ich wünsche mir ein Paket - so werden wir mit den Eckpunkten in die Ressortverhandlungen und ins Kabinett gehen -, von dem ein klares Signal und ein Schub für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen ausgeht. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Schneider von der Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es durch einen Zwischenruf schon angedeutet: Ganz so breit ist die Übereinstimmung zwischen Opposition und Regierung nun doch nicht. Worum geht es? Die Bundesregierung hat im August 2007 im Rahmen ihrer Meseberger Beschlüsse erklärt, dass sie, um die Rahmenbedingungen für Experten, Spezialisten und Nachwuchskräfte attraktiv zu machen, mehr Flexibilität für Forschungseinrichtungen und Hochschulen schaffen will. Weil diese Bundesregierung ähnlich wie ihre Vorgängerregierung gerne mit attraktiven Worthülsen arbeitet, hat sie sich nicht gescheut, eine kleine Anleihe in Nordrhein-Westfalen zu nehmen und hat ihr Projekt mit dem Etikett „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ versehen. „Wissenschaft“ ist gut, „Freiheit“ noch besser, ein „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ zu kreieren das Allerbeste. ({0}) Volker Schneider ({1}) Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht gerade begeistert darüber waren, wie kess die Große Koalition Ihr Anliegen übernommen hat. ({2}) Nun ist die Bundesregierung in Bezug auf Ankündigungen stets mit flotten Schritten unterwegs; bei der Umsetzung präferiert sie bekanntermaßen Trippelschritte. Das wiederum gibt der FDP die Möglichkeit, ihrerseits mit einem Antrag für die Einführung eines Wissenschaftsfreiheitsgesetzes vorzupreschen. Weil Sie von der FDP auf Bundesebene noch keine eigenen Vorschläge erarbeitet haben, schreiben Sie der Einfachheit halber nieder, was der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herr Kleiner, und seine Generalsekretärin, Frau Dzwonnek, im Bildungsausschuss vorgetragen haben. Das wiederum findet sich im sogenannten Barrierepapier der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren wieder. ({3}) Sie haben diese Forderungen eins zu eins übernommen wahrlich keine große Leistung, eher ein Dokument überzeugender Lobbyarbeit. ({4}) Zu den Inhalten Ihres Antrags. Sie gehen in Ihrer Analyse davon aus, dass die Trennung der Aufgaben der Universitäten und der öffentlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht unproblematisch ist und deshalb neue Wege zu einer engen Wissenschafts- und Forschungskooperation aller Akteure zu beschreiten sind. Aus Sicht der Linken ist dem insoweit zuzustimmen, als die Trennung von außeruniversitärer und universitärer Forschung mittlerweile zu einem Missverhältnis in der Verteilung der Mittel geführt hat. Während die Hochschulen trotz steigender Studierendenzahl und steigenden Qualifikationsanforderungen mit stagnierenden Mitteln zu kämpfen haben, werden die Mittel für die ohnehin gut ausgestatteten außeruniversitären Forschungseinrichtungen durch den Pakt für Forschung und Innovation jedes Jahr um 3 Prozent erhöht. Mittlerweile erhalten die außeruniversitären Institute fast so viel an Mitteln wie die Hochschulen für den Forschungsbereich. Die Linke hält dies nicht für sinnvoll. ({5}) Wir vertreten die Auffassung, dass neue Wege einer engeren Kooperation nur ein erster Schritt sein können. Mittelfristig ist die historisch bedingte Versäulung jedoch zu überwinden. Weiter gehen Sie in Ihrem Antrag - typisch liberal, wie ich meine - davon aus, dass sich die Forschungsund Entwicklungspolitik auf Felder einer möglichen wirtschaftlichen Verwertung konzentrieren muss. Wir als Linke sagen Ihnen dazu deutlich: Wer die Forschungsförderung nur noch auf verwertungsnahe Bereiche konzentrieren will, der schafft keine Wissenschaftsfreiheit, sondern beerdigt sie. ({6}) Hochschulen und Forschungsinstitute haben die Aufgabe, je nach Profil mehr oder weniger zweckfreie wissenschaftliche Erkenntnisse auf allen gesellschaftlich relevanten Gebieten zu erarbeiten, kontrovers zu diskutieren und der Gesellschaft und ihren Mitgliedern zugänglich zu machen. Bereits heute ist der Einfluss wissenschaftsfremder Instanzen über private Drittmittel, Auftragsforschung, Stiftungsprofessuren etc. sehr hoch. Autonomie wollen Sie stattdessen am liebsten dadurch schaffen, dass Sie nicht unproblematische Forschungsbereiche wie Kerntechnik, Sicherheits- und Endlagerforschung, Biotechnologie und Stammzellforschung jeglicher gesellschaftlichen Kontrolle entziehen wollen. Auch hier sagen wir als Linke deutlich: Die Freiheit der Wissenschaft kann und darf nicht durch unkontrollierte Eingriffe in Grund- und Menschenrechte durchgesetzt werden. ({7}) Auch die Wissenschaft muss sich auf dem Boden der Menschenrechte und des Grundgesetzes bewegen. Das nicht im Blick zu behalten wäre nichts anderes als ein unverantwortlicher und ungezügelter Liberalismus. ({8}) - Lesen Sie die einleitende Analyse Ihres eigenen Antrages! Leider kann ich nur auf einige Aspekte Ihres Forderungsteils eingehen. Wie Sie die Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems dadurch steigern wollen, dass Sie die Verwendung öffentlicher Gelder in diesem Bereich einer öffentlichen Kontrolle entziehen wollen, ist schon bemerkenswert. So viel Liberalität würden wir uns auch gegenüber den sozial Schwachen - beispielsweise ALG-II-Beziehern - wünschen. Wir als Linke sagen an dieser Stelle ganz klar: Die Einbringung solcher Ressourcen in gemeinsame Kooperationen mit anderen Einrichtungen oder gar Wirtschaftsunternehmen bedarf selbstverständlich der öffentlichen Kontrolle. Im Hinblick auf Firmengründungen sollte Ihnen wenigstens bekannt sein, dass die Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an privatwirtschaftlichen Firmen häufig zur Vernachlässigung ihrer Kernaufgaben führt. Sollte nun in großem Maßstab die Unternehmensbeteiligung Aufgabe der gesamten Einrichtung werden, entstünden öffentlich-private Partnerschaften mit den von uns immer wieder kritisierten Folgen wie Intransparenz, ungeklärte Fragen geistiger Eigentumsrechte und daraus resultierend die Sozialisierung anfallender Kosten bei gleichzeitiger Privatisierung anfallender Gewinne. Volker Schneider ({9}) Ein besonderes Bonbon sind Ihre Ausführungen zu einem Wissenschaftstarifvertrag. Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, dass solche Tarifverträge im Rahmen der Tarifautonomie mit Gewerkschaften ausgehandelt werden. ({10}) Insoweit würde es nicht schaden, einen Blick darauf zu richten, was derzeit von den betroffenen Gewerkschaften Verdi und GEW gefordert wird, bevor Sie exorbitante Gehälter und zusätzliche Sozialleistungen für Spitzenkräfte fordern. Mir scheint, dass Ihnen ein wenig der Blick für die Realitäten der Beschäftigten an Universitäten fehlt. Werfen Sie einen Blick auf die Exzellenzhochburg Bayern! Die Pressestelle der Universität Bayreuth schreibt - ich zitiere -: Über 60 Prozent der Forschung und Lehre an den Universitäten werden von wissenschaftlichen Mitarbeitern erbracht, viele von diesen befinden sich in der Qualifikationsphase für die Wissenschaftlerlaufbahn. Ihre Entlohnung aber weist noch schwerwiegendere Defizite als die der Professoren auf. Gegenwärtige Praxis - in Bayern ist, dass Wissenschaftler mit erfolgreich abgeschlossenem Studium weit überwiegend auf halben Stellen promovieren - dabei jedoch mindestens 50 Arbeitsstunden pro Woche tätig sind. Sie erhalten in der Eingangsstufe E13/1 des neuen Tarifsystems der Länder ({11}) brutto 1.450 Euro und somit umgerechnet weniger als der tariflich festgelegte Mindeststundenlohn im westdeutschen Reinigungsgewerbe. So weit die Universität Bayreuth. Angesichts solcher Verhältnisse ist es doch nicht mehr als verständlich, dass Gewerkschaften zunächst einmal Lösungen für die breite Masse der Arbeitenehmer anstreben, bevor sie auch nur bereit sind, über die Vergütung von Spitzenkräften zu reden, zumal angesichts gedeckelter Haushalte höhere Verdienste in der Spitze nur durch eine Ausdünnung in der Breite realisiert werden könnten. Bei einem Verdienst von 1 450 Euro sehe ich diesbezüglich keine Einsparmöglichkeiten. Bevor Sie also auch nur auf die Idee kommen könnten, Ihre Spitzenkräfte zu beglücken, müssen Sie deutlich mehr Geld in das System pumpen, um die Defizite in der Breite zu beseitigen. ({12}) Ich möchte noch eine weitere Forderung aufgreifen, das Punktesystem für Einwanderer. Die Linke steht Vorschlägen positiv gegenüber, mit denen eine geregelte Zuwanderung ermöglicht werden kann. Ein System, wie es die CDU/CSU bevorzugt, das sich ausschließlich am Einkommen orientiert, lehnen wir ab. Insoweit sind die Vorschläge der FDP durchaus ein Fortschritt, weil hier weitere Kriterien berücksichtigt werden sollen. Dennoch können wir nicht zustimmen, dass Zuwanderung nur unter dem Blickwinkel von nationalstaatlichen und wirtschaftlichen Interessen beurteilt wird. Eine Einwanderungspolitik, die Menschen auf Verwertungsgrößen reduziert, lehnt die Linke ab. ({13}) Außerdem muss im Blickfeld bleiben, dass der Import von Fachkräften keinesfalls zulasten der Herkunftsländer gehen darf. Vieles von dem, was sich zwischenzeitlich global abspielt, kann nur noch als Bildungsimperialismus bezeichnet werden. ({14}) Fazit: Ich sehe wenig Chancen, dass meine Fraktion diesem FDP-Antrag im weiteren Verfahren wird zustimmen können. ({15}) Ich komme zu dem Antrag der Grünen. Die Auffassung, dass Transparenz und Gemeinnutzen ebenso wie die Gleichstellung wichtige Reformziele in der Wissenschaftspolitik sind, teilen wir. Nur ein kleiner Hinweis zum letzten Punkt: Deutschland ist nicht mehr so neoliberal, dass man Gleichstellung nur unter dem Aspekt von Effizienz- und Innovationsgewinn betrachten darf. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, man darf wieder den Aspekt der Gerechtigkeit betonen, und man darf auch auf das Grundgesetz verweisen. ({16}) Mit großem Interesse haben wir gelesen, dass die Grünen die Autonomie der Hochschulen mit verstärkter Mitbestimmung einrahmen wollen. Das sieht auch die Linke als sinnvoll an. Leider vermissen wir in Ihrem Antrag jedwede Konkretisierung zu diesem Punkt. Die weiteren Forderungen der Grünen sind im wahrsten Sinne des Wortes durchaus diskussionswürdig, positiv wie negativ. Die Vorstellungen zur Gleichstellungspolitik erscheinen uns noch unausgegoren. Wo gefordert wird, genuine Aufgaben unternehmerischer Forschung und Entwicklung staatlich direkt zu subventionieren, lehnen wir das als Linke entschieden ab. Den Forderungen zum Urheberrecht dagegen können wir uneingeschränkt zustimmen. Auch die Grünen fordern einen Wissenschaftstarifvertrag. Dabei begrüßen wir als Linke insbesondere, dass die Grünen davon ausgehen, dass im Mittelpunkt des Arbeitsrechts in der Wissenschaft das unbefristete Arbeitsverhältnis stehen muss. ({17}) Aber Sie hätten etwas dazu sagen müssen, a) wie Sie das finanzieren wollen und b) dass dann unbedingt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz abgeschafft werden muss. ({18}) Volker Schneider ({19}) - Lieber Kollege Gehring, wir sagen an dieser Stelle, dass man Geld in das System pumpen muss. Sie aber verschweigen das. Daher frage ich mich, wie Sie das umsetzen wollen. ({20}) Ich wiederhole, dass ein Wissenschaftstarifvertrag bzw. wissenschaftsspezifische Regelungen im TVöD aus Sicht der Linken in erster Linie zur sozialen Absicherung der zunehmend prekär Beschäftigten, besonders der Lehrbeauftragten, Postdoktoranden, studentischen Beschäftigten, Promovierenden und des sonstigen Mittelbaus, führen müssen und nicht zur Zahlung exorbitanter Prämien an wenige. Dieser Wissenschaftstarifvertrag muss bundesweit einheitlich sein, damit die Zersplitterung im Tarifrecht für die Wissenschaft überwunden werden kann und Mobilität möglich ist. Ein letzter Punkt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, Herr Kollege Schneider, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ein allerletzter Satz. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, nur auf einer breiten Basis werden Sie Spitzenkräfte bekommen. Wenn schon die jungen Wissenschaftler abwandern, dann haben Sie ein Problem. ({1}) Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPDFraktion.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute unter anderem über den FDPAntrag, ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz einzuführen. Frau Ministerin Schavan hat deutlich gemacht, dass die Forderung nach einem solchen Gesetz und die Vorbereitung dazu auf die Initiative der Bundesregierung nach der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg im Sommer des letzten Jahres zurückgeht. Erlauben Sie mir zu Beginn die grundsätzliche Bemerkung, dass Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in Deutschland ein sehr hohes Gut sind und durch Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt sind. Wir haben über Forschungsfreiheit und ihre Grenzen sehr häufig diskutiert. Zuletzt ging es am Montag in einer fünfstündigen Anhörung um die Frage, inwieweit man in Deutschland mit embryonalen Stammzelllinien forschen darf. Forschungsfreiheitsbeschränkungen gibt es aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Diskussion um Tierversuche. Heute geht es also gar nicht um Forschungsfreiheit im eigentlichen Sinne, sondern um eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wissenschaft. Man kann die Forschungsfreiheit positiv - durch Förderung - und negativ - durch Nichtförderung - beeinflussen. Erlauben Sie mir, dass ich kurz auf die ständig wiederkehrende Kritik am Atomausstieg in FDP-Anträgen eingehe; vielleicht können Sie das bei den nächsten Anträgen endlich einmal aussparen. ({0}) Ich bin ausdrücklich der Auffassung, dass die Politik im Sinne der Verantwortung für die ganze Gesellschaft und für künftige Generationen ({1}) die Möglichkeit haben muss, über die Forschungsförderung steuernd in die Forschung einzugreifen. Sie sollten es akzeptieren, dass eine durch Wahlen legitimierte Bundestagsmehrheit von SPD und Grünen vor einigen Jahren den Ausstieg aus der Kernenergie und den Einstieg in die alternativen Energien beschlossen hat. Sie irren, wenn Sie, liebe Kollegen von der FDP, in Ihrem Antrag behaupten, der Einstieg in die alternativen Energien stelle ein Problem in Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dar. Solar- und Windenergie sind mittlerweile Spitzentechnologien; wir sind in dem Bereich Weltmeister. ({2}) Sie wollen wieder in die Kernenergie - ein Auslaufmodell - einsteigen. Die Uranvorräte sind aber begrenzt. Die radioaktiven Abfälle sind nicht beherrschbar. Uran 238 hat eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren. Davon produzieren wir jeden Tag ungeahnte Mengen. Wenn Sie wieder in die Kernenergie einsteigen wollen, dann suchen Sie sich endlich eine parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheit dafür; Sie werden sie nicht finden. Akzeptieren Sie das! Schreiben Sie aber doch nicht in jeden Antrag, dass Sie den Ausstieg kritisieren! ({3}) Wir wollen heute nicht über das Grundrecht der Forschungsfreiheit und der Wissenschaftsfreiheit reden, sondern über die Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Im Groben gibt es zweierlei Rahmenbedingungen: finanzielle und strukturelle. Über die finanziellen Rahmenbedingungen brauchen wir nicht lange zu reden; die Vorgängerregierung und die jetzige Regierung haben eine Menge getan und erhebliche Mittel in die Forschungsförderung gesteckt. Heute wollen wir über die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen reden. Es ist gut, wenn wir die Wissenschaftsorganisation stärken. Ich finde den Titel des Antrags der Grünen übrigens deutlich gelungener und abwägender als den Titel des FDP-Antrags. Wir haben nichts dagegen - das hat auch die Ministerin gesagt -, im Bereich der Forschungsförderung Vorschriften zu entrümpeln, auf bürokratische Eingriffe zu verzichten und mehr Flexibilität in den Bereichen Haushaltsführung, Vergabe- und Baurecht für die Forschungseinrichtungen zu schaffen. Der Teufel steckt aber im Detail: Was heißt das konkret? Ich möchte nur ein Beispiel herausgreifen - Sie erwähnen es in Ihrem Antrag -: die Forderung nach attraktiveren Vergütungskonditionen für exzellente Wissenschaftler. Auch in diesem Bereich hat die Vorgängerregierung schon eine Menge erreicht, etwa die leistungsorientierte W-Besoldung. Wir sind dort sicherlich noch nicht am Ende der Möglichkeiten. Wir hören alle naselang von Forschungsorganisationen: Wir können wieder einen Forscher nicht halten, weil ihm in anderen Ländern ein höheres Gehalt geboten wird. Das ist sicherlich so. Man muss sich überlegen, was die Forderung nach besserer Vergütung bedeutet - unabhängig davon, dass in vielen Bereichen eine flexible Handhabung schon möglich ist -: Legen wir bei den exzellenten Forschern eine Schippe drauf, führt das möglicherweise zu Disparitäten im Tarifvertragssystem. Bieten wir nur Wissenschaftlern, die ins Ausland gehen wollen oder die wir aus dem Ausland holen wollen, eine höhere Vergütung? Führt das möglicherweise zu einem Wettbewerb zwischen den Forschungseinrichtungen, der nicht wünschenswert sein kann, weil die finanziell bessergestellte Forschungseinrichtung aus der A-Stadt dann den Spitzenwissenschaftler aus B-Dorf abwerben würde? Für das System ist damit überhaupt nichts gewonnen; es geht nur Geld verloren. Möglicherweise würde man für einen Spitzenforscher so viel Geld verbrauchen, dass man damit drei Nachwuchskräfte über längere Zeit fördern könnte. Erfordert die demografische Entwicklung nicht eher - dazu haben wir vor kurzem etwas bei der Anhörung zu den Zukunftsperspektiven von Frauen im Wissenschaftssystem gehört -, dass wir allen jungen ausgebildeten Wissenschaftlern den Zugang zum Forschungssystem ermöglichen und wir sie nicht herausdrängen? Wenn es eine freie Wissenschaftlerstelle gibt, können wir es uns noch leisten, dass wir den Wettbewerb so ausgestalten, dass nur der bessere von den zwei Bewerbern genommen wird und der etwas schlechtere als Taxifahrer durch Berlin fahren muss und der Wissenschaft verlorengeht? Wir können es uns auch nicht mehr leisten - auch das erfahre ich häufig -, dass bei einem jungen Wissenschaftlerehepaar nur der Mann als Forscher angestellt wird - so ist es üblich - und die hochqualifizierte Frau für die Kinderbetreuung nach Hause geschickt wird. Da gibt es viele Beispiele, die man täglich erleben kann. Besser ist es sicherlich, wenn beide am Institut arbeiten können und die Kinder im Institutskindergarten betreut werden; das ist sicherlich unstrittig. Das ist eine strukturelle Rahmenbedingung, die in einigen Forschungseinrichtungen mittlerweile auch umgesetzt wird. ({4}) Wenn Flexibilität bei der Bezahlung auch zu einer Verbreiterung und Verbesserung der Basis des wissenschaftlichen Personals führt, dann bin ich dabei. Übrigens ist das, was ich gerade erläutert habe, nicht frei erfunden, sondern beruht auf Erfahrungen. Im Dezember waren wir mit dem Forschungsausschuss - die Kollegen Gehring und Schneider waren dabei - am weltweit höchst renommierten Weizmann-Institut in Israel. Dort gibt es hervorragende junge und ältere Wissenschaftler. Ich habe Herrn Professor Zajfman, den Direktor des Instituts, gefragt, wo er diese guten Leute herbekommt, ob er sie etwa mit viel Geld aus dem Ausland holt. Als ich ihn gefragt habe, wie diese Leute bezahlt werden, hat er geantwortet, die Bezahlung sei mit der in den USA nicht vergleichbar und „very far away from German scale“, also weit unter den deutschen Maßstäben. Sie verdienen lange nicht so viel wie deutsche Wissenschaftler. Das zeigt, dass es nicht allein um Geld, sondern auch um andere Rahmenbedingungen geht. Wir haben sehr gut lernen können, wie wichtig es ist, vor Ort ein vernünftiges Angebot für die Ehepartner und Familien der Wissenschaftler zu schaffen und vor allen Dingen jungen Wissenschaftlern eine Perspektive aufzuzeigen, die darüber hinausgeht, für zwei oder fünf Jahre am Institut zu arbeiten, ohne zu wissen, wie es danach weitergeht. ({5}) Am Weizmann-Institut kann jeder, der gut ist, entweder wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Professor auf Lebenszeit werden und erhält damit eine Perspektive, die man in Deutschland häufig nicht findet. Zwei Stichworte will ich noch aufgreifen. Sie, die FDP, fordern in Ihrem Antrag, die Altersgrenze für herausragende Wissenschaftler aufzuheben. Wir als SPD halten die Überlegungen zu einer Seniorprofessur seit Längerem für richtig. Allerdings darf das nicht dazu führen, dass Nachwuchskräfte verdrängt werden, sondern es muss dafür eigene Stellen geben, möglichst auch eigenständig finanziert. Außerdem schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass Sie ausländerrechtliche Hürden beseitigen wollen. Unser Vorschlag dazu lautet: Starten Sie über Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative. ({6}) Holen Sie sich Herrn Koch dazu, solange er noch Ministerpräsident in Hessen ist. Dann kann er zeigen, dass er auch für eine andere Ausländerpolitik steht. Wir sind bei diesem Thema sicherlich diskussionsbereit.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Röspel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sitte?

