Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Deutsche Beteiligung an der
Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo im Rahmen der
ESVP.
Wir haben mittendrin eine Wortmeldung zur Geschäftsordnung vorliegen. - Bitte.
Nicht mittendrin, sondern gleich zu Beginn, Frau Präsidentin. - Ich halte dieses Thema für sehr wichtig, unsere Präsenz angesichts dessen aber für unerträglich. Das
trifft auf alle Fraktionen zu. Ich schlage vor, die Sitzung
für 15 Minuten zu unterbrechen, damit die Geschäftsführer ihre Fraktionsmitglieder herbeirufen können. So geht
das nicht: Bei der SPD ist nur der Geschäftsführer anwesend. Von meiner Fraktion ist außer mir zumindest noch
der außenpolitische Sprecher anwesend. Insgesamt gesehen, ist das aber unzumutbar. Ich schlage eine Unterbrechung von 15 Minuten vor, damit wir eine bessere Präsenz bekommen.
Eine Wortmeldung des Kollegen Grund.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich widerspreche
dem Antrag, die Sitzung für 15 Minuten zu unterbrechen; denn die Fachleute der Fraktionen, die dieses
Thema besonders interessiert, sind anwesend und können das Gesagte in den Arbeitsgruppen weitergeben, sodass wir mit der Regierungsbefragung beginnen können.
Gibt es weitere Wortmeldungen? - Das scheint nicht
der Fall zu sein. Dann lasse ich über den Antrag des Kollegen Koppelin abstimmen. Wer stimmt für den Antrag
des Kollegen Koppelin? - Wer stimmt dagegen? - Das
sind eindeutig weniger gewesen. Insofern unterbrechen
wir die Sitzung für 15 Minuten.
({0})
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir waren beim Tagesordnungspunkt 1, der Befragung der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat als
Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Deutsche Beteiligung an der Rechtsstaatlichkeitsmission im
Kosovo im Rahmen der ESVP.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt,
Günter Gloser. Bitte schön, Herr Gloser.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Bundesregierung hat heute die Entsendung von bis zu 180 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten des Bundes und der
Länder an der Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo im
Rahmen der ESVP, EULEX Kosovo genannt, beschlossen.
Die Unterstützung des Kosovo mit Maßnahmen im
Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist ein wichtiger Beitrag zur Stabilität des
Kosovo und der Region. Zugleich dient die Mission EULEX Kosovo dem übergeordneten Ziel der Europäischen
Union, das Kosovo und seine Nachbarn auf dem westlichen Balkan an euroatlantische Strukturen heranzuführen.
Mit dieser Mission betreten wir in mehrfacher Hinsicht Neuland: Es handelt sich um die bisher größte und
anspruchsvollste zivile Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Es ist die
erste zivile ESVP-Mission, die auch begrenzte exekutivhoheitliche Befugnisse wahrnehmen wird, und es ist die
erste ESVP-Mission, an der sich unsere amerikanischen
Partner beteiligen.
Die mindestens 1 829 internationale Experten umfassende ESVP-Mission wird im Kosovo Aufgaben in den
Redetext
Bereichen Polizei, Justiz und Zoll übernehmen. Der
Schwerpunkt der Mission wird in der Beobachtung, Anleitung und Beratung der lokalen Institutionen liegen.
Die Mission wird das Kosovo bei der Entwicklung unabhängiger, multiethnischer Einrichtungen im Rechtsstaatsbereich unterstützen.
EULEX Kosovo hat den Auftrag, die Institutionen
des Kosovo einschließlich der Justiz- und Strafverfolgungsbehörden bei ihren Fortschritten auf dem Weg zu
stabilen und verantwortungsbewussten Einrichtungen
und bei der weiteren Entwicklung und Festigung eines
unabhängigen, multiethnischen Justizwesens sowie von
multiethnischen Polizei- und Zolldiensten, die rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet sind, zu unterstützen.
Die Mission wird aber auch sicherstellen, dass diese Organe frei von politischer Einflussnahme sind und international anerkannte Standards und bewährte europäische
Praktiken anwenden.
Mit der einstimmigen Billigung des Operationsplanes
am 15. Februar 2008 wurde die Aufbauphase von EULEX Kosovo eingeleitet. Angesichts der geplanten
Größe und Komplexität dieser zivilen ESVP-Mission
haben die Arbeiten für die Personalauswahl und die logistische Vorbereitung für EULEX Kosovo schon vorher
begonnen und werden in der jetzt laufenden Übergangsphase weiter verstärkt. Ziel ist die Herstellung der vollen
Einsatzfähigkeit von EULEX Kosovo bis zur Übernahme der Verantwortung, die nach der vorzeitigen Planung für Mitte Juni 2008 vorgesehen ist.
Die Bundesregierung war am Zustandekommen von
EULEX Kosovo aktiv beteiligt und sieht in den Vorbereitungen der Mission während der derzeit laufenden
Aufwuchsphase einen Schwerpunkt ihrer Arbeit im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Die Bundesregierung hat seit Anfang der Missionsvorbereitung auf eine substanzielle deutsche Beteiligung
an allen Komponenten von EULEX Kosovo hingearbeitet. Zu diesem Zweck wurde mit dem Personalrekrutierungsprozess frühzeitig begonnen. Bisher sind circa
zwei Drittel der für die Mission vorgesehenen Stellen
ausgeschrieben worden. Deutschland hat in diesem Rahmen Zusagen für 129 Stellen, darunter 98 Polizisten, erhalten. Mit dem nordrhein-westfälischen Polizeibeamten
Rainer Kühn stellen wir den Leiter der Polizei, der
zahlenmäßig stärksten Komponente der Mission. Die
Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der EULEX
Kosovo haben begrenzte exekutive Befugnisse. Ihr Einsatz erfolgt daher grundsätzlich bewaffnet.
Vielen Dank. - Ich bitte zunächst darum, Fragen zu
dem eben genannten Themenbereich zu stellen. Bitte
schön, Herr Gehrcke.
Herr Staatsminister, es versteht sich von selbst, dass
eine Rechtsstaatlichkeitsmission ihrerseits rechtsstaatliche, das heißt völkerrechtliche, Grundlagen haben muss.
Darüber haben Sie leider keine Ausführungen gemacht.
Es gilt nach wie vor die UN-Resolution 1244. Das ist für
alles, was das Kosovo betrifft, die völkerrechtliche
Grundlage. Wo sieht die Bundesregierung die völkerrechtliche Grundlage für die EULEX-Mission, da es außer einer Kenntnisnahme des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bislang dazu nichts Völkerrechtliches
gegeben hat?
Bitte schön.
Herr Kollege Gehrcke, wir haben dieses Thema mehrfach in den Ausschüssen, aber auch bei Befragungen der
Bundesregierung bzw. bei Fragestunden behandelt. Die
Bundesregierung und die Europäische Union stützen
sich bei der Einsetzung dieser ESVP-Mission auf die
von Ihnen zitierte UN-Resolution 1244.
Eine Nachfrage? - Bitte schön.
Wie allen, die sich damit beschäftigt haben, ist auch
Ihnen bekannt, Herr Staatsminister, dass in der Resolution 1244 die EULEX-Mission überhaupt nicht erwähnt
wird. Die UNMIK-Mission findet sich im Text wieder.
Es ist bislang nicht klar, in welchem Verhältnis UNMIK
und EULEX zueinander stehen.
Ich weiß, dass es ein Rechtsgutachten im Auswärtigen Amt dazu gibt. Dieses Rechtsgutachten ist bislang
nur auszugsweise veröffentlicht worden. Wäre das Auswärtige Amt bereit, allen Abgeordneten des Deutschen
Bundestages das vorliegende Rechtsgutachten auszuhändigen, damit sich jeder eine eigene Meinung bilden
kann?
Herr Kollege Gehrcke, ich habe mehrfach betont,
dass wir uns in der Europäischen Union bei dieser Mission auf die UN-Resolution 1244 stützen. Außerdem
darf ich sagen - auch das ist bestätigt worden -, dass
sich selbst die UNMIK-Mission seit der Verabschiedung
dieser Resolution mehrfach verändert hat. Im Übrigen
sind wir vom Präsidenten des Kosovo zu dieser Mission
ausdrücklich eingeladen worden.
Was Ihre andere Frage angeht, kann ich Ihnen leider
keine Zusage geben.
({0})
Jetzt Frau Beck, bitte schön.
Herr Staatsminister, die Bündnisgrünen begrüßen
diese erste gemeinsame europäische Mission, die dem
Marieluise Beck ({0})
zivilrechtlichen Aufbau des Kosovo dienen bzw. ihn begleiten soll. Die Frage ist, wie sich der Übergang von
UNMIK zu EULEX praktisch und faktisch vollzieht.
Hat das bereits stattgefunden?
In diesem Zusammenhang gleich ein Blick auf die
schwierige Stadt Mitrovica. Sie haben eben gesagt,
Grundlage sei der Erhalt eines multiethnischen Kosovo.
Wie gestaltet sich derzeit die Situation in Mitrovica?
Herr Gloser, bitte.
In der Phase des Übergangs - wir haben dafür ungefähr 120 Tage angesetzt - werden die entsprechenden
Abstimmungen stattfinden, auch was die Themen angeht, die den Übergang betreffen. Ich gebe Ihnen völlig
recht - darauf legen wir auch Wert -, dass weiterhin der
multiethnische Ansatz zum Ausdruck kommen muss.
Wir wissen alle von den Unruhen in den letzten Tagen.
Angesichts dieser Unruhen hoffen wir, dass UNMIK in
bestimmten Regionen - auch in der Region, die Sie gerade angesprochen haben - wieder deutlich sichtbar
wird. Es darf keine Separierung geben; denn es muss
vermieden werden, dass nur eine Ethnie in einer bestimmten Region vertreten ist.
Eine Nachfrage, Frau Beck.
Noch einmal zu der schwierigen Region Mitrovica.
Wie viele serbische Polizisten aus dieser gemischten, ursprünglich mit 200 Polizisten besetzten Mission sind
denn noch im Dienst? Gibt es Bemühungen, sie zur
Rückkehr in den Dienst zu bewegen? Wie gestaltet sich
die Situation derzeit?
Frau Kollegin Beck, ich kann Ihnen jetzt keine genaue Zahl nennen. Aber es ist in der Tat so, dass wir,
wenn wir überhaupt das von uns gesteckte Ziel erreichen
wollen, nämlich multiethnische Verhältnisse im Bereich
Polizei, Justiz und Zoll zu haben, wieder zu einem Zustand kommen müssen, der es den Serben, die im
Kosovo leben, erlaubt, in den Dienst zurückzukehren.
Da werden entsprechende Versuche unternommen. Vielleicht können wir Ihnen in den nächsten Tagen schriftlich über den aktuellen Stand Bescheid geben.
Herr Hoyer, bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
die EULEX-Mission, die wir als Liberale im Prinzip begrüßen, bezieht sich auf das gesamte Territorium des
Kosovo. Die Rechtsgrundlage, auf die Bezug genommen
wird - Sie haben sie gerade noch einmal zitiert -, ist die
UN-Resolution 1244. In der Resolution 1244 sind bestimmte Rechte für die Sicherheitsorgane serbischer Nationalität im Norden des Kosovo niedergelegt. Für den
Fall, dass die serbischen Kräfte in den Norden des
Kosovo zurückkehren sollten, frage ich Sie: Sind damit
nicht Konflikte programmiert, und wie will man, mit solchen Konflikten gegebenenfalls umgehen?
Sie haben ja die aktuelle Situation beschrieben. Wenn
wir es als grundsätzliche Aufgabe ansehen - damit
komme ich auf die Frage von Frau Beck zurück -, multiethnische Bereiche zu gestalten, dann müssen wir zu
erreichen versuchen, dass die Menschen, die aus diesem
Dienst ausgeschieden sind, zurückkommen. Das ist sicherlich jetzt auch eine Aufgabe für die verantwortliche
Mission UNMIK.
Nachfrage, Herr Hoyer.
Ich möchte noch eine Nachfrage stellen. Für den
Schutz wäre im Zweifel UNMIK verantwortlich. Das
würde dann gegebenenfalls eine Hilfestellung durch
KFOR bedeuten. Ist der Schutz von EULEX durch
KFOR gewährleistet, gegebenenfalls auch im Norden?
Wir haben immer unterstrichen, dass KFOR eine sehr
wichtige Rolle spielt. Deshalb wird der Bereich der Mission, der letztendlich aktiv wird, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EULEX im Kosovo sind, dann
den entsprechenden Schutz durch KFOR bekommen
werden.
Frau Dağdelen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich möchte zunächst, wie es auch meine Vorredner getan haben, mitteilen, wie wir zu dieser Mission stehen. Wir begrüßen die
EULEX-Kosovo-Mission nicht, weil wir der Auffassung
sind, dass sie völkerrechtswidrig ist. Sie haben, Herr
Staatsminister, ausgeführt, Sie würden mit dieser Mission Neuland betreten. In der Tat könnte dies so sein, vor
allem, wenn man sich noch einmal die Aussage des russischen UN-Botschafters Tschurkin vergegenwärtigt, der
sagte, dass die EULEX-Kosovo-Mission illegal ist. Ich
möchte Sie gerne fragen: Wie beurteilen Sie diese Aussage des russischen UN-Botschafters?
Die Europäische Union hat sich in den letzten Monaten mehrfach mit der Frage der politischen Entwicklung
im westlichen Balkan beschäftigt. Dazu gehören auch
die Verhandlungen, die beispielsweise der ehemalige
finnische Staatspräsident Ahtisaari mit beiden Parteien
geführt hat. Wie Sie wissen, ging es uns immer um eine
einvernehmliche Lösung. Diese ist aber selbst durch den
Einsatz einer Troika nicht zustande gekommen. Die
Europäische Union kam dann zu der Überzeugung, dass
die UN-Resolution 1244 eine Grundlage für diese Mission bietet. Insofern muss ich, denke ich, nicht auf eine
Äußerung einer Person - nämlich des russischen UNBotschafters - eingehen.
Eine Nachfrage, Frau Dağdelen.
Mich interessiert vor allem Ihre Einschätzung, wie
sich die Verfassungswidrigkeit der EULEX-Mission im
Kosovo auf den Status der Polizeitruppen vor Ort auswirkt.
Wir sind, wie gesagt, der Auffassung, dass wir mit der
UN-Resolution 1244 eine völkerrechtliche Grundlage
haben. Zudem hat der Staatspräsident des Kosovo die
Europäer eingeladen, diese Mission zu gestalten. Ich
kann nicht erkennen, dass die Teilnahme an der EULEXMission im Kosovo völkerrechtswidrig ist.
Frau Zapf, bitte schön.
Herr Staatsminister, Sie haben erwähnt, dass für zwei
Drittel des benötigten Personals Stellenausschreibungen
erfolgt sind. Das heißt, es fehlt noch ein Drittel der Ausschreibungen. Inwiefern ist auf der Grundlage des bisher
rekrutierten Personals die notwendige Qualifikation gewährleistet?
Sie haben die 98 Polizeibeamten erwähnt, die von
Deutschland gestellt werden. Sind auch sie bereits alle
rekrutiert und verpflichtet? Können wir garantieren, dass
wir die 98 Polizeibeamten tatsächlich stellen können?
Frau Kollegin Zapf, diese Frage ist mir schon in einer
vorhergehenden Fragestunde gestellt worden. Im Zusammenhang mit anderen ESVP-Missionen gelingt es
uns auch, das notwendige Personal zu stellen. Dieser
Punkt wurde seinerzeit von Frau Kollegin Beck im Hinblick auf Afghanistan angesprochen.
Die ersten Stellenausschreibungen haben dazu geführt, dass rechtzeitig das notwendige Personal mit der
entsprechenden Qualifikation rekrutiert werden kann. Es
geht nicht nur um die Besetzung von Polizeistellen, sondern darüber hinaus auch um eine Beratungsfunktion.
Die Besetzung der notwendigen Stellen wird insgesamt
schwieriger, je mehr Anforderungen an die Qualifikation
gestellt werden. Aber auch im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung im Zollwesen gelingt es uns, die entsprechenden Fachfrauen und Fachmänner zu rekrutieren.
Es wird eine zweite Ausschreibungswelle geben, sodass wir heute davon ausgehen, die für die Mission im
Kosovo erforderliche Personenzahl einstellen zu können.
Sie haben keine Nachfrage. - Herr Seifert, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
unabhängig davon, ob der Einsatz rechtmäßig ist: Sie
sprachen mehrfach - wie eben in Ihrer Antwort auf die
entsprechende Nachfrage - davon, dass Sie im Kosovo
multiethnische Strukturen erhalten bzw. schaffen wollen.
Geht das nicht an der Realität vorbei? Ist nicht vielmehr
Ihr Auftrag, den Sie sich gerade selber geben wollen,
aufgrund der vorhandenen monoethnischen Strukturen
völlig an den Haaren herbeigezogen?
Es gab nie einen Zweifel daran, dass wir die multiethnische Zusammensetzung bewahren wollen. In den
vorhergehenden Verhandlungen haben wir gegenüber
Kritikern aus Serbien auch immer wieder deutlich gemacht, dass diese Mission und die von uns angestrebte
Statuslösung auf Minderheiten Rücksicht nehmen soll
und dass wir keine Separation wollen.
({0})
Es geht nicht allein darum, was diejenigen vor Ort machen, sondern man muss auch berücksichtigen, wodurch
dieses Handeln ausgelöst worden ist. Wir haben die
strenge Anforderung - das haben Herr Ahtisaari und die
Troika in den Verhandlungen deutlich gemacht -, dass
wir den multiethnischen Ansatz gewährleisten wollen.
Es müssen aber alle Beteiligten daran mitwirken, dass er
beibehalten wird.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Seifert? - Bitte
schön.
Herr Staatsminister, genau danach habe ich gerade gefragt. Dass jemand das will, kann ich noch verstehen.
Aber neben dem Willen der Bundesregierung oder der
EU gibt es auch das richtige Leben. Das richtige Leben
sieht anders aus als der Auftrag, den Sie sich selbst geben. Was passiert, wenn sich nach einer bestimmten Zeit
herausstellt, dass keine multiethnischen Strukturen geschaffen werden können, weil die handelnden Akteure
nicht mitmachen?
Herr Kollege, wir haben versucht, während des ganzen Verhandlungsprozesses immer deutlich zu machen,
dass der Schutz der Minderheiten ein ganz wichtiger
Punkt des Ahtisaari-Plans ist. Sicherlich hätte man hier
auch eine andere Politik betreiben können. Wenn wir
aber den Schutz der Minderheiten sicherstellen wollen,
dann gehört dazu die aktive Mitarbeit derjenigen, die
dort leben, aber auch derjenigen - das sage ich ganz bewusst -, die außerhalb des Kosovo politische VerantworStaatsminister Günter Gloser
tung haben. Nur wenn diese darauf hinwirken, kann das
Ziel erreicht werden.
Frau Beck, bitte schön.
Herr Staatsminister, können Sie eine Einschätzung
davon geben, wie sich das Kosovo in absehbarer Zeit
entwickelte, wenn sich UNMIK zurückzöge - dann entstünde sicherlich ein Vakuum -, wenn keine zivile
ESVP-Mission vor Ort wäre und somit Polizei, Justiz
und Zoll nicht aufgebaut würden? Was bedeutete das gerade im Hinblick auf das ethnische Zusammenleben in
dieser Region? Können Sie die Auffassung der Linkspartei kommentieren, die das Ganze für illegal hält?
Angesichts der Verantwortung der Europäischen
Union haben wir - auch unter Hinweis auf andere Vorgänge auf dem westlichen Balkan - immer gesagt, dass
die Europäische Union verpflichtet ist, dort Verantwortung zu übernehmen. Es darf kein Vakuum entstehen.
Niemand redet von der Auflösung von UNMIK. Die Zusammenarbeit zwischen EULEX und UNMIK muss insbesondere in der Übergangsphase in den nächsten
Wochen sehr genau abgestimmt werden. Die Verantwortung der Europäer sowie von UNMIK und EULEX besteht darin, es nicht zu einem Vakuum kommen zu lassen. Ansonsten wären bestimmte Dinge, die wir uns
vorgenommen haben, nicht sichergestellt.
Frau Beck, eine Nachfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, können Sie uns - zumindest die
Eckpunkte - mitteilen, welcher Minderheitenschutz und
welche Minderheitenrechte im Ahtisaari-Plan, über den
Herr Ischinger weiterverhandelt hat, für ein selbstständiges Kosovo festgeschrieben wurden?
Wir haben bei den Verhandlungen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Rechte der Ethnien im Rahmen des Projektes eines selbstständigen Kosovo sichergestellt sein müssen, insbesondere was die Verwaltung,
das eigene Kulturleben und den Schutz der Religion angeht.
Frau Dağdelen.
Herr Staatsminister, die Polizeitruppen befinden sich
dort in erster Linie im Einsatz zur Riot Control, also zur
Aufstandskontrolle. Mit welcher Bewaffnung sollen
diese Polizeitruppen eigentlich eventuelle Aufstände bekämpfen?
Es geht insgesamt nicht darum, Aufstände zu bekämpfen, sondern darum, beim Aufbau entsprechender
Einheiten beratend mitzuwirken und für Sicherheit zu
sorgen. Es geht nicht darum, die Bekämpfung von Aufständen als Hauptaufgabe der Polizeimission zu definieren.
Frau Dağdelen, eine Nachfrage, bitte schön.
Es ist seltsam, dass diese Truppen, die der Riot Control,
der Aufstandskontrolle, dienen sollen, eventuell auftretende Aufstände nicht bekämpfen sollen. Das ist irgendwie zweifelhaft.
Herr Staatsminister, die EULEX-Mission hat sich laut
Berichten aus dem Norden des Landes komplett zurückgezogen. Ist eigentlich geplant, die EULEX-Mission
mithilfe der KFOR-Truppen wieder gewaltsam in den
Norden zurückzubringen?
Frau Kollegin, wenn ich richtigstellen darf: Die
EULEX-Mission arbeitet noch nicht. Zurzeit ist die Mission UNMIK vorhanden. In einer meiner ersten Antworten habe ich von einem gewissen Vakuum und davon gesprochen, dass UNMIK auch im Norden sichtbar werden
muss. Es gab verschiedene Vorbereitungsarbeiten, und
die EULEX-Mission ist jetzt in Gang gesetzt worden.
Der Übergang wird, wie ich bereits in der Antwort auf
die Frage von Kollegin Beck gesagt habe, erst organisiert.
Frau Zapf, bitte.
Herr Staatsminister, wir haben jetzt über den Sicherheitsaspekt und über den Institutionenaufbau gesprochen. Ein wesentlicher Bestandteil einer positiven Entwicklung im Kosovo ist aber der wirtschaftliche Aufbau,
die dritte Säule von UNMIK. Es stellt sich die Frage der
Privatisierung und der zukünftigen Entwicklung, die
nicht zuletzt davon abhängt. Welche Erwägungen haben
die Bundesregierung und die Europäische Union in Bezug auf diese Säule von UNMIK, die bisher in deutscher
Verantwortung war?
Frau Kollegin Zapf, wir sprechen jetzt über die
EULEX-Mission, die die verschiedenen Bereiche, die
ich erwähnt habe, abdecken soll. Ein ganz anderer Punkt
ist in der Tat der, dass neben der Infrastruktur Strukturen
in den Bereichen Sicherheit, Zoll und Justiz, aber auch in
den Bereichen Wirtschaft und Verkehr aufgebaut werden
sollen. Dazu kann ich Ihnen keine genauen Zahlen
nennen. Das wird der Prozess in den nächsten Wochen
zeigen. Ich bin gerne bereit, Ihnen dann Zahlen zu der
Unterstützung zu nennen, die von der Bundesregierung
auch im Rahmen der Hilfe für den westlichen Balkan geleistet wird.
Eine Nachfrage, Frau Zapf? - Bitte.
Deutschland und die Europäische Union haben bisher
schon investiert. Ich vermute, dass es neue Überlegungen aufgrund der neuen Strukturen geben wird. Wenn
Sie jetzt nichts dazu sagen können, wären wir dankbar,
in absehbarer Zeit darüber informiert zu werden, welche
Überlegungen es in dieser Hinsicht gibt.
Es ist vollkommen klar: Wenn die Wirtschaft zum
Laufen kommen soll, dann muss eine entsprechende Unterstützung erfolgen, wie bei anderen Bereichen auch.
Ich bin gern bereit, Ihnen und dem Haus darüber Auskunft zu geben.
Herr Gehrcke.
Herr Staatsminister, wenn man Ihre Antworten betrachtet, dann stellt man fest, dass es keine Antwort
bezüglich der Rechtsstaatlichkeitsgrundlage und des
Völkerrechts gab. Ich möchte Sie präzise fragen: Wirkt
die Bundesregierung an einer Zusammenführung von
UNMIK, also der mandatierten Mission der Vereinten
Nationen, und der geplanten Mission EULEX mit? Soll
EULEX die Aufgaben übernehmen, die UNMIK bisher
gehabt hat?
Ich habe vorhin gesagt, dass zurzeit UNMIK vorhanden ist und wir uns jetzt in einer Übergangsphase befinden, in der EULEX aufgebaut wird. Möglicherweise
werden bestimmte Funktionsbereiche übernommen. Das
muss aber in den nächsten Monaten zwischen UNMIK
und EULEX abgestimmt werden.
Sie haben noch eine Nachfrage? - Bitte.
Ich will es erst einmal verstehen, Herr Staatsminister.
Warum muss eine neue Mission eingerichtet werden,
nämlich EULEX, wenn es eine bestehende Mission der
Vereinten Nationen, die im Wesentlichen die gleichen
Aufgaben ausübt, gibt, wenn sie vielleicht auch personell nicht ausreichend ausgestattet ist? Das muss ich erst
einmal begreifen.
Ich habe vorhin dargestellt, dass es sich um die größte
ESVP-Mission handelt, weil in bestimmten Bereichen
Anforderungen in Bezug auf die Beratung existieren, die
vorher von UNMIK nicht erfüllt werden konnten.
Herr Brand, bitte schön.
Herr Staatsminister, für die deutsche Beteiligung an
EULEX im Kosovo und damit auch für die Sicherheit
deutscher Soldaten und der kosovarischen Bevölkerung
ist eine der entscheidenden Fragen, welche Gründe es
für die sicherheitspolitischen Entwicklungen im Kosovo
gibt. Es gab nicht erst seit der Unabhängigkeitserklärung
durch das Kosovo, sondern schon in den letzten Jahren,
also deutlich früher, zum Beispiel in Mitrovica, Ausschreitungen und nach der Unabhängigkeitserklärung an
der Grenze zwischen den beiden Staaten Kosovo und
Serbien. Uns liegen zahlreiche Berichte vor, die darauf
hindeuten, dass das keine spontanen Ausbrüche von Gewalt waren, sondern dass es dort Verbindungen bis in
serbische Regierungskreise gibt. Deswegen möchte ich
Sie fragen: Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung in dieser Frage?
In der Phase der Troikaverhandlungen mit beiden
Partnern im Oktober/November, als absehbar war, dass
möglicherweise keine Einigung zustande kommt, ist von
beiden Seiten versichert worden, dass keine Gewalt angewandt wird, dass man nicht dazu beitragen will, dass
Eskalation entsteht.
Wir haben Hinweise darauf, dass das alles keine
Spontanreaktionen waren, dass Menschen teilweise auch
bei öffentlichen Kundgebungen emotionalisiert worden
sind, entsprechende Schritte zu unternehmen. Deshalb
liegt es nicht nur an Deutschland, sondern auch an der
EU, mit den Verantwortlichen zu sprechen und zur Deeskalierung beizutragen. Es ist wenig hilfreich, durch
Reden oder durch andere Impulse dazu beizutragen, dass
Gewaltanwendung fortgesetzt wird.