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, die SPD hat in der letzten Legislaturperiode das Juniorprofessurenprogramm aufgelegt. Wir haben heute auch unseren Antrag mit dem Titel „Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken“ zu diskutieren. Sie haben vorhin selber erwähnt, wie wichtig es ist, die Förderung von Spitzenkräften und die Förderung von Nachwuchskräften in das richtige Verhältnis zu setzen. Ich möchte einfach die Gelegenheit nutzen, Ihre Position zur Fortsetzung des Programms zu Juniorprofessuren zu erfragen.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie eine Initiative der SPD - nämlich die zur Juniorprofessur loben und für sinnvoll halten. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, weil es eine gute Maßnahme ist. ({0}) Das sollte in der Kürze der Zeit genügen. Ich würde gerne den Bogen zur Wissenschaftsfreiheit schließen. An zwei Punkten habe ich große Sorge, was die Zukunft der Wissenschaftsfreiheit in unserem Lande anbelangt. Erstens ist mein Eindruck, dass es früher im Interesse von Wissenschaftlern lag, ihre Ergebnisse möglichst schnell auf Konferenzen oder in Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Ich habe den Eindruck, dass sich das Interesse jetzt dahin verschiebt, Patente zu erarbeiten und anzumelden. Das allerdings setzt voraus, dass man möglichst lange geheim, nicht mehr transparent und kooperativ arbeitet. Deswegen appelliere ich an das Ministerium: Wir brauchen eine Neuheitsschonfrist, die es ermöglicht, seine Ergebnisse zu veröffentlichen und der Wissenschaft zur Diskussion zur Verfügung zu stellen, ohne sich der Möglichkeit zu berauben, ein Patent anzumelden. Wir haben heute darüber geredet und wir werden sicherlich noch länger darüber reden, dass Wissenschaftler frei arbeiten können müssen. Der zweite Punkt, um den es mir geht, ist aber die Freiheit junger Menschen - es sitzen heute viele unter den Zuschauern -, Wissenschaftler werden zu können. ({1}) Ich mache mir zunehmend Sorgen darüber, dass jungen Menschen in gewissen Bundesländern - der entsprechende NRW-Minister sitzt ja hier - durch die von der FDP mitverantworteten Studiengebühren zunehmend die Möglichkeit genommen wird, ein Studium aufzunehmen. ({2}) Das hat nicht intellektuelle, sondern rein finanzielle Gründe; das ist eine Tatsache. Das betrifft die Fachkräfte und geht bis in die Mittelschicht. In der letzten Bürgersprechstunde habe ich erlebt, dass eine Lehrerin gesagt hat: Mein zweiter Sohn will jetzt beginnen, zu studieren. Das macht 2 000 Euro im Jahr. Ich komme langsam an meine finanziellen Grenzen. - Diese Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und der Möglichkeit, Wissenschaftler zu gewinnen, werden wir Sozialdemokraten nicht hinnehmen. Das halten wir für grundlegend falsch. ({3}) Bei allen anderen Punkten, die zur Diskussion stehen, sind wir gerne gesprächsbereit. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr hat die Bundesregierung in Meseberg ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz versprochen. Bis jetzt ist es ein Yeti geblieben. Vielleicht gibt es irgendwann ein solches Gesetz. Aber gesehen hat es bisher noch niemand. Nach der Rede von Ministerin Schavan ist mir leider unklar geblieben, was tatsächlich drinstehen soll. Mal gucken, ob es irgendwann schriftlich vorliegt. ({0}) Plötzlich, Monate später nach der Ankündigung der Bundesregierung, rufen auch Sie von der FDP nach einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Sie wollen Freiheit per Gesetz, obwohl das im Grundgesetz klar verankert ist. Das klingt so, als glaubten Sie wirklich, dass Sie mit einem einzigen Bundesgesetz die Grundlagen für mehr Selbstbestimmung in der Wissenschaft legen könnten und dass es bei den notwendigen Verbesserungen im Wissenschaftssystem einzig und allein um mehr Freiheit gehe. Dabei ist das überragende Ziel moderner Forschungspolitik vor allem mehr Qualität. Aber davon haben Sie heute gar nicht gesprochen. ({1}) Wir dürfen dabei nicht eindimensional auf den Faktor Freiheit schauen, sondern müssen an einer Reihe von Rädchen drehen. Dazu gehören eine gute Forschungsinfrastruktur, attraktivere Arbeitsbedingungen für Forscherinnen und Forscher, mehr Eigenverantwortung und Transparenz, mehr Kooperation und eine bessere Gleichstellungs- und Nachwuchsförderungspolitik. Darum geht es, wenn wir die Forschung und Wissenschaft in Deutschland wirklich stärken wollen. ({2}) Natürlich geht es auch um mehr Freiheit, wenn wir Neugier und Verantwortung in Forschung und Wissenschaft ermöglichen wollen. Aber Freiheit ist kein Selbstzweck à la FDP. Was helfen der Wissenschaft zusätzliche Freiräume, wenn ihr keine Mittel zur Verfügung gestellt werden, diese auszufüllen? Ein Lehrstück - oder vielmehr ein Bad-Practice-Beispiel dafür - bietet das Land Nordrhein-Westfalen mit seinem Hochschulfreiheitsgesetz, das Schwarz-Gelb auf den Weg gebracht hat. Die NRWLandesregierung selbst räumt mittlerweile in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit ein, die Hochschulen hätten nun mehr Freiheiten, nutzten diese aber gar nicht, und die Politik könne nun gar nichts mehr machen. Ist das die Politik, die Ihnen vorschwebt? Ich hoffe nicht. Frau Ministerin Schavan, wenn Sie mit Ihrem Wissenschaftsfreiheitsgesetz klammheimlich eine schwarzgelbe Bildungskoalition schmieden wollen, um Herrn Westerwelle wieder einmal zu beruhigen, dann überlegen Sie sich das besser zweimal; denn das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz in NRW setzt den Wissenschaftlern externe Hochschulräte quasi als Dienstvorgesetzte vor die Nase. Da wird demokratische Kontrolle durch marktwirtschaftliche Gängelung ersetzt. Ist das die Freiheit, die Sie meinen? Ich hoffe, nicht. ({3}) Eine Hochschule ist nicht dasselbe wie ein Unternehmen. So muss es auch bleiben. ({4}) Natürlich wollen auch wir Grüne mehr Selbstbestimmung in Wissenschaft und Forschung. Aber Autonomie bedeutet für uns nie die Abwesenheit von Spielregeln. Das ist ein zentraler Unterschied zu Ihnen. ({5}) Mehr Autonomie bedeutet auch mehr Eigenverantwortung. Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen gewährleisten, dass sich die Forschung qualitativ verbessert. Es geht um Transparenz, demokratische Rückbindung und Mitbestimmung. Finanzmittel müssen effizienter eingesetzt werden, um genau dort anzukommen, wo sie gebraucht werden. Deshalb schafft die Einführung von Globalhaushalten eine gute Grundlage für die Selbststeuerung. Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen müssen selbst darüber entscheiden können, wie die vorgesehenen Mittel zwischen Sach- und Personalhaushalt aufgeteilt werden. Aber Autonomie darf nicht dazu führen, dass zum Beispiel kleine Fächer aussortiert werden, weil sie nach FDP-Logik womöglich zu wenig Leistung im Verhältnis zu den Investitionen bringen. Hier gibt es weiterhin eine wichtige Steuerungsaufgabe von Politik und hier wird deutlich, dass ein simples Wissenschaftsfreiheitsgesetz nicht alle Probleme der Wissenschaft löst, sondern sogar neue Probleme schaffen kann. ({6}) Das betrifft auch das Thema Wissenschaft als Beruf. Seitdem die Große Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eingeführt hat, gilt für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland die unbefristete Befristung. Viele Nachwuchstalente gehen daher der Wissenschaft verloren oder wandern gleich ins Ausland ab, weil es dort verlässlichere Karrierewege gibt. Was wir brauchen, ist eine Angleichung an das normale Arbeitsrecht, wo Befristung die Ausnahme und nicht die Regel für alle ist. Ihre Vorschläge für mehr Flexibilität bei der Bezahlung von exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Sie, Frau Ministerin, gemacht haben, greifen hier eindeutig zu kurz. Was wir brauchen, ist ein Wissenschaftstarifvertrag, der Wissenschaft in Deutschland international wettbewerbsfähiger macht. Das ist unser Ziel. ({7}) - Dann haben wir ausnahmsweise einmal etwas gemeinsam, Frau Pieper. ({8}) Der Wissenschaftstarifvertrag, zu dem wir schon Vorschläge gemacht haben, ist eine gute Sache. Aber an dieser Stelle gibt die Große Koalition plötzlich ihren eigenen Wahlspruch „Mehr Freiheit wagen“ offensichtlich auf. ({9}) Denn mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben Sie eine Tarifsperre eingeführt. Hier wird dirigistische Zentralsteuerung vor das freiheitliche Vertrauen auf die Forschungsorganisation und die Tarifvertragsparteien gestellt. Deshalb ist das der falsche Weg. ({10}) Auch in der Doktorandenausbildung gilt zu wenig normales Arbeitsrecht. Das deutsche Stipendiensystem reicht bei weitem nicht aus, um die Förderung von hervorragenden Nachwuchswissenschaftlern zu gewährleisten. Wir brauchen deutlich mehr reguläre Stellen für Doktorandinnen und Doktoranden. Gerade Nachwuchswissenschaftler müssen ihre Karriere planen können; die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft muss endlich gewährleistet werden. ({11}) Die von Rot-Grün eingeführte Juniorprofessur hat erste wichtige Grundsteine für die Stärkung der wissenschaftlichen Karriere junger Wissenschaftler gelegt. Mich würde schon interessieren, ob das künftig weitergeht, ob man diese Stärkung im Rahmen des Hochschulpaktes als qualitatives Ziel vorgibt, also ob Bund und Länder die Juniorprofessur ausbauen und dabei die Tenure-TrackOption stärken. Das wäre ein wichtiges Ziel, um jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern Zukunftsperspektiven zu geben. ({12}) Frauen sind immer noch weit von gleichen Karriereperspektiven in der Wissenschaft entfernt. Das hat die von uns Grünen angeregte Anhörung zu Frauen in der Wissenschaft vor zwei Wochen im Forschungsausschuss mehr als deutlich gezeigt. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass eine grenzenlose Autonomie à la FDP nicht weiterhilft. Ob wir Gleichstellung in der Wissenschaft erreichen, darf der Politik nicht egal sein. ({13}) Die Wissenschaft braucht klare politische Zielvorgaben auf dem Weg zu Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit. Ansonsten warten wir darauf noch 200 Jahre oder länger. So kann es nicht laufen. Es geht darum, den Anteil von Frauen auf allen Qualifikations- und Karrierestufen in Forschung und Wissenschaft deutlich zu steigern. Wie die Wissenschaft dieses Ziel erreicht, soll sie autonom entscheiden. Ob sie es erreicht, muss jedoch Konsequenzen bei der Mittelvergabe nach sich ziehen. Nur so schaffen wir eine Verbindlichkeit dafür, dass Frauen endlich die gleichen Karriereperspektiven in der Wissenschaft haben. ({14}) Eine Reform des deutschen Wissenschaftssystems muss auch den europäischen und globalen Forschungsraum einbeziehen. Wissenschaft lebt schließlich von Internationalität, Mobilität, Kreativität und Austausch. Wir wollen, dass Wissenschaftler durch Auslandsaufenthalte ihre Forschungs- und Lehrkompetenzen erweitern und stärken können. Genauso wollen wir aber auch ausländische Wissenschaftler, die in Deutschland arbeiten wollen, willkommen heißen. Dazu müssen wir allerdings die völlig bürokratischen Zuwanderungshürden dringend senken. ({15}) Dazu gehört eine erleichterte Visumvergabe. Wir brauchen auch Dual-Career-Couple-Programme, die Arbeitsangebote für Ehe- und Lebenspartner und Kitaplätze für die Kinder. Schließlich brauchen wir international konkurrenzfähige Gehälter; denn nur so schaffen wir eine ständige Brain-Circulation, den beständigen Austausch, den wir dringend brauchen. ({16}) - Ja, es geht nicht nur um Braindrain, sondern auch darum, dass man sich international austauscht. Weil uns dies in der globalen Wissensgesellschaft stärkt und bereichert, ist das ein wichtiger Punkt. ({17}) Autonomie der Wissenschaft bedeutet auch, dass Forschungsergebnisse stärker zugänglich gemacht werden. Es muss endlich ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht geben. Es kann nicht sein, dass öffentlich geförderte Forschungsprojekte ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit nicht kostenlos zur Verfügung stellen dürfen. Das kann doch nicht wahr sein. ({18}) Dem Prinzip des Open Access entsprechend sollten daher wissenschaftliche Erkenntnisse nach Ablauf einer ganz bestimmten Frist frei verfügbar sein. Unsere Vorschläge sind im Übrigen von der maßgeblichen EU-Richtlinie gedeckt und sollten umgehend in einem Dritten Korb zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft umgesetzt werden. ({19}) Dann könnten Sie gleich in einem Aufwasch die wissenschaftsfeindlichen Änderungen im Zweiten Korb rückgängig machen; denn bei diesem Gesetz waren der Großen Koalition die Lobbyinteressen offensichtlich wichtiger als die Freiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. ({20}) Stärkere Selbstbestimmung der Wissenschaft heißt für uns nicht zuletzt, dass die Versäulung der deutschen Forschungslandschaft zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen aufgebrochen wird. Die gemeinsame Berufung von Professorinnen und Professoren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist ein wichtiger Anfang. Wir haben zudem vorgeschlagen, einen Teil der Mittel des Paktes für Forschung und Innovation für gemeinsame Projekte universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Auch das gäbe sicherlich einen ganz wichtigen Impuls. Des Weiteren schlagen wir zur bundesweiten Koordination ein Forum für Forschungsförderung vor, wie es der Wissenschaftsrat schon 2003 gefordert hat. Dieses Forum kann ebenso wie der gemeinsame Austausch die Versäulung verringern und die Kooperation der Forschungsakteure tatsächlich verbessern. ({21}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wenn Sie Forschung und Lehre in Deutschland wirklich umfassend fördern wollen, ist es mit einem schlichten Ruf nach einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz nicht getan. Stattdessen brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern, um die Qualität der Wissenschaft und die Attraktivität des Wissenschaftsstandortes weiter zu stärken. Hier sollten wir endlich anpacken. Herzlichen Dank. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das deutsche Wissenschaftssystem befindet sich - dies wurde bereits gesagt - in einem immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb um Forschungsmittel, um exzellente Projekte und natürlich um die besten Köpfe. Unter der Regierung Merkel sind bereits große Erfolge in diesem Bereich erzielt worden. Mit dem Sechsmilliardenprogramm haben wir ganz klar gezeigt, wo wir Schwerpunkte setzen. Keine Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik hat so viel Geld auf einmal in die Hand genommen und in Forschung und Entwicklung investiert. Das ist ein wirklich gutes Signal. ({0}) Doch Geld und eine starke Fokussierung auf Exzellenz allein reichen nicht aus, um Deutschland in diesem Wettbewerb ganz vorn zu halten. Um dort zu bleiben, bedarf es eines Abbaus bürokratischer Hemmnisse in der deutschen Forschung. Es bedarf einer Flexibilisierung des Gesamtsystems und einer Stärkung der Eigenverantwortung der Wissenschaftseinrichtungen und der Wissenschaftler. Wir können stolz auf das sein, was wir in den vergangenen Jahren in diesem Bereich erreicht haben. Hervorgehoben werden sollte auch, dass Frau Bundesministerin Schavan die Strukturen in der deutschen Wissenschaft in einem enormen Umfang und in einer wirklich beeindruckend geräuschlosen Weise verändert hat. Ich nenne nur beispielhaft das Karlsruher Institut für Technologie und JARA, die Jülich-Aachen Research Alliance. Es wären noch viele andere Bereiche zu nennen; gerade angesprochen wurde die Versäulung im deutschen Wissenschaftssystem. In den vergangenen Jahren ist in diesem Bereich so viel verändert worden wie in vielen Jahrzehnten zuvor nicht. ({1}) Das ist ein Erfolg dieser Regierung, dieser Koalition und natürlich auch dieser Bundesministerin. Wir können ihr dafür dankbar sein, und wir können ihr auch dazu gratulieren, weil es für uns alle gut ist. Wir wollen den Wettbewerb, und wir wollen ihn auch gewinnen. Ein wichtiger Schritt dazu ist die Einführung der Overhead-Finanzierung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ich denke, wir sind uns einig, dass es uns damit gelungen ist, die in der Wissenschaft Erfolgreichen zu belohnen und etwas zu beenden, was dort über Jahre behindert hat, nämlich dass diejenigen, die wirklich viele Drittmittel eingeworben haben, am Ende von ihren Kollegen behindert wurden, weil auch von ihnen Ressourcen abgegriffen worden sind. Jetzt kann man sagen: Diejenigen, die Forschungsgeld einwerben und erfolgreich sind, nutzen auch der Gesamtinstitution, in der sie arbeiten. Die Overhead-Finanzierung ist eine ganz wichtige Maßnahme gewesen. ({2}) Wir wollen die rechtlichen Rahmenbedingungen noch attraktiver, noch forschungsfreundlicher und international noch konkurrenzfähiger machen. Aus diesem Grund begrüßt die CDU/CSU-Fraktion, dass die Bundesregierung sich aufgemacht hat, ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz zu erarbeiten, um die derzeit bestehenden Hemmnisse im Haushaltsrecht, im Tarifrecht, im Ausländerund Aufenthaltsrecht sowie im Vergaberecht zu beseitigen. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesministerin heute hier schon angekündigt hat, dass die Bagatellgrenze von 8 000 Euro auf 30 000 Euro angehoben wird. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt. ({3}) Wir müssen eines sagen - in dieser Debatte ist es deutlich geworden -: Das, was die Grünen und die PDS hier vorgetragen haben, zeigt, dass sie keine Parteien sind, die mehr Freiheit und mehr Wettbewerb im Wissenschaftssystem wollen. Das, was wir wollen, ist in der Tat eine Veränderung der Philosophie. Vieles geht dann eben so nicht mehr. Es geht dann nicht mehr, dass Landeswissenschaftsminister und -ministerien der Bürokratie vorgeben, was passiert. Es bedeutet, dass es zu größerer Ungleichheit kommen wird, dass diejenigen, die erfolgreich sind und für viel Qualität sorgen - wir brauchen sie; das Thema Qualität ist angesprochen worden -, belohnt werden und dass diejenigen, die nicht so gut, besser gesagt: schlecht sind, im Zweifel nicht mehr mitspielen können. Das ist die Voraussetzung für Exzellenz, die zumindest wir als Union wollen. ({4}) Ein Wissenschaftstarifvertrag ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Forderung, einen solchen Vertrag einzuführen, wird seit vielen Jahren erhoben. Wir sollten ehrlich sein und versuchen, praktisch vorzugehen. Ich kann den Ländern nur dazu raten, den Hochschulen die Tariffähigkeit zu geben. Die Hochschulen sollten beginnen, mit den Gewerkschaften einen Wissenschaftstarifvertrag, einen Spartentarifvertrag, auszuhandeln. Dieser Tarifvertrag sollte dann von anderen übernommen werden. Der Bund kann mit der Helmholtz-Gemeinschaft ähnlich vorgehen. Ich glaube, es bringt nichts, wenn die Bundesebene versucht, mit der Gewerkschaft übereinzukommen. Hier müssen Tatsachen geschaffen werden, und das nach Möglichkeit schnell und von unten. Die Forderung, einen Wissenschaftstarifvertrag zu schaffen, ist wichtig. Wenn wir tatsächlich wollen, dass es durch Wettbewerb zu Exzellenz kommt, dann müssen wir erkennen, dass das nicht durch das öffentliche Dienstrecht erreicht werden kann. ({5}) Wir müssen über weitere Punkte reden. Deutschland ist ein Land, in dem in enormem Maße ausgebildet wird, und zwar im Bereich der wissenschaftlichen Exzellenz, sei es im Studium, sei es in der Doktorandenausbildung. Wir müssen dafür sorgen, dass die Personen, die hier - auch mit deutschem Steuergeld - ausgebildet werden, in diesem Land arbeiten können. Aus diesem Grund müssen wir mit den Innenpolitikern jetzt diesen Streit ausfechten. Wir müssen das Ausländerrecht so ändern, dass diejenigen, die wir brauchen, in diesem Land arbeiten können und dass wir attraktiv für sie sind. ({6}) Im Zusammenhang mit den Fragen der Finanzen, der Globalhaushalte, der Übertragbarkeit der Mittel und des Ausländerrechts gilt das, was die Ministerin schon angesprochen hat: Die Forschungspolitiker im Deutschen Bundestag sind sich - bis auf diese beiden Ausnahmen bezüglich der Zielrichtung im Wesentlichen einig. Die Konfliktlinien sind eher in anderen Bereichen zu suchen, nämlich zu den Innenpolitikern und den Finanzpolitikern. Wir sollten hier gemeinsam vorgehen. Das ist auch eine Einladung an diejenigen in der Opposition, die tatsächlich etwas erreichen wollen. Wenn wir Deutschland in diesem Bereich attraktiv machen wollen, brauchen wir Veränderung. Sie vonseiten der FDP können gerne daran mitwirken, ({7}) da es im gesamtstaatlichen Interesse liegt. ({8}) Wir sind auf dem richtigen Weg. Es geht jetzt um die Ausgestaltung und um die Entwicklung von Ideen. Die Bundesrepublik hat sich mit dem 6-Milliarden-Programm und der Hightech-Strategie im internationalen Wettbewerb zurückgemeldet. Wir sagen ganz klar: Ja, wir wollen den Wettbewerb! Wir wollen ihn gewinnen! Mit der Diskussion über bessere Rahmenbedingungen, die wir hier heute führen, untermauern wir diese Zielsetzung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Professor Andreas Pinkwart. ({0}) Dr. Andreas Pinkwart, Minister ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation haben Schwung in die deutsche Wissenschafts- und Forschungslandschaft gebracht. Es gilt jetzt, diesen Schwung mutig zu verstärken und in den nächsten Jahren zu verstetigen. Dafür brauchen wir zweierlei: mehr Gestaltungsfreiheit und mehr Gestaltungskraft für unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland. ({2}) Zur Gestaltungsfreiheit: Hier muss es unser Ziel sein, Wissenschaft und Hochschulen endlich von unnötigen Fesseln des Staates und der Bürokratie zu befreien. Wir begrüßen daher die von der Bundesministerin Annette Schavan angekündigte Wissenschaftsfreiheitsinitiative nachdrücklich. Wir wollen, dass die von Bund und Ländern gemeinsam getragenen außeruniversitären Forschungseinrichtungen die gleichen Gestaltungsfreiheiten erlangen können, wie wir sie unseren Hochschulen in Nordrhein-Westfalen mit dem Hochschulfreiheitsgesetz bereits gegeben haben. ({3}) Sie alle haben sich sehr darüber gefreut, und der zweite Durchlauf der Exzellenzinitiative Nordrhein-Westfalen hat gezeigt, dass es den Hochschulen offensichtlich gut bekommen ist, denn sie haben ihre Wettbewerbsposition in der Exzellenzinitiative deutlich steigern können. ({4}) Einen besseren Beleg dafür, dass das Hochschulfreiheitsgesetz in Nordrhein-Westfalen sehr gut ist, kann es gar nicht geben. ({5}) - Der Realitätsverlust spiegelt sich eher anderenorts wider. Offensichtlich - darauf möchte ich hinweisen - gibt es gerade bei den Grünen Widersprüche zwischen Anträgen und Wortbeiträgen. ({6}) Ich habe Ihren Antrag, der unseren Gedanken des Hochschulfreiheitsgesetzes aufnimmt, ({7}) eigentlich mit großer Freude gelesen. Ich habe mir gesagt: Menschenskinder, das ist eine tolle Initiative. Vielleicht gibt es tatsächlich eine breite parlamentarische Mehrheit für mehr Freiheit in Wissenschaft und Forschung. In dem Antrag der Grünen steht unter anderem - mit Genehmigung des Präsidenten darf ich zitieren -: ({8}) Die Einführung von Globalhaushalten ist eine Grundlage für die notwendige Selbststeuerung der Forschungseinrichtungen. ({9}) - Ich zitiere nicht aus dem Antrag der FDP, sondern aus dem Antrag der Grünen. - Weiter heißt es da: Um unternehmerisches Denken, Eigenverantwortung und Managementfähigkeiten zu stärken, muss die Entscheidungsgewalt darüber, wie die vorgesehenen Mittel zwischen Sach- und Personalkosten aufgeteilt werden, in der Einrichtung selbst liegen. „Prima!“, kann ich dazu nur sagen. Genau das wollen wir auch. Dr. Andreas Pinkwart, Minister ({10}) ({11}) Bekennen Sie sich doch bitte auch in Ihren Wortbeiträgen dazu! ({12}) Wir brauchen endlich ein leistungsbezogenes Vergütungssystem und ein international konkurrenzfähiges Dienst-, Arbeits- und Zuwanderungsrecht, das Deutschland für die besten Köpfe attraktiv macht. ({13}) Hierzu ist eine Überwindung der Hemmnisse durch das Besserstellungsverbot und den Vergaberahmen notwendig. Frau Bundesministerin Schavan hat das vorhin vorsichtig angedeutet. Es ist nicht einfach - das verstehe ich -, aber wir sollten versuchen, das zu erreichen. In der Debatte habe ich von Herrn Röspel gehört, dass man vielleicht lieber auf ein paar Spitzenleute verzichten sollte, um in der Breite wirksamer zu sein. Dazu muss ich Ihnen sagen: Sie haben die Gesamtzusammenhänge offensichtlich immer noch nicht richtig erkannt. Wer Spitze will, muss auch Breite fördern. ({14}) - Einen Moment! Deswegen versuchen wir in Nordrhein-Westfalen, wo Sie sehr lange Regierungsverantwortung getragen haben, die Hochschulen finanziell endlich so auszustatten, dass sie in der Breite wie in der Spitze konkurrenzfähig werden können. ({15}) Wir brauchen beides, und dafür brauchen wir auch die richtigen Rahmenbedingungen. ({16}) Ich will Ihnen ein Beispiel geben zum Thema Flexibilisierung der Altersgrenzen - das fiel auch in Ihre Verantwortung -: Als wir uns im vergangenen Jahr über die Verleihung des Nobelpreises an Peter Grünberg freuten, wurde uns noch einmal vor Augen geführt, wie zu Zeiten, als Sie Regierungsverantwortung im Bund wie im Land Nordrhein-Westfalen innehatten, mit Spitzenwissenschaftlern umgegangen worden ist. Peter Grünberg war ja immer schon ein ganz herausragender Wissenschaftler. Er erhielt den Zukunftspreis und andere Preise. Als er mit 65 Jahren unter Ihrer Verantwortung zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde, hat man ihm noch einen 400-Euro-Job angeboten. ({17}) Wir müssen solchen Spitzenleuten unabhängig von Altersgrenzen endlich die Anerkennung geben, die sie im Ausland längst erhalten. Wir müssen verhindern, dass sie abwandern. Wir müssen dafür sorgen, dass sie hier bleiben und gezielt gefördert werden. ({18}) Meine Damen und Herren - ich bekomme ja jetzt viel Zustimmung von Ihnen -, wir brauchen neben Gestaltungsfreiheit auch Gestaltungskraft. Das heißt, wir müssen mehr für die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen tun. Deswegen möchte ich Ihnen zurufen und hoffe auf tatkräftige Unterstützung durch die Mehrheit des Hauses und insbesondere durch die Kolleginnen und Kollegen, die zur Regierungskoalition gehören: Lassen Sie uns zusehen, dass Bund und Länder sehr schnell zusammenkommen, um den Hochschulpakt fortzuschreiben. Wir erwarten im kommenden Jahrzehnt Gott sei Dank weiter steigende Studierendenzahlen. So geht es jetzt in diesem Jahr auch darum, dass Bund und Länder den Hochschulpakt I fortschreiben. Insgesamt gilt es, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, damit jeder, der im kommenden Jahrzehnt studieren möchte, in Deutschland einen qualitätsvollen Studienplatz antrifft. ({19}) Außerdem muss die Exzellenzinitiative fortgeschrieben werden. Es ist ganz wichtig, dass Sie jetzt die Mittel bereitstellen und das Programm verlängern, damit wir auch über den Fünfjahreszeitraum hinaus im Rahmen der Exzellenzinitiative die dritte Ebene fördern können. Wir sind dazu bereit. ({20}) Schließlich rufe ich Sie dazu auf, uns auch bei der Einführung eines leistungsfördernden Stipendiensystems in Deutschland zu helfen. Bisher erhalten nur 2 Prozent der Studierenden in Deutschland ein Stipendium. Andere Länder haben viel höhere Quoten. Wir würden gerne mit den anderen Ländern und dem Bund zusammen diese Quote in den nächsten Jahren auf 10 Prozent erhöhen. Das wäre ein Beitrag dazu, neben der Verbesserung der Situation in der Breite auch Spitzenleute in Deutschland zu halten. ({21}) Gestatten Sie mir einen letzten Gedanken zum Thema Forschungsfreiheit. Das, was Herr Röspel zur Kernenergieforschung gesagt hat, fand ich doch schon erstaunlich. Wenn wir von der Freiheit der Forschung reden, müssen wir Freiheit auch da zulassen, wo sie uns vielleicht aus allgemeinpolitischen Opportunitäten nicht so passt. ({22}) Dr. Andreas Pinkwart, Minister ({23}) Die Vorgängerregierungen, sowohl im Bund als auch im Land Nordrhein-Westfalen, haben die Kernenergiesicherheits- und -entsorgungsforschung in NordrheinWestfalen, also in Jülich und Aachen, bewusst auslaufen lassen. Wir haben das wieder rückgängig gemacht: Aus einer moralischen Verpflichtung und unbeschadet der Frage, ob wir dauerhaft Kernenergie einsetzen, tragen wir Verantwortung dafür, dass Spitzenforschung in Deutschland auf diesen Gebieten genauso wie bei der Erforschung einer vierten Generation von Reaktoren möglich ist. ({24}) Denn wenn wir die Herausforderungen durch den Klimawandel wirklich ernst nehmen, müssen wir alle Optionen für die Zukunft, also auch dieses Gebiet, in den Blick nehmen. ({25}) Herzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Swen Schulz von der SPD-Fraktion.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nun in dieser Debatte schon einige Beiträge gehört. Ich habe meine Schwierigkeiten damit, mit welchem Pathos hier für ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz eingetreten wird. ({0}) Unbestritten gibt es einige Stellen, an denen der Wissenschaft mehr Eigenständigkeit eingeräumt werden sollte. Dazu ist ja heute einiges gesagt worden. Die Freiheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber nicht das einzige Kriterium für ein gutes Wissenschaftssystem. Das haben dankenswerterweise auch die Grünen in der Einleitung Ihres Antrages festgestellt. Man erhält immer viel Applaus, wenn man mehr Freiheit fordert. Doch zur Freiheit gehört auch die Verantwortung. ({1}) Gerade in der für die Gesellschaft so wichtigen Wissenschaft müssen wir eine klare Vorstellung davon haben, wer was tun darf und soll und wer welche Verantwortung übernehmen kann und muss. Wir könnten natürlich sagen: Bitte schön, die Wissenschaft ist vollkommen frei und kann machen, was sie will. Dann muss sie aber selber zusehen, wie sie sich finanziert. Aber diese Art von Freiheit vom Staat will natürlich niemand. Die Steuergelder sollen weiterhin fließen. Wenn jedoch öffentliche Mittel verwendet werden, dann müssen diese auch im öffentlichen Interesse eingesetzt und das muss entsprechend nachgewiesen werden. ({2}) Darüber müssen wir in Parlament und Regierung wachen. Unsere Aufgaben gehen aber noch über die Kontrolle der Verwendung von Steuergeldern hinaus. Die Wissenschaft in Deutschland - das ist Verfassungsrecht - ist frei. Doch Freiheit hat immer auch Grenzen. Darum finde ich es kritisch, dass die FDP in ihrem Antrag Forschungsverbote und bürokratische Eingriffe geißelt und dafür die kerntechnische Forschung sowie die Stammzellforschung als Beispiele benennt. Es gibt so grundsätzliche Fragen der Ethik und der Sicherheit, da können wir nicht einfach sagen, das geht uns nichts an. ({3}) Das ist nicht nur eine Sache der Wissenschaftler, sondern Thema öffentlichen Interesses. ({4}) Das muss immer im Einzelfall diskutiert und gegebenenfalls kontrovers abgestimmt werden. Aber die Möglichkeit des Einschreitens des Gesetzgebers dürfen wir uns nicht nehmen. Wir als Vertreterinnen und Vertreter des Volkes sind in der Pflicht und dürfen uns darum nicht drücken. ({5}) Im Übrigen würden wir die Wissenschaft mit dieser Aufgabe auch überfordern. Wie die SPD insgesamt hänge ich nicht irgendwelchen staatlichen Steuerungsfantasien nach. Vielmehr weise ich auf das diffizile Verhältnis von Staat und Wissenschaft hin, bei dem wir es in die eine wie auch in die andere Richtung übertreiben können. Der Staat soll nicht Einzelheiten vorschreiben. Globalhaushalte und Zielvereinbarungen sind sinnvollere Instrumente als eine Detailsteuerung. Es geht zum einen darum, staatliche Schwerpunktsetzungen zu ermöglichen, etwa durch die Auflage von thematischen Forschungsprogrammen, die im öffentlichen Interesse sind, zum Beispiel zur Sicherheit, Bildung oder Gesundheit. Zum anderen muss die Wissenschaft Freiräume haben, auf eigene Faust zu forschen, jenseits von öffentlichen Debatten. Die Politik ist eben nicht immer mit größerer Weisheit gesegnet als die der Wissenschaft innewohnende Bewegung. Dafür gibt es viele Beispiele. So hat sich bis PISA kaum jemand für die Bildungsforschung interessiert. Mit den Islamwissenschaften war es bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 ganz ähnlich. Jetzt sind wir froh, dass wir die kompetenten Wissenschaftlerinnen und Swen Schulz ({6}) Wissenschaftler haben. Darum müssen wir auch die sogenannten kleinen oder Orchideenfächer schützen. ({7}) Wir haben in der Debatte über die Geistes- und Sozialwissenschaften darüber gesprochen. Auch das ist eine Verantwortung von Wissenschaft und Politik. ({8}) Es wäre falsch, der Wissenschaft die Freiheit zu geben, sozusagen ganze Wissenschaftszweige absterben zu lassen. Aber die Wissenschaft muss so frei sein, auch gegen einen aktuellen politischen Trend die Orchideen pflegen zu können. Sie sehen also, es geht uns Sozialdemokraten um ein vernünftiges Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik, von Freiheit und Verantwortung. ({9}) Das ist ein Verhältnis, das natürlich nicht immer spannungsfrei ist, das jeweils ausdiskutiert werden muss, zu dem es aber keine gute Alternative gibt. Ich weise auf einen weiteren Punkt hin: Für die Sozialdemokratie hat der Freiheitsbegriff immer noch eine andere Dimension als für die Liberalen. Für uns geht es nicht nur um die Freiheit vom Staat. Wir verstehen Freiheit immer auch als die Ermöglichung, die Befähigung, sich zu entfalten. Der Staat muss dafür die Bedingungen schaffen. ({10}) Sonst setzen sich immer nur die Starken und die Reichen durch. ({11}) Wir wollen die Freiheit der Wissenschaft, sich Themen annehmen zu können, die nicht privat finanziert werden. Das betrifft die bereits angesprochenen Orchideenfächer, die Grundlagenforschung, auch gesellschaftskritische Wissenschaft. ({12}) Eine Wissenschaft, die sich nur dem Geld verschreibt, macht die Gesellschaft arm, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({13}) Wir müssen natürlich immer auch die Lehre mit bedenken, denn sie ist für die weitere Entwicklung der Wissenschaft von elementarer Bedeutung und darüber hinaus ein ganz wichtiges Thema für die Chancengleichheit. Zu den Studiengebühren hat bereits der Kollege Röspel das Notwendige gesagt. Ein weiteres Problem der Lehre an Deutschlands Hochschulen ist, dass sie nicht so recht belohnt wird. Sie wird als Last wahrgenommen. Der einzelne Wissenschaftler und die Hochschule erhalten Geld und Renommee über Forschung, aber nicht für die Lehre. Dazu haben auch wir mit den Programmen der Forschungsförderung beigetragen. Es liegt auf der Hand, dass wir nun endlich auch einen Schwerpunkt auf die Unterstützung und Prämierung von guter Lehre, und zwar für alle Studierenden, legen müssen. ({14}) Es gibt ein wunderbares Konzept für ein staatlich organisiertes Anreizsystem, das der Wissenschaft viel Freiheit lässt: das Prinzip „Geld folgt Studierenden“. ({15}) Danach erhalten die Hochschulen Geld, wenn sie Studierende anlocken. ({16}) Dadurch entsteht ein toller und konstruktiver Wettbewerb um die beste Lehre, Frau Flach. Die Studierenden sind dann nicht mehr eine Last, sondern werden zur Lust der Hochschulen. ({17}) Bei aller Unterstützung, die ich einzelnen Aspekten des vorgelegten FDP-Antrages gebe, ist mir der Antrag der Grünen von der ganzen Philosophie her sympathischer. ({18}) Ich habe jetzt nicht die Zeit, das im Einzelnen auszuführen; ({19}) ich denke, das glauben Sie mir auch so. Ich will nur noch die Gelegenheit nutzen, um kurz auf das von den Grünen erwähnte und sehr wichtige Thema Föderalismusreform II einzugehen. Tatsächlich haben wir im Rahmen dieser Debatte die Chance, endlich den verstaubten Investitionsbegriff der Nachkriegszeit wegzubekommen. ({20}) Er bevorzugt Ausgaben für Beton und benachteiligt Investitionen in die Köpfe; das gehört endlich geändert. Wenn wir in diesem Zusammenhang aber über eine neue Schuldenregel sprechen, dann dürfen wir eines nicht zulassen, nämlich ein Schuldenverbot. ({21}) Swen Schulz ({22}) Bei aller Sympathie für das Ziel, Schulden zu reduzieren: Es muss auch in schwierigen Zeiten Spielraum für Investitionen geben; sonst besteht die große Gefahr, dass die Mittel für die Wissenschaft reduziert werden. ({23}) Denn den Menschen liegt - das will ich ihnen gar nicht vorwerfen - die Finanzierung ihres aktuellen Lebens näher als die Ausgaben für die Zukunft. Zur Wissenschaftsfreiheit gehört aber auch eine verlässliche öffentliche Finanzierung. Diese dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Darum kommt ein Schuldenverbot überhaupt nicht infrage. Die Freiheit der Wissenschaft ist wichtig. Sie muss gestärkt werden. Gleichzeitig muss die öffentliche Verantwortung wahrgenommen werden. Das können letztendlich nur wir Volksvertreter. Das ist unsere Pflicht. Das dürfen wir nicht vernachlässigen. Herzlichen Dank. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Marion Seib von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine gestrigen Einlassungen in diesem Hohen Hause zur unkompliziert gewordenen Förderung der Forscher und Entwickler im IKT-Forschungsbereich sowie meine Forderung nach mehr internationaler Vernetzung und internationaler Kooperation kann ich heute wiederholen, diesmal nicht nur für den IKT-Bereich, sondern für die gesamte Wissenschaftsszene. In Gesprächen mit Wissenschaftlern, Forschern und Entwicklern vor Ort erntet man bei einer Darstellung der Notwendigkeiten nichts anderes als ungläubiges Kopfschütteln. Trotz der eben gehörten Meinung von Ihnen, Herr Kollege Schulz, kann man eines feststellen: Die Wissenschaftsszene braucht mehr Freiraum für fachliche Exzellenz; das will ich gerne begründen. Der Weg zu diesem Ziel ist aber mit unglaublich komplizierten und viel zu vielen Hürden verstellt. Der internationale Austausch im schriftlichen Verfahren ist ganz selbstverständlich geworden. Wer etwas mitzuteilen hat, bedient sich weltweit der englischen Sprache. Damit steht dem Wissensaustausch und der Verständigung im schriftlichen Verfahren nichts mehr im Wege. Wehe aber, wenn Wissenschaftler und Hochschullehrer versuchen, ihre Nachwuchswissenschaftler in den Genuss der Mitarbeit bei hochanerkannten ausländischen Kapazitäten zu bringen, um ihnen eventuell Referenzen für ihre künftige Tätigkeit zu verschaffen. Diese Nachwuchswissenschaftler finden die Bedingungen im Ausland dann so prima, dass sie über Jahre für Deutschland verloren sind. Oder wehe den Wissenschaftsverantwortlichen, wenn sie versuchen, Kapazitäten aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, um in der Zusammenarbeit von Forschung und Lehre den internationalen Standard zu halten oder zu fördern. Da merken sie dann, dass Deutschland nicht nur von fachlicher Konkurrenz umzingelt ist. Sie merken auch, dass sie sich einem weiteren interessanten Wettbewerb zu stellen haben, nämlich dem weltweiten Wettbewerb der Arbeitgeber um hochinteressante Leistungsträger. Diesen Wettbewerb können sie unter den zurzeit gegebenen Umständen aber nur verlieren. Wenn Beamtenrecht und sonstige öffentliche Dienstvorschriften mit den Regelwerken ausländischer Mitbewerber in Konkurrenz treten, sind die Verhandlungen gelaufen, ehe sie begonnen haben. Was ist zu tun? Wir müssen die Situation der wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen als Arbeitgeber dringend verändern. „Verändern“ heißt in diesem Fall nicht, verehrte Kollegen von der linken Seite, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir müssen der Realität ins Auge schauen. International beobachtete Forschungsfelder und veränderte Konkurrenzsituationen müssen mit neuen Instrumenten ausgestattet werden. Hierunter fallen Globalhaushalte mit Direktverantwortung gegenüber den Rechnungshöfen. Vor allem aber brauchen wir ein neues, modernes Tarifrecht mit flexiblen Elementen und Mut zur Lücke, insbesondere in den hohen Tarifstufen. Was aber am allerdringendsten gebraucht wird, ist das Vertrauen der Legislative und der Exekutive in die Redlichkeit und das Können der Verantwortlichen in den Hochschulen und den anderen wissenschaftlichen Einrichtungen. ({0}) Wir trauen den Verantwortlichen hinsichtlich ihrer intellektuellen, fachlichen, wissenschaftlichen Arbeit sehr viel zu. Wir hoffen, dass sie drängende Fragen der Gesellschaft und der einzelnen Menschen lösen, und erwarten ganz selbstverständlich, dass sie fachlich im internationalen Vergleich nicht zurückfallen. Dass sie innerhalb der vorgegebenen Möglichkeiten den besten Weg zu einer verantwortlichen Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel finden, das trauen wir ihnen aber nicht zu. ({1}) Viele können sich ihrer fachlichen Arbeit nicht ausreichend widmen, weil sie viel Zeit für die streng vorgeschriebenen, detaillierten Einnahme-Ausgaben-Rechnungen aufbringen müssen. Wir degradieren sie zu überbezahlten Buchhaltern. Klar ist: Ich bin ein Fan ordnungsgemäßer Buchhaltung und schätze das Können und den Einsatz aller Verantwortlichen, vom Buchhalter bis zum Buch-, Wirtschafts- und Steuerprüfer. Die Wissenschaftler sind in der Regel aber nicht als Buchhalter angestellt. ({2}) Sie wollen nach einhelligem Bekunden den Großteil ihrer Zeit ihren fachlichen Aufgaben widmen. Wenn wir diese Erkenntnis zugrunde legen, kommen alle politisch Verantwortlichen, im Bund wie in den Ländern, sehr schnell zu der Auffassung, dass wir rasch ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz brauchen, wie Frau Bundesministerin Schavan eben gesagt hat. ({3}) Wenn alle an diesem Prozess Beteiligten ihre ganz persönliche „Exzellenz“ einbringen, gelingt uns sicher ein guter Wurf. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Pinkwart freut sich schon. ({0}) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! - In der Tat, Herr Minister Pinkwart, mit Ihnen möchte ich beginnen. Ihr Beispiel von dem Wissenschaftler, der vorzeitig in Rente gehen musste, um dann einen 400-Euro-Job angeboten zu bekommen, hat mich zutiefst beeindruckt. Nachdem Sie sich auf dieses Thema geschwungen haben wie ein blond gelockter Jüngling aus der Antike auf sein Pferd, muss man glauben, dass Sie in NRW auf diesem Gebiet Vorbildliches geleistet haben. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben ein Experimentchen gestartet, das am 31. Dezember dieses Jahres ausläuft. So sieht mutige Politik nicht aus. ({1}) Lassen Sie die Älteren doch länger arbeiten; für das Dienstrecht seid ihr zuständig. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Stellen für Nachwuchswissenschaftler nicht besetzt werden. Wir brauchen Doppelberufungen und Ähnliches. So können wir miteinander etwas bewegen. ({2}) Kollege Schneider, Sie waren so unglaublich gesetzesbegeistert. Sie haben gesagt: Ein Gesetz ist immer gut. Nun gut, das ist Ihre Position. Vielleicht können wir uns darauf einigen: Wenn ein Gesetz nicht notwendig ist, dann ist es notwendig, dass das Gesetz nicht erlassen wird. ({3}) Das ist nicht von mir, sondern von Montesquieu. Dem können wir wohl parteiübergreifend zustimmen. Richtig ist: Wir reden hier nicht über überflüssige gesetzliche Regelungen, sondern über Rahmenbedingungen, die verbessert werden müssen, und zwar vom öffentlichen Dienstrecht bis zu den vielen anderen Bereichen, die angesprochen worden sind. Ich glaube in der Tat, wir sollten diese Debatte klar beginnen mit der Aussage - sie ist an verschiedenen Stellen erfolgt -, dass wir in Deutschland selbstverständlich die Freiheit von Wissenschaft und Forschung grundgesetzlich geschützt und verankert haben ({4}) und dass wir heute darüber reden und es unser Ziel ist, zu einer weiteren Stärkung der Wissenschaft zu kommen. Ich glaube, das bringt es auf den Punkt. ({5}) Ich kann nicht nachvollziehen, was ich diese Woche im Spiegel gelesen habe. Man hat an der einen oder anderen Stelle den Eindruck, dass dem Schreiber die Fantasie durchgegangen ist. Die Forschung in Deutschland muss nicht vor imperialistischer Politik geschützt werden. Die Forschung in Deutschland ist nicht gefesselt und nicht bewegungsunfähig. Die anhaltenden und nachhaltigen Erfolge unserer deutschen Wissenschaft in einer globalisierten Welt beweisen das ein aufs andere Jahr. Von Gängelung durch die Politik kann keine Rede sein. Ich glaube, wir sollten mit Selbstbewusstsein sagen: Für kaum eine Gemeinschaft in Deutschland hat es in den vergangenen Jahren eine derartig gute Unterstützung durch die Politik im Bund und auch einigen Ländern - bei euch mache ich ein paar Abstriche, lieber Herr Pinkwart; aber wir reden hier in erster Linie über den Bund - gegeben wie für Wissenschaft und Forschung. Ich glaube, das sollten wir an dieser Stelle gegen alle möglichen Anwürfe von anderer Seite richtigstellen. ({6}) Dies ist natürlich nicht dem Zufall geschuldet, sondern der Tatsache, dass wir bis hin zum Bundesfinanzminister der Auffassung sind - und dies nicht erst seit gestern, sondern kontinuierlich in den letzten Jahren -, dass wir selbstverständlich nicht Forschungsnation sein können, dass wir nicht Exportnation Nummer eins sein können, wenn wir im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung Infrastrukturen vernachlässigen. Aus diesem Grunde, also auch im Interesse dieses ökonomischen Ziels, sind hier verstärkte Anstrengungen notwendig. ({7}) Deswegen bin ich über den Jubel in den Ländern über die PISA-Erfolge, dass wir von Platz was-weiß-ich auf Platz 13 gerückt sind, nicht glücklich. Wir wären über Platz 13 bei den Exportnationen nicht glücklich. Wir müssen im Bereich Bildung und Forschung anstreben, wie beim Export die Nation Nummer eins zu werden. Das muss unsere Zielssetzung sein; wir sollten nicht über das eine oder andere hintere Plätzchen jubeln. ({8}) Wir haben selbstverständlich schon versucht, einiges auf den Weg zu bringen. Ich erinnere an Debatten in früheren Jahren, bei denen man gesagt hat: Stellenpläne haben Verfassungsrang, und Budgets dürfen um Gottes willen nicht übertragen werden. Hier hat es Fortschritte gegeben, und es gibt sicherlich weitere Möglichkeiten. Wir haben auf die programmorientierte Förderung umgestellt. Wir haben sie wettbewerblich ausgerichtet. Weg von der Detailsteuerung und hin zur Globalsteuerung diesen Trend wollen und können wir mit Sicherheit in den nächsten Jahren verfolgen. ({9}) Ich erinnere an den Pakt für Forschung und Innovation. Ich erinnere an die Exzellenzinitiative für Spitzenhochschulen und den Hochschulpakt, in dessen Rahmen wir über die DFG zusätzlich 700 Millionen Euro an die Hochschulen geben. Auch davon profitieren die Universitäten und die Studierenden unmittelbar. ({10}) Alle diese von mir genannten - im Übrigen vollständig wissenschaftsgesteuerten; auch dies sei noch einmal gesagt - Initiativen stehen zur Verlängerung an. Darüber werden wir reden. Ich glaube, auch hier werden wir Impulse setzen. Das heißt, es geht nicht um einen Teilaspekt, sondern um das ganze Bündel an Maßnahmen. Auf gar keinen Fall wollen wir - lieber Herr Kollege Pinkwart, darüber müssen wir noch einmal reden, wenn wir Koalitionsverhandlungen führen; ({11}) da seid ihr noch nicht ganz auf dem richtigen Trip - die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland durch eine Fremdbestimmung durch Wirtschaftsvertreter in den Universitäten ersetzen. Das kann weiß Gott nicht unser Ziel sein. So verstehen wir den Freiheitsbegriff nicht. Da habt ihr in Nordrhein-Westfalen Korrekturbedarf. ({12}) Eine zweite Legende betrifft das viel zitierte Wort vom unternehmerischen Handeln im Forschungs- und Universitätsbereich. Selbstverständlich ist im Detail prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, aber können Universitäten und Forschungseinrichtungen es tatsächlich wollen, in jedem Aspekt wie ein Unternehmen behandelt zu werden? Sollen das unternehmerische Risiko, das Versagen am Markt und Insolvenzen wirklich Alltagserfahrung im Forschungssystem werden? Diese Fragen müssen von denen, die das fordern, beantwortet werden. Wie soll qua Definition hochriskante Grundlagenforschung in ein solches Verständnis unternehmerischen Handelns eingefügt werden? Forschung birgt - wie auch das wirtschaftliche Leben - stets das Risiko des Scheiterns. Aber das Risiko des Scheiterns muss in einer Wirtschaftsordnung anders betrachtet werden als das Scheitern eines Forschungsprojektes. ({13}) Die überwiegend steueralimentierten und abgesicherten Einrichtungen sollten bedenken, dass es nicht schon unternehmerisches Handeln ist, wenn man sich als Manager geriert. An diesem Punkt sollte semantisch abgerüstet werden. Ich glaube, das ist notwendig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Notwendigkeit der Stärkung der Wissenschaft und der Sicherung von Attraktivität und Forschungsfreundlichkeit stellen wir in den unterschiedlichen Bereichen fest. Ich sage nochmals: Das, was im Spiegel zu lesen war - dass ahnungslose Beamte in den Ministerien sachkundige Vorschläge von Forschern verwerfen und nach Gutsherrenart verfahren -, ist eine bösartige Unterstellung. Das sage ich auch an die Adresse der Mitarbeiter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die gemeinsam mit den Projektträgern eine hervorragende und qualifizierte Arbeit im Sinne der Förderung von Wissenschaft und Forschung leisten. ({14}) Sie sind nicht diejenigen, die die Forscher von morgens bis abends schikanieren. Wir haben weitere Impulse gesetzt. Ich erinnere an unseren Plan, ab Herbst 2008 hochdotierte Alexandervon-Humboldt-Professuren zu schaffen. Damit werden wir international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland locken. Es gibt verschiedene Maßnahmen, um junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ins Ausland gegangen sind, zurückzuholen. Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn sie sich den Wind um die Nase wehen lassen. Wir müssen uns allerdings darüber unterhalten, wie wir denjenigen, die zurückkommen wollen, um ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen, attraktive und lukrative Bedingungen bieten können. Hierfür gibt es zwar gute Beispiele, aber wir können noch zulegen. Einige Stichpunkte zu diesem Thema sind heute bereits gesagt worden. ({15}) - Ja, die meisten sind unter Rüttgers ins Ausland gegangen. Das kann man nicht leugnen. Da unser lieber Koalitionspartner das anders sieht, will ich mich jetzt aber ein bisschen zurückhalten. Diese Bemerkung ist allerdings richtig. Am KIT, dem Karlsruhe Institute of Technology, machen wir wichtige Erfahrungen. Das ist eine tolle Geschichte. Es zeigt sich natürlich auch, welche Probleme es gibt. Hier können wir im Hinblick auf das Wissenschaftsfreiheitsgesetz noch etwas lernen. Ein Problem, mit dem das KIT zu kämpfen hat, ist: Einerseits muss sich das KIT am teilweise inkompatiblen und bürokratischen Rechtsrahmen des Landes Baden-Württemberg orientieren; Stichwort: Universität. Andererseits muss es sich nach dem Rechtsrahmen des Bundes richten, Stichwort: 90-prozentige Finanzierung des Forschungszentrums Karlsruhe und wesentlich mehr Mitwirkung des wissenschaftlichen Personals. Das kann sich in der Folge, bei der Zusammenarbeit mit der Universität, durchaus als Problem erweisen. Dieses Problem müssen wir lösen. Einen Teil dessen, was am KIT getan wird, kann nur auf der Basis rechtlicher Graubereiche geschehen. Daher müssen wir jetzt erst einmal eine öffentliche Körperschaft nach Landesrecht schaffen, um im Rahmen einer Umgehungskonstruktion die Kooperation zwischen Forschungszentrum und Universität zu ermöglichen. Das ist eine elegante Lösung. Sie zeigt aber auch, wie bürokratisch manche Hemmnisse sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem KIT haben wir einen Erfahrungsträger. Mit Blick auf die Kooperation der RWTH Aachen mit dem Forschungszentrum Jülich kann etwas Ähnliches geschehen. Dann könnten wir darüber reden, das Vorschriftendickicht von Bund und Ländern gemeinsam zu entrümpeln. Diese Gelegenheit wollen wir nutzen. Wenn zur Erreichung dieses Ziels gesetzliche Maßnahmen notwendig sind, dann werden wir handeln. Ich bin der Ministerin dankbar, dass sie auch untergesetzliche Regelungen angesprochen hat, durch die man in der einen oder anderen Frage viel schneller zu Lösungen kommen kann. Da auch das Thema Tarifverträge erwähnt worden ist, möchte ich darauf hinweisen: Für Tarifverträge ist nicht die Politik zuständig; das muss klar sein. Tarifverträge, auch im Bereich der Hochschulen, werden von den Ländern geschlossen. Die Länder haben die Tarifgemeinschaft auf den Hund kommen lassen, Herr Pinkwart. Es wäre notwendig, dass Sie hier Impulse setzen. Der Bund ist bereit, hierzu seinen Beitrag zu leisten. Die letzten Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst waren, was die Stärkung der Wissenschaft und des Nachwuchspersonals angeht, nicht gerade ein Ruhmesblatt; das ist völlig klar. Deswegen unterstützen wir die Forderung der FDP nach einem Wissenschaftstarifvertrag. An dieser Stelle können wir aber nicht handeln. Handeln müssen andere. ({16}) Mit den Grünen sind wir uns einig, dass wir für Wissenschaft und Forschung ein modernes Urheberrecht brauchen. Ganz so grässlich, wie Sie es dargestellt haben, ist das, was wir getan haben, aber nicht. Wir haben SUBITO gestärkt und im Rahmen des zweiten Korbes weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Da ich gerade sehe, dass der Kollege Manzewski hier ist, möchte ich sagen: Wir haben in der Tat noch viel zu tun, um unser Urheberrecht wissenschaftsfreundlich zu gestalten. Wir haben gute Ideen, über die wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen diskutieren werden. Lieber Herr Präsident, ich will die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass ein Gewinner dieser Debatte schon feststeht: die Forschung in Deutschland. Wir werden sie weiterhin stärken. Dafür ist der heutige Tag ein gutes Zeichen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Tauss von unserem geschätzten Koalitionspartner hat vieles gesagt, was richtig ist. ({0}) - Vieles. Wir wollen es nicht übertreiben. Ich will auf den Antrag der Grünen, der ebenfalls zur Diskussion steht, eingehen. Die Grünen haben in ihrem Antrag geschrieben: Das Wissenschaftssystem in Deutschland ist besser als sein Ruf, weist aber einige Schwächen auf … Diese Feststellung ist richtig. Diese Schwächen zu beheben, ist Aufgabe der Großen Koalition. Wir freuen uns natürlich über jeden, der daran mitarbeitet. Aus freundlicher Rücksichtnahme auf die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen wegen der Gespräche in anderer Sache und an anderer Stelle will ich auf diesen Antrag nicht näher eingehen. ({1}) Ein weiterer Antrag liegt uns vor; er stammt von der FDP. Er ist interessant zu lesen, und einige Aspekte sind durchaus zu berücksichtigen. Aber ich glaube, es ist dem Ziel, das wir erreichen wollen, nicht dienlich, wenn das Wissenschaftsfreiheitsgesetz überfrachtet wird. ({2}) Ich darf auf das verweisen, was der Kollege Tauss eben zur Frage eines Wissenschaftstarifvertrages ausgeführt hat: Er hat zu Recht gesagt, dass wir eines nach dem anderen tun sollten. Wir verfolgen mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz im Grundsatz zwei Ziele: Wir wollen weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwortung für die universitären und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Ich bin froh, dass Ministerin Annette Schavan diesem Anliegen Priorität gegeben hat. ({3}) Wir wollen praktikable, flexible Rahmenbedingungen, um die Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Wettbewerb um die besten Köpfe, um finanzielle Mittel und um Innovationen und Technologien zu unterstützen. Wir freuen uns natürlich darüber, dass Sie mitarbeiten wollen, Frau Pieper. ({4}) - Um zu treiben, hätten Sie ein halbes Jahr früher kommen müssen. Aber, wie gesagt: Wir freuen uns über jeden, der uns auf diesem Weg begleitet. Das Vorfeld ist geschaffen; die Exzellenzinitiative ist ein Stichwort. Wir wollen, um Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft in Deutschland zu akkumulieren, mit diesem Gesetz auf die großen Herausforderungen reagieren, die sich schnell wie folgt zusammenfassen lassen: erhöhte Mobilität, Bekämpfung des Braindrain. Wir brauchen einen Braingain; Herr Kollege Gehring hat das ebenfalls aufgegriffen. Wir stehen in einem globalen Wettbewerb. Es gibt einen immer schneller werdenden Wettlauf um verwertbare Produkte. Die nötige Flexibilität bei den Rahmenbedingungen ist genannt. Wissenschaft braucht Freiheit. Wir wollen dazu beitragen, dass Deutschland zu einem Magneten für Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt wird. Es gibt eine Menge zu tun. Wir haben in der vergangenen Woche lesen können, dass weniger als 500 Wissenschaftler aus Nicht-EU-Ländern zu uns gekommen sind. Das heißt, wir müssen zusehen, dass wir kurzfristig - ich bin optimistisch, dass uns das gelingt mit den Freunden der Innenpolitik sinnvolle Lösungen finden. Wir können es nicht hinnehmen, wenn es hier eine Blockade gibt. ({5}) In vielen Reden sind gute Lösungen angeklungen. Ich will den Bereich des Urheberrechtes herausgreifen. Ich freue mich, dass sich der Kollege Manzewski von unserem Koalitionspartner die Gelegenheit nicht entgehen lässt, davon überzeugt zu werden, dass wir beim dritten Korb kurzfristig Veränderungen vornehmen müssen. Wir rechnen fest mit Ihrer Unterstützung, meine Damen und Herren. ({6}) Wir wollen, dass die Entscheidungswege in den Forschungseinrichtungen schnell und unbürokratisch werden. Sie alle wissen, wie viel Zeit zum Beispiel das Ausfüllen von Reisekostenanträgen einnimmt. Diese Zeit ist in Forschung und Entwicklung besser investiert. ({7}) Wir wollen in unserer Arbeit drei Schwerpunkte setzen: Wir wollen im Bereich Personal flexible und attraktive Vergütungskonditionen, ({8}) übrigens nicht nur für die, die absolute Spitzenleistungen erbringen, sondern durchweg. Das ist geboten. ({9}) Wir wollen Anreizsysteme schaffen. Das begünstigt natürlich diejenigen, die besonders leistungsfähig sind. Diejenigen, die nicht so leistungsfähig sind, bekommen etwas weniger. Im Bereich der Haushaltssystematik wollen wir die Gesichtspunkte der Überjährigkeit, der Übertragbarkeit und der Deckungsfähigkeit von Mitteln verfolgen. Es geht uns auch um Kooperation und Vernetzung, um Beteiligungen und Ausgründungen. Wir wollen diese erleichtern. Das heißt - ich sage das ausdrücklich -: mehr Chancen, aber auch mehr Risiko. Dessen müssen wir uns bewusst sein, und das müssen wir in Kauf nehmen. ({10}) Ich glaube aber, dass die Rechnung unterm Strich aufgehen wird. Der eine oder andere Redebeitrag heute hat mich nicht überzeugt. So erinnere ich mich nur sehr ungern an den Beitrag der Linksfraktion. Bei FDP und Grünen sehe ich Nachholbedarf, aber wenigstens stimmt die grobe Richtung. Ich freue mich, diese Debatte mit der folgenden Feststellung beenden zu können: Mit Ministerin Annette Schavan und den Fraktionen der Großen Koalition werden wir im Bereich der Wissenschaftsfreiheit die wichtigen Ziele schnell erreichen. Ich danke Ihnen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/7858 und 16/8221 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8369, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3192 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 k und 16 sowie Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: 28 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes ({0}) - Drucksache 16/7252 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({1}) Rechtsausschuss Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einheitengesetzes und des Eichgesetzes, zur Aufhebung des Zeitgesetzes, zur Änderung der Einheitenverordnung und zur Änderung der Sommerzeitverordnung - Drucksache 16/8308 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 8. September 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Trinidad und Tobago über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/8251 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 1. August 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Madagaskar über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/8252 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 8. November 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Guinea über die gegenseitige Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/8253 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Bahrain über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/8254 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({6}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 30. Mai 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Sultanat Oman über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 16/8255 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Privatisierung öffentlicher Aufgaben zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft - Drucksache 16/7735 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Versorgungsqualität der Substitutionsbehandlung für Opiatabhängige verbessern - Drucksache 16/8212 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({9}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Ulla Burchardt, weitere Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für Berufsausbildung - Drucksache 16/8382 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({10}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss k) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt - Drucksache 16/7082 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 16 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäische Korps und die Rechtsstellung seines Hauptquartiers zwischen der Französischen Republik, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, dem Königreich Spanien und dem Großherzogtum Luxemburg ({12}) - Drucksache 16/8250 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({13}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten - Drucksache 16/8377 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({14}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Freiwilligen projektbasierten Klimaschutz auf verbreiteter Grundlage voranbringen - Drucksache 16/7174 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({15}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren ohne Debatte.1) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/8250 zu Tagesordnungspunkt 16 soll abweichend von der Tages- ordnung federführend im Verteidigungsausschuss bera- ten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu den Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 29 a: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes - Drucksache 16/7463 - 1) Anlage 2 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({16}) - Drucksache 16/8354 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Dr. Carl-Christian Dressel Jörg van Essen Volker Beck ({17}) Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8354, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({18}) zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ({19}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Obligatorische Haftpflichtversicherung für gewerbliche Binnenschiffe beim Transport gefährlicher Güter - Drucksachen 16/6640, 16/8030 Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faße Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8030, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6640 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt 29 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({20}) - zu der Verordnung der Bundesregierung Einundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - zu der Verordnung der Bundesregierung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Zweiundachtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - zu der Verordnung der Bundesregierung Einhundertfünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksachen 16/7795, 16/7796, 16/7797, 16/8261 Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Der Ausschuss empfiehlt unter den Buchstaben a bis c seiner Beschlussempfehlung, die Aufhebung der Verordnungen der Bundesregierung auf Drucksachen 16/7795, 16/7796 und 16/7797 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlungen sind mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 29 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 363 zu Petitionen - Drucksache 16/8201 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 363 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 29 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 364 zu Petitionen - Drucksache 16/8202 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 364 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 365 zu Petitionen - Drucksache 16/8203 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 365 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 29 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 366 zu Petitionen - Drucksache 16/8204 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 366 ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25}) Sammelübersicht 367 zu Petitionen - Drucksache 16/8205 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 367 ist bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26}) Sammelübersicht 368 zu Petitionen - Drucksache 16/8206 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 368 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27}) Sammelübersicht 369 zu Petitionen - Drucksache 16/8207 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 369 ist wiederum mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({28}) Sammelübersicht 370 zu Petitionen - Drucksache 16/8208 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 370 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 29 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29}) Sammelübersicht 371 zu Petitionen - Drucksache 16/8209 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 371 ist mit den Stimmen der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 29 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30}) Sammelübersicht 372 zu Petitionen - Drucksache 16/8210 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 372 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu den Folgerungen aus der Onlineentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Wolfgang Wieland, Bündnis 90/Die Grünen, für den Antragsteller das Wort.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Mittwoch vergangener Woche war - das darf man mit Fug und Recht sagen - ein historischer Tag. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur ein Urteil zur Onlinedurchsuchung gefällt, sondern auch ein neues Grundrecht kreiert: das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. ({0}) So wie die Schaffung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Volkszählungsurteil die rechtliche Antwort auf die automatisierte Datenverarbeitung war, ist dieses neue Grundrecht die Antwort auf die technischen Möglichkeiten des Informationszeitalters. ({1}) In Zukunft wird sich jede staatliche Gewalt daran messen lassen müssen. Deshalb war dieser 27. Februar ein stolzer Tag für die Bürgerrechte. ({2}) Ich höre „Sehr richtig!“ von der FDP. Deswegen sei es mir erlaubt, auf den Umstand hinzuweisen, dass dieser Tag nur Sieger kannte. Alle wollten etwas von dem Glanz abbekommen, von Wolfgang Schäuble über Guido Westerwelle und Christian Ströbele bis Dieter Wiefelspütz und Wolfgang Nešković. Wenn so etwas an einem Wahlabend geschieht, dann weiß der Fernsehzuschauer: Da kann etwas nicht stimmen. Deswegen möchte ich zwei Sieger der besonderen Art etwas würdigen. Dazu gehört zunächst - sorry - die FDP; sie hat sich selbst besiegt: ({3}) In liberaler Wendigkeit hat sie sowohl die Position des Klägers als auch die des Beklagten eingenommen. Sie glaubte offenbar, dadurch so etwas wie doppelte Gewinnchancen zu haben. ({4}) War Ihnen Herr Wolf etwa peinlich? Nein, Ihnen scheint wenig peinlich zu sein. ({5}) Auch Sie erklärten sich zu strahlenden Siegern. Die Reaktion des Herrn Bundesinnenministers war deutlich problematischer. Jeder weiß, dass er die Entscheidung gar nicht abwarten wollte. Wir erinnern uns an eine Koalitionskrise nach der anderen seit vergangenem Sommer, ({6}) die er dadurch ausgelöst hat, weil er immer wieder betonte, er wolle, dass sein Entwurf eines BKA-Gesetzes sofort umgesetzt wird. Er hat nicht einmal die mündliche Urteilsbegründung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, abgewartet. Noch während sie verkündet wurde, veröffentlichte er eine schriftliche Pressemitteilung mit dem Tenor, Onlinedurchsuchungen seien grundsätzlich zulässig, jetzt könne das BKA-Gesetz zügig umgesetzt werden und er sehe sich allen Ernstes bestätigt. ({7}) Verehrter Herr Staatssekretär, ich hoffe, inzwischen haben Sie das Urteil in Ihrem Haus einmal gelesen. ({8}) Dann wissen Sie nämlich: Die Onlinedurchsuchung ist grundsätzlich zulässig; das Gericht hat sie aber nur unter ganz engen Voraussetzungen für den Ausnahmefall zugelassen. Der Entwurf eines BKA-Gesetzes, den Sie vorgelegt haben, sieht vor, dass allein die Gefahr des grenzüberschreitenden internationalen Terrorismus - diese Gefahr besteht leider täglich; sie wird auch in den nächsten zehn Jahre bestehen - als Begründung für eine Onlinedurchsuchung ausreichen soll. Genau das geht nicht. In Zukunft muss eine auf Tatsachen gestützte, konkrete Gefahr für Leib und Leben, für die Freiheit oder für den Bestand des Staates gegeben sein; nur dann kann im Ausnahmefall von diesem Mittel Gebrauch gemacht werden. Im Übrigen verlangt das Gericht einen wasserdichten Schutz des Kernbereichs der privaten Lebens15584 gestaltung. Auch davon steht in Ihrem Gesetzentwurf kein Wort. Deswegen hat das Gericht nicht nur das Verfassungsschutzgesetz von NRW zerpflückt, sondern implizit auch Ihren Entwurf zerrissen. ({9}) Wir, die Grünen, hätten uns eine Entscheidung gewünscht, nach der die Onlinedurchsuchung grundsätzlich nicht zulässig ist. Wir akzeptieren, wie das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat, sagen aber: Das ist kein Prinzip „Blankoscheck“. Wir stellen die Frage: Was geschieht nun eigentlich mit denjenigen, die bei uns bereits Onlinedurchsuchungen ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt haben? Ich denke, das ist möglicherweise strafbar. Es kann doch nicht der Running Gag sein, dass sich der Staatssekretär weigert, in den Innenausschuss zu kommen, wie das beim damals zuständigen Staatssekretär der Fall war. Wir wollen endlich rechtsstaatliche Aufklärung darüber, was geschehen ist; schließlich leben wir nicht in einer Bananenrepublik. ({10}) Entscheidend ist auch Folgendes: Jetzt muss der gesamte Entwurf eines BKA-Gesetzes auf den Prüfstand. Der Entwurf enthält ein Best-of aus dem Katalog des Überwachungsstaates: Schleierfahndung, Rasterfahndung, IMSI-Catcher, großer Lauschangriff, kleiner Lauschangriff, Spähangriff per Video, Einsatz von verdeckten Ermittlern und von V-Leuten usw. Das ganze Alphabet hat man gebraucht, um diese Befugnisse zu katalogisieren. Das alles geschieht ohne die Kontrolle des Generalbundesanwaltes und ohne eine parlamentarische Kontrolle, die diesen Namen verdient. Sie glauben doch wohl nicht, dass wir eine Art FBI mit vollen geheimdienstlichen Befugnissen brauchen oder gar wollen. Die Diskussion über das BKA-Gesetz beginnt erst jetzt, und für uns ist die Richtung dabei völlig klar: Wir brauchen keinen Generalverdacht gegen alle Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen keine omnipräsente staatliche Kontrolle. Auch deswegen sagen wir an dieser Stelle noch einmal: Vielen Dank, Bundesverfassungsgericht! ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen haben eine Aktuelle Stunde unter der Überschrift „Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu den Folgerungen aus der Onlineentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.02.2008“ beantragt. Ich habe vor der Rede des Kollegen Wieland nicht verstanden, warum sie die Aktuelle Stunde beantragt haben, und nach der Rede erst recht nicht. ({0}) Denn über unterschiedliche Auffassungen haben Sie gar nicht referiert. Ich habe allerdings Verständnis dafür, dass Sie nicht über unterschiedliche Auffassungen - also über Ihren eigenen Antrag - referiert haben, weil Sie dazu nämlich gar nichts referieren können. Die Lage ist an Schlichtheit kaum zu überbieten: Erstens. Der internationale Terrorismus ist nicht nur hoch kommunikativ, sondern er arbeitet auch hoch konspirativ. Wer die Umstände der Beobachtung und Festnahme der Terroristen aus dem Sauerland kennt, weiß, dass die Überwachung der Kommunikation von überragender Bedeutung für deren Überführung war. Zweitens. Deswegen können wir auf das Fahndungsmittel der Onlinedurchsuchung nicht generell verzichten. Es geht um die Sicherung flüchtiger Beweise. Würden wir sagen, dass wir keine Onlinedurchsuchungen durchführen, würden wir den Terroristen einen staatsfreien Raum zur Kommunikation garantieren. Wir würden Ihnen signalisieren: Wenn ihr auf diese Weise weltweit kommuniziert, seid ihr vor dem Staat sicher. Genau das darf nicht geschehen. ({1}) Drittens. Wir haben immer gesagt, dass die Onlinedurchsuchung ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ist, der nur unter ganz engen Voraussetzungen und unter Einhaltung hoher rechtlicher Hürden stattfinden darf. Viertens. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt präzise definiert, wie diese rechtlichen Voraussetzungen auszusehen haben. Der Referentenentwurf zum BKAGesetz - es gab übrigens noch gar keinen Gesetzentwurf im engeren Sinne; es hat noch keinen Kabinettsbeschluss gegeben - muss entsprechend präzisiert werden. ({2}) Fünftens. Wir werden anhand der Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichtes sehr sorgfältig prüfen müssen - das kann man nicht aus der Hüfte machen -, welche Schlussfolgerungen sich beispielsweise für die Strafverfolgung im Rahmen der Strafprozessordnung und für die Gesetze der Dienste ergeben. Darüber herrscht in der Bundesregierung und zwischen den Koalitionsparteien vollkommene Übereinstimmung. Deswegen muss man in den nächsten 50 Minuten auch nicht dasselbe mit immer neuen Worten wiederholen. ({3}) Dessen ungeachtet bin ich Ihnen, Herr Kollege Wieland, für Ihren Beitrag dankbar, weil Sie damit auf zwei Dinge aufmerksam gemacht haben: Erstens war der Streitgegenstand in Karlsruhe nicht irgendein Gesetz der Bundesregierung, sondern das nordrhein-westfälische Gesetz über den Landesverfassungsschutz NRW, verabschiedet unter dem liberalen Innenminister Ingo Wolf. ({4}) Ich kritisiere das gar nicht, sondern stelle es lediglich fest. Besonders beeindruckend war allerdings der Hinweis darauf, dass eine Bundesregierung schon einmal eine Onlinedurchsuchung veranlasst hat, allerdings ohne gesetzliche Grundlage. Soweit erinnerlich, war das die Bundesregierung, an der die Bündnisgrünen beteiligt waren. ({5}) Es gehört schon eine ganze Menge Chuzpe dazu, nach dem Ausscheiden aus der Bundesregierung Aufklärung zu verlangen, obwohl man an dieser Bundesregierung selber beteiligt war. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDPFraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie sehen, habe ich etwas mitgebracht, das jeder von Ihnen im Büro haben und in das jeder ab und zu hineinschauen sollte: das Grundgesetz. Ich habe es mitgebracht, weil ich den Eindruck habe, dass die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen jedenfalls in den Koalitionsfraktionen seit langem nicht mehr hineingeschaut haben. Ich möchte Sie auf Art. 20 Abs. 3 hinweisen: Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. Leider haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder erleben müssen, dass sich die Mehrheit dieses Parlaments über diesen Artikel hinweggesetzt hat. Das ist beim Luftsicherheitsgesetz, beim Verbraucherinformationsgesetz und bei vielen anderen Gesetzen so gewesen. An dieser Stelle möchte ich zwei Herren auf der Zuschauertribüne begrüßen - das können Sie mir nicht übel nehmen -, die dafür gesorgt haben, dass das Bundesverfassungsgericht Geschichte geschrieben hat: unseren ehemaligen Kollegen Burkhard Hirsch und unseren ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum. ({0}) Wir befassen uns heute zum wiederholten Mal mit einer weiteren Niederlage der Mehrheit dieses Parlaments. Das, was Herr Schily begonnen hat - darauf hat mein Kollege Bosbach zu Recht hingewiesen -, haben Herr Schäuble und die Große Koalition ungehindert fortgesetzt. ({1}) Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, sagen, dass Sie das gar nicht gemacht hätten, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Sie alle dem Bundeshaushalt 2007 zugestimmt haben, der heimliche Onlinedurchsuchungen vorsieht. Die Warnungen, die wir von der FDP und andere Oppositionsfraktionen in diesem Zusammenhang geäußert haben mit der Bitte, das zu überdenken, sind von Ihnen rüde beiseite gewischt worden. ({2}) Der Bundesinnenminister hat sogar gesagt: Frau Piltz, ich brauche keine Rechtsgrundlage. Die innenpolitischen Sprecher von SPD und CDU/CSU haben dem nicht widersprochen. ({3}) Ganz im Gegenteil: Sie wollten Onlinedurchsuchungen ohne ein konkretes Gesetz. Das ist also genauso Ihre Niederlage wie die meines Innenministers in NordrheinWestfalen. ({4}) Ich sage Ihnen nur eines dazu: Ingo Wolf hat sicherlich verloren. Aber er hat ein Gesetz gemacht und als einziger Innenminister in diesem Land versucht, eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Damit ist er jetzt gescheitert. ({5}) Aber Sie haben es erst gar nicht versucht. Im Übrigen ist er nicht nur mein Minister, sondern auch der Minister der CDU. Sie sind in Nordrhein-Westfalen genauso baden gegangen wie wir. Schieben Sie das nicht uns in die Schuhe! Das ist eine Unverschämtheit. ({6}) Der Erfolg hat immer viele Väter. Dass Sie sich alle freuen, ist aus meiner Sicht angesichts dessen verwunderlich, was uns Karlsruhe auf den Weg gegeben hat. Es wurde schon gesagt: Ein neues Grundrecht ist geboren worden. Ich nenne es kurz IT-Grundrecht, sodass es leichter zu handhaben ist. Es ist ein weiterer Baustein zum Schutz der Freiheit der Bürger. Aber was ist nach einer kurzen Selbstfeierstunde der Großen Koalition passiert, die aus meiner Sicht eher hätte Buße tun müssen? Das BKA-Gesetz solle nun schnell kommen, sagt der Kollege Uhl. Damit könne man in einigen Wochen fertig sein, wenn Frau Zypries - so gesehen haben die Grünen recht, auch wenn es nicht meine Sache ist, sie zu verteidigen - nicht durch juristische Rechthaberei stören werde. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: juristische Rechthaberei nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts! Der Kollege Wiefelspütz findet es nicht schwierig - er ist offenbar vorsichtshalber nicht anwesend -, das Urteil im BKA-Gesetz umzusetzen. Sie versuchen nicht einmal mehr, den Schein zu wahren. Das ist kein respektvoller Umgang mit dem Bundesverfassungsgericht und dem Grundgesetz. Ich kann nach Ihren Äußerungen nur eines vermuten: Sie haben das Urteil gar nicht zu Ende gelesen. ({7}) Sie haben dort aufgehört zu lesen, wo es darum geht, dass das neue IT-Grundrecht nicht schrankenlos ist. Aber die Schranken haben es in sich, nicht nur in prozessualer Hinsicht, sondern auch in materieller. Wir sind sehr gespannt darauf, wie Sie das in ein paar Wochen umsetzen wollen. Ich kann mir das nur schwer vorstellen. Es ist nicht juristische Rechthaberei, sondern der Respekt vor unserer Verfassung, der es gebietet, mit diesem Urteil anders umzugehen. ({8}) Im Unterschied zu Ihnen sehen wir, die Liberalen, zuerst das Grundrecht und dann die Einschränkung. Sie sehen zuerst die Schranken und, wenn überhaupt, dann das Grundrecht. Das ist wirklich sehr bedauerlich. ({9}) So verwundert es mich nicht, dass ich von Herrn Schäuble nur gehört habe, es sei gut, dass es Schranken der Freiheit gebe. Frau Zypries hat immerhin angedeutet, dass Freiheitsrechte erweitert worden sind. Da ist der Unterschied in dieser Großen Koalition. Zum Schluss möchte ich Ihnen noch einen Satz zum Nachdenken mitgeben, den Sie sich bei all Ihren Gesetzesvorhaben immer vergegenwärtigen sollten. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Eine Erhebung solcher Daten beeinträchtigt mittelbar die Freiheit der Bürger, weil die Furcht vor Überwachung, auch wenn diese erst nachträglich einsetzt, eine unbefangene Individualkommunikation verhindern kann. Das gilt nicht nur in Bezug auf Eingriffe in Rechte gemäß Art. 10 Grundgesetz.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme sofort zum Schluss. - Wenn Freiheit immer mehr als Hindernis wahrgenommen wird, wenn sich derjenige, der sich auf seine verfassungsrechtlich verbürgten Freiheitsrechte beruft, rechtfertigen muss, verlieren die Grundrechte an Substanz. Das ist mit der FDP nicht zu machen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Rudolf Körper, SPD-Fraktion.

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich muss noch einmal den Titel dieser Aktuellen Stunde zitieren: „Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu den Folgerungen aus der Onlineentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008“. Abgesehen davon, dass das Bundesverfassungsgericht nicht online entscheidet, gibt es auch keine unterschiedlichen Auffassungen über die Folgerungen und Konsequenzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Problematik der Onlinedurchsuchung. ({0}) Die Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen reden nach meinem Dafürhalten über ein Phänomen, das es nicht gibt. Deswegen wäre diese Aktuelle Stunde nicht notwendig gewesen. ({1}) - Warum ich rede? Weil beispielsweise Ihr Redebeitrag von Unrichtigkeiten geprägt war. Wenn Sie, Frau Piltz, sagen, es seien Mittel bereitgestellt worden, um Onlinedurchsuchungen durchzuführen, so ist das schlichtweg falsch, weil es um Mittel ging, um die Möglichkeit von Onlinedurchsuchung zu erforschen, und das war richtig und gut so. Diese Forschung braucht man, wenn man über dieses Instrument redet. ({2}) Bundesjustizministerium und Bundesinnenministerium müssen sich mit dem Urteil beschäftigen. Es ist etwas über das Thema Strafverfolgung gesagt worden; das bedarf einer sorgfältigen Prüfung. Diese Prüfung betrifft die Umsetzung des Urteils. Was das Bundeskriminalamt anbelangt, so werden wir zügig entscheiden. Ich finde, es ist wichtig, dass wir diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet haben. Ich will hier bekennen, dass wir auf unser Betreiben hin abgewartet haben. Es ist schon gesagt worden, dass es im Grunde genommen nicht nur um das Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen ging. Ich bin überrascht, dass es offensichtlich nur Gewinner und Sieger gibt und dass das Urteil von Karlsruhe allseits freundlich aufgenommen wurde. Richtig ist, dass das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme durch die Entscheidung geschaffen wurde, und das ist gut so. Das ist auch der Maßstab für die weitere Vorgehensweise. ({3}) Ich denke, wir sind da auf einem guten Wege. Dieses Urteil schützt die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, und es ist ausgesprochen praxisorientiert. Es schützt auf der einen Seite die Bürger vor unverhältnismäßigen Eingriffen des Staates in die Freiheitsrechte, und es ermöglicht auf der anderen Seite, dass der Staat seinerseits die Bürgerinnen und Bürger vor verbrecherischen Angriffen schützen kann, worauf die Bürger ebenfalls einen Anspruch haben, was ich unterstreichen möchte. Ich finde auch, dass wir ein Bundeskriminalamt brauchen, das dem entspricht, was wir mit dem BKA-Gesetz konzipieren; denn der terroristischen Herausforderung muss durch eine schlagkräftige Einrichtung wie das Bundeskriminalamt, das in Gesamtdeutschland tätig ist, begegnet werden. Es ist längst erforderlich, dass wir ein solches Bundeskriminalamt mit diesen Kompetenzen bekommen. ({4}) Deswegen werden wir die anstehenden Entscheidungen entlang der Maßgabeentscheidung von Karlsruhe treffen. Onlinedurchsuchungen sind nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten für eine konkrete Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut möglich. Ihre Anordnung unterliegt grundsätzlich dem Richtervorbehalt. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist zu gewährleisten. Das sind ganz wichtige Vorgaben dieser Karlsruher Entscheidung, die - dessen bin ich mir sicher - ihren Niederschlag finden werden. Auch halte ich es für wichtig, dass die Karlsruher Entscheidung ein sogenanntes zweistufiges Schutzkonzept vorsieht, was die Datenerhebung und -weitergabe anbelangt. Es war gut, dass wir diese Entscheidung abgewartet haben. Dies wird uns die Gesetzesberatung erleichtern. Ich bin sicher, dass wir diese Baustelle BKA-Gesetz in relativer Zügigkeit zu Ende bringen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Jan Korte, Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zumindest nach dieser Aktuellen Stunde ist eines geklärt - deswegen hat sie sich auch gelohnt -: Die SPD ist in der Frage der Onlinedurchsuchung umgefallen. Das ist nach Ihren Ausführungen jetzt klar; Sie werden diesen weiteren Grundrechtseingriff mittragen. Nun zu dem Urteil: Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat wieder einmal einer schrankenlosen Lawand-Order-Politik Einhalt geboten. Beim letzten Mal - das muss man der Fairness halber auch sagen - war es das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz, das die Grünen mitgetragen haben. Das darf man auch nicht ganz außen vor lassen. Zweitens. Wir begrüßen, dass ein Grundrecht - ich übersetze es - auf digitale Intimsphäre geschaffen wurde, das es künftig zu beachten gilt. Dies unterstützen wir Linken ausdrücklich. Dieses Urteil zeigt - das ist das Entscheidende, und deshalb müssen wir hier auch darüber diskutieren -, dass es jetzt an der Zeit ist, in sich zu gehen. Mehr noch, nach diesem Urteil wäre es eigentlich sinnvoll, ein Moratorium zu beschließen und sämtliche Schäuble’schen Sicherheitsvorstellungen, die hier auf dem Tisch liegen und in jeder Woche neu ins Parlament gebracht werden, erst einmal auf Eis zu legen und mit Bürgerrechtsorganisationen und vielen anderen zu diskutieren und zu evaluieren. ({0}) Natürlich ist es eine politische Auseinandersetzung, die wir hier führen müssen. Die Linke sagt mit Blick auf das Urteil ganz klar: Nicht alles, was technisch und übrigens auch rechtlich möglich ist, muss gemacht werden. Das muss es mitnichten, wir müssen hier eine politische Entscheidung treffen. ({1}) Die politische Entscheidung liegt darin, ob wir im Sinne von Wolfgang Schäuble und der Union den Weg in den präventiven Überwachungsstaat weitergehen wollen, der immer auch mit viel Angst in der Gesellschaft verbunden ist und die Gesellschaft lähmt und verunsichert, oder ob wir weiter auf einen offenen, freiheitlichen, selbstbewussten und aufmüpfigen sozialen Rechtsstaat setzen wollen. Diese Frage muss hier politisch entschieden werden. Ich kann der SPD nur raten, sich eher uns anzuschließen. In Hessen haben Sie gezeigt, dass Sie zu Umkehr und Einsicht fähig sind. Das sollten Sie bei dieser praktisch-inhaltlichen Frage endlich einmal nachvollziehen. Drittens. Ich komme noch einmal zum Kern dessen, worum es bei der Onlinedurchsuchung geht. Darüber ist nun viel geschrieben worden, und man muss sich überlegen, was das bedeutet. Über jeden Menschen, der einen Laptop oder einen privaten PC hat, kann man bei einer Onlinedurchsuchung wirklich fast alles erfahren: von Liebesbriefen über Fotos bis hin zu Steuererklärungen usw. Weil man alles erfährt, ist der Eingriff in dieses Grundrecht der digitalen Intimsphäre so schlimm. Nun kommt das Entscheidende, weshalb wir sagen, dass wir die Onlinedurchsuchung überhaupt nicht brauchen. Als Linke haben wir eine sehr kluge Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die überraschenderweise auch sehr klug geantwortet hat. Wir wollten von der Bundesregierung wissen, Herr Staatssekretär, ob es zu Onlinedurchsuchungen keine Alternative gibt, ob man sie also unbedingt braucht, um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu gewinnen. Ich zitiere jetzt aus der Antwort - ich finde sie sehr richtig; wir unterstützen sie ausdrücklich -: Im Zuge von Online-Durchsuchungen können regelmäßig dieselben Erkenntnisse gewonnen werden wie durch „offene“ Durchsuchungen und die Auswertung sichergestellter Computerdateien. ({2}) Das sagen Sie. Es ist ganz einfach: Wir müssen darauf verzichten. Wir sollten das zum Anlass nehmen, einen grundsätzlichen Richtungswechsel in der Innenpolitik vorzunehmen. Ich glaube, das ist auch politisch geboten. Kollege Wieland hat Richtiges zum Referentenentwurf des BKA-Gesetzes gesagt: Wir brauchen mitnichten ein deutsches FBI; wir sollten weiter auf eine föderale Struktur setzen - das ist eine wichtige Erfahrung aus der Geschichte -, um keine Zentralisierung von Geheimdienst- und Polizeikompetenzen zuzulassen. ({3}) Die föderale Struktur sollten wir nicht aufgeben. ({4}) Angesichts der Debatten in der Bevölkerung ist es wichtig, auch einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass offensichtlich nicht nur die Linke und das Bundesverfassungsgericht, sondern in zunehmendem Maße auch die Bevölkerung einfach keinen Bock mehr haben auf die ständigen Überwachungsmaßnahmen, die uns hier jede Woche vorgelegt werden. Diese Maßnahmen bringen weniger Sicherheit. Wir brauchen sie nicht, wie die Bundesregierung selber sagt. Deswegen ist es jetzt wirklich an der Zeit, hier eine Umkehr vorzunehmen, einfach einmal in sich zu gehen und in diesem Falle vielleicht wirklich mehr und nicht weniger Freiheit zu wagen. Das hat immerhin die Bundeskanzlerin hier großspurig angekündigt und das könnte man wirklich einmal umsetzen. Schönen Dank für die unfreundliche Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Jerzy Montag, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Bosbach, lieber Kollege Körper, Ihr Versuch, hier in Ihren beiden Beiträgen Einigkeit vorzugaukeln, ist unwahr, durchsichtig und lächerlich. ({0}) Jeder in der Republik weiß von den tiefen Zerwürfnissen zwischen dem Justizministerium und dem Innenministerium in dieser Frage. ({1}) Sie haben es tatsächlich geschafft, dies hier unter dem Deckel zu halten, indem Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen den Mund verboten haben. ({2}) Es ist ein einmaliger und parlamentarisch erbärmlicher Vorgang, dass Sie auf Ihre Redebeiträge verzichten und aus einer Aktuellen Stunde eine halbe machen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 27. Februar 2008 den Bürgern ein großes Geschenk gemacht. Wir alle haben ein neues Grundrecht erhalten. Das letzte Mal geschah dies vor 25 Jahren. Dieses Grundrecht lautet: Die Vertraulichkeit und Integrität des informationstechnischen Systems jedes Menschen wird gewährleistet. Nach der Urteilsverkündung hörten wir manche Beifallsbekundungen. Manche klangen arg gekünstelt und spitzlippig. Manche waren schlicht verlogen. Wir Grünen sagen an dieser Stelle aus vollem Herzen und innerer Überzeugung Dank nach Karlsruhe für diese Entscheidung und für dieses neue Grundrecht. Ich will die entscheidenden Sätze in Erinnerung rufen: Die moderne Informationstechnik und die weltweite Vernetzung von auf dieser Technik aufbauenden Informationssystemen begründen für den Einzelnen neue Persönlichkeitsgefährdungen. Jeder Mensch ist darauf angewiesen, dass der Staat seine ungehinderte Persönlichkeitsentfaltung gewährleistet, hier die Vertraulichkeit und Integrität der zur Persönlichkeitsentfaltung genutzten informationstechnischen Systeme. Sowohl der Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses als auch der Schutz der Wohnung, des informationellen Selbstbestimmungsrechts und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinterlassen auf diesem Gebiet Schutzlücken, und diese Schutzlücken werden durch das neue Grundrecht nunmehr geschlossen. Das Grundrecht gilt nicht schrankenlos. Für den Präventivbereich hat das Bundesverfassungsgericht höchste Grenzen festgelegt. Zum Repressivbereich hat sich das Bundesverfassungsgericht nicht geäußert. Die Grenzen dürften wegen der bereits realisierten Gefahr aber sicherlich noch höher zu ziehen sein. Ein effektiver absoluter Kernbereichsschutz und ein umfassender Richtervorbehalt sind für das Bundesverfassungsgericht die Mindestvoraussetzungen, die einzuhalten sind. Ausdrücklich hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Fragen, ob Onlinedurchsuchung und Onlineüberwachung geeignete und erforderliche Mittel sind, vom Gesetzgeber zu beurteilen und zu entscheiden sind. Damit ist der Bundestag am Zug. Wir Grüne sagen zu dieser Frage ganz deutlich: Bisher ist von den Sicherheitsbehörden nichts Konkretes vorgetragen worden, das den Einsatz über den Bereich der Internettelefonie hinaus als unabweisbar notwendig erscheinen lassen würde. In der Abwägung zwischen unkonkreten, zum Teil herbeifabulierten möglichen abzuwehrenden Gefahren oder Fahndungserfolgen und dem essenziellen erheblichen Grundrechteschaden nicht nur für einzelne Betroffene, sondern potenziell für alle Nutzer des neuen informationstechnischen Systems entscheiden wir uns heute gegen den Einsatz von Trojanern, Schadsoftware und Firewall-Überwindungsprogrammen in der Hand des Staates. ({3}) Meine Damen und Herrn, wie wird es weitergehen? In der taz lesen wir: Schäuble hat das bekommen, was er wollte. Er muss seinen Gesetzentwurf nicht umschreiben. - Prantl schreibt in der Süddeutschen: Schäuble wird sein geplantes Onlinedurchsuchungsrecht ganz neu fassen müssen. - Die bedächtigen und richtigen Worte der Justizministerin Zypries in allen Ehren - nach den Erklärungen von Bosbach, Uhl und anderen erwarten wir von der Union einen brutalstmöglichen Angriff auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und auf das neue Grundrecht. ({4}) Für die CSU meldet sich schon Frau Merk aus Bayern und will die Onlinedurchsuchung zur Verfolgung der Kinderpornografie einsetzen. Das wird zu einer Aufblähung wie im Fall des § 100 a StPO führen. Es stimmt uns sehr nachdenklich, dass BKA-Chef Ziercke erklärt, die öffentliche Debatte über die Onlinedurchsuchung müsse jetzt ein Ende haben. Dies kommt für uns Grüne überhaupt nicht infrage. ({5}) Wir wollen die Onlinedurchsuchung nicht. Wir werden darüber reden, besonders in diesem Parlament. Die Debatte ist jetzt eröffnet. ({6}) Wir warten auf Ihren Gesetzentwurf. Wir versprechen Ihnen: Wir werden Sie an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu messen wissen. Danke. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. ({0}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten - Drucksachen 16/6519, 16/6967 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) - Drucksache 16/8256 - Berichterstattung: Abgeordnete Markus Grübel Sibylle Laurischk Kai Gehring b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Hellmut Königshaus, Dr. Karl Addicks, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Jugendfreiwilligendienste in einen gemeinsamen Gesetzesrahmen zusammenfassen - zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jugendfreiwilligendienste ausbauen und Gesamtkonzeption entwickeln - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zu Prüfaufträgen zur Zukunft der Freiwilligendienste, Ausbau der Jugendfreiwilligendienste und der generationsübergreifenden Freiwilligendienste als zivilgesellschaftlicher Generationenvertrag für Deutschland - Drucksachen 16/6769, 16/6771, 16/6145, 16/8256 Berichterstattung: Abgeordnete Markus Grübel Sibylle Laurischk Kai Gehring Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Markus Grübel, CDU/CSU-Fraktion. ({3})

Markus Grübel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der letzten Zeit viel über junge Menschen in Deutschland gesprochen, die uns Sorgen machen. Ich denke zum Beispiel an die unsäglichen Vorfälle in der Münchner U-Bahn. Heute haben wir andere junge Menschen im Blick: junge Menschen, die zupacken anstatt zuzuschlagen, junge Idealisten, junge Frauen und junge Männer, die ihre Zeit für andere Menschen und für das Gemeinwohl einsetzen. Dies tun sie im Freiwilligen Sozialen Jahr, im Freiwilligen Ökologischen Jahr und in den verschiedensten Freiwilligendiensten im Ausland. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat sich auf die Fahnen geschrieben, das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland und dessen Rahmenbedingungen zu verbessern. Jugendfreiwilligendienste sind eine ganz besondere Form von bürgerschaftlichem Engagement. ({0}) Jedes Jahr leisten fast 30 000 junge Menschen einen Freiwilligendienst. Freiwilligendienste in der Jugend ermöglichen neue Lernerfahrungen, geben Orientierung bei der persönlichen Berufswahl und vermitteln wichtige fachliche, soziale und interkulturelle Fähigkeiten. Sie stärken die Selbstständigkeit, das Selbstbewusstsein und auch das Verantwortungsbewusstsein von jungen Menschen. Durch die Verknüpfung von Bildung und Übernahme konkreter Verantwortung sind sie seit vielen Jahrzehnten ein wichtiges Bindeglied zwischen Schule und Beruf sowie Schule und Studium. ({1}) Aus diesem Grund werden das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr vom Staat gefördert. Wir haben seit 2006 die Haushaltsmittel für die Freiwilligendienste erhöht: von rund 16,2 Millionen Euro auf 20,2 Millionen Euro. ({2}) Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden die Rahmenbedingungen für Jugendfreiwilligendienste weiter verbessert. Der Gesetzentwurf greift damit auch eine zentrale Forderung des vom 15. Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend beschlossenen Antrages „Zukunft der Freiwilligendienste“ auf. Der vorliegende Gesetzentwurf fasst die zwei bestehenden Gesetze über das Freiwillige Soziale Jahr sowie über das Freiwillige Ökologische Jahr zusammen, behält aber die guten Grundsätze der seitherigen Gesetze. Es gilt also: Aus zwei mach eins. Außerdem hebt der Gesetzentwurf hervor, dass Jugendfreiwilligendienste an Lernzielen orientierte Dienste sind und streicht damit den Bildungscharakter der Dienste stärker als bisher heraus. Weiterhin wird die Möglichkeit eröffnet, einen kombinierten Jugendfreiwilligendienst im In- und Ausland abzuleisten. Gerade an einem kombinierten Jugendfreiwilligendienst im In- und Ausland sind junge Menschen ganz besonders interessiert. Ich nehme an, dass sich auch die Trägerlandschaft auf diese neue Möglichkeit einstellen wird. So erhalten junge Menschen, die zum Beispiel im Inland mit betreuungsbedürftigen Menschen bzw. mit pflegebedürftigen älteren Menschen arbeiten, die Chance, eine ähnliche Arbeit im Ausland unter ganz anderen Bedingungen zu verrichten und gleichzeitig ihre Sprachkenntnisse zu verbessern und eine andere Kultur kennenzulernen. So kann man am Ende auch gute Vergleiche zwischen dem, wie etwas in Deutschland gemacht wird, und dem, wie etwas im Ausland gemacht wird, ziehen. ({3}) Schließlich eröffnet das Gesetz einen gangbaren Weg, um die Umsatzbesteuerung von Jugendfreiwilligendiensten zu vermeiden. Im Rahmen der Beratungen hier im Bundestag wurden am Gesetzentwurf noch Änderungen vorgenommen. Exemplarisch möchte ich auf die Markennamen FSJ und FÖJ, also Freiwilliges Soziales Jahr und Freiwilliges Ökologisches Jahr, eingehen. Im ursprünglichen Gesetzestext waren noch die Begriffe „freiwilliger sozialer Dienst“ und „freiwilliger ökologischer Dienst“ vorgesehen. Die eingeführten Namen bleiben nun erhalten. Beide Begriffe sind in der Gesellschaft, insbesondere bei jungen Leuten, sehr positiv belegt und haben einen hohen Wiedererkennungswert. Wir hätten auch nicht die Werbemittel wie zum Beispiel Eon, um einen neuen Namen bekannt zu machen. Selbst wenn wir sie hätten, würden wir sie sinnvoller einsetzen. Die in der breiten Öffentlichkeit bekannten Abkürzungen FSJler oder FÖJler bleiben also erhalten; sie haben sich, wie gesagt, bewährt. „Ich bin FSJler“, ist kurz und prägnant. Demgegenüber klingt der Satz: „Ich leiste einen freiwilligen sozialen Dienst, der ein Jahr dauert“, doch etwas umständlich und kommt der Jugend nicht so leicht über die Lippen. Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass der Dienst zeitlich flexibilisiert wird. Der Regeldienst beträgt, wie schon die Namen Freiwilliges Soziales Jahr bzw. Freiwilliges Ökologisches Jahr sagen, zwölf Monate. Er kann um bis zu sechs Monate auf achtzehn Monate verlängert werden. Er kann auch kürzer sein, die Minimaldauer beträgt sechs Monate. Er kann dabei in Drei-Monats-Abschnitten aufgeteilt und mit Abständen geleistet werden. Wenn ein besonderes pädagogisches Konzept vorliegt, kann der Dienst auf maximal 24 Monate verlängert werden. Allerdings wird im Gesetzentwurf klargestellt, dass der Träger darüber entscheidet, ob er solche Möglichkeiten anbietet, da nicht bei jedem Freiwilligendienst ein kurzer sechsmonatiger Dienst sinnvoll ist. Das Gesetz soll nun zum 1. Juni 2008 in Kraft treten. Wir haben aber entsprechend sichergestellt, dass Altverträge nicht nachträglich die Rechtsgrundlage verlieren. So ist die Berücksichtigung des Kindergeldanspruchs innerhalb des Programms „weltwärts“ ab dem 1. Januar 2008 gewährleistet. Vor dem Hintergrund unseres Nationalen Integrationsplans wollen wir, dass mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund und mehr benachteiligte Jugendliche einen Jugendfreiwilligendienst leisten. Ich möchte aber bei den Begrifflichkeiten zur Vorsicht mahnen: Nicht jeder Jugendliche mit Migrationshintergrund ist ein benachteiligter Jugendlicher. Wir definieren ja häufig auch Hauptschüler als benachteiligte Jugendliche, aber nicht jeder Hauptschüler ist ein benachteiligter Jugendlicher. Hier wäre es schwer, andere Begrifflichkeiten zu finden. Unser Ziel ist nun, dass diese Gruppe, die unterdurchschnittlich bei Jugendfreiwilligendiensten vertreten ist, stärker dafür gewonnen wird und sich mehr daran beteiligt. Wir müssen allerdings sehen, dass hier der Zahl Grenzen gesetzt sind, weil problematische Jugendliche häufig auch einen erhöhten Betreuungsbedarf für Träger und Einsatzstelle nach sich ziehen. Hier stößt man schnell an Grenzen. Deshalb muss das Verhältnis stimmen. Wir wollen auch, dass sich Migrantenorganisationen stärker als Träger oder als Einsatzstellen am Jugendfreiwilligendienst beteiligen. Dazu bringen wir einen Entschließungsantrag ein. Ich hoffe, dass dieser EntschlieMarkus Grübel ßungsantrag mit den Stimmen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages beschlossen wird. ({4}) Fragen zur Umsatzsteuer waren ein Auslöser für dieses Gesetz. Seit mehreren Jahren drohen den Trägern Umsatzsteuernachforderungen. Für kleine Träger könnten diese Forderungen für zurückliegende Zeiten erhebliche Probleme bedeuten und existenzbedrohend sein. Seit mehreren Jahren vertreten das Bundesfinanzministerium und die Länderfinanzverwaltungen die Auffassung, dass zwischen Träger und Einsatzstelle ein umsatzsteuerrechtliches Leistungsaustauschverhältnis begründet wird mit der Konsequenz, dass eine Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent anfällt. Ausgangspunkt der Debatte war Baden-Württemberg. Dort hatte das Deutsche Rote Kreuz eine Umsatzsteuerprüfung gehabt. Die Finanzverwaltung war der Meinung, dass umsatzsteuerpflichtige Vorgänge vorliegen. Im Prinzip kann man diese Thematik mit der Überlassung von Arbeitskräften durch Zeitarbeitsfirmen vergleichen. Wir waren uns aber hier im Bundestag fraktionsübergreifend einig, dass die Jugendfreiwilligendienste grundsätzlich nicht umsatzsteuerpflichtig sein sollen. Im Gesetz haben wir einen Weg gefunden, der das Problem weitgehend beseitigt. Abschließend danke ich allen jungen Menschen, die freiwillig für andere einen Dienst tun. Junge Menschen leisten dadurch einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft und profitieren auch selbst davon. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk, FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dem Dank an die Jugendlichen, die einen Freiwilligendienst leisten, können wir uns uneingeschränkt anschließen. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode haben wir ja einen fraktionsübergreifenden Antrag vorgelegt und darin unsere besondere Wertschätzung für die Jugendfreiwilligendienste zum Ausdruck gebracht. ({0}) Die Koalition behauptet, in dem vorgelegten Gesetzentwurf den gesamten Antrag aus der letzten Legislaturperiode umzusetzen. Das stimmt leider nicht, da fraktionsübergreifend das Hauptanliegen des damaligen Antrags der quantitative Ausbau der Jugendfreiwilligendienste war. Damit war der Ausbau der bestehenden Dienste gemeint. Nun erleben wir beim Ausbau von FSJ und FÖJ eine Stagnation, obwohl noch immer wesentlich mehr Jugendliche dieses Angebot nachfragen, als Plätze vorhanden sind. Gleichzeitig erfolgt die explosionsartige Bereitstellung von Freiwilligendiensten in anderen Ministerien. Daher ist festzustellen: Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird die Anzahl der Plätze bei den Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ nicht erhöht. Durch die Reduzierung des Gesetzes auf Regelungen im Bereich FSJ und FÖJ werden die sozialund sozialversicherungsrechtlichen Widersprüchlichkeiten bei den Jugendfreiwilligendiensten sogar noch verschärft. Von einer Umsetzung des gemeinsamen früheren Antrages kann also keine Rede sein. ({1}) Sie wissen, dass es die FDP jugendpolitisch für nicht hinnehmbar hält, dass es einen Rentenversicherungsanspruch für Teilnehmer des FSJ gibt, aber nicht für „weltwärts“-Teilnehmer. „Weltwärts“ ist der vom Entwicklungshilfeministerium quasi aus dem Zylinder gezauberte neue internationale Freiwilligendienst. Die SPD-Ministerin Wieczorek-Zeul und ihre Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Karin Kortmann, stemmen sich mit allen Mitteln dagegen, den „weltwärts“-Teilnehmern die gleichen Rechte wie den FSJ-Teilnehmern zu gewähren. Das ist eine etwas eigenartige Auffassung von Gerechtigkeit, die ich mir eigentlich nur mit den derzeitigen Diskussionen in Hessen erklären kann. „Weltwärts“ ist ein Novum, da die Teilnahme bis zu zwei Jahren dauern kann und dies sozialversicherungsrechtlich eine massive Schlechterstellung gegenüber anderen Freiwilligendiensten bedeutet. Man bedenke, dass die Bundesregierung das Renteneintrittsalter gerade um zwei Jahre mit der Begründung angehoben hat, dass die bisherige Einzahlungsdauer in die Rentenversicherung nicht mehr ausreiche, und nun jungen Menschen bei „weltwärts“ Beitragszahlungen verweigert. Weiterhin regelt das Gesetz zwar den Kindergeldanspruch für den Teilnehmerkreis des „weltwärts“-Programms, aber nicht für den sogenannten Anderen Dienst im Ausland. Das ist deshalb besonders unverständlich, da das „weltwärts“Programm auf den Bestimmungen des Anderen Dienstes im Ausland aufbaut. ({2}) Beides sind sogenannte ungeregelte Dienste. Der ADiA, der Andere Dienst im Ausland, fällt direkt in den Regelungsbereich des Familienministeriums. Folgendes ist daher eine Fußnote zum anstehenden Weltfrauentag: Das Bundesamt für Finanzen hat als vorgesetzte Dienststelle im November 2006 eine Weisung zu § 34 Einkommensteuergesetz erlassen, wonach kein Kindergeld mehr an Eltern von jungen Frauen gezahlt wird, die den Anderen Dienst im Ausland ausüben, während Eltern von jungen Männern, die diesen Dienst nach einer anerkannten Kriegsdienstverweigerung gemäß § 14 b ZDG ausüben, weiterhin Kindergeld bekommen. ({3}) Die Konsequenz bei den betroffenen Eltern ist nicht nur der Wegfall des Kindergeldes, sondern der Wegfall aller Leistungen, die direkt an den Kindergeldbezug anknüpfen. Beispielsweise bekommen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes keine Erhöhung des Ortszuschlags mehr. Eltern, die das sogenannte Baukindergeld beziehen, wird dies mit dem Wegfall des Kindergelds unter Umständen gestrichen. Nach dem neuen Gesetz ist es nun so: Eltern von „weltwärts“-Teilnehmern und anerkannten Wehrdienstverweigerern, die an einem Anderen Dienst im Ausland teilnehmen, bekommen Kindergeld. Eltern junger Frauen, die an einem Anderen Dienst im Ausland teilnehmen, und Eltern allgemeiner Zivildienstverweigerer bekommen kein Kindergeld. Ich finde, das ist eine Gesetzgebung, die inhaltlich nicht mehr nachvollziehbar ist. Sie können sehen, dass die Zusammenlegung des FSJ- und des FÖJ-Förderungsgesetzes Stückwerk bleibt, da alle anderen Jugendfreiwilligendienste nicht mit in die Gesetzesvorlage einbezogen werden. Es ist sehr fragwürdig, dass das Programm „weltwärts“, das mit 70 Millionen Euro subventioniert wird, damit weiterhin keine Gesetzesgrundlage hat, obwohl das vorliegende Gesetz die Möglichkeit bot, alle Jugendfreiwilligendienste in einem gemeinsamen Rahmen zu vereinheitlichen. Zum Stichwort „Umsatzsteuer“ kann ich nur sagen: Der Bundesrat hat in seinem Beschluss vom 12. Oktober 2007 die Bundesregierung aufgefordert - er hat das bestehende Problem, das sich aus den bekannten Fristgründen ergibt, sehr zutreffend erkannt -, den vorliegenden Gesetzentwurf zurückzuziehen und zeitnah einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, der sich auf die Lösung der Umsatzsteuerproblematik beschränkt. Wie aus dem Entschließungsantrag der FDP-Fraktion ersichtlich, wünscht sich die FDP-Fraktion eine Rahmengesetzgebung, die die gesamten Bedingungen der Jugendfreiwilligendienste unabhängig vom sich jeweils für zuständig erklärenden Ministerium regelt. Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf können wir unter diesen Voraussetzungen nicht einverstanden sein. Wir werden es ablehnen und uns bei der Abstimmung über die vom Ausschuss empfohlene Entschließung der Koalition enthalten. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Sönke Rix, SPDFraktion. ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun kann man nach dem Beitrag der FDP annehmen, der vorliegende Gesetzentwurf sei das Schlechteste vom Schlechtesten. ({0}) Aber dem ist nicht so. Wir haben in dieser Vorlage mehrere Punkte aus den Debatten der vergangenen Zeit aufgegriffen, aber auch etwas ganz Konkretes - Sie haben es zum Schluss Ihrer Rede angesprochen -, die Umsatzsteuerregelung. Auch ich hätte mir etwas anderes vorstellen können, nämlich dass es - ich sage es etwas naiv einen Ausnahmetatbestand gibt. Das geht aber wohl aus finanzrechtlichen Gründen nicht. Von daher bin ich froh, von den Trägerinnen und Trägern die Rückmeldung bekommen zu haben: Schön ist das nicht; wir tragen diese Situation aber, so wie sie ist, mit, weil uns nichts anderes übrig bleibt; denn wir wollen die Erhebung der Umsatzsteuer bei den Freiwilligendiensten vermeiden. ({1}) Ich gehe davon aus, dass sich die Länder an diese Absprachen halten werden und nicht hinterher die Umsatzsteuer einfordern werden. Aber was wir in diesem Gesetz besonders geregelt haben, ist die Flexibilisierung der Dienste insgesamt. Wir sind von Folgendem ausgegangen: Die Situation der jungen Menschen hat sich verändert. Sie hat sich insofern verändert, als es klassischerweise nicht mehr so ist: Nach der Schulzeit habe ich ein komplettes Jahr zur Verfügung, um vielleicht ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr zu absolvieren. Nein, es ist so, dass die jungen Menschen durchaus andere Zeitperspektiven haben. Von daher begrüße ich es ausdrücklich, dass wir zeitliche Flexibilisierungen in diesen Gesetzentwurf mit aufgenommen haben. Aber wir haben für die Trägerinnen und Träger zur besseren Planung auch klargestellt, dass es hierbei gewisse Regeln gibt und damit diese zeitliche Flexibilisierung nur in Ausnahmefällen möglich ist. Was sind das für Ausnahmefälle? Schauen wir uns einmal an, wer klassischerweise ein Freiwilliges Soziales Jahr macht. Ich will niemandem zu nahe treten, aber häufig sind es junge Mädchen, die gerade ihr Abitur gemacht haben, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Wir wollen aber auch andere ansprechen, nämlich die jungen Männer und Frauen, die keinen hohen, vielleicht sogar gar keinen Schulabschluss haben und Probleme haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Um diese Jugendlichen besser ansprechen zu können, ist die zeitliche Flexibilisierung erforderlich. Deshalb begrüße ich sie außerordentlich. Es ist zu betonen, dass wir uns nach der Anhörung schnell darauf geeinigt haben - Herr Grübel hat das bereits angesprochen -, die klassischen Markennahmen „Freiwilliges Soziales Jahr“ und „Freiwilliges Ökologisches Jahr“ beizubehalten. Warum soll man gute Namen für gute Modelle beiseiteschieben? Wir wollen sie beibehalten, nicht nur, weil sie gut klingen - „Ich bin FSJler!“ oder „Ich bin FÖJ-ler!“ -, sondern auch, weil man Erfolgsnamen - das weiß man aus der Werbung und aus anderen Bereichen - nicht ändern sollte. Wir lassen diese Erfolgsnamen natürlich bestehen. ({2}) Wir haben auch die Struktur verändert. Die Kombination von In- und Auslandsdiensten und die Kombination verschiedener Einsatzstellen sind jetzt möglich. So kann man ein paar Monate lang etwas für seinen BildungsabSönke Rix schluss tun und dann wieder ein paar Monate bei dem Träger arbeiten. Auch diese Flexibilisierung war nötig. Die Kritik der FDP, dass das Gesetz nicht alle Dienste einbindet, teile ich nicht. Wir haben ein Freiwilligendienstgesetz. Das ist das Fundament. Auf dieser Basis können sämtliche Freiwilligendienste einbezogen werden. ({3}) Sehen wir darin doch eine Chance. Wir haben endlich die Möglichkeit, FSJ, FÖJ und andere Programme gesetzlich klar zu regeln. Ich hoffe, dass wir das auch für die anderen Dienste regeln können. Es ist unsere Aufgabe, das bürgerschaftliche Engagement insgesamt zu stärken, vor allem aber das Engagement von jungen Leuten. Wir wissen, dass das nicht immer ganz einfach ist. Sie haben behauptet, dass ein Ausbau nicht mehr stattfinde. Das ist nicht richtig. Wir haben die Haushaltsmittel für diese Programme im letzten Jahr und in den Jahren zuvor erhöht. Die Initiative ging von der SPDFraktion aus. Ich bin mir sicher, dass die Haushaltsmittel für diese Programme auch in den nächsten Jahren erhöht werden, sodass auch weiterhin ein quantitativer Ausbau stattfindet, was unser aller Anliegen ist. Sie können sicher sein, dass wir im Rahmen der Haushaltsberatungen ein entsprechendes Zeichen setzen werden. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke. ({0})

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Wir beraten heute abschließend das Gesetz zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten. Wir alle wissen, wie wichtig diese Dienste für junge Menschen sind. Sie haben aber die Chance vertan, diese Dienste sozial gerechter auszugestalten. Selbst für die Regelung der Umsatzsteuer, die wesentlicher Anlass für den Gesetzentwurf war, bieten Sie keine klare Lösung an. Erfreulich ist, dass wenigstens ein paar Anregungen aus der Anhörung Eingang in den Gesetzentwurf gefunden haben. So war es richtig, die bewährten Bezeichnungen „Freiwilliges Soziales Jahr“ und „Freiwilliges Ökologisches Jahr“ beizubehalten und beide Dienste in einem Gesetz zu verankern. Zweckmäßig wäre es aber, auch kommende Freiwilligendienste besser zu koordinieren und in einem einheitlichen Regelwerk zusammenzufassen. Ich komme kurz auf das im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres geplante Einsatzfeld „Zivil- und Katastrophenschutz“ zu sprechen: Das Technische Hilfswerk hat ein Nachwuchsproblem. Die Linke befürchtet, dass diese Lücke nun mit jungen Freiwilligen gefüllt wird. So wollen wir Freiwilligendienste nicht verstanden wissen. Jugendliche brauchen neben dem Ehrenamt betriebliche Ausbildungsplätze und gebührenfreie Studienplätze. ({0}) Für uns ist wichtig, dass die Regeldauer zwölf Monate beträgt und nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen verkürzt oder verlängert werden kann. Dass eine Dauer von 24 Monaten möglich sein soll, halte ich für keine gute Idee. Bei solch langen Dienstzeiten wächst die Gefahr, dass Freiwillige als billige Arbeitskräfte zum Einsatz kommen. Völlig überflüssig finde ich, dass in Art. 1 eingefügt wird: Freiwilligendienste fördern die Bildungsfähigkeit der Jugendlichen. Waren die Absolventinnen und Absolventen von Freiwilligendiensten bisher etwa bildungsunfähig? Die Jugendfreiwilligendienste sollen bilden, nicht nur bildungsfähig machen. Selbst wenn der vorliegende Gesetzentwurf nur ein Rahmengesetz sein soll, vermissen wir deutliche qualitative Verbesserungen. Aus diesem Grund hat meine Fraktion einen Entschließungsantrag vorgelegt, der die zentralen Forderungen der Linken zusammenfasst. Ich möchte auf drei Bereiche eingehen. Zunächst zur sozialen Absicherung der Jugendlichen: Wir wollen, dass alle Jugendlichen, die sich für einen Jugendfreiwilligendienst interessieren, diese Möglichkeit nutzen können. Aber dazu ist das durchschnittliche Taschengeld einfach nicht ausreichend. Es ist sehr zu bedauern, dass Sie die Kritik der ehemaligen Freiwilligen nicht berücksichtigen, die in der Studie zum FSJ und FÖJ veröffentlicht wurde. Nach fast 20 Jahren deutscher Einheit ist es ebenso unverständlich, dass die maximale Taschengeldhöhe im Osten niedriger ist als im Westen. ({1}) Erklären Sie doch einmal einem Jugendlichen aus Magdeburg, warum er als Taschengeld nur 270 Euro bekommen kann, aber ein junger Mensch aus Fulda 318 Euro. Hier hätten Sie wieder einmal eine Gelegenheit gehabt, eine Ost-West-Angleichung herzustellen. Herr Dr. Kues, Sie hatten ausgeführt, es sei eine gefühlte Differenz. Aber 48 Euro sind sehr real. Weiterhin fehlt eine umfassende Sozialversicherungspflicht für alle Jugendfreiwilligendienste. Ein weiterer Bereich ist die Mitbestimmung. Hier hätten wir erwartet, dass gerade die Sozialdemokraten auf diesen Punkt besonderen Wert legen. In der Begründung zu § 10 des Gesetzentwurfes wird von keinem Arbeitsverhältnis im engeren Sinne ausgegangen. Es bleibt also unklar, um welche Art von Arbeitsverhältnis es sich handelt und welche Rechte die jungen Menschen haben. ({2}) Diese Klausel ist ein Einfallstor und bedeutet übersetzt: Es gelten keine Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Die Linke fordert genau diese Mitbestimmungsrechte für die Jugendlichen. Uns ist das wichtig. ({3}) Diesen Punkt vergessen auch die Grünen in ihrem Antrag. Bei der FDP muss man erst gar nicht danach suchen. ({4}) Der dritte Aspekt ist die Verdrängung regulärer Beschäftigung. Jugendfreiwilligendienste dürfen nicht als Warteschleife für fehlende betriebliche Ausbildungsplätze missbraucht werden. Sie dürfen weder reguläre Arbeitsplätze ersetzen noch zur Ausdehnung des Niedriglohnsektors führen. Freiwilliges Engagement darf nicht mehr und mehr zum Notnagel beim Abbau des Sozialstaates werden. Schauen Sie doch in den Pflegebereich. Dort ist es schon Normalität. Freiwilligendienste und bürgerschaftliches Engagement dürfen nicht all das übernehmen, was die öffentliche Hand nicht finanzieren kann oder will. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, in Richtung öffentlich finanzierter Beschäftigung aktiv zu werden. Bei der Ausgestaltung der Jugendfreiwilligendienste müssen bildungspolitische und sozialpolitische Ziele gleichermaßen berücksichtigt werden. Leider wird der vorliegende Gesetzentwurf dieser Forderung nicht gerecht. Das ist schade für die vielen jungen engagierten Menschen. Sie hätten spürbare Verbesserungen verdient. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden hier heute über eine Gruppe, die sich durch die höchste Engagementbereitschaft und das stärkste freiwillige Engagement aller Altersgruppen auszeichnet, nämlich die Jugendlichen. Dies muss an dieser Stelle einmal klar gesagt werden, weil es zeigt: Jugendliche sind viel besser als ihr Ruf. Deshalb nervt es, wenn Medien vor allem dann über die Jugend berichten, wenn etwas schiefläuft. ({0}) Jugendliche sind bereit - das ist überdeutlich -, sich zu engagieren und durch ökologisches, soziales und kulturelles Engagement im In- und Ausland Verantwortung zu übernehmen. Zurzeit kommen vier Bewerbungen auf einen Freiwilligendienstplatz. Dieses hohe Engagementpotenzial von Jugendlichen ist ein hohes Gut und muss genutzt werden. Deshalb brauchen wir dringend eine deutliche Aufstockung und Ausweitung bei den Freiwilligendienstplätzen. ({1}) Das großkoalitionäre Gesetz muss sich daran messen lassen, ob für diese Jugendlichen bessere Bedingungen geschaffen werden und ob der fraktionsübergreifende Beschluss aus der letzten Legislaturperiode umgesetzt wird. Hierbei enttäuscht die Große Koalition gleich doppelt. Sie hätten im Übrigen mit unserer Unterstützung einen großen Wurf für die Weiterentwicklung aller Freiwilligendienste schaffen können, haben diese Chance aber leider vertan. ({2}) Anstatt die Einzelinitiativen verschiedener Ministerien fachlich zu bündeln und auf eine pädagogisch sinnvolle Grundlage zu stellen, sollen in dem Gesetzentwurf nur zwei Dienste geregelt werden. Deshalb ist es unzureichend. Dass Herr Grübel es geradezu feiert, dass die bestehenden Namen FÖJ und FSJ erhalten bleiben, ist ein Beispiel dafür, wie unzureichend das Gesetz selbst ist. In unserem grünen Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, endlich ein Gesamtkonzept für einen deutlichen Ausbau der Freiwilligendienste vorzulegen, das ihr jugend- und bildungspolitisches Profil schärft. ({3}) Wir fordern einen Freiwilligendienstplan, in dem die finanziellen Mittel für alle Freiwilligendienste analog zum Kinder- und Jugendplan gebündelt werden. Unser Ziel ist, zusätzlich zum neuen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst die Zahl aller Freiwilligendienstplätze bis 2015 auf 37 000 zu verdoppeln. Eine Verdoppelung kann man gegenfinanzieren und schaffen. ({4}) Wesentlich ist für uns die Sicherung der Qualität aller Freiwilligendienste. Als Lernphase müssen sie noch stärker auf Orientierung, Bildung und Qualifizierung ausgerichtet sein. Eine gute pädagogische Begleitung muss Jugendliche bei der Gewinnung neuer Erfahrungen unterstützen. Benachteiligte Jugendliche - oft aus bildungsfernen und armen Elternhäusern und viel zu oft auch mit Migrationshintergrund - müssen besonders ermuntert und unterstützt werden. Im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen wird zwar eine der betroffenen Gruppen erwähnt. Aber ich frage mich: Wieso haben Sie dazu nicht in Ihrem Gesetzentwurf sinnvolle Regelungen getroffen? ({5}) Absolutes Negativbeispiel für Ihr planloses Handeln ist das „Freiwillige Technische Jahr“ des Bildungsministeriums, ({6}) das nichts anderes als ein unbezahltes Langzeitpraktikum ist, für das man sich aber diesen gut klingenden BeKai Gehring griff ausleiht. Auch das Innenministerium plant bereits ein „Freiwilliges Katastrophenschutzjahr“. Eine Koordination dieser zweifelhaften Initiativen wird von der Bundesregierung offensichtlich überhaupt nicht betrieben. ({7}) Dadurch wird die Bedeutung der erfolgreiche Marke „Freiwilliges Jahr“ verwässert statt gestärkt. Dies ist übrigens ein Symptom der gesamten Jugendpolitik der Bundesregierung und der Bundesjugendministerin. Sie handeln getreu dem Motto: lieblos, planlos, ziellos. Das ist nämlich leider bei allen jugendpolitischen Themen der Fall. ({8}) Man merkt Ihrem Gesetzentwurf an, dass Ihr Ziel in erster Linie die Umsatzsteuerbefreiung war. Die inhaltliche Konzeption und Weiterentwicklung der Freiwilligendienste wird darin leider vernachlässigt. Die Möglichkeit der Stückelung und Verlängerung der Dienstdauer, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen, kann dazu führen, dass ein Freiwilliger künftig bis zu vier Sechsmonatsdienste bei verschiedenen Trägern leistet. Die zeitliche Ausweitung auf zwei Jahre birgt auch die Gefahr, neue Warteschleifen für Jugendliche zu schaffen, anstatt ihr Engagement zu fördern. ({9}) Leider völlig ignoriert wird in Ihrem Gesetzentwurf der besondere Regelungsbedarf im Hinblick auf jugendliche Freiwillige im Ausland. Der Freiwilligendienst „weltwärts“ kann allerdings ein guter Beitrag zum globalen Lernen sein, den wir begrüßen ({10}) und konstruktiv begleiten. ({11}) Enttäuschend ist aber, dass er in Ihrem Gesetzentwurf nicht verankert ist. Wer Jugendliche im Rahmen eines 70-Millionen-Euro-Programms ins Ausland schickt, darf keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, dass die pädagogischen und fachlichen Qualitäten des Freiwilligendienstes im Partnerland vor Ort einwandfrei sind. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung sich hier stärker anstrengt. ({12}) Wir müssen auf jeden Fall genau überprüfen, ob die geweckten Erwartungen und die gesetzten Qualitätsstandards auch erfüllt werden. All diese Punkte zeigen: Ihr Gesetzentwurf ist konzeptionell dürftig und enttäuschend. Er wird den Ansprüchen des interfraktionellen Beschlusses aus der letzten Legislaturperiode leider in keiner Weise gerecht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Er bietet keine ausreichende Grundlage für einen bedarfsorientierten und qualitätsvollen Ausbau sowie für die sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung der einzelnen Dienste.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Noch eine letzte Bemerkung. - Gerade weil uns das Engagement von Jugendlichen sehr wichtig ist und wir es nachhaltig fördern wollen, lehnen wir den vorliegenden Gesetzentwurf ab. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues. ({0})

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Gesetz, über das wir heute reden, gibt der Staat nicht Milliardenbeträge für eine Leistung aus; dennoch wird mit diesem Gesetz eine wichtige Weichenstellung für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft vorgenommen. Es geht nicht darum, das zu tun, worauf die Anträge der Oppositionsfraktionen hinauslaufen, nämlich mehr Geld auszugeben. Es geht vielmehr darum - der Kollege Gehring hat es angesprochen -, das vorhandene Potenzial der Bürgerinnen und Bürger, der Jugendlichen, sich freiwillig einzubringen, auszuschöpfen. Mindestens so wichtig ist, dass wir eine Antwort auf die Überforderung des Staates finden. Der Staat ist, wenn er all das, was an Aufgaben anfällt, allein schultern will, finanziell und strukturell überfordert. Es geht also auch darum, sich von der Illusion zu trennen, Vater Staat mache das schon. Wir wollen eine Gesellschaft, in der der Staat den Rahmen setzt und in der sich die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert fühlen, mit anzupacken, wo es nur geht. Das ist die Philosophie der Freiwilligendienste. ({0}) Den Rahmen dafür müssen Bund, Länder und Gemeinden bieten. Wer es am Taschengeld festmacht, will Stimmung machen. Denn das Taschengeld wird frei vereinbart zwischen den Trägern und den Jugendlichen, die den Dienst leisten wollen. Wollen Sie den Trägern, die solche Stellen anbieten, vorschreiben, wie viel sie zu zahlen haben? Das sind freiwillige Vereinbarungen, dafür ist der Bund nicht zuständig. Ich denke, es ist gut, wenn man sich innerhalb der Gesellschaft darauf verständigt, wie das ausgestaltet werden soll. ({1}) Ich bin fest davon überzeugt: Wer einmal einen Teil seiner Zeit für eine wichtige Aufgabe einsetzt - sich beispielsweise um Behinderte kümmert oder etwas für alte Menschen tut -, der gewinnt ein Gespür dafür, was tatsächlich notwendig ist. Deswegen ist es eine schöne Entwicklung, dass das Interesse an den Freiwilligendiensten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. 2002 wurden 15 000 Plätze aus Bundesmitteln gefördert; fairerweise muss man sagen, dass entsprechende Landesmittel hinzukommen und dass sich auch die Träger entsprechend engagieren müssen. Heute sind es 24 000 Plätze im FSJ und im FÖJ einschließlich der Dienste nach § 14 c Zivildienstgesetz. Wenn es Unterschiede gibt, hat das etwas damit zu tun, dass die Freiwilligendienste nach dem Zivildienstgesetz analog zum Bundeswehrdienst organisiert sein müssen; man muss sich das genau anschauen. Ich finde es im Übrigen positiv, dass sich, etwa bei „weltwärts“, auch andere Ressorts engagieren. Wichtig ist, dass wir möglichst viel vom Potenzial der Gesellschaft mobilisieren. Dafür wollen wir den Rahmen schaffen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Laurischk?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Selbstverständlich.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen, dass Sie den Rahmen schaffen wollen. Warum schaffen Sie nicht auch einen Rahmen für einen so groß angelegten Freiwilligendienst wie „weltwärts“, gerade in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht? Das ist genau der Punkt, den wir kritisieren: Hierfür ist eben kein Rahmen geschaffen worden. In dieser Hinsicht sind Ihre Ausführungen missverständlich.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich glaube nicht, dass meine Äußerungen missverständlich sind. Die Freiwilligendienste sind recht unterschiedlich geregelt. Das gilt für die Dienste, die im Zivildienstgesetz geregelt sind, das gilt für den Dienst „weltwärts“, und das gilt auch für die Überlegungen im Bildungsbereich, eine Art Praktikum zu ermöglichen. Angesichts dieser Unterschiede ist es klar, dass es Anpassungsnotwendigkeiten gibt; das habe ich im Ausschuss mehrfach gesagt. Wir müssen uns das genau anschauen und einen Weg finden, damit das Angebot in sich schlüssig ist, auch was den Bezug von Kindergeld angeht. Das wissen wir. Sie wissen aber auch, Frau Laurischk, dass wir nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Frage der Umsatzsteuer Regelungen finden mussten. Das stand lange im Raum. Es musste ein Weg gefunden werden, damit Einsatzstellen bzw. Träger nicht mit Umsatzsteuernachzahlungen rechnen müssen. Das Thema ist mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs nicht abgeschlossen. Wir gehen aber damit einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung und schaffen damit auch mehr Transparenz. Damit sind zwar noch nicht alle Aufgaben bewältigt, aber wir arbeiten weiter daran. Insofern sind wir auf einem sehr guten Weg. ({0}) Ich will noch einmal die zentralen Aspekte des neuen Gesetzes nennen. Erstens werden FÖJ und FSJ zusammengefasst. Damit schaffen wir mehr Transparenz und Rechtsklarheit. Wir wollen aber die bewährten Marken FÖJ und FSJ erhalten - auch das war Gegenstand der Diskussion -, weil diejenigen, die sich über Jahre in diesem Bereich eingesetzt haben, wie ich finde, zu Recht darauf hingewiesen haben, dass mit der neuen Gesetzgebung etwas verloren ginge, das in der Bevölkerung bekannt ist. Insofern schafft der Gesetzentwurf Klarheit. Zweitens. Dass man die Jugendfreiwilligendienste jetzt auch zeitlich flexibler gestalten kann, trägt der Tatsache Rechnung, dass diese Dienste Bildungsdienste sind. Sie haben eine sehr wichtige Orientierungsfunktion. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Jugendlicher - beispielsweise nach einer Ausbildungsphase - einen solchen Dienst antritt oder jemand aus der älteren Generation, der bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Wir hatten zeitweise in Erwägung gezogen, die Dienste zusammenzufassen. Die Motive zur Teilnahme unterscheiden sich aber sehr. Für junge Menschen haben die Dienste eine sehr wichtige Orientierungsfunktion. Wir wissen aus Diskussionen in anderen Bereichen, dass, wenn man junge Männer für eine spätere berufliche Tätigkeit etwa im Pflegedienst gewinnen will, von großer Bedeutung ist, ob sie vorher in diesem Bereich tätig sein konnten. In dem Fall sind sie eher motiviert, solche Aufgaben zu übernehmen. Insofern ist das von großer Bedeutung im Hinblick auf die Gewinnung gerade junger Männer als Fachkräfte im Bereich der Pflege. Drittens wird - das wurde bereits angesprochen - die Zeitstruktur flexibilisiert. Viertens flexibilisieren wir die Träger- und Einsatzstellenstruktur. Damit können die vertraglichen Rechte und Pflichten freier vereinbart werden. Fünftens und letztens behalten wir die Sozialversicherungspflicht für In- und Auslandsdienste bei. Dieses Thema ist uns deswegen so wichtig - das betone ich ausdrücklich -, weil es Jugendliche in Deutschland in das richtige Licht rückt, die sich schon seit Jahren freiwillig zum Dienst in der Altenarbeit, Behindertenarbeit und im Umweltschutz verpflichten. Das ist die Jugend, auf die unser Staat auch künftig bauen kann. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Bärbel Kofler, SPD-Fraktion.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich sehr, dass ich als Entwicklungspolitikerin zum Thema Jugendfreiwilligendienste sprechen kann. Es war viel von dem neuen Programm „weltwärts“ der Freiwilligendienste die Rede, das es seit September 2007 gibt. Es ist viel gesagt worden, aber leider wenig Richtiges. Ich denke dabei insbesondere an die FDP. Ich glaube, es ist gut, dass ich als Entwicklungspolitikerin zu diesem Thema sprechen und vielleicht den einen oder anderen Punkt klarstellen kann, was dieses Programm anbelangt. Sie haben kritisiert, das BMZ habe ein Programm aus dem Hut gezaubert; es fehle an Regelungen für die jungen Menschen; man wisse nicht, welche sozialversicherungsrechtlichen Standards gelten sollen usw. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass bei der FDP Krokodilstränen vergossen werden. Wenn Ihnen das Wohl unserer Sozialkassen und die Sozialversicherungsbiografien der Menschen so am Herzen liegen, dann wäre ich sehr froh, wenn Sie uns in der Frage des Mindestlohns genauso unterstützen würden, wie Sie sich in diesem Bereich der Rentenversicherung annehmen. ({0}) - Das ist nicht billig, sondern es ist die Replik, die Ihr Ansinnen verdient. Junge Menschen im Programm „weltwärts“ sind sozial gut abgesichert und abgefedert. Sie genießen Auslandskrankenschutz, Unfall- und Invaliditätsschutz und haben eine Rückholversicherung. Sie werden in der Pflegeversicherung im Inland weiter versichert. Zudem haben sie die Möglichkeit, sich in der Rentenversicherung nachzuversichern. Ich glaube, dass das Programm „weltwärts“ viele wesentliche Punkte berücksichtigt. Es nimmt im Übrigen mit seiner Finanzierungsstruktur ganz wesentliche Punkte auf, sodass auch Menschen mit niedrigem Einkommen und geringen Verdienstchancen die Möglichkeit bekommen, ins Ausland zu reisen, Lebenserfahrung zu sammeln, Kompetenz in interkultureller Kommunikation zu erwerben sowie Toleranz zu erlernen und Verständnis zu bekommen. Diese Dinge sollen die Jugendfreiwilligendienste fördern; diese Qualitäten benötigen wir auch in unserem Land dringend. ({1}) Sie haben die Regelungen für junge Frauen besonders kritisiert, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. ({2}) Was haben bisher die jungen Frauen gemacht, die ein freiwilliges Jahr im Ausland ableisten wollten? Die Zahl derjenigen, die über § 14 c Zivildienstgesetz reisen konnten - das betrifft logischerweise Frauen nicht -, betrug 1 100 im Jahr. Die Zahl der anderen, die von sich aus fahren und die Kosten selbst tragen müssen, beläuft sich auf knapp 400 im Jahr. Was ist nun eine adäquate Förderung der Frauen? Mit dem Programm „weltwärts“ wird insbesondere jungen Frauen die Möglichkeit gegeben, im Rahmen entwicklungspolitischer Themenstellungen im Ausland tätig zu sein. Die Trägerorganisationen erhalten 580 Euro. Die jungen Menschen sind versichert - das habe ich schon angesprochen -, bekommen Unterkunft und Verpflegung und erhalten ein Taschengeld. Was ich begrüße und für besonders wichtig und notwendig halte, ist die pädagogische Anleitung der jungen Menschen. In vielen Ländern der Dritten Welt, den Entwicklungsländern, ist das ein ganz wichtiger Punkt. Genau das passiert. Die Zahlen zeigen, dass sich seit September 2007 für dieses Programm 5 000 junge Menschen interessiert haben, 70 Prozent davon Frauen. In diesem Jahr werden wir 3 000 Plätze schaffen. Insgesamt ist die Schaffung von 10 000 Plätzen vorgesehen. Sie können das doch nicht mit einer Zahl im dreistelligen Bereich vergleichen. Das aber ist die Größenordnung, in der Frauen im Ausland ihren Freiwilligendienst leisten können. Hier wird Engagement für Frauen möglich gemacht. ({3}) Jungen Menschen wird ein Engagement jenseits des Einkommens und der Berufsbildung ermöglicht. Bisher wurde es jungen Menschen ohne Studium oder Abitur sehr schwer gemacht, einen solchen Dienst wahrzunehmen. Junge Menschen mit Haupt- oder Realschulabschluss oder mit einer Berufsausbildung werden ebenso wie Menschen mit geringeren Einkommensmöglichkeiten angesprochen. Ich glaube, das ist ein rundum gelungenes Programm. Ich bedanke mich beim BMZ für dieses Programm. Die Abstimmung mit dem Familienministerium verlief hervorragend. Ich hoffe, wir können dieses Programm gemeinsam gut weiterentwickeln. Danke. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dieter Steinecke, SPD-Fraktion. ({0})

Dieter Steinecke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003885, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Die Demokratie lebt durch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Darum wollen wir eine starke, lebendige Bürgergesellschaft … Diese Feststellung ist nicht neu, sie ist auch nicht von mir. Ich habe sie vielmehr dem Hamburger Programm meiner Partei entnommen. Als sie das formulierte und beschloss, war die zugrunde liegende Erkenntnis nicht mehr ganz taufrisch. Schon vor fast 2 000 Jahren stellte der römische Schriftsteller Seneca fest - ich zitiere -: Die menschliche Gesellschaft gleicht einem Gewölbe, das zusammenstürzen müsste, wenn sich nicht die einzelnen Steine gegenseitig stützen würden. Unser Leitbild ist eine moderne - nicht 2 000 Jahre alte -, funktionierende Bürgergesellschaft. Dies ist keineswegs nur eine Forderung oder gar eine Utopie. Tagtäglich wird dieses Leitbild auf die verschiedensten Weisen praktiziert und mit Leben erfüllt. Bürgerschaftliches Engagement - das betone ich - ist nicht nur ein reines Geben an die Gesellschaft. Es ist mehr als ein Opfer an Zeit und manchmal auch an Geld. Wer sich bürgerschaftlich engagiert, bekommt auch etwas zurück. Er kommt mit anderen Menschen zusammen, kann Bestätigung erfahren und seinen persönlichen Horizont erweitern. Bürgerschaftliches Engagement bedeutet Mitwirkung und Teilhabe an unserem gelebten demokratischen Gemeinwesen. Heute sprechen wir über zwei besonders erfolgreiche Formen des bürgerschaftlichen Engagements: das Freiwillige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr. Seit den 50er- respektive seit den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben sich diese Dienste zu einer Orientierungs- und Lernzeit für junge Menschen entwickelt und sich in hervorragender Weise bewährt. Im vorliegenden Entwurf wird gerade der Bildungscharakter betont. Eindeutig wird hervorgehoben, dass sich der Jugendfreiwilligendienst an klaren fachlichen Lernzielen und am Erwerb sozialer und kultureller Kompetenzen orientieren muss und angemessen pädagogisch begleitet werden muss. Ich fasse kurz zusammen: Das Freiwillige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr stellen Dienste an der Allgemeinheit dar, von denen der Dienstleistende durch Erweiterung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten profitiert und durch die er gesellschaftliche Teilhabe unmittelbar erfährt und praktiziert. Nach bisheriger und künftiger Rechtslage steht diese wertvolle Bildungs- und Erfahrungschance allen jungen Menschen zwischen dem Ende ihrer Schulpflicht und dem 27. Lebensjahr offen. In der Realität sieht die Sache jedoch anders aus - meine Vorredner haben das zum Teil schon erwähnt -: Zwar ist der Anteil junger Männer durch die Einführung von § 14 c in das Zivildienstgesetz deutlich angestiegen, doch nach wie vor werden die Angebote der Jugendfreiwilligendienste in erster Linie von Realschulabsolventen und Abiturienten wahrgenommen. Junge Menschen mit niedrigerem oder gar ohne Bildungsabschluss bleiben in der Regel unerreicht. Dabei könnten gerade sie ganz konkret von den Bildungs- und Dienstangeboten profitieren. Daher sollten wir gezielt versuchen, den Anteil benachteiligter Jugendlicher an den Dienstleistenden zu erhöhen; dies ist im Rahmen des Gesetzes möglich. Dabei sollten nicht nur Werbungsmaßnahmen ergriffen werden; die Träger müssen sich offen für die potenziellen Dienstleistenden zeigen und in den Stand versetzt werden, die nicht immer unproblematischen jungen Menschen zu schulen und pädagogisch zu begleiten. Besondere Bedeutung kommt den Migrantenselbsthilfeorganisationen zu. Die Bundesregierung sollte sie durch gezielte Ansprache und Unterstützungsmaßnahmen ermuntern, als Träger, als Einsatzstellen oder als Partner bereits aktiver traditioneller Träger im System der Freiwilligendienste mitzuwirken. Hierdurch würden diese Dienste für junge Menschen mit Migrationshintergrund attraktiver. ({0}) Die positiven Folgen für die Dienstleistenden und die Gesellschaft liegen auf der Hand. Die Öffnung der Freiwilligendienste für weitere Kreise der Jugend in unserem Land kann es nicht umsonst geben. Die Verbreiterung der Trägerbasis und die erforderliche zielgruppenspezifische Anpassung und Verbesserung der pädagogischen Betreuung kosten viel Geld. Ich finde, man sollte immer fragen - das tun nicht alle in diesem Hause -: Woher soll das Geld kommen? Ich möchte dazu einen Vorschlag machen. Zurzeit kursieren Eckpunkte für das Vorhaben, eine freiwillige oder auch pseudofreiwillige Verlängerung des Zivildienstes - eines Zwangsdienstes nur für junge Männer - zu ermöglichen. ({1}) Das ist in meinen Augen sachlich unnötig und würde den Haushalt des BMFSFJ mit ansehnlichen Beträgen belasten. ({2}) Dieses Geld könnte weitaus sinnvoller für eine Verbreiterung und Stärkung der Jugendfreiwilligendienste eingesetzt werden. Dies läge in meinen Augen weit mehr im Interesse benachteiligter junger Menschen und unserer gesamten Gesellschaft. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten, Drucksachen 16/6519 und 16/6967. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8256, den Gesetzentwurf der Bundesregierung in Kenntnis des Berichts der Bundesregierung zu Prüfaufträgen zur Zukunft der Freiwilligendienste, Ausbau der Jugendfreiwilligendienste und der generationsübergreifenden Freiwilligendienste als zivilgesellschaftlicher Generationenvertrag für Deutschland auf Drucksache 16/6145 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8414? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8413? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Tagesordnungspunkt 5 b. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/8256 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6769 mit dem Titel „Jugendfreiwilligendienste in einen gemeinsamen Gesetzesrahmen zusammenfassen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Jugendfreiwilligendienste ausbauen und Gesamtkonzeptionen entwickeln“ auf Drucksache 16/6771. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und FDP und bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8256 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktion Die Linke, SPD, CDU/CSU bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Grünbuch Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt ({1}) KOM ({2}) 551 endg.; Ratsdok. 13278/07 - Drucksachen 16/6865 Nr. 1.19, 16/8360 Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Hofbauer Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Sören Bartol, SPD-Fraktion. ({3})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europäische Kommission hat im September 2007 ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ vorgelegt, das Grundlage für einen europäischen Aktionsplan sein soll. Wir als SPD-Fraktion begrüßen ausdrücklich diese Initiative der EU-Kommission, mit der der Stadtverkehr flüssiger, intelligenter, zugänglicher und sicherer werden soll und die Städte grüner werden sollen. Wir haben zusammen mit unserem Koalitionspartner einen Antrag eingebracht, in dem wir Handlungsoptionen der EU für eine sozial- und umweltverträgliche Mobilität in Städten aufzeigen. Wir wollen, dass sich der Bundestag mit dieser Stellungnahme aktiv und konstruktiv an der laufenden zweiten Konsultationsphase zur Vorbereitung des Aktionsplans beteiligt. ({0}) Wenn es um die Zukunft unserer Städte geht, dürfen nicht formalrechtliche Kompetenzstreitigkeiten im Vordergrund stehen. Reflexartige Ablehnung ist unangebracht angesichts der Aufgabe, städtische Mobilität so zu gestalten, dass sie die Qualität der Städte als Wirtschafts- und Wohnstandorte nicht einschränkt. Diese Aufgabe erfordert die gemeinsame Suche nach Lösungen auf örtlicher, regionaler, nationaler und europäischer Ebene. Wir begrüßen, dass sich die Kommission dieser Aufgabe stellt. ({1}) Wir sollten das Grünbuch aber nicht mit Erwartungen überfrachten, wie es die Grünen in ihrem Entschließungsantrag tun. Das Grünbuch kann nicht das Vehikel sein, ein generelles Tempolimit einzuführen. Eine Einführung durch die Hintertür Europa befördert nicht gerade die Akzeptanz der EU bei den Bürgern. Tempolimit - ja oder nein, das müssen wir in Deutschland unter uns klären. ({2}) Auch einheitliche Vorgaben zu Citymautsystemen machen wenig Sinn; denn von einer flächendeckenden Einführung sind wir weit entfernt. Es ist sicherlich sinnvoll, sich die Beispiele wie London und Stockholm anzusehen und Erfolgsbedingungen für eine Citymaut zu identifizieren. Bei der Übertragbarkeit auf deutsche Städte bin ich allerdings skeptisch. ({3}) Die Vielfalt europäischer Städte verbietet einheitliche Lösungen, und die will auch keiner. Die lokalen Akteure sind diejenigen, die sich vor Ort am besten auskennen. Sie sind diejenigen, die lokal angepasste Strategien entwickeln können. Sie sind vor allem diejenigen, die bei den Betroffenen Akzeptanz schaffen können. Das weiß auch die Kommission. Wir nehmen sie beim Wort, wenn es um die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und die Beachtung der kommunalen Planungshoheit geht. Vieles von dem, was im Grünbuch vorgeschlagen wird, ist in Deutschland schon lange Praxis. Deutsche Städte haben einen reichen Erfahrungsschatz erfolgreicher Stadtverkehrskonzepte, von Tempo-30- und Fußgängerzonen über Parkraumbewirtschaftung, Busspuren, Ampelvorrangschaltungen und Radwegenetze bis hin zum Verkehrsmanagement. Wir haben anderen Städten in Europa viel Beispielhaftes zu bieten. Es gibt aber auch einiges, was wir im Austausch mit anderen dazulernen können. Wir sehen den europäischen Mehrwert eines Aktionsplans zur städtischen Mobilität durchaus. Die EU kann eine wesentliche Rolle spielen, wenn es um den Austausch von Daten und Erfahrungen geht. Sie kann geltende Rechtsakte und Förderinstrumente evaluieren, vereinfachen und zu einem integrierten Ansatz bündeln. Auch bei der Harmonisierung technischer Leitlinien ist die EU gefordert. Ich denke hier zum Beispiel an die Plaketten für Umweltzonen, die bisher überall in Europa anders aussehen, und an einheitliche Standards bei Telematikanwendungen im öffentlichen Personennahverkehr, die grenzüberschreitend Fahrplanauskünfte und E-Ticketing erlauben. Technische Insellösungen mögen innovativ sein, wirtschaftlich sind sie auf Dauer nicht. Die Kommission erkennt ganz richtig, dass sich städtische Verkehrsprobleme nur durch eine integrierte Politik lösen lassen. Darin hat sie unsere volle Unterstützung. Einerseits müssen wir die technologischen Potenziale zur Verbesserung der Fahrzeugtechnik ausschöpfen und die Leistungsfähigkeit einzelner Verkehrsmittel optimieren. Andererseits müssen wir den Fußgänger-, Rad- und öffentlichen Personennahverkehr attraktiv, sicher und barrierefrei gestalten. Mehr noch: Wir müssen die Innenstadtentwicklung von Städten stärken sowie Siedlungs-, Wirtschafts- und Infrastrukturentwicklung in regionaler Kooperation betreiben. Mit der Baugesetzbuchnovelle haben wir hier in Deutschland einen wichtigen Schritt getan, der zu einer Revitalisierung der Innenstädte beitragen wird. ({4}) Eine fahrrad- und fußgängerfreundliche Stadt mit einer funktionalen Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit bietet ein gesundes und sicheres Lebensumfeld gerade für Kinder und ältere Menschen. Sie bewegen sich überwiegend im Nahbereich. ({5}) Auch für Menschen mit geringem Einkommen, die oft an besonders belasteten Hauptverkehrsstraßen wohnen, ist ein stadtverträglicher Verkehr ein großer Gewinn. Wir können es uns nicht leisten, wie Abu Dhabi Sir Norman Foster für den Neubau einer CO2-neutralen Ökostadt zu engagieren. Dafür fehlen uns die Öldollar. Wir in Europa haben über Jahrhunderte gewachsene Städte. Diese Städte mit all ihren Problemen, aber auch mit ihren baulichen, sozialen und kulturellen Qualitäten ökologisch nachhaltig und lebenswert zu gestalten, das ist die eigentliche Herausforderung. Die während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschlossene Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt betont die Bedeutung der Städte für die gesellschaftliche und die wirtschaftliche Entwicklung. Der weiterwachsende Verkehr droht allerdings zum Wachstumshemmnis zu werden, wenn es uns nicht gelingt, Wirtschafts- und Verkehrswachstum voneinander zu entkoppeln. Dieses Ziel, das die Kommission im Verkehrsweißbuch von 2001 formuliert hat, muss weiter im Blick bleiben. Die Städte stehen vor der Herausforderung, Mobilität von Menschen, Gütern und Dienstleistungen zu ermöglichen, gleichzeitig aber die Belastungen für Mensch und Umwelt zu senken. Dabei können sie tatkräftige Unterstützung gebrauchen, sowohl von uns im Deutschen Bundestag als auch - das ist meine Meinung - vonseiten der EU. Vielen Dank und gute Beratung. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Patrick Döring, FDPFraktion. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ heißt das Grünbuch der Europäischen Union. Zuallererst fragt man sich doch: Was hat eigentlich Brüssel damit zu tun? Wer jemals in Brüssel war, der kann erkennen, dass man vielleicht national oder lokal schon allein in dieser Stadt das eine oder andere verbessern könnte. Vielleicht sollten sich die Bediensteten der Kommission nicht mit allgemeinen philosophischen Grundsätzen befassen, sondern lokale Politik beobachten; denn die ist zuständig. ({0}) Deshalb sage ich für die FDP-Fraktion: Ja, vieles, was in dem Grünbuch steht, ist in deutschen Städten gelebte Praxis. ({1}) - Ja, vieles, was darin steht, ist in deutschen Städten gelebte Praxis. - Und weil der Zwischenruf vom Kollegen Hettlich gekommen ist: Ich kann verstehen, dass mancher dieses Grünbuch mit den vielen dirigistischen Vorschlägen zu Citymaut, Parkraumbewirtschaftung usw. zum Vehikel nehmen will, um seine ideologische Verkehrspolitik in Deutschland durchzusetzen. ({2}) Aber mehr als 80 Prozent der Hamburger haben gerade nicht Grün und damit nicht die Citymaut gewählt, lieber Herr Kollege. Ich bin sehr gespannt, ob die schwarzgrüne Koalition eine Citymaut einführt und wie sich die Union dann dazu verhält. All das beobachte ich mit großem Interesse. ({3}) Aber für diese Maßnahme gibt es keine Unterstützung. ({4}) Es ist richtig, das in den Städten zu diskutieren. Wir werden sehen, dass es dafür weitestgehend keine Mehrheiten gibt. Was die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrswachstum betrifft, so kann man zurzeit das Gegenteil von dem beobachten, was der Kollege Bartol gesagt hat. Das Verkehrswachstum ist stärker als das Wirtschaftswachstum, weil in Deutschland der Durchgangsverkehr insgesamt eine große Rolle spielt. Wir haben in den Städten wachsende Verkehre, weil es eine Rückbesinnung auf die Innenstädte gibt und die leerstehenden Ladenlokale in den Fußgängerzonen wieder vermietet werden. Man kommt wieder weg von der grünen Wiese, was wir alle wollten. ({5}) Man kann dieses Grünbuch lesen und dann wie die Koalition die Fahne der Subsidiarität hochhalten, damit bloß keiner auf die Idee kommt, mit gesetzgeberischen Maßnahmen in Deutschland einzugreifen. Da unterstützen wir den Antrag der Koalition ausdrücklich. Es finden sich aber auch noch, wie ich finde, einige zu positive Bewertungen in dem Entschließungsantrag. Die Befürchtung der FDP-Fraktion ist, dass dann, wenn man mit Standardisierung und Harmonisierung anfängt - Herr Kollege Bartol, das beginnt bei der europaweit harmonisierten Umweltplakette -, Rechte abgeleitet werden, weitere Regelungen, die tief in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen, zu treffen. ({6}) Es ist in diesem Hause noch nie darüber diskutiert worden - jedenfalls habe ich davon noch nichts gehört -, ob wir europaweit einheitliche Nummernschilder oder europaweit einheitliche Fahrzeugscheine brauchen. Aber jetzt soll das Harmonisierungsziel in der Einführung europaweit einheitlicher Umweltplaketten bestehen. Da kann ich nur sagen: Lasst viele Blumen blühen. ({7}) Man kann darüber streiten, ob Umweltzonen überhaupt sinnvoll sind. ({8}) Vielleicht sollten wir darüber einmal sprechen. Nach der Anhörung von gestern über die Wirksamkeit von Rußpartikelfiltern können wir darüber streiten, ob der ganze Vorgang irgendeine Auswirkung hat. Ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass das höchste Feinstaubaufkommen in meiner Heimatstadt Hannover am letzten Jahr am Ostermontag zu verzeichnen war. Das lag nicht an dem vielen Verkehr, sondern an den Osterfeuern rund um die Stadt. Das ist doch der Punkt. Das hat nichts mit dem Feinstaub zu tun, der vom Autoverkehr hervorgerufen wird. ({9}) Allerletzte Bemerkung zum städtischen Verkehr insgesamt. Wie anfällig städtischer Verkehr ist, wie austariert dieses System ist, erkennen wir dieser Tage durch den Streik von Verdi. Heute Morgen ist den meisten von uns aufgefallen, dass viel mehr Pkws auf den Straßen Berlins sind, weil die BVG nicht fährt. Das macht doch deutlich, dass diese Systeme in jeder Stadt individuell eingespielt und ausbalanciert sind. Wir müssen uns aber auch überlegen, wie man bei der aktuellen Situation in Deutschlands Städten, mit Streik im Nahverkehr und vielleicht einem Streik bei der DB AG - das würde ab Montag die S-Bahnen betreffen -, mit dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen überhaupt umgeht und wie die Kommune oder auch der betroffene Bürger darauf reagieren kann. Ich bin schon etwas irritiert, dass die Busspuren mancher deutscher Städte, auf denen zurzeit wegen des Streiks keine Busse fahren, nicht für den zusätzlichen Autoverkehr während der Streiktage geöffnet werden. Auch bin ich ratlos, wie man mit den parkenden Fahrzeugen - ich denke allein an die zu parkenden Fahrzeuge unserer Mitarbeiter, die nicht mit dem Nahverkehr in die Stadt gekommen sind - umgehen will, wenn der Streik anhält. Diese Beispiele machen deutlich, dass solche Fragen vor Ort zu lösen sind. Dafür braucht man weder Grünbücher noch Legislativen aus Brüssel. Ich bin dafür, dass wir sehr intensiv darüber streiten, wie man städtische Mobilität organisiert, aber nicht auf europäischer Ebene, sondern mit Ratsfrauen und Ratsherren in den Kommunen vor Ort. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Klaus Hofbauer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Wir haben uns schon oft darüber beklagt, dass wir im Deutschen Bundestag über europäische Richtlinien und Entscheidungen zu spät oder gar nicht informiert wurden, sodass wir nicht mitentscheiden konnten. Deshalb begrüßen wir es außerordentlich, dass wir noch vor Verabschiedung des Aktionsplans zur städtischen Mobilität die Möglichkeit haben, zu dieser umfangreichen Vorlage Stellung zu nehmen und so den Prozess entscheidend mitzugestalten. ({0}) Lieber Herr Kollege Döring, wir sind nicht weit auseinander. Das hätten Sie gemerkt, wenn Sie unsere Beschlussempfehlung gelesen hätten. ({1}) Ich zitiere aus einem Spiegelstrich: Der Bundestag fordert: - das Subsidiaritätsprinzip bei der Erarbeitung des Aktionsplans zur städtischen Mobilität strikt zu beachten. ({2}) Das ist eine ganz klare Aussage. Wir werden darauf achten, dass dies auch eingehalten wird. - Ich zitiere auch noch den zweiten Satz: Die kommunale Planungshoheit muss nach Auffassung des Deutschen Bundestages uneingeschränkt gewahrt bleiben. Meine sehr geehrten Damen und Herren, konkreter und deutlicher können wir unsere Forderungen in dieser Stellungnahme nicht formulieren. Wir haben damit einen Beitrag dazu geleistet, gute Anregungen zu geben. ({3}) Gerade uns Verkehrspolitikern ist bewusst - wir haben diese Beschlussempfehlung auch mit den Europapolitikern abgestimmt, und ich bedanke mich ausdrücklich, dass wir zu einer gemeinsamen Initiative gekommen sind -, dass wir es mit einer dramatischen Zunahme des Verkehrs zu tun haben. Die Folgen sind Staus, Verspätungen, Luft- und Lärmemissionen und vor allem erhöhte Verkehrsunfallzahlen bei Fußgängern und Radfahrern. Deshalb gehe ich auf die fünf wesentlichen Punkte des Grünbuchs ein, die wir als wichtige Anregungen auffassen, die - darauf werden wir achten - auch vor Ort diskutiert werden müssen. Außerdem werden wir prüfen, was auf unserer Ebene verändert werden muss. Vor allen Dingen muss dies aber in den Kommunen diskutiert werden. Wir wollen nicht, dass hier den Kommunen etwas vorgeschrieben wird; aber wir wollen, dass dies in geeigneter Weise umgesetzt wird. Es geht erstens darum, mehr für einen flüssigen Verkehr in der Stadt zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass jede Kommune prüfen kann, ob sie dazu in ausreichendem Maße beiträgt. Zweitens sollten wir die Luftverschmutzung in den Städten betrachten. Sie lässt sich zum Beispiel durch alternative Kraftstoffe - Stichwort: Einführung von Wasserstoff - reduzieren. Das sind die Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben. Ich nenne einen dritten und vierten Punkt: hin zu intelligenterem Nahverkehr, hin zu zugänglicherem Nahverkehr. Wir müssen insbesondere die Mobilität von Behinderten, von älteren Menschen und von Familien mit Kindern stärken. Wenn man Opa ist und mit einem Kleinkind unterwegs ist, erlebt man, wie es ist, wenn man sich in den Zentren mit einem Kinderwagen bewegt. Ich muss feststellen: Es ist noch einiges zu verbessern. Das sollte man hier entsprechend darstellen und umzusetzen versuchen. ({4}) Ich möchte das, was der Herr Kollege Bartol gesagt hat, voll und ganz unterstreichen. Wir, Deutschland, sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. In Deutschland ist bereits viel passiert; wir sind auf einem guten Weg. Ich möchte insbesondere unseren Kommunen ein Wort des Dankes sagen. Die Kommunalpolitik steht oben auf unserer Agenda. Was wir erreicht haben, sollten wir positiv darstellen. Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Wir können selbstbewusst auf unsere Erfolge in diesem Bereich in den letzten Jahren verweisen. Der Herr Kollege Bartol hat diese Punkte bereits angesprochen. Erlauben Sie mir, auf noch einen wichtigen Punkt hinzuweisen. Ich glaube, für die Lösung der Probleme des städtischen Verkehrs ist insbesondere ein enges Zusammenwirken der Zentren und der umliegenden Regionen notwendig. Der größte Teil der Arbeitsplätze befindet sich nach wie vor in den Zentren. Der meiste Verkehr entsteht in der Früh, wenn die Pendler in die Zentren fahren, und am Abend, wenn sie zurückfahren. Deswegen betrifft dieses Thema nicht allein die Städte; vielKlaus Hofbauer mehr muss das Umland einbezogen werden. Je attraktiver wir den Nahverkehr gestalten, desto besser ist der Individualverkehr in den Zentren. Dazu haben wir, der Bund, einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet, als wir bei der Bahnreform Mitte der 90er-Jahre dafür gesorgt haben, dass Regionalisierungsmittel eingesetzt wurden. Wir sollten hier einmal deutlich sagen, dass die Verwendung von Regionalisierungsmitteln zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, wie es bei uns praktiziert wird, beispielgebend ist. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eines erwähnen: Die Vorschläge des Bundesrats werden in den Entscheidungsprozess über den Aktionsplan einbezogen werden. Auf vielen Seiten werden viele Anregungen gemacht, hinter denen wir stehen und die wir unterstützen. Erlauben Sie mir, zum Abschluss Folgendes zusammenfassend zu sagen: Wir sollen nicht in die Kompetenz der Kommunen eingreifen. Wir sollen Anregungen und Impulse geben. Das Grünbuch enthält dazu einiges. Ich habe hier großes Vertrauen in die Kommunalpolitiker, weil hier wirklich Vorbildliches geleistet wird. Wir müssen vor allen Dingen dafür Sorge tragen, dass das Subsidiaritätsprinzip auch bei dieser Regelung eingehalten und festgeschrieben wird. Wenn das geschieht, können wir dieses Grünbuch unter den genannten Gesichtspunkten unter dem Strich positiv - als etwas, das Anregungen und Vorschläge enthält - bewerten. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothée Menzner, Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grünbuch der Europäischen Kommission nimmt die Organisation des städtischen Verkehrs mit öffentlichen Verkehrsmitteln großen Raum ein. Das ist ohne Zweifel eine richtige Orientierung. Sie entspricht den Grundsätzen, die die Linke vertritt. Doch den Verkehr zu optimieren, ohne gleichzeitig stadtplanerische, ökologische, soziale Bedingungen und deren Veränderung in den Blick zu nehmen, greift nach unserer Überzeugung zu kurz. Wenn Städte lebenswerter werden sollen, dann müssen wir den Autoverkehr deutlich mindern. Das wissen wir alle; ich glaube, dass an dieser Stelle kein großer Dissens besteht. Auch die Stellungnahme des Deutschen Städtetages weist in diese Richtung. Doch wo gibt es hierzulande so etwas wie eine Citymaut oder überhaupt solche Ansätze? Eine solche Maut könnte den Autoverkehr wirklich einschränken, was sich am Beispiel London zeigt. Aber wir wissen auch, dass es massive Widerstände, nicht zuletzt der Autolobby, gibt; ({0}) schließlich klagt Porsche in Großbritannien gegen die Citymaut. Parkraumbewirtschaftung, Tempo 30, Radfahrrouten, Ampelvorrangschaltung und Verkehrsmanagement sind für die Städte unerlässlich. Doch weiß jeder hier im Haus, dass es gegensätzliche Interessen gibt und dass es schwierig ist, diese vor Ort konkret unter einen Hut zu bringen. Ein generelles Umdenken kann aber nicht allein von der Verkehrspolitik ausgehen. Ein generelles Umdenken - ich nenne das Stichwort „Klimaschutz“ - ist allerdings dringend notwendig. Zurück zum Grünbuch und zu dem, was darin steht. Mir fehlen Finanzierungsmodelle, zum Beispiel eine Abgabe für den ÖPNV. Mir fehlen an dieser Stelle Ansätze, wie wir sie zum Beispiel aus amerikanischen oder französischen Städten kennen. Dort haben solche ÖPNV-Abgaben komplette Straßenbahnsysteme finanziert. Wohl jeder wird den grundsätzlichen Zielen zustimmen, die im Grünbuch formuliert sind. Der Verkehr in der Stadt soll flüssiger, die Städte sollen sauberer und der Nahverkehr soll intelligenter, zugänglicher und sicherer werden. Zum letzten Punkt, welcher in den letzten Tagen erschreckend aktuell ist: Immer häufiger kommt es zu schwerwiegenden Überfällen auf Fahrpersonal oder auch auf Gäste. Der Aggressionspegel in unserer Gesellschaft steigt; das ist eine traurige Tatsache. Ich brauche keine großen soziologischen Untersuchungen, um zumindest einige der Ursachen zu finden, die sich in Verkehrsmitteln Bahn brechen - aber natürlich längst nicht nur dort. Es sind zunehmende soziale Polarisierung, Verarmung, Chancenlosigkeit und auch Ausgrenzung, die sich in Gewalt entladen. Doch gerade in den Bereichen, in denen wir Sicherheit schaffen könnten, sind in den letzten Jahren rigoros Stellen abgebaut worden. Personal wurde durch Videoüberwachung ersetzt, die zwar vielleicht dazu beitragen kann, die Täter zu überführen, aber einem Opfer in unmittelbarer Not nicht unbedingt hilft. Zu einem attraktiven Nahverkehrskonzept gehört deshalb nach unserer Meinung Präsenz von Personal, und zwar in den Fahrzeugen, auf den Bahnhöfen und an den Haltestellen. ({1}) In dem Zusammenhang kann der Vorschlag des Berliner Senats, 1-Euro-Jobber einzusetzen, nur als makabrer Scherz gewertet werden. ({2}) - Das war Senator Sarrazin. ({3}) Leider weist das Grünbuch mitunter in eine falsche Richtung. In Ihren Vorlagen tappen Sie auch in die Falle naiver Technikbegeisterung - als wären die Probleme mit technischem Schnickschnack zu lösen. Handys tauchen in den Vorlagen doch nur deshalb auf, weil das Wort „E-Ticketing“ im Grünbuch steht. Abgesehen davon, dass es bisher gar kein funktionierendes Modell für E-Ticketing gibt: Wer würde zu den Nutzern eines solchen Modells gehören? Viele Menschen haben schlicht und ergreifend kein Konto, von dem abgebucht werden könnte. Das trifft wieder Schüler und Empfänger von Transferleistungen. Sie wären von einem solchen Modell ausgeschlossen; ihnen brächte das überhaupt nichts. E-Ticketing würde also nur einen erlauchten Kreis von Fahrgästen erreichen. Das könnte allenfalls ein ergänzendes Angebot sein. Konventionelle Fahrscheine könnten dadurch niemals ersetzt werden. - Nur am Rande möchte ich anmerken: Außerdem könnte E-Ticketing auch genutzt werden, um Bewegungsprofile zu erstellen. Viele Menschen fühlen sich schon heute durch gängige Fahrscheinautomaten überfordert. Das ist häufig eine Zugangsbarriere bei öffentlichen Verkehrsmitteln. Da würde E-Ticketing noch eins draufsetzen. Wir müssen intelligenten Nahverkehr schaffen. Das heißt: vereinfachen, Zugänglichkeit verbessern, Tarife vereinfachen, es nicht immer noch komplizierter machen. Ich fasse zusammen: Wenn es darum geht, die Ziele, die im Grünbuch formuliert sind, zu erreichen, wird reine Verkehrspolitik immer Flickschusterei bleiben. Attraktive Stadtverkehrskonzepte müssen zunächst einmal sozialen Grundsätzen folgen und alle Menschen einschließen. Wir befürworten ein ganzheitliches Konzept. Aus diesem Grund erhält der vorliegende Entschließungsantrag nicht unsere Zustimmung. Danke. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Peter Hettlich, Bündnis 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Patrick Döring, du hattest das Verkehrskonzept der Hamburger FDP für städtische Mobilität hervorgehoben. Wenn das wirklich so gut ist, frage ich mich natürlich, warum die FDP dort nur 4,8 Prozent bei der letzten Wahl bekommen hat. ({0}) Was aus der Forderung nach Einführung einer Citymaut in Hamburg wird, werden wir ja sehen. Ich habe übrigens nicht auf meinem Schirm gehabt, dass Hamburg von unserer Seite aus prioritär für solch ein Vorhaben ins Spiel gebracht worden wäre. Aber auf den Punkt Citymaut werde ich gleich noch einmal gesondert eingehen. Dann bist du auf das Thema „Mobilität in der Stadt“ anhand der aktuellen Situation in Berlin eingegangen. Das ist in der Tat ein delikates Thema. Ich frage mich natürlich, welche Schlüsse ich aus deinen Bemerkungen zu ziehen habe. Willst du, dass wir die Straßennetze der Städte darauf ausrichten, dass sie, wenn der öffentliche Verkehr aufgrund von Streiks ausfällt, den gesamten privaten Individualverkehr aufnehmen können? Oder willst du, dass wir in Zukunft Streiks verbieten, damit der öffentliche Verkehr garantiert werden kann? Ich glaube, die Situation in Berlin zeigt ganz deutlich, wie wichtig öffentlicher Verkehr gerade in dieser Stadt ist. Aber auch in anderen Städten merken wir dann, wenn er nicht mehr funktioniert, wie wichtig er ist. Die Stärkung des öffentlichen Verkehrs - diesen Punkt finden wir ja auch im Grünbuch wieder - ist eine ganz zentrale grüne Forderung. In dieser Frage bleiben wir hart. Davon werden wir nicht abgehen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Ausschuss schon über das Grünbuch diskutiert. Es ist ein viel besseres Papier, als es von vielen hier dargestellt wird. Ich warne auch davor, hier immer wieder reflexartig zu sagen, die Subsidiarität dürfe nicht angetastet werden. Ich sage noch einmal: Sie stellt auch für uns ein sehr hohes Gut dar, aber sie entbindet uns nicht von der Pflicht, hinzuschauen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Getreu dem Motto „Die Gedanken sind frei“ lasse ich mir als Bundespolitiker nicht verbieten und möchte ich auch Europapolitikern nicht verbieten, über die Frage der Mobilität in der Stadt zu diskutieren und entsprechende Vorschläge zu machen. ({2}) Angesichts der Situation in unseren Städten kann ich deinen Ausführungen, lieber Patrick Döring, nicht zustimmen. Ich weiß nicht, wie du dazu kommst, ein derartiges Idealbild von den deutschen Städten zu entwerfen. ({3}) Schauen wir uns einmal die Fakten an: In den Städten entstehen 70 Prozent der Luftschadstoffe und 40 Prozent des verkehrsbedingten CO2, und ein Drittel der tödlichen Unfälle findet dort statt. Davon sind vor allen Dingen Fußgänger und Radfahrer betroffen. Angesichts dessen muss man sich fragen, ob die Situation wirklich so toll ist, dass wir uns zurücklehnen können und nichts mehr machen müssen. Nein, all dies gibt Anlass, uns stärker mit den Vorschlägen des EU-Grünbuchs auseinanderzusetzen. ({4}) Wir leben in Deutschland allerdings auch ein bisschen in einer paradoxen Welt. Die Menschen wollen auf der einen Seite in einer europäischen Stadt leben, aber auf der anderen Seite wünschen sie sich als Autofahrer am liebsten automobilzentrierte Zustände wie in amerikaniPeter Hettlich schen Städten. Deshalb sagen viele Leute auch ganz realistisch: In diesen europäischen Städten, in denen bevorzugt Mobilität stattfindet, für die diese Städte eigentlich nicht gedacht sind, wollen wir nicht leben. Wenn es anders wäre, gäbe es ja keine Suburbanisierung. Wenn man die Leute fragt, warum sie aus der Stadt wegziehen - ich empfehle hierzu die neue Studie des BBR, in der es darum geht, unter welchen Umständen Leute eventuell in die Stadt zurückziehen würden -, erhält man sehr erschreckende Antworten: Nur 15 Prozent der Deutschen wollen in Großstädten leben, und nur 35 Prozent der Großstädter wollen in Zukunft noch in Großstädten leben. Wenn das kein Grund ist, um tätig zu werden, dann brauchen wir eigentlich gar keine Diskussion mehr zu führen. Schauen Sie sich einmal an, wie sich die Kernstädte aufgrund des demografischen Wandels entwickeln: Die Kernstädte werden in Zukunft ebenso wie übrigens die peripheren Räume Bevölkerung verlieren; Zuwachs wird es nur in den Räumen geben, die wir als Speckgürtel bezeichnen. Dabei wissen wir ganz genau, dass solche Speckgürtel sehr problematisch sind. Der Kollege Hofbauer sagt daher zu Recht: Wir müssen uns gerade bei der Frage der Mobilität über Möglichkeiten zur interkommunalen Zusammenarbeit verständigen. ({5}) Hier gibt es erheblichen Handlungsbedarf. Klaus Hofbauer hat recht, wenn er sagt: In den Städten arbeiten und auf dem Lande wohnen, das funktioniert nicht. Das geht immer zulasten anderer. Über diesen Punkt müssen wir also auf jeden Fall diskutieren; hier müssen wir tätig werden. Wir diskutieren bei fast jeder Sitzung hier im Bundestag über die Frage des Klimaschutzes. Insofern besteht doch gar kein Grund, sich über die Forderungen, die wir aufgestellt haben, aufzuregen. Eine Forderung lautet: Reduktion der CO2-Emissionen in den Städten um 20 Prozent bis 2020 und um 80 Prozent bis 2050. Was ist denn daran schlimm? Auch an der Forderung, die Zahl der Verkehrstoten zu halbieren - das steht ja auch in der Europäischen Charta für Straßenverkehrssicherheit -, kann ich nichts Schlimmes finden. Welche dieser Forderungen könnte man den Leuten nicht ins Stammbuch schreiben? Zur Citymaut sage ich ganz klar: Ich halte dies nicht für die Paradelösung für alle Städte. Man muss genau hinschauen. Ich weiß nicht, ob die Citymaut beispielsweise in Hamburg oder Stuttgart funktioniert; das sollen die Kommunen selber entscheiden. Aber lassen Sie uns darüber diskutieren, ob dies tatsächlich ein interessantes Lenkungsinstrument ist. Ich finde, dass wir uns an dieser Stelle unnötigerweise beschränken. In unserem Entschließungsantrag steht auch, dass wir die Städte unterstützen müssen. Es nützt nichts, die Kommunalpolitiker alleine zu lassen; wir müssen sie unterstützen. Das können wir auch finanziell machen. Hier gibt es eine Menge Möglichkeiten. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Die Zukunft der Städte liegt in unseren Händen, in den Händen nicht nur der Bundespolitiker, sondern auch der Kommunalpolitiker. Insofern gibt es keinen Grund, an dieser Stelle über das Grünbuch zu jammern. Wir sollten vielmehr versuchen, die Dinge in aktuelle Politik umzusetzen. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick.