Wie ich sehe, haben Sie, Herr Brand, keine Nachfrage.
Dann hat der Kollege Seifert das Wort.
Herr Staatsminister, sowohl KFOR als auch UNMIK
sind nun schon etliche Jahre im Kosovo. Wenn ich mich
recht erinnere, haben sie unter anderem die Aufgabe,
dort dafür zu sorgen, dass die zivile Ordnung hergestellt
und dass Strukturen geschaffen werden, die ein friedliches Zusammenleben der dort lebenden Menschen ermöglichen. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass es
jetzt, nach so vielen Jahren, in denen es nicht klappte,
mit dieser neuen Struktur auf einmal wunderbar funktionieren wird?
Viele Jahre lang haben wir gesagt: Es soll eine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Eine solche Lösung ist durch die entsprechenden Verhandlungen nicht
zustande gekommen. Dann haben die Kosovo-Albaner
die Entscheidung getroffen, sich völkerrechtlich selbstständig zu machen. Mit dieser großen Mission geht es
darum, die Stabilität auf der einen Seite herzustellen. Es
geht aber auch darum, eigenständige Strukturen in diesem Land aufzubauen. Die EULEX-Mission ist befristet
und soll kein Dauerzustand werden. Ich gehe davon aus,
dass wir mit dieser Mission zur Stabilisierung beitragen
werden.
Herr Seifert, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatsminister, widersprechen Sie sich denn
nicht? Gerade sagten Sie selbst, dass es die Kosovo-Albaner waren, die sich für unabhängig erklärt haben. Zuvor sagten Sie mehrfach, dass Sie multiethnische Strukturen schaffen wollen. Die ganze Zeit heißt es: Es ging
nicht, multiethnische Strukturen zu schaffen. Jetzt, nachdem das Kosovo sich monoethnisch abgespalten hat, soll
es auf einmal klappen. Sehen Sie nicht den Widerspruch
in Ihren eigenen Aussagen?
Ich sehe diesen Widerspruch nicht, Herr Kollege. Ich
möchte etwas zur Unabhängigkeitserklärung durch den
Kosovo klarstellen. Auch in unseren Gesprächen und
Verhandlungen mit dem Kosovo haben wir immer gesagt: Wir verfolgen weiterhin den multiethnischen Ansatz. Wir müssen unseren Beitrag zum Aufbau des Kosovo im Rahmen der EULEX-Mission und darüber
hinaus leisten.
Herr Dr. Eisel, bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben den deutschen Anteil
an der Mission dargestellt. Könnten Sie etwas zum Umfang des europäischen Anteils sagen? Welche Partner
beteiligen sich? Warum gibt es bei denen, die sich beteiligen, einen Konsens darüber, die von den Kollegen der
Linkspartei vorgetragenen rechtlichen Einstellungen der
russischen Regierung nicht zu teilen?
Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich kann noch einmal
sagen: Dieser gemeinsamen Aktion haben insgesamt
26 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugestimmt.
Zypern hat sich aus bekannten Gründen konstruktiv enthalten. Bis jetzt haben uns alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bis auf Malta - dort gibt es personelle
Schwächen - zugesagt, sich zu beteiligen. Es werden
sich aber auch Staaten beteiligen, die der Europäischen
Union nicht angehören, beispielsweise die Schweiz,
Norwegen, die Türkei sowie die Vereinigten Staaten.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte schön.
Vielen Dank. - Ich habe noch eine andere Frage: Warum gibt es unter denen, die sich beteiligen, einen Konsens darüber, die von der Linkspartei vorgetragene rechtliche Bewertung der russischen Regierung für falsch zu
halten?
Bei den Überlegungen und Diskussionen unter allen
Mitgliedstaaten ging es um eine Lösung auf einer völkerrechtlichen Grundlage. Hätte es Zweifel daran gegeben, hätten wir uns in der Europäischen Union nicht in
dieser Eindeutigkeit darauf verständigen können.
Herr Grund, bitte schön.
Vielen Dank. - Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, dass der jetzige Status des Kosovo, also die einseitige Unabhängigkeitserklärung, keine Folge einer wie
auch immer geleiteten Interessenpolitik europäischer
Länder oder der Weltgemeinschaft gewesen ist, sondern
Folge der Aggression und des Völkermordes unter
Milošević und durch die serbischen Truppen in den Jahren 1999 und 2000 ist, und ist Ihnen irgendein praktikabler Vorschlag bekannt, wie die Situation im Kosovo
und auch das Verhältnis der Kosovo-Albaner zu Serbien
auf einer anderen Grundlage als der, für deren Durchführung wir jetzt die Voraussetzungen schaffen, hätten geregelt werden können?
Herr Kollege Grund, die Europäische Union hat versucht, auch unter dem Dach der Vereinten Nationen - deshalb wurde ja auch Herr Ahtisaari beauftragt -, eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen, ausgehend auch
von Beschlüssen im Rahmen der Vereinten Nationen.
Das ist nicht gelungen. Sie wissen auch, dass wir im
Zuge der Gespräche der Troika mit den Kosovaren und
den Serben noch einmal versucht haben, eine neue Idee
einzubringen, die aber auch nicht auf Zustimmung der
Serben und der Kosovaren gestoßen ist. Wir haben also
alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Auf der anderen Seite
standen wir aber vor den Fragen, wie ein Vakuum auf
dem westlichen Balkan verhindert werden kann und welche Schritte der Europäischen Union notwendig sind,
und ein notwendiger Schritt ist diese EULEX-Mission.
Aufgrund des zeitlichen Rahmens beende ich an dieser Stelle die Befragung. Ich danke den Fragenden und
dem Herrn Staatsminister.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/8310, 16/8353 15494
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche
Frage der Kollegin Dorothée Menzner auf Drucksache 16/8353 auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung bei einer Änderung des
VW-Gesetzes sicherzustellen, dass ein Beschluss, eines der
Werke zu schließen, wie bisher an eine Zweidrittelmehrheit
im Aufsichtsrat gebunden ist, die ohne die Vertreter der Arbeitnehmer nicht zustande kommen kann, und wie bewertet
die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Anfang dieser Woche bekannt gewordene Absicht der Porsche AG, die
Mehrheit der Aktien der Volkswagen AG zu übernehmen?
Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische
Staatssekretär Alfred Hartenbach bereit.
Meine Antwort: Über die Errichtung oder Verlegung
von Produktionsstätten - es geht nämlich um beides,
Frau Menzner - von VW werden auch in Zukunft die zuständigen Organe der Volkswagen AG entscheiden. Der
Europäische Gerichtshof hatte im Herbst letzten Jahres
festgestellt, dass einzelne Bestimmungen des geltenden
VW-Gesetzes gegen europäisches Recht verstoßen.
Diese Entscheidung muss nun in nationales Recht umgesetzt werden. Über den Umfang der notwendigen
Gesetzgebung berät die Bundesregierung noch, und inwieweit Porsche sich an VW beteiligt, bleibt den Unternehmen im Rahmen des rechtlich Zulässigen überlassen.
Frau Menzner, Sie haben eine Nachfrage?
Ja. Danke. - Herr Staatssekretär Hartenbach, es ist natürlich vollkommen richtig, dass Porsche sein Engagement bei VW frei wählen kann. Sicherlich haben aber
sowohl Porsche als auch die Bevölkerung und die Belegschaft ein Interesse daran, zu wissen, wie es weitergeht.
Sie haben eben ganz richtig gesagt, dass nur einzelne
Passagen des VW-Gesetzes vom EuGH infrage gestellt
wurden. Ich frage Sie, ob die Berichterstattung von AP
vom 3. März stimmt, in der der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg zitiert wird, es gäbe eine
Vorlage des Bundesjustizministeriums, die im Moment
in der Ressortabstimmung sei. Wenn das so ist, dann
würde mich interessieren, wann mit einem Ergebnis zu
rechnen ist.
Ich möchte es anders angehen. Ich kommentiere Pressemeldungen grundsätzlich nicht. Das mache ich seit
fünf Jahren nicht.
Da wir als Justizministerium aber selbst mit Pressemeldungen an die Öffentlichkeit getreten sind, glaube
ich sagen zu dürfen: In demokratischen Staaten ist es ein
absolut üblicher Vorgang, dass in einem Ressort Ideen
und Gedanken entwickelt und Gesetzgebungsvorschläge
unterbreitet werden und dass dann innerhalb der Regierung die Ressortabstimmung erfolgt.
Wir werden uns natürlich daran halten, auch an die
Vorgaben, die uns der Europäische Gerichtshof gemacht
hat. Zusammen mit der Kommission werden wir eine
vernünftige Lösung in dieser Legislaturperiode, mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in diesem Jahr, finden.
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Eine Nachfrage noch, Herr Staatssekretär. Haben Vorgänge wie die Massenentlassungen und die geplante
Werksschließung von Nokia in Bochum Einfluss auf
Ihre Überlegungen das Gesetz betreffend?
Frau Menzner, die Massenentlassungen bei Nokia haben uns alle sehr getroffen. Sie dürfen sicher sein, dass
diese Bundesregierung ihrer sozialen Verantwortung gegenüber dem Wirtschaftsstandort Deutschland und vor
allen Dingen gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland gerecht wird.
Eine Nachfrage der Kollegin Enkelmann.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, wird noch im laufenden Jahr 2008 von der Bundesregierung ein Gesetzentwurf vorgelegt. Heißt das,
dass sich Frau Zypries gegen den Widerstand des Wirtschaftsministers wird durchsetzen können?
Verehrte Frau Kollegin Enkelmann, Sie sollten nicht
im Kaffeesatz lesen. Ich habe nur deutlich gemacht, dass
wir noch in diesem Jahr die Vorgaben des Europäischen
Gerichtshofes in nationales Recht umsetzen werden.
Mehr habe ich nicht gesagt.
({0})
- Okay?
({1})
Das Wort Kaffeesatz - Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz:
Verzeihung, ich nehme das mit dem größten Bedauern
zurück. Aber Kaffeesatz ist etwas Schönes. 1945 und
1946 war Kaffeesatz etwas Wertvolles.
Sie verstehen mich gerade ganz falsch, Herr
Hartenbach. Ich wollte das Wort „Kaffeesatz“ zum AnVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
lass nehmen, meiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen,
dass Sie heute noch zu einem gemütlichen Kaffee kommen. Ich habe erfahren, dass Sie heute Ihren
65. Geburtstag feiern.
So ist es.
Dazu gratulieren wir alle Ihnen ganz herzlich, wünschen Ihnen alles Gute und als Evangelischem auch Gottes Segen.
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Das war der Respekt vor dem hohen Präsidium, der
mich sofort hat reagieren lassen.
Es freut mich sehr, dass Sie auch an Ihrem Geburtstag
so gute Reflexe zeigen. - Ganz herzlichen Dank.
Nachdem die dringliche Frage aufgerufen und beantwortet worden ist, kommen wir zu den Fragen auf
Drucksache 16/8310 in der üblichen Reihenfolge.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Herr Staatsminister Dr. Gernot Erler zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 1 des Abgeordneten
Winfried Nachtwei auf:
Wie bewertet die Bundesregierung das Ergebnis der Wellingtoner Streumunitionskonferenz, bei der drei Viertel aller
anwesenden Länder den Grundsatz eines Totalverbotes jeglicher Streumunition ohne Ausnahmen und ohne Übergangsfristen unterstützte, und aus welchen Gründen versucht die
Bundesregierung, den Entwurf eines Vertrages für ein vollständiges Verbot jeglicher Streumunition durch Ausnahmeregelungen für vermeintlich ungefährlichere Streumunitionstypen aufzuweichen?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Nachtwei, die Antwort der Bundesregierung lautet wie
folgt:
Die Bundesregierung verfolgt in Übereinstimmung
mit der Entschließung des Deutschen Bundestages vom
28. September 2006 das Ziel eines vollständigen Verbots
von Streumunition, und zwar ohne Ausnahme. Die Bundesregierung hat diese Entschlossenheit auch in Wellington unterstrichen und die Bereitschaft bekräftigt, noch
im Jahr 2008 zu einem Ergebnis zu kommen. Deutschland hat daher die in Wellington vorgelegte Erklärung
für ein Verbot von Streumunition gezeichnet und so sein
Engagement für ein Verbot von Streumunition bekräftigt. Die Bundesregierung hat deshalb auch konkrete
Textvorschläge zu der zu schaffenden Konvention gemacht, die bei dem Verhandlungstreffen in Dublin Ende
Mai 2008 zu beraten sein werden.
Bedauerlich ist, dass die von der Bundesregierung
und der großen Mehrzahl der europäischen Partner geforderten konkreten Fortschritte in der Sache bisher ausgeblieben sind. So hat es in Wellington noch keine konkrete Arbeit am Text des vorliegenden Entwurfs der
Oslo-Konvention gegeben.
Herr Nachtwei, Ihre Nachfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben auf den diesbezüglichen Beschluss des Bundestages vom vorigen Jahr verwiesen. Allerdings wurde in diesem Beschluss eine Ausnahme vorgesehen, nämlich dass die Verbotsforderung
sogenannte ungefährliche Streumunition nicht betreffe.
Meine Frage: Welche empirischen Belege hat die Bundesregierung denn bisher überhaupt für die Behauptung,
es gäbe sogenannte ungefährliche Streumunition?
Herr Kollege Nachtwei, Sie beziehen sich auf den
Stufenplan der Bundesregierung, der in der Tat die Zustimmung des Bundestages bekommen hat. Hier wurde
zwischen besonders gefährlicher Streumunition mit einer Blindgängerrate von über 1 Prozent und einer Streumunitionsart mit einer Blindgängerrate von unter 1 Prozent unterschieden.
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Das sind aber aus unserer Sicht keine endgültigen Festlegungen, sondern diese Differenzierung ist Teil eines
Konzeptes, das für eine Übergangsphase bis zum Zeitpunkt eines völligen Verbots von Streumunition gedacht
ist.
Wir haben dieses Stufenkonzept deswegen entwickelt, weil wir die Hoffnung, dass sich noch andere Staaten, nämlich die Staaten, die noch über erhebliche Vorräte an Streumunition verfügen und entsprechende
Einsatzkonzepte verfolgen, beteiligen, nicht aufgeben
wollen. Dieses Konzept stellt also nur eine Etappe auf
dem Weg hin zum endgültigen Verbot des Einsatzes von
Streumunition dar.
Herr Nachtwei, eine weitere Nachfrage?
Herr Staatsminister, Ihren Wunsch bzw. Ihre Hoffnung im Hinblick auf die Staaten, die noch im Besitz
von Streumunition sind, kann ich gut nachvollziehen.
Das macht ja politisch auch Sinn. Erinnern Sie sich aber
nicht auch an den Ottawa-Prozess, wo es um Antipersonenminen ging? Hier war eine breite öffentliche Absage
an diese Art von Waffentyp von entscheidender Bedeutung dafür, dass eine entsprechende Ächtung auch auf
Regierungsebene beschlossen wurde. Meine Frage lautet
also: Sind solche Ausnahmeregelungen, die ja im Blick
auf Staaten, die noch Streumunition besitzen, plausibel
sein mögen, nicht hinderlich für eine breite weltweite öffentliche Mobilisierung?
Herr Kollege Nachtwei, Sie wissen genauso gut wie
ich, dass der von Ihnen angesprochene Ottawa-Prozess
leider auch noch nicht so umfassend geworden ist, dass
sich alle Staaten daran beteiligen. Insofern ist die Situation bei diesem Prozess vergleichbar mit der jetzt hier
zur Diskussion stehenden.
Ich möchte noch einmal festhalten: Vor dem Hintergrund, dass es noch nicht einmal die wichtigsten europäischen Staaten schaffen, mit der Kerngruppe von Oslo
einen Kompromiss zu vereinbaren - darüber ist ja wieder in Wellington verhandelt worden - und eine gemeinsame Position zu vertreten, wird jedoch klar, dass wir
vom Stand des Ottawa-Prozesses noch sehr weit entfernt
sind. Das wird sich auch nicht ändern, wenn die wichtigsten Staaten, die Streumunition besitzen, nämlich die
Vereinigten Staaten, Russland, China, Indien, Pakistan,
Israel und Brasilien - wir haben darüber übrigens in der
Fragestunde am 20. Februar hier schon ausgiebig gesprochen -, überhaupt keine Anreize bekommen bzw. ihnen keine Brücken gebaut werden, sich an einem Verbot
zu beteiligen. Deswegen werden wir unsere Bemühungen fortsetzen und unser Konzept bis zur nächsten
Dublin Diplomatic Conference, die ja jetzt in wenigen
Wochen stattfinden soll, noch weiter propagieren, um so
eine gemeinsame Basis herzustellen, die von vielen,
wenn vielleicht auch nicht von allen Staaten geteilt wird.
Es gibt noch eine Nachfrage der Kollegin Zapf.
Herr Staatsminister, ich würde mich gerne vergewissern, dass ich Sie dahin gehend richtig verstanden habe,
dass die Bundesregierung ein völliges Verbot wünscht.
Kann ich also davon ausgehen, dass die Diskussionen,
die wir im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ im Hinblick auf eine Weiterentwicklung dieses Antrages, den der Bundestag im
vorigen Jahr beschlossen hat, geführt haben, Berücksichtigung finden und dass die Position der Bundesregierung
in Dublin so sein wird, dass sie die Beschränkungen und
Ausnahmen, die der Stufenplan enthält, eindeutig ablehnt und genauso agiert, wie zum Beispiel Belgien oder
Österreich gehandelt haben?
Frau Kollegin Zapf, die Bundesregierung wird ihre
Bemühungen fortsetzen, in Dublin einen umfassenden
Beschluss zu erreichen. Es hat sich aber zuletzt in Wellington gezeigt, dass eine Kerngruppe, die aus fünf oder
sechs Ländern besteht - das ist bei einer Staatengruppe
von etwa 190 Ländern nicht sehr viel - und mit einer
sehr engagierten NGO, der Cluster Munition Coalition,
zusammenarbeitet, leider die konkrete Arbeit an einem
Text für Dublin - ich habe das vorhin geschildert - verwehrt hat. Das ist nicht gut, weil die anderen Positionen
somit nur in einem Anhang der Erklärung von Wellington vorkommen. Damit wurde der Fortschritt, den wir
uns eigentlich von Wellington erhofft hatten, nicht erreicht.
Sie wissen, dass es eine Like-minded-Gruppe gibt
- eine größere Staatengruppe, zu der auch alle wichtigen
Staaten der Europäischen Union, aber auch andere Staaten wie Australien und Kanada gehören -, die durchaus
bereit ist, am Ziel des völligen Verbotes und der völligen
Abschaffung von Streumunition zu arbeiten, die aber mit
dem Verfahren, sofort alles zu beseitigen, ohne eine Brücke für die Staaten zu bauen, die tatsächlich über Streumunition verfügen, nicht einverstanden ist. Wir werden
weiter daran arbeiten, die beiden Gruppen - die OsloKerngruppe und die Like-minded-Gruppe - zusammenzubringen.
Frau Zapf, Sie dürfen eine weitere Nachfrage stellen.
Es ist erfreulich, dass der Versuch gemacht wird,
diese Gruppen zusammenzubringen. Wir haben - gerade
in Gesprächen mit Human Rights Watch, die sich auch
mit diesem Thema beschäftigt haben - Hinweise erhalten, dass es aus humanitären Gründen und unter dem Gesichtspunkt, dass wir, die Bundesrepublik, diese Munition sowieso nicht anwenden, eigentlich notwendig
wäre, dem Beispiel der eben von mir genannten Staaten
zu folgen und uns der Oslo-Kerngruppe anzuschließen,
um den Prozess insgesamt zu befördern. Glauben Sie,
dass die Bundesregierung dies bis zur Konferenz in
Dublin in Angriff nimmt?
Frau Kollegin, ich glaube, wir beide sind einer Meinung, dass ein Ergebnis der Dublin-Konferenz, dem lediglich sechs Staaten zustimmen, nicht befriedigend
wäre. Deswegen haben wir zwar in Wellington zusammen mit einer großen Zahl anderer Länder die Declaration of the Wellington Conference on Cluster Munitions
unterzeichnet, in der das Ziel - die völlige Abschaffung
von Streumunition - noch einmal klar beschrieben wird.
Wir sind aber mit der Art und Weise der Vorbereitung
auf die Konferenz von Dublin nicht zufrieden; denn das
Ziel hätte dabei sein müssen, über sechs Länder hinauszukommen. Wir glauben, dass die Textvorschläge, die
wir in Wellington eingebracht haben, einen guten Weg
darstellen, dieses Ziel zu erreichen.
Es gibt noch eine Nachfrage des Kollegen Seifert.
Herr Staatsminister, sicherlich sind wir alle einer Meinung, dass es sehr gefährlich ist, wenn irgendwo Munition herumliegt, die nicht explodiert ist, egal ob es sich
um Bomben, Granaten oder andere Munition handelt.
Ich bezweifle, dass man sie als „Blindgänger“ bezeichnen sollte, weil das vielleicht blinde Menschen diskriminiert. Halten Sie es aber nicht für mehr als fahrlässig,
Munition, die zu mehr als 1 Prozent nicht explodiert, als
„besonders gefährlich“ zu bezeichnen, und Munition, die
in etwas weniger als 1 Prozent der Fälle nicht explodiert,
als etwas „weniger gefährlich“ einzustufen? Ich finde,
wenn man von der etwas „weniger gefährlichen“ Munition getroffen wird, ist man genauso tot.
Es handelt sich nicht um eine humanitäre Bezeichnung, sondern um eine technische, die es ermöglichen
soll, andere Länder für diesen Weg der Abschaffung der
Streumunition zu gewinnen, auch indem man eine Übergangsfrist gewährt und eine schrittweise Abfolge des
Prozesses vorsieht. Das ist die Position der Bundesregierung. Ich sage noch einmal: Es ergibt keinen Sinn, dass
diejenigen, die sowieso keine Streumunition besitzen
und die auch nicht vorhaben, sie anzuschaffen, irgendeine Erklärung dazu abgeben, dass sie das nicht tun.
Dadurch wird die Welt - ich glaube, da würden Sie zustimmen - nicht sicherer. Es geht darum, wirklich ein
Ziel zu erreichen. Darum muss man auch diejenigen einbeziehen, die tatsächlich über Streumunition verfügen
und die auch tatsächlich vorhaben, sie in kriegerischen
Auseinandersetzungen zu verwenden. Das bleibt unser
Ziel. Darüber haben wir am 20. Februar intensiv geredet.
Ich bedanke mich, dass ich hier noch einmal Gelegenheit
habe, diese Position deutlich zu machen.
Wir kommen jetzt zur Frage 2 der Abgeordneten
Marieluise Beck:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Kritik
von Amnesty International vom Dienstag vergangener Woche, in Russland sei im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen
immer weniger Raum für Meinungs- und Versammlungsfreiheit, da Oppositionskundgebungen immer wieder aufgelöst
würden und unabhängige Journalisten sowie Nichtregierungsorganisationen vom Kreml in ihrer Arbeit behindert würden?
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die in
jüngster Zeit aufgetretenen Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind Anlass zu zunehmender Sorge. Die Russische Föderation hat sich als
Mitglied der Vereinten Nationen, der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und des Europarats verpflichtet, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu achten. Augenblicklich gibt es offensichtliche
Widersprüche zwischen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Russland und internationalen Menschenrechtsstandards.
Die Beachtung der Menschenrechte einschließlich der
Meinungs- und Versammlungsfreiheit wird von der Bundesregierung regelmäßig sowohl bilateral als auch in internationalen Foren, etwa im Rahmen des Menschenrechtsdialogs zwischen der EU und Russland, gegenüber
der russischen Regierung angesprochen. Die Bundesregierung wird Defizite in diesen Bereichen auch weiterhin kontinuierlich thematisieren.
Frau Beck, Ihre Nachfrage bitte sehr.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung in diesem
Zusammenhang bekannt, dass in der Nacht vom 2. auf
den 3. März der Vorsitzende der Jabloko St. Petersburg
- sein Name ist Maxim Resnik - verhaftet worden ist
und ihm unterstellt wird, er habe gegenüber drei Polizisten Widerstand geleistet? Er wird seitdem in Untersuchungshaft gehalten. Das Verfahren soll in zwei Monaten stattfinden und kann bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe
nach sich ziehen. Wird die Bundesregierung in diesem
Zusammenhang, gegenüber der russischen Regierung
deutlich machen, dass sie nicht bereit ist, solch eine Einschränkung der Oppositionsrechte stillschweigend hinzunehmen?
Frau Kollegin, Sie geben mir noch einmal Gelegenheit, an das anzuknüpfen, was ich eben gesagt habe: Es
ist eine regelmäßige Übung der Bundesregierung, solche
Einzelfälle, wie Sie ihn gerade geschildert haben, aufzunehmen und sie dann an den uns zugänglichen Stellen
zum Gegenstand von Konsultationen zu machen.
Sie wissen ja, dass es seit 2004 die Einrichtung der
halbjährlich stattfindenden Menschenrechtskonsultationen zwischen der EU und der Russischen Föderation
gibt. Anlässlich dieser Treffen findet jedes Mal vorher
ein Treffen mit einschlägigen russischen und internationalen NGOs statt, von denen wir neue Informationen bekommen. Das nehmen wir dann auf. Wir haben in die sogenannte Roadmap zur Schaffung eines gemeinsamen
Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die
Verpflichtung zur Einhaltung von Mindeststandards, was
Oppositionsrechte und die Meinungsfreiheit angeht, hineingeschrieben. Das heißt, es gibt regelmäßig einen
Dialog mit der Russischen Föderation über solche Fälle,
wie Sie ihn gerade wieder geschildert haben.
Frau Beck, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Herr Staatsminister, wird gerade angesichts der von
der Regierung geäußerten Hoffnungen und Erwartungen,
die mit der Wahl des Präsidenten Medwedew verbunden
worden sind, mit Beharrlichkeit die Linie verfolgt, auf
Rechtssicherheit zu setzen? Und ist dabei von Rechtssicherheit die Rede in dem Sinne, dass die russische Regierung die Gesetze einhält, die sie sich selbst gegeben
hat, insbesondere die Strafprozessordnung? Wird dabei
thematisiert, dass die russische Regierung gerade im
Marieluise Beck ({0})
Hinblick auf das zweite Verfahren im Fall Jukos die
Strafprozessordnung nicht einhält, indem sie das Verfahren nicht am Ort der Firma durchführt, sondern in Chita,
zehn Zeitzonen von Moskau entfernt, abwickelt, sodass
faktisch eine Verteidigung durch Anwälte unmöglich gemacht wird?
Frau Kollegin Beck, Sie wissen, dass die Bundesregierung die Themen Jukos und Chodorkowski in vielen
bilateralen Gesprächen mit der russischen Regierung
wiederholt angesprochen hat. Dem kann ich eigentlich
nur hinzufügen, dass die Situation im Augenblick sehr
interessant ist: Der von Ihnen angesprochene Präsidentschaftswahlkampf hat zur Wahl von Dmitrij Medwedew
geführt, der in seinem Wahlkampf einige in diesem Zusammenhang wichtige Aussagen gemacht hat. Er hat
mehrfach betont, dass bei ihm die Freiheitsrechte, die
Rule of Law, also die Rechtsstaatlichkeit, und der Kampf
gegen das, was er den russischen Rechtsnihilismus
nennt, im Vordergrund stehen werden. Das hat
Medwedew jedenfalls angekündigt. Er hat sogar gesagt,
dass er das für eine Grundvoraussetzung für eine gute
Entwicklung der russischen Gesellschaft und der Wettbewerbsfähigkeit der russischen Wirtschaft ansieht. Wir
sind natürlich sehr interessiert daran, inwieweit diese
Äußerungen, die er während des Wahlkampfes gemacht
hat, zu konkreten Veränderungen und Entwicklungen in
der russischen Rechtskultur führen werden.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred
Hartenbach zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick auf:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass das
Bankgeheimnis der Kreditnehmer und Kreditnehmerinnen gewahrt bleibt, wenn sie bereits bei der Aufnahme eines Kredits
pauschal einem möglichen Forderungsverkauf zustimmen
können, durch den Dritte Zugang zu vertraulichen Informationen bekommen?