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst gilt mein Dank den Koalitionsfraktionen für den Entschließungsantrag. Die Bundesregierung hat auf das Angebot der Europäischen Kommission reagiert, sich an einem europäischen Diskussionsprozess, „Grünbuch“ genannt, zu beteiligen, der auf folgende Problemlage eine Antwort finden muss: 60 Prozent der EU-Bürger leben in Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern, in denen 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU produziert werden. Mittlerweile haben wir einen volkswirtschaftlichen Schaden durch Staus, Lärm und Verspätungen von 100 Milliarden Euro pro Jahr. Diesen volkswirtschaftlichen Schaden können wir nicht einfach hinnehmen. Peter Hettlich hat es bereits gesagt: EU-weit 40 Prozent der CO2-Emissionen im Nahverkehr und 70 Prozent der sonstigen Schadstoffe entstehen in Städten. Ein Drittel der tödlichen Unfälle ereignet sich in Stadtgebieten. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Die Frage ist, wie wir damit umgehen. Die Kommission hat einen breiten europäischen Konsultationsprozess angeregt, den wir ausdrücklich begrüßen. Wir brauchen diesen Konsultationsprozess, weil uns der Befund sagt, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Wir müssen uns um einen integrierten Politikansatz in den Städten bemühen. Mich freut, dass Deutschland gegenüber Brüssel mit einer Stimme spricht. Wir - Bundesrat, Koalitionsfraktionen und Bundesregierung - sind uns einig, was die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips betrifft. Mich freut insbesondere, dass die Kommission zugesagt hat, dies zu beachten. Warum brauchen wir eine Diskussion auf breiter Ebene? Es gibt gute Beispiele, die wir aus Deutschland beisteuern können; aber auch in Deutschland besteht Handlungsbedarf. So sehen wir, dass in den Stadtplanungsämtern noch zu wenig integrierte Ansätze verfolgt werden. Beispielsweise machen wir die Erfahrung, dass es noch nicht überall selbstverständlich ist, in Stadtentwicklungskonzepten verstärkt über nicht motorisierten Individualverkehr zu sprechen. Dabei kann uns ein europäischer Diskussionsprozess sehr unterstützen. Wir erwarten mit großer Spannung, was im Herbst als konkreter Maßnahmenvorschlag aus Brüssel an die Nationalstaaten geleitet werden wird. Wir werden diese konkreten Vorschläge auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüfen. Dabei wird zu prüfen sein, was der Bund, die Länder und die Kommunen direkt tun können. Insgesamt ist der Konsultationsprozess, den die Kommission angestoßen hat, aus deutscher Sicht begrüßenswert. Ich lade Sie ein, sich über den heutigen Beschluss hinaus zusammen mit dem zuständigen Fachressort an dieser Diskussion zu beteiligen, damit wir ein großes Problem unserer Volkswirtschaft besser lösen als in der Vergangenheit; denn einen volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von 100 Milliarden Euro, der durch Staus und Lärmemissionen verursacht wird, können wir nicht akzeptieren. Ich freue mich sehr auf die praktischen Vorschläge, die wir im Konsultationsprozess miteinander erarbeiten können. Best practice haben wir als Kommunikationsmechanismus verabredet. Deutsche Städte können eine Menge dazu beitragen. Herzlichen Dank für Ihre politische Unterstützung. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das von der Europäischen Kommission vorgelegte Grünbuch umfasst 25 Textseiten mit 25 klug formulierten Fragen, die jetzt im Rahmen einer Anhörung an die Öffentlichkeit und an uns, das nationale Parlament, gerichtet werden. Die entscheidende Frage wird aber nicht gestellt: Brauchen wir überhaupt dieses Grünbuch? ({0}) Man kann auch die Frage stellen: Hat ein Grünbuch überhaupt eine Bedeutung? Dass es Bedeutung hat, kann allerdings mit einem klaren Ja beantwortet werden. Das heute zur Debatte stehende Grünbuch gibt die Antwort darauf selbst. In diesem Grünbuch wird ein Aktionsplan angekündigt. Es werden für ganz Europa Regulierung, Rechtsetzung und einheitliche Richtlinien auf dem Gebiet der städtischen Verkehrspolitik angekündigt. Lassen Sie mich an dieser Stelle auf Folgendes hinweisen: Man muss bei Stellungnahmen zu Grünbüchern aufpassen. Das kann sich nämlich später in der Begründung von europäischem Recht niederschlagen. Das können Sie in manchem Urteil des Europäischen Gerichtshofes nachlesen; denn dort hat das schon Eingang gefunden. ({1}) So werden konkrete Legislativ- und Harmonisierungsvorschläge angedacht, etwa für das Citymautsystem - das ist schon gesagt worden -, zur Parkraumbewirtschaftung, für standardisierte Telematikanwendungen im öffentlichen Personennahverkehr, für Definitionen von Schnittstellen beim Fahrgeldmanagement oder für einheitliche Vorgaben im Bereich der Citylogistik im Güterverkehr. Dazu sage ich ausdrücklich: In den Städten ist in all diesen Teilbereichen schon vieles mit großer Kreativität auf den Weg gebracht worden. ({2}) Es liegen auch schon viele Erfahrungen sowohl in positiver als auch in kritischer Form vor; dazu gehört auch das Thema Citymaut. Wenn wir uns über die Sinnhaftigkeit all dieser Vorschläge unterhalten, müssen immer drei Gesichtspunkte im Vordergrund stehen: erstens das Subsidiaritätsprinzip und zweitens die Verhältnismäßigkeit. Drittens ist zu prüfen, ob dadurch ein europäischer Mehrwert gegeben ist. Dazu heißt es im Grünbuch: Europas Städte unterscheiden sich alle voneinander. - Wie wahr! Aber sie stehen vor ähnlichen Herausforderungen … Das klingt gut, das klingt schön, und das ist sogar richtig. Aber was folgert die Kommission daraus? Die Kommission folgert daraus: Wir brauchen gemeinsame Lösungen, wir brauchen europäische Vorgaben, wir brauchen europäisches Recht. - Genau das ist falsch. ({3}) Die kommunale Selbstverwaltung und die Planungshoheit unserer Städte sind Garanten dafür, dass im Wettbewerb der Städte und Metropolen die lokal bestmöglichen Lösungen von den lokalen Akteuren, das heißt von den Kommunalpolitikern, den Bürgern und der Wirtschaft in den Städten, gesucht werden. ({4}) Die kommunale Selbstverwaltung ist für uns ein wirklich hohes Gut. Wir müssen aufpassen, dass sie nicht durch eine europäische Überregulierung ausgehöhlt wird. ({5}) Selbstverständlich brauchen wir einen europäischen Erfahrungsaustausch. Die hierzu im Grünbuch gemachten Vorschläge weisen in die richtige Richtung. Erfahrungsaustausch und Datenerhebungen sind Dinge, die zu begrüßen sind. Aber eines brauchen wir beispielsweise überhaupt nicht - es ist inzwischen das liebste Kind der Kommission geworden -: eine Agentur. Diese bürokratischen Monster überziehen inzwischen ganz Europa. Es sind inzwischen 37. Im Grünbuch hat man nur eine Namensumbenennung vorgenommen. Es heißt nicht mehr „Agentur“; es heißt jetzt „Beobachtungsstelle für die Mobilität in der Stadt“. ({6}) - Ganz genau; es ist das Gleiche. Der geltende EG-Vertrag wie auch der künftige Vertrag von Lissabon beinhalten da, wo es vernünftig ist, wichtige Zuständigkeiten für die europäische VerkehrsBernhard Kaster politik. Ich will ein paar Beispiele nennen: gemeinsame Regeln für Verkehrsunternehmen, ein gemeinsames Verkehrszulassungsrecht, gemeinsame Sicherheitsbestimmungen oder den großen Komplex der transeuropäischen Netze. Da ist das vernünftig. ({7}) Zugleich verpflichten die bereits geltenden europäischen Verträge und erst recht der noch zu ratifizierende Vertrag von Lissabon die Gemeinschaftsorgane zur Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Nicht nur die Kommunalpolitiker in unseren Städten, nein, alle Bürger werden dankbar dafür sein, wenn wir dieses Subsidiaritätsprinzip ernst nehmen - auch und gerade für weniger Bürokratie in Europa. Jeder, der sich einmal speziell durch den Brüsseler Stadtverkehr gekämpft hat, hat ein gewisses Verständnis dafür, dass sich gerade die Europäische Kommission in Brüssel so umfangreich Gedanken über flüssigeren Verkehr, über intelligentere Nahverkehrslösungen macht. ({8}) Aber als Antwort darauf einen Aktions- und Bürokratieplan für ganz Europa vorzusehen, ist der falsche Weg. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Martin Burkert, SPD-Fraktion. ({0})

Martin Burkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003744, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Herr Kaster, damit kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich zu Beginn meiner Rede klarstellen, dass wir in einer Koalition sind und den Antrag gemeinsam erarbeitet haben. ({0}) Herr Kaster, ich will daran erinnern, dass in Brüssel jetzt ein kompetenter Bayer sitzt; Sie können ja mal überlegen, wen ich meine. Deswegen sehen wir keine Gefahr - da können Sie sicher sein -, wenn es in Brüssel um Dinge wie Bürokratie geht. Als im Jahr 1971 das erste bundesweite Umweltprogramm vorgelegt wurde, hatte die Europäische Gemeinschaft schon zwei Umweltrichtlinien verabschiedet. Noch heute gilt: Viele Standards, die wir beim Umweltschutz erreicht haben, gehen auf europäische Initiativen zurück. Wir von der SPD wissen daher um die Bedeutung des europäischen Einflusses auf den Umweltschutz. Wenn sich die EU nun den Problemen des Stadtverkehrs zuwendet, werden wir daher nicht gleich auf eine kategorische Blockade einschwenken. Die FDP hatte dem Ausschuss einen Antrag vorgelegt, in dem von Angriffen der europäischen Ebene die Rede ist, welche die Mobilität der Menschen verschlechtern und verteuern wolle. ({1}) Diese Rhetorik, sehr geehrter Herr Döring, ist völlig überzogen. Europa ist keine Einbahnstraße. Das zeigt im Übrigen wieder einmal, was die FDP von umweltpolitischer Verantwortung hält. ({2}) Die Kommission verfolgt mit ihrem Grünbuch drei Zielrichtungen: Erstens. Der Verkehr in den Städten soll flüssiger werden. Zweitens. Die Städte sollen sauberer werden. Drittens. Der Nahverkehr soll attraktiver werden. Diese Ziele sind doch wohl absolut zu begrüßen. ({3}) Anstatt sofort zu blockieren, ergreifen wir die Chance, die uns das Grünbuch liefert. Wir nehmen die Handreichung der Kommission ernst und wollen, dass sich der Bundestag am Konsultationsverfahren beteiligt. Im Zuge dieser Beteiligung wollen wir die positiven Ansätze für den Umweltschutz in den Städten unterstützen. Als positive Ansätze bewerten wir zum Beispiel den europaweiten Erfahrungsaustausch, die Anregungen zur Optimierung des motorisierten Stadtverkehrs und zur Förderung intelligenter Verkehrssysteme. ({4}) Ich habe mich in meiner Heimatstadt Nürnberg erkundigt. Dort wurde mir bestätigt, dass man neue Rechtsakte der EU durchaus kritisch sehen würde. In diesem Sinn hat sich auch der Deutsche Städtetag gegen Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung ausgesprochen. ({5}) Diese Bedenken der Kommunen berücksichtigen wir in unserem Antrag. ({6}) Weil wir aber auch um die Chancen und Potenziale eines gemeinsamen Vorgehens wissen, wollen wir die Tür nicht zuschlagen. Stattdessen agieren wir umweltpolitisch vernünftig. Wir fordern die Kommission auf, sich an die Kompetenzverteilung zu halten, und plädieren gleichzeitig dafür, auf europäischer Ebene nach Wegen zu suchen, wie die Städte bei der Umsetzung eines nachhaltigen Stadtverkehrs wirksam unterstützt werden können. Im Unterschied zur FDP haben wir einen ausgewogenen Antrag vorgelegt, mit dem die positiven Aspekte unterstützt werden, und gleichzeitig den Appell formuliert, die Kompetenzverteilung zu beachten. Er verdient die Unterstützung des Hohen Hauses. Ich bitte Sie, sich auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses einzulassen und entsprechend abzustimmen. Danke. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf Drucksache 16/8360 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung mit dem Titel „Grünbuch - Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünen bei Stimmenthaltung der FDP angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8415. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion die Grünen abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kersten Naumann, Heidrun Bluhm, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Förderung der demokratischen Teilhabe und Stärkung des Petitionsrechts - Drucksachen 16/2181, 16/6785 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Kersten Naumann, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen. Diese Haltung vieler Menschen bestätigte kürzlich der Thüringen-Monitor. Als „Achillesferse“ der Demokratie bezeichneten die Jenaer Wissenschaftler die „als unzureichend wahrgenommene Bereitschaft der politischen Eliten, Anliegen der Bürger … ernst zu nehmen.“ 80 Prozent der Befragten meinen, dass die Parteien nur auf Stimmenfang aus sind. Zwei Drittel glauben, keinen Einfluss darauf zu haben, was die Regierung tut - so die Autoren der Untersuchung. Deutlicher Beweis dieser Stimmung sind die zahlreichen Beschwerden an die Bundesregierung und an den Bundestag, insbesondere gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die Gesundheits- und die Rentenreform, Hartz IV und die Praxisgebühr, um nur einige zu nennen. In der Antwort auf unsere Frage, welche Rolle Petitionen im Gesetzgebungsverfahren spielen, lesen wir - ich zitiere -: Die Berücksichtigung von Erkenntnissen, die aus Bitten und Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger gewonnen werden, ist für den gesamten Bereich der Gesetzgebungsarbeit und Verwaltungstätigkeit des Bundes selbstverständlich. Die Zusammenarbeit der Bundesministerien mit den Bundesbeauftragten und den Beauftragten der Bundesregierung … spielt hierbei eine wichtige Rolle. Nicht die Zusammenarbeit mit dem Petitionsausschuss spielt eine wichtige Rolle, sondern die mit den Bundesbeauftragten und den Beauftragten der Bundesregierung. Da stellt sich doch die Frage: Wie ernst nimmt die Bundesregierung eigentlich den Petitionsausschuss und dessen Beschlüsse? ({0}) Die Frage beantwortet sich anhand folgender Zahlen aus den letzten zwei Jahren von selbst. Von den im Petitionsausschuss meist einstimmig gefassten 165 Erwägungs-, Berücksichtigungs- und Materialüberweisungen an die Bundesregierung wurden - bei 114 abgeschlossenen - lediglich 38 positiv, aber 76 negativ beschieden. Das sind 66 Prozent Negativbescheide. Ich nenne hier nur ein Beispiel für die Ignoranz der Bundesregierung gegenüber Beschlüssen des Petitionsausschusses: Mehrere Bürgerinnen und Bürger wandten sich mit einer Petition gegen die Kürzung der Regelleistung im Falle eines Krankenhausaufenthaltes. Da dieser Vorgang dem Willen des Gesetzgebers widersprach, überwies der Petitionsausschuss die Petition der Bundesregierung zur Erwägung, weil die Eingabe Anlass zu einem Ersuchen an die Bundesregierung gab, das Anliegen noch einmal zu prüfen und nach Möglichkeiten der Abhilfe zu suchen. Was machte die Bundesregierung? Sie schaffte keine Abhilfe, sondern binnen sechs Wochen beschloss sie, Unrecht zu Recht zu machen, und entsprach so in keiner Weise dem einstimmigen Votum des Petitionsausschusses. Da verwundert es nicht, wenn die Bundesregierung auf die Frage nach der Bedeutung von Überweisungsbeschlüssen durch den Petitionsausschuss an sie lediglich antwortet - ich zitiere -: Die Bundesregierung verfährt mit den an sie gerichteten Überweisungsbeschlüssen des Petitionsausschusses nach Maßgabe ihrer Prüf- und Berichtspflichten. Das spricht doch Bände. Man nimmt diese Beschlüsse nicht auf, um die Politik auf den Prüfstand zu stellen, sondern man kommt lediglich den Berichtspflichten nach. Staatliche Sozialsysteme erfuhren in den letzten Jahren massive Einschränkungen und wurden abgebaut. Die Berichte über Kinderarmut, über die Situation von Rentnern, kranken und behinderten Menschen sowie Migranten belegen diese Entwicklung in erschreckender Weise. Die Sozialgerichte registrieren einen drastischen Anstieg der Zahl der Klagen und der eingereichten Widersprüche. Diese Klageflut hat ihre Ursachen. Die Menschen fühlen sich in ihren individuellen Rechten massiv beschnitten. ({1}) Mit keinem Wort wurde in der Antwort auf unsere Große Anfrage auf direktdemokratische Mittel wie Volksinitiativen eingegangen. Die Bürger wollen allerdings mehr mitreden. Aber auf Bundesebene gibt es das Mittel der Volksinitiative nicht. Es können nur Massenpetitionen eingereicht werden. Die Linke ist der Auffassung, dass sie in den Stand von Volksinitiativen gehoben werden sollten. ({2}) Viele von ihnen sind von größter öffentlicher Brisanz und von größtem Interesse. Sie betreffen zum Beispiel das NPD-Verbot, den Afghanistan-Einsatz, die Pendlerpauschale, die Praxisgebühr und die Rentenungerechtigkeit, um nur einige zu nennen. Doch auch hier entscheiden zwei Drittel des Bundestages gegen zwei Drittel der Bevölkerung. Ist es dann noch verwunderlich, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger, wie eingangs zitiert, sagen: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen“? Politikverdrossenheit verbreitet sich immer mehr. Die schleichend zunehmende Wahlabstinenz ist dafür ein starkes Indiz. Hinter der Sorge, das Volk entscheide spontan und sei für komplexe Entscheidungen nicht reif, verbirgt sich ein eigenartiges Demokratieverständnis. Allen Unkenrufen zum Trotz hat ein Bürgerentscheid das demokratische Modell noch nie ins Wanken gebracht, nicht einmal beim schwer überschaubaren Bürgerhaushalt, der in Köln und in Berlin-Lichtenberg praktiziert wird. Bürgerbeteiligung ist sinnvoll, weil für eine Konsolidierung des Haushalts die Zustimmung der Menschen notwendig ist. Dieses Zitat stammt nicht von einem Linken, sondern von einem Finanzpolitiker der CDU-Fraktion in Hamburg. Wenn er im Bundestag säße, müsste er sich wahrscheinlich von seiner eigenen Fraktion eines Besseren belehren lassen. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich sagen: Die Politik reagiert nicht mehr auf die gemeinschaftlichen Bedürfnisse der Bürger. Die Fraktion Die Linke will das ändern. Wir fordern deshalb eine umfassende Demokratisierung aller Bereiche: hin zu einer bürgernahen Verwaltung, zu Bürgerbeteiligungsverfahren und zu transparenten Strukturen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Günter Baumann, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden. So unser Grundgesetz. Der Petitionsausschuss, meine Damen und Herren von den Linken, ist ein hohes Gut unserer Demokratie. Ich möchte eindeutig sagen: Dieses hohe Gut der Demokratie hat sich bisher bewährt. ({0}) Wir Abgeordneten bemühen uns unter sehr großem Arbeitsaufwand, jede einzelne Petition sach- und fachgerecht zu bearbeiten. ({1}) Wir haben einen Ausschussdienst, der mit Fachexperten besetzt ist, die uns hervorragend zuarbeiten, ({2}) damit es uns leichter fällt, Entscheidungen zu treffen. ({3}) Frau Naumann sagte: Die Politikverdrossenheit nimmt zu, die da oben reagieren nicht, und es funktioniert einfach nicht mehr. - Ich möchte Ihnen einige wenige Zahlen nennen, die eine vollkommen andere Sprache sprechen. Im letzten Jahr wurden beim Bundestag rund 17 000 Petitionen eingereicht. Zur Verdeutlichung: Das entspricht ungefähr 65 Petitionen pro Tag. ({4}) - Ich werde Ihnen gleich erklären, was damit passiert. Außerdem gibt es eine ganze Reihe von Massen- und Sammelpetitionen. Dazu will ich Ihnen noch eine Zahl nennen: Jedes Jahr beteiligen sich daran etwa 500 000 Bürger. Dieses System wird also umfassend genutzt. Das Beispiel, das Sie vorhin angeführt haben, war eine Verzerrung der Wirklichkeit. Denn von allen Petitionen, die bei uns eingereicht werden, werden etwa 35 Prozent für die Bürger positiv beschieden, ({5}) in welcher Form auch immer. Sie sollten also nicht den Eindruck erwecken, dass „dort oben“ nichts passiert. Das ist eine falsche Darstellung. ({6}) Ich verstehe nicht, wie Sie im Deutschen Bundestag ernsthaft behaupten können, die Rechte der Bürger würden beschnitten; ({7}) denn gerade das Petitionsrecht wird von den Bürgern ausgiebig genutzt. Selbstverständlich kann das Petitionsrecht noch verbessert werden. Insbesondere in den letzten Jahren sind einige Neuregelungen getroffen worden. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, Petitionen per E-Mail einzureichen. Diese Möglichkeit wird von den Bürgern genutzt. Ungefähr 10 Prozent der Petitionen werden per E-Mail eingereicht. Man kann also nicht sagen, die Bürger würden das nicht akzeptieren. ({8}) Darüber hinaus gibt es die Form der öffentlichen Petition; im letzten Jahr wurden etwa 600 von ihnen eingereicht. Bei öffentlichen Petitionen hat man die Möglichkeit, im Internet mit zu unterzeichnen und einen Kommentar abzugeben. ({9}) Auch dazu eine Zahl: Im letzten Jahr wurden von den Bürgerinnen und Bürgern knapp 900 000 Einträge vorgenommen. Man kann also nicht sagen, sie würden diese Möglichkeit nicht akzeptieren und sich nicht beteiligen. Das ist eine falsche Darstellung. ({10}) In dieser Wahlperiode haben wir bereits sechs öffentliche Sitzungen zu Petitionen aus den Bereichen Berufspraktika, Nichtraucherschutz, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Wahlrecht, Steuer und Verkehr durchgeführt. Die Beteiligung der Bürger war hoch. Das zeigt, dass man nicht pauschal von Politikverdrossenheit sprechen kann. Wir gehen auch auf Messen. Am Wochenende sind wir auf der Thüringen-Ausstellung in Erfurt. ({11}) Ich habe gerade auf Messen immer wieder erlebt, dass die Bürger dankbar sind, mit uns ins Gespräch kommen zu können. Man kann also nicht sagen: Die da oben sind weit weg. Die Arbeit des Petitionsausschusses wird von den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land angenommen. Unsere Bilanz kann sich sehen lassen. Insofern stellt sich die Frage: Was will die Linke mit ihrer Großen Anfrage? Wir haben Ihnen bereits im Juni letzten Jahres eine klare Antwort gegeben. Sie wollen ein anderes Petitionsrecht, Sie wollen einen anderen Staat, Sie wollen ein anderes Land. ({12}) Wir werden das nicht mitmachen. ({13}) Das Petitionsverfahrensrecht, eine Angelegenheit des Deutschen Bundestages und ein Instrument der parlamentarischen Kontrolle, ist nicht zu verwechseln mit Eingaben an die Regierung. Exekutive und Legislative sind zwei ganz verschiedene Dinge. ({14}) - Das haben Sie inzwischen gelernt? Das freut mich. Doch Sie haben, wie aus Ihren Fragen und Unterstellungen hervorgeht, nach wie vor ein einseitiges Verständnis des Funktionierens von Legislative und Exekutive. Neben dem Forum des Petitionsausschusses gibt es die Regierungsbeauftragten. Gewiss kann man die Meinung vertreten, wir hätten zu viele davon; diese Meinung habe auch ich schon vertreten. Aber es bleibt festzuhalten: Die Regierung ist von uns unabhängig, die Arbeit des Petitionsausschusses wird in keiner Form untergraben. Im Petitionsausschuss geht es um ganz spezielle Fachgebiete und Sachgebiete. Ein Monopol für die Bearbeitung von Bürgerproblemen gibt es nicht. Es gibt mehrere Stellen, die dafür zuständig sind. Insgesamt funktioniert das im Bundestag und bei der Regierung gut. Ferner gibt es die Ombudsleute der Länder; auch sie sind eine Bereicherung. Eine Instrumentalisierung des Petitionsrechts, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, werden wir nicht mitmachen. ({15}) Ich will auf einige Punkte Ihrer Anfragen eingehen. Beim Thema Asyl fordern Sie, dass ein laufendes Petitionsverfahren aufschiebende Wirkung hat. Sie wollen, dass für die Dauer des Petitionsverfahrens eine Duldung eingeführt wird. Das ist das Gegenteil von dem, was in unseren Gesetzen steht. Eine Härtefallkommission auf Bundesebene wird es nicht geben. Wir haben Regelungen in den Ländern, die hervorragend funktionieren. ({16}) - Sie funktionieren hervorragend. ({17}) - Sie können sich vor Ort informieren. Der Petitionsausschuss ist kein Fachausschuss, der Gesetze in den Bundestag einbringen könnte, Frau Naumann. ({18}) Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, Probleme, Bitten, Anregungen der Bürger zu bearbeiten. Davon haben wir, lieber Josef Winkler, jede Woche mehGünter Baumann rere auf unserem Schreibtisch. Wir machen hier eine hervorragende Arbeit. ({19}) Ich möchte im Zusammenhang mit den Anfragen noch ansprechen, dass wir es nicht zulassen werden, dass die Linksfraktion das Petitionsrecht missbraucht, ({20}) wie es in der letzten Zeit mehrmals passiert ist. Wir werden nicht zulassen, dass die Linkspartei auf Bögen, auf deren Kopf „Die Linke“ steht, Unterschriften sammelt und mit ihren Parteifotografen aus der öffentlichen Annahme der Petition eine Show macht. ({21}) Dann findet eben keine öffentliche Annahme von Petitionen mehr statt, zum Nachteil der Petenten. So haben wir leider reagieren müssen. ({22}) Eines zum Schluss - meine Redezeit geht zu Ende -: Ich finde es als Bürger der neuen Bundesländer unerträglich, wenn sich ausgerechnet diejenigen, die an menschenverachtenden Aktionen mit schuld sind, im Petitionsausschuss mit höchsten Voten für Opfer des SEDRegimes einsetzen. ({23}) Die Linkspartei verhöhnt die Opfer. Das ist unerträglich. ({24}) Ich komme zum Schluss. Das Petitionsrecht ist ein hohes Gut in unserer lebendigen Demokratie, und - das sage ich deutlich - es funktioniert auch. Die Bürger nehmen es an. Wir haben keine Veranlassung, es aus parteipolitischen Gründen - weil die Linken dies wollen - zu verändern. Vielen Dank. ({25})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Jens Ackermann, FDP-Fraktion. ({0})

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die Große Anfrage der Linken zum Petitionsrecht. Die Antwort der Bundesregierung hat einige Zeit auf sich warten lassen. ({0}) Das war notwendig, weil der größte Teil der Fragen nichts mit dem Petitionsrecht zu tun hat. ({1}) Dennoch sind die Antworten präzise und angemessen. Dafür danke ich den unbekannten Verfassern. ({2}) Die Große Anfrage der Linken gleicht einem Stochern im Nebel. Sie vermischen Fragen und Forderungen. Was Sie herausfinden möchten, wird nicht recht klar. ({3}) Was möchten Sie? Möchten Sie mehr Bürgernähe? Im Petitionswesen haben wir Gott sei Dank viel Bürgernähe. Wir besuchen Messen und sind vor Ort. Möchten Sie mehr Transparenz? Auch das haben wir im Petitionswesen bereits. Wir tagen öffentlich. Unsere Sitzungen sind im Internet nachzuvollziehen. Möchten Sie mehr Kontrolle? Auch das haben wir im Petitionswesen. Wir - der Deutsche Bundestag - sind das Kontrollorgan. ({4}) Frau Naumann, Sie haben ausgeführt, dass Bedeutung, Ausübung und Effektivität des Petitionsrechts von Regierung, Parlament und Medien unterschätzt werden. Das mag zwar sein, aber auf sie kommt es nicht an. Es geht um die Bürgerinnen und Bürger. Sie sind wichtig. Die Menschen machen regen Gebrauch von ihrem Petitionsrecht. Die FDP steht für eine Stärkung der Bürgergesellschaft, für mehr Eigenverantwortung und mehr Bürgerbeteiligung. ({5}) Wir haben am Anfang dieser Legislaturperiode einen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden in das Grundgesetz fordert. Es ist in der Tat notwendig, dass sich die Bürgerinnen und Bürger stärker an den politischen Prozessen beteiligen. Die FDP möchte mehr Bürgerbeteiligung. Das Petitionswesen leistet einen Beitrag dazu. Es ist ein hohes Gut in unserem Land. Oft ist eine Petition der letzte Strohhalm der Bürgerinnen und Bürger, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Alle Fraktionen im Hause sind verpflichtet, sich der Nöte und Sorgen der Petenten anzunehmen. ({6}) Ein klug genutztes Petitionsrecht kann Schritt für Schritt für mehr Bürgernähe und mehr Transparenz sorgen. Um dieses kostbare Gut zu bewahren, müssen wir alle darauf achten, wie wir als Abgeordnete damit umgehen. ({7}) Zwei Punkte sollten vermieden werden. Erstens darf der Petitionsausschuss nicht dazu missbraucht werden, politische Schlachten auszutragen. Das können wir in jedem anderen Ausschuss tun und unsere unterschiedlichen Ansätze zum Tragen bringen - sei es in der Steuerpolitik, in der Bildungspolitik oder in der Gesundheitspolitik -, aber nicht im Petitionsausschuss. Im Petitionsausschuss müssen wir das Anliegen des einzelnen Bürgers betrachten. Darum muss es gehen. Die politischen Schlachten müssen außen vor bleiben. ({8}) Zweitens müssen Petitionen auch dann zügig bearbeitet werden, wenn sie innerhalb der Koalitionsfraktionen strittig sind. Eine Verschleppung aus parteitaktischen Erwägungen haben die Petentinnen und Petenten nicht verdient. Den politischen Missbrauch spreche ich aus einem konkreten Anlass an. Die Obleute wurden im letzten Jahr eingeladen, eine Petition mit vielen Unterschriften gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan entgegenzunehmen. Dieses Anliegen wurde ebenso ernst genommen wie jede andere Petition. Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass dies eine Parteiaktion der Linken war. Sie tun damit dem Petitionswesen keinen Gefallen. Im Gegenteil: Damit gefährden Sie das Petitionswesen. ({9}) Der Gedanke an Parteitaktik drängt sich auch an anderer Stelle auf. Auf Initiative der FDP-Fraktion haben wir den Ausschussdienst gebeten, eine Liste zu erstellen, wie viele Petitionen noch in der Warteschleife sind. Oft gibt es Beratungsbedarf, man muss sich noch einmal abstimmen, und eine Petition wird zurückgestellt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Aber in einigen Fällen muss man schon erkennen, dass eine Petition dann, wenn man sich nicht einigen kann, wieder und wieder vertagt wird. Damit ist dem Petenten nicht geholfen. Er hat es auch nicht verdient, dass es zu keinem Votum kommt, bloß weil sich die Koalition nicht einigen kann. ({10}) Das darf meines Erachtens nicht sein. Insgesamt ist unser Petitionswesen gut und notwendig. Es funktioniert. Das Petitionsrecht zu fördern, heißt, Demokratie zu leben. Das ist das Ziel der FDP-Bundestagsfraktion. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Michael Bürsch für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der Linken behandelt zwei Themen: Förderung der demokratischen Teilhabe und Stärkung des Petitionsrechts. Zum zweiten Teil wird meine Kollegin Lösekrug-Möller das Passende sagen. Gerade bei Themen wie der Förderung der demokratischen Teilhabe ist man auf der Suche nach Gemeinsamkeiten. Ich kann eine Gemeinsamkeit nennen, die uns wahrscheinlich zur großen Überraschung der Fraktionen alle eint. Es ist der erste Satz der Großen Anfrage: Demokratie lebt von dem Engagement und der tatsächlichen Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Genau richtig! Wie wahrscheinlich alle hier kann ich dem zustimmen. Ansonsten schließe ich mich der Beurteilung des Kollegen Ackermann an. Auch ich weiß nicht so recht, worauf das Ganze hinauslaufen soll. Ich will in meinem Teil, Formen der Beteiligung, ein bisschen Licht ins Dunkel bringen und eine gewisse Systematik vorschlagen. Zunächst einmal möchte ich zwei Feststellungen zu diesem Thema treffen, die nicht ganz zueinander passen. Auf der einen Seite gibt es in Deutschland ein beträchtliches Engagement. 23 Millionen Menschen in Deutschland sind engagiert; das ist die Feststellung des Freiwilligensurvey. Aus diesem Freiwilligensurvey wissen wir auch, dass mehr als zwei Drittel der Menschen durch Engagement die Gesellschaft zumindest im Kleinen mitgestalten wollen. Wir wissen aus anderen Umfragen, dass über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung starkes oder mittleres politisches Interesse haben. Es ist also nicht so, dass die Deutschen kein Interesse an Politik haben. Auf der anderen Seite wissen wir alle, dass sich das nicht mit dem verträgt, was wir zum Beispiel in Sachen Wahlbeteiligung erleben. Ich nenne hier als Stichwort nur die Beteiligung von 64 Prozent bei der Wahl in Hamburg. Wir erleben eine weiter sinkende Zahl an Parteimitgliedern. Auch bei der Bürgerbeteiligung sind die Zahlen und Fakten leider nicht sehr erfreulich. Ich nenne zwei Beispiele. Erstes Beispiel: Immer wieder - auch in Ihrer Anfrage - wird das Bürgerbegehren genannt. Zwischen 1956 und 2005 sind in den rund 14 000 deutschen Kommunen weniger als 3 000 Bürgerbegehren durchgeführt worden. Wenn man das auf die 50 Jahre umrechnet, dann sind das nach Adam Riese pro Jahr durchschnittlich 60 Bürgerbegehren, verteilt auf alle 14 000 Kommunen. Das ist wirklich nicht beträchtlich. Das zweite Beispiel ist die Bürgerkommune. Dieses Modell, das Ende der 90er-Jahre mit einem wunderbaren Konzept für Bürgerbeteiligung gestartet ist, ist nicht die große Erfolgsgeschichte geworden. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement hat selber das Resümee gezogen: Bislang unterstützen die wenigsten Kommunen bürgerschaftliches Engagement aus dem Blickwinkel der Schaffung einer bürgerorientierten Kommune. Ich könnte die Beispiele noch erweitern. Fazit ist: Auf der einen Seite gibt es ein beträchtliches Engagement und ein großes politisches Interesse, aber auf der anderen Seite ein deutliches Defizit. Was ist zu tun? Ich kann mit Fug und Recht auf die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages verweisen, der ich einmal vorgestanden habe. Sie hat das Leitbild der Bürgergesellschaft vertreten. Das ist für uns vielleicht eine Orientierung. Dort heißt es: Die demokratischen und sozialen Strukturen unseres Landes sollen durch die aktiv handelnden, an den gemeinschaftlichen Aufgaben teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger mit Leben erfüllt, verändert und auf zukünftige gesellschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten werden. Was kann das nur bedeuten? Offensichtlich entsprechen die Formen und Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, die wir anbieten, nicht den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger. Das Wichtigste ist vermutlich nicht die Wahlbeteiligung; obwohl es seine Berechtigung hat, die Wahlbeteiligung zu beobachten, sollten wir nicht nur auf sie schauen. Es ist auch berechtigt - ich bin dafür -, über Formen der direkten Demokratie nachzudenken. Vermutlich ist viel wichtiger, echte Beteiligung anzubieten, das heißt, den Menschen eine Möglichkeit zu bieten, die sie in Wahlen nicht mehr unbedingt sehen, nämlich wirklich etwas mitzugestalten. Man kann zum Beispiel den Bürgerinnen und Bürgern in Kommunen oder Bezirken die Möglichkeit eröffnen - in Berlin wird das zum Teil getan -, über den Bürgerhaushalt ein wirkliches Mitspracherecht zu erhalten. Der Bürgerhaushalt ist schon vor 15 Jahren in Brasilien entwickelt worden. Jetzt gibt es hier in Berlin und überall in Deutschland erfolgversprechende, erfreuliche Modelle, die nichts an der repräsentativen Demokratie ändern; denn weiterhin entscheiden die gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten am Ende über den Haushalt. Die Bürgerinnen und Bürger werden über wirkliche Mitsprachemöglichkeiten ernsthaft an der Entstehung und Entwicklung des Haushalts beteiligt. Sie können darüber mitbestimmen, welche Prioritäten in einem Haushalt gesetzt werden. Wir müssen uns fragen: Welche Formen der Mitbestimmung und der Beteiligung gibt es, damit Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben: Es geht nicht um eine Alibi- oder Schaufensterveranstaltung, sondern es ist wirklich ernst gemeint, es wird so praktiziert, wir nehmen daran teil? Der Bürgerhaushalt ist eine Form, die ich empfehlen kann. Eine zweite Form ist in den letzten zwei Jahren modellhaft erprobt worden: das Bürgerpanel. Die Idee stammt aus England. Es ist eine viel weniger aufwendige Form, Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, indem man sie regelmäßig befragt; in der Stadt Nürtingen wird das hervorragend umgesetzt. Es geht dabei um Fragen, die die Kommune und damit die Bürgerinnen und Bürger essenziell betreffen. Ein Modellversuch, der von der Verwaltungshochschule Speyer betreut wird, hat zu sehr erfreulichen Ergebnissen geführt: Ein Bürgerpanel erzeugt einen geringen Aufwand sowie geringe Kosten und führt zu einer großen Beteiligung sowie zu einem deutlichen Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, das Projekt fortzusetzen. Daraus entwickelt sich eine immer intensivere Form des Engagements und der Beteiligung an Bürgerangelegenheiten. Das Bürgerpanel scheint eine sehr sinnvolle Form der Beteiligung zu sein, die wir weiterentwickeln sollten. Letztlich läuft alles auf das hinaus, was Max Frisch gesagt hat - damit kommen wir zum Thema der Debatte zurück -: Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. Wenn wir das ernst meinen und die Demokratie insofern wirklich wiederbeleben wollen, müssen wir - das ist ein entscheidender Punkt - ernsthafte Möglichkeiten der Beteiligung und der Mitbestimmung bieten. Am Ende zählt, was sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Enquete-Kommission gezogen hat: Wir müssen eine Anerkennungskultur schaffen, sodass die Bürgerinnen und Bürger, die sich die Mühe machen, sich zu beteiligen, dafür entsprechende Wertschätzung und Würdigung erfahren. Ich habe viel dadurch gelernt, dass ich viel gelesen habe. Deswegen habe ich der Linken eine wunderbare Veröffentlichung mitgebracht: Beteiligungsverfahren und Beteiligungserfahrungen. Dort können Sie auf 80 Seiten wunderbar nachlesen, was ich eben in sieben Minuten gesagt habe. Ich wünsche eine angenehme Lektüre. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Monika Lazar, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Monika Lazar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003714, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind im Petitionsausschuss viel Kummer gewöhnt; aber die Auseinandersetzung mit dieser Großen Anfrage und die Antwort der Bundesregierung waren nicht so erquicklich. Wir haben wahrlich keinen Grund, die Bundesregierung in Schutz zu nehmen; aber die Linke hat mit der hier vorgelegten Anfrage wenig getan, um die Bundesregierung um den Schlaf zu bringen - eher im Gegenteil. ({0}) Sie hat der Bundesregierung ein Tableau zur Verfügung gestellt, sich besonders bürgerfreundlich darzustellen. ({1}) Wir können die Selbstgefälligkeit in der Bundesregierung, die aus dieser Antwort spricht, allerdings nicht durchgehen lassen; dasselbe gilt für das vordemokratische Petitionsverständnis der Linksfraktion. ({2}) Was ist unsere Aufgabe im Petitionsausschuss? Unsere tägliche Erfahrung ist doch, dass sich die Menschen massenhaft darüber beschweren, dass sie auf Ämtern häufig herablassend behandelt werden, dass sie keine Antworten oder in unverständlichem Bürokratendeutsch verfasste Antworten erhalten oder dass sie gar falsch beraten worden sind. Manchmal gab es sogar gänzlich fehlerhafte amtliche Bescheide, die wir kritisiert haben. Die Bundesregierung weist in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage darauf hin, dass der Bundestag kein Monopol auf die Behandlung von Bürgerbeschwerden hat. Das stimmt. Aber dann kann man nicht den lapidaren Hinweis geben, der Bürger könne sich ja entscheiden, ob er sich an die Beauftragten der Bundesregierung oder an den Petitionsausschuss wende. Entscheiden kann sich die Bürgerin oder der Bürger tatsächlich. Wenn er etwas erreichen will, sollte er sich aber an uns, an den Petitionsausschuss, wenden. Jeder Bürger und jede Bürgerin hat das Recht auf eine Prüfung seiner oder ihrer Eingabe durch den Petitionsausschuss. Der Petitionsausschuss hat Verfassungsrang; die Vorrednerinnen und Vorredner haben darauf schon hingewiesen. Darauf muss man die Bundesregierung, gleich welcher Zusammensetzung, immer wieder mit Nachdruck hinweisen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Sie könnten wissen, dass wir im Petitionsausschuss zurzeit sehr intensiv an der Fortentwicklung von öffentlichen Petitionen und der bürgerschaftlichen Teilhabe arbeiten. Wir befinden uns in einer bedeutsamen Phase der Fortentwicklung des Petitionsrechts. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag hat uns einen außerordentlichen Erfolg bei der Einführung öffentlicher Petitionen bescheinigt. ({3}) Ich zitiere: Mit der Etablierung des Modellversuchs „öffentliche Petition“ im September 2005 hat der Deutsche Bundestag, insbesondere sein Petitionsausschuss, einen Beitrag dazu geleistet, das im Grundgesetz verankerte Petitionsrecht weiter zu stärken und auszubauen … Es wurde größere Transparenz und Öffentlichkeit für das Petitionsverfahren geschaffen und Raum für den möglichst rationalen Austausch von Argumenten in Petitionsangelegenheiten bereitgestellt. Das scheinen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, nicht mitbekommen zu haben. ({4}) Der Modellversuch wird jetzt in den Regelbetrieb überführt. Er hat auch gezeigt, wo wir es noch besser machen können. Darum suchen wir nach Mitteln und Wegen, aufgetretene Schwächen zu beseitigen und neue Erkenntnisse aufzunehmen. ({5}) - Na ja, niemand ist vollkommen, auch nicht der Petitionsausschuss. ({6}) Darüber hinaus arbeiten wir im Ausschuss sehr aktiv an der bürgerfreundlichen Ausgestaltung öffentlicher Ausschusssitzungen. Das sind die Punkte, nach denen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, fragen sollten, und zwar im Ausschuss, wo wir alle miteinander beraten. Aber wo sind Ihre Vorschläge? Das Petitionsrecht, die Verfahrensgrundsätze, liegen in unserer Verantwortung. Diesbezüglich kann man etwas verändern. Machen Sie im Ausschuss Vorschläge, dann können wir darüber beraten. ({7}) Aber sich nur darüber zu beklagen, dass die Bundesregierung das nicht tut, macht überhaupt keinen Sinn. Wir drehen im Petitionsausschuss gewiss nicht am großen Rad der Weltgeschichte. Aber wir verbessern die Welt jeden Tag ein kleines Stück. ({8}) Dabei geht es um das sprichwörtliche Bohren dicker Bretter. Dafür bedarf es solider Handwerkerinnen und Handwerker. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, arbeiten Sie dabei mit. Im Petitionsausschuss hat wirklich niemand Berührungsängste im Hinblick auf Ihre Fraktion. ({9}) Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Vorschläge zu präsentieren. Wenn sie vernünftig sind, haben Sie uns auf Ihrer Seite. ({10}) - Da mache ich Ihnen schon einmal ein Angebot, und dann kommt so etwas. Wir wollen das Petitionsrecht zu einem politischen Mitwirkungsrecht machen. Sie wollen das Petitionsrecht zu einem politischen Kampfinstrument machen. Das haMonika Lazar ben wir bei den öffentlichen Petitionsübergaben mitbekommen; das ist schon von einigen angesprochen worden. Ich war ebenfalls dabei und empfand das als sehr unangenehm. ({11}) Vor allen Dingen haben Sie nichts damit erreicht. Was ist dabei herausgekommen? - Zurzeit gibt es keine öffentlichen Petitionsübergaben. ({12}) Das ist für uns alle sehr betrüblich, und wir müssen uns überlegen, wie wir aus dieser Sache wieder herauskommen. ({13}) Wir sollten die Debatte über diese Große Anfrage schnell hinter uns bringen und uns wieder mit aller Kraft den eigentlichen Aufgaben des Petitionsausschusses zuwenden. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich den Kollegen der Linksfraktion zuwende, möchte ich ein Wort an den Kollegen Ackermann richten. Ich will einen möglicherweise bestehenden falschen Eindruck widerlegen. Sie haben gesagt, es bestehe zu häufig Uneinigkeit zwischen den Fraktionen der Großen Koalition, es würden Petitionen vertagt werden. Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache. 112 Petitionen wurden vertagt, davon 31 auf Wunsch der CDU/CSU-Fraktion, 19 wegen einer zusätzlichen Berichterstattung - also wegen einer besonders intensiven Nacharbeit und eines besonderen Engagements für das vorgebrachte Anliegen und 12 wegen Beratungsbedarfs. Da bleibt noch viel Platz für das Vertagen durch andere Fraktionen. Wenn Sie die Zahlen genau überprüfen, dann kommen Sie dazu, dass die FDP nicht selten vertagt hat. ({0}) Zur Großen Anfrage der Linksfraktion. Man muss ehrlicherweise sagen: zur sogenannten Großen Anfrage; denn die Anfrage ist nur dem Umfang nach groß. Der Inhalt bleibt dahinter doch signifikant zurück. ({1}) Als Erstes fällt auf: Hier wird die Regierung zu einer originären Aufgabe des Parlaments befragt. Schon das mutet merkwürdig an. ({2}) Trotz der zahlreichen Fragen hat mir die Frage 109 an die Bundesregierung gefehlt, wann sie gedenkt, einen Bundespetitionsminister zu ernennen. Das hätte zu Qualität und Anzahl gepasst. ({3}) Wir von der Union teilen diese - es wurde gesagt: vordemokratische - Auffassung von Staatsorganisation nicht. Schauen wir uns die Fragen im Einzelnen an. Sie stellen bisweilen Fragen, die Sie mit einer einfachen Internetrecherche selbst hätten beantworten können; ich will Ihre Leistungsfähigkeit nicht herabwürdigen. Wir haben allerdings den Eindruck, dass Sie den Petitionsausschuss und einzelne Petitionen, zum Teil von Ihnen selbst auf den Weg gebracht, populistisch ausschlachten wollen. Ich erinnere nur an die letzte Sitzung des Petitionsausschusses, als Sie eine Petition mit einem hohen Votum versehen wollten, die die Anhebung des Kindergeldes um einen abenteuerlich hohen Betrag vorsah. Das fanden Sie erwägenswert. Sie sind aber eine Antwort auf die Frage schuldig geblieben, wie Sie die daraus resultierenden Mehrausgaben in Höhe von 24,2 Milliarden Euro gegenfinanzieren wollen. ({4}) Das sind so eben 10 Prozent des Bundeshaushaltes, und Sie leiten das weiter und tun so, als ob es Sie interessierte. In Wahrheit verklapsen Sie den Petenten, weil Sie ihm nicht die Wahrheit sagen. ({5}) Sie fordern einen Volksentscheid auf Bundesebene. Es steht in diesem Hause jedermann gut an, wenn er erst einmal vor seiner eigenen Tür kehrt, und zwar in jeder Hinsicht. Ich rate Ihnen dringend, sich mit Ihren Parteigenossen in Berlin auseinanderzusetzen. Ich erinnere daran, dass wir es im Augenblick in Berlin mit der engagiert diskutierten Frage nach der Zukunft des Flughafens Tempelhof zu tun haben. Viele Berliner Bürgerinnen und Bürger sprechen sich für den Erhalt dieses Flughafens aus. Es soll nun am 27. April - dafür gibt es nennenswerten Zuspruch - einen Volksentscheid geben. Die rotrote Koalition in Berlin möchte den Flughafen Tempelhof schließen, weiß aber ganz genau, dass sie bei diesem Volksentscheid außergewöhnlich schwach dastünde. Was passiert? Es ist angedacht - und zwar unter Beteiligung der Linkspartei -, vorab den Flughafen womöglich an Immobilienspekulanten zu verscherbeln, damit Ihre Parteigenossen dem Bürgerwillen nicht nachgeben müssen. Sie haben in Wahrheit gar kein echtes Interesse an demokratischen Prozessen. Sie ignorieren den Bürgerwillen konsequent. Carsten Müller ({6}) ({7}) - Herr Bürsch, das müssen Sie aushalten. Ich will Sie gern überzeugen, sich für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in Berlin einzusetzen. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Petra Sitte?

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit außerordentlichem Vergnügen. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, zu welchem Zeitpunkt der Beschluss gefasst wurde, den Flughafen Tempelhof zu schließen, und von wem? Wenn Sie die Antwort nicht sofort parat haben sollten: erstens in der Regierungszeit von Herrn Kohl und zweitens in der Regierungszeit von Herrn Diepgen. Wenn ich recht informiert bin, sind sie Ihre Parteigenossen. Ist das so?

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die erste Frage kann ich mit Ja beantworten. Ich freue mich darüber, in derselben Partei zu sein wie Eberhard Diepgen und Helmut Kohl. Das ist ein weiterer guter Grund für eine Mitgliedschaft in der CDU. ({0}) Im Übrigen unterlassen Sie und Ihre Parteigenossen es in Berlin aktiv, einen sinnvollen Beschluss herbeizuführen und den Bürgerwillen zu respektieren. ({1}) Wir haben - das hat der Kollege Baumann richtigerweise ausgeführt - eine außerordentlich hohe Zahl von Petitionen, die dieses Haus jährlich erreichen. Die Größenordnung beträgt 17 000 bis 20 000 Petitionen pro Jahr. Diesen Petitionen wird ernsthaft nachgegangen, und sie werden mit großem Engagement bearbeitet. Wir haben die Möglichkeiten des Zugangs zum Parlament und dessen Erreichbarkeit sowie die Möglichkeit, einzelne Petitionen zu diskutieren, erheblich ausgeweitet und vereinfacht, und zwar durch die Zulassung von elektronischen Petitionen, von Massenpetitionen, von öffentlichen Petitionen und durch öffentliche Ausschussberatungen. Der Petitionsausschuss lässt es sich nicht nehmen, sich auch vor Ort über Sachverhalte zu informieren. Darin kommt die ernsthafte Arbeit des Petitionsausschusses zum Ausdruck. Der Kollege Bürsch hat in seinem Redebeitrag anklingen lassen, dass den Bürgerinnen und Bürgern eher damit geholfen ist, dass man sich um ihre Anliegen kümmert und dass man die Grundlagen für bürgerschaftliches Engagement ausbaut und verbessert, anstatt hier einen Klamauk zu veranstalten. ({2}) Die Große Koalition hat das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf den Weg gebracht und am 6. Juli 2007 beschlossen. Damit wurde ein stabiles Fundament gelegt und es wurden nicht zuletzt die steuerlichen Rahmenbedingungen erheblich verbessert. Wir sehen die Erfolge schon heute. ({3}) Deswegen will ich den Ratschlag meiner Vorrednerin Monika Lazar gerne beherzigen: Wir wollen diese Beratung relativ schnell hinter uns bringen, weil sie zum Teil unerfreulich ist. Diese Anfrage ist nichts anderes als Klamauk. Meine Damen und Herren Kollegen von der Linksfraktion, Ihnen sollte zu denken geben, dass diese Bewertung praktisch einhellig von allen anderen Fraktionen hier im Hause vorgenommen wird, die im Übrigen bei allen Unterschieden in der Sache im Petitionsausschuss und darüber hinaus außerordentlich konstruktiv zusammenarbeiten. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letzter Rednerin in dieser Debatte erteile ich Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller, SPD-Fraktion, das Wort.

Gabriele Lösekrug-Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003482, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir könnten das Ganze mit den Worten zusammenfassen: Schade eigentlich. Schade eigentlich, dass wir hier über ein gutes Recht reden, das durch unsere Verfassung gewährleistet, aber durch die Anfrage infrage gestellt wird. Schade eigentlich, dass 108 Fragen an die Regierung gestellt worden sind und die Antworten heute im Plenum behandelt werden. Die Fragen sind dadurch nicht besser geworden. Was zeigen sie uns? Sie zeigen uns, dass die Fraktion Die Linke einen gewissen Orientierungsmangel hat und nicht weiß, worum es eigentlich geht, wenn sich Bürger und Bürgerinnen, das Petitionsrecht nutzend, an den Bundestag wenden. ({0}) Meines Erachtens haben wir optimale Rahmenbedingungen, die wir nicht durch ein eigenes Petitionsgesetz verbessern müssen. Das ist eine alte Kritik, die wir kennen. In der vorvergangenen Legislaturperiode waren es Ihre Vorgänger, die ein solches Gesetz haben wollten. Die Kritik ist damals falsch gewesen, der Vorschlag war nicht richtig. Das Ergebnis, nämlich die Ablehnung eines solchen Gesetzes durch dieses Haus, war damals richtig und ist es heute noch. Klar ist, dass der gesetzliche Rahmen, den wir haben, durch dieses Parlament gut ausgefüllt werden kann. Wir tun das durch die Praxis im Ausschuss. Wir erfüllen unsere Aufgabe mit Leben. Die Vielzahl der Petitionen zeigt nicht nur, dass wir genug zu tun haben, sondern sie ist auch Ausdruck des Vertrauens von Petenten und Petentinnen darauf, dass sie sich nicht umsonst an uns wenden und wir sehr ehrlich und sachlich mit ihren Bitten und Beschwerden umgehen. Ich glaube, sie wollen eines nicht: Sie wollen nicht, dass ihre Petitionen von einer Fraktion dieses Hauses missbraucht werden, die meint, sie könne damit populistisch Politik machen. Deshalb wäre es gut gewesen, Sie hätten vorher einmal überlegt, ob das parlamentarische Instrument der Großen Anfrage überhaupt richtig für Ihr Anliegen ist. ({1}) Es könnte nur dann sinnvoll sein, wenn Sie daraus einen Erkenntnisgewinn hätten. Viele der 108 Fragen legen nahe, dass es durchaus einen Informationsbedarf in Ihren Reihen gab. Deshalb können wir zufrieden sein, dass nun die Antworten vorliegen. Die Antworten zum Thema Petitionen bringen Sie allerdings politisch nicht voran, weil festgestellt wurde, dass das Recht gut ausgestaltet ist und wir es in diesem Parlament auf eine sehr seriöse Art und Weise mit Leben ausfüllen. ({2}) Dazu passt auch, dass wir auf der Höhe der Zeit Modernisierungen vorgenommen haben, die dazu geführt haben, dass mehr Menschen teilhaben und dieses Beschwerde- und Bittenrecht nutzen können. Hier sind wir gut beraten, die Ergebnisse der Begleitforschung abzuwarten und aus diesen Erkenntnissen heraus dort zu modernisieren, wo es nottut. Eine erste Tendenz ist erkennbar - für Sie scheint dies aber nicht von Bedeutung zu sein -: Wir haben gelernt, dass wir Menschen, die bildungsfernen Schichten angehören, zu schlecht erreichen und dass wir bei jungen Leuten noch nachlegen können. Das ist die Herausforderung. Dazu hören wir von Ihnen gar nichts, was mich persönlich allerdings nicht überrascht. ({3}) Es ist allerdings auch leicht, wenn man Petitionen missbrauchen will, sie als Stichwortgeber für eigene politische Vorhaben zu nutzen. Wir erleben dies im Petitionsausschuss immer wieder. Als erstes Beispiel nenne ich die SED-Opfer-Regelung. Wir müssen uns einmal vor Augen halten, wie Sie sich dazu verhalten haben. Wir haben es in der Großen Koalition geschafft, mit großer Zustimmung eine Lösung auf den Weg zu bringen. Wenn nun in einer Petition kritisiert wird, dies sei nicht genug, dann stimmt ausgerechnet Ihre Fraktion dem zu. Sie sagen dann, hier müsse man schärfer herangehen und auf jeden Fall mehr geben. Mein Tipp wäre gewesen, dass Sie die Menschen rechtzeitig an dem Vermögen hätten teilhaben lassen, das Sie als Partei in ihre eigene Tasche umgelenkt haben. ({4}) Mein Tipp: Es wäre auch heute noch möglich, aus diesem nicht unerheblichen Vermögen für jene zu sorgen, die Opfer des Systems waren. Vielleicht wäre dies ja glaubwürdiger. ({5}) Ich nenne ein zweites Beispiel: Am Mittwoch dieser Woche wollten Sie innerhalb weniger Minuten Milliardenbeträge ausgegeben, die wir nicht haben. Das heißt, Sie erliegen unentwegt der Verlockung des Populismus. So etwas darf man bei der Bearbeitung von Petitionen nicht machen. ({6}) Wir arbeiten im Ausschuss gut. Wir brauchen keine weiteren Gesetze. Wenn aber die Vorsitzende des Ausschusses meint, feststellen zu müssen, es gebe eine Ignoranz der Bundesregierung gegenüber dem Petitionsausschuss, dann bitte ich darum, dass dies im Ausschuss ausführlich erläutert wird. Ich kann nur sagen: Die Bundesregierung ist nicht immer unserer Meinung, wenn wir sie kritisieren; das kann ich sogar nachvollziehen. Allerdings lassen wir als jene Vertreter, die die Mehrheit stellen, uns auch nicht das Recht nehmen, unsere Regierung zu kritisieren. In vielen Fällen wird unsere Kritik aufgenommen, und es gibt Verbesserungen. ({7}) Aber von Ignoranz zu sprechen, bedarf einer seriösen Begründung. Diese haben Sie heute nicht geliefert. Ich bin schon gespannt, ob wir überhaupt eine bekommen. Ich freue mich auf die zukünftige Arbeit im Ausschuss und bin sicher, dass wir aufgrund der Ergebnisse der Begleitforschung noch besser werden, was Bürgernähe anbelangt. Das muss unser ständiges Streben sein. Ich sehe dafür ein breites Bündnis im Ausschuss. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir ohne jedwede gesetzliche Änderung mit dem Petitionsrecht gut weiterarbeiten können. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b so- wie Zusatzpunkt 4 auf: 8 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bernd Siebert, Ulrich Adam, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Rainer Arnold, Dr. HansPeter Bartels, Petra Heß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Konzept der Inneren Führung stärken und weiterentwickeln - Drucksache 16/8378 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({0}) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundeswehr - Innere Führung konsequent umsetzen - Drucksache 16/8370 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({2}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Innere Führung stärken und weiterentwickeln - Drucksache 16/8376 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({3})

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir eine Freude, dass wir heute erstmals hier im Plenum des Deutschen Bundestages und damit in aller Öffentlichkeit die Ergebnisse der Arbeit des Unterausschusses „Weiterentwicklung der Inneren Führung“ vorstellen und beraten. In den letzten viereinhalb Jahren haben wir uns in 32 Sitzungen als Rat- und Ideengeber betätigt und unsere Arbeit im Herbst 2007 mit einem Bericht abgeschlossen - Ausgangspunkt für unsere heutige Debatte. Der Verteidigungsausschuss hat diesen Unterausschuss, dem vorzustehen ich seit Mai 2003 die Ehre hatte, in der vergangenen 15. Wahlperiode eingesetzt. Dies geschah, weil sich seit dem Erlass der bisher gültigen Fassung der Zentralen Dienstvorschrift 10/1 vom 16. Februar 1993 die sicherheitspolitische Situation in Deutschland, Europa und der Welt allgemein und die Lage der Bundeswehr sowie die innere Struktur der Truppe stark verändert haben. Uns allen ist sehr bewusst, dass die Bundeswehr, dass unsere Soldatinnen und Soldaten heute vor grundsätzlich anderen Herausforderungen stehen als vor unserer Zeit. Aus einer Armee für den Einsatz ist eine Armee im Einsatz geworden. Vor allem die Zahl der Auslandseinsätze ist enorm gestiegen. Heute stehen über 6 000 deutsche Soldaten an militärischen Brennpunkten der Welt. Die Umbruchsituation 1990/91 hat eine Transformation der Bundeswehr mit grundlegenden strukturellen und personellen Veränderungen notwendig gemacht. Auch die Öffnung nahezu aller Verwendungsbereiche für Frauen hat unsere Bundeswehr neu geprägt. Diese Veränderungen waren es, die zur Geburtsstunde des Unterausschusses geführt haben. Unsere Aufgabe war es, den neuen Anforderungen gerecht zu werden, ihnen Rechnung zu tragen und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Zu diesen gehört, erstens, die Feststellung, dass die tragenden und unverrückbaren Prinzipien der Inneren Führung, die mit der Aufstellung der Bundeswehr 1955 durch Wolf Graf von Baudissin und Ulrich de Maizière entwickelt wurden, bis heute Bestand haben: Primat der Politik, unbedingte Beachtung der Menschenwürde in den Streitkräften, das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform und die Bindung der Streitkräfte an Recht und Gesetz. Dies prägt und bestimmt damals wie heute das Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten. Zu unseren Schlussfolgerungen gehören, zweitens, ganz konkrete Bereiche, die heute ein untrennbarer Bestandteil des Konzepts Innere Führung sind: Erstens. Durch militärische und ethische Erziehung der Soldatinnen und Soldaten wirkt die Innere Führung darauf hin, dass ein sicheres, auf Recht und Gesetz ausgerichtetes Handeln sowohl im Inland als auch im Ausland umgesetzt wird. Zweitens. Unseren Soldatinnen und Soldaten wird vermittelt, welchen Sinn die Einsätze der Bundeswehr in teils fernen Regionen der Welt haben und welche Ziele erreicht werden sollen. Drittens. Neben den klassischen militärischen Fähigkeiten gehört zur Handlungskompetenz unserer Soldatinnen und Soldaten auch immer, wie es der Bundesminister stets betont, Helfen, Schützen, Retten und Vermitteln. Viertens. Die interkulturelle Kompetenz als Zeichen von Respekt vor fremden Kulturen gewinnt gerade bei steigender Zahl von Auslandseinsätzen zunehmend an Bedeutung. Fünftens. Die politische Bildung - ein wesentlicher Baustein der Konzeption Innere Führung - muss weiter ausgebaut und gestärkt werden. Sechstens. Die Integration von Frauen in die Streitkräfte muss gefördert und gestärkt werden. Dr. Karl A. Lamers ({0}) Siebtens. Die politisch gewollte Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den Streitkräften wird durch zeitgemäße Konzepte weiterentwickelt. Dazu gehört auch das Angebot an Teilzeitarbeit. Achtens. Die von der Bundeswehr geschaffenen Familienbetreuungszentren sowie gleichgerichtete Initiativen müssen vernetzt werden. Innere Führung, das ist eine Erfolgsgeschichte und gilt heute als Markenzeichen der Bundeswehr. Sie gehört zu ihrem Selbstverständnis. Sie ist einzigartig in der ganzen Welt. Innere Führung lebt und wird von unseren Soldatinnen und Soldaten gelebt. Sie ist erlernbar. Sie ist praktisches Handwerk und keine Ideologie. Heute können wir feststellen, dass die Grundsätze und Anwendungsbereiche der Inneren Führung von der ganz überwältigenden Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten bereits verinnerlicht sind und gelebt werden. Angesichts einer Zahl von über 250 000 Soldaten ist das bei weitem nicht selbstverständlich. Die Mitglieder des Unterausschusses haben dem Verteidigungsausschuss ihren Schlussbericht vorgelegt. Wir sind uns einig, dass das Konzept „Innere Führung“ bereits in der Vergangenheit erfolgreich war, und wir sind überzeugt, dass es dynamisch genug ist, um in der Zukunft als ethischer Kompass und modernes Führungsinstrument zu dienen. ({1}) Fazit: Innere Führung ist ein dynamischer Prozess, der sich immer wieder auf aktuelle und absehbare Entwicklungen ausrichten muss. Wir sind gehalten, uns stets mit neuen gesellschaftlichen, politischen, militärischen und technologischen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Wir sind aufgerufen, stets aufs Neue für eine zeitgemäße Form der Konzeption „Innere Führung“ zu sorgen, denn genau davon lebt sie. Sir Winston Churchill hat einmal gesagt: Konsequent ist, wer sich selber mit den Umständen wandelt. - Ich fordere uns auf, in diesem Sinne konsequent zu sein und zu bleiben. Am Schluss meiner Ausführungen darf ich allen Kolleginnen und Kollegen im Unterausschuss „Weiterentwicklung der Inneren Führung“, insbesondere meinen Stellvertretern Ulrike Merten - Stellvertreterin in der ersten Zeit, heute Vorsitzende des Verteidigungsausschusses - sowie Gerd Höfer, für die geleistete großartige Arbeit danken, für vertrauensvolles Zusammenwirken über Fraktionsgrenzen hinweg und für Effizienz, gerade in frühen Morgenstunden, in denen wir gearbeitet haben. ({2}) Mein Dank gilt der Bundesregierung, Ihnen, Herr Bundesminister Jung, Ihren Staatssekretären, dem Generalinspekteur und den Angehörigen der Führungsstäbe. Sie, Herr Minister, haben vor wenigen Tagen eine neue, überarbeitete Zentrale Dienstvorschrift herausgegeben, in der wesentliche Ergebnisse unserer Arbeit Berücksichtigung finden. Das ist wirklich gut. Respekt dafür! Wir alle wissen, dass jede Konzeption auch Menschen braucht, die sie umsetzen und mit Leben erfüllen. Deshalb geht mein Dank an dieser Stelle vor allem an die Menschen, die dieser Konzeption und ihren tragenden Prinzipien in der Bundeswehr seit mehr als einem halben Jahrhundert zum Erfolg verhelfen. Mein Dank gilt den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Sie dienen unserem Land vorbildlich. ({3}) Der berühmte preußische Armeereformer General Scharnhorst hat einmal gesagt: Tradition der Armee muss es sein, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren. - Heute, fast 200 Jahre danach, ist die Innere Führung das Instrument, mit dem es uns gelingt, diesem Anspruch gerecht zu werden. Innere Führung - diese Konzeption verdient es, auch weiterhin gestärkt zu werden. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Prinzipien der Inneren Führung und das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform haben sich bewährt, auch wenn sie zum Zeitpunkt der Einführung sehr umstritten waren. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Innere Führung ein Markenzeichen der Bundeswehr ist. Ein solches - erfolgreiches - Markenzeichen bedarf der Pflege, wenn es zeitgemäß bleiben soll. Es ist festzustellen, dass sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen verändert haben. Die Bundeswehr unterliegt seit ihrer Aufstellung einem permanenten Wandel. Sie befindet sich weiterhin in einem Transformationsprozess hin zu einer Armee im Einsatz mit erweitertem Aufgabenspektrum. Damit sind enorme Herausforderungen für die Soldatinnen und Soldaten, ihre Familien, aber auch für den Dienstherrn verbunden. Derart tiefgreifende Veränderungen gehen natürlich nicht spurlos an der Bundeswehr und der Inneren Führung vorbei. Deshalb war es folgerichtig, dass der Verteidigungsausschuss einen Unterausschuss eingerichtet hat, der sich mit der Weiterentwicklung der Inneren Führung beschäftigt hat. Ich möchte mich den Dankesworten unseres Vorsitzenden anschließen und in den Dank auch die Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Bundestagsfraktion einbeziehen, die in der letzten Legislaturperiode in diesem Unterausschuss mitgearbeitet haben. Es waren dies die Kollegin Helga Daub und der Kollege Günther Nolting. ({0}) In der Arbeit dieses Unterausschusses wurde über die Bestandsaufnahme und Sachstandsanalyse hinaus versucht, konkrete Verbesserungsmöglichkeiten in den Bereichen aufzuzeigen, die für eine erfolgreiche Bewältigung der menschlichen Seite des Transformationsprozesses entscheidend sind. Wenn der Transformationsprozess erfolgreich sein soll, müssen die Menschen im Mittelpunkt stehen. Die Bundeswehr braucht zur Erfüllung ihres Auftrages weiterhin hoch motivierte, gut ausgebildete, ethischmoralisch gefestigte, aber auch berufszufriedene Streitkräfteangehörige. Es wurde im Unterausschuss sehr deutlich, dass in den Bereichen Ausbildung und Versorgung, aber auch bei den Rahmenbedingungen des Soldatenberufs erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zeichnet sich ab, dass die Bundeswehr bei der Nachwuchsgewinnung immer stärker einem verschärften Wettbewerb um die besten Köpfe mit anderen Arbeitgebern ausgesetzt ist. Deshalb ist es wichtig, die Attraktivität des Dienstes zu steigern. Das hängt nicht nur mit der Höhe der Vergütung zusammen, sondern eben auch mit Weiterbildungsmöglichkeiten, der Versetzungshäufigkeit, der Beförderungssituation und den Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Die Bundeswehr muss daher zügig ein Attraktivitätsprogramm auflegen, damit sie als Arbeitgeber konkurrenzfähig wird. ({1}) Dabei gibt es einige Punkte, die aus unserer Sicht einer besonderen Beachtung bedürfen. Dazu gehört beispielsweise eine echte auftragsgerechte Personalstrukturreform. Sie ist ebenso dringend nötig wie ein neues Laufbahnrecht, um den Beförderungsstau in den Streitkräften abzubauen. Wir brauchen bessere Teilzeitarbeitsmöglichkeiten. Die Wahrnehmung von Teilzeit sollte allen Soldatinnen und Soldaten ermöglicht werden, die dies wünschen, sofern der Dienstbetrieb das erlaubt. Wir brauchen aber auch - auch daran sieht man, dass sich die Streitkräfte gewandelt haben - Angebote zur Kinderbetreuung, um den Dienst in der Bundeswehr familienfreundlicher zu gestalten, als er bisher ist. Immer häufiger wird auch die Versetzungshäufigkeit thematisiert; auch darüber haben wir im Unterausschuss gesprochen. Sie muss auf das dienstlich absolut notwendige Maß reduziert werden. Auch ich bin der Überzeugung, dass es nicht angehen kann, dass ein Soldat von einer Versetzung erst wenige Tage zuvor erfährt, insbesondere dann, wenn es sich um einen Auslandseinsatz handelt. Über solche Dinge wurde immer und immer wieder berichtet. Wir sind gemeinsam zu der Auffassung gelangt, dass Soldatinnen und Soldaten vor allen Dingen Planungssicherheit für sich und ihre Angehörigen brauchen. Es kostet keinen einzigen Cent, Herr Minister, diese Planungssicherheit zu erhöhen; es trägt aber zur Zufriedenheit mit dem Dienst in den Streitkräften bei. ({2}) Ein drängendes Problem ist die geringe Einstiegsbesoldung, insbesondere für Mannschaften und Unteroffiziere; sie muss angehoben werden. Wir brauchen auch ein eigenes Besoldungsrecht für Soldatinnen und Soldaten. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne kurz auf das Dienstrechtsneuordnungsgesetz hinweisen, das im Moment zu Recht für massiven Unmut in der Truppe sorgt. Im Referentenentwurf war ja sogar geplant, die im Vergleich zur Polizei und zur Bundespolizei niedrige Eingangsbesoldung für Soldaten noch weiter zu senken. Dieses Vorhaben ist Gott sei Dank zwischenzeitlich vom Tisch. Aber nach dem Willen der Bundesregierung sollen Soldaten nun länger auf Beförderungen warten als andere Besoldungsempfänger, und Soldaten auf Zeit sollen Nachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung hinnehmen müssen, ohne die Möglichkeit zu haben, diese auszugleichen. Hier appellieren wir an die Bundesregierung und auch an die Koalitionsfraktionen, den Gesetzentwurf an dieser Stelle noch einmal abzuändern und diese geplanten Änderungen zurückzunehmen. ({3}) Wir haben in dem Abschlussbericht des Unterausschusses „Weiterentwicklung der Inneren Führung“, den wir gemeinsam gefertigt haben, festgehalten, dass eine Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr dringend geboten ist. Die FDP-Bundestagsfraktion erwartet, dass diesen richtigen Worten jetzt auch richtige Taten folgen. ({4}) Deswegen würde ich angesichts der Anträge, die zur heutigen Debatte hier vorliegen, vorschlagen, bis zur Endabstimmung noch einmal den Versuch zu unternehmen, einen gemeinsamen Antrag zu basteln, um auf diese Art und Weise dem Abschlussbericht, den wir gemeinsam gefertigt haben und der in weiten Teilen Übereinstimmung enthält, Nachdruck zu verleihen, und so die Bundesregierung aufzufordern, die Anregungen des Parlaments umzusetzen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Kollege Gerd Höfer, SPD-Fraktion. ({0})

Gerd Höfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf in aller Bescheidenheit daran erinnern: Ehe die deutsche Wiederbewaffnung in die Tat umgesetzt und die Bundeswehr geschaffen worden ist, hat es sehr dezidierte und heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob dieser Weg der Wiederbewaffnung richtig ist. Nicht um irgendwelche Vorwürfe an irgendwelche Parteien zu richten, erwähne ich, dass es den beGerd Höfer rühmten Satz gegeben hat: „Ehe ein deutscher Soldat wieder ein Gewehr in die Hand nimmt, möge mir der Arm verdorren.“ Ich weiß, dass damals die SPD sehr heftig dagegen gestritten und polemisiert hat. Erst das Prinzip der Inneren Führung, das heißt ein Neubesinnen auf die Stellung der - so muss man inzwischen sagen - Soldatinnen und Soldaten in der Gesellschaft, hat die SPD dazu gebracht, zuzustimmen. Das Konzept der Inneren Führung ist schlagwortartig mit dem Begriff des Staatsbürgers in Uniform verbunden. Der Staat sagt nämlich, dass ein Soldat auch bei Hinnahme bestimmter Einschränkungen der Grundrechte, was seinen dienstlichen Auftrag anbelangt, Staatsbürger ist und bleibt. Wenn man „Staatsbürger in Uniform“ ernst nimmt, dann ist im Grunde genommen schon damals und nicht erst heute die Parlamentsarmee begründet worden, weil die unveräußerlichen Grundrechte, für den Soldaten auch geltend, praktisch schon immer der parlamentarischen Überwachung unterlegen haben, sei es auf der Seite der Regierungsparteien, sei es auf der Seite der Opposition. Von daher war das Prinzip der Inneren Führung, des Staatsbürgers in Uniform - ich habe es selber erlebt, weil ich noch Ausbilder hatte, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammten - immer in der Diskussion. Ich halte es auch für gut, dass dieses Prinzip in der Diskussion ist und bleibt. Der Unterausschuss - von Karl Lamers erwähnt - hat sich dieser Dinge angenommen und gesagt, bestimmte Vorstellungen müssen weiterentwickelt werden. Ich habe die ZDv 10/1 noch nicht in der offiziellen Form, wie die Bundeswehr gewohnt ist, mit diesen Dingen umzugehen, vor mir. Es wird wahrscheinlich ein grauer Schnellhefter sein. ({0}) - Ich habe zwar schon einmal einen Vorentwurf gesehen, aber die endgültige Ausfertigung habe ich noch nicht bekommen. Wer sich diese ZDv 10/1 ansieht, der stellt fest, dass sie sehr anspruchsvoll und bei weitem kein Handlungskatalog ist, den man im Prinzip, quasi einen Katechismus auswendig lernend, umsetzen kann. Der entscheidende Satz steht in Kapitel 1 „Selbstverständnis und Anspruch“ Nummer 106: Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erfüllen ihren Auftrag, wenn sie aus innerer Überzeugung für Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie als den leitenden Werten unseres Staates aktiv eintreten. Das ist ein hoher Anspruch, der den Hinweis auf die Bundeswehr als Parlamentsarmee wiedergibt. Daraus kann man auch andere Dinge herleiten, die meine Kollegin Petra Heß nachher noch etwas deutlicher darstellen wird. Theoretisch - ich betone: theoretisch - kann man sagen: Diese ZDv 10/1 könnte auch einen Handlungsrahmen für die Kodizes des Deutschen Bundestages und der Abgeordneten bilden. Allerdings kann natürlich eine zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr, Herr Bundesminister und Herr Präsident, nicht geschäftsleitend für den Deutschen Bundestag sein. Das ist völlig klar. Wenn aber der Deutsche Bundestag und nachgeordnet die Streitkräfte den Staatsbürger in Uniform postulieren und gesagt wird, das Prinzip der Inneren Führung sei ein Leitprinzip, einzigartig in der Welt, das sich bewährt hat, dann kann man daraus zumindest aber die Fürsorgepflicht des Parlamentes für die Bundeswehr ableiten. Die Fürsorgepflicht des Parlamentes für die Bundeswehr hat ja ihre letzte Ausformung immer dann, wenn wir über Einsätze der Bundeswehr entscheiden müssen. In diese Fürsorgepflicht kann nicht nur eingebunden werden, dass alles rechtsfähig und ordnungsgemäß abgewickelt wird, wenn Soldaten ins Ausland geschickt werden, sondern davon kann und soll man auch ableiten - das ist ja schon von meinen beiden Vorrednern gesagt worden -, dass diese Fürsorgepflicht beinhaltet, dass man mit dem Soldaten vernünftig umgeht. Das heißt, ihm muss nicht nur die richtige Ausstattung für die Einsätze etwa im Ausland gegeben werden, sondern er muss auch seine staatsbürgerlichen Rechte übertragen bekommen, sodass er teilhat an dem, was der Staat zu bieten hat. Ein Beispiel ist genannt worden: Die Bundeswehr steht demnächst, bedingt durch den demografischen Wandel, in Konkurrenz zu anderen sicherheitsrelevanten Berufen. Wenn dann die Eingangsbesoldung immer noch bei A 3 liegt, während bei der Polizei in den Ländern die Eingangsbesoldung zwischen A 5 und A 7 schwankt, dann ist keine Teilhabe an dem, was der Staat anderen Bürgerinnen und Bürgern bietet, möglich. Das heißt, all das, was über das Prinzip der Inneren Führung, über das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform geleistet werden soll, muss und soll den ganzen Bundestag ebenso beschäftigen, wie es den Bundestag beschäftigt, über den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten im Ausland zu entscheiden. ({1}) Das ist meine Bitte an alle Damen und Herren dieses Hauses, nicht nur an diejenigen, die hier sitzen. Es steht mir nicht zu, diejenigen zu kritisieren, die nicht da sind. Ich weiß ja selber, wie das ist. Auch ich bin oft nicht im Parlament. Aber ich hoffe, dass diejenigen, die mich hören, diesen Appell aufnehmen und sagen: Nicht nur der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen bietet eine Möglichkeit, sich mit der Bundeswehr zu beschäftigen. Vielmehr muss und soll auch im Rahmen der Inneren Führung mehr für die Bundeswehr getan werden; Petra Heß wird darauf noch im Einzelnen eingehen. Ich freue mich, dass sowohl die FDP als auch die Grünen eigene Anträge vorgelegt haben. Walter Kolbow ist mein Zeuge: Bevor Sie, Frau Homburger, von einem gemeinsamen Antrag gesprochen haben, stand dies schon auf meinem Blatt und bei Petra Heß mit einem Fragezeichen. Warum ist das so? Weil viele Dinge, die Sie beide, die Grünen wie die FDP, in Ihren Anträgen ausgeführt haben, deckungsgleich mit dem sind, was in dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU und SPD steht. Ich möchte damit natürlich eine Bitte verknüpfen, nämlich dass wir im Verteidigungsausschuss noch einmal genauer darüber sprechen. Über manches, was die Grünen ausgeführt haben, kann ich locker hinweggehen; Begründungen werden nicht beschlossen. Dass die Grünen natürlich die Gelegenheit genutzt haben, sich dezidiert zur Wehrpflicht zu äußern, nehme ich ihnen nicht übel. Bei Ihnen von der FDP habe ich das im Prinzip vermisst. Das ist nun einmal Alltag bei uns. ({2}) - Ich habe ihn vor mir liegen. Die Grünen möchte ich bitten, mir im Verteidigungsausschuss den vorletzten Punkt der Forderungen in ihrem Antrag genauer zu erklären; denn da wird so etwas Ähnliches wie eine Gruppenquotierung nach bestimmten Kriterien gefordert. In dem Antrag steht nämlich: … dafür zu sorgen, dass Struktur und Umfang der Bundeswehr an den Erfordernissen der neuen Aufgaben ausgerichtet und - jetzt kommt es durch Rekrutierung und Personalauswahl der gesellschaftliche Pluralismus in der Zusammensetzung der Streitkräfte in höherem Maße als bisher abgebildet wird … ({3}) Es wäre schön, wenn wir im Verteidigungsausschuss eine Erläuterung bekommen würden. ({4}) Dann halten wir ein soziologisches Seminar ab und kommen zu dem Ergebnis: Die Bundesrepublik Deutschland setzt sich aus diesen und jenen Gruppen zusammen, und von jeder Gruppe muss mindestens ein Repräsentant in der Bundeswehr sein. ({5}) Wie das gehen soll, weiß ich nicht so genau. Trotzdem haben wir im Verteidigungsausschuss die Chance, einen gemeinsamen Antrag zu entwickeln. Dass die FDP - wir haben es gerade gehört - in ihrem Antrag die Ausarbeitung eines besonderen Personalentwicklungskonzeptes fordert und das mit weiteren Forderungen in Ziffer 6 unterlegt, ist bis auf die Frage, ob es ein eigenständiges Besoldungsrecht für die Soldaten geben soll, mit all den Dingen, die auch in unserem Antrag enthalten sind und mit denen wir uns im Unterausschuss beschäftigt haben, ziemlich deckungsgleich, sodass die Frage, ob es zu einem gemeinsamen Antrag kommen wird, sehr positiv zu beurteilen ist. Denn wenn wir das in der Art und Weise, wie wir im Unterausschuss zusammengearbeitet haben, im Verteidigungsausschuss weiterentwickeln, sehe ich dafür eine gute Chance. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Paul Schäfer, Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Absicht der antragstellenden Fraktionen, die Ergebnisse des Unterausschusses hier einzubringen, sie öffentlich zu machen, über sie zu diskutieren und mit den Weihen des Hohen Hauses zu versehen, ist löblich. Nur, wäre es nicht besser gewesen, diese gemeinsamen Positionen mit einem fraktionsübergreifenden Antrag einzubringen? Ich finde, das wäre ein starkes Signal gewesen. Das hätte Symbolkraft gehabt, weil man dadurch deutlich gemacht hätte, dass man die zentrale Bedeutung der Inneren Führung für die Verfasstheit der Bundeswehr anerkennt. ({0}) Aber vielleicht sind ja noch nicht alle Messen gesungen. Jetzt liegen uns drei verschiedene Anträge mit fragwürdiger Substanz vor. Warum bin ich dieser Meinung? Zu viele Allgemeinplätze: Innere Führung als ethisches Fundament, politische Bildung ist notwendig, interkulturelle Kompetenz. Die Anträge enthalten Vorschläge, die nach meiner Ansicht mit der Inneren Führung nur sehr entfernt zu tun haben: Vereinbarkeit von Familie und Dienst, Teilzeitarbeit und Nachwuchswerbung. Die FDP will sogar ein spezielles Besoldungsrecht schaffen. An anderen Stellen habe ich den Eindruck, dass man das Konzept der Inneren Führung als Instrument missversteht, um Soldaten für den Dienst - sprich: für die Auslandseinsätze - besser und effektiver zu konditionieren und zu optimieren, zum Beispiel, indem man sagt, man müsse den Auftrag besser vermitteln. Ich glaube, mit diesen Anträgen kommen wir nicht wirklich weiter. Ich möchte einen bedeutungsschwangeren Satz aus dem Antrag der Grünen zitieren: Die Regierung muss dafür sorgen, „dass Struktur und Umfang der Bundeswehr an den Erfordernissen der neuen Aufgaben ausgerichtet“ werden. Das wird den Minister aber sehr beeindrucken. ({1}) Dass Auslandseinsätze umstandslos mit Friedenseinsätzen gleichgesetzt werden, lieber Herr Kollege Nachtwei, zeugt nicht gerade von Kritikfähigkeit. Aber das sei nur am Rande bemerkt; ich komme gleich darauf zurück. Ich finde, wir müssen das Ganze stärker auf den Kern bringen. Der Kern ist: Streitkräfte in der Demokratie. ({2}) Deswegen sind meine Vorschläge: Paul Schäfer ({3}) Erstens. Es wäre besser, sehr bald über den neuen Jahresbericht des Wehrbeauftragten zu diskutieren, der auf zwei Seiten eine sehr genaue Beschreibung der Defizite der Inneren Führung enthält. Zweitens sollten wir den Abschlussbericht in seiner gesamten Substanz wahrnehmen und uns an die Empfehlung dieses Berichts und die Einzelvoten der Fraktionen halten: Wir sollten nach einiger Zeit überprüfen, was aus diesen Vorschlägen geworden ist. Es ist nämlich wirklich verdienstvolle Arbeit geleistet worden. Das sollten wir mitnehmen und nicht das, was Sie hier als Kondensat präsentieren; denn das ist nicht einmal eine FünfMinuten-Terrine. Drittens. Ich finde den Hinweis auf die zentralen Dienstvorschriften „Innere Führung“ und „Politische Bildung“ wichtig; denn sie sind mir, wenn ich das als Linker sagen darf, zehnmal wichtiger als die Anträge, die uns vorliegen. Sie sind nämlich sehr viel umfassender und konkreter. Das Parlament muss überprüfen, wie diese Vorschriften in der Praxis umgesetzt werden. Noch einmal zum Kern der Sache: Innere Führung ist das notwendige Gegengift gegen die Gefahr, dass die hochorganisierte Vereinigung von Gewaltexperten, von Soldaten, für ungesetzliche bzw. schändliche Zwecke missbraucht wird. Das ist die Lehre aus der Geschichte der deutschen Wehrmacht. Traditionelle und notwendige militärische Prinzipien wie „Befehl und Gehorsam“ werden so unter das Primat der Menschenwürde und die Völkerrechtsnormen gestellt. Das ist der Kern. ({4}) Wie es darum in den Streitkräften bestellt ist, wird an bestimmten Auseinandersetzungen deutlich. Dürfen Soldaten zum Beispiel Befehle verweigern, wenn sie bestimmte Einsätze für völkerrechts- und grundgesetzwidrig halten? ({5}) Das ist der Punkt. Es gab den Fall „Major Pfaff“, der sich gegen eine Verstrickung deutscher Soldaten in den Angriffskrieg gegen den Irak gewandt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich sehr bemerkenswert dazu eingelassen, was ein Staatsbürger in Uniform in einer solchen Situation machen darf und auch machen sollte. Es war interessant, zu sehen, dass die Bundeswehr diesen Fall eher als lästigen Störfall betrachtet hat und versucht hat, ihn klammheimlich zu entsorgen, statt das Problem in die politische Bildung einzubeziehen. Das wäre mutig und konsequent gewesen. ({6}) Im Untersuchungsausschuss haben wir es jetzt mit dem Kommando Spezialkräfte zu tun. Mit diesem Thema werden wir uns sicherlich auch noch im Plenum befassen. Auch dabei geht es um eine ähnliche Frage: Dürfen deutsche Soldaten Gefangene bewachen, die nicht einem Richter gegenübergestellt, sondern nach Guantánamo verschleppt werden? Es geht also um das Thema, ob man die Erfordernisse eines militärischen Bündnisses über Erwägungen zur Rechtswahrung stellen kann. Wir werden es auch mit dem Fall Coesfeld zu tun haben, bei dem es ebenfalls um Grenzüberschreitungen geht. Wir werden uns mit der Frage beschäftigen müssen, ob es auch bei Führungskräften der Truppe ein ausreichendes Unrechtsbewusstsein gibt. Das zeigt sich nämlich bei der Frage, wie man mit solchen Fällen umgeht. Ich finde, an diesen kritischen Punkten wird es ernst. Da geht es darum, wie es um die Innere Führung bestellt ist. Hier sind vor allem wir als Parlament gefragt und müssen wachsam und aktiv bleiben. Das sollten wir nach Möglichkeit gemeinsam tun. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Winfried Nachtwei, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im November letzten Jahres wurde der Abschlussbericht des Unterausschusses „Weiterentwicklung der Inneren Führung“ im Verteidigungsausschuss vorgelegt. Dieser Bericht ist eine wahre Fundgrube an Informationen und Anregungen. Dem Vorsitzenden Karl Lamers ist für die gute Leitung dieses Unterausschusses ausdrücklich zu danken. ({0}) Umso bedauerlicher ist allerdings, dass dieser Bericht bisher nicht das Licht der Öffentlichkeit erreicht hat. Das ist deshalb schade, weil sich die Öffentlichkeit im Grunde erst dann für Innere Führung interessiert, wenn ein Mängelbericht vorgelegt wird, das heißt, wenn gegen Grundregeln der Inneren Führung verstoßen wird. Man sollte den Bericht bitte schleunigst als Drucksache öffentlich machen. Der Bericht liegt nicht einmal im Internet vor. Das ist ein Hohn. ({1}) Innere Führung ist nicht weniger als der Versuch, elementare Lehren aus der Terrorgeschichte der Wehrmacht zu ziehen, als deutsche Soldaten im Rahmen eines gigantischen Menschheitsverbrechens mit höchstem Einsatz funktionierten. Innere Führung ist schlichtweg der Versuch, dieses zweifache Nein in die Kultur der neuen deutschen Streitkräfte umzusetzen. Dies bedeutet eine klare Bindung an den Friedensauftrag des Grundgesetzes, an die Menschwürde und an die Menschenrechte. Die große und einhellige Zustimmung, die wir heutzutage im Bundestag zur Inneren Führung haben, ist ausgesprochen erfreulich. Das war längst nicht immer so. Ausdrücklich bewährt hat sich die Innere Führung ja auch bei Stabilisierungseinsätzen, wo es - das haben wir in den letzten Jahren gelernt - entscheidend auf die Legitimität, die Glaubwürdigkeit und die Vertrauenswürdigkeit der eingesetzten Soldaten ankommt. Aber wo so viel Konsens besteht, ist das Risiko von gemeinsamen abgehobenen Sonntagsreden sehr nah. Das müssen wir zugleich feststellen. Der Bericht des Wehrbeauftragten zeigt jedes Jahr: Innere Führung ist in keiner Weise ein Selbstläufer. Es geht um die gesellschaftliche Integration von Streitkräften, heutzutage unter den Bedingungen, dass sich die Erfahrungswelten von vielen Soldaten, ihren Angehörigen und der normalen Zivilgesellschaft immer weiter auseinanderentwickeln. Es geht um ein extrem breites Anforderungsprofil an Soldaten im Einsatz, auch jüngere Soldaten, die verhandeln können müssen, die interkulturelle Kompetenz haben müssen, aber gegebenenfalls auch sehr schnell kämpfen können müssen. Es geht um eine Auftragstaktik und um eigenständiges Handeln, wo man bei Fehlverhalten schnell an den medialen Pranger gestellt wird. Bei so viel Gegenwind kann Innere Führung nur realisiert werden, wenn sie wirklich aktiv betrieben wird. Innere Führung ist keine Privatangelegenheit der Bundeswehr und der Soldaten und der Soldatinnen. Innere Führung verlangt Handeln aus Einsicht. Soldatisches Handeln soll sich im Rahmen des Völkerrechts und der Menschenrechte bewegen. Aber - das müssen wir ganz deutlich sagen - hier ist auch die Politik in der Bringschuld. Aufträge müssen völkerrechtlich einwandfrei und durch den Friedensauftrag des Grundgesetzes gedeckt sein. Sie müssen aussichtsreich, verantwortbar und überzeugend sein. Die Einsatzregeln müssen klar sein. Dabei geht es um die Fragen - jetzt greife ich die Hinweise meines Vorredners auf -: Wie ist es mit der Übergabe von Gefangenen, wenn ihre rechtmäßige Behandlung nicht gewährleistet ist? Wie ist die Situation, wenn man im Rahmen bzw. im Umfeld des sogenannten „war against terrorism“ agiert? Hier, so meine ich, hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben im Hinblick auf die Innere Führung noch keineswegs erledigt. Als Stichwort nenne ich nur die weitere Teilnahme an der Operation Enduring Freedom. ({2}) Im jüngsten Jahresbericht des Wehrbeauftragten wurde erneut thematisiert, dass es in der Bundeswehr erhebliche Führungsmängel gibt; das war übrigens auch schon im letzten Jahr der Fall. Bei der Kommandeurtagung am kommenden Montag soll das Thema Führungskultur im Mittelpunkt stehen. Wenn die Bundeskanzlerin und der Bundesverteidigungsminister dort sprechen, dann sollten sie das Problem der Führungskultur nicht nur als ein Problem der Uniformträger behandeln. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Anita Schäfer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In über 50 Jahren hat sich das Konzept der Inneren Führung in der Bundeswehr bewährt. Der Soldat als mündiger Bürger in der demokratischen Gesellschaft bleibt für die Streitkräfte das bestimmende Leitbild. Dieses Bild muss aber immer wieder an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen angepasst werden. Im Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Konzept der Inneren Führung stärken und weiterentwickeln“ wird darauf hingewiesen, dass mittlerweile neue Aspekte an Bedeutung gewonnen haben. Ich möchte auf zwei dieser Aspekte näher eingehen, nämlich auf die Integration von Frauen in die Bundeswehr und auf die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Mittlerweile sind mehr als 7 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten weiblichen Geschlechts, im Sanitätsdienst sogar über 36 Prozent. Sie tragen zur Auftragserfüllung der Bundeswehr genauso wie ihre männlichen Kameraden bei. Die Frauen selbst wollen keine Sonderrolle, sondern eine konsequente Gleichbehandlung. Wenn die Frauen, die sich heute bei der Bundeswehr bewerben und angenommen werden, das Beförderungssystem erst einmal durchlaufen haben, wird jeder sechste Zeit- oder Berufssoldat weiblich sein. Dafür muss allerdings gewährleistet sein, dass die Bundeswehr für Frauen attraktiv bleibt. Dazu gehört, dass sie in der Truppe genauso anerkannt und behandelt werden wie ihre männlichen Kameraden; auch das ist eine Aufgabe der Inneren Führung. Dazu gehört aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dies wiederum betrifft nicht nur die Soldatinnen, sondern auch die Soldaten. Meine Damen und Herren, in unserem Antrag fordern wir, zeitgemäße Konzepte zu entwickeln, damit sich soldatischer Dienst und Familie nicht gegenseitig ausschließen. Die Bundeswehr kann es sich nicht leisten, in dieser Hinsicht hinter den Angeboten anderer Arbeitgeber zurückzubleiben, wenn sie auch künftig qualifizierte und einsatzbereite Männer und Frauen gewinnen will. Dabei sind wir uns vollkommen bewusst, dass der Soldatenberuf kein Job wie jeder andere ist. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Gerade Auslandseinsätze erfordern immer eine längere Trennung der Soldaten von ihren Familien. Aber bei Routineaufgaben am Heimatstandort gibt es die Möglichkeit zur Anwendung von Modellen, die in anderen Bereichen erprobt wurden und sich bewährt haben, zum Beispiel Teilzeit, Gleitzeit, Elternzeit und Telearbeit. Diese Maßnahmen sind bereits im Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz geregelt. Dadurch werden den Disziplinarvorgesetzten und der Personalführung die notwendigen Instrumente an die Hand gegeben, um den Dienst mit Rücksicht auf die familiären Belange der Soldatinnen und Soldaten zu geAnita Schäfer ({0}) stalten. Allerdings darf die Inanspruchnahme von Elternzeit nicht dazu führen, dass die Kameraden zum Beispiel zusätzliche Arbeiten übernehmen müssen und dadurch selbst Probleme im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Dienst und Familie bekommen. Ein zeitgemäßes Konzept muss an dieser Stelle Personalersatz vorsehen. Der Vorgesetzte ist konkret gefordert, die verfügbaren Mittel im Einzelfall umzusetzen, mit dem Wissen um die Situation der Menschen unter seinem Kommando und vor allem mit Einfallsreichtum - das waren schon immer Markenzeichen der Inneren Führung. Besondere Aufmerksamkeit erfordert zudem die Frage der Kinderbetreuung. Mittlerweile gibt es Familien, in denen beide Elternteile in der Bundeswehr dienen, und es gibt alleinerziehende Soldatinnen und Soldaten. Die Schwierigkeiten für diese Familien liegen auf der Hand. Einige Bundeswehreinrichtungen haben bereits in Eigeninitiative Möglichkeiten zur Kinderbetreuung realisiert. Hier müssen wir zu einem flächendeckenden Angebot kommen. Die Kindertagesstätte in der Kaserne oder am Standort darf kein Wunschtraum bleiben. In der neuen Zentralen Dienstvorschrift Innere Führung wird auf die Angebote der Familienbetreuung hingewiesen. Wo die Erfordernisse des Dienstes der Rücksicht auf familiäre Belange Grenzen setzen, besonders im Einsatz, kann sie Unterstützung bei der Bewältigung von Problemen bieten. Ich verweise in diesem Zusammenhang mit großer Dankbarkeit auf die Arbeit der Familienbetreuungszentren der Bundeswehr. Daneben gibt es eine zunehmende Zahl privater und ehrenamtlicher Initiativen, die den Familien der Soldaten - im Einsatz, im Alltag, ohne den Vater, ohne die Mutter - helfen. Oft haben sich die betroffenen Familien selbst organisiert. Diese beiden Ansätze stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sie bilden eine sinnvolle Ergänzung füreinander. Wir fordern daher in unserem Antrag, die Arbeit der Betreuungszentren und der ehrenamtlichen Projekte stärker zu vernetzen, um Synergieeffekte zu nutzen. Ressourcen intelligent zu nutzen und gesellschaftliche Entwicklungen einzubeziehen, auch das ist Teil der Inneren Führung. Die Innere Führung ist ein lebendiges Konzept. Sie muss sich immer wieder an gesellschaftliche Veränderungen anpassen. Dazu gehört, dass sie in verständlicher Form und Sprache vermittelt wird. Das beginnt bei der Zentralen Dienstvorschrift und endet bei den Erläuterungen des Vorgesetzten gegenüber seinen Untergebenen. Nur so kann die Innere Führung die akzeptierte Richtschnur für unsere Soldaten bleiben. Nur so können wir sicher sein, dass die Innere Führung auch in Zukunft die Grundlage für ethisches und verantwortungsbewusstes Handeln sowohl innerhalb der Truppe als auch im Einsatz bildet. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Petra Heß für die SPD-Fraktion.

Petra Heß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Öffnung der Streitkräfte und das Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten sind, so titelte unlängst die Bundeswehrzeitschrift aktuell, ein Gewinn für die Truppe. Das stimmt. Trotz mancher Vorbehalte und nach anfänglicher Verunsicherung über die neue Situation hat die Integration der Frauen in den Streitkräften rasch gute Fortschritte gemacht. Die Zahlen sprechen für sich: Aktuell dienen 13 000 Soldatinnen in den Streitkräften, davon 8 000 als Unteroffizier und 1 300 als Offizier. Der Anteil der Frauen liegt bei den Berufs- und Zeitsoldaten mittlerweile bei knapp 7 Prozent, Tendenz weiter steigend. Von der Zielgröße, die wir uns gesetzt haben, sind wir allerdings noch weit entfernt. Kommen wir also zu der Frage, wie sich die Öffnung der Laufbahnen für Frauen auf die Innere Führung und auf die damit im Zusammenhang stehenden Themen ausgewirkt hat und was wir noch verbessern können, um den Soldatenberuf für Frauen noch attraktiver zu machen. Ein wesentlicher Aspekt der Inneren Führung ist und bleibt die Vorbildfunktion. Der Vorgesetzte muss durch sein Vorbild wirken. Denn wie schon Dostojewski sagte: Bevor ihr den Menschen predigt, wie sie sein sollen, zeigt es ihnen an euch selbst. Was aber, wenn eine Frau als Vorgesetzte von ihren Soldaten eine bestimmte körperliche Leistungsfähigkeit fordert, zu der sie aufgrund ihres Körperbaus selbst nicht in der Lage ist? Gibt es hier womöglich Akzeptanzprobleme? Ich glaube, das ist ein eher theoretischer Fall. Die vom Unterausschuss eingeladenen Soldatinnen haben durchweg bestätigt, dass die Integration gelungen ist; dass sie von den Kameraden gut aufgenommen worden sind; dass die Zusammenarbeit mit den Kameraden gut ist; dass der Umgang mit Vorgesetzten und Untergebenen unproblematisch ist. Die Frauen selber - das hat bereits der frühere Wehrbeauftragte Dr. Penner festgestellt - wünschen, in erster Linie als Soldat gesehen zu werden, lehnen jegliche Sonderrolle ab, fordern eine konsequente Gleichbehandlung und empfehlen grundsätzlich einen offenen und ehrlichen Umgang mit Problemen. Die Soldatinnen widersprechen damit entschieden dem landläufigen Klischee, gleichberechtigt zu sein, aber nicht die gleichen Pflichten zu haben. Mit ihrem Anspruch liegen unsere Frauen in Uniform auch richtig. Denn nur auf der Basis der gleichen Verpflichtungen ist auch eine Gleichstellung möglich. Allein im Bereich ihrer persönlichen Ausrüstung gibt es weiterhin kleinere Mängel. Problematisch erscheint dabei für manche Frauen die Bekleidungssituation. Besonders kleine Frauen finden häufig immer noch keine passende Arbeits- und vor allem Schutzkleidung. Die vorhandenen Splitterschutzwesten sind, was Größe und Gewicht angeht, für viele Frauen ungeeignet. Insofern müssen nachhaltige Lösungen gefunden werden, damit die Kleidung nicht zu einem Einsatzhemmnis für Frauen wird. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Bundeswehr die Integration von Frauen rasch und sehr gut bewältigt hat. Auch in unseren Reihen sitzen einige Reserveoffizierinnen. Die Frauen selbst haben wesentlich zu ihrer Integration beigetragen. Viele befürchten, dass es in Zukunft zu Akzeptanzproblemen kommen könnte, wenn Frauen als Konkurrentinnen um Aufstiegs- bzw. Führungspositionen wahrgenommen werden. Diesen Scheinproblemen sehe ich persönlich aber gelassen entgegen. Denn auch hier - davon bin ich überzeugt - werden die Frauen ihren Mann stehen. Schon heute - nur sechs Jahre nach der Öffnung der Streitkräfte für Frauen - gehören sie ganz selbstverständlich zum Bild der Bundeswehr und sind ein Gewinn für die Truppe. Wie stellt sich die Betreuung der Soldatinnen und Soldaten dar, und wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus? Schwierig - wie auch im zivilen Leben - ist die Situation, wenn ein Elternteil alleinerziehend ist. Regelungen wie im zivilen Berufsleben stehen hier noch aus. Häufig bieten auch die Kommunen keine bedarfsgerechte Kinderbetreuung für Kinder von Soldatinnen und Soldaten an. In einem solchen Fall muss die Bundeswehr verstärkt mit eigenen Einrichtungen in die Bresche springen, um wenigstens an den großen Standorten eine bedarfsgerechte Betreuung anbieten zu können. Bestehende Kindertagesstätten der Bundeswehr wie die der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg haben sich bestens bewährt. Ein weiteres Problem stellen die zahlreichen zum Teil kurzfristigen Versetzungen der Soldatinnen und Soldaten dar. Familien werden aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen. Die Kinder leiden unter dem häufigen Schulwechsel und dem Verlust der Freunde. Dem Ehepartner droht der Verlust der Arbeitsstelle. Aber die Zeiten, in denen die Soldatenfrauen in der Regel zu Hause blieben, sind vorbei. Die Bundeswehr muss die Zeichen der Zeit erkennen. Die zunehmend selbstverständliche volle Berufstätigkeit von Frauen, aber auch der zunehmende Wunsch vieler Männer nach einer aktiven Vaterschaft müssen zukünftig bei der Personalgewinnung berücksichtigt werden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird es nämlich schon sehr bald zu einem verschärften Wettbewerb mit der freien Wirtschaft um die besten Köpfe - ich betone: beider Geschlechter - kommen. Dabei werden künftig Faktoren wie bessere Kinderbetreuung, Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter Umständen den Ausschlag geben. In diesem Zusammenhang gilt es, mit der Zentralen Dienstvorschrift erste anspruchsvolle neue Ansätze zu finden. Das hat die Bundeswehr bereits getan. Was unternimmt die Bundeswehr, um die Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu verbessern? Sie unterstützt in den sogenannten Familienbetreuungszentren die Familien bei Auslandseinsätzen. Sie steht aber auch den Soldatinnen und Soldaten im Grundbetrieb zur Seite. Die Betreuungszentren sollen dabei ein Netzwerk der Hilfe darstellen. Besonders die Feststellung, dass letztlich die Einsatzaufträge und die Fähigkeit zur Auftragserfüllung Priorität haben, ist im Zusammenhang mit der Bundeswehr ebenso selbstverständlich wie irreführend. Keiner bezweifelt mehr, dass Väter und Mütter ihren Dienst genauso erfüllen müssen und dies auch wollen wie die Männer und Frauen ohne Familie. Aber der Verweis auf die Auftragspriorität darf nicht zu einer Ausrede verkommen. Auch unbequeme Verbesserungsvorschläge dürfen nicht mit dem Hinweis auf die Anforderung des Dienstes im Keim erstickt werden. Es gilt vielmehr, die Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter umgekehrten Vorzeichen und ohne Ansetzen der Kostenschere zu betrachten. Denn wie schon der Schweizer Theologe Alexandre Vinet formuliert hat: „Das Schicksal des Staates hängt vom Zustand der Familie ab.“ Abschließend sei auch mir gestattet, noch einmal allen ganz herzlich Dank zu sagen, die im Unterausschuss mitgearbeitet haben, auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Vertretern des Ministeriums. Die Arbeit im Unterausschuss war stets kollegial und konstruktiv. Sie war einfach gut. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass wir einen guten Antrag gemeinsam hinbekommen. Nochmals vielen Dank an alle. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/8378, 16/8370 und 16/8376 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Aktionsplan Ernährung vorlegen - Drucksache 16/8193 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung einführen - Drucksachen 16/6788, 16/7726 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Berichterstattung: Abgeordnete Julia Klöckner Volker Blumentritt Karin Binder Nicole Maisch Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Ulrike Höfken, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht jetzt um die Ampelkennzeichnung bei Lebensmitteln. Sie sehen hier beispielsweise die Kennzeichnung für eine Pizza nach dem britischen Ampelsystem. Hier sehen Sie eine Kennzeichnung auf den Pommes frites. Es sieht keinesfalls so aus, dass man sagen müsste: Dies ist des Teufels. Vielmehr handelt es sich um ein System, für das wir jetzt einmal ordentlich Werbung machen wollen. Es geht hierbei allerdings nicht - das muss man sagen um einen Schönheitswettbewerb, weder was die Menschen noch was die Verpackungen angeht; vielmehr geht es beim Thema Ernährung um Leben oder Tod. Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Darmkrebs, Arthrose, Sterilität, Fehlgeburten - Adipositas verkürzt das Leben und führt zu vorzeitigem Tod. So sagt der Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. Niemand darf die 37 Millionen übergewichtigen Erwachsenen oder die 2 Millionen übergewichtigen Kinder und Jugendlichen stigmatisieren oder gar in ihrer Person lächerlich machen. Aber 16 Millionen Menschen sind an dieser schweren Form der Übergewichtigkeit, an der Adipositas, schwer erkrankt. 70 Milliarden Euro pro Jahr geben wir für die ernährungsbedingten Folgekosten der Krankheiten aus, Tendenz steigend. Es geht also nicht um ein Problem einzelner Menschen und auch nicht um die Schuld einzelner Menschen. Vielmehr wird den Betroffenen das Leben im wahrsten Sinne des Wortes schwer gemacht. Angesichts einer solchen Epidemie, wie die Weltgesundheitsorganisation die dramatische Zunahme der Schwergewichtigkeit definiert, ist heute die Notwendigkeit politischen Handlungsbedarfs offenkundig. Die Bundesregierung muss dringend - wie wir schon seit einiger Zeit fordern - den angekündigten Aktionsplan Ernährung vorlegen. ({0}) Doch politische Lösungen werden vom ehemaligen Gesundheitsminister Seehofer mit aller Kraft verhindert, und Ernährung wird zur Privatsache deklariert. ({1}) Eine wichtige grüne Forderung ist die Einführung der Ampel - ich habe sie gerade gezeigt - als verbindliches, leicht verständliches, einfaches Lebensmittelkennzeichnungssystem, das natürlich keine Allheillösung für alle Probleme der Welt ist, sondern in der jetzigen Situation - das hat die Verzehrstudie gezeigt; die Leute wissen zu wenig über Ernährung - für eine einfache Orientierung sorgt. ({2}) Man erhält nämlich einen besseren Überblick darüber, wie viel Salz, Fett und Zucker im Einkaufskorb landen. Aber der Bundesverband der Lebensmittelindustrie scheut die Ampel wie der Teufel das Weihwasser. ({3}) Dabei ist sie in Großbritannien bereits erprobt und wird von den Supermarktketten Sainsbury’s, Waitrose oder Marks & Spencer erfolgreich eingesetzt. ({4}) Erst ging es Minister Seehofer und der Wirtschaft darum, generell die Kennzeichnung der Nährwerte zu verhindern. Das duldet Gott sei Dank die EU nicht; Brüssel ist da also treibende Kraft. Aber eine mächtige Allianz von 21 Großkonzernen und Produzenten wie Kellogg’s, Nestlé und Tesco boykottiert die Ampel und entwickelt nun - auch mithilfe von Minister Seehofer und der schwarz-roten Regierung - ihr Gegensystem. Dieses vorgelegte Industriemodell hat seine Tücken. Es sieht eine portionsbezogene Angabe des Anteils von Zucker, Fett und Salz vor. Dadurch wird die Angabe sehr kompliziert. Durch die Zugrundelegung von Miniportionen und die Annahme eines zu hohen Tagesbedarfs wird der reale Wert schlichtweg verniedlicht. Auch die Interpretation ist schwierig. Heute hat die Hamburger Verbraucherzentrale - das passt zu unserem Thema - eine Untersuchung zu diesem Modell veröffentlicht. Das Ergebnis ist: Mit ihrem Kennzeichnungsmodell schummelt die Wirtschaft die Lebensmittel schlichtweg gesund. Ein Beispiel: Wer im Supermarkt auf der Suche nach einem gesunden Kinderfrühstück vor den überfüllten Regalen steht, kommt an den Frühstücksflocken von Kellogg’s nicht vorbei. In Großbritannien würde man aufgrund des hohen Zuckergehalts dieser Produkte viele rote Punkte auf der Packung finden. Allein der Zuckergehalt einer normalen Portion beträgt 11 Gramm; das ist fast ein Drittel der maximalen Zuckerzufuhr, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für ein vier- bis siebenjähriges Mädchen für akzeptabel gehalten wird. ({5}) Fazit: Das freiwillige Seehofer’sche System bzw. das Industriesystem ist ein gezieltes Verwirrungssystem. Um es beim Einkaufen entziffern zu können, braucht man eine Lupe, ein Ernährungslexikon und einen Taschenrechner. ({6}) Es hilft den bildungsfernen und etwas sozialschwächeren Schichten bestimmt nicht, sich besser zurechtzufinden und beim Einkauf auf eine sinnvolle Ernährung zu achten. ({7}) Wir geben dem britischen Gesundheitsminister recht, der zu seinem Kennzeichnungssystem gesagt hat: Gegenwärtig basiert das von uns bevorzugte, von der britischen Lebensmittelbehörde entwickelte Modell auf dem Ampelsystem, das die Verbraucher laut unabhängigen Forschungsergebnissen leicht verständlich finden und das dazu beiträgt, Verhaltensänderungen zu bewirken. ({8}) Dem wollen wir uns anschließen. Wir verlangen von der Bundesregierung - wir nehmen da insbesondere die Kollegen von der SPD in die Pflicht, die öffentlich gesagt haben, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen möchten -, dafür zu sorgen, dass das Ampelsystem eingeführt wird. ({9}) Wenn Sie nichts tun und die Leute im Werbedschungel, der mit Milliardenbeträgen gefördert wird, allein lassen, ist das - ich zitiere den Geschäftsführer einer großen Adipositasklinik - „Körperverletzung“. Minister Seehofer sagt, die Ampelkennzeichnung sei ein schlechter Ernährungsberater; die Ampelfarben würden dem Verbraucher die eigene Einschätzung nehmen. Dazu sagen wir: Seehofer verweigert mit der Einführung des von ihm vorgesehenen Systems den Menschen die Orientierung und die Möglichkeit, mündig zu werden, sich in Wahlfreiheit zu entscheiden und entscheidungskompetent zu werden. Das wollen wir nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Ihre Ampel steht auf Rot; ({0}) Ihre Redezeit ist zu Ende.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deswegen fordern wir die unverzügliche Einführung des Ampelsystems und den Start eines Bundesprogramms, das mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit eingeführt wird. Wir fordern auch, Werbung für Kinderlebensmittel und den Verkauf von Süßigkeiten an Schulen zu verbieten. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Müller. ({0})