Das zwischen Banken und Kunden vereinbarte Bankgeheimnis wird dann nicht beeinträchtigt, wenn der
Kunde in eine künftige Forderungsabtretung einwilligt.
Die Vereinbarungen zwischen Bank und Kunden über
das Bankgeheimnis sehen ausdrücklich vor, dass Banken
die dem Bankgeheimnis unterliegenden Informationen
mit Einwilligung der Kunden weitergeben dürfen. Das
vertraglich vereinbarte Recht zur Veräußerung einer
Darlehensforderung umfasst regelmäßig auch die Einwilligung zur Offenbarung der zur Geltendmachung der
Forderung erforderlichen Informationen.
Wird die Einwilligung allerdings formularmäßig erklärt, ist sie unter anderem nur dann wirksam, wenn sie
den Darlehensnehmer nicht unangemessen benachteiligt.
Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch
daraus ergeben, dass die Vertragsbestimmung über die
Einwilligung nicht klar und verständlich ist. Damit wird
der Darlehensnehmer wirksam vor unangemessen benachteiligenden Geschäftsbedingungen hinsichtlich der
Veräußerung von Krediten geschützt. Die Regelung ermöglicht den Gerichten sachgerechte, am konkreten Einzelfall orientierte Entscheidungen über die Wirksamkeit
entsprechender Klauseln.
Außerdem haben die Verbraucherverbände die Möglichkeit, gegen die AGBs solcher Kreditinstitute vorzugehen. Abmahnungen sind bereits erfolgt. Eine Mitteilung der Verbraucherzentrale Bundesverband aus diesen
Tagen macht das deutlich. Für die Bundesregierung besteht zurzeit also keine Notwendigkeit, auf diesem Gebiet etwas zu unternehmen.
Herr Schick, Ihre Nachfrage.
Besteht der Schutz, von dem Sie gerade gesprochen
haben, auch dann noch, wenn man das auf eine gesetzliche Grundlage stellt, wenn man gesetzlich festschreibt,
dass die Banken beide Möglichkeiten anbieten müssen,
worüber in der Großen Koalition diskutiert worden ist?
Bedeutet das in Bezug auf das Bankgeheimnis nicht de
facto, dass durch die anstehende Reform der Schutz der
Informationen der Kreditnehmenden verschlechtert
wird?
Wenn Kreditinstitute ihren Kunden abtretungssichere
Kredite anbieten - die meisten Banken bieten das derzeit
schon freiwillig an bzw. haben das angekündigt -, dann
wird eine Abtretung solcher Kredite nicht möglich sein,
weil sie damit gegen die vertraglichen Vereinbarungen
verstoßen würden. Dann wäre die Weitergabe von Informationen, die zu der Sicherungsübereignung bzw. Abtretung gehören, nicht mit dem geltenden Recht vereinbar.
Allerdings gibt es dagegen den gerichtlichen Schutz.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 4 des Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick:
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass die Käufer die „Verwertung der Sicherheiten und Erzielung hoher und
intransparenter Erlöse“ - so das Oberlandesgericht München
({0}) - künftig nicht mehr wie bisher ungehindert ausüben können?
Das Oberlandesgericht München hat in der von Ihnen,
Herr Kollege Schick, zitierten Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die Forderungen, deretwegen die Sicherheiten verwertet werden sollen, im Einzelnen nachParl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
vollziehbar zu errechnen und dem Schuldner mitzuteilen
sind. Solange diese Voraussetzung fehlt, ist die Zwangsvollstreckung unzulässig.
Das Oberlandesgericht München hat in dem entschiedenen Fall die Zwangsvollstreckung aus diesem Grund
für jedenfalls derzeit unzulässig erklärt. Das geltende
Recht erlaubt es also gerade nicht, eine Zwangsvollstreckung zu betreiben und dabei Sicherheiten unabhängig
von der Höhe der zu sichernden Forderungen zur Erzielung hoher und intransparenter Erlöse zu verwerten.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.
Verstehe ich es also richtig, dass die Bundesregierung
an dieser Stelle keinen Handlungsbedarf sieht, weil
- wie Sie gerade ausgeführt haben - die Rechtslage
schon heute zureichend ist?
Ich fange einmal so an: Ich selbst war einmal Richter.
Es gab immer wieder Einwendungen gegen Zwangsvollstreckungen. Wenn die Einwendung kam, dass die Forderungen nicht nachzuvollziehen seien, und umgekehrt
derjenige, der die Zwangsvollstreckung betrieb, vor Gericht nicht nachvollziehbar erklären konnte, dass noch
eine Forderung bestand und in welcher Höhe, haben wir
schon vor 30 Jahren die Zwangsvollstreckung nicht zugelassen. Dieses gute Recht gilt weiterhin. Wir brauchen
da nichts zu machen. Die Gerichte müssen - das erwarten wir; wir haben gesehen, dass es funktioniert - das
geltende Recht richtig anwenden.
Herr Schick, eine weitere Nachfrage? - Bitte sehr.
Wenn das die Einschätzung der Bundesregierung ist,
wie begründen Sie dann die verschiedenen Vorschläge
für Änderungen, die gerade aus dem Bundesjustizministerium kommen?
Das sind gänzlich andere Fragen. Wir haben mehrere
Vorschläge, die wir mit den entsprechenden Gremien erörtern. Ein Punkt betrifft Folgendes: Es gibt im deutschen Recht eine Möglichkeit, dass man sich in einer notariellen Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung
unterwirft. Es ist in der Tat so, dass sie bei Verkäufen
von Krediten mit übergeht. Allerdings stehen dem Darlehensnehmer gegen den neuen Gläubiger alle Einreden
gegen diese Urkunde auch so zu, wie sie gegenüber dem
ursprünglichen Kreditgeber bestanden haben.
Wir möchten mit unseren Vorschlägen, die wir noch
ausformulieren müssen, nur verhindern, dass jemand
überrascht wird und möglicherweise keine Einwendungen hat. Ansonsten brauchen wir - vor allem in dem
Fall, den Sie im Auge haben und den das Oberlandesgericht München entschieden hat - nichts zu ändern.
Herzlichen Dank. Damit entlassen wir Sie jetzt endgültig zum Geburtstagskaffee.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Hier werden die Fragen 5 und 6 der Kollegin
Kirsten Tackmann schriftlich beantwortet.
Das gilt auch für die Fragen 7 und 8 des Kollegen
Alexander Bonde aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Hier wird die Frage 9 der Kollegin Höfken
schriftlich beantwortet. Die Kollegin Sylvia KottingUhl, Frage 10, ist nicht anwesend. Es wird verfahren,
wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die
Fragen 11 und 12 der Kollegin Cornelia Hirsch werden
schriftlich beantwortet.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Pau werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 15 der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch auf:
Wie hat sich die Zahl der Kindstötungen seit 1990 in
Deutschland entwickelt, und wie erklärt sich die Bundesregierung die Entwicklung der Anzahl von Kindstötungen in den
neuen Ländern?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Bergner zur Verfügung.
Ich muss zunächst darauf hinweisen, dass Kindstötung als Straftatbestand im engeren Sinne ein bis 1998
unter § 217 StGB fallender gesondert erfasster Tatbestand war; diese Norm war tatbestandlich auf ledige
Mütter und auf Tötungen während oder unmittelbar nach
der Geburt beschränkt. Außerdem muss ich darauf hinweisen, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik erst seit
dem Jahr 1993 Zahlen für Gesamtdeutschland beinhaltet
und dass Berlin seit 1990 in seiner Gesamtheit erfasst
und zu den alten Bundesländern gezählt wird.
Frau Kollegin Lötzsch, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Nach den für den speziellen Tatbestand der Kindstötung im oben genannten Sinne für die Jahre 1993 bis
1998 vorliegenden Zahlen wurden im gesamten Bundesgebiet pro Jahr im Durchschnitt mehr als 20 Kinder getötet. 1998 betrug die Zahl der getöteten Kinder 17. Die
einschlägige Tabelle kann ich Ihnen gern zur Verfügung
stellen; ich glaube aber, es ginge zu weit, wenn ich sie
jetzt vorlesen würde.
Eine konstante Änderung der Zahl der Tötungsfälle
lässt sich nicht feststellen, weder in den alten noch in
den neuen Bundesländern. Der Anteil der in den neuen
Bundesländern getöteten Kinder lag jeweils bei etwa
30 Prozent, mit Schwankungen zwischen 14 Prozent und
40 Prozent. Seit der Abschaffung des § 217 StGB
- Kindstötung - werden die Tötungen von Neugeborenen in der Polizeilichen Kriminalstatistik je nach Fallkonstellation als Mord oder Totschlag erfasst, und zwar
in der Opferaltersgruppe von null bis unter sechs Jahren.
Eine konkrete Aussage zur Zahl getöteter Neugeborener
ist daher nicht mehr möglich.
Im Hinblick auf Kinder stellen sich die Zahlen in der
Opferaltersgruppe von null bis unter sechs Jahren in der
Polizeilichen Kriminalstatistik ab 1999 wie folgt dar:
Die Zahl der Kinder im Alter von unter sechs Jahren, die
in der Polizeilichen Kriminalstatistik aufgrund von Mord
oder Totschlag als „getötet“ registriert sind, lag in den
Jahren 1999, 2003, 2004 und 2006 bei über 70 Fällen in
ganz Deutschland. In den Jahren 2000 und 2001 gab es
mehr als 80 solcher Fälle, im Jahre 2005 waren es 60.
Dabei ist zu beachten, dass sich die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik grundsätzlich auf das Jahr des
Abschlusses des polizeilichen Verfahrens beziehen,
nicht auf das Jahr der Handlung bzw. der Auffindung.
Der Anteil der in den neuen Bundesländern getöteten
Kinder liegt in den meisten Jahren bei über 20 Prozent,
mit Schwankungen zwischen 11 und 41 Prozent. Berücksichtigt man auch die Fälle fahrlässiger Tötung,
schwankt die Gesamtzahl der in der Bundesrepublik
Deutschland getöteten Kinder zwischen 143 und
184 Kindern pro Jahr. Der Anteil der in den neuen Bundesländern getöteten Kinder liegt bei etwa 20 Prozent,
mit Schwankungen zwischen 13 und 31 Prozent.
Die Tabelle, die ich Ihnen, wie gesagt, gern zur Verfügung stelle, beinhaltet auch die kumulierten Zahlen zu
Mord, Totschlag und fahrlässiger Tötung in den alten
und neuen Bundesländern mit Blick auf die Opfergruppe
von null bis unter sechs Jahren. Diese Zahlen liegen zwischen 21 und 31 Prozent. Insgesamt betrachtet lässt sich
der Polizeilichen Kriminalstatistik keine konstante Änderung der Opferzahlen entnehmen, weder für die alten
noch für die neuen Bundesländer. Es ist jedoch feststellbar, dass die Opferziffer in den neuen Bundesländern höher ist als in den alten Bundesländern.
Frau Lötzsch, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ich meine
Frage vor dem Hintergrund der Äußerungen Ihres Nachfolgers als Ministerpräsident des Landes SachsenAnhalt, Herrn Böhmer, gestellt habe. Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Herrn Ministerpräsidenten
Böhmer, dass Kindstötung in der DDR ein Mittel der Familienplanung war? Wenn das nicht der Fall ist, würde
ich gerne wissen, warum sich die Bundesregierung nicht
eindeutig von diesen empörenden Verunglimpfungen der
ostdeutschen Frauen distanziert hat.
Frau Kollegin, zunächst einmal darf ich feststellen,
dass sich die Bundesregierung mit den Äußerungen, die
der Ministerpräsident des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, eines neuen Bundeslandes, vor dem Hintergrund
der geschilderten polizeilichen Kriminalstatistik getroffen hat, nicht als Ganzes auseinandergesetzt hat. Sie
haben sicherlich registriert, was einzelne Regierungsmitglieder dazu gesagt haben. Wir sehen keinen unmittelbaren Anlass, zu den Äußerungen Herrn Böhmers
Stellung zu nehmen. Ich persönlich lege Wert darauf,
festzustellen, dass ich mir in dieser Frage eine sachliche
Auseinandersetzung wünsche. Ich halte manche Kritik
an den Äußerungen des Ministerpräsidenten für überzogen. Es kann ihm unmöglich unterstellt werden, er habe
gewissermaßen vorsätzlich eine Beleidigung ausgesprochen. Ich könnte mir keine Motivlage vorstellen, aus der
heraus er so etwas hätte tun sollen.
Zum Zweiten möchte ich darauf aufmerksam machen
- auch vor dem Hintergrund, dass auch ich aus den
neuen Bundesländern komme -, dass wir keinen Anlass
haben, die Rechtslage der ehemaligen DDR nachträglich
als eine glückliche und zufriedenstellende zu bezeichnen, was den Sachverhalt der Schwangerschaftsunterbrechung betrifft.
Frau Lötzsch, Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte
sehr.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich würde Ihnen empfehlen, das, was Ihr Nachfolger und
Parteifreund vielen Presseorganen gegenüber geäußert
hat - sowohl schriftlich als auch im Fernsehen -, nachzulesen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie, wenn Sie
dies tun, Ihre zartfühlende und zurückhaltende Kritik zu
relativieren hätten. Das noch einmal als Stellungnahme.
Ich würde darüber hinaus gerne wissen, ob die Bundesregierung an der Finanzierung der Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen beteiligt ist. Aus dieser Studie wurden Zwischenergebnisse
veröffentlicht, auf die sich Herr Böhmer mit seinen aus
meiner Sicht empörenden Äußerungen bezogen hat.
Frau Kollegin, Sie haben meine Sicht der Äußerungen
von Ministerpräsident Böhmer bewertet. Ich bin nicht in
der Lage, über die Ergebnisse des Kriminologischen
Forschungsinstitutes Niedersachsen zu referieren. Ich
sage noch einmal: Die Bundesregierung hat als Ganzes
hierzu nicht Stellung genommen; einzelne Regierungsmitglieder haben es getan. In diesem Sinne erlaube auch
ich mir - Sie haben mich ja als einen Amtsvorgänger
Herrn Böhmers angesprochen - zu sagen: Ich wünsche
mir, dass wir diese Debatte genauso ernsthaft führen,
wie wir im Zusammenhang mit der Stammzellengesetzgebung über den Lebensschutz debattieren. Dazu gehört,
dass Gesichtspunkte, die einer anspricht, der in der DDR
langjährig als Gynäkologe seinen Dienst getan hat, von
uns selbst dann, wenn diese Gesichtspunkte unglücklich
vorgetragen wurden und dies zu Missverständnissen geführt hat - wofür sich der Autor, wie gesagt, entschuldigt
hat -, zumindest ernsthaft geprüft werden.
Es gibt noch eine Nachfrage der Kollegin Pieper.
Herr Staatssekretär, ich komme wie Sie aus SachsenAnhalt; daher stelle ich diese Nachfrage ganz bewusst.
Im Zuge der deutschen Einheit konnte in diesem Hohen
Hause - auch auf Druck der neuen Länder - eine Fristenlösung mit Beratungspflicht durchgesetzt werden, die an
die Stelle des restriktiven Rechts der alten Bundesrepublik beim Schwangerschaftsabbruch getreten ist. Ich
frage Sie deswegen auch in diesem Zusammenhang:
Haben Sie persönlich bzw. hat das Bundesinnenministerium Erkenntnisse oder Zahlen, die Grund geben zu der
Vermutung, dass Frauen ihre Kinder bewusst getötet haben, um Familienplanung zu betreiben? Das Innenministerium legt ja nicht nur Zahlen vor, sondern es beurteilt
auch die Fakten. Deswegen möchte ich wissen, ob es aus
Sicht des Innenministeriums, vielleicht auch aus Ihrer
persönlichen Sicht, irgendwelche kausalen Zusammenhänge zu den Ursachen der Kindestötungen gibt, die sich
auf das beziehen, was vom Ministerpräsidenten Böhmer
gesagt worden ist. Ich konnte das bei all meinen wissenschaftlichen Recherchen nicht feststellen.
Ich kann hier nicht auf das eigene Haus verweisen,
sondern ich kann hier nur die Polizeiliche Kriminalstatistik vortragen. Mir ist aus dem federführenden Haus
bekannt, dass sich das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen mit Merkmalsclustern beschäftigt, die
allerdings ohne eine Unterscheidung in Ost und West erhoben werden. Insofern lässt sich daraus für die von Ihnen gestellte Frage keine Schlussfolgerung ziehen.
Als Merkmalscluster bei Kindstötungen spielen verschiedene Kategorien eine Rolle. Bei einer relativ großen Gruppe sind das katastrophale Lebensbedingungen,
in denen die Frauen leben. Zunächst wird versucht, das
Kind aufzuziehen. Dann aber sind diese Frauen irgendwann völlig überfordert, misshandeln und vernachlässigen ihr Kind, was schließlich zum Tode führt. Wir beide
wissen um Fälle, die uns wahrscheinlich gleichermaßen
beunruhigen und die auch in den Medien dargestellt
wurden.
Eine weitere Gruppe - dieses Merkmalscluster wird
mit einer Größenordnung von 25 bis 35 Prozent angegeben - besteht aus meist sehr isolierten Frauen, die ihre
Schwangerschaft verheimlichen, das Kind ohne Hilfe
zur Welt bringen, es töten oder es dann sich selbst überlassen.
Bei einem kleineren Cluster von 15 bis 25 Prozent der
insgesamt kleinen Gruppe der Deliktsfälle - ich will ausdrücklich sagen, dass wir hier nicht über alle Frauen,
sondern nur über die kleine Gruppe von Deliktsfällen reden - geht es darum, dass diese Frauen psychisch krank
sind.
Diese Angaben zu den Ursachen kann ich Ihnen nennen. Ich mache das nur, weil Sie ausdrücklich danach
gefragt haben. Denn jede dieser Analysen führt aus meiner Sicht - das ist das Fatale an dieser Diskussion - zu
einer verzerrenden Wahrnehmung und lenkt den Blick
davon ab, dass sich die übergroße Mehrheit der Frauen
und Familien in unserem Lande mit großer Fürsorge um
ihre Kinder kümmert.
({0})
Dafür schuldet die Gesellschaft ihnen großen Dank.
Frau Pieper, Sie haben eine weitere Frage.
Weil das so ist, wie Sie es geschildert haben, Herr
Staatssekretär, möchte ich eine Nachfrage stellen. Es
geht mir um eine politische Bewertung durch die Bundesregierung des damals nach der deutschen Einheit
eingeführten liberalen Rechts zum Schwangerschaftsabbruch; ich meine die Fristenlösung mit der Beratungspflicht. Teilen Sie nach dem, was Sie hier an konkreten
Fällen angeführt haben, meine politische Auffassung,
dass das Modell des Schwangerschaftsabbruchs mit der
Beratungspflicht richtig ist, um solche Frauen, die keinen Ausweg mehr sehen und später möglicherweise ihre
Kinder misshandeln und töten, über die Beratungspflicht
auf den richtigen Weg zu bringen?
Es gibt überhaupt keinen Streit darüber, dass der vom
gesamtdeutschen Gesetzgeber gefundene Weg als der
richtige anzuerkennen ist und dass das die Bundesregierung in all ihren Entscheidungen bindet.
Die Diskussion hat sich an der Bewertung der Rechtslage der ehemaligen DDR entzündet. Ich empfehle in
diesem Zusammenhang beispielsweise das Gedicht
Interruptio der DDR-Dichterin Eva Strittmatter. Es
zeigt, dass es auch in der DDR angesichts der Rechtslage
einer reinen Fristenlösung Gewissenskonflikte und Auseinandersetzungen gab. Wir sollten bei aller Kritik, die
man an den Äußerungen von Ministerpräsident Böhmer
haben kann, vermeiden, die Rechtslage der DDR in dieser Frage nachträglich schönzureden.
({0})
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Hier steht zur Beantwortung
der Fragen die Parlamentarische Staatssekretärin
Nicolette Kressl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 16 der Abgeordneten Ina Lenke
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Tatbestand, dass
Einverdienerfamilien, bei denen ein Ehepartner sich ganztags
der Kindererziehung widmet, schon ein Ehegattensplitting
von bis zu 15 414 Euro jährlich erhalten?
Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, Sie wissen, dass
nach dem Einkommensteuerrecht das Einkommen jedes
Steuerpflichtigen und jeder Steuerpflichtigen grundsätzlich nach dem Einkommensteuertarif versteuert wird.
Ziel des Ehegattensplittings ist es dabei, das Einkommen
der Eheleute insgesamt nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern. Das bedeutet, dass bei dem
Ehegattensplitting für zusammen veranlagte Ehegatten
nach geltendem Recht Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern nicht berücksichtigt werden. Insofern impliziert Ihre Fragestellung eine Wirkung des Ehegattensplittings in Bezug auf das Erziehen von Kindern, die
nicht beabsichtigt ist und die es schon von seiner Anlage
her nicht hat.
Frau Lenke, Ihre Nachfrage.
Es ist schon sehr interessant, das aus dem Mund einer
SPD-Staatssekretärin zu hören. Meine Anschlussfrage
ist die: Wie bewertet die Bundesregierung es, dass nur
Eltern, die verheiratet sind, durch das Ehegattensplitting
in der Spitze einen Vorteil von 15 000 Euro haben, während Eltern, die nicht verheiratet sind, aber genau die
gleiche Aufgabe wahrnehmen, keinen Steuervorteil erhalten, wenn einer zu Hause bleibt? Dies zu ändern, war
ja immer die Position der SPD. Das scheint in dieser
Koalition jetzt wohl anders zu sein.
Sehr geehrte Frau Lenke, zuerst darf ich Sie darauf
hinweisen, dass ich in diesem Fall die Aufgabe habe, für
die Bundesregierung zu antworten, die sich natürlich daran hält, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Ich
glaube, es ist etwas schwierig, die Antworten danach zu
bewerten, von welcher politischen Farbe die Staatssekretäre jeweils sind.
Zum Zweiten will ich darauf hinweisen, dass Ihre
Frage im Prinzip die Antwort, die ich Ihnen auf die erste
Frage schon gegeben habe, nicht berücksichtigt, nämlich
dass es um die Ehegattenbesteuerung und darum geht,
wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bewertet
wird. Wie gestaltet sich die Übertragung des Grundfreibetrags und des Tarifs? Es geht aber nicht um die Kindererziehung und den Familienleistungsausgleich. Wie
Sie wissen, sind im Einkommensteuerrecht im Rahmen
des Familienleistungsausgleichs nach den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts entsprechende Regelungen
getroffen worden, die nach dem politischen Willen
- auch der früheren Regierungen - durch ein Kindergeld
ergänzt werden.
Frau Lenke, eine weitere Nachfrage.
Dazu habe ich wirklich eine Nachfrage, Frau Staatssekretärin; denn Finanzminister Steinbrück, SPD, hat
sich mit Familienministerin von der Leyen, CDU, auf
ein Betreuungsgeld ab 2013 geeinigt. Auch die FDPBundestagsfraktion war angesichts dieser Einigung gerade mit dem Bundesfinanzminister sehr erstaunt; denn
da wurde nicht gesagt, ob das Betreuungsgeld einkommensabhängig gezahlt wird, ob ein monatlicher Pauschbetrag gezahlt wird oder ob es danach geht, ob die Eltern
reicher oder ärmer sind. Das wundert mich schon sehr.
Ich frage Sie, wie Sie die Zustimmung des Finanzministers zu einem solch finanzkräftigen Vorhaben gerade vor
dem Hintergrund des Betreuungsgeldes, wie man es sich
in Bayern vorstellt, bewerten.
Sehr geehrte Frau Lenke, so leid es mir tut: Ich muss
Ihre Frage leider etwas korrigieren.
({0})
In Ihrer Frage unterstellen Sie, dass es eine endgültige
Einigung in Bezug auf das Betreuungsgeld gäbe. Es liegt
aber lediglich eine Einigung in der Weise vor, dass man
gesagt hat: Im Jahre 2013 wird es eine Entscheidung darüber geben, in welcher Form die Erziehungsleistung
von Eltern gewürdigt werden kann, zum Beispiel in
Form eines Betreuungsgeldes. In der Begründung des
Gesetzentwurfs wird darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber in dieser Entscheidung frei ist.
Man kann nicht die Fragen korrigieren, sondern die
Annahme, die einer Frage zugrunde liegt. So haben wir
es verstanden.
So werde ich es in Zukunft formulieren.
Die beiden Fragen 17 und 18 der Abgeordneten
Christine Scheel werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zur Frage 19 des Abgeordneten
Manfred Kolbe:
Was hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer strukturpolitischen Verantwortung für Gesamtdeutschland und des
weiteren Aufbaus Ost unternommen, um im Rahmen der beabsichtigten Verlagerung der Computerspielmesse von Leipzig/Sachsen nach Köln tätig zu werden?
Frau Präsidentin, ich würde gerne die Fragen 19
und 20 gemeinsam beantworten, da sie in einem thematischen Zusammenhang stehen.
Dann rufe ich auch die Frage 20 auf:
Wie steht die Bundesregierung zu der Aussage der Leipziger-Messe-Geschäftsführer gemäß Bild Leipzig vom 29. Februar 2008: „Wir hätten uns mehr Unterstützung aus Berlin
gewünscht“?
Die Entscheidung über den neuen Messestandort
Köln für die Messe GC - Games Convention - ist vom
Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware
- BIU - am 25. Februar 2008 getroffen worden. Die
Bundesregierung ist sich ihrer strukturpolitischen Verantwortung für Gesamtdeutschland und den weiteren
Aufbau Ost bewusst. Wie bereits in meinem Schreiben
vom 20. Februar 2008 dargelegt, stehen der Bundesregierung aber keine Möglichkeiten zur Verfügung, auf
deren Basis in die Geschäftspolitik der Verbände und
Messeveranstalter eingegriffen werden könnte.
Herr Kolbe, Sie haben eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, mir ist bewusst, dass die Bundesregierung weder durch Kabinettsbeschluss noch durch
Ingangsetzung von Gesetzgebungsverfahren in solche
Prozesse eingreifen kann. Es gibt aber auch Möglichkeiten, Gespräche zu führen und Meinungen zu äußern. Das
tut die Bundesregierung des Öfteren.
Wäre es in dieser für Gesamtdeutschland und den
Aufbau Ost sehr wichtigen Frage nicht angemessen gewesen, den alten, traditionellen Messestandort Leipzig
zu revitalisieren? Wir haben dafür schließlich in den
90er-Jahren viel Geld eingesetzt. Jetzt aber wird das
beste Produkt, das in Leipzig entwickelt worden ist
- nämlich die Games Convention -, aufgrund mir nicht
bekannter Umstände nach Köln verlagert. Können wir
noch von blühenden Landschaften sprechen, wenn hier
eine der schönsten Blumen des Aufbaus Ost abgeschnitten wird? Wäre das nicht für die Bundesregierung Anlass gewesen, tätig zu werden?
Ich bin überzeugt, dass der Messestandort Leipzig
sehr attraktiv ist und dass es dort starke, interessante und
bedeutende Messen gibt. Bei der Games Convention
handelt es sich um eine europaweite Messe. Unsere
größte Freude in unserer gesamtdeutschen Verantwortung ist, dass es gelungen ist, diese Messe in Deutschland zu halten.
Die Frage, wo ein Veranstalter seine Messen durchführt, liegt im Ermessen des Veranstalters. Die Bundesregierung hat weder eine rechtliche Möglichkeit noch
einen politischen Auftrag, auf die Durchführung von
Messen an bestimmten Messestandorten in Deutschland
Einfluss zu nehmen.