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Angst: Auch in Zukunft können Sie essen und trinken, was Sie wollen; Sie entscheiden. ({0}) Wenn es nach der Kollegin von den Grünen geht - das wollen wir auf keinen Fall -, käme es zu weiteren Verboten. Ja, wo kämen wir da hin? Ich glaube, dass die Eigenverantwortung im Vordergrund stehen sollte. Was geht es den Staat eigentlich an, was ich esse und trinke? ({1}) Diese Frage kann man bewusst stellen. Viele antworten darauf: Mein Körper gehört mir; ich persönlich entscheide. ({2}) Lieber Kollege Bleser und all die anderen Kollegen, die jetzt Beifall geklatscht haben, es wird selbstverständlich dabei bleiben. Wir haben aber ein großes Problem: 66 Prozent der Männer und 51 Prozent der Frauen sind übergewichtig. Wenn ich mir die Kolleginnen und Kollegen anschaue, komme ich zu dem Ergebnis, dass der Anteil der übergewichtigen Kollegen eher über dem Durchschnitt liegt. Ich würde sagen, gefühlte 80 Prozent der Kollegen sind übergewichtig. ({3}) - Das hängt damit zusammen, Herr Goldmann, dass viele der Kollegen Schwergewichte sind - politisch und körperlich. ({4}) Aber Spaß beiseite. Ich war heute Morgen bei Misereor. Der eine Teil der Welt - das sind 800 Millionen Menschen - hungert. Der andere Teil der Welt - das sind die westlichen Wohlstandsstaaten mit 1 Milliarde Menschen - hat ein Problem mit dem Übergewicht. In Deutschland ist das auch ein wichtiges Thema. Was geht das aber den Staat an? Natürlich hat Übergewicht Auswirkungen auf die Gesundheit des Einzelnen, und es hat gesellschaftliche Folgen. ({5}) Wir gehen davon aus, dass 30 Prozent der Gesundheitskosten Folgekosten von ernährungsbedingten Krankheiten sind; das summiert sich immerhin auf 80 Milliarden Euro im Jahr. Deshalb sind wir sehr besorgt und kümmern uns um dieses Thema. ({6}) Nicht eingeschlossen - das würde eine eigene Debatte rechtfertigen - ist der Bereich der Alkoholsucht. Gesunde Ernährung und Bewegung sind der Schlüssel zu Lebensqualität, Gesundheit und Fitness; beides gehört dazu. Deshalb hat Bundesminister Seehofer Eckpunkte für den Nationalen Aktionsplan Ernährung vorgelegt. Wir haben bereits erste Einzelaktionen dazu vorgestellt. Das Gesundheitsministerium arbeitet mit den Ländern und den Kommunen zusammen. Wir laden alle, die sich des Themas der Ernährung annehmen wollen, ein, in den nächsten Wochen und Monaten ihre Gedanken dazu einzubringen. Ernährung ist das wichtigste Thema, wenn es um das Leben und die Gesundheit jedes Einzelnen geht. ({7}) Durchschnittlich nimmt jeder Mensch in seinem Leben 80 000 bis 100 000 Mahlzeiten ein. Das ist jedes Mal eine bewusste Entscheidung darüber, was man isst und was nicht. ({8}) Häufig wäre ein einfaches Nein die richtige Antwort. Diese 100 000 Mahlzeiten beruhen auf 100 000 individuellen Entscheidungen, ({9}) und diese Entscheidungen sind heutzutage nicht einfach. Bei einem Angebot von rund 250 000 Artikeln im Lebensmittelgeschäft entscheidet der Einzelne, wo er zugreift, wo er nein sagt, und mit Produkten welcher Güte und Menge er sich ernährt. Das sind bewusste Einzelentscheidungen. Deshalb stellen wir die Stärkung der Ernährungsbildung ganz weit in den Vordergrund. Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen fehlt es an grundlegendem Ernährungswissen. Deshalb ist Ernährungsbildung der zentrale Ansatz. ({10}) Wir müssen den Menschen entsprechendes Wissen vermitteln, weil das in den Familien heutzutage leider nicht mehr geschieht. ({11}) Deshalb sind wir der Meinung, dass wir mit den Bundesländern über die Einführung eines Pflichtschulfaches „Ernährungs- und Verbraucherbildung“ diskutieren müssen. Ein fächerübergreifendes Prinzip allein genügt nicht. ({12}) Wir werden außerdem einen neuen gesamtgesellschaftlichen Konsens, dass nämlich Esskultur Lebenssinn bedeutet, finden müssen. ({13}) Wir brauchen eine neue Ethik im Hinblick auf das Essen und auf die Lebensmittel. Wir müssen uns auch fragen, wie wir zu den Bauern, den Produzenten der Nahrungsmittel, stehen. Wir brauchen mehr Wertschätzung gegenüber hochwertigen Produkten, und wir müssen uns überlegen, wie wir Lebensmittel überhaupt bewerten. In Bezug auf all das brauchen wir gesamtgesellschaftlich einen vollkommen neuen Ansatz. ({14}) Die richtige Wahl der Lebensmittel - das ist ein Kernpunkt des Aktionsplanes, Frau Höfken ({15}) hängt mit Ernährungswissen, aber natürlich auch ein Stück weit - da haben Sie recht - mit besseren Produktinformationen zusammen. Schauen Sie sich aber die Produkte genau an! Die allermeisten Kennzeichnungen sind für den Verbraucher absolut nicht nachvollziehbar, unverständlich. Deshalb haben wir einen Vorschlag erarbeitet, der den Menschen einen Weg durch den Dschungel von 250 000 angebotenen Produkten aufzeigt, wie man sich besser informieren kann. Wir wollen eine verbesserte, verbraucherorientierte Kennzeichnung. - Frau Kollegin Höfken, Sie halten einen Chip hoch. Aber wir sind längst über das hinaus, was Sie nach dem Vorbild Großbritannien bei uns einführen wollen. Die rot-gelbgrüne Ampel in Großbritannien hat bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln nicht funktioniert. ({16}) Deshalb haben wir ein Kennzeichnungssystem entwickelt, das meilenweit über Ihre veralteten Erfahrungen hinausgeht. ({17}) Wir haben zusammen mit der Nahrungsmittelindustrie ein System - in der ersten Stufe auf der Basis der Freiwilligkeit - entwickelt, das Auskunft gibt, wie viele Kalorien, wie viel Zucker, wie viel Fett, wie viele gesättigte Fettsäuren und wie viel Kochsalz der Verbraucher pro Portion, bezogen auf den Tagesbedarf, mit einem bestimmten Produkt zu sich nimmt. ({18}) Das sind konkrete Informationen, mit denen der Verbraucher etwas anfangen kann. Zu Ihrer Überraschung werden wir - dazu haben wir gestern eine Umfrage gestartet - eine Kennzeichnung testen, in der Rot, Gelb und Grün eine Rolle spielen. Aber das ist etwas komplett anderes als die englische Ampel. Wir geben dem Verbraucher konkrete Informationen zur täglichen Nahrungsmittelaufnahme, mit denen er etwas anfangen kann und die ihm helfen. ({19}) Weil mir wenig Zeit zur Verfügung steht, nur noch ein paar Stichworte. Wir werden darüber hinaus die Ernährungsforschung verstärken. Bundesminister Seehofer hat den großen und schwierigen Bereich der Allergieforschung in den Mittelpunkt gestellt. Wir wollen und müssen uns mit durch Lebensmittel ausgelösten Allergien befassen. Wir haben bereits Qualitätsstandards für Schulverpflegung, Betriebskantinen und öffentliche Einrichtungen entwickelt. Hier muss die öffentliche Hand ein Stück weit Vorbild sein. Wir müssen des Weiteren das Thema „Kinder und Schule“ aufgreifen. Jedes dritte Kind geht heute ohne Frühstück in die Schule. Das muss und kann nicht die Zukunft sein. Die Bundesländer sind aufgefordert, dieses Problem zu lösen. Kinder brauchen Frühstück und Mittagsverpflegung in der Schule. ({20}) Wir haben zudem viele Maßnahmen in der Plattform Ernährung und Bewegung, peb, gebündelt. Hier arbeiten Vertreter des Sports, Eltern und Wissenschaftler zusammen. Es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. 5 000 Schritte am Tag garantieren ein Minimum an Bewegung. Lassen Sie uns das anpacken! Mehr Bewegung und gesunde Ernährung bringen uns auf dem Weg zu einem gesunden Leben weiter. Herzlichen Dank. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage vorweg: Ich bin eigentlich auf einem anderen Trip gewesen. Herr Müller, Sie wollten uns überraschen. Das ist Ihnen voll geglückt. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was Sie wollen. Nun wollen Sie auf einmal doch eine Ampel; denn nichts anderes bedeuten Rot, Gelb und Grün. Wenn Sie glauben, dass der Verbraucher anhand dieser Farben die Informationen besser versteht, dann sind Sie auf dem Holzweg. Sie waren an sich auf einem ganz vernünftigen Weg. Ihr Minister wollte auf Freiwilligkeit setzen - dafür bin auch ich - und hat an die Betriebe appelliert: Bringt eure Produkte mit guten Inhalten auf den Markt, wenn ihr das für richtig haltet und ein entsprechendes Verbraucherverhalten auslösen wollt. Aber das, was Sie jetzt machen, ist im Grunde genommen nichts anderes als das, was die „schlimmen“ Grünen wollen. ({0}) Frau Höfken, Sie sind bei diesem Thema unbelehrbar. Das habe ich oft genug im Ausschuss erlebt. Die Ampel in England ist schon 2004 kläglich gescheitert. Sie meinen trotzdem, dass das die Heilsbotschaft ist. Sie lesen offenbar keine Fachberichte, die eindeutig belegen: Ampel, nein danke, das klappt nicht. ({1}) - Nicht so laut, Herr Kelber, verausgaben Sie sich nicht! Ich bringe noch andere Belege. Sie sollten nicht immer so laut dazwischen schreien. Das ist ein bisschen unangenehm. - Jetzt will ich das an einem Beispiel deutlich machen, das nicht von mir, sondern von der Verbraucherzentrale kommt. Der glauben Sie doch ein Stück weit. Es gibt zum Beispiel Chipsletten Paprika. Was würden Sie vermuten, wie viel rote und wie viel grüne Punkte die Chipsletten bekommen? ({2}) Die bekommen einen roten Punkt, weil relativ viel Fett darin ist, aber sie bekommen auch drei grüne Punkte. Was macht nun der Verbraucher? Er schaut darauf und fragt sich: Was ist denn das? Ist das rot oder grün? Dreimal grün, das scheint etwas Gutes zu sein. - Nehmen wir zum Beispiel Pfirsichringe. Die sind in Ihren Augen etwas ganz Schlimmes: Schaumzucker, Gummibonbons. Da wird es noch schlimmer. Dafür gibt es drei grüne Punkte und noch einen gelben Punkt. Das ist also auch etwas ganz Tolles. Die Beispiele zeigen eindeutig: Die Regelung mit den Punkten haut nicht hin. Das muss man schlicht und ergreifend zur Kenntnis nehmen. ({3}) Wir müssen, auch wenn es mühsam ist, den Verbraucher im Rahmen des Möglichen informieren und ihn bilden. In dieser Beziehung bin ich mit Ihnen, Herr Müller, völlig einer Meinung. Verbraucherbildung und Verbraucherinformation sind sehr wichtig. Ich hätte mir aber gewünscht, dass Sie dem Antrag, den die FDP im Ausschuss gestellt hat, nämlich mehr Geld für die Verbraucherbildung auszugeben, zugestimmt hätten. Dass Sie das nicht gemacht haben, ist ein bisschen widersprüchlich. ({4}) - Herr Kelber, wenn Sie so laut schreien, dann können Sie gar nicht zuhören. Dann sind Sie hinterher genauso ungebildet wie vorher. Das ist ein Problem. Sie sollten in diesem Fall die Politikerbildung nutzen und mir zuhören. Auch das ist ein Bestandteil der fachlichen Diskussion. ({5}) Nachher werden Sie, Herr Kelber, gefragt, wie Sie es mit Olivenöl halten. Olivenöl erhält jede Menge rote Punkte. Das kann doch wohl nicht sein. Sogar Herr Bode sagt, dass es bei Olivenöl ein Problem gibt. Wie halten Sie es denn mit Joghurtprodukten, die mit Sahne angereichert sind? Die bekommen einen roten Punkt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Goldmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die macht mir eine Freude. ({0}) - Sie bekommt jetzt erst einmal einen grünen Punkt, weil sie eine Frage stellt. ({1}) - Ich hoffe, dass ich ihr einen roten verpassen kann.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie die Debatte zeigt, funktioniert die Vergabe der Punkte ganz ausgezeichnet. Ihre Beispiele von Produkten zeigen doch, dass es nicht um böse oder gute Lebensmittel geht - das ist immer Ihre Befürchtung -, sondern darum, deutlich zu machen, was in einem Warenkorb an unterschiedlichen Nährwerten enthalten ist. Ich frage Sie, wo doch im Bereich des Umweltschutzes zum Beispiel bei Lüftungssystemen und anderen Systemen die Ampel gut funktioniert, warum Sie die Ampel bei Nahrungsmitteln ablehnen, obwohl Sie gerade gezeigt haben, dass sie funktioniert.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Jetzt habe ich ein Problem. Entweder haben Sie mich nicht verstanden, oder ich habe Sie nicht verstanden. Es war doch eigentlich relativ simpel. Sie kennzeichnen ein Produkt nicht mit Informationen, sondern mit Punkten, die eine Signalwirkung haben. Es gibt ein Symbol in unserer Gesellschaft, das etwas ganz Furchtbares signalisiert, nämlich die Farbe Rot. Die sehen Sie auf dem Schild, das die Durchfahrt einer Einbahnstraße in einer bestimmten Richtung verbietet. Ich habe anhand der Beispiele deutlich gemacht, dass Sie auf ein und demselben Produkt einen roten Punkt, aber gleichzeitig auch drei grüne Punkte haben. Der Verbraucher muss doch die Inhaltsstoffe kennen und diese einer bestimmten Menge zuordnen können. Sonst verhält er sich verkehrt. Olivenöl würde jede Menge rote Punkte bekommen. Das ist aber verkehrt. Olivenöl in einer vernünftigen Dosierung ist sehr gesund. Deswegen ist Ihr Informationsweg falsch. Unser Informationsweg besagt, dass selbstverständlich eine Kennzeichnung erforderlich ist, dass man dann aber auch wirklich darauf schreibt, was drin ist, und es nicht mit einem im Grunde genommen blinden Signalwert unterlegt, der aus meiner Sicht inhaltlich nichts bedeutet. Diese Erfahrungen sind doch in England gesammelt worden. Frau Höfken, Ihr Problem ist, dass Sie ein völlig anderes Verbraucherleitbild als Liberale haben. Sie wollen verbieten und vorschreiben; wir wollen, dass der Bürger informiert ist und die Möglichkeit hat, sich Dingen mit Genuss zuzuwenden und sich vernünftig zu ernähren. ({0}) - Frau Höfken, jetzt haben Sie leider keine weitere Frage mehr. In Ihrem ganzen Szenario wird dieser Unterschied deutlich: Der eine von Ihnen will Plastiktüten verbieten, der andere will im Grunde genommen Genuss verbieten, der Nächste will Fernsehwerbung verbieten. Wissen Sie, es erschüttert mich wirklich, dass Grüne ein solches Verständnis haben. Das ist das genaue Gegenteil vom Bild eines mündigen und informierten Verbrauchers. ({1}) Dass auch einige andere wie Frau Drobinski-Weiß in diese Richtung gehen und Ampelbefürworter sind, ist ebenfalls erschütternd und ein echtes Problem dieser Großen Koalition. In dieser Frage sind wir - besser gesagt: wir waren es bis vor kurzem - hundertprozentig auf der Seite von Minister Seehofer. ({2}) - Nur in dieser Frage sind wir hundertprozentig auf der Seite von Minister Seehofer. ({3}) Minister Seehofer ist nach Brüssel gefahren und hat sich dort für eine freiwillige, informative Kennzeichnung ausgesprochen. Es ist völlig falsch, wenn Sie, Frau Höfken, sagen, dass dies von der Lebensmittelwirtschaft bekämpft werde. Gerade kleine und mittelständische Betriebe, aber auch die großen Betriebe machen sich auf den Weg, eine planvolle und kluge Information auf ihren Produkten an die Verbraucher heranzubringen. Dieser Weg ist viel erfolgversprechender als die Ernährungsdiktatur, die Sie vorschreiben wollen. Nun will ich noch etwas sagen, was mir wehtut. Der Grund für das Dickerwerden in Deutschland - das wissen Sie ganz genau, und ich finde es unehrlich, was Sie hier transportieren - ist nicht die Ernährung, sondern der Bewegungsmangel. Das weiß jeder, der bereit ist, sich damit einmal ernsthaft zu beschäftigen. Deswegen sollten Sie Ihre Fehlinformationen zurücknehmen. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Marlies Volkmer für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Analyse sind wir uns einig: Die Deutschen sind zu dick. Es ist auch schon gesagt worden, dass 66 Prozent der Männer und mehr als 50 Prozent der Frauen Übergewicht haben. Dies hat die zweite Verzehrstudie mit aller Deutlichkeit gezeigt. Beunruhigend ist, dass immer mehr Kinder übergewichtig und adipös sind. Jedes zweite adipöse Kind leidet bereits an Erkrankungen, die eigentlich Erkrankungen von älteren Menschen sind: Bluthochdruck, dem sogenannten Altersdiabetes Typ 2 oder Gelenkerkrankungen, die diese Kinder schon zum Orthopäden führen. Wir sind uns auch einig, dass wir etwas tun müssen und es nicht so laufen lassen können. Aber was tun? Eine gesunde Lebensweise mit ausgewogener Ernährung und genügend Bewegung kann dazu beitragen, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Die Bundesregierung hat schon einiges getan; ich nenne die Plattform Ernährung und Bewegung, die Kampagne „Fünf am Tag“ - gemeint ist fünfmal Obst und Gemüse am Tag - und die Aktionstage „Gesunde Ernährung und Bewegung“ an Schulen. All diesen Kampagnen und Projekten ist gemeinsam, das Wissen zu fördern und, wenn möglich, eine Umstellung der Lebensgewohnheiten zu bewirken. Nun ist es aber notwendig, dass wir über einen Aktionsplan dahin kommen, dass das, was punktuell im Lande an Projekten läuft, flächendeckend gemacht wird. Nur dann, wenn wir das flächendeckend im Lande tun, werden wir auch die gewünschten Verhaltensänderungen erreichen. Ein wichtiger Aspekt ausgewogener Ernährung ist die Auswahl beim Einkauf. Viele Konsumentinnen und Konsumenten wollen ihren Einkauf an einer gesunden, ausgewogenen Ernährung ausrichten. Die derzeitige Kennzeichnung der Lebensmittel ist dafür nicht ausreichend. Nährwertangaben sind in der Regel freiwillig. Wenn sie dennoch gemacht werden, sind sie oft schwer zu finden. Sie sind klein gedruckt. Man braucht wirklich eine Lupe, um sie zu lesen. Sie sind schwer zu verstehen oder auch irreführend. Wenn vorne auf einer Gummibärchenpackung „fettfrei“ steht, hinten auf dieser Packung aber noch nicht einmal der hohe Zuckeranteil vermerkt ist, dann ist das eine Irreführung. ({0}) Wenn auf der Packung einer Tiefkühlpizza, die zwei Portionen enthält, nur der Nährwert für eine Portion angegeben wird, dann ist das ebenfalls irreführend. Ein echter Missbrauch freiwilliger Kennzeichnung liegt vor, wenn sich die Nährwertangabe auf einer Verpackung von Chicken Nuggets auf 15 Gramm, also lediglich auf einen Nugget, bezieht. Solche Schönrechnerei müssen wir unterbinden. ({1}) Wir Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen Informationen, die bei der Kaufentscheidung schnell, einfach und klar verständlich sind. Man muss in der Lage sein, in einer Produktgruppe die gesündere Alternative zu finden. Wenn mir der Sinn also zum Beispiel nach Chipsletten steht, dann möchte ich feststellen können, welches Produkt im Regal nach seiner Kennzeichnung den günstigsten Nährwert hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich versuche mein Glück noch einmal bei Ihnen, weil sich Herr Goldmann um die Beantwortung der Frage fröhlich herumgemogelt hat. Es geht um das Olivenöl. Könnten Sie erläutern, worum es dabei geht, damit es auch die Kolleginnen und Kollegen verstehen? Könnten Sie deutlich machen, dass es nicht möglich ist, dass das Olivenöl drei rote Punkte bekommt?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Höfken, ich war noch nicht so weit. Ich wollte erst einmal erläutern, welche Anforderungen wir eigentlich an eine Nährwertkennzeichnung stellen. Wir brauchen Wahlfreiheit durch Transparenz. Anders als von der Lebensmittelindustrie und auch hier seitens des Ministeriums und der FDP behauptet wird, wollen wir nicht die Bevormundung der Verbraucher, sondern - ich wiederhole - Transparenz. ({0}) Aus diesem Grunde fordern wir eine Nährwertkennzeichnung für alle zusammengesetzten Produkte. Zusammengesetzte Produkte sind eben nicht einzelne Produkte wie Öl oder Butter. Diese Produkte braucht man nicht zu kennzeichnen; denn jeder weiß, dass sie zu fast 100 Prozent aus Fett bestehen. Die Kennzeichnung dieser Produkte wird überhaupt nicht bezweckt. Es geht um die Kennzeichnung aller zusammengesetzten Produkte, damit es echte Vergleichsmöglichkeiten gibt. ({1}) Auch aus diesem Grunde sagen wir: Wir brauchen eine schnelle, übersichtliche Kennzeichnung, weil der durchschnittliche Einkauf von Lebensmitteln - das hat die Verbraucherzentrale ermittelt - sieben Minuten dauert. In dieser Zeit ist keiner in der Lage, umfangreiche Tabellen zu lesen. Die Angaben müssen ohne Umrechnungsschritte unmittelbar vergleichbar sein; denn niemand - ich habe das vorhin schon einmal gesagt - will mit einem Taschenrechner einkaufen gehen. ({2}) Die Angaben müssen auf anerkannten wissenschaftlichen Ernährungsempfehlungen beruhen, und sie müssen vergleichbar sein. Sie müssen sich also auf 100 Gramm oder auf 100 Milliliter beziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar der Kollegin Klöckner?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, Herr Goldmann. Das geht schon in Ordnung. Liebe Frau Kollegin, sind auch Sie der Meinung, dass die Motivation aufrechterhalten bleiben muss, für Verbesserungen in den einzelnen Produktsparten zu sorgen? Zum Beispiel soll im Bereich der Streichfette - man kann natürlich sagen, am besten sei es, es ganz wegzulassen; aber viele wollen es nicht weglassen - ein optimiertes Produkt möglich sein. Allerdings erhielte selbst ein Streichfett mit einem Fettanteil von nicht 8 Prozent, sondern 2 Prozent einen roten Punkt, wenn die entsprechende Nährwertkennzeichnung eingeführt würde. Das wäre keine Produktinnovationsmotivation.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Klöckner, ich glaube, Sie haben das Modell der Ampel noch nicht verstanden. ({0}) Folgt man den wissenschaftlichen Empfehlungen, ist, bezogen auf 100 Gramm oder 100 Milliliter, der Anteil an Fett, Zucker, gesättigten Fettsäuren und Salz zu kennzeichnen. Es obliegt dann natürlich dem Verbraucher, darauf zu achten. Wenn ich zum Beispiel einen Brotaufstrich haben will, dann schaue ich selbstverständlich, mit welchen Punkten er versehen ist. Dann wähle ich eben einen Brotaufstrich, der mehr grüne Punkte hat als rote. Das ist eigentlich genau das, was Sie wollen, Frau Klöckner. ({1}) Aus dem Grunde müssten Sie eigentlich unsere Kennzeichnung unterstützen, weil sie tatsächlich zu einer Optimierung der Produkte führt. ({2}) - Das ist aber schade. Ich möchte auf die Ampelkennzeichnung zurückkommen. Es ist so, dass die Anforderungen, nämlich Transparenz, schnelle Durchschaubarkeit und Wissenschaftlichkeit, von der englischen Ampelkennzeichnung im Wesentlichen erfüllt werden. Grün heißt „unbedenklich“, gelb bedeutet „nicht so häufig“ und rot „nur selten“. So wird der Gehalt an Fett, Fettsäuren, Zucker und Salz gekennzeichnet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Volkmer, Sie sind heute sehr gefragt. Die Kollegin Happach-Kasan hätte auch noch eine Frage.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern. Ich möchte nur noch den Gedanken zu Ende bringen. Alle bisherigen Untersuchungen in England zeigen, dass die Menschen das Wesen der Ampelkennzeichnung verstanden haben, ({0}) ganz im Gegensatz zu Ihnen, Herr Goldmann. Sie haben es noch nicht verstanden. ({1}) Wenn wir alle uns ein bisschen näher damit befassen, dann verstehen Sie es auch; da bin ich mir total sicher. Eines möchte ich gerne noch sagen: Es geht eben nicht um die Unterteilung in gute und schlechte Lebensmittel. ({2}) Diese Unterscheidung gibt es nicht. ({3}) Die Dosis ist ganz entscheidend, denn die Dosis macht das Gift. Das hat schon Paracelsus gesagt. Bitte.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Volkmer, ich glaube, dass mein Kollege Goldmann dieses Konzept sehr gut verstanden hat.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Doch! Das ist in seinem Beitrag und in verschiedenen Ausschusssitzungen meines Erachtens sehr deutlich geworden. Bitte erklären Sie uns doch einmal, warum Sie unbedingt für ein Konzept eintreten, das in Großbritannien gescheitert ist und deswegen abgeschafft wurde! ({0}) Können Sie mir also sagen, warum Sie für dieses Konzept eintreten, obwohl Sie wissen, dass es in einem anderen Land in Mitteleuropa eindeutig gescheitert ist?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann das sehr kurz machen, indem ich sage: Auch durch wiederholtes Behaupten wird das nicht richtiger. Die Ampel ist in England nicht gescheitert. ({0}) Die Ampel hat sich sehr wohl bewährt. ({1}) Schauen wir doch einmal, welche Kennzeichnung zurzeit favorisiert wird! Das ist die von der Industrie angebotene freiwillige GDA-Kennzeichnung. Sie gewährleistet genau das nicht, was wir wollen: schnelle Orientierung, Transparenz, Vergleichbarkeit, Wissenschaftlichkeit. Diese Kennzeichnung, die auch vonseiten des Ministeriums favorisiert wird, ist kompliziert. Es gibt viele Informationen, sogar zu viele Informationen. Ihre Bedeutung erschließt sich dem Konsumenten nicht, wenn er das denn überhaupt liest. Die Angabe des prozentualen Tagesbedarfs bezieht sich auf 2 000 Kilokalorien. Sie ist gänzlich ungeeignet, weil der Bedarf an Kilokalorien natürlich vom Lebensalter, vom Geschlecht und von der Art der Tätigkeit abhängt. Außerdem fehlt es an einer wissenschaftlichen Grundlage. Da darf ich Ihnen zur Weiterbildung die Lektüre der sehr deutlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Ernährung hierzu empfehlen. Der englischen Ampelkennzeichnung fehlt aus unserer Sicht die Angabe der Kalorien und der Ballaststoffe. Ernährungswissenschaftler fordern ihre Nennung, da sie wichtige Informationen für eine ausgewogene Ernährung darstellen. Das gilt auch für Proteine. Wir fordern ihre Nennung im Rahmen der Big Eight auf der Packungsrückseite. ({2}) Es genügt uns also nicht, diese Ampel auch für Deutschland zu fordern, wie das im Antrag der Grünen geschieht. Wir brauchen mehr. Um Ihnen gleich zu sagen, warum wir Ihren Antrag ablehnen: Ihrem Antrag fehlt noch die europäische Perspektive. In der Europäischen Union ist die Reform der Lebensmittelkennzeichnung in vollem Gange, und wir freuen uns, dass die Kommission eine verpflichtende Kennzeichnung vorgeschlagen hat, wenn wir auch die Bezugnahme auf eine durchschnittliche Tageszufuhr ablehnen. Hier erwarten wir, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt, eine andere vernünftige Bezugsgröße zu finden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte jetzt gern zum Ende kommen. Keine denkbare Nährwertkennzeichnung ist für sich genommen geeignet, eine ausgewogene Ernährung sicherzustellen. Deswegen ist eine Informationskampagne bei Einführung einer neuen Kennzeichnung unerlässlich. Wichtig ist es eben auch, um gleich auf diesen Punkt einzugehen, darauf hinzuweisen, dass es sich immer nur um die Kennzeichnung eines Lebensmittels handelt. Das bringt es mit sich, dass sich der Verbraucher informieren muss. Wenn er viele Produkte mit grünen Punkten gekauft hat, kann er am Abend des Tages durchaus ein Produkt mit rotem Punkt zu sich nehmen. Ganz wichtig ist auch, immer die Ernährungspyramide im Blick zu haben, auf die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung immer wieder hingewiesen wird. Nur eine Kombination verschiedener Informationen bringt einen weiter; ein ganz wichtiger Punkt dabei ist eine transparente Kennzeichnung. Ein Wort noch zu dem von den Grünen im Rahmen des Aktionsplans geforderten Werbeverbot für sogenannte Dickmacher. Hier schießen Sie, wie ich denke, über das Ziel hinaus; denn beinahe jedes Lebensmittel kann, in großen Mengen genossen, zum Dickmacher werden. ({0}) Ich denke nicht, dass Sie jegliche Werbung für Schokolade oder Pudding verbieten wollen. Das hielten wir nicht für sinnvoll. ({1}) Wir werden den Antrag zum Aktionsplan Ernährung noch ausführlich im Ausschuss diskutieren. Ich freue mich schon auf die Diskussion. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Karin Binder das Wort. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! ({0}) Ich habe hier ein Beispiel dafür, wie derzeit die freiwillige Kennzeichnung von Produkten der Lebensmittelindustrie aussieht. Ich lese einmal kurz vor, was hier steht, auch wenn ich nur eine kurze Redezeit habe, aber das müssen Sie sich einfach einmal vergegenwärtigen: ({1}) Nährwertkennzeichnung je 100 Milliliter: Brennwert 102 Kilojoule oder 24,0 Kilokalorien, Eiweiß 0,1 Gramm, Kohlehydrate 5,8 Gramm, davon Zucker 5,6 Gramm, Fett unter 0,1 Gramm, davon gesättigte Fettsäuren unter 0,1 Gramm, Ballaststoffe 0,1 Gramm, Natrium unter 0,02 Gramm. ({2}) Es geht mir jetzt einfach darum, dass Sie verstehen, dass ich beim Einkaufen überfordert bin, wenn ich solch einen Waschzettel lesen muss. ({3}) - Die Ampel, Herr Kollege. ({4}) Ich weiß nicht, was Sie von der FDP sich vorstellen, aber das Prinzip der Ampel ist in England sehr wohl von den Verbraucherinnen und Verbrauchern verstanden worden. Wer in unserem Land trinkt bitte literweise Olivenöl? ({5}) Olivenöl wird löffelweise als Dressing zum Salat gegeben, den dann oftmals mehrere Menschen gemeinsam als Familienmahlzeit zu sich nehmen. ({6}) Also nehme ich nur winzige Mengen Olivenöl zu mir; und das ist dann gesund und nicht schädlich. ({7}) Herr Staatssekretär Müller, Sie haben gefragt, was es den Staat angeht, was jemand isst und trinkt. Sie haben Gott sei Dank selber auch eine Antwort gegeben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Binder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber gerne.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Binder, wenn ich es richtig in Erinnerung habe - auch ich lese ja manchmal solche Etiketten und habe früher beruflich mit Ernährung zu tun gehabt -, haben Sie eben zehn Inhaltsstoffe genannt, vielleicht auch zwölf. Wie viele Punkte wollen Sie denn nun auf solch eine Flasche kleben, und mit welcher Punktfarbe wollen Sie die verschiedenen Inhaltsstoffe bewerten? ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Goldmann, in dieser Flasche sind circa 56 Gramm Zucker. ({0}) - 5,6 Gramm auf 100 Milliliter. Es handelt sich um Apfelschorle. Ich trinke sie sehr gerne und werde sie auch künftig trinken. ({1}) In dieser Flasche steckt praktisch mein Tagesbedarf an Zucker, denn die WHO empfiehlt für eine Frau 60 Gramm Zucker am Tag. Mit einer Flasche Apfelschorle, die 56 Gramm Zucker enthält, habe ich also meinen Tagesbedarf an Zucker gedeckt. Dann wäre für den Zuckergehalt ein roter Punkt zu setzen. Das bedeutet, ich passe auf, ich trinke keinen Liter Apfelschorle am Tag, sondern vielleicht ein oder zwei Gläser. Das darf ich. Dann habe ich noch ein Restkontingent an Zucker, den ich durch Süßigkeiten und Ähnlichem zu mir nehmen darf. Der rote Punkt würde also darauf hinweisen: Liebe Leute, seid vorsichtig, auch in Apfelschorle ist Zucker, auch wenn es ansonsten ein gutes Getränk ist. ({2}) Die anderen Inhaltsstoffe werden durch einen grünen Punkt gekennzeichnet, da in dem Getränk kein Salz und kein Fett enthalten ist. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Lassen Sie eine zweite Zwischenfrage zu, Frau Binder?

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin, wenn ich erschöpft bin und meine Kohlehydrate verbraucht habe - Kohlehydrate sind ja nicht schlecht; manchmal werde ich dadurch leistungsfähig -, dann müsste ich ja davon etwas trinken. Dann trinke ich sozusagen „Rotes“ in mich hinein. Das, finde ich, ist nicht sehr verbraucherinformativ. ({0}) Der rote Punkt signalisiert eigentlich, das Produkt ist nicht sehr geeignet. Aber in diesem Fall ist das Produkt besonders gut geeignet. Stimmen Sie hier mit mir überein?

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein. Ich stimme mit Ihnen überein, dass das Produkt sehr geeignet ist, jemandem einen kleinen Energieschub zu verpassen. Wir wissen ja, dass Zucker für Energie sorgt. Das ist okay. Deshalb dürfen Sie ja Zucker zu sich nehmen. ({0}) Die Frage ist nur, wie viel. Zwischen ein oder zwei Gläsern Apfelschorle und einer Flasche Apfelschorle ist ein großer Unterschied. Darum geht es. Der rote Punkt sagt Ihnen: nicht so viel und nicht so oft davon trinken. Dann ist alles im Lot. ({1}) Ich komme gerne zur FDP und gebe Nachhilfe in Verbraucherbildung, wenn es sein muss. Ich hatte vorhin Herrn Staatssekretär Müller angesprochen, der gefragt hat, was es den Staat angeht, was man isst und trinkt. Sie haben es selber beantwortet: Es geht um gesunde Lebensmittel. Viele Menschen können nicht das einkaufen, was gut und gesund ist, sondern müssen das einkaufen, was sie sich leisten können. ({2}) Es ist leider so, dass viele Produkte, die billig angeboten werden, einen hohen Fett- und Zuckergehalt haben, damit sie nach etwas schmecken. In Großbritannien ist es aufgrund der Einführung der Ampelkennzeichnung tatsächlich gelungen, ({3}) die Firmen dazu zu bringen, solch ungesunde Bestandteile in diesen Lebensmitteln zu reduzieren. Im Gegensatz zu der vielfach geäußerten Behauptung, in Großbritannien habe sich das System nicht etabliert, stellten Familienminister und Gesundheitsminister gemeinsam im Januar den Bericht der Regierung „Gesundes Gewicht, gesundes Leben“ vor. Sie stellen sich ganz bewusst hinter die Ampelkennzeichnung und erklären: Gegenwärtig basiert unser bevorzugtes, von der britischen Lebensmittelbehörde FSA entwickeltes Modell auf einem Ampelsystem, das Verbraucherinnen und Verbraucher laut unabhängigen Forschungsergebnissen leicht verständlich finden und das dazu beiträgt, Verhaltensänderungen zu bewirken. ({4}) Diese Ampelkennzeichnung zeigt je nach der Zusammensetzung der Produkte grünes, gelbes oder rotes Licht für die vier Kategorien Fett - gesättigte Fettsäuren -, Zucker und Salz. - Damit haben Sie eine Kennzeichnung für alle wichtigen Dickmacher. Die Leute können sich schnell orientieren und haben beim Einkaufen in der kurzen zur Verfügung stehenden Zeit alles Notwendige auf einen Blick. Damit können sie sich gesund ernähren. Die Firmen reagieren darauf, nehmen diese ungesunden Artikel aus den Regalen heraus und bringen gesündere, mit weniger Dickmachern belastete Lebensmittel in die Regale. Das ist in England nachgewiesen. Ich finde, dass die Regierung durchaus einmal den Blick nach England richten könnte, wenn es um das mit dem Bericht vorgestellte Maßnahmenpaket geht. Dort gibt es unter anderem auch Werbeverbote für Süßwaren und Ähnlichem in Kindersendungen. ({5}) Leider ist meine Redezeit nun zu Ende. ({6}) Ich schließe mich der Forderung der Verbraucherzentrale an: Vorfahrt für die Ampel. Herrn Minister Seehofer empfehle ich: Schalten Sie auf Grün, biegen Sie links ab und starten Sie dann durch! Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8193 mit dem Titel „Aktionsplan Ernährung vorlegen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7726, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6788 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für freie und demokratische Parlamentswahlen im Iran - Drucksache 16/8379 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir knüpfen mit dem heute vorliegenden Antrag und dieser Debatte an einen Antrag an, den wir bereits in der letzten Legislaturperiode anlässlich von Wahlen im Iran vorgelegt hatten. Am 12. Februar 2004 diskutierten wir an gleicher Stelle über einen ähnlichen Anlass, nämlich darüber, dass nicht alle Kandidatinnen und Kandidaten, die sich bei der Wahl im Iran aufstellen lassen wollten, zugelassen wurden. Ich glaube, es ist gut, dass wir heute wieder einen Antrag zu diesem Thema vorlegen. Ich würde mich freuen, wenn alle im Deutschen Bundestag diesem Antrag zustimmen würden. ({0}) Mit unserer Initiative wollen wir keine Haltungsnoten verteilen oder besserwisserisch sein. Es gibt aus meiner Sicht leider zu häufig Anlass, Wahlen kritisch unter die Lupe zu nehmen - manchmal auch bei uns im Westen. Deshalb stellt dies keine Einmischung dar, sondern verdeutlicht das Interesse des Parlaments an Partizipation und Offenheit politischer Systeme überall in der Welt. ({1}) Unsere Initiative nimmt etwas auf - deswegen ist sie keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran -, worüber in dem Lande selbst in den letzten Wochen immer wieder heftig diskutiert worden ist. Das zeigt, dass der Iran im Gegensatz zu manch anderen Ländern in dieser Region pluralistischer und kritischer ist, als es der eine oder andere bei uns manchmal darstellt. Ahmadinedschad prägt eben nicht allein das Bild des Iran, sondern es prägen viele andere kluge Menschen, ({2}) die versuchen, die Gesellschaft aufzubauen und die Politik zu gestalten. ({3}) - Herr Kollege, der Zuruf disqualifiziert Sie; denn Sie wissen, dass dieses Parlament insgesamt die Vorwürfe und das Leugnen des Holocaust durch Ahmadinedschad kritisiert und zurückgewiesen hat. ({4}) Deswegen fällt diese Bemerkung auf Sie zurück. ({5}) - Sie können sich gerne zu einer Zwischenfrage melden, sollten aber nicht ständig Zurufe machen. In der Debatte zuvor haben Sie sich mehrmals darüber beschwert, dass ständig dazwischengerufen worden ist. Also halten Sie sich bitte an Ihre eigenen Maßstäbe! Seit gestern ist in die Debatte im Iran etwas Bewegung gekommen: Von den 3 000 Kandidatinnen und Kandidaten, die in der ersten Runde vom Innenministerium abgelehnt worden sind, sind gestern immerhin 1 000 wieder zugelassen worden. Das zeugt zwar von Bewegung, aber das reicht nicht. ({6}) Wenn der Iran tatsächlich so stark ist, wie er immer behauptet, muss er in seinem Land Vielfalt, Partizipation und Offenheit bei der Wahl zulassen. Das sollte die Botschaft Teherans sein. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Mützenich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann?

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Respektierter Kollege, ich hatte am Montag Gelegenheit, mit den Vertretern der jüdischen Gemeinden in Deutschland zu sprechen. Ich würde denen gerne heute Abend mitteilen, welcher iranische Spitzenpolitiker der Feststellung, dass der Iran Israel im Grunde genommen plattmachen will, widersprochen hat. Welcher iranische Politiker hat erklärt, dass es ein Existenzrecht Israels gibt? Welcher iranische Politiker oder welche iranische Politikerin - das wäre noch schöner - hat erklärt, dass die Raketenangriffe gegen Israel zu verurteilen sind?

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Goldmann, wenn Sie mit mir im Iran gewesen wären, als dort die Holocaustkonferenz, die Kommunalwahlen und die Nachwahlen zum iranischen Nationalparlament stattgefunden haben, hätten Sie erleben können, dass viele wichtige Akteure, gerade aus dem klerikalen Bereich, die Leugnung des Holocaust durch Präsident Ahmadinedschad abgelehnt haben. Sie müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass viele Menschen in diesem Land versuchen, mit den Mitteln, die zugelassen sind, gegen Ahmadinedschad zu protestieren. Währenddessen können wir ruhig in unseren Sesseln sitzen und protestieren. Wir sollten hier nicht wohlfeil sagen: Dieses Land ist nur Ahmadinedschad. Es ist vielfältiger und bunter, als Sie es hier beschrieben haben. Ich glaube, dass das auch diejenigen wissen, die Sie eben angesprochen haben; denn auch in Israel wird sehr offen und kritisch darüber debattiert, wie mit dem Iran umzugehen ist. Auch das sollten wir zur Kenntnis nehmen. ({0}) Interessant ist insbesondere, dass versucht wird, das politische System des Iran neu aufzustellen. Nach meinem Dafürhalten werden drei politische Gruppen zu den Wahlen antreten: Das ist zum einen der unverbesserliche Flügel um Ahmadinedschad, den Sie eben angesprochen haben. Zum anderen sind es die sogenannten Reformer um Chatami, hinter die allerdings immer mal wieder das eine oder andere Fragezeichen gesetzt werden muss. Daneben sind es die konservativen Kreise um den ehemaligen Atomunterhändler Laridschani und den Teheraner Bürgermeister Ghalibaf. Die entscheidende Frage wird sein, ob das Parlament nach dem 14. März rational und unabhängig handeln wird und will. Wir sollten es unterstützen, indem wir genau das fordern. Wir sollten das Parlament aber auch mit den Mitteln, die wir haben, unterstützen. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Iran eben doch etwas komplizierter, aber auch offener ist, als wir manchmal glauben. Wir müssen den Dualismus im Iran zur Kenntnis nehmen. Es ist nicht immer leicht, klar zwischen gut und böse zu unterscheiden. Es gibt den Dualismus von Islam und Republik, der nur schwer aufzulösen sein wird. An diesen Widersprüchen leidet die islamische Republik. Es gibt verschiedene Machtzentren, die versuchen, politische Initiativen auszuhandeln. Selbst wenn sie sich verständigt haben, ist es schwer, auf die einzelnen Machtzentren einzuwirken. Das erleben wir gerade bei der militärischen Nutzung des Atomenergieprogramms. Dem Westen fällt es schwer, in der Politik mit Klerikern umzugehen. Es ist aber genauso schwer, mit Menschen umzugehen, die in dem achtjährigen, verheerenden Krieg zwischen dem Irak und dem Iran, der mehr als 1 Millionen Menschenleben gekostet hat, sozialisiert wurden. Auch das wirkt sich letztlich auf die Politik aus. Wir tun gut daran, diese unterschiedlichen Facetten wahrzunehmen. Wir sollten aber auch die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass Wahlen zur Legitimation genutzt werden, was in einer islamischen Republik, wie sie sich selbst tituliert, keine Selbstverständlichkeit ist. Ich glaube, wir sollten uns als Parlamentarier insbesondere der Zivilgesellschaft zuwenden. Sie versucht nämlich, gegen Unterdrückung vorzugehen bzw. die Nischen zu finden, die Christiane Hoffmann in ihrem Buch „Hinter den Schleiern Irans“ dargestellt hat. Sie hat gezeigt, wie schwierig es für die einzelnen Menschen ist. Man sollte hier eben nicht so wohlfeil über ein ganzes Land urteilen. Das am 14. März dieses Jahres gewählte Parlament wird die soziale Frage aufnehmen müssen. Dieses Parlament wird die innere Zerrissenheit und die Probleme des Landes widerspiegeln. Ich bin froh, dass es zu einer dritten Resolution im Sicherheitsrat gekommen ist und man nicht auf die Strategie von Ahmadinedschad und anderen eingegangen ist, die versucht haben, den Sicherheitsrat zu spalten. Nur ein Land hat sich der Stimme enthalten: Indonesien. Libyen zum Beispiel, das seine eigenen Erfahrungen hat, hat zugestimmt. Im Zusammenhang mit der Bewertung der Atompolitik des Iran ist vordringlich, dass die Staatengemeinschaft zusammenbleibt. Ich glaube, dass die Bundesregierung viel dafür getan hat, insbesondere mit ihrer EU-Initiative. Wir sollten - auch innerhalb der IAEO immer versuchen, diese Staatengemeinschaft zusammenzuhalten und an der einen oder anderen Stelle nicht zu überfordern. Der andere Punkt ist - ich glaube, das ist richtig -, die Angebote und Gegenleistungen, die wir vorgeschlagen haben, aufrechtzuerhalten, also genau das Gegenteil zu dem zu verfolgen, was Ahmadinedschad jetzt erklärt hat, nämlich nicht mehr mit der Europäischen Union verhandeln zu wollen. Wir sollten die Tür offen lassen, insbesondere für die Kräfte im am 14. März neu gewählten Parlament, die möglicherweise zu diesem Dialog bereit sind. Zumindest sollten wir an dieser Stelle die Chance nutzen und die Hoffnung nicht aufgeben. ({1}) Ich gebe zu: Der Iran hat es uns in den letzten Wochen nicht leicht gemacht. ({2}) Insbesondere der neue Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde gibt Anlass zu großen Bedenken. Es gibt neue Erkenntnisse, und insbesondere die Tatsache, dass dort ein Raketenprogramm entwickelt wird, das nicht nur für Israel, sondern auch für Europa eine besondere Herausforderung darstellt, provoziert natürlich zu den Gegenmaßnahmen, über die wir so kritisch diskutieren. Auch darüber sollten wir mit dem neu gewählten Parlament sprechen. Ich muss sagen: Der einzige Hoffnungsschimmer, den ich habe, dass sich Vernunft in der Region wieder breitmacht, ist das, was im Golfkooperationsrat vor kurzem angeboten worden ist, nämlich eine nuklearwaffenfreie Zone in der Region einzuführen. Herr Goldmann, Ihr Lachen und Ihre Zwischenrufe regen mich langsam auf. Nehmen Sie doch einfach zur Kenntnis, dass dort Menschen sind, die versuchen, rational auf die Probleme einzugehen und den nuklearwaffenfreien Status in der Region zu sichern. ({3}) Denn es geht um ihr Leben. Das sollten wir unterstützen, insbesondere vonseiten des Deutschen Bundestags. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Harald Leibrecht das Wort.

Harald Leibrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003581, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich durfte in diesem Haus schon öfter Debatten über den Iran verfolgen. Leider beschäftigen wir uns jedes Mal - zu Recht - mit dem Problem des dortigen Atomprogramms und natürlich auch mit den Sanktionen gegen den Iran. Es ist gerade drei Tage her, dass der UN-Sicherheitsrat seine dritte Sanktionsresolution zum iranischen Atomprogramm verabschiedet hat. In wenigen Tagen sind wieder Wahlen im Iran. Daher ist es zu begrüßen, dass wir uns heute hier im Haus mit diesem interfraktionellen Antrag beschäftigten und dass wir, auch wenn wir mit der iranischen Regierung nicht einverstanden sind und schon gar nicht mit den Verbalattacken gegen Israel, an einem Dialog mit dem Iran und an echten demokratischen Wahlen dort interessiert sind. Trotz der vielen Probleme, die es mit dem Iran gibt, sei es das Atomwaffenprogramm, seien es die undurchsichtigen Verhältnisse des Irans zu international agierenden demokratiefeindlichen Gruppen, seien es die Hasstiraden gegen Israel und den Westen allgemein, müssen wir versuchen, die diplomatischen Türen irgendwie offen zu halten. Denn dies ist für uns die einzige Möglichkeit, den politischen Reformkräften im Iran ein Signal zu geben, eine Botschaft, die klar ausdrückt: Wir lassen die Menschen im Iran nicht allein, weder mit ihrem unberechenbaren Präsidenten noch mit der gesamten demokratiefeindlichen politischen Führung. Meine Damen und Herren, wenn man die Atomproblematik einmal für einen Moment in den Hintergrund stellt, dann erkennt man die wichtige, auch die geostrategisch wichtige Lage dieses Landes mit seinen immensen natürlichen Ressourcen und seiner jungen, durchaus westlich orientierten und gut ausgebildeten Bevölkerung. Ich glaube, uns allen ist bewusst, dass der Iran das Potenzial hat, zu einer starken Regionalmacht zu werden, und dass er dies auch selbst erkennt. Leider wählt die iranische Führung die falschen Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Denken Sie nur an das iranische Raketenprogramm. Hätten die Menschen dort eine echte Chance, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen, würde sich das Land sehr schnell sehr positiv entwickeln; davon bin ich absolut überzeugt. Die Menschen im Iran streben nach Freiheit. Diese wird ihnen von den Ayatollahs jedoch weiterhin verwehrt. Mit unserem gemeinsamen Antrag setzen wir uns dafür ein, mit den politischen Parteien, die im iranischen Parlament vertreten sind, aber auch mit den Parteien, die nicht im Parlament vertreten sind, einen intensiveren Dialog zu führen. Auch der FDP ist daran gelegen, dass der Deutsche Bundestag die politischen und die religiösen Führer im Iran auffordert, dort endlich freie und faire Wahlen zu ermöglichen. ({0}) Dass die reformorientierten Kandidaten im Iran wieder einmal von der Wahl ausgeschlossen werden, erfüllt uns mit großer Sorge. Die Menschen im Iran müssen ein Recht darauf haben, ihrem Präsidenten und seinem immer stärker militärisch geprägten Staatsapparat ein Arbeitszeugnis auszustellen. In freien und fairen Wahlen würde der iranische Präsident von seinen Bürgern bestimmt ein Armutszeugnis ausgestellt bekommen. Denn er hat sich durch seine inakzeptablen Reden und wiederholten Hasstiraden nicht nur auf der internationalen politischen Bühne völlig blamiert, sondern er bekommt auch im eigenen Land zunehmend Gegenwind, selbst aus den eigenen Reihen, nicht zuletzt deshalb, weil er bisher keine seiner hochtrabenden Wahlversprechungen eingelöst hat. Bis heute lässt der „Retter der verarmten Massen“, wie er sich selbst nennt, auf sich warten. Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Iran ist einzig und allein entscheidend, ob die Stimme des iranischen Volkes durch freie und faire Wahlen zum Ausdruck kommt. Ayatollah Chamenei und der iranische Parlamentspräsident haben einen sauberen Wahlkampf und demokratische Wahlen angemahnt. Wir sollten sie beim Wort nehmen und daran messen. Ich danke Ihnen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Ruprecht Polenz das Wort.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns mit den Parlamentswahlen im Iran, weil der Iran ein großes, ein wichtiges Land ist und weil er reich an Bodenschätzen ist. Er hat eine gebildete, gut ausgebildete Bevölkerung und eine reiche Kultur. Der Iran kann auf eine jahrtausendealte Geschichte zurückblicken. Er könnte auch ein blühendes Land sein. Aber er wird weit unter Wert regiert. Dass wir unsere Auseinandersetzung mit dem Iran auf sein Nuklearprogramm fokussieren, führt dazu, dass wir uns zu wenig mit den inneren Entwicklungen im Iran beschäftigen und ihnen zu wenig Aufmerksamkeit widmen. Die heutige Debatte sollte auch dazu dienen, das zu ändern. Weil die Regierung im Iran unter normalen demokratischen Bedingungen ihre Abwahl fürchten müsste, setzt sie im Vorfeld der Parlamentswahl in zunehmendem Maße Repressionen und massive Manipulationen ein. Das hat übrigens auch im Iran selbst scharfe Kritik zur Folge. Beispielsweise kritisierten der frühere Präsident Chatami und der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des iranischen Parlaments, Rohani, diese Entwicklung sehr scharf. Ich will an ein paar Beispielen aufzeigen, wie schlecht und wie weit unter Wert der Iran regiert wird. Fangen wir mit der Wirtschaft an: Der Iran ist reich an Öl und Gas. Der Erdölpreis ist seit dem Amtsantritt von Ahmadinedschad 2005 von etwa 62 US-Dollar pro Fass auf über 100 US-Dollar pro Fass gestiegen. Die Erlöse, die der Iran als großer Ölexporteur erzielt, haben sich von 34 Milliarden US-Dollar auf 41,7 Milliarden USDollar gesteigert. Allerdings - das ist der erste Kritikpunkt, und das wird auch im Iran so gesehen - liegt die Förderung mit 4,2 Millionen Fass am Tag auch fast 30 Jahre nach der Islamischen Revolution bei nur zwei Dritteln dessen, was der Iran früher hat fördern können. Man bleibt also weit unter seinen Möglichkeiten. So gibt es trotz steigender Öl- und Gaspreise eine wachsende Armut im Land, gerade bei den kleinen Leuten. Das liegt auch daran, dass das Geld, das eingenommen wird, in Subventionsprogrammen verpulvert wird. Ich will von den vielen sinnlosen Subventionen nur eine erwähnen: Für Strom zahlen die Verbraucher im Iran nur 40 Prozent des Gestehungspreises. Das führt zu Energieverschwendung, mit der Folge, dass Investitionen erforderlich sind, die man vermeiden könnte. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle. Diese Politik führt zu einer galoppierenden Inflation: Sie betrug im Jahre 2005 12,1 Prozent. Heute liegt sie bei 19 Prozent. Gerade die explodierenden Mieten treffen die einfachen Leute im Iran. Was macht der Präsident? Er ordnet an, dass die Bankzinsen von 17 auf 12 Prozent zu senken sind. Das festigt die Überzeugung der Leute, dass allein Immobilien eine sichere Geldanlage sind. Das heizt die Inflation zusätzlich an. Last, but not least steigt die schon jetzt außerordentlich hohe Arbeitslosigkeit im Iran. Die offizielle Arbeitslosenquote - diese Zahl ist sicherlich weit zu niedrig angesetzt - liegt bei 11 Prozent. Für die Jugendarbeitslosigkeit werden 23 Prozent angegeben. Auch diese Zahl dürfte wesentlich höher liegen. Das heißt, dass im Iran eine Million junge Menschen, die ihre Ausbildungsstätten verlassen, in die Arbeitslosigkeit gehen. Auch die immer wieder angemahnte Privatisierung der Wirtschaft kommt nicht voran. Man muss wissen, dass im Iran 65 bis 80 Prozent der Wirtschaft - das ist vielleicht ein Hinweis an die Linkspartei - von den verschiedenen Armen des Staates kontrolliert werden, mit dem bekannten Misserfolg. Vielleicht, Herr Gehrcke, können Sie sich ähnliche Überlegungen für Deutschland sparen. Natürlich gibt es angesichts dieser Entwicklung Protest in der Bevölkerung, zum Beispiel von den Gewerkschaften. So gab es einen Busfahrerstreik in Teheran. Der Staat hat sehr hart reagiert. Mansour Ossanlu, der Vorsitzende der Gewerkschaft, ist seitdem mehrfach inhaftiert worden und sitzt seit 2007 erneut im Evin-Gefängnis. Man verweigert ihm die medizinische Betreuung. Ich finde, wir müssen in unserer Debatte auf solche Schicksale hinweisen. Gewerkschaftsfreiheiten sind Freiheiten, die wir ernst nehmen. ({0}) Es gibt Frauenrechtlerinnen, die für die rechtliche Gleichstellung der Frau im Iran 1 Million Unterschriften sammeln wollen. Sie haben sich eine ähnliche Bewegung in Marokko zum Vorbild genommen, wo es den Frauen gelungen ist, den marokkanischen König, Hassan II., durch eine solche Unterschriftenaktion zu überzeugen. Im Iran läuft das anders: Mehrere hundert Frauen sind ins Gefängnis gesteckt worden. Nasim Sarabandi und Fatemeh Dehdashti sind, weil sie sich für die rechtliche Gleichstellung der Frau im Iran eingesetzt haben, wegen „Handlungen gegen die nationale Sicherheit mittels Propaganda gegen das Regime“ zu sechs Monaten Haft - zurzeit zur Bewährung ausgesetzt - verurteilt worden. Auch in dieser Parlamentsdebatte muss an das Schicksal der Bahai erinnert werden. Gerade ist im iranischen Parlament ein Gesetzentwurf zur Novellierung des Strafrechts vorgelegt worden, mit dem die Apostasie, der Abfall vom „richtigen“ Glauben, in den Katalog der sogenannten Hadd-Strafen aufgenommen werden soll. Das bedeutet die Todesstrafe für Konvertiten, und zwar zwingend, ohne irgendeine Möglichkeit der Revision. Wer weiß, dass die Bahai aus iranischer Sicht als Apostaten angesehen werden, kann sich vorstellen, welcher Druck auf diese Religionsgemeinschaft ausgeübt wird. Vor kurzem sind 53 junge Bahai festgenommen worden - sie sind zum Teil immer noch in Haft -, weil sie ein soziales Projekt zur Bildungsförderung ehrenamtlich betreut haben. Wenn das neue Gesetz in Kraft treten sollte, müssten sie das Schlimmste befürchten. Zu dem Bild einer Verschärfung der religiös begründeten Strafen bis hin zur Todesstrafe passt auch, dass rund um Teheran zunehmend Koranschulen entstehen, die es, anders als in Pakistan, im Iran bisher nicht gab. Alles zusammengenommen ist die Sorge, die auch im Iran geäußert wird, dass aus der Islamischen Republik Iran ein islamisches Kalifat Iran werden soll, nur allzu begründet. Auch das muss hier festgestellt werden. Wenn es um den Iran geht, haben wir uns in der Regel mit der Außenpolitik dieses Landes beschäftigt. Ich will heute ausdrücklich darauf verzichten und nur darauf hinweisen, dass der außenpolitische Konfrontationskurs, den das Land verfolgt, vom innenpolitischen Versagen ablenken soll. Er soll die Verschärfung der Repressionen rechtfertigen. Damit will man den Druck erhöhen, sich hinter der Regierung gegen das Ausland zusammenzuscharen, das man nur konfrontativ wahrnehmen will. Der Protest und der Reformbedarf werden bei Wahlen unterdrückt. Ich kann den Optimismus meiner Vorredner in diesem Punkt nicht ganz teilen; denn durch die Kandidatenauswahl ist das Ergebnis vorprogrammiert. Man darf nicht nur die absoluten Zahlen - von 5 538 Kandidaten wurden 2 059 zur Wahl zugelassen - sehen. Selbst wenn alle Reformkandidaten gewählt würden, könnten sie maximal 60 der 270 Sitze gewinnen. Denn in Wahlkreisen, in denen man nur einen Kandidaten wählen kann, werden viele Reformer als Kandidat zugelassen; in Wahlkreisen dagegen, in denen man mehr Sitze erreichen kann, wird oft kein einziger zugelassen. Damit kann man den Ausgang der Parlamentswahl vorprogrammieren, was auch geschehen ist. Das zeigt, dass es in der Frage, wer kandidieren darf, eine zentrale Planung gab und dass gegen die eigene Verfassung verstoßen wurde. Wir werden sicherlich auch die Kontakte zu dem neuen iranischen Parlament weiter pflegen; dabei müssen wir aber noch stärker als bisher berücksichtigen, dass es für das Land nicht repräsentativ ist. Das ist nicht mehr möglich. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass wir bei den offiziellen Besuchsprogrammen breite Kontakte zur iranischen Zivilgesellschaft außerhalb des Parlaments bekommen. Der Iran könnte in der Tat ein blühendes Land sein, wenn er seiner Bevölkerung mehr Freiheit geben, die Frauen rechtlich gleichstellen und in der Außenpolitik seine Stärke aus der Zusammenarbeit gewinnen würde, statt durch Isolierung und Konfrontation geschwächt zu werden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke wird dem von den vier anderen Fraktionen vorgelegten Antrag zustimmen, weil wir denken, dass die Menschen im Iran wissen müssen, dass sie ein Recht auf freie, gleiche und geheime Wahlen haben, ({0}) und weil sie wissen müssen, dass es Menschen gibt, die mit ihnen solidarisch sind, wenn sie unter viel größeren Opfern und unter Androhung von Gewalt für Demokratie kämpfen. Das sagt sich hier leichter, als man es im Iran machen kann. Das sollten sie wissen. ({1}) Gleichzeitig möchte ich keinen Hehl daraus machen, dass ich mich über die Kleinkariertheit gallig ärgere, dass vier Fraktionen nicht bereit sind, eine fünfte Fraktion - die Linke -, die inhaltlich mit diesem Antrag übereinstimmt, an einer gemeinsamen Arbeit zu beteiligen. ({2}) Das ist unglaublich kleinkariert und passt nicht mehr in die Welt. Man sollte das zum Anlass nehmen, sich zu fragen, ob man wirklich an solchen antikommunistischen Ausgrenzungsritualen festhalten will, wenn man im Parlament über Demokratie redet. Ich gebe zu, dass ich schon aus Ärger darüber fünf Minuten lang versucht war zu sagen: Wir stimmen deswegen nicht zu. - Es wäre aber genauso kleinkariert, einem Antrag, bei dem man in der Sache zustimmt, nur deshalb nicht zuzustimmen, weil andere sich so blöd verhalten. ({3}) Wir haben gelassen gesagt: Das machen wir nicht. Wir urteilen und entscheiden nach Inhalten. Deswegen werden wir zustimmen. - Ich habe das kurz begründet. Ich möchte aber auch, dass wir darüber nachdenken, ob man nicht auch in Deutschland und in Europa in der Iran-Politik eine andere Grundlinie braucht. Nach meiner Analyse haben Sanktionen und Kriegsdrohungen - die sind ja auch in der Welt - den Flügel der Hardliner im Iran eigentlich nur stärker gemacht und gefestigt. Ich komme immer mehr zu der Auffassung, dass man Luft an die Mumien lassen muss. Dann zerfallen sie nämlich. Wenn man sich abgrenzt und sie isoliert, dann macht man sie stark. ({4}) - Ach, halt doch die Klappe. ({5}) - Entschuldigung, das ist mir so herausgerutscht; das nehme ich zurück. Deswegen würde ich darum bitten, dass man über politische Veränderungen und auch darüber nachdenkt, ob man mit einer anderen Iran-Politik mehr erreichen kann. Sehen Sie, wir haben in diesen Tagen den fünften Jahrestag des Irak-Krieges. Für mich sind einzelne Dinge, die ich höre, ein furchtbares Déjà-vu-Erlebnis: Massenvernichtungswaffen, Terrorregime. Das waren die gleichen Argumente. Ich denke darüber nach, ob nicht auch dieses Parlament der USA-Politik - diese ist schon im Irak gescheitert und hat dort Zehntausende von Opfern zu verantworten -, auch gegenüber dem Iran auf Regime-Change zu setzen, widersprechen muss. Auf Regimewechsel als Ziel einer staatlichen Politik zu setzen - und dies nicht in der Solidarität mit den Menschen zu tun -, macht gerade diese Regime stark. ({6}) Ich würde gerne eine Politik des offenen Dialogs dagegensetzen, bei der man immer sehr hart die eigene Position abgrenzen muss. Ich denke, dass man darüber nachdenken muss, dem Iran Sicherheitsgarantien zu geben. Wenn man sich ansieht, wie er auch von Stützpunkten der USA umkreist ist, dann wird klar, dass das zu solchem Fehlverhalten führt. Ich denke auch, dass dieses Parlament den Gedanken eines entmilitarisierten Nahen und Mittleren Ostens sehr viel stärker einbringen muss, ({7}) um Aufweichungen, auch was Demokratiedebatten im Iran angeht, zu erreichen. Schönen Dank. - Ich bitte nochmals um Entschuldigung dafür, dass ich so reagiert habe. Das wollte ich eigentlich nicht; es passiert manchmal. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Kerstin Müller das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gehrcke, ich will gleich zu Anfang sagen: Ich teile zwar Kerstin Müller ({0}) vieles von dem, was Sie vertreten, nicht, vor allem in der Außenpolitik. Aber auch ich finde es falsch, wenn man in Situationen, in denen sich die fünf Parteien einig sind, aus Prinzip mit Ihnen keine Anträge macht. Meine Fraktion unterstützt diese Vorgehensweise ausdrücklich nicht. Ich bin der Meinung, dass wir zu einer normalen parlamentarischen Tagesordnung übergehen und anhand der Inhalte entscheiden sollten, ob wir hier gemeinsame Anträge machen oder nicht. ({1}) Herr Polenz, in der Tat ist es sehr gut, dass wir uns heute einmal mit der inneren Lage des Iran befassen und nicht immer nur über das bedrohliche Nuklearprogramm sprechen. Es ist in der Tat außerordentlich besorgniserregend, was dort im Vorfeld der Parlamentswahlen geschieht. Es muss ganz klar auch in den Kontext der Menschenrechtslage insgesamt gestellt werden, die sich unter der Regierung Ahmadinedschad dramatisch verschlechtert hat. Todesurteile und öffentliche Hinrichtungen - nach Angaben von Amnesty waren es allein im Januar 27; im letzten Jahr waren es fast 300 Hinrichtungen, die meisten davon öffentlich -, vor allem gegen Homosexuelle, gegen Angehörige ethnischer Minderheiten - Sie haben Beispiele genannt - und Andersgläubige, haben massenhaft zugenommen. Im Vorfeld der Parlamentswahlen ist der Druck auf Kritiker der Regierung, auf Journalistinnen und Journalisten, auf Aktivistinnen für Menschenrechte und aus der Frauenbewegung noch einmal enorm erhöht worden. Sie erhalten Ausreiseverbote; viele sitzen im Evin-Gefängnis. Die Kampagne für Gleichberechtigung wurde schon erwähnt. Seit einer Demonstration im Jahre 2006 sitzen viele Aktivistinnen im Gefängnis. Heute sollte eine Mitbegründerin dieser Initiative, die iranische Feministin Parvin Ardalan, in Schweden den Olof-Palme-Preis erhalten. Ihr wurde am Flughafen der Pass abgenommen. Damit wurde sie an der Ausreise gehindert; sie kann den Preis heute nicht entgegennehmen. All das ist verheerend. Ich möchte der iranischen Regierung klar sagen: Lassen Sie Frau Ardalan ausreisen! Der Einsatz für Bürgerrechte, für gleiche Rechte für Frauen und die freie Meinungsäußerung dürfen nicht mit Gefängnis und auch nicht mit einem Ausreiseverbot bestraft werden. ({2}) Einschränkungen der Wahlfreiheit sind in der Islamischen Republik gang und gäbe; sie haben einen bisher ungekannten Höhepunkt erreicht: Über 2 000 Kandidatinnen und Kandidaten - vor allem aus dem Reformspektrum, aber nicht nur aus diesem - wurden nicht zur Wahl zugelassen. Auch Kandidaten aus dem konservativen Spektrum waren betroffen, etwa der Enkel Khomeinis. Auch sie sprechen von katastrophalen Verhältnissen, etwa Ahmad Tavakoli, ein profilierter Konservativer. Möglicherweise stellen diese Verbote einen Versuch dar, den Kurs des Präsidenten zu retten und Kritiker auszuschalten. Dabei bleibt unklar, wie groß die Unterstützung Chameneis für Präsident Ahmadinedschad letztlich ist. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir mit dem vorliegenden Antrag gemeinsam - ich finde es gut, dass Sie von der Linken zustimmen wollen - ein klares Zeichen setzen, dass die Einschränkungen bei den Wahlen absolut inakzeptabel sind. Das ist ein deutliches Signal an die Hardliner. Wir senden damit aber auch ein Signal der Unterstützung an all jene in der politischen Opposition, die ihr Recht auf ein aktives und passives Wahlrecht einfordern. Ich möchte klar sagen - Herr Polenz, ich teile Ihre Auffassung -: Wir müssen immer wieder die schwierige Menschenrechtslage im Iran kritisieren, auch das, was im Vorfeld der Wahlen passiert. Wir müssen aber auch den Dialog mit der Zivilgesellschaft, mit den Menschen im Land auf jeden Fall aufrechterhalten. ({3}) Und zum Schluss möchte ich das berühmte Kulturfestival erwähnen, das in Teheran stattgefunden hat. Das Berliner Ensemble hat dort Mutter Courage aufgeführt; die Vorstellung war völlig ausverkauft, also ein riesiger Erfolg. Kulturelle Begegnungen sind oft die letzte Brücke, das letzte Fenster zur Welt für die iranischen Menschen. Hier in Deutschland hat es Demonstrationen gegen die Aufführung gegeben. Das halte ich für völlig falsch. Ich möchte klar sagen: Es ist kontraproduktiv, an dieser Stelle eine Politik der Ausgrenzung und der Isolation zu verfolgen; wir müssen diese Brücken bauen, um der Zivilgesellschaft, den Menschen im Iran, die Demokratie wollen, eine Chance zu geben. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8379 mit dem Titel „Für freie und demokratische Parlamentswahlen im Iran“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag einstimmig angenommen. ({0}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit Homburger, Martin Zeil, Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates - Drucksache 16/7855 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Vizepräsidentin Petra Pau b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bürokratieabbau in Europa - Kein Freibrief zum Abbau von Arbeits- und Umweltschutz - Drucksachen 16/4204, 16/5196 Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Andreae Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Martin Zeil hat für die FDP-Fraktion das Wort.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Nationale Normenkontrollrat hat im Herbst 2006 seine Arbeit aufgenommen und er hat trotz der Manschetten, die man ihm gegen unseren Rat angelegt hat, bisher gute Arbeit geleistet. Aber der Normenkontrollrat ist gezwungenermaßen auf einem Auge blind. Den Fraktionen dieses Hauses steht ein gesetzliches Anrufungsrecht nicht zur Verfügung. Damit werden aber gerade die Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Deutschen Bundestags in der Regel nicht geprüft, obwohl nach Ihrem Koalitionsvertrag zumindest die Initiativen der Koalitionsfraktionen überprüft werden sollten. Wir legen Ihnen deshalb heute einen Gesetzentwurf vor, der den bestehenden Defiziten Rechnung trägt und ein Anrufungsrecht aller Fraktionen in Bezug auf Gesetzentwürfe aus der Mitte des Parlaments begründet. Im Übrigen gibt es keine generelle Prüfungspflicht. So wird gewährleistet, dass die Bewertung effizient erfolgt und dass gleichzeitig Gesetze hinsichtlich ihrer Effekte durch den Gesetzgeber besser beurteilt werden können. ({0}) Ein zweiter Punkt unserer Initiative betrifft die verbindliche Festlegung von Nettozielen. Vor einem Jahr hat das Kabinett zwar eine Reduktion der Bürokratie um 25 Prozent beschlossen. Leider haben Sie aber darauf verzichtet, das 25-Prozent-Abbauziel eindeutig als Nettoziel zu definieren. Aufgrund dieses Verzichts mangelt es der Aussage, die Bürokratie um 25 Prozent abbauen zu wollen, an Verbindlichkeit, Aussagekraft und letztlich an Glaubwürdigkeit. Ohne verbindliches Nettoziel besteht die Gefahr, dass wir aus dem Teufelskreis ständig wachsender Bürokratielasten nie herauskommen. Auch der Normenkontrollrat empfiehlt in seinem Jahresbericht, das 25-ProzentAbbauziel als Nettoziel zu definieren. ({1}) Dazu gehören auch die von uns vorgeschlagenen Zwischenziele. Dies erhöht die Transparenz und erleichtert die Steuerung des Gesamtprozesses. Ich nehme an, dass die Kollegen von der SPD vielleicht noch ein paar Worte zu dem Antrag ihres künftigen Koalitionspartners in Hessen sagen werden. Aus meiner Sicht atmet der Antrag der Linken, ({2}) der heute auch zur Debatte steht, zu sehr den Geist des demokratischen Sozialismus und ist meilenweit von den Grundgedanken der sozialen Marktwirtschaft entfernt. ({3}) Die schwarz-rote Koalition hat im Hinblick auf den Bürokratieabbau beim Mittelstand und bei den Bürgern Erwartungen geweckt, die sie nicht einmal im Ansatz erfüllt hat. ({4}) Statt ein großes, gesamtwirtschaftlich angelegtes Bürokratieabbauprogramm zu starten, kommen Sie mit vielen kleinen - durchaus gut gemeinten, Herr Kollege Koschyk - Gesetzen, die aber keine spürbare Entlastungswirkung haben. ({5}) Im Gegenzug schaffen Sie weitere, neue Bürokratie, angefangen beim AGG bis hin zur Erbschaftsteuerreform. ({6}) Die Erbschaftsteuerreform sollte ursprünglich auf leisen Sohlen am Normenkontrollrat vorbei über die Regierungsfraktionen in den Bundestag eingebracht werden. Nach der begrüßenswerten Weigerung der Fraktionen hat der Normenkontrollrat nun doch Stellung genommen. Die Bundesregierung muss geahnt haben, dass es besser sein könnte, diesen Weg zu umgehen. Denn das Urteil der Prüfer des Normenkontrollrats war eindeutig. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das federführende Bundesfinanzministerium den bürokratischen Aufwand für vererbte Unternehmen mit nur knapp 5 Millionen Euro jährlich um das Vier- bis Sechsfache zu niedrig angesetzt hat. Der Kollege Michelbach von der CSU nennt diese Stellungnahme zu Recht eine Ohrfeige für die Bundesregierung und warnt vor einem neuen Bürokratiemonster. Um das zu verhindern, sollten Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, sich ein Beispiel an der rotschwarzen Koalition in Österreich nehmen und die Regelungen zur Erbschaftsteuer einfach auslaufen lassen. ({7}) Wir reden immer nur über einen kleinen Teil der Bürokratiekosten. Aber Bürokratie, so wie sie von den Betroffenen erfahren und empfunden wird, geht deutlich darüber hinaus. Bürokratiekosten resultieren eben nicht nur aus Informationspflichten. Das hat uns soeben der oberste Entbürokratisierer der EU, der beste Mann, den wir aus Bayern dorthin geschickt haben, der ehemalige Ministerpräsident, bestätigt. Ich möchte aus Ihrem Koalitionsvertrag zitieren, in dem Sie richtig erkannt haben: Die Entlastung von Bürgern, Wirtschaft und Behörden von einem Übermaß an Vorschriften und der damit einhergehenden Belastung durch bürokratische Pflichten und Kosten ist ein wichtiges Anliegen der Koalition. Aber wo sind denn Ihre Vorschläge und vor allem Ihre nachweisbaren Erfolge auf diesem Gebiet? Die Bürger spüren davon viel zu wenig. Die Betroffenen haben durch den Hauptgeschäftsführer des DIHK an die Staatsministerin und den Wirtschaftsminister schreiben lassen: „Von einem nachhaltigen Rückgang der Bürokratie ist bislang kaum etwas zu spüren.“ ({8}) Wir können mit unserem heute vorgelegten Gesetzentwurf wenigstens den Normenkontrollrat institutionell stärken und im parlamentarischen Prozess besser verankern. Ich lade alle Fraktionen ein, hier mitzumachen. ({9}) Wenn Deutschland beim Bürokratieabbau auf europäischer Ebene vom Zuschauer zum respektierten Mitspieler werden soll, müssen wir die Kompetenzen des Nationalen Normenkontrollrats erweitern und endlich ein verbindliches Nettoabbauziel vorgeben. ({10}) Es wäre schön, wenn es hier zu einer interfraktionellen Initiative käme. Ich danke Ihnen. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Andreas Lämmel das Wort.

Andreas G. Lämmel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne - das tue ich sicherlich nicht oft - mit einem Zitat eines angestaubten Vordenkers der Linken, nämlich von Marx. Er sagte einmal: „Die Bürokratie gilt sich selbst als der letzte Endzweck des Staates.“ Schon damals war Marx mit seinen Gedanken zum Bürokratieabbau weiter, als Sie es heute sind, meine Damen und Herren von der Linken. ({0}) Sie vermuten hinter jedem Vorschlag zum Bürokratieabbau den Abbau von sozialen und ökologischen Standards. Die Initiative der Europäischen Kommission zur besseren Rechtsetzung, wonach die Zahl der EU-Vorschriften um 25 Prozent gesenkt werden soll, ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Initiativen der letzten Jahre überhaupt. Es wird höchste Zeit, dass das neue Denken in Brüssel einzieht. Der Nationale Normenkontrollrat schätzt, dass über 40 bis 50 Prozent der nationalen Informationspflichten unmittelbar oder mittelbar auf Regelungen der Europäischen Union zurückgehen und dass dies ein Belastungsvolumen von bis zu 600 Milliarden Euro für die Wirtschaft und die Bürger bedeutet. Das während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel beschlossene Abbauziel für die Europäische Union ist ein riesiger Erfolg. ({1}) Einen solch großen Schritt hat es jahrzehntelang nicht gegeben. ({2}) Die Stigmatisierung des Bürokratieabbaus, die Sie betreiben - Frau Zimmermann wird gleich versuchen, das darzulegen -, ist daher völlig fehl am Platz. Ich will Ihnen an einem Beispiel die Regelungswut Brüssels aufzeigen. Ein so bergiges Land wie Mecklenburg-Vorpommern - die Helpter Berge mit 179 Meter über Normalnull sind die höchsten Berge - musste nach allen Regeln der parlamentarischen Kunst ein Seilbahngesetz verabschieden, weil sonst eine Vertragsstrafe aus Brüssel in Höhe von 800 000 Euro gedroht hätte. Das versteht doch kein normaler Mensch mehr. Gestatten Sie mir noch einen Vergleich. Von Herrn Alwin Münchmeyer, Kaufmann seines Zeichens, stammt folgender Spruch: Das Vaterunser hat 56 Wörter, die Zehn Gebote haben 297 Wörter, und eine Verordnung der Europäischen Kommission über den Import von Karamellen und Karamellprodukten zieht sich immerhin über 26 911 Wörter hin. - Man sieht, was sich da mittlerweile aufgebaut hat. ({3}) Der Antrag der Linken entspricht in keiner Weise unserer Wirklichkeit; denn es geht doch beim Bürokratieabbau um Vereinfachung und eine bessere Verständlichkeit des europäischen Rechts. Wir sind dringend auf diese Anstrengungen angewiesen und wir setzen auf die Zähigkeit des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und seiner Kommission, in Brüssel die Dinge voranzubringen. ({4}) Aus diesem Grunde haben alle Fraktionen Ihren Antrag, Frau Zimmermann, am 28. März letzten Jahres abgelehnt. Wir haben unsere Meinung darüber nicht geändert. ({5}) Wir beraten heute zusätzlich einen Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur Erweiterung der Kompetenzen des Normenkontrollrates. Zunächst einmal möchte ich saAndreas G. Lämmel gen, dass wir die Arbeit des Nationalen Normenkontrollrates ausdrücklich begrüßen; denn er ist zu einem echten Bürokratie-TÜV in Deutschland geworden. Allein im vergangenen Jahr hat der Rat 420 Regelungsvorhaben der Bundesministerien geprüft und seine Empfehlungen ausgesprochen. Damit konnten die Unternehmen um netto 777 Millionen Euro entlastet werden. Das ist nun kein Pappenstiel. Sie, Herr Zeil, sagen immer, dass das zu schleppend oder zu langsam geht. ({6}) Sie müssen aber sehen, dass es den NKR erst etwas länger als ein Jahr gibt. In dieser Zeit hat er 420 Regelungsvorhaben geprüft. Das ist ein ehrenamtliches Gremium. In Holland hat man sieben Jahre gebraucht, in Großbritannien drei Jahre, und wir in Deutschland haben ein Jahr gebraucht, bis der Normenkontrollrat voll wirksam gearbeitet hat. ({7}) Das ist eine hervorragende Leistung für ein solches Gremium. Unser Dank geht an die Herren dieses Gremiums. ({8}) Mittlerweile wurde die Bestandsmessung des geltenden Bundesrechts vorgenommen. Das Ergebnis ist: Die Verwaltungskosten, die der deutschen Wirtschaft durch gesetzliche Regelungen in Deutschland entstehen - es handelt sich um 2 100 Informationspflichten -, betragen insgesamt 27 Milliarden Euro im Jahr. Es muss uns doch der Mühe wert sein, dafür zu kämpfen, diesen Betrag zu senken. ({9}) Der Regierungsbeschluss vom Februar 2007, bis zum Jahr 2011 die Bürokratie um ein Viertel zu reduzieren, ist ganz gut, aber wir sind der Meinung, dass die Bundesregierung die Schlagzahl durchaus erhöhen könnte. ({10}) Auch sind wir auf das erste Paket von konkreten Abbaumaßnahmen, das in diesem Frühjahr von der Regierung verabschiedet werden soll, sehr gespannt. Wir unterstützen Sie dabei. Man hört immer wieder aus verschiedenen Ressorts, dass etwas gebremst wird. Wir können Sie nur deutlich ermuntern, Nägel mit Köpfen zu machen. Wir teilen daher die Meinung der FDP-Fraktion, dass dieses Abbauziel natürlich netto gelten muss. ({11}) Das ist sonst völlig witzlos. Auch die Einführung eines Rechts der Fraktionen, bei Gesetzentwürfen den Normenkontrollrat anzurufen, halten wir für sinnvoll. Ich möchte aber hinzufügen, dass das keine Idee der FDP ist, sondern die vorderste Forderung der Union zum Bürokratieabbau überhaupt war. ({12}) Herr Zeil, das ist auch aus folgendem Grund interessant: Wenn die Linke ihre Gesetzentwürfe zur Prüfung an den Normenkontrollrat schickt, dann wird für alle transparent, wie die Linken die Wirtschaft und die Bürger belasten wollen. Dann wird transparent, welchen „Bürokratieabbau“ sie planen. Insofern ist das ein wirksames Instrument. Wir werden den Gesetzentwurf in den Ausschüssen diskutieren. Wir werden mit unserem Koalitionspartner über die vorgelegten Vorschläge sprechen. Ich habe im Januar diesen Jahres eine Pressemitteilung unseres Kollegen Herrn Dr. Wend gelesen, in der er seine Zustimmung zu den Forderungen signalisierte. Insofern bin ich hoffnungsvoll, dass das auch für das Nettoabbauziel gilt. In rein formaler Hinsicht, Herr Zeil, muss man sagen, dass Ihr Antrag noch optimierungsfähig ist. In ihm sind ein paar Verwechslungen und Fehler, die man aber noch korrigieren kann. Sie sind nicht kriegsentscheidend; wir wollen Sie hier gerne unterstützen. Meine Damen und Herren, wir müssen mit dem Bürokratieabbau weiter vorankommen. Unser Versprechen an die Bürger und an die Wirtschaft, alles dafür zu tun, gilt weiterhin. Die Kugel ist ins Rollen gekommen und nicht mehr aufzuhalten. Jetzt müssen wir nur sehen, dass wir mit dieser Kugel auch alle Neune erwischen. Dafür sollten wir gemeinsam streiten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Sabine Zimmermann das Wort. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Zeil, ich schätze Sie wirklich sehr, aber ich muss Ihnen eines sagen: Sie haben erklärt, Sie hätten den besten Mann aus Bayern nach Europa geschickt. Andere sprechen davon, dass sie ihn zum Glück los seien. Möglicherweise sind wir hier sehr unterschiedlicher Meinung. Vor etwa anderthalb Jahren hat die Bundesregierung den Normenkontrollrat ins Leben gerufen. Als eine Art Bürokratie-TÜV soll er der Bundesregierung zur Seite stehen und ihr helfen, überflüssige Bürokratie abzubauen. Die Linke hat immer davor gewarnt: Diese Initiative ist einseitig an den Interessen der Wirtschaft ausgerichtet und geht auf Kosten der Allgemeinheit. Das hat sich leider bewahrheitet. ({0}) - Sie bekommen noch die Beispiele. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, an dieser Stelle wäre es eigentlich angebracht gewesen, Bilanz darüber zu ziehen, was die bisherige Politik gebracht hat. Der Normenkontrollrat hat einen Zwischenbericht vorgelegt; der Bericht der Bundesregierung steht leider noch aus. Bisher hat sie sich geweigert, die Frage zu beantworten, welchen konkreten Nutzen der bisherige Bürokratieabbau überhaupt gebracht hat. Ich fürchte, heute werden wir wieder vergeblich auf eine Antwort warten. Antworten erhalten wir auch nicht von der FDP, die fordert, die Befugnisse des Normenkontrollrats auszuweiten. Lieber Herr Zeil, ich muss Sie noch einmal ansprechen: Aus Ihrem Antrag schaut wieder der neoliberale Geist heraus. ({1}) Liebe Kollegen der SPD, Sie haben bei der Gründung des Normenkontrollrats zugesichert, der Bürokratieabbau der Großen Koalition werde kein Abbau gesellschaftlich sinnvoller und notwendiger Regelungen sein. Sind Sie ehrlich, müssen Sie einräumen, dass dieses Versprechen nicht gehalten worden ist. ({2}) Mit dem ersten Bürokratieabbaugesetz hat die Bundesregierung die amtliche Statistik ausgedünnt. Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern fallen nun aus der monatlichen Statistik zu Umsatz und Beschäftigung heraus. Folgerichtig beklagen heute Wissenschaftler, dass Unternehmen im Zuge des Bürokratieabbaus weniger Daten an das Statistische Bundesamt lieferten und die vorhandenen Statistiken nicht mehr ausreichten, um verlässliche ökonomische Analysen und Prognosen zu erstellen. ({3}) Des Weiteren hat die Bundesregierung für Kleinbetriebe den betrieblichen Datenschutzbeauftragten einfach abgeschafft. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz äußerte, damit werde der Datenschutz eingeschränkt, dies verstoße gegen europäisches Recht. Meine Damen und Herren, ist Ihnen auch bekannt, dass die Regierung über sogenannte Modellregionen - Sie wollen ja immer Beispiele haben - den Bürokratieabbau in den Bundesländern unterstützt und dass in einer dieser Modellregionen, in Ostwestfalen-Lippe, Umweltverbände und Gewerkschaften aus diesem Projekt ausgestiegen sind? Ihr Vorwurf lautet: Unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus wird der Naturschutz demontiert und einseitig Politik für die Wirtschaft gemacht, nämlich auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Rechte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Zimmermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Müller?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gerne.

Hildegard Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003598, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ist Ihnen die Drucksache 16/6428 des Deutschen Bundestages bekannt? Sie scheinen sie nicht zu kennen; anderenfalls hätten Sie Ihre Rede so nicht halten können. Sie enthält einen Bericht der Bundesregierung zum Bürokratieabbau, der genau die Frage beantwortet, die Sie hier stellen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das Mittelstandsentlastungsgesetz für die Unternehmen eine enorme Freiheit gebracht hat, was zu Mehreinstellungen geführt hat? ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie reden immer von Freiheit für die Unternehmen. Aber Sie müssten auch darüber reden, dass dadurch Arbeitnehmerrechte sowie Rechte in den Bereichen Naturschutz und Umweltschutz abgebaut werden. ({0}) Darauf sollten Sie achten. Ich habe das Beispiel Ostwestfalen-Lippe angeführt. Dort sind solche Rechte abgebaut worden. Das nehmen wir zur Kenntnis. Ich denke, Sie müssen hier umdenken. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage der Kollegin Müller?

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, bitte.

Hildegard Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003598, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich darf Sie noch einmal fragen, ob Ihnen diese Bundestagsdrucksache bekannt ist. Sie haben gesagt, die Bundesregierung habe keinen Bericht vorgelegt. Ich verweise Sie auf die Bundestagsdrucksache, die genau den Bericht enthält, den Sie hier nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir haben im Wirtschaftsausschuss zur Kenntnis genommen - ich weiß jetzt nicht, ob Sie Mitglied des Wirtschaftsausschusses sind -, dass der Normenkontrollrat seinen Bericht dort abgegeben hat. Natürlich ist mir diese Bundestagsdrucksache bekannt. ({0}) - Natürlich. Der Normenkontrollrat war bei uns im Ausschuss. Da müssten Sie sich vielleicht einmal sachkundig machen. Ich möchte nun zum Schluss kommen. In der Praxis ist das Vorhaben der Bundesregierung, angeblich überflüssige Informationspflichten der Wirtschaft abzubauen, zu einem Abbau von gesellschaftlich wichtigen Standards geworden. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen, auch die Kollegen der CDU/CSU. Dafür gibt es genug Beispiele. ({1}) Die Verbände in Ostwestfalen-Lippe und anderswo sind nicht umsonst ausgestiegen. Angeblich ist die Wirtschaft durch die Arbeit des Kontrollrates um 790 Millionen Euro entlastet worden. Das sind zumindest die offiziellen Zahlen. Bezogen auf etwa 3,4 Millionen Unternehmen, sind das 230 Euro im Jahr. ({2}) Das bedeutet im Monat 19 Euro. Ich bitte Sie, klarzustellen, inwiefern Bürokratieabbau da eine Entlastung bedeutet? Danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin für die SPDFraktion.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Über viele Jahrzehnte war Bürokratieabbau ein Thema in vielen Reden - Herr Zeil, insbesondere in den Zeiten, in denen die FDP in Bonn noch regiert hat -; ({0}) aber passiert ist nicht viel. Es wurde darüber nur gestritten und debattiert. Die Große Koalition hat dieses Thema in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal konkret angepackt. Herr Zeil, wir konzentrieren uns auf das, was wirklich Bürokratie ist. Ihr Verständnis von Bürokratieabbau, das gern Arbeitnehmerrechte und andere Dinge einbezieht, teilen wir ausdrücklich nicht. Wir konzentrieren uns hier mit der Arbeit des Normenkontrollrates auf das, was Bürokratie im engeren Sinne ist. Darum muss es uns gehen. ({1}) Ohne den Versuch, das Rad jedes Mal neu zu erfinden, machen wir durch die Arbeit des Normenkontrollrats und durch andere Maßnahmen Schritte; die Bundeskanzlerin würde von einer Politik der kleinen Schritte sprechen. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Es nützt nämlich nichts, mit der Axt durch den Wald zu gehen, sondern man muss sich sehr genau anschauen, was man vor sich hat und wo man etwas beschneiden muss. Wir haben im Jahre 2006 mit dem Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Kontrollrates einen wichtigen Schritt getan. Es wurden in den letzten Jahren über 10 000 Informations- und Statistikpflichten im Auftrag des Normenkontrollrates geprüft, um so zu einer Entlastung der Unternehmen von Bürokratiekosten zu kommen. Insgesamt haben wir bisher einen Abbau von bürokratischen Belastungen in Höhe von immerhin 2,6 Milliarden Euro erreicht. Ich finde, dass man sich dahinter nicht verstecken muss. ({2}) Gleichwohl ist das nur der Anfang. Wir haben ein Etappenziel erreicht und müssen auf diesem Weg weitergehen. Wir werden genau überprüfen - da schließen wir uns einer Empfehlung des Normenkontrollrates ausdrücklich an -, welche Gruppen von Unternehmen und welche Gruppen bei den Bürgerinnen und Bürgern durch welche Vorschriften belastet sind, und wir werden versuchen, passgenaue Ansätze zu entwickeln. Ich glaube, dass es unheimlich wichtig ist - das hat auch das Gespräch mit Herrn Ludewig im Ausschuss gezeigt -, uns nicht allein auf das zu beschränken, was der Normenkontrollrat machen kann. Wir müssen nach unseren Möglichkeiten dafür sorgen, dass ähnliche Initiativen und die Arbeit am Thema Bürokratieaufbau auch auf anderen Ebenen stattfinden, dass wir in den Bundesländern entsprechende Initiativen starten und dass wir die Kommunen einbeziehen. Bürokratie entsteht nicht nur durch Gesetze, die der Deutsche Bundestag verabschiedet. ({3}) Bürokratie entsteht in gleicher Weise durch Verwaltung und auch auf anderen Ebenen. Deswegen müssen wir das in Übereinstimmung mit dem, was Herr Ludewig im Ausschuss gesagt hat, in Angriff nehmen. ({4}) Natürlich darf man Europa nicht außer Acht lassen. Das ist in den Vorreden schon angeklungen. Wir setzen uns auch auf europäischer Ebene dafür ein, dass die Informationspflichten minimiert und dass neue Informationspflichten - wenn möglich - gar nicht erst geschaffen werden, sollten sie nicht zwingend erforderlich sein. Wir schauen auch auf andere europäische Länder wie die Niederlande, Großbritannien, Dänemark und Österreich, um zu erfahren, wie dort mit dem Standardkostenmodell umgegangen wird, und um die positiven Erfahrungen aus diesen Ländern in unsere Entscheidungen einzubeziehen. Jetzt haben wir die Debatte darüber, inwieweit man die bisherigen gesetzlichen Regelungen erweitern kann. Die FDP stellt den Antrag mit Blick auf das Anrufungsrecht der Fraktionen. Das Copyright liegt nicht allein bei Ihnen; auch der Normenkontrollrat hat das gesagt. ({5}) Er hat gesagt: Wir wollen in diese Richtung gehen. Wir als SPD-Fraktion schließen uns dem grundsätzlich an. ({6}) Wir sollten das erfolgreiche Instrument, das wir in der Hand haben - nämlich die Prüfung durch den Normenkontrollrat -, erweitern, auch auf die Gesetzgebung aus der Mitte des Parlaments. ({7}) Ich glaube, dass das dritte Mittelstandsentlastungsgesetz geeignet sein wird, die Arbeit des Normenkontrollrats auf weitere Felder der Gesetzgebung auszudehnen. Wir werden das prüfen und diskutieren; aber es soll schon klar sein, in welche Richtung wir da gehen wollen. Ein Anrufungsrecht der Fraktionen würde sicherstellen, dass die Überprüfung zum Regelfall wird. Wir erleben schon bei dem, was auf den Weg gebracht worden ist, dass eine Selbstdisziplinierung stattfindet, dass man bei dem, was beschlossen wird, vorsichtig ist und auf die entstehenden Bürokratiekosten achtet. Weitere Bürokratiekosteneinsparungen für kleinere und mittlere Unternehmen würden damit gewährleistet. Deswegen wollen wir so verfahren. Vor kurzem stand in der Zeit: Wer in Nordrhein-Westfalen aus einer Produktionshalle ein Lager machen will, braucht dafür keine Genehmigung mehr. Wer im Saarland ein Haus baut, muss das nicht mehr beantragen. Wer in Baden-Württemberg Taxi fährt, kann sich die Farbe seines Autos aussuchen. - Es war eine ganze Reihe von Beispielen. Jedes Beispiel ist für sich genommen lächerlich - die Wahlmöglichkeit bei der Farbe von Taxis ist natürlich nicht das Symbol für Bürokratieabbau -, aber in der Summe ist das wirklich nicht zu verachten. Da sind wir mit den kleinen Schritten auf dem richtigen Weg. Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht irgendeine Milliardensumme festschreiben sollten, so wie Sie das verlangen, Herr Zeil. ({8}) - Oder einen Prozentsatz. ({9}) Wir müssen vielmehr darauf achten, ob die Reduktion wirklich bei denjenigen ankommt, bei denen die Bürokratie am meisten zugeschlagen hat. Ich glaube nicht, dass man das am Ende an formalen Kriterien wird festmachen können. Ich habe heute einfach einmal bei der einen oder anderen Firma in meinem Wahlkreis angerufen. Weil bei der Vorrednerin immer nach Beispielen verlangt wurde, will ich ein Beispiel nennen. Ein großer Windenergieanlagenhersteller, der in den letzten Jahren am Markt wirklich sehr erfolgreich war und inzwischen mehrere Tausend Beschäftigte hat, hat auf die Frage, ob der Bürokratieabbau dort angekommen sei, geantwortet, dass man das spürt, und zwar dadurch, dass bestimmte Probleme schnell elektronisch gelöst werden können ({10}) - nein, das ist er ganz sicher nicht; davon können Sie fest ausgehen; das würde Ihnen jeder in der Region bestätigen -, und dadurch, dass Dinge eingescannt werden können, um sie elektronisch zu versenden. Es hieß, dadurch sei die tägliche Arbeit bei bestimmten Dingen in der letzten Zeit schon erheblich erleichtert worden. Wir wurden von ihm darin bestärkt, diesen Weg weiterzugehen. Die Prozesse sind jetzt - so lautete die Aussage - sehr viel stringenter und effizienter geworden. Auch die Testregion Ostwestfalen-Lippe ist hier schon das eine oder andere Mal angesprochen worden. Ich teile nicht Ihre Klage, Frau Zimmermann, dass man in Ostwestfalen-Lippe Arbeitnehmerrechte oder Umweltschutzvorschriften abgebaut hätte. Im Gegenteil, ich glaube, dass man in dieser Testregion sehen kann, wie vieles gemacht werden könnte. Jürgen Heinrich, der Projektleiter, hat das folgende Bild gebracht - das will ich zum Abschluss zitieren -, nämlich … dass Bürokratieabbau weniger der Arbeit des Architekten gleicht, der ein Gebäude errichtet, und das steht dann für die nächsten 30 Jahre da und funktioniert, sondern eher mit der Arbeit eines Gärtners zu vergleichen ist, der alltäglich in seinen Garten hinausgeht, dort etwas jätet und etwas zurückschneidet, regelmäßig den Rasen kürzt und gelegentlich auch zum Spaten greift, um kräftig umzugraben und Brachland zu schaffen, auf dem dann Neues sprießt und gedeiht. Ich glaube, dass Herr Heinrich mit diesem wunderbaren Bild recht hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Duin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zimmermann?

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da ich eh nur noch elf Sekunden gehabt hätte, können Sie meine Redezeit gerne verlängern, Frau Zimmermann.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Sind Sie mit mir der Meinung, dass die Gewerkschaften und die Umweltschutzverbände aus dem Testlauf in Ostwestfalen-Lippe ausgestiegen sind, und zwar mit der offiziellen Begründung, dass dort Rechte angetastet worden sind? Oder kennen Sie eine andere Begründung dafür, warum sie ausgestiegen sind? Ich will Ihnen dazu sagen, dass ich in engem Kontakt mit dem dortigen DGB-Regionsvorsitzenden stehe und deshalb den entsprechenden Schriftverkehr kenne. Ich frage Sie also: Warum sind Ihrer Meinung nach die genannten Verbände ausgestiegen?

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann die Frage im Detail so nicht beantworten, da ich persönlich mit den dortigen Funktionären im Gewerkschaftsbund nicht bekannt bin. Ich glaube aber grundsätzlich - das Projekt in Ostwestfalen-Lippe kenne ich gut genug, um das sagen zu können -, dass nicht jede Meinung eines Verbandsvertreters - sei es auch die eines Gewerkschaftschefs - für das tatsächliche Empfinden der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer relevant ist. Meines Erachtens gibt es keine Belege dafür, dass in diesem Projekt in Ostwestfalen-Lippe Arbeitnehmerrechte wirklich nachhaltig infrage gestellt worden sind. Ich habe zu Beginn meiner Ausführungen deutlich gemacht, dass wir gerade darauf setzen, dass es nur um Bürokratieabbau gehen darf und nicht um das Beschneiden der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bzw. von Umweltschutzstandards. Das ist mit uns nicht zu machen. ({0}) Ich kann Ihnen nicht im Detail beantworten, welche persönlichen Verwerfungen es zwischen den in Ostwestfalen-Lippe Agierenden gibt, sodass es zu diesem Ausstieg gekommen ist. Glauben Sie mir aber, dass ein viel größerer Aufschrei durch das Land gegangen wäre, wenn ausgerechnet in einer Region wie OstwestfalenLippe Arbeitnehmerrechte anders behandelt würden als im Rest der Republik.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Duin, auch der Kollege Dobrindt möchte Ihnen Gelegenheit geben, noch länger zu sprechen; das heißt, er möchte Ihnen eine Frage stellen. Lassen Sie diese auch noch zu?

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch die Zwischenfrage des Kollegen Dobrindt lasse ich gerne zu.

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Duin, sind Sie mit mir der Meinung, dass die Linke hier zwei Dinge unrechtmäßigerweise vermischt, ({0}) nämlich die Arbeit des Normenkontrollrates und den Testlauf in der Modellregion Ostwestfalen-Lippe? Der Normenkontrollrat, der hier von der Linken kritisiert wird, soll nämlich auf oberster Ebene kontrollieren, ob Gesetze mehr Bürokratie nach sich ziehen. In der Modellregion Ostwestfalen-Lippe soll auf unterster Ebene getestet werden, wie viel Bürokratieabbau in einem Landkreis direkt vor Ort bei den Bürgern möglich ist.

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Dobrindt, ich bin absolut Ihrer Meinung. Der Normenkontrollrat ist - das ist immer wieder betont und auch von den Beteiligten, zum Beispiel von Herrn Ludewig, bestätigt worden - keine Kontrollinstanz für die Gesetzgebung dieses Hauses, sondern er kümmert sich um die Bürokratiekosten. Das macht er, wie ich finde, in wegweisender Art und Weise. Insofern gebe ich Ihnen vollkommen recht: Es gibt hier einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen uns und den Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei. ({0}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Kerstin Andreae das Wort.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt den Antrag der FDP. ({0}) Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie, Frau Zimmermann, sagen, der Antrag sei neoliberal. Bei Anträgen von der FDP muss ich auch immer aufpassen, ob diese aus unserer Sicht nicht über das Ziel hinausschießen. Hier geschieht Folgendes: Sie sagen, der Normenkontrollrat sei ein gutes Gremium. Aber wir haben ein Manko: Wir müssen die Befugnisse des Normenkontrollrats ausweiten. - Was für ein Parlament sind wir denn, wenn wir nicht in der Lage sind, unsere eigenen Gesetze durch den Normenkontrollrat prüfen zu lassen? Natürlich müssen die Befugnisse des Normenkontrollrats ausgeweitet werden. ({1}) Bezüglich des Nettoreduktionsziels kommt der Normenkontrollrat zum gleichen Ergebnis. Wir haben 500 neue Informationspflichten geschaffen, und Sie haben 136 Informationspflichten abgeschafft. Sie feiern die Abschaffung dieser Informationspflichten. Aber netto haben wir doch eine Ausweitung der Bürokratie. ({2}) Wenn man sich das Ziel setzt, Bürokratie abzubauen, dann muss man ehrlicherweise den Saldo betrachten. Wir müssen uns genau angucken, wo wir Informationspflichten geschaffen und wo wir diese abgebaut haben, und prüfen, ob es sich am Ende tatsächlich um einen Abbau oder um einen Aufbau von Bürokratie handelt. Von daher ist es richtig, ein Nettoreduktionsziel festzulegen. ({3}) Ich möchte nun den Antrag der Linken kommentieren. Ich sehe durchaus, dass es schwierig ist, die Balance zu halten. Arbeitsschutz- und Umweltschutzauflagen sind absolut notwendig, manchmal muss man der Wirtschaft sagen, dass es nicht immer nach ihrer Pfeife läuft. Wir müssen natürlich Umweltschutzrichtlinien festsetzen, auch wenn diese Bürokratie bedeuten. Im ersten Punkt Ihres Antrags schreiben Sie: Die Europäische Union erleben derzeit viele Menschen als bürgerfern. D’accord! Das ist tatsächlich ein Problem, das über alle Ebenen hinweg gelöst werden muss. Im zweiten Punkt gehen Sie jedoch ausgerechnet auf die EU-Arbeitsschutzrichtlinie zur optischen Strahlung ein. Was war das denn für eine Arbeitsschutzrichtlinie? - Sie schreiben selber: Diese sollte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter anderem vor Sonneneinstrahlung und damit möglichen Hautkrebserkrankungen schützen. Ich bin ja dafür, dass man die Leute in irgendeiner Form auf den Zusammenhang zwischen Sonneneinstrahlung und Hautkrebsrisiko hinweist. Aber dafür brauchen wir keine bürokratische EU-Richtlinie. ({4}) Dieses Problem betrifft doch die Menschen in den Biergärten genauso wie die Bademeister in den Freibädern und das Baugewerbe. Natürlich ist es richtig, auf Hautkrebsrisiken aufmerksam zu machen. ({5}) Aber dafür braucht man keine Richtlinie. Ihr Vorschlag basiert ja auf der Überlegung, dies als Arbeitsschutzmaßnahme zu proklamieren, um dann zu argumentieren, durch den Bürokratieabbau sei dieser Arbeitsschutz nicht gewährleistet. Das entspricht nicht der Position der Grünen. Wir sagen: Ja, wir brauchen sowohl, was den Umweltschutz angeht, als auch, was den Arbeitsschutz angeht, Richtlinien und Regelungen. Diese können manchmal auch Bürokratie bedeuten. Das darf aber nicht so ausufern, wie es bei dieser Richtlinie der Fall gewesen wäre. Schon alleine deswegen können wir dem Antrag der Linken nicht zustimmen. ({6}) Ich möchte mich jetzt noch an die Koalitionsfraktionen richten, da beide angedeutet haben - so habe ich zumindest Sie, Herr Duin, und Sie, Herr Lämmel, verstanden -, wir könnten über eine Ausweitung der Befugnisse des Normenkontrollrates reden; das finde ich gut. Ich möchte einen Kronzeugen zitieren. Die BertelsmannStiftung schreibt nämlich: Obwohl es positiv zu bewerten ist, dass der NKR im Gesetzgebungsprozess verankert ist, bleibt die Frage, warum er nur Hilfestellung leisten darf, wenn die Gesetzesinitiative von der Bundesregierung ausgeht und warum er nicht bis zum Schluss des Legislativverfahrens eingebunden ist. Wir wissen doch alle, wo das Problem liegt: Das Gesetz wird eingebracht, und dann kommen die Änderungsvorschläge der Koalitionsfraktionen und der Opposition. Von jeder Seite werden Änderungsvorschläge vorgelegt, die die Gesetze komplizierter und bürokratischer machen. Ich finde, es hat etwas mit unserem Selbstverständnis als Parlament zu tun, wenn wir sagen: Der Normenkontrollrat ist in alle Initiativen während des gesamten Prozesses eingebunden, um auf die bürokratischen Wirkungen, die eine Änderung nach sich ziehen würde, hinweisen zu können. Die Entscheidung ist immer noch Sache des Parlaments. Das Parlament ist Gesetzgeber und sollte das für diese Entscheidung notwendige Selbstbewusstsein haben. Wir unterstützen den Antrag der FDP. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/7855 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem An- trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bürokratieab- bau in Europa - Kein Freibrief zum Abbau von Arbeits- und Umweltschutz“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5196, den An- trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4204 ab- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak- tion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Marcus Weinberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Burchardt, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Rahmenbedingungen für Lebenslanges Lernen verbessern - Weiterbildung und Qualifizierung ausbauen und stärken - Drucksache 16/8380 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Möller, Volker Schneider ({1}), Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Der beruflichen Weiterbildung den notwendigen Stellenwert einräumen - Drucksache 16/7527

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider ({2}), Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Zukunftsaufgabe Weiterbildung - zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Cornelia Pieper, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Offensive Weiterbildung - Weiterbildung als 4. Säule des Bildungswesens ernst nehmen - zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({3}), Kai Gehring, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lebenslanges Lernen fördern - Drucksachen 16/785, 16/2702, 16/4748, 16/8352 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Patrick Meinhardt Volker Schneider ({4}) Priska Hinz ({5}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Uwe Schummer für die Unionsfraktion. ({6})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Bildung schafft Beteiligungschancen, nutzt Potenziale für unser Land. Wir haben in Deutschland die meisten Patentanmeldungen weltweit. Die meisten Patente werden von den Beschäftigten der Unternehmen angemeldet. Die Wirtschaft selbst errechnet einen jährlichen Verlust von 18,5 Milliarden Euro, der sich daraus ergibt, dass Aufträge nicht angenommen werden können, weil Stellen nicht mit qualifizierten Mitarbeitern besetzt werden können. 3,5 Millionen Arbeitslose kosten insgesamt 75 Milliarden Euro. Diese Summe ergibt sich aus nichtgezahlten Steuern und Sozialbeiträgen sowie den Leistungsausgaben. Es ist undenkbar, dass die arabischen Länder ihre Erdölvorräte im Wüstensand versickern lassen oder die Südafrikaner die Goldnuggets in den Flussläufen nicht voll ausschöpfen. Wir hingegen haben 1,3 Millionen junge Menschen - Schulabgänger bis 29 Jahre - ohne berufliche Qualifizierung. Diese Situation ist nicht vom Himmel gefallen. Sie hat sich im Verlauf von mehr als einer Dekade, über 15 Jahre hinweg entwickelt. Das lässt keinen Platz für Selbstgerechtigkeit, egal auf welcher Seite. Wir korrigieren das, was in den letzten 15 Jahren falschgelaufen ist. Die Große Koalition hat gehandelt, zum Beispiel mit dem Beschluss „Neue Dynamik für den Ausbildungspakt“. Entscheidend für Weiterbildung ist die Weiterbildungsfähigkeit. Wir müssen Aus- und Weiterbildung miteinander vernetzen. Es ist gut, dass es konkrete Vereinbarungen zwischen Politik und Wirtschaft gibt, eine bessere Berufsorientierung stattfindet und mit dem EQJ-Programm, den Einstiegspraktika, eine Brücke zur dualen Ausbildung gebaut wurde. Die Weitervermittlungsquote bei diesem Programm beträgt immerhin 75 Prozent. Mit 630 000 betrieblichen Ausbildungsplätzen haben wir den Höchststand seit 1992 in Deutschland erreicht. Die Erosion der dualen Bildung, die über ein Jahrzehnt hinweg anhielt, ist endlich gestoppt. ({0}) Zum Thema „Motivation zur Weiterbildung“ gehört auch die grenzüberschreitende Anerkennung und Verwertbarkeit der dualen Ausbildung im europäischen Bildungsraum. Unser Antrag, der auf einen europäischen Qualifizierungsrahmen abzielt, ist von großer Bedeutung, damit die duale Ausbildung bei den Bewertungskriterien eins bis acht hoch angesiedelt wird. Ein erster Erfolg ist, dass der Meisterbrief europaweit einem Hochschulabschluss gleichgestellt worden ist. Das dritte parlamentarische Werkstück: die Vermittlung der Altbewerber in eine berufliche Qualifizierung. Diesem Thema hat sich der Antrag „Junge Menschen fördern - Ausbildung schaffen und Qualifizierung sichern“ gewidmet. Neu ist der Ausbildungsbonus. Er wird dafür sorgen, dass nicht irgendwann, sondern zeitnah, jeder, der will und kann, eine Berufsausbildung findet. ({1}) Es ist besser, betriebliche Strukturen für die Ausbildung zu nutzen als teure Parallelstrukturen aufzubauen oder zu warten, bis die Konjunktur das Thema von selber löst. ({2}) Nun kommt der vierte Baustein: die Förderung des lebenslangen Lernens. Eine der Grundlagen ist der Unionsantrag „Rahmenbedingungen für Lebenslanges Lernen verbessern - Weiterbildung und Qualifizierung ausbauen und stärken“ aus der letzten Legislaturperiode. Aufgrund des vorzeitigen Abtretens der rot-grünen Bundesregierung - Sie hatten sich gegenseitig das Misstrauen erklärt - konnte dieser Unionsantrag nicht zu Ende beraten werden. Das haben wir nun mit dem Koalitionsantrag nachgeholt. Wir haben die zweite Chance genutzt, und nun ist die Zeit der Entscheidung. ({3}) Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft: Schluss mit der Dequalifizierung durch Frühverrentungen, Entlassungen und Billigstlöhnen. ({4}) Arbeitnehmer sind nicht nur Kosten, sie sind Aktivposten. Eine bundesweite Onlinebefragung der IHK-Organisationen zeigt, dass neun von zehn Unternehmen in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren wollen. Unser im Antrag vorgegebenes Ziel ist, bis 2015 bei der formalisierten Weiterbildung der Erwerbstätigen eine Weiterbildungsquote von mindestens 50 Prozent und beim informellen Lernen von mindestens 80 Prozent zu erreichen. Der Antrag zum lebenslangen Lernen will einen Finanzierungsmix und eine Bildungsprämie als Direktzuschuss in Höhe von 154 Euro für Arbeitnehmer mit geringem Einkommen. Höhere Einkommen können Weiterbildungskosten über den Pauschbetrag im Steuerrecht bis 920 Euro absetzen. Vorbild ist auch ein Bildungsscheck in Nordrhein-Westfalen aus der Werkstatt von Karl-Josef Laumann. In zwei Jahren wurde er 200 000 Mal abgerufen; 150 000 Arbeitnehmer haben ihn eingelöst. Ziel sind Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten. Auch hier werden 50 Prozent der Kursgebühren übernommen. Kammern und Volkshochschulen beraten über die richtige Qualifizierung. In einer Weiterbildungsallianz sollten Programme von Bund, Ländern und Sozialpartnern aufeinander abgestimmt und weiterentwickelt werden. Die größte Hebelwirkung hat die Erweiterung des Vermögensbildungsgesetzes durch Prämie, Zinsen, Eigenanteil und Arbeitgeberanteil. Derzeit werden 6,7 Millionen Arbeitnehmer durch die Sparzulage gefördert. Sie sollen Guthaben vorzeitig für Bildungsmaßnahmen abrufen können. Die Kombination von Bausparen und Bildungssparen, aber auch mit dem Produktivsparen kann dazu führen, dass wir insgesamt 12 Millionen Arbeitnehmer, die die Möglichkeit dazu haben, erreichen. Weiterbildungsdarlehen und Zeitkonten, die zeitverzinst für Familienphasen, aber auch für Qualifizierungszeiten genutzt werden, sind weitere Elemente unseres Antrages zum lebenslangen Lernen. Wir ermuntern die Tarif- und Betriebsparteien nachdrücklich, diesen Weg zu gehen. Ein offenes Thema, über das wir auch politisch mit den Sozialpartnern sprechen müssen, ist der Insolvenzschutz. Ein unbürokratischer Weg wäre eine Regelung analog der Pensionssicherung, die der Pensionssicherungsverein seit über 30 Jahren organisiert. Auch dies ist meines Erachtens ein Thema für eine Weiterbildungsallianz, die wir mit der Bundesregierung, den Sozialpartnern und den Ländern schmieden wollen. ({5}) Arbeitsförderung und Berufsbildungsgesetz sind Kinder der Großen Koalition von 1967/68. Hans Katzer, der damalige Arbeitsminister, hat sie federführend entwickelt. Damals ging es darum, dass 120 000 Arbeitslose durch Qualifizierung in eine Beschäftigung gebracht werden sollten. Heute geht es darum, dass im globalen Wettbewerb der Wissensgesellschaften 40 Millionen Erwerbstätige permanent - durch Training on the Job qualifziert werden müssen. Dies geht nicht mehr über die Arbeitslosenversicherung. Da müssen wir die Selbstfinanzierungsanreize stärken und insgesamt versuchen, diesen Finanzierungsmix auszubauen. Mit dem Antrag erfüllen wir jetzt nicht alle Wünsche und Hoffnungen in der Weiterbildung. Aber er öffnet Türen in neue Räume, die wir politisch weiter ausgestalten werden. Ich zitiere jetzt: Notwendig ist ein aufeinander abgestimmtes System von gründlicher Elementarbildung, berufsbezogener Grundschulung und berufsbegleitender Weiterbildung. Nicht Privilegien, sondern persönliche Leistungen legitimieren den beruflichen Aufstieg in der Sozialen Marktwirtschaft. So Ludwig Erhard in seinem Manifest 1972 und so auch die Leitlinien unserer Politik. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Patrick Meinhardt für die FDP-Fraktion. ({0})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über Weiterbildung und lebenslanges Lernen wird in der Politik momentan wirklich viel gesprochen. In aller Bescheidenheit darf ich darauf hinweisen, dass auch der Antrag der FDP mit dem Titel „Offensive Weiterbildung“ einen Impuls für eine umfassende Weiterbildungsdebatte gesetzt hat. Spätestens seit es die sogenannte Qualifizierungsinitiative gibt, ist dieses Thema in aller Munde. Dafür ist es allerdings auch höchste Zeit. ({0}) Leider muss bilanziert werden: Im Großen und Ganzen bleibt es bei Lippenbekenntnissen und Absichtserklärungen, die Substanz fehlt, und ein roter Faden ist überhaupt nicht erkennbar. Das können wir uns bei diesem Thema beim besten Willen nicht mehr leisten. ({1}) Für die FDP-Fraktion ist in dieser Debatte, die eigentlich eine Weiterbildungsdebatte ist, wichtig, darauf hinzuweisen, dass schnellstmöglich ein in sich stimmiges Konzept erarbeitet werden muss, das auf vier Grundlagen fußt: auf dem Bildungssparen, auf Lernzeitkonten, auf attraktiven Bildungsdarlehen und auf Bildungsgutscheinen auch für die Weiterbildung. Die Basis des Ganzen muss aber sein, dass wir ein breites gesellschaftliches Bewusstsein für das lebenslange Lernen schaffen müssen. Wichtig ist, dass wir mit den Zielgruppen richtig umgehen, vor allem mit den jungen Erwachsenen. In einem ersten Schritt müssen wir insbesondere bei den 1,3 Millionen Menschen in Deutschland ansetzen, die jünger als 30 Jahre sind und keinen Schulabschluss haben. Das ist auch eine große integrationspolitische Herausforderung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns einmal an, was die Bundesregierung unter anderem vorschlägt: die Einführung eines Freiwilligen Technischen Jahres. „Freiwillig“ und „Technisch“ - das hört sich erst einmal gut an. ({2}) Aber was steckt dahinter? Dieses Freiwillige Technische Jahr soll junge Menschen, die in der Schule keinen Zugang zu Mathematik und Naturwissenschaften gefunden haben, nun plötzlich für die Naturwissenschaften begeistern. Meine Damen und Herren, Sie können sich bestimmt vorstellen, mit welcher Begeisterung sich Exschüler in die Warteschleife auf dem Weg in Ausbildung oder Studium begeben werden! Begeisterung und Leidenschaft für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik muss von Kindesbeinen an in der Schule vermittelt und dann am Leben gehalten werden. Deswegen brauchen wir konkrete Vorschläge, wie bei den jungen Menschen schon im Kindergarten die Begeisterung für Naturwissenschaften und Mathematik entfacht werden kann. ({3}) Wenn es um das Thema Weiterbildung geht, muss man auch die älteren Arbeitnehmer in den Blick nehmen. Den älteren Arbeitnehmern hat die Bundesregierung bedauerlicherweise ebenfalls nur wenig zu bieten. 55 Prozent aller über 55-Jährigen arbeiten nicht mehr. Gleichzeitig haben wir in Deutschland einen massiven Fachkräftemangel zu beklagen. Wir müssen den Menschen durch attraktive Weiterbildungskredite die Möglichkeit geben, länger im Arbeitsprozess zu bleiben. Denn ältere Arbeitnehmer haben wichtige Kenntnisse und verfügen über das Wissen, das im Arbeitsprozess gebraucht wird. Eine Weiterbildungsinitiative, die an den älteren Menschen vorbeigeht, ist und bleibt Stückwerk. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es hätte mich auch gewundert, Herr Kollege Tauss, wenn Sie keine Zwischenfrage hätten stellen wollen. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Fischer, es freut mich, dass Sie wieder einmal hier sind. Herzlich willkommen! ({0}) Kollege Meinhardt, ich war von Ihrer Begeisterung für Kindergärten usw., die ich übrigens uneingeschränkt teile, wirklich ergriffen, ({1}) und das unabhängig davon, dass Sie im Gegensatz zu mir ein regelrechter Extremföderalist sind. Ich möchte Sie fragen: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass durch unsere Initiativen in genau diesem Bereich etwas geschehen ist? Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang nur auf das entsprechende Projekt der Helmholtz-Gemeinschaft hinweisen und das Stichwort „Kleine Forscherinnen und Forscher“ nennen. Das, was der Bund in diesem Bereich zu leisten hatte, hat er getan. Haben Sie diese Initiativen zur Kenntnis genommen, und wollen Sie sie nicht genauso positiv würdigen, wie ich es gerade getan habe? ({2})