Herr Kolbe.
Mir ist bekannt, dass die Bundesregierung keine
rechtlichen Möglichkeiten hat. Ich darf aber die Frage
wiederholen: Sind informelle Gespräche geführt und
Meinungen geäußert worden, ja oder nein?
Da wir es für falsch halten, uns in die freie Entscheidung der Messeveranstalter einzumischen, mischen wir
uns auch nicht mit solchen Gesprächen ein. Wir freuen
uns aber, dass es gelungen ist, diese europäische Messe
in Deutschland zu halten. Das ist ein schöner Erfolg. Die
Entscheidung ist vom Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware getroffen worden, der seinen Sitz in
Berlin hat, wie Sie wissen.
Frau Enkelmann.
Herr Staatssekretär, es ist mehrfach darauf verwiesen
worden, dass die Bundesregierung keine Einflussmöglichkeiten habe. Es sind aber an beide Messestandorte
- sowohl Leipzig als auch Köln - öffentliche Gelder geflossen. Besteht nicht die Möglichkeit, die Vergabe öffentlicher Gelder zum Beispiel daran zu knüpfen, dass
bestimmte Messen an einen Standort gebunden bleiben?
Das ist meine erste Frage; ich habe aber noch eine
zweite.
Ihre erste Nachfrage beantworte ich mit Nein.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie scheinen über diese sehr kurze Antwort genauso
überrascht zu sein wie ich. Das ist ein Stück weit ein Armutszeugnis für die Bundesregierung.
In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Große
Anfrage der Linken wird unter anderem festgestellt, dass
die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den
neuen Bundesländern deutlich unter denen des Westens
liegen. Die Bundesregierung stellt des Weiteren fest,
dass hier Nachholbedarf besteht. Für wie sinnvoll halten
Sie dann eine Verlagerung, und was will die Bundesregierung tun, um zum Beispiel den Messestandort Leipzig aufzuwerten, gerade wenn es um Forschung und Entwicklung geht?
Frau Kollegin, ich versuche, liebevoll zu erläutern,
dass die Frage, wo welche Messe stattfindet, zwar wichtig und regional bedeutsam ist, dass sie sich aber der
Handlungskompetenz der Bundesregierung, wie sie im
Grundgesetz verankert ist, entzieht. Das ist der erste
Punkt.
({0})
Der zweite Punkt ist: Wir sollten uns in unserer Verantwortung für ganz Deutschland darüber freuen, dass
diese in der Tat wichtige Messe mit europäischer Bedeutung in Deutschland geblieben ist. Ich kann verstehen,
dass Sie sich sehr gefreut hätten - ich wäre bereit gewesen, diese Freude mit Ihnen zu teilen -, wenn die Messe
in Leipzig geblieben wäre. Der Bundesverband hat aber
entschieden, nach Köln zu gehen. Solche Entscheidungen werden nun einmal im Wirtschaftsleben getroffen
und sind nach unserer Auffassung auch im Wirtschaftsleben zu treffen. Die Bundesregierung hat keinerlei
rechtliche Handhabe und hält es für richtig, dass solche
Entscheidungen im Wirtschaftsleben, in der Wirtschaft
und den betreffenden Verbänden, getroffen werden; denn
eine wie auch immer geartete Einflussnahme der Bundesregierung würde gar nichts nutzen, wenn es zu einem
Ausweichen in ein anderes europäisches Land käme.
Das freute zwar das betreffende europäische Land, bedeutete aber, dass uns diese Messe verlustig ginge.
Sie können gern noch mehrfach danach fragen. Aber
in dieser Frage ist die Bundesregierung der falsche Ansprechpartner.
Die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Hans-Josef
Fell werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 23
und 24 der Kollegin Höhn.
Wir kommen zu Frage 25 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl:
Trifft es zu, dass - wie der Spiegel in seiner Ausgabe vom
25. Februar 2008 berichtet - das Betreiberkonsortium Nord
Stream - Ostseepipeline - plant, ein Gemisch mit hochtoxischem Glutaraldehyd in die Ostseee einzuleiten, und wie gedenkt die Bundesregierung darauf zu reagieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Entgegen der Meldung des Spiegels in seiner Ausgabe vom 25. Februar 2008 hat die Nord Stream AG in
einer Pressemeldung vom 23. Februar 2008 mitgeteilt,
dass der Einsatz von Glutaraldehyd voraussichtlich nicht
erfolgen wird. Soweit Glutaraldehyd in schwedisches
Hoheitsgebiet eingeleitet werden soll, liegt die Beurteilung der Zulässigkeit bei den schwedischen Behörden.
Die Frage der Zulässigkeit der Einleitung von Chemikalien wird von den zuständigen deutschen Genehmigungsbehörden erst dann geprüft, wenn diese Chemikalien in
Deutschland eingeleitet werden bzw. die Einleitung
grenzüberschreitende Auswirkungen in der deutschen
Ausschließlichen Wirtschaftszone, AWZ, oder der
Zwölfseemeilenzone hat. Im Übrigen hat Deutschland
wiederholt erklärt, dass übernommene völkerrechtliche
Verpflichtungen zum Schutz der Umwelt eingehalten
werden müssen, und die beteiligten Unternehmen aufgefordert, diese Vorgaben strikt zu beachten.
Frau Kotting-Uhl, Ihre Nachfrage.
Danke schön. - Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir,
Folgendes zu berichtigen: Die Nachricht des NordStream-Konsortiums erfolgte nicht entgegen, sondern
aufgrund der Spiegel-Meldung. Nach meiner Wahrnehmung wurde erst nach einem gewissen medialen Entrüstungssturm bekannt gemacht, dass man auf die Einleitung von Milliarden Liter Glutaraldehyd verzichten
möchte.
Meine Frage lautet - Sie haben gesagt, dass voraussichtlich darauf verzichtet wird -: Wie vordringlich ist
das Interesse der Bundesregierung, tatsächlich zu wissen, ob darauf verzichtet wird oder nicht, und was unternimmt sie, um dieses „voraussichtlich“ in ein „sicher“
umzuwandeln? Oder wartet sie einfach ab, was da
kommt?
Zuerst zum Sachverhalt. Ich nehme an, dass Ihre Vermutung richtig ist, dass die Presseerklärung aufgrund einer Vorabmeldung des Spiegels erfolgte. Ich wollte nur
deutlich machen: Der Spiegel wurde am 25. Februar
2008 veröffentlicht. Die Vorabmeldungen kennen wir,
wie wir alle wissen, meistens schon zwei Tage vorher.
Ich nehme an, dass daraufhin die Klarstellung des Unternehmens erfolgte. Nur so viel zur Entstehungsgeschichte. In der Erklärung heißt es:
Die inzwischen weiter fortgeschrittenen Planungen
und Untersuchungen gehen davon aus, dass der beschriebene Einsatz der Chemikalie nicht erfolgt.
Ich habe mich gleichwohl vorsichtiger geäußert, weil ich
nicht das Unternehmen bin und das auch nicht weiß.
Nun nimmt die Bundesregierung zwar zu interessanten
Fragen Stellung, aber sie müssen schon konkret sein
- Ihre Frage ist konkret -, bzw. die Thematik muss konkret sein. Wir können nicht über alle möglichen Dinge
nachdenken und uns fragen: Was wäre, wenn? - Wenn
eine solche Einleitung geplant wäre und wir für diesen
Bereich zuständig sind, dann wird selbstverständlich
eine entsprechende Reaktion erfolgen. Ich kann Ihnen
vorweg sagen, dass diese eher kritisch und in Ihrem
Sinne sein wird. Damit nehme ich natürlich die amtliParl. Staatssekretär Peter Hintze
chen Prüfungen nicht vorweg. Im Moment steht diese
Einleitung aber weder in Schweden noch gar bei uns an.
Wir beobachten das mit großem Interesse. Natürlich sind
zuerst die zuständigen Behörden gefragt, und dann,
wenn es im Parlament behandelt wird, werden wir sicherlich hier darüber sprechen.
Frau Kotting-Uhl, Sie haben eine weitere Nachfrage?
Ja.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wenn Sie mir erlauben, dann will
ich noch ein bisschen bohren; denn vorausschauend
müssen wir natürlich planen. Wenn wir uns der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen, was die Bundesregierung tut,
dann heißt das, gerade bei Umweltbelangen vorher zu
überlegen, was eventuell passiert und was man dann tut.
Kann ich mich in diesem Sinne darauf verlassen, dass
die Bundesregierung nicht warten wird, bis die Chemikalie eingeleitet wird und das Problem die Bundesregierung betrifft, sondern sie den Prozess beobachten und,
falls sich Anzeichen ergeben, dass die Einleitung doch
geplant ist, zumindest verbal eingreifen wird?
Die Bundesregierung beobachtet alle Entwicklungen
im Zusammenhang mit diesem wichtigen Pipelineprojekt wachsam. Ich habe eben schon, obwohl Sie mich gar
nicht danach gefragt haben, gesagt, dass ich Ihre Skepsis
bezüglich der ursprünglich vorgesehenen Einleitung der
Chemikalie durchaus verstehe. Das ist nicht nur meine
persönliche Meinung, sondern auch die Meinung der
Bundesregierung. Gleichwohl halten wir es so, dass wir
erst dann Stellung beziehen, wenn es konkret um eine
solche Frage geht, aber nicht abstrakt alle möglichen
Dinge beantworten. Wir beobachten die gesamten Vorgänge wachsam und mit großem Interesse.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Hier steht der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 26 des Abgeordneten
Dr. Peter Geisen:
Wann und mit welchem Ergebnis ist für den Fall, dass sich
die Bundesregierung in Verhandlungen mit der polnischen
Regierung bezüglich der Pauschalierung der Sozialabgaben
für polnische Erntehelfer befindet, zu rechnen?
Herr Abgeordneter Geisen, die Forderung, dass die
deutschen Arbeitgeber für die polnischen Saisonkräfte,
die nach dem Gemeinschaftsrecht auch bei einer Tätigkeit in Deutschland weiterhin dem polnischen Recht unterliegen, lediglich Pauschalabgaben an die polnische
Sozialversicherung abführen sollten, ist, wie Sie wissen,
nicht neu. Dieses Thema wurde seit 2006 in den Gesprächen der Bundesregierung mit der polnischen Seite wiederholt angesprochen. Die polnische Seite hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass eine Pauschallösung zur
Abführung von Beiträgen an die polnische Sozialversicherung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich sei.
Herr Geisen, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Brandner, trotz der Schneeflocken von heute Morgen
stehen wir schon fast vor der Spargel- und Erdbeerernte.
Deswegen frage ich Sie: Erstens. Ist der Bundesregierung bekannt, dass aufgrund der politischen und bürokratischen Vorgaben nicht ausreichend Erntehelfer für
Sonderkulturen in der Nahrungsmittelproduktion im
Jahre 2007 zur Verfügung standen und dies auch 2008
der Fall sein wird, wenn sich nichts ändert? Zweitens.
Wäre nicht eine schnelle Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen Polen und Deutschland, zumindest aber eine Verlängerung der maximalen Beschäftigungsdauer für polnische Arbeitskräfte auf neun Monate
anzustreben? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun?
Herr Abgeordneter Geisen, zum Thema Freizügigkeit
wird die Bundesregierung angesichts der europäischen
Vereinbarung unter Betrachtung der gesamten Arbeitsmarktsituation im Frühjahr nächsten Jahres entscheiden.
Diese Entscheidungen sind noch nicht gefallen, wie Sie
wissen. Die Frage der Saisonarbeiter ist von der Bundesregierung sehr sensibel behandelt worden. Bekanntlich
sind die Kontingente in den Bereichen, in denen die Arbeitslosigkeit, insgesamt gesehen, niedrig ist, verändert
worden. Zurzeit gibt es Gespräche mit den Beitrittsländern Rumänien und insbesondere Bulgarien, um weitere
Kontingente zu ermöglichen.
Ich will in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass Deutschland zwischenzeitlich Durchreiseland für Saisonarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer gerade aus Polen geworden ist. Vermutlich kennen Sie die
Gründe dafür. Wir müssen daher auch im eigenen Land
unsere Aufgaben erledigen, damit, erstens, unsere Potenziale für Saisonarbeit genutzt werden und, zweitens, unsere sozialen und finanziellen Bedingungen für Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter aus Osteuropa attraktiv
genug sind.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es bilaterale Verhandlungen
mit Drittstaaten, um die Versorgung mit Erntehelfern in
Zukunft zu sichern?
Ich habe gerade darauf hingewiesen, dass wir mit der
bulgarischen Regierung im Gespräch sind, um zu klären,
inwiefern Kontingente angeworben werden können. Außerhalb des europäischen Bereichs, also der erweiterten
EU, sind keine Gespräche beabsichtigt.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Josef Winkler.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt,
dass der Abgeordnete Dr. Geisen heute seinen Geburtstag feiert, und wäre die Bundesregierung angesichts seiner bisherigen Lebensleistung bereit, ihm dazu zu gratulieren?
({0})
Es ist sehr aufmerksam von Ihnen, mich daran zu erinnern. Wir möchten dem Abgeordneten Geisen ganz
herzlich zum Geburtstag gratulieren. Herr Geisen, wir
wünschen Ihnen Gesundheit und viel Schaffenskraft,
auch als Interessenvertreter für Ihre Berufsbereiche.
Ganz persönlich alles Gute und ein gutes neues Lebensjahr, Ihnen, Dr. Geisen!
Herzlichen Dank, Kollege Winkler. Sie haben offensichtlich auch der FDP-Fraktion die Möglichkeit gegeben, den einen oder anderen Glückwunsch nachzuholen.
Es gibt eine weitere Nachfrage zur Frage des Kollegen Geisen, nämlich vom Kollegen Kolb. Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben bei der Beantwortung
der Frage des Kollegen Geisen gesagt: Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. - An wen haben Sie gedacht, als Sie das Wort „wir“ in den Mund genommen
haben? Falls Sie an die Bundesregierung gedacht haben:
Wann gedenken Sie, mit der Bearbeitung Ihrer Hausaufgaben zu beginnen?
Herr Abgeordneter Kolb, Sie wissen, dass die Bundesregierung unermüdlich arbeitet. Sie wissen auch, dass
ich natürlich an Arbeitsbedingungen gedacht habe, deren
Erfüllung in den Händen der Tarifvertragsparteien liegt.
Es geht sowohl um deren Möglichkeiten der Eigenregelung im Rahmen der Tarifautonomie als auch um deren
Möglichkeiten, bei Vorliegen der Voraussetzungen Mindestnormen zu schaffen, die Deutschland für Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter attraktiv erscheinen lassen.
Damit kommen wir zur Frage 27 des Kollegen
Dr. Edmund Geisen:
Ist nach Einschätzung der Bundesregierung die Bereitschaft der neuen polnischen Regierung größer, eine unbürokratische und für beide Seiten zufriedenstellende Lösung bezüglich der Sozialabgaben zu finden, und, wenn ja, woran
macht sich das bemerkbar?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Dr. Geisen, die verfassungsrechtliche Situation
in Polen hat sich - ich habe schon bei der Beantwortung
der vorherigen Frage darauf hingewiesen - nicht geändert. Es gibt auch keine Anzeichen, dass die neue polnische Regierung das Sozialversicherungsrecht in diesem
Punkt ändern wird.
Gibt es dazu Nachfragen? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Frage 28 des Kollegen Dr. Ilja
Seifert:
Inwieweit unterstützt die Bundesregierung die in einer
Pressemitteilung ({0}) erhobenen
Forderungen der Beauftragten der Bundesregierung für die
Belange behinderter Menschen, Karin Evers-Meyer, und des
Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für das Recht
auf Bildung, Vernor Muñoz, auf eine Schule für alle, also Inklusion statt Integration, sowie die Verwendung des Begriffs
„Inklusion“ - statt „Integration“ - in der offiziellen deutschen
Übersetzung der UN-Konvention über die Rechte behinderter
Menschen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Dr. Seifert, die Bundesregierung weist darauf
hin, dass Fragen der schulischen Bildung in der Kompetenz der Bundesländer liegen. Gleichwohl ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung die
Akzeptanz von Behinderung in der Gesellschaft fördert
und damit ein wesentlicher Baustein für mehr Integration von behinderten Menschen ist. Insoweit wird der
Ratifizierungsprozess des Übereinkommens über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen die Diskussion in Deutschland befruchten.
Die Bundesregierung sieht weiterhin keinen Anlass,
die Übersetzung des Übereinkommens über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen zu ändern. Die Übersetzung wurde mit den Verbänden behinderter Menschen
diskutiert und mit den Bundesländern und den anderen
deutschsprachigen Ländern verbindlich abgestimmt.
Aus der genannten Pressemitteilung ergeben sich für die
Übersetzung keine neuen Erkenntnisse.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Muss ich daraus schlussfolgern, Herr Staatssekretär,
dass die Beauftragte der Bundesregierung für die BeDr. Ilja Seifert
lange behinderter Menschen in ihrer Presseerklärung
nicht für die Bundesregierung spricht, und muss ich weiterhin daraus schlussfolgern, dass das Wissen, dass Inklusion etwas anderes ist als Integration, von der Bundesregierung nach wie vor ignoriert wird?
Nein, das sehen wir nicht so, Herr Abgeordneter
Seifert. Die Übersetzung von „inclusive education“
wurde mit den Verbänden behinderter Menschen diskutiert und mit den Bundesländern und den anderen
deutschsprachigen Ländern abgestimmt. Sie können davon ausgehen, dass eine Wiederaufnahme des Abstimmungsverfahrens eine Ratifizierung des Abkommens auf
unabsehbare Zeit verzögern würde. Das ist aus unserer
Sicht insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass sich
die Bundesländer ausdrücklich für die Übersetzung „integrative Bildung“ ausgesprochen haben, nicht sinnvoll.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es tut mir leid, dass ich meiner
zweiten Nachfrage eine kleine Bemerkung vorausschicken muss. Sie haben jetzt zweimal behauptet, die Übersetzung sei mit den Verbänden behinderter Menschen
abgestimmt. Ich weiß aus Erfahrung, dass das nicht
stimmt. Ein einziges Mal wurden im Sommer vergangenen Jahres zwei Personen zu einer der Beratungen hinzugezogen. Alle Behindertenverbände haben sich eindeutig gegen die Verwendung des Begriffs Integration
ausgesprochen, weil Inklusion etwas anderes ist. Das hat
erst kürzlich wieder die Bundesarbeitsgemeinschaft
Selbsthilfe beim Parlamentarischen Abend sehr deutlich
gesagt.
Ich komme zu meiner Frage. Niemand will eine Verzögerung der Ratifizierung. Dennoch frage ich: Ist es
denn nicht ein gewaltiger Unterschied, ob ich davon ausgehe, dass Menschen mit Behinderung Bestandteil der
Gesellschaft, also gar nicht integriert werden müssen,
sondern nur gemeinsam mit den anderen schulisch gebildet werden müssen, oder ob ich davon ausgehe, dass sie
irgendwo draußen stehen und ich sie erst einmal hereinholen muss?
Herr Abgeordneter Dr. Seifert, zum einen möchte ich
feststellen: Ich habe nicht gesagt - das Protokoll wird
das ausweisen -, mit den Verbänden sei eine einvernehmliche Regelung erzielt worden, sondern ich habe
gesagt, die Regelung sei mit den Verbänden diskutiert
worden.
Zweitens habe ich deutlich gemacht, dass wir, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Bundesländer für die Übersetzung „integrative Bildung“ ausgesprochen haben, Interesse an Integration haben und die
Differenzierung zwischen Integration und Inklusion
schon sehen. Es handelt sich hier um einen Prozess. Wir
glauben, dass wir auf einem guten Weg sind, zumal das
internationale Abkommen auch mit den anderen deutschsprachigen Ländern abgestimmt worden ist. Im Übrigen
werden bei der Ratifizierung des Abkommens im Deutschen Bundestag die verschiedenen sprachlichen Fassungen vorliegen. Die englische und die französischen Fassung des Abkommens werden Bestandteil des Gesetzes
sein, sodass hier der Sinn wiedergegeben wird, den Sie
aus meiner Sicht mit Ihrer Frage ansprechen.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Kurth.
Sehr geehrter Herr Brandner, der englische Text ist
von der deutschen Delegation verhandelt worden, die
damals zusammen mit dem damaligen Beauftragten der
Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen,
Karl Hermann Haack, von der rot-grünen Koalition entsandt worden ist. Mit den an diesem Verhandlungsprozess Beteiligten habe ich noch einmal gesprochen. Angesichts der Tatsache, dass es im Englischen auch das
Wort „integration“ gibt, wurde bei den Verhandlungen in
New York einhellig bestätigt, dass bewusst der Ausdruck
„inclusion“ - Inklusion - gewählt worden ist.
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass
die damals von ihr beauftragte Delegation diesen Begriff
gewählt hat? Wie begründet sie demgegenüber jetzt die
andere Übersetzung?
Ich habe darauf hingewiesen, dass die Übersetzung
mit den deutschsprachigen Nachbarländern abgesprochen ist. Wir wollten und mussten zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Dem Deutschen Bundestag wird
die Fassung zur Abstimmung vorliegen, die mit den drei
Nachbarländern Österreich, der Schweiz und Liechtenstein abgestimmt worden ist.
Aus unserer Sicht kommt es im Endeffekt darauf an,
dass man sich in einem dynamischen Prozess bewegt.
Die entsprechenden Fassungen in Englisch und Französisch werden letztlich Bestandteile des Ratifizierungsgesetzes sein, das dem Deutschen Bundestag vorgelegt
wird.
Wir kommen damit zur Frage 29 des Kollegen
Markus Kurth:
Wie bewertet die Bundesregierung die Handlungsempfehlung der Bundesagentur für Arbeit mit dem Titel „Diagnose
der Arbeitsfähigkeit besonders betroffener behinderter Menschen nach § 33 Abs. 4 SGB IX“?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Kurth, die Bundesregierung begrüßt die vorgesehene Maßnahme der Bundesagentur für
Arbeit. Der Titel der Maßnahme lautet richtig: „Diagnose der Arbeitsmarktfähigkeit besonders betroffener
behinderter Menschen nach § 33 Abs. 4 SGB IX“. Es
geht um die Fragestellung, ob ein behinderter Mensch
am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt teilnehmen kann oder zur Teilhabe auf eine Werkstatt für
behinderte Menschen angewiesen ist.
Leistungen und Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, zu denen auch
die in § 33 aufgezählten Leistungen wie Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung und Weiterbildung sowie berufliche Ausbildung gehören, sind gegenüber der Teilnahme am Arbeitsleben in Werkstätten für behinderte
Menschen vorrangig. Das kommt insbesondere in § 136
SGB IX zum Ausdruck. Dort werden Werkstätten als
Einrichtungen für diejenigen behinderten Menschen definiert, die wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung
nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt
werden können.
Im Rahmen der Berufsorientierung und der Berufsberatung haben die Agenturen für Arbeit zu prüfen, ob die
behinderten Menschen, die vor ihrer berufliche Ersteingliederung stehen - in der Regel also Schulabgänger -,
für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt geeignet sind. Erst wenn die
Eignung hierfür fehlt, kommt eine Eingliederung in eine
Werkstatt für behinderte Menschen infrage.
Insbesondere vonseiten der Länder, die Kostenträger
für die Leistungen im Arbeitsbereich der Werkstätten im
Anschluss an die von der Bundesagentur geförderte berufliche Bildung im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich sind, wird der Bundesagentur vorgeworfen, sie gliedere behinderte Menschen vorschnell in die
Werkstatt für behinderte Menschen ein. Diese Kritik
greift die Bundesagentur jetzt auf. Das Verfahren zur
Eignungsfeststellung wird transparenter. Damit wird das
Verfahren zur Aufnahme in die Werkstatt weiter objektiviert. Den Fachausschüssen stehen nun bei den Stellungnahmen zur Werkstattaufnahme weitere Informationen
und damit zusätzliche Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Auch unsere Fraktion begrüßt es,
dass Eingangsverfahren bei Werkstätten für Menschen
mit Behinderungen ergebnisoffen durchgeführt werden.
Aber ist die Bundesregierung der Ansicht, dass eine
Ausschreibung in dieser Form das geeignete Mittel ist,
um die Anbieter herauszufinden, und liegen bereits Erkenntnisse vor, welche Anbieter das sein könnten?
Herr Abgeordneter Kurth, es liegen keine Erkenntnisse vor, welche Anbieter das sein könnten.
Sie kennen die wettbewerbsrechtlich zu beachtenden
gesetzlichen Grundlagen, wann Maßnahmen ausgeschrieben werden müssen und wann nicht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Maßnahmen in der
Regel ausgeschrieben werden müssen, wenn es sich um
Sachverhalte aus dem Bereich des Arbeitsmarktes handelt, bei denen Vergleichsmöglichkeiten bestehen. Unter
diesem Gesichtspunkt ist das jetzt gewählte Verfahren
aus Sicht der Bundesregierung nicht zu beanstanden.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich frage das, weil wir ja im Bereich der beruflichen
Bildung schon gewisse Erfahrungen mit Ausschreibungen gemacht haben.
Ich würde jetzt noch gerne wissen, ob der zeitliche
Rahmen, der in dieser Weisung vorgesehen ist - die Bestellungen sollen die Agenturen bis zum 12. März aufgeben; dann muss sofort das Ausschreibungs- und Zuschlagsverfahren folgen, da am 1. Juli der Beginn der
ersten Maßnahmen vorgesehen ist -, nach Auffassung
der Bundesregierung geeignet ist, um ein qualitativ anspruchsvolles Verfahren und eine gute Anbieterauswahl
sicherzustellen.
Die Verantwortung für das Verfahren hat die Bundesagentur für Arbeit übernommen. Es gibt zurzeit aus
Sicht der Bundesregierung keine Gründe, etwas an dem
ohne Frage ambitionierten Zeitrahmen zu ändern, und
keine Erkenntnisse, dass auf diese Weise die Qualität
nicht gesichert werden könnte.
Wir kommen damit zur Frage 30 des Kollegen
Markus Kurth:
Wie soll sichergestellt werden, wenn - wie zu erwarten
ist - weniger Menschen in den Berufsbildungsbereich der
Werkstätten einmünden, dass ebendiesen Menschen auch
langfristig eine entsprechende Unterstützung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zukommt, und hat die Bundesregierung
Kenntnisse darüber, ob die Bundesagentur für Arbeit den zu
erwartenden Mehrbedarf auch langfristig in ihren Eingliederungstitel eingeplant hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Markus Kurth, die Bundesregierung erarbeitet derzeit einen neuen Fördertatbestand
„Unterstützte Beschäftigung“, der den in der Frage genannten behinderten Menschen eine Perspektive bietet.
Dazu ist selbstverständlich auch der Finanzrahmen mittel- und langfristig zu beachten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Wenn, wie jetzt beim Eingangsverfahren vorgesehen,
der Beginn der ersten Maßnahmen am 1. Juli sein soll,
müssten die ersten Personen, die durch dieses Eingangsverfahren gehen, etwa zum 1. Oktober in den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln und zusätzlich gefördert
werden. Ist denn zu erwarten, dass der neue Fördertatbestand „Unterstützte Beschäftigung“ bis zum 1. Oktober
dieses Jahres Gesetzeskraft erlangt, und ist er auch schon
etatisiert?
Der Bundesagentur für Arbeit stehen im Eingliederungstitel ihres Haushalts, der, wie Sie wissen, in der
Vergangenheit häufig in keiner Weise ausgeschöpft worden ist, ausreichend Mittel zur Verfügung. Darüber hinaus hängt die Implementierung eines neuen Instruments
natürlich auch davon ab, wie schnell wir in diesem
Hause zu einer gesetzlichen Regelung kommen.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie können also keinen ganz konkreten Termin nennen, zu dem der Fördertatbestand „Unterstützte Beschäftigung“ Gesetzeskraft erlangt. Das heißt, die Personen,
die jetzt durch dieses Verfahren laufen, müssen sich,
ohne zu wissen, wie es nachher ausgeht, darauf verlassen, dass es die Bundesregierung schon schaffen wird.
Herr Abgeordneter Kurth, das Ministerium und die
Bundesagentur in ihrem Bereich arbeiten daran, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, damit dieses aus unserer Sicht sinnvolle Instrument schnellstmöglich umgesetzt werden kann.
Wir kommen damit zur Frage 31 des Kollegen
Dr. Kolb:
Sieht die Bundesregierung in der Umsetzung der vom
Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, in der
Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am
20. Februar 2008 angekündigten Möglichkeit einer Verlängerung der SGB-II-Trägerschaft der Optionskommunen über
den vorgesehenen Zeitraum von sechs Jahren hinaus ein Problem hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und
dem Konnexitätsprinzip?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Kolb, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007 zur verfassungsrechtlichen Zuständigkeit für die Trägerschaft und
Aufgabenwahrnehmung bei der Grundsicherung für
Arbeitssuchende hat keine Auswirkungen auf die zugelassene kommunale Trägerschaft. Die zugelassene kommunale Trägerschaft, die auf der gesetzlichen Experimentierklausel beruht, wird evaluiert. Darüber wird das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales den gesetzgebenden Körperschaften bis Ende 2008 berichten. Für
den Fall, dass es nicht zu einer gemeinsamen Bewertung
und Schlussfolgerung kommt, sieht der Koalitionsvertrag vor, die zugelassene kommunale Trägerschaft bis
Ende 2013 zu verlängern. Die Einzelheiten der rechtlichen Umsetzung dieser Verabredung werden, sofern dies
erforderlich wird, zu gegebener Zeit geklärt. In diesem
Zusammenhang wird auch die Frage zu prüfen sein, ob
und wie die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag auf
der Grundlage des mittlerweise geltenden Verfassungsrechts umgesetzt werden kann.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, es ist Ihnen sicherlich nicht verborgen geblieben,
dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in
den Optionskommunen erhebliche Unruhe entstanden
ist, was die künftige Möglichkeit der Trägerschaft anbelangt. Sie haben bei der Beantwortung meiner Frage eingeräumt, dass es zu einer Verlängerung kommen wird.
Können und dürfen die kommunalen Träger davon ausgehen, dass die Rahmenbedingungen für ihre Arbeit
- auch die finanziellen Rahmenbedingungen - im Verlängerungszeitraum unverändert bleiben, oder gibt es
aus Sicht der Bundesregierung eine Notwendigkeit, den
Handlungsrahmen der Kommunen einzuschränken?
Es ist nicht beabsichtigt, etwas an der gesetzlichen
Grundlage für die Bildung von Optionskommunen zu
ändern. Die politische Verabredung ist von mir deutlich
dargestellt worden: Bis 2010 sollen die Optionskommunen mit der gleichen Rechtsausstattung wie die getrennten Körperschaften und die Arbeitsgemeinschaften ihre
Aufgaben in der jetzigen Form wahrnehmen können.
Die Frage ist: Was passiert nach 2010, wenn es nicht zu
einer neuen politischen Vereinbarung kommt? Auch
diese Frage ist klar beantwortet worden. In diesem Fall
ist es die politische Absicht, das Programm in unveränderter Form bis 2013 fortzuführen. Es ist in jedem Fall
nicht daran gedacht, bei der Rechtsetzung zwischen den
Jobcentern und den Arbeitsgemeinschaften, bei denen
SGB -II-Leistungen in getrennter Aufgabenwahrnehmung erbracht werden, und den Optionskommunen zu
differenzieren.
Eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sprechen von der Fortführung
zugelassener Trägerschaften. Ist der Umkehrschluss
richtig, dass es über den Kreis der derzeit bestehenden
69 Optionskommunen hinaus ohne eine Änderung des
Grundgesetzes keine weiteren kommunalen Trägerschaften geben kann?
Das sehen wir so. Die jetzige Grundlage sieht vor,
dass die 69 Kommunen, die die Option gewählt haben,
in Abgrenzung zu anderen Formen der Aufgabenwahrnehmung ein Experiment durchführen. Wenn dies dauerhaft fortgeführt werden soll, muss eine rechtliche Grundlage dafür geschaffen werden.
Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Dr. Kolb.
Soll nach den Planungen vom Bundesminister für Arbeit
und Soziales, Olaf Scholz, die Zulassung der Optionskommunen befristet oder unbefristet verlängert werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Dr. Kolb, der Koalitionsvertrag sieht im Fall der
Nichteinigung nach Abschluss der Evaluation die Verlängerung der zugelassenen kommunalen Trägerschaft
bis zum 31. Dezember 2013 vor. Die Bundesregierung
wird die Umsetzung dieser Vereinbarung der Koalitionspartner auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts prüfen, wenn der dort beschriebene Fall eintritt. In
diesem Zusammenhang möchte ich auch auf meine Antwort verweisen, die ich Ihnen gerade gegeben habe.
Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wäre denn nach der derzeitigen
Rechtslage auch eine unbefristete Verlängerung der Option möglich?
Das sieht die Bundesregierung nicht so. Wir befinden
uns ja in einem Experimentierfeld. Es ist fixiert, wann
das Experiment abgeschlossen sein soll, um vergleichbare Werte für endgültige Rahmensetzungen zu erhalten.
Herr Staatssekretär, nun haben die Optionskommunen
konkrete Investitionen in Angriff genommen, um die
Durchführung der Trägerschaft bestmöglich gewährleisten zu können. Das gilt zum Beispiel für den Landkreis
Darmstadt-Dieburg, aus dem ich komme, wo es im
Moment ein entsprechendes Bauvorhaben gibt. Ist denn
zumindest denkbar, dass es für die betroffenen Kommunen eine weitere, über 2013 hinaus befristete Verlängerung geben kann?
Herr Abgeordneter Kolb, das ist den dann verantwortlichen politischen Mehrheiten in diesem Hause zu überlassen und kann aus Sicht der Bundesregierung heute
noch nicht entschieden werden.
Die Frage 33 des Kollegen Rohde wird schriftlich beantwortet. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 der Kollegin Miriam Gruß auf:
Für welchen Zeitraum der Betreuung durch die Eltern soll
das Betreuungsgeld gezahlt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Gruß, ich muss Ihnen sagen, dass ich
die vielen Fragen, die Sie sicher gleich noch stellen werden, nicht werde beantworten können, weil es noch nicht
so weit ist. Das, was ich dazu sagen kann, werde ich Ihnen mitteilen.
In der letzten Woche haben sich das BMFSFJ und das
BMF über eine Gesetzesformulierung zum Thema Betreuungsgeld geeinigt. Danach soll in einem neuen § 16
Abs. 4 des SGB VIII geregelt werden, dass ab 2013 für
diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren
nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung, zum Beispiel ein Betreuungsgeld, eingeführt werden soll. Durch die Einführung
einer solchen Regelung in § 16 SGB VIII, der die allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie zum Gegenstand hat, bringt die Bundesregierung zum Ausdruck,
neben dem Ausbau der Kindertagesbetreuung auch die
herausragende Leistung der Eltern bei der Erziehung der
Kinder würdigen zu wollen.
Die konkrete Ausgestaltung soll bis zum Jahre 2013
geklärt werden. Der Gesetzgeber ist dabei in seiner Entscheidung frei. Fragen zur inhaltlichen Ausgestaltung
der monatlichen Zahlung können daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Dies muss in
der Zukunft geklärt werden. Hierbei ist der Gesetzgeber
- wie auch immer er sich dann zusammensetzt - ausdrücklich frei.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank. - Mir liegen natürlich viele Fragen
auf der Seele. Die Fragestunde dauert zwar nur noch
zwei Minuten; trotzdem will ich einen Versuch starten,
vielleicht doch noch etwas von Ihnen zu erfahren. Mich
würde vor allem interessieren, wie sich dies zum einen
auf die Tatsache auswirken würde, dass einige Länder
ein Landeserziehungsgeld auszahlen. Zum Zweiten ist
sicherlich schon darüber gesprochen worden, ob alle Familien dieses Betreuungsgeld bekommen sollen und ob
es als Pauschbetrag oder einkommensabhängig ausgezahlt werden soll. Ich meine, dass es in der VergangenMiriam Gruß
heit zu vage und zu viele Diskussionen gab, als dass die
Bundesregierung jetzt darauf verweisen könnte: Wir sagen dies alles erst 2013. - Es waren schon viele Aspekte
in der Diskussion. Ihre Formulierung bringt mich zu den
Nachfragen, die durchaus notwendig sind.
Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.
Sie müssten jetzt einfach Ihre Frage formulieren.
Die habe ich schon zu Beginn meines Statements formuliert: Wie wirkt sich die Einführung eines Betreuungsgeldes in den Ländern aus, die beispielsweise Landeserziehungsgeld zahlen? Wird es angerechnet? Soll
das Betreuungsgeld als Pauschbetrag oder einkommensabhängig ausgezahlt werden, und soll es an alle Familien
ausgezahlt werden?
Frau Kollegin, die Dinge sind so weit geregelt, wie
ich es eingangs gesagt habe, und darüber hinaus nicht.
Das ist Aufgabe des künftigen Gesetzgebers. Das soll im
Jahre 2013 erfolgen.
Auch wenn die Fragestunde nicht, wie Sie vermuteten, nur noch 2 Minuten dauert, sondern exakt 22 Minuten und 43 Sekunden, mache ich darauf aufmerksam,
dass in der Fragestunde Fragen zu formulieren sind. Die
Fragen der anderen Kolleginnen und Kollegen sollen
schließlich auch noch aufgerufen werden können. - Sie
haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Ich habe die Frage an den Beginn meiner Wortmeldung gestellt. - Jetzt meine Nachfrage: Sie sagten, dass
etwas ausgezahlt wird, zum Beispiel ein Betreuungsgeld.
Welche anderen Dinge, von denen wir vielleicht noch
nichts wissen, sind denn noch im Gespräch?
Seitens der Bundesregierung sind keine weiteren
Dinge im Gespräch. Sie wissen aber, dass im politischen
Raum das Betreuungsgeld in allen möglichen Varianten
diskutiert wird. Es wird über unterschiedliche Möglichkeiten der Förderung von Kindern und Familien diskutiert, insbesondere über Möglichkeiten zur Förderung
derjenigen, die sich in besonderer Weise um die Betreuung von Kindern in der Familie kümmern. Das ist eine
allgemeine politische Debatte, die in den Bundesländern
und in einigen anderen europäischen Ländern geführt
wird. Dort gibt es entsprechende Erfahrungen. All dies
muss ausgewertet werden, wenn sich der Gesetzgeber in
der nächsten Legislaturperiode an eine Konkretisierung
macht.
Damit kommen wir zur Frage 35 der Kollegin Gruß:
Wie wird sich die Einführung eines Betreuungsgeldes voraussichtlich in denjenigen Bundesländern auswirken, in denen ein Betreuungsgeld oder Landeserziehungsgeld gewährt
wird, das heißt, wird das Betreuungsgeld auf Bundesebene
mit Zahlungen der Länder verrechnet, oder wird es Einsparungen auf Landesebene zur Folge haben?
Wenn Sie das, was ich auf die Frage 34 eben geantwortet habe, zugrunde legen, werden Sie verstehen, dass
ich auch in diesem Zusammenhang nur sagen kann, dass
sich das nicht beantworten lässt und es dazu keine speziellen Aussagen gibt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank! Ich habe nicht mitbekommen, dass
wir zeitmäßig noch etwas Luft haben. Deswegen habe
ich vorhin eine komprimierte Frage gestellt.
Ich habe eine Nachfrage: Wie ist der Stand der Diskussion in der Bundesregierung bezüglich der Bildungsund Betreuungsgutscheine, die in der Öffentlichkeit immer wieder angesprochen wurden?
Ich kann nur wiederholen, was ich eben schon gesagt
habe: Das ist eine allgemeine politische Diskussion.
Diese Diskussion wird gegenwärtig nicht innerhalb der
Bundesregierung geführt. Diese Diskussion geht nicht
über das hinaus, was im vorliegenden Gesetzentwurf zur
Änderung des SGB VIII steht.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Danke.
Die Kollegin Lenke hat eine Nachfrage zur Frage 35. Bitte.
Herr Staatssekretär, so einfach ändert man nicht das
SGB VIII. Es wundert mich sehr, dass Sie in das
SGB VIII eine politische Aussage hineinschreiben wollen, ohne genau zu wissen, wie das Betreuungsgeld
ausgestaltet wird: Soll es monatlich ausgezahlt werden?
Soll es einkommensabhängig gezahlt werden? Ich nenne
das einen Kuhhandel. Meine Frage lautet: Wie bewertet
die Bundesregierung diesen Kuhhandel?
Ihre Frage kann ich beantworten: Das ist kein Kuhhandel. Die Koalitionsparteien haben sich auf eine Formulierung verständigt, mit der sie zum Ausdruck bringen, dass sie die Leistung derjenigen Mütter und Väter,
die ihre Kinder unter drei Jahren zu Hause betreuen wollen, anerkennen wollen. Wie das im Einzelnen ausgestaltet wird, ist eine Frage, die den weiteren Beratungen vorbehalten bleibt. Diese Beratungen werden sicherlich in
der nächsten Legislaturperiode erfolgen.
({0})
Damit kommen wir zur Frage 36 der Kollegin Sibylle
Laurischk:
Wie hoch soll das monatliche Betreuungsgeld gemäß der
Absprache zwischen der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesminister der Finanzen sein?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Wenn Sie das zugrunde legen, was ich eben geantwortet habe, nämlich, dass ausschließlich die Formulierung in das Gesetz aufgenommen wird, dann wird es Sie
nicht verwundern, dass ich auf meine Antwort auf
Frage 34 verweise. In dieser Antwort habe ich den Sachstand erläutert.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Meine Kollegin Ina Lenke hat eine Nachfrage.
Sie verzichten auf Ihre Nachfragen zu dieser Frage? Frau Kollegin Lenke, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf
Frage 34 das Ausland angesprochen. Ist Ihnen die Sachlage in Norwegen bekannt? Wie bewerten Sie die Sachlage in Norwegen? In Norwegen ist einige Jahre lang ein
Betreuungsgeld gezahlt worden, weil zu wenige Krippenplätze vorhanden waren. Sie wollen ein Betreuungsgeld zahlen, wenn ausreichend Krippenplätze vorhanden
sind.
In Norwegen ist festgestellt worden, dass bei der nicht
Norwegisch sprechenden Bevölkerung, dass heißt bei
Migranten, die Eltern lieber das Geld genommen haben,
wahrscheinlich um den Familienetat aufzupeppen. Das
ist zwar nachvollziehbar, aber gerade die Kinder unter
drei Jahren, die in Norwegen ohne norwegische Sprachkenntnisse aufwachsen, haben aufgrund dieses Anreizes
- mehr Geld für die Familien - nicht die Möglichkeit bekommen, Sprachkenntnisse zu erwerben und zusammen
mit norwegischen Kindern ihr Leben zu gestalten. Meine
Frage lautet: Wie bewerten Sie die Entwicklungen, die in
Norwegen stattgefunden haben?
({0})
Liebe Frau Kollegin Lenke, wir werden dann, wenn
es so weit ist, dass die Formulierung, die im Gesetz
steht, in konkrete Regelungen umgesetzt wird, die Erfahrungen anderer Länder - das habe ich eben bereits gesagt auswerten. Wir werden sicherlich auch die Erfahrungen
auswerten, die in einzelnen Bundesländern gemacht
wurden.
({0})
Dann werden daraus die Konsequenzen gezogen.
Sie und Ihre Kolleginnen haben fünf ähnlich lautende
Fragen gestellt. Deswegen wird es Sie nicht überraschen,
dass ich darauf ähnlich antworte; anders geht es nun einmal nicht. Sie haben ähnliche Fragen gestellt, die Antworten müssen dann auch ähnlich sein. Wir werden,
wenn es so weit ist, auch die Erfahrungen in Norwegen
auswerten. In der politischen Diskussion gibt es natürlich auch Einschätzungen; aber darum geht es ja nicht
bei Ihrer Frage.
({1})
Es ist richtig, dass wir bei diesem Themenkomplex
bleiben.
Ich rufe die Frage 37 der Kollegin Sibylle Laurischk
auf:
Sollen alle Familien das Betreuungsgeld erhalten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich bitte Sie um Verständnis - Sie haben eben gehört,
wie ich auf die anderen Fragen geantwortet habe -, dass
ich auch hier logischerweise nur antworten kann, dass
dies zu gegebener Zeit geklärt wird. Ich verweise auf die
Antwort auf Frage 34.
Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. - Sie
verzichten. Aber die Kollegin Lenke hat noch eine
Nachfrage.
Vorab, Herr Staatssekretär: Ich weise zurück, dass ich
Ihnen nur aus politischen Gründen Fragen stellen würde.
({0})
Nicht nur die FDP-Bundestagsfraktion wundert sich
über diesen Kuhhandel, sondern natürlich auch Journalisten und Journalistinnen; sie können damit überhaupt
nichts anfangen.
({1})
Meine Frage lautet: Wie kann das Familienministerium es verantworten, das Sozialgesetzbuch VIII zu ändern, wenn noch nicht einmal Unterlagen über das Volumen und darüber, wie das Ganze durchgeführt werden
soll, vorliegen? Dann soll es erst 2013 stattfinden. Wie
bewerten Sie das?
Frau Kollegin Lenke, ich habe nicht gesagt, dass Sie
politische Fragen stellen. Das ist ja völlig in Ordnung;
wir sind ja in einem Parlament. Ich habe gesagt, dass
über bestimmte Themen in der Politik, in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Das ist ganz
normal, wenn etwas gesetzlich geregelt werden soll.
Wenn Sie sich mit dem SGB VIII näher beschäftigten
- das tun Sie; Sie kennen sich dort aus -, dann wissen
Sie, dass dort etwa die Frage der Frühförderung von
Kindern geregelt wird und dass es Absprachen zwischen
Bund und Ländern gibt. Das heißt, der überwiegende
Teil des SGB VIII beschäftigt sich mit anderen zentralen
Fragestellungen. Wir sagen: Es genügt nicht, lediglich
ein Platzangebot zu schaffen, sondern man muss auch zu
einer exzellenten Förderung von Kindern und Jugendlichen kommen. Das ist für mich der Hauptgegenstand
dieses Gesetzes. Das andere ist darin aufgenommen,
weil man damit zeigt, wohin man im Anschluss daran,
wenn das eine umgesetzt ist, will und worüber man reden will.
Wir sind ja praktisch voll bei der Umsetzung. Sie kennen die Situation in den Ländern und auch in den Kommunen: Vieles, was wir auf Bundesebene längst auf den
Weg gebracht haben, muss jetzt noch in den Ländern
und Kommunen umgesetzt werden. Deswegen warten
sie auf die Änderung des SGB VIII, und deswegen ist es
so wichtig, dass sie kommt. Nicht jeder einzelne Passus
ist wichtig, auch nicht der Passus, über den wir gerade
diskutieren. Die anderen Punkte sind im Hinblick auf
das, was jetzt umgesetzt werden soll, viel wichtiger.
Über diese werden wir zu gegebener Zeit diskutieren.
Ich glaube auch, dass es völlig normal ist, dass man
sich nicht im Jahre 2008 bis in alle Einzelheiten mit etwas beschäftigt, das man zum Jahre 2013 angehen will.
Ich finde, es müssen Schwerpunkte gesetzt werden. Wenn Sie immer Ähnliches fragen, bitte ich um Verständnis dafür, dass ich immer ähnlich antworte.
Damit kommen wir zur Frage 38 der Kollegin Ina
Lenke:
Soll das Betreuungsgeld einkommensabhängig oder als
monatlicher Pauschalbetrag gezahlt werden?
Auch das ist, wenn ich das so sagen darf, keine völlig
neue Fragestellung.
({0})
Ich habe bereits auf unterschiedliche Art und Weise versucht, auf diese Frage zu antworten. Ich könnte es zwar
noch einmal versuchen, aber ich verweise auf meine
Antwort auf die Frage 34 der Kollegin Gruß. Ich bin gespannt, welche Zusatzfragen Sie jetzt stellen.
Sie haben die Möglichkeit, zwei Nachfragen zu stellen. - Bitte.
Das ist ja toll. - Herr Staatssekretär, klären Sie mich
doch einmal auf, warum Sie in den §§ 74 und
75 SGB VIII bzw. im KJHG Abstand davon genommen
haben, privatgewerbliche Träger, Elternvereine usw. und
kommunale Träger künftig gleich zu behandeln.
Damit wir uns nicht missverstehen, füge ich hinzu:
Heutzutage ist es so, dass kommunale Kitas zu 70 bis
80 Prozent aus Steuermitteln gefördert werden. Werden
die Plätze einer privaten Krippe benötigt, werden diese
aber nicht in den Kindertagesstättenbedarfsplan des
Landkreises aufgenommen. Ihr Angebot ist gut, aber die
staatlichen Subventionen haben ein sehr ungleiches Ausmaß.
Nach meiner Kenntnis sehen Ihre Änderungsvorschläge keine Gleichberechtigung der Träger vor. Würden Sie mich bitte aufklären, ob eine solche Gleichberechtigung der Träger in Ihren Änderungsvorschlägen
enthalten ist, und wenn nicht, warum nicht?
Frau Lenke, wie Sie wissen, stimmen wir den Gesetzentwurf gegenwärtig miteinander ab. An diesem Prozess
sind die Bundesressorts, aber auch die Länder beteiligt.
Danach wird er im Kabinett beraten. Erst dann wird man
abschließend sagen können, welche Regelungen aufgenommen werden. Gegenwärtig befinden wir uns noch im
Abstimmungsverfahren. Nachdem sich das Kabinett mit
dem Gesetzentwurf auseinandergesetzt hat, wird er, wie
jeder andere Gesetzentwurf auch, im Parlament ordentlich beraten. Dann werden wir auch diese Frage aufgreifen.
Wie Sie wissen, sind wir ausdrücklich dafür, dass
auch freigewerbliche Träger mit einbezogen werden.
Denn wir glauben, dass die Kommunen den bestehenden
Bedarf sonst nicht decken können. Sie wissen auch, dass
die Bundesfamilienministerin ein Programm zur betrieblichen Kinderbetreuung auf den Weg gebracht hat. Wir
müssen alle Möglichkeiten berücksichtigen, um das Ziel,
das wir uns gesetzt haben, tatsächlich zu erreichen.
Ich schlage vor, dass wir über Einzelheiten des Gesetzentwurfes dann, wenn es so weit ist, auch im Ausschuss intensiv diskutieren. Im Übrigen werden wir, falls
das Parlament diesen Beschluss fasst - das zeichnet sich
ab -, zu diesem Thema auch eine Anhörung durchführen.
Sie können noch eine Nachfrage stellen.
Ich habe noch eine ganz kurze Frage. Herr Staatssekretär, wenn das so ist, kann ich dann davon ausgehen,
dass die Gleichbehandlung von kommunalen Kitas, Elternvereinen und privatgewerblichen Initiativen sozusagen auf Wunsch des Bundesfamilienministeriums in den
Änderungen des SGB VIII berücksichtigt wird?
Davon können Sie zunächst einmal nicht ausgehen.
Ich habe deutlich gemacht, welche Vorstellungen wir haben. Ich weise aber ausdrücklich auch darauf hin, dass
natürlich bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllt werden müssen.
({0})
Ich glaube, hier sind wir uns völlig einig.
({1})
Vor diesem Hintergrund sollten wir darüber diskutieren,
wie wir das im Einzelnen handhaben. Sie können aber
davon ausgehen, dass wir im Hinblick auf die gewerblichen Anbieter eine Öffnungsklausel vorsehen werden;
darüber haben wir uns im Ausschuss bereits unterhalten.
Wir kommen damit zur Frage 39 des Kollegen Josef
Philip Winkler:
Warum hat man das Christival nicht direkt und nur über
Umwege gefördert, und welche Träger haben hierfür welche
Summen erhalten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Über das Christival haben wir schon einmal intensiv
diskutiert; das war damals ein Frage-und-Antwort-Spiel.
Antragsteller für die Durchführung der Großveranstaltung Christival 2008 ist die Arbeitsgemeinschaft der
Evangelischen Jugend in Deutschland e. V., die AEJ.
Die AEJ ist die Zentralstelle für eine Vielzahl evangelischer Verbände und Projekte im Sinne des Kinder- und
Jugendplanes des Bundes, des KJP. Zuwendungen werden der Zentralstelle bewilligt und an sie ausgezahlt.
Träger, die sich einer Zentralstelle angeschlossen haben,
legen dieser ihre Anträge vor. Auch das ist geregelt, und
zwar in den Richtlinien des Kinder- und Jugendplanes.
Mit den Letztempfängern schließt die AEJ gemäß den
Verwaltungsvorschriften zu § 44 der Bundeshaushaltsordnung Weiterleitungsverträge ab.
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 wurden der AEJ
für das Haushaltsjahr 2008 Fördermittel von bis zu
250 000 Euro aus dem KJP in Aussicht gestellt. Der vorzeitige Vorhabensbeginn wurde zum 1. Januar 2008 zugelassen, da die entsprechenden Haushaltsmittel zwischenzeitlich zur Verfügung standen. Die Maßnahme
soll als Projektförderung und im Wege der Fehlbedarfsfinanzierung als sonstiges Einzelprojekt gemäß
Nr. III. 3.6 Abs. 1 der Richtlinien des Kinder- und Jugendplans als nicht zurückzuzahlende Förderung bewilligt werden. Diese Maßnahme befindet sich in der Bearbeitung beim Bundesverwaltungsamt.
({0})
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. Bitte.
Herr Kollege Tauss, das Festival, auf das sich meine
Frage bezieht, hat noch nicht stattgefunden.
({0})
Vielen Dank für die Beantwortung, Herr Staatssekretär. Meine Frage hat durchaus neue Aspekte. Sie haben
auch nicht das Gleiche geantwortet wie in der letzten Sitzungswoche; insofern war die Frage durchaus nicht
überflüssig. Es gab gewisse Widersprüche zwischen den
Antworten, die mündlich erteilt wurden, und denen, die
uns schriftlich vorlagen. Daher danke für die Aufklärung!
Verstehe ich Sie richtig, dass Sie der AEJ einen Globalzuschuss erteilt haben und bei der Erteilung dieses
Zuschusses noch nicht feststand, dass die Mittel für das
Christival verwendet werden und welche der Unterorganisationen der AEJ Mittel für dieses Festival beantragt?
Das ist nicht richtig. Es war ganz klar, wohin die Mittel gehen sollen. Die AEJ ist eine Zentralstelle, wie sie
andere freie Träger ebenfalls haben. Dort werden, so ist
das üblich, die Anträge gebündelt und letztlich abgewickelt, auch im Auftrag des Ministeriums. Die AEJ
wusste genau, wohin die Mittel gehen sollen.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Die Antwort, die uns auch schon gegeben wurde, dass
nämlich der CVJM direkt von der Bundesregierung Mittel bekommen habe, hat sich damit erledigt.
Können Sie garantieren, dass keine weiteren Mittel
für dieses Festival - gegen das wir im Grunde nichts haben; es geht ja nur um die Finanzierung - geflossen
sind?
Ich habe Ihnen, wenn ich mich recht erinnere, schon
beim letzten Mal gesagt, dass das Festival damit zu ungefähr 8 Prozent finanziert wird. Mir ist nicht bekannt,
dass aus anderen Töpfen Mittel an das Christival fließen.
Der Kollege Beck hat das Wort zu einer Nachfrage.
Sie hatten uns das letzte Mal geantwortet, dass die
AEJ die Gelder bekommt. Zwei andere Male hieß es,
dass die AEJ und der CVJM die Gelder bekommen. Deshalb möchte ich nachfragen: Ist das Geld, das für das
Christival ausgegeben wird - 250 000 Euro -, zunächst
an die AEJ und dann weiter an Christival e. V. gegangen,
oder ist noch Geld an den CVJM gegangen - von wem
und über wen auch immer - und von da weiter an
Christival e. V.? Oder finanziert der CVJM einen Teil
mit irgendeiner anderen Konstruktion?
Ich will das bloß wissen; das gehört ja zu Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Ich möchte betonen,
dass auch ich nichts gegen diese Veranstaltung als solche
habe, solange sie sich im Rahmen des gesellschaftlich
und demokratisch Akzeptablen bewegt.
Herr Abgeordneter Beck, es gibt keine Probleme mit
Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Sie haben die
Diskussion intensiv verfolgt und wissen, dass ich beim
letzten Mal darauf hingewiesen habe, dass es für das
Christival einen eigenen Trägerverein gibt - Christival
e. V. -, hinter dem quasi der CVJM steht. Das ist bei
Großveranstaltungen üblich: Der Großveranstalter gründet einen entsprechenden Verein, aus verschiedenen
Gründen. Der CVJM ist Teil der Arbeitsgemeinschaft
der Evangelischen Jugend. Die Arbeitsgemeinschaft der
Evangelischen Jugend ist im Zusammenhang mit der Regelung der Bundeshaushaltsordnung die Abrechnungsstelle für das Christival. Insofern ist ausgeschlossen,
dass die Gelder irgendwo verschwinden; sie sind gezielt
für das Christival gedacht.
Wir kommen damit zur Frage 40 des Kollegen
Winkler:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Geeignetheit eines
Trägers für die Hilfe für Opfer sexuellen Missbrauchs
- Wüstenstrom e. V. -, der für eine der möglichen schädlichen
Folgen des Missbrauchs die „Entwicklung von homosexuellen Neigungen“ hält ({0}) und Homosexualität
für eine veränderungsbedürftige Veranlagung hält?
Ich darf bei dieser Gelegenheit sagen: Wir haben
mehrere Anfragen und etliche Briefe auch des Kollegen
Beck zu diesem Thema beantwortet und uns damit intensiv auseinandergesetzt. Die Fragen haben wir jeweils
zeitnah beantwortet. In der damaligen Antwort auf die
Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
„Antihomosexuelle Seminare und pseudowissenschaftliche Therapieangebote religiöser Fundamentalisten“ - so
lautete der Titel der Anfrage - haben wir ausgeführt,
dass der Bundesregierung keine Erkenntnisse zu der Organisation Wüstenstrom e. V. vorliegen. Die Bundesregierung vertritt im Übrigen keine Auffassung in Bezug
auf die Entwicklung von homosexuellen Neigungen und
zu der Frage, ob Homosexualität für eine veränderungsbedürftige Veranlagung gehalten wird. Mithin ist ein
Träger, der dazu eine bestimmte eigene Auffassung vertritt, einer Beurteilung hinsichtlich seiner Geeignetheit
für die Hilfen für Opfer sexuellen Missbrauchs nicht zugänglich.
Ich will bei dieser Gelegenheit ausdrücklich erklären
- das habe ich beim letzten Mal schon gesagt -: In einem
pluralistischen Land werden wir immer eine gewisse
Bandbreite von Trägern und Veranstaltungen im Rahmen des KJP fördern. Das geschieht seit vielen Jahren.
Das bedeutet auch, dass wir nicht bis in alle Einzelheiten
Auffassungen, die dort vertreten werden, bewerten. Wir
pflegen mit der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen
Jugend eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Sie hat sich über viele Jahre über mehrere Bundesregierungen hinweg entwickelt. Ich finde, diese gute Übung
sollten wir beibehalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, das
eine schließt das andere nicht aus. Ich kann nachvollziehen, dass Sie nicht jede Organisation im Vorhinein bewerten können und wollen. Das ist die eine Sache. Wenn
Ihnen aber von einer Fraktion oder von Abgeordneten
dieses Hauses Informationen über einen Träger, der mit
Steuermitteln gefördert wird, zukommen, dann ist es
doch selbstverständlich, dass zumindest dann, wenn der
Hinweis erfolgt ist, ein genauerer Blick auf diesen Träger nottut. Wofür machen wir sonst diese Fragestunde,
wenn sie nicht dazu dient, mit Ihnen über Informationen
ins Gespräch zu kommen, die uns zugänglich geworden
sind, aber der Bundesregierung nicht?
Es ging mir nicht um eine Beurteilung. Sie haben in
Ihrer Antwort in der letzten Sitzungswoche klar gesagt,
dass es wissenschaftliche Minderheitsmeinungen gibt.
Ich frage daher noch einmal: Hält es die Bundesregierung für eine vernünftige Vorgehensweise, wenn Steuermittel ausgerechnet Vereinigungen zur Verfügung
gestellt werden, die nach Meinung der Bundesregierung
absolut abwegige und seit Jahrzehnten in der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung nicht mehr für verantwortbar gehaltene Auffassungen vertreten, um dann
auch noch Opfern von sexuellem Missbrauch angeblich
zu helfen?
Herr Abgeordneter Winkler, ich habe beim letzten
Mal die Einschätzung der Bundesregierung zum Thema
Homosexualität auf der Basis dessen erläutert, was die
überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen dazu sagt. Ich glaube, das war
eindeutig.
Dafür, dass wir uns nicht in jede einzelne Veranstaltung einmischen und nicht jede Veranstaltung bewerten,
bitte ich um Verständnis. Ich gehe davon aus, dass der
Veranstalter Christival e. V. und auch die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend - ich habe mich heute
noch einmal ausdrücklich danach erkundigt - mit diesem
Thema verantwortlich umgehen. Wir werden sicherlich
später Bilanz ziehen können, wie die Veranstaltung im
Einzelnen gewesen ist.
Ich will im Übrigen betonen: Das Christival hat sich
über viele Jahre entwickelt. Sicherlich wurden auch
schon Positionen vertreten, die nicht jedem so richtig
passen, um es einmal so zu sagen. Aber es ist völlig unstrittig, dass diese Großveranstaltung von christlich
orientierten Jugendlichen besucht wird. Insofern sind
wir der Meinung, dass wir hier absolut verantwortlich
gehandelt haben.
Kollege Winkler, die Zeit für die Fragestunde ist erschöpft. Wenn Sie noch eine kurze Frage haben,
({0})
bin ich bereit, Ihnen eine zweite Frage zu ermöglichen. Keine Nachfrage. Kollege Beck, dieses Angebot ist nicht
übertragbar. Ich habe diesen Vorschlag nur gemacht,
weil wir schon bei der Beantwortung der Frage waren.
Ich danke dem Staatssekretär. Die übrigen Fragen
werden schriftlich beantwortet. Damit beende ich die
Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Computermesse CeBIT - IT-Forschung als
Wachstumsimpuls für Deutschland
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Katherina Reiche für die Unionsfraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die CeBIT ist das Schaufenster der Welt für die Informations- und Telekommunikationstechnologie. Es ist
gar nicht hoch genug einzuschätzen, welche Anerkennung der IKT-Standort Deutschland dadurch erfährt,
dass die Messe in Hannover ist und bleibt und sich immer noch steigender Beliebtheit erfreut.
({0})
Die Digitalisierung des beruflichen und privaten Alltags ist die wichtigste Triebfeder der Globalisierung. Sie
hat die Globalisierung in ihrer jetzigen Form zum Teil
erst ermöglicht. Immer mehr Waren und Dienstleistungen können an nahezu jedem beliebigen Ort der Welt
produziert und auch an jedem beliebigen Ort konsumiert
werden. Digitalisierung als Teil und Triebfeder der Globalisierung schafft Allgegenwärtigkeit, also die sprichwörtliche Aufhebung von Örtlichkeit und Grenzen des
Raums. Der IKT-Branche kommt also bei der Herausforderung, die Globalisierung zu gestalten, eine Schlüsselrolle zu.
In Deutschland sind die Branchen, die die meisten Innovationen gerieren, in hohem Maße IKT-getrieben.
Neben der IKT-Wirtschaft selbst sind es der Automobilund der Maschinenbau, die Logistik, die Medizin und
auch die Energie.
Wesentliche Grundlage für Innovationen auf diesen
Feldern sind Forschungs- und Entwicklungsergebnisse
im Bereich von Basistechnologien, der Elektronikmikrosysteme, Softwaresysteme und der Wissensverarbeitung
sowie Kommunikationstechnik und -netze. Teil eines innovationsorientierten Maßnahmenpakets zur Stärkung
des Standortes Deutschland sind deshalb insbesondere
eine effiziente Forschungsförderung, ein leistungsorientiertes Bildungswesen und ein wirtschaftspolitischer
Rahmen, der Investitionen in arbeitsintensive und innovationsstarke Sektoren fördert.
Innovationen sind branchenübergreifend der Schlüssel für Wachstum und Arbeitsplätze. Die Informationsund Telekommunikationsbranche liefert Spitzentechnologien für den Wettbewerb. Namen wie Karl Ferdinand
Braun, Werner von Siemens oder Konrad Zuse sind unmittelbar mit dem Aufstieg Deutschlands zu einer der
führenden Technologienationen verbunden.
Die Zahlen, die der Fachverband im letzten Jahr veröffentlicht hat, sind vielversprechend. Der Markt ist um
2 Prozent gewachsen. Für das laufende Jahr werden Zuwächse um 1,6 Prozent auf 145,2 Milliarden Euro und
im Jahre 2009 wird noch einmal ein Plus um 2 Prozent
auf 148 Milliarden Euro erwartet.
Auch das Wachstum wirkt sich positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Nach Berechnungen von BITKOM gibt
Katherina Reiche ({1})
es noch einmal mehr als 816 000 Arbeitsplätze bzw. Beschäftigungsverhältnisse in diesem Bereich. Aber - auch
das gehört dazu - es gibt viele offene Stellen, die nicht
besetzt werden können. 43 000 Stellen für IT-Spezialisten gibt es, 18 000 im IKT-Sektor selbst und 25 000 in
den Anwenderbranchen.
Was heißt das politisch? Innovationen sind ohne Bildung undenkbar. Deshalb müssen wir das Thema „Mangel an Hochqualifizierten“ anpacken. Das beginnt in der
Schule, in der wir uns stärker dem Bereich Informatik,
Ingenieur- und Naturwissenschaften, aber auch Basiswissenschaften wie der Mathematik annehmen müssen.
Da geht es neben einer verstärkten Förderung von Basiskompetenzen und Technikförderung auch an den allgemeinbildenden Schulen und an den berufsbildenden
Schulen um die Qualifikation der Lehrkräfte. Hier sind
Bund und Länder gemeinsam gefordert, auf Verbesserungen hinzuarbeiten.
Das trifft auch für die Hochschulen zu. Ein durchschnittliches Informatikstudium dauert nach wie vor acht
Jahre. In dieser Zeit hat sich die digitale Welt quasi dreimal verändert. Die Abbrecherquote liegt derzeit bei unakzeptablen 50 Prozent.
Es gilt also, den Studienstandort Deutschland zu stärken, Studienzeiten zu verkürzen, Abbrecherquoten zu
verringern und den Frauenanteil in naturwissenschaftlichen Studiengängen zu steigern.
({2})
Um den Fachkräftebedarf in der Wirtschaft auch auf
mittlere Sicht zu sichern, müssen Hochqualifizierte aus
aller Welt angeworben werden, aber vor allem auch die
Qualifikationslücke der bereits im Berufsalltag stehenden Fachkräfte geschlossen werden. Die Weiterbildung
hat für die IKT-Branche eine besondere Bedeutung. Die
Halbwertzeit des dort generierten Wissens wird auf drei
bis sechs Monate geschätzt. Gerade in diesem unglaublich dynamischen Bereich sind eine qualitativ hochwertige Weiterbildung und lebenslanges Lernen wichtig und
müssen selbstverständlich werden.
Es gibt in Deutschland viele kluge und kreative
Köpfe. Wir müssen unser Potenzial ausschöpfen. Deshalb hat die Bundesregierung mit der Initiative
„IKT 2020“ als einem der wichtigsten Bausteine innerhalb der Hightech-Strategie einen wichtigen Impuls gegeben, dass in Deutschland auch in Zukunft Leitmärkte
die Welt bestimmen.
Vielen Dank.
({3})
Zu einem Geschäftsordnungsantrag hat der Kollege
Volker Beck das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn
die Große Koalition eine Aktuelle Stunde beantragt,
dann sollte sie dieses Plenum - insbesondere auf der Regierungsbank - nicht mit Nichtachtung strafen.
({0})
Ich finde es einen Skandal, dass man zwar die CeBIT
zum Thema macht, aber weder der Wirtschaftsminister
noch die Forschungsministerin und schon gar nicht die
Kanzlerin anwesend sind. Ich beantrage, die Bundeskanzlerin und den Wirtschaftsminister herbeizurufen.
Ein Staatssekretär kann sie nicht angemessen vertreten.
Die leeren Bänke zeigen eine gewisse Nichtachtung des
Parlaments.
Ich will es mir ersparen, die Beschlussfähigkeit des
Parlaments feststellen zu lassen. Aber beschlussfähig
sind Sie garantiert nicht.
({1})
Wir drohen aber nicht mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Denn wir wollen kein Theater veranstalten; wir wollen vielmehr, dass das Parlament ernst
genommen wird. Dazu gehört eine angemessene Präsenz
auf der Regierungsbank und im Plenum, insbesondere
dann, wenn die Koalition, die sonst im Plenum keine eigenen Vorlagen mehr zu bieten hat, weil in der Reformpolitik Funkstille herrscht, zu dem Instrument der Aktuellen Stunde greift. Deshalb bitte ich, die Minister
herbeizuzitieren.
({2})
Das Wort hat der Kollege Grund.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich widerspreche für
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Antrag des Kollegen Beck. Diese Aktuelle Stunde richtet sich an das
Parlament. Das Parlament ist mit den Fachleuten der
Ausschüsse vertreten, die mit diesem Bereich zu tun haben.
({0})
Die Aktuelle Stunde richtet sich aber auch an die Öffentlichkeit. Das Thema war uns in dieser Woche, in der
die CeBIT in Hannover stattfindet, so wichtig, dass wir
die Aktuelle Stunde beantragt haben.
Ich wiederhole: Ich widerspreche diesem Antrag für
die CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Als Nächste hat die Kollegin Enkelmann das Wort.
Frau Präsidentin! Die Fraktion Die Linke unterstützt
den Antrag der Grünen und bittet um die Entscheidung
des Präsidiums.
Das Wort hat die Kollegin Ernstberger und dann die
Kollegin Flach. Anschließend kommen wir zur Abstimmung.
Ich widerspreche dem Antrag der Grünen. Wir sind
im Plenum angemessen vertreten. Der Wirtschaftsausschuss befindet sich gerade auf der CeBIT, weil er dort
seiner Arbeit nachgeht.
({0})
Die Regierungsbank ist besetzt. Sie können sich nicht
aussuchen, wer auf der Regierungsbank vertreten ist.
Deswegen stimmen wir Ihrem Antrag nicht zu.
({1})
Kollegin Flach.
Frau Präsidentin! Ich glaube, es gibt keine bessere
Begründung dafür, dass wir die Minister herbeizitieren
sollten, als die der Kollegin Ernstberger.
({0})
Der zuständige Ausschuss ist nicht anwesend. Auch die
beiden zuständigen Minister sind nicht anwesend. Wir
schließen uns selbstverständlich dem Antrag der Grünen
an.
({1})
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag zur Herbeirufung von Mitgliedern der Bundesregierung. Wer für diesen Antrag
stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Der Geschäftsordnungsantrag ist gescheitert.
Darin ist sich das Präsidium einig.
({0})
- Es tut mir leid, dass manche offensichtlich nicht
schnell genug herbeieilen konnten, um sich an dieser
Abstimmung zu beteiligen.
Wir fahren mit der Aktuellen Stunde fort. Das Wort
hat die Kollegin Flach für die FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das war sehr symptomatisch für die Situation. Kein
Mensch weiß, warum wir in diesem Plenum eine Aktuelle Stunde zu einer Messe haben müssen, die von der
privaten Wirtschaft dieses Landes getragen wird und
weiß Gott keine Messe ist, die durch Regierungshandeln
besonders begleitet wird.
({0})
Die CeBIT ist weltweit bekannt; das ist keine Frage.
Die Informations- und Kommunikationstechnik trägt mit
immerhin 50 Prozent zum Wirtschaftswachstum in Europa bei. Jeder in diesem Haus weiß zudem, dass aufgrund der boomenden Konjunktur erstaunliche Zuwächse im letzten Jahr verzeichnet wurden. Aber wir
Liberale fragen uns natürlich, was das mit der Bundesregierung oder den Koalitionsfraktionen zu tun hat. Es
wäre schön, wenn Sie die mit viel Steuergeld subventionierte IT-Politik der Großen Koalition wenigstens dafür
in Anspruch nehmen könnten, dass die Wirtschaft boomt.
Immerhin werden 1,5 Milliarden Euro an Fördermitteln
ausgegeben. Aber außer dem wirklich nicht zu begrüßenden Umstand, dass mit Nokia eine der wichtigen
Hightech- und IT-Firmen dieses Landes für negative
Schlagzeilen gesorgt hat, haben Sie nicht mehr zu bieten
als das, was Sie in den letzten Wochen in den Fernsehsendungen zu diesem Thema zum Leidwesen der Menschen gesagt haben.
({1})
Angesichts der Tatsache, dass hier viel Geld als Subventionen ausgegeben wird, frage ich Sie, meine Damen
und Herren von den Koalitionsfraktionen: Wo sorgen Sie
für Hebelwirkungen auf dem Markt, wie es erforderlich
ist und wie es die BITKOM als zuständiger Verband täglich einfordert? Wo nehmen Sie eine Leitfunktion für einen sehr wichtigen Markt ein? Schauen wir uns einmal
Ihr Handeln an. Der Staat sollte Treiber und nicht Nachzügler sein. Als Haushälterin ist mir in diesem Zusammenhang aufgefallen: Sie brauchen bereits zweieinhalb
Jahre, um einen sogenannten Chief Information Officer
- ein wunderschöner englischer Titel -, der dafür sorgen
soll, dass in diesem Lande endlich eine gemeinsame Beschaffung für die Regierungsinstitutionen stattfindet, zu
benennen. Es gibt ein merkwürdiges, ausgesprochen diffuses Konzept, das mit viel Bürokratie verbunden ist.
Nach wie vor nutzen Sie nicht die treibende Kraft der öffentlichen Beschaffung, um einen Schub auszulösen. Sie
sollten hier etwas tun, anstatt Aktuelle Stunden mit mangelnder Beteiligung durchzuführen.
({2})
Ein weiteres Feld, auf dem Sie ebenfalls etwas tun
könnten - darüber werden wir in dieser Woche noch diskutieren -, sind die Breitbanddienste. Wir sind ein Land
in Europa, in dem nach wie vor 5 Millionen Menschen
keinen Zugang zu den Breitbanddiensten haben. Wir
versuchen im Augenblick krampfhaft, unsere Schulen an
die Breitbanddienste anzuschließen.
Was ist mit der Gesundheitskarte? Wir müssen in diesen Tagen erleben, dass die Kanzlerin zum dritten Mal
auf der CeBIT erklärt, es sei Zeit, endlich die Gesundheitskarte in Deutschland einzuführen. Aber es gibt
keine Gesundheitskarte. Es gibt nach wie vor Verzögerungen und nur Modellprojekte. Kein Mensch weiß, wie
das im Endeffekt aussehen wird.
({3})
Ein weiterer Bereich, in dem Sie etwas tun könnten,
ist die Unternehmensteuerreform. Herr Kollege
Riesenhuber, das hätten Sie verhindern müssen. Das betrifft genau die Unternehmen, die Sie angeblich mit Ihrer
Politik fördern wollen.
({4})
Wer auf der CeBIT war, weiß, dass es eine sogenannte grüne CeBIT sein soll. Der treibende Faktor, der
dafür gesorgt hat, dass es eine grüne CeBIT ist, sind die
hohen Strompreise. Wer ist denn für die hohen Strompreise zum großen Teil zuständig? Wer ist denn dafür
verantwortlich?
({5})
Das sind doch Dinge, die Sie hier besprechen sollten.
Frau Reiche, ich stimme Ihnen bei vielem, was Sie zum
Fachkräftemangel gesagt haben, zu. - Leider ist sie gerade nicht da.
({6})
- Ach da, an der Regierungsbank, gut. Es wäre schön,
wenn Sie sich wieder auf Ihren Platz setzen könnten.
Dann sehe ich Sie auch sofort. - Liebe Frau Reiche, wir
brauchen ein Zuwanderungsgesetz, und die Bundesagentur für Arbeit muss endlich die Möglichkeit haben, älteren Ingenieuren die Chance zu geben, sich mit Gutscheinen an Hochschulen weiterbilden zu lassen. Darum geht
es doch.
({7})
All das haben Sie in den letzten Jahren nicht auf den
Weg gebracht. Sie versuchen, die Messe zu vereinnahmen. Das tun Sie vor allem für die Öffentlichkeit. Das
wird nicht reichen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition. Auch eine Kanzlerin mit SMS
und iPod auf der Messe wird nicht reichen. Sie haben
noch viel zu tun. Unsere fachliche Unterstützung werden
Sie sicherlich haben, aber dass wir Ihrer jetzigen Arbeit
zujubeln, das können Sie nicht von uns verlangen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Jörg Tauss für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir dachten, wir machen der FDP einmal eine Freude
und diskutieren ein richtig modernes Thema, bei dem
wir etwas dazulernen können. Jetzt seid ihr unzufrieden.
Das finde ich richtig schade.
({0})
Ich glaube, Sie werden mit dem, was Sie hier gesagt haben, dem, was sich auf der CeBIT tut, nicht gerecht. Es
geht nicht darum, was bei dem Ausstellerstand in der
siebten Halle stattfindet. Ich halte die Diskussion für
richtig, und ich halte es für richtig, dass Kolleginnen und
Kollegen von uns dorthin fahren; wir wissen nicht, ob
diejenigen dort sind, die noch nicht alles wissen, und
diejenigen, die hier im Saale sind, alles wissen. Es gibt
den Spruch: Einmal sehen ist besser, als hundert Mal hören. - Ich halte es für richtig, dass der Wirtschaftsausschuss dorthin fährt und die Entwicklungen beobachtet,
({1})
und ich halte es für richtig, dass andere Kollegen sich
hier in der Debatte mit einer der wichtigsten Branchen
unseres Landes beschäftigen.
Die Kollegin Reiche hat doch darauf hingewiesen,
worüber wir hier reden. Wenn ich mir Aktuelle Stunden
der FDP betrachte, dann muss ich sagen, dass wir schon
über sinnlosere Themen diskutiert haben als über eine
Branche, die einen Umsatz von 145 Milliarden Euro
macht. Das nur nebenbei bemerkt.
({2})
In diesem Jahr haben wir ein Plus von 2 Prozent. Das
waren die guten Nachrichten. Natürlich gibt es auch
schlechte Nachrichten, zum Beispiel die Rückgänge bei
der Telekommunikation trotz des Wachstums. Nokia ist
ein miserables Beispiel dafür, wie in dieser Branche
fahrlässig mit Arbeitsplätzen umgegangen und eine Zukunftsbranche desavouiert wird. Wir haben mit der
Firma Siemens zu tun, die über Jahre hinweg Innovationen im Telekommunikationsbereich verschlafen hat,
weshalb andere Länder aufholen konnten und wir Tausende von Arbeitsplätzen verloren haben. Da könnte
man zornig werden. Es gibt noch einen Punkt, den man
sicherlich kritisch sehen muss: Das Exportland Deutschland exportiert in diesem Sektor für 11 Milliarden Euro
weniger, als es importiert. Das ist ein Thema, das im
Bundestag diskutiert werden muss, auch wenn wir über
Förderpolitik und Zukunftsprogramme reden.
Liebe Kollegin Flach, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können an dieser Stelle auch mit positiven
Nachrichten weitermachen. Mehr als 80 Prozent der Innovationen in Deutschland, die wir in unseren starken
Branchen haben - Automobilindustrie, Medizintechnik,
Logistik -, sind Innovationen in der Informations- und
Kommunikationstechnologie geschuldet. Darauf beruht
der wichtige Ansatz unseres IKT-Programms. Ich verstehe nicht, wie Sie, Frau Kollegin Flach, auf die Idee
kommen, dass hier zu wenig oder gar Falsches passiert.
Jährlich fließen 300 Millionen Euro aus dem Ministerium für Bildung und Forschung und noch einmal
80 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsministerium in
unser IKT-Forschungsprogramm. Ich kann überall, wo
ich hinkomme, nur Lob konstatieren, sei es von der
Wirtschaft, sei es von den Universitäten oder von anderen, die gesagt haben, dass erkannt wird, worin die Zukunft liegt. Das betrifft die Automobilbranche, die Energiebranche und viele andere Industrien in diesem Land.
({3})
Ich sage hier durchaus mit einem gewissen Stolz:
Man kann an der Großen Koalition mäkeln, wie man
will - das tue auch ich gelegentlich; auch die Opposition
muss das tun -, aber in diesem Bereich haben wir eines
der ganz starken Programme im Rahmen der HightechStrategie der Bundesregierung aufgelegt. Wir haben uns
um die Metatrends gekümmert. Ich glaube, wir haben sie
erfolgreich identifiziert. Ich weiß gar nicht, was Sie,
Frau Flach, an einer privaten Messe auszusetzen haben.
Soll das eine sozialistische Staatsmesse werden, oder
was wollen Sie?
({4})
Auch auf der privaten Messe CeBIT können Sie besichtigen, dass die Förderprogramme, die wir haben, auch in
der Vergangenheit genau die richtigen Trends erfasst haben. Geräte- und Übertragungstechniken gehören leider
nicht mehr dazu.
Die Allgegenwärtigkeit von IKT - leider nicht unbedingt in diesem Plenarsaal; da hat der Ältestenrat, nomen
est omen, bei der Planung des Hauses manches verschlafen; aber das will ich jetzt nicht allzu kritisch anmerken ist aber ein solcher Trend. Das Gleiche gilt für die anwendungsbezogene Softwareentwicklung. Der Erfolg einer Firma wie SAP mit Tausenden von Arbeitsplätzen
weltweit macht das deutlich. Wir hätten in Deutschland
durchaus das Potenzial für zwei bis drei Firmen wie
SAP. Aus diesem Grunde ist es richtig, in diesem Bereich zu fördern und zu forschen.
Megatrends sind Embedded Systems: Das sind die in
Produkte eingebauten Hard- und Softwaretechniken, wie
man sie in immer mehr Autos sehen kann; ich denke an
Bordcomputer und Ähnliches. Ich habe neulich nachts
auf der Autobahn wieder einmal ein Auto zu Schrott gefahren. Mit etwas mehr IKT hätte ich das vielleicht vermeiden können. All das sind wirklich fortschrittliche
Bereiche. Unter anderem kommt unsere Automobilindustrie dadurch voran.
Wir werden uns über Sicherheit und Zuverlässigkeit
von Netzen und Computern unterhalten müssen.
({5})
Das ist eine Herausforderung und übrigens auch ein
Zielkonflikt mit manchen unserer Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der inneren Sicherheit, Stichwort
„Datenschutz und IT-Sicherheit“. Ich bin froh, dass das
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu Onlinedurchsuchungen klar gesagt hat: Es gibt ein Grundrecht
auf Integrität. Wenn wir das ernst nehmen, dann werden
wir eine Riesenchance haben, auch in diesem Bereich
mit neuen Produkten, mit Datenschutz und mit IT-Sicherheit weltweit voranzukommen.
Es hätte sich gelohnt, der FDP noch vieles zu sagen,
was die Notwendigkeit dieser Debatte anbelangt. Aber
die Präsidentin will es leider nicht mehr zulassen. Liebe
Kollegin Flach, dann sprechen wir darüber in irgendeinem Separee. Nochmals: Diese Debatte ist sinnvoll. Sie
gilt einer richtigen Branche. Aus diesem Grund war es
absolut richtig, hier zu reden. Alle, die in dieser Debatte
noch reden werden, werden ebenfalls diesen Beweis erbringen.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat nun Professor
Dr. Lothar Bisky das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Die Koalition hat das Thema CeBIT auf die Tagesordnung gesetzt, um ihre Politik, auch die IT-Forschungspolitik, in einem günstigen Licht erscheinen zu
lassen. Das sei Ihnen unbenommen.
({0})
Gestatten Sie mir aber,
({1})
dass ich drei Wermutstropfen in den Wein gießen werde.
Erstens. Die milliardenschwere Forschung der Informations- und Kommunikationstechnologien durch die
Bundesregierung erfolgt als industriegeführte Forschung. Die Industrie bestimmt im Wesentlichen die
Forschungsziele ebenso wie die Mittelverwendung. Bei
der berüchtigten deutschen Suchmaschine Theseus
wurde die Projektführung ohne öffentliche Ausschreibung an die Bertelsmann-Tochter Empolis vergeben. So
eine Projektführung ist aus unserer Sicht nicht in Ordnung.
({2})
Hier hört man, dass maßgebliche Firmen der deutschen Internetwirtschaft ebenso wenig einbezogen wurden wie auf diesem Feld führende Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler. Ein Prinzip der industriegeführten
IT-Forschung ist seitens der Bundesregierung, für die
aus den Forschungsvorhaben gewonnenen Patente und
Nutzungsrechte keinerlei Auflagen zu machen. Hier gilt
offenbar: Die Kosten für Forschung und Entwicklung
sind gesellschaftliche Kosten. Später anfallende Verwertungsgewinne sind privatwirtschaftliche Gewinne. ITForschung ist nach dem Verständnis der Bundesregierung daher vorrangig ein Programm zur Subventionierung von Informations- und Kommunikationstechnologie in ausgewählten Anwendungsbereichen, vor allem
Automobilbau, Telekommunikation, Logistik und Medizintechnik.
({3})
Darauf allein, Herr Tauss, lässt sich die Basis für eine
Informations- und Wissensgesellschaft nicht gründen.
({4})
- Da sind wir uns einig. - Die Träger der Informationsund Wissensgesellschaft sind ihre kreativen, innovativen
Köpfe.
({5})
Die Basis für eine Informations- und Wissensgesellschaft bildet die Ausbildung solcher kreativen, innovativen Köpfe. Den Hochschulen kommt auf diesem Feld
eine wichtige, wenn nicht entscheidende Aufgabe für die
Zukunft zu. Ihnen muss daher nicht nur die Forschungshoheit und die Forschungsautonomie im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien zurückgegeben werden, sondern es sind auch ausreichend
Mittel für Forschung und Lehre bereitzustellen.
({6})
Zweitens. In der Informations- und Wissensgesellschaft bilden Information und Kommunikation zunehmend Schlüsselressourcen. Dem Zugang zur technologischen Infrastruktur digitaler Kommunikation kommt
eine ähnlich große Bedeutung zu wie der Herrschaft über
informationelle Knoten und Schnittstellen im Kommunikationsnetzwerk. Der Zugang zum Internet als Zugang
zu Kommunikation und Information von Gesellschaften
berührt daher Grundfragen demokratischer Beteiligung.
Ein Breitbandinternet für alle ist heute eine demokratische Notwendigkeit.
({7})
Dazu müssen Breitbandinternet in ganz Deutschland bereitgestellt und die bestehende Breitbandlücke im ländlichen Raum geschlossen werden.
({8})
Die Bundesregierung hat bislang nichts unternommen, um die Telekommunikationskonzerne zum Ausbau
ihrer Netze in ländlichen Gebieten zu drängen. Dabei
gäbe es wirksame und für die öffentliche Hand günstige
gesetzgeberische Möglichkeiten, Druck auszuüben und
dadurch die Breitbandlücke zu schließen. Ich nenne nur
die Ausdehnung des Universaldienstes auf Breitbandanschlüsse im deutschen Telekommunikationsgesetz und
die Einbeziehung von Breitbandinternet in die europäische Universaldienstrichtlinie.
Drittens. Auch die Informations- und Wissensgesellschaft hat Rechenschaft abzulegen über den Energieverbrauch und den Verbrauch natürlicher Ressourcen. Die
Computerindustrie selbst erkennt zunehmend die Notwendigkeit effizienter und energiesparender Computer
und unternimmt erste Bemühungen, die Energieaufnahme zu mindern. Vor allem Betreiber großer Rechenzentren und Serverfarmen stellen zunehmend hohe
Anforderungen an den Energieverbrauch ihrer Computersysteme. Das ist zu begrüßen. Nicht umsonst gibt es
„Green IT“, ein Schwerpunktthema der CeBIT. Aber
Maßnahmen dieser Art allein reichen nicht aus.
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen dringend ein
gesetzlich verpflichtendes Energielabel für Computer.
({9})
Wir haben dazu in dieser Woche einen Antrag in den
Deutschen Bundestag eingebracht. Machen Sie mit beim
Stromsparen am PC!
Ich bedanke mich.
({10})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Thomas Rachel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! DieCeBIT hat die Tore geöffnet. Das ist ein
geeigneter Zeitpunkt für eine erste Zwischenbilanz der
IKT-Forschungspolitik der Bundesregierung. Wie Sie
wissen, hat die Bundesregierung die Hightech-Strategie
gestartet, um unser Land an die Weltspitze der wichtigsten Zukunftsmärkte zu führen. Hierbei spielt die Informations- und Kommunikationstechnologie innerhalb der
insgesamt 17 Innovationsfelder der Hightech-Strategie
eine ganz besondere Rolle. Denn die Informations- und
Kommunikationstechnologien bilden praktisch die technologische Basis für unsere Informations- und Wissensgesellschaft. Sie sind der Innovationsmotor Nummer
eins.
({0})
Bundesbildungs- und -forschungsministerin Annette
Schavan hat bei der letzten CeBIT das Programm „IKT
2020 - Forschung für Innovationen“ vorgestellt. Wir
stellen für den Zeitraum 2007 bis 2011 hierfür rund
1,4 Milliarden Euro an Projektfördermitteln zur Verfügung. Wir haben die Forschungsförderung auf die in
Deutschland wichtigsten Anwendungsbereiche ausgerichtet, in denen Innovationen in hohem Maße IKT-getrieben sind. Neben der IKT-Wirtschaft selbst möchte ich
den Automobil- und Maschinenbau, die Medizin, die
Logistik und die Energie nennen.
Drei Dinge stehen dabei für uns im Vordergrund: erstens eine klare Konzentration auf wenige Schwerpunkte,
zweitens eine stärkere Einbindung gerade der kleinen
und mittelständischen Betriebe und drittens eine stärkere
Europäisierung und Internationalisierung. Lassen Sie
mich die Umsetzung dieser Leitlinien an drei Beispielen
verdeutlichen.
Erstens. Wir haben bereits jetzt fünf umfangreiche Innovationsallianzen in den Leitmärkten Automobil, Telekommunikation und Logistik formiert. In diesen Projekten mobilisieren Fördermittel des BMBF im Rahmen des
Programms „IKT 2020“ in Höhe von 274 Millionen
Euro Investitionen der Industrie in einer Größenordnung
von knapp 1,5 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Die
Wirtschaft legt auf jeden staatlichen Euro 5 Euro aus der
privaten Schatulle dazu. Dies ein richtiger Ansatz und
ruft eine ordentliche Hebelwirkung hervor.
({1})
Ich will eine Innovationsallianz beispielhaft nennen:
Sie ist aus dem Bereich der Automobilelektronik, an der
sich Automobilhersteller, Zulieferer, aber auch die Wissenschaft beteiligen, und zielt auf eine Senkung des
Kraftstoffverbrauchs und damit auch des CO2-Ausstoßes
ab.
({2})
Zweitens. Mit der BMBF-Förderinitiative „KMU-innovativ“, die in den Koalitionsfraktionen besprochen
und entschieden wurde, haben wir praktisch eine Überholspur für die kleinen und mittelständischen Betriebe
geschaffen. Die Beantragung und die Bewilligung von
Fördermitteln wurden spürbar beschleunigt und vereinfacht. Da die bisherige Resonanz aus den KMU auf die
Fördermaßnahme außerordentlich erfreulich war, ist beabsichtigt, die Fördermittel - dies sind allein
100 Millionen Euro in fünf Jahren - deutlich aufzustocken.
Drittens. Wir nehmen verstärkt Einfluss auf die europäischen Programme. Wir wollen nationale und europäische Maßnahmen miteinander verzahnen. Beispielsweise setzen wir gemeinsam mit unseren Partnern aus
Finnland, Schweden und Frankreich Maßstäbe für ein sicheres, zuverlässiges und schnelles Internet, um so einen
entscheidenden Beitrag zum künftigen Standard im Internet zu leisten.
Durch staatliche Unterstützung haben sich die neuen
Bundesländer und vor allem Dresden in den letzten Jahren zum bedeutendsten Standort für Mikro- und Nanoelektronik in Europa entwickelt. Bei der derzeitigen Förderung legen wir ganz besonderen Wert auf die
Kooperation der großen Chiphersteller, die in Dresden
ansässig sind, mit den Forschungseinrichtungen und den
kleinen und mittelständischen Betrieben, um mit den industriellen Partnern eine schnelle Umsetzung der Forschungsergebnisse in die industrielle Produktion zu erreichen - zum Vorteil des Standortes Deutschland und
der neuen Bundesländer. Wir wollen Wettbewerbsvorteile schaffen und sie anschließend auch nutzen.
({3})
Diesen Gedanken der regionalen Clusterförderung,
den ich hier am Beispiel Dresden deutlich gemacht habe,
hat das BMBF im Rahmen seines Spitzenclusterwettbewerbs aufgegriffen. Ein weiteres Indiz für die Bedeutung
von Informations- und Kommunikationstechnologie als
Innovationstreiber ist, dass von 38 vorgeschlagenen
Clustern im Spitzenclusterwettbewerb neun allein aus
dem IKT-Bereich stammen.
({4})
Mit dem vor wenigen Tagen im Forschungszentrum
Jülich eingeweihten neuen Superrechner JUGENE stellt
Deutschland den weltweit schnellsten zivil genutzten
Rechner der Welt. Ich denke, dies ist ein schöner Erfolg.
Zusammen mit den Höchstleistungsrechenzentren in
Stuttgart und Garching wird hier das Gauß-Centrum
deutscher Höchstleistungsrechenzentren gebildet, das
wiederum in das europäische Höchstleistungsrechnernetz eingebunden wird. Damit bieten wir beste Bedingungen für Forschung in Deutschland.
({5})
Eines ist ganz klar: Neben den bekannten Bereichen
der Theorie und des Experiments ist nun als dritte Größe
die Simulation komplexer Vorgänge zu einer unverzichtbaren Methode in Forschung und Entwicklung geworden. Nehmen Sie zum Beispiel die Klimaforschung oder
die Entwicklung des Fahrzeugbaus. All dies ist ohne
Computersimulation heute nicht mehr denkbar. Deswegen waren es wichtige Entscheidungen, die wir als Bundesforschungsministerium anzustoßen versucht haben.
({6})
Nur gut gebildete und ausgebildete Menschen können
unser Land an der Spitze im globalen Wettbewerb halten. Es muss uns also gemeinsam um die Sicherung des
Fachkräfteangebots gehen. Die Bundesregierung hat
hierzu eine Qualifizierungsinitiative vorbereitet, die wir
mit den Ländern besprechen und auf den Weg bringen
wollen, um die Aus- und Weiterbildung in ihrer Breite
zu verbessern.
Lassen Sie mich aus einem Gesamtprogramm von
vielen Maßnahmen zwei beispielhaft herausgreifen. Klar
ist: Wir brauchen mehr Absolventinnen und Absolventen im Bereich der MINT-Fächer, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Wir werden
deshalb mit dem freiwilligen technischen Jahr jungen
Menschen nach dem Abitur die Möglichkeit geben, in
diese Bereiche konkret hineinzuschauen, in den Betrieben und Forschungseinrichtungen Erfahrungen zu sammeln und so zu prüfen, ob die MINT-Fächer etwas für
ihr eigenes Studium sind. Ich freue mich, dass die IKTBranche in der Zwischenzeit zugesagt hat, selber Plätze
für interessierte Jugendliche in diesen Bereichen zur
Verfügung zu stellen.
({7})
Zweitens muss es uns auch darum gehen, mehr
Frauen für IKT-Studiengänge und -berufe zu gewinnen.
Deswegen werden wir im Rahmen der Qualifizierungsinitiative in einem nationalen Pakt Maßnahmen zur Gewinnung von jungen Frauen für Hightechberufe bündeln. Auch dies ist eine wichtige Sache.
({8})
Ich sage an der Stelle aber auch ausdrücklich: Die Reformanstrengungen, die hier nötig sind, kann die Bundesregierung nicht alleine bewerkstelligen, sondern wir
brauchen eine Zusammenarbeit mit den Unternehmen,
den Sozialpartnern und den Ländern. Ich will hier beispielhaft die öffentlich geförderte Initiative „IT 50plus“
nennen, mit der wir zusammen mit den Sozialpartnern
Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, damit auch ältere
Beschäftigte ihr Potenzial besser nutzen und wieder einen qualifizierten Job finden können. Dies ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
({9})
Lassen Sie mich abschließend hervorheben: Vor wenigen Tagen hat die Expertenkommission „Forschung
und Innovation“ der Kanzlerin ihr Gutachten 2008 vorgestellt. Darin gibt es neben vielen anderen interessanten
Informationen eine ganz wichtige, nämlich die, dass die
Zahl der Studienanfänger in den Ingenieur- und Naturwissenschaften erstmals wieder angestiegen ist. Damit
haben wir den kontinuierlichen Rückgang, den wir seit
2003 bedauerlicherweise verzeichnen mussten, gestoppt
und eine Trendwende eingeleitet. Ich bin optimistisch,
dass es uns gemeinsam - Bund, Ländern, Unternehmen
und Bundesregierung - mit der Qualifizierungsinitiative
gelingen wird, diesen neuen Aufwärtstrend zu verstetigen und so einen Beitrag zu leisten, um die dringend benötigte Fachkräftebasis zu verbreitern. Lassen Sie uns
gemeinsam an diesem Ziel arbeiten!
Herzlichen Dank.
({10})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Peter Hettlich das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann meine Kollegin Flach sehr gut verstehen. Vielleicht fragen Sie sich auch, warum ausgerechnet ich, der ich ja nicht einmal mehr stellvertretendes Mitglied im Forschungsausschuss bin, hier heute
stehe und für meine Fraktion rede. Das liegt daran, dass
der Wirtschaftsausschuss in Hannover weilt und gleichzeitig der Ausschuss für Kultur und Medien mit Bundestagspräsident Lammert tagt. Insofern stellt diese
Aktuelle Stunde jetzt für mich eher einen Ehemaligentreff dar. Ich freue mich natürlich, hier einige Kolleginnen und Kollegen wiederzusehen, die in der letzten Legislaturperiode Mitglied des Forschungsausschusses
waren. Aber dafür braucht man, wie gesagt, keine
Aktuelle Stunde. Das hätte man auch anders haben können.
({0})
Meine Damen und Herren, über die Bedeutung von
Informationstechnologie in unserem tagtäglichen Leben
brauche ich nicht mehr zu sprechen. Diese haben alle
Kolleginnen und Kollegen vor mir schon hervorgehoben. Dass die CeBIT heute eine der weltweit führenden
Leitmessen im Bereich der Informationstechnologie ist,
brauche ich auch nicht noch einmal zu betonen. Ich
finde, dass die Diskussion, ob die CeBIT öffentlich oder
nur dem Fachpublikum zugänglich sein soll, sehr wichtig ist. Denn auch so eine Messe trägt dazu bei, dass sich
junge Menschen dazu entscheiden, einen entsprechenden Beruf zu ergreifen.
({1})
Es wird ja auf den Messen immer despektierlich über
die sogenannten Beutelratten gespottet, die dann mit
Plastikbeuteln bepackt eine Unmenge an Prospekten abschleppen.
({2})
Ich war auch so eine Beutelratte.
({3})
Aber ich bin ganz ehrlich: So eine Messe kann einen
sehr stark in der Entscheidung beeinflussen, welchen
Beruf man später ergreift. Deshalb sollte man auf der
CeBIT vor allem seitens der Aussteller nicht so sehr über
diese jungen Besucher klagen, sondern sie eher für die
entsprechenden Berufe interessieren und anwerben, um
so für die Ingenieure und Facharbeiter von morgen zu
sorgen.
Der erste Computer, mit dem ich zu tun hatte, war
eine Olivetti P101; die kennt vermutlich kein Mensch
mehr. Sie kostete 1970 25 000 D-Mark und wurde in
meiner Schule in einem Raum aufbewahrt, der so gut
wie Fort Knox gesichert war. Wir als Achtklässler durften gerade einmal ehrfurchtsvoll durch die Glasscheibe
den Computer bestaunen. Drei Jahre später hatten wir
alle schon einen kleinen programmierbaren Taschenrechner, und von Ehrfurcht vor dem erwähnten Computer, den wir alle nur den „flotten Wilhelm“ nannten, war
keine Rede mehr.
Wir haben damals nicht geglaubt, dass es eine so rasante Entwicklung geben würde und wir im Jahre 2008
über so große Fortschritte im Bereich der Informationstechnologie sprechen würden. Es war ein weiter
Weg dorthin. Allerdings haben wir damals auch nicht daran gedacht, dass wir einmal über solche Dinge wie den
Energieverbrauch von Computern, den Umgang mit
Elektroschrott und die Frage der Arbeitsbedingungen sowie über durchaus mögliche kriegerische Auseinandersetzungen um die Rohstoffe, die diese Branche benötigt,
sprechen würden.
CeBIT goes green. Das Schlagwort lautet Green IT:
Der Vorstand der Hannover-Messe jubelte, dies sei ein
Megatrend der diesjährigen Messe. Selbst die Automobilbranche hat im letzten Jahr das Green Car entdeckt. Das Wort „Green“ ist also in aller Munde. Wir hören die Worte; natürlich wollen wir aber Taten sehen.
Das betrifft verschiedene Aspekte.
Kollege Bisky hat zu Recht auf den Energieverbrauch
hingewiesen. Herr Staatssekretär Rachel, der schnellste
Rechner der Welt ist nicht mehr JUGENE, sondern der
Rechner Ranger in Texas, der am gleichen Tag eingeweiht wurde.
({4})
Der Unterschied beim Energieverbrauch ist hochinteressant: Ranger erbringt zwar die doppelte Rechenleistung,
verbraucht dafür aber fünfmal so viel Energie. Ich
denke, es sollte gar nicht mehr um die Entwicklung des
schnellsten Rechners, sondern um intelligente Entwicklungen gehen. JUGENE ist ein Beispiel dafür, dass beim
Energieverbrauch gerade im Bereich der Computer noch
eine ganze Menge geht. Wir haben die Debatte über
Stand-by gerade erst begonnen und längst noch nicht abgeschlossen.
Es gibt eine ganze Reihe von Themen, die wir besprechen müssen. Zum Beispiel stellt sich die Frage, wie in
den Herkunftsländern produziert wird. Die Wertschöpfungsketten sind heute so unübersichtlich, dass wir sie
gar nicht mehr verfolgen können; selbst die Chinesen
können sie nicht verfolgen. China hat zwar sehr strenge
Richtlinien zur Verwendung gefährlicher Inhaltsstoffe
erlassen; aber spätestens in der nächsten Produktionsstufe weiß man eigentlich gar nicht mehr, ob diese Richtlinien eingehalten werden. Wir müssen hier Transparenz
schaffen.
Wir müssen auch über die Frage der Rohstoffausbeutung diskutieren, zum Beispiel beim Coltan-Abbau im
Kongo. Das ist keine Petitesse, sondern eine wichtige
Sache, mit der wir uns beschäftigen müssen.
Wir können auch nicht einfach sagen, dass uns die
Frage der Verwertung von Elektroschrott nicht interessiert; denn Elektroschrottfirmen in der Dritten Welt beuten Menschen unter unzumutbaren Bedingungen aus.
Diese Firmen verpesten nicht nur die Natur, sondern
auch die Menschen. Wir können nicht sagen, das interessiere uns nicht, weil wir das schon mit der Elektroschrottverordnung der EU geregelt hätten. Wir müssen
uns politisch mit dieser Frage auseinandersetzen.
({5})
Vielleicht kann man das - Kollege Bisky hat das vorgeschlagen - über Zertifikate und Labels regeln.
Ich bin also der Meinung, dass es nicht reicht, sich
über den Energieverbrauch zu unterhalten; wir müssen
das Thema weiter spannen. Greenpeace veröffentlicht
den Guide to Greener Electronics. In Zukunft sollten bei
Computertests auch die sozialen Standards in den Herkunftsländern unter die Lupe genommen werden. Noch
ist es ein weiter Weg, bis sich Green IT und Fair IT
durchgesetzt haben, doch der Anfang ist gemacht. In allen Zeitungen steht in der Werbung für die CeBIT, die
Technik der Zukunft sei grün; ich hoffe, das trifft tatsächlich irgendwann zu.
Übrigens gibt es den „flotten Wilhelm“ immer noch;
er steht bei mir zu Hause, die Schule hat ihn mir geschenkt. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihn zum
Elektroschrott zu bringen. Vielleicht wird er irgendwann
einmal reaktiviert.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dieter Grasedieck für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Peter Hettlich, die CeBIT fördert genau
das, was Sie aufgeführt haben. Sie haben die Entwicklung von Olivetti zu den jetzigen Computern beschrieben und den „flotten Wilhelm“ erwähnt. Es ist wichtig,
dass wir uns hier über die CeBIT unterhalten; denn sie
ist ein Impulsgeber für die internationale Zusammenarbeit. Auf der CeBIT können internationale Cluster gebildet werden; eine internationale Zusammenarbeit in
Netzwerken ist denkbar. Liebe Frau Flach, es ist entscheidend, dass der Staat hierbei als Treiber fungiert,
dass er also die internationale Zusammenarbeit unterstützt.
Insgesamt präsentieren 5 600 Unternehmen ihre Produkte auf der CeBIT; 3 000 davon kommen aus 77 verschiedenen Nationen. Auf der größten Messe dieses
Bereichs kommt man zusammen und kann zusammenarbeiten. Herr Bisky, es werden digitale Lösungen für den
Bereich Arbeitswelt, aber auch für den Bereich der Lebenswelt angeboten. Hierbei geht es nicht allein um die
Technik für den Automobilbau, die Schweißtechnik und
die Elektrotechnik. Es werden neue Wege beschritten.
Schauen Sie sich das einmal auf der CeBIT an! Auf
40 Prozent der Fläche der CeBIT werden andere Dinge
präsentiert, zum Beispiel - darauf wurde hingewiesen Lösungen für die Bereiche der Geisteswissenschaften,
der Pädagogik und der Gesellschaftswissenschaften.
Ich möchte hier einige Beispiele nennen. Im
vergangenen Jahr habe ich die CeBIT besucht. Ich war
überrascht, welch gute Angebote es in den Bereichen
E-Learning und Wissensmanagement gibt. Wir als Wissensgesellschaft benötigen in der kommenden Zeit diese
Informationen.
In den vielen Fachvorträgen, die auch dieses Jahr wieder auf dem Messeprogramm stehen, wird auf die Chancen und Rahmenbedingungen für das individuelle Lernen mittels Computer hingewiesen. Es ist viel diskutiert
worden. Interessant waren da die Vorschläge zu neuen
Lehrmethoden oder Lernmethoden im berufsbildenden
Bereich. Dadurch können wir unter anderem den Fachkräftemangel reduzieren. Auch hier sind also gute Möglichkeiten zu finden.
Unsere Bundesregierung fördert das ebenso wie viele
andere europäische Staaten. Wir fördern zum Beispiel
das E-Learning-Verfahren. Einige andere Staaten gehen
dazu über - das ist auf der CeBIT diskutiert worden; dies
ist ausgesprochen interessant -, eine Verbindung zwischen dem traditionellen Lernen auf der einen Seite und
dem individuellen Lernen am Computer auf der anderen
Seite zu schaffen. Dabei werden Präsenzseminare durchgeführt. Die kreative Aufgabe wird von dem Schüler
oder dem Studenten zu Hause am Computer erarbeitet.
Dabei gibt es eine intensive Beratung und Betreuung
durch den Professor im Chatroom, per E-Mail und per
Telefonaktion. Genau das müssen wir in der Zukunft
ausbauen, um diese neuen Chancen zu nutzen. Die Angebote müssen in Deutschland verstärkt werden.
Vor allem darauf hat der Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und
neue Medien, Professor Scheer, auf der CeBIT hingewiesen. Wir brauchen mehr Ingenieure; der Herr Staatssekretär hat das vorhin dargestellt. Wir brauchen aber
auch eine Reduzierung der Abbrecherquote bei den Studierenden im Bereich der Technik. Das ist wichtig; dafür
müssen wir sorgen. Die Frauenquote muss erhöht werden. Der Präsident hat dafür eine Lösung. Wir brauchen
eine Förderung, eine individuelle Beratung und eine individuelle Betreuung der Studierenden. Das Bildungssystem muss stärker ein Dienstleistungssystem werden.
Wir brauchen Angebote für 20-jährige Studenten und für
60-jährige Spitzeningenieure. Sie sehen, wir brauchen
hier eine bessere und intensivere Beratung, um die Abbrecherquote zu reduzieren.
({0})
Ich freue mich insofern ganz besonders, als es auf der
CeBIT ein solches Angebot im Hinblick auf Bildung und
Qualifikation gibt. Das ist eine wichtige Plattform. Das
muss in der nächsten Zeit weiterentwickelt werden. Die
CeBIT ist ein Ort für internationalen Forschungsaustausch. Ein wichtiges politisches Signal ist, dass die
Messe hier in Deutschland stattfindet. Deutschland muss
die Ideenschmiede Nummer eins in Europa bleiben.
Glück auf!
({1})
Alte Technologie muss mit neuen Technologien verbunden werden.
({2})
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Marion
Seib das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor wenigen Tagen ist unser Kollege Johann-Henrich
Krummacher verstorben. In seinem Antrag vom Juli
2007 zur gezielten Forschungsförderung im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologien hat er
ganz klar benannt, welche Felder in der IKT-Forschung
wichtig sind: erstens Sicherheit, zweitens Zuverlässigkeit, drittens Benutzerfreundlichkeit, viertens Wirtschaftlichkeit und fünftens Ressourceneffizienz. Er hat
die Herausforderungen an die IKT-Entwickler und -Forscher in folgendem Satz zusammengefasst:
Informatik für den Menschen ist die größte Herausforderung für die Informatik in den nächsten Jahren.
Dieser Satz von Jo Krummacher gilt heute und er wird
noch in den nächsten Jahren gelten.
({0})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es ist ein
schöner Dreiklang, der durch die CeBIT ausgelöst wird.
Die Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuss informieren
sich auf der CeBIT. Wir hier im Plenarsaal debattieren
über IKT-Forschung. Die Entwickler und Anwender diskutieren auf der CeBIT.
({1})
Sie diskutieren über die Thematik Web 2.0/Web-Meeting. Sie diskutieren über Nutzerfreundlichkeit und Nutzerakzeptanz, über Sicherheit, Zuverlässigkeit und maschinelles Lernen, über Identifikation und innovative
Spambekämpfung, über elektronische Personalausweise,
über die IKT-Forschung und auch darüber, ob diese Sinn
für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die
KMUs, macht.
Die kleinen und mittleren Unternehmen haben einen
besonderen Stellenwert innerhalb des Programms
„IKT 2020“. Mit der „KMU-Innovationsoffensive IKT“
können nach der neuesten Richtlinie, die gestern veröffentlicht wurde, die Bewilligungsverfahren beschleunigt
und vor allem vereinfacht werden.
({2})
Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ist es bei Fördergemeinschaften in der Vergangenheit immer wieder zu
Reibungsverlusten gekommen. Diese entfallen aufgrund
der neuen Förderrichtlinien.
Wichtig ist, dass jetzt auch junge Unternehmen ihre
Ideen unbürokratisch verwirklichen können. Bis jetzt haben sich 825 Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft an
diesem Projekt beteiligt. Davon waren 482 kleine und
mittlere Unternehmen. Ich hoffe sehr, dass sich durch die
beabsichtigte Verdoppelung der Fördermittel noch sehr
viel mehr kleine und mittlere Unternehmen, vor allem
aber junge Unternehmen an dem Programm beteiligen
können. Ich wünsche mir sehr, dass die Förderung künftig für 1 000 kleine und mittlere Unternehmen Gutes
leistet. Ich hoffe, dass die Zahl „1 000“ eine magische
Zahl sein wird, die zu überschreiten sich lohnen wird.
Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen,
die für diese Branche geradezu typisch sind, sind die
Förderung von Ideenreichtum und die Entwicklung von
modernen, energiesparenden Geräten wichtig. So können auch KMUs an dem Wettbewerb um die besten
Ideen teilnehmen.
({3})
Wenn wir uns vor Augen halten, dass ein Server einer
kleinen IKT-Firma mit circa zehn Mitarbeitern 300 bis
400 Kilowatt Strom verbraucht, wobei der Strom für die
Kühlung noch nicht einmal berücksichtigt ist, wird uns
klar, dass der Hunger nach sparsamen Geräten groß ist.
Klare, leicht lesbare Umweltsiegel wären hilfreich; denn
die kleinen und mittleren Unternehmen könnten ihre
Geldressourcen durch niedrigeren Stromverbrauch schonen.
Ressourcenschonung und Ressourceneffizienz hören
aber nicht bei den kleinen und mittleren Unternehmen
auf. Ein Beispiel: Wenn wir wollen, dass die technische
Ausstattung am jeweiligen Standort des Forschers nicht
mehr der limitierende Faktor sein soll, dann müssen wir
die Forschung im Bereich des Grid-Computing beschleunigen. Der weltweite Zugriff auf Hochleistungsrechner
und Datenspeicher, auf spezialisierte Programme, Messdaten und Messinstrumente ist unabdingbar, wenn wir
Modellierungs-, Simulations- und Optimierungskompetenzen zusammenführen wollen.
Allein dieses Forschungssegment zeigt, dass es unabdingbar ist, dass Deutschland seine Innovationskompetenz durch internationale Kooperation und internationale
Vernetzung stärkt. Dies ist am schnellsten und nachhaltigsten dadurch zu erreichen, dass wir Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern
Auslandsaufenthalte ermöglichen. Internationale Nachwuchsprogramme, am besten mit Rückkehrvereinbarung, sind die Instrumente der ersten Wahl.
({4})
Wenn diese Nachwuchsprogramme mit Stipendien der
Wirtschaft oder von Stiftungen ausgestattet werden
könnten, wäre das perfekt.
Erfreulich ist auch, dass das Interesse von Frauen an
technischen Studiengängen wächst. Im Wintersemester
2007/2008 haben gegenüber dem Wintersemester 2006/
2007 immerhin 13 Prozent mehr Frauen einen technischen Studiengang begonnen. Das lässt hoffen.
({5})
Daran sollten wir gemeinsam weiterarbeiten.
Besten Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die CeBIT ist nach wie vor so beeindruckend wie die Zahlen, die die Informations- und
Kommunikationsbranche seit Jahren produziert. Die
Hightechbranche hat im vergangenen Jahr mit 143 Milliarden Euro Umsatz wieder einmal ein beeindruckendes
Ergebnis hingelegt. In diesem Jahr soll es sogar noch
eine weitere Steigerung geben. Die Branche ist ein äußerst wichtiger Wirtschaftsfaktor für den Standort
Deutschland. Viele Menschen können sich überhaupt
nicht vorstellen, dass es ein Leben vor dem Internet und
dem Handy gegeben hat.
In dieser Woche hat der Chef von Microsoft, Steve
Ballmer, gesagt, dass wir wieder vor einer Computerrevolution stehen, die in den kommenden Jahren nicht nur
die Softwareindustrie prägen werde. Die inzwischen
fünfte Revolution werde die allumfassende Vernetzung
sein, da sich jedes Gerät automatisch mit dem Internet
werde verbinden können und die Daten noch freier, noch
einfacher und zugänglicher abgerufen, gespeichert oder
verschoben werden können. Fragen der Kompatibilität
würden dann der Vergangenheit angehören. Die technische Revolution, die sich in den vergangenen Jahren aufgetan hat, ist in der Tat sehr beeindruckend. Leider wird
manchmal vergessen, dass es nicht nur um Technik an
sich geht, sondern auch um deren Anwendung, nicht nur
durch Ingenieure und studierte Techniker, sondern auch
durch ganz normale Menschen von acht bis über
80 Jahre.
Gestatten Sie mir ein paar Anmerkungen aus der
Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie sind im
Übrigen alles andere als technikfeindlich. Der Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur für die Jahre 2006
und 2007 weist dies deutlich aus. Im Jahre 2007 nutzten
39,2 Millionen Menschen regelmäßig das Internet. Damit sind über 60 Prozent der über 14-Jährigen in
Deutschland online. Mitte 2007 wurde im Bereich der
Mobiltelefondienste die Penetrationsrate von 110 Prozent bereits überschritten. Im Jahre 2007 wurden 16 Milliarden Gesprächsminuten über Internettelefonie abgerechnet, 2006 waren es nur 9 Milliarden. Das ist eine
Steigerung von über 75 Prozent.
Diese umfangreiche und breite Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie birgt natürlich
auch Probleme, denen sich die Politik, aber in besonderem Maße auch die Branche selbst stellen müssen. Damit werden Herausforderungen für Unternehmen und
Politik definiert und Ziele für Forschung und Entwicklung vorgegeben.
Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen das Internet als Handels- und Shoppingplattform
weltweit. Hier stellen sich natürlich Fragen hinsichtlich
der Gültigkeit von Rechtsvorschriften, hinsichtlich des
Vertragsrechts und hinsichtlich der Haftung. Über unser
nationales Recht hinaus muss es europaweite und mittelfristig auch internationale Vereinbarungen geben. Wir
sind damit konfrontiert, dass mehr und mehr Verbraucher im Internet in Abonnementverträge gelockt werden.
Wir sind mit Identitätsdiebstahl, mit Knebelverträgen,
mit Warteschleifen bei Hotlines, mit belästigenden Werbeanrufen, Phishing, Pharming, Trojanern und Viren
konfrontiert. All diese Erscheinungen trüben massiv die
Freude an der Nutzung dieser Technologien. Es muss
deshalb zukünftig erhebliche zusätzliche Anstrengungen
geben, um die Sicherheit im IT-Bereich deutlich zu erhöhen.
({0})
Die Bundesregierung macht hier etwas. Hier sind in besonderem Maße auch die Unternehmen gefordert.
Die IT-Produkte müssen endlich nutzerfreundlicher
werden. Viele Produkte werden mit Gebrauchsanleitungen ausgeliefert, deren Lektüre Tage erfordert, die häufig ohne ein ingenieurwissenschaftliches Studium nicht
zu verstehen sind, die Antworten auf Fragen geben, die
keiner gestellt hat,
({1})
und einfache wichtige Hinweise zur Bedienung verschweigen. Forschung und Entwicklung dürfen nicht allein den Ingenieuren überlassen werden, die miteinander
wetteifern, wie viele unterschiedliche Funktionen in einem Gerät untergebracht werden können, Funktionen,
die überwiegend niemand braucht, die niemand nutzt,
die aber mitbezahlt werden müssen.
Die Bedürfnisse der Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sehr viel stärker in Forschung und Entwicklung einfließen. In ihrer aktuellen Ausgabe testet die
Stiftung Warentest erstmals Seniorenhandys. Wie lange
hat es gedauert, bis hier einem Markt, der durch die demografische Entwicklung längst entstanden war, Rechnung getragen wurde? Im Jahre 2050 wird es statt
4 Millionen 10 Millionen Menschen geben, die über
80 Jahre alt sind. Es darf keine digitale Spaltung der Gesellschaft geben. Technik darf kein Selbstzweck sein. Sie
muss das Leben der Menschen erleichtern, Teilhabe ermöglichen und nicht Ausgrenzung produzieren.
({2})
Informations- und Kommunikationstechnologie soll
Innovation, Fortschritt, neue Arbeitsplätze, Umsatz, Erleichterungen im Alltag und einfach auch Spiel und Spaß
bringen. Das gelingt dann, wenn bei Forschung und Entwicklung diejenigen nicht vergessen werden, die die
Produkte kaufen und nutzen sollen. In diesem Sinne
wünsche ich der CeBIT weiterhin einen großen Erfolg.
({3})
Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube, wir können stolz sein, dass in
Deutschland eine so gewaltige und starke Messe wie die
CeBIT stattfindet.
({0})
Es ist gut, dass wir darüber im Deutschen Bundestag einmal diskutieren.
({1})
- Frau Kollegin Flach, wir sollten heute der Frage nachgehen: Welche Bedeutung hat diese Messe eigentlich für
die deutsche Politik? Es wäre ein Zeichen von Seriosität
und inhaltlicher Schwere gewesen, wenn sich die Opposition daran beteiligt und nicht einfach nur kritisiert
hätte, dass wir diese Debatte heute führen.
({2})
Das ist in der Tat ein bisschen einfach und billig, Frau
Flach.
({3})
Eines ist klar: Die Entwicklungen im IT-Bereich haben das Leben der Menschen in diesem Land und auf der
ganzen Welt so sehr beeinflusst und verändert wie kaum
etwas anderes, und sie haben das Leben in vielen Fällen
einfacher und preiswerter gemacht. Viele Probleme,
auch im Bereich der Medizin, wären nicht zu lösen gewesen, hätten uns nicht die umfassenden IT-Möglichkeiten zur Verfügung gestanden. Deswegen ist es gut und
richtig, dass die Bundesregierung mit dem Aktionsprogramm „Informationsgesellschaft Deutschland 2010“
und mit dem Programm des Bundesforschungsministeriums „IKT 2020“ starke Akzente setzt und sehr viel
Geld investiert.
({4})
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Deutschland auf diesem Sektor wie zum Beispiel im Bereich der
Unternehmenssoftware und bei vielen anderen komplexen Anwendungen weiterhin führend ist. Die Spezialität
Deutschlands besteht ja darin, komplexe Systeme und
Anwendungen zu „handeln“. Das ist eine der wesentlichen Fähigkeiten, die deutsche Ingenieure haben. Auf
diesem Gebiet sind wir gut, auch deshalb, weil wir hier
teurer sein können als andere. In dieser Disziplin wird
grenzüberschreitend gearbeitet; das gilt für die Medizin,
die Automobilindustrie, die Automatisierungstechnik
und viele andere Bereiche.
Für die IKT-Branche ist Deutschland weltweit der
drittgrößte Markt. Mehr als jeder zweite in Europa hergestellte Halbleiter ist „made in Germany“ und kommt
aus Dresden; darauf sind wir stolz, und das zu Recht.
({5})
Der Herr Staatssekretär hat schon darauf hingewiesen:
Sachsen ist die Schmiede der Mikroelektronik.
({6})
- Frau Kollegin Flach, jeder dritte Prozessor, der weltweit produziert wird, kommt aus Dresden.
({7})
Das ist so, weil dort kluge Menschen leben. Vor allen
Dingen aber ist das so, weil dort durch eine kluge Politik
über einen langen Zeitraum die richtigen Schwerpunkte
gesetzt wurden, weil wir dort in Forschung und Entwicklung investiert haben und weil wir die Möglichkeit haben, über das Beihilferegime Unternehmensansiedlungen zu unterstützen; das ist ein entscheidender Punkt.
({8})
- Die verschiedenen Bundesregierungen haben diesen
Standort in allen Legislaturperioden seit 1990 unterstützt; das ist vollkommen richtig. Das müssen wir
allerdings auch in Zukunft tun. Dafür muss auf europäischer Ebene ein geeigneter Beihilferahmen geschaffen
werden. Derzeit heißt es dort allerdings, dass wir keine
Subventionen zahlen dürfen. Man will verhindern, dass
sich die europäischen Staaten durch die Zahlung von
Subventionen einen Konkurrenzkampf liefern.
Eines ist aber klar: Die IT-Industrie und der Bereich
der Mikroelektronik hat im Wesentlichen nichts mit
Europa zu tun. Das ist ein Wettbewerb zwischen Amerika, Europa und Asien. Wir müssen unseren Standort fit
halten. Aus diesem Grunde diskutieren wir derzeit auf
europäischer Ebene, wie es im Hinblick auf das Beihilferegime gelingen kann, wettbewerbsfähig zu bleiben. Ich
bitte die Bundesregierung, unsere Anstrengungen nach
Kräften zu unterstützen.
Meine Damen und Herren, Dresden bzw. Sachsen ist
ein Beispiel dafür, wie man durch eine kluge Politik auch
beim Aufbau Ost erfolgreich sein kann. 70 Unternehmen,
die auf der CeBIT vertreten sind, kommen aus Sachsen.
Heute hat die Bundeskanzlerin dort die KOMSA AG besucht, ein Unternehmen aus Chemnitz mit 1 000 Beschäftigten. Diese Firma war vor 15 Jahren noch sehr
klein. Damals arbeiteten dort nur eine Handvoll Leute.
Heute hat dieses Unternehmen 1 000 Beschäftigte, es
macht einen gewaltigen Umsatz, und 40 Prozent seiner
Führungskräfte sind Frauen. Das ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte. Darauf sind wir stolz. Das muss man
hier auch einmal feststellen.
({9})
All diejenigen, die gerade applaudiert haben, freuen
sich mit mir über unsere Erfolge beim Aufbau Ost; das
ist auch gut so. Hier wollen wir weiterhin Akzente setzen. Ich glaube, die CeBIT und die Entwicklungen im
IKT-Bereich machen deutlich, dass man dann, wenn
man kluge Ideen hat und eine kluge Politik betreibt, im
Sinne des Standortes Deutschland erfolgreich sein kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Heinz Schmitt für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Die CeBIT - wir haben es mehrfach gehört - hat gestern begonnen. Diese Messe bringt in diesem Jahr 6 000 Aussteller aus 77 Ländern zusammen.
Das zeigt, dass Deutschland weiterhin ein wichtiger
Standort, der Leitstandort für die IuK-Technologien ist.
Es wird geschätzt, dass das Wirtschaftswachstum der
Branche dieses Jahr bei 1,6 Prozent liegen wird. Der
Jahresumsatz wird bei ungefähr 145 Milliarden Euro liegen. Einen weiteren wirtschaftlichen Schub wird sicherlich das DVD-Nachfolgeformat Blu-Ray bringen.
Ein weiterer Wachstumstreiber, sagt der Präsident der
BITKOM, Dr. August-Wilhelm Scheer, werden dieses
Jahr besonders energiesparende und umweltfreundliche
IT-Geräte sein. Das ist sicherlich einer der Gründe dafür,
dass Green IT ein Schwerpunktthema der diesjährigen
CeBIT ist. Laut BUND ist der Stromverbrauch von ITGeräten für 43 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Handy, Computer, Fernseher - moderne Informationstechnik benötigt immer mehr Energie.
IBM-Deutschland-Chef Martin Jetter hat es auf den
Punkt gebracht:
Um den Energieverbrauch vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln, müssen wir quer durch alle
Wirtschaftsbereiche energieeffiziente Produkte
konstruieren, produzieren, nutzen und
- ein ganz wichtiger Punkt recyclen. Und dies ist nur mit innovativer Hightech
machbar.
Moderne Informationstechnik und Umweltschutz müssen also miteinander kombiniert werden. Davon profitiert die Umwelt; mit Green IT lässt sich aber auch viel
Geld verdienen bzw. viel Geld einsparen.
Der Präsident der BITKOM, Herr Scheer, hat in einer
Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass sich ein „grünes“, das heißt energieeffizientes Rechenzentrum allein
durch die Stromeinsparungen bereits nach zwei Jahren
rechnet. Umweltschutz im Betrieb schlägt sich also auch
in der Bilanz positiv nieder.
Dass umweltfreundliche IT-Produkte beim Verbraucher gut ankommen, zeigt eine aktuelle Umfrage, der zufolge die Deutschen bereit wären, 20 Prozent mehr zu
zahlen, wenn sie dafür umweltfreundliche IT-Produkte
bekommen. Von der Entwicklung bei Biolebensmitteln
kann die IT-Branche lernen, dass mit nachhaltigen Produkten gutes Geld zu verdienen ist.
({0})
Dass noch viel zu tun ist, damit IT-Produkte umweltfreundlicher werden, zeigt sich besonders beim Thema
Stand-by. Der Stand-by-Betrieb elektrischer Geräte belastet die Umwelt mit 10 Millionen Tonnen CO2 und
kostet die privaten Haushalte ungefähr 2,3 Milliarden
Euro pro Jahr - Kosten, die vermeidbar sind. Besonders
ärgerlich sind Geräte, die sich nicht ausschalten lassen.
Dazu gehören Produkte mit dem sogenannten Schein-ausModus. Der BUND hat den Energieverbrauch von Tintenstrahldruckern im Aus-Modus gemessen. Die Ergebnisse sind für viele Hersteller wenig schmeichelhaft. Besonders schlimm sind Geräte, bei denen man, weil die
Kontrolllämpchen ausgeschaltet sind, gar nicht merkt,
dass sie immer noch Strom verbrauchen. Dieser schleichende Stromverbrauch kann sich über die Lebensdauer
eines Druckers auf 100 Euro summieren - teuer für den
Verbraucher und schlecht für die Umwelt.
Abhilfe gegen solche Stromverschwender bieten, wie
wir schon gehört haben, besondere Siegel. Der Energy
Star wäre eine Möglichkeit, Geräte auszuzeichnen, die
im Stand-by- bzw. im Schein-aus-Modus höchstens
3 Watt verbrauchen. Aber auch diese 3 Watt sind noch
zu viel.
({1})
Es geht aber auch darum, Computer, Handys ohne
gefährliche Stoffe zu produzieren. Denn Halbleiterprodukte enthalten immer Galliumarsenid und andere hochgefährliche Stoffe, die trotz Elektroschrottverordnung
nicht immer vorschriftsgemäß entsorgt werden. Es geht
Heinz Schmitt ({2})
also auch um eine umweltbewusste Entsorgung des anfallenden Elektroschrotts.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist, was die
Umwelttechnik angeht, immer noch weltweit führend
und wird es noch lange Zeit bleiben. Der Informationsund Kommunikationsmarkt ist ein riesiger Markt. Er
wird weiterhin - wir haben es heute schon mehrfach gehört - anwachsen. Wir, die Politiker und die Unternehmen, sollten dafür sorgen, dass unser Know-how in der
Umwelttechnik noch viel stärker in diesen boomenden
Markt eingebracht wird. Das wäre gut für die Umwelt,
gut für die Wirtschaft und am Ende natürlich gut für die
Verbraucher.
({3})
Ich denke, wir setzen mit der heutigen Diskussion anlässlich der CeBIT ein wichtiges Signal. Ich könnte mir
vorstellen, dass man unsere Debatte jetzt auf mancher
Großleinwand auf der CeBIT verfolgt.
({4})
- Ich gehe einmal davon aus, dass wir dort wahrgenommen werden, egal wie gut die Beiträge waren. Wir machen nämlich deutlich, dass uns dieses Thema wichtig
ist.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Heinz
Riesenhuber für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Herr
Schmitt, über Ihre Botschaft an die CeBIT habe ich mich
besonders gefreut. Ich bin sicher, dass das hier allgemeine Begeisterung ausgelöst hat.
Was wir hier heute diskutieren, ist - entgegen der Befürchtung des Kollegen Volker Beck - eine durchaus interessante Debatte geworden.
({0})
Selbst von Ihnen, Herr Hettlich, habe ich einiges gelernt.
Ich habe das mit Vergnügen gesehen.
Nun hat Frau Flach eingangs die Frage gestellt, warum wir eigentlich über eine Messe reden, die von Privaten veranstaltet wird. Ich muss sagen: Ja, IT findet bei
den Privaten statt. Wollen Sie es lieber vom Staat haben?
({1})
Es ist nicht unsere Aufgabe, die Zukunft zu erfinden. Es
ist aber unsere Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass diejenigen in der Wirtschaft und in der
Wissenschaft, die die Arbeit für die Zukunft machen
wollen, dies tun können. Da haben wir noch nicht alles
erreicht; das weiß ich schon.
({2})
Wenn wir alles erreicht hätten, brauchten wir nicht hier
zu sein. Wir machen Politik, weil wir noch um einiges
weiterkommen wollen.
({3})
Wir haben für die Voraussetzungen, die der Staat
schaffen kann, bereits einen vernünftigen Weg eingeschlagen. Die Bundesregierung in ihrer weitschauenden
Weisheit ist genau an den richtigen Themen dran. Zu den
Voraussetzungen, die der Staat hier schaffen kann, gehört, dass er Rahmen setzt.
({4})
Er kann über Standardisierung sprechen. Er kann Recht
in diesem Bereich setzen. Er kann über Digital Rights
Management entscheiden.
({5})
Er kann Urheberrecht schaffen. Er kann Normen und
Standards international vereinbaren. Überall ist man da
dran.
Der Staat kann Programme machen, die die Unternehmen fördern. Hier haben mehrere Redner mit Begeisterung erwähnt, dass wir für die kleinen und mittleren Unternehmen eine Vielzahl von maßgeschneiderten und
intelligenten Programmen haben.
({6})
Ich finde, es ist eine vorzügliche Sache, dass wir uns hier
so einig sind. Wenn wir uns bei allen Techniken so einig
wären, was glauben Sie, wie schwungvoll Deutschland
in die Zukunft marschieren würde.
({7})
Wenn der Streit nur noch darum geht, wie man so etwas am besten macht, dann haben wir eine andere Welt.
Ich sehe mit Vergnügen, dass das, was die Bundesregierung mit allgemeiner Unterstützung - wie ich feststelle voranbringt, tatsächlich wirkt. Wir haben einige Sachen,
bei denen es langsam voranging. Bei der Maut sind wir
erst etwas gestolpert. Aber jetzt ist es ein Erfolgsprogramm und ein glanzvolles Projekt mit internationaler
Spitzentechnik. Bei E-Government können wir noch ein
bisschen von anderen lernen.
({8})
Aber der Riesenvorteil, von anderen lernen zu können,
liegt darin, dass es sehr viel schneller geht, als wenn wir
alles selber erfinden müssten.
Bei E-Health führen wir mit der Gesundheitskarte in
Baden-Württemberg einen Feldversuch durch. Die Sache läuft in einer ermutigenden Weise. Das geht dann
weiter bis zum Disease Management - das heißt nun leider so -, also bis zum Management von Krankheiten,
und bis zur Telemedizin. Das eröffnet eine ganz neue
Welt von Hilfe für die Menschen. Das sind Dienstleistungen, die neue Märkte schaffen. Das heißt, aus dem,
was der Staat in vielfältiger Weise unternimmt, können
die Privaten etwas machen.
({9})
Wir sagen den Privaten nicht, was sie tun sollen, und wir
wollen sie nicht daran hindern, das zu tun, was sie tun
wollen. Das ist der entscheidende Punkt.
({10})
Damit haben wir mit der Rahmensetzung, den Leuchtturmprojekten, der gezielten Förderung dessen, was wir
als strategische Linie vertreten, und der gesamten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und
Politik ein System aufgebaut, das das gesamte Gebiet
voranbringt. Von der Initiative D 21 bis zu den IT-Gipfeln wird das Thema mit den Betroffenen so diskutiert,
dass jeder in seinem Bereich die Rahmenbedingungen
kennt und daran mitwirkt, dass der richtige Weg beschritten wird.
({11})
Hier entsteht eine Welt, die wir noch nicht kennen
und nicht prognostizieren können.
({12})
Das Wichtigste, das passieren wird, liegt ohnehin jenseits jeder Vorausschau. Zum Beispiel hat niemand den
Walkman vorhergesehen. Da ist jemandem etwas eingefallen, mit dem er die Wirklichkeit verändert hat.
({13})
Wie man die Zukunft angeht, ist kein Thema, das der
Staat vorgeben kann. Wir müssen nur denjenigen einen
Rahmen bieten, die Ideen und Unternehmungsgeist haben, und ihnen helfen, dass sie bei guter Laune bleiben.
({14})
Zurzeit erleben wir einen schwungvollen Aufbruch in
eine neue Wissensgesellschaft. Auf der CeBIT sind Systeme zu sehen, die zusammenwachsen. Telefon, Fernsehen und Computer wachsen zu einem einzigen System
zusammen. Mit einem Handy kann man fotografieren
und sogar telefonieren, so unwahrscheinlich das klingt.
({15})
Man kann damit E-Mails austauschen und rechnen. Es
kann alles, was von ihm verlangt wird.
Die Systeme wachsen zusammen. Was Sie an Dienstleistungen brauchen, können Sie sich aus einem Teich
herausfischen, in dem alles zusammengeflossen ist. Daraus entsteht eine Wissensgesellschaft, in der Wissen
überall und zu jeder Zeit für jeden verfügbar ist und in
der man vernünftig damit umgehen kann. Es kommt zu
einem Wachstum des guten Gewissens. Bei diesem
Wachstum werden nicht Rohstoffe und Energie verbraucht und die Umwelt belastet; es basiert vielmehr auf
Intelligenz. Intelligenz ist nach Auskunft von Experten
unbegrenzt vorhanden. In der Praxis ist sie gelegentlich
knapp, aber sie wächst nach. Insofern bleibt Hoffnung.
({16})
Durch die von uns aufgelegten nationalen Programme
zur Förderung junger Frauen - diese Programme sind
mir ungemein sympathisch - werden wir noch einen
ganzen Pool an Intelligenz, die wir noch nicht in die gemeinsamen Aufgaben einbezogen haben, erschließen
können. Auch dies ist ein prächtiger Schritt.
({17})
Wenn wir die notwendigen Voraussetzungen in der
Wissenschaft, Wirtschaft und Organisation schaffen,
dann ist es entscheidend, dass wir dies mit frohem Mut
und einem zuversichtlichen Geist angehen. Diesen Geist
kann man auf der CeBIT erleben. Die Menschen sind
fröhlich. Sie haben Freude an der Arbeit und gehen mit
Mut und Unternehmungsgeist an die Aufgaben heran.
Dieser Geist, die Aufgaben mit Vernunft, Fröhlichkeit
und Entschlossenheit zu bewältigen und etwas aus unserer gemeinsamen Zukunft zu machen, strahlt bis in die
Debatten dieses hochehrwürdigen Parlaments aus.
({18})
An diesem Geist erkennen auch die anderen Partner,
dass Deutschland, weil es an seine Zukunft glaubt, mit
Freude vorangeht, mit Ideen die Wirklichkeit mitgestaltet und daraus eine gute Zukunft für uns selbst und die
anderen schafft.
({19})
Mit diesem optimistischen Redebeitrag ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Donnerstag, 6. März 2008, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.