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Tauss, ich sage Ihnen ganz offen und ehrlich: Wenn es um Weiterbildung geht, ist für mich entscheidend, was man unter dem Strich für die Menschen erreicht. ({0}) Deswegen würdige auch ich die Initiativen, die gemeinsam mit der Helmholtz-Gemeinschaft und mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt werden. ({1}) Aber Sie sollten auch eingestehen, dass es eine ganze Reihe von Initiativen gibt, die während der Regierungszeit der FDP-CDU/CSU-Koalition auf den Weg gebracht wurden, von Ihnen fortgesetzt oder ergänzt wurden und dann ihre sinnvollen Wirkungen entfalten konnten, weil die Kindergärten in diese Arbeit von Anfang an integriert worden sind. Nur, mein grundsätzlicher Vorwurf wird dadurch nicht ausgehebelt. ({2}) - Nein, wird er nicht, Herr Kollege Tauss. Ein stimmiges Weiterbildungskonzept braucht einen roten Faden. Einen solchen kann ich in dem vorgelegten Weiterbildungskonzept beim besten Willen nicht erkennen. Es ist gut, wenn Einzelmaßnahmen, die in der Vergangenheit gewirkt haben, fortgesetzt werden. Zu einer neuen Weiterbildungsinitiative gehören jedoch neue Impulse. Die Weiterbildungsbeteiligung liegt im OECD-Durchschnitt bei 18 Prozent. Bei uns liegt sie bei gerade einmal 12 Prozent. Wir brauchen eine Weiterbildungsinitiative, die in sich stimmig ist. Es fehlt dieser Weiterbildungsinitiative darüber hinaus an Dynamik. ({3}) Der Kollege Schummer hat auf die Weiterbildungsprämie, auf den staatlichen Zuschuss von 154 Euro, verwiesen. Wenn das im Zentrum Ihrer Weiterbildungsinitiative stehen soll, muss ich Ihnen sagen: Das geht an dem, was wir in der Bundesrepublik Deutschland an Weiterbildung brauchen, vorbei. Was kann man sich für 154 Euro - bzw. 308 Euro; es wird ja komplementär finanziert - an beruflicher Weiterbildung schon leisten? Mehr als ein Wochenendkurs in buddhistischer Schwangerschaftsgymnastik, in ostsibirischer Glasbläserei oder in maoistischem Makramee mit dem AStA der lokalen Uni wird da nicht drin sein. Schlicht und ergreifend: Mit 154 Euro schafft man keine Weiterbildungsoffensive. Der Kollege Schummer hat die Weiterbildungsschecks angesprochen, die Nordrhein-Westfalen eingeführt hat - ein tolles Projekt der FDP/CDU-Regierung in Nordrhein-Westfalen. Warum wird ein solcher Weiterbildungsscheck nicht zum Kern dieser Weiterbildungsinitiative gemacht? In Nordrhein-Westfalen sind Weiterbildungsschecks für die Mitarbeiter von kleinen und mittleren Unternehmen eingeführt worden. Das ist die Zielrichtung, die wir brauchen. Denn so hat man es geschafft, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Die Mitarbeiter erneuern ihr Können und Wissen und sichern sich so die aktive Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt, die Unternehmen profitieren davon, weil sie sich so Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sichern. Ein Weiterbildungsscheck wäre der Einstieg in eine Weiterbildungsoffensive, die diesen Namen verdient. Das Rad der Weiterbildung muss nicht neu erfunden werden. Ideen und gute Lösungsansätze wie den Weiterbildungsscheck in Nordrhein-Westfalen gibt es genug. Diese Koalition muss das Rad der Weiterbildung lediglich drehen. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer großen Koalition ist es so, dass man über die Parteigrenzen hinaus in der Bewertung der Bedeutung von Weiterbildung viel Übereinstimmung hat, weshalb ich der Analyse der Kollegen Schummer und Meinhardt nichts hinzufügen möchte. Ich will darauf hinweisen, dass jede Zeit die Förderung der Weiterbildung um neue Elemente ergänzt hat. Unter der ersten Großen Koalition war das der gesetzliche Anspruch im Sozialgesetzbuch. Dann kam das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. Unter Rot-Grün ist das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz mit Substanz versehen worden. 70 000 Beschäftigte zusätzlich haben davon Gebrauch machen können. Es gab den Ansatz der lernenden Region, um die Akteure vor Ort zusammenzubringen. Dies wird jetzt weitergeführt. Die Benachteiligtenförderung wird jetzt in Richtung Alphabetisierung ausgebaut. Um auf Ihre Kritik zurückzukommen: Es gibt sehr wohl einen roten Faden. Vielleicht ist es, damit man das nicht einer Partei zuschreibt, besser, von einem starken Faden zu sprechen. In dieser Kontinuität steht das neue Programm. Unterstützt wird es durch den Antrag mit dem Ziel eines Bildungsgipfels, um nachhaltig die Unterstützung von Weiterbildung zu verabreden. Wir treten damit in eine neue Phase ein. Dabei werden auch Elemente, wie sie der Kollege Schummer genannt hat, aufgenommen. Die Benachteiligtenförderung wird durch die Bündelung der Elemente nochmals verstärkt. Verstärkt wird auch die Frühförderung, die Beratung und die Vorbereitung von Weiterbildung. Damit sind natürlich neue Rechtstatbestände verbunden. Denn Weiterbildung - das zeigte sich jedes Mal - wurde immer dann am effektivsten wahrgenommen, wenn es eine gute finanzielle Ausstattung, gute Qualität und klare Rechte gegeben hat, und dieses klare Recht ist in der Großen Koalition vereinbart worden. Hinzugekommen ist die Bildungsprämie. Dazu muss ich eine sachliche Anmerkung an Ihre Adresse richten. Wenn 80 Prozent der beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen durch die Prämienförderung abgedeckt werden, dann ist das wirklich eine substanzielle Leistung. ({0}) Man kann zwar über die übrigen 20 Prozent streiten - wir haben dabei den roten Faden durchaus im Blick -, aber wir sollten nicht die 80 Prozent der Maßnahmen verschweigen, die wir mit der Prämie fördern. Wir fragen uns mit Sorge - man kann ruhig offenlegen, dass wir in der Großen Koalition gerne weitergegangen wären -, ob ein Rechtsanspruch auf die Prämie vorgesehen ist oder ob sie sich nach dem jeweiligen Finanzvolumen richten soll, das über den Europäischen Sozialfonds zur Verfügung gestellt wird. Insofern werden wir diesen Schritt gerne mitgehen, aber die Sozialdemokratie streitet dafür, dass ein Rechtsanspruch auf die Bildungsprämie mit in ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz aufgenommen wird, weil das eine positive Wirkung hat. ({1}) Wir begrüßen auch, dass ein Aufstiegsstipendium vorgesehen ist, mit dem Menschen mit beruflicher Qualifikation eine Hochschule besuchen können. Wir möchten aber einen Rechtsanspruch auf diese Förderung für diejenigen schaffen, die sich auf den beschwerlichen Weg machen, an ihre berufliche Qualifikation noch eine akademische Ausbildung anzuschließen. Ich füge hinzu, dass auch die sogenannte Zweite Chance zu einem Rechtsanspruch werden muss. Aber auch in diesem Punkt ist es nicht ganz richtig, Herr Meinhardt, der Großen Koalition bzw. dem Arbeitsministerium zu unterstellen, keine besonderen Fördersachverhalte zuzulassen. Denn es gibt das Programm „WeGebAU“, das exzellent ist in Bezug auf die Förderung von älteren Menschen in Beschäftigung oder von Arbeitslosen in Qualifizierung. ({2}) Wir beobachten aber, dass eine gewisse Zeit und auch Werbung notwendig sind, um das Programm in Gang zu bringen. Insofern bitte ich Sie, auf manche verbale Akrobatik zu verzichten. Auch ein FDP-Rhetorikkurs wie der, mit dem Sie sozusagen eine Makramee-Diffamierung versucht haben, würde nicht durch die Prämie gefördert werden. Er war im Übrigen auch keine Prämie wert. ({3}) Wir müssen weiter an dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, dem Meister-BAföG, arbeiten. Dabei beobachten wir, dass unser Koalitionspartner in diesem Punkt durchaus zur Einsicht kommt. Ich darf für die Sozialdemokratie feststellen, dass wir dieses Gesetz als eine sehr wichtige Komponente ausbauen wollen, damit es nicht bei den 70 000 Menschen bleibt, die wir schon durch die damalige rot-grüne Reform gewonnen haben, sondern dass sich noch andere auf den Weg machen, hervorragende Fachwirte, Techniker und Meister zu werden. Insofern lässt sich folgendes Resümee ziehen: Der rote Faden besteht darin, dass alle Lust auf Weiterbildung haben sollen und indirekt in der Pflicht stehen, für sich selbst und für die Allgemeinheit etwas aus sich zu machen. Das können sie aber am besten dann tun, wenn sie ein Recht auf ein angemessenes Auskommen, Unterstützung, Qualität, Gleichwertigkeit und gleiche Chancen im Recht auf Weiterbildung haben. Dafür steht die SPD. Wir sind sicher - ganz im Sinne von Hans Katzer -, dass wir das auch als gemeinsame Leistung schaffen: sozialdemokratisch begonnen, mit konservativer Unterstützung fortgesetzt zur breiten Förderung aller Menschen in Deutschland, die sich weiterbilden wollen. Danke schön. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Volker Schneider das Wort. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei so viel schwungvoll vorgetragener Begeisterung ({0}) frage ich mich, ob wir über dasselbe Weiterbildungssystem diskutieren. Geht es hier um das Weiterbildungssystem, das nach Daten der OECD international eindeutig hinterherhinkt? Reden wir über das Weiterbildungssystem, bei dem die soziale Herkunft in hohem Maße für die Inanspruchnahme von Weiterbildungsmaßnahmen und den Umfang, in dem die Teilnehmer von dieser Weiterbildung profitieren können, entscheidend ist? Reden wir über das Weiterbildungssystem, das ausweislich des Bildungsberichtes mit sinkenden Teilnahmequoten rechnen muss und bei dem der Durchschnittswert der aufgewendeten Zeit für die berufliche Weiterbildung deutlich sinkt? Wir reden anscheinend über zwei unterschiedliche Systeme. Sie sind vor zweieinhalb Jahren als Große Koalition mit folgendem Anspruch angetreten - ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag -: Wir wollen mittelfristig die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Es hat eine ganze Reihe von Anträgen von der FDP, von den Grünen und von der Linken gegeben. Nur von der Bundesregierung bzw. von der Großen Koalition haben wir außer Ankündigungen bis jetzt wenig gesehen und gehört. Es gab einmal einen Innovationskreis Weiterbildung, der zwischenzeitlich auch einen Bericht vorgelegt hat. Der ist eigentlich nicht so schlecht. Aber es steht nichts wesentlich Neues darin, jedenfalls nichts, was die Oppositionsfraktionen nicht vorher auch schon vorgelegt hätten. Jetzt legen Sie endlich einen eigenen Antrag vor. Erstaunlicherweise ringen Sie sich im Feststellungsteil immerhin dazu durch, einige kritische Aspekte zur Situation in der Weiterbildung aufzugreifen und die Notwendigkeit von weitreichenden Veränderungen zur Stärkung der Teilnahme an Weiterbildung gerade für Ältere und Geringqualifizierte zu betonen. Aber auch darin steht bis auf eine für mich bemerkenswerte Sache nichts Neues. Das Bemerkenswerte ist für mich als rentenpolitischer Sprecher, dass Sie jetzt sogar die Weiterbildung zum Instrument der Alterssicherung machen wollen. Ich will nicht näher darauf eingehen. Aber es ist schon ein bemerkenswerter Hinweis darauf, in welch bedauernswertem Zustand sich offensichtlich Ihre private Altersvorsorge befindet, dass Sie jetzt die Weiterbildung ergänzend in diesem Bereich heranziehen müssen. ({1}) Wenn Sie das schon machen, dann wäre es ganz gut, Sie würden sich ein bisschen informieren. Es gibt nämlich ganz aktuell eine Untersuchung der Universität Essen, der Freien Universität Berlin und der Business School in Kiel. Diese besagt, man könne im Bereich der Riesterrente keinen einzigen Euro an zusätzlicher Sparleistung mobilisieren, sondern die Leute schichteten nur auf die geförderten Sparmaßnahmen um. Genau dasselbe wird Ihnen in der Weiterbildung auch passieren. Genau aus diesem Grund hat das Weiterbildungssparen bei weitem nicht den Effekt, den Sie sich davon versprechen. ({2}) In sechs Punkten erfahren wir, was die Große Koalition begrüßt. Die Große Koalition begrüßt zum Beispiel die Vorlage der Empfehlung des Innovationskreises Weiterbildung - fantastisch. Ich könnte noch eine Reihe von Punkten anführen, was man noch so alles begrüßen kann. Dass die KMK die Initiative der Bundesministerin zur Halbierung der Anzahl von Schulabgängern ohne Schulabschluss aufgreift, ist auch sehr begrüßenswert. Volker Schneider ({3}) Nett wäre es, wenn es mit ein paar Maßnahmen unterfüttert wäre. Davon steht nichts in diesem Antrag. Eines aber muss ich doch lobend hervorheben - da sind wir Linken mit Ihnen einer Meinung -: Sie schreiben unter Punkt 6, dass die Bundesagentur für Arbeit die Effektivität ihrer Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung verbessert hat, indem die Vorgabe einer Verbleibsprognose von 70 Prozent als Voraussetzung für die Ausgabe von Bildungsgutscheinen für die BA seit 2005 nicht mehr besteht und dass vor allen Dingen bei der Vergabepraxis der BA die Qualität wieder eine größere Rolle spielt. Wir sind mit Ihnen einer Meinung, dass das ein wichtiger und dringend notwendiger Schritt war. ({4}) Dann kommt allerdings ein Teil mit 20 Forderungen an die Bundesregierung, die ich wirklich nur als einen Kessel Buntes bezeichnen kann. In dem Potpourri steht, man soll die Weiterbildung als tragenden Teil des Bildungssystems etablieren und prüfen. Entschuldigung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, dafür haben Sie zweieinhalb Jahre Zeit gehabt. Jetzt ist es wirklich höchste Zeit, dass Sie einmal etwas Ordentliches tun. Es geht nicht nur um Prüfen, um Projekte, Forschungsvorhaben, Initiativen und Aktionsprogramme. Das ist wahrhaftig zu wenig. Entweder Sie wollen nicht oder Sie können nicht. Das ist auf jeden Fall nicht das, was die Weiterbildung braucht, um Deutschland nach vorne zu bringen. Danke schön. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir haben uns verdutzt gefragt, warum die Koalitionsfraktionen überhaupt solch einen Antrag zur Weiterbildung einbringen. ({0}) Es wäre doch für Union und SPD angenehmer gewesen, zu den Anträgen der Opposition zu sprechen, als dieses inhaltliche Armutszeugnis vorzulegen. ({1}) Sie haben in Ihrem Weichspülerantrag nichts Konkretes zu bieten, nicht einen Vorschlag, der dieses Jahr noch umgesetzt werden könnte. Da kann ich nur an den Kollegen Schneider anschließen: Sie ermuntern, Sie wirken darauf hin, Sie begrüßen, Sie prüfen. Das ist ein Dokument der Unverbindlichkeit. Wie lange wollen Sie noch so vorgehen? Schließlich sind Sie an der Regierung. Machen Sie zur Abwechslung endlich einmal etwas! Schließlich ist mehr als die Hälfte der Regierungszeit vorbei. ({2}) Hätten Sie doch wenigstens aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag abgeschrieben! Aber nein, Sie gehen noch weit dahinter zurück. Erstes Beispiel. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD auf Seite 43 noch bundeseinheitliche Rahmenbedingungen für die Weiterbildung vereinbart. Jetzt heißt es in Ihrem Antrag, es solle erst einmal geprüft werden, ob die Weiterbildung „mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen systematischer gefördert werden kann.“ Zweites Beispiel. Sie verlangen im Koalitionsvertrag auf Seite 44 eine „Insolvenzsicherung“ von Lernzeitkonten durch den Staat. Nun heißt es im Antrag lapidar, dass „dem Insolvenzschutz dieser Lernzeitkonten Rechnung getragen werden“ solle. Wird Ihnen bei so vielen Rückwärtsrollen nicht langsam schwindelig? Ich finde, das Ganze ist eindeutig zu wenig. Das gilt auch für die Bildungsprämie. Sie tun gerade so, als sei alles schon beschlossene Sache. Dabei haben wir fast zwei Jahre auf einen Vorschlag gewartet; die Prämie steht aber immer noch nicht im Gesetzblatt. ({3}) Doch anstatt der Regierung hier einmal Dampf zu machen und sie aufzufordern, endlich die letzten Details zu klären, liest man in Ihrem Antrag nur, dass Sie den Prämienvorschlag begrüßen. ({4}) - Ja. - Trotz der Anhörung, die der Bildungsausschuss zum Bericht der Kommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“ veranstaltet hat, ist Ihr Antrag leider kümmerlich. Wenn ich mir die schönen Beschlüsse der SPD-Bundestagsfraktion zur Weiterbildung anschaue, finde ich es schade, dass Sie davon so wenig in Koalitionsanträgen durchsetzen können. Ich hoffe, dass Sie da künftig mehr Erfolg haben. ({5}) Was Sie von der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode in puncto Weiterbildung abliefern, gleicht einem Armutszeugnis. Sie können sich gar nicht um die Umsetzung einer Weiterbildungsstrategie bemühen, weil Sie schlichtweg keine haben. ({6}) Gestern hat der Innovationskreis Weiterbildung seine Ergebnisse vorgelegt. Es sind durchaus ein paar gute Vorschläge dabei, die jetzt umgesetzt werden müssen. Es bringt nichts, nur etwas auf Papier zu schreiben. Die Bundesregierung muss sich jetzt um die Umsetzung kümmern; denn sonst werden ihre eigenen Ziele hinsichtlich der Teilnahmequoten eindeutig verfehlt. Sie müssen das beim Bildungsgipfel im Herbst hinbekommen; sonst wird das nichts. ({7}) Das heißt auch, dass man in diesem Bereich Vereinbarungen mit der Kultusministerkonferenz treffen muss. Das scheint mir - ich denke an die Sitzung des Bildungsausschusses - nötiger denn je zu sein. Laut KMK rangiert das Thema Weiterbildung unter „ferner liefen“. Nehmen Sie sich ruhig noch einmal unseren Antrag vom Januar 2007 vor. Er beinhaltet etliche gute Projekte, die Sie direkt in Angriff nehmen könnten. Ich möchte nur ein paar Beispiele nennen: Machen Sie einen Pilotversuch für Bildungsberatung an Verbraucherzentralen; die Bereitschaft dazu ist, wie wir aus Gesprächen wissen, vorhanden. Erweitern Sie das Meister-BAföG. Sie müssen ja nicht gleich, wie wir das fordern, ein Erwachsenen-BAföG durchsetzen, wenn die Union zuviel Angst davor hat, könnten aber einen ersten Schritt in diese Richtung unternehmen. ({8}) Sorgen Sie dafür, dass Geringqualifizierte besser von der Bundesagentur für Arbeit gefördert werden! Reservieren Sie für diese Gruppe über eine Quote die Hälfte der Angebote für berufliche Weiterbildung. Starten Sie ein Pilotprojekt, insbesondere für die kleinen und mittleren Betriebe, um Weiterbildungsstrategien zu erarbeiten! Hier könnte der britische Small Firm Development Account Vorbild sein. Nehmen Sie sich das doch einmal vor! Ich wollte nur ein paar Beispiele für konkrete grüne Vorschläge für eine systematische Weiterbildungsstrategie nennen. Werden Sie endlich Ihren hehren Worten vom lebenslangen Lernen gerecht! Legen Sie parlamentarische Initiativen vor, die diesen Namen wirklich verdient haben! Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun für die SPDFraktion der Kollege Dieter Grasedieck. ({0})

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Damen und Herren von der Opposition, es wird nicht nur geprüft und ermuntert. Wir haben in den unterschiedlichsten Bereichen konkrete Maßnahmen ergriffen. Ich möchte nur einige Beispiele aus der letzten Zeit aufführen. Wir haben zum Beispiel das E-LearningVerfahren mit 1,2 Milliarden unterstützt. ({0}) Das betraf sowohl die Förderung von Facharbeitern als auch von Akademikern. Das ist sicher ein entscheidender Punkt gewesen. ({1}) Außerdem will ich die geplante Förderung der Weiterbildung von Erzieherinnen nennen. Auch das ist ein wichtiger Punkt, der noch in diesem Jahr umgesetzt werden wird. Die Weiterbildungsquote steigt. ({2}) Wir haben die Herausforderung in zwei Bereichen - dem der Ausbildung und dem des lebenslangen Lernens - angenommen. Im Hinblick darauf haben wir Qualifizierungsmaßnahmen vorangetrieben. Weiterbildung ist wichtig, weil es viele Patente, so viel neue Technik in den Werkstätten, aber auch so viele Veränderungen in den Büros gibt. Schauen Sie sich in einer Werkstatt doch nur einmal eine CNC-Maschine von heute im Vergleich zu einer von vor zehn Jahren an. Dann sehen Sie, dass wir da Weiterbildung benötigen, und genau dafür setzt die Bundesregierung sich ein. ({3}) Ich will Ihnen einmal ein paar Zahlen nennen. Das Arbeitsministerium hat Integrationsarbeit im Bereich der Weiterbildung geleistet. Im Jahre 2005 wurden insgesamt 130 000 Bürgerinnen und Bürger weitergebildet. Im Jahre 2007 waren es fast dreimal so viele; ({4}) insgesamt sind 340 000 Bürgerinnen und Bürger weitergebildet worden. Es sind Schulabschlüsse und Berufsabschlüsse nachgeholt worden. Das war eine wichtige Integrationsarbeit, die wir in den kommenden Jahren weiterhin leisten wollen. Das haben wir innerhalb des Arbeitsministeriums festgeschrieben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, darf ich Ihren Redefluss unterbrechen? Es gibt eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schneider. Gestatten Sie diese?

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, Herr Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Kollege Grasedieck - Sie haben eben die Zahl der Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit angesprochen. Aus meiner Sicht sind Sie logischerweise auf gerade diesen von Ihnen gewählten Zeitraum eingegangen. Würden Sie zustimmen, dass die Teilnehmerzahlen von 2001 bis 2003 von 350 000 auf die von Ihnen angesprochenen 130 000 abgesunken sind und dass Sie mit den von Ihnen erwähnten - wie ich eben schon einmal betont habe durchaus erfreulichen Entwicklungen bis heute nicht wieder das Niveau von 2001 erreicht haben, sodass man Volker Schneider ({0}) das, was Sie eben gesagt haben, auch ein bisschen kritischer sehen kann? ({1})

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin natürlich auch der Meinung, dass man bestimmte Maßnahmen kritisch hinterfragen muss. ({0}) Das ist unter anderem durch bestimmte Maßnahmen aus unterschiedlichen Ländern ergänzt worden. In der damaligen Phase war das wichtig. Da haben wir uns auch um andere Weiterbildungsmaßnahmen bemüht. Aber es ist doch erfreulich, dass Sie erkennen, dass der erwähnte Anstieg vorhanden ist, dass wir eine Verdreifachung der Teilnehmerzahlen haben und dass es eine Verbesserung der Weiterbildung für Facharbeiter gibt. Es ist wichtig, dass wir das in der nächsten Zeit fortsetzen, und das wollen wir in der Großen Koalition auch fortsetzen. Aber, Herr Schneider, wir sagen auch, dass wir diesbezüglich nicht nur vonseiten des Staates eingreifen müssen. Wir müssen auch der Industrie sagen, dass sie bei der Förderung der Weiterbildungsmaßnahmen mithelfen muss. Es ist entscheidend, dass wir in den nächsten Jahren eine Kombination der Anstrengungen von Staat und Industrie haben. ({1}) Darum haben wir uns seit etlichen Jahren bemüht, und auch dabei waren wir erfolgreich, Herr Schneider. Das war eine wichtige Zielsetzung im Hinblick auf die Facharbeiter. ({2}) Das ist ein wichtiger Sektor gewesen. Wir meinen aber auch, dass wir das lebenslange Lernen im Rahmen der Akademikerausbildung fördern und unterstützen müssen. Man muss sich nur einmal die Zahlen anschauen: Zum Beispiel werden auf der einen Seite 50 000 Ingenieure gesucht und auf der anderen Seite gibt es 20 000 arbeitslose Ingenieure. Daran sehen Sie, dass wir lebenslanges Lernen brauchen. Wir müssen das unterstützen. Das tun wir mit unserem Antrag. Es gibt dort Bewegung, vor allem weil die Große Koalition erkannt hat, dass 330 000 Akademiker bis 2013 in den Ruhestand entlassen werden, darunter 85 000 Ingenieure. Die Hochschulen, die Universitäten und die Forschungsinstitute sind gefordert, hier eine Verbesserung zu erreichen. Wir sprechen das in unserem Antrag an und werden es demnächst konkretisieren. Nur durch Maßnahmen, die dazu dienen, auf der einen Seite die Facharbeiter weiterzubilden und auf der anderen Seite das lebenslange Lernen der Akademiker zu unterstützen, können wir die Ideenschmiede Nummer eins in Europa bleiben. Genau das werden wir versuchen mit unserem Antrag zu erreichen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Bei den Tagesordnungspunkten 12 a und 12 b wird interfraktionell die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/8380 und 16/7527 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/7527 zu Tagesordnungspunkt 12 b soll federführend beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 12 c: Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/8352. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/785 mit dem Titel „Zukunftsaufgabe Weiterbildung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/ 2702 mit dem Titel „Offensive Weiterbildung - Weiterbildung als 4. Säule des Bildungswesens ernst nehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8352 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4748 mit dem Titel „Lebenslanges Lernen fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und diese jetzt sofort als Zusatzpunkt 7 ohne Aussprache aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe daher den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) zu einem Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 16/8433 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8433, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Spieth, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Aktuelle Finanznot der Krankenhäuser beenden - Drucksache 16/8375 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion Die Linke dem Kollegen Frank Spieth das Wort. ({1})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um akute Finanzprobleme der Krankenhäuser. Wir alle werden seit Wochen und Monaten von den unterschiedlichsten Verbänden, von Betriebs- und Personalräten und von den Gewerkschaften mit der Tatsache konfrontiert, dass in den Krankenhäusern infolge der finanziellen Situation erhebliche Probleme entstanden sind. Ich muss sagen: Für einen großen Teil dieser Probleme tragen auch wir durch die Gesetzgebung der zurückliegenden Jahre die Verantwortung. Ich will mich dabei nicht ausschließen. Als Mitglied der Selbstverwaltung einer gesetzlichen Krankenkasse habe ich in den zurückliegenden Jahren sehr wohl die Auffassung vertreten - ich finde, die konnte man vertreten -, dass in den Krankhäusern Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben werden und wir alles unternehmen müssen, um die Mittel im Interesse der Patienten, aber auch im Interesse der Beitragszahler so effizient wie möglich einzusetzen. Ich bin allerdings der Auffassung, dass wir im letzten Jahr mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ein ganzes Stück über das Ziel hinausgeschossen sind. Deshalb ist der Antrag, den wir als Linke stellen, die richtige Antwort auf die Probleme. ({0}) Wir müssen nach unserer Auffassung in der Tat die Fesseln der Krankenhäuser lösen, wenn wir nicht wesentliche Teile des Gesundheitswesens, die stationäre Versorgung, insbesondere in den strukturschwachen Räumen gefährden wollen. Ich habe mir in den letzten Wochen, ähnlich wie Sie das getan haben, die Verhältnisse in Krankenhäusern und Universitätskliniken sehr genau angeschaut. Ich bin beispielsweise in Erlangen gewesen und habe dort die Situation mit den Beschäftigten, Vertretern der Gewerkschaft Verdi und des Personalrats diskutiert. Die Kolleginnen und Kollegen haben mir eindrucksvoll geschildert, dass in dem dortigen Universitätsklinikum insgesamt 4 500 Menschen beschäftigt sind, aber von diesen 4 500 Beschäftigten mittlerweile 2 000 in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis sind. Ich frage mich, wie so etwas möglich und ob das vertretbar ist. ({1}) Der Personalrat hat die Beschäftigten dieses Krankenhauses zu ihrer Situation befragt. 75 Prozent der Beschäftigten haben darauf hingewiesen, dass sie mittlerweile an gesundheitlichen Beschwerden leiden. 48 Prozent haben Rückenbeschwerden, 31 Prozent der Beschäftigten leiden an Schlafstörungen und 26 Prozent an schweren Erschöpfungszuständen. Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass in der Universitätsklinik Essen Schwestern und Pfleger entlassen wurden, um dann von einer Zeitarbeitsfirma, die von der Klinik gegründet wurde, wieder für denselben Arbeitsplatz eingestellt zu werden, wobei sie allerdings nur 60 Prozent des Tariflohnes erhielten. Auch das ist mittlerweile zu einem riesengroßen Problem in den Krankenhäusern geworden. Die Folge ist, dass der Druck, der auf die Beschäftigten ausgeübt wird, auch bei den Patienten ankommt. Der Pflegerat und andere, die sich mit der Patientensicherheit beschäftigen, stellen fest, dass dieser Druck mehr und mehr in eine rationalisierte Versorgung, quasi in eine Fließbandversorgung in Krankenhausfabriken mündet. Diese Art der Versorgung wird von den Pflegekräften nicht gewollt, aber sie müssen die schnellstmögliche Versorgung der Patienten gewährleisten, ungeachtet der massiven Pflegeprobleme, die damit verbunden sind. ({2}) Patienten schildern dies als riesiges Problem und fühlen sich außerordentlich unwohl. Der Druck, der dort auch aufgrund der neuen Finanzierungsgrundsätze herrscht, führt am Ende dazu, dass sich die Krankenhäuser gegenseitig massiven Konkurrenzdruck schaffen, der in der letzten Konsequenz dann wiederum die Beschäftigten trifft. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen fordern derzeit über Verdi eine Tariferhöhung von 8 Prozent, die mit den jetzigen gesetzlichen Gegebenheiten nicht zu finanzieren ist. Deshalb sagen wir wie die bei Verdi organisierten Beschäftigten: Der Deckel muss weg, zumindest bei der Personalkostenentwicklung. ({3}) Nach meiner Auffassung ist es an der Zeit, den Beschäftigten in diesem Jahr einen Schluck aus der Pulle zuzugestehen, nachdem sie jahrelang über Lohnverzicht und Notlagentarifverträge ihren Beitrag zur Sanierung der Krankenhäuser geleistet haben. Dies geht aber nur, wenn wir hier im Haus dazu beitragen und die Deckelung, die insbesondere im personellen Sektor vorgesehen ist, zurücknehmen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie auf die Redezeit hinweisen.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende. - Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen. Danke. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hans Georg Faust für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Fraktion Die Linke und insbesondere mein Kollege Frank Spieth nicht so hektisch auf das im Februar erschienene Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung reagiert und sich für die Recherche und die Formulierung des Antrags, der heute zur Debatte steht, mehr Zeit genommen hätten, wäre etwas Positives herausgekommen. Aber so stehen Dichtung und Wahrheit eng nebeneinander. Dennoch lohnt es sich, auf die Aussagen, Argumente und Lösungsansätze des Antrags einzugehen. In der Begründung wird ein Bild von einem Drama in den Krankenhäusern mit wenig Zuwendung für Patienten, schnellen Entlassungen ohne gute nachstationäre Versorgung, besorgniserregenden baulichen Zuständen und steigenden Infektionsraten gezeichnet. Das, was Herr Spieth eben dargelegt hat, ging in die gleiche Richtung. Am letzten Dienstag und am letzten Donnerstag habe ich wieder einmal in meinem alten Krankenhaus als Anästhesist im Operationssaal gearbeitet. Ich weiß, wie sich die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verändert haben: leider nicht immer zum Besten. Es ist auch wahr, dass manche Probleme und Defizite durch die aufopferungsvolle Arbeit der Schwestern und Pfleger, der Ärztinnen und Ärzte sowie des sonstigen Personals kompensiert werden. Ich halte es aber für unverantwortlich, ein Horrorszenario über die Zustände in deutschen Krankenhäusern zu beschwören. Es wäre aber ebenso unverantwortlich, zu verschweigen, dass es infolge von Konvergenzphase, Bettenabbau und steigenden Fallzahlen zur Arbeitsverdichtung gekommen ist. Der bauliche Zustand vieler Krankenhäuser - interessanterweise jetzt besonders in den alten Bundesländern - lässt zu wünschen übrig, und langsam zeichnet sich eine Entwicklung ab, die wir in Bund und Ländern korrigieren müssen. Zurück zum Antrag: Es wäre kein Antrag der Linken, wenn er nicht finanzielle Forderungen enthielte, für die keine Deckungsvorschläge gemacht werden. Die Aufhebung des Sanierungsbeitrags macht 0,3 Milliarden Euro aus, wobei dem Antrag nicht zu entnehmen ist, ob auch die Halbierung des Mindererlösausgleichs eingerechnet wurde, die Gegenfinanzierung der Lohn- und Gehaltsabschlüsse 2008 je nach Tarifabschluss um die 1,7 Milliarden Euro und die Anhebung der aktuellen Grundlohnsummenrate 0,4 Milliarden Euro. Zusammen macht das 2,4 Milliarden Euro. Dies allein würde den durchschnittlichen Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung auf über 15 Prozent anheben. Zu finanzieren wäre dies, ohne dass damit eine einzige Leistungsverbesserung für Patienten verbunden wäre, von den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung und den Arbeitgebern. Eine weitere Forderung betrifft die Behebung des Investitionsstaus in den Krankenhäusern. Hierdurch kämen weitere 3 bis 5 Milliarden Euro an Beitrags- oder Steuermitteln im Jahr hinzu, wenn man dies auf zehn Jahre ausdehnte. Dies sind also die Größenordnungen, über die wir bei Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von den Linken, reden müssen. Sie bestellen krankenhauspolitische Traumreisen und wissen genau, dass Sie sie nicht bezahlen können. ({0}) Was die in der Begründung aufgeführten Mehrbelastungen für die Krankenhäuser betrifft, muss sehr genau hingeschaut werden. Die Zahlen der DKG allein geben ein unscharfes Bild. Stichwort „Arbeitszeitgesetz“: § 4 Abs. 13 Krankenhausentgeltgesetz regelt, dass von 2003 bis 2009 ein jährlich um 100 Millionen Euro ansteigender Betrag zur Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes zur Verfügung steht. Dieser Betrag wurde bisher nicht voll abgerufen. Stichwort „Arzt im Praktikum“: § 4 Abs. 14 Krankenhausentgeltgesetz regelt die Gegenfinanzierung durch Zuschläge und Zusatzentgelte. Stichwort „Mehrwertsteuererhöhung“: Das ist ein Kostenfaktor des Gesetzgebers - in Ordnung. Aber dann gebietet es die Ehrlichkeit, die Reduzierung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags in vergleichbaren Millionengrößen gegenzurechnen. Das wurde schlichtweg vergessen oder unterlassen. ({1}) Mit meinen Anmerkungen will ich die Situation der Krankenhäuser wirklich nicht schönreden. Natürlich ist es so, dass sich der finanzielle Druck erhöht hat. Die Krankenhauslandschaften verändern sich. Wir müssen aufpassen, dass in einzelnen Bereichen Deutschlands keine dürren Krankenhaussteppen oder gar krankenhausentleerte Wüsten entstehen. Aber es ist eben nicht so, wie es in der Begründung des Antrags heißt, dass die Bundesregierung es dem Wettbewerb, also dem freien Spiel der Kräfte überlässt, wer am Markt weiter existieren kann. Hier sind die Länder mit ihrer Krankenhausplanung mit Blick auf die Daseinsvorsorge gefragt. Es müssen Kriterien für eine sich an den Bedürfnissen der Patienten orientierende Planung erarbeitet werden, die Erreichbarkeit, Zugang zu Leistungen und die Art des Angebots umfassen. Dann müssen natürlich, wie es in § 5 Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz geregelt ist, für die Vorhaltung von Leistungen, die aufgrund des geringen Versorgungsbedarfs nicht kostendeckend finanzierbar und zur SicherDr. Hans Georg Faust stellung der Versorgung der Bevölkerung notwendig sind, Sicherstellungszuschläge vereinbart werden. Sicherstellungszuschläge können ein Weg sein, der Gefahr von Unterversorgung zu begegnen. Der kurzatmige Antrag wird zu einer Zeit gestellt, in der wir uns Gedanken um den ordnungspolitischen Rahmen für die Krankenhäuser ab 2009 machen. Da werden uns zwei Fragen wieder begegnen, die auch in diesem Antrag eine Rolle spielen. Frage eins: Ist die Anbindung an die Grundlohnsumme die richtige Größe zur Entwicklung der Krankenhausfinanzen? ({2}) Frage zwei: Wie ist die Investitionsfinanzierung in den deutschen Krankenhäusern dauerhaft zu sichern? Was die Anbindung an die Grundlohnsummenentwicklung betrifft, haben wir diese in einem vergleichbaren Bereich, dem Bereich der niedergelassenen Ärzte, mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz gelöst. Jetzt werden andere Parameter wie Morbiditätsveränderungen oder die Entwicklung der für Arztpraxen relevanten Investitions- und Betriebskosten als Steigerungsfaktoren berücksichtigt. Damit haben wir uns im Bereich der niedergelassenen Ärzte von der bisherigen Budgetierung verabschiedet. ({3}) Gleiches erscheint mir aus Gründen eines fairen Wettbewerbs zwischen ambulant und stationär auch für den Krankenhaussektor nötig. Auf die Frage, wie man mit Tarifsteigerungen in diesem Sektor umgeht, die im Krankenhaus eher als im niedergelassenen Bereich zulasten Dritter von den Tarifpartnern vereinbart werden können, kann man intelligente Antworten finden. Zur Beantwortung der Frage zwei brauchen wir die Länder. Bei Zugrundelegung einer für den Krankenhausbereich angemessenen Investitionsquote von 9 Prozent - sie ist ebenfalls nicht luxuriös - zeigt die tatsächliche Investitionsquote von 5,3 Prozent auf, wie groß das Problem ist. Dafür sind jährlich 5 Milliarden Euro notwendig, den Abbau des Investitionsstaus nicht eingerechnet. Das erfordert dann noch zusätzliche Mittel. Hier haben die Antragsteller recht: Die Lösung des Problems ist nur mit den Ländern gemeinsam zu finden. Eine reine Umstellung der dualen Finanzierung auf ein monistisches System ohne zusätzliche Finanzmittel kann das Problem nicht lösen. Sie sehen also: Auch eine technisch schwierige Rückzahlung des - auch aus meiner Sicht unglücklichen - Sanierungsbeitrags an die einzelnen Krankenhäuser ist nicht zielführend; denn die Krankenhäuser brauchen am Ende der Konvergenzphase mittel- und langfristige Perspektiven, die sich auf Sicherung der Betriebskosten, planbare Mittelzuflüsse bei den Investitionen und Standortsicherheit erstrecken. ({4}) Hier werden sich der Bund und die Länder an den Entscheidungen zum ordnungspolitischen Rahmen 2009 messen lassen müssen. Dauerhafte Verbesserungen sind allemal besser als eine Notreparatur am laufenden Krankenhausmotor, auch wenn ein Stottern droht. ({5}) Ihre Sorge um die Krankenhäuser in allen Ehren, Herr Spieth: Die Lösungsansätze scheitern kurzfristig am Geld. Ihnen fehlt die langfristige Perspektive, und Ihre Argumente in der Begründung helfen da auch nicht weiter. Wir werden also leider Ihren Antrag folgerichtig ablehnen müssen. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Daniel Bahr für FDP-Fraktion. ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Spieth hat davon gesprochen, dass er, bevor er dem Deutschen Bundestag angehörte, die Auffassung vertrat, man könne Wirtschaftlichkeitsreserven in den Krankenhäusern noch heben und Einsparungen vornehmen, man sei aber mit dem GKV-WSG über das Ziel hinausgeschossen. Das Problem ist, Herr Kollege Spieth, dass wir den Krankenhäusern gerade keinen wettbewerblichen Rahmen bzw. keinen Ordnungsrahmen geben, in dem Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben werden können. Wir bieten den Krankenhäusern nicht den notwendigen Rahmen, damit sie im gegenseitigen Wettbewerb um bessere Versorgung, um innovative Konzepte und um Einsparungen dafür sorgen können, dass diese Wirtschaftlichkeitsreserven gehoben werden. Wir geben den Krankenhäusern einen starren, reglementierten Rahmen von Budgets, Einheitspreisen und immer mehr Vorgaben. Wir ermöglichen ihnen letztlich nicht, Kostensteigerungen an diejenigen weiterzuleiten, die all das finanzieren. Deswegen können wir in diesem Rahmen keine Wirtschaftlichkeitsreserven heben. Dazu hat die schwarz-rote Koalition meines Erachtens erheblich beitragen. Im Jahre 2007 - die Zahlen liegen jetzt vor - sind die Budgets statistisch um 0,56 Prozent gestiegen. Netto war das eine Steigerung um 0,28 Prozent. Gleichzeitig haben wir aber Kostensteigerungen um 4 Prozent, die dem gegenüberstehen. Man braucht kein großer Mathematiker zu sein, um zu sehen, dass diese Defizite, die die Krankenhäuser auszugleichen haben, insgesamt 1,3 Milliarden Euro betragen. Rationalisierungsreserven bei den Krankenhäusern sind nur insofern vorhanden, als Personal abgebaut werden kann oder sonst beim Personal eingespart werden kann; denn bei den Krankenhäusern sind 60 bis 70 Prozent der Daniel Bahr ({0}) Kosten Personalkosten. Das heißt, die Rationalisierung, die die Krankenhäuser im Moment durchführen, geht zulasten der Versorgung, zulasten der Patienten. ({1}) Zu erwähnen ist eine weitere Entscheidung, die die schwarz-rote Koalition zu verantworten hat. Dabei geht es um die Kostensteigerungen, die die Krankenhäuser zu schultern haben. Bei den Krankenhäusern höre ich, dass die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen vor Ort viel Verständnis für ihre Sorgen haben, hier im Bundestag aber keine Konsequenzen daraus ziehen. ({2}) Auch Herr Kollege Faust hat gesagt, er sehe die Probleme der Krankenhäuser durchaus. Ich will noch einmal aufzählen, was die Krankenhäuser erlebt haben: Sie haben eine Mehrwertsteuererhöhung erlebt; 500 Millionen Euro Kostensteigerung. Sie haben Tarifsteigerungen erlebt; 1,5 Milliarden Euro Kostensteigerung. Sie haben Energiekostensteigerungen erlebt. Sie haben ein Arbeitszeitgesetz umzusetzen - auch das verlangt die Koalition ihnen ab -, was bedeutet, dass sie mehr Personal einstellen müssen, weil Bereitschaftszeit auch Arbeitszeit wird; ebenfalls eine Kostensteigerung. Den Krankenhäusern werden unter dem Stichwort „integrierte Versorgung“ 500 Millionen Euro von den Rechnungen abgezogen. Die ersten Erkenntnisse zeigen, dass die Krankenhäuser nicht die Möglichkeit haben, dieses Geld, das ihnen von den Rechnungen abgezogen wird, über Verträge zur integrierten Versorgung wieder hereinzuholen. ({3}) Es war übrigens auch Ihre Entscheidung, den Krankenhäusern für die vergangenen Jahre die Möglichkeit zu nehmen, wieder an das Geld zu kommen. Sie haben die Naturalrabatte für die Krankenhäuser gestrichen. ({4}) Auch das ist eine Kostensteigerung. Vor diesem Hintergrund kommt die schwarz-rote Koalition nicht etwa auf den Gedanken, zu fragen: Wie unterstützen wir die Krankenhäuser dabei, mit diesen Kostensteigerungen umzugehen? Nein, sie streicht den Krankenhäusern auch noch 0,5 Prozent von jeder Rechnung. Das macht Summa summarum 300 Millionen Euro. Das ist der sogenannte Sanierungsbeitrag. Ich war gespannt, Herr Kollege Faust, was Sie zum Sanierungsbeitrag sagen würden. Es ist Ihnen bis heute nicht gelungen, zu begründen, warum eigentlich ein solcher Sanierungsbeitrag von den Krankenhäusern getragen werden muss. ({5}) Mit dem Sanierungsbeitrag - 300 Millionen Euro - soll doch nur eine schlecht gemachte Gesundheitsreform kaschiert werden. Sie brauchten Geld, um die Leistungsverbesserungen, die Sie versprochen haben, zu ermöglichen und um das schlechte Finanztableau nach einer verkorksten Gesundheitsreform einigermaßen zu kaschieren. ({6}) Der Sanierungsbeitrag ist von Ihnen inhaltlich überhaupt nicht begründet worden. Das wird auch noch Gerichte beschäftigen. Zu Recht klagen einige und wollen vor Gericht begründet sehen, warum dieser Sanierungsbeitrag erhoben wird. ({7}) Mein Hauptkritikpunkt ist: Der Sanierungsbeitrag ist nicht begründet und trifft in der schwierigen Situation der Krankenhäuser pauschal alle Krankenhäuser. Ich bin dafür, dass wir über wettbewerbliche Modelle Wirtschaftlichkeitsreserven heben. Wir wollen einen wirklichen Wettbewerb der Krankenhäuser untereinander. ({8}) Es gibt gut geführte Krankenhäuser. Es gibt Krankenhäuser, die noch Potenzial haben, Einsparungen vorzunehmen. Aber das Wichtige dabei ist, dass wir Verlässlichkeit haben. Herr Faust, Sie haben die Anpassung an die Entwicklung der Grundlohnsumme angesprochen. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Sie haben diese Anpassung immer so vorgenommen, wie es gerade passte, und dabei die Bemessungsgrundlage so gewählt - mal je Mitglied, mal je Versicherten -, dass am Ende dabei immer die geringere Anpassung für die Krankenhäuser herauskam. ({9}) Ich sage: Man kann harte Einschnitte vornehmen. Man kann ein wettbewerbliches System in Form von DRGs einführen, das Krankenhäuser vor Herausforderungen stellt. Aber dabei ist ein ganz wichtiger Punkt zu beachten: Es muss Verlässlichkeit gegeben sein, damit sich die Krankenhäuser über einen Zeitraum von mehreren Jahren darauf einstellen können. Es geht nicht an, dass jedes Jahr etwas Neues gemacht wird. Der Sanierungsbeitrag ist hierfür ein ganz schlechtes Beispiel; denn Sie nehmen, um einen kurzfristigen Effekt zu erzielen, den Krankenhäusern pauschal Geld weg. ({10}) Das werden die Patienten und Versicherten bei der Versorgung vor Ort spüren. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Eike Hovermann für die SPD-Fraktion.

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als Mitglied einer der Koalitionsfraktionen trage ich natürlich das eine oder andere gerne mit, was Herr Dr. Faust in seinem Redebeitrag ausgeführt hat. Ich will nur an einem Punkt Kritik äußern: Er sagte, man müsse den vorliegenden Antrag leider ablehnen. Wir dagegen sagen: Wir lehnen ihn in vollem Bewusstsein ab. Es gibt eine ganze Reihe von Argumenten, über die noch gar nicht diskutiert worden ist. Ich will auf das eine oder andere dieser Argumente eingehen, aber auch auf das, was Herr Bahr gesagt hat. ({0}) Natürlich haben wir viel Verständnis für die Krankenhäuser vor Ort, die sich in einer Notsituation befinden. Aber wir sollten uns der intellektuellen Redlichkeit halber sehr darum bemühen, nicht von „den Krankenhäusern“ zu sprechen. Vielmehr sollten wir uns der Frage zuwenden, wie viele Krankenhäuser wir in der Bundesrepublik Deutschland eigentlich noch benötigen. Eine Antwort auf diese Frage zu finden, ist sehr schmerzhaft. Aber wir müssen sie gemeinsam angehen und uns auch darüber verständigen, in welchen Entfernungsabständen wir Krankenhäuser benötigen. ({1}) - Herr Dr. Schily, jetzt einmal ganz langsam. Es gibt ja nicht „die Krankenhäuser“. - Auch Herr Bahr hat sich nicht der Frage zugewandt, wie viele Betten leistungsfähige Krankenhäuser haben sollten. Es gibt also einen ganzen Strauß an Überlegungen, mit dem wir uns in Zukunft intensiver und straffer beschäftigen müssen. Das tun wir aber nicht, weil wir Angst davor haben, in den jeweiligen Wahlkreisen die Schließung von „Bürgermeisterkrankenhäusern“ oder „Landratskrankenhäusern“ zu befördern, die, gemessen an den Qualitätskriterien, die wir selbst aufgestellt haben, nicht leistungsfähig sind. Sie merken vielleicht, dass ich im Moment noch nicht auf den Antrag der Linken eingehe; aber ich bin sehr gespannt, ob die FDP dem Antrag zustimmen wird. Wir müssen einmal schauen, was daraus wird. Herr Bahr, Sie haben dann von den Belastungen gesprochen, mit denen die Krankenhäuser zu kämpfen haben, und sind auf das Arbeitszeitgesetz eingegangen, das noch umgesetzt werden muss. Sie haben die von Montgomery bzw. seinem Nachfolger Henke und von Verdi geforderten Tarife angesprochen. Richtig, auch das bringt Belastungen mit sich. Sie haben weiterhin die steigenden Energiepreise erwähnt. Es verwundert mich allerdings, dass Sie ausgerechnet die Belastung durch den Wegfall der Naturalrabatte ansprechen. Im Zusammenhang mit der integrierten Versorgung haben Sie selbst noch davon gesprochen, dass die Spieße gleich lang sein müssten und die sektorale Versorgung im Grunde verhindert hat, einen finanziellen Ausgleich zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang sprachen Sie auch von der Abschaffung der Naturalrabatte. Ich will das nur in Erinnerung rufen, weil man auch nicht immer das jeweilige - ({2}) - Frau Präsidentin, der verwirrt mich. Ich kann nicht weitersprechen. ({3}) Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man Argumente nicht je nach Sachlage austauschen darf. Umgekehrt haben Sie uns ja diesen Vorwurf gemacht, als Sie davon sprachen, wir würden bei der Anbindung an die Grundlohnsumme je nach Sachlage mal so oder so verfahren, gerade so, wie es uns gerade gefiele. Eine integrierte Versorgung, also gleich lange Spieße und gute Medikamentierung durch den gesamten Behandlungspfad, ist nicht möglich, wenn Naturalrabatte gewährt werden. Insofern ist Ihre Kritik daran ein schlechtes Argument.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spieth?

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Spieth, lassen Sie mich erst auf Ihre vier Punkte eingehen. Dann können Sie in cumulo Ihre Fragen stellen, und ich kann sie in cumulo beantworten oder auch nicht. Dass nicht alles gut ist, Herr Spieth, das wissen wir ja. Ich darf noch einmal mit aller Zurückhaltung daran erinnern, dass sich in den Töpfen der GKV insgesamt 145 Milliarden Euro befinden und wir jährlich 50 Milliarden Euro für die stationäre Versorgung ausgeben mit steigender Tendenz. In fast keinem Land der Welt steht dafür so viel Geld zur Verfügung. Die Engländer, Italiener und Amerikaner würden sich freuen, wenn sie den Qualitätsstandard und Versorgungsstandard hätten, den wir haben. Damit sagen wir nicht, dass dies nicht verbessert werden kann. Aber Ihre vier Punkte - jetzt kann ich mich fast nur dem anschließen, was Herr Dr. Faust gesagt hat - versprechen Wohltaten, ein Wohlgefühl, und Sie werden auf Zustimmung stoßen. Aber bezüglich eines Punktes haben Sie nichts geliefert: Wie soll das Ganze finanziert werden? Ich habe eben gehört, das sei ein langweiliges Argument. ({0}) Dann will ich eben weiterhin langweilig sein. In keinem der vier Punkte haben Sie auch nur ansatzweise einen nachhaltigen Finanzierungsvorschlag gemacht. ({1}) - Darauf hätte man in einigen Wendungen eingehen können. - Der Titel des Antrages ist irreführend. Denn so zu tun, als könne man mit den dort aufgeführten vier Punkten die aktuelle Finanznot der Krankenhäuser beenden, ist unseriös. Wenn Sie nicht die gesamten Versorgungssegmente in Ihre finanziellen Überlegungen mit einbeziehen, dann können isolierte Maßnahmen, wie Sie sie in diesen vier Punkten vorschlagen, nur in die Irre führen. ({2}) - Ich bin doch noch gar nicht bei dem vierten Punkt. Was bleibt Ihnen, Herr Spieth, übrig, wenn Sie so weitermachen? Sie werden dann zu den Hausärzten gehen und sagen: Sie haben noch zu wenig in ihrem Topf. Sie werden zu den Fachärzten gehen und sagen: Sie haben noch zu wenig in ihrem Topf. Das alles summiert sich zu den Beitragsanhebungen, von denen Herr Faust eben gesprochen hat. Zur dualen Finanzierung ist bereits das Notwendige gesagt worden. Ich darf aber daran erinnern, dass die duale Finanzierung auch in den Ländern, in denen Sie Regierungsverantwortung mitgetragen haben und noch mittragen, nicht infrage gestellt wird. Diese Länder sagen vielmehr: Unsere Aufgabe der Sicherstellung - das war ehemals Mecklenburg-Vorpommern, jetzt ist es Berlin - wollen wir wahrnehmen. Ohne uns gibt es keine Sicherstellung. Das Problem, Herr Spieth, ist nur, dass kein Geld vorhanden ist. Daher rührt der Investitionsstau von 15 bis 20 Milliarden Euro in den Krankenhäusern, je nachdem, wie man rechnet. Für all dies liefern Sie nicht einmal ansatzweise einen seriösen und nachhaltigen Finanzierungsvorschlag. Deshalb lehnen wir von der SPD, Herr Dr. Faust, diesen Antrag nicht leider ab, sondern energisch und grundsätzlich. Herzlichen Dank fürs Zuhören. Die restlichen Argumente hat Herr Dr. Faust schon genannt. ({3}) - Herr Spieth, ich bitte um Entschuldigung, dass ich schon weglaufen wollte. Ich habe richtig Angst.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie gestatten die Zwischenfrage des Kollegen Spieth?

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne. Ich hoffe, ich kann die Frage beantworten.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Im Hinblick auf Anträge an die Bundesregierung gibt es die Systematik, dass man formuliert, was man will, und dass man dann beauftragt wird, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. ({0}) Dann wird auch konkretisiert, was das kostet und wie man das finanziert. Das ist so. Das müssten Sie als alter Hase eigentlich sehr genau wissen. Ich möchte nun auf einen konkreten Punkt eingehen. Die Bundesregierung hat bei der Festlegung der Steigerungsrate der Grundlohnsumme, also der Einkommensentwicklung der Krankenversicherten, einen Betrag von 0,64 Prozent festgelegt. Dies beruht auf der Grundlage einer Schätzung im zweiten Quartal 2006 und ersten Quartal 2007.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, bitte konzentrieren Sie sich auf Ihre Frage.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme sofort zu meiner Frage. Ohne Vorbemerkungen wird sie nicht verständlich. Entschuldigung! Das heißt also, diese 0,64 Prozent sind der Betrag, um den die Krankenhausbudgets steigen dürfen. Tatsächlich hat der Schätzerkreis - da ist das Bundesgesundheitsministerium genauso beteiligt - festgestellt, dass die Grundlohnsumme im Jahre 2008 um 1,4 Prozent steigen wird. Das heißt, wir haben, wenn dieser Betrag angesetzt würde, mehr als 600 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung. Ist das ein Deckungsvorschlag oder nicht? ({0})

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Spieth, ich möchte auf die Grundlohnsumme und die Schere, die aufgrund der ursprünglich angenommenen 0,64 Prozent, der durch den Schätzerkreis ermittelten 1,4 Prozent und der realen Zuwächse bei den Ausgabevolumina in Höhe von 3 Prozent entstanden ist, eingehen. Sie vertrauen auf den Schätzerkreis, der zukünftige Belastungen gar nicht eingerechnet hat und sagt: Eine Steigerung der Krankenhausbudgets um 1,4 Prozent reicht. - Ich sage: Dies reicht hinten und vorne nicht. Das ist ein halbgares Angebot. ({0}) Eigentlich hätten Sie, wie dies im ambulanten Sektor der Fall ist, die Loslösung der Budgetsteigerungen von der Grundlohnsummenentwicklung - Herr Dr. Faust ist bereits darauf eingegangen - fordern müssen. Nur, dann fehlt - alter Hase hin, alter Hase her - zumindest ansatzweise der Hinweis, wie Sie diesen Aufwuchs überhaupt berechnen wollen. Das ist auch im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen nicht gesagt worden. ({1}) Frau Präsidentin, was machen wir denn jetzt?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wenn Sie dem Kollegen Spieth noch einmal die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage geben möchten, dann können Sie das gerne tun.

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich bitte aber, zu berücksichtigen, dass wir den Dialog nicht ins Unendliche führen können. - Bitte.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Hovermann, der entscheidende Punkt ist, dass hier eine Differenz besteht, da von der Bundesregierung eine Grundlohnsummensteigerung von 0,64 Prozent angenommen wurde, sie laut Schätzerkreis im Jahr 2008 aber 1,4 Prozent betragen wird. Das sind reale Mehreinnahmen für die gesetzliche Krankenversicherung und entspricht rund 600 Millionen Euro. Daneben ist in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Mitgliederzuwachs zu verzeichnen, was auch berücksichtigt werden muss. Wenn ich das hinzurechne, ist der Betrag, den wir fordern, schon fast zur Hälfte finanziert. Ich bin der Auffassung, dass die Versichertengemeinschaft bereit wäre, eine qualifizierte, flächendeckende Versorgung im Krankenhaussektor über eine Beitragserhöhung von 0,1 Prozent zu finanzieren. Darüber könnte die restliche 1 Milliarde Euro finanziert werden, die wir bräuchten. So könnte im Übrigen das Personal in den Krankenhäusern zu humanen Bedingungen beschäftigt und vernünftig bezahlt werden. ({0})

Eike Hovermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002684, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Antwort hat Herr Bahr gegeben: Das haben Sie nicht beantragt. Ich bleibe dabei: Der Aufwuchs, der sich durch die Steigerung der Grundlohnsumme um 1,4 Prozent ergibt, ist nicht einmal die Hälfte dessen, was benötigt wird. Sie dürfen nicht nur die Veröffentlichungen des RWI lesen, sondern sollten auch die Zahlen des Verbandes der Krankenhausdirektoren oder die Ausführungen der DKG zur Kenntnis nehmen. Sie hätten fordern müssen - das hätte in Ihrem Antrag stehen müssen -: Aufhebung der Anbindung an die Grundlohnsummenentwicklung wie im ambulanten Bereich. Das steht aber mit keinem Wort in diesem Antrag, und mit nur einem Halbsatz erklären Sie, wie Sie das machen wollen. Ich bleibe bei meiner aus Ihrer Sicht falschen Meinung: Wir lehnen den Antrag energisch ab. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der auf den letzten Drücker vorgelegte Antrag der Linken ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Das werden inzwischen wohl auch die Kolleginnen und Kollegen der Linken ahnen. Die Situation ist aber in vielen Krankenhäusern in der Tat schwierig; das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner ja auch nicht bestritten. Das Krankenhaus droht zum kranken Mann des Gesundheitswesens zu werden: Pflegepersonal wird abgebaut. Der Betreuungsschlüssel wird verringert. Medizinisches und nichtmedizinisches Personal wird oftmals volkswirtschaftlich unsinnig ausgegliedert und anschließend deutlich schlechter bezahlt. Die Ärzteschaft hat oftmals keine Zeit für ihre Patientinnen und Patienten, weil sie mit bürokratischen Dingen belastet wird, oder verliert den Kontakt zu den Patienten im Schichtdienstgewirr. An dieser Situation hat die Koalition einen erheblichen Anteil. Unserer Meinung nach hat sie mit ihren politischen Entscheidungen die Rahmenbedingungen für die Krankenhäuser verschlechtert. Eine Reihe von Beispielen ist genannt worden: Mehrwertsteuererhöhung, Sanierungsbeitrag, die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinien. Diese Liste ließe sich fortführen. Über den Gesundheitsfonds und dessen fatale Auswirkungen brauche ich eigentlich gar nicht mehr zu reden. ({0}) Dazu hat der Kollege Lauterbach von der SPD in den vergangenen Tagen alles Nötige gesagt. ({1}) Alles in allem ist das ein politisch organisiertes Finanzierungsdefizit in Milliardenhöhe. Ich will an dieser Stelle aber auch auf die aktuellen Vorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium zum künftigen ordnungspolitischen Rahmen im Krankenhausbereich eingehen. Da findet man zum Beispiel die bei einer großen Krankenkasse geborgte Idee, Rabattverträge zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen für bestimmte, angeblich planbare Leistungen - das sind die sogenannten Selektivleistungen - zu ermöglichen. Die Folge dieser Regelung wäre keineswegs ein Wettbewerb um die beste Qualität, sondern ein zerstörerischer Preiswettbewerb, der zulasten der Versorgungsqualität gehen und den Erhalt der flächendeckenden Notversorgung infrage stellen würde. Es ist erstaunlich, dass mit Ulla Schmidt ausgerechnet eine Sozialdemokratin die Tür für eine weitere Kommerzialisierung des Gesundheitswesens öffnen möchte. ({2}) Zu den Problemen, die es bei der Investitionsfinanzierung gibt: Aus dem Gesundheitsministerium ist kein Vorschlag zu vernehmen, wie die Kassen und die Länder gleichermaßen in die Verantwortung genommen werden können und so zumindest ein Hauch einer Realisierungschance gegeben wäre. Noch ein paar Worte zu den Vorschlägen der Linksfraktion. Niemand kann die Rückkehr zur bedingungslosen Selbstkostendeckung ernsthaft wollen. ({3}) Wir wissen aber auch, dass die Anbindung der Budgetveränderungen an die Grundlohnrate weder die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung noch die Entwicklung der Kosten für Personal, Energie und Sachmittel im Krankenhaus ausreichend berücksichtigt. Wir müssen uns deshalb die Frage stellen, ob es nicht bessere Instrumente zur Kostensteuerung im Krankenhausbereich gibt, die die gestiegenen Preise stärker berücksichtigen, das Morbiditätsrisiko nicht allein den Krankenhäusern aufbürden und keine Anreize zur Mengenausweitung bieten. Ich würde mir wünschen, dass wir das in den anstehenden Beratungen betrachten und zu pragmatischen Lösungen kommen. Lassen Sie mich am Schluss noch etwas Grundsätzliches sagen. Man kann natürlich nicht bestreiten, dass es in manchen Krankenhäusern Wirtschaftlichkeitsreserven gibt. Privatisierungen sind aber kein Allheilmittel, insbesondere dann nicht, wenn sie aus der Finanznot öffentlicher Träger resultieren, zumal dann in der Bilanz immer Geld zulasten der öffentlichen Hand verloren geht. Wir dürfen nicht vergessen, dass Krankenhäuser keine Gesundheitsfabriken sind, dass es also nicht nur um Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem um Qualität und Humanität der Behandlung geht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Guten Abend! ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe nun die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8375 an den Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({0}) Nr. 1907/2006 ({1}) - Drucksache 16/8307 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Es wurde vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Ingbert Liebing, Heinz Schmitt ({3}), Michael Kauch, Eva Bulling-Schröter, Sylvia Kotting-Uhl und Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug.1) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/8307 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Auch das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Roth ({4}), Winfried Nachtwei, Marieluise Beck ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20 Jahre nach Halabja - Unterstützung für die Opfer der Giftgasangriffe - Drucksache 16/8197 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({6}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Holger Haibach, Uta Zapf, Harald Leibrecht, Dr. Norman Paech und Claudia Roth ({7}).2) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8197 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Auch das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Cornelia Hirsch, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für eine erleichterte Anerkennung von im Ausland erworbenen Schul-, Bildungs- und Berufsabschlüssen - Drucksache 16/7109 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es wurde vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Marcus Weinberg, Gesine Multhaupt, Patrick Meinhardt, Cornelia Hirsch und Priska Hinz.3) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7109 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es sonstige Vor- schläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. 1) Anlage 3 2) Anlage 4 3) Anlage 5 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck ({9}), Volker Beck ({10}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zusammenarbeit der EU mit Russland stärken - Drucksache 16/8420 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({11}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben: Manfred Grund, Gert Weisskirchen ({12}), Harald Leibrecht, Alexander Ulrich und Marieluise Beck ({13}).1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8420 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe dazu keine andere Meinung. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Lazar, Ute Koczy, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Verbot des Neonazi-Schulungszentrums und Vereins „Collegium Humanum“ prüfen - Drucksache 16/8214 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({14}) Rechtsausschuss Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben: Kristina Köhler ({15}), Wolfgang Spanier, Christian Ahrendt, Ulla Jelpke und Monika Lazar.2) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8214 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. 1) Anlage 6 2) Anlage 7 Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({16}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({17}), Marieluise Beck ({18}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste - Drucksachen 16/843, 16/4720 Berichterstattung: Abgeordnete Clemens Binninger Michael Hartmann ({19}) Dr. Max Stadler Wolfgang Wieland Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll gegeben: Dr. Norbert Röttgen, Michael Hartmann ({20}), Dr. Max Stadler, Wolfgang Nešković und Hans-Christian Ströbele.3) Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Für eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4720, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/843 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktion der FDP und der Fraktion Die Linke angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 7. März 2008, 9 Uhr, ein. Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend.