Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/21/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Georg Brunnhuber zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen Tagen begangen hat, und im Namen des Hauses alle guten Wünsche übermitteln. ({0}) Die Feierlichkeiten hat er erkennbar gut überstanden; das ist beruhigend. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 13, 23 und 25 abzusetzen und die verbundene Tagesordnung um die in der folgenden Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Vereinbarte Debatte Zukunft des Kosovos nach der Unabhängigkeitserklärung ({1}) ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fehlende Strategien der Bundesregierung in der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Konsequenzen aus den Steuervergehen durch Finanztransfers ins Ausland ({2}) ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Naturschutz praxisorientiert voranbringen Entwicklung der Wildtiere in Deutschland - Drucksache 16/8077 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer - Drucksache 16/8185 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben - Drucksache 16/8187 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU, der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine neue, effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nahrungsmittelhilfekonvention - Drucksache 16/8192 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({7}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({8}) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union - Drucksache 16/6563 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({9}) - Drucksache 16/8222 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({10}) Joachim Stünker Dr. Peter Danckert Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei, über offene Listen der Partei DIE LINKE in Parlamenten Mandate zu erlangen, und die damit verbundenen Auswirkungen ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({11}), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zehn Jahre Washingtoner Konferenz - Initiative für eine Nachfolgekonferenz in Deutschland - Drucksache 16/7857 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({12}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen - Drucksache 16/5615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Potenziale der Tourismusbranche in der Entwicklungszusammenarbeit durch Aufgabenbündelung im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausschöpfen - Drucksache 16/8176 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck ({14}), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Integrationspolitik der Bundesregierung Große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Drucksache 16/8183 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({15}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 143. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts ({17}) - Drucksache 16/7918 überwiesen: Finanzausschuss ({18}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Präsident Dr. Norbert Lammert Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann haben wir das so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften - Drucksache 16/8148 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({19}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich ({20}) - Drucksache 16/8149 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({21}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Drucksache 16/8150 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({22}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Deutschen Energie-Agentur GmbH ({24}) über die Bestandsaufnahme und den Handlungsbedarf bei der Förderung des Exportes Erneuerbare-Energien-Technologien 2003/2004 - Drucksachen 15/5938, 16/480 Nr. 1.17, 16/4962 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth Angelika Brunkhorst Hans-Josef Fell Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst Bundesminister Sigmar Gabriel.

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behandeln heute die ersten Bestandteile des integrierten Klima- und Energiepakets, das die Bundesregierung am 5. Dezember 2007 beschlossen hat. Die Bundesregierung hat das Ziel, die Treibhausgasemissionen unseres Landes bis zum Jahre 2020 um 40 Prozent zu senken. Wir gehen davon aus, dass wir bei den internationalen Verhandlungen, die auf Bali begonnen haben, Erfolg haben werden. Um zu erreichen, dass die Treibhausgasemissionen weltweit um 30 Prozent reduziert werden, muss auch die Europäische Union ihren Beitrag leisten. Um dieses Ziel in der Europäischen Union abzusichern, ist Deutschland bereit, einen Minderungsbeitrag von 40 Prozent zu erbringen, wenn wir international Erfolg haben. Zu diesem Zweck hat das Kabinett in Meseberg im August des letzten Jahres eine Vielzahl von Gesetzentwürfen und Verordnungen in Auftrag gegeben. 14 davon haben wir am 5. Dezember 2007, nicht einmal drei Monate danach, beschlossen. Ein weiteres Paket wird am 21. Mai verabschiedet werden. Die ersten Gesetzentwürfe dazu liegen vor. Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich wollen wir den Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor bis 2020 auf 30 Prozent ausbauen. Heute sind wir bei 14 Prozent. Das ist eine Riesenerfolgsgeschichte in unserem Land. Wir wollen den schlafenden Riesen wecken und dazu beitragen, dass die erneuerbaren Energien auch im Wärmesektor genutzt werden. Ihr Anteil beträgt im Wärmesektor im Moment etwa 6 Prozent. Wir wollen diesen Anteil auf 14 Prozent steigern. Allein in diesen beiden Sektoren haben wir 235 000 Arbeitsplätze in unserem Land geschaffen. Das ist ein Riesenerfolg in der Entwicklung der Technologie zur Nutzung der erneuerbaren Energien in unserem Land. ({0}) Mit unseren Ausbauzielen wollen wir die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2020 mindestens verdoppeln. Wir wollen drei Ziele miteinander verbinden: Erstens. Wir wollen mehr zum Klimaschutz beitragen, indem wir unsere Treibhausgasemissionen senken. Zweitens. Wir wollen vom Import von Rohstoffen wie Öl und Gas und damit von Preissprüngen unabhängiger werden. Drittens. Wir wollen neue Arbeitsplätze in unserem Land schaffen. Wir wollen zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum, Leistungsfähigkeit und Wohlstand mit Klima- und Umweltschutz vereinbar sind. Beim Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geht es - dazu will ich etwas mehr sagen - um den Einsatz von Bio15238 kraftstoffen, die ja derzeit in der internationalen und auch in der deutschen Debatte umstritten sind. Zum Thema Biokraftstoffe hat das Bundeskabinett Gesetz- und Verordnungsentwürfe verabschiedet: Das Biokraftstoffquotengesetz ist bereits am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Darin wird geregelt, dass wir stufenweise bis zum Jahr 2015 auf 8 Prozent Einsatz von Biokraftstoffen an den normalen Kraftstoffen kommen wollen. Heute ändern wir hier im Parlament das Biokraftstoffquotengesetz mit dem Achten Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Diese Änderung soll uns, bezogen auf die tatsächliche Verringerung des CO2Ausstoßes bei Kraftstoffen, ehrlicher machen. Der Mindestanteil von Biokraftstoffen wird in Zukunft in Deutschland nicht mehr energetisch definiert, wie es bislang in der Europäischen Union und auch in anderen Ländern immer noch der Fall ist, sondern der tatsächliche Klimaschutzbeitrag soll Grundlage für die Anrechenbarkeit des Einsatzes von Biokraftstoffen auf die Quote werden. In Zukunft dürfen Biokraftstoffe nur angerechnet werden, wenn sie mindestens einen Klimaschutzbeitrag von 30 Prozent gegenüber fossilen Kraftstoffen erbringen. Meine Damen und Herren, die öffentliche Kritik am Einsatz von Biokraftstoffen in der Klimapolitik ist durchaus gerechtfertigt. Natürlich müssen wir darauf achten, dass wir uns nicht selbst täuschen und eine Scheinbilanz für die Senkung von CO2 vorlegen. Weder darf der Einsatz von Biokraftstoffen in Deutschland und Europa das Abholzen von Regenwäldern beschleunigen und begünstigen, noch dürfen wir die CO2-Emissionen wissentlich übersehen, die bei der Herstellung von Biokraftstoffen zum Beispiel im Hydrierungsverfahren ausgelöst werden können. Das hat zur Folge, dass wir den 10-prozentigen Anteil an Biokraftstoffen, wie ihn die Europäische Union haben will, ehrlicherweise auch netto berechnen müssen. Die EU tut dies bislang nicht; sie bezieht sich in ihren Berechnungen nur auf den Energiegehalt und nicht auf den tatsächlichen Klimaschutzbeitrag. Bei Zugrundelegung des Nettoklimaschutzbeitrags müssen wir, um den von der EU verlangten 10-prozentigen Beitrag zu erbringen, dem Volumen nach 20 Prozent Biokraftstoffe beimischen. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir also den ersten entscheidenden Schritt tun, um den Einsatz von Biokraftstoffen auf ihren tatsächlichen Klimaschutzbeitrag zu überprüfen. Der zweite entscheidende Schritt ist die Einführung der Nachhaltigkeitsverordnung, die das Bundeskabinett bereits am 5. Dezember 2007 verabschiedet hat. Diese Nachhaltigkeitsverordnung, die ökologische Standards für die Anrechenbarkeit von Biokraftstoffen auf die Quoten nach dem Biokraftstoffquotengesetz regelt, liegt derzeit zur Notifizierung bei der Europäischen Union. Die Notifizierung ist notwendig, weil die ökologischen Standards natürlich Handelshemmnisse im europäischen Binnenmarkt auslösen sollen. Sie ist nach unserer Rechtsauffassung nicht WTO-widrig, weil wir nicht den Import von Biomasse, sondern durch die ökologischen Standards die Anrechenbarkeit auf die Biokraftstoffquote einschränken. Dies soll natürlich den wirtschaftlichen Druck auf die Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien drastisch erhöhen. Diese Nachhaltigkeitsverordnung Deutschlands soll das Vorbild für die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Regelungen zur Nachhaltigkeit beim Biokraftstoffeinsatz sein. Auch die EU-Kommission will ihr Ziel von 10 Prozent Biokraftstoffbeimischung bis 2020 an die Einhaltung dieser Kriterien binden. Der Vorwurf, diese Nachhaltigkeitskriterien würden erst in einem Jahrzehnt in Kraft treten, ist falsch. Richtig ist, dass die Entwicklung von Zertifizierungssystemen, die den Nachweis eines ökologisch nachhaltigen Anbaus erbringen können, Jahre in Anspruch nehmen wird. Aber nach Inkrafttreten der Nachhaltigkeitsverordnung im Jahr 2010 dürfen importierte Biokraftstoffe solange nicht auf die Quote angerechnet werden, bis diese Kriterien erfüllt sind. Diese Strategie zur Durchsetzung von ökologischen Standards beim Anbau von Biomasse zur Energieerzeugung und die Orientierung an einer Nettobilanz müssen natürlich auch auf den Bereich der Stromerzeugung und der Wärmeproduktion ausgedehnt werden. Nicht nur das: Aus meiner Sicht müssen diese Kriterien auch für den Einsatz von Futtermitteln in der Landwirtschaft gelten; ({1}) denn wir führen am Beispiel der Biokraftstoffe natürlich derzeit eine Stellvertreterdiskussion. Weit mehr als 80 Prozent der weltweit angebauten Biomasse gehen in die Nahrungs- und Futtermittelerzeugung und nicht in die Kraftstofferzeugung. Hier geht es vor allem um Sojaanbau. In diesem Bereich ist Europa der größte Importeur und innerhalb Europas Deutschland. Wer über die Abholzung von Regenwäldern spricht und sich darüber beklagt, darf die Gefahren im Bereich der Brandrodung und des Anbaus von Soja in den Regenwäldern für die Futtermittelindustrie nicht permanent verschweigen. ({2}) Wenn die öffentliche Diskussion über Biokraftstoffe bewirkt, dass wir auch darüber reden und die Nachhaltigkeitskriterien auch im Bereich der Futtermittelindustrie ausbauen, dann leisten wir einen wirklichen Beitrag zum Schutz der Regenwälder und gegen das Abbrennen von Mooren in Indonesien. ({3}) Die Bundesregierung wird sich offensiv mit den umfangreichen Gutachten zu den ökologischen und sozialen Folgen der Biomasseproduktion auseinandersetzen und - das sage ich deutlich - gegebenenfalls im Kabinett die Biokraftstoffstrategie anpassen. Erste Überlegungen gehen in folgende Richtung: Über die Klimabilanz und die derzeitigen Nachhaltigkeitskriterien hinaus sollten wir bestimmte Anbaumethoden generell von der Anrechenbarkeit bei Kraftstoffen und von der Förderung nach dem EEG und dem EEWärmeG ausschließen. Dazu zählen zum Beispiel die Abholzung von Regenwäldern oder das Abbrennen von Mooren. In technologischer Hinsicht müssen wir auf den Einsatz organischer Reststoffe für die Energieerzeugung drängen. Dabei ist nicht nur die Klimabilanz deutlich besser; vor allem kommt es dabei nicht zu den befürchteten Nahrungsmittelkonkurrenzen. Im Übrigen geht es nicht um eine Konkurrenz zwischen Biomasse und Nahrungsmitteln, sondern zwischen Biomasse zur Kraftstoff- oder Energieerzeugung und dem Einsatz von Biomasse in der Futtermittelindustrie. Im Wesentlichen geht es in der Debatte um die Fleischerzeugung aus Rinderund Schweinemast. Dass wir in technologischer Hinsicht auf den Einsatz organischer Reststoffe - also auf Bioraffinerie - drängen wollen, war der Grund dafür, dass sich der Bundesfinanzminister und das Bundeskabinett auch in der Debatte um die Steuerbefreiung von Biokraftstoffen im letzten Jahr für diese technologische Richtung eingesetzt haben, statt auf die weitere Förderung eines zum Teil umstrittenen Einsatzes von Biomasse zu setzen. ({4}) Die Durchsetzung ökologischer und sozialer Standards in der EU ist auch deshalb wichtig, weil wir damit nicht auf eher instabile Länder mit einem schwer kontrollierbaren Anbau von Biomasse setzen müssen; vielmehr wollen und müssen wir künftig vor allem mit Partnern in Osteuropa zusammenarbeiten. Dann wird sich über die Transportbilanz auch die Klimabilanz verbessern. Insgesamt werden wir im Lichte der existierenden Gutachten und im Rahmen der parlamentarischen Beratungen überprüfen müssen, ob wir unter Einhaltung der genannten Kriterien die ambitionierten Ausbauziele beim Biomasseeinsatz und insbesondere beim Kraftstoffeinsatz erreichen werden. Dazu zählt auch, dass wir die Novelle zur 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung zur Einführung von B7 und E10 - Biodiesel- und Bioethanolkraftstoffe - erst dann in Kraft setzen werden, wenn die Zahlen des Verbandes der Automobilindustrie und auch der Automobilimporteure zu den potenziell betroffenen Fahrzeughaltern, deren Fahrzeuge diese Kraftstoffe nicht vertragen, überprüft worden sind. Meines Wissens hat zum Beispiel die Kollegin Frau Reiche kritisiert, dass wir zu sehr auf Fachleute vertraut haben. In der Tat vertrauen wir nach wie vor auf Aussagen aus der Automobilindustrie. Das ist die Strategie der Bundesregierung, die sozusagen in großkoalitionärer Einigkeit gemeinsam mit dem Kollegen Seehofer erarbeitet wurde. Insofern können Sie die Kritik gleichmäßig verteilen. ({5}) - Wenn man Pressemitteilungen veröffentlicht, dann erwartet man doch eine Antwort, oder? Ich wollte nur höflich sein. Gestatten Sie mir eine Bemerkung zur Nutzung von erneuerbarer Energie im Wärmebereich. Ich will auf einen Widerspruch im Zusammenhang mit der Kraftstoffdebatte hinweisen. Wenn es um die ökologischen Schäden beim Anbau von Biomasse für den Kraftstoffbereich und die dadurch entstehenden Konkurrenzen geht, dann darf man die Nutzungskonkurrenzen nicht dadurch verschärfen, dass man Biomasse zu Bioöl und Biogas verarbeitet, es zur Verbrennung freigibt und dies als Beitrag zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz bezeichnet. ({6}) Wenn es Nutzungskonkurrenzen bei Flächen gibt, dann müssen wir darauf achten, dass der Biomasseeinsatz effizient erfolgt. Deshalb haben wir im Wärmegesetz vorgesehen, dass die Verbrennung von Biogas nur bei der Kraft-Wärme-Kopplung - also bei der Produktion von Strom und Wärme - angerechnet werden kann. Wer diese Stoffe nur verheizen will, um Erdgas und Erdöl zu ersetzen, verschärft die Nutzungskonkurrenz und vertritt die Interessen eines kleinen Teils der deutschen Mineralölindustrie, statt eine technologische Entwicklung verbunden mit der Entstehung neuer Arbeitsplätze in Gang zu setzen. Das ist nicht der Gegenstand von Gesetzentwürfen der Bundesregierung. Ich glaube, dass wir mit der Vorlage dieser Gesetzentwürfe einen guten Schritt geschafft haben. Wir sollten in den nächsten Wochen die weiteren Maßnahmen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele diskutieren und umsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es vorwegzunehmen: Ich werde mich hauptsächlich - genauso wie der Herr Minister - auf die Biokraftstoffe konzentrieren. Frau Kollegin Brunkhorst wird sich später mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz dezidiert auseinandersetzen. Bevor die SPD, die Grünen und die CDU/CSU ihr Verletzungspotenzial ausschöpfen: Natürlich sind auch wir für die Förderung der erneuerbaren Energien. Auch uns geht es darum, den Anteil der erneuerbaren Energien im Energiemix deutlich zu erhöhen. ({0}) Heute geht es hauptsächlich um den Bereich der Biokraftstoffe. Der Herr Minister hat schön darum herumlaviert, wie gefährlich es sein könnte. Er tat so, als könnten wir kaum etwas dagegen tun. Wir setzen schließlich nur europäische Vorgaben um und versuchen vielleicht sogar, es noch etwas besser zu machen, als es die EU vorsieht. Aber an der Medienberichterstattung in den letzten Tagen und Wochen hat man recht deutlich gesehen, dass es eine ganz große Koalition derjenigen gibt, die große Schwierigkeiten haben. Nicht umsonst hat der Bundesrat den vorliegenden Gesetzentwurf abgelehnt. Ich darf es vorwegnehmen: Die FDP wird das Gleiche tun. ({1}) Die Biokraftstoffbeimischungsquote ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch irrsinnig, sinnlos und kontraproduktiv. Deswegen halten wir davon überhaupt nichts. Sich damit herauszureden, dass es sich hier um Vorgaben der EU handle, ist insoweit scheinheilig, als wir alle wissen, dass gerade die Bundesregierung in besonderem Maße daran beteiligt war, dieses Gesetz zu puschen und die Beimischungsquote zu erhöhen. Daran werden wir uns nicht beteiligen. ({2}) Herr Minister Gabriel hat gesagt, dass es weniger um die Lebensmittelproduktion, sondern mehr um die Futtermittelproduktion geht. De facto wird es aber zunehmend mehr Nutzungskonkurrenzen geben. Damit werden auch die Lebensmittelpreise deutlich steigen. Ich bin gespannt, wie sich die Kollegen der Linkspartei dazu äußern werden; denn hier entsteht nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein soziales Problem. Ein ökologisches ist es ohnehin. Die Fleischpreise werden deutlich steigen. Die Weizenpreise sind bereits gestiegen. Hier kann man argumentieren, dies sei vernünftig, weil es der Landwirtschaft einen Vorteil bringe. Interessanterweise hat aber selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gesagt, dass die Ideen der Bundesregierung zu Biomasse und Biokraftstoffen zu überdenken seien und dass man grundsätzlich darüber nachdenken solle, ob man hier auf dem richtigen Wege sei. ({3}) Dass es wirtschaftlich zu größeren Problemen kommt, haben wir alle festgestellt, und zwar allein dadurch, dass sich der Spritpreis zunehmend der 5-DM-Marke annähert, die die Grünen früher als Schreckgespenst gefordert haben. In diese Richtung geht es nun. Wenn man dadurch etwas für den Klimaschutz oder das ökologische Gewissen täte, könnten wir darüber inhaltlich diskutieren. Aber in Wirklichkeit tun wir das genaue Gegenteil. Wir unterstützen nicht diejenigen, die etwas ökologisch Sinnvolles tun wollen. Vielmehr geht es nur darum, dass wir etwas für unser Gemüt tun, um uns besser zu fühlen. Wir Deutsche glauben, etwas für den Klimaschutz zu tun. Dabei ist es uns egal, was im Rest der Welt passiert. ({4}) Die Gretchenfrage ist, wie es in den Ländern aussieht, die irgendwann nachhaltig wirtschaften sollen. Verschiedene Kollegen, die diese Länder besucht haben, haben festgestellt, dass dort das genaue Gegenteil passiert. In Südamerika, Malaysia und Indonesien beispielsweise werden riesengroße Flächen Regenwald abgeholzt. Das geschah zwar schon früher. Aber das Gesetz und das, was wir in Europa machen, werden die Probleme deutlich verschärfen. Wir wollen sicherlich nur nachhaltig hergestellte Produkte. Aber wir wissen, dass wir in Deutschland nicht in der Lage sein werden, die Probleme weltweit zu lösen, und dass das Potenzial hoch ist, wenn es darum geht, bestimmte Regelungen zu umgehen. Wenn wir so tun, als wäre es anders, ist das scheinheilig und außerdem ein bisschen blauäugig. ({5}) Bald wird die Biodiversitätskonferenz in Bonn tagen. Dann werden wir wieder hören, wie wichtig das alles sei. Aber gleichzeitig verschärfen wir die Probleme in den genannten Ländern, in denen die größte Biodiversität vorherrscht. Wir sorgen dafür, dass noch mehr Regenwald den Kettensägen zum Opfer fällt. Das ist ein gravierender Vorgang und geht in die vollkommen falsche Richtung. Interessanterweise ist festzustellen, dass es hier eine riesengroße Koalition gibt. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich mit Vertretern von Umweltverbänden getroffen. Es gibt sicherlich unterschiedliche Positionierungen. Aber in einem Punkt sind wir uns einig: Es geht nicht darum, einen Nachhaltigkeitsfaktor einzuführen. Die Umweltverbände haben, genau wie wir, gesagt: Das Gesetz zur Beimischung von Biokraftstoffen läuft in die völlig falsche Richtung. - Das Gleiche sagen Misereor, die katholische Kirche, die evangelische Kirche, Frau Wieczorek-Zeul, Entwicklungshilfeorganisationen und Vertreter der SPD. Das ist eine wirklich große Koalition, breiter geht es nicht. Jetzt zu sagen: „Wir werden versuchen, das vernünftig umzusetzen; wir haben hier EUVorgaben“, halte ich schon für einen bemerkenswerten Vorgang. ({6}) Das ist nicht allein ein Problem der SPD und der CDU/CSU; das war auch in der Vergangenheit so. Die Grünen haben mit der Politik begonnen, dass wir uns das ökologische Mäntelchen umhängen, damit wir uns ein bisschen besser fühlen. Wir haben heute Abend eine Diskussion zu dem Thema Verpackungsverordnung. Damit verhält es sich ähnlich. Die Menschen sollen Müll trennen, egal ob es sinnvoll ist oder nicht. Jetzt sollen sie an der Tankstelle das Gefühl haben, dass sie Bio tanken. Was aber im Rest der Welt passiert, ist offenbar vollkommen egal. Wenn das wirklich die Idee ist, wie wir unsere ökologische Arbeit hier definieren, dann frage ich mich schon, ob wir nicht ein bisschen über den Tellerrand hinausschauen sollten. ({7}) Ich denke, dass die Problematik zu dem Zeitpunkt, wenn es wirklich darum geht - der 10-Prozent-Anteil soll ja nicht schon im nächsten Jahr gelten -, schon so weit fortgeschritten ist, dass Nachhaltigkeit vermutlich leider keine Rolle mehr spielen wird, weil der Großteil des Regenwalds, der zur Erzeugung der Rohstoffe für Biosprit genutzt werden wird, dann schon abgeholzt sein wird. Dass der Orang-Utan damit vielleicht seinen Lebensraum verliert, ist auch egal. Vielleicht besuchen wir den später im Zoo. Vielleicht finden wir auch einen passenden Paten für ihn. ({8}) Dass wir die Meseberg-Beschlüsse nur umsetzen, damit wir uns besser fühlen, halte ich für ganz groben Unfug. Die FDP wird diese Ideen ablehnen. Ich kann Sie nur bitten, im Rahmen der Beratungen von diesen Ideen abzurücken, es anders zu machen und zu erkennen, dass damit weder ökologisch noch ökonomisch ein Fortschritt erzielt wird. Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Klimaschutz und die Sicherung der Energieversorgung gehören zu den wichtigsten Themen, denen sich nicht nur diese Koalition, sondern Deutschland insgesamt zu stellen hat. Deshalb beginnen wir heute mit den Beratungen zu dem wohl ehrgeizigsten Klimaschutzprojekt, das je eine Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Ich möchte zunächst auf die Biokraftstoffindustrie eingehen. Zum einen haben wir nun endlich den Bericht vorliegen. Wir Umweltpolitiker sehen uns in unserer Sorge um die einheimische Biokraftstoffindustrie bestätigt. ({0}) Zum Zweiten. Herr Minister, natürlich brauchen wir verlässliche Zahlen, was die Beimischung angeht; die müssen vorgelegt werden. Dafür ist aber nicht der ADAC oder der VDA zuständig, sondern zuständig ist das Ministerium. Meines Wissens legen immer noch die Ministerien und das Parlament die Gesetzentwürfe vor und nicht der ADAC. ({1}) Insofern brauchen wir Verlässlichkeit. Die Verunsicherung der Autofahrer muss beendet werden. ({2}) Grundlage jeder zeitgemäßen Energieversorgung ist das bewährte Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz. Dies gilt auch für die erneuerbaren Energien, die einen ganz wichtigen Beitrag nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur Versorgungssicherheit leisten. Zu unseren einheimischen Energieträgern gehören die erneuerbaren Energien; es gehören aber auch Technologien dazu, die sich bewährt haben. Ich bin dem Koalitionspartner dankbar, dass auch er immer wieder darauf hinweist - ich nenne Herrn Hempelmann und andere -, dass auch mit Braunkohle in Kombination mit CCS klimapolitisch viel zu machen ist. ({3}) Heute diskutieren wir aber über die erneuerbaren Energien, die mit 5,6 Prozent am Primärenergieverbrauch und circa 14 Prozent am Bruttostromverbrauch ein ganz wesentliches Element des Integrierten Klima- und Energieprogramms der Bundesregierung darstellen. Es ist das ambitionierteste Vorhaben, das je eine Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Ich bin auch überzeugt, dass dieses große Reformprojekt der Koalition unsere Handlungsfähigkeit unterstreicht. Wir behandeln heute zwei zentrale Elemente, die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien haben mit 41 Prozent den Löwenanteil an den bis 2020 zu erbringenden CO2-Einsparungen. Beide Gesetze sollen aber auch dafür sorgen, dass wir bei den erneuerbaren Energien Technologieführer bleiben. Das EEG wird international als beispielhaft angesehen. Aber sicherlich ist nichts so gut, als dass es nicht noch besser werden könnte. Deshalb wollen wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz weiterentwickeln. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung beträgt mittlerweile 14 Prozent; das ist mehr, als viele erwartet haben. ({4}) Er soll bis zum Jahr 2020 auf 25 bis 30 Prozent erhöht werden. Wir müssen aber auch die energieintensiven Industrien im Blick behalten; denn viele sind am Limit, was die Belastungen durch Strompreise und eigene CO2-Einsparungen betrifft. So kommen wir schnell an einen Punkt, an dem eine Rechnung klimapolitisch nicht mehr aufgehen kann. Ich bin davon überzeugt, dass nirgendwo auf der Welt so umwelt- und klimaschonend produziert wird wie in Deutschland. Wir müssen deshalb auch über Tarife und Degressionen sprechen. Es gerät leicht in Vergessenheit, dass es Sinn und Zweck der Degressionen ist, Unternehmen durch Innovationen marktfähig zu machen. Bei vielen Besuchen in der Branche der erneuerba15242 Katherina Reiche ({5}) ren Energien haben mich immer wieder die vorhandene große Innovationsfähigkeit und die technische Raffinesse beeindruckt. Dennoch werden Stimmen laut - und sie sind auch nicht zu überhören -, dass einige Bereiche überfördert sind. Ich denke zum Beispiel, dass in der Fotovoltaik Nachholbedarf besteht. Der Anteil der zur Verfügung gestellten Mittel steht momentan in keinem Verhältnis zu dem, was Fotovoltaik insgesamt zur Stromproduktion beiträgt. Ich glaube, dass Technologiesprünge dann möglich sind, wenn wir Innovationsanreize setzen. Ich denke dabei an Solarzellen der dritten Generation. ({6}) Ein weiteres wichtiges Thema sind die sogenannten Kombinationskraftwerke oder virtuellen Kraftwerke. Hier stellt sich die Frage, ob wir im EEG tatsächlich die erforderlichen Regelungen geschaffen haben, um das Zusammenspiel verschiedener Energieträger - wie zum Beispiel Wind und Biomasse oder Wind und Biogas - so zu kombinieren und zu fördern, dass erneuerbare Energien grundlastfähig werden. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass das noch nicht der Fall ist, dann sollten wir nachbessern. ({7}) Mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz beschreiten wir Neuland. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmebereitstellung betrug im Jahr 2006 6 Prozent und ist in den letzten Jahren nur langsam gewachsen. Die Technologien sind vorhanden; oftmals fehlt es aber an der Marktdurchdringung, zum Teil auch wegen fehlender Wirtschaftlichkeit. Die erneuerbaren Energien im Wärmemarkt sind ein schlafender Riese, den wir mit diesem Gesetz wecken wollen. Für uns als Union waren mehrere Punkte zentral: Zum einen sollen im Bereich Neubauten ganz klare, auch ehrgeizige Vorgaben gemacht werden, die zu erfüllen sind. Zum anderen wollen wir eine Verstetigung des Marktanreizprogramms erreichen, damit für die Branche verlässliche Mittel zur Verfügung stehen, die nicht schwanken. Aber wir haben auch darauf gedrungen, dass im Bereich des Gebäudealtbestandes vorsichtiger vorgegangen wird. Wir sind der Auffassung, dass eine Ausdehnung auf den Altbestand dazu geführt hätte, dass entweder gar nicht oder verzögert investiert worden wäre oder dass durch Stückelung der Investitionen die Verpflichtungen aus dem EEWärmeG möglicherweise umgangen worden wären. Diese Szenarien sind für unser Klima eher schädlich als nützlich. Gleichwohl wissen wir, dass die Gebäude in Deutschland zu 75 Prozent vor 1978 gebaut wurden, also energetisch nicht in dem heute notwendigen und wünschenswerten Maß ausgestattet sind. Wichtig ist uns zudem, dass wir mit Anreizen arbeiten, um Klimaschutz zu realisieren. Jeden planwirtschaftlichen Ansatz halten wir für verfehlt. Wir setzen auf Markt, auf Innovationskraft und auch auf die Findigkeit unserer Handwerker. Ohne Hightech ist in einer modernen Industriegesellschaft nichts möglich. ({8}) Mir scheint der Hinweis wichtig, dass wir das Ziel im Auge behalten müssen, das der Minister am Anfang seiner Rede deutlich gemacht hat, nämlich die CO2-Emissionen um bis zu 40 Prozent zu reduzieren, wenn die internationalen Rahmenbedingungen stimmen. Also sollten wir uns möglichst viele Wege dahin offenhalten und nicht von vornherein Wege ausschließen. Das heißt auch für das Wärmegesetz: möglichst technologieoffen vorangehen. ({9}) Ein Blick in andere Länder zeigt uns, welche Dynamik im Bereich erneuerbare Energien vorhanden ist. Repower zeigt uns, dass Länder wie Indien aufrüsten. Auch in Kalifornien sind die grünen Technologien ein heißes Thema. Nicht wenige meinen, dass die USA nach den nächsten Wahlen, wenn dort andere klimapolitische Weichen gestellt werden, erneut ihre große technologische Innovationskraft beweisen werden. Ich finde, da müssen wir vorne mit dabei sein. Deshalb werben wir um Ihre Unterstützung. Vielen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke sagt: Wirksamer Klimaschutz, gute Arbeit und bezahlbare Energie, das gehört zusammen, und zwar ohne Wenn und Aber. ({0}) Das alles geht mit erneuerbaren Energien. Das funktioniert aber nur, wenn der Bundestag den gesetzlichen Rahmen richtig ausgestaltet. Nach dem, was uns vorliegt, droht der notwendige Ausbau von Wind- und Wasserkraft, Solarenergie, Biomasse und Erdwärme aber auf halbem Weg stecken zu bleiben. Ihre Gesetzentwürfe, meine Damen und Herren der Koalition, sind aus der Sicht der Linken viel zu lasch ausgelegt und zum Teil absolut untauglich, was den Wärmebereich betrifft. Die Linke fordert das Parlament auf, in den nächsten Monaten die schlimmsten Fehler zu korrigieren. Lassen Sie mich erklären, worum es geht. Erstens: Klimaschutz. Fest steht: Wenn wir die Erderwärmung in erträglichen Grenzen halten wollen, müssen die Treibhausgase bis 2050 weltweit um bis zu 80 Prozent gesenkt werden. Dies bestätigen uns auch die neuesten Daten des UN-Klimarates. Deutschland ist, wie wir wissen, weltweit einer der größten CO2-Verursacher. Deshalb müssen wir den CO2-Ausstoß bis 2020 um minHans-Kurt Hill destens 40 Prozent senken. Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Die Frage ist nur, ob sie sich gegen die Interessen der Industrie durchsetzen wird. Dieses Ziel werden wir - da gebe ich Frau Ypsilanti aus Hessen recht - nicht erreichen, wenn in Deutschland weiter klimaschädliche Kohlekraftwerke gebaut werden. ({1}) Das geht nämlich nur mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Allein im letzten Jahr haben Sonne, Wind und Co. 110 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Zweitens. Kommen wir nun zur guten Arbeit. In der Branche der erneuerbaren Energien arbeiten zurzeit mindestens 235 000 Menschen; Herr Gabriel hat es bereits ausgeführt. Jedes Jahr kommen 25 000 neue Stellen hinzu. Bei der Kohle- und Atomwirtschaft erleben wir hingegen einen kontinuierlichen Arbeitsplatzabbau. Auch mit neugeplanten Großkraftwerken werden hier bis 2020 mindestens 45 000 Jobs verloren gehen. Erneuerbare Energien bringen also auch neue Beschäftigung. Natürlich müssen wir berücksichtigen, was für Arbeit entsteht. Ich spreche von guter Arbeit. Das heißt für die Linke: anerkannte Mitbestimmung, Betriebsräte und anständige Bezahlung - auch für Leiharbeiter. Das ist ein wichtiger Rahmen für eine ausgewogene Förderpolitik. Drittens: bezahlbare Energie. Wir alle merken, wie die Preise für Öl und Gas ins Uferlose steigen und die großen Energiekonzerne weiter unverschämte Milliardenprofite machen. Keiner wird günstige Energieversorgung organisieren, der es zulässt, dass sich die fossilen oder atomaren Großkraftwerke weiter in der Hand von wenigen Energiebossen wie Eon, EnBW, RWE und Vattenfall befinden. ({2}) Wer das verspricht, der macht den Menschen in diesem Land etwas vor. Dagegen senken erneuerbare Energien die Stromund Heizpreise. Sie führen zu sinkenden Preisen an der Strombörse und zusätzlich führen sie indirekt zu Einsparungen bei Gesundheits- und Umweltkosten. Wir Linke sagen: bezahlbare Energie, das geht nur mit Energieeinsparung und erneuerbaren Energien. ({3}) Bei diesen Rahmenbedingungen ergeben sich aus Sicht der Linken folgende Anforderungen an die Gesetzesentwürfe der Bundesregierung: Es gilt, den Missbrauch der Stromnetze zu verhindern. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz muss die Verhinderungstaktik der Stromkonzerne jetzt ausgehebelt werden. Der Netzausbau darf nicht länger Konzerninteressen folgen, sondern muss dem Allgemeinwohl dienen. Das heißt, im Interesse von Klimaschutz, Beschäftigung und bezahlbarer Energie müssen die Stromnetze vorsorglich für den schnell wachsenden Bereich der erneuerbaren Energien ausgebaut werden; nach unserer Ansicht - Sie wissen das - gehören sie in staatliche Hand. ({4}) Warum werden von RWE und Co. die Engpässe im Stromnetz nicht beseitigt? Doch nur, um einen Grund zu haben, Wind- und Solarparks abzuschalten, weil man mit abgeschriebenen Kohle- und Atommeilern natürlich mehr Geld verdient! Ich will ganz klar sagen: In meinen Augen ist so etwas kriminell. Anlagenbetreiber im Bereich erneuerbarer Energien sind deshalb künftig für solche Ausfälle zu entschädigen. Zudem brauchen wir einen Förderbonus für kluges Einspeisemanagement, zum Beispiel innovative Speicher für Wind- und Solarstrom. Gut hingegen ist das Repowering, das heißt doppelter Energieertrag bei halber Anlagenzahl. Das überzeugt auch Windparkkritiker. Die Ausgestaltung für die Offshorewindenergie, also Energiegewinnung im Meer, ist ebenfalls ein guter Aufschlag. Bei der Windkraft an Land muss die Bundesregierung, müssen aber auch die Länder jenseits des EEG deutlich mehr Aktivität zeigen, um Hemmnisse abzubauen. Die Bauhöhenbegrenzung behindert den Bau von neuen Windrädern in fast allen Bundesländern und wurde unlängst auch von der EU-Kommission gerügt. Wasserkraft ist im Einklang mit der Umwelt weiterhin machbar. Aber eine Notiz am Rande: Wenn wir den Schutz der Auenwälder verbessern wollen, müssen zuerst der unsinnige Elbausbau und auch das Projekt Donaukanal gestoppt werden. ({5}) Die Solarstrombranche war in der letzten Zeit erheblich in der Kritik, was teilweise wohl auch gerechtfertigt war. Hierbei geht es um Innovationsmüdigkeit, Ausruhen auf dem Stand der Technik usw. Erstaunlich ist allerdings, wie stark sich das im Gesetzesentwurf widerspiegelt. Ich habe mich in Betrieben in Sachsen und Sachsen-Anhalt davon überzeugt, dass Innovation und Entwicklung sehr wohl stattfinden. Und: Keine Branche schafft so viele Arbeitsplätze in Ostdeutschland wie die Solarbranche. Was die Arbeitsbedingungen angeht, habe ich folgende Erfahrung gemacht: Mitbestimmung und faire Arbeitsbedingungen müssen Voraussetzung für eine gute Förderung sein, und zwar ohne Wenn und Aber. ({6}) Als Abgeordneter der Linken werde ich mich für ein starkes EEG einsetzen, mich aber auch für gute Arbeit in der Branche verwenden. Der Linken ist es nicht gleich, ob Menschen zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden oder gute Arbeit geschaffen wird. Gerade in Ostdeutschland, wo die Solarbranche schnell wächst, ist das für die Menschen von erheblicher Bedeutung. Ich erwarte, dass die Branche hierbei mitzieht. Das wird sich dann auch in einer fairen Ausgestaltung der Förderung widerspiegeln. Der zweite Gesetzesentwurf, der heute vorliegt, befasst sich mit der Förderung von erneuerbaren Energien im Wärmebereich. Es ist gut, dass CDU/CSU und SPD den ordnungspolitischen Ansatz der Linksfraktion aufgegriffen haben. ({7}) Aber das war es dann auch schon. Was uns hier vorliegt, ist ein schlechter Witz. Abgesehen davon, dass viel zu niedrige Ziele gesteckt werden, soll der Einsatz erneuerbarer Energien nur in Neubauten gefördert werden. Dabei ist doch auch Ihnen klar: Das weitaus größte Potenzial liegt im Altbau, nämlich 80 Prozent. - Den wollen Sie ausklammern. Das ist, wie gesagt, ein Witz. Hier wird offenbar der Wohnungswirtschaft nach dem Mund geredet, die auch schon beim Gebäudeenergiepass gegen den Klimaschutz gewettert hat. Aber selbst der, der neu baut, kann sich künftig um die erneuerbaren Energien herumdrücken, wenn er bei der Wärmedämmung ein wenig drauflegt. Hierzu haben wir Linken folgenden Vorschlag zu machen: Wenn sich die Bundesregierung weiter weigert, auch die Besitzer von Altbauten beim Klimaschutz in die Pflicht zu nehmen, dann sollte sie auf das Wärmegesetz besser ganz verzichten und lieber die Energieeinsparverordnung, welche energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden regelt, anpassen. Ein Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien im Wärmebereich, das die Ziele „Klimaschutz“, „Beschäftigung“ und „faire Energiepreise“ ernst nimmt, muss nach Ansicht der Linken folgende Ansprüche erfüllen: Erstens. Es muss den Anteil erneuerbarer Energien im Wärmesektor bis 2020 auf 20 Prozent erhöhen. Zweitens. Neubauten sollten mindestens 30 Prozent, Altbauten mindestens 20 Prozent ihres Wärmebedarfs aus Solarenergie, Erdwärme oder Biomasse beziehen. Drittens. Bei der Erfüllung dieses Vorhabens muss es einen Vorrang für Solar- und Erdwärme geben, und Biogas muss vor flüssige Biomasse gestellt werden. Darauf gehe ich gleich noch etwas näher ein. Viertens. Grundsätzlich muss beim Einsatz von Bioenergie eine Pflicht zur Nutzung von Kraft-WärmeKopplung bestehen. Fünftens. Elektrisch betriebene Wärmepumpen müssen mit Ökostrom betrieben werden, der das Zertifikat „Grüner Strom Label“ aufweist. Sechstens. Echte Passivhäuser sollten von der Pflicht ausgenommen werden. Um noch einmal auf die Bioenergie zurückzukommen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht sehr wohl den Einsatz von Bioheizöl in einfachen Heizkesseln ohne Kraft-Wärme-Kopplung vor. Das hat zwei Folgen: Erstens wird auf innovative Technik wie Solarthermie und Erdwärmenutzung verzichtet. Die Beschickung der Heizungsanlage mit Agroheizöl ist nun einmal einfacher als neue Technik. Zweitens verspielt die Bundesregierung damit jegliche Chance der ökologischen und klimaverträglichen Nutzung von Biomasse. Allein die Erhöhung der Biokraftstoffquote, die hier auch zur Beratung steht, ist eine Absage an Klimaschutz und Beschäftigung in Deutschland. ({8}) Dabei sind sich nach meiner Einschätzung die meisten Abgeordneten im Umweltausschuss mittlerweile einig, dass die Biokraftstoffquote nicht zielführend ist. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in einem Gutachten deutlich gemacht, dass eine Biospritquote über 7 Prozent auf Kosten des Naturhaushaltes und auf Kosten anderer Biomassenutzung geht. Mehr geben die Flächen in der Bundesrepublik Deutschland nicht her. Die SPD will aber 20 Prozent, also das Dreifache. Das bedeutet umweltschädliche Monokulturen und massenweise Import von Agrosprit, der in den Entwicklungsländern zu Raubbau und Vertreibung von Kleinbauern führt. Das ist mit uns nicht zu machen. Die Linke fordert deshalb eine Rücknahme der Zwangsquote für Biosprit. Richten Sie die Bioenergieförderung endlich auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz aus. ({9}) Die Linke will Förderung von reinen Biokraftstoffen in regionalen Strukturen und Vorrang für Biogas. Ich fasse zusammen: ({10}) Erstens. Für die Linke ist das EEG zur Förderung erneuerbarer Energien im Stromsektor ein weltweites Erfolgsmodell und ohne Alternative. ({11}) Seine Ausgestaltung muss sorgfältig vorgenommen und gegen unseriöse Behauptungen in Schutz genommen werden. Ich blicke da insbesondere auf die Kolleginnen und Kollegen der FDP. Zweitens. Die Vorschläge zur Förderung erneuerbarer Energien im Wärmebereich sind unserer Ansicht nach das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Hier verlangt die Linke von der Bundesregierung ein deutliches Nachlegen, wenn sie nicht an Glaubwürdigkeit verlieren will. ({12}) Drittens. Die Biokraftstoffquote stellt einen Angriff auf kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland dar. Sie führt zu einer menschenverachtenden Produktion von Biokraftstoffen, die den Namen „Bio“ nicht verdienen, und zum Raubbau an Regenwäldern. Nach Ansicht der Linken gehört sie komplett abgeschafft. ({13}) Meine Damen und Herren, werte Kollegen, ich freue mich auf die kommenden Beratungen, bei denen wir hoffentlich gemeinsam Ihre vorgelegten Gesetze so verbessern werden, dass sie in der Tat für wirksamen Klimaschutz, gute Beschäftigung und bezahlbare Energien stehen. Vielen Dank. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dirk Becker ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003736, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit einem Dreivierteljahr reden wir über die Beschlüsse von Meseberg. Heute ist endlich die Stunde des Parlamentes gekommen. Wir befassen uns mit den ersten Gesetzesentwürfen des dort geschnürten Pakets. Bei der nun anstehenden Beratung über das Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich und dem entsprechenden Neuregelungsgesetz im Strombereich geht es heute sicherlich um ganz entscheidende Stellschrauben. Der Wärme- und der Strombereich sind zwei zentrale Bereiche, an denen sich entscheidet, ob wir es schaffen, unsere CO2-Emissionen entsprechend zu reduzieren. Ich möchte zunächst stellvertretend für die Bundesregierung dem Umweltministerium danken. Es gab einen straffen Fahrplan und ein umfangreiches Programm. Wir haben allen Unkenrufen zum Trotz den Fahrplan halten können. Das hat manchem im Ministerium einiges abverlangt. Vonseiten der SPD-Fraktion dafür zunächst einmal herzlichen Dank. ({0}) Klar ist aber auch, dass in diesem zügigen Verfahren zwar vieles geregelt werden konnte, manches aber noch verbessert werden kann. Dafür sind wir schließlich da. Wir freuen uns, dass wir diesen Spielraum sehen. Diesen Spielraum werden wir nutzen. Damit komme ich zum ersten Gesetzentwurf und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Noch einmal - das haben zwei Redner angesprochen -: Frau Reiche hat Recht, dass dies eines der erfolgreichsten Gesetze ist, die von diesem Parlament jemals verabschiedet wurden. Darauf sind wir stolz. Herr Meierhofer, es bringt nichts, ständig zu sagen, dass auch Sie die erneuerbaren Energien fördern wollen. Die Tatsache, dass diese Regelungen von über 40 Ländern übernommen wurden, ist der Beweis dafür, dass dies das effizienteste Instrument ist. Daher sagen Sie endlich Ja zum EEG, aber argumentieren Sie nicht immer damit, dass Sie zwar wollen, aber nicht wissen, wie. ({1}) Das Modell der Einspeisevergütung ist das effizienteste und auch das wirtschaftlichste. Wir werden an diesem Modell festhalten; das ist unbestritten. ({2}) Wichtig ist aber, dass wir das System der Einspeisevergütung weiterentwickeln. Neue Aufgaben warten auf uns; das hat Frau Reiche angesprochen. Wir müssen unser Augenmerk stärker darauf lenken, wie wir Netz- und Marktintegration in diesem Gesetz sicherstellen. Ich bin sicher, es wird dazu im weiteren Verfahren Lösungsansätze geben. Wir müssen sehen, wie wir beispielsweise fluktuierende erneuerbare Energien verlässlicher in den Energiemix einbeziehen. Hierzu werden wir weitere Vorschläge machen. Aber auch die Anpassung der Vergütungssätze wird erforderlich sein, sowohl in einigen Technologien nach unten - Frau Reiche hat ein Beispiel angesprochen - als auch bei anderen Technologien nach oben. Man hat manchmal den Eindruck, die Windenergie ist für viele abgeschrieben. Es wird über Offshoreanlagen und Repowering gesprochen. Aber ich sage Ihnen: Unsere Ziele für den Ausbau, die Quoten für erneuerbare Energien, können wir nur dann erreichen, wenn auch weiterhin Onshoreanlagen gefördert werden. ({3}) Auch hier müssen wir schauen, ob die Vergütungssätze ausreichend sind. Es gibt zumindest Anzeichen, dass die Vergütungssätze tatsächlich ein Problem darstellen und dass hier noch einmal nach oben hin nachjustiert werden muss. Das wird im weiteren Verfahren zu prüfen sein. Ich komme zum zweiten Gesetzentwurf, dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Herr Hill, Sie haben hier ein Untergangsszenario mit den Worten geschildert, man hätte besser nichts machen sollen. Entschuldigung, das ist Blödsinn. Richtig ist, dass die Pflicht zum Einsatz erneuerbarer Energien nur im Bestand greift und dass der Anteil im Bestand pro Jahr etwa um 1 Prozent wächst. Das ist natürlich wenig. Man kann das aufsummieren: Bis 2020 kommt dann schon ein erklecklicher Batzen zusammen. Wir müssen also die Regelungen zum Bestand ändern. Aber wir haben hier in der Tat ein Problem. Ich sage das mit dem klaren Bekenntnis, dass auch ich mir durchaus ordnungsrechtliche Verpflichtungen zum Bestand hätte vorstellen können. Anteilig finde ich das gut. Aber wir haben schon heute ein Vollzugsdefizit. Wer garantiert denn, dass das, was in der EnEV vorgeschrieben ist, heute eingehalten wird? Wir alle wissen von dem Problem. Die Zahlen zeigen immer wieder, dass in der EnEV zwar tolle Werte stehen - wir werden versuchen, sie noch weiter zu verschärfen -, aber wer prüft sie vor Ort? Wenn ich diese Probleme nicht lösen kann, aber im Ergebnis den CO2-Ausstoß mindern will, dann versuche ich zunächst einmal einen freiwilligen Ansatz. Einen Satz an die Oppositionsparteien: Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, dass es keiner von Ihnen für möglich gehalten hätte, dass wir das Marktanreizprogramm auf 500 Millionen Euro aufstocken. Das ist ein Riesenerfolg dieser Bundesregierung. Das hätte keiner von Ihnen für möglich gehalten. ({4}) Ich glaube sehr wohl, dass die Menschen in diesem Land über dieses ambitionierte Programm zu erreichen sind. Es muss weiterhin Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden. Auch müssen wir die Handwerker entsprechend schulen. Dann haben wir mit diesen 500 Millionen Euro viele Möglichkeiten, um die erneuerbaren Energien im Wärmebereich wirklich marktfähig zu machen. Ich sage aber auch deutlich: Der Anteil von 14 Prozent erneuerbarer Wärme, den wir bis 2020 erreichen wollen, ist nicht der letzte Schritt, sondern der erste Schritt. Danach wird es weitere Schritte geben. Das Ziel lautet folgendermaßen - das kann man nachlesen -: Wir wollen durch energetische Gebäudesanierung den Bedarf an Wärme immer weiter absenken. Der geringe Bedarf, der am Ende noch übrigbleibt, soll durch erneuerbare Energien - ich füge für mich hinzu: ohne Ressourcenverbrauch und ohne Verbrennungsprozesse - gedeckt werden. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Geothermie und insbesondere die Solarenergie. Wir müssen weg von der Verbrennung wertvoller Biomasse und wertvollen Mineralöls. Dieses zweite Ziel wird nach meiner festen Überzeugung nur erreicht werden können, wenn wir jetzt zwar auf der einen Seite festlegen, über einen längeren Zeitraum verlässlich mindestens 500 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, und versuchen, die Menschen dazu zu bewegen, diese Förderung in Anspruch zu nehmen, auf der anderen Seite aber deutlich machen, dass es eine Deadline gibt, und sei es in zehn Jahren. Das heißt, es muss über längere Zeit einen Anreiz geben; aber ab dem Zeitpunkt X - zum Beispiel 2020; ich nenne einmal diesen Zeitpunkt - muss auch im Bestand die Einsatzpflicht bestehen. Auf diese Weise gibt es für alle einen langen Planungszeitraum, sodass sich jeder frühzeitig überlegen kann, schon jetzt die Förderung in Anspruch zu nehmen oder später im Wege des Ordnungsrechtes bei einem Heizungsaustausch auf erneuerbare Energien umzusteigen. Ich glaube, wir werden im Interesse des Klimaschutzes und der Unabhängigkeit von Energieimporten um diesen Weg mittel- bis langfristig nicht herumkommen. Für mich ist eine wichtige Option, den Menschen heute zu sagen: Nehmt den Anreiz in den nächsten Jahren in Anspruch; ihr müsst damit rechnen, dass es irgendwann aus den von mir dargestellten Gründen zur Pflicht werden wird. Dies sind einige Punkte, die wir im weiteren Verfahren beraten werden. Ich bin sicher, Herr Hill, dass Ihre Einschätzung total falsch ist. Wir werden bis 2020 mit diesen beiden Gesetzen und mit dem gesamten Programm 36 Prozent der angepeilten Reduzierung der CO2-Emissionen schaffen. Das ist ein ambitioniertes und gutes Ziel, und das wird ein Erfolg dieser Koalition. Danke. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucher aus Hammelburg auf der Tribüne! Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist einer der größten Erfolge der grün-roten Koalition: ({0}) für den Klimaschutz, für die Sicherung der Energieversorgung und für die Senkung der Strompreise. Vor allem bewirkte das EEG eine weltweit bestaunte industrielle Entwicklung und weitreichende Innovationen. Das EEG ist ein zentrales Element zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vor allem im Osten Deutschlands. Auch am Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre hat es einen beachtlichen Anteil. ({1}) Seit Inkrafttreten im Jahre 2000 gingen die gesamten CO2-Emissionen Deutschlands durchschnittlich um 18 Millionen Tonnen jährlich zurück. Ohne die seit 2000 neu in Betrieb gegangenen EEG-Anlagen wären die Emissionen in Deutschland nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. Das EEG ist das erfolgreichste Klimaschutzinstrument. ({2}) Es ist gut, dass inzwischen die Union wieder hinter den Grundprinzipien des EEG steht, wollte sie doch noch im Wahljahr 2005 die Einspeisevergütung abschaffen. Anders als die Liberalen hat die Union einen erfreulichen Wandel vollzogen und kämpft sogar mit uns Grünen und der SPD in Brüssel für das deutsche System der Einspeisevergütung. ({3}) Statt des hochbürokratischen und zum Scheitern verurteilten Vorschlags der EU-Kommission eines elektronischen Handels brauchen wir ein europaweites Einspeisungssystem. Dafür werden wir Grünen uns einsetzen. ({4}) Angesichts der großen wirtschaftlichen Erfolge des EEG wäre es folgerichtig, wenn sich die Koalition vehement für eine Stärkung aller erneuerbaren Energien im Strombereich, im Wärmesektor, bei Treibstoffen und auch bei der Energieeinsparung einsetzen würde. Doch die Große Koalition ist weit davon entfernt, auch im Wärme- und Kühlungssektor sowie beim Transport eine ähnliche Dynamik zu schaffen. Zwar hören wir viel Rhetorik von Kanzlerin Merkel, dass man alles für den Klimaschutz tun müsse; aber im Klimaschutz- und Energiepaket der Bundesregierung finden wir davon nur sehr wenig. Es ist unglaublich, aber wahr: Sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundesumweltminister setzen sich für den Bau neuer Kohlekraftwerke ein, bekanntlich die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung. ({5}) Zu Recht ernten sie damit immer mehr Bürgerproteste statt neuer Kohlekraftwerke. Wir Grünen werden diese neue Bürgerbewegung weiter unterstützen. ({6}) Der Ausbau der Kohlekraft und die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wären das größte Hemmnis für einen schnellen und dynamischen Ausbau der erneuerbaren Energien, so wie es die Branche kann und auch will. Viele zweifelten doch im Jahre 2000, ob wir in zehn Jahren eine Verdopplung des Stromanteils für erneuerbare Energien hinbekommen. Die Erneuerbare-EnergienBranche schaffte sogar in sieben Jahren viel mehr. Mit dieser Wachstumsdynamik kann die Branche sowohl den Atomausstieg leisten und 40 Prozent CO2-Reduktion schaffen als auch die Kohlekraftwerke ersetzen. Wir brauchen keine neuen Kohlekraftwerke. ({7}) Das Ziel des Bundesumweltministers, einen Anteil von 25 bis 30 Prozent erneuerbaren Energien zu erreichen, ist nicht ambitioniert. Die Branche kann und will mehr. Das sollten wir auch akzeptieren und entsprechende Maßnahmen anstoßen. ({8}) Andererseits setzt die Verknappung der fossilen und atomaren Ressourcen die Versorgungssicherheit aufs Spiel, wie aktuell am nationalen Notstand in Südafrika zu sehen ist. Wer wie die großen Energiekonzerne und die Bundesregierung heute noch auf Atom und Kohle setzt, sorgt dafür, dass spätestens übermorgen die Lichter ausgehen werden. Das ist die Entwicklung, auf die wir zusteuern. ({9}) Die Große Koalition setzt weiter auf die Besteuerung der reinen Biokraftstoffe statt auf Steuererleichterungen. Sehenden Auges lassen Sie die heimischen dezentralen Ölmühlen und Biodieselanlagen in Konkurs gehen. Stattdessen unterstützen Sie mit dem Beimischungszwang sogar die Abholzung tropischer Regenwälder. Herr Minister Gabriel, Sie sprechen vom Urwaldschutz, sorgen aber mit Ihrem Biokraftstoffquotengesetz für die Abholzung genau dieser Wälder. ({10}) Auch Ihre halbherzige und ökologisch wie sozial unzulängliche Nachhaltigkeitsverordnung für Bioenergien wird dies nicht ändern. Klimaschutz und Waldschutz sehen anders aus. Meine Damen und Herren von der Koalition, bei Ihren Gesetzentwürfen stimmt oft nur die Überschrift, aber nicht der Inhalt. In der Fassung, in der Sie das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vorgelegt haben, wird in der Branche der Erzeuger von erneuerbarer Wärme die notwendige und erhoffte Ausbaudynamik nicht entstehen, vor allem deshalb, weil Sie das große Volumen des Altbausektors unberührt lassen. Herr Becker, es genügt nicht, die Mittel für das Marktanreizprogramm aufzustocken; man muss auch für den Abfluss sorgen. ({11}) Unter Ihrer Regierung war bereits im letzten Jahr ein drastischer Rückgang bei den Neuinvestitionen für Sonnenkollektoren und Holzpelletsheizungen zu verzeichnen. Das ist keine Ausbaudynamik. ({12}) Auch im Biogassektor haben Sie in Ihrer Regierungszeit bereits einen 70-prozentigen Markteinbruch zu verantworten. Statt nun massiv entgegenzusteuern, wollen Sie in der Biogaseinspeisung zwar die Netzzugangsbedingungen ein wenig verbessern - das ist auch gut -, aber keine Vergütung für das eingespeiste Biogas einführen. So erreichen Sie keine Dynamik im innovativen Mittelstand. Selbst in der von Ihnen vorgeschlagenen Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gibt es Licht und Schatten. Es ist gut, bessere Anreize für Offshorewindanlagen zu schaffen, aber bitte vernachlässigen Sie nicht die mittelständisch orientierte Windkraftbranche an Land. Onshorewindräder können viel kostengünstiger und schneller emissionsfreien Windstrom erzeugen als die Mühlen auf dem Meer. Doch trotz gestiegener Rohstoffpreise wollen Sie die Windvergütung weiter senken und setzen zu wenig Anreize für Repowering. Dabei haben wir doch - ebenfalls unter Ihrer Regierungsverantwortung - seit dem letzten Jahr einen bedenklichen Rückgang bei den Windkraftneuinstallationen in Deutschland. Auch in der Fotovoltaik setzen Sie auf willkürlich festgelegte drastische Vergütungssenkungen, selbst auf das Risiko hin, dass diese hochinnovative Branche Markteinbrüche zu befürchten hat. Wir schlagen vor, die Degression der Vergütung nicht auf Jahre hinweg festzuschreiben, sondern dynamisch an das Marktwachstum anzubinden. Bei starkem Wachstum könnte die Vergütung stärker gesenkt werden als bei Stagnation oder gar Investitionsrückgang. Mit unserem Modell wird es für die Branche weiterhin verlässliche Wachstumsbedingungen geben, und gleichzeitig werden die Kosten schnell gesenkt werden können. ({13}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, Sie haben noch harte Arbeit vor sich, um das Klima- und Energiepaket wirklich zu einem Klimaschutzerfolg werden zu lassen. Wir Grünen bieten Ihnen dazu unsere aktive Mitarbeit im parlamentarischen Verfahren an, ({14}) haben wir doch in der Vergangenheit mit der Einführung des EEG bewiesen, dass wir erfolgreich Wirtschaftspolitik und Klimaschutz zusammenbinden können. Wir bieten Ihnen faire parlamentarische Beratungen an mit dem ehrlich gemeinten Ziel der Zustimmung der Grünen - aber natürlich nur, wenn die Novelle des ErneuerbareEnergien-Gesetzes allen erneuerbaren Energien - Sonne, Wind, Wasser, nachhaltig angebauten Bioenergien, Erdwärme und Meeresenergien - gute Wachstumsmöglichkeiten bietet und ein im Vergleich zum Entwurf deutlich verbessertes Wärmegesetz für erneuerbare Energien eine Dynamik auch im Altbausektor entfachen kann.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Denn uns muss immer wieder klar werden: Nur mit erneuerbaren Energien und mit Energieeinsparungen können der Klimaschutz und die Verhinderung von weiter steigenden Erdgas-, Erdöl- und Strompreisen gelingen. Ich danke Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Fell, wir haben uns - ich glaube, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag haben das konzediert mit dem Ziel einer EEG-Verstromung von 30 Prozent im Jahr 2020 eine ambitionierte Aufgabe gestellt. Wir müssen eine Menge dafür tun, um das auch tatsächlich zu erreichen. Derjenige, der sich tagtäglich damit befasst, welche Investitionen in die erneuerbaren Energien selbst, aber zum Beispiel auch in die Netze dazu notwendig sind, weiß, dass das eine Aufgabe ist, an deren Bewältigung wir hart zu arbeiten haben. Dennoch ist es so, dass am Ende 70 Prozent des Stroms nicht aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Nur weil es populär ist, so zu tun, als ob wir in diesem Zeitraum ohne Kohleverstromung auskämen, ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. ({0}) Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Wir wollen, dass die alten Mühlen - diejenigen, die am stärksten CO2 ausstoßen - so zeitnah wie möglich abgeschaltet werden. Dazu brauchen wir aber Neuinvestitionen, auch in Kohlekraftwerke. Wir haben ganz klar gesagt: Unsere Priorität ist dabei die Kraft-Wärme-Kopplung, die letztlich aufgrund ihrer Effizienzgrade und ihres Wärmeausstoßes Vorteile gegenüber dem Kondensationsstrom hat. Wir wollen im Bereich Forschung und Entwicklung Demonstrationsobjekte für die Technik der CO2-Abscheidung und -Speicherung schaffen, wohl wissend, dass noch nicht alle Fragen beantwortet sind. Aber ich denke, da gilt das Vorsorgeprinzip. Innerhalb des Zeitraums bis 2020 werden wir dann sehen, wo Optionen für eine weitere Kohleverstromung liegen. Aber klar ist: Wir wollen die alten Mühlen zeitnah beseitigen. Das geht leider nicht allein über erneuerbare Energien, sondern dazu brauchen wir neue moderne Kraftwerke im Bereich der Kohle. ({1}) Das ist aber nicht das Thema der heutigen Debatte. Ich möchte mich vor allen Dingen auf die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz konzentrieren, auch wenn die Aufregung groß ist, da hier Argumente angeführt werden, die offenbar dem einen oder anderen in der Fraktion der Grünen nicht passen, weil sie mit der Realität zu tun haben. ({2}) Heute weiß mittlerweile nicht nur jeder Mediziner, dass mit „EEG“ nicht das Elektroenzephalogramm gemeint ist, sondern das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es ist - das haben mehrere Redner schon gesagt - eine Erfolgsgeschichte geworden. Gelegentlich wird der Vorwurf gemacht - heute wieder insbesondere von der FDP -, dass dieses Instrument nicht wirtschaftlich angelegt sei und es zu Überförderungen oder Unterförderungen - wie auch immer - komme. Der Monitoringbericht spricht eine andere Sprache: Gerade in dieser Hinsicht ist das Instrument ein Erfolgsbeispiel. Wir haben mit den im EEG festgelegten Vergütungssätzen und Degressionsschritten offenbar - jedenfalls im Großen und Ganzen - die richtige Richtung beschritten. Es gibt kaum Überförderungen. Da, wo es sie gibt, werden wir sie beseitigen. Es gibt aber vor allen Dingen keine Unterförderungen; sonst wäre dieses Instrument nicht so erfolgreich gewesen, wie es über Jahre gewesen ist. Ich glaube, dass wir, was die Wirtschaftlichkeit dieses Instrumentes angeht, von der Grundausrichtung her noch besser werden können, aber schon in der Vergangenheit - auch das muss man sagen - gut gewesen sind. Ein Punkt, den wir dieses Mal besonders hervorheben wollen, ist das Thema Netz- und Marktintegration von erneuerbaren Energien. Ich will dazu ein paar Worte sagen; andere Kollegen werden weitere Aspekte ansprechen. Es gibt im Gesetzentwurf eine Verordnungsermächtigung zum Thema Netzintegration. Ich glaube, dass wir uns die Mühe machen sollten, in weiteren gesetzgeberischen Verfahren zu überlegen, was wir möglicherweise schon jetzt nicht nur in der Verordnung, sondern auch im Gesetz tun können, um frühzeitig mögliche Anreize dafür zu setzen, dass der EEG-Strom noch wertvoller wird, weil er noch stetiger eingespeist wird. ({3}) Es gibt eine ganze Menge guter Ideen. Vorgeschlagen werden zum Beispiel die Verkopplung verschiedener Anlagen der erneuerbaren Energien - von Wind- und Biogasanlagen beispielsweise -, die Kopplung von Angebots- und Nachfrageseite - zum Beispiel von Windenergieproduzenten und Kühlhäusern - oder innovative Speichermöglichkeiten. Selbst die großen Energieversorgungsunternehmen denken darüber nach, ob NachtRolf Hempelmann speicherstrom künftig für Elektroautos genutzt werden kann. All das sind Ideen, mit denen wir uns befassen müssen. Wir müssen überlegen, was wir gesetzgeberisch schon jetzt tun können, um diesen Weg zu beschreiten. ({4}) Letztendlich wird das dazu führen, dass wir insbesondere bei der volatilen Windstromerzeugung die Täler und die Spitzen abfangen können, dass wir zu mehr Volllaststunden in diesem Bereich kommen, dass der Bedarf an teurer Regelenergie sinkt und damit der Wert des Stroms aus erneuerbaren Energien deutlich steigt. Auch die Netzbetreiber werden etwas davon haben; denn die Netzstabilität wird dann selbstverständlich leichter herzustellen sein. Das ist gerade vor dem Hintergrund wichtig, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien an der Verstromung in den nächsten Jahren deutlich steigern wollen. Last but not least wird das die Akzeptanz dieses Instruments sowohl in der Bevölkerung als auch in der betroffenen Wirtschaft deutlich steigern. Ein anderes Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Marktintegration. Dabei geht es darum, die Anreize so zu setzen, dass die erneuerbaren Energien ein Stück weit, da wo es möglich ist, von der Vergütung wegkommen. Wir müssen zu am Markt erzielten Preisen und Gewinnen kommen. In der Vergangenheit wurden diesbezüglich durchaus Fortschritte gemacht. Wir glauben, dass da noch mehr möglich ist. Im Dialog mit der Branche sind dazu Vorschläge erarbeitet worden. Sie unterscheiden sich ein Stück weit von dem, was im Gesetzentwurf angeregt wird. Ich glaube, dass wir hier noch einmal genau hinschauen sollten. Wir müssen Anreize setzen, die dazu führen, dass die Erzeuger von erneuerbaren Energien schrittweise in Richtung Eigenvermarktung gehen. Wir müssen einen Schritt in Richtung Entsendung der erneuerbaren Energien in den Wettbewerb machen. Das wird uns nicht von einem Tag auf den anderen gelingen. Wenn wir diese Schritte machen, gehen wir aber in die richtige Richtung. ({5}) Ich bin ganz sicher, dass wir im weiteren Verfahren den Gesetzentwurf, der im Grundsatz schon sehr gut ist, optimieren können. Dazu sind selbstverständlich auch die Fraktionen der Opposition herzlich eingeladen. Ich weiß, dass es auch dort engagierte Verfechter der erneuerbaren Energien gibt. Wir wollen diese Ressourcen gerne nutzen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Angelika Brunkhorst, FDP-Fraktion. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch die FDP begrüßt die Zielsetzung der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Überdies haben wir auch den interfraktionellen Vorschlag des Bundestages unterstützt, nach dem eine unkonditionierte Reduzierung um 30 Prozent bis zum Jahr 2020 erreicht werden soll. Ebenso richtig ist das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch bis dahin auf 20 Prozent zu steigern. Leidenschaftlichen Streit gibt es allerdings in mindestens zwei Punkten. Der erste Punkt ist: Welche Instrumente wollen wir nutzen, um die erneuerbaren Energien stärker in den Energiemix zu integrieren? Ist das EEG wirklich der Weisheit letzter Schluss, oder geht es, zumindest beim Zubau, auch anders, kostengünstiger und besser? Das EEG ist keine heilige Kuh. Hier gibt es auf jeden Fall einen Dissens. Der zweite Punkt bezieht sich sowohl auf die erneuerbaren Energien als auch auf die Zukunft der konventionellen Energieträger. Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung - neuerdings muss ich auch einige Kollegen von der Union ansprechen -, wollen am liebsten aus allem gleichzeitig aussteigen: aus der Kernenergie und aus der Kohleverstromung gleich mit. Das halten wir für unverantwortlich. Das ist ein Unfug, der ins wirtschaftliche Desaster führen kann. ({0}) Verkaufen Sie die Leute doch nicht für dumm. Umwelt- und Klimaschutz sind keine Themen für den ökologischen Neobiedermeier, sondern Energiepolitik ist vor allen Dingen ein Hightech-Thema. Wenn Sie das Klima von Treibhausgasemissionen entlasten wollen, dann gelingt das nur mit Hightech auf allerhöchstem Niveau, ({1}) sowohl im Bereich der erneuerbaren Energien als auch bei den konventionellen Kraftwerkstechnologien inklusive einer möglichen CO2-Abscheidung. ({2}) Die vorliegende Novelle des EEG ändert am Grundproblem nichts. Das EEG hat entscheidende Webfehler. Es ist kostspielig. Das wird immer deutlicher, je mehr Zeit vergeht. Es ist immer wieder fatal, wenn sich der Staat anmaßt, den richtigen Preis für bestimmte Technologien zu kennen. Woher sollte der Staat dieses Wissen nehmen? Es ist ein weiterer Fehler, den Wettbewerb zwischen den verschiedenen erneuerbaren Energien nahezu komplett auszuschalten. ({3}) Wir von der FDP setzen dem EEG ein System der differenzierten Mengensteuerung entgegen, ein System, das nicht sprachlos ist, wenn es um erneuerbare Wärme geht oder um die Nutzung der erneuerbaren Energien im Bereich Verkehr. ({4}) - Das hat funktioniert. ({5}) An anderer Stelle werden wir darüber diskutieren. Ihre Begeisterung für das EEG teilen wir nicht. Dennoch enthält die heute von Ihnen vorgelegte Novelle des EEG einige positive Aspekte gegenüber der bisherigen Förderpraxis. Sinnvoll ist insbesondere, dass grundlastfähigen Energien endlich ein gewisser Vorrang eingeräumt wird. ({6}) Die FDP begrüßt außerdem die Beendigung einiger Doppelförderungen und die Tatsache, dass die Förderung regenerativen Stroms stärker als bisher einer Degression unterworfen wird und die Produzenten stärkere Anreize haben sollen, ihren Strom auch selbst zu vermarkten. Diese Wahlmöglichkeit zwischen EEG-Förderung und Eigenvermarktung bringt die erneuerbaren Energien zumindest ein kleines Stück näher an ihre Marktfähigkeit. ({7}) Völlig inakzeptabel ist jedoch, dass nach der heute vorgelegten Novelle beim EEG-Erfahrungsbericht in Zukunft keine Ressortabstimmung mehr vorgegeben sein soll. Noch dreister ist: Das BMU soll in die Lage versetzt werden, zentrale Elemente des Gesetzes, nämlich die Degressionsregel und die Biomassenachhaltigkeitskriterien, nur durch Rechtsverordnung und ohne Beteiligung der Parlamente festzulegen. So geht das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungskoalitionsfraktionen. ({8}) Das allein wäre für uns schon Grund genug, diese Novelle abzulehnen. Inhaltlich negativ bewerten wir auch die zum Teil absurden und kontraproduktiven Regelungen beim Repowering. Es ist noch kein Offshorepark gebaut worden, aber die Förderung für Offshorewindenergie wird massiv erhöht. ({9}) - Ich bin noch nicht fertig. Gerade bei der Realisierung der Offshoretechnologie steht uns noch ein gewaltiger Kraftakt bevor. Täuschen wir uns nicht: Es sind noch viele technische Fragen dieser Vision offen. In den Werkshallen werden gigantische Windräder gefertigt, deren Gondeln 400 Tonnen wiegen. Das ist Extremmaschinenbau, dessen Technik erst erprobt werden will. Nebenbei bemerkt: Die Nordsee ist kein seichtes, zahmes Gewässer. Auch da werden wir uns noch wundern. ({10}) Zudem sollten wir das Problem der Übertragung des Windstroms an Land und über Land nicht vergessen. Allerorten gibt es mittlerweile Engpässe bei den Netzkapazitäten. Auch hier wünsche ich mir von den gleichen Akteuren wie beim EEG innovative Visionen. Die Zauberworte heißen „Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung“ und „intelligente Netze“. An dieser Stelle ganz nebenbei: Niedersachsen hat seit Dezember 2007 ein Erdkabelgesetz. Das sind faszinierende Techniken, die zugegebenermaßen erheblich viel Geld kosten werden. Das dürfen wir dem Verbraucher nicht verschweigen. Bei der Biomasseverstromung steht für die FDP fest, dass der Einsatz von Reststoffen und Gülle verstärkt Vorrang haben muss. Wir meinen auch, dass wir den sogenannten Nawaro-Bonus nicht zu erhöhen brauchen. Vielmehr sollten wir durch Umschichtung den Einsatz von Gülle und anderen Reststoffen verstärkt honorieren, nicht zuletzt wegen der hier schon verschiedentlich angesprochenen Nutzungskonkurrenzen bei der Biomasse. Diese Konkurrenzen wollen wir nicht noch mehr verstärken. ({11}) Nun zum Wärmegesetz. Das Ergebnis der langwierigen Diskussionen über dieses Gesetz kann nicht zufriedenstellen. Rund 37 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den Wärmebereich, also auf die Warmwasserbereitung und die Beheizung von Gebäuden. Diesen gewaltigen Schatz wollen Sie jetzt heben, indem Sie eine Pflicht zur Nutzung erneuerbarer Energien für das zarte Pflänzchen Neubauten einführen. Derzeit werden pro Jahr lediglich 175 000 Neubauten realisiert. Das kann also nicht weiterhelfen. Alle hochtrabenden Pläne, endlich einen großen Wurf für den Wärmebereich zu erzielen, sind gescheitert. Das Bundesumweltministerium musste im Verlauf der Ressortabstimmung eine herbe Niederlage einstecken und den Gebäudebestand aus dem Geltungsbereich des Gesetzes gänzlich streichen. Jetzt bettelt man um weitere Fortschritte, indem man den Umweg über die Länder nimmt. Die Bundesregierung versucht zudem, den Gesetzentwurf aufzupeppen und als Erfolg zu verkaufen. So verspricht sie unter § 13 Fördermittel, die in direktem Gegensatz zum Kern des Gesetzes stehen. Denn für Anlagen, die der Erfüllung der Nutzungspflicht dienen, kann man gar keine Fördermittel erhalten. Zudem sind Regelungen zur Verwendung dieser Mittel bereits im Rahmen des Marktanreizprogramms getroffen worden. Bitte täuschen Sie die Bürger nicht durch großartige Förderversprechen und eine doppelte Buchung der Finanzmittel! Am vorliegenden Entwurf eines Wärmegesetzes sind auch die maßlosen Bußgeldregelungen und die Verletzung der Eigentumsrechte durch den Anschluss- und BeAngelika Brunkhorst nutzerzwang zu kritisieren. Ist das Ihre Politik des 21. Jahrhunderts? Das kann es ja wohl nicht sein. Eigentumsrechte sind Bürgerrechte, und die sollte man schützen und nicht diskreditieren. ({12}) Die FDP hat als erste Fraktion bereits im Sommer letzten Jahres ein abgestimmtes und umfassendes Konzept zur Nutzung der erneuerbaren Energien im Wärmebereich vorgelegt. Wir haben in unserem Antrag auf Drucksache 16/5610 dargelegt, dass dadurch große ökologische Fortschritte erzielt werden können und die Integration des Gebäudesektors in den Emissionshandel gelingen kann. So könnten die Maßnahmen zur Gewinnung von Wärme aus regenerativer Energie untereinander diskriminierungsfrei, marktwirtschaftlich, technologieoffen, wettbewerbsneutral und unter minimalem gesamtwirtschaftlichem Aufwand gefördert werden. ({13}) Leider hat das Wärmegesetz die gleichen Webfehler wie das EEG. Man versucht, bestimmte Technologien zu definieren und deren Anwendungs- und Nutzungsbedingungen strikt vorzugeben. Wie wir auch an der heutigen Debatte sehen, führen solche Vorhaben immer wieder zu einem kontinuierlichen Anpassungsbedarf an die sich wandelnden Marktbedingungen. Die von Ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe enthalten, wie schon erwähnt, durchaus positive Aspekte. Dazu gehört unter anderem der Vorrang für grundlastfähige erneuerbare Energien bei der Netzeinspeisung. Auch die Kraft-Wärme-Kopplung verdient eine besondere Würdigung ihrer Stärken, wenn auch die geplante KWKPflicht bezüglich mittlerer Biomasseanlagen doch reichlich überzogen ist, wie es auch die absurden Anschlusszwänge sind. ({14}) Am Ende überwiegen für uns die negativen Aspekte. Die FDP lehnt das vorgelegte Gesetzespaket ab, sowohl aus ökonomischen als auch aus ökologischen Gründen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gute Nachricht ist: Deutschland ist und bleibt Vorreiter beim Klimaschutz, und das nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt. ({0}) Es ist vor allem dem herausragenden Einsatz unserer Bundeskanzlerin und ihrem sehr geschickten Agieren als EU-Ratspräsidentin zu verdanken, dass man sich im letzten Jahr in Europa verbindlich auf „20/20/20“ geeinigt hat: auf eine 20-prozentige Energieeinsparung, eine 20-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen und einen 20-prozentigen Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020. Dadurch wurden der Fortschritt in Heiligendamm und der Durchbruch in Bali hin zu einer sich abzeichnenden internationalen Lösung unter Beteiligung aller überhaupt erst möglich. Deutschland ist aber nicht nur Vorreiter beim Klimaschutz, sondern auch Schrittmacher und Benchmark beim Energiesparen. Die Energieeffizienz ist ein Feld, das leider immer etwas zu kurz kommt, obwohl es sich hierbei eigentlich um den Königsweg der Energiepolitik handelt. Das Bundeswirtschaftsministerium hat hierzu ein sehr umfangreiches Paket vorgelegt. Die Bundesregierung hat im Herbst letzten Jahres entscheidende Fortschritte bei der Energieeffizienz erzielt, gepaart mit Fortschritten bei neuen Energietechnologien. Nur diesem Fortschritt - der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch - ist es zu verdanken, dass wir von den weltwirtschaftlichen Krisen und von den Ausschlägen der Preise für Rohstoffe und Energie bisher relativ wenig betroffen sind. Deshalb müssen wir diesen Weg konsequent weitergehen. ({1}) Mit der ersten Tranche des integrierten Klima- und Energiepaketes, die wir heute in erster Lesung behandeln, folgen den Worten des letzten Jahres weitere, entscheidende Taten. Das integrierte Klima- und Energiepaket ist ein geeigneter Ansatz, um zu erreichen, dass 2020 zwischen 25 und 30 Prozent des Stromes und mindestens 14 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Das ist - wie auch immer man das im Einzelnen definieren will, Herr Bundesminister Gabriel - ein deutlicher Beitrag zum Klimaschutz und zur Versorgungssicherheit. Durch eine Biokraftstoffquote von 20 Prozent oder mehr werden wir die Unabhängigkeit weiter vorantreiben. Die Union unterstützt dieses Vorhaben uneingeschränkt. Die erneuerbaren Energien haben mittlerweile einen Anteil von 14 Prozent; 14 Prozent unserer Energie werden somit CO2-neutral erzeugt. Hinzu kommen die ungefähr 26 Prozent unserer Energie, die in Kernkraftwerken erzeugt werden. Das heißt, bereits heute, 2008, werden in Deutschland gut 40 Prozent des Stroms CO2frei erzeugt. Selbst wenn wir die erneuerbaren Energien massiv ausbauen und bis 2020 einen Anteil von 25 bis 30 Prozent erreichen - vielleicht sogar 35 Prozent -, werden diese Bemühungen nicht ausreichen. Wir handeln also mit Zitronen; denn der Anteil unseres Stromes, der CO2-frei erzeugt wird, wird, wenn wir die Kernkraftwerke abschalten, 2020 immer noch unter dem liegen, was wir heute haben. Die Differenz muss nämlich durch fossile Energieträger gedeckt werden. Der Strom kommt schließlich nicht einfach so aus der Steckdose. Insofern kann ich nur alle auffordern - auch unseren geschätzten und geliebten Koalitionspartner -, sich der Realität zu stellen. ({2}) Jetzt zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten. Wir sind uns ja einig, dass wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz für den Strombereich erreichen wollen, dass der Anteil der erneuerbaren Energien auf 25 bis 30 Prozent steigt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist erfolgreich, auch was die Menge anbelangt - keine Frage. Es ist auch einfach: mit einem Fixpreis und mit einer Abnahmegarantie. Auch die Administration ist kein Problem. Aber wir kommen - das haben wir schon gemerkt - zunehmend in zwei Problembereiche hinein, die beim jetzigen Stand der Vorlage des Kabinettsbeschlusses noch nicht in ausreichendem Umfange gewürdigt sind. Das eine Problem ist der Netzausbau. Wir haben zu wenig Netze, und wir haben die Netze an der falschen Stelle. Wir können die Strommengen, die erzeugt werden, in die Netze gar nicht einspeisen. Wir haben also kein Problem bei der Stromerzeugung, sondern bei der Zurverfügungstellung des Stromes. Dafür wird und muss die Bundesregierung - das Wirtschaftsministerium ist ja damit befasst - im Mai mit dem zweiten Paket eine Lösung vorschlagen, die greift und trägt. Die bisherigen Bemühungen, das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, haben bei weitem nicht die Fortschritte gebracht, die notwendig sind. Ich will aber heute nicht im Detail darauf eingehen; darauf kommen wir noch zu sprechen. Das andere Problem ist die System- und Netzintegration der erneuerbaren Energien insgesamt. Wir stoßen schon heute an Systemgrenzen. Als der Anteil der erneuerbaren Energien bei 2 Prozent, bei 4 Prozent lag, hatten wir kein Problem. Aber schon die 14 Prozent, die wir heute haben, bekommen wir nicht ins Netz eingespeist. Aus unserer Sicht gibt es neben dem Netzausbau drei Stellgrößen, die noch nicht entsprechend geregelt sind. Erstens zur Frage der Marktintegration. Dazu werden wir konkret vorschlagen, mit einem sogenannten Marktprämienmodell die Direktvermarktung des Stromes aus erneuerbarer Energie zu verbessern. Das beste Kombikraftwerk ist - darüber haben viele Kollegen eben schon gesprochen - der Markt, der mit seinen kreativen Suchprozessen Mittel und Wege findet, die erneuerbaren Energien untereinander oder auch die erneuerbaren mit fossilen Energien so zu kombinieren, dass im Strombereich Fahrplanlieferungen möglich sind und Regelenergie und Ausgleichsenergie zur Verfügung gestellt werden können. ({3}) Was nützt es uns, wenn wir den Strom erzeugen, ihn aber nicht in das System bringen können? Bei einer Quote von 25 bis 30 Prozent wird unser System dies nicht leisten können. Deshalb ist da Not am Mann. Wir können nicht warten, bis das Licht ausgeht, sondern müssen bereits jetzt im parlamentarischen Verfahren zum Erneuerbare-Energien-Gesetz nachjustieren. Wir sind hier für konstruktive Anregungen aufgeschlossen und werden einen konkreten Änderungsvorschlag einbringen. ({4}) Ein zweiter Punkt bedarf näherer Betrachtung, der noch nicht richtig im Licht der Öffentlichkeit steht, weil es sich um eine komplizierte Angelegenheit handelt: die Neuordnung des sogenannten Wälzungsmechanismus. Zusätzlich zu den Differenzkosten, die 2007 bei den erneuerbaren Energien 3,3 Milliarden Euro betrugen, machen die Kosten des Wälzungsmechanismus - das sind die neuesten Angaben der Bundesnetzagentur, die uns in der letzten Woche mitgeteilt wurden - mittlerweile 1 Milliarde Euro aus. Das sind Kosten der Netzanbindung und der Veredlung des unsteten Stroms aus erneuerbarer Energie. Diese Kosten machen den Strom aus erneuerbarer Energie letztlich für den Verbraucher unnötig teuer. Mit einer Neuordnung des Wälzungsmechanismus, also der Abwicklung und Abrechnung der EEGKosten, muss hieran Hand angelegt werden; dies sollten wir in dem parlamentarischen Verfahren ganz konkret angehen. Auch dieser Punkt liegt uns sehr am Herzen. ({5}) Als dritten Punkt spreche ich etwas an, was ebenfalls bereits angeklungen ist. Wir wollen die erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Die Gelder sind begrenzt; jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Daher müssen wir die Gelder möglichst effizient ausgeben und uns daran orientieren, welches die geringsten Vermeidungskosten sind, welche erneuerbare Energie bis 2020 - das ist unser Zielhorizont - den größten Beitrag liefern kann und welcher erneuerbaren Energie es vor allen Dingen um Technologieförderung geht. In diesem Zusammenhang müssen wir uns mit der Fotovoltaik näher auseinandersetzen. Das BMU hat hierzu dankenswerterweise Zahlen für den Kabinettsbeschluss vom 5. Dezember 2007 ausgerechnet, die besagen, dass es sich um eine nicht unerkleckliche Summe handelt. Selbst in Zeiten der Bankenkrise sollte uns diese Summe aufhorchen lassen. Bis 2020 werden Differenzkosten von knapp 70 Milliarden Euro für das Gesamtengagement bei den erneuerbaren Energien zu Buche schlagen. Davon entfallen - wie gesagt, es sind die Zahlen von Herrn Gabriel und nicht meine - 34 Milliarden Euro auf die Fotovoltaik. Das sind über 45 Prozent der Gesamtkosten. Zugleich trägt die Fotovoltaik nur mit maximal 6 Prozent zur Stromerzeugung bei. Angesichts dessen muss schon die Frage erlaubt sein, ob wir uns im parlamentarischen Verfahren die einzelnen Technologien nicht hinsichtlich der Vergütungshöhe und der Degressionssätze sehr genau anschauen sollten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir haben Gelegenheit, das Ganze in den weiteren Runden zu beraten. Ich möchte Folgendes festhalten: Zu Beginn meiner Rede habe ich gesagt: Wir sind Vorreiter und Benchmark. Wichtig ist aber, dass wir nicht in dem Sinne Vorreiter bleiben, dass wir vorangehen und uns niemand folgt, sondern in dem Sinne, dass wir vormachen, wie es funktioniert. Es funktioniert aber nur, wenn wir im Hinblick auf den Klimaschutz das energiepolitische Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit erfüllen. Gelingt uns dies, werden uns andere Länder wie die USA, China oder Indien folgen. Lassen Sie uns in diesem Sinne den vorliegenden Gesetzentwurf weiter optimieren. Dann können wir es erreichen, die drei von mir genannten Punkte unter einen Hut zu bringen. Wir sind dazu bereit und freuen uns auf eine konstruktive Diskussion. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bärbel Höhn ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pfeiffer hat eben noch einmal auf den Ausgangspunkt der heutigen Debatte über die vorliegenden Gesetzentwürfe hingewiesen: Das war die Diskussion über den Klimaschutz im letzten Jahr. Ich muss ehrlich sagen, dass ich es gar nicht so schlecht fand, als sich die Kanzlerin auf der großen Konferenz in Heiligendamm für den Klimaschutz eingesetzt hat. Das war schon eine Verbesserung gegenüber dem früheren Kanzler Schröder, der die Wertigkeit des Klimaschutzes nicht erkannt hatte. Insofern war es gut, dass eine ehemalige Umweltministerin Kanzlerin geworden ist; sie versteht ihr Geschäft. ({0}) - Vielen Dank. Das wollte ich erreichen. Jetzt frage ich aber, was daraus geworden ist. ({1}) Heute geht es um den ersten großen Schritt zur Umsetzung dessen, was vor einem Jahr versprochen worden ist. Interessant ist, dass das Vorhaben nicht als Klimapaket, sondern als EEG bezeichnet wird. Wir reden nicht über das Klimapaket, um das es eigentlich geht, sondern über das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Hans-Josef Fell hat recht, was den Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes angeht. Es ist in der Tat das Herzstück des Klimaschutzes. Das EEG war aber nicht die Idee der Schwarzen, sondern ist von Jürgen Trittin und den Grünen angeschoben worden. ({2}) Wenn man der Frage nachgeht, was im vergangenen Jahr aus dem EEG geworden ist, dann stellt man fest, dass das Herz des Klimaschutzes zu stottern beginnt. ({3}) Im vergangenen Jahr gab es 25 Prozent weniger Investitionen in Windkraft und 60 Prozent weniger Investitionen in Biogasanlagen, und das bei einem Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Sie zu verantworten haben. Sie schwächen das Herzstück des Klimaschutzes. Das ist nicht in Ordnung. Wir brauchen ein starkes EEG, um beim Klimaschutz voranzukommen. ({4}) Das Klimapaket der Bundesregierung hat drei große Schwächen. Erstens hat es große Lücken. Deshalb reden wir heute über das EEG. Zweitens schrumpft das ehrgeizige Klimaschutzpaket von Tag zu Tag. Drittens ist es zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht. Lassen Sie mich auf die Lücken eingehen. Ich finde es interessant, dass auch Herr Hempelmann sofort darauf eingegangen ist. In der Debatte ist nicht die Rede von Steinkohlekraftwerken. Das ist aber notwendig. Wenn es um Klimaschutz und CO2-Reduktion geht, dann müssen wir auch über Investitionen in neue Kohlekraftwerke in Deutschland diskutieren. Denn sie sind der größte Feind des Klimaschutzes. ({5}) Sie haben darauf hingewiesen, Herr Hempelmann, dass es nur noch moderne Anlagen gibt. - Sie haben sich in die letzte Reihe gesetzt. Da gehören Sie auch hin.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Höhn, die Übertragungsanlage reicht aus, um den Kollegen Hempelmann mit diesen Botschaften auch in der dritten und vierten Reihe zu erreichen. ({0})

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay. Dann lassen Sie uns den Blick auf das Kohlekraftwerk in Hamburg richten. Der CO2-Ausstoß dieses modernen Kraftwerks beträgt 9,2 Millionen Tonnen. Das entspricht dem CO2-Ausstoß von 3 Millionen Autos, die 20 000 Kilometer pro Jahr fahren. ({0}) Der Bau großer Kraftwerke macht jeden Klimaschutz zunichte. ({1}) Das ist die Achillesferse Ihrer Klimaschutzpolitik. Minister Gabriel hat in der Braunschweiger Zeitung festgestellt - Zitat -: Es macht mir Sorge, dass jetzt bereits geplante Standorte für neue Kraftwerke infrage gestellt werden. Das ist gefährlich: … So hat jeder seine Sorgen. Die Anwohner sind in Sorge um ihre Gesundheit und Lebensumgebung. ({2}) Die Umweltverbände haben Sorge um das Klima. Und der Umweltminister hat die Sorge, dass nicht genug Kohlekraftwerke gebaut werden. Das ist das Problem dieser Politik. ({3}) Wenn man sich damit befasst, was die CDU/CSU fordert, stellt man fest, dass sich eine tolle Allianz gefunden hat. Frau Reiche fordert mehr Braunkohlekraftwerke, die, wie wir wissen, die größten Klimakiller dieser Republik sind. Herr Pfeiffer sagt, am besten sei eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke. Das alles stellt Ihnen beim Klimaschutz ein Armutszeugnis aus. So darf es nicht sein. ({4}) Schauen wir uns einmal an, was aus dem großen Klimapaket geworden ist, das der Umweltminister vor einem halben Jahr vor dem Gipfel von Meseberg vorgelegt hat. Er hat gesagt, elektrische Nachtspeicherheizungen müssten ab 2009 verboten werden. Ist das im Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, das Dienstwagenprivileg müsse gekappt werden. Ist das im Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, die Maut müsse auf Lkws ab 7,5 Tonnen ausgeweitet werden. Ist das im Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, die KfzSteuer müsse auch bei Altfahrzeugen auf den CO2-Ausstoß umgestellt werden. Ist das im Klimapaket drin? Nein. Dieses Klimapaket schmilzt von Tag zu Tag. Es wird immer weniger. Schließlich wird nichts mehr übrig bleiben. ({5}) Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz wird auf Neubauten beschränkt. Altbauten sind nicht mehr im Paket. Das Gros, bei dem man wirklich etwas tun könnte, ist also ausgenommen. In der Realität, wenn es um das Ganze geht, machen Sie schlechte Politik. Das nutzt dem Klima nicht, sondern schadet ihm. ({6}) Herr Minister Gabriel, ich habe den Eindruck, dass es sich beim Klima- und Energiepaket wie mit dem Gletschereis im Klimawandel verhält. Jedes Mal, wenn man hinschaut, sind die Eisberge geschrumpft. Das ist kein gutes Zeichen, auch nicht für die Eisberge. ({7}) Ich möchte noch - das wurde bereits mehrfach angesprochen - auf die Biokraftstoffe eingehen. Das ist in der Tat ein spannender Punkt. Hier gilt das Motto: Gut gemeint, aber schlecht gemacht. Schauen wir uns die von der Bundesregierung vorgeschlagene Beimischungsquote an. Sie treiben mit dieser Quote einen großen Teil unserer Wirtschaft, die kleinen und mittelständischen Betriebe, die sich im Bereich der erneuerbaren Energien und Biokraftstoffe engagieren, in die Insolvenz und stärken die großen Mineralölkonzerne. Das führt zu Monokulturen und zu einem nicht nachhaltigen Anbau von Pflanzen, aus denen Biokraftstoffe gewonnen werden. Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik. ({8}) Deshalb hat der Bundesrat auch kürzlich gesagt: Wenn 10 Prozent Biokraftstoffe beigemischt werden müssen, müssen 1,5 Millionen Autofahrer Superbenzin tanken, weil ihre Fahrzeuge nicht über die entsprechende Technik verfügen. Herr Gabriel, auch hier heißt es wieder einmal: Gut gemeint, aber schlecht gemacht. Die Ausführung Ihrer Vorhaben ist Pfusch. Das werden wir weiter so benennen. ({9}) In einem Punkt hat Herr Gabriel allerdings recht. Wenn wir einen nachhaltigen Anbau gerade im Bereich der Biomasse haben wollen, dann können wir uns nicht allein auf Biokraftstoffe beschränken; denn wenn der Regenwald abgeholzt wird, ist es egal, ob das Palmöl in den Autotank geht oder für Lebensmittel verwendet wird. Wir müssen den Regenwald vor nicht nachhaltigem Anbau und Rodungen schützen. Deswegen müssen wir Biokraftstoffe und Lebensmittel gleich behandeln. Das wäre der richtige Weg. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Höhn!

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzter Satz. Ich weiß Bescheid. Ich sehe Sie aufleuchten. ({0}) - Manchmal leuchtet auch der Präsident, finde ich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ein leuchtender Präsident schadet dem Parlamentarismus nicht.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In die EU werden 5 Millionen Tonnen Palmöl eingeführt. Davon sind 80 Prozent für Lebensmittel und Kosmetika bestimmt. Auch das müssen wir stoppen. ({0}) Lieber Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Geduld. Ich finde, dieses Paket ist schlecht gemacht. Pfusch im Gesetzgebungsverfahren, ein schrumpfendes Klimapaket, Lücken beim Verkehr und Ja zur Kohle, das alles geht nicht. Das ist ein Nein zum Klimaschutz. Das ist nicht gut für den Klimaschutz. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Höhn, es schadet dem Parlamentarismus gewiss nicht, wenn der Präsident leuchtet. Aber es hilft der Einhaltung der vereinbarten Debattenzeiten, wenn das Aufleuchten der Lampe am Rednerpult zu einer baldigen Beendigung der Rede beiträgt. ({0}) - Sehr schön. Schauen wir einmal, ob es in der weiteren Debatte hilft. Nun hat das Wort der Kollege Rainer Fornahl für die SPD-Fraktion. ({1})

Rainer Fornahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003120, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident, für die einleuchtenden Anmerkungen zum Umgang miteinander. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Werte Kollegin Höhn, Sie sollten nicht nur Hohn und Häme versprühen, sondern Sie sollten auch immer daran denken, dass das Mögliche und das Machbare zusammengeführt werden müssen. Genau das ist, glaube ich, mit dem IKEP insgesamt und den konkreten Vorgaben, über die wir heute diskutieren, ein gutes Stück weit auf den Weg gebracht worden. Wir werden am Ende des Tages sehen, ob wir die ambitionierten Ziele erreichen, sodass wir alle damit zufrieden sein können. Ich kann Sie alle einladen, daran konstruktiv mitzuarbeiten. Halten Sie keine Wahlkampfreden, auch wenn am Sonntag in Hamburg Wahlen stattfinden! ({0}) Ich will vom eher unverbindlichen Allgemeinen zum Konkreten kommen und auf einen Aspekt hinweisen, der eine zentrale Rolle beim IKEP und beim Klimaschutz spielt, und zwar auf den Gebäudebereich. Der Gebäudebestand in Deutschland umfasst 17 Millionen Wohngebäude mit ungefähr 40 Millionen Wohneinheiten. 40 Prozent des Endenergieeinsatzes in der Bundesrepublik Deutschland werden für das Heizen und das Kühlen in diesen Bestand gesteckt. Darin steckt ein gewaltiges Potenzial, das wir gemeinsam heben müssen. Dazu haben wir mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz einen ersten Vorschlag gemacht, der wichtige Rahmenbedingungen umfasst. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien in der gesamten Bandbreite bis 2020 auf 14 Prozent anheben. Das ist nicht das Endziel. Das geht nach 2020 selbstverständlich noch weiter. Wir wollen aber dabei nicht vergessen, dass man auch mit Kraft-Wärme-Kopplung eine ganze Menge Energie einsparen kann. Beide Aspekte müssen gemeinsam berücksichtigt werden. In diesem Gesetz geht es auch um quartiersbezogene Lösungen, also um die dezentrale Erzeugung von Strom und Wärme. Insbesondere diese zu fördern, ist gut und richtig. Die finanzielle Förderung in der Größenordnung von 500 Millionen Euro für diesen Bereich kann sich durchaus sehen lassen. Mit diesem Geld kann man eine ganze Menge bewirken. ({1}) Ich bedauere ein Stück weit, dass wir den Altbaubestand aus dem Gesetzentwurf genommen haben. Aber das liegt an den realen Möglichkeiten und der Machbarkeit. Wir setzen auf die entsprechenden Anreizprogramme. Ich denke, dass im Zusammenhang mit den Vorgaben der EnEV die Eigentümer von Einfamilienhäusern oder die Eigentümer von großen Wohnanlagen ein eigenes Interesse daran haben, Maßnahmen zur Energieeinsparung zu ergreifen, die notwendige energetische Sanierung und Modernisierung in die Wege zu leiten und erneuerbare Energien einzusetzen. Ich will noch auf eines verweisen: Das Gesetz enthält eine Klausel, die es den Ländern erlaubt, mehr zu tun, als in dem Rahmengesetz des Bundes vorgesehen ist. Baden-Württemberg hat schon etwas auf den Weg gebracht. Ich finde es sehr interessant, dass das Land Berlin mit den Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen eine Vereinbarung unterzeichnet hat, die die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen und den Abbau von Hemmnissen, Energiesparmaßnahmen zu ergreifen, vorsieht. Das ist ein nachahmenswertes Beispiel. Dem sollten alle Länder nacheifern; denn nach der Föderalismusreform I sind die Länder für den Wohnungsbereich und den Baubereich zuständig. Die müssen dann natürlich den einen oder anderen Euro in die Hand nehmen. Darauf sollte man an der Stelle verweisen. Neben dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und der EnEV, die ich schon angesprochen habe, sind wichtige Instrumente insbesondere die Einführung der Energieausweise und - eine Erfolgsgeschichte par excellence das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. ({2}) Das muss man immer wieder erwähnen, und man muss die Größenordnung darstellen. Für den Zeitraum 2006 bis 2009 geben wir über 4 Milliarden Euro aus. 400 000 Wohnungen wurden bereits saniert. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Wir wollen über ergänzende und zusätzliche Maßnahmen im sozialen Bereich in den Kommunen - energetische Sanierung von Schulen, Kindergärten, Turnhallen usw. - und auch bei den Bundesbauten im Rahmen von Programmen erhebliche Mittel in die Hände nehmen - 600 Millionen Euro werden den Kommunen und 120 Millionen Euro für die energetische Sanierung von Bundesbauten zur Verfügung gestellt -, damit in diesen Bereichen eine energetische Sanierung durchgeführt werden kann. So wird die Umsetzung der entscheidenden Aspekte, nämlich Energieeinsparung und Energieeffizienz auf der einen Seite und die Nutzung von erneuerbaren Energien auf der anderen Seite, ermöglicht. Damit wird alleine schon für diesen Sektor deutlich, dass wir, die Koalition, gemeinsam durchaus in der Lage sind, bei einer ambitionierten Zielsetzung mit Ordnungsrecht und Marktanreizen auf Bundesebene das Nötige und Machbare zu fördern. Wir sind schon jetzt in der Lage - und werden dies auch in Zukunft sein -, bei den klassischen Formen von Energie immer wieder eine Schippe draufzulegen - eine Mütze Wind oder ein paar Sonnenstrahlen, um bei dem Bild zu bleiben -, um die erneuerbaren Energien zu stärken. Mit diesem Paket, über das wir heute in erster Lesung diskutieren, sind wir, so meine ich, auf einem guten Wege. Ich kann Sie alle nur ermuntern, an der weiteren Diskussion aktiv und konstruktiv teilzunehmen. Vielen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Georg Nüßlein ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau Höhn hat gesagt, die Koalition bringe das Herz des Klimaschutzes, nämlich das EEG, zum Stottern. Frau Höhn, ich sage Ihnen eines: Ihnen dabei zuzuhören, wie Sie sich ereifern und laut und schrill Ihre Meinung vortragen, geht mir aufs Herz, ({0}) insbesondere dann, wenn Sie bei der Gelegenheit auch noch die Unwahrheit behaupten. ({1}) Denn eines muss man einmal deutlich sagen: Das von Ihnen viel gerühmte - und auch zu Recht gerühmte EEG geht auf das Stromeinspeisegesetz der Union zurück. Das dürfen Sie nicht vernachlässigen. ({2}) Warum sollten wir denn gegen etwas sein, das wir ursprünglich maßgeblich mit angestoßen haben? ({3}) Dabei geht es natürlich auch um ein Instrument für den Klimaschutz. Dieses Thema wird politisch dominant, und das zu Recht. Obwohl nur 3,2 Prozent der klimaschädlichen Gase in Deutschland emittiert werden, haben wir als Industriestaat eine Vorbildfunktion für andere. Dieser Vorbildfunktion können wir aber nur dann gerecht werden, wenn es uns gelingt, Ökonomie und Ökologie sinnvoll zueinanderzubringen. Das muss doch sozusagen die Überschrift für alle Gesetze sein, die wir heute unter diesem Tagesordnungspunkt beraten. ({4}) Um beim EEG zu bleiben: Es geht dabei natürlich auch um Versorgungssicherheit und Ressourcenschonung. Gestern gab es die Meldung, Lukoil dreht den Ölhahn zu. Das ist natürlich ein Thema, um das wir uns kümmern müssen. Es geht aber auch um die Themen Innovationsförderung und Erschließung von Schlüsseltechnologien. Gerade mit Blick auf diesen Bereich sollten wir im Rahmen der Novellierung des EEG noch einmal darüber nachdenken, wie wir es zielorientiert erreichen, neue Technologien, zum Beispiel im Bereich der Fotovoltaik oder der Geothermie, zu fördern, und zwar ohne auf der einen Seite riesige Differenzkosten zu produzieren und auf der anderen Seite die Strukturen, die unbestritten auf Basis des EEG geschaffen worden sind, zu zerstören. ({5}) Ich bestreite nicht, dass es insbesondere vielen Kolleginnen und Kollegen von der CSU darum geht, mit diesem Gesetz Regional- und Strukturpolitik zu machen. Im Bereich der Landwirtschaft ist uns einiges gelungen. ({6}) Ich sage aber auch: Damals hatten wir andere Ansätze. Es ging darum, wie man Boden und Fläche aus der landwirtschaftlichen Produktion herausnimmt. Auch in diesem Bereich müssen wir darüber reden, ob nicht das eine oder andere angepasst werden muss. Freiflächenanlagen für Fotovoltaik auf dem besten Ackerland - das muss aus meiner Sicht überhaupt nicht sein. ({7}) Außerdem müssen wir uns überlegen, wie wir im gesamten Bereich der Biomasse einvernehmlich etwas zustande bringen. Mit dem EEG machen wir aber auch ein Stück weit Wettbewerbspolitik. Ich sage deutlich: Der vielzitierte Markt in diesem Bereich ist nicht so, wie wir uns ihn vorstellen. Wir haben vier große Versorger. Ohne Einspeiserechte kann man nicht sicherstellen, dass kleine und mittelständische Stromproduzenten in den Markt eintreten können. Ich wiederhole: Ohne diese Rechte geht es nicht. Deshalb stehen wir in ganz besonderer Weise zum EEG als Wettbewerbsinstrument. ({8}) Wenn man sich diese Politikfelder anschaut, dann erkennt man, dass man die Differenzkosten, von denen heute schon die Rede war, nicht einseitig der Klimapolitik zuordnen darf. Man muss aber berücksichtigen, dass es diese Kosten gibt, und man muss darauf entsprechend reagieren. Wir tun das über die Härtefallregelung für die energieintensiven Industrien. Diese Regelung ist dort wichtig, wo wir aus physikalischen Gründen keine Möglichkeiten haben, die Energieeffizienz zu erhöhen. Aus meiner Sicht müssen wir dort noch mehr tun, wo sich soziale Härten ergeben. Herr Hill, Sie haben das Thema Altbauten und Wärmegesetz angesprochen. Ich hätte hören wollen, was Sie gesagt hätten, wenn wir das gemacht hätten, was Sie hier vorschlagen; dann wären nämlich die Mieten gestiegen. Ich kann mir gut vorstellen, was für ein Lamento von Ihnen gekommen wäre. Es ist richtig, sich hier zunächst einmal auf Neubauten zu konzentrieren. Das Gleiche gilt übrigens für das Thema Mobilität. Mobilität ist ein hohes Gut für die Menschen auf dem Land, insbesondere für die einfachen Leute dort. Wir haben leider die Pendlerpauschale kassiert. Wir haben das gegen den Widerstand vieler, auch in der Union, getan, die diese Sache anders gesehen haben. Man muss sich die Frage stellen: Wie geht das weiter? Damit sind wir bei dem Thema Steuerpolitik. Ich sage in aller Klarheit: Allen, die heute behaupten, EEG und KWK seien Preistreiber, halte ich immer wieder entgegen, dass ein erheblicher Teil der Verteuerung durch die Steuerpolitik verursacht wird. Ein Durchschnittshaushalt, also ein Haushalt mit drei Personen, zahlt für den Strom heute 60 Euro pro Monat. 20 Euro davon entfallen auf Steuern und Konzessionsabgabe, 2,85 Euro gehen auf das EEG zurück. ({9}) Man muss sich vielleicht einmal Gedanken darüber machen, wie man an dieser Stelle das eine oder andere ausgleicht. ({10}) Wir reden heute über die Novellierung des EEG. Dabei müssen wir natürlich über den Tellerrand hinausschauen. Der Kollege Pfeiffer hat dankenswerterweise das Thema Netze angesprochen. Einen Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien, wie wir uns ihn vorstellen, gibt es nur, wenn wir Hochspannungstrassen bauen. Es geht nicht alles auf einmal. Wir haben mit einigen Widersprüchen zu kämpfen: Wir wollen auf der einen Seite erneuerbare Energien und auf der anderen Seite keine Hochspannungstrassen; wir wollen auf der einen Seite Wasserkraftwerke und auf der anderen Seite die Verschärfung des Wasserhaushaltsrechts, um dadurch einen Beitrag dazu zu leisten, dass in diesem Bereich am Ende weniger produziert wird; wir wollen auf der einen Seite auf dem Gebiet der Wärmeerzeugung zusätzliche erneuerbare Energien einsetzen und auf der anderen Seite die BImSchV so weit verschärfen, dass 7,25 Millionen Einzelraumfeuerungsanlagen bis zum Jahr 2024 auszutauschen sind. Das passt doch nicht zusammen. Ich bitte, hier auch darauf zu achten - wir werden das als Koalitionspartner sicherlich tun -, dass hier letztendlich auch die Konsistenz stimmt. ({11}) Ich füge hinzu: Was die Biomasse angeht, wollen wir natürlich keine Maismonokulturen. Wir brauchen eine gute landwirtschaftliche Praxis. Was wir überhaupt nicht wollen, ist das Abholzen der Regenwälder. An dieser Stelle hat Frau Höhn recht: Es kommt nicht darauf an, wozu der Regenwald abgeholzt wird: für die Lebensmittelproduktion, für die Futtermittelproduktion - die Futtermittel fließen am Schluss ebenfalls in die Lebensmittelproduktion -, für die Kosmetikaproduktion oder zur Verwertung als Energierohstoffe. Wir müssen da etwas tun. Das geht aber nur, wenn man ein Zertifizierungssystem einführt. Außerdem muss man eine WTO-konforme Übergangslösung schaffen - der Herr Minister hat gesagt, dass das geht -, durch die ausgeschlossen wird, dass bei uns Palmöl auf den Markt kommt, für dessen Produktion Regenwälder abgeholzt werden. Erfolg haben wir nur, wenn wir den Regenwäldern vor Ort, zum Beispiel in Indonesien, die nötige Bedeutung zukommen lassen. Das heißt, ein Teil der Versteigerungserlöse muss so eingesetzt werden - und zwar nicht nur national, sondern auch international -, dass diejenigen, die den Regenwald wegen ihrer Armut abholzen, eine Entschädigung erhalten, wenn sie das nicht mehr tun. Auch das ist eine ökonomische Frage. Letzte Anmerkung. Natürlich waren wir bei der Entscheidung zum Biokraftstoff nicht konsistent im Hinblick auf das, was man aufgrund der Klimadiskussion hätte erwarten dürfen. Wir müssen das jetzt korrigieren. Angesichts dessen, was da auch von der EU an Anforderungen auf uns zukommt, Herr Minister, dürfen wir jetzt nicht erst einmal die nationalen Kapazitäten zerschlagen, um dann am Ende zu schauen, woher der Stoff zur Beimischung kommt. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Marco Bülow, SPDFraktion. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde es schon interessant, bei solchen Debatten zu hören, wer alles die Väter und Mütter eines Projekts - hier des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG - sind. Wir haben gerade schon ein bisschen gewitzelt. Wahrscheinlich muss man das bis zu Bismarck oder vielleicht noch weiter zurückverfolgen, bis man den Vater oder die Mutter gefunden hat. Wie dem auch sei: Ich finde es gut, dass sich immer mehr zum Erneuerbare-Energien-Gesetz bekennen. Wahrscheinlich werden wir in 20 oder 30 Jahren eine Debatte haben, in der auch die FDP sagt, dass sie das EEG erfunden hat. Das würde mich freuen; denn dann wären wir alle zusammen. ({0}) Wichtig ist, dass wir dieses Gesetz jetzt fortentwickeln und noch einmal betonen, welch immense Bedeutung die erneuerbaren Energien innerhalb des Klimaschutzes haben. Ich will die Zahl noch einmal nennen: 110 Millionen Tonnen CO2 sind dadurch letztes Jahr eingespart worden. Wenn wir mit den erneuerbaren Energien nicht so weit wären, wie wir sind, hätten wir über ein ganz anderes Klimapaket zu diskutieren und müssten noch viel mehr machen. Deswegen müssen wir daran weiterarbeiten. ({1}) Frau Höhn, es gibt bestimmte Sachen, über die wir uns auseinandersetzen können, über die es eben keine Übereinstimmung gibt. Aber konstruieren Sie doch bitte keine Gegensätze, wo es keine gibt. Die meisten von uns sind für das EEG. Dann lassen Sie uns doch gemeinsam schauen, wie wir das EEG fortentwickeln und die erneuerbaren Energien weiter vorantreiben! Dass das Klimapaket schrumpft, trifft einfach nicht zu. Wir haben den ersten Teil des Klimapakets vorgestellt. Das ist genau so geblieben, wie es am Anfang in Meseberg besprochen und von Sigmar Gabriel, unserem Umweltminister, und anderen Ministern vorangetrieben worden ist. ({2}) - Das ist genau so geblieben, wie es besprochen worden ist. Der zweite Teil des Pakets folgt. Das wird um die anderen Punkte, die Sie zum Teil erwähnt haben, also noch ergänzt. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kollege Bülow, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Immer doch.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Bülow, Sie haben behauptet, das Klimapaket sei genauso eingebracht worden, wie es in Meseberg beschlossen worden sei. Aber wir haben gerade festgestellt, dass im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz der gesamte Bereich Altbau fehlt. Können Sie bestätigen, dass ebendieser Bereich Altbau in Meseberg noch drin war, aber mittlerweile fehlt, das Paket also auch in diesem Punkt geschrumpft ist? ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt sicherlich Punkte, in denen es nicht so ist, wie es in Meseberg besprochen worden ist. ({0}) Das heißt aber nicht, dass Gesetze insgesamt fehlen. Außerdem diskutieren wir ja jetzt im Parlament noch über diese Gesetze. ({1}) Da müssen wir natürlich schauen, das einzubeziehen. Aber Fakt bleibt: Die Gesetze, die in Meseberg beschlossen worden sind, sind auch so eingebracht worden. Wie sie aussehen, ist eine andere Frage. Aber darüber diskutieren wir jetzt im Parlament. ({2}) Der erste und der zweite Teil des Pakets insgesamt sind ein Start in die Klimaschutzpolitik. Etwas anderes sagt niemand, auch niemand in der Regierung. Trotzdem: Es ist der beste und stärkste Start, den es in Europa überhaupt gibt. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. ({3}) Ich muss doch noch einen Satz zu Herrn Pfeiffer sagen. Herr Pfeiffer, Sie können es mit Ihrer Atomkraft ja nicht lassen. ({4}) Sie müssen natürlich damit rechnen, dass es eine Antwort darauf gibt. Sie stellen eine Milchmädchenrechnung auf. Sie haben sehr viel über Energieeffizienz gesprochen. Da stimme ich Ihnen in allen Punkten zu. Aber diese Effizienz müssen Sie dann auch einbeziehen. Sie sagen, im Strombereich erbrächten Atom und erneuerbare Energien gemeinsam über 40 Prozent. Wenn wir die Energieeffizienz aber steigern, brauchen wir nicht mehr 100 Prozent der Energie, sondern viel weniger, ({5}) und dann kommen wir mit den erneuerbaren Energien auch hin. ({6}) Die Kombination von Effizienz und erneuerbaren Energien macht es. Ich möchte noch ganz kurz auf die Diskussion zum Thema „Urwald, Regenwald, Palmöl“ eingehen; diese Diskussion ist zum Teil ja berechtigt. Ich habe nur das Gefühl, dass die Diskussion über diese durchaus kritischen Punkte ein wenig in eine Hetzkampagne ausartet. Deshalb meine ich, dass man sie wieder auf die Füße stellen sollte. Es ist nämlich vollkommen daneben und vollkommen falsch, die Zerstörung von Regenwäldern alleine auf die vermehrte Nachfrage nach Palmöl für Biokraftstoffe zurückzuführen. Wir müssen genauso - das hat der Umweltminister zu Recht gesagt - über drei andere Faktoren diskutieren. Der erste ist der Sojaanbau. Dieser ist nämlich immer noch der „Hauptschuldige“, weil zum Decken des Bedarfs an Tierfutter viele Sojaflächen ausgewiesen werden. Der zweite ist der Holzeinschlag aufgrund der Nachfrage nach tropischen Hölzern. Zum Dritten landen 90 Prozent des Palmöls, das von Deutschland importiert wird, in Kosmetika und Lebensmitteln. Auch das wurde hier schon angesprochen. All das muss also genauso kritisiert und auf den Prüfstand gestellt werden. Zudem muss man wissen - wir waren ja in Indonesien -, dass es immer noch viele Flächen gibt, wo Palmölplantagen angelegt werden könnten, ohne dass Regenwald abgeholzt werden müsste. Auch das sollte man berücksichtigen. Erst dann kann man eine faire und vernünftige Diskussion führen. Diese sollten wir führen - gar keine Frage! -, aber dann auch gemeinsam von dieser Basis ausgehend. ({7}) Jetzt doch noch einmal zum Erneuerbare-EnergienGesetz. Ich glaube, dass es wichtig ist, es fortzuentwickeln. Natürlich müssen die erneuerbaren Energien quantitativ ausgebaut werden, wir müssen aber auch schauen, dass wir eine bessere Netzintegration hinbekommen. Wir brauchen diese, damit Strom aus erneuerbaren Energien besser von den Netzen aufgenommen werden kann. Außerdem müssen Möglichkeiten geschaffen werden, damit mit Strom aus erneuerbaren Energien auch Volllaststunden erbracht werden können. Das muss unser Ziel sein. Deshalb sollten wir unseren Förderschwerpunkt in den nächsten Jahren auf diesen Bereich legen. Hier gibt es längst intelligente Lösungen. Deswegen ist es falsch, zu sagen: Na ja, wenn der Wind nicht bläst oder wenn die Sonne nicht scheint, gibt es Schwierigkeiten mit den erneuerbaren Energien. Dieses Denken ist überholt. Man muss vielmehr auf intelligente Lösungen zurückgreifen. ({8}) Hier wären zum einen Speichertechnologien zu nennen, zum anderen Projekte wie das Kombikraftwerk. Hier liegt die Zukunft. Ein Kombikraftwerk, Frau Brunkhorst, das aus mehreren erneuerbaren Energiequellen gespeist wird, ist Hightech. Hiermit gelingt es nämlich - das ist jetzt schon bewiesen -, Volllaststunden zu erbringen und damit eine Grundlast abzudecken. Diese Technologie ist allen anderen nicht nur deshalb überlegen, weil sie CO2-frei ist, sondern auch deshalb, weil sie Strombedarfsspitzen abdecken kann, was eigentlich alle anderen Kraftwerke nicht können. Diesen Weg müssen wir beschreiten. Bei der Neuregelung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes müssen wir dafür sorgen, dass dieser Bereich gefördert wird. ({9}) Mir scheint, dass die Vorlagen der Regierung zu erneuerbaren Energien im Strom- wie im Wärmebereich sehr gut sind. So können wir sie uns in einzelnen Bereichen näher anschauen. In vielen Bereichen gibt es riesige Potenziale. Ich nenne die Solarthermie, die wir gerade mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz fördern wollen. Auch die Geothermie, die immer ein wenig vergessen wird, bietet riesige Potenziale. Ich glaube, dass es wichtig ist, diesen Bereich sehr stark zu fördern. Wir dürfen aber - das hat ja auch mein Kollege Dirk Becker schon gesagt - das Zugpferd der erneuerbaren Energien nicht vergessen. Den größten Anteil an diesen hat ja nach wie vor die Windkraft. Wir dürfen jetzt nicht nur darauf achten, auch wenn es wichtig ist, dass wir mit dieser Technologie aufs Meer gehen, sondern wir müssen auch darauf achten, dass das Repowering ordentlich gelingt. Der Austausch einer bestehenden Anlage gegen eine neue kann nämlich eine Verdopplung oder gar eine Verdreifachung der Energieerzeugung bewirken. Darüber hinaus gibt es noch viele Flächen, gerade an Autobahnen, die sich dafür eignen, neue Windkraftanlagen zu installieren. Auf diese Weise könnte also auch hier noch ein deutlicher Zuwachs erzielt werden. ({10}) Eines ist aber auch klar: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, so gut und zielgenau es auch ist, wird zur Erreichung dieses Ziels nicht ausreichen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass in den Ländern bürokratische Hemmnisse abgebaut werden, die den Ausbau der Windkraft einschränken. Man kann nämlich nicht auf der einen Seite fordern, für mehr Energieeffizienz zu sorgen, und auf der anderen Seite diese Effizienzsteigerung dadurch behindern, dass man die Nabenhöhe begrenzt. So verhindert man nämlich, dass Windkraft marktfähiger wird und noch günstiger Strom produziert. ({11}) Ich denke, dass wir ein gutes neues ErneuerbareEnergien-Gesetz auf den Weg bringen werden. Ich lade wie auch schon meine Vorredner alle Parteien ein, daran mitzuwirken. Es ist wichtig, dass wir auch außerhalb der Koalitionsfraktionen eine große Zustimmung zu diesem Gesetz bekommen. Jedem dürfte klar sein, welche Bedeutung diesem Gesetz innerhalb des Klimapaketes zukommt. Damit alleine allerdings - das ist deutlich geworden werden wir unsere Klimaschutzziele nicht schultern; hierfür sind viele Maßnahmen nötig, die ja im Klimapaket zusammengefasst worden sind. Wir müssen auch zukünftig immer wieder neue Maßnahmen ergreifen, um unseren Klimaschutzpfad erfolgreich zu beschreiten. Damit wird nicht nur der CO2-Ausstoß reduziert werden, sondern wir werden dann in vielen einzelnen Bereichen so viel Technologieförderung betrieben haben und so viele Arbeitsplätze geschaffen haben, dass all das zu einem wichtigen Bestandteil der Industrie unseres Landes und damit auch unserer Gesellschaft wird. Das ist der eigentliche Beitrag, den wir hier zu leisten haben. In diesem Sinne: auf gute Zusammenarbeit und gute Verhandlungen. Danke schön. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die schwarz-rote Koalition hat die Energie- und Klima15260 schutzpolitik ganz oben auf die Agenda gesetzt. Im Rahmen der deutschen G-8- und EU-Präsidentschaft 2007 sind unter der Federführung unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel ambitionierte Klimaschutzziele vereinbart worden. In den Weltklimaberichten der Vereinten Nationen wurde nachdrücklich auf die Notwendigkeit des Handelns hingewiesen. Zugleich hat die Bundesregierung im Rahmen des Energiegipfelprozesses eine nachhaltige Diskussion über ein nationales Energiekonzept angestoßen. Energieund Klimapolitik gehören zusammen. Dabei ist die Beachtung des Zieldreiecks Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit entscheidend. In Bezug auf die Versorgungssicherheit ist vor allem die Importquote der Energieträger und deren Verfügbarkeit in der Zukunft wichtig. Deutschland importiert 60 Prozent der Steinkohle, 80 Prozent des Erdgases und 100 Prozent des Mineralöls. Fossile Rohstoffe sind endlich. Nach Angaben des BMWi reichen die Kohlevorräte noch 100 Jahre, die an Erdgas und Erdöl noch 50 Jahre. Deshalb ist der intelligente Ersatz von fossilen Brennstoffen durch regenerative Energien auch eine Frage der Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit. ({0}) Die Union tritt aus Gründen der Versorgungssicherheit für einen breiten Energiemix von Kernenergie über Kohle, Gas und Öl bis hin zu den erneuerbaren Energien ein. Deren Anteil, beispielsweise im Strombereich, ist 2007 auf 14 Prozent gestiegen. Dabei trägt jede der weit über 70 000 Gigawattstunden erneuerbarer heimischer Energien zur Versorgungssicherheit bei. Die Wirtschaftlichkeit des Energiemixes ist entscheidender Standortfaktor für die deutsche Industrie und damit für Arbeitsplätze und zugleich zunehmend eine bestimmende Größe einer neuen sozialen Frage in Deutschland: Wie viel Energie kann ich mir leisten, an der Tankstelle, bei der Stromrechnung und den Heizkosten? ({1}) Die Härtefallregelung des EEG hilft energieintensiven Betrieben und hilft damit auch, Arbeitsplätze zu sichern, kostet aber natürlich wieder mehr für all diejenigen Betriebe und Verbraucher, die nicht unter diese Regelung fallen. Andererseits ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass die Strompreise, obwohl der EEG-Anteil am Strompreis konstant 3 bis 4 Prozent ausmacht, dennoch steigen. Das liegt zum einen an der Mehrwertsteuererhöhung, zum anderen aber auch an unvollkommenen Marktstrukturen, wodurch Energieversorgungsunternehmen höhere Preise am Markt erzielen können. Und das liegt eben nicht nur, aber auch an der Endlichkeit fossiler Rohstoffe, entsprechenden Spekulationen an den Rohstoffmärkten und politischen Instabilitäten in den Lieferländern. All das führt insgesamt zu einem aktuellen Ölpreis von über 100 Dollar pro Barrel. Die konventionellen Energieträger allein sind eben keine Garantie für moderate Energiepreise. Außerdem ist jeder Euro der 70 Milliarden pro Jahr für Energieimporte weg. Bei den 3,3 Milliarden Euro Differenzkosten 2006 für erneuerbare Energien findet vom Anlagenbau bis zur Energieerzeugung ein Großteil der Wertschöpfung in unserem Land statt, und zwar mit positiven Auswirkungen auf Wirtschaft, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. ({2}) Ich komme zur Umweltverträglichkeit der Energieund Klimapolitik, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Langfristiges Ziel der deutschen und europäischen Politik ist ein Kioto-Plus-Abkommen und die Verankerung des 2-Grad-Ziels. Deshalb hat das Bundeskabinett auf Grundlage der Vereinbarungen des Europäischen Rates in Meseberg im August 2007 entsprechende Eckpunkte beschlossen und pünktlich zur Klimakonferenz auf Bali am 5. Dezember 2007 ein umfangreiches Paket mit 14 Gesetzen und Verordnungen vorgelegt. Eine Reduktion von 36 Prozent der CO2-Emissionen in Bezug auf 1990 soll erreicht werden. Es gibt kein vergleichbares Industrieland mit einem ähnlich ambitionierten und konkret ausgestalteten Programm, liebe Frau Höhn. ({3}) Ich komme zu den drei diskutierten Gesetzentwürfen im Einzelnen. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz sieht für das Jahr 2020 einen Anteil von 14 Prozent der Wärme- und Kälteerzeugung aus erneuerbaren Energien vor, und zwar durch die anteilige Nutzungspflicht erneuerbarer Wärme bei Neubauten, aber auch durch mehr Wärmedämmung oder Nutzung von Fernwärme bzw. Kraft-Wärme-Kopplung. Der Union ist es in diesem Zusammenhang besonders wichtig, das Ganze technologieoffen auszugestalten. Außerdem ist die Aufstockung des Marktanreizprogramms auf 500 Millionen Euro pro Jahr für uns besonders wichtig. Wir wollen eine Verstetigung und Verrechtlichung dieses wichtigen Instruments, um den Investoren und vor allen Dingen der mittelständisch geprägten Branche verlässliche Rahmenbedingungen zu geben. Das Achte Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sieht vor, den Anteil der beigemischten Biokraftstoffe ab dem Jahr 2015 ausschließlich an der Minderung von Treibhausgasemissionen auszurichten, um den CO2-Ausstoß bis 2020 um 10 Prozent zu senken. Dabei ist die Nachhaltigkeitsverordnung zu beachten. Der Minister hat darauf hingewiesen. Bezugnehmend auf die aufgeregte Diskussion der letzten Tage über die Kosten, die auf die Besitzer älterer Fahrzeuge zukommen sollen, bittet meine Fraktion den Bundesumweltminister nachdrücklich, sich mit der Autoindustrie ins Benehmen zu setzen. Diese Problematik hätte, mit Verlaub, Herr Minister, eigentlich im Rahmen der Vereinbarungen der Roadmap bereits ausgeräumt sein müssen. Denn Biokraftstoffe sind das wichtigste Instrument, das europäische 120- bzw. 130-Gramm-Ziel zu erreichen. Der Bundesfinanzminister lässt dem Bundestag in diesen Tagen endlich den Biokraftstoffbericht zukommen. Nach dem ersten Durchblättern ist ersichtlich, dass die Biodieselpreise nach Inkrafttreten der zweiten Stufe der Steuerreform Anfang dieses Jahres nicht mehr auskömmlich sind. ({4}) Die Realität zeigt, dass das stimmt: Erzeugungskapazitäten in Deutschland werden stillgelegt, und der B100Markt ist faktisch tot. Stattdessen sollte jetzt auf die Beimischung gesetzt werden. Auch dieser Weg scheint nun aus den oben genannten Gründen nicht gangbar. Ich gehe davon aus, dass dem Bundestag sehr bald belastbare Fakten über die Motorenverträglichkeit vorgelegt und alle Optionen zur Dekarbonisierung im Mobilitätssektor vor dem Hintergrund dieser Fakten erneut vorurteilsfrei geprüft werden. Den größten Beitrag zur Erfüllung unserer Klimaschutzziele aber muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz leisten. Das Ziel der Bundesregierung, den Anteil erneuerbaren Stroms bis 2020 auf 25 bis 30 Prozent auszubauen, bedeutet eine Verdopplung in den nächsten zwölf Jahren. Um diesen enormen Zuwachs bewältigen zu können, müssen deshalb alle erneuerbaren Energien weiter zielgenau gefördert werden. Windenergie lieferte 2007 mit fast 40 Milliarden Kilowattstunden den größten Anteil am erneuerbaren Strom. Allerdings geht der Zubau in den letzten Jahren deutlich zurück. Daher ist es sinnvoll, das Repowering weiter zu fördern. Offshorewind ist weiterhin der Hoffnungsträger der Politik für einen zügigen Ausbau der Windenergie, verbunden mit der Aussicht, an den windstarken Standorten vor der Küste eine wesentlich höhere Zahl an Volllaststunden zu erzielen. Allerdings gibt es nach wie vor ungelöste technische Probleme im Rahmen der Gründung, der Wartung auf hoher See und der Anforderungen an das Material durch Wind, Wasser und Salz. Auch hier sind weitere Anreize notwendig. Biomasse hat einen Anteil von etwa 20 Prozent an der Ökostromproduktion. Flächenkonkurrenz und höhere Substratpreise erschweren den wirtschaftlichen Betrieb und weiteren Zubau. Deshalb muss der Bestand der Altanlagen gesichert und zugleich die Nutzung von Gülle forciert werden, um das klimaschädliche Ausgasen von Methan aus direkt auf die Felder ausgebrachter Gülle zu reduzieren. ({5}) Außerdem muss versucht werden, so viel organische Substrate wie möglich, auch Abfall- und Nebenprodukte, Biogasanlagen zugänglich zu machen. Eine bessere Wärmenutzung ist umweltpolitisch dringend erforderlich. Da könnte der KWK-Bonus weiter lenkend eingreifen. Der Bereich des Sonnenstroms macht angesichts sehr hoher Kosten ein Nachjustieren erforderlich. So stellt die Fotovoltaik derzeit nur gut 3 Prozent des Ökostroms; ihr Anteil an der Gesamtvergütung erneuerbaren Stroms beträgt allerdings 20 Prozent. Wasserkraft liefert seit Jahren konstant etwa 22 Milliarden Kilowattstunden Strom. Hier ist allerdings kein wesentlicher Zubau mehr möglich. Geothermie spielt bislang keine Rolle in der Stromproduktion. Allerdings hat sie großes Potenzial, grundlastfähigen Strom zu liefern. Deshalb ist da weitere Förderung notwendig. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus müssen wir sehen, wie wir das Erneuerbare-EnergienGesetz weiterentwickeln und die erneuerbaren Energien näher an den Markt führen können. Dazu gehört, die zeitlichen Fristen für die optionale Eigenvermarktung flexibler zu gestalten. Ziel muss die Verschiebung der Erzeugung in die Zeiten hoher Nachfrage sein. Die Veredelungs- und Wälzungskosten müssen transparenter werden. Wir wollen unabhängigen Erzeugern ermöglichen, sich an diesem Markt zu beteiligen. Die Bundesnetzagentur sieht hier Effizienzpotenziale in Höhe von mehreren Hundert Millionen Euro. Wir wollen virtuelle Kraftwerke fördern. Durch die Kombination von Wind-, Biomasse- und Speicherkraftwerken kann erneuerbarer Strom nahezu grundlastfähig werden. Was wir uns allerdings nicht vorstellen können, ist die sehr weitgehende Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung. Denn damit wäre das Parlament bei der weiteren Gestaltung wichtiger Instrumente im EEG praktisch außen vor - so bitte nicht! ({6}) Das IKEP ist am Freitag letzter Woche im Bundesrat beraten worden. Nun wird die Bundesregierung eine Gegenäußerung vorlegen; die Ausschussberatungen des Bundestages einschließlich der Anhörungen finden von März bis Mai statt. Eine Verabschiedung im Bundestag und Bundesrat soll möglichst noch vor der Sommerpause erreicht werden, um bald Sicherheit über die Rahmenbedingungen für die Branche und die Finanzgeber zu erzielen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt mit dem IKEP und insbesondere mit den drei heute anberatenen Gesetzentwürfen energiepolitische Weichenstellungen für die Zukunft. Wir wollen alles daran setzen, die Vorhaben auf der Basis der ehrgeizigen Klimaschutzziele und im Dreiklang von Umweltschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit erfolgreich zu gestalten. Wir wollen dabei auch die Punkte im Blick behalten, die im Rahmen des dritten Energiegipfels erarbeitet worden sind. Es wurde vom Prognos-Institut und vom EWI gezeigt, dass Klimaschutz und ein breiter Energiemix zu annehmbaren Kosten möglich sind. Al15262 lerdings gilt dies nur unter Einbeziehung aller uns zur Verfügung stehenden Energietechniken. Vielen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Bei den Tagesordnungspunkten 4 a bis 4 c wird interfraktionell Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/8148, 16/8149 und 16/8150 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 4 d. Es geht um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/4962 zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 15/5938 über den Bericht der Deutschen EnergieAgentur GmbH ({0}) über die Bestandsaufnahme und den Handlungsbedarf bei der Förderung des Exportes Eneuerbare-Energien-Technologien 2003/2004. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Straßenbaubericht 2007 - Drucksache 16/7394 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Bundesminister Wolfgang Tiefensee das Wort für die Bundesregierung. ({2})

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir stellen heute den Straßenbaubericht 2007 vor. Wie in jedem Jahr legen wir ein Konvolut auf den Tisch, das nicht nur zum Zustand unserer Bundesfernstraßen Auskunft gibt, sondern gleichermaßen Informationen zur Finanzierung, zum rechtlichen Rahmen und zu modernen Technologien enthält. Ergänzt wird dieser Bericht durch ein umfangreiches Tabellenwerk. Sie können sich so davon überzeugen, dass wir in Deutschland über ein hervorragend ausgestattetes, dichtes Netz an Bundesfernstraßen verfügen, das sich mit denen anderer europäischer Staaten messen kann und das das Rückgrat für unsere Wirtschaft darstellt. Der Zustand der Straßen ist im Durchschnitt gut, was aber nicht heißt, dass Abgeordnete in ihren Wahlkreisen nicht auch anderes erleben. Der Bericht zum Zustand unserer Straßen muss in den Zusammenhang mit Mobilität und Infrastruktur in unserem Land gesetzt werden. Es geht darum, dass wir einerseits mit dieser Infrastruktur die enormen Herausforderungen der Zukunft bewältigen müssen und andererseits eine Branche unterstützen müssen - immerhin sind 2,5 Millionen Menschen im Bereich der Logistik beschäftigt -, die uns wichtig sein muss. Lassen Sie mich einige Daten aus diesem Bericht herausgreifen, um deutlich zu machen, wo wir stehen. Wir verfügen über ein Netz von ungefähr 12 500 Autobahnkilometern und über 40 000 Bundesfernstraßenkilometern. Wir haben im Berichtszeitraum erheblich zulegen können, indem wir die von Ihnen bereitgestellten Bundesmittel eingesetzt haben, um 60 Kilometer der Bundesautobahnen zu erweitern und rund 180 Kilometer neu zu bauen. Wir haben 44 Kilometer der Bundesfernstraßen vierstreifig und 111 Kilometer zweistreifig ausbauen können und haben damit ein Drittel der Projekte im Bedarfsplan, der ein Finanzvolumen von rund 50 Milliarden Euro umfasst, fertigstellen können. In den neuen Bundesländern sind sogar 50 Prozent der Bedarfsplanprojekte als erledigt anzusehen. Das ist auch im Hinblick auf die Vereinigung Deutschlands eine Erfolgsgeschichte. ({0}) Ich greife nur die Küstenautobahn A 20, das Vorantreiben der A 38 oder den Fortgang bei der A 9 und der A 4 heraus. Hier sind wir gut vorangekommen, sodass wir konstatieren können: Ein Drittel der Aufgaben und die Hälfte der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ im Bedarfsplan des Ostens sind erledigt. Wir werden auch in den kommenden Jahren in dieser Richtung weiter investieren. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass Verkehr und Lebensqualität zusammengehören. Wir haben im vergangenen Berichtszeitraum auch in den Lärmschutz investieren können. Die Zahlen sind beachtlich: Wir haben Lärmwände in einer Größenordnung von rund 65 Kilometer und Lärmschutzwälle in einer Größenordnung von 75 Kilometer errichten können. 12 000 Quadratmeter Lärmschutzfenster konnten eingebaut werden. Wir haben Ortsumgehungen in einer Größenordnung von 120 Kilometer gebaut. Wir haben uns um Radwege gekümmert. Rund 90 Kilometer sind an Bundesfernstraßen entstanden. Das alles führt dazu, dass die Lebensqualität nicht durch den Verkehr beeinträchtigt wird. Ein Weiteres: Wir kümmern uns um die Finanzierung nicht nur mit dem klassischen Instrument der Investitionsmittel über den Haushalt, sondern indem wir Public-Private-Partnership-Modelle in Gang setzen. Ich erinnere daran, dass wir im Berichtszeitraum erste ProBundesminister Wolfgang Tiefensee jekte im Bereich der A 8 Augsburg-München und der A 4 in Thüringen in Angriff nehmen konnten. Projekte im Bereich der A 1 werden folgen. Auch F-Modelle, der Albaufstieg auf der A 8 oder die Hafenquerspange in Hamburg, werden geprüft. Hier soll eine neue Finanzierung ermöglicht werden. Darüber hinaus treiben wir die Planungsbeschleunigung voran. Wir brauchen kürzere Zeiträume zwischen der Idee, der Entwicklung eines Konzeptes und der Realisierung. Mit der Umsetzung unseres Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes und den dort enumerativ aufgeführten Maßnahmen erreichen wir eine Verkürzung um bis zu zwei Jahre, damit der volkswirtschaftliche Nutzen von Baumaßnahmen eher zum Tragen kommt. Es geht darum, die Verkehrsbeeinflussung voranzutreiben. Sie finden in dem vorliegenden Bericht eine Fülle von Maßnahmen, wie wir Standstreifen zur Verfügung stellen und die Zuläufe zu Autobahnen regeln, aber auch auf Staus und dergleichen mehr aufmerksam machen. Wir wollen die Maut, die sich zu einer Erfolgsstory ausweitet, auch dazu nutzen, Verkehre beeinflussen zu können. Da ist sicherlich in der Zukunft noch einiges zu tun. Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Geld ist gut angelegt. Wir kommen voran, wenn es darum geht, die Maßnahmen des Bedarfsplanes im Hinblick auf die Bundesfernstraßen abzuarbeiten. Wir müssen aber - das soll in diesem Zusammenhang der letzte Gedanke sein - die Kapazitäten der Straße in den Modal Split mit den anderen Verkehrsträgern einordnen. Dies gilt auch für die Herausforderungen, die in Europa vor uns stehen. Deutschland ist Drehscheibe. Ich verhehle nicht, dass wir im Hinblick auf die Zunahme des Güterverkehrs auf der Straße - wir prognostizieren bis 2050 einen Anstieg auf das Doppelte; das ist ein Anstieg um 100 Prozent - noch lange nicht so weit sind, dass wir eine Antwort auf jede in diesem Zusammenhang wichtige Frage gefunden hätten. Wir werden im Masterplan Güterverkehr und Logistik, den wir voraussichtlich im März der Öffentlichkeit vorstellen werden, viele Antworten geben. Wir wollen auch auf der europäischen Ebene zusammen mit dem Verkehrskommissar nach Lösungen suchen. Meine Damen und Herren, es geht darum, Verkehr zu vermeiden, ihn intelligent zu lenken und jedem Verkehrsträger - Straße wie Schiene wie Binnenwasserstraße - den ihm gemäßen Platz zuzuweisen. Dort, wo er den größten Nutzen entfaltet, die Lebensqualität nicht beeinträchtigt und den Klimaschutz vorantreibt, soll er eingesetzt werden. Wir sind auf einem guten Weg. Der Bericht, den wir Ihnen heute vorlegen, belegt das mit eindrücklichen Zahlen. Vielen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Jan Mücke für die FDP-Fraktion. ({0})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Deutschland ist seit Jahren Exportweltmeister, was sich auch im grenzüberschreitenden Güterverkehr widerspiegelt. Die Zahl der grenzüberschreitenden Lkw-Fahrten stieg zwischen 1996 und dem Berichtsjahr 2006 um circa 70 Prozent. Der Umfang der Güterverkehrsleistungen stieg von 57,9 Milliarden Tonnenkilometer im Jahr 1996 auf über 105 Milliarden Tonnenkilometer im Berichtsjahr 2006. Das entspricht einem Zuwachs von 82 Prozent innerhalb von 10 Jahren, also innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes. Ein ähnliches Bild stellt sich uns im Inland dar. Dort nahmen die Güterverkehrsleistungen in den letzten 10 Jahren um 54 Prozent zu, bezogen auf die letzten 15 Jahre sogar um 75 Prozent. Dieser Anstieg wird nach allen Prognosen, nach allem, was wir aus der Verkehrswissenschaft wissen, in den nächsten Jahren anhalten; bis 2015 wird - das steht in dem Bericht - ein Zuwachs von 64 Prozent erwartet. Die Realität hat diese Prognosen aber längst eingeholt. Die Zahlen, die für 2015 prognostiziert wurden, werden wir wahrscheinlich schon 2008, also in diesem Jahr, erreichen. ({0}) Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Güterverkehrsleistung bei gleichbleibendem Straßenanteil bis zum Jahr 2050 verdoppelt haben wird. Die Frage ist, wie das Parlament mit der prognostizierten Verdoppelung umgeht. Wenn wir Exportweltmeister bleiben wollen, müssen wir uns die Frage stellen, wie die Verkehrsinfrastruktur künftig finanziert werden soll. Ist Deutschland fit für die Verdoppelung des Güterverkehrsaufkommens? Wenn ich den Straßenbaubericht unter diesem Blickwinkel lese, muss ich feststellen, dass das Bild, das sich abzeichnet, nicht so rosig ist, wie es der Herr Minister hier geschildert hat. ({1}) Ich möchte aber nicht nur auf die Investitionen, sondern vor allem auf den Zustand der bestehenden Straßen eingehen. Schauen Sie sich einmal den Fahrbahnzustand unserer Bundesstraßen an: Nur circa 58 Prozent sind voll gebrauchsfähig, 17,9 Prozent sind leicht eingeschränkt gebrauchsfähig, und 23,5 Prozent sind stark eingeschränkt gebrauchsfähig. Diese Zahlen sind erschreckend. Es ist ein Problem, wenn wir nur 60 Prozent der Bundesstraßen vollständig nutzen können. Wir wissen, dass diese Zahlen aus den Jahren 2003 und 2004 stammen. Wenn wir unsere Bundesstraßen benutzen, können wir täglich feststellen, in welchem Zustand sie sich befinden. Das lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen. ({2}) Das gilt insbesondere, wenn wir den prognostizierten Anstieg bei den Güterverkehrsleistungen berücksichtigen. Aber auch in Bezug auf den Ausbau des Fernstraßennetzes besagt der Bericht für das Berichtsjahr nichts Erfreuliches. Zwar wurden auch in diesem Jahr Projekte neu für den Verkehr freigegeben, insgesamt nahm die Länge der Bundesfernstraßen aber um 104 Kilometer ab. Das kann nicht allein der Tatsache geschuldet sein, dass es Umstufungen gegeben hat; denn auch die Länge der übrigen überörtlichen Straßen hat abgenommen, und zwar um 17 Kilometer. Ich möchte Sie an die 60er- und den Anfang der 70erJahre erinnern - damals war ich noch gar nicht geboren -: Zu dieser Zeit wurden in einem Haushaltsjahr mehrere hundert Kilometer an Bundesfernstraßen neu gebaut. Von diesen Zahlen sind wir weit entfernt. ({3}) Warum sind wir weit entfernt davon? Vor allem, weil im Haushalt sehr viel weniger Geld zur Verfügung steht, als eigentlich notwendig wäre. ({4}) Wir alle wissen, dass die Pällmann-Kommission vor einigen Jahren versucht hat, den für Ausbau und Erhaltung des Bundesfernstraßennetzes notwendigen Finanzbedarf objektiv festzustellen. Dort ist man auf einen Mindestbetrag von 6,5 Milliarden Euro im Jahr gekommen. Sie alle kennen die Haushaltszahlen. Der Haushaltsansatz für 2006 lag bei 4,86 Milliarden Euro. Die Koalition hat versucht, durch Umschichtungen 1 Milliarde Euro draufzulegen. Am Ende ist sehr viel weniger herausgekommen. Wenn diese Entwicklung, die schon einige Jahre anhält, so weitergeht, dann heißt das nichts anderes, als dass wir in jedem Jahr immer weniger Geld für die Bundesfernstraßen zur Verfügung haben und dass sich der Zustand der Bundesfernstraßen dauerhaft verschlechtern wird, weil wir nicht mehr investieren. ({5}) Die Finanzplanung der Bundesregierung sieht keineswegs einen Aufwuchs oder - wie der Herr Minister immer so freundlich sagt - eine Verstetigung der Finanzmittel vor. Die Finanzplanung weist beispielsweise für das Jahr 2011 nur noch Investitionen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro aus. Das ist erheblich weniger als das, was die Pällmann-Kommission objektiv als Bedarf für den Ausbau der Bundesfernstraßen festgesetzt hat. Ich möchte namens der FDP-Fraktion noch an einen Fakt erinnern, der in der Öffentlichkeit immer weniger eine Rolle spielt, weil die meisten die Mehrwertsteuererhöhung und diverse andere Preissteigerungen schon völlig vergessen haben. Ich erinnere an die Äußerungen aus der Bauindustrie, die erst Anfang der Woche auf der bautec hier in Berlin gemacht wurden: Vom Jahr 2006 bis heute gab es einen Anstieg der Baupreise um fast 8 Prozent. Daran hat die Mehrwertsteuererhöhung einen ganz erheblichen Anteil. Wenn wir um die Preissteigerungen - ganz genau sind es 7,7 Prozent - wissen, aber unseren Etat für die Bundesfernstraßen nicht weiter ausbauen, heißt das, dass wir mit demselben Ansatz von Jahr zu Jahr weniger an Bundesfernstraßen bauen und unsere Infrastruktur immer schlechter wird. Das ist absolut nicht ausreichend, um unsere Pflichten auf Dauer zu erfüllen und um auf die Verdopplung des Güterverkehrsaufkommens - das betone ich für die Öffentlichkeit - in den nächsten Jahren eine adäquate Antwort zu geben. ({6}) In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die Maut und an den Mautbetrug erinnern. Ursprünglich wurde davon gesprochen, dass die Mehreinnahmen, die wir aus der Maut erzielen, zusätzlich zu den Mitteln, die aus dem Haushalt für die Straßeninfrastruktur zur Verfügung gestellt werden, investiert werden. Diese zusätzlichen Mittel wurden nie für die Bundesfernstraßen verwendet; denn der Bundesfinanzminister hat seinen Zuschuss für den Verkehrshaushalt um genau den Betrag, den wir über die Maut zusätzlich einnehmen, gekürzt. Diesen Zustand können wir als FDP-Fraktion auf gar keinen Fall hinnehmen, weil dies dauerhaft dazu führt, dass unsere Straßeninfrastruktur von Jahr zu Jahr schlechter statt besser - das wäre notwendig - wird. ({7}) Wir alle müssen uns die Frage stellen: Was ist uns eine gute Straßeninfrastruktur oder Infrastruktur generell wert? Gerade einmal 2 Prozent aller Ausgaben im Bundeshaushalt sind in die Fernstraßeninfrastruktur investiert worden; diese Zahl ist viel zu gering. Dieser Wert reduziert sich im Übrigen für das Jahr 2007 auf 1,8 Prozent. Wir müssen die Prioritäten für die Investitionen in diesem Land ganz anders setzen. Wenn wir nicht wollen, dass Deutschland im Verkehrskollaps erstickt, wenn wir wollen, dass wir weiter Wirtschaftswachstum haben, dann brauchen wir eine hervorragende Infrastruktur. Diese muss anständig finanziert werden. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Klaus Lippold für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorwegschicken, Herr Minister Tiefensee, dass ich Ihnen für den Erfolg bei der Umsetzung des Bedarfsplans Straße ganz herzlich danken will. Es ist ein Erfolg, den wir miteinander erzielt haben. Man sollte das nicht kleinreden lassen. ({0}) Dass es dazu noch einige Anmerkungen gibt, ist völlig richtig. Aber man muss deutlich sagen, dass wir die Zeichen der Zeit erkannt haben, dass wir die Verkehrsentwicklung kennen. Die Verkehrsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich nach wie vor dadurch aus, dass der Straßenverkehr nicht nur einen hohen Anteil hat, sondern auch in Zukunft haben wird. Über die Frage der Verlagerung wird zwar immer wieder diskutiert, aber aufgrund der Kapazität des Schienennetzes ist dies nicht möglich. Ich will darauf hinweisen, dass der Ausbau der Schieneninfrastruktur, insbesondere im Hafenhinterland, eine weitere Möglichkeit ist, zur Entlastung der Straße beizutragen. Denn wenn wir den gesamten Containerverkehr, den wir erfolgreich in unseren Häfen anlanden, hinterher auf der Straße wiederfinden, dann ist diese Situation untragbar. Deshalb ist es absolut notwendig, die Schiene als Ergänzung der Straße einzubeziehen. Daran werden wir weiterhin arbeiten. Ich will darüber hinaus deutlich machen, dass der Straßenbau für die Entwicklung unserer Wirtschaft von besonderer Bedeutung ist. Dabei geht es auch, aber nicht nur um die Bauindustrie. Selbstverständlich ist allerdings auch die Bauindustrie von der Auftragsvergabe in diesem Bereich betroffen. Dieser Punkt ist für die Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland zentral. Herr Minister, Sie haben auf die Entwicklungen im Logistikbereich hingewiesen. Die Logistik wird eine wichtige Zukunftsbranche sein; das gilt für die Weltwirtschaft insgesamt. Deshalb sind wir gehalten, unsere Infrastruktur so auszubauen, dass wir in diesem Bereich mithalten können, damit wir auch in Zukunft von den positiven Entwicklungen, die wir im Logistikbereich bislang zu verzeichnen haben, profitieren können. Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung wird das besonders notwendig sein. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Wir haben die EU-Osterweiterung gemeinschaftlich bejaht. Aber mit dem aus ihr resultierenden Mehrverkehr müssen wir auch de facto umgehen können. Auch das ist im Hinblick auf den Straßenverkehr ein wichtiger Aspekt. Wer sich die Haushalte unserer osteuropäischen Nachbarländer ansieht, der stellt fest, dass dort im Bereich der Straße viel investiert wird, im Bereich der Schiene aber fast gar nichts. Der Verkehr aus diesen Ländern wird also vor allem über die Straße kommen. Er kann aber nicht an der bundesdeutschen Grenze auf die Schiene umgeladen werden. ({1}) Daher müssen wir darauf achten, dass wir in Zukunft trotz all dieser Entwicklungen handlungs- und mobilitätsfähig bleiben. Dieser Punkt ist für uns von ganz entscheidender Bedeutung. Ich will noch etwas zur Erhaltung der Infrastruktur sagen. Herr Minister, Sie haben freundliche Worte benutzt, indem Sie gesagt haben, dass wir auf unseren Straßen im Durchschnitt noch keine Probleme haben. Die Formulierung „im Durchschnitt“ macht deutlich, dass es Abweichungen nach oben und nach unten gibt. Zu meiner Freude haben wir in den neuen Bundesländern ein hervorragendes System aufgebaut, das von einigen in diesem Hause manchmal nicht in dem Maße gewürdigt wird, in dem es gewürdigt werden sollte. ({2}) Ich möchte einmal darauf hinweisen, dass wir im Bereich der Verkehrsinfrastruktur generell, insbesondere aber im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur im Interesse der neuen Bundesländer Hervorragendes geleistet haben. Allerdings häufen sich die Defizite in den alten Bundesländern; das muss man ohne Umschweife sagen. Auch hier muss etwas getan werden. Früher hieß es: Wenn man von Hessen nach Thüringen fährt, merkt man das an der Straße. Heute heißt es: Wenn man von Thüringen nach Hessen fährt, merkt man das an der Straße. Das kann auf die Dauer nicht so weitergehen. Herr Minister, wir haben uns einmal gemeinschaftlich und mit großem Erfolg dafür eingesetzt, dass mehr Mittel für die Verkehrsinfrastruktur bereitgestellt werden. Ich glaube, diesen Kampf sollten wir jetzt fortsetzen. Denn der letzte Erfolg, den wir gemeinschaftlich erzielt haben, war leider nicht so groß, wie ich es mir erhofft habe; auch das möchte ich ganz deutlich sagen. Wenn ich mir vor Augen führe, wie viel wir in Brückenbauten investieren müssen, welche Zusatzinvestitionen auf uns zukommen und was wir in den Lärmschutz investieren müssen, stelle ich mir die Frage: Was bleibt dann noch für den dringend notwendigen Neubau, den wir den Bürgern versprechen, zum Beispiel für den Neubau von Umgehungsstraßen etc., der auch zur Sicherung der Lebensqualität der Menschen beiträgt und nicht nur Belastungen mit sich bringt? Auch das muss sichergestellt werden. Ich sage ganz unverhohlen, dass es einen Punkt gibt, der mir nicht gefällt: Wenn es in einem Finanzierungssystem wie der IKB zu einer Krise kommt, dann sind plötzlich und schnell 6 Milliarden Euro verfügbar. ({3}) Ich sage ganz deutlich: Ich möchte nicht, dass es erst zu einer Krise kommen muss - zum Beispiel, wie es in Milwaukee geschehen ist, durch eine eingestürzte Brücke -, damit Mittel für den Straßenbau zur Verfügung gestellt werden. Das muss vorher geschehen und nicht hinterher, wenn die Brücke bereits eingestürzt ist! ({4}) Das setzt voraus, dass wir hierfür generell Mittel einplanen. ({5}) Wir dürfen uns nicht nur daran orientieren, was gerade in einem spezifischen Teilabschnitt notwendig ist. Der Investitionsbedarf ergibt sich auch daraus, dass es zu Preiserhöhungen gekommen ist, die, wenn über die Höhe der bereitgestellten Mittel entschieden wird, berücksichtigt werden müssen. Hier sind Positionen, bei denen einiges getan werden muss. Ich bin froh, dass es uns gemeinschaftlich gelungen ist, die Mittel für den Lärmschutz aufzustocken. Ich glaube, dass das im Sinne aller Bundesbürger ist. Lärmbelastung bedeutet nämlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität. Wir werden an diesem Punkt weiter arbeiten müssen. Wir müssen allerdings nach kosteneffizienten Lösungen suchen. Wenn ich von Aschaffenburg aus in den bayerischen Raum hinein fahre und die Kapselungen betrachte, muss ich mich fragen, inwieweit Kosteneffizienz gegeben ist, ob es vertretbar und begründbar ist, wenn so viel an Mitteln für ein verhältnismäßig kurzes Stück Lärmschutz aufgewandt wird. Die effiziente Verwendung von Mitteln ist eine der Positionen, von denen ich meine, dass wir sie angehen müssen. ({6}) Wir dürfen die Erfolge bei der Schaffung von Radwegen an Bundesfernstraßen nicht kleinreden. Radwege an Bundesfernstraßen sind nicht nur ein Beitrag zu mehr Sicherheit. Es gibt hier dringenden Bedarf, dem wir entgegenkommen müssen. Auch an diesem Punkt sollten wir weiter arbeiten. Rastplätze an Bundesautobahnen, insbesondere für den Lkw-Verkehr, sind - das müssen wir deutlich machen - notwendig. Hier gibt es nach wie vor einen Engpass. Sie, Herr Minister, haben sich kürzlich dazu geäußert. Ich sage ganz offen: Auch wenn es nicht abgestimmt war, habe ich es begrüßt. Auch hier muss also noch etwas getan werden. Wir sollten einmal gemeinschaftlich prüfen, inwieweit eine Privatfinanzierung der Rastplätze denkbar und möglich ist. Wir müssen PPP sicherlich stärker einsetzen, als das bislang der Fall ist. Wir sollten die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft besser ausstatten, damit sie handlungsfähiger wird und eine stetige Mittelvergabe erfolgen kann. Den Grundstock würde die Überweisung der Mauteinnahmen an diese Institution bilden. Ferner wäre es sinnvoll, mit den Haushältern über eine begrenzte Kreditfähigkeit dieser Institution zu sprechen. Das alles - PPP-Projekte auf der einen Seite, Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft auf der anderen Seite - ersetzt allerdings nicht die Anmerkungen, die ich zum Haushalt und generell zur Finanzierung gemacht habe; auch diese Dinge sind nach wie vor notwendig. Letzter Gedanke. Ich halte es für wichtig, dass wir die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern optimal gestalten, damit fließende Übergänge möglich sind. Auch dadurch können wir die Straße entlasten. Das setzt, um das deutlich zu sagen, voraus, dass die Bahn ihr Angebot an Güterannahmestellen zumindest aufrechterhält. Die Bahn muss erreichbar sein, wenn sie ihren Beitrag in der Fläche leisten können soll. Wenn Güterannahmestellen geschlossen werden, ist eine Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene, vorsichtig gesagt, nur widersprüchlich zu denken. Hier muss sich etwas ändern. Das Ganze muss logisch, in sich stimmig zusammengeführt werden. Da haben wir noch etwas zu tun. Aber nach dem, was wir bislang gemeinschaftlich geschafft haben, muss ich sagen: Wir werden, wenn wir es weiterhin entschlossen angehen, noch mehr in dieser Richtung schaffen. Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Nach Weihnachten haben wir alle Jahre wieder das gleiche Ritual: Die Bundesregierung legt den Straßenbaubericht für das Vorjahr vor. Er hat fast den gleichen Text wie sein Vorgänger; lediglich bei den Zahlen kann man eine Anpassung an die aktuelle Entwicklung feststellen. Über den Straßenbaubericht 2006 haben wir im Plenum nicht diskutiert, nur im Ausschuss. Aber wenn ich an unsere Debatte über den Straßenbaubericht 2005 denke - das war am 16. März 2006 -, muss ich sagen, dass es - sieht man von dem Part ab, den wir den Maßnahmen für die damals bevorstehende Fußballweltmeisterschaft gewidmet haben - nicht auffallen würde, wenn wir die gleichen Reden wie vor zwei Jahren wieder halten würden. Die Linke kritisierte damals, dass in den Neubau von Straßen zu viel Geld fließt. Zwar sagen wir kein kategorisches Nein zum Neubau; aber Instandhaltung, Erhalt und Ausbau der bestehenden Straßen muss aus unserer Sicht unbedingt Vorrang eingeräumt werden. ({0}) Im Bericht 2007 stellen wir nunmehr fest, dass der Bestand an Bundesfernstraßen abnimmt. Auch die Ausgaben des Bundes für den Straßenbau sinken. 2007 gab es zwar 168 Kilometer mehr Autobahnstrecken, aber gleichzeitig 272 Kilometer weniger Bundesstraßen als 2006. Per saldo ist also die Netzlänge um 104 Kilometer geschrumpft. Der Rückgang resultiert im Wesentlichen aber nicht daraus, dass Straßenabschnitte zurückgebaut worden und dort Wälder und Wiesen entstanden wären, sondern aus einer Umwidmung. Bundesstraßenabschnitte wurden zu Landstraßen umgewidmet, was dann auch bedeutet, dass die Kosten für Unterhalt und Instandhaltung andere zu tragen haben. Es ist dem aktuellen Bericht zu entnehmen, dass weniger Autobahnabschnitte gebaut wurden und mehr für die Substanzerhaltung getan wurde. Dies begrüßt die Linke ausdrücklich; das wollte ich an dieser Stelle auch einmal sagen. Dem vorliegenden Bericht hätte ich aber gern etwas mehr zu anderen Themen entnommen, unter anderem zur Ausweitung von Mautstrecken. Gerade zu den Strecken, die vom Güterverkehr als Ausweichstrecken benutzt werden, weil sie dicht an Autobahnen vorbeiführen bzw. parallel zu Autobahnen verlaufen, finde ich in diesem Bericht zu wenig. Hier wünsche ich mir für den nächsten Bericht deutlich mehr; hier müssen wir, wie ich glaube, etwas tun. Ein Blick auf die dem Bericht angefügte Straßenkarte genügt, um festzustellen, dass in den Landesteilen im Westen, abgesehen von kleinen Ausnahmen, genügend Autobahnen vorhanden sind. 2007 wurden einige Autobahnabschnitte vollendet; ich spreche jetzt nur die A 14 Halle-Magdeburg, die A 20 Lübeck-Stettin und die A 38 Göttingen-Halle an. Herr Lippold, was Sie zu diesem Thema gesagt haben, ist komplett falsch. Die Linke hat nie gesagt, es werde zu wenig in die Infrastruktur im Osten investiert. Über diesen Bereich haben wir uns nie nennenswert beklagt. Wir haben zwar gesagt, es gebe große Defizite, aber das Thema Straßen ist nicht unbedingt ein Schwerpunkt unserer Kritik. Im Osten Deutschlands ist also eine Menge getan worden. Aber die Straßenkarte zeigt auch, dass es nach wie vor Lücken gibt, auch solche, bei denen es einen schon jucken könnte, einen Filzer zu nehmen und eine Verbindung zu schaffen. So dürfte zum Beispiel die Autobahn 14 Magdeburg-Wismar durchaus noch sinnvoll sein. Das ist übrigens eine sehr alte Planung; dieser Abschnitt war schon zu DDR-Zeiten vorgesehen. Aber bei der A 39 Lüneburg-Wolfsburg sieht es schon anders aus. Hierfür sehen wir keine Notwendigkeit, und es existiert nicht nur bei uns, sondern auch in der betroffenen Region Widerstand. Nicht zuletzt sieht der Bundesverkehrswegeplan von 2003 bei der A 39 keinen vordringlichen Bedarf. An diesem Beispiel wird deutlich, dass wir bei Lückenschlüssen sehr wohl berücksichtigen müssen, wie sie von den Menschen in den betroffenen Regionen angenommen werden. Eine Verkehrspolitik ohne Akzeptanz der Menschen läuft in die falsche Richtung. ({1}) Als Beispiel erwähne ich nur den umstrittenen Weiterbau des Stadtrings hier in Berlin, der einerseits gravierend ins Stadtbild einschnitte, andererseits aber einen Lückenschluss in Richtung Ostsee ermöglichte. Dies muss nach unserer Auffassung aber mit den Menschen gemeinsam diskutiert werden; hier darf man keine Politik am Reißbrett machen. Werte Kolleginnen und Kollegen, uns fehlt im Straßenbaubericht eine kritische Abwägung von Maßnahmen. Woher sollte sie aber kommen, wenn dieser Bericht Jahr für Jahr fortgeschrieben wird und nur die Zahlen des vergangenen Jahres eingearbeitet werden? Es ist hier schon angesprochen worden, dass wir eine Verdoppelung der Transportmengen im Güterverkehr erwarten. Sollten diese Prognosen eintreffen, wird es erhebliche Auswirkungen haben. Allerdings sind diese Prognosen für 42 Jahre berechnet, da sie bis zum Jahr 2050 reichen, und damit noch längst nicht Realität. Erstens kann man hier inhaltlich umsteuern - dem sollten wir uns stellen -, und zweitens muss ich niemandem hier im Hause erzählen, wie sehr sich Deutschland in den letzten 42 Jahren verändert hat. Wir dürfen also nicht als Gesetz annehmen, dass das unbedingt genau so eintreten wird, wie es prognostiziert worden ist. Hätte zum Beispiel 1840 jemand eine Verkehrsprognose für die nächsten 40 Jahre abgegeben, dann hätte er die Verkehrsprobleme sicherlich anders eingeschätzt, als sie sich 1880 tatsächlich darstellten. Damals gab es ein sehr dichtes Eisenbahnnetz, von dem wir heute nur träumen können. Seitdem ist es zerfleddert worden und geschrumpft. Wenn wir Transportprobleme lösen wollen, dann müssen wir die Bahn mit in die Verantwortung nehmen. Wir müssen die Verkehrsträger gemeinsam betrachten. Deswegen ist ein Straßenbaubericht alleine etwas zu kurz gesprungen. Nur die Kombination aller Verkehrsträger wird uns helfen, Probleme zu lösen und dabei den Menschen und der Umwelt gerecht zu werden. Deswegen betone ich an dieser Stelle für unsere Fraktion ausdrücklich: Die Bahn ist ein wichtiger Verkehrsträger und kann nicht losgelöst von der Straße betrachtet werden. Ebenso wie die Bundesfernstraßen, die nicht Renditeinteressen unterworfen werden dürfen - wir sind grundsätzlich gegen PPP-Projekte -, darf auch die Bahn nicht den Interessen renditehungriger Anleger unterworfen werden. Wir meinen, dass wir nicht nur einen Straßenbaubericht - so wichtig dieser Teilaspekt auch ist -, sondern auch einen Verkehrswegebericht brauchen und regen an, die Verkehrsprobleme und -anforderungen integrierter zu betrachten und ein integriertes Verkehrskonzept für Straße, Schiene und Wasserstraße zu erarbeiten und fortzuschreiben. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Jahren sind einige Trends deutlich sichtbar geworden, die mehr oder weniger mit dem Straßenbau verknüpft sind. Dazu gehört zunächst der Klimawandel, der kaum noch zu leugnen ist. Man muss die CDU/CSU loben: Auch sie hat inzwischen erkannt, dass der Klimawandel ein ernstes Problem ist. Der Rohölpreis ist auf über 100 Dollar pro Barrel gestiegen. Andere bereits bekannte Entwicklungen wie die Abwanderung und Alterung der Bevölkerung in vielen Teilen Deutschlands haben sich fortgesetzt. Der Schwer15268 verkehr auf den Bundesfernstraßen hat in manchen Bereichen stark zugenommen. Der Unterhaltsrückstand bei den Bundesfernstraßen ist nicht etwa geringer geworden, sondern hat tendenziell weiter zugenommen. Des Weiteren kommt - wie bereits erwähnt wurde - eine große Anzahl von Brücken in ein Alter, in dem eine Sanierung dringend notwendig ist. Wie hat das Bundesverkehrsministerium auf diese Entwicklungen reagiert? Im Straßenbaubericht findet sich dazu wenig. Es wird einfach weiter in den Neubau von Straßen investiert. Die Rede des Bundesministers war ein sehr schönes Beispiel dafür, wie man eine ganze Reihe von entscheidenden Trends ignorieren kann. Auch die eigentlich bemerkenswerte Rede des Herrn Kollegen Lippold war im Gegensatz zu seiner einleitenden Bemerkung, dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden, ein schönes Beispiel dafür, dass sie nicht erkannt wurden. Es wurde dargestellt, wie das zweitwichtigste Netz - das Schienenverkehrsnetz - vernachlässigt wird und entscheidende Maßnahmen nicht ergriffen werden. Die Rede war interessant, aber sie hat eher die Defizite aufgezeigt. Lassen wir aber zunächst die Klima- und Umweltfrage beiseite und wenden wir uns der Frage zu, ob das investierte Geld unter verkehrlichen Gesichtspunkten sinnvoll eingesetzt wird. Im Straßenbaubericht findet sich eine ganze Reihe von Beispielen aus Mecklenburg-Vorpommern, Bayern oder Niedersachsen, wo Geld für Ortsumgehungen eingesetzt wird, die von 4 000, 6 000 oder 7 000 Kraftfahrzeugen am Tag genutzt werden. Das heißt, wir haben Geld ausgegeben, Fläche verbraucht und Natur zerstört und dabei nicht einmal verkehrliche Probleme gelöst. Vor dem Hintergrund, dass unsere Bundesstraßen im Durchschnitt von 9 000 Kraftfahrzeugen am Tag - auf manchen werden täglich 50 000 Kfz gezählt - und die Bundesautobahnen von 100 000 Kraftfahrzeugen befahren werden, geben wir Geld für Straßen aus, die nur von einem Bruchteil davon genutzt werden. Angesichts der ökonomischen Abhängigkeit unseres Landes von einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur ist die Vernachlässigung der Beseitigung der Engpässe zugunsten von Investitionen in Straßen, auf denen nichts los ist, volkswirtschaftlich hochgradig schädlich. ({0}) Es geht auch um die zeitnahe Beseitigung von Engpässen. Dies darf nicht erst in 20 oder 30 Jahren geschehen. Dazu gibt es eine ganze Reihe von einfachen Maßnahmen wie die Einführung eines Tempolimits - es erhöht die Durchgängigkeit -, die Telematik - sie kostet zwar ein wenig Geld, ist aber weitaus schneller umsetzbar - und eine zeitlich gestaffelte Lkw-Maut. Das alles kann man relativ schnell umsetzen und entlastet damit an den entscheidenden Stellen das Straßennetz. ({1}) Nun zu der schönen Rede der FDP. Die FDP hat sich - wie erwartet - ganz klassisch verhalten. Sie verhält sich in diesem Bereich wie ein Gast, der zwar gerne ein Fünf-Sterne-Hotel hätte, aber nur wie für ein Ein-Sterne-Hotel bezahlen möchte. Das geht einfach nicht. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich schätze euch. Aber redet doch einmal mit euren Finanzpolitikern, damit eure Politik zumindest ansatzweise stimmig wird. ({3}) Wir geben gerne zu, dass es richtig ist, wie vorgesehen mehr Geld für den Unterhalt auszugeben. Aber noch immer fallen 45 Prozent der Brücken in die Kategorien „kurzfristige Sanierung“ oder „sofortige Sanierung“. Eine zentrale Aufgabe der Verkehrspolitik ist es, Mobilität für alle zu sichern. Angesichts von Rohölpreisen in Höhe von über 100 Dollar stellt sich die Frage, ob Straßenneubau die richtige Antwort ist. Man darf nicht vergessen: Bereits jetzt haben nur rund 50 Prozent der Bevölkerung einen regelmäßigen Zugang zum Auto. ({4}) Deshalb denkt einmal darüber nach, ob Straßenneubau eine sinnvolle Antwort ist, wenn die Preise weiter steigen. Des Weiteren stellen wir fest: Viele der jetzt gebauten Projekte sind vor über 30 Jahren geplant worden. Seitdem haben sich aber die Verkehrsströme verlagert. Die Menschen wohnen und arbeiten woanders. Können wir es uns wirklich leisten, so überholte Planungen noch umzusetzen? ({5}) Wir müssen bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen um 80 Prozent reduzieren, um ein stabiles Klima zu erhalten und unsere Lebensgrundlagen zu sichern. Eine Straße baut man aber nicht für fünf bis zehn Jahre, sondern für 30, 40 oder 50 Jahre. Im Jahr 2013 wird der nächste IPCC-Report erwartet. Wir wissen bereits, dass er noch viel dramatischer ausfallen wird als der im letzten Jahr, der die uns allen bekannten Wirkungen entfaltet hat. Darauf deuten alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Beispiel zur Entwicklung des Grönlandeises hin. Das ist nicht zu bestreiten. Es ist zu befürchten, dass sich der Straßenneubau in wenigen Jahren als Investitionsruine herausstellen wird. Was ist nötig? Wir brauchen dringend eine Revision des Bundesverkehrswegeplans und der Infrastrukturausbaugesetze. Wir brauchen eine Mobilitätsgesamtplanung zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft in diesem Lande, welche die unbestrittenen Trends - noch nicht einmal eure Kanzlerin bestreitet sie Dr. Anton Hofreiter nicht ignoriert, wie es gerade der Bundesverkehrsminister getan hat, sondern sie berücksichtigt. ({6}) Eine klimafreundliche, erdölarme und leistungsfähige Infrastruktur lässt sich aber nicht über Nacht schaffen. Mit Planung und Umsetzung müssen wir jetzt beginnen. Es gilt jetzt umzusteuern, um Mobilität für unsere Wirtschaft und für uns alle zu erhalten. Ich hoffe nicht - das meine ich ehrlich -, dass wir wieder - wie beim Klimaschutz - 20 Jahre Überzeugungsarbeit leisten müssen, damit ihr dann endlich so weit seid, wie wir es bereits vor 20 Jahren waren. ({7}) Sonst haben wir ökonomisch und umweltpolitisch, aber auch im Mobilitätsbereich ernsthafte Probleme. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Jörg Vogelsänger für die SPD-Fraktion.

Jörg Vogelsänger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003652, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren über den Straßenbaubericht 2007 in der Kernzeit im Parlament und nicht im Ausschuss. Das ist angemessen. Der Ausbau und der Erhalt der Infrastruktur sind entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Hier bleibt die Koalition am Ball. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zur Erinnerung: Der Bundesverkehrswegeplan wurde 2003 von Rot-Grün verabschiedet. Die Große Koalition macht nichts anderes, als diesen umzusetzen. Sie von der FDP waren nicht mit dabei gewesen, ({1}) aber die Grünen waren dabei, und wir haben einen guten Bundesverkehrswegeplan. Weiter: Die Große Koalition hat gehandelt. Wir haben die mittelfristige Finanzplanung für den Bereich Verkehrsinfrastruktur - das betrifft Schiene, das betrifft Wasserstraße, das betrifft Straße - deutlich verbessert, und zwar im Milliardenbereich. Mir ist klar, dass sich der eine oder andere mehr wünscht. Herr Mücke, das ist für einen Verkehrspolitiker völlig klar. Das gebe auch ich zu. Aber die Umsetzung ist - auch wenn man selber in der Regierung ist - sehr viel schwieriger. Ich empfehle Ihnen einen Blick nach Niedersachsen, wo die FDP in der Regierung sitzt. Schauen Sie sich einmal den Haushalt an! Dann wissen Sie, wie viel das Land Niedersachsen in Landesstraßen investiert. Da zeigt sich, wie Verantwortung wahrgenommen wird. Auch das muss man machen. ({2}) - Wir reden über den Bund, und wir sind im Bundestag, aber bei der Verkehrsinfrastruktur sind wir alle in der Verantwortung, auch die Länder. Das sollten wir ganz deutlich machen. ({3}) Wir als Große Koalition haben auch im Verkehrshaushalt 2008 deutlich nachgebessert, und zwar im dreistelligen Millionenbereich. ({4}) Es ist ein Erfolg der Koalition, dass wir diesen dreistelligen Millionenbetrag bereitgestellt haben. Das Geld wird sinnvoll eingesetzt. Unser verehrter Ausschussvorsitzender hat schon darauf hingewiesen, dass wir ein deutliches Problem hinsichtlich der Lkw-Parkplätze an Autobahnen haben. Es kann und darf nicht sein, dass wir dem Speditionsgewerbe eine Auflage nach der anderen machen, was notwendig ist, aber nicht genügend Stellplätze vorhanden sind. Deshalb ist das sinnvoll eingesetztes Geld, und deshalb ziehen wir dort Investitionen vor. ({5}) Ein Weiteres: Man sollte als Politiker auf dem Boden der Realität bleiben und anerkennen, dass etwas erreicht wurde. 1990 standen wir vor der Situation, dass ein Staat am Ende war und eine völlig desolate Infrastruktur hatte. Seit 1990 ist mit den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ eine Riesenaufbauleistung vollbracht worden. ({6}) Ich verwahre mich gegen die Aussage, damit habe Ostdeutschland gewonnen. Deutschland hat insgesamt durch die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ gewonnen. ({7}) Die Ostseeautobahn führt von Mecklenburg-Vorpommern nach Schleswig-Holstein und nützt auch Hamburg. Das ist ganz deutlich. Dazu ein Wort an die Linke: Sie bekritteln immer - das ist richtig so -, dass die Arbeitslosigkeit noch zu hoch ist; aber die Koalition handelt. Sie gehören immer zu den Bedenkenträgern und den Verhinderern von Verkehrsinfrastruktur. ({8}) Nach den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ und dem Thema Infrastruktur will ich nun auf ein weiteres wichtiges Thema eingehen. Wir in Deutschland sind gut mit dem Ausbau des Radwegenetzes vorangekommen. Im Bericht ist nachzulesen, dass das Netz immerhin 17 300 Kilometer umfasst. Mittlerweile sind einige Kilometer hinzugekommen. Das sorgt für mehr Verkehrssicherheit, und das sorgt dafür, dass die Umwelt entlastet wird. Die Große Koalition wird da weiter am Ball bleiben. Im Übrigen hat das Parlament dazu immer gute Beiträge geleistet. Wir sorgen dafür, dass 90 Millionen Euro für den Bau von Radwegen eingesetzt werden, und das ist gut so. ({9}) Ich will noch etwas zu den Radwegen sagen. Für mich ist eines schwierig: Vertreter von Straßenbaubehörden sagen mir oft: Wir haben weitere Radwege geplant, aber 20 bis 25 Prozent der Mittel müssen wir für Ausgleichsmaßnahmen einsetzen. - Das halte ich für falsch. Ein Radweg hat auch einen ökologischen Wert. Wenn die Leute das Auto stehen lassen, gewinnen wir alle. Deshalb sollten wir uns dieses Themas noch einmal annehmen. ({10}) Verkehrspolitik hat auch eine europäische Dimension. Wir alle freuen uns, dass Grenzkontrollen entfallen sind und damit die Staus an den Grenzen zu Polen und zur Tschechischen Republik endlich ein Ende haben. Wir freuen uns, wenn Schlagbäume fallen, andere wollen wieder Mauern errichten. Als Große Koalition haben wir aber auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die europäischen Verkehrskorridore weiter ausgebaut werden. Das ist eine Pflicht, die aus dem Zusammenwachsen von Europa erwächst. Deshalb muss auch der Straßenbau vorangetrieben werden. ({11}) Verkehrspolitik ist ein vielschichtiges Thema. Da hört man von manchen Abgeordneten schon einmal: Wir brauchen mehr Bildung statt Beton. - Dieselben Abgeordneten schreiben uns dann in netten Briefen, wie wichtig die Ortsumgehung im eigenen Wahlkreis ist. Wir sollten souverän sagen: Wir brauchen eine verbesserte Infrastruktur und selbstverständlich auch verstärkte Aufwendungen im Bildungsbereich. Da bleibt die Koalition dran. Vielen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Kollegin Renate Blank ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den jährlich vorzulegenden Straßenbaubericht der Bundesregierung ist nicht nur eine Pflichtübung in diesem Haus. Denn die Frage, wie wir es mit der Straßenverkehrsinfrastruktur in Deutschland halten, ist eine Zukunftsfrage ersten Ranges. ({0}) Die Verkehrspolitik muss die Zukunft im Blick haben. Kollege Hofreiter von den Grünen, wenn man über Straßen in den neuen Bundesländern, in Bayern, in Niedersachsen - eigentlich in allen Flächenländern spricht, dann muss man sicherlich darauf hinweisen, dass auf manchen Straßen nicht sehr viel Autoverkehr stattfindet. Aber eines muss man auch sagen: Alle Straßenbaumaßnahmen dienen auch der Erschließung der Fläche und der Mobilität der Menschen. Und wenn im Durchschnitt jeder Haushalt in Deutschland pro Monat 350 Euro für Mobilität ausgibt, dann haben diese Haushalte auch einen Anspruch darauf, dass ein Teil ihrer Steuern dafür verwendet wird, dass sie mobil sein können. Wir brauchen also auch die Straßen, die nicht ganz so stark befahren sind. ({1}) Auch hängt jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland vom Straßenverkehr ab. Diese Zahlen sollten wir auf keinen Fall vergessen. Der Zustand unserer Straßen und die Investitionen in unsere Straßen gehören sozusagen zum „Eingemachten“ unseres Volksvermögens. Nur eine gut ausgebaute, leistungsfähige und sichere Verkehrsinfrastruktur sichert die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger und schafft notwendige, wettbewerbsfähige Standortbedingungen von Industrie und Handel. Wir wissen auch, dass die fahrfähige Bevölkerung von 2006 bis 2010 von 68,1 Millionen Personen auf 68,9 Millionen Personen anwachsen wird, während die Zahl der Personen zwischen 10 und 18 Jahren, die für den Schülerverkehr bestimmend ist, von 7,9 Millionen auf 7,3 Millionen zurückgehen wird. Die Zahl der Pkw-Zulassungen ist im Berichtszeitraum um 500 000 gestiegen. Damit sind mittlerweile 46,5 Millionen Pkw, 2,6 Millionen Lkw und rund 4 Millionen Krafträder zugelassen. Ich glaube, diese Zahlen sprechen für sich. Der Straßenbaubericht belegt auch, dass bei der Entwicklung der Straßeninfrastruktur ein Paradigmenwechsel bevorsteht. Der Neubaubedarf ist weitestgehend gedeckt. In Zukunft wird für uns mehr und mehr die Finanzierung des Ausbaus, der Modernisierung und des effizienten Betriebs des Straßennetzes die größte Herausforderung darstellen. Dazu brauchen wir aber auch die entsprechende Mittelausstattung. Wenn wir im internationalen Standortwettbewerb nicht zurückfallen wollen, dann müssen wir dem Ausbau und der Erhaltung unseres Straßennetzes eine hohe Priorität einräumen. Die Frage ist, ob die Finanzausstattung ausreicht, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang bei den Haushältern, die für 2008 die Mittel für den Straßenbau um circa 300 Millionen Euro erhöht haben. Herr Minister, Sie haben uns auf Ihrer Seite, wenn es um mehr Mittel für den Straßenbau geht. Ich muss aber sagen: Die 1,2 Milliarden Euro, die der Finanzminister für die IKB ausgibt, wären sinnvoller im Straßenbau angelegt gewesen. ({2}) Bei dem Stichwort „Management der IKB“ muss man schon darüber nachdenken, ob hier richtig gehandelt wurde. Beim Bereich Straßenbau handelt das Ministerium schon richtig, aber wir bräuchten etwas mehr Geld. Jedenfalls ist das Management im Ministerium in diesem Bereich besser als bei der IKB. ({3}) Leider gibt es schlechte Noten für die deutschen Bundesstraßen. Rund 40 Prozent des 40 711 km langen Streckennetzes sind in einem mehr oder weniger maroden Zustand. Das zeigt der Straßenbaubericht 2007 auf. 23,5 Prozent der Bundesstraßen erhalten in dem Bericht sogar die Zustandsnote 4,5 bis 5,0, also „eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit“. Im Klartext bedeutet das: sehr stark wahrnehmbare Unebenheiten; deutlich erkennbare Spurrillen mit Aquaplaninggefahr; schlechte, stellenweise unzureichende Griffigkeit. Deutlich besser ist dagegen laut Straßenbaubericht 2007 der Fahrbahnzustand auf den Autobahnen, und das trotz permanent steigender Verkehrsbelastung. 80,4 Prozent des aktuell rund 12 500 Kilometer langen Streckennetzes schaffen die Note 1 bis 3,5 und sind damit „voll gebrauchsfähig“. Bei knapp 20 Prozent der Bundesautobahnen lässt der Fahrbahnzustand allerdings zu wünschen übrig. Nun, Herr Minister, zu dem Thema Brückenbau. Ich will hier keine Panik hervorrufen, und es besteht auch keinerlei Anlass zur Panik. Im Straßenbaubericht 2007, der immerhin 81 Seiten hat, wird der Zustand der Brücken nur auf einer halben Seite behandelt. Im Straßenbaubericht 2006 waren die Brücken überhaupt nicht existent; vielleicht sind sie vergessen worden. Ich bin der Meinung: Bei über 37 000 Brücken mit einem Anlagevermögen von rund 40 Milliarden Euro interessiert doch der bauliche Zustand. Ich bitte, das im Straßenbaubericht in Zukunft etwas ausführlicher darzustellen. Herr Minister, wir haben zum Thema Brückenzustand - mein Kollege Lippold hat schon darauf hingewiesen, dass die Brücken äußerst wichtig sind - einen Bericht angefordert. Dieser Bericht liegt leider noch nicht vor. Ich hoffe, Herr Minister, dass Sie diesen Bericht im Laufe des Monats März vorlegen. Ich bin überzeugt, dass das Ministerium auf der Höhe der Zeit ist und per Knopfdruck über den Zustand jeder einzelnen Brücke - Beschaffenheit, Unterhaltungszustand usw. - Auskunft geben kann. Die Ausgaben für die Erhaltung von Brücken und Ingenieurbauwerken der Bundesfernstraßen sind deutlich gestiegen. Das wird auch im Straßenbaubericht 2007 dargestellt. Herr Minister, ich zitiere aus dem Straßenbaubericht 2005: Immerhin erhalten 12,8 Prozent der Brücken die Note 3,0 bis 3,4; ihre Instandsetzung ist umgehend erforderlich. Das macht schon ein bisschen betroffen. Ich glaube, hier haben das Parlament, die Haushälter und die Verkehrspolitik insgesamt noch eine große Aufgabe zu bewältigen, damit wir den Zustand unserer Brücken halten und auch verbessern. In 200 000 Staus pro Jahr verpuffen im Übrigen mehr als 14 Milliarden Liter Kraftstoff und Kosten in Höhe von 100 Milliarden Euro. Fast die Hälfte der Autofahrer steht täglich im Stau. Im deutschen Straßenverkehr werden jährlich rund 12 Milliarden Liter Kraftstoff durch Staus und zähfließenden Verkehr unnötig verbraucht. Zumindest ein erheblicher Teil davon könnte durch gezielten Infrastrukturausbau sowie durch moderne Verkehrsmanagementsysteme und Verkehrsinformationsdienste eingespart werden. Im ganzen Straßenbaubericht 2007 zeigt sich, wie wichtig es war, die Verkehrswegeplanung zu beschleunigen. Mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, das im Dezember 2006 in Kraft trat, wurden ein wichtiges Vorhaben der Großen Koalition umgesetzt und ein Reformversprechen eingelöst. Mit dem Gesetz werden Planungsverfahren in ihrer Dauer und vor allen Dingen in ihren Kosten kalkulierbarer. Die Bürokratie verschlingt nämlich über die Hälfte der Autobahnbaukosten. Von den ermittelten 27 Millionen Euro pro Kilometer Autobahn entfällt nur ein Viertel der Kosten auf die Fahrbahn. Der größte Anteil sind die Verwaltungskosten, die während der Genehmigungsphase anfallen. Das können wir auf jeden Fall noch ändern. Auf der einen Seite nimmt der Verkehr insgesamt zu, und auf der anderen Seite stehen die zur Umsetzung der erforderlichen Bauvorhaben notwendigen öffentlichen Mittel nicht zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung. Die klassische Haushaltsfinanzierung stößt hier an ihre Grenzen. Deshalb müssen wir neue Wege gehen, zum Beispiel, indem wir die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft kreditfähig machen, um so notwendige Projekte schneller verwirklichen zu können. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, der den Blick auf die zentrale Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur lenkt. ({4}) Das bedeutet, dass wir in Zukunft mehr Geld für Verkehrsinfrastruktur brauchen. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Klaas Hübner für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Straßenbaubericht 2007 legt Rechenschaft darüber ab, wie die Verwendung von Haushaltsmitteln durch die Bundesregierung erfolgt ist, und das wird mit vielen Zahlen untermalt. So können wir Parlamentarier bewerten, wie die Bundesregierung gearbeitet hat. Es ist auf den ersten Blick wie trocken Brot: ein bisschen fade, dient aber der Ernährung. Dennoch hat dieser Bericht eine hohe politische Bedeutung. Der Straßenbaubereich ist einer der größten Investitionsposten des Bundeshaushalts. Die Investitionen kommen zum allergrößten Teil den Unternehmen und damit den Arbeitnehmern in Deutschland zugute. Auch der Nutzen der Investitionen entfaltet sich unmittelbar. Ohne gute Straßenverbindungen, ohne eine funktionierende Infrastruktur - eine solche haben wir in Deutschland - wären wir nicht Exportweltmeister. Hier zeigt sich: Gute Verkehrspolitik, gute Infrastrukturpolitik ist immer die Voraussetzung für eine gute Wirtschaftspolitik. ({0}) Auch beim Aufbau Ost sind wir nicht mehr weit davon entfernt, die gesetzten Ziele zu erreichen. Es ist uns in einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit den ostdeutschen Landesregierungen gelungen, binnen relativ weniger Jahre die Bundesfernstraßen in Ostdeutschland grundlegend zu modernisieren und die größten Engpässe zu beseitigen. Bis zum nahen Ende dieses Jahrzehnts werden fast alle Neubaumaßnahmen im Autobahnbereich abgeschlossen sein. Über 90 Prozent der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ sind realisiert oder kurz vor der Fertigstellung. Das ist ein großer Erfolg dieser Regierung, aber auch der Gesellschaft insgesamt, ({1}) und zwar nicht nur für Ostdeutschland, sondern für Deutschland insgesamt; denn Deutschland profitiert insgesamt, wenn der Osten aufholt. Deswegen kann man sagen: Weiter so auf diesem Weg, Herr Minister! Wir danken Ihnen dafür! ({2}) Der Straßenbaubericht dokumentiert die strukturellen Veränderungen, die wir mit unserer Verkehrspolitik erreicht haben. Wir haben die Verkehrspolitik modernisiert. Im Straßenbaubericht ist auch unser Umweltengagement dokumentiert worden. Wir finanzieren immer mehr Maßnahmen im Bereich Lärmschutz, beim Radwegebau und auch im Naturschutz. Daran zeigt sich, dass wir in der Verkehrspolitik auf eine Kombination von Mobilität, Ökonomie, aber auch Ökologie setzen. Das ist moderne Verkehrspolitik. ({3}) Der Straßenbaubericht dokumentiert ferner den Einsatz neuer Instrumente in der Verkehrssteuerung. Jeder Stau, der nicht entsteht, ist eine Entlastung von Umwelt und Wirtschaft. Mit der engeren Verknüpfung der Verkehrsträger fördern wir eine stärkere Einbindung insbesondere der Bahn, richtigerweise, aber auch der Binnenschifffahrt in die Transportketten. Hier verbinden wir Umwelt und Wirtschaft ebenfalls. Das ist echte Nachhaltigkeit. Der Straßenbaubericht dokumentiert schließlich die Bereitschaft, nicht nur über neue Finanzierungsinstrumente zu reden, sondern auch aktiv nach Wegen zu suchen, sie einzusetzen. Der Bericht zeigt zum Beispiel, dass die Lkw-Maut - wer hätte das nach den Startschwierigkeiten gedacht? - und damit der Einstieg in die Nutzerfinanzierung ein voller Erfolg ist. ({4}) Wir werden die Mautsysteme weiter ausbauen, um Verkehre steuern zu können. Auch hier verbinden wir wieder Ökonomie, Ökologie und Verkehrssteuerung verbunden mit einer besseren Finanzierung der Verkehrswege in Deutschland - auch das gehört zu unserem modernen Ansatz. Außerdem bestätigt der Bericht, dass Public-PrivatePartnership, öffentlich-private Partnerschaft, ein gutes Instrument ist, wenn es im richtigen Moment verantwortungsvoll eingesetzt wird. Ich will nicht sagen, dass dort von vornherein alles gut gewesen ist. Aber wir haben gelernt, wir haben es fortentwickelt. Mit den laufenden A- und F-Modellen haben wir Erfahrungen gesammelt, die wir für die nächste Generation der Public-PrivatePartnership-Modelle nutzen werden. Auch hier gilt in meinen Augen, Herr Minister: Wir sind auf einem guten Weg. Schließlich wird im Straßenbaubericht noch ein Trend dokumentiert, der die Straßenverkehrspolitik nachhaltig verändern wird - das ist von einigen in der Debatte heute schon angesprochen worden -: Die Neubaumaßnahmen werden weniger; Ausbau und Erhalt von Bundesfernstraßen gewinnen an Bedeutung. Damit wird nicht nur die Zahl der Bändchen geringer, die wir durchschneiden können; es verändert sich auch der politische Fokus. Ernstzunehmende Kritiker wie der Bundesrechnungshof weisen uns darauf hin, dass es bei der Erhaltung der Bundesfernstraßen erhebliche Effizienzreserven gibt. Dass der Bund bestellt, die Länder aber ausführen, zeigt schon, dass hier möglicherweise Spielräume vorhanden sind. Dass es außerdem keinerlei Vergleichsmaßstäbe für effizientes Handeln gibt, erhärtet den Verdacht, dass Ineffizienzen vorhanden sein könnten. Einen Teil dieser Spielräume sollten wir uns leisten; denn der von uns gewollte Föderalismus wird nie ganz reibungslos funktionieren. Wir können aber versuchen, das Miteinander von Bund und Ländern bei der Straßenbauverwaltung effizienter zu gestalten. ({5}) Im Rahmen der Föderalismuskommission II sollten wir noch einmal einen Versuch unternehmen, um hier weiterzukommen; denn die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, dass das Geld in diesem Bereich, das ja aus Steuermitteln stammt, möglichst effizient eingesetzt wird. Ich glaube, hier liegt noch eine kleine Aufgabe vor uns, die wir angehen sollten. ({6}) Klar ist: Straßenbau ist weder Selbstzweck, noch ist er des Teufels. In der richtigen Dimension und in Verbindung mit einer umweltorientierten Verkehrspolitik sind Straßen Lebensadern für Wirtschaft und Gesellschaft. Unsere Straßenbaupolitik ist verantwortungsvoll und stellt damit eine gute Investition in die Zukunft dar. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7394 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 h sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf: 30 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Ent- schließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über den physischen Schutz von Kernmaterial - Drucksache 16/8151 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der Flächenerwerbsverordnung ({0}) - Drucksache 16/8152 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({1}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Hopfengesetzes - Drucksache 16/8153 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf Schiffen ({2}) - Drucksache 16/8154 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes ({4}) - Drucksache 16/8188 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({5}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Hartfrid Wolff ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Handgepäck von Flugreisenden auf den Prüfstand stellen - Drucksache 16/6641 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({7}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Tourismus g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Systematische Weiterentwicklung der politischen Bildung beim Thema Nationalsozialismus - Drucksache 16/8184 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({9}) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einzelnen, global agierenden, internationalen Organisationen und Institutionen im Rahmen des VN-Systems - Drucksache 16/5850 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({10}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Naturschutz praxisorientiert voranbringen Entwicklung der Wildtiere in Deutschland - Drucksache 16/8077 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer - Drucksache 16/8185 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({12}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben - Drucksache 16/8187 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({13}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU, der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine neue, effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nahrungsmittelhilfekonvention - Drucksache 16/8192 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({14}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Sie sind, wie ich sehe, damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Nun kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 31 a bis 31 m sowie zu Zusatzpunkt 4. Dabei geht es um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 31 a: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des InVeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzahlungen-Verpflichtungengesetzes - Drucksache 16/7827 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des InVeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzahlungen-Verpflichtungengesetzes - Drucksache 16/8147 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({15}) - Drucksache 16/8223 Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Waltraud Wolff ({16}) Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8223, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/7827 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des InVizepräsidentin Gerda Hasselfeldt VeKoS-Daten-Gesetzes und des DirektzahlungenVerpflichtungengesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8223, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/8147 für erledigt zu erklären. Gleichwohl müssen wir über diese Empfehlung abstimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 31 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Eskalation im Atomkonflikt mit dem Iran verhindern - Drucksachen 16/4202, 16/7532 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Dr. Rolf Mützenich Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({18}) Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7532, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4202 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Bei den Tagesordnungspunkten 31 c bis 31 m geht es nun um die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zunächst Tagesordnungspunkt 31 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 352 zu Petitionen - Drucksache 16/8063 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 352 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 31 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 353 zu Petitionen - Drucksache 16/8064 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 353 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 31 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 354 zu Petitionen - Drucksache 16/8065 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 354 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 31 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 355 zu Petitionen - Drucksache 16/8066 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 355 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 31 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 356 zu Petitionen - Drucksache 16/8067 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 356 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 31 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 357 zu Petitionen - Drucksache 16/8068 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 357 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 31 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25}) Sammelübersicht 358 zu Petitionen - Drucksache 16/8069 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 358 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.

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Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 359 zu Petitionen - Drucksache 16/8070 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 359 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 31 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 360 zu Petitionen - Drucksache 16/8071 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 360 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 31 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 361 zu Petitionen - Drucksache 16/8072 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 361 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 31 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 362 zu Petitionen - Drucksache 16/8073 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 362 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union - Drucksache 16/6563 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4}) - Drucksache 16/8222 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({5}) Joachim Stünker Dr. Peter Danckert Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8222, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6563 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktionen der FDP und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei, über offene Listen der Partei DIE LINKE in Parlamenten Mandate zu erlangen, und die damit verbundenen Auswirkungen Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dirk Niebel das Wort. ({6})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der erstmalige Einzug einer Kommunistin seit 1953 in ein westdeutsches Landesparlament ist der Beleg dafür, dass die Linkspartei weiterhin versucht, Kommunisten und Stasispitzel in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen. ({0}) Die Landtagsabgeordnete Christel Wegner, die als DKPMitglied über die Liste der Linkspartei in den Niedersächsischen Landtag eingezogen ist, hat in einem Interview nicht nur die Wiedereinführung der Stasi gefordert, sie hat auch noch den Mauerbau damit begründet, dass verhindert werden sollte, dass die Westdeutschen massenweise in die DDR kommen und dort die Waren zu billigen Preisen aufkaufen. Der Geheimdienstkenner Gregor Gysi hatte zum angerichteten Schaden sofort eine Verschwörungstheorie parat. Er sagte: Das riecht nach Verfassungsschutz. Aus diesem Vorgang lernen wir zweierlei: Erstens. Die Mauer gab es nur, damit die Wessis den Ossis die nicht vorhandenen Bananen nicht wegkaufen konnten. Zweitens. Wer auf diese Weise argumentiert, wird uns demnächst auch erklären wollen, die DDR sei eine gigantische Simulation der CIA gewesen. ({1}) Die Öffnung der Listen für DKPisten bei der Linkspartei bedeutet nichts anderes, als dass das Gift der Diktaturverherrlichung schleichend in unsere Gesellschaft einzieht. Diese schleichende DDR-Rehabilitierung sehen wir auch in diesem Hohen Hause. Seit dieser Legislaturperiode haben wir nicht mehr nur inoffizielle Stasispitzel, sondern mit Herrn Lutz Heilmann einen hauptamtlichen Mitarbeiter des Unterdrückungsregimes in diesem Hause sitzen. Das soll uns zeigen, dass sich diese Republik verändern kann, hin zu dem Systemwechsel, den die Linken bei der Parteigründung durch die Rede ihres Vorsitzenden gefordert haben. ({2}) Dr. Hubertus Knabe, der Leiter der Stasigedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, hat sein Buch unter den Titel „Die Täter sind unter uns“ gestellt. Das stimmt ganz offensichtlich nicht nur für den Deutschen Bundestag, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland und den Versuch, die Kommunisten über die Linke Liste in die Parlamente Westdeutschlands einziehen zu lassen. ({3}) Wer sich in Hessen umschaut, wird feststellen, dass der erste Linke-Spitzenkandidat nach der durch ihn vorgenommenen Gleichsetzung des DDR-Schießbefehls an der Mauer mit den Einsatzregeln der deutschen Bundeswehr in Afghanistan zurückgetreten wurde und durch einen Menschen ersetzt wurde, der Willi van Ooyen heißt und jahrzehntelang Mitglied und Funktionär der Deutschen Friedens-Union gewesen ist, einer KPD-Nachfolgeorganisation, die von der DDR finanziert worden ist. ({4}) Wer sich die Wahllisten der Linken für die Bürgerschaftswahl in Hamburg am kommenden Sonntag anschaut, wird feststellen, dass allein zehn DKP-Mitglieder auf diesen Listen stehen, ({5}) von denen Olaf Harms, der Landesvorsitzende der DKP, der für die Bürgerschaft kandidiert, ganz klar die Verstaatlichung der Produktionsmittel für Deutschland fordert. Wenn das nicht die DDR mit anderen Mitteln ist, dann weiß ich nicht, was die hier erreichen wollen. ({6}) Sie von der Linksfraktion nutzen derzeit die kriminelle Energie einiger Steuerbetrüger, um Wasser auf Ihre Mühlen zu leiten. ({7}) Woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass das verschwundene SED-Vermögen nicht auf den gleichen liechtensteinischen Konten gelandet ist? ({8}) Wenn in mehr als 80 Jahren in mehr als 70 Ländern der Welt mit mehr als 20 Milliarden teilnehmenden Probanden das Ergebnis eines Feldversuches immer das gleiche gewesen ist - der Bankrott des Staates und der Ruf der Menschen nach Freiheit -, dann liegt das nicht daran, dass eine vermeintlich gute Idee vielleicht falsch umgesetzt wurde, sondern dann liegt das an der falschen Idee als solcher! ({9}) Deshalb sage ich Ihnen: Wehret den Anfängen und geht gegen die Extremisten von links und von rechts vor! Wenn Sie als Linke noch halbwegs glaubwürdig bleiben wollen, müssen Sie zunächst einmal alle DKP-Kandidaten von den hamburgischen Listen streichen. ({10}) Spätestens seit gestern wissen wir aber auch, dass sich die SPD in Hessen von den Kommunisten an die Regierung bringen lassen will. ({11}) Kurt Beck sagt dazu: Dann machen wir es halt so. - Herr Naumann, der Spitzenkandidat in Hamburg, war bei dem Gespräch dabei. ({12}) Die SPD hat schon längst ihre Unschuld verloren spätestens seit der Tolerierung von Herrn Höppner in Sachsen-Anhalt sowie der rot-roten Regierung in Mecklenburg-Vorpommern und in der Bundeshauptstadt. In der Bundeshauptstadt gibt es rechnerisch eine Mehrheit für Rot-Grün. Warum regieren Sie hier dann eigentlich mit den Kommunisten? ({13}) Erklären Sie den Menschen und der deutschen Öffentlichkeit vor der Hamburg-Wahl in diesem Hause verbindlich, dass Sie jede Zusammenarbeit mit dieser Gurkentruppe in Hessen und anderswo ausschließen! Ansonsten verlieren auch Sie jedwede Glaubwürdigkeit. ({14}) Ich komme zum Schluss. Hessen und Niedersachsen haben eines deutlich gezeigt: Wer nicht wählt, wählt links. Deshalb fordere ich alle Bürger in Hamburg auf: Gehen Sie zur Wahl, und nehmen Sie Ihr Wahlrecht in Anspruch! Vielen herzlichen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mit Blick auf die Fraktion Die Linke/DKP interessant, ({0}) wer heute bei dieser dringend notwendigen Aktuellen Stunde nicht da ist. ({1}) Herr Dehm ist nicht da. Er war der Wegbereiter dieser Verbindung zwischen DKP und Linken und auch der Wegbereiter für den Einzug von Christel Wegner in den Niedersächsischen Landtag. Weder Herr Gysi noch Herr Lafontaine sind da. ({2}) Ich vermisse auch die Vizepräsidentin des Bundestages von der Linken, Frau Petra Pau, die sich ebenfalls schon in diese Debatte eingebracht hat. Ich vermisse ebenso Herrn Ramelow. Was sagt uns dieses Fernbleiben? Es sagt uns, dass der Rauswurf von Frau Wegner eine reine Alibiveranstaltung ist. Zu dieser Schlussfolgerung kommt man auch, wenn man sich einmal anschaut - Herr Niebel hat es angesprochen -, wie viele Kommunisten bei der Hamburg-Wahl für die Linke auf der Landesliste, auf den Wahlkreislisten, aber auch auf den Bezirkslisten kandidieren. Die Panorama-Moderatorin, die letzte Woche den in Rede stehenden Beitrag anmoderiert hat, hat es auf den Punkt gebracht, indem sie gesagt hat: Wo Linke draufsteht, sind Kommunisten drin. ({3}) Das müssen sich die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld der Hamburger Wahl wirklich einmal vor Augen führen. Ich habe mir vorhin noch einmal den Panorama-Beitrag angesehen. ({4}) Anscheinend ist in der Öffentlichkeit bislang das Interview mit Herrn Harms noch nicht angemessen beachtet worden. In diesem Beitrag wird über eine vor kurzem stattgefundene Kundgebung der Linken in Brandenburg berichtet, auf der viele DKP-Fahnen zu sehen waren und der vorvorletzte Verteidigungsminister der DDR, Herr Keßler, eine markige Rede halten konnte. Der Redakteur dieses Beitrags zitiert anschließend aus dem DKP-Programm, in dem Solidarität mit der ehemaligen SED-Führung gefordert wird. Frage des Moderators an Herrn Harms: Die SED-Führung war verantwortlich für Stasigefängnisse und Mauertote. Warum erklärt sich die DKP solidarisch? - Antwort Herr Harms: Weil das ein Verantwortungsbereich war, der ein kleiner Bereich war, so ungut er auch möglicherweise gewesen ist. Gleichzeitig waren sie dafür verantwortlich, dass in der DDR keiner hungern musste. ({5}) Ihr Rauswurf von Christel Wegner durch die Linke ist so lange unglaubwürdig, solange Sie zulassen, dass so jemand am kommenden Sonntag auf einer Liste der Linken für die Bürgerschaft in Hamburg kandidieren kann. ({6}) Wissen Sie, was der eigentliche Skandal ist? Das jämmerliche Dementi von Herrn Gysi in dieser PanoramaSendung. Wissen Sie, was Herr Gysi dazu gesagt hat, als er befragt wurde, was er von dem Fall Wegner und dem Kandidaten Harms hält? Gysi hat sich ganz elegant hingestellt und gesagt: Ich war dagegen - in Klammern hinzugefügt: dass Kommunisten auf unserer Liste kandidieren -; wenn jemand, der die Meinung von Frau Wegner teilt, mit der Linken ein Mandat erringt, wird dieser eben in der Fraktion überstimmt. So ist Demokratie. Hier zeigt sich, dass Kommunisten mit der Tarnkappe der Linken - auch dieser schöne Begriff stammt aus dieser Sendung - der Weg in deutsche Parlamente geebnet wird. Sie aber haben nicht einmal den Mut, eine solche Debatte zu nutzen, um hier jemanden reden zu lassen, der wie Herr Ramelow zu Recht sagt: Dehm soll in dieser Frage endlich einmal die Klappe halten. Herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Maurer für die Fraktion Die Linke. ({0})

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Dies alles wird doch im Fernsehen übertragen. Halten Sie sich also zurück! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was lernen wir aus den unterirdischen Reden des Kollegen Niebel und des Kollegen Koschyk? Wir lernen daraus: Es sind Wahlen in Hamburg, nicht wahr, Herr Kollege Niebel? Das lerne ich aus Ihrer Rede. Das ist auch der einzige Grund, warum Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Es geht nicht um seriöse Fragen, sondern vor der Wahl soll noch ein bisschen Dreck geschleudert werden. Deswegen machen Sie das hier. Ich sage Ihnen eines: Sie unterschätzen die Wählerinnen und Wähler grandios. ({0}) Ich lerne aus Ihrer Rede: Der FDP geht es im Hinblick auf die Wahlen in Hamburg offensichtlich dreckig. ({1}) - Das ist so. - Auch der CDU/CSU geht es nicht gut. Jetzt dürfen Sie hier noch ein bisschen Klamauk machen, und am Montag werden Sie sich zum Katerfrühstück versammeln. ({2}) - Ihretwegen gehe ich ganz bestimmt nicht auf die Thematik ein ({3}) - ruhig -, sondern deswegen, weil es in diesem Land Menschen gibt, die Fragen an uns gestellt haben. Diese beantworte ich heute so, wie ich und übrigens auch der Kollege Ramelow sie immer beantwortet haben. ({4}) Die Frage lautet: Wie haltet ihr es mit der Stasi und der Mauer? Unsere Antwort heißt: Wer die Stasi und die Mauer gut findet, hat in unseren Parlamentsfraktionen nichts verloren. ({5}) Wer sich so äußert, dem wird das Gleiche passieren, was die Fraktion unserer Partei in Niedersachsen gemacht hat: Sie hat Frau Wegner ({6}) durch einstimmigen Beschluss aus der Fraktion ausgeschlossen. Alles andere, was Sie hier probieren, ist aus der Mottenkiste. Herr Niebel, passen Sie auf: Dieses Haus ist ein ziemliches großes Glashaus. ({7}) Wer sich wie Sie eine Blockpartei mitsamt dem Vermögen einverleibt hat, ({8}) dem rate ich zu äußerster Zurückhaltung. ({9}) Auch Sie von der CDU/CSU haben sie sich einverleibt. Sie haben mit Herrn Junghanns jemanden zum stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister gemacht, der noch im Sommer 1989 die Mauer als einen antifaschistischen Schutzwall bezeichnet hat. Ihn haben sie zum Minister und stellvertretenden Ministerpräsidenten gemacht. Da sind Sie alle ganz großartig. Wenn ich hier im Parlament die Frage stellen würde - passen Sie mit Biografien auf! -, wer schon alles, bevor er zu hohen Staatsämtern gekommen ist, in irgendwelchen kommunistischen Bünden war, dann würde ich bei dieser Suche außerordentlich erfolgreich sein. ({10}) Eines sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir setzen uns radikal und grundlegend mit den Verbrechen des Stalinismus auseinander. Ja, das tun wir. ({11}) Herr Niebel, ich lasse Ihnen den Versuch, geschichtliche Tatsachen zu leugnen, nicht durchgehen - Sie brauchen so eine grobe Antwort -: In den KZs der Nazis waren Sozialdemokraten und viele Kommunisten. ({12}) Auch Liberale saßen im KZ. Nach 1945 waren es aber die Liberalen, Herr Niebel, und die CDU/CSU, die ehemaligen hochrangigen Nazis und Mitläufern zu höchsten Staatsämtern verholfen haben. Auch das gehört zur geschichtlichen Wahrheit. Die einen saßen im KZ, und die anderen sind zu hochrangigen Staatsämtern gekommen. ({13}) Deswegen empfehle ich Ihnen sehr viel Zurückhaltung. Wenn Sie wollen, können wir eine große Geschichtsdebatte führen. ({14}) Ich komme zum Schluss. Sie können mit Dreck schleudern, soviel Sie wollen - unsere Partei wird gewählt, weil der von Ihnen geförderte finanzmarktgetrie15280 bene Kapitalismus den Menschen sein finsterstes Gesicht zeigt. ({15}) Deswegen werden wir gewählt. Das ist auch die richtige Antwort. Herr Niebel, wenn Sie uns loswerden wollen, sollten Sie die Gesetze zurückzunehmen, die nach Dr. Hartz benannt worden sind ({16}) - Sie waren doch auch dafür -, dann empfehle ich Ihnen, die Sklavenarbeit zu beenden, die unter dem Deckmantel von Zeitarbeitsfirmen stattfindet; dann empfehle ich Ihnen, die Beteiligung an weltweiten Kriegen einzustellen. Damit würden Sie uns in Schwierigkeiten bringen. Mit Verunglimpfungen bringen Sie uns nicht in Schwierigkeiten. Nach der Wahl in Hamburg sprechen wir uns wieder. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Klaus Uwe Benneter für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Niebel, mir hat sich der Sinn dessen, was Sie hier thematisiert haben, nicht so richtig erschlossen. Sie wissen doch, dass wir im Deutschen Bundestag das Wahlrecht kürzlich geändert haben: Sie haben mitbestimmt, dass es künftig nicht mehr möglich ist, dass die PDS Kommunisten über ihre Listen ins Parlament verhilft. ({0}) - Bei der Wahl in Hamburg am Sonntag gilt das nicht. Das Bundeswahlgesetz gilt nur für Bundestagswahlen und nicht für Landtagswahlen. Deshalb ist es gut, dass Herr Ramelow gesagt hat, dass man das auch bei allen Landtagswahlen so handhaben wolle. Im Bundestag hat die PDS noch dagegen gestimmt, als es darum ging, dass Kandidaten verschiedener Parteien nicht gemeinsam auf einer Liste kandidieren können. Für die Bundestagwahlen ist das jetzt geklärt; es wird in Zukunft nicht mehr vorkommen können, dass etwa, wie in Niedersachsen, eine Kommunistin aus der Fraktion ausgeschlossen wird, bevor sich das Parlament überhaupt konstituiert hat. ({1}) Es ist Ironie des Schicksals, dass die PDS einem längst vergessenen Haufen, der mit verworrenen Vorstellungen die Verbrechen des Stalinismus zu relativieren versucht, dazu verhilft, wieder in einem Parlament aufzutauchen. ({2}) Diether Dehm, der für die PDS im Bundestag sitzt und auch über eine solche Liste in den Bundestag eingezogen ist, meint, das relativieren zu können. ({3}) Wer die DKP auf die Liste nimmt, der weiß, was er tut; der kann den Menschen nicht vormachen, ihm sei nicht klar gewesen, dass da Kommunisten mit verschrobenen Ideen und wirren Vorstellungen in die Parlamente gewählt werden wollen. Die Ewiggestrigen müssen aus den Parlamenten herausgehalten werden! Das ist der Grund, warum wir unser Wahlrecht geändert haben. Wir wollen Transparenz. Wir wollen wissen, wer auf den Listen steht und wer für bestimmte Programme in Parlamente gewählt wird. Die PDS versucht, das durch solche Listenverbindungen zu verheimlichen. In Hamburg tritt Herr Harms - nicht harmlos - an. Kollege Koschyk hat sich die entsprechende PanoramaSendung noch einmal angesehen. Das ist eigentlich jedem zu empfehlen; das kann jeder heute problemlos über das Internet nachholen. Dieser Herr Harms ist auf der Liste in Hamburg. Die Wählerinnen und Wähler wissen jetzt, was in Hamburg auf sie zukommt. Sie haben die Möglichkeit, die Linken dort aus dem Parlament herauszuhalten. Sie haben die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass hier ein klarer Schnitt gemacht wird - mit stalinistischen Ideen, mit stalinistischen Vorstellungen, mit der Verharmlosung der Stasi und dem Gutheißen von Verbrechen, die dort passiert sind. Die Wählerinnen und Wähler in Hamburg sind aufgerufen, deutlich zu machen, dass die Linke, solange sie solche Kommunisten auf ihren Listen duldet, in den Parlamenten nichts zu suchen hat. ({4}) Das hat Kollege Ramelow gemeint, als er gesagt hat: Dehm soll die Klappe halten. ({5}) Das wird aber nicht ausreichen, um den Wählerinnen und Wählern klarzumachen, dass auf diese Art und Weise Leute ins Parlament gewählt werden, die, wenn sie offen angetreten wären, nie eine Chance gehabt hätten, in ein deutsches Parlament zu kommen. ({6}) Typischerweise kommt dann Gysi mit der Haltet-denDieb-Methode: Das war dann der Verfassungsschutz, ({7}) oder es waren andere Verschwörungen, die die offensichtlich umnachtete Frau Wegner dazu veranlasst haben, sich gegenüber Panorama-Redakteuren so zu äußern. Wir sollten Ihnen nachsehen, was für Leute Sie auf Ihre Listen genommen haben. Auch im Bundestag haben wir einen Kollegen, der zwar auf der Liste der PDS stand, aber dann sehr schnell als fraktionsloser Abgeordneter hier saß und immer noch sitzt. Diese Fraktionslosen gehen ja nicht aus dem Parlament, auch wenn sie von der PDS dazu aufgefordert werden. ({8}) Nein, sie sitzen hier noch länger und verharmlosen weiter die Verbrechen des Stalinismus. Dem, denke ich, können die Wähler Einhalt gebieten. ({9}) Die FDP in Hamburg ist offensichtlich die Partei, die sich für Raucher mit Kampfhunden und gegen Leinenzwang einsetzt. ({10}) Bezüglich des Kölner Stadt-Anzeigers, Kollege Niebel, sage ich: Wenn sich die Zeitungen Falschmeldungen ausdenken ({11}) und unter dem Hinweis, dies sei in Zeitungskreisen bekannt geworden, in die Zeitung setzen, dann kann man wirklich nicht erwarten, dass solche Falschmeldungen auch noch von denjenigen dementiert werden, die immer klargemacht haben, dass dies Falschmeldungen sind. ({12}) Die SPD wird sich weder in Hessen noch in Hamburg von der Linkspartei wählen lassen, wenn die FDP ihrer Verantwortung nachkommt. ({13}) Die FDP hat dort ihre staatsbürgerliche Verantwortung wahrzunehmen; dazu ist sie aufgefordert. Das können Sie hier mit solchen Aktuellen Stunden nicht vernebeln. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Maurer, Sie haben gezeigt, dass Sie die berechtigten Fragen, die die Menschen an Sie stellen, gar nicht ernst nehmen. ({0}) Wir haben wirklich eine seltsame Veranstaltung erlebt. Das DKP-Mitglied - und linke Abgeordnete - Christel Wegner erklärt uns, dass man in einer sozialistischen Gesellschaft eine Stasi braucht, um die reaktionären Elemente in Schach zu halten. Die führenden Vertreter der Linken reagieren darauf, als erlebten sie gerade eine große politische Kinderüberraschung. Das Überraschungsei geht auf, und man wundert sich, was herauspurzelt: ({1}) Ach, da stand DKP drauf; oh, da ist sogar DKP drin. ({2}) Es ist doch wirklich billig, wie Sie darauf reagiert haben. ({3}) Herr Gysi sieht in seiner ersten Überraschung den Verfassungsschutz am Werk. Da hätte der Satz von Bodo Ramelow: „Wer Unsinn redet, hat bei uns keinen Platz“ zur Anwendung kommen können. ({4}) Herausgekommen ist: Das war nicht der Verfassungsschutz - das war aber auch keine Überraschung -, sondern das war der Originalton marxistisch-leninistischer Grundschulung. ({5}) Die einschlägigen Lehrbücher aus der DDR über die Grundlagen des dialektischen Materialismus konnte man in den 70er-Jahren auch im Westen lesen. ({6}) Ich fände es schon seltsam, wenn ich die Einzige in diesem Hause sein sollte, die sich noch dunkel daran erinnert, was in diesen Büchern gestanden hat. Ich will Ihrem Gedächtnis einmal auf die Sprünge helfen und den „freundlichsten“ der einschlägigen Theoretiker, nämlich Friedrich Engels, zitieren: Solange das Proletariat den Staat noch gebraucht, gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit, sondern der Niederhaltung seiner Gegner … Das ist fast Originalton Frau Wegner. ({7}) Ich kann Ihnen gerne auch härteren Stoff aus Lenins „Staat und Revolution“ oder etwa Maos Satz „Die Revo15282 lution ist kein ... Deckchensticken“ nachliefern, wenn das hier gefragt ist. ({8}) Was Frau Wegner gesagt und Herr Dehm verteidigt hat, gehört schlichtweg zum theoretischen Grundgerüst des Marxismus-Leninismus. ({9}) Es läuft auf ein taktisches Verhältnis zur Demokratie und auf eine Relativierung von Menschenrechten und Rechtsstaat hinaus. ({10}) Das höhere Ziel ist der Sozialismus. Menschenrechte und Demokratie sind ihm unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten untergeordnet. Das war die theoretische Basis für die Rechtfertigung des Mauerbaus, des Schießbefehls und der Zerstörung von Leben in der DDR; so einfach ist das manchmal. ({11}) Sie sind dafür verantwortlich, dass Menschen, die auch heute immer noch nach genau dieser theoretischen Maxime ticken, jetzt der Weg in deutsche Parlamente geebnet wird. ({12}) Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, worüber wir hier reden: Wir reden nicht davon, dass man Menschen, die vor 20 Jahren in der DKP waren, sich inzwischen aber weiterentwickelt haben, jetzt ihre Vergangenheit vorhält. ({13}) Wir reden von Menschen, die 18 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch auf der gleichen kommunistischen Stelle treten, ({14}) die ihr Denken 40 Jahre lang nicht geändert haben und darauf auch noch stolz sind. Diese Leute halten sich heute für Helden. Ich sage: Die haben ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie, und Sie helfen denen heute in die Parlamente. So sieht es doch aus! ({15}) Was glauben Sie denn, wer in Hamburg eine Partei mit dem Etikett „Alte DKP“ wählen würde? Was glauben Sie denn, wer eine Partei mit dem Etikett „Bund Westdeutscher Kommunisten“ wählen würde? Aber Sie pappen das harmlos klingende Etikett „Die Linke“ drauf. ({16}) Und bums: Die zehn Kandidaten der DKP in Hamburg sind in Sektlaune, weil sie von Ihnen sozusagen durchgeschleust werden. Hören Sie doch auf, uns Ihr linkes Trojanisches Pferd als Unschuldslamm zu verkaufen! ({17}) Es ist wirklich nicht so, als wüssten Sie nicht, welche Kandidaten Sie sich da zusammengesucht haben. Was Sie stört, ist aber nicht etwa, dass sich jemand, der der DKP angehört, auf Ihrem Ticket auf dem Weg in ein Parlament befindet. Was Sie stört, ist, dass Ihre seltsamen Genossen ins Scheinwerferlicht geraten sind und sich verplappert haben. ({18}) Dann müssen sie eben weg wie Frau Wegner. Hier funktioniert Ihr Mechanismus, dass der einzelne Mensch für die große Sache geopfert werden muss, immer noch hervorragend. Ich sage Ihnen: Herr Gysi und Herr Ramelow sind bestenfalls geschickt. Vielleicht ist das sogar eine wichtige politische Teilfähigkeit. Aber verkaufen Sie uns in diesem Hause Geschicklichkeit nicht als Moral! ({19}) Hören Sie auf, so zu tun, als hätten Sie den Alleinvertretungsanspruch für das Gute in der Welt! Sie haben eine Menge Hausaufgaben, die Sie noch nicht gemacht haben. ({20})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kristina Köhler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Herrn Maurer. Herr Maurer, Sie haben uns eben treuherzig erklärt, dass sich die Linkspartei mit den Verbrechen des Stalinismus ernsthaft auseinandergesetzt habe. Ich möchte daher zitieren, was die Kommunistische Plattform davon hält, einen Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus zu errichten. Die Kommunistische Plattform schreibt wörtlich: Ein Stein, der pauschal an alle erinnert, die unter Stalin zu Tode kamen oder Haftstrafen verbüßten, ist für uns inakzeptabel. ({0}) Kristina Köhler ({1}) Das zeigt: Das Problem ist nicht nur die DKP. Die Kommunistische Plattform ist Teil der Linkspartei; das Problem ist somit die Linkspartei an sich. ({2}) Das kann man an einem Artikel, der in der heutigen taz steht, wunderbar nachvollziehen. Die taz zitiert nicht nur Herrn Harms - der heute schon viel zitiert wurde -, sondern auch einen Kreischef der Linken. Auch dieser singt allen Ernstes das Hohelied der DDR und der guten Seiten der Stasi. Wer meint, Frau Wegner, Herr Harms, die DKPler seien Ausrutscher auf den Listen der Linkspartei, der irrt gewaltig. Die DKP steht nämlich nicht links von der Linken; sie steht fest in deren Mitte. ({3}) Sie können Herrn Gysi ausrichten: Die DKPler wurden nicht etwa vom Verfassungsschutz auf Ihre Listen gesetzt, sondern von der Linkspartei selbst. ({4}) Die Frage nach der historischen Einordnung der DDR, die Frage der Würdigung der Opfer des Kommunismus, die Frage nach der Abschaffung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, diese Fragen treffen Sie, meine Damen und Herren von der Linkspartei, mitten ins Herz; denn Sie haben sich bis heute nicht entschieden, ob Sie unsere Demokratie bloß reformieren oder ob Sie sie bekämpfen wollen. ({5}) Ich rede hier nicht, wie man vermuten könnte, von Standpunkten aus Zeiten des Kalten Krieges; ich rede von der Linken, wie sie sich heute darstellt. Schauen wir uns einmal die Programmatischen Eckpunkte an, die die Linken im Jahr 2007 beschlossen haben! Beispiel Nummer eins: Als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das größte Gegengewicht wegfiel, konnten sich die zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten kapitalistischen Marktes immer mehr entfalten. ({6}) Ich halte fest: Die Linke bedauert den Zusammenbruch der Sowjetunion, weil diese angeblich die Marktwirtschaft in Schach gehalten hat. Das ist genau die Logik, der zufolge die Berliner Mauer ein antikapitalistischer Schutzwall war. ({7}) Nichts anderes hat Frau Wegner gesagt. Ein weiteres Beispiel aus den Eckpunkten der Linken; es trifft den Kern dieser Debatte. Die Linke stellt die Frage: Inwieweit müssen dazu - es geht um die, wie es heißt, Demokratisierung der Wirtschaft auch kapitalistische Eigentumsverhältnisse aufgehoben werden? ({8}) Wir dürfen uns nichts erzählen lassen! Es geht hier nicht um Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes - Sozialpflichtigkeit des Eigentums -, sondern um einen Kern unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, nämlich um das Recht auf Eigentum. ({9}) An dieses Eigentum will die Linke ran. Ich habe hier einen Wahlkampfflyer der Hamburger Linken, die nächsten Sonntag zur Wahl stehen. Da schreibt die Linke ganz offen: Deshalb liegt unser Ziel im Aufbau eines demokratischen Sozialismus, - gut, das möchte unser Koalitionspartner auch ({10}) in dem das Privateigentum an Produktionsmitteln überwunden ist. Im Klartext: Die Sozialisten wollen die Enteignung der großen und kleinen Unternehmen von Maschinen und Grundeigentum. Sie fordern die Enteignung des kleinen Handwerkers von nebenan. Sie fordern volkseigene Betriebe. ({11}) Das ist es, was mir wirklich Sorgen macht. Es wäre anmaßend, jemandem vorzuwerfen, dass er in der SED war. Es wäre sicherlich auch falsch, zu sagen, jeder Wähler der Linkspartei wolle, dass die Handwerker enteignet werden. Aber wenn in einem Programm der Linken aus dem Jahr 2007 ernsthaft wieder der Niedergang der kommunistischen Sowjetunion betrauert und über eine Enteignung von Unternehmern nachgedacht wird, dann zeigt dies eines: Unser Problem sind nicht Frau Wegner und Herr Harms von der DKP, sondern unser Problem ist die Linkspartei an sich, weil sie nichts gelernt hat. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort Carl-Ludwig Thiele, FDP. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass der Kollege Maurer zu Anfang erklärt hat, dass sich die Linkspartei um die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und auch um die Aufarbeitung der DDR bemüht habe. Wir sollten uns einmal anschauen, was die DKP eigentlich war. Ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung vom gestrigen Tage: Die Deutsche Kommunistische Partei … wurde 1968 gegründet, sie gilt als Ersatzorganisation der im Jahr 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD. Die DKP war bis zum Zusammenbruch der DDR eine von der SED finanzierte westdeutsche Kaderpartei … ({0}) Erinnern wir uns, wie es mit dem Parteivermögen der SED war und wer für das Parteivermögen der SED verantwortlich war. Es war Herr Gysi. Herrn Gysi ist von der Unabhängigen Kommission bescheinigt worden, dass er verschleiert habe, wo dieses Geld der SED geblieben ist, das vorher den Bürgern der DDR abgenommen wurde. ({1}) Bis heute sind an dieser Stelle nicht alle Klarheiten beseitigt. Das ist die Partei, die die DKP finanziert und am Leben erhalten hat und die heute sagt, mit ihr habe sie nichts zu tun. Dies verstehe ich nun beim besten Willen nicht. ({2}) Ich freue mich über die Präsenz bei dieser Aktuellen Stunde, die bei der SPD vielleicht noch etwas stärker hätte sein können. Aber ich finde es auf der anderen Seite auch ein bisschen traurig, dass dieses Thema ausschließlich von der FDP beantragt wurde. Dies hätte auch den Grünen gut angestanden, die noch „Bündnis 90“ im Namen führen. ({3}) Es hätte auch der Union gut angestanden, unserem Antrag beizutreten; denn die Bedeutung dieser Aktuellen Stunde geht in der politischen Dimension weit über das hinaus, was wir hier derzeit diskutieren. ({4}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die DDR war ein Unrechtsstaat. Durch den Bau der Mauer mit dem Todesstreifen wurde ein ganzes Volk gefangen genommen. Hunderte von Menschen haben an der Grenze ihr Leben gelassen. Dann kommt eine neu gewählte Landtagsabgeordnete der Linkspartei und rechtfertigt auch hinsichtlich dieser Menschen und eines ganzen Volkes, das von der Mauer gefangen gehalten wurde: Der Bau der Mauer war in jedem Fall eine Maßnahme, um zu verhindern, dass weiterhin Westdeutsche in die DDR konnten. Dies zeigt, dass immer noch in dieser Kategorie gedacht wird. Dafür ist auch kennzeichnend, dass sich diese Person bei einer anderen Mehrheit die Stasi wieder wünscht, wie sie es tatsächlich gesagt hat. ({5}) Weil Sie, Herr Maurer, die Glaubwürdigkeit angesprochen haben, empfehle ich Ihnen, genauso zu handeln, wie es die FDP-Fraktion getan hat. Seit der deutschen Einheit haben sich zu Beginn einer Wahlperiode alle unsere Mitglieder freiwillig auf eine Stasi-Mitarbeit überprüfen lassen. Wenn man Transparenz braucht, braucht man sie auch in diesem Bereich. ({6}) Das sollte auch von Ihnen gemacht werden. Alles andere sind Lippenbekenntnisse, um die alten Stalinisten in Ihrer Partei nicht zu verprellen. Das ist doch der Hintergrund. ({7}) Da wird doch nur formal eine Auseinandersetzung geführt, die inhaltlich überhaupt nichts bedeutet, weil viele nach wie vor der untergegangenen DDR nachtrauern. Wer genauer hinsieht, erkennt: Diese Trauer ist ungerechtfertigt, weil die Menschen gefangen genommen und beschnüffelt wurden und weil ein Unrechtsregime herrschte, das in sozialistischen Staaten häufiger zu finden war. Das ist eben nicht der Staat, den wir uns in der Bundesrepublik Deutschland wünschen. Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass Personen, die dieses Gedankengut verkörpern und als Abgeordnete versuchen, dafür zu werben, keine Mandate erhalten. Sollten sie doch Mandate erhalten, dann dürfen sie zumindest nicht die Regierung maßgeblich mitbestimmen. Aber in dieser Hinsicht erleben wir gerade etwas anderes. In Mecklenburg-Vorpommern gab es schon eine rot-rote Koalition. In Berlin gibt es derzeit die zweite rot-rote Koalition. In der SPD gehen die Reihen ganz schön auseinander. Ich behaupte nicht, dass jeder die Zusammenarbeit mit der Linkspartei möchte. Aber Sie wissen genau so gut wie ich, dass viele von Ihnen dies wünschen. An dieser Stelle muss man an Hessen denken. Wann kommt es in den westdeutschen Parlamenten dazu, dass die Linkspartei an Macht gewinnt, in dem sie zum Beispiel Frau Ypsilanti den Steigbügel reicht, damit sie Ministerpräsidentin werden kann? So, wie die gesamte Diskussion verläuft, wird die SPD wohl so vorgehen. ({8}) - Das ist nicht unsere Verantwortung, sondern Ihre, Herr Benneter. Wir haben uns vor der Wahl eindeutig erklärt. ({9}) Sie haben sich ebenfalls erklärt, und zwar vor der Wahl wie nach der Wahl. Wir werden sehen, ob Ihre Ankündigungen eingehalten werden. Ich habe massive Zweifel. ({10}) - Genau wie bei der Mehrwertsteuer: Vor der Wahl wollte Frau Merkel die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte erhöhen - das war für die SPD die sogenannte Merkelsteuer -; nach der Wahl wurde sie um 3 Prozentpunkte erhöht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dass Sie nicht mehr daran erinnert werden möchten, verstehe ich zwar, aber Sie müssen daran erinnert werden; denn ich habe die Sorge, dass Sie wieder so handeln werden und ein Wahlversprechen brechen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe dem Kollegen Sebastian Edathy, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Transparenz gehört zu den Wesensmerkmalen des deutschen Wahlrechts. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Wählerinnen und Wähler - egal wo sie zu den Wahlen eingeladen werden - davon ausgehen können, dass die auf den Listen zur Wahl stehenden Parteien von Menschen getragen werden, die hinter dem Programm der jeweiligen Partei stehen. Wir haben im Deutschen Bundestag erst vor wenigen Wochen diesbezüglich Konsequenzen gezogen. Ich hatte bereits in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Vorschlag eingebracht. Denn es ist ein Unding, wenn sich Kleinstparteien, um ihre Wahlchancen zu erhöhen, zusammenschließen, formal nur eine Partei antritt und die anderen huckepack genommen werden, indem entsprechende Kandidaten auf den Listen der kandidierenden Partei aufgestellt werden. ({0}) Ich hatte das damals mit Blick auf Verabredungen zwischen NPD und DVU vorgeschlagen, die Wahlabsprachen mit Blick auf mehrere Landtagswahlen und die Bundestagswahl getroffen hatten. Es trat nur eine Partei an; Kandidaten aus den Reihen der anderen Partei konnten sich aber auf die Listen setzen lassen. Ich glaube, das ist Irreführung und Täuschung der Wähler. Es ist richtig, dass wir das im Bundestag geändert haben. Ich kann nur an die Kolleginnen und Kollegen in den Länderparlamenten appellieren, sich das zum Vorbild zu nehmen, um sicherzustellen, dass Wählerinnen und Wähler nicht sozusagen eine Fata Morgana wählen, sondern eine Partei, die in sich konsistent ist. In Hamburg ist die Gesetzeslage anders. In Hamburg ist es noch möglich, dass Kandidaten anderer Parteien auf einer Parteiliste kandidieren. Solange das möglich ist, ist es eine Frage des Anstands jeder einzelnen Partei, ob sie diese gesetzliche Lücke nutzt. Die PDS hat sich entschieden, diese Lücke zu nutzen. Wenn Sie das tun, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen Sie sich auch zurechnen lassen, wer bei Ihnen kandidiert. Ich habe heute Morgen im Internet im Programm der DKP aus dem Jahr 2006 Folgendes gelesen - ich will nur einige Sätze zitieren -: Die Deutsche Demokratische Republik hat unter Führung der SED der Macht des deutschen Imperialismus Grenzen gesetzt. Vier Jahrzehnte lang war in einem Teil Deutschlands die Herrschaft der Monopole und Banken beseitigt. Die Befreiung vom Faschismus hatte dem deutschen Volk günstige Möglichkeiten für die Schaffung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung in ganz Deutschland eröffnet. Allerdings wurde diese Chance in konsequenter Weise nur im östlichen Teil, in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR, genutzt. Mit der DDR entstand auf deutschem Boden eine sozialistische Alternative zum deutschen Imperialismus. Die DDR, ihr konsequenter Antifaschismus, ihr Eintreten für Frieden, Entspannung und Abrüstung sowie die Verwirklichung elementarer sozialer Grundrechte gehören zu den größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung und sind Teil des humanistischen Erbes in Deutschland. ... Die Niederlage des Sozialismus ist zugleich das Ergebnis der äußeren und inneren Konterrevolution. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, wie Sie sich aktuell nennen, wenn Sie Kandidaten einer Partei, die diesen zynischen und menschenverachtenden Unsinn propagiert, auf Ihre Wahllisten setzen, dann müssen Sie sich solche Positionen auch zurechnen lassen; das ist ganz klar. ({2}) Sie sagen, die Liste in Hamburg sei eingereicht und könne nicht mehr zurückgezogen werden. Wenn dem so wäre und Sie es ernst meinten, dann könnten Sie heute im Deutschen Bundestag erklären, dass für den Fall, dass Ihre Bürgerschaftsfraktion in Hamburg Mitglieder hat, die der DKP angehören, diese Mitglieder ausgeschlossen werden. Wenn Sie das nicht tun, dann ist das ein Mangel an Glaubwürdigkeit. ({3}) Ich hoffe, dass sich die Wählerinnen und Wähler nicht nur am kommenden Sonntag in Hamburg vor Augen führen, dass die PDS alles andere als eine Partei ist, die für Ziele arbeitet. Meine Damen und Herren von der Linkspartei, Sie sind eine reine Protestbewegung. Das wird auch an Ihrem Personal deutlich. Sie haben mit Oskar Lafontaine einen Fraktionsvorsitzenden, dem nur eines wichtig ist, nämlich er sich selber. Die PDS segelt auf einem Boot ohne Kompass. Es kann passieren, dass hin und wieder der Wind weht und sich die Segel blähen. Aber die Wählerinnen und Wähler werden über kurz oder lang erkennen, dass Sie keinen Kurs und kein Ziel haben und dass bei allen Problemen, die wir in Deutschland haben, die Lösungskompetenz noch immer bei den eindeutig demokratischen Parteien liegt. Eine Partei, die Kommunisten, die die DDR verherrlichen, auf ihre Listen setzt, weckt Zweifel an ihrer demokratischen Zuverlässigkeit. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernhard Kaster, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Aktuellen Stunde befassen wir uns im Prinzip mit zwei Problembereichen. Der eine ist der formal-wahlrechtliche Problembereich - dazu ist schon einiges gesagt worden -, und der andere ist die politische Dimension. Sie stellt das eigentliche Kernproblem dar, über das wir hier zu sprechen haben. Zum Wahlrecht haben die Kollegen Edathy und Benneter schon einiges gesagt. Wir haben im Bundestag geregelt, dass man bei der Bundestagswahl formal nur für eine Partei und nicht gleichzeitig noch für eine andere kandidieren kann. Aber mit dem Wahlrecht alleine ist es nicht getan. Das eigentliche Problem ist damit nicht gelöst. Ob mit oder ohne DKP-Mitgliedschaft, es werden auf den Listen der Linken immer wieder Kommunisten kandidieren. Das muss uns bewusst sein. Der Ausschluss der niedersächsischen DKP-Abgeordneten aus der Fraktion Die Linke und die distanzierenden Äußerungen von Herrn Ramelow sind taktische Wahlkampfmanöver oder - besser gesagt - reine Heuchelei. Das will ich auch begründen. ({0}) Der gleiche Herr Ramelow hat erst vor wenigen Tagen, am 7. Februar, in einer Phoenix-Runde stolz erklärt, die Linke sei nicht die Nachfolgepartei der SED, nein, sie sei mit ihr identisch. Wo Herr Ramelow recht hat, hat er recht. ({1}) Die enge Verbandelung der SED, die sich heute Die Linke nennt, mit der DKP hat eine lange Tradition. Ich erinnere an die Ergebnisse der Unabhängigen Kommission „Parteivermögen“. Danach hat die DKP in den Jahren 1981 bis 1989 Zahlungen in Höhe von über 500 Millionen DM erhalten; das ist erwiesen. Des Weiteren haben die DKP und die Linke seit Jahren gemeinsame Vorbilder. Ein Beispiel ist der verstorbene ehemalige DDR-Auslandsspionagechef und erste Stellvertreter von Stasi-Chef Mielke, Markus Wolf. Im Nachruf des Parteiorgans der DKP Unsere Zeit wird Markus Wolf als kluger, aufrechter und dem Sozialismus zutiefst verbundener, warmherziger und standhafter Kommunist geschildert. Er sei seinen Weg stets aus Überzeugung gegangen. Bei der Linken liest sich dies laut Neues Deutschland wie folgt: Wir trauern um unseren Freund und Genossen, ... der aufrecht durch sein Leben ging. Die Anzeige war unter anderem auch von Frau Petra Pau unterzeichnet. Heute schickt man nun gemeinsame Kandidaten in die Wahlkämpfe, zunächst in Niedersachsen und jetzt in Hamburg den ehemaligen Direktkandidaten der DKP und heutigen DKP-Bezirksvorsitzenden. Eine Vielzahl weiterer Kandidaten ist auf den Bezirkslisten zu finden. Vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte erfüllt es mich mit großer Sorge, dass extremistische Parteien wieder in deutschen Parlamenten Fuß fassen. Links- und Rechtsextreme dürfen nicht wieder, und zwar egal mit welchen Steigbügelhaltern, politischen Einfluss in Deutschland gewinnen. ({2}) Auch dürfen wir nicht in unserem Bemühen nachlassen, weiter vor den Extremisten zu warnen. Die SED hat schon einmal mit einem menschenverachtenden Unterdrückungssystem unser Land ruiniert. Ich selbst komme aus Trier, der Geburtsstadt von Karl Marx. Ich selbst und jeder, der sich mit ihm beschäftigt, weiß, dass die ärmlichen Lebensumstände in Deutschland und Europa am Anfang des 19. Jahrhunderts seine politische Philosophie geprägt haben. Heute aber stehen wir am Beginn des 21. Jahrhunderts, und zudem wissen wir, wie viel Unglück und Unterdrückung der Marxismus im vergangenen Jahrhundert der Menschheit gebracht hat. Wenn heute Kandidaten für den Landtag von Niedersachsen Sehnsucht nach der Stasi haben oder solche in Hamburg die Verstaatlichung der Wirtschaft fordern, dann sind das keine Ausrutscher. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte recht, als sie am 16. Februar kommentierte: Die westdeutschen Kader können sich einfach noch nicht so gut verstellen. Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Christian Carstensen, SPD-Fraktion. ({0})

Christian Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003745, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde hat heute einen langen Titel. Man kann ihn - das ist zum Teil hier schon gemacht worden - auf die Frage verkürzen: Was handeln wir uns da eigentlich ein? Was handeln sich eigentlich die Wählerinnen und Wähler der Landesparlamente ein, wenn sie nicht zur Wahl gehen, weil sie glauben, es sei egal, welche Partei und welche Abgeordneten im Parlament sind, und dadurch den prozentualen Anteil dieser Truppe erhöhen? Manche werden sogar ihr Kreuz bei der PDS machen in der Annahme, man könne es einmal im Westen mit dieser Ostpartei probieren. Eine Ostpartei ist es, das können wir hier im Deutschen Bundestag an der Vielzahl der Redebeiträge und Anträge sehen; von gesamtdeutscher Verantwortung ist da überhaupt nichts zu spüren. ({0}) Deshalb ist auch ganz klar, dass so eine Partei in westdeutschen Landesparlamenten überflüssig ist. Bisher gibt es die PDS in drei Landesparlamenten. Das erste Beispiel ist Bremen. Dort beschäftigt sich die Fraktion der Linken mit allem, nur nicht mit den Sorgen der Bremerinnen und Bremer. Sie machen Schlagzeilen mit Liebes-SMS und mit komischen Mails. Ein weiteres Beispiel ist Hessen, wo 5,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler durch ihre aus meiner Sicht falsche Entscheidung verhindern, dass wir einen klaren Schnitt und soziale und ökologische Politik machen können. ({1}) Wir haben in Niedersachsen eine DKP-Abgeordnete mit lauter Stasi-Fantasien. Das Problem ist - das ist bereits gesagt worden - eben nicht erledigt. Diese Dame ist bis 2013 Landtagsabgeordnete; ({2}) sie ist noch fünf Jahre Abgeordnete. Das Parlament hat sich noch nicht einmal konstituiert. Niemand sollte glauben, dass man mit einer solchen Truppe die Zukunft gestalten kann. Am wenigsten sollten das die Menschen glauben, für die es notwendig ist, dass sich die Politiker in den Parlamenten mit ihren Sorgen beschäftigen. Deswegen sind alle Wählerinnen und Wähler aufgerufen, am Sonntag in Hamburg zu verhindern, dass die PDS unter neuem Namen in die Hamburgische Bürgerschaft einzieht. ({3}) Das ist möglich. Viele haben ja den Eindruck, dass Umfragen sozusagen schon Wahlergebnisse sind. In Hamburg liegt diese Truppe in den Umfragen bei 9 Prozent. Tatsache ist aber: Erst am Sonntag wird gewählt. ({4}) Noch können die Wählerinnen und Wähler, zum Beispiel durch eine hohe Wahlbeteiligung, verhindern, dass zehn DKP-Mitglieder in die Hamburgische Bürgerschaft einziehen. ({5}) Zu dieser Truppe ist schon viel gesagt worden. Ich will dennoch ein Zitat vom 16. Februar hinzufügen. Ich zitiere eine Kandidatin für die Bürgerschaft: Wir müssen aber auch die Frage diskutieren, wie sich eine sozialistische Gesellschaft oder eine Gesellschaft, die sich demokratisieren will, gegen Angriffe schützen kann. Das ist ein Zitat von Frau Grotehusmann, Kandidatin der Linken. - Herr Maurer, Sie haben gesagt, Leute wie Frau Wegner, die so einen Unsinn erzählen, hätten bei Ihrer Landtagsfraktion, bei ihrer Truppe nichts zu suchen. ({6}) Aber die Hamburgerinnen und Hamburger können nicht darauf warten, dass Sie hier so etwas erklären oder abwarten, wie Sie sich nach der Wahl verhalten. Wir wollen in Hamburg keinen DDR-Sozialismus. ({7}) Wir wollen auch keine Fantasien in dieser Richtung. Wir wollen in Hamburg keine Leute, die davon träumen, sich zu demokratisieren, und die meinen, dass sie sich schützen müssen. Wir haben in Hamburg zum Glück eine Demokratie, weil Sie dort nie etwas zu sagen hatten. ({8}) Unter dem Deckmantel des neuen Namens - und nicht nur ich finde es anmaßend, dass Sie jetzt einfach sagen, Sie seien die Linke, nachdem Sie sich vorher SED, PDS oder wie auch immer genannt haben ({9}) können jetzt natürlich Leute in die Parlamente, möglicherweise auch in die Hamburgische Bürgerschaft, schlüpfen - Klaus-Uwe Benneter hat das richtig gesagt -, die sonst nie eine Chance gehabt hätten, gewählt zu werden. Das sind Leute, die, wenn wir nicht aufpassen, verhindern, dass Hamburg wieder zusammenwächst, dass in Hamburg ab März die Studiengebühren wieder abge15288 schafft werden, dass die Kitagebühren stufenweise abgeschafft werden, dass das Büchergeld abgeschafft wird, dass sich Hamburg für den Mindestlohn einsetzt. ({10}) Das wollen wir in Hamburg nicht. Das wollen wir in ganz Deutschland nicht. Deswegen, liebe Wählerinnen und Wähler, passen Sie auf: Die PDS ist immer noch die PDS, mit DKP-Unterstützung, und ist nicht zu wählen. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Carstensen, was Sie zur Linkspartei gesagt haben, hat mir gut gefallen. Zusätzlich haben Sie noch ein bisschen Wahlkampf gemacht. Ich habe die herzliche Bitte, dass Sie sich auch nach der Wahl noch an das erinnern, was Sie den Bürgern vor der Wahl gesagt haben. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was man Herrn Maurer und der Linkspartei nicht durchgehen lassen darf, ist die Behauptung, die auch heute wieder erhoben worden ist, man habe nicht gewusst, wen man da aufgestellt habe. ({1}) Ich komme aus Niedersachsen. Christel Wegner ist seit 40 Jahren in Niedersachsen für die DKP aktiv. ({2}) Frau Kollegin Stokar, ich weiß nicht, ob es zu indiskret ist, wenn ich das erzähle: Wir haben über Frau Wegner gesprochen, und Sie haben gesagt, wenn Sie Frau Wegner auf Demonstrationen getroffen haben, dann haben Sie darauf geachtet, dass sie immer möglichst weit hinten marschiert. - Insofern hat die Linke ganz genau gewusst, wen sie da aufstellt. Es ist Ihnen aber egal gewesen, weil es Ihnen nur um eines ging, nämlich darum, dass die DKP nicht antritt, Sie die Infrastruktur der DKP nutzen können und Sie auf diesem Weg in den Niedersächsischen Landtag kommen. Das war der entscheidende Punkt. ({3}) Ich finde es geradezu bedrückend, wenn Frau Wegner jetzt erklärt, sie freue sich diebisch, dass sie die Medien durch die öffentliche Benennung ihrer Parteizugehörigkeit zum Beweis gezwungen habe, dass es die DKP in Deutschland noch gebe. ({4}) Das zeigt: Die DKP benutzt die Linke als Steigbügelhalter, um in die Parlamente zu kommen, und zwar mit Erfolg. Was der SED und der Stasi mit vielen Millionen Mark bis 1989 nicht gelungen ist, das hat die Linke jetzt geschafft. Das ist ein skandalöser Vorgang in Anbetracht der Wahl in Niedersachsen. ({5}) Es ist hier viel zitiert worden; das, was zitiert worden ist, wurde allerdings immer nach den Äußerungen von Frau Wegner gesagt. Ich bin auf eine Äußerung der Hamburger Spitzenkandidatin der Linken, Dora Heyenn, gestoßen. Sie hat ein Gespräch mit der Welt geführt, das am 14. Februar abgedruckt worden ist; da wusste man noch nichts von den Äußerungen von Frau Wegner. Frau Heyenn ist nach Olaf Harms, dem DKP-Kandidaten in Hamburg gefragt worden. Ich zitiere, was Frau Heyenn in der Welt gesagt hat: Auch wenn er - Harms - visionär in eine völlig andere Richtung arbeitet, bei den kurzfristigen Zielen sei sich ihre Partei mit der DKP völlig einig. ({6}) Man muss sich diese Aussage vor Augen halten: Kurzfristig will man gemeinsam in die Bürgerschaft, und nach der Wahl bricht dann die visionär völlig andere Richtung durch. Das ist systematische Wählertäuschung. ({7}) Es ist hier doch erwähnt worden: Herr Harms ist nicht irgendein Mitläufer, irgendein Unbekannter. Er ist DKPVorsitzender von Hamburg. Sie haben gesagt: So ganz detaillierte Äußerungen hat man von ihm ja noch nicht gehört. Erstens hat der Kollege Koschyk solche Äußerungen zitiert; zweitens hat der Kollege Edathy aus dem DKP-Programm zitiert. Die Verharmlosung von Mauer, Stasi und Stacheldraht gehört bei der DKP zum Programm. Herr Harms ist Vorsitzender der Hamburger DKP. Damit ist er übrigens einer der Nachfolger unseres Kollegen Gehrcke. Da braucht man keine spezifischen Äußerungen mehr. Da muss man sich entweder klar distanzieren, oder man ist angesichts einer solchen Entwicklung völlig unglaubwürdig. ({8}) Ich warne allerdings davor, dass wir nur in diese Richtung argumentieren, wenn wir uns mit der Linkspartei auseinandersetzen. Herr Maurer sitzt da relativ entspannt, weil es ihm in seiner Rede heute nur auf eines ankam: kurz vor der Wahl in Hamburg noch einmal ein bisschen Kapitalismuskritik zu betreiben und den Eindruck zu vermitteln, die soziale Gerechtigkeit sei bei der Linken in guten Händen. Ich will gerade vor der Hamburg-Wahl einmal daran erinnern, wie es dort aussieht, wo Sie Verantwortung tragen: in Berlin. Sie haben in Berlin, wo Sie dem Senat angehören - das muss man denen, die uns kurz vor der Hamburg-Wahl zuschauen, auch einmal sagen -, in den letzten fünf Jahren 160 Millionen Euro bei Kinder- und Jugendeinrichtungen und bei den Hilfen zur Erziehung gestrichen, Sie haben 140 Jugendeinrichtungen geschlossen, Sie haben beim Personal in den Kitas gespart, Sie haben die Lehrmittelfreiheit eingeschränkt, und Sie haben das Blindengeld gekürzt. In Berlin ist jedes dritte Kind von Kinderarmut betroffen. Die Menschen werden ärmer durch Ihre Politik, und es geht ihnen nicht besser. ({9}) - Dass Sie jetzt so laut brüllen, zeigt allen Zuschauern, dass Sie das in Wahrheit am meisten trifft. ({10}) Das wird man Ihnen ebenfalls vorhalten müssen. Ich sage Folgendes: Vielleicht müssen wir die Äußerung von Frau Wegner ganz anders einordnen; die Kollegin Sager hat das getan. Vielleicht spricht sie nur das aus, was bei den Linken in Wahrheit viele denken: dass die DDR eben keine Deformation des Sozialismus war. Im Grunde sagt Frau Wegner das, was früher in der DDR als Parteilinie galt: Die Stasi ist Schwert und Schild der Partei. Im Grunde sagt uns Frau Wegner: Sozialismus, so wie ihn viele bei der Linken wollen, geht eben nicht ohne Stasi. Dann bin ich allerdings entschieden dafür, zu zeigen, dass es in der deutschen Politik ohne die Linken geht. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Garrelt Duin, SPD-Fraktion. ({0})

Garrelt Duin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003751, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in meiner Nebenfunktion als Landesvorsitzender der niedersächsischen SPD ({0}) dieses Ehrenamt habe ich noch; die niedersächsische SPD macht eine schwere Zeit durch; sie hat ein schlechtes, sogar katastrophales Wahlergebnis erzielt - will ich Folgendes deutlich und mit aller Entschiedenheit sagen: Dafür, dass ein DKP-Mitglied in einem Landtag sitzt, trägt einzig und allein die Linkspartei und niemand sonst die Verantwortung. ({1}) Wir müssen das auf den Punkt bringen: Die Linkspartei hat unter ihrer Flagge Leute wie Frau Wegner mitsegeln lassen, tut das Gleiche jetzt in Hamburg. Wir müssen klar erkennen, dass der Ausschluss aus der niedersächsischen Landtagsfraktion jetzt, sozusagen nach getaner Arbeit, rein taktischer Natur ist, ({2}) um vor der Hamburg-Wahl ein bisschen Ruhe zu haben. ({3}) Wer glaubt denn, dass der Landesvorsitzende der Linkspartei in Niedersachsen, der Stasiinformant Dehm, wirklich ein ernsthaftes Interesse an der Aufarbeitung der Zusammenarbeit von Linkspartei und DKP hat? ({4}) Hochgradig unglaubwürdig ist dieser Mann. ({5}) Ich will deutlich machen, dass es hier nicht nur um die DKP geht, sondern um große Teile der Linkspartei selbst. Die sogenannte antikapitalistische Linke, eine Gruppe innerhalb der Linkspartei, der Bundestagsabgeordnete wie Frau Höger, Frau Hirsch und Frau Jelpke angehören, hat erst vor kurzem einen Aufruf zu den anstehenden Wahlen verabschiedet, in dem steht, Erfolg für die Linkspartei sei gerade auch der Solidarität der DKP zu verdanken, und dieser Weg müsse solidarisch fortgeführt werden. ({6}) Das ist nicht Zitat DKP; das ist Linkspartei original. Mitglieder des Deutschen Bundestages, Ihrer Fraktion, äußern das in diesen Tagen. Deswegen ist es so von Doppelmoral geprägt, wenn Herr Maurer so tut, als ob er damit überhaupt nichts zu tun hätte. ({7}) Herr Maurer, Sie haben hier gesagt, die Linkspartei sei seit Jahren, fast schon seit Jahrzehnten ganz intensiv dabei, die Geschichte aufzuarbeiten. ({8}) Das ist fast zum Lachen, wenn es nicht so bitter wäre. ({9}) Herr Modrow hat im Jahr 2006 noch einmal zum Besten gegeben, dass die Verantwortung für die Toten an der Mauer die Verantwortlichen auf beiden Seiten zu tragen hätten. Empfinden Sie das als Aufarbeitung? ({10}) Frau Sahra Wagenknecht, nicht irgendwer in Ihrer Partei, Mitglied des Europäischen Parlaments, ({11}) spricht bis heute davon, dass die Mauer ein notwendiges Übel gewesen sei. Denken Sie, das ist Aufarbeitung der Geschichte? Nein, meine Damen und Herren, davon sind Sie leider noch weit entfernt. ({12}) Kurt Schumacher hat am 30. März 1930 - ich bitte Sie, den historischen Zusammenhang dabei sehr genau zu beachten - in Eßlingen gesagt, als er über Kommunisten sprach, dass Kommunisten in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten seien. ({13}) Er hat damals gesagt, beiden gemeinsam sei der Hass gegen die Demokratie. ({14}) Wir sind anlässlich dieser Debatte wirklich an dem Punkt, an dem es wieder um die Frage gehen muss, welches Verständnis Sie als Linkspartei insgesamt mit Ihren diversen Mitgliedern, die ich gerade zitiert habe, gegenüber der Demokratie haben. Diese Frage können aber nicht wir beantworten; die müssen Sie beantworten. ({15}) Es geht dabei um die Aufarbeitung der Geschichte der DDR, und zwar nicht nach dem Motto Good Bye, Lenin, ein bisschen als Komödie und Ostalgie. Ich habe mit Erschrecken gelesen, dass in Berlin ein neues Hotel aufgemacht hat, in dem nur Ostmöbel und Ostprodukte verwendet werden. Wenn das die Aufarbeitung sein soll, dann sage ich: Das reicht nicht. Wir brauchen eine Aufarbeitung - ich will bei den Filmtiteln bleiben - à la Das Leben der Anderen. Darin wird sehr viel mehr über die Wahrheit gesprochen. Ein solcher Film ist ein wesentlich besserer Anlass, die Aufarbeitung in die Hand zu nehmen, als es reine Komödien sind. Ich bin davon überzeugt, dass die Linkspartei so lange nicht in der Lage sein wird, etwa in Koalitionen einzutreten, solange sie diese Aufarbeitung nicht geleistet hat. ({16}) Ich bin fest davon überzeugt, dass im Zusammenhang mit den in Rede stehenden Landesparlamenten - Sie haben über Hamburg gesprochen, und wir reden über Hessen ({17}) verantwortungsvolle Sozialdemokraten sich von dieser Linkspartei nicht in irgendwelche öffentlichen Ämter wählen lassen. Ich bin davon überzeugt und setze darauf, dass das so bleibt. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert - Drucksache 16/6796 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit - Drucksache 16/8181 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion. ({2})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Nach dieser turbulenten Debatte kommen wir zu einem anderen Thema, das nicht minder wichtig ist. Die FDPFraktion legt Ihnen heute einen Antrag vor mit dem Titel: „Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert“. Sie werden sich fragen, was dahintersteht. Ich möchte Ihnen sagen, dass beim energiepolitischen Dreiklang von Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit die Säule der Versorgungssicherheit - so könnte man sagen - zu einer vergessenen Säule geworden ist. Wir haben in diesem Parlament über viele Monate über Atomausstieg, Emissionshandel, Ostseepipeline, Kohleverstromung - diese wurde ja immer wieder verGudrun Kopp teufelt - und viele Themen mehr, so natürlich auch über den Klimaschutz, diskutiert. Das alles sind sehr wichtige Themen, aber in der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, als gebe es in puncto Sicherheit der Energieversorgung in Deutschland absolute Garantien und keinerlei sich in irgendeiner Weise auftuende Lücken. Dem ist nicht so. Das anzunehmen, wäre ein ganz großer Irrtum; denn die Sicherheit der Versorgung unseres Landes mit Strom für Mobilität und Wärme ist eben nicht garantiert. Ich nenne Ihnen ein paar Daten zur Energieabhängigkeit Deutschlands. Wir sind derzeit insgesamt zu 70 Prozent von Energieimporten abhängig: beim Mineralöl zu 100 Prozent, bei der Steinkohle zu 60 Prozent, bei Gas allein aus Russland zu 35 Prozent. Lediglich bei der Braunkohle können wir uns selbst versorgen. Zugleich haben wir uns hohe Klimaschutzziele gesetzt, die die FDP-Fraktion ebenso unterstützt. Wir sagen aber deutlich: Wer Versorgungssicherheit will, der muss Ja zu einem breiten Energiemix sagen und darf die Kernenergie dabei nicht ausschließen. ({0}) Vor dem Hintergrund, dass ein Drittel des Stromverbrauchs innerhalb Deutschlands bis 2020 durch erneuerbare Energien gedeckt werden soll und sogar 50 Prozent des Stromverbrauchs bis 2050, müssen alle, die hier Verantwortung tragen, die Frage beantworten, wie denn ihr Konzept aussieht, um die restlichen 70 bzw. 50 Prozent des Energiebedarfs tatsächlich abzudecken. Diese Antwort bleiben Sie schuldig. Deshalb sind wir der Meinung, dass Energiepolitik nicht nur die Ressorts Umwelt und Energie betrifft, sondern auch die Ressorts Entwicklungshilfe sowie Außen- und Sicherheitspolitik betreffen muss. ({1}) - Herr Meyer! - Der Bundesregierung fehlt ein zusammenhängendes Konzept für die nationale und die europäische Energiepolitik. Sie können sich nicht länger auf das Umwelt- und Wirtschaftsressort beschränken, sondern Sie müssen dieses Thema umfassend sehen und entsprechend behandeln. Dabei ist es kein Geheimnis, dass wir bis weit über das 21. Jahrhundert hinaus von Rohstoffen abhängig bleiben werden, die Erdöl, Kohle, Erdgas und auch Kernenergie heißen. Hier brauchen wir tatsächlich dieses Konzept. Der Ihnen heute vorliegende Antrag, mit dem wir die Bundesregierung vorantreiben wollen - es geht um ein nötiges Konzept auf Deutschland- und EU-Ebene -, enthält einige Forderungen, von denen ich nur wenige zitieren möchte. Erstens. Es geht uns um die Benennung und die Sicherung der Energieinfrastruktur im Rahmen von EU und NATO. 80 Prozent der Leitungen für Erdgas, mit dem Deutschland beliefert wird, verlaufen durch die Ukraine. Wenn Sie sich überlegen, wie leicht sich bei dieser Lieferkette Unterbrechungen ergeben könnten, dann ist das Thema Energieinfrastruktursicherheit absolut wichtig und notwendig. Wenn Sie darüber hinaus sehen, welche sicherheitspolitischen Aspekte sich bei möglichen Terroranschlägen ergeben, dann brauchen wir auch dafür ein Konzept, um die Sicherheit tatsächlich zu gewährleisten. Zweitens. Wir brauchen eine verstärkte Zusammenarbeit bei den Versorgungsunternehmen, und zwar bei der Bevorratung von Erdgas- und Erdölreserven. Wir müssen uns hier auf ein gegenseitiges Konzept der Hilfe verständigen. Drittens. Wir brauchen vor allen Dingen die Beendigung der Verhandlungen über die Energiecharta. Diese Verhandlungen laufen schon seit längerem, aber kommen einfach nicht zum Abschluss. Es geht um den gegenseitigen Marktzugang, Investitions- und Rechtssicherheit - auch das ist ein wichtiger Punkt - und die Aufnahme der weltweiten WTO-Streitschlichtungsmechanismen. Auch dieser Punkt würde uns energiepolitisch weiterbringen. Viertens. Wir als Liberale haben in einem anderen Antrag bereits sehr detailliert die Einführung einer EUWettbewerbsbehörde, einer EU-Kartellbehörde gefordert. Auch das ist wichtig, um protektionistische Marktmechanismen zu vermeiden, die sich hier sehr wohl auftun, weil wir es häufig mit Staatsunternehmen zu tun haben, bei denen eine politische Lenkung zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Wir brauchen eine verstärkte Wettbewerbsaufsicht. Diese möchten wir im Rahmen eines EU-Kartellamtes gesichert wissen. Fünftens. Die Energieforschung ist ein absolut wichtiger Punkt, bei dem wir kooperieren sollten und bei dem die Schwerpunkte nach liberaler Überzeugung bei der tatsächlichen Erforschung der Energiespeicherung liegen sollten. Wenn wir da weiterkämen, hätten wir auch im Bereich der instabilen erneuerbaren Energien ganz andere Effizienzen. Darüber hinaus müssen wir weiter auf den Gebieten der Kernenergie und der Sicherheitstechnologie forschen. Kurz und gut: Der Antrag, den Ihnen die FDP heute vorlegt, wird hoffentlich bei Ihnen allen die notwendigen Denkprozesse initiieren, damit ein Gesamtkonzept endlich auf den Tisch kommt und die Verengung auf nur ein Thema oder zwei Themen aufhört, denn Energiepolitik ist eine wichtige Lebensader. Ich schließe mit dem Satz: Wer Energie hat, hat die Macht. Wer Energie hat, sichert auch Wohlstand. ({2}) Insofern freue ich mich auf die Debatte und am Ende dann hoffentlich auch auf die Konzepte der Bundesregierung, die uns an dieser Stelle unbedingt weiterbringen sollten. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe der Parlamentarischen Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium Dagmar Wöhrl das Wort.

Dagmar G. Wöhrl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002829

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Kopp, wenn ich sage, dass das Thema der sicheren Energieversorgung für die Bundesregierung ein wichtiges Thema ist, dann dürfen Sie mir das glauben. Das kann man an den Ergebnissen unseres Energiegipfels und an dem integrierten Energie- und Klimaprogramm sehen. An diesen Programmen, die wir in den letzten zwei Jahren auf den Weg gebracht haben, kann man auch unsere energieaußenpolitische Zieltriade erkennen, nämlich erstens Energiequellen und Energietransportwege zu diversifizieren, zweitens noch mehr Energie zu sparen und effizienter zu nutzen und drittens die erneuerbaren Energien auszubauen. Wir haben während unserer EU-Ratspräsidentschaft im letzten Jahr einen energiepolitischen Aktionsplan mit sehr ehrgeizigen Zielen verabschiedet, an dem wir arbeiten und den wir Stück für Stück umsetzen. Er verbindet Versorgungssicherheit und Klimaschutz durch Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Senkung des Energieverbrauchs. Das betrifft verschiedene Bereiche: das Erneuerbare-Energien-Gesetz - über dessen Novellierung wir heute Morgen sehr intensiv diskutiert haben -, das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, die Biogaseinspeisung und die Eckpunkte für die Energieeinsparung. In Ihrem FDP-Antrag sprechen Sie von Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene. Sie sprechen von einem liberalisierten Energiewettbewerb und vom Vorantreiben des Ausbaus grenzüberschreitender Netzkapazitäten für Strom und Erdgas. Hier besteht Konsens zwischen uns und der FDP. Das sind Punkte, an denen wir arbeiten und die wir im Rahmen verschiedener Gesetze schon auf den Weg gebracht haben. Ich erwähne hier nur die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung, die Anreizregulierungsverordnung und die GWBNovelle, wodurch endlich eine verschärfte Missbrauchsaufsicht möglich wird. Das heißt aber auch, dass Wettbewerb in den leitungsgebundenen Sektoren nur dann möglich ist, wenn es - auch da besteht Konsens - in diesem Bereich ausreichende Leitungskapazitäten gibt. Eine Beschleunigung des Netzausbaus ist für uns sehr wichtig. Hier sind noch viele Verbesserungen nötig. Wir merken, dass oftmals vor Ort, in den Kommunen, in den Ländern, Investitionen auf der Strecke bleiben, auch durch verlangsamte Planungsverfahren. Deswegen arbeitet unser Ministerium an einem Gesetz mit einem vordringlichen Bedarfsplan für die Übertragungsleitungen. Durch die dena-Netzstudie I - jetzt kommt auch die Netzstudie II - wissen wir, dass wir, wenn man einen Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch von 20 Prozent unterstellt, allein bis zum Jahr 2015 845 Kilometer Fernleitungstrassen hinzubauen müssen. Das heißt, wir müssen zu einem beschleunigten Verfahren in diesem Bereich kommen. ({0}) Für den grenzüberschreitenden Stromnetzausbau, der ebenfalls ein wichtiger Punkt ist und den Sie auch in Ihrem Antrag angesprochen haben, sind wir in Gesprächen mit den Benelux-Staaten und Frankreich und den dortigen Netzbetreibern. Für uns ist wichtig, eine regionale Stromhandelsbörse zu schaffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Energieaußenpolitik ist für die Regierung ein wichtiger Bestandteil der Außenwirtschaftspolitik. Minister Glos wird am Wochenende wieder in die kaspische Region reisen, und mehr als 80 Unternehmer werden ihn auch dieses Mal begleiten. Dabei wird es um Förderung des Exports von Energieeffizienz- und Erneuerbare-Energien-Technologien gehen. Ich glaube, dass wir mit unseren Exportinitiativen „Erneuerbare Energien“ und „Energieeffizienz“ sehr gut aufgestellt sind. Wir helfen sehr vielen deutschen Unternehmen, im Ausland Geschäfte in diesem Bereich zu tätigen. Außerdem tragen wir mit dazu bei, unsere Spitzentechnologie im Bereich der erneuerbaren Energien weltweit zu vertreiben. Daneben ist es aber auch wichtig, dass wir zur Erschließung neuer Quellen für die Energieversorgung kommen. Wir brauchen dazu sehr viele bilaterale Gespräche und einen intensiven Dialog mit großen Erzeugerländern wie Russland und Norwegen. Frau Kopp hat es schon angesprochen: Russland hat einen Anteil von 35 Prozent und Norwegen von 27 Prozent an unserer Gasversorgung. Die Bedeutung dieser Länder wird nicht weniger werden, sondern zunehmen. Deswegen ist der Dialog mit diesen Ländern sehr wichtig. Aber der Dialog mit den vielen Transit- und Verbraucherländern darf dabei nicht auf der Strecke bleiben. Wir haben 2006 das deutsch-indische Energieforum gegründet. Wir stehen, was den Energiesektor anbelangt, in enger Kooperation mit China. Ich will in diesem Zusammenhang noch die Internationale Energie-Agentur erwähnen, die für die Verhinderung von Ölkrisen eine wichtige Rolle spielt. Sie haben auch die Energieforschung angesprochen, Frau Kopp. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben das 5. Energieforschungsprogramm auf den Weg gebracht. Im Rahmen dieses Programms werden wir 1,7 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Forschung und Weiterentwicklung vor allem im Bereich der emissionsfreien fossilen Kraftwerke und der Brennstoffzellen voranzutreiben. Es geht aber auch um die Weiterentwicklung von Brennstoffzellen sowie um die Wasserstofftechnologie und die Technik für CO2-Trennung und CO2-Einlagerung. Das sind nur einige Beispiele. Ich kann nicht alle aufzählen. Wir können zu Recht behaupten: Wir sind gut aufgestellt. In vielen Bereichen sind wir sogar internationale Spitze. Ich denke dabei an unsere Technologien im BeParl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl reich der erneuerbaren Energien. Wenn man gut aufgestellt ist, bedeutet dies aber nicht, dass man nicht noch besser werden kann. Wir arbeiten intensiv daran, in vielen Bereichen noch besser zu werden. Wir würden uns natürlich sehr freuen, wenn wir auch zukünftig die Unterstützung der FDP hätten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Frau Kopp, wir brauchen ein zusammenhängendes Konzept, das ökologische, soziale und Entwicklungsperspektiven mit ökonomischen verbindet. Aber genau das vermisse ich in Ihrem Antrag. ({0}) Sie orientieren sich einseitig an den ökonomischen Interessen. Der Klimawandel bedroht die Existenz von Millionen von Menschen. Er bedroht vor allem die Menschen in den Entwicklungsländern, die vom Wohlstand wegen des fehlenden Zugangs zu Energie bis jetzt ausgeschlossen sind. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, die nationalen Treibhausemissionen um mindestens 40 Prozent und nicht nur um 20 Prozent zu reduzieren. Andererseits müssen die Zahlungen für die Bewältigung des Klimawandels in den Entwicklungsländern erhöht werden. In der Entwicklungszusammenarbeit muss der Technologietransfer für regenerative Energien und Energieeffizienz verstärkt werden. Das findet man in Ihrem Antrag aber nicht. ({1}) Sie setzen im Wesentlichen auf Ausweitung des Freihandels, auf Atomenergie und auf eine Energie-NATO, womit diese Probleme nicht gelöst, sondern verstärkt werden. Die meisten Menschen in den Entwicklungsländern haben bis heute keinerlei Zugang zu Energie. Sie befürchten sogar, dass sie über die Begrenzung der Emissionen ihrer Entwicklung zum Wohlstand beraubt werden sollen. Der Hauptzuwachs am weltweiten Energiebedarf kommt natürlich von Schwellenländern wie China. Vergleicht man aber den Pro-Kopf-Bedarf an Energie, liegen Industrieländer wie Deutschland und die USA noch immer weit vorne. Daraus ergibt sich für uns die Verantwortung, vor allem unseren Bedarf abzusenken. Wir müssen in der Energieaußenpolitik von dem Leitbild ausgehen: Jeder Mensch auf der Erde hat das gleiche Recht an der Nutzung der Atmosphäre. Die Industrieländer haben nicht das Recht, heute die Rohstoffe zu verschwenden, die andere Länder morgen selbst brauchen. ({2}) Deshalb noch einmal - obwohl darüber bereits heute Morgen diskutiert wurde -: Mit der Biokraftstoffquote sorgt die Regierung weiterhin für das Abholzen der Regenwälder, die Verknappung und Verteuerung von Lebensmitteln und den Ruin von Kleinbauern. Deshalb muss die Quote zurückgenommen werden und reicht eine Nachhaltigkeitsverordnung für die Lösung dieses Problems nicht aus. Wir brauchen erst recht keine weitere Handels- und Investitionsliberalisierung, Frau Kopp. Wir brauchen im Gegenteil ein internationales Investitionsregime bei der UN, ({3}) das menschenrechtliche, soziale, gewerkschaftliche und ökologische Standards auch für transnational agierende Konzerne festlegt. Diese müssen dann allerdings auch sanktionsfähig sein, nicht aber die WTO. Es ist richtig: Die Energieversorgung ist von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und vom Uran geprägt. Gerade vor diesem Hintergrund ist aber Ihr Versuch, die Atomenergie zu rechtfertigen, lächerlich. Ich will gar nicht auf die ungelöste Entsorgungsfrage, die Kinderkrebsstudie oder das Risiko atomarer Unfälle eingehen. Bleiben wir bei der Rohstofffrage. In der Uranversorgung sind wir zu 100 Prozent vom Ausland abhängig. Das derzeit wirtschaftlich zu fördernde Uran reicht für etwa 70 Jahre. Wird der Bedarf gesteigert, reduzieren sich die Vorräte ganz schnell. Durch den Uranabbau werden Regionen radioaktiv verseucht. Derzeit werden Vorkommen abgebaut, die circa 1 Prozent Uran enthalten. Fast das gesamte schwachstrahlende Material bleibt als Abraumhalde erhalten ebenso wie die Schlammmassen, die durch die Abtrennung entstehen. Je länger die Atomenergie genutzt wird, je größer der Bedarf, umso mehr muss auf schlechte Erze zurückgegriffen werden. Die ökologischen Schäden in den Abbaugebieten würden sich potenzieren. Das ist nicht vertretbar, schon gar nicht, weil es bessere Alternativen gibt. ({4}) Sie setzen neben der Atomenergie auch auf die Energie-NATO. Der Krieg um Öl hat eine lange Tradition leider. In der Vergangenheit ging es vor allem um den Profit aus der Verwertung der Ressourcen. Heute kommt die Frage der Versorgungssicherheit hinzu. Folgen des Klimawandels, Umweltkrisen, Dürren und Wasserknappheit verschärfen Landnutzungskonflikte. Umweltprobleme erhöhen kriegerische Gefahren. Die Bundesregierung hat leider 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen zum vitalen Sicherheitsinteresse Deutschlands erklärt. Das ist verheerend und verschärft die Kriegsgefahr weltweit, statt für friedliche Lösungen zu sorgen. Wir brauchen keine Bereitstellung einer Energie-NATO für einen Krieg um Rohstoffe. Wir brauchen eine Energiewende. Wir brauchen Verfahren und Institutionen, die die Verteilung der knappen Ressourcen friedlich und gerecht lösen. Wir brauchen eine größere Unabhängigkeit von Rohstoffimporten. ({5}) Das heißt, wir brauchen in erster Linie Energieeffizienz und die Einsparung von Energie. Riesige Effizienzpotenziale in Deutschland werden bisher nicht genutzt. Wir könnten unseren Energieverbrauch nach Studien bis 2050 halbieren. Wir brauchen den massiven Ausbau erneuerbarer Energien; darüber wurde heute Morgen bereits ausführlich diskutiert. Auf diesem Weg kann der Energiebedarf, verbunden mit Energieeffizienzprogrammen, gedeckt werden. Für die Realisierung brauchen wir strukturelle Eingriffe in die Energiewirtschaft. Mit dem Energiekartell der vier großen Energiekonzerne wird es nicht möglich sein, diese Energiewende herbeizuführen. Wir brauchen keine NATO, die Ressourcen und Transitwege für Rohstoffe sichert. Wir brauchen den Mut im Parlament und in der Regierung, die Energiekonzerne zu entmachten und die Energieversorgung zu rekommunalisieren. Dann würden wir bei der Lösung des Problems einen Schritt weiterkommen. Danke. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Ditmar Staffelt, SPD-Fraktion.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es gut, dass wir heute miteinander über ein so wichtiges strategisches Thema debattieren, auch wenn wir möglicherweise zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. In jedem Fall wird die Frage der Energieaußenpolitik eine sein, die uns auch in Zukunft in hohem Maße und in vielerlei Hinsicht beschäftigen wird. Deshalb kann man sich über dieses Thema nicht oft genug austauschen. Zunächst einmal müssen wir wohl feststellen, dass die Probleme, über die wir heute im Rahmen der Energiepolitik zu diskutieren haben, in hohem Maße mit dem Tempo der Globalisierung und den Herausforderungen, die damit verbunden sind, zusammenhängen. Es besteht die Sorge, dass neue Konflikte entstehen, und zwar nicht nur bezogen auf Wasser, sondern auch bezogen auf Energieressourcen anderer Art. Daher ist es außerordentlich wichtig, dass wir uns diesbezüglich international stärker vernetzen, sehr viel mehr miteinander reden und zu Vereinbarungen kommen. Diese Vereinbarungen werden neue Abhängigkeiten und manche Empfindlichkeiten schaffen. Ich glaube sogar, dass der Dialog darüber einen Prozess einleiten kann, der eine Art Fortsetzung der Entspannungspolitik in der Welt ist, weil der Versuch unternommen werden muss, Gegensätze zu harmonisieren und einen Ausgleich zwischen Reich und Arm zu schaffen, und zwar auch im Hinblick auf die vorhandenen Energieressourcen. ({0}) Ich bin dafür, dass Europa zu allererst den Dialog mit Russland über politische, aber auch wirtschaftliche Verflechtungen vertieft. Russland ist der wichtigste Partner der EU in Bezug auf die Energieaußenpolitik und wird das auch auf Dauer sein. Wir müssen alles unternehmen, um die international geltenden Standards zunehmend auch in Russland einzuführen. Die ersten Versuche dazu hat es gegeben. Sie werden sich erinnern, dass Russland die Energiecharta im Rahmen der G-8-Konferenz in Sankt Petersburg akzeptiert hat. Mehr Verlässlichkeit, mehr Transparenz und vor allem Investitionssicherheit sind damals zugesagt worden. Ich denke, dass es gelingen wird, ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen Russland und der Europäischen Union zuwege zu bringen. Aufgrund des Streits zwischen Polen und Russland konnte das bisher nicht erreicht werden. Ich bin sehr dafür, dass wir dafür werben, dass Russland endlich Mitglied der Welthandelsorganisation wird. Die Standards, die im internationalen Wirtschaftsverkehr üblich sind, würden dann auch für Russland gelten. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, bei allen Sorgen, die uns unsere großen Energieunternehmen innenpolitisch machen - wir wollen mehr Wettbewerb in Europa und in Deutschland -, zu betonen, dass wir starke Energieunternehmen haben, die in der Lage sind, von ökonomischer Seite her Verbindungen - so will ich das einmal nennen - zu Partnern mit Energiereserven herzustellen; denn das garantiert letztlich die Energiesicherheit für die EU und für Deutschland. Es ist uns gelungen, in vielerlei Hinsicht wichtige Schritte in die richtige Richtung zu machen. Denken Sie daran, dass es uns gelungen ist, eine Energiegemeinschaft Südosteuropa zu schaffen. Auch damit haben wir den Versuch unternommen, Standards zu harmonisieren. Denken Sie bitte daran, dass die deutschen Unternehmen hierbei eine ganz wichtige, helfende Rolle gespielt haben, übrigens auch als Gesellschafter von Unternehmen, die in diesen Bereichen unseres Kontinents zu Hause sind. Denken Sie an die von Außenminister Steinmeier angestoßene Zentralasienstrategie. Das ist ein weiterer wichtiger Bereich. Hier wird genau das aufgenommen, was schon angesprochen wurde: Es ist der Versuch, die Diversifizierung des Zugangs zu Energien für Europa zu sichern. ({1}) - Bei mir ist etwas passiert, was nicht vorgesehen war. Das ist aber schon in Ordnung. ({2}) Ich denke, dass wir bezüglich der internationalen Vernetzung in jedem Falle auf einem außerordentlich guten Weg sind. Ich stimme allerdings Frau Staatssekretärin Wöhrl ausdrücklich zu: Wir können in der Zukunft sicherlich noch eine ganze Menge mehr machen, weil wir diesbezüglich immer wieder auf neue Herausforderungen stoßen. Ich will auch daran erinnern, dass es im Zusammenhang mit der G-8-Konferenz in Heiligendamm immerhin gelungen ist, die Energiepolitik zu einer zentralen Frage des Heiligendamm-Prozesses werden zu lassen. Auch das ist etwas Neues: Versorgungssicherheit, Energieeffizienz, Technologietransfer und Klimaschutz sind die vier zentralen Punkte auf diesem Felde, die weiter bearbeitet werden und die, wie wir hoffen, auch von den Japanern in ihrer Verantwortung für die nächste G-8-Konferenz übernommen werden. Ich sagte: Der Dialog muss weiter gefördert werden. Eine weitere wichtige Initiative ist das Internationale Energieforum in Riad, das sich vor allem um den Bereich Öl bemüht. Wir brauchen im Grunde Gleiches für den Bereich Erdgas. Ich bin im Übrigen der festen Überzeugung, dass die ersten Ansätze von Steinmeier und Schwarzenegger zu einem globalen Emissionshandel ein wichtiger Schritt auf dem Weg sind, den wir weiter beschreiten müssen. Insoweit möchte ich sagen: Es ist sehr viel passiert. Auf diesem Felde geht es im Übrigen in Europa heiß her. Das können wir daran sehen, dass viele Unternehmen unterwegs sind, um mit den potenziellen Energielieferländern entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Nichtsdestotrotz darf uns das natürlich nicht irre machen. Wir müssen fordern, dass im Binnenmarkt einiges mehr getan wird. Wir brauchen mehr Wettbewerb im Binnenbereich. Wir müssen insbesondere dafür Sorge tragen, dass mehr grenzüberschreitende Netzkapazitäten geschaffen werden, um mit der vorhandenen Energie ökonomisch vernünftiger umzugehen. Ich stimme mit all jenen überein, die immer wieder daran erinnern, dass wir in Deutschland unsere Schularbeiten weiterhin machen müssen. Eine zentrale Frage lautet, wie wir neben den bekannten Energiequellen mit der Entwicklung neuer Technologien auf diesem Felde umgehen. Wir brauchen in diesem Bereich noch mehr private, aber auch öffentliche Investitionen, damit wir von den bekannten endlichen Ressourcen unabhängiger werden. Deutschland spielt hier eine wichtige Rolle. Technologietransfer ist ein wichtiges Thema für uns. Genau das ist übrigens auch ein Thema, wenn wir über Russland reden. Es ist ganz selbstverständlich, dass wir, wenn wir erwarten, sichere Zugänge zu Erdgas zu haben, unsererseits mit neusten Technologien helfen, um dazu beizutragen, dass zum einen nicht unnötig Ressourcen verlorengehen und zum anderen neue Ressourcen erschlossen werden. Gerade das können wir. Hier stellen wir - auch im eigenen Interesse - eine starke helfende Hand gegenüber den Lieferländern dar. Ich möchte noch ein Wort zu den regenerativen Energien sagen. Wenn ich mir überlege - lassen Sie mich das einmal kritisch anmerken -, welche Mühe es gemacht hat, hier überhaupt eine Schneise zu schlagen, regenerative Energien zu einem Thema der deutschen Politik und zu Regierungspolitik werden zu lassen, dann kann ich nur sagen, dass wir ein Label geschaffen haben, das sich heute weltweit sehen lassen kann, weltweit hohe Anerkennung hat und vor allem auf große Nachfrage stößt, ob in Entwicklungsländern oder entwickelten Ländern. Wir sollten diesen Weg mit aller - ich darf das in diesem Zusammenhang sagen - Energie fortsetzen, damit Fotovoltaik, Windenergie, Biogas oder anderes weiter Erfolgsgeschichten made in Germany bleiben. ({3}) Sicherlich werden die regenerativen Energien in unserem Lande nicht alle Probleme lösen können; das ist hier auch nicht das Thema. Das Thema ist, dass wir weltweit einen Energiemix brauchen, in dem die regenerativen Energien auch in Zukunft eine sehr große Rolle für die zentrale, aber auch für die dezentrale Versorgung spielen. Wir werden diese Debatte sicherlich mit einem entwicklungspolitischen Akzent fortsetzen. Dann wird auch die Bedeutung deutlich, die gerade dieser Bereich für die Versorgung und für die wirtschaftliche und politische Entwicklung jener Länder hat, in denen die ökonomischen und politischen Vorbedingungen im Moment nicht die besten sind. Lassen Sie uns an dieser Stelle weiter diskutieren. Ich glaube, das lohnt sich für unser Land und für die Europäische Union. Danke. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Monaten wurde die Energiepolitik durch zwei Dinge besonders in den Mittelpunkt gerückt. Das eine war der IPCC-Report, das andere die Studie des britischen Ökonomen Sir Nicholas Stern, in der er beschrieben hat, dass der Klimawandel, wie er es sagte, das größte Marktversagen in der Geschichte ist. Interessant ist die Frage: Wer trägt die Folgen dieses Marktversagens, verursacht insbesondere durch die vielen Treibhausgasemissionen in den Industrieländern? Die Hauptleidtragenden sind diejenigen Länder, die am wenigsten gegen den Klimawandel tun können: die Entwicklungsländer. Aufgrund der Folgen des Klimawandels gibt es dort mittlerweile bis zu 150 Millionen Flüchtlinge. Eine ähnliche Entwicklung können wir beobachten, wenn wir die Entwicklung der Preise fossiler Rohstoffe betrachten. Gestern haben wir wieder einmal erlebt, dass der Ölpreis pro Barrel auf über 100 Dollar gestiegen ist. Das sind immer spekulative Ausschläge. Aber wir alle wissen: Die Zeiten billigen Öls und Gases sind vorbei, und Energie wird immer teurer. Auch an dieser Stelle kann man die einfache Feststellung treffen: Darunter leiden vor allem die ärmeren Länder. Im Gegensatz zu ihnen können wir manche dieser Probleme, wenn auch unter Ächzen und Klagen, noch bewältigen. Daran wird meiner Meinung nach deutlich: Wenn wir diese beiden Probleme, den Klimawandel und die Ressourcenkonkurrenz, betrachten, ist festzustellen, dass wir es mit einem Problem zu tun haben, das kein Land im Alleingang lösen kann. Es wird nur im Zusammenwirken aller zu lösen sein. Energiesicherheit gibt es nicht ohne Energiegerechtigkeit. Die globale Herausforderung, für Energiesicherheit und -gerechtigkeit zu sorgen, kann man aber nur gemeinsam bewältigen. Das muss der wichtigste Parameter einer Energieaußenpolitik sein. ({0}) Frau Kopp, das macht es so schwierig, über Modelle wie eine Energie-NATO zu diskutieren. Ich verstehe zwar den Gedanken, der dahinter steht. Sie müssen sich aber klarmachen, dass man sich, wenn man Energiesicherheit und -gerechtigkeit sicherstellen will, auch den anderen Problemen zu stellen hat, die es auf diesem Globus gibt. 1,6 Milliarden Menschen haben überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität. Wollen wir ihnen auf Dauer vorenthalten, abends ihre Häuser zu beleuchten, Fernsehen zu schauen und ihre Medikamente zu kühlen? Nein; denn das ist eine existenzielle Frage. Wenn wir die Armut überwinden wollen, müssen wir dafür sorgen, dass diese Menschen Zugang zu Energie und Elektrizität bekommen. Außerdem müssen wir sie davon abbringen, ihren Energiebedarf mit vorzeitlichen Methoden zu befriedigen - ein Beispiel ist das Kochen mit Dung -, die schreckliche, auch schreckliche gesundheitliche Folgen haben können. Wir werden erleben, dass die Nachfrage nach Energie gewaltig wachsen wird. In einem solchen Fall richten wir unseren Blick gerne nach China oder Indien. Aber ich finde, eines müssen wir uns immer wieder klarmachen: Die Hauptverantwortlichen für die steigende Nachfrage nach der knappen Ressource Energie, die im Wesentlichen aus fossilen Rohstoffen gewonnen wird, sind immer noch die Industrieländer. In den Ländern, in denen 15 Prozent der Weltbevölkerung leben, werden 56 Prozent des Öls, werden 60 Prozent des Gases und wird über die Hälfte der anderen endlichen Rohstoffe verbraucht. Deswegen besteht der erste und wichtigste Schritt zu dem Ziel, Energiesicherheit und Versorgungssicherheit zu schaffen, darin, den Nachfragedruck aus den Industrieländern deutlich zu senken. ({1}) Das ist die Schlüsselfrage, und das ist keine vergessene Säule; ich komme darauf noch zurück. Wenn man diesen Weg gehen will, muss man schauen: Was sind das für Instrumente? Wir brauchen internationale Strategien, die das umsetzen, was wir in Deutschland mit den drei E bezeichnen: mehr Energieeffizienz, mehr Energieeinsparung, mehr erneuerbare Energien. Solche internationalen Strukturen haben wir nicht. Wir haben zwar die Internationale Energieagentur. Sie prophezeit übrigens - damit liegt sie näher an dem, was die Grünen sagen, als an dem, was Sie sagen -, dass der Anteil der Atomenergie rückläufig sein wird. Aber diese Internationale Energieagentur ist immer noch eine Agentur dieser 15 Prozent der Weltbevölkerung, sie führt Konsumenten und Produzenten sowie Entwicklungsländer nicht zusammen. Wir müssen die Internationale Energieagentur für die anderen Nachfrager und für die, die noch stärker abhängig sind, öffnen. ({2}) Wir brauchen Instrumente zur Förderung der erneuerbaren Energien, zum Beispiel REN 21 oder die von vielen vorgeschlagene IRENA. Wir müssen diese internationalen Strukturen aufbauen. Gleichzeitig dürfen wir andere Strukturen, die viel mit Sicherheit zu tun haben, nicht schwächen. Ich behaupte, dass die neu entflammte Liebe von Nicolas Sarkozy - nicht zu Carla Bruni, sondern zur Nuklearenergie - uns große Probleme bescheren wird. ({3}) Wofür soll ein Land wie Libyen - mit Öl- und Gasvorräten und mit einem gigantischen Potenzial an solarer Strahlungsenergie - Atomkraftwerke brauchen? Hier produzieren wir unser Proliferationsproblem von morgen. Libyen ist zudem nicht das einzige Land. Ein weiteres Beispiel ist Brasilien. Iran muss ich nicht erwähnen. All diese Länder greifen nicht aus energiepolitischen Gründen nach dieser Technologie. Und das, liebe Frau Kopp, sollen wir promoten? ({4}) Das lohnt sich nicht, allein deswegen, weil die Atomenergie gerade einmal 3 Prozent des Energiebedarfes der Welt deckt. Deshalb glaube ich, dass wir den Weg hin zu mehr Energieeffizienz, zu mehr Energieeinsparung, zu mehr erneuerbaren Energien gehen müssen. Das erspart uns neue Proliferationsrisiken. ({5}) Wir brauchen an dieser Stelle mehr Markt. Frau Wöhrl, wenn Sie sich zu mehr Markt bekennen, dann müssen Sie das auch zu Hause machen. Dann können Sie es nicht wie Ole von Beust machen, der kurz vor der Wahl das hamburgische Gasnetz einem der Monopolisten wieder übereignet, statt es in kommunalen Besitz zu überführen oder es einem anderen Wettbewerber zu übertragen. Das ist nicht mehr Markt. ({6}) Mehr Markt brauchen wir auch in einem anderen Bereich. Es ist nicht so, dass die Energieversorgung der Welt an zu viel Freihandel leidet. Im Gegenteil, die Monopolisierung der Angebotsstruktur durch große, staatseigene Konzerne - Gasprom ist hier nur einer; auch der saudische Staat wäre zu nennen, oder Chávez - geht ja nicht in erster Linie zulasten der reichen Länder, sie geht zuallererst zulasten der ärmsten der armen Länder. ({7}) Mehr Markt, mehr Transparenz an dieser Stelle, das ist also auch ein Stück Energieaußenpolitik. Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz hinzufügen. Frau Kopp, Sie haben am Anfang gesagt, dass wir viel über Energiepolitik diskutieren, aber dabei die Säule der Versorgungssicherheit vergessen hätten. Sie haben über Diversifizierung gesprochen, darüber, dass man sich nicht von einer Quelle abhängig machen sollte; dass wir Flüssiggasterminals brauchen. Das ist alles richtig.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Trittin!

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber glauben Sie wirklich - damit will ich Sie nachdenklich machen -, dass es einen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Versorgungssicherheit gibt? ({0}) Ich glaube, einen solchen Widerspruch gibt es nicht. Wenn wir in Europa unser Klimaschutzziel, 30 Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Quellen zu decken, erreichen würden, würde unsere Abhängigkeit von Energieimporten von 75 Prozent auf unter 50 Prozent sinken. Klimaschutz ist praktizierte Energiesicherheit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Anliegen, das wir hier diskutieren, und der Grundansatz, der in dem FDP-Antrag zum Ausdruck kommt, sind ganz wichtig und werden von uns nachdrücklich unterstrichen. All das, was zur Exportabhängigkeit Deutschlands - ich würde sagen: Europas -, zu der Tatsache, dass Schwellenländer wie China und Indien mit zusätzlicher Nachfrage auf den Markt kommen, zu unserer Abhängigkeit insbesondere im Ölbereich von den Krisenregionen, aber auch zu unserer derzeitigen Abhängigkeit im Gasbereich, die wir vielleicht durch internationale Politik und mit Unterstützung unserer Unternehmen und Technologien im Bereich der Flüssiggasreserven ein bisschen verringern können, gesagt worden ist, ist richtig und wichtig. Ich möchte heute den Versuch machen, Herr Trittin, uns alle nachdenklich zu machen, was unsere eigene Politik angeht, wenn wir die Situation so beschreiben, wie Sie es zu Recht getan haben. Ich glaube nämlich wirklich, dass die Ressourcen Energie und Wasser unter den Stichworten „Frieden“ und „Armutsbekämpfung“ - das ist eben auch von Herrn Staffelt gesagt worden - international die zentralen Themen sind. Es ist hier auch schon richtig beschrieben worden, wie die Situation in Afrika, Indien und anderen Teilen der Welt ist, was die Brennstoffversorgung, das Abholzen von Wäldern, den Verbrauch des letzten Holzes, von Dung usw. sowie die damit verbundenen CO2-Emissionen angeht. Das, was bei der Konferenz der deutschen Industrie im asiatischen Raum zu der Frage vorgetragen wurde, wo unsere Unternehmen in Asien die Ansatzpunkte sehen, fasse ich wie folgt zusammen: Die Klimapolitik, die wir in Deutschland betreiben, ist zu überprüfen. Ist es wirklich richtig, dass wir hier für den Einsatz von Fotovoltaik riesige Summen ausgeben, wodurch der Druck auf die Hersteller, preisgünstigere Geräte und Technologien anzubieten, eher geschwächt als gestärkt wird; müssten wir nicht eher dazu beitragen, dass zum Beispiel in Indien in viel stärkerem Maße Fotovoltaik eingesetzt wird, damit dort Licht und Wärme nicht mehr durch direkte Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Öl erzeugt werden? Dort hätten wir im Vergleich zu den CO2-Einsparungen, die wir hier erzielen, um Potenzen höhere CO2-Einsparungen zu erwarten. Dort reden wir nicht wie hier vom Faktor zwei, sondern vom Faktor 15 oder 20. Mir stellt sich wirklich die Frage, ob wir darüber nicht einmal sprechen müssen. Dies gilt auch für die Frage, wie wir unseren Energiemix gestalten müssen, damit wir solche Ansätze einbeziehen können. Mir ist die Diskussion, die wir hier führen, zu widersprüchlich. Auf der einen Seite weisen Sie zu Recht darauf hin, wie die Situation in den genannten Ländern ist, in denen ein zusätzlicher Nachfragedruck in Bezug auf fossile Energieträger entsteht, und sagen, dass wir, um ihnen fossile Energieträger günstiger zur Verfügung zu stellen, diese hier nicht einsetzen sollten. Außerdem sollten wir hier auch keine Kernenergie einsetzen, um den weltweiten Nachfragedruck zu verringern. Ist es aber nicht viel sinnvoller, dass wir mit unseren Hochtechnologien die fossilen Energien hier einsetzen und unsere Technologien etwa im Bereich der Fotovoltaik von mir aus mit deutschem Geld den Schwellenländern zur Verfügung stellen? Darüber sollten wir einmal in Ruhe reden. - Ich meine nicht, dass das etwas zum Grinsen ist. ({0}) Vielmehr sollten wir in Ruhe und ernsthaft abwägen, wo die größeren Erfolge beim Klimaschutz zu erreichen wären. Ich bringe diesen Punkt einfach einmal zum Nachdenken in diese Debatte ein, weil hier die Gelegenheit dazu ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Meyer, ich wollte eben nicht grinsen. Ich stimme Ihnen sogar in einem Punkt zu. Würden Sie mir in dieser nachdenklichen Debatte zugestehen - Sie haben zwar recht, was die Ausnutzung zum Beispiel von Fotovoltaikanlagen unter den klimatischen Bedingungen in Afrika angeht -, dass gerade für Afrika der hohe Anschaffungspreis solcher Anlagen das Haupthindernis war und dass es durch die Entwicklung einer massenhaften Nachfrage insbesondere in Deutschland gelungen ist, innerhalb von acht Jahren die Stückkosten für Fotovoltaikanlagen zu halbieren, und wir inzwischen erreicht haben, dass im Vergleich zu einem Dieselgenerator eine Fotovoltaikanlage auch unter den klimatischen Bedingungen in Afrika wettbewerbsfähig ist?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben in dem Punkt recht, dass die Anstoßfunktion wichtig ist. Ich sehe aber zurzeit das Problem, dass der Druck auf die Produzenten, die Rationalisierungsreserven auszuschöpfen, nicht stark genug ist. Die Frage ist, wie wir mit der weiteren Finanzierung der Fotovoltaik unter unseren Bedingungen umgehen, um den Druck in Richtung einer weiteren Senkung der Kosten dieser Anlagen zu erhöhen. Denn zurzeit kommt unser Programm in erster Linie Kapitalanlegern und der japanischen Solarindustrie zugute. Das machen leider Gottes die Zahlen deutlich. Wir sollten uns weiter damit befassen, wie wir mit dem Einsatz dieser Anlagen bei der CO2-Vermeidung den größtmöglichen Erfolg erreichen können. Insofern kann ich nicht nachvollziehen, dass man sich ideologisch auf Einzelaspekte und einzelne Teilbereiche der Energiepolitik beschränkt. Unter solchen Bedingungen kann ich auch nicht nachvollziehen, warum man ausgerechnet in dem vor uns liegenden Zeitraum, in dem wir die Umstellung auf neue Technologien schaffen wollen, aus der einzigen CO2-freien Energie, der Kernenergie, aussteigen und dafür verstärkt auf den Bau neuer Kohlekraftwerke setzen will. ({0}) Das kann ich nicht nachvollziehen, wenn es uns um rationale Energiepolitik geht. Bei all unseren Diskussionen über Investitionen, Kraftwerksausbau, Netzkuppelstellen in Europa und unsere Industrie stellt sich die Frage, was wir tun können, um auf internationaler Ebene die größten Erfolge zu erzielen. Wir müssen zum Beispiel bei der Preisgestaltung darauf achten, dass wir unsere energieintensiven Industrien in Deutschland halten, weil sie unter den hiesigen Bedingungen am ehesten unter dem Druck stehen, einen Beitrag zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zu leisten. Die Lage wird doch nicht besser, wenn die Stahlindustrie nicht mehr bei uns angesiedelt ist, sondern in Indien, wo völlig andere gesetzliche Rahmenbedingungen gelten. Wenn wir den CO2-Ausstoß weiter durch den beschränkten Rahmen unserer kleinen nationalen Brille betrachten, statt endlich auch über solche Zusammenhänge zu sprechen, dann werden wir international keine Erfolge erzielen. Nach dem, was verschiedene Kollegen vorgetragen haben, erscheint mir die gesamte Diskussion sehr eng. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollege Gabriele Groneberg, SPDFraktion.

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat gut, dass wir eine so nachdenkliche Debatte führen. Es ist grundsätzlich erfreulich, dass wir heute anhand der beiden Anträge Gelegenheit haben, über das Thema zu diskutieren, und zwar nicht nach dem Motto „Gut, dass wir darüber geredet haben“, sondern unter dem Gesichtspunkt, was zu tun ist und wie wir in den unterschiedlichen Fraktionen mit bestimmten Faktoren umgehen. Den Stellenwert der Energiepolitik und die notwendige Verzahnung von Außenpolitik, vor allem im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung, bestreitet wohl niemand in diesem Hause mehr ernsthaft. Herr Trittin hat dazu schon einiges ausgeführt. Die Gestaltung der Energiepolitik wird in Zukunft für uns alle substanziell sein, weil sie untrennbar mit anderen Bereichen verbunden ist. Man kann sie nicht mehr isoliert betrachten; das ist schon in den Debattenbeiträgen der Kollegen zum Ausdruck gekommen. Zu Beginn möchte ich die Aspekte zusammenfassen, die uns und die Entwicklungs- und Schwellenländer gleichermaßen betreffen. Erstens geht es in diesem Zusammenhang um die Notwendigkeit, die Energiesicherheit für die Gegenwart und die Zukunft zu gewährleisten. Das gilt sowohl für uns als auch für die Entwicklungs- und Schwellenländer, Frau Kopp. Zweitens muss bei der Energieproblematik immer auch der Klimaschutz mit in den Blick genommen werden. Gerade im letzten Jahr haben wir so oft über dieses Thema und die Verknüpfung geredet wie nie zuvor. Hier zeigt sich deutlich, dass wir unsere Interessen nur gemeinsam wahrnehmen können; denn Klimaschutz kann effektiv nur in weltweiter Zusammenarbeit betrieben werden. Drittens muss die Auseinandersetzung mit der Thematik immer vor dem Hintergrund der Versorgung mit Rohstoffen, aber auch im Bewusstsein der Endlichkeit fossiler Ressourcen geführt werden. Viertens geht es hier schlichtweg um sicherheitspolitische Aspekte. Konflikte um Ressourcen sind an der Tagesordnung. Ich brauche das nicht weiter auszuführen; denn wir werden Tag für Tag damit konfrontiert. In diesen Rahmen eingebettet sehe ich die Energieaußenpolitik. Sie ist für mich nicht nur - wie das leider in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, meine Damen und Herren von der FDP - ein Instrument zur Wahrnehmung der eigenen Interessen. Für mich ist Energieaußenpolitik mehr als ein Mittel zum Zweck. Der Begriff ist weiter gefasst und durch ein Denken in Zusammenhängen gekennzeichnet. Wir können Energie-, Entwicklungs- und Klimapolitik nicht mehr sektoral betreiben und auseinanderdividieren. Sie sind auf komplexe Weise miteinander verbunden. ({0}) - Nein, das fehlt in Ihrem Antrag. So ist das zumindest nicht zum Ausdruck gekommen. Genau diese Aspekte und Zusammenhänge - das ärgert mich ein bisschen an den vorliegenden Anträgen haben wir in unserem Koalitionsantrag „Energie- und Entwicklungspolitik stärker verzahnen - Synergieeffekte für die weltweite Energie- und Entwicklungsförderung besser nutzen“ im letzten Jahr aufgezeigt. In diesem Titel kommt zum Ausdruck, worüber wir hier eigentlich diskutieren. Ich finde es schade, dass Sie, meine Damen und Herren von der FDP, und die Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unseren Antrag damals nicht unterstützt haben. Dort haben wir alle Aspekte aufgenommen. Ich bin erstaunt: Sie haben etliche Passagen, manchmal fast wortwörtlich, aus unserem Antrag übernommen. Ich bedauere das nicht, sondern finde das gut. Aber es ist schade, dass Sie im letzten Jahr nicht dazu bereit waren, einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten, sondern nun einen eigenen Antrag vorgelegt haben, in dem Sie einen Teil unserer Forderungen als Wahrheit und Bestandteil Ihrer Politik übernommen haben. ({1}) - Meine Kollegin hat vollkommen recht. Wir sind Gott sei Dank immer ein bisschen schneller. Frau Kopp, darüber hinaus habe ich ein substanzielles Problem mit dem Antrag Ihrer Fraktion. In Ihrem Antrag werden Zielkonflikte heraufbeschworen. Es ist sogar von Widersprüchen zwischen entwicklungs- und umweltpolitischen Zielsetzungen die Rede. Das sehen wir so absolut nicht. Im Gegenteil: Dort, wo Sie Widersprüche und Zielkonflikte sehen, sehen wir die Möglichkeit für Synergien. Ich will dies am Beispiel Öl im Zusammenhang mit dem Ressourcenreichtum bestimmter Entwicklungsländer und der damit verbundenen Möglichkeit der entwicklungsorientierten Verwendung von Einnahmen, die aus dem Verkauf von Ressourcen stammen, deutlich machen. Wenn regionale Kontrollmechanismen insbesondere in Afrika bei der Mittelverwendung greifen, dann besteht bei den Zusatzeinnahmen aus der Öl- und Gasförderung in einigen Entwicklungsländern auf jeden Fall das Potenzial, diese Gelder für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele einzusetzen. Etwa ein Zehntel der weltweit bekannten Ölreserven liegt auf dem afrikanischen Nachbarkontinent. Damit aus dem Ressourcensegen kein Ressourcenfluch wird, müssen wir Initiativen unterstützen wie die zivilgesellschaftliche „Publish what you pay“-Initiative oder die „Extractive Industries Transparency“-Initiative, die sich darum bemühen, durch Offenlegung der Zahlungen sicherzustellen, dass das Geld in entwicklungsrelevanten Bereichen wie Gesundheit und Bildung Verwendung findet und nicht in die Taschen einiger korrupter Machthaber fließt. Für viele ressourcenarme Entwicklungsländer hingegen führt die Energieimportabhängigkeit zu hohen Belastungen. Steigende Ölpreise stellen für diese Länder ein erhebliches Risiko dar, weil finanzielle Mittel für die eigene Entwicklung verloren gehen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern ein unbedingtes Muss, die Förderung von erneuerbaren Energien voranzutreiben. Herr Staffelt und Herr Trittin haben diesen Zusammenhang eben dargelegt. Frau Kopp, es ist dringend notwendig, die Kernenergie - im Gegensatz zu Ihrer Forderung - als rückwärtsgewandte Technologie zu betrachten. Sie ist nicht die Zukunftstechnologie. Ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung ihre Hausaufgaben macht. Mit einer Fördersumme in Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr sind die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz die größten Investitionsbereiche in der bilateralen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Im Übrigen stehen 120 Millionen Euro pro Jahr für die internationale Zusammenarbeit im Klimaschutz zur Verfügung. Das ist ganz wichtig, und damit werden wir unserer Verantwortung gerecht. ({2}) Mit dem Export von Technologien zur Nutzung von erneuerbaren Energien und zur Verbesserung der Energieeffizienz können wir einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung in ressourcenarmen Entwicklungsund Schwellenländern leisten. Nicht zu vergessen: Interessant ist, dass wir selbst auch davon profitieren, weil unsere Unternehmen mit ihrer Technologie auf in Zukunft boomenden Märkten Fuß fassen können, auch in Afrika. Daraus wiederum ergibt sich die Schlussfolgerung der Technologiezusammenarbeit auch mit großen Schwellenländern wie China und Indien. Das ist für uns, Frau Kopp, in diesem Bereich eine Selbstverständlichkeit, was Sie nicht so sehen. Wir haben darüber oft genug diskutiert. Wir werden die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China nicht aufkündigen, auch wenn China schon selbst als Geberland in Afrika auftrat. Wir müssen darüber reden, und wir haben das auch schon getan; aber wir wissen ganz genau, dass wir eigentlich nur auf diesem Wege Klimaschutzdiplomatie betreiben können. Wir sorgen nämlich mit unserem Know-how dafür, dass auf den chinesischen Märkten Umweltschutztechnologie installiert wird. Letztendlich profitieren unsere Unternehmen davon. Da hätte ich mir ausgerechnet von der FDP eine klare Aussage gewünscht. Mehr Positives kann ich zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sagen. Es ist allerdings wiederum schade, dass Sie nicht unserem Antrag von vor einem Jahr gefolgt sind; denn die Grundlagen für die erfolgreiche Politik, die wir jetzt machen, haben wir - das gebe ich gerne zu - in den Jahren der rot-grünen Zusammenarbeit gelegt. Wir sind jetzt etwas erfolgreicher, weil wir eine größere Mehrheit hier im Hause haben. Das freut uns. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel: Es wäre schön gewesen, wenn Sie bei unserem letzten Antrag dabei gewesen wären. Als Beleg für unsere Vorwärtsstrategie will ich ein Zitat aus einem Namensartikel unseres Außenministers vom März 2006 anführen. Er hat gesagt: Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wird den Übergang zu einem friedlichen Nach-Öl-Zeitalter gestalten helfen und dafür Sorge tragen, dass die Energieversorgung unseres Landes und Europas gesichert bleibt. Wo bitte, Frau Kopp, ist da die „vergessene Säule“? Das kann ich hier nicht sehen. Ich hätte mich wirklich gefreut, wenn wir uns eher verständigt hätten. Vieles in Ihren Anträgen ist durchaus richtig. Wir arbeiten weiter an unserem Ziel. Ich kann nur sagen: Schön, dass Sie dabei sind. Einen Satz möchte ich ergänzen, Frau Kopp. Sie haben gesagt: Wer die Energie hat, hat die Macht. Ich würde es anders formulieren: Wer die Energie hat, hat vor allen Dingen Verantwortung. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man kann am Ende dieser Debatte einige Zahlen nicht oft genug wiederholen: Schon heute importiert die Europäische Union 57 Prozent des benötigten Erdgases. Prognosen zufolge werden im Jahre 2030 80 Prozent des benötigten Erdgases nach Europa importiert werden müssen - dies bei ständig steigender Nachfrage. Bereits heute kommen 25 Prozent der Nachfrage vom russischen Staatskonzern Gasprom. Deutschland ist gegenwärtig zu 40 Prozent auf russische Gaslieferungen angewiesen. Auch hier steigt die Tendenz. Der Ausstieg aus der Atomtechnik, die Verhinderung des Baus von Kohlekraftwerken und überambitionierte Klimaschutzziele werden das Ihrige dazu beitragen. Eine in Ansätzen befindliche europäische Energieaußenpolitik bezieht sich auf vier Hauptelemente, als da sind: regionale Diversifizierung, Institutionalisierung der Energiemärkte, Verbreiterung des Energiemixes und Effizienzerhöhung. Allein mit der Steigerung der Energieeffizienz lassen sich erhebliche Potenziale erschließen. Dazu können wir bei uns - das ist gesagt worden viel beitragen. Weit mehr lässt sich bei unseren ost- und mitteleuropäischen Nachbarn, vor allem in Russland, erreichen. So gehen in Russland zwei Drittel der Erdgasförderung in den Binnenverbrauch. Eine Erklärung dafür sind die zurzeit noch niedrigen russischen Binnenpreise für Erdgas. Eine Ursache sind aber auch veraltete Technologien und die veraltete Infrastruktur. Hier wäre viel zu tun, Stichwort Technologieexport. Durch die Steigerung der Energieeffizienz und mit der Verbreiterung des Energiemixes - auch das ist angesprochen worden - können wir sicher sehr viel erreichen. Aber auf absehbare Zeit wird sich auf diese Weise die Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger nur sehr begrenzt verringern lassen. Deshalb haben wir ein weiter zunehmendes Interesse daran, gemeinsame Regeln für den Energiehandel und die Energiemärkte zu vereinbaren. Stichworte dazu sind genannt worden: internationales Energierecht, Institutionalisierung des Energiemarktes, Energiecharta. Frau Kollegin Kopp, Herr Kollege Staffelt, wir wissen aber auch, dass sich Russland bisher beharrlich weigert, der Energiecharta beizutreten. ({0}) Gefahren und Risiken in diesem Zusammenhang erwachsen uns nicht nur aus der Möglichkeit politischer Einflussnahme auf Energietrassen und Energietransporte. Hinzu kommt, dass Russland zur Modernisierung, zum Erhalt und zum Ausbau seiner Produktion gewaltige Finanzmittel benötigt, die es aus eigenen Kräften schwer aufbringen kann. Doch wie sollen notwendige Investitionen in Russland ohne eine Liberalisierung seines Energiemarktes zustande kommen? Offenbar hat Russland gegenwärtig an der geopolitischen Kontrolle über Vorkommen und Transportwege ein größeres Interesse als an der Erschließung neuer Vorkommen und der Erneuerung seiner Infrastruktur. Es steht zu befürchten, dass in sehr viel kürzerer Zeit Lieferengpässe bei uns auftreten, als der abstrakte Vergleich von Reserven und Nachfrageentwicklung vermuten lässt. Verschärft wird das Problem - auch das ist gesagt worden - durch den Energiehunger von China und Indien. Eine Diversifizierung der Importe wird daher gar nicht in erster Linie dem Ziel dienen müssen, Abhängigkeiten zu verringern, vielmehr muss es auch uns um die Erschließung neuer Lieferquellen gehen. Für eine stärkere Diversifizierung gibt es zwei Optionen: Für die eine Option steht das Projekt der Nabucco-Pipeline. Hierbei geht es um den Zugang zu zentralasiatischen und möglicherweise auch iranischen Gasvorkommen. Die zweite Option besteht im zunehmenden Import von Flüssiggas. Mit der Nabucco-Pipeline sollen bis zu 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Turkmenistan und unerschlossene Ressourcen Aserbaidschans nach Europa gepumpt werden, und zwar, wenn es geht, an Russland und Gasprom vorbei. Es ist jedoch schon heute zweifelhaft, ob in Turkmenistan und den angrenzenden Regionen überhaupt jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas zur Lieferung über diese Pipeline zur Verfügung stehen. Denn fast alles, was bisher gefördert wird, hat Gasprom vertraglich gebunden und leitet es weiter. Ohne die Einbeziehung der gewaltigen iranischen Gasvorräte dürfte Europa bei Nabucco also in die Röhre gucken. Klar ist: Derzeit kommt eine Zusammenarbeit mit Iran nicht infrage. Diese Situation könnte sich jedoch im Falle einer politischen Verständigung über das iranische Atomprogramm ändern. Ein so umfangreiches Projekt wie die Nabucco-Pipeline mit Investitionen von mehr als 5 Milliarden Euro ist zwangsläufig langfristig anlegt. Stärker auf Import von Flüssiggas als Zweitoption setzen zu wollen, könnte sich hingegen als fragwürdige Option erweisen. Denn der Transport von Flüssiggas birgt erhebliche Risiken. Pipelines sind nicht nur wirtschaftlicher, sondern sie stellen auch eine wechselseitige Verflechtung dar. Pipelines, die wir bauen, führen nach Europa, Flüssiggastanker fahren überallhin. Diversifikation wird unsere Abhängigkeit von Russland allenfalls graduell, aber nicht substanziell verringern. Diversifiziert allerdings Russland seine Exporte, wird dies seine Abhängigkeit von uns viel stärker reduzieren. Es gibt derzeit keine Strategie, mit der sich die Asymmetrie im Energiehandel mit Russland wirklich abbauen ließe; denn dazu müsste Moskau zur Öffnung und Liberalisierung seines Energiemarktes bereit sein. Frau Präsidentin, wie ich sehe, geht meine Redezeit zu Ende. Ich möchte aber noch eines sagen: Wir brauchen den stärkeren Aufbau eines integrierten europäischen Energiemarktes, sodass wir als Europäer gemeinschaftlich mit Gasprom, mit Russland verhandeln können. Dazu gehören natürlich auch - Frau Kollegin Kopp, Sie haben es gesagt - Energiespeicher, um Energie bevorraten zu können und gegenüber Russland bzw. Engpässen in der Energieversorgung besser gewappnet zu sein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Je größer die Marktmacht Europas in diesem Zusammenhang ist, desto größer ist auch unser Verhandlungsspielraum und desto sicherer wird unsere Energieversorgung. Vielen Dank, Frau Präsidentin, dafür, dass Sie mich so lange haben reden lassen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6796 und 16/8181 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Eckart von Klaeden, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef Dzembritzki, Gert Weisskirchen ({1}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Deutsche Personalpräsenz in internationalen Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken - Drucksachen 16/6602({2}), 16/7938 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Gert Weisskirchen ({3}) Wolfgang Gehrcke Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort hat der Kollege Dzembritzki, SPD-Fraktion.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich - ich sehe, die Freude ist bei meinem Kollegen Dr. Ruck ähnlich groß -, dass wir heute die Möglichkeit haben, über diesen Antrag zu sprechen. Denn dieses Thema beschäftigt uns nun wahrhaftig über Legislaturperioden, in einer Kontinuität, die beinahe schon beispielhaft ist. Deswegen ist es gut, dass wir dazu heute endlich hier im Plenum sprechen können. Es ist unverkennbar: Der Einfluss internationaler Organisationen nimmt kontinuierlich zu. Deshalb ist es für uns wichtig, die Politik in diesen Institutionen mitzugestalten. Wir sind auf Ansprechpartner angewiesen. Ein Netzwerk deutscher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in internationalen Organisationen ist notwendig. Ein Dialog zwischen Regierung und Parlament darüber ist ebenfalls notwendig. Wir müssen darauf achten, dass wir dort entsprechend unseren Möglichkeiten vertreten sind. Die Repräsentation deutscher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist - das will ich einmal vorweg sagen weitaus besser geworden als vor etlichen Jahren. Aber es ist nicht so, dass wir total zufrieden sein können. Wir wollen diese Repräsentanz deutscher Mitarbeiter nicht unmittelbar aus unseren finanziellen Beiträgen ableiten; denn natürlich müssen wir auch Verständnis dafür haben, dass Länder mit geringeren Möglichkeiten international beteiligt sein müssen. Es kann aber nicht sein, dass wir im Vergleich zu anderen Industrieländern in wichtigen Institutionen quasi unterrepräsentiert sind. Deutschland ist Mitglied in über 200 internationalen Organisationen. Diese 200 internationalen Institutionen beschäftigen circa 60 000 Personen im vergleichbaren höheren Dienst. Das heißt, dort sind 60 000 Menschen mit Hochschulabschluss tätig. Darin sind Projektpersonal, Peacekeeping und Sprachendienst nicht enthalten. Etwa 5 400 deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auszumachen. Das heißt, dass der Anteil an deutschem Personal seit 1998 - damals waren es 8,8 Prozent auf 9,5 Prozent gestiegen ist. Das ist zwar eine Steigerung, aber Sie werden mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass hier Verbesserungen möglich sind. ({0}) Wir befinden uns in der erfreulichen Situation, dass wir zum Beispiel auf der Generaldirektorenebene der EU oder im UN-Sekretariat in der quantitativen Ausstattung gut vertreten sind. Schaut man sich die Spitzen einmal an, wird man feststellen, dass mit Achim Steiner bei UNEP nur noch einer der wenigen Spitzenposten von einem Deutschen besetzt ist. Bis vor kurzer Zeit, Herr Kollege Trittin, hatte auch Tom Koenigs einen solchen Posten inne; er ist nun nicht mehr dabei. Gerade bei einer Diskussion über die internationale Mitarbeit kann man seitens des Parlaments stellvertretend Tom Koenigs, aber auch allen anderen für ihr Engagement Dank sagen; denn sie bringen sich da auch für die Bundesrepublik Deutschland ein. ({1}) Wir haben erfreulicherweise von Aktivitäten der Bundesregierung zu berichten. Herr Staatsminister Erler, ich darf sowohl an Ihr Haus als auch an das Bundeskanzleramt richten: Wir als Parlamentarier können uns über den Dialog mit den Häusern nicht beklagen. Unsere Zusammenarbeit ist wirklich gut. Wir haben immer wieder erkennen können, dass Anregungen aufgenommen werden. So verfügen wir jetzt über einen internationalen Stellenpool, sodass man den nötigen Überblick hat. Ganz wichtig - das geht aus dem Antrag hervor - sind die Staatssekretärsrunde für deutsches Personal in internationalen Organisationen im Kanzleramt und der Koordinator für internationales Personal im Auswärtigen Amt. Dort besteht eine wirklich enge Zusammenarbeit. Nicht unbedeutend - das will ich hier noch einmal unterstreichen - ist auch der regelmäßig tagende Ressortkreis unter Einbeziehung der Länder. Wir erleben es bei Afghanistan - ich nenne nur das Stichwort Polizei - oder auch in der Kulturpolitik - ich nenne nur das Stichwort Lehrerinnen und Lehrer -: Wir brauchen die Länder. Deswegen ist es wichtig, dass sie einbezogen werden. Unser föderales System macht das möglich. Ich hoffe, es wird als Chance und nicht als zusätzliches Problem begriffen. ({2}) Ebenfalls gut ist, dass heute eine Vorbereitung durch Informationsveranstaltungen für Bewerberinnen und Bewerber für internationale Institutionen stattfindet. Das hat dazu geführt, dass der Anteil deutscher Bewerberinnen und Bewerber tatsächlich gestiegen ist. Ich kann mich sehr gut an eine Konferenz erinnern, an der Herr Dr. Ruck und ich teilgenommen haben und zu der das Auswärtige Amt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus internationalen Organisationen eingeladen hatte. 2007 hat eine solche Konferenz zuletzt stattgefunden. Interessant war, dass sich 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beworben haben, um an der Konferenz teilzunehmen, aber nur 200 Plätze vergeben werden konnten. Das zeigt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfinden dies als sehr wichtig. Die Bundesregierung kann man nur ermuntern, diesen Weg weiterzugehen und zu prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, den Rahmen noch zu erweitern. Vielen ist nicht so bekannt, dass ein großer Teil der deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in internationalen Organisationen nicht aus dem öffentlichen Dienst kommt. Wir haben festzustellen, dass circa 1 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem öffentlichen Bereich, aber circa 4 200 aus der privaten Wirtschaft oder aus anderen Institutionen kommen. Man muss sich natürlich auch deren Sorgen anhören. In den Gesprächen mit dem Verband der Bediensteten in internationalen Organisationen kommt - nicht überraschenderweise - gerade aus dem Kreis dieser Personen die Bitte, sich stärker um sie zu kümmern. Solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im internationalen Bereich tätig waren und nach Deutschland zurückkommen, sollten keine Nachteile haben. Vielmehr sollte ihre Erfahrung positiv zur Kenntnis genommen werden. Die Rückkehr in die deutschen Sozialsysteme muss ermöglicht bzw. erleichtert werden. Es darf nicht dazu kommen, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann quasi um ihre Sicherung und ihre Existenz kämpfen müssen. ({3}) Hier geht mein Appell an die Bundesregierung - das geht ein Stückchen über unseren Antrag hinaus -, sich dieser Thematik anzunehmen. Die Zugangsmöglichkeiten zum Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungssystem müssen für diese Bediensteten aufrechterhalten werden. Schauen wir uns die Situation der deutschen Beamtinnen und Beamten an! Mein Appell geht erneut dahin, dass nicht nur im Auswärtigen Amt und im BMZ, wo die klassische internationale Arbeit stattfindet, sondern auch in den anderen Häusern der Bundesregierung und bei den Ländern eine Auslandstätigkeit nicht als längerer Urlaub verstanden wird, sondern als Dienstleistung, die von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erbracht wird. ({4}) Diejenigen, die zurückkommen, dürfen nicht irgendwo sozusagen abgestellt werden; vielmehr sollte man ihre Erfahrung sinnvoll und nutzbringend einsetzen. Das liegt im gemeinsamen Interesse. Zu prüfen ist auch noch, wie die Flexibilität erhöht werden kann. Wir haben für alles Regelungen. So wird zum Beispiel ein Beamter, der in den auswärtigen Dienst geht, für fünf Jahre beurlaubt. Er kann im Ausnahmefall für weitere zehn Jahre beurlaubt werden. Nun stelle man sich vor, dass er 13 oder 14 Jahre gebraucht wird. Hier muss man an die Kreativität der Regierung appellieren. Es gilt, flexible Regelungen zu schaffen. Ich habe mich gerade auf den Konferenzen mit einzelnen Kolleginnen und Kollegen unterhalten. Dass jemand, der in jungen Jahren als Regierungs- oder Oberregierungsrat nach Brüssel oder New York gegangen ist und dort 10 bis 15 Jahre gearbeitet hat, dann, wenn er zurückkommt, hier nur die Perspektive hat, wieder als Regierungsrat beschäftigt zu werden, kann natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wir erwarten, dass man sich auf Regierungsseite darüber noch einmal Gedanken macht. ({5}) Im Raum steht dann immer wieder das sogenannte Spiralmodell. Ich vermute, der Kollege Dr. Ruck wird darauf noch eingehen. Ich will Ihnen deshalb nur kurz sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir einbringen müssen: Wenn wir zum Beispiel wollen, dass jüngere Kollegen vom Auswärtigen Amt oder von anderen Behörden in internationale Organisationen geschickt werden, müssen wir dafür sorgen, dass wir im Personalbereich flexibler werden. Das bedeutet, dass das Auswärtige Amt - dieses betrifft es ja in der Regel - Möglichkeiten erhalten muss, eine Art Personalreserve bzw. einen Personalstock aufzubauen, um in diesem Bereich tätig werden zu können. Ein Punkt, der sich in der Diskussion ebenfalls immer wieder abzeichnet, ist die im Unterschied zu anderen Ländern lange Ausbildungszeit in Deutschland. Zwischen einem Juristen, der bei uns ausgebildet wurde und dann in eine internationale Organisation geschickt wird, und einem Juristen, der in Frankreich oder Großbritannien ausgebildet worden ist und dann in eine internationale Organisation geschickt wird, können Sie schon einen massiven Altersunterschied feststellen. Das bringt in der Regel bei den weiteren Aufstiegsmöglichkeiten Probleme mit sich. Wir müssen also schauen, ob man hier gemeinsam mit den Universitäten Wege finden kann, um Benachteiligungen zu beseitigen. Nachdem ich die Universitäten angesprochen habe, möchte ich dazu überleiten, dass es bei uns eigentlich zum Normalfall werden muss, dass innerhalb der Hochschulen Angebote gemacht werden, mit denen junge Menschen auf eine Tätigkeit in internationalen Organisationen vorbereitet werden. Hier ist, wie ich glaube, innerhalb der Hochschulen einiges machbar. Diese Angebote sollten in Korrespondenz zu Programmen, die bereits zur Verfügung stehen, gesetzt werden. Ich nenne das Carlo-Schmid-Programm für Praktikanten oder das Programm „Beigeordnete Sachverständige“. Ähnliche Programme könnten mit einer effektiven Ausbildung an den Hochschulen kombiniert werden, sodass hier für beide Seiten, für die Hochschule wie für die Studentinnen und Studenten bzw. die jungen Akademiker, enorme Synergieeffekte entstehen könnten. Ich meine also, dass gerade im Bereich der akademischen Ausbildung noch andere Formen und Ideen eingebracht werden könnten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe herzlich Dank zu sagen für die gute Zusammenarbeit, in diesem Fall besonders mit meinem Kollegen Dr. Ruck. Christian, ich erwähne das gerne noch einmal, weil wir wirklich über Jahre dieses Anliegen immer wieder eingebracht haben. Ich bedanke mich beim Unterausschuss Vereinte Nationen, der dieses Anliegen ebenfalls mitbegleitet hat, und bei den verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen. Ich schenke Ihnen jetzt einige Sekunden meiner Redezeit und bitte dafür um Verständnis. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDPFraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit einem altbekannten Antrag. Er wurde schon in der vorletzten und in der letzten Legislaturperiode vorgelegt. Im Wesentlichen hat sich an der Situation nichts geändert. Deshalb werden wir diesem Antrag auch zustimmen; denn er ist im Kern richtig. Herr Kollege Dzembritzki hat eben sehr vieles gesagt, was ich außerordentlich unterstreiche. Natürlich werde ich es ein wenig zuspitzen. Denn ich denke, es ist die Aufgabe der Opposition, zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass die deutschen Dienststellen, die möglicherweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu internationalen Organisationen entsenden, von Konzepten zu Personalentwicklung, die in der Wirtschaft selbstverständliche Realität sind, Lichtjahre entfernt sind. ({0}) Hier ist das Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ nach wie vor prävalent. Das wird ganz klar, wenn man sich ansieht, mit welchen Begriffen ein junger Diplomat, der in den auswärtigen Dienst eintritt, konfrontiert wird. So tolle Worte wie Fokussierung und Diversifizierung sind die beiden Schlüsselbegriffe der Personalplanung des Auswärtigen Amtes. Wenn man genauer hinschaut, stellt man aber fest, dass es sich hierbei nur um den organisierten Versuch handelt, jederzeit Löcher, die entstehen, stopfen zu können. Das reicht nicht aus, um wirklich von Personalplanung zu reden. Vielmehr kommt es darauf an, eine Strategie zu entwickeln, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich durch eine Auslandstätigkeit in internationalen Organisationen weiterentwickeln, strategisch in Aufgabenbereichen einzusetzen, wo sie zum Nutzen unseres Landes mehr beitragen können, als das sonst der Fall ist. Da ist noch viel zu tun; das möchte ich durchaus kritisch anmerken. Ich möchte auch kritisch anmerken, dass die Situation nicht so schön ist, wie es die Koalition hier in Treue zur Regierung darstellt. Die Präsenz von Deutschen in Spitzenpositionen der internationalen Organisationen ist jammervoll. Man muss sehen, wie schnell das manchmal bei anderen geht. Die Geschwindigkeit, mit der die Franzosen Herrn Strauss-Kahn plötzlich in eine Topposition gebracht haben, ist atemberaubend. Hier haben wir noch sehr großen Nachholbedarf. Beispielsweise sind nach dem Abgang von Herrn Töpfer nicht mehr allzu viele Deutsche im Rahmen der UNO zu sehen. Ich erinnere mich noch sehr gut an den Besuch von Minister Steinmeier in Seoul, als er zum ersten Mal Herrn Ban Ki-moon, dem damaligen koreanischen Außenminister, die Unterstützung bei der Wahl zum UNGeneralsekretär zugesichert hat. Danach ist vom UNGeneralsekretär im Hinblick auf die Bundesrepublik nichts mehr passiert. Es wäre schon ganz schön, Deutschland wäre auf der Ebene unterhalb des UN-Generalsekretärs oder an der Spitze von UN-Sonderorganisationen wieder vertreten. Hier muss noch einiges geschehen. ({1}) Ich möchte nicht verschweigen, dass ich auch einige Punkte außerordentlich begrüße. Das Auswärtige Amt hat seit ein paar Jahren ein Programm zur systematischen Betreuung von Bewerbern für Auswahlverfahren auf der EU-Ebene installiert. Das ist ausgesprochen erfolgreich. Die Erfolgsquote deutscher Bewerberinnen und Bewerber hat sich seitdem erheblich erhöht. Hier stehen wir sehr gut da. Das kann ich nur begrüßen. Aber was die Europäische Union angeht, kann man nicht gerade Erfolgsmeldungen absondern. Hier muss man schon genauer hinsehen, Herr Dzembritzki. Sie haben die Zahl der Generaldirektoren angesprochen. Von den sieben deutschen Generaldirektoren in der Europäischen Kommission werden bis 2010 sechs pensioniert. Danach kommt nichts, weil wir auf den Ebenen darunter kaum noch vertreten sind, und wenn, dann nicht in strategischen Positionen oder Aufgaben mit inhaltlichen Positionen, die für uns besondere Bedeutung haben. Eine Ebene weiter unten wird es geradezu bedenklich. Mögliche Nachfolger der Generaldirektorinnen und -direktoren der Europäischen Union, in der Kommission wie auch im Rat, sind im Wesentlichen diejenigen, die jetzt Referatsleiter sind oder es werden könnten. Ich nenne hier die Zahlen: Bei den Referatsleitern liegt Deutschland mit 133 hinter Frankreich mit 172, Italien mit 164 und Belgien mit 152. Das ist außerordentlich bedenklich, da muss sich etwas tun. Bei den Direktoren sieht das nicht viel besser aus, zumindest wenn man Deutschland mit Großbritannien und Frankreich vergleicht. Jetzt rächt es sich, dass man früher immer geglaubt hat, nur auf Spitzenfunktionen achten zu müssen, aber nicht darauf, dass man auch von unten hervorragendes Personal nachschieben muss. Ich muss mich angesichts meiner außerordentlich begrenzten Redezeit auf eine Schlussbemerkung zum Thema europäischer auswärtiger Dienst beschränken. Da wird gegenwärtig ein neues Fass aufgemacht. Einige Weichen werden neu gestellt, was für uns eine enorme Langzeitwirkung haben wird. Daher bitte ich die Bundesregierung, sehr schnell sehr aktiv zu werden. Die Interessenkonflikte zwischen Kommission, Ratssekretariat, teilweise sogar innerhalb des Ratssekretariats, und Mitgliedstaaten sind ganz evident. Einige Dinge werden gegenwärtig von der Kommission schamhaft verschwiegen, weil man daran nicht rütteln will, zum Beispiel das Beamtenstatut in der Kommission. Wenn es denn so sein wird, wie sich das die Kommission vorstellt, dass ihre Generaldirektionen den Kernbestand des zukünftigen europäischen auswärtigen Dienstes ausmachen werden, dann bedeutet das bei dem gegenwärtigen Personalstatut der Kommission, dass Mitarbeiter, die aus den Mitgliedstaaten kommen, kein Direktionsrecht gegenüber Mitarbeitern der Kommission haben dürfen. Das heißt, sie kommen nur für nachgeordnete Aufgaben infrage, gewissermaßen als nationale Experten. Das kann es nicht sein. Ich bitte dringend, darauf zu achten. Ein letztes Wort zum Thema Sprachen. Im Zusammenhang mit dem europäischen auswärtigen Dienst wird eine Entscheidung über das Sprachenregime in diesem zukünftigen europäischen auswärtigen Dienst herbeizuführen sein. Es gibt einen Konflikt zwischen dem Sprachenregime der Kommission - das sind drei Sprachen, Deutsch eingeschlossen - und dem Regime der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee wird nur Englisch und Französisch gesprochen. Wenn wir an dieser Stelle nicht die Weichenstellung zugunsten des Deutschen vornehmen, wird das Deutsche auf Jahrzehnte in der europäischen Außenpolitik keine Rolle spielen. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Dort werden die Weichen jetzt gestellt, nicht erst in ein paar Jahren. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In unserem Antrag geht es um eine schlagkräftige, effiziente Vertretung unserer Interessen in internationalen Organisationen durch eine optimierte strategische, das heißt durchdachte und langfristige Personalpolitik. Wir haben das Papier fraktionsübergreifend erarbeitet. Es ist nicht neu; denn es ist ein sehr dickes Brett, das da zu bohren ist. Ich darf den ausgesprochenen Dank zurückgeben, zum Beispiel an dich, Detlef; wir arbeiten ja schon jahrelang zusammen an diesem Brett. Es gab auch vorher schon ein dickes Brett. Auch Kollege Weisskirchen war betroffen; ich erinnere mich an die dramatische Situation in der letzten Woche der letzten Legislaturperiode Kohl im Jahr 1998, als wir einen ähnlichen Antrag verabschiedet haben. Es war ein etwas ungünstiger Zeitpunkt, und darum mussten wir an diesem dicken Brett weiterarbeiten. Warum ist das Brett so dick? Das hat etwas mit Mentalitätsveränderungen an vielen Stellen zu tun. So etwas dauert immer lange. Das Anliegen ist in den letzten zehn Jahren immer dringlicher geworden. Die Globalisierung hat sich unvermindert fortgesetzt und damit auch die Risiken und Chancen durch die Globalisierung, die Bedeutung von internationalen Lösungen und internationaler Zusammenarbeit sowie die Bedeutung internationaler Organisationen und ihrer Auswirkung auf unsere Innenpolitik, auf die Arbeit in unserem Land. Unser Land befindet sich mitten in diesem Prozess. Die Bundesrepublik ist hochgradig abhängig von einer positiven internationalen Entwicklung. Wir haben in den letzten zehn Jahren auch im außenpolitischen Handel mit ganz neuen Herausforderungen - Balkan, Kongo, Afghanistan - zu tun gehabt. Nicht zuletzt sind wir international einer der größten Zahlmeister. Das bedeutet, dass wir als Bundesrepublik Deutschland ein ganz erhebliches Interesse am Erfolg der Arbeit internationaler Organisationen haben, am Erfolg der EU, der WTO und auch der UNO-Einsätze. Damit haben wir auch ein Interesse an frühzeitigen Informationen aus diesen Organisationen und an erfolgreicher Einflussnahme. Mitreden und Mitgestalten sind für uns in den letzten zehn Jahren immer wichtiger geworden. ({0}) Das funktioniert nur mit ausreichender Präsenz von hochqualifiziertem und hochmotiviertem deutschen Personal in internationalen Organisationen. Das ist der Inhalt dieses Antrags. Wir sind Mitglied in mehr als 200 internationalen Institutionen. Wir sind ein wichtiger und zuverlässiger Beitragszahler. Aber in vielen Vertretungen ist unsere Präsenz nicht angemessen, weder quantitativ noch qualitativ. Ich möchte ein Beispiel nennen, das uns alle bewegt hat: der Einsatz im Kongo. Das war eine der teuersten Missionen, an denen wir mit unseren bei der UN üblichen 9 Prozent beteiligt waren. Wir hatten aber, besonders am Anfang, auf die Operation so gut wie keinen Einfluss, weil wir kaum Personal gestellt haben, ich glaube, einen oder zwei von 16 000 Leuten. Das hat sich dann erst durch einen deutschen stellvertretenden MONUC-Direktor geändert, der andere Leute nachgezogen hat. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll, aber auch dafür, wie es dann doch geht, wenn man sich anstrengt. ({1}) Ähnlich ist es auf dem Brüsseler Parkett - darauf wurde bereits eingegangen -, bei der WTO, die für die Exportnation Deutschland sehr wichtig ist, bei der NATO, in der UNO-Verwaltung, bei der OECD usw. Wir haben uns als Antragsteller natürlich immer gefragt, warum es andere offensichtlich besser können. Die Franzosen und die Engländer sind berühmt für ihre relativ egozentrische und egoistische Personalpolitik. Hiervon können wir uns die eine oder andere Scheibe abschneiden. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass sich in den letzten zehn Jahren doch einiges getan hat. Unser Personalanteil ist seit 1998 signifikant von 3 400 auf 5 400 gestiegen. Das Netzwerk der Bundesregierung mit den deutschen Mitarbeitern in internationalen Organisationen wurde deutlich gestärkt. Ich glaube auch, dass im Personalrahmenkonzept der Bundesregierung viele unserer Ideen aufgegriffen wurden. Bei der Umsetzung wird es uns einen großen Schritt nach vorne bringen. Wir haben in unserem Antrag dennoch auf einige wunde Punkte hingewiesen und haben Vorschläge gemacht, an denen wir hängen. Detlef, du hast schon auf das Spiralmodell hingewiesen. Es ist nichts anderes als die Rotation von Personal der Bundesregierung zwischen Ministerien und internationalen Organisationen. Dieses Modell wird von anderen Ländern mit Erfolg praktiziert. Wir müssen hier nachziehen. Das bedeutet aber, dass man in der Haushaltspolitik in dieser Hinsicht flexibler wird und eine Art Polster anlegt. ({2}) Ich glaube, das haben wir zusammen mit den Haushältern geschafft. Ganz wichtig ist der Mentalitätswechsel; er wurde bereits angesprochen. Wir müssen verhindern, dass jemand, der im Ausland gedient hat, bei seiner Rückkehr - wenn er sich überhaupt traut, zurückzukommen - in der Besenkammer landet. Es muss vielmehr so sein, dass ein Auslandsdienst zu einem Karrieresprung zu Hause führt. Solange wir diesen Mentalitätswechsel nicht vollziehen, wird sich da nur sehr wenig ändern. ({3}) Wichtig ist auch - das wurde ebenfalls schon angesprochen - die bessere Zugangsmöglichkeit für Deutsche in internationalen Organisationen zu den deutschen Sozialsystemen. Dabei muss man auch an das Umfeld der Betroffenen denken. Wenn man einen hochqualifizierten Mann oder eine hochqualifizierte Frau für eine Tätigkeit im Ausland gewinnen will, dann muss das familiäre Umfeld - ich denke da etwa an schulpflichtige Kinder - mit berücksichtigt werden und müssen attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es geht nicht nur um das Nettogehalt, sondern auch um die Frage, ob die Familie ohne Probleme mit umziehen und zurückkehren kann. Man muss feststellen - Herr Hoyer, auch Sie haben in dieser Richtung argumentiert -, dass ganze Disziplinen an Hochschulen wegbrechen. Ich nenne zum Beispiel die Südostasien- und die Südasienforschung. ({4}) Es gibt kaum noch Hochschulen, die sich auf diesem Gebiet engagieren. Obwohl es nicht in unserer Kompetenz liegt, müssen wir darum kämpfen, dass an dieser Stelle wieder etwas aufgebaut wird. ({5}) Ich komme zum Schluss. Entscheidend ist auch, dass man das Ressortdenken überwindet. Einer muss für den anderen kämpfen. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir das geschafft haben. Ich bitte die Administration um Entschuldigung, dass wir wieder einmal einen Bericht fordern. Aber es ist im Sinne dieser Administration, dass wir alle zwei Jahre erfahren, ob wir auf diesem Gebiet Fortschritte machen oder nicht. Auch die Bundesregierung besteht nur aus Menschen. Wenn diese alle zwei Jahre Erfolgsberichte abliefern müssen, dann kann es der Sache nicht schaden. Insofern ist die Forderung, die wir erheben, sinnvoll. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, man sollte sich zu Beginn der Debatte - nicht nur seitens meiner Fraktion, sondern auch fraktionsübergreifend - beim auswärtigen Dienst bedanken. Dort sind qualifizierte Kolleginnen und Kollegen tätig, die eine vernünftige Arbeit machen. Da die dort geleistete Arbeit sehr aufreibend ist, sollte man dies am Anfang einmal feststellen. ({0}) - Schönen Dank, Kollege Trittin. Ich möchte hinzufügen, dass ich es bemerkenswert finde, dass dieser auswärtige Dienst, was die Zeit vor 1945 angeht, mit seiner Tradition und seiner Geschichte in einem hohen Maße gebrochen hat. In der Nachkriegszeit ist dort eine andere Einstellung gewachsen, die nichts mehr mit einem bestimmten Typ von Karrierediplomaten zu tun hat. Wenn wir über diesen Bereich diskutieren, ist es mir wichtig, auch dies einmal festzustellen. Das könnte ja ein gemeinsamer Zugang sein. Wenn man feststellt, dass gute Arbeit geleistet wird, entsteht daraus die Verpflichtung - ich möchte jetzt begründen, warum meine Fraktion dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen wird -, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Ich finde, das erfordert mehr als nur Appelle, wie dies sowohl im Antrag als auch in den Reden der Kolleginnen und Kollegen geschehen ist. Ein paar Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang kurz ansprechen. Ich denke, dass es gut gewesen wäre, sich dazu zu äußern, dass Veränderungen im Beamtenrecht erforderlich sind. Ein Beispiel: Ich halte es für nicht akzeptabel, dass mitreisende Familienmitglieder von Bediensteten im auswärtigen Dienst, die im Ausland eingesetzt werden, dann, wenn sie verheiratet sind, einen bestimmten Rechts- und sozialen Status haben, dann aber, wenn sie in anderen Lebensgemeinschaften leben, diesen Rechtsstatus nicht haben. Warum wird das nicht geändert? ({1}) Das könnte man ganz schnell machen. Ich denke auch, dass eine solche Debatte nicht geführt werden kann, ohne dass auf den ungeheuren Berg an Überstunden hingewiesen wird, die bei den Kolleginnen und Kollegen des auswärtigen Dienstes immer wieder auflaufen. Es muss daran gearbeitet werden, wie dies ausgeglichen und bezahlt oder wie ansonsten damit umgegangen wird. Es wäre auch vernünftig - im Antrag wird von der Durchlässigkeit des auswärtigen Dienstes gesprochen -, nicht nur eine Durchlässigkeit von der privaten Wirtschaft in den öffentlichen Dienst zu skizzieren. Was ist mit der Durchlässigkeit zu den Nichtregierungsorganisationen, zu den NGOs? Was ist mit der Durchlässigkeit in Richtung Stiftungen? Wenn Sie schon für Durchlässigkeit sind - auch ich bin dafür -, dann bitte mit einem weiteren Blick und nicht nur mit Blick auf die private Wirtschaft und den öffentlichen Dienst. All dies hätte in einen solchen Antrag gehört. Auf das Problem des kommenden europäischen auswärtigen Dienstes - dieser taucht im Antrag gar nicht auf - hat Kollege Hoyer hingewiesen. Seine Ansicht teile ich; deswegen brauche ich nicht gesondert darauf einzugehen. Zumindest die Formulierung dieser Problemstellung hätte in den vorliegenden Antrag gehört. Gestatten Sie mir, noch drei Punkte anzusprechen, bei denen ich es für bedenklich halte, dass Dinge nicht zu Ende formuliert und bedacht worden sind. Die Überschrift des Antrages lautet: „Deutsche Personalpräsenz in internationalen Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken“. Das hat bei mir die Frage aufgeworfen: Was ist eigentlich das nationale Interesse Deutschlands? Dann habe ich mit Spannung nachgelesen, ob es definiert wird; denn das wäre schon länger fällig gewesen. Es ist aber kein Satz dazu zu finden, was das nationale Interesse Deutschlands ist. Ich finde, dies muss definiert werden, wenn man sich schon darauf beruft. Worin unterscheidet sich das deutsche nationale Interesse vom europäischen Interesse? Liegt es im Interesse Deutschlands, an Militäraktionen teilzunehmen, oder wäre es das nationale Interesse Deutschlands, friedlich, sozial, demokratisch, gerecht - man könnte andere Punkte hinzufügen - vorzugehen? Sie haben noch nicht einmal den Versuch unternommen, zu erklären, was das nationale Interesse ist oder was sich daraus abWolfgang Gehrcke leiten lässt. Auch da hätte ich mir etwas mehr Problembewusstsein gewünscht. Wenn jemand in internationalen Organisationen eine Aufgabe übernimmt, dann ist er aus meiner Sicht erst einmal dieser Organisation verpflichtet und nicht primär dem Land, aus dem er kommt. Gibt es, wenn man in den Vereinten Nationen eine Aufgabe übernimmt, Widersprüche zwischen dem, was in dem nicht definierten nationalen Interesse liegt, und dem, was im Interesse dieser Organisation liegt? Ich denke, dass man sich auf solche Probleme, auf mögliche Widersprüche zumindest hätte einlassen müssen, dass man sie erklärt und sich damit auseinandersetzt. Im Zweifelsfall heißt das für mich: Wenn man in einer internationalen Organisation arbeitet, ist man dieser internationalen Organisation verpflichtet und nicht dem Land, aus dem man kommt. ({2}) Das gehört zu einem Mentalitätswechsel und zu einem neuen Geist, über den man reden muss. Ein letzter Punkt. Es hat mich sehr geärgert, dass dies in dem Antrag so formuliert wurde und dass sich einige in ihren Reden darauf berufen haben. Ich bitte Sie sehr, anders zu argumentieren. Sie argumentieren im Antrag und auch in einigen Reden: Weil wir so viel zahlen, haben wir auch einen Anspruch auf einen bestimmten Personalumfang. Ich finde, das ist ein schlechtes Argument. Wir zahlen nicht, um einen bestimmten Personalumfang einzuklagen, sondern deswegen, weil uns eine bestimmte Aufgabe, die zu leisten ist, am Herzen liegt. Der Kurzschluss: „Wer zahlt, soll auch bestimmen bzw. entsprechendes Personal stellen“ ist einfach unangebracht. Zum Schluss: Herr Staatsminister, vielleicht wäre es möglich, dem auswärtigen Dienst zumindest meinen Dank - vielleicht auch den des ganzen Hauses - auszurichten. Die Kolleginnen und Kollegen sollten wissen, dass wir persönlich und auch die Fraktionen ihre Arbeit politisch hoch schätzen. Danke sehr. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Uschi Eid, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es kommt nicht allzu oft vor, dass wir über einen Antrag zweimal im Plenum debattieren. Unser heutiges Thema ist aber so wichtig, dass ich das für eine richtige Entscheidung halte. Um es gleich vorweg zu sagen: Wir von Bündnis 90/Die Grünen werden dem Antrag der Koalition zustimmen, da wir das Bestreben, die personelle Repräsentanz Deutschlands in internationalen Organisationen zu erhöhen, voll und ganz unterstützen. Bei der letzten Debatte habe ich bereits darauf hingewiesen, dass auch unter Rot-Grün einiges zur Verbesserung der allseits beklagten Situation geschehen ist; zum Beispiel wurden Informationsmöglichkeiten verbessert und hinderliche Regelungen verändert. Die Zahlen, die von meinen Vorrednern schon genannt worden sind, sind darauf zurückzuführen, dass verschiedene Regierungen an diesem Problem gearbeitet und versucht haben, die Situation zu verbessern. Wir freuen uns, dass es inzwischen ein personalwirtschaftliches Rahmenkonzept gibt, das in ressortübergreifender Zusammenarbeit entstanden ist. Konzepte müssen aber auch umgesetzt werden, und das sehe ich bisher nicht. Ich glaube, dass die bürokratischen Mühlen etwas zu langsam mahlen. Vielleicht sorgt die heutige Debatte ja für neuen Schwung. Wer Aufgaben in internationalen Organisationen erfolgreich meistern will, muss qualifiziert und motiviert sein. In Deutschland mangelt es ganz gestimmt nicht an Menschen mit diesen Eigenschaften, an Menschen, die Interesse haben und die nötige Motivation mitbringen. Eine ganz entscheidende Voraussetzung für eine Tätigkeit in internationalen Organisationen ist aber die Auslandserfahrung. Die kann man zum Beispiel durch Praktika erwerben. Dadurch wird nicht nur die sprachliche Fertigkeit vertieft, sondern vor allem auch das so notwendige fachliche und berufsalltägliche Rüstzeug erworben. Trotzdem ist festzustellen, dass Praktika in EU-Institutionen und in internationalen Organisationen vom Staat noch immer viel zu wenig gefördert werden. Das Gleiche gilt für Praktika in den internationalen Finanzinstitutionen, in denen deutsche Beschäftigte stark unterrepräsentiert sind. Ich finde, das muss sich ändern. ({0}) Gar keine finanzielle Unterstützung gibt es bisher für Praktika in zivilen Friedensmissionen. Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze könnte auf diesem Gebiet vieles tun, wenn die Bundesregierung Mittel dafür bereitstellen würde. ({1}) Krisenprävention ist ein auch international zu gering geschätztes Anliegen, dessen magere institutionelle Ausstattung bedauerlicherweise mit dem Mangel an Finanzmitteln einhergeht. Natürlich fehlt es auch an Personal. Das liegt aber, zumindest in Deutschland, nicht an einem Mangel an interessierten Menschen, sondern an einer zu geringen Kapazität und zu wenig Geld. Das ist klar. Ich betone dies, weil Deutschland gerade hier, auf einem verhältnismäßig jungen Gebiet der Außenpolitik, einiges vorzuweisen hat. Einsatz für Krisenprävention ist verdienstvoll, schwierig und mühsam. Erfolgreiche Krisenprävention verhindert Opfer und Zerstörungen, spart Geld und stärkt obendrein das Prestige der deutschen Außenpolitik. Generell gilt: Bei der Einstellung und Beförderung werden die Kernkompetenzen für internationale Aufgaben als zusätzliches Auswahlkriterium noch viel zu wenig berücksichtigt, vom Auswärtigen Amt und vom BMZ einmal abgesehen. Das ist bedauerlich. Leider werden aber auch zahlreiche nationale und internationale Programme zur Vorbereitung auf die Übernahme von internationalen Aufgaben zu wenig genutzt. Die fachliche und persönliche Eignung der international Beschäftigten ist die eine Notwendigkeit. Die andere ist die, dass sich geeignete Personen überhaupt auf Stellen in internationalen Organisationen bewerben. Ein aktuell viel diskutiertes Problem ist, dass sich nicht genügend Polizisten für die dringend notwendige Verstärkung der Ausbildung von Polizisten in Ländern wie Afghanistan melden. ({2}) Woran liegt das? Die Rückkehrer hadern oft - das wurde schon genannt - mit der in Deutschland fehlenden Wertschätzung ihres Einsatzes. Schlechtestenfalls ist sogar ein Karriereknick die Folge. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der nicht nur den Betroffenen schadet, sondern auch der Reputation Deutschlands in internationalen Institutionen und generell auf dem internationalen Parkett. ({3}) Negative Auswirkungen auf den weiteren Berufsverlauf des Einzelnen darf es nicht geben. Im Gegenteil: Wir müssen Anreize schaffen, damit sich mehr fähige junge Männer und Frauen bei internationalen Organisationen bewerben. Die Bereitschaft zu zeitweiligen Auslandseinsätzen sollte nicht nur selbstverständliche, sondern geradezu notwendige Voraussetzung für Beförderungen werden; das ist bislang nicht der Fall. ({4}) Herr Präsident, letztlich müssen wir all das Richtige, das in diesem Antrag steht, dadurch ergänzen, dass das öffentliche Dienstrecht angepasst werden muss. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Fragen haben sich durch diese gesamte Debatte gezogen. Die eine Frage lautet: Warum sind andere Staaten besser, wenn es darum geht, ihr Personal in internationale Organisationen zu schicken? Die zweite Frage hat der Kollege Gehrcke aufgeworfen, sie lautet: Was ist eigentlich das deutsche Interesse? Ich finde, unser Antrag beantwortet dies sehr deutlich, wenn man ihn von vorne bis hinten durchliest. Unser Antrag zeigt ganz deutlich: Unser Interesse sind in diesem Fall starke internationale Organisationen. Ich glaube, dass sich das aus drei Quellen speist. Die erste Quelle ist: Wir haben sicherlich eine Geschichte, die uns bis zu einem sehr hohen Grade verpflichtet, international zu denken. Das ist der eine Punkt. ({0}) Die zweite Quelle, aus der sich dieses Denken aus meiner Sicht speisen muss, ist die Anerkennung, dass internationale Politik und damit internationale Organisationen - Christian Ruck hat darauf hingewiesen - in einer globalisierten Welt natürlich immer mehr Bedeutung gewinnen. Wir schauen plötzlich auf Organisationen, die wir früher selten wahrgenommen haben. Wir sehen, dass Länder plötzlich eine Rolle spielen, die wir ihnen früher nie zugedacht hätten. Im Zusammenhang mit den Ländern, denen wir früher keine so große Rolle zugedacht hätten, bin ich bei der dritten Quelle. Wenn wir unsere Interessen international vertreten wollen, dann brauchen wir Verbündete und Partner, dann brauchen wir starke Organisationen, in denen Recht gesetzt, Recht gemessen und auch Recht nachgegeben wird. Diese starken internationalen Organisationen werden uns, einem Land mit 80 Millionen Menschen, in dem vielleicht irgendwann nur noch 70 oder 60 Millionen Menschen leben werden, dabei helfen, mit anderen Ländern in positiven Wettbewerb zu treten, zum Beispiel mit China, wo 1,5 Milliarden Menschen leben, mit Indien, wo 1,2 oder 1,3 Milliarden Menschen leben, und mit vielen anderen Staaten, in denen mehrere hundert Millionen Menschen leben; von Russland und den USA ganz zu schweigen. Auch aus diesem Grund haben wir ein ganz klares Interesse, deutlich zu machen, warum wir dort mit entsprechendem Personal vertreten sein müssen. Denn das bedeutet am Ende des Tages, dass wir diese Organisationen stark machen. Das ist unser Interesse in diesem Zusammenhang. ({1}) Dem gleichberechtigt steht die Frage gegenüber: Warum können andere es besser, wenn sie es denn besser können? Wenn man sich das einmal anschaut, sieht man, dass auch ein Staat wie die USA in manchen internationalen Gremien, gemessen an dem, was er bezahlt, unterrepräsentiert ist. Es gibt auch andere Staaten, die das beklagen. Aber in Deutschland scheint das ein spezielles Problem zu sein. An einem liegt es jedenfalls nicht: Es liegt nicht daran, dass uns die Menschen fehlen, die das könnten. ({2}) Es liegt auch nicht daran, dass die Menschen zu unflexibel sind. Ich habe mir im Vorfeld der Debatte einmal die Mühe gemacht, einige Zahlen über die im Ausland studierenden Deutschen herauszusuchen: 1995 haben von den 1,7 Millionen deutschen Studenten 2,4 Prozent dauerhaft im Ausland studiert. 2005 waren es schon 4,3 Prozent. Wenn ich noch an all diejenigen denke, die sich kurzzeitig für einige Semester im Ausland aufhalten, dann glaube ich, dass das ein ganz klares Zeichen dafür ist, dass besonders diejenigen, die wir für solche wichtigen Aufgaben vorsehen, durchaus willens und in der Lage sind, diese Aufgaben zu erfüllen. Insofern muss man schauen, welche anderen Probleme wir in diesem Zusammenhang haben. Dazu ist sehr viel gesagt worden und, ich glaube, auch sehr viel Richtiges. Das ist einmal die Frage der Anerkennung innerhalb des Dienstes. Der Aufenthalt im Ausland wird oft nicht als zusätzlicher Wert, sondern sehr häufig als ein Nachteil empfunden, weil man nicht unter der Beobachtung der Leitung war. Denn keiner weiß ganz genau, was dieser Mitarbeiter im Ausland gemacht hat, während sein Kollege, der hier geblieben ist, natürlich unter Beweis stellen konnte, was er alles kann. Diese Internationalität, diese neue Erfahrung wird sehr häufig nicht als solche, sondern eher als eine Art Durchbruch der guten fachlichen Praxis angesehen. Ich glaube, das ist eine Mentalität, an der man arbeiten muss; das ist auch in dieser Debatte sehr deutlich geworden. Es gibt einen zweiten Punkt, den ich in dieser Debatte für ausgesprochen wichtig halte - das ist ein Appell an uns alle -: Wir sollten aufpassen, dass wir die Attraktivität des öffentlichen Dienstes nicht schmälern, indem wir ihn dauernd schlechtreden. Diesem Phänomen begegnen wir nämlich immer öfter. Dabei geht es dann immer wieder um das Schlagwort „Beamtenmikado“ und ähnliche Begriffe. Wir tragen hier einen Kampf um die besten Köpfe aus. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass die großen internationalen Wirtschaftsunternehmen und die Privatwirtschaft die besten Mitarbeiter haben, während der öffentliche Dienst sozusagen nur den Rest bekommt. Mit einem Rest wird man keinen Staat machen können. Das gilt auch auf internationaler Ebene. Wir müssen klarmachen, dass der öffentliche Dienst, gerade wenn es um Tätigkeiten in internationalen Organisationen geht, eine unheimlich spannende, eine unheimlich erfüllende und eine aus meiner Sicht sehr gute Möglichkeit bietet, das Berufsleben zu gestalten. Wir müssen viel deutlicher als bisher darauf hinweisen, dass es hier viel mehr Chancen gibt, als es in der Öffentlichkeit immer wieder dargestellt wird. ({3}) In diesem Zusammenhang will ich einen weiteren wichtigen Aspekt anführen. Wir müssen deutlich machen, dass internationale Organisationen nicht nur beim Auswärtigen Amt angesiedelt sind. ({4}) Dass man sich zu einem Ressortkreis zusammenschließt und auch andere Organisationen in den Blick nimmt, das sind große Fortschritte. Wenn man sich anschaut, in welchen Organisationen Deutschland noch nicht in ausreichendem Maße vertreten ist, stellt man fest: Das sind Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation, die Internationale Atomenergiebehörde, die OECD und die Weltbank. All diese Organisationen haben natürlich auch mit auswärtiger Politik zu tun. Organisatorisch sind sie aber eigentlich bei anderen Ministerien angesiedelt. Deswegen sind die ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Nachwuchsförderung von entscheidender Bedeutung. In diesem Bereich, in dem Deutschland durchaus eine Führungsrolle übernehmen kann, wurde bereits einiges erreicht. Das kann man am Beispiel des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze sehen. Dort findet die Ausbildung für Friedenseinsätze statt. Das ist etwas, was seinen Anfang in Deutschland genommen hat. Auf diesem Gebiet ist Deutschland heute weltweit führend. Aber andere Nationen holen natürlich auf. Deshalb müssen wir unsere Anstrengungen fortsetzen. Allerdings sollten unsere Erfolge an dieser Stelle einmal herausgestellt werden. ({5}) Bei diesem Thema geht es um eine Aufgabe, die niemals bewältigt sein wird. Es ist und bleibt notwendig, dass wir uns auch in Zukunft damit beschäftigen. Deswegen bin ich den Damen und Herren, die sich - in unterschiedlichen Konstellationen - immer wieder die Mühe machen, diesen Antrag in den Bundestag einzubringen, dankbar. Das ist nicht ganz einfach. Ich finde aber, das ist eine Aufgabe, an deren Lösung wir alle weiterhin arbeiten sollten. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD mit dem Titel „Deutsche Personalpräsenz in internationalen Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7938, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/6602 ({0}) in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen ({2}), Peter Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Albach, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD Wertvolle Computerspiele fördern, Medien- kompetenz stärken - zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hochwertige Computerspiele fördern und bewahren - Drucksachen 16/7116, 16/7282, 16/8033 - Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Christoph Waitz Grietje Bettin b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE „Fair-Work“-Siegel für Computerspiele - Drucksache 16/8178 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Dorothee Bär, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({3})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Hamburg gab es eine Veranstaltung mit dem Thema: Wie schützen wir unsere Kinder vor den schädlichen Einflüssen der Theater Lebender Fotografien? Das war nicht im Jahr 2007, das war im Jahr 1907. Damals war das neue Medium Kino der große Feind, wurde behauptet, dass die Kinder durch das Kino schädlichen Einflüssen ausgesetzt seien. In den 30er-Jahren gab es Bestrebungen, den Jazz zu verbieten. In den 60er-Jahren war man gegen das Fernsehen, auch wegen der Zombiefilme. Dann war es Heavy Metal. Auch über das Internet wurde gestritten. Die Debatte, die wir in diesem Land über Computerspiele führen, hat oft einen ähnlich negativen Touch. Wieder werden Sündenböcke für aktuelle Entwicklungen gesucht. Durch die negativen Begriffe, die im Zusammenhang mit Computerspielen ständig fallen, kommen wir dem, was wir erreichen wollen, keinen Schritt näher. Die Computerspielebranche jedoch bringen wir mit diesen ständigen Verbotsbestrebungen in ernsthafte Probleme: Viele Firmen denken über eine Verlagerung ins Ausland nach. Es gibt Spiele, die für den deutschen Markt nur noch umgeschrieben, aber nicht mehr für uns konzipiert werden. Andere Spiele, die es weltweit gibt, erscheinen bei uns gar nicht erst. Computerspiele können sehr positive Effekte haben. Chirurgen, die regelmäßig Computerspiele spielen, operieren besser, weil das die Geschicklichkeit fördert. Es gibt darüber hinaus eine Reihe anderer positiver Effekte. Es ist verlockend, nach einem Sündenbock zu suchen, wenn ein Kind hyperaktiv ist, laut ist, frech ist, wenn ein Jugendlicher stiehlt, gewalttätig oder brutal ist oder, im schlimmsten Fall, zum Attentäter mutiert. Früher war es der Jazz, heute sind es die Computerspiele. Wir müssen das nur verbieten, und alle Probleme sind gelöst, sagt mancher. Wer als Politiker etwas verbietet, macht es sich leicht, weil er, wenn irgendetwas passiert, aus der Verantwortung entlassen ist; er hat ja sein Möglichstes getan. Wir von der Koalition wählen einen anderen Ansatz. Wir rufen einen Preis für wertvolle Computerspiele ins Leben. Wir verteufeln nicht die Branche, sondern versuchen, die positiven Aspekte herauszuarbeiten, um zu zeigen, dass es in dieser Branche viele gibt, die sich an einer positiven kulturellen Entwicklung in diesem Land beteiligen. Nun könnte man sagen: Schon wieder ein Preis! Wenn unser Kulturstaatsminister oder auch andere Mitglieder der High Society bei der Verleihung eines jeden Preises, den es in Deutschland gibt, zugegen sein wollten, hätten sie nichts anderes zu tun, als sich ständig in Schale zu werfen. ({0}) - Ich weiß, dass das Spaß macht; aber irgendwann muss auch einmal gearbeitet werden. - Denn es gibt den Deutschen Filmpreis, den Deutschen Fernsehpreis, den Deutschen Buchpreis, den Echo, den Deutschen Theaterpreis, den Deutschen Jugendvideopreis, den Deutschen Lernspielpreis, den Kritikerpreis Spiel des Jahres, und es gibt selbstverständlich auch den Bayerischen Filmpreis, den Bayerischen Theaterpreis, den Bayerischen Fernsehpreis alles herausragende Preise, die vergeben werden. ({1}) Deswegen möchte ich mich bei den Kultur- und Medienpolitikern der Koalition herzlich bedanken, dass wir es geschafft haben, uns insgesamt einig zu sein. Ein großer Dank geht auch an unsere Haushälter, ({2}) die die Gelder für den Deutschen Computerspielepreis schon heuer zur Verfügung stellen. Vielen herzlichen Dank auch an den Staatsminister, der sich für den Deutschen Computerspielepreis einsetzt, indem er die Koordination übernimmt. Wenn der BKM 300 000 Euro zur Verfügung stellt und die Wirtschaft ebenfalls 300 000 Euro, dann zeigt das, wie gut die Verknüpfung von Politik und Wirtschaft funktionieren kann, wenn wir an einem Strang ziehen. Warum loben wir diesen Deutschen Computerspielepreis aus? Wir wollen natürlich die Entwicklung nicht verpassen. Wir wollen uns nicht sagen lassen, wir ließen die tolle Industrie, die wir in Deutschland haben, und ihre Entwickler ins Ausland abwandern. Es sind im Übrigen nicht nur die Entwickler beteiligt, sondern neben denjenigen, die für die technischen Herausforderungen zuständig sind, auch sehr viele Künstler: Musiker, Grafiker, Designer und Autoren. Alle bemühen sich darum, ein deutsches Kulturgut auf die Beine zu stellen. Der Bereich hat eine ganz eigene Kultur entwickelt, es werden Geschichten erzählt und Abenteuer erlebt. Autoren denken sich eine Spielhandlung aus, und es werden neue Lieder sowie die passenden Figuren und Szenarien entwickelt. Besonders wichtig ist bei diesem Thema der ressortübergreifende Aspekt: Neben dem Kulturstaatsminister wollen wir auch die Ressorts für Wirtschaft, Bildung und Familie erreichen. Viele Eltern sind heute leider überfordert und brauchen bei der Suche nach sinnvollen Spielen Hilfestellung. ({3}) Ihnen möchten wir Hilfestellung geben, indem wir gute Spiele fördern. Deshalb stellen wir diesen Preis neben Internetportale wie „fragFinn.de“ im Rahmen der Initiative „Ein Netz für Kinder“ oder „Schau hin“; Letzteres betrifft das Fernsehen. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, um Kindern den Umgang mit den Medien beizubringen. ({4}) Verbote und Polemik helfen uns nicht weiter. Wir möchten zwar unsere Kinder am liebsten vor allem schützen. Das Wichtigste ist aber, sie gut vorzubereiten; dies gilt auch für den Umgang mit den Medien. Unser Preis ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. ({5}) Wir werden noch viele weitere Schritte gemeinsam gehen. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Christoph Waitz, FDP-Fraktion.

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie viele Medienpolitiker des Bundes und der Länder habe ich im August des letzten Jahres die Games Convention in Leipzig besuchen dürfen, eine der weltweit größten Messen für Computerspiele. Ich konnte mir vor Ort ein Bild von der Vielfalt der unterschiedlichen Computerspielearten machen und mich davon überzeugen, welches wirtschaftliche Potenzial in der Computerspieleindustrie steckt - ein Potenzial, dem wir in Deutschland bislang noch nicht genug Beachtung geschenkt haben. Nach Branchenangaben existieren in Deutschland nur rund 90 Entwicklungsstudios, in denen 600 bis 1 000 Spieleentwickler tätig sind. Im Vergleich dazu arbeiten in den Vereinigten Staaten 16 000 Entwickler, in Großbritannien 6 000 und in Frankreich immerhin noch 2 500. Diese Zahlen machen deutlich, dass wir im internationalen Vergleich unser Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft haben. Wer sich mit Branchenvertretern unterhält, bekommt sehr deutlich gesagt, dass der Flaschenhals einer besseren Entwicklung der Computerspieleindustrie in Deutschland der Mangel an qualifizierten Entwicklern und Programmierern ist. Der Bedarf daran resultiert auch daraus, dass Computerspiele nur dann wirtschaftlich erfolgreich sind, wenn sie dem jeweiligen Sprach- und Kulturraum angepasst sind. Die von der Koalition und vom Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Anträge greifen Forderungen der Computerspieleverbände, wie sie zum Beispiel im „Leipziger Manifest“ formuliert werden, sehr richtig auf. In ihrer Analyse ist beiden Anträgen auch durchaus beizupflichten. Trotzdem können wir uns den Schlussfolgerungen, die Sie aus der Analyse gezogen haben, leider nicht anschließen. ({0}) Wenn die Computerspielebranche in den letzten Jahren negativ beeinflusst wurde, dann durch Diskussionen und Forderungen nach dem Verbot von sogenannten Killerspielen. Kollegin Bär hat schon darauf hingewiesen, dass es sinnvoll gewesen wäre, dies zu unterlassen, weil uns diese Verbotsdiskussion nicht weiterbringt. ({1}) Ich werde diese Diskussion an dieser Stelle nicht wieder eröffnen. Aber es wäre aus meiner Sicht schon wichtig gewesen, wenn in dem Antrag der Koalition zu diesem Punkt eine eindeutige Aussage zu lesen wäre. Folgen Sie dem Antrag Bayerns im Bundesrat, die Produktion und den Vertrieb dieser Spiele in Deutschland zu verbieten, ({2}) - ich höre es gern, Herr Tauss - oder gehen Sie den Weg, den die Familienministerin vorzeichnet, indem sie auf eine verbesserte Alterskennzeichnung und verschärfte Alterskontrollen im Einzelhandel abzielt? Ich kann in Ihrem Antrag dazu leider nichts lesen. Sie können aber auch nicht vor diesem Thema einfach so wegtauchen. ({3}) Ausdrücklich unterstützen können wir Ihren Vorschlag, eine Förderung von qualitativ hochwertigen Computerspielen im Rahmen des EU-Programms „MEDIA 2007“ zu prüfen und für eine angemessene Finanzausstattung dieses Programms zu sorgen. Ich hatte aber bereits in der ersten Lesung versucht, Ihnen zu vermitteln, dass es sehr schwierig werden wird, dieses Programm vor 2013 noch einmal aufzuschnüren. Es ist schlichtweg durch die Gremien durch. Es ist auch diskussionswürdig, was ein qualitativ hochwertiges Computerspiel ist und ob es immer erzählungsbasiert sein muss. Wir sollten auf dieser Basis mit dem EU-Programm beginnen und dann möglichst zeitnah die Ergebnisse evaluieren lassen. Ihrer Forderung, einen Deutschen Computerspielepreis einzuführen, folgen wir nicht. Das Instrument, durch einen Preis Anreize zur Produktion hochwertiger Computerspiele zu setzen, ist verlockend. Wir halten es jedoch für angemessen, insbesondere die Produzenten in die Pflicht zu nehmen, die Preisgelder auszuloben und gemeinsam mit der Bundesregierung eine unabhängige Jury auszuwählen. Gleiches gilt auch für die Einführung eines Qualitätssiegels. ({4}) In Anbetracht des Fachkräftemangels in der Computerspieleindustrie geht der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, in dem zusätzliche Studienplätze und Personalkapazitäten gefordert werden, in die richtige Richtung. Leider ist es sehr fraglich, ob in Anbetracht der schwierigen Haushaltssituation vieler Bundesländer die benötigte Anpassung kurzfristig umgesetzt werden kann. Wir halten es auch für problematisch, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, mit den Tarifpartnern Aus- und Fortbildungsgänge zu verhandeln, um Fertigkeiten und Kenntnisse zur Computerspieleentwicklung zu erweitern. Dazu ist sie schlichtweg nicht befugt und zuständig. Wenig fruchtbringend ist der Vorschlag der Linken, ein „Fair-Work-Siegel“ für Computerspiele einzuführen. Wie mir scheint, will die Linke, ohne dass ein Problem in diesem Bereich wahrnehmbar wäre, ihren Wählerinnen und Wählern vor der Wahl in Hamburg noch einmal deutlich machen, für welche Inhalte sie stehen möchte. Im Hinblick auf die ganz und gar unerträglichen Stasiäußerungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Wegner kann ich das gut nachvollziehen. Computerspiele sind ein Teil unserer Alltagskultur geworden. Der Deutsche Kulturrat hat die Frage, ob Computerspiele ein Kulturgut sind, längst mit Ja beantwortet und fordert die dauerhafte Aufbewahrung von Computerspielen in öffentlichen Archiven. Auch wenn die FDP-Fraktion den vorgelegten Anträgen nicht zustimmt, stimmen wir dem Grundanliegen zu und werden uns dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen der Computerspieleindustrie als wichtigem Teil der Kultur und Kreativwirtschaft weiter verbessert werden. Als sächsischer Bundestagsabgeordneter freue ich mich auf die nächste Games Convention in Leipzig und hoffe, dass sie dort möglichst lange weiterexistiert. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Monika Griefahn, SPD-Fraktion.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute den Weg für den ersten Computerspielepreis des Bundes freimachen können. ({0}) Mein Kollege Jörg Tauss und ich hatten es gerade wegen der zum Teil sehr emotional, aber leider auch - Frau Bär hat es schon angesprochen - populistisch geführten Debatte um sogenannte Killerspiele während der letzten Jahre nicht immer leicht mit der Idee eines Preises. ({1}) Doch inzwischen scheint vielen klar geworden zu sein, dass Computerspiele mehr sind als die 5 Prozent Gewaltspiele, die auf dem Markt sind. Verkaufsrenner sind ganz andere Spiele. Dazu gehören zum Beispiel Strategiespiele wie Siedler oder Fußball-Manager, die Strategiespiele aus der Anno-Reihe oder das gerade bei meinen Mädels beliebte Spiel Sing-Star, bei dem man bekannte Pop- und Rocklieder im Wettbewerb nachsingt. Auch das sind Computerspiele, auch wenn immer wieder gesagt wird, Computerspiele seien eine Sache für Jungs. ({2}) - Beide singen gleich gut. Es gibt zwar auch gewalthaltige Spiele, für die es wie beim Film oder bei anderen Medien einen möglichst effektiven Jugendmedienschutz geben muss. Doch ich bin froh, dass sich mit unserem Antrag eine positive und fördernde Politik durchsetzt und die vermeintlich problemlösenden Verbote etwas in den Hintergrund gedrängt werden. Notwendig ist der Vollzug der existierenden Gesetze zum Jugendmedienschutz. Das ist klar, und daran arbeiten wir mit Hochdruck, Herr Kollege Waitz. Es geht um die Umsetzung der bestehenden Gesetze statt um neue Verbote. Ich meine aber, dass es die existierenden Gewaltspiele nicht wert sind, durch solche Diskussionen immer wieder im Mittelpunkt zu stehen. Mit unserem Computerspielepreis, mit dem qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele ausgezeichnet werden sollen, erreichen wir das Gegenteil, nämlich dass sich die Aufmerksamkeit auf die anderen 95 Prozent der Spiele richtet, die auf dem Markt sind. Wir erreichen besonders für die prämierten Spiele zukünftig eine größere Aufmerksamkeit und machen beispielsweise deutlich, was für Kinder und Jugendliche gut ist und was die Eltern und Großeltern ohne Bedenken kaufen können. Ein Preis ist eine sinnvolle Förderung von Medienkompetenz, und zwar auch gerade der Eltern und Großeltern. ({3}) Sie glauben nicht, wie dringend nötig das zum Teil ist. Gerade Nichtspielern fehlt oft das Verständnis für Computerspiele. Ich höre zum Beispiel immer wieder von stolzen Großeltern, dass sie ihren Enkeln absichtlich ein Spiel, das erst ab 16 oder 18 freigegeben ist, kaufen, weil sie meinen, es sei - ähnlich wie bei einem Buch - besonders anspruchsvoll nach dem Motto: Mein Kind kann das schon. Mit unserem Preis geben wir solchen Menschen eine wichtige Orientierung, genauso wie der Deutsche Filmpreis den Kinobesuchern, nach dem Motto: Das ist ein guter Film; in den kann ich gehen. In diesem Fall ist es ein gutes Computerspiel. Der Preis soll in unterschiedlichen Kategorien vergeben werden: natürlich für das beste Spiel des Jahres insgesamt, aber auch für ein Kinder- und ein Jugendspiel. Darüber hinaus gibt es einen Innovations- und einen Nachwuchspreis. In den Kategorien spiegeln sich zwei zentrale Anliegen unserer Initiative wider: Erstens. Computerspiele sind ein Kulturgut. Immer mehr Spielerinnen und Spieler aus allen Bevölkerungsgruppen befassen sich unabhängig vom Alter durch Computerspiele mit Inhalten, die sehr oft an aktuelle kulturelle und gesellschaftliche Themen geknüpft sind. Ich habe vorhin Fußball oder aktuelle Popstars als Beispiele erwähnt. Deswegen können wir inzwischen von einer sehr vitalen Spielekultur sprechen, die wir auch fördern sollten. Im Übrigen werden auch die Inhalte kultureller. Zum Beispiel spielen heute - Frau Bär hat das bereits erwähnt - Musikkompositionen und gutes Design eine sehr große Rolle. Damit sind Computerspiele ein wichtiger Kultur- und Kulturwirtschaftsfaktor. Zweitens. Computerspiele sind zu einem wichtigen Innovationsfaktor für technische und mediale Entwicklungen geworden. Leider muss man aber auch feststellen, dass weniger als 10 Prozent aller in Deutschland gekauften Spiele auch hier produziert sind, und das bei einem Markt, der inzwischen größer ist als der der Filmindustrie. Das ist schade; denn so bleibt eine kulturelle und wirtschaftliche Chance noch ungenutzt. ({4}) Mit dem neuen Computerspielepreis, dessen Preisgelder immer in neue Projekte fließen müssen, können wir positive Anreize setzen. Herr Waitz, natürlich wird es Jurys geben, genauso wie beim Filmpreis. Auch dort gibt es unabhängige Jurys. Die Preise werden nicht vom Staatsminister für Kultur und Medien per Zuruf vergeben. Sinn und Zweck von Jurys ist es, aus dem Wust das Richtige herauszufinden. Ich finde, es ist ein wichtiger Schritt, dass der Deutsche Bundestag heute beide Aspekte und damit die kulturelle und die wirtschaftliche Bedeutung von Computerspielen anerkennt und sich zur Förderung bekennt. Ich freue mich auf weitere intensive Diskussionen bei der Umsetzung. Ich hoffe, viele von Ihnen bei der ersten Preisverleihung zu sehen. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Lothar Bisky, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lothar Bisky (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003739, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Computerspiele haben heute eine hohe kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung. Das ist ohne jeden Zweifel richtig. Es ist auch richtig, diese Entwicklung weiter zu fördern. Das ist insbesondere für qualitativ hochwertige und pädagogisch wertvolle Computerspiele festzustellen. Ob die weitere Förderung der Spielebranche allerdings über die Auslobung eines Deutschen Computerspielepreises oder durch eine Qualitätskennzeichnung für Computerspiele erfolgen sollte, möchte ich dahingestellt sein lassen. Beides kann man tun, ohne jeden Zweifel. Die Kritik der Linken richtet sich nicht gegen eine Förderung als solche, sondern gegen die unzureichende Bewertung der Situation und der Probleme in der Computerspielebranche. Sowohl im Koalitionsantrag als auch im Antrag der Grünen wird Unterstützenswertes genannt. Erwähnt wird das kulturelle, technologische und wirtschaftliche Gewicht der Branche. Erwähnt wird ihre künftige Bedeutung für bildende Künstlerinnen und Künstler, Komponisten, Musikerinnen und Musiker sowie Autoren. Erwähnt werden auch die Produzenten und Publisher. Es wird gefordert, anerkannte Studiengänge zu schaffen, Aus- und Fortbildungsgänge zu erweitern, und vieles mehr. Nur eines lässt sich in den Anträgen nicht finden: Die schlechten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Computerspieleindustrie werden mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das geht gar nicht. ({0}) Beide Anträge sind von dem romantischen Begriff der Kreativwirtschaft geprägt, wie ich finde. Sie verkennen die industriellen Fertigungsbedingungen in der Computerspielebranche. Von prekärer Beschäftigung ist ebenso wenig die Rede wie von „hire and fire“, von überlangen Arbeitszeiten oder Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz und den Arbeitsschutz. An keiner Stelle wird auf die oft eintönige, sinnentleerte „Kreativ-Tätigkeit“ in dieser Branche hingewiesen. Einen Computerspielepreis auszuloben oder eine Qualitätskennzeichnung für Computerspiele zu entwickeln, ohne dies mit Forderungen und Kontrollen nach guter Arbeit zu verbinden, halte ich für politisch falsch. ({1}) Ich will Ihnen gerne ein paar Beispiele für die prekären Bedingungen in der Games-Branche nennen. Der Beruf des Spieleentwicklers oder Designers ist beliebt. Es gibt weniger Arbeitsplätze, als nachgefragt werden. Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger erhalten ein Gehalt von rund 2 000 Euro brutto im Monat, doch nicht selten wird von diesem Richtwert nach unten abgewichen. Qualitätstester von Spielen sind fast ausschließlich Prak15314 tikantinnen und Praktikanten, denen wenig oder nichts bezahlt wird. Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden täglich sind keine Seltenheit - ohne Freizeit- oder Überstundenausgleich wohlgemerkt. Außerdem ist die Unsitte verbreitet, nach Abschluss der Entwicklung eines Spiels erst einmal bis zu zwei Drittel der Belegschaft zu entlassen. Gegen solche schlechten Arbeitsbedingungen brauchen wir ein Instrument. Die Gegenargumente von Produzenten und Publishern halte ich für nicht stichhaltig. Sie behaupten allen Ernstes, es sei richtig, dass die Beschäftigten in der Spielebranche länger arbeiteten und vergleichsweise weniger Geld bekämen, weil sie dafür überdurchschnittlich viel Spaß an der Arbeit hätten. Das ist Unsinn; denn von Spaß an der Freude kann sich niemand etwas kaufen. ({2}) Wir stellen darum den Antrag, über die Einführung eines Fair-Work-Siegels für Computerspiele sofort abzustimmen. Nur Unternehmen, die die Voraussetzungen für ein solches Siegel erfüllen, sollen in Zukunft staatliche Fördermittel beziehen können oder bei der Nominierung für einen Computerspielepreis berücksichtigt werden. Ich bedanke mich. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Grietje Bettin ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Grietje Bettin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003439, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich finde es klasse, dass wir uns hier heute einmal positiv mit dem Thema Computerspiele auseinandersetzen. Das Thema ist für viele Menschen leider immer noch sehr negativ besetzt. Die unsägliche Debatte über die Killerspiele, die gerade von der Union angestoßen wurde, wird nun endlich versachlicht, und das begrüße ich außerordentlich. Es wurde schon von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen, dass Computerspiele mehr sind als nur Gewaltspiele. Sie sind ein neues Massenmedium geworden. Computerspiele sind ein positives Beispiel dafür - Monika Griefahn hat die positiven Lerneffekte schon angesprochen -, dass man mithilfe neuer Technologien Medienkompetenz sinnvoll vermitteln kann. ({0}) Die Computerspielbranche ist international eine wichtige Zukunftsbranche, und wir müssen aufpassen, dass Deutschland den Anschluss nicht verliert. Kollege Waitz hat das angesprochen. Gerade in Asien und den USA finden die großen Entwicklungen statt. Dort entstehen die Spiele, die in Deutschland am meisten verkauft werden. Deshalb zielt unser Antrag darauf, in Deutschland insbesondere auf den Fachkräftemangel zu reagieren; denn der ist das Problem, das bei uns immer an erster Stelle steht. Zu dem Antrag der Koalition: Wir begrüßen den Antrag grundsätzlich, aber wir glauben, dass aus dem Grund, den ich eben angesprochen habe, die Bedürfnisse der Branche noch nicht wirklich erkannt wurden und dass Computerspiele zu sehr mit dem Film verglichen werden. Es wird versucht, Computerspiele und Filme gleichzusetzen. Wir aber glauben, dass Computerspiele ein anderes Medium sind, das nach anderen Kriterien funktioniert. Wir kritisieren, dass das Einzige, was der Koalition einfällt, der Computerspielepreis ist. Er ist natürlich schön für die Spielentwickler, und es ist schön für den Herrn Staatsminister, wenn er sich auf Fotos mit den Preisträgern ablichten lassen kann, aber wir glauben, dass die strukturellen Probleme der Branche anders bekämpft und andere Antworten auf die Fragen gefunden werden müssen. Außerdem haben wir die Sorge - das ist auch ein Kritikpunkt -, dass wahrscheinlich eher die großen Entwickler von diesem Computerspielepreis profitieren, jedoch eher die kleinen Entwickler Unterstützung brauchen. Deshalb wollen wir, dass - auch als wichtiger Hinweis für die Eltern - analog zum Siegel „Spiel des Jahres“ ein Gütesiegel entwickelt wird, das alle beantragen können. ({1}) Zum Thema „Nachwuchsmangel bekämpfen“: Die Fraktion der Grünen ist der Meinung, dass die Computerspieleentwicklung in Aus- und Fortbildung integriert werden muss, dass entsprechende Studiengänge an den Hochschulen und Fachhochschulen geschaffen und gerade kleine, innovative Spieleentwickler gefördert werden müssen - Stichwort Ideenvielfalt. Ein Computerspiel zu entwickeln, ist unendlich teuer; und kleine, innovative Spieleentwickler können sich das nicht unbedingt leisten, wenn sie nicht finanziell unterstützt werden. Einzelne Bundesländer haben eine entsprechende Unterstützung bereits als einen Teil der Wirtschaftsförderung aufgenommen. Wir wünschen uns eine flächendeckende Wirtschaftsförderung gerade auch für kleine und mittlere Spieleentwicklerfirmen in Deutschland. Zum Thema „Computerspiele sind Kultur“: Wir aus dem Fachgebiet sind uns, glaube ich, alle einig: Computer spielen ist eine moderne Fortschreibung des klassischen Spielens mit neuen technischen Mitteln. Computerspiele haben eine eigene Ästhetik, eigene Inhalte. Aber Computerspiele sind nicht mit Filmen gleichzusetzen, deswegen sind andere Maßnahmen notwendig. Für uns ist wichtig - das wird in unserem Antrag angesprochen -, in Deutschland Archivierungsregeln für Computerspiele, ähnlich wie für Bücher und Filme, zu treffen. Kultur ist ein Spiegel der Zeit, und wir sollten diese Spiele für die Nachwelt erhalten. Technik verändert sich, und damit können diese Spiele nicht immer gespielt werden. Deshalb wollen wir uns für eine Archivierungsregelung auch für Computerspiele einsetzen. Insgesamt ist klar, dass wir noch am Anfang einer sehr spannenden Diskussion stehen. Es ist zu begrüßen, dass wir uns endlich auch mit den positiven Aspekten der Computerspiele beschäftigen. Den Antrag der Großen Koalition werden wir allerdings ablehnen. ({2}) Denn wir glauben, dass damit die zentralen Probleme nicht wirklich gelöst werden können. Danke schön. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Philipp Mißfelder von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein die Tatsache, dass der Präsident des Hauses bei dieser Debatte anwesend ist, zeigt, dass mittlerweile auch ausgewiesene Kulturpolitiker der Union anerkennen, dass es sich bei Computerspielen um Kunst und Kulturgut handelt. ({0}) - Herr Tauss, Sie mögen an solche Zufälle glauben, ich tue das nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Mißfelder, aus meiner schieren Anwesenheit eine solch weit reichende Schlussfolgerung herzuleiten, ist jedenfalls kühn. ({0})

Philipp Mißfelder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003810, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin mir sicher, dass die Kindergeneration unseres Präsidenten, zu der ich ja auch zähle, diese Anwesenheit trotzdem sehr zu schätzen weiß und dass sie das Generationenproblem auflöst, das zwischen der Internet- und Computerspielgeneration und der Generation derjenigen besteht, die noch nie in ihrem Leben im Internet waren. Ich finde es auch sehr positiv, dass heute Abgeordnete zu diesem Thema gesprochen haben, die bisher selbst selten im Internet waren und auch sonst wenig mit diesem Thema zu tun hatten. Trotzdem erkennen sie an, dass wir mit diesem Preis auf dem richtigen Weg sind. Ich glaube tatsächlich - um mich den Vorrednerinnen und Vorrednern anzuschließen -, dass wir in den vergangenen Monaten und Jahren die Debatte vielfach unter falschen Vorzeichen geführt haben. Dass viele, gerade auch ältere Familienpolitiker dieses Kulturgut nicht anerkennen, ist Ausdruck der Verzweiflung darüber, dass sie ihre eigene Kindergeneration nicht verstehen. Es gibt keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang zwischen dem Spielen von Computerspielen - auch von sogenannten Killerspielen - und Gewaltexzessen, den konnte auch ein früherer Justizminister aus Niedersachsen nicht nachweisen, der sich auf diesem Forschungsfeld verdient gemacht hat und dort immer noch verdienstvoll tätig ist. Es nutzt der Sache allerdings nichts. ({0}) - Auch in unserer eigenen politischen Familie, Herr Tauss, haben wir sicherlich noch viel Überzeugungsarbeit in diesem Bereich zu leisten. ({1}) Dass die scheinbar einfache Lösung vorgeschlagen wird, Computerspiele zu verbieten, zeigt, dass insgesamt wenig Verständnis mit Blick auf das Internet vorhanden ist. Verbote bringen in dieser Branche nichts. Gerade in einer digitalisierten Welt gibt es keine Grenzen. ({2}) Ich finde es richtig, um an das anzuknüpfen, was Frau Griefahn gesagt hat, dass die Koalitionsfraktionen diesen Preis auf den Weg gebracht haben. Eine kleine Korrektur muss trotzdem erlaubt sein. Nicht nur Sie und Herr Tauss waren dafür verantwortlich, sondern in erster Linie natürlich die Union, unser Kulturstaatsminister, Frau Bär und Herr Börnsen. Ich möchte mich selber von diesem Dank nicht ausschließen. ({3}) Ich verweise deshalb darauf, dass wir diesen Preis auf den Weg gebracht haben und in diesem Bereich in den nächsten Jahren sicherlich noch viel zu tun haben. Ich glaube, es ist richtig, deutlich zu machen, dass Computerspiele auch Kulturgut und eine Ausdrucksform der Kunst sind. Dass dort öffentliche Aufklärungsarbeit geleistet werden muss, gerade um besonders wertvolle Computerspiele herauszustellen, halte ich für sinnvoll und erstrebenswert. Ich glaube, dies ist eine der wenigen Debatten, bei der uns viele Jugendliche über das Internet - vielleicht auch über das Fernsehen, wenn diese Debatte dort überhaupt übertragen wird; ich wünschte mir, dass Parlamentsdebatten häufiger im Fernsehen übertragen werden - genau auf den Mund schauen, um zu erfahren, was die Politiker zu den für sie wichtigen Themen sagen. Die generelle Kriminalisierung einer ganzen Generation die Computerspiele macht, ist nämlich falsch und zeugt von wenig Verständnis für die Kinder. Deshalb finde ich diesen Preis und auch die heutige Debatte richtig. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nachdem die meisten Anwesenden Wert darauf gelegt haben, zu den Initiatoren dieses Preises gezählt zu werden, will ich für die wenigen, die das nicht in Anspruch nehmen, wenigstens festhalten, dass sie der Vergabe dieses Preises nicht im Wege stehen wollen. ({0}) Nun erhält zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes der Kollege Tauss für die SPD-Fraktion das Wort. ({1})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Vielen Dank und vielen Dank auch für die freundlichen Worte, gestern Abend an meine Adresse gerichtet. Ich brauche heute ein bisschen mehr Redezeit, weil die nachfolgende Rednerin noch nicht da ist. Ich will an dieser Stelle alles unterstreichen, was zur wirtschaftlichen und zur kulturellen Bedeutung gesagt worden ist. Um einen Vergleich zu ziehen: Es ist in der Tat so, dass die Computerspielindustrie die Filmindustrie zwischenzeitlich sogar überrundet hat. In den USA hat die Filmindustrie mittlerweile eine größere ökonomische Bedeutung als die Automobilindustrie. Das zeigt ein Stück weit, welche Bedeutung das hat, wovon wir hier reden. Aus diesem Grunde ist es gut, dass wir dieses Thema hier ansprechen. Manchmal wird man gefragt: Habt ihr keine anderen Sorgen als Computerspiele? Ähnlich wurde übrigens gefragt, als wir hier einmal über den Film diskutiert haben. Die Aufregung ist immer groß, wenn es zu irgendwelchen Katastrophen kommt. Katastrophen will ich überhaupt nicht kleinreden. Kollege Mißfelder und andere haben sie angesprochen. Das sind ernste Themen. Allerdings wird man den Computerspielerinnen und Computerspielern mit einfachen Kausalzusammenhängen, wie sie immer wieder dargelegt werden - Computerspiele führen zu Gewalttätigkeit -, nicht gerecht, und man diskriminiert im Grunde genommen einen großen Teil der jungen Generation. Aus diesem Grunde glaube ich, dass von dieser Debatte ein Signal ausgehen muss. ({0}) Die tragischen Vorgänge in Erfurt hatten viel eher mit einem, mittlerweile zum Glück korrigierten, Schulgesetz zu tun - nach vielen Jahren Schulbesuch konnte man ohne Abschluss dastehen, Stichwort „Perspektivlosigkeit“ - als mit anderen Dingen. Wenn ich mit jungen Leuten diskutiere, zum Beispiel mit Schulklassen aus meinem Wahlkreis, dann bemerke ich Folgendes: Dieses Thema bewegt. Computerspiele sind mittlerweile ein fundamentaler und kultureller Bestandteil des Alltags vieler Menschen, insbesondere junger Menschen; der Anteil der unter 30-Jährigen ist dabei überproportional hoch. ({1}) - Ja, natürlich spiele ich auch. Das muss ich zugeben. Obwohl ich spiele, will ich darauf hinweisen, dass ich noch nicht marodierend durch den Bundestag gezogen bin. ({2}) Es gibt welche, die sagen, ich hätte dafür andere Auffälligkeiten. Kollege Krings, das mag sein. - Es wäre in der Tat ein Problem, dieses Thema auf Killerspiele zu reduzieren. Wir hätten in den heute von der Großen Koalition auf den Weg gebrachten und vorgelegten Antrag „Wertvolle Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken“ noch viele Punkte aufnehmen können. Kollege Bisky, ich denke nicht, dass es richtig gewesen wäre, hier das Elend der Branche zu benennen. Ich war bei vielen Firmen hier in Deutschland, die Computerspiele herstellen. Ich habe gesehen, mit welcher Begeisterung junge Menschen an der Entwicklung arbeiten und was für kreative Teams am Werk sind. In meinem Wahlkreis gibt es beispielsweise Personen, die ein Piratencomputerspiel vertreiben. Ohne dass wir die bestehenden Probleme in irgendeiner Form ignorieren, muss ich sagen: Es macht Spaß, mit denen zu diskutieren, die sich mit den Computerspielen beschäftigen. Der Preis ist notwendig, weil wir ein anderes Signal geben wollen. Das ist richtig; darauf ist hingewiesen worden. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass vonseiten der Wirtschaft ein großes Interesse an diesem Preis gezeigt worden ist. Bei allem Lob kann man an der Stelle auch das Negative noch kurz ansprechen. Wir erwarten, dass die Wirtschaft ihre Zusagen jetzt auch einhält. ({3}) Wir tun etwas für diesen Bereich, nicht nur was sein Ansehen angeht; wir fördern die Computerspiele an den unterschiedlichen Stellen, wie beschrieben, halten dies für richtig und wichtig, erwarten jetzt aber auch, dass das Geld kommt. Wir geben vom Bund und erwarten den gleichen Anteil von der Industrie. Das ist bisher noch nicht erfolgt. Wenn es nicht erfolgt, laufen wir Gefahr, dass die Initiative scheitert. Ich sage also in aller Deutlichkeit: Wir erwarten von der Wirtschaft, dass sie ihre Zusagen jetzt einlöst. ({4}) Alles andere hätte einen großen Imageverlust zur Folge. Dass der Bund allein einen Preis für Computerspiele bezahlt, würde ich nicht einsehen. In diesem Sinne würde ich es auch für gut halten, wenn wir mit der Branche noch etwas kritischer und offensiver diskutierten. Computerspiele haben etwas mit Kultur zu tun und nicht damit, dass gewalttätige junge Menschen irgendwo in der Gegend herumrandalieren. - Dieses deutliche Signal sollten wir geben. Herr Präsident, die Lampe leuchtet, die mir nachfolgende Rednerin ist auch da. Insofern passt es: Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Tauss, Sie haben ohne Not den Eindruck erweckt, der Redebeitrag habe nur der Füllung der Lücke bis zum nächsten Tagesordnungspunkt gedient. Davon kann natürlich überhaupt keine Rede sein. ({0}) Davon war jeder spätestens nach Ihrem Redebeitrag überzeugt. Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord- nungspunkt. Zum Tagesordnungspunkt 8 a gibt es eine Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/8033. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/7116 mit dem Titel „Wertvolle Com- puterspiele fördern, Medienkompetenz stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der Koalitions- fraktionen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen auf Drucksache 16/7282 mit dem Titel „Hochwer- tige Computerspiele fördern und bewahren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord- nungspunkt 8 b. Hierbei geht es um den Antrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/8178 mit dem Titel: „Fair-Work“-Siegel für Computerspiele. - Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bildungszugang von Kindern und Jugendli- chen stärken - Finanzierung von Schüler- und Schülerinnenbeförderung im SGB II ermögli- chen - Drucksachen 16/4486, 16/6013 - Berichterstattung: Abgeordneter Karl Schiewerling b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, Irmingard Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche aus armen Haushalten fördern - Drucksachen 16/5253, 16/5686 Berichterstattung: Abgeordneter Max Straubinger Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion. ({3})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Gleiche Chancen im Bildungssystem - darum geht es heute. Gleiche Chancen im Bildungssystem, das heißt gleiche Chancen von Arbeiterkindern auf einen Studienplatz, gleiche Chancen von Migrantenkindern auf einen Ausbildungsplatz, gleiche Chancen von Kindern Arbeitsloser auf einen guten Schulabschluss. ({0}) Da kann jeder im Bundestag zustimmen, aber wenn es in die Details geht, sind die Antworten sehr unterschiedlich. Die sogenannte Linke fordert: Schülerfahrkarten für Kinder aus Arbeitslosenhaushalten sollen vom Bund bezahlt werden. Das Geld soll man sich bei den Ländern holen. - Das ist ein unseriöser Finanzierungsvorschlag. Diese Forderung kann nur bei voller Missachtung des Grundgesetzes gestellt werden. ({1}) Wahrscheinlich waren die Antragsteller bei der Föderalismusdebatte gerade nicht im Bundestag. Sonst wüssten sie nämlich, dass Bundesländer und Kommunen für die Lernmittelfreiheit in Schulen und für den Weg zur Schule verantwortlich sind, egal ob wir das gut finden oder nicht. ({2}) Es ist wichtig, dass sich die Menschen an Landtagswahlen beteiligen, denn im Land - nicht im Bund - wird über die Bildungschancen der Kinder entschieden. Ich möchte kurz auf den Antrag der Grünen eingehen: Er ist mit Verantwortung für unser Bildungssystem und den Staatshaushalt geschrieben. Ich teile ausdrücklich mit Ihnen die Meinung, dass vom heutigen Tag ein Signal an die Länder und Kommunen ausgehen muss, damit sie ihrer Verantwortung für gleiche Bildungschancen - sie selbst hatten den Wunsch, die Verantwortung dafür zu tragen - gerecht werden. Nehmen wir einmal an, ich teilte Ihr Grundanliegen, Schülerfahrkarten voll über das SGB II zu finanzieren, dann fände ich es spannend, zu wissen, wie es in Berlin geregelt ist, wo die Linke doch in der Regierung sitzt und die verantwortliche Senatorin stellt. Siehe da: Selbst in Berlin werden den Familien, die Arbeitslosengeld II erhalten, nicht die Kosten für Schülerfahrkarten zurückerstattet. ({3}) Hier im Bundestag und in Talkshows fordern Sie, was das Zeug hält, und halten nichts davon ein, wenn Sie die Verantwortung tragen: Das ist Ihre Art der Politik; ({4}) die Menschen sollen das wissen. Das ist unseriös und unglaubwürdig. Es zeigt, dass Sie lieber reden als handeln. Ich teile Ihre Grundlogik ausdrücklich nicht, wonach Kinder von Arbeitslosengeldempfängern mehr Chancen auf Bildung und später auf einen Beruf haben, wenn wir das Arbeitslosengeld erhöhen. Das Arbeitslosengeld II ist ein über Steuern finanziertes soziokulturelles Existenzminimum. Um den Kindern zu helfen, brauchen wir bessere Schulen. Man muss also die Struktur ändern: Wir brauchen mehr Ganztagsbildungsangebote, um den Teufelskreislauf - Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, kein strukturierter Tagesablauf und das tägliche Durchwurschteln - zu durchbrechen. Nur so eröffnen wir gleiche Bildungschancen. Nur so rückt für diese Kinder ein guter Ausbildungsplatz in greifbare Nähe. Das nehmen wir Sozialdemokraten ernst. Als Partei des Fortschritts wissen wir: ({5}) Bildung ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Ja, ich gehe weiter: Bildung ist die beste Arbeitslosenversicherung. Wir sind davon überzeugt: Der Staat hat dafür zu sorgen, dass alle den gleichen Zugang zu Bildung haben, unabhängig von ihrer Herkunft. Jeder Mensch hat das Recht auf einen gebührenfreien Bildungsweg von Krippe und Kindergarten bis zur Hochschule. Diese Sätze sind brandaktuell und stehen in unserem Hamburger Grundsatzprogramm. Dieses Grundsatzprogramm ist das Leitbild für unser Regierungshandeln; dafür stehen wir Sozialdemokraten, das Ziel klar vor Augen. Schritt für Schritt setzen wir das Programm um. Lassen Sie mich einige Beispiele dafür aufführen, um zu zeigen, dass glaubwürdige Politik nicht in Talkshows und mit Scheinanträgen, sondern durch verantwortliches Regierungshandeln gemacht wird. ({6}) Es war die Schröder-Regierung, die den Durchbruch beim Thema Ganztagsschulen geschafft hat, indem sie mutig 4 Milliarden Euro in die Hand genommen hat. ({7}) Heute gibt es keine Landesregierung und keinen Bundesminister mehr, der ohne ein klares Bekenntnis zur Ganztagsschule bestehen kann. Ohne den Mut der Schröder-Regierung wären allein in meiner Heimat sechs Schulen heute keine Ganztagsschulen: in Birkenfeld, Dietlingen, Mühlacker und drei in Pforzheim. Wir werden auch für Kinder ab einem Jahr den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durchsetzen, weil wir wissen, dass Chancengerechtigkeit schon bei den Kleinen anfängt; dabei liegen wir aber noch mit unserem Koalitionspartner im Argen. ({8}) Wir haben mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von Renate Schmidt angefangen und damit 230 000 zusätzliche Kitaplätze geschaffen; da machen wir in der Großen Koalition weiter. ({9}) Damit sorgen wir für gleiche Bildungschancen, gerade auch für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unabhängig vom Geldbeutel. Der Übergang von der Bildungs- zur Arbeitsmarktpolitik ist fließend: Wann fängt die Berufsorientierung an? Wer ist dafür zuständig? Wie helfen wir den Jugendlichen, die trotz Schulabschluss keine Chance auf Ausbildung haben? Wir im Bund nehmen Geld in die Hand und gehen mutig voran: mit mehr Berufsberatern in den Schulen, mit der Einstiegsqualifizierung, die mit über 70 Prozent Erfolgsquote in Ausbildung die beste Methode ist, und nun mit dem geplanten Ausbildungsbonus für Altbewerber. Mit ihm werden wir bis 2010 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze für die Jugendlichen schaffen, die es heute schwer haben. Der Betrieb bekommt einen Zuschuss, und bei Problemen hilft eine zusätzliche sozialpädagogische Begleitung. Lassen Sie mich noch einmal Pforzheim und den Enz-Kreis zitieren: Wir haben schon seit längerem für jährlich 40 Jugendliche aus dem Berufsvorbereitungsjahr so einen Zuschuss. Das ist ehrliche Hilfe. Die Kombination aus zusätzlichem Ausbildungsplatz, Bonus für den Betrieb und sozialpädagogischer Begleitung ist ein Erfolg. Eine Ausbildung im Betrieb ist besser als jede Warteschleife. Deshalb handeln wir im Bund - und das ist gut so - mit unserem Ausbildungsbonus. Doch auch für die BAföG-Empfänger konnten wir einiges erreichen: 10 Prozent mehr. Um deutlich zu machen, was wir da erreicht haben, zitiere ich den Koalitionsvertrag: Das BAföG als Sozialleistung wird in seiner jetzigen Struktur zur Finanzierung des Lebensunterhalts erhalten ({10}). 10 Prozent mehr; das zeigt, was wir in der Großen Koalition bewegen können. ({11}) Im Übrigen steht im Koalitionsvertrag eindeutig: Die Koalitionspartner sind in der Frage von Studiengebühren unterschiedlicher Auffassung. ({12}) Aber auch in den Bundesländern zeigen wir, dass wir nicht nur über gleiche Chancen in der Bildungspolitik reden, sondern auch handeln. Rheinland-Pfalz ist unser sozialdemokratischer Champion. Kurt Beck regiert allein mit sozialdemokratischer Politik: ({13}) keine Studiengebühren, Beitragsfreiheit für das letzte Kindergartenjahr, denn von Anfang an wird über Bildungs- und Zukunftschancen entschieden, Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Zweijährige ab 2010, Beitragsfreiheit der Kitaplätze bis 2010 und die Zusammenführung der Haupt- und Realschule zur „Realschule plus“; das gibt Hauptschülern neue Perspektiven bei der Berufsorientierung. ({14}) Ich bleibe also dabei: Das Verändern der Strukturen führt zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Dazu stehen wir Sozialdemokraten auf allen Ebenen, ob im Bund, in den Ländern oder in den Kommunen. Wir gehen Schritt für Schritt vor: gebührenfreie Kindergärten, Ganztagsschulen, gebührenfreies Studium und Begleitung lebenslangen Lernens. Das sind wir den Menschen und der Zukunft unseres Landes schuldig. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jörg Rohde ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion. ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Mast, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie auf die Scheinheiligkeit der Linksfraktion hingewiesen haben. ({0}) Wenn man in politischer Verantwortung ist, dann kann man die Forderungen, die man erhebt, auch vor Ort umsetzen. ({1}) Das muss man deutlich machen. Allerdings haben Sie es versäumt, darauf hinzuweisen, dass der Regierungspartner der Linken in Berlin die SPD ist. ({2}) Das ist natürlich kein Ruhmesblatt für diese Diskussion. ({3}) Die Zielsetzung beider Anträge, die heute zur Abstimmung stehen, verdient Respekt und Anerkennung. Es ist völlig unbestritten, dass die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen nicht von der Finanzkraft ihres Elternhauses abhängen dürfen. Auch die FDP spricht sich uneingeschränkt für Chancengerechtigkeit im Zugang zu frühkindlicher, schulischer und beruflicher Bildung aus. ({4}) Mit zahlreichen Anträgen hat die FDP in den vergangenen Jahren im Deutschen Bundestag, vor allem aber in den Landtagen Vorschläge dafür unterbreitet. Denn, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Linken, das, was Sie in Ihren Anträgen fordern, fällt nicht in die Zuständigkeit des Bundes, sondern in die Zuständigkeit der Länder. ({5}) Bildung ist Ländersache, und Bildung bleibt Ländersache. ({6}) Das ist das Ergebnis der Föderalismusreform, und das ist gut so. Je zentralistischer Bildung organisiert wird, desto bürokratischer wird sie. Je mehr Gestaltungsmöglichkeiten die Länder haben, desto mehr können sie auch für Bildung tun, desto vielfältiger und dynamischer kann sich Schule entwickeln. Dies gilt explizit für die Sicherstellung der Schülerbeförderung durch die Landkreise und die Versorgung mit Lernmitteln. Es ist Aufgabe der Länder und Landkreise, auch Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien den Zugang zu Schule und Bildung zu ermöglichen. Sie kommen diesem Auftrag auch nach. Alles andere ist eine unverantwortliche Schwarzmalerei. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Rohde, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss beantworten?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gerne, Herr Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist wunderbar. - Obwohl wir um Koalitionspartner werben, will ich jetzt weniger nett sein. Ich will Ihrem leidenschaftlichen Bekenntnis zum Föderalismus - ich sehe, auch der Kollege Burgbacher ist anwesend - gerne folgen. Können Sie mir aber bestätigen, dass der Kollege Barth und die Kollegin Pieper im Ausschuss für Bildung und Forschung gelegentlich ganz andere Töne anschlagen und völlig mit Recht darauf hin15320 weisen, dass man doch eine verstärkte Kooperation von Bund und Ländern im Bildungsbereich anstreben sollte? Seid ihr euch nicht ganz einig über das, was ihr da wollt?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Tauss, auch in der FDP gibt es Meinungsvielfalt. ({0}) Es ist nicht alles stromlinienförmig; es gibt also auch Einzelmeinungen. Ich trage Ihnen jetzt die Mehrheitsmeinung vor. Wir haben eine intensive Debatte innerhalb der FDP gerade über die Bildungspolitik geführt. Es gibt natürlich gute Argumente für die eine oder für die andere Seite. Bei der FDP setzt sich aber die Meinung durch, dass Bildung Ländersache ist. ({1}) - Es gibt Bildungspolitiker auf verschiedenen Ebenen. Die FDP ist in Kommunalparlamenten, in den Landtagen, im Bundestag und in Europa vertreten. Auf den verschiedenen Ebenen gibt es unterschiedliche Meinungen. Das gilt aber auch für andere Parteien. Ich bin sicher, dass Sie auch in der SPD den einen oder anderen finden, der in dieser Frage vielleicht nicht Ihrer Meinung ist. ({2}) Ich trage eben die Mehrheitsmeinung der FDP vor. ({3}) Viele Landkreise gehen bei der Schülerbeförderung mit gutem Beispiel voran und befreien Eltern mit niedrigen Einkommen von den Zuzahlungen. Dies ist der richtige Weg. Falsch wäre es dagegen, dort, wo von den zuständigen Trägern Verantwortung nicht in zufriedenstellendem Maße wahrgenommen wird, mit Nothilfen durch den Bund einzuspringen. Dies hätte in vielfacher Hinsicht negative Auswirkungen: Zum einen müssten wir befürchten, dass sich dann weitere Landkreise aus der Verantwortung stehlen, weil sie zukünftig ja schon wüssten, dass im Zweifel der Bund einspringt. Zum anderen würde vor allem für die betroffenen Eltern eine unzumutbare Situation eintreten, wenn sie zwischen den Kostenträgern des SGB II, SGB XII oder des Asylbewerberleistungsgesetzes und den Landkreisen hin und her geschickt würden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der Grünen, die in Ihren Anträgen skizzierten Missstände gibt es vereinzelt, aber sie müssen vor Ort abgestellt werden, nicht im Deutschen Bundestag. Tragen Sie deshalb die heute vorliegenden Anträge in Ihre Landtags- und Kreistagsfraktionen! Dorthin gehören diese Initiativen. Im Deutschen Bundestag können wir Ihren Anträgen leider nicht zustimmen. Das heißt allerdings nicht, dass man von Berlin aus zur Lösung vieler Probleme der Länder und Kommunen nicht beitragen könnte. Im Gegenteil: Im Rahmen der Föderalismusreform II, also der Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, müssen die Länder und Kommunen auch finanziell in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben umfassend und verantwortungsbewusst nachzukommen. Insbesondere von der Union und der SPD erwartet die FDP deshalb, dass die Föderalismusreform II nicht weiter auf die lange Bank geschoben wird. Der Schlüssel zur Lösung der Probleme einkommensschwacher Familien liegt in der Schaffung neuer Arbeitsplätze und in der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir brauchen bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Bezieher sozialer Leistungen. Niedrigere Steuern und Lohnnebenkosten würden zu mehr Beschäftigung führen und damit einkommensschwachen Familien den Weg aus dem Leistungsbezug ebnen. Für diejenigen, die dennoch auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, fordern wir Liberale schon seit langem die Einführung eines Bürgergeldes. Im Bürgergeld sind alle steuerfinanzierten Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohngeld, BAföG, Grundsicherung und Kindergeld zu einer bedarfsdeckenden Leistung zusammengefasst. Die bürokratisch aufwendige und oftmals auch zermürbende und stigmatisierende Ermittlung der einzelnen Bedarfe und Sonderbedarfe nach heutigem Recht fiele weg. Ein individuell nachzuweisender Mehrbedarf, wie ihn die Linken fordern, würde dagegen einen weiteren Gang zur Arge, zum Jobcenter oder zum Sozialamt bedeuten. Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im Bundestag die Weichen für mehr Arbeit und stabile Länder- und Kommunalfinanzen stellen! Die Bildungspolitik dagegen sollten wir weiterhin den Ländern überlassen, und zwar in vollem Umfang, also auch was Lernmittel und den Weg zur Schule betrifft. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Karl Schiewerling spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion - mindestens für die Mehrheit, vermute ich. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Rohde, der guten Ordnung halber zu Ihren Hinweisen auf Bund, Länder und Kommunen: Viele Länder und Kommunen sind mittlerweile in der glücklichen Lage, ausgeglichene Haushalte zu haben. Ich weise deutlich darauf hin, dass der Bund hier noch einige Anstrengungen unternehmen muss, um das auch hinzubekommen. ({0}) Bevor wir anfangen, Gelder vom Bund auf die Länder und die Kommunen zu verteilen, sollten wir einmal schauen, wie die Zuständigkeiten unter dem Strich wirklich verteilt sind, und sollten die Diskussionen in der Föderalismuskommission II abwarten. ({1}) Wir haben in der Tat das Problem, dass die Bildungssituation in Deutschland - dies ergibt sich aus den PISAStudien - beklagenswert ist. Im Kreuzfeuer der Kritik steht dabei der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und den erzielten Bildungsleistungen. Dass es diesen Zusammenhang gibt, ist offenkundig. Aber er ist nicht immer zwangsläufig gegeben. Kinder aus Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, sind nicht dümmer als andere Kinder und vor allen Dingen nicht per se bildungsarm. Es gibt im Bereich der Arbeitslosengeld-II-Bezieher sehr unterschiedliche Lebenssituationen. Es ist notwendig, diese auch in dieser Frage sehr differenziert zu betrachten. ({2}) Wir machen uns in der CDU/CSU-Fraktion zunehmend Sorgen um diejenigen Kinder, die aus jenen hochproblematischen sozialen Milieus kommen, die völlig überfordert sind, das eigene Leben zu gestalten, Tagesabläufe zu strukturieren und damit den Kindern zu helfen, in ihrem Leben Orientierung zu bekommen. In diesem Milieu greifen übrigens noch nicht einmal Sanktionsmaßnahmen, wie sie im SGB II vorgesehen sind. Wir haben ein Problem: Diese Milieus wachsen in Deutschland schneller als manche andere. Deshalb hat sich meine Fraktion Anfang dieses Jahres intensiv mit dem Thema der Familien in sozial schwierigem Umfeld beschäftigt. Schätzungsweise 2,6 Millionen Menschen leben in der sogenannten ererbten oder zu vererbenden Sozialhilfe, viele davon in Ballungszentren und in einschlägig bekannten Wohngebieten. Sie leben in zweiter und dritter Generation von staatlichen Transferleistungen. Viele dieser Familien haben in ihrem Leben nicht ein einziges Mal die Situation erlebt, dass sie selbst, ihre Eltern oder ihre Großeltern mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdient haben. Sie haben die Fähigkeit verloren, ihr eigenes Leben zu gestalten. Besonders davon betroffen sind in der Tat Familien, sind die Kinder. Sie erleben den staatlichen Transfer als eine absolute Lebensnormalität. So leben sie zum einen in der Gefahr, den apathischen Stil ihrer Eltern nachzuleben. Zum anderen gehören diese Kinder in der Tat oft zu den Bildungsarmen. Bildung ist aber die wesentliche Grundlage für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe. Ich sage Ihnen sehr deutlich - auch mit Blick auf die Lebenssituation dieser Kinder -: Wir dürfen keines dieser Kinder verloren geben. ({3}) Hier muss - das möchte ich betonen - Hilfe ansetzen. Hier muss Selbsthilfe organisiert werden und muss mehr passieren als die bloße finanzielle Steigerung der Sozialtransfers. Wir benötigen aufsuchende Hilfestrukturen, die auf diese Familien zugehen und sie im Alltag stärken. Die Angebote müssen niedrigschwellig sein, um so auch die Eltern in sozial schwierigen Milieus für die Arbeit mit ihren Kindern zu gewinnen. ({4}) Es gibt zahlreiche gute Beispiele in diesem Zusammenhang. Ich erwähne nur die Arche in Hamburg oder die Einrichtung Lichtblick Hasenbergl in München. Denn die Praxis zeigt: Über die Hilfe für die Kinder kann in vielen Fällen auch die Lebenseinstellung der Eltern verändert werden. Wir brauchen dazu allerdings ein Zusammenwirken zwischen den unterschiedlichen Bereichen. Dazu gehören Schule und auch Kinder- und Jugendhilfe. Alle müssen mithelfen, dass wir dort weiterkommen. In den vorliegenden Anträgen geht es im Wesentlichen darum, die Leistungen des SGB II auszuweiten. Sie fordern Lernmittelfreiheit, die Übernahme der Kosten für das Mittagessen und Schultransporte. Angebliche Kommerzialisierungstendenzen im Schulwesen sollen gestoppt werden und vieles mehr. Die Zuständigkeit der Länder für Bildung ist im Rahmen der Föderalismusreform I gerade ausdrücklich betont worden. Was wir jetzt bestimmt nicht machen werden, ist, in diesen Kompetenzbereich der Länder einzugreifen. ({5}) Nicht nur die Bildungshoheit liegt bei den Ländern, sondern in der logischen Folge ist auch die Beförderung der Schüler zu den Schulen Aufgabe der Länder. Jedes Bundesland regelt in speziellen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen, wie die Beförderung der Schüler zu organisieren ist und wer die Kosten dafür trägt. Oft werden die Kosten für die Beförderung im öffentlichen Nahverkehr bezuschusst. In ländlichen Gebieten wird die Beförderung in der Regel mit speziellen Schulbussen gewährleistet. Im SGB II ist glasklar geregelt, welche Leistungen der Bund und welche die Kommunen zu erbringen haben. Die Kommunen sind zuständig für die Beförderung der Schülerinnen und Schüler, ebenso für die Schulspeisung und die Übermittagbetreuung. Daher kann es hier nicht darum gehen, neue Leistungsanforderungen an die Grundsicherung zu stellen. An dieser Stelle weise ich in aller Deutlichkeit darauf hin, dass das Bundessozialgericht im November 2006 Höhe und Art der Bedarfsermittlung, wie sie in § 23 des SGB II geregelt ist, als verfassungsgemäß angesehen hat. ({6}) In vielen Ländern gibt es sehr innovative Schulprojekte, die ganz bewusst in sozial schwierigen Regionen durchgeführt werden. Es ist immer das Engagement einzelner Menschen oder Gruppen, das darüber hinaus zu Verbesserungen führt. Ich weise darauf hin, dass es in Nordrhein-Westfalen den Landesfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“ gibt, für den das Land 10 Millionen Euro zur Verfügung stellt. 50 000 Kinder und Jugendliche profitieren jedes Jahr davon. Die Landesregierung NRW hat einen besonderen Schwerpunkt auf die kulturelle Bildung gelegt. Sie hat sich unter anderem das Ziel gesetzt, die künstlerisch-musische Grundausbildung in den Schulen zu verbessern. Das reduziert Bildung nicht auf Wissen, wie die PISA-Studie es tut. Dies ist vielmehr ein Schritt in Richtung einer ganzheitlichen Sicht auf den Menschen und einer entsprechenden Förderung. Die Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ ist ein beachtlicher Erfolg. Des Weiteren gibt es diverse Projekte rund um das Thema gesunde Ernährung. Doch die präventive Arbeit hat nur dann Erfolg, wenn wir es den Kindern vorleben, in der Schule, in der Freizeit und vor allem in der Familie. Eltern haben eine Vorbildfunktion. Lassen Sie mich deutlich sagen, dass es auch um die überwiegende Zahl von Familien geht, die keine Grundsicherung bekommen, deren Einkommen aber nur knapp darüber liegt. Diese Familien müssen alles, ob Busfahrkarte oder Schulbücher, selbst bezahlen. Diese Familien müssen wir fördern. Sie gehören zum Kern der Leistungsträger unserer Gesellschaft. ({7}) Deswegen reformieren wir den Kinderzuschlag. Mit den geplanten Neuregelungen wollen wir verhindern, dass etwa 250 000 Kinder auf Grundsicherung angewiesen sind. Ich halte das für den richtigen Weg; denn wir wollen verhindern, dass Kinder und Familien auf den Hilfebezug zurückgreifen müssen, und wir wollen, dass diejenigen, die Hilfe beziehen, da so schnell wie möglich wieder herauskommen. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke. ({0})

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! „Aufstieg durch Bildung - Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung“, beschlossen im letzten Monat. „Aufstieg durch Bildung“ - für wen? Junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien sind damit sicher nicht gemeint; denn für die meisten platzt der Traum vom Aufstieg spätestens nach Klasse zehn. Fahrten zu weiterführenden Schulen, Gymnasien, Ausbildungsstätten oder zu Einrichtungen, in denen man das berufsvorbereitende Jahr absolvieren kann, sind für Hartz-IV-Kinder in sogenannten Bedarfsgemeinschaften viel zu teuer. ({0}) Ein Jugendlicher aus meinem Landkreis besucht eine Fachoberschule und möchte danach gerne studieren. Ihm stehen zum Leben gerade einmal 278 Euro pro Monat zur Verfügung. Da nach dem zehnten Schuljahr keine Fahrtkosten erstattet werden, gehen rund 100 Euro pro Monat für die Fahrkarte drauf. Im Regelsatz sind für Bus- oder Bahnfahrten aber nur 16,67 Euro vorgesehen. Es bleiben 178 Euro übrig, von denen er allerdings auch Schulbücher bezahlen muss. Ihm bleiben also 6 Euro pro Tag. Wie lange steht er das wohl noch durch? Natürlich versuchen die meisten Eltern, das nötige Geld irgendwie zusammenzukratzen. Sie sparen an anderer Stelle, zum Beispiel am Kinobesuch, beim Sportverein und auch am Essen. Weil viele Familien das nicht durchhalten, müssen Jugendliche die Schule und manchmal auch die Ausbildung abbrechen. Das ist wieder einmal kein Einzelfall - leider. Fragen Sie doch einmal in Ihrem Wahlkreis nach! Sie werden überrascht sein, wie viele dieser Einzelfälle Sie dort finden. ({1}) Fakt ist nun einmal, dass die Finanzierung der Schülerinnen- und Schülerbeförderung in den letzten Jahren zunehmend auf die Eltern abgewälzt worden ist. Die Kosten der Schülerbeförderung werden durch die Regelsätze gemäß SGB II und XII nicht abgedeckt. Deutlich wird: Die Beförderungskosten sind ein echtes Hindernis beim Zugang zu Bildung. Die Verlierer sind wieder einmal die sowieso schon Benachteiligten. ({2}) Sie werden systematisch von höherer Bildung ausgegrenzt. Im Antrag meiner Fraktion wird die Bundesregierung zum einen aufgefordert, die Länder auf ihre Verantwortung für eine sozial ausgewogene Finanzierung der Schülerbeförderung hinzuweisen und umgehend aktiv zu werden. Zum anderen fordert die Linke vom Bund, dass der Bund, solange die Länder ihrer Verantwortung nicht nachkommen, entsprechende Förderungen gemäß SGB II und SGB XII sowie Asylbewerberleistungsgesetz möglich macht. Mir ist schon bekannt, dass hier die Länder zuständig sind. Die Bundesregierung muss aber die Länder anweisen, ihre Verantwortung wahrzunehmen, ({3}) und bundesweite Mindestregelungen auf den Weg bringen. Ihr ständiges Kompetenzgerangel, dieses Hin und Her, nervt übrigens nicht nur mich, sondern auch die Betroffenen. Sie wollen von Ihnen endlich Lösungen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie wollen, dass für arme Kinder Lernmittel, SchulbefördeElke Reinke rung, Schulmahlzeiten, Sportangebote, Musikschulen und Bibliotheken bereitgestellt werden. Das sind richtige und wichtige Forderungen; die erheben wir ebenfalls. Aber Sie haben schon vergessen: Sie waren es doch gemeinsam mit den sogenannten Sozialdemokraten, die mit Einführung von Hartz IV die Regelsätze für 6- bis 14-Jährige auf 207 Euro gesenkt haben. ({5}) Jetzt tun die Grünen so, als hätten sie mit diesem Verarmungsgesetz nichts zu tun. Dieser Antrag der Grünen ist eine Bankrotterklärung aller Hartz-IV-Parteien. Ich möchte noch einmal kurz auf unseren Antrag zurückkommen. Entfernen Sie die Stoppschilder zum „Aufstieg durch Bildung“. ({6}) Die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung besagt: Deutschland braucht eine gemeinsame Anstrengung, um schneller voranzukommen. Dann leisten Sie jetzt Ihren ersten Beitrag. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1,4 Millionen Schülerinnen und Schüler beziehen Leistungen gemäß SGB II bzw. Hartz IV. 1,4 Millionen Schülerinnen und Schüler stellen sich in jedem Schuljahr oder sogar in jedem Halbjahr die Frage, wie sie Hefte, Stifte, Füller, Ranzen und anderes benötigtes Material bezahlen können. Die Kosten für dieses Material sind nicht im Regelsatz vorgesehen. Das ist ausdrücklich nicht - das wollen wir einmal klarstellen - Sache der Länder, sondern eine originäre Aufgabe gemäß SGB II. ({0}) Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass wir wenigstens als Kannleistung eine Öffnungsklausel einführen, um es dem Fallmanager in den Fällen, in denen unabweisbar Bedarf an Unterrichtsmaterial besteht, möglich zu machen - es geht nicht um einen rechtlichen Anspruch -, Mittel für dieses Material zu bewilligen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie schauen gerade nach allen Seiten; das macht für mich nicht klar, wo Ihre Präferenzen liegen. ({0}) Aber wenn Sie bereit wären, eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß zu beantworten, werde ich das gerne genehmigen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kurth, ich möchte Sie fragen, ob es zutrifft, dass in der siebenjährigen Regierungszeit, die das Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit den Sozialdemokraten gestaltet hat, ({0}) sowohl bei der Sozialhilfe, also im SGB XII, als auch beim Arbeitslosengeld II, also im Sozialgesetzbuch II, die Pauschalierung der Regelsätze beschlossen wurde und damit bewusst eine Abkehr vom früher geltenden Sozialhilferecht erfolgt ist, ({1}) nach dem man für jeden Kühlschrank, für jeden Fernseher und, und, und beim zuständigen Sachbearbeiter einen eigenen Antrag stellen und dann auf die Entscheidung warten musste, ob der Antrag genehmigt wird oder nicht. Warum sind Sie jetzt gegen die pauschalen Regelsätze, die Sie selbst eingeführt haben?

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Weiß, ich bin nicht allgemein gegen die Pauschalierung. Damals haben wir uns dafür eingesetzt; dazu stehen wir. Aber die Frage, ob die pauschalierten Regelsätze ihren Zweck erfüllen, hängt davon ab, ob sie ausreichend bemessen sind. Das ist doch der entscheidende Punkt. ({0}) - Auch wenn wir das mit beschlossen haben, müssen wir, nachdem wir zwei Jahre lang Erfahrungen damit gesammelt haben, rückblickend sagen, dass insbesondere die entwicklungsbedingten Bedarfe von Kindern und Jugendlichen in den Regelsätzen offensichtlich nicht angemessen berücksichtigt sind. ({1}) Das haben wir erkannt, und darauf müssen wir reagieren. Wenn eine allgemeine Erhöhung der Regelsätze vor dem Hintergrund der Mehrheiten in diesem Hause nicht möglich ist, dann sollte den Fallmanagern, die mit konkreten Schicksalen zu tun haben, zumindest die gesetzliche Möglichkeit eröffnet werden, nach Prüfung des konkreten Einzelfalls zum Beispiel zu entscheiden: Wie ich sehe, wird eine Schulausstattung gebraucht. Ich treffe eine Einzelfallentscheidung und bewillige das. - Ich finde, als eine Art Notmaßnahme - so ist unser Antrag nämlich zu verstehen - wäre es absolut gerechtfertigt, an dieser Stelle von der Pauschalierung abzuweichen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich meine insbesondere die der Sozialdemokraten -, jetzt möchte ich Ihnen kurz aus einem Gesetzesantrag vorlesen; ({3}) danach dürfen Sie raten, von wem er ist. Ich sage nur, dass es sich um einen Gesetzesantrag handelt, der sich aktuell im Bundesrat befindet. Darin heißt es: Die von Schülerinnen und Schülern für den regulären Unterricht typischerweise geforderte Ausstattung mit Schulmaterialien übersteigt preislich den im Regelsatz … vorgesehenen Betrag. Ausgaben für notwendige Schulmaterialien, wie Taschenrechner, Füller, Stifte, Hefte … liegen in der Summe typischerweise oberhalb der in Regelsatz und Regelleistung hierfür vorgesehenen Beträge. Welche Lösung dieses Missstands wird in diesem Gesetzesantrag vorgeschlagen? Es müsse eine abweichende Erbringung von Leistungen möglich sein, und zwar insbesondere bei einmaligen Bedarfen. Diese werden um den Bedarfstatbestand der besonderen Lernmittel - außer Schulbüchern - erweitert. Wer macht diesen Vorschlag, der exakt dem entspricht, was wir schon im Mai letzten Jahres in unserem Antrag vorgeschlagen haben? ({4}) Diesen Vorschlag macht das Land Rheinland-Pfalz. ({5}) Unterzeichnet ist dieser Antrag mit „Mit freundlichen Grüßen von Kurt Beck“, dem Supersozialdemokraten, wie Sie ihn vorhin nannten. ({6}) Wenn Sie gleich gegen unseren Antrag stimmen, dann werden Sie also auch den Inhalt genau dieses Gesetzesantrags ablehnen, der am 28. September 2007 in den Bundesrat eingebracht worden ist und der uns im April dieses Jahres wieder auf den Tisch flattern wird. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU brauchen sich nicht zu freuen. Jetzt werde ich nämlich noch aus einem Gesetzesantrag des Landes NordrheinWestfalen zitieren, ({7}) der sich ebenfalls im Bundesrat befindet. Darin heißt es: Mit dem jetzigen System - also dem des SGB II können besondere entwicklungsbedingte Bedarfe der Kinder und Jugendlichen insbesondere im Zusammenhang mit der Teilhabe an der Bildung nicht hinreichend abgebildet werden. ({8}) Wie wahr! Das entspricht fast wörtlich dem, was in unserem Antrag steht. ({9}) Wenn ich darf, ergänze ich noch einen Satz: Die Lebenswirklichkeit der betroffenen Kinder, die Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII erhalten, zeigt unter anderem, dass die Aufwendungen für Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und die persönliche Ausstattung für die Schule aus den Regelleistungen nicht getragen werden können. Auch das Land NRW schlägt eine Öffnungsklausel vor. Da Sie, Frau Nahles, gerade kess dazwischengerufen haben, wir hätten unseren Antrag abgeschrieben, sage ich Ihnen: Unser Antrag, der hier und jetzt behandelt wird, stammt vom 9. Mai letzten Jahres. Kurt Beck ist - wahrscheinlich, nachdem er unseren Antrag gelesen hat - zu derselben Einsicht gelangt wie wir, und zwar am 28. September 2007. ({10}) Das Land Nordrhein-Westfalen ist zu dieser Einsicht am 14. Dezember 2007 gelangt, also beträchtliche Zeit nachdem wir unseren Antrag vorgelegt haben. Ich denke, das spricht für sich. Stimmen Sie unserem Antrag zu! Dann unterstützen Sie auch Ihre Ministerpräsidenten, und dann stellen wir einmal seltene Einigkeit her. Vielen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Debatte. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6013, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4486 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Das Erste war die Mehrheit. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 9 b. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5686, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5253 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit. Auch diese Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren - Drucksachen 16/6561, 16/6649 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung in der Familie - Drucksache 16/5370 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 16/8219 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Irmingard Schewe-Gerigk Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Die nachwirkende Begeisterung über den letzten Tagesordnungspunkt bitte ich außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen, damit die volle Konzentration für den nächsten Tagesordnungspunkt hergestellt werden kann. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst Bundesministerin Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, mit dem wir uns heute in zweiter und dritter Lesung zu befassen haben, beruht darauf, dass wir einen enormen wissenschaftlichen Fortschritt haben. Die Frage, ob der Vater der Vater ist, hat schon die Generationen vor uns umgetrieben. Heute kann dies mit einem einfachen DNA-Test überprüft werden. ({0}) Als es aufkam, dass in den U-Bahnen und S-Bahnen in Berlin plakatiert wurde: „Sind das Ihre Augen? Ist das Ihr Mund? Machen Sie einen genetischen Test!“, haben wir gesagt: Wir müssen handeln. Parallel dazu war beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren anhängig, in dessen Rahmen unsere Auffassung, dass es nicht richtig ist, genetische Tests heimlich durchführen zu lassen, bestätigt wurde. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Das ist ein Verstoß gegen das Recht der Kinder auf informationelle Selbstbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, bis zum 31. März ein Gesetz zu machen, mit dem die Abstammung einfacher geklärt werden kann. Insofern befinden wir uns gerade auf der Zielgeraden. Vielen Dank dafür, dass der Bundestag bereit war, das in der Form zu machen. ({2}) Wir schaffen ein Verfahren, das völlig unabhängig ist von der Anfechtung der Vaterschaft. Man kann künftig isoliert klären lassen, ob jemand der Vater ist. Das kann der Vater beantragen, das können aber auch die Mutter oder das Kind beantragen. So sorgen wir dafür, dass sich das Recht auf Kenntnis der Abstammung ohne einen Rechtsverstoß verwirklichen lässt, nämlich ohne dieses heimliche Verfahren. Damit stärken wir zugleich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, und wir schützen die Familie, weil sich in Zukunft kein Vater mehr von seinem Kind rechtlich lossagen muss, nur weil er die Abstammung geklärt haben möchte. In Zukunft haben der rechtliche Vater, die Mutter und das Kind jeweils gegeneinander einen Anspruch auf Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der Abstammung. Willigt beispielsweise die Mutter als für das Kind Sorgeberechtigte nicht ein, kann das Familiengericht an ihrer Stelle entscheiden. Dabei muss es - das haben wir auch festgelegt - die besonderen Interessen des Kindes berücksichtigen. Wenn bei dem Kind eine besonders schwierige Situation festzustellen ist und eine Beeinträchtigung des Kindeswohls droht, dann muss das Interesse des Vaters auf Klärung der Abstammung für eine gewisse Zeit warten. ({3}) Das ist eine Regelung, die wir für wichtig halten und die in den Entwürfen des Bundesrates, die wir heute ebenfalls beraten, nicht vorhanden ist. Ansonsten ist die Zielrichtung dessen, was die Länder und was wir vorgeschlagen haben, ungefähr identisch. Aber genau dieser wichtige Gesichtspunkt, auf den wir nach meinem Dafürhalten Rücksicht nehmen müssen, fehlt. Wenn die Einwilligung des Ehepartners vorliegt oder sie durch das Familiengericht ersetzt wurde, dann kann der Klärungsberechtigte ein Gutachten einholen. Ich meine auch, dass es richtig ist, dass der Betroffene und nicht das Gericht dieses Gutachten veranlasst. Das Niveau, um das es hier geht, ist ein anderes. Das freihändig eingeholte Privatgutachten ist sehr viel kostengünstiger und einfacher, und vor allen Dingen geht es sehr viel schneller. Deswegen spricht alles dafür. Im Übrigen wissen wir, dass aus 80 Prozent der Gutachten herauskommt, dass der Vater der Vater ist. Viele Männer machen sich also völlig unnötig Sorgen, dass sie vielleicht nicht der Vater seien. In diesen 80 Prozent der Fälle sind anschließend kein Anfechtungsverfahren und daher auch kein fundierteres und gründlicheres, vom Gericht beauftragtes Gutachten nötig. Noch kurz zu einem zweiten Punkt, den wir diskutiert haben: Der biologische Vater wird keinen eigenständigen Klärungsanspruch erhalten. Er behält das Recht, das er nach der geltenden Rechtslage hat. Er kann also unter be15326 stimmten Voraussetzungen anfechten. Dies ist nach unserer Auffassung ausreichend; denn wir brauchen kein zusätzliches Verfahren für Leute, die aus bloßer Neugier oder um die Familie zu stören, behaupten, sie seien der Vater. ({4}) Ich bedanke mich beim Hause dafür, dass die Beratungen dieses Gesetzentwurfs so konstruktiv erfolgen konnten, wie sie erfolgt sind, und hoffe, dass wir damit einiges getan haben, um in diesem schwierigen familienrechtlichen Bereich etwas mehr Rechtsfrieden herzustellen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk, FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor fast genau drei Jahren habe ich hier eine Frage gestellt, die offenbar viele Väter beschäftigt: Ist es wirklich mein Kind? Das Thema der genetischen Klärung der Vaterschaft ist heikel. Wir müssen nicht nur die Rechte der Väter, sondern auch die Rechte der Kinder, der Mütter, ja der ganzen Familie beachten. Bereits im Januar 2005 hat die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag „Verfahren der Vaterschaftstests vereinfachen und Grundrechte wahren“ in den Deutschen Bundestag eingebracht. ({0}) Wir wollten das Recht der Väter, die biologische Vaterschaft feststellen zu lassen, stärken und der Zunahme der heimlichen Vaterschaftstests Einhalt gebieten. Wir schlugen daher ein niederschwelliges Abstammungstestverfahren vor, das nicht notwendigerweise mit der Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft enden sollte. ({1}) Wir erinnern uns: Damals gab es auch Stimmen, die die Vaterschaftstests ganz freigeben oder aber unter Strafe stellen wollten. ({2}) Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2007, also zwei Jahre nach unserem Antrag, wurde jedoch die Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion bestärkt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, einen Verfahrensweg zu eröffnen, der das Recht auf Kenntnis und Feststellung der Abstammung verwirklicht, ohne dies zwingend mit einem Anfechtungsverfahren zu verbinden. Die Bundesregierung hat auf dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts kurz vor Ablauf der gesetzten Frist reagiert. Danach können der rechtliche Vater, die Mutter oder das Kind die Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung sowie die Duldung der Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe von den Familienmitgliedern verlangen. Nicht feststellungsberechtigt ist in diesem vereinfachten Klärungsverfahren der biologische Vater, der nicht der rechtliche Vater ist. Wird der Anspruch auf Einwilligung nicht erfüllt, hat das Familiengericht die Einwilligung auf Antrag zu ersetzen und die Duldung einer Probenentnahme anzuordnen. Dabei hat das Gericht das Verfahren auszusetzen, wenn und solange die Klärung der Abstammung eine so erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls begründet, dass sie auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers für das Kind unzumutbar wäre. Ich glaube, damit ist dem Kindeswohl durchaus Rechnung getragen worden. Diese Regelung entspricht nicht nur den Forderungen der FDP-Bundestagsfraktion, sondern auch den berechtigten Interessen aller betroffenen Väter, Kinder und Mütter. Der Gesetzentwurf wurde in einer Sachverständigenanhörung intensiv beraten. Die Gespräche der Berichterstatter brachten weitere Klärung, insbesondere zur Anfechtungsfrist, die wie bisher zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beträgt. Umstritten bleibt die Feststellungsberechtigung des biologischen Vaters. Das Bundesverfassungsgericht lässt dem Gesetzgeber hier einen Ermessensspielraum. Das Bundesverfassungsgericht verlangt vom Gesetzgeber aber ausdrücklich, dass - ich zitiere - „das von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Interesse insbesondere des Kindes, gegebenenfalls seine rechtliche und soziale Zuordnung zu behalten, auch weiterhin Berücksichtigung findet“. Es stellte sich also die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein potenzieller biologischer Vater in eine bestehende, sozial gewachsene Familie eingreifen darf. Ich bin der Meinung, dass man nicht alles, was naturwissenschaftlich möglich ist, wirklich machen muss. Rechtliche Bedenken gegen die fehlende Feststellungsberechtigung des potenziellen biologischen Vaters müssen hier zurückstehen. Aus meiner familienrechtlichen Praxis weiß ich, dass es für Familien und insbesondere für Kinder sehr schmerzlich ist, wenn vom Vater leichtfertig der Vorwurf erhoben wird, es seien gar nicht seine Kinder. Für Familien ist es sehr problematisch, wenn solche Vorwürfe erhoben werden. Deswegen ist es, denke ich, wichtig, dass es für Familien einen gesetzlichen Rahmen gibt, in dem sie Klärung finden und in einem weiteren Schritt entscheiden können, ob eine Anfechtung notwendig ist. Ich glaube, die gefundene gesetzliche Regelung sorgt dafür, dass einerseits mit der Vaterschaftsanfechtung kein Schindluder getrieben werden kann, aber andererseits die Interessen aller - insbesondere der Kinder - gewahrt bleiben. Die FDP-Fraktion wird deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die Unionsfraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die materielle Gerechtigkeit und insbesondere für all diejenigen Männer, die es bisher schwer hatten, aus ihrer babylonischen Gefangenschaft einer Zahlvaterschaft herauszukommen und besser als bisher zu klären, ob man als Zahlvater überhaupt der biologische Vater ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 13. Februar letzten Jahres uns auch aufgegeben. Mit dem Gesetzentwurf - er wird offenbar von allen gelobt -, den wir kurz vor Toresschluss auf den Weg gebracht haben, werden Ideen sowohl von der FDP als auch von der Union und der SPD - hier verweise ich im Übrigen auf den Koalitionsvertrag - umgesetzt. Aber warum meine ich, dass heute ein guter Tag ist? Wie ist die Gesetzeslage jetzt? Schließlich beschäftigt sich nicht jeder in diesem Saal oder vor dem Fernsehschirm von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit dem Anfechtungs- und Abstammungsrecht. Die Menschen haben auch noch etwas anderes zu tun. ({0}) Bisher ist es nur möglich, sich von der rechtlichen Stellung als sogenannter rechtlicher Vater oder Zahlvater, der man aufgrund gesetzlicher Vermutungen ist, zu lösen, indem man ein Anfechtungsverfahren einleitet, das auf dem Grundsatz „Alles oder nichts“ beruht. „Alles“ bedeutet die sofortige Lösung der Familienbande mit der sofortigen Beendigung der Unterhaltszahlungspflicht. „Nichts“ ist, wenn die Klage abgewiesen wird. Das Problem ist, dass man bei der Anfechtungsklage für den Vater oder auch Nichtvater, den Zweifel quälen, sehr hohe Hürden geschaffen hat, um überhaupt die Eintrittskarte dafür zu bekommen, dass in einem forensischen Verfahren mit molekularbiologischem Gutachten geklärt wird, ob er der Vater ist oder nicht, ob er anfechtungsberechtigt ist. Wir haben - nicht zuletzt bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht - einen dualen Weg gewählt, wie es so schön heißt, indem wir zwei Verfahren nebeneinander stellen. Bei dem einen Verfahren steht zunächst nur die Frage im Raum - welche Konsequenzen zu ziehen sind, wird erst einmal ausgeblendet -: Stammt das Kind, dessen Vaterschaft ich anerkannt habe oder dessen Vater ich aufgrund der gesetzlichen Annahme bin, da ich mit der Kindesmutter verheiratet bin, leiblich von mir ab? Bei diesem Verfahren sind die Hürden bei weitem nicht so hoch gelegt. Eigentlich bestehen gar keine Hürden. Der Vater, der es wissen will, geht zu der Mutter, mit der er zusammenlebt, und sagt: Ich habe arge Bedenken, dass das Fritzchen von mir ist. Es hat so eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Nachbarn. - Daraufhin kann die Frau sagen: „Jawohl, du hast recht“ und beichtet. Dann ist im Grunde genommen die Anfechtung unkompliziert. Aber wir haben es in der Regel mit dem Fall zu tun, dass die Kindsmutter dies bisher verhindert hat. Deswegen ist man auf heimliche Vaterschaftstests ausgewichen, zu denen ich - ähnlich wie Cato mit ceterum censeo in den Senatsverhandlungen - noch kommen werde. In den Fällen, in denen die Mutter ihre Einwilligung zur Entnahme eines Haares oder eines anderen molekularbiologischen Refernzmaterials verweigert, ist das Gericht nun, ohne weitere Beweise zu erheben oder ohne weitere Darlegungen zu verlangen, sofort in der Lage, zu sagen: „Die Einwilligung wird ersetzt“, oder sogar: Die Untersuchung wird angeordnet. Nun kommt es darauf an, welches Ergebnis dieses Klärungsverfahren auf niedriger Flamme zeitigt. Kommt es zu dem Ergebnis, dass der Vater tatsächlich der Vater ist, ist Ende der Durchsage. Dann kann die Mutter sagen: Du hast dich umsonst aufgeregt; du warst wieder einmal voreilig eifersüchtig. - Die Familie wird in ihrem Frieden trotzdem mächtig gestört sein. ({1}) Ist das Klärungsverfahren aber zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht der leibliche Vater ist, dann hat er die Möglichkeit, zu sagen - wenn wir ehrlich sind, wird das in den meisten Fällen so sein -: Da das Kind nicht von mir abstammt, löse ich mich auch von allen anderen Pflichten. - Das ist aber nicht zwingend. Er hat auch die Möglichkeit, zu sagen: Ich belasse es dabei. Was kann eigentlich der Kleine dafür? Ich habe mich an ihn gewöhnt und zu ihm - genauso wie bei einem adoptierten Kind - Liebe und Herzlichkeit entwickelt. Ich sehe davon ab, anzufechten. - Das ist ein schönes Ergebnis, viel besser als vorher, als es nur die Alles-oder-nichts-Lösung gab. Aber er hat auch die Möglichkeit, zu sagen: „Jetzt will ich es nicht nur bei der Feststellung belassen, nicht der Vater zu sein; ich möchte mich auch von allen damit verbundenen Pflichten lösen“, und er ficht an. Nun haben wir im Laufe des Verfahrens den Gesetzentwurf ein bisschen geändert. Zuerst sah der Regierungsentwurf vor, dass man im Anfechtungsverfahren - genauso wie es das Bundesverfassungsgericht in einem Obiter Dictum gesagt hat - das Kindeswohl berücksichtigen muss. Im Anfechtungsverfahren soll das Kindeswohl aber keinesfalls schlechter berücksichtigt werden als heutzutage. Deswegen sah der Entwurf zuerst nicht nur im Klärungsverfahren, sondern auch im Anfechtungsverfahren die Möglichkeit vor, auf Einspruch des Kindes oder der Mutter, die das als Sachwalterin geltend macht, die Anfechtungsklage abzuweisen. Das haben wir Gott sei Dank übereinstimmend mit den Kollegen von der SPD-Fraktion wieder eliminiert, weil wir gesagt haben: Das Kindeswohl ist eigentlich ausreichend berücksichtigt, indem wir erstens im Klärungsverfahren die Möglichkeit der Aussetzung gewähren, wenn das Kindeswohl gefährdet ist, und zweitens die Frist, binnen derer angefochten werden muss, bei zwei Jahren belassen, damit nicht über Jahre das Damoklesschwert über dem Familienfrieden schwebt und der Mann möglicherweise eine Art Erpressungspotenzial in die Hand bekommt nach dem Motto: Liebe Frau, bring mir einmal die Latschen und mach mir das Essen warm! Wenn du nicht spurst, dann werde ich anfechten. - Das wäre ein unerträgliches Verhältnis. Deswegen belassen wir es bei der Zweijahresfrist, binnen derer angefochten werden muss, und zwar von dem Zeitpunkt an, zu dem der Vater den Anfechtungsgrund kennt. Ich weiß schon, dass die mir nachfolgenden Redner, wie sie das in den Berichterstattergesprächen und auch in der Rechtsausschusssitzung gemacht haben, genau das wieder geißeln werden. Es ist eben das Los von uns Abgeordneten, dass wir vieles immer wieder gebetsmühlenartig vortragen. Dennoch: Ich finde, diese Lösung ist gelungen. Sie steht auch im Einklang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ich will aber noch auf einen Punkt kommen, den Sie, Frau Ministerin, eben zur Ouvertüre Ihres Beitrags gemacht haben. Sie sagten, das Bundesverfassungsgericht habe die heimlichen Vaterschaftstests verboten. Genau das hat es nicht gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass es gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Kindes verstößt, wenn diese Daten im Gerichtsverfahren eingebracht und dort verwendet werden; denn Adressat unserer Grundrechte ist in allererster Linie der Staat, der Hoheitsträger, und das Gericht begegnet in dem Moment dem Anfechtenden als Hoheitsträger. Es ist keineswegs gesagt, dass damit die Einholung eines heimlichen Gutachtens verboten wäre. Schon gar nicht ist nach dem gegenwärtigen Gesetz ein Verstoß strafbewehrt. ({2}) Davor kann ich auch nur warnen. Deswegen komme ich jetzt zu meinem ceterum censeo, nicht zu dem ceterum censeo Carthaginem esse delendam, sondern zu dem ceterum censeo, dass ich heimliche Vaterschaftstests nicht für überflüssig halte. Wenn ein zweifelnder Vater entweder bei seiner Frau mit der Idee vorstellig wird, sich untersuchen zu lassen, oder gar schon zum Gericht rennt und damit sein Anliegen öffentlich - notorisch - macht, dürfte der Familienfrieden gefährdet sein. Weil Sie eben gesagt haben, in 80 Prozent der Fälle komme man eher zu dem Ergebnis, dass die Zweifel an der Vaterschaft ausgeräumt werden, frage ich Sie: Warum lässt man nicht dem zweifelnden Vater nur für sich selber, nicht zur Verwertung vor Gericht und nicht zu Beweiszwecken, sondern nur zur Selbstvergewisserung die Möglichkeit, einen Test durchzuführen? Wenn dieser Test zu dem Ergebnis kommt, dass er der Vater ist, dann wird der Mann Abbitte leisten, vielleicht mit einem Rosenstrauß nach Hause kommen und sagen: Alles bestens, liebe Frau. ({3}) Aber wenn öffentlich das Abstammungsverfahren und dann auch noch das Anfechtungsverfahren in Gang gesetzt sind, dann, so glaube ich, ist der Familienfrieden nicht mehr zu retten. Ich hoffe, wir alle sind noch zu retten. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diese Wortspielereien kenne ich aus der Grundschule. Manche behalten ihr kindliches Gemüt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich darauf kommen, was der Gesetzentwurf bezweckt; denn es muss nicht alles fünfmal wiederholt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat gefordert, dass parallel zum Anfechtungsverfahren ein isoliertes Klärungsverfahren eingeführt wird, das nicht die rechtlichen Bindungen zu dem Kind beenden soll. Anspruchsberechtigt sind Mutter, rechtlicher Vater und Kind. Ich will gleich auf den Knackpunkt kommen - Herr Gehb hat schon darauf hingewiesen, dass die nachfolgenden Redner das kritisieren werden -: die Kinderschutzklausel. Man kann durch das Klärungsverfahren zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um den Vater des Kindes handelt oder nicht, oder aber durch eine freiwillige Erklärung, indem man die Vaterschaft erklärt, ohne dass das Gericht eingeschaltet wird. ({0}) - Das ist der Problemfall. - Da ist nämlich die im Klärungsverfahren eingeführte Kinderschutzklausel nicht relevant, weil es kein gerichtliches Klärungsverfahren gibt. Bei der gegenwärtigen Rechtslage - auch das haben Sie schon gesagt - kann man nicht vor Gericht gehen und die Vaterschaft anfechten, weil man glaubt, nicht der Vater des Kindes zu sein. Dann wird man gefragt, warum man die Vaterschaft anficht, aufgrund welcher Umstände man dazu kommt und welche Tatsachen man anführen kann, um die Vermutung zu belegen, dass man nicht der Vater des Kindes ist. Man muss substantiiert vortragen, wie der Jurist sagt. Mit dem Klärungsverfahren fällt dieser Vortrag jetzt weg. Das ist im Grunde eine verbilligte Eintrittskarte in das Anfechtungsverfahren. In diesem Zusammenhang will ich aus der Begründung des ersten Gesetzentwurfs zitieren, in dem die Kinderschutzklausel noch stand. Dort heißt es: Die Anfechtungsberechtigung soll zum Schutz des Kindes … eingeschränkt werden. Dies ist erforderlich, weil durch den neuen Anspruch auf Klärung der Abstammung sehr viel leichter als bisher die Kenntnis erworben werden kann, dass der rechtliche Vater nicht der biologische Vater ist. Es heißt weiter, hier müsse ein Korrektiv geschaffen werden, das in Ausnahmefällen die Anfechtung ausschließen kann. Dabei wird auf das Bundesverfassungsgericht Bezug genommen; das ist völlig korrekt. ({1}) Nach den Beratungen im Ausschuss wurde diese Regelung zum Schutz des Kindes aber komplett gestrichen, und zwar mit der Begründung: Das haben wir bislang auch nicht gehabt; das Bundesverfassungsgericht müsste die Kinder besserstellen. ({2}) - Das erleichterte Verfahren hatten wir bislang auch nicht; genau so ist es. ({3}) - Nein, das sehen Sie falsch. Die Rechte der Kinder werden hier wieder missachtet. ({4}) Die Kinder haben sich ihre Eltern nicht ausgesucht: weder die sozialen noch die biologischen noch die rechtlichen. Wenn Personenidentität besteht, ist das natürlich ideal; aber das ist hier nicht der Fall. Trotz aller positiven Aspekte, die der Gesetzentwurf bietet - Stichwort: Beibehaltung der Zweijahresfrist -, fehlt einiges. So finden sich die Mindeststandards für die genetischen Untersuchungen nicht wieder. Frau Zypries hat von gründlichen Verfahren gesprochen. Da muss man sich fragen: Was ist mit den Ergebnissen von nicht gründlichen Verfahren? Sind sie relevant, kann man sich darauf verlassen, oder bleiben Restzweifel? - Ich komme zu einer weiteren Formulierung: aus Kostengründen. Hier geht es um Abstammung. Es geht darum, Kenntnis darüber zu erlangen, von wem man stammt. Kann man in solch einem Fall mit Kostengründen argumentieren? Während die Entnahme einer genetischen Probe im Gesetzentwurf geregelt ist - man muss eine genetische Probe vom Arzt entnehmen lassen, sich mit einem Lichtbildausweis ausweisen; wenn das Kind noch keinen Lichtbildausweis hat, muss eine Geburtsurkunde vorgelegt werden -, ist nicht geregelt, wie nach der Entnahme mit den genetischen Proben zu verfahren ist. Es heißt, das Gericht kann die Entnahme und die Untersuchung anordnen. Aber die Möglichkeit der Anordnung einer Untersuchung ist ursprünglich nicht im Gesetzentwurf aufgenommen worden; das hat der Bundesrat vorgeschlagen. Weiter heißt es: Das alles wird irgendwann im Gendiagnostikgesetz geregelt. Wann, wissen wir nicht, aber irgendwann wird es geregelt. Im BGB können wir es nicht regeln, also lassen wir es. Die Regelungen zum Datenschutz sind zu dünn, es gibt keine Standards für die Untersuchung, die Kinderschutzklausel ist gestrichen. Deshalb werden wir diesem Gesetz - bei allen positiven Aspekten - nicht zustimmen. Danke. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sollen Väter künftig die erleichterte Möglichkeit erhalten, legal klären zu können, ob sie der biologische Vater eines Kindes sind, ohne die Vaterschaft zugleich rechtlich anfechten zu müssen. Das unterstützen wir grundsätzlich. Schon unter Rot-Grün, Herr Gehb, hat eine Beratung über ein solches Verfahren stattgefunden. Mit dieser Regelung soll auch den heimlichen Vaterschaftstests Einhalt geboten werden. Als Bürgerrechtspartei haben sich die Grünen von Anfang an gegen heimliche Vaterschaftstests ausgesprochen. ({0}) Unterstützt wurden wir in dieser Auffassung vom Bundesverfassungsgericht. Es entschied nämlich, dass heimliche Tests gerichtlich nicht verwertet werden dürfen, weil das das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Kindes verletzen würde. ({1}) Stattdessen forderte das Bundesverfassungsgericht ein vereinfachtes Verfahren zur Klärung der Vaterschaft. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt jetzt vor, aber es ist ein Gesetzentwurf mit Schieflage: zugunsten der Väter - Sie haben ja schon gejubelt -, aber zulasten der Kinder. Ich frage mich, woher dieses große Misstrauen vieler Männer gegenüber der Mutter des gemeinsamen Kindes kommt, wenn es um die Frage ihrer biologischen Vaterschaft geht. Bei über 80 Prozent der circa 20 000 Tests steht fest, dass es sich bei dem Zweifler um den biologischen Vater handelt. Ich frage Sie: Ist es Zufall, dass die Zweifel meist im Vorfeld von Scheidungen auftauchen? Ist es Zufall, dass die Frage der Vaterschaft zur materiellen Frage des Unterhalts degradiert wird? - Ich glaube, nicht. ({2}) Es ist gut, dass die Koalition dem Petitum der Sachverständigen Rechnung getragen hat, die Anfechtungsfrist nach der Vaterschaftsklärung nicht neu beginnen zu lassen. Man muss doch keine Hellseherin sein, um schon jetzt sagen zu können: Auch das neue Verfahren zur Klärung der Vaterschaft wird meist genutzt werden, wenn eine Beziehungskrise besteht. Diese Krise wird dann auf dem Rücken des Kindes ausgetragen. Denn das neue Verfahren stellt es - ohne irgendwelche Hürden - nahezu in das Belieben des rechtlichen Vaters, sich jederzeit von dem Kind - auch nach einem längeren Zusammenleben - und den Unterhaltsansprüchen zu lösen, es sei denn, die Mutter kann beweisen, dass der rechtliche Vater schon vorher Grund zum Zweifel hatte. Dann wäre die Anfechtungsfrist von zwei Jahren in der Regel verstrichen. Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber nahegelegt, ein Gegengewicht zu dieser erleichterten Kenntnisverschaffung herzustellen. So sollte es unter besonderen Bedingungen nicht gleich zu einer Beendigung der rechtlichen Vaterschaft kommen, wenn dadurch das Kindeswohl erheblich beeinträchtigt wäre. Eine Kinderschutzklausel im Anfechtungsverfahren wäre also ein geeignetes Mittel. ({3}) Diese hat die Koalition aber aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf gestrichen. Nun wenden Sie ein, dass das Kindeswohl bereits im Klärungsverfahren geprüft wird. Was ist eigentlich mit den Fällen - Herr Wunderlich hat gerade etwas dazu gesagt -, in denen die Mutter unter dem Druck eines formalen Klärungsverfahrens, das jetzt besteht, dazu gebracht wird, einer einvernehmlichen Klärung zuzustimmen? ({4}) Im anschließenden Anfechtungsverfahren spielt das Kindeswohl dann keine Rolle mehr. ({5}) Da sagen Sie: Die Gerichte werden es schon richten. Ich finde, es ist besser, man hat klare Gesetze. ({6}) Wir werden durch dieses Gesetz nicht alle heimlichen Tests verhindern können. Darum ist es umso wichtiger, dass die Labore in die Verantwortung genommen werden. Bisher untersuchen viele auch die illegal gewonnenen Gewebeproben. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar. ({7}) Darum fordern wir Grünen in einem Gendiagnostikgesetz, das diesem Hause als Entwurf vorliegt, nicht nur klare Qualitätsstandards, sondern auch eine Ahndung als Straftat für die Labore - nicht für die Väter, Herr Kollege Gehb -, wenn das Einverständnis der Sorgeberechtigten nicht vorliegt. Ich wundere mich wirklich, dass jetzt gesagt wird, im BGB könne man die Qualität der Labore nicht regeln, das werde alles im Gendiagnostikgesetz geregelt. Wann legen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes vor? Ich komme zum Schluss. Wir unterstützen das Ziel der erleichterten Klärung der Vaterschaft. Die konkrete Ausgestaltung ist unseres Erachtens aber nicht ausreichend kindeswohlorientiert. Darum werden wir uns der Stimme enthalten. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Christine Lambrecht.

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man am Ende einer Debatte spricht, hat man den großen Vorteil, dass man nicht alles wiederholen muss, sondern auf vieles von dem, was gesagt wurde, eingehen kann. Eingehen möchte ich auf die mit diesem Gesetzentwurf verbundene Zielsetzung - sie wurde bereits angesprochen -: Wir versuchen, heimliche Vaterschaftstests so gut wie möglich auszuschließen. Auf der anderen Seite wollen wir dem berechtigten Anliegen auf Klärung der Vaterschaft Rechnung tragen. Ich glaube, das ist mit diesem Gesetzentwurf hervorragend gelungen. ({0}) Lassen Sie mich jetzt zu einigen Punkten kommen, die in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz so konsensual behandelt worden sind. Herr Gehb, manchmal fällt es mir schwer, Ihnen zu widersprechen. Sie haben die Frage gestellt: Warum lassen wir heimliche Vaterschaftstests nicht einfach zu? ({1}) - Gut, dann nehme ich das zurück. - Ich will noch einmal begründen, warum wir keine heimlichen Vaterschaftstests wollen. ({2}) Solche Tests entsprechen nicht unserem Familienbild. Wenn ein Vater Zweifel daran hat, dass er der biologische Vater eines Kindes ist, dann sollte das in einer fairen Partnerschaft - egal ob mit oder ohne Trauschein zuerst einmal innerhalb der Familie besprochen werden; es sollten dann nicht heimlich Spucke oder Haare entnommen werden. ({3}) Als Mann sollte man so viel Mumm haben, mit seiner Partnerin darüber zu sprechen, und nicht diesen heimlichen Gang machen. Es geht dabei um die Rechte der ebenfalls Betroffenen, nämlich der Mütter und der Kinder. Sie sollten damit einverstanden sein, dass ihr Erbgut untersucht wird. Schon allein aus diesem Grund darf es keine heimlichen Vaterschaftstests geben. ({4}) Die Kinderschutzklausel ist immer wieder angesprochen worden. Wir haben es im Ausschuss schon besprochen. Da wir hier aber nicht unter uns sind, verweise ich ganz kurz auf Folgendes: Das Bundesverfassungsgericht gibt uns zu Recht auf, eine Kinderschutzklausel bzw. einen Standard einzuführen, der im bisherigen Anfechtungsverfahren nicht gegeben ist. Dieses Erfordernis erfüllen wir durch die Kinderschutzklausel, die nunmehr im vorgelagerten Klärungsverfahren verankert ist. Wir sind nämlich der Meinung, dass das erste Verfahren aus der Sicht des Kindes entscheidend ist. Wenn ein Kind, das in einer vermeintlich intakten Familie lebt, auf einmal erfährt, dass der Vater, mit dem es jahrelang zusammen in einer Gemeinschaft gelebt hat, nicht sein biologischer Vater sein soll, dann ist der Moment gekommen, in dem dieses Kind Schutz braucht. Das ist der entscheidende Moment. ({5}) Da wird das Kind beeinträchtigt, und deswegen braucht es in diesem Moment Schutz. Deswegen sind wir zu der Auffassung gelangt: Wir brauchen die Kinderschutzklausel in diesem Moment und nicht dann, wenn es darum geht, ob Unterhalt gezahlt wird, ob es ein Besuchsrecht gibt oder ob weiß der Teufel welche rechtlichen Regelungen getroffen werden. Da, wo es an die Substanz der kindlichen Seele geht, brauchen wir die Kinderschutzklausel. ({6}) Wir sorgen dafür, dass dann, wenn es tatsächlich zu einer solchen sehr schwierigen Situation für ein Kind kommt, das Verfahren schnell durchgeführt wird. Wenn sich ein Vater so entscheidet, dann muss alles innerhalb von zwei Jahren ablaufen. Er bekommt Kenntnis davon, dass er vielleicht nicht der Vater ist, klärt das in der Familie, führt das Klärungsverfahren durch und muss dann auch das Anfechtungsverfahren durchführen, und das alles in zwei Jahren. Da das eine sehr kurze Zeit ist, reicht es aus, die Kinderschutzklausel im Klärungsverfahren, diesem für das Kind entscheidenden Moment, einzuführen. ({7}) Frau Schewe-Gerigk und Herr Wunderlich, Sie haben gesagt, in den Fällen, in denen es einvernehmlich zum Klärungsverfahren kommt, werde der Kinderschutz nicht entsprechend gewahrt. Haben Sie doch ein bisschen mehr Vertrauen zu Müttern! ({8}) Mütter wissen, ob ihre Kinder von einem solchen Klärungsverfahren betroffen sind, und sie werden dann ein solches Verfahren nicht einfach durchlaufen lassen, sondern sehr wohl die Interessen ihrer Kinder vertreten. Da sollten wir ein bisschen mehr Mut haben, den Müttern zu vertrauen, und nicht in die gleiche Falle tappen, in die immerhin 80 Prozent der Männer tappen, die fälschlicherweise vermuten, sie seien nicht der biologische Vater. ({9}) Ich glaube, dass wir eine ausgewogene Entscheidung getroffen haben, die verschiedenen Interessen berücksichtigt haben und mit dieser Regelung leben können. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8219, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6561 und 16/6649 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates über genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung in der Familie. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8219, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/5370 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung von allen Mitgliedern des Hauses abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Priska Vizepräsidentin Petra Pau Hinz ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hungern in der Überflussgesellschaft - Maßnahmen gegen die Magersucht ergreifen - Drucksache 16/7458 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Themen, die viele Menschen berühren, die aber in der Politik ein Schattendasein fristen. So ist das auch beim Thema Magersucht. Während seit Jahren darüber diskutiert wird, dass über die Hälfte der Deutschen zu dick ist, spielt das gegenteilige Phänomen, die Magersucht, kaum eine Rolle. Dabei leiden 1,4 Millionen Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren unter den Symptomen einer Essstörung. Schon neunjährige Mädchen machen Diäten, die häufig die Einstiegsdroge für Magersucht sind. Was ist der Grund dafür? Magersucht hat immer viele Ursachen: Auf der einen Seite ist sie eine Form des seelischen Verhungerns, auf der anderen Seite spielt unser gesellschaftliches Schönheitsideal eine nicht zu unterschätzende Rolle; vor allem Frauen können gar nicht dünn genug sein. Dabei ist Magersucht eine unterschätzte und oft tödlich verlaufende Krankheit, an der zwischen 100 000 und 200 000 Personen, davon 90 Prozent Frauen, leiden. Magersucht ist die Erkrankung mit der höchsten Todesrate unter jungen Frauen: Bei über 15 Prozent der Erkrankten führt sie zum Tode, wie die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen feststellte. Wer die Krankheit überlebt, hat trotzdem schlechte Heilungschancen: Nur knapp jede zweite Erkrankte kann wirklich geheilt werden. Wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass sich in Deutschland, in einer Überflussgesellschaft, junge Frauen für ein fragwürdiges Schönheitsideal zu Tode hungern. Wir müssen handeln. ({0}) Hier ist die Gesellschaft, aber auch die Politik gefragt. Bei diesem fragwürdigen Schönheitsideal spielt die Modebranche naturgemäß eine gewichtige Rolle. Die Magermodels sind die Vorbilder für viele Essgestörte. Kaum irgendwo hat das Dünnsein einen so großen Stellenwert. Meist männliche Spitzendesigner - ich will hier keine Namen nennen - entwerfen Modelle für Knabenfiguren, und die Models müssen sich hineinhungern. Erst die Todesfälle mehrerer Models haben zu einem Problembewusstsein geführt. Länder wie Italien, Spanien und Österreich haben Vereinbarungen mit der Modebranche abgeschlossen und einen Antimagersuchtkodex vereinbart. So war es nur konsequent, dass in der letzten Woche bei der Madrider Modewoche drei Models nach Gewichtskontrollen ausgeschlossen wurden. Genau das brauchen wir auch in Deutschland. ({1}) Darum haben wir, die Grünen, im Dezember einen Antrag mit umfangreichen Forderungen eingebracht. Ich habe mich sehr gefreut, dass Ministerin Schmidt und einige ihrer Kolleginnen mit einigen Prominenten eine Kampagne gegen den Magerwahn ins Leben gerufen haben. Es ist sicher ein Gewinn für die Kampagne, dass sich prominente Unterstützerinnen gefunden haben, die selbst der Glamourwelt entstammen; aber Glamour ist nicht alles. Der mediengerecht inszenierten Selbstdarstellung müssen jetzt endlich auch Taten folgen. ({2}) Da reicht es nicht, wenn Ministerin Schmidt auf der Düsseldorfer Modemesse in einen Dialog mit der Branche eintritt. Wir brauchen endlich verbindliche Selbstverpflichtungen der Modeindustrie. ({3}) Auch die Modelagenturen tragen eine Verantwortung. Sie sollten die Richtlinien der Academy of Eating Disorders anwenden und keine untergewichtigen Models einsetzen. Magersüchtige gehören nicht auf den Laufsteg; Magersüchtige gehören in ärztliche Behandlung. ({4}) Nicht immer sind Allgemeinmediziner und -medizinerinnen - sie sehen die kranken Frauen oft als Erste - in der Lage, die Krankheit zu erkennen und gezielt zu behandeln. Darum fordern wir nicht nur eine bessere Ausund Weiterbildung, sondern auch Leitlinien für die Diagnose und Behandlung sowie eine verbesserte Forschung. Auch wenn es nicht in der Bundeskompetenz liegt: Wir brauchen einen Ausbau und eine bessere Vernetzung der Beratungsstellen, die über ein enormes Fachwissen verfügen und oft die erste Ansprechstelle für die jungen Frauen sind. Magersucht ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem: An dieser psychischen Erkrankung leiden auch die Angehörigen mit. Darum sind kostenlose TelefonhotIrmingard Schewe-Gerigk lines und Internetberatung für Betroffene und ihre Angehörigen unabdingbar. Die Themen Essstörungen und Schönheitsideale gehören aber auch in den Schulunterricht. Kinder müssen lernen, dass Nahrungsmittel Lebensmittel - wirklich Mittel zum Leben - sind. ({5}) Der Umgang mit Lebensmitteln muss genauso wie die Mathematik erlernt werden. Das Thema Essstörungen ist komplex. Es umfasst nicht nur die Magersucht, sondern auch die Bulimie und die Fettsucht. Alle Krankheitserscheinungen haben aber eines gemeinsam: Sie sind ein Hilfeschrei. Wir alle stehen in der Verantwortung. Das, was die Politik beitragen kann, haben wir in unserem Antrag formuliert. Lassen Sie uns in den Ausschüssen darüber diskutieren, welche Hilfen wir den jungen Menschen anbieten können. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker für die Unionsfraktion. ({0})

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren an dieser Stelle häufig über das Problem der Kinderarmut. Wenn man den Titel des vorliegenden Antrags - „Hungern in der Überflussgesellschaft“ - liest, will man ihn eigentlich in diesen Problemkreis einordnen; aber es geht heute um etwas ganz anderes, einen eigentlich paradoxen Zusammenhang. Denn anders als in der Nachkriegszeit muss heute niemand mehr hungern, weil Nahrungsmittelknappheit bestünde. Im Gegenteil, gerade in finanziell ärmeren Schichten ist Übergewicht überproportional vertreten. Wenn es heute um Hunger und Magersucht geht, dann haben wir es mit anderen Ursachen zu tun. Das kann ein falsches Schönheitsideal sein; häufig geht es aber eben auch um massive Entwicklungsstörungen. Die Krankheit, mit der wir es zu tun haben, beruht dann letztendlich auf der Weigerung, erwachsen zu werden, oder auf einem fehlenden Selbstwertgefühl. Die Betroffenen, meist junge Mädchen oder Frauen, brauchen es dann für ihr Selbstwertgefühl, die totale Kontrolle über den eigenen Körper, das Hungergefühl und das Gewicht zu haben, und setzen sich da sehr stark unter Druck. Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass Magersucht und Fehlernährung gravierende Probleme sind. Es kann sogar Todesgefahr bestehen. Wir müssen das ernst nehmen, und wir tun das, allerdings nicht erst, seitdem die Grünen diesen Antrag vorgelegt haben. Bereits ein halbes Jahr vor diesem Antrag hat meine Fraktion einen Fachkongress mit Experten zum Thema „Heranwachsende vor Fehlernährung schützen“ durchgeführt, und schon im Mai 2007 hat die Koalition einen Antrag zu dem Thema der richtigen Ernährung mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog eingebracht, den der Deutsche Bundestag auch angenommen hat. Schließlich hat die Bundesregierung fast zeitgleich mit dem heute hier zu debattierenden Antrag mit einem, wie ich finde, beeindruckenden Aufwand, nämlich mit der Beteiligung der drei zuständigen Ministerinnen, ({0}) Frau von der Leyen, Frau Schmidt und Frau Schavan, in seltener Eintracht zusammen mit weiteren Persönlichkeiten aus den Bereichen Mode, Kultur und Sport, eine großangelegte Kampagne vorgestellt: „Leben hat Gewicht - gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“. ({1}) Die außergewöhnlich starke Besetzung mit drei zuständigen Ministerinnen zeigt, welche Bedeutung die Regierung diesem Ansatz beimisst. Aber wichtiger als die Frage, wer als Erster die Idee aufgebracht hat, den Bundestag damit zu beschäftigen, ist die Frage, wie wir diesem Missstand abhelfen können. Ich glaube, hier liegen wir inhaltlich gar nicht weit auseinander. Im Mittelpunkt muss natürlich die Prävention stehen. Wir müssen ein Bewusstsein für ein realistisches, positives Körpergefühl schaffen, das keinen absurden Schönheitsidealen nachhängt. Generell müssen wir infrage stellen, ob das Aussehen eines Menschen überhaupt diese Bedeutung haben darf. Das muss man relativieren und ein Stück tiefer hängen; da gelten doch ganz andere Werte, die viel wichtiger sind. ({2}) Wir brauchen mehr Forschung über die Ursachen der krankhaften Magersucht, und wir müssen das Wissen über die Zusammenhänge zwischen Sport, Gesundheit und Ernährung verstärken. An dieser Stelle kann man dann auch sagen: Wer gesund und sportlich ist, tut damit vielleicht auch etwas für ein attraktives Äußeres. Nach meiner Meinung leisten die Medien da übrigens teilweise ganz gute Arbeit. Eine undifferenzierte Medienschelte ist da nicht angebracht. Wenn ich in Zeitschriften über Diäten lese, dann geht es eigentlich niemals allein um den Verlust von Zentimetern und Kilos, sondern immer auch um Tipps für eine gesunde und ausgewogene Ernährung. ({3}) Ich will einige weitere vielversprechende Ansätze nennen. Der 13. Kinder- und Jugendbericht, der dieses Jahr noch vorgelegt wird, wird erstmals das Thema Gesundheit in den Mittelpunkt stellen und dabei auch den Aspekt der Ernährung bzw. der Krankheit durch Fehlernährung aufgreifen. Die Bundesregierung fördert Mo15334 dellprojekte zur Stärkung der Selbsthilfe und Forschungsprojekte zum Thema Essstörung. Ich möchte hier beispielhaft nur ein einziges Projekt nennen. In diesem Projekt werden Mädchen ab dem sechsten Schuljahr an die Thematik anhand von Barbiepuppen herangeführt. Dieses Modell war schon in meiner Jugend bekannt. Bei mir hat es nicht zu Magersucht geführt. ({4}) Mit der Mode- und mit der Werbewirtschaft werden Gespräche mit dem Ziel geführt, eine Selbstverpflichtung zu erreichen. Ich denke, wir sind uns einig, dass Hungermodels eben nicht auf den Laufsteg gehören. ({5}) Eine letzte Bemerkung. Wir müssen uns klarmachen, dass es hier eigentlich um eine weitere Variante des Themas „Wie machen wir unsere jungen Menschen stark?“ geht. Wenn man es schafft, junge Menschen stark und selbstbewusst zu machen, dann ist das der beste Schutz davor, dass sie sich über ihr Aussehen definieren und sich durch die Beherrschung des Hungers beweisen müssen, dass sie sich selbst unter Kontrolle haben. ({6}) Wir müssen jungen Menschen die Kraft geben, in die neue Rolle eines Erwachsenen hineinzuwachsen. Ob der Antrag der Grünen dazu neue Aspekte enthält, werden wir im Rahmen der parlamentarischen Beratung sehen. Ich freue mich darauf und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Ina Lenke. ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Essstörungen stellen wirklich ein sehr ernstes gesundheitliches Problem dar. Das haben schon alle Rednerinnen vor mir gesagt. Ich will darauf hinweisen, dass es nicht nur die jungen Mädchen sind, die Schönheitsidealen nacheifern und deswegen erkranken. ({0}) Auch junge Männer sind davon befallen. Der Anteil der 17- bis 24-jährigen jungen Männer liegt bei 10 Prozent. Das sind 90 000 Erkrankte. Jeder kennt einen solchen Fall in seiner Umgebung. Gott sei Dank sind nicht alle Betroffenen lebensgefährlich erkrankt. Frau Schewe-Gerigk, Sie haben auch gesagt, dass 10 bis 15 Prozent der Erkrankten diese Krankheit nicht überleben. Das ist eine sehr hohe Zahl. Wir müssen uns alle also große Sorgen machen. Der Antrag der Grünen listet nur bereits vorhandene Hilfsangebote auf; Sie fordern noch mehr solcher Angebote. Selbstverpflichtung, Kampagnen und Appelle finden sich in Ihrem Antrag, aber keine neuen Lösungswege. ({1}) Die Kollegin von der CDU/CSU hat die Modebranche erwähnt, die eine Selbstverpflichtung einführen will. Das halte ich für sehr vernünftig. Die IGEDO, die, glaube ich, weltgrößte Modemesse in Düsseldorf, hat dem übertriebenen Schlankheitswahn den Kampf angesagt. Es soll ein nationaler Kodex in diesem Jahr erarbeitet werden. Wir wollen einmal schauen, was dabei herauskommt. Die Bundesregierung hat mit den drei Ministerinnen im Dezember letzten Jahres - kurz nachdem Sie den Antrag eingebracht haben, Frau Schewe-Gerigk - diese Kampagne gestartet. Die FDP unterstützt solche Kampagnen natürlich; das ist ganz klar. Da die Ministerinnen heute an dieser Debatte aber nicht teilnehmen - auch wenn es ein Antrag von den Grünen und nicht von der Großen Koalition ist -, muss man schon die Frage stellen, wie wichtig ihnen dieses Thema überhaupt ist. Das zeigt mir, dass es sich eher um eine Werbekampagne handelt, dass die Umsetzung durch irgendjemanden erfolgen soll und die Ministerinnen dieses Thema nicht nachdrücklich unterstützen. Der Bundesfachverband Essstörungen hat Richtlinien für Modelagenturen vorgeschlagen. Sie sehen folgendermaßen aus: Das Mindestalter von Models soll 16 Jahre betragen. Die absolute Gewichtsuntergrenze liegt bei 56,5 Kilogramm, wenn man 1,75 Meter groß ist. Bei diesen Maßen ist man schon superschlank. Wir kennen ja alle unsere eigenen Kilos, die wir mit uns herumtragen. Die FDP begrüßt diese Richtlinien. Ich hoffe, dass die Mode- und Medienbranche eine solche Selbstverpflichtung eingeht. Mich ärgern auch große Anzeigen für Hautcremes, auf denen bekannte Models zu sehen sind. Ein Model, das schon auf die 40 zugeht, sieht wie gemalt aus. Es wird ein Gesicht gezeigt, das in seiner Makellosigkeit wie ein Babygesicht aussieht. Vielleicht wissen Sie, um wen es geht. Ich will nicht unbedingt den Namen nennen. Da frage ich mich, wie man mit fast 40 Jahren keine Falten haben kann. Das gibt es einfach nicht. Das Bild ist so stark bearbeitet, dass es unwirklich ist. Sie wissen auch, dass Models auf einem Foto durch Computerbearbeitung noch schlanker gemacht werden, als sie sind. Wenn dann 14-, 15-jährige junge Mädchen diese Schönheitsideale auf einem Foto sehen, die aber nicht der Wirklichkeit entsprechen, und diesen dann nacheifern wollen, dann gibt es wirklich große Probleme. Denn kein Mensch kann diese Pseudoschönheiten erreichen, auch die Models nicht. ({2}) Was ist also wichtig? Dazu hat Frau WinkelmeierBecker etwas gesagt, was ich wiederholen möchte. Wichtig ist nicht, ob man Kleidergröße 34 oder 36 hat; wichtig sind ein gepflegtes Aussehen und eine starke eigenständige Persönlichkeit. Die Eltern, die Schule und alle anderen haben einen großen Anteil daran, dass das stärker im Vordergrund steht. Ich will Ihnen eine Werbung zeigen, die mir nicht erst anlässlich dieser Diskussion ins Auge gefallen ist. Ich meine die Anzeigen der Kosmetikfirma Dove. Kennen Sie diese Anzeigen, die letzten Sommer erschienen sind? Ich zeige Sie Ihnen hier. - Ich habe mich jedes Mal, wenn ich diese Anzeigen gesehen habe, wirklich gefreut. Da sind Dickere, Dünnere, Schlankere usw. zu sehen. Alle sind trotz ihrer Unterschiedlichkeit attraktiv. Man sollte auch einmal die positiven Beispiele in der Werbebranche zeigen. ({3}) Ich kann leider nicht länger als fünf Minuten sprechen; deshalb zum Schluss: Ich habe mir die Homepage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung angesehen. Liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe Irmingard Schewe-Gerigk, das können Sie wirklich nicht toppen. Die haben eine super Homepage. Man findet Hilfsangebote in seinem direkten Umfeld. Man braucht nur seine Postleitzahl anzugeben und findet entsprechende Hilfsangebote. Das ist eine super Sache. Darauf sollten wir aufbauen und nicht unbedingt noch etwas Neues machen, was ich für nicht sehr gut halte. Wir sollten uns diese Ideen anschauen. Was bleibt nun von den Forderungen der Grünen in diesem Antrag übrig? Erstens die Forderung eines eigenständigen Werbeverbots für Wunderpräparate zur Gewichtsabnahme; zweitens, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für dieses Problem zu schaffen. Für folgenlose Parlamentswerbekampagnen und Ministerinnenkampagnen eignet sich dieses Thema nicht. Lassen Sie uns deshalb zusammen nach Lösungen suchen. Eine Selbstverpflichtung der Mode- und Medienbranche wäre sicher das Richtige; denn Gesetze beseitigen dieses Problem nicht. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Marlene Rupprecht.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, das finde auch ich: Schönheit kennt kein Alter. Und Schönheit kennt auch kein Gewicht; so ist es. ({0}) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe Ihnen, Frau Lenke, recht: Wenn es bei dem Kampagnenstart der drei Ministerinnen, die sich dazu zusammengeschlossen haben, bleibt, dann war dies hinausgeschmissenes Geld; denn nach all dem, was wir wissen, ist bei Essstörungen und insgesamt bei Verhalten, das nicht immer nur vom Kopf zu steuern ist, Nachhaltigkeit erforderlich. Nachhaltigkeit kann nur durch Kontinuität und Regelmäßigkeit sichergestellt werden. In diesem Fall würde ich Ihnen recht geben. Aber wenn man einmal anschaut, dass mit dem Start dieser Kampagne ein Programm ins Laufen gebracht wurde, das wirklich auf Kontinuität angelegt ist, das heißt, dass tatsächlich Forschung betrieben wird - zum Beispiel bei Essstörungen über zwölf Jahre -, und wenn man sieht, dass es derzeit bereits entsprechende Forschungsprojekte gibt und dem Thema der gesunden Ernährung ein ganzer Kinder- und Jugendbericht gewidmet wird, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass das schon etwas mit Kontinuität und Nachhaltigkeit zu tun hat. Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion will ich einen weiteren Aspekt ansprechen. Dabei will ich gar nicht dem widersprechen, was in Ihrem Antrag steht; aber ich meine, dass darin viele Aspekte enthalten sind, die bereits mit dieser Kampagne erfüllt werden. Ein Aspekt, den man in den Mittelpunkt stellen muss und über den wir vor ein paar Wochen diskutiert haben, ist der, Familien so zu stärken, dass sie ihre Aufgabe wahrnehmen können, das heißt, Familien in die Lage zu versetzen, dass Vater und Mutter ihre Kinder annehmen können. Nichts ist besser, als wenn ein Kind vermittelt bekommt: So wie du bist - du brauchst dich nicht erst so oder so zu verändern -, bist du angenommen. - Das ist die beste Prävention, und die kostet nichts, außer dass man den Eltern vielleicht zeigt, dass man seine Kinder dadurch, dass man sie in den Arm nimmt, sie streichelt und Nähe zeigt - das weiß man heute aus der Bindungsforschung; dadurch werden im Hirn Synapsen geschlossen und angenehme Erinnerungen gespeichert -, stärkt. ({1}) Ich möchte noch einmal betonen, dass es nicht darauf ankommt, die Norm zu erfüllen. Leben ist vielfältig. Kleidergröße 34, 36 oder 56 sind nicht die Norm, sondern die Vielfalt ist die Norm. Da, wo krankhafte Züge an den Tag treten, wo man von Krankheit sprechen muss, kommt es darauf an, nicht mit Ablehnung und Moral - nach dem Motto „Wie kannst du nur?“ - zu reagieren. An dieser Stelle ist Hilfe notwendig. Voraussetzung dafür ist aber, dass man den Menschen akzeptiert, so, wie er ist, ob dick oder dünn, nicht wahr? (Zuruf des Abg. Ralf Göbel ({2}) - Ja, Herr Göbel, wir haben ja miteinander - Schön. ({3}) Wenn der Mensch akzeptiert wird, wie er ist, ist es leicht, an ihn heranzukommen. Dann kann man ihm sagen: Komm, wir nehmen eine medizinische Behandlung in Angriff! Wir schaffen das! - Warum sollte sich ein Mensch einem Arzt gegenüber öffnen, der ihm von vornherein signalisiert: So, wie du bist, kann ich dich Marlene Rupprecht ({4}) nicht annehmen? Voraussetzung dafür ist, dass man den Menschen so annimmt, wie er ist. Das fängt beim Kleinkind an, setzt sich im Kindergarten und in der Schule fort, und gilt auch später im Berufsleben. Sätze wie: „Dich können wir in der Öffentlichkeit nicht präsentieren!“, „Weil du zu dick bist, bist du nicht vermittelbar!“, oder: „Weil du zu dünn bist, bist du nicht vermittelbar!“ halte ich für Diskriminierung. Wir haben ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet. Danach ist Diskriminierung verboten. Auch diese Form der Diskriminierung gehört dazu. Ich glaube, dass wir diese Aspekte viel zu wenig berücksichtigen. Wir glauben, dass wir alles regeln können, ohne genau hinzuschauen, wie unsere Welt funktioniert. Wir können zwar Millionen an Forschungsgeldern ausgeben, wir werden aber nichts erreichen, wenn die Bereitschaft zur Akzeptanz nicht da ist. Wenn man weiß, dass man so, wie man ist, akzeptiert wird, dann ist man gefeit. Dann nimmt man es an, wenn einer zu einem sagt: „Mir passt das schon. Jedes Pfund an dir liebe ich.“ Das sagt zum Beispiel mein Mann zu mir. ({5}) - Wie soll ich hier über Magersucht reden, wenn ich mich, so wie ich bin, nicht selber infrage stelle?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Rupprecht, der Kollege Burgbacher möchte Ihnen bei der Einhaltung der Redezeit helfen, indem er eine Zwischenfrage stellt. Möchten Sie sie zulassen?

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wunderbar, Herr Burgbacher.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, hier geht es um Kampagnen. Stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, dass es eine ganz einfache Kampagne gäbe: Schönheit braucht Platz. ({0})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Ich will das Thema aber nicht in eine Ecke schieben. Ich will nicht, dass wir darüber lachen. Anorexia nervosa ist eine Krankheit. Die Betroffenen brauchen Hilfe, und es bedarf der Sachlichkeit. Die Betroffenen brauchen aber vor allem eines: Sie müssen so akzeptiert werden, wie sie sind. ({0}) Dann haben wir das Problem nicht. Dann sind sie nicht anfällig für diese Werbung. Dann streben sie solchen Idealen nicht nach. Diese Idealmaße sind keineswegs für alle ideal. Bei dem einen liegt das Idealgewicht bei 75 Kilogramm, bei dem anderen bei 56 Kilogramm. ({1}) Ich denke, das passt schon. Wir müssen endlich begreifen - das fängt hier im Parlament an -, dass wir den Menschen, der vor uns steht, so nehmen müssen, wie er ist. Wir sollten genauer hinhören, was er macht. Wir sollten den Kindern Vorbilder sein und sie stärken, indem wir sie akzeptieren. Danke schön. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dr. Martina Bunge das Wort. ({0})

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die moderne Frau soll stark, unabhängig, erfolgreich und natürlich attraktiv sein, wobei attraktiv häufig mit schlank gleichgesetzt wird. Einen wesentlichen Beitrag hierzu liefern unzählige direkte und indirekte Werbebotschaften, die Frauen in einem vermeintlich perfekten, weil schlanken Körper zeigen. Auch wenn es ein absurdes Frauenbild ist - ich erinnere an meine Vorrednerin -, das von den Medien tagtäglich vermittelt wird, dem Gebot der Schlankheit können sich Frauen, vor allen Dingen in jungen Jahren, kaum entziehen. Ja, es wurde gesagt: Auch Männer stehen zunehmend unter dem gesellschaftlichen Druck, den perfekten Körper anzustreben. Diäten können ein Einstieg in spätere Essstörungen wie Magersucht sein, was hier vorrangiges Thema ist. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greift insofern in ihrem Antrag ein wichtiges Thema auf. Doch vieles, was Sie in Ihrem Maßnahmenpaket schreiben, geht meines Erachtens nicht über die fast zeitgleich gestartete Kampagne der Bundesregierung „Leben hat Gewicht“ hinaus. ({0}) - Einen Tag eher. Ich habe extra nachgesehen. So wird beispielsweise die Sensibilisierung der Medien so lange ohne nennenswerte Konsequenzen bleiben, solange immer noch in der Mode-, Werbe- und Medienindustrie die Möglichkeit besteht, mit Schlankheitswahn und Diätangeboten einen höheren Gewinn zu erzielen. Dass hier ein großes Potenzial besteht, wird niemand beDr. Martina Bunge streiten. Denn schließlich wird niemand jemals die vermeintliche Idealfigur erreichen. Die Ursachen für Essstörungen sind nicht unbekannt. Sie sind vielfältig und nicht ausschließlich in falschen Vorbildern zu suchen. Sie stehen insbesondere im Kontext zu den sich verändernden Leitbildern und Anforderungen an Frauen, zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechterrolle, zum starken Konkurrenz- und Leistungsdruck und auch zur familiären Situation und zu persönlichen Erlebnissen. Eine Essstörung kann Ausdruck einer Bewältigungsstrategie sein und Gefühle wie Angst, Überforderung und Einsamkeit verdrängen. Die Kontrolle über das Essen kann ein Gefühl bislang unbekannter Sicherheit und Macht vermitteln, zumindest zu Beginn. Entscheidend ist, dass wir die Existenz, die Gründe und Zusammenhänge einer Essstörung in den Blick nehmen und Raum und Atmosphäre schaffen, damit sich die Betroffenen äußern können. ({1}) Zudem sind Ansätze zur Prävention von Essstörungen dringend zu stärken und auszubauen. Kampagnen allein reichen nicht. Komplexe Präventionsansätze müssen bereits in den jungen Lebensjahren ansetzen und nicht nur die Risikofaktoren in den Blick nehmen, sondern auch - es ist gesagt worden - die persönlichen Ressourcen stärken. Die Ansätze müssen alters- und geschlechterspezifisch sein. Eine Voraussetzung für gesunde Ernährung ist, die Mittel dafür zu haben. Armut hat erhebliche Auswirkungen auf das Essverhalten, vor allen Dingen dann, wenn die Regelsätze - das ist ernährungswissenschaftlich bewiesen - nicht ausreichen. Deshalb lautet auch aus dieser Sicht unsere Forderung: Hartz IV muss weg! ({2}) Schnellstens sollten wir wenigstens ein unentgeltliches Schulessen einführen, damit eine gewisse Grundlage gelegt werden kann. ({3}) Ich frage mich, wann wir hier endlich einmal - wir haben im Plenum sehr viel über Ernährung und Bewegung diskutiert - über einen komplexen Ansatz sprechen können, nämlich über das angekündigte Präventionsgesetz. Dies wäre ein langfristiger, dauerhafter und flächendeckender Ansatz. Aber wie ich heute auf einer Tagung gehört habe: Es steht in den Sternen, ob wir dieses Präventionsgesetz bekommen. Das finde ich sehr schade. Denn das wäre der Ansatz, den wir brauchen. Danke schön. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Koschorrek für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich bin hier nun der einzige männliche Redner, der das traute Bild der Damen stört. ({0}) - Ja, gut. - Der von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Antrag stellt mit dem Krankheitsbild Magersucht eine der gefährlichsten Essstörungen in den Mittelpunkt, die insbesondere unter Jugendlichen und da besonders unter jungen Frauen besorgniserregend zunimmt. Das Krankheitsbild und die Gefährlichkeit dieser Erkrankung, der Anorexia nervosa, sind in der Medizin schon lange bekannt, ebenso wie die verschiedenen anderen Formen von Fehlernährung mit Suchtcharakter wie Bulimie oder Adipositas. Insofern lässt sich nur feststellen, dass Sie mit diesem Antrag erneut das Augenmerk auf eine bekannte, sehr ernst zu nehmende Suchterkrankung, das fehlgesteuerte Essverhalten mit extremer Gewichtsabnahme, lenken. Bekannt sind auch die vielfach dauerhaften körperlichen Schädigungen und seelischen Folgen der Magersucht: ein Mangel an lebenswichtigen Elektrolyten, Entzündungen der Speiseröhre, Herzrhythmusstörungen, Nierenstörungen bis hin zur Niereninsuffizienz, eine Einschränkung der Fruchtbarkeit, Knochenerweichungen infolge des Vitaminmangels und nicht zuletzt eine extreme Schädigung der Zähne. Veränderungen des Eiweißstoffwechsels wirken sich auf die Übertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn aus und führen zu Depressionen. Zusammen mit der allgemeinen Leistungsfähigkeit sinkt auch die Konzentrationsfähigkeit. Wir begegnen der Magersucht bereits heute mit einer umfassenden medizinischen Versorgung, die selbstverständlich auch die Psychotherapie umfasst. Standardmäßig erfolgt die Therapie der Magersucht bei uns nach Richtlinienpsychotherapie, und wir gewährleisten damit eine gute Grundversorgung der Erkrankten. Spezielle Ambulanzen für Essstörungen, Fachärzte, psychosomatische Kliniken, Selbsthilfeeinrichtungen und Beratungsstellen stehen eigentlich in ausreichendem Maße in der gesamten Bundesrepublik zur Verfügung. Hinzu kommt das schon vorhin angesprochene umfassende Beratungsangebot im Internet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Koschorrek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. Warum auch nicht?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich würde Sie gerne fragen, ob auch Sie der Meinung sind, dass die Gesundheitsberufe sowie die Ärzte und Ärztinnen, wie es im Antrag der Grünen gefordert wird, noch stärker sensibilisiert werden sollten.

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme darauf in meiner Rede noch zu sprechen. Vielleicht kann ich Ihre Frage dann beantworten. ({0}) - Ich habe eben gesagt, dass eigentlich in ausreichendem Maße Möglichkeiten vorhanden sind. Was es noch nicht in ausreichendem Maße gibt, ist die Inanspruchnahme. Daran müssen wir arbeiten. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage, die jetzt beantwortet wird, hat die Kollegin Lenke gestellt, es sei denn, auch Sie melden sich zu einer Zwischenfrage. ({0})

Dr. Rolf Koschorrek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003791, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir können das meinetwegen weit auffächern. - Ich bin mit Ihnen einig, dass wir bei der Erkennung, der Therapie und der Verbesserung der Diagnosefähigkeit der Ärzte noch deutlichen Nachholbedarf haben. Aber daran arbeiten wir. ({0}) Wir haben darüber hinaus eine Reihe von Vorsorgemaßnahmen ergriffen, mit denen wir uns an die potenziell besonders Gefährdeten, die Jugendlichen und speziell die jungen Frauen, wenden. In der Praxis finden die Betroffenen schon heute ein breites Spektrum ambulanter und stationärer Therapien sowie zahlreiche Angebote zur psychologischen Hilfe und zu Selbsthilfeeinrichtungen vor. Nicht zuletzt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung bieten den Betroffenen ebenso wie den Gefährdeten und ihren Familien und Freunden Unterstützung an. Ein Beispiel ist das Therapiekonzept der bundesweit bekannten Medizinisch-Psychosomatischen Klinik in meinem Heimatort Bad Bramstedt, die bei der Behandlung der an Essstörungen leidenden Patienten sehr gute Erfolge vorzuweisen hat. Hier werden verhaltenstherapeutische und medizinische Behandlungen mit einer Reihe von ergänzenden Therapiemaßnahmen verbunden, unter Einbindung der niedergelassenen Ärzte aller Fachrichtungen in der gesamten Region. In dieses Konzept sind alle Ärzte, Psychologen, das Pflegepersonal, Krankengymnasten und Sport- und Physiotherapeuten ebenso eingebunden wie Diätassistenten, Ergotherapeuten und Sozialarbeiter, und zwar nicht nur in der Klinik, sondern auch in der Fläche. Ich finde, das ist ein Modellprojekt, das wir ausbauen sollten und das für andere Regionen durchaus Vorbildcharakter haben kann. Im Rahmen der Forschungen zur Fehl- und Mangelernährung wird eine breite Palette von Einzelaspekten untersucht. Analysiert werden die psychosozialen und soziokulturellen Ursachen der Nahrungsverweigerung und der Fehlernährung, die im extremen Fall zu Magersucht führen. Renommierte Universitäts- und Forschungsinstitute führen Untersuchungen zu den Ursachen der Magersucht sowie zu geeigneten Therapiekonzepten und Therapieaussichten durch. Es wurde ein bundesweiter Forschungsverbund zur Psychotherapie von Essstörungen gegründet. An dieser Stelle möchte ich auf eine laufende Studie hinweisen. Unter der Leitung der Sprecherin des Forschungsverbundes, Frau Professor de Zwaan, läuft zurzeit an der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen in Zusammenarbeit mit bundesweit acht weiteren Zentren eine Studie zur Magersucht in Metropolregionen. Ziel dieser weltweit ersten Multicenterstudie zur ambulanten Therapie ist es, eine Alternative zur Standardtherapie zu entwickeln, um den Betroffenen vor allem mit Blick auf die bisher unbefriedigende Langzeitwirkung frühzeitig wirksame Hilfe anzubieten. Diese Untersuchung wird vom Bundesforschungsministerium bis 2009 mit mehr als 1 Million Euro gefördert. Zusammenfassend ist festzustellen, dass wir bereits heute vieles tun, um den verschiedenen Ursachen und Auslösern der Magersucht ein Bewusstsein für gesunde Ernährung entgegenzusetzen. Es steht eine Reihe von Präventionsangeboten bereit. Zugleich tun wir bereits heute viel, um an Magersucht Erkrankten zu helfen, wenngleich wir sicherlich noch nicht so weit sind, dass diese Angebote nicht noch verbessert werden könnten. Das werden wir im weiteren parlamentarischen Verfahren miteinander diskutieren und erarbeiten können. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Margrit Spielmann das Wort.

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! An den Beiträgen, die wir heute gehört haben, wird deutlich, dass es unser Ziel sein muss, dass über das Thema Magersucht eine breite gesellschaftliche Debatte geführt wird. Als Gesundheitspolitikerin möchte ich sagen, dass ich einige Forderungen Ihres Antrages begrüße. Auch ich bin für eine stärkere Sensibilisierung hinsichtlich der Erkennung und Behandlung von Essstörungen der in den Gesundheitsberufen Tätigen. ({0}) Diese Sensibilisierung sollte aber nicht nur für Ärztinnen und Ärzte gelten, sondern auch für Pädagoginnen und Pädagogen. Ich begrüße es, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen, dass an Schulen und in Kitas mehr zum Thema gesunde Ernährung vermittelt wird. Ich begrüße es, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, sich dafür einzusetzen, dass in Kooperation mit Ländern, Kommunen, Krankenkassen, Patientenberatungsstellen Angebote gefördert werden, bei denen sich Betroffene und Angehörige beraten lassen können. Ich begrüße die Forderung, die Forschung zur Indikation Magersucht zu verstärken. In besonderer Weise begrüße ich die Forderung, alle Aktivitäten zu bündeln - auch dies kommt in Ihrem Antrag zum Vorschein und alle mit dem Problem Magersucht Konfrontierten als Partner zu gewinnen. Wir unterstützen Ihr Anliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, meinen aber, dass es schon sehr vielfältige Kampagnen dazu gibt. Ich möchte einige aufzählen. In den nächsten Monaten wird - das wurde schon genannt - ein Expertengremium unter der Federführung der drei Ministerinnen konkrete Maßnahmen gegen Magersucht erarbeiten. Die Ergebnisse sollen auf einem Kongress vorgestellt werden. ({1}) Sie haben die Auftaktveranstaltung der Initiative „Leben hat Gewicht - gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“ als Glamourveranstaltung dargestellt. ({2}) Ich habe andere Rückkopplungen bekommen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich bei dieser Veranstaltung nicht zugegen war. Zu dieser Kampagne gehört die Thematisierung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten. Zu den Kampagnen, die zurzeit diskutiert und durchgeführt werden, gehört in besonderer Weise - darauf legen wir Familienpolitikerinnen großen Wert - das Erstellen und Auswerten des 13. Kinder- und Jugendberichtes bis Ende 2008. Erstmals rückt das Thema Gesundheit in den Mittelpunkt der Kinder- und Jugendpolitik. Der Bericht soll Aufschluss über Maßnahmen gegen Essstörungen geben, und in ihm sollen neue Angebote für die Kinder- und Jugendhilfe im Bereich gesundheitsbezogener Prävention formuliert werden. Zu den Kampagnen gehört auch, dass das Bundesgesundheitsministerium dieses Jahr die Selbsthilfe bei Essstörungen durch ein Modellprojekt stärken wird. Ziel soll dabei sein, die Selbsthilfepotenziale der Betroffenen zu fördern und Handlungsempfehlungen für die Zusammenarbeit der Beratungseinrichtungen mit der Selbsthilfe modellhaft zu erarbeiten. Dafür werden in den kommenden drei Jahren rund 250 000 Euro zur Verfügung gestellt. Zu den Kampagnen gehört auch - das wurde genannt -, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Essstörungen und der Barmer Ersatzkasse Beratungsangebote bewerten wird. ({3}) Das alles sind Kampagnen, die Sie in Ihrem Antrag fordern, die aber schon auf dem Weg sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unseren zukünftigen Debatten sollten wir beachten, dass das Schönheitsideal von jungen Frauen und Männern nie das alleinige Motiv einer Essstörung ist, sondern diese - das macht auch die heutige Debatte deutlich - durch vielfältige Faktoren - biologische, familiäre, leistungsbezogene und psychosoziale Faktoren - bedingt ist, auf die wir uns in der Diskussion auch einlassen müssen. Deshalb sollte das Thema nicht allein unter gesundheitspolitischem Aspekt, sondern interdisziplinär behandelt werden. Wir fordern alle, die hier Familienpolitik, Verbraucherschutz oder Gesundheitsthemen bearbeiten, auf, sich dieser gesamtgesellschaftlichen Diskussion anzuschließen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7458 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer ({1}), Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Brunhilde Vizepräsidentin Petra Pau Irber, Gert Weisskirchen ({3}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen - Drucksachen 16/5907, 16/7909 Berichterstattung: Abgeordnete Anke Eymer ({4}) Gert Weisskirchen ({5}) Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({6}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Marina Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Katastrophe in Simbabwe verhindern - Drucksachen 16/4859, 16/6365 Berichterstattung: Abgeordnete Anke Eymer ({8}) Dr. Herta Däubler-Gmelin Monika Knoche Kerstin Müller ({9}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch, aber immer noch viele laute Verabschiedungsreden, die mich daran hindern, die Aussprache zu eröffnen und der ersten Rednerin das Wort zu erteilen. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilhaben wollen und noch etwas zu besprechen haben, das an einem anderen Ort zu tun. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion. ({10})

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon grotesk: Während in Afrika Menschen verhungern, diskutieren wir hier über Magersüchtige, die nicht essen, obwohl sie im Überfluss vom Nahrungsangebot Gebrauch machen könnten. Dies stellt eine Schwierigkeit dar, wenn wir hier jetzt über Simbabwe diskutieren wollen. Die Situation in Simbabwe ist Ihnen allen aus den Medien bestens bekannt. Dennoch möchte ich skizzieren, wie es dort jetzt aussieht. Der Abstieg der einstigen Kornkammer Afrikas ist einzigartig und zugleich derart erschreckend, dass ich nicht umhin kann, Ihnen diese Situation vor Augen zu führen. Der bereits in den 80er-Jahren einsetzende wirtschaftliche Verfall ist seit der gewaltsamen Vertreibung der weißen Siedler vor acht Jahren auf einer Talfahrt, die laut IWF weltweit ihresgleichen sucht. Die Arbeitslosenquote in Simbabwe wird mittlerweile auf 80 bis 90 Prozent geschätzt. Die Inflation hat geradezu groteske Ausmaße erreicht: Offizielle Stellen beziffern die Entwertung des Simbabwe-Dollars auf 66 200 Prozent innerhalb eines Jahres. Unabhängige Fachleute halten selbst diese Angabe für geschönt; sie gehen mittlerweile von einer realen Inflationsrate von 150 000 Prozent aus. Das von der Regierung angeordnete Einfrieren der Preise hat zu einem vorläufigen Stillstand der wirtschaftlichen Aktivitäten geführt. Die Regale in den Geschäften sind leer. Nach Hortungskäufen und Plünderungen durch Sicherheitskräfte und Milizen sind Grundnahrungsmittel selbst auf dem Schwarzmarkt selten geworden. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist dramatisch gesunken. Mit lediglich 34 Jahren für Frauen und 37 Jahren für Männer weist Simbabwe heute die niedrigsten Werte weltweit auf. Ein Drittel der auf 11 Millionen Einwohner geschätzten Bevölkerung Simbabwes ist außer Landes geflohen, vor allem nach Südafrika und Großbritannien. Wenn es bislang noch nicht zu größeren Hungerkatastrophen gekommen ist, dann liegt das nur daran, dass die Flüchtlinge aus dem Ausland ihre zurückgebliebenen Familien durch Devisentransfers am Leben erhalten. Der wirtschaftliche Niedergang dieses einst blühenden Landes ist nur der sichtbare Teil der simbabwischen Tragödie. Für unsere Augen weitgehend unsichtbar und doch ungleich schlimmer ist die politische Unterdrückung der Bevölkerung. Diese Unterdrückung läuft anlässlich der von Mugabe einseitig auf den 29. März festgelegten Wahlfarce auf einen Höhepunkt zu. Entzug von Nahrungsmitteln, gewaltsame Einschüchterung, massive Bedrohung oppositioneller Wahlveranstaltungen sowie Verhaftung und Folter unliebsamer Personen gehören zur traurigen Tagesordnung. Hinzu kommt das übliche Repertoire zur Vorbereitung von Wahlen in autoritären Staaten: Neuzuschnitt der Wahlkreise, Nichtzulassung von potenziell unzuverlässigen Erstwählern sowie Wahlausschluss von über 3 Millionen im Ausland lebenden Staatsbürgern. Dass es trotz der massiven Einschüchterung durch den Staatsapparat noch eine organisierte Opposition im Lande gibt, grenzt an ein Wunder. So gibt es aktuell zwei Bewerber für das Präsidentenamt: Morgan Tsvangirai, langjähriger Chef der Bewegung für Demokratischen Wandel und Simba Makoni, einst Finanzminister und engster Vertrauter Mugabes. Die Kandidatur Makonis weist auf Risse innerhalb der Staatspartei ZANU-PF hin, in der sich die Unzufriedenen nun offen von den loyalen Parteigängern Mugabes absetzen. Doch bedeutet die Kandidatur Makonis zugleich eine Spaltung der oppositionellen Kräfte. Schließlich gibt es bisher kein Bündnis zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten, um gemeinsam gegen Mugabe vorzugehen. Tsvangirai hat ein Bündnis mit Makoni bislang mit der Begründung abgelehnt, dass Makoni als Vertreter des alten Regimes für Elend und Unterdrückung im Lande mitverantwortlich sei. Diese Begründung mag sachlich richtig sein, doch könnte sich die ZurückweiBrunhilde Irber sung als schwerwiegender Fehler erweisen. Nur ein schlagkräftiges Bündnis aller oppositionellen Kräfte kann einem skrupellosen Machtpolitiker wie Mugabe ernsthaft gefährlich werden. ({0}) In Anbetracht dieser Situation drängt sich die Frage auf, was wir in Deutschland tun können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Irber, das können wir jetzt leider nicht mehr beantworten.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist aber sehr schade, Frau Präsidentin. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vielleicht bringt das die weitere Debatte.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich noch eine letzte Bemerkung machen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Einen letzten Satz, bitte.

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich denke, wir sollten unsere Zusammenarbeit mit den zivilgesellschatlichen Akteuren über unseren Entwicklungsfond weiter fördern. Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit sollte nach Möglichkeit wieder aufgenommen werden. Wir müssen vor allem Druck auf die SADC machen. Sie bekommt von der EU 46 Millionen Dollar. Deshalb müssen wir auf die EU Druck machen - darum bitte ich die Bundesregierung -, damit sie ihrerseits auf SADC Einfluss ausübt, Mugabe, Mbeki und die Staatschefs aller anderen umliegenden Staaten dazu zu bringen, darüber nachzudenken, wie man die fürchterliche Situation der Menschen in Simbabwe beenden kann. Ich möchte noch eines ansprechen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Irber, Sie können zwar weiterreden, aber das geht zulasten der Redezeit von Herrn Riester. ({0})

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. Die Nichtregierungsorganisationen und die politischen Stiftungen müssen wieder in Simbabwe arbeiten können, und die Zivilgesellschaft sollte auch von uns unterstützt werden, damit der Boden für die Zeit nach Mugabe neu bereitet werden kann und neue Setzlinge wachsen können. Dem vorliegenden Antrag stimmen wir gerne zu. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Marina Schuster das Wort. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein wenig mehr Mut, das hätte ich mir von Ihnen, meine Kollegen von der Großen Koalition, heute gewünscht. Dann hätten Sie unserem Simbabwe-Antrag vom März 2007 zugestimmt. ({0}) Stattdessen haben Sie Monate später einen eigenen Antrag vorgelegt, der bei allgemeinen Formulierungen bleibt und nur das Mindeste anspricht. Kein Wort über EU-Sanktionen, kein Wort über die G-8-Präsidentschaft, kein Wort über die Afrikanische Union! Es wäre Ihnen sicherlich kein Zacken aus der Krone gefallen, wenn Sie unserem Antrag zugestimmt hätten. Gerade wenn es um die Einhaltung der Menschenrechte geht, sollte es uns Parlamentariern wichtig sein, ein klares Signal zu senden. Für die Menschen in Simbabwe wäre es ein wichtiges Zeichen gewesen; denn die dortige Lage ist verheerend. Die Kollegin Irber hat es geschildert. Unserer Sprache fehlt es mittlerweile an Superlativen, um die dortige Situation zu beschreiben. Hyperinflation - gestern wurden 100 000 Prozent gemeldet; das ist wahrlich eine katastrophale Lage -, Wirtschaftskollaps, Armut, Menschenrechtsverletzungen und viele Flüchtlinge, das alles sind Stichworte, hinter denen sich Hunderttausende Schicksale verbergen. Man kann sich heute in Simbabwe beispielsweise von einem durchschnittlichen Monatsgehalt gerade einmal zwei Brote kaufen. Das muss man sich in Deutschland einmal vorstellen! Immer wenn wir bisher dachten, dass es nicht schlimmer kommen kann, hat uns das Regime Mugabe eines Besseren belehrt. Lässt man ihn weiter gewähren, wirtschaftet er das Land in Grund und Boden. Das kann nicht in unserem Interesse liegen. ({1}) Das Erschreckende ist - das hat meine Kollegin schon angesprochen -: Mugabe steht wohl eine weitere Amtszeit bevor. Die Konkurrenz aus den eigenen Reihen ist überschaubar. Die Opposition ist gespalten. Sie muss zudem täglich mit neuen Repressionen rechnen. Wahlveranstaltungen sind nicht möglich. Es wird wahrscheinlich keine freie und faire Wahl am 29. März geben. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, dass wir, die Parlamentarier, die Opposition und die Zivilgesellschaft in Simbabwe unterstützen. Dazu finde ich in dem Antrag der Koalition nur sehr wenig. Wir können doch nicht ernsthaft darauf warten, dass sich das Problem Mugabe von alleine löst. Erfreulicher ist hingegen das Engagement von Kanzlerin Merkel; das möchte ich hier nicht verschweigen. Sie hat die Menschenrechtsverletzungen des Regimes Mugabe beim EU-Afrika-Gipfel und während ihrer Reise angesprochen. Dieser Einsatz ist lobenswert, reicht aber nicht; denn das mediale Gedächtnis ist kurz. Wir müssen viel stärker und ausdauernder auf die afrikanischen Nachbarn einwirken, auch in der Öffentlichkeit. Südafrikas Präsident Mbeki setzt auf stille Diplomatie. Aber viel wurde bisher nicht erreicht. Das haben uns die Tickermeldungen von eben bestätigt. Wir hoffen deshalb, dass sich unter Mbekis Nachfolger eine Neuorientierung ergibt; denn die Flüchtlinge, die täglich von Simbabwe in die Nachbarländer strömen, sind auch ein innerafrikanisches Problem. Hier ist die Afrikanische Union gefragt. Sie muss sich viel mehr als bisher dafür einsetzen, dass Mugabe endlich abtritt. Da dürfen wir den Vorwand der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten nicht gelten lassen. ({2}) Denn das ist gerade der Unterschied der AU im Vergleich zu ihrer Vorgängerorganisation, der Organisation für Afrikanische Einheit: Die AU hat sich auf die Fahnen geschrieben, bei Unrechtsregimen tätig zu werden. Hier müssen wir die AU, aber auch die SADC-Staaten in die Pflicht nehmen. Auch die internationale Gemeinschaft hält sich mit Kritik zurück. Der VN-Sicherheitsrat hat Simbabwe bisher noch kein einziges Mal zur Sprache gebracht, und das bei einem Land, in dem die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Während Mugabe in einem der prächtigsten Paläste Afrikas residiert, kämpft die Bevölkerung ums Überleben. Das hat meine Kollegin Irber sehr ausführlich dargestellt. Für einen Aufstand sind die Menschen vor Ort durch die restriktive Informationspolitik schlicht unzureichend informiert oder vielleicht einfach zu hungrig, und das in einem Land, das einst die Kornkammer Afrikas war. Dass dieses Land in den Ruin getrieben wird, dürfen wir hier nicht tatenlos mit ansehen. Bilateral und seitens der EU müssen wir deutlich mehr Druck machen. Deshalb haben wir in unserem Antrag auch gefordert, die EU-Sanktionsliste zu erweitern und weitere Vertreter des Regimes Mugabe auf diese Liste zu setzen. In dieser Hinsicht sind uns andere Staaten voraus. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Kollegen von der Großen Koalition nicht mitgemacht haben; denn es sollte uns ein Anliegen sein, die Menschen in Simbabwe zu unterstützen. Ich möchte auch an dieser Stelle sagen: Wir sollten nicht immer nur predigen und schöne Papiere schreiben, sondern auch handeln. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Schuster, auch Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum letzten Satz. Wir sind als Parlamentarier - das ist ein wichtiges Signal aus diesem Hause - und als Regierung gefragt; denn die Zeiten, in denen sich Despoten sicher fühlen können, sollten auch in Afrika vorbei sein. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Arnold Vaatz das Wort. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine beiden Vorrednerinnen haben schon die faktische Lage in Simbabwe so trübselig, wie sie ist, ziemlich deutlich beschrieben, sodass ich eigentlich die Fakten nicht noch einmal aufzählen muss. Vielleicht gestatten Sie mir aber die Wiedergabe eines kurzen Eindrucks. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen, als ich vor einigen Jahren in Harare war. Als ich eine Schlange vor einer Tankstelle gesehen habe, habe ich mich dazu durchgerungen, denjenigen, der als nächster Treibstoff erhalten sollte, zu fragen, wie lange er gewartet hat. Die Antwort war, er habe zwei Tage nachts im Auto verbracht, um Benzin zu tanken. In einem Hospital sagte mir ein Patient, dass er, um überhaupt die Autofahrt zum Krankenhaus bezahlen zu können, sein Haus habe verkaufen müssen. Das sind meines Erachtens Verhältnisse, die man sich beim besten Willen hier in Europa in ihren ganzen Dimensionen nicht vorstellen kann. Zu den Pressionen des täglichen Lebens kommen noch Einschüchterungsmaßnahmen, die von der Regierung ausgehen. Es gibt einen außer Rand und Band geratenen Geheimdienst namens CIO, der allgegenwärtig ist und von dem eine enorm einschüchternde Wirkung ausgeht. Es gibt die sogenannten Green Bombers. Das sind junge Leute, die in Lagern zusammengefasst und dort militärisch ausgebildet werden und sozusagen die Gruppen fürs Grobe abgeben, also mit gewalttätiger Energie auf die Bürger losgehen und ebenfalls eine enorme Einschüchterungswirkung haben. Es stellt sich die Frage, wie das alles gekommen ist. Ich glaube, es wäre unehrlich in dieser Debatte, wenn wir uns nicht die Fehleinschätzung der demokratischen Welt eingestehen würden, die nicht sah, wes Geistes Kind der dortige Diktator Robert Mugabe ist. Der Westen hatte gemeint, ihn instrumentalisieren zu können, weil er damals eher auf chinesischer als auf russischer Seite war. Demzufolge jubelte man ihn als Hoffnungsträger hoch. Man hat damals im Übrigen auch nicht beachtet, wie viel Blut er auf seinem Weg zur Macht vergossen hat. Im Jahre 1982 hat das sogenannte MatabeleMassaker stattgefunden, bei dem eine fünfstellige Anzahl von Menschen mit Unterstützung der von Nordkorea ausgebildeten sogenannten Fünften Brigade getötet wurde. Dieses Massaker ist leider ignoriert worden. Danach hat es Entwicklungshilfe gegeben. Simbabwe sollte auf seinem Weg zu einem eigenständigen Staatsgebilde und nach der Unabhängigkeit unterstützt werden. Seit 1982 ist Entwicklungshilfe in Höhe von etwa 1 Milliarde Euro von Deutschland nach Simbabwe geflossen. Wenn man heute fragt, ob diese Entwicklungshilfe nachhaltig war oder nicht, dann stellt man fest, dass sie verpufft ist. In dem in Simbabwe vorhandenen Chaos ist überhaupt nicht mehr sichtbar, welche Aufbauarbeit dort geleistet worden ist. Das ist eine niederschmetternde Nachricht, die wir auch der Öffentlichkeit in Deutschland überbringen müssen. Denn wir müssen natürlich Auskunft darüber geben, wie sich unsere Entwicklungshilfe tatsächlich ausgewirkt hat. Wir müssen feststellen, dass sich der Wandel der Situation in Simbabwe schleichend angebahnt hat. Aber wenn man einen Zeitpunkt bzw. ein Ereignis benennen will, von dem an es steil bergab ging, dann ist das wohl die Landreform. Wenn man bedenkt, mit welcher Brutalität und nach welchen Prinzipien die Landreform, deren grundsätzliche Notwendigkeit bestimmt auch in diesem Raum niemand bestreitet, durchgeführt wurde, dann ist festzustellen, dass das ein Schlag ins Gesicht der Rechtsstaatlichkeit gewesen ist. Die Landreform hatte zur Folge, dass ganze Regionen in die Subsistenzwirtschaft zurückgefallen sind. Die Kornkammer war nicht länger die Kornkammer. Die Landreform wurde zum Selbstbedienungsladen für Günstlinge des Staatschefs, also für Kriegsveteranen, die sich dabei bedienen konnten. Alle Schritte der Regierung, die unternommen wurden, um in dieser Situation eine Stabilität der Versorgung zustande zu bringen, schlugen fehl. Ganze Landstriche sind verödet. Wenn man heute über das Land fliegt, dann sieht man, dass riesige Areale, Hunderte oder Tausende Hektar überhaupt nicht mehr bewirtschaftet werden. Das ist im Übrigen auch nicht von heute auf morgen wieder rückgängig zu machen. Dem Land ist ein bleibender Schaden entstanden. Dazu kommt jetzt noch die politische Repression, die in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Die Wahlen, die seit dem Jahr 2002 stattgefunden haben, waren keine freien Wahlen. Die Opposition hatte nie dieselben Chancen wie die Regierung. Es gab immer stärkere Bemühungen zur Gleichschaltung der Presse und zur Beschneidung der Unabhängigkeit der Gerichte. Alles lief auf eine Machtausweitung der herrschenden Partei ZANU-PF und des Präsidenten persönlich hinaus. Seit zehn Jahren sind wir als Weltgemeinschaft eigentlich nur ein Zaungast, der den katastrophalen Zusammenfall dieses Landes mehr oder weniger hilflos betrachtet. Wirkliche Eingriffsmöglichkeiten haben wir nicht. Ich glaube aber, dass es trotzdem richtig war, im Jahr 2002 die Entwicklungszusammenarbeit einzustellen; denn wir können die Strukturen, die dieses Elend verursachen, nicht auch noch stärken. Bedauerlich ist nur, dass andere Staaten, zum Beispiel China, das diplomatische Vakuum, das wir hinterlassen, ausfüllen und für ihre Interessen nutzen. Vor dieser Tatsache sollten wir die Augen nicht verschließen. Ich meine, das Wichtigste, worüber wir in diesem Zusammenhang sprechen müssen, ist die Tatsache, dass sich Afrika immer noch um Solidarität gegenüber dem Diktator Robert Mugabe bemüht. Wenn man die SADC an ihren Grundsätzen messen wollte, dann hätte sie eigentlich unverzüglich etwas gegen die Lage in Simbabwe tun müssen. ({0}) Das große Problem ist, dass die Lippenbekenntnisse der SADC einerseits und ihre Taten andererseits bis jetzt zu nichts geführt haben, was in diesem Land in irgendeiner Weise nach vorn deutet. Das ist die Realität. Auch der NEPAD-Prozess, in den wir so große Hoffnungen gesetzt haben, hatte in Bezug auf Simbabwe bis heute keinerlei Wirkung. Solidarität ist prinzipiell etwas Positives. Darin sind wir uns sicherlich einig. Aber es gibt auch falsche Solidarität. Wir müssen schon entscheiden, ob wir mit dem leidenden Volk in Simbabwe solidarisch sein wollen oder mit dem Todfeind des Volkes, der dieses Volk regiert. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die sogenannte stille Diplomatie von Thabo Mbeki bis jetzt keinerlei positive Erfolge gezeitigt hat. Heute hat eine Pressekonferenz in Johannesburg stattgefunden, bei der die Oppositionellen aus Simbabwe genau dies gesagt haben, und zwar beide Flügel der zerstrittenen Oppositionspartei MDC. Ich halte es für wichtig, immer wieder zu sagen: Wir müssen den afrikanischen Nachbarländern mitteilen, dass wir diese falsche Solidarität so nicht akzeptieren können; derjenige, der behauptet, die Verhältnisse in Simbabwe seien normal, setzt sich dem Verdacht aus, diese Verhältnisse auch dann als normal zu bezeichnen, wenn sie einmal in seinem eigenen Land eintreten. ({2}) Wir sollten uns auch in dieser Frage klar hinter unsere Kanzlerin stellen, die an der Konferenz in Lissabon teilgenommen hat; sie hat sie nicht boykottiert. Sie hat in aller Klarheit gesagt, was sie für richtig und was sie für falsch hält. Diese Ehrlichkeit in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung ist dringend erforderlich. Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir eine zusätzliche halbe Minute Redezeit gegeben haben. Ich hoffe, dass es uns gelingt, aus diesem Haus eine klare Botschaft zu senden: Simbabwes Schicksal ist uns nicht gleichgültig. Wir werden alles, was in unserer Macht steht, dafür tun, unsere Mittel so einzusetzen, dass sie den Menschen in diesem Land helfen und nicht deren Leiden verlängern. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Hüseyin Aydin das Wort. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen September hat sich die Opposition in Simbabwe unter Vermittlung des südafrikanischen Präsidenten Mbeki auf eine Politik der kleinen Schritte eingelassen. Das war auch der Wunsch der Europäischen Union. Die Verhandlungspartner aus beiden Fraktionen der oppositionellen MDC sind von der Forderung nach einer neuen Verfassung abgerückt. Teile der Zivilgesellschaft und die Basis der MDC haben dieses Vorgehen scharf kritisiert. Die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, dass die Kritik der Opposition berechtigt war. Die Unabhängigkeit der Wahlkommission ist nicht gewährleistet. Die Aktualisierung der Wählerverzeichnisse wird verschleppt. Die Regierung in Harare hat ihr Versprechen nach mehr Versammlungsfreiheit gebrochen. In der letzten Woche wurde wieder eine friedliche Kundgebung der Opposition gewaltsam aufgelöst. Im Polizeigewahrsam kam es erneut zu Brutalitäten. Einer Hochschwangeren wurde dabei eine Hand gebrochen. Das Mugabe-Regime hat sich an praktisch keines der Zugeständnisse gehalten, die unter der Vermittlung von Südafrikas Präsidenten vereinbart worden sind. Wir erwarten, dass die ANC-Regierung in Pretoria die Konsequenz zieht und Mugabe deutlich zurechtweist. Die sogenannte stille Diplomatie ist gescheitert. Ich sage: Es reicht nicht aus, Mugabe nur durch einen anderen Kopf aus seinem Umfeld zu ersetzen. Simbabwe braucht eine grundlegende Demokratisierung der Gesellschaft von unten. Der Kampf für die Demokratie ist dabei untrennbar mit dem Kampf um bessere Lebensbedingungen verbunden. Bei einer Inflationsrate von, wie bereits erwähnt, 100 000 Prozent und 150 000 Prozent lösen sich alle Werte in nichts auf. Grundnahrungsmittel und Benzin gibt es nur noch auf dem Schwarzmarkt. Rund ein Viertel der Bevölkerung ist bereits geflohen. Letztes Jahr hieß es in einem Hirtenbrief der Katholischen Bischofskonferenz Simbabwes - ich zitiere -: Schwarze Simbabwer kämpfen heute für dieselben Grundrechte, für die sie auch im Befreiungskampf stritten. Es ist derselbe Konflikt zwischen jenen, die Macht und Reichtum im Überfluss haben, und jenen, die nichts haben. Die Hoffnung auf ein einvernehmliches Auskommen mit den Regierenden ist leider begraben. Mugabe wird bei den Präsidentschaftswahlen erneut kandidieren. Er hat angekündigt, ohnehin keinen anderen Sieger als sich selbst zu akzeptieren. Es gibt nur einen Weg: Mugabe muss auf demokratischem Wege zu Fall gebracht werden. Das kann nur die simbabwische Bevölkerung schaffen. Jede direkte Intervention von außen würde dem Regime nur neue Vorwände liefern, um die Opposition zu diskreditieren. Unsere Aufgabe ist es, die demokratischen Kräfte zu unterstützen. Gerade an diesem Punkt aber bewies die Bundesregierung ihre Halbherzigkeit. Dort, wo alle Kameras aufgebaut waren, wie auf dem Lissabon-Gipfel im Dezember, verliert die Kanzlerin ein paar mahnende Worte in Richtung Mugabe. Doch als im letzten September mit Bischof Pius Ncube einer der wichtigsten Regimegegner durch eine Schmutzkampagne politisch kaltgestellt wurde, war nicht der Hauch eines Protestes zu vernehmen. Warum? Weil der simbabwische Geheimdienst eine Liebesaffäre des Bischofs öffentlich machte. Offenbar ist der Bruch des Zölibats zu heikel, als dass die Bundesregierung hier lautstark Position aufseiten des Bischofs beziehen möchte. Diese Politik der unscharfen Konturen kommt auch im vorliegenden Antrag zum Ausdruck. Was soll die Aussage, dass Simbabwe bei rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Reformen unterstützt werden soll, bedeuten? Wer ist damit gemeint? Welche Reformen sind damit gemeint? Solch einem Wischiwaschi versagen wir unsere Zustimmung. Die Linke ist nicht gewillt, Ihrer SimbabwePolitik einen Blankoscheck auszustellen. Wir sagen: Die Kritik an der Unterdrückung in Simbabwe darf keine Frage des politischen Opportunismus sein. Alle demokratischen Kräfte aus den Reihen der Kirchen, der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft haben unsere ungeteilte Solidarität. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Kerstin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben die desaströse Situation in Simbabwe in Ihren Reden ausführlich beschrieben. Nach 28 Jahren stehen die Menschen dort vor einem Scherbenhaufen: Hyperinflation, eine Arbeitslosenquote von 80 Prozent, ein Viertel der Bevölkerung - 3 Millionen Menschen - auf der Flucht. Davon sind nun auch schon die Nachbarländer betroffen. Man kann es so zusammenfassen: Mugabe ist ein Mann der Vergangenheit und nicht ein Mann der Zukunft. ({0}) Zum Wohle seines Volkes sollte er besser in Rente gehen. Ich glaube, dass wir uns da einig sind. ({1}) Kerstin Müller ({2}) Die große Frage ist, ob die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 29. März 2008 den überfälligen Wechsel einleiten werden. ({3}) Sollten sie allerdings wie im Jahre 2005 unter unfairen und undemokratischen Bedingungen stattfinden, dann, Frau Schuster, ist in der Tat nicht viel zu erwarten; wobei ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben habe. Allerdings: Die von der Opposition geforderte Verfassungsreform steht aus; Sie haben das gesagt. Die Wahlkreise wurden zugunsten der ZANU-PF aufgestockt. Wählerregistrierung, Aufstellung der Kandidatenlisten, all das war intransparent. Im Vorfeld gibt es schon wieder willkürliche Demonstrationsverbote, Demonstrationen werden gewaltsam zerschlagen. All das spricht nicht dafür, dass es anders laufen wird. Neu ist, dass es einen Kandidaten aus dem eigenen Lager gibt: Simba Makoni, ein ehemals hochrangiger moderater ZANU-PF-Funktionär. Ob das eine Chance für das Land ist, muss sich erst zeigen; das ist eine offene Frage. Jedenfalls zeigt das den Riss und auch die Unzufriedenheit in der ZANU-PF mit dem Regime Mugabe. Makoni ist beim Volk beliebt. Mit seinem Programm setzt er auf Ausgleich. Vielleicht kann hier ein Wechsel gelingen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was können wir, was kann die internationale Gemeinschaft tun, um diesen Prozess, um eine demokratische Entwicklung in Simbabwe zu unterstützen? Es war zunächst einmal richtig, dass die Staats- und Regierungschefs in Lissabon im Dezember 2007 nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen sind. Ich finde es sehr gut - das will ich ausdrücklich sagen -, dass gerade die Bundeskanzlerin sehr deutliche Worte zu Mugabe gefunden hat. ({4}) Ich finde es auch richtig, dass der Allgemeine Rat der EU die Geltung der gezielten Sanktionen gegenüber Simbabwe am Montag verlängert hat. Wir müssen allerdings kritisch bilanzieren, dass all dies, auch die Sanktionspolitik, bisher nicht viel gebracht hat, genauso wenig - Herr Vaatz hat es angesprochen - wie die sogenannte stille Diplomatie Südafrikas und der SADC. Die Oppositionsparteien haben heute in Johannesburg ganz klar gesagt: Die Vermittlungsbemühungen sind gescheitert. Dennoch zeigt das, die Krise in Simbabwe kann letztlich nur von den Afrikanern selbst gelöst werden. Dabei ist Simbabwe neben Darfur inzwischen zu der Glaubwürdigkeitsprobe für die Afrikanische Union geworden. ({5}) Der Präsident von Botswana hat mir einmal gesagt, seine Regierung wolle eigentlich gar nicht mehr an den SADC-Versammlungen teilnehmen, denn das, was man dort beschließe, sei eine Farce, wenn sich nicht in Simbabwe endlich einmal etwas ändert. Ich sage Ihnen: Er hat recht. Ich glaube, entscheidend ist: Solange Mugabe von seinen afrikanischen Freunden mit Samthandschuhen angepackt wird, solange man zwar irgendwie vermittelt, aber gleichzeitig Mugabe signalisiert, man lasse ihn in Ruhe, so lange tyrannisiert dieser weiter seine Bevölkerung. Deshalb ist es wichtig, dass wir, die internationale Gemeinschaft - ich erwarte, auch die Bundesregierung -, den Ländern der SADC, vor allem Südafrika sehr deutlich machen, dass wir nicht länger bereit sind, diese Doppelzüngigkeit hinzunehmen, erst recht nicht, weil sie Unterstützung von der Europäischen Union erhalten. Wir müssen den SADC-Staaten klar sagen - dafür sind alle multilateralen Kanäle zu nutzen -: Wachen Sie endlich auf! Mugabe ist schon lange kein Freiheitskämpfer mehr. Im Gegenteil: Er nimmt den Menschen die Freiheit. Deshalb fliehen sie, deshalb haben auch die Anrainerländer bereits den Schaden. Die interne Spaltung in der SADC zur Frage der Solidarität mit Mugabe muss daher überwunden werden. Sonst werden die Vermittlung Mbekis und der internationale Druck weiterhin wirkungslos verpuffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, insbesondere die SADC kann zu fairen und freien Wahlen beitragen, indem sie ihre Leitlinien endlich ernst nimmt, indem sie Beobachter hinschickt und prüft, ob die Wahlen fair und frei abgehalten werden, und auch bei der Wahlvorbereitung auf faire Bedingungen drängt. Das ist entscheidend.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Vaatz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ich heute ausgesprochen großzügig bin. Jetzt sind Sie aber wirklich weit über die Zeit.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin sofort fertig. Es darf nicht wieder passieren, was 2005 passiert ist. Hier müssen den Worten der Kanzlerin auch Taten folgen. Das ist entscheidend. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Walter Riester für die SPDFraktion. ({0})

Walter Riester (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003616, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wer sich erinnert: Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren haben wir eine Debatte über Simbabwe gehalten. Viele Argumente - ich habe es nachgelesen ähneln sich. Damals hat Staatsminister Bury gesagt: Ich freue mich auf den EU-Afrika-Gipfel in Lissabon, aber nur dann, wenn Mugabe nicht eingeladen wird; ich betone: Visastopp, Waffenembargo, Einfrieren der Konten sind wichtige Schritte. - Wir alle haben dann geklatscht. Frau Schuster, ich habe einmal nachgelesen, was der Liberale Löning gesagt hat - das war sehr weitsichtig -: Wir müssen erkennen, die bisherigen Sanktionen haben nichts genützt; in dem Erkennen wird uns eine Verschärfung der Sanktionen nicht weiterführen. Ich glaube, es ist Zeit, sich ein bisschen zurückzunehmen. Wir merken, dass es den Menschen in Simbabwe jetzt viel schlechter geht. Ich bin überzeugt: Der Konflikt wird sich im Innenverhältnis lösen, oder er wird nicht gelöst, ({0}) weder durch die SADC noch - wir merken das - durch die Nachbarländer. ({1}) - Nein, das bedeutet nicht Zuschauen. - Die starke Unterstützung der Widerstandskräfte in Simbabwe - von den Kirchen über die Gewerkschaften bis hin zu den Oppositionsbewegungen - birgt die Chance, dass der 29. März vielleicht keinen Regierungswechsel, aber hoffentlich auch nicht einen ähnlichen Auftakt wie in Kenia bringt. Es ist wichtig, den Befriedungsprozess einzuleiten und die genannten Kräfte zu stärken. Dann haben wir die Chance, von außen stärker zu wirken. Ehrlicherweise muss man aufzeigen: In den letzten fünf Jahren haben Sanktionen - ich spreche mich nicht gegen sie aus - keine Wirkung gezeigt. Bei allen Besuchen, die ich als Parlamentarier machte - egal ob in Malawi oder in Namibia -, hatte ich, wenn wir uns mit der Regierung unterhalten haben, nicht den Eindruck, dass ein geschlossener Widerstand gegen Simbabwe aufzubauen ist. Das muss man erkennen. Deswegen bin ich sehr dafür, alle Widerstandskräfte zu unterstützen, die Menschen zu unterstützen. Ich bin aber nicht dafür, dass fünf Jahre später erneut gesagt wird, das Problem sei nur Robert Mugabe. Es ist Robert Mugabe, aber nicht nur er. Wir können das Problem nur überwinden, wenn wir in Simbabwe Kräfte stärken wie in anderen Ländern auch. Wenn ich auf die Geschichte zurückblicke - das ist mein letzter Satz -, muss ich sagen: Ich habe noch nie erlebt - das müsste eigentlich Anlass zur Besinnung sein -, dass ein Wirtschaftsboykott zur Ablösung eines Despoten geführt hätte, ob in Kuba, im Irak oder in Simbabwe. ({2}) - Oder in Südafrika. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7909, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5907 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDPFraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Katastrophe in Simbabwe verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6365, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4859 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({0}), Christoph Waitz, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zehn Jahre Washingtoner Konferenz - Initiative für eine Nachfolgekonferenz in Deutschland - Drucksache 16/7857 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hans-Joachim Otto für die FDP-Fraktion. ({1})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Terrorherrschaft sind noch immer zahlreiche geraubte, beschlagnahmte und verfolgungsbedingt abhandengekommene Kunstwerke nicht identifiziert und ihren rechtmäßigen Eigentümern bzw. deren Erben zurückgegeben. Das ist ein Zustand, der uns nicht ruhen lassen darf. Wir haben die moralische Verpflichtung, uns nach Kräften für eine intensive Provenienzforschung nach sogenannter NS-Raubkunst einzusetzen. Seit fast zehn Jahren sind die Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, die Grundlage für die Restitutionspraxis und bleiben - das will ich ganz unmissverständlich sagen - die Grundlage aller Überlegungen zur Verbesserung dieser Praxis. Die Washingtoner Konferenz vom Dezember 1998 war zudem in vielen anderen Staaten die Initialzündung, die Bemühungen zur Provenienzforschung und Restitution von NS-Raubkunst zu verstärken, wenn nicht gar erst zu beginnen. Allein die Tatsache, dass die Washingtoner Grundsätze von 44 Staaten getragen werden, zeigt die Dimension des Unrechts, das es aufzuarbeiten galt und weiterhin gilt. In der Bundesrepublik wurde - das will ich betonen einiges zur Umsetzung dieser Grundsätze getan. Unter anderem wurde die Magdeburger Koordinierungsstelle eingerichtet, die gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden beschlossen und eine Handreichung zur Umsetzung der Restitutionsgrundsätze erarbeitet und aktualisiert. Allerdings waren die Anstrengungen der Provenienzforschung in Deutschland - das sollten wir selbstkritisch feststellen - einige Jahre in den Hintergrund gerückt. Auch eine immer wieder aufflammende Kritik an einer unzureichenden Personalausstattung und an einem unklaren Auftrag der Koordinierungsstelle in Magdeburg führte nicht zu einer Intensivierung der Provenienzrecherche. Es bedurfte erst der sehr umstrittenen Rückgabe des Kirchner-Gemäldes aus dem Berliner Brücke-Museum, damit endlich die Themen Provenienzforschung und Restitution von NS-Raubkunst wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt wurden. Durch die verstärkten Diskussionen über diese Themen haben wir alle in den vergangenen zwei Jahren, so denke ich, viel dazugelernt. Nicht zuletzt auch der Blick in unsere Nachbarländer Frankreich und die Niederlande, die im Übrigen - auch das sollte hier gesagt sein ein Vielfaches in die Provenienzforschung investiert haben, hat uns eine zentrale Erkenntnis gebracht, die für fast alle Restitutionsverfahren gilt: Immer dann, wenn ein Museum, eine Sammlung oder ein sonstiger heutiger Besitzer aufgrund eigener Provenienzrecherchen auf die Erben der früheren Eigentümer zugeht, sind die Chancen für eine Einigung besonders gut. In den meisten dieser Fälle sieht die faire und gerechte Lösung, die angestrebt wird, so aus, dass das betreffende Exponat in der angestammten Sammlung verbleiben kann und die Erben in Anerkennung der Initiative des Museums mit diesem eine Vereinbarung treffen - sei es in Form eines Kaufvertrages, einer Dauerleihgabe oder auch in vielen Fällen einer Schenkung. Neben der moralischen Verpflichtung, die ohnehin besteht, sollte diese Erkenntnis für uns der Anlass sein, alles zu unternehmen, um die aktive Provenienzforschung zu verstärken. ({0}) Die Einrichtung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung durch den Kulturstaatsminister ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Ich gebe allerdings auch da zu bedenken, ob die Summe von 1,2 Millionen Euro, die aus dem Haushalt der Kulturstiftung des Bundes - ich frage mich übrigens, warum die Länder nichts dazugeben ({1}) zusätzlich für Provenienzforschung zur Verfügung stehen soll, für ein so großes Land wie Deutschland mit Hunderten von Museen wirklich ausreichend und angemessen ist. Es wäre daher von großer Symbolkraft und würde einen zusätzlichen Schub für die Provenienzforschung bedeuten, wenn die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer Vorbildfunktion zehn Jahre nach der Washingtoner Konferenz eine Nachfolgekonferenz in Deutschland ausrichten würde. ({2}) Eine solche Konferenz wäre zudem auch international das klare Bekenntnis, dass sich Deutschland der besonderen Verantwortung in dieser Frage bewusst ist. Vor allem aber würde eine solche internationale Konferenz die Möglichkeit des wechselseitigen Erfahrungsaustausches bieten. 44 Staaten mit höchst unterschiedlicher Praxis haben die Washingtoner Erklärung unterzeichnet. Das heißt, es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Erfahrungen mit der Umsetzung der entsprechenden Grundsätze. Ich habe noch einmal nachgelesen, was die Kollegen gesagt haben, als ich vor einiger Zeit diesen Vorschlag schon einmal im Kulturausschuss gemacht habe. Das zentrale Argument lautete: Es ist nicht Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, eine solche Konferenz zu organisieren. Das hinterlässt womöglich einen falschen Eindruck und ist ein falsches Signal. Ich sage Ihnen: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wer, wenn nicht die Bundesregierung, ist berufen, an die positive Signalwirkung der Washingtoner Konferenz anzuknüpfen und eine Konferenz auszurichten, bei der über Erfolge und auch Probleme berichtet werden kann, vorbildhafte Modelle zur Nachahmung empfohlen und noch ausstehende Aufgaben identifiziert werden können? Ich kann nicht erkennen, wo eine solche Initiative einen falschen Eindruck hinterlassen könnte. Ich möchte gleich noch auf einen zweiten Einwand eingehen, der angeführt wurde. Eine Fachkonferenz, vielleicht von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausgerichtet: ja; aber eine Konferenz auf der gleichen Ebene Hans-Joachim Otto ({3}) wie die Washingtoner Konferenz: nein. - Eine Fachkonferenz ist schön und gut und sicherlich sinnvoll. Ich will gar nichts dagegen sagen. Wenn wir aber wirklich ein Signal senden wollen, wenn wir wollen, dass die Regierungen der betreffenden Staaten sich mit den Erfahrungen und den noch ausstehenden Aufgaben auseinandersetzen und die gewonnenen Erkenntnisse umgesetzt werden, dann müssen wir die Einberufung einer Regierungskonferenz anstreben. ({4}) Dabei bin ich mir darüber im Klaren, dass die Washingtoner Konferenz einen über geraubte Kunstgegenstände hinausgehenden Ansatz hatte und man dort alle Vermögensverluste abschließend aufarbeiten wollte. Aber ich frage Sie: Wenn die Washingtoner Konferenz vor allem im Bereich der NS-Raubkunst ein Erfolg war und ganz wichtige Impulse gesetzt hat, warum sollten wir nicht daran anknüpfen und zehn Jahre danach eine Folgekonferenz in Deutschland ausrichten?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Otto, bitte!

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich folge Ihnen, Herr Präsident. - Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Professor Monika Grütters von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Otto, wir sprechen heute zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode im Plenum des Deutschen Bundestages über Fragen der Restitution, das heißt über den Umgang mit NS-Raubkunst. Ich meine, das ist ein gutes Signal. ({0}) Wir, das Parlament, stellen uns dieser Problematik. Nicht nur wir tun das, sondern auch auf der Regierungsebene ist so viel passiert wie in keiner Vorgängerregierung. ({1}) Staatsminister Neumann hat Initiativen entwickelt und dabei wirklich zur Lösung offener Fragen in dieser sensiblen Thematik beigetragen. Ausgangspunkt der erneuten und aktuellen Debatte ist übrigens nicht das zehnjährige Jubiläum der Washingtoner Konferenz, sondern die umstrittene Rückgabe des Kirchner-Gemäldes „Berliner Straßenszene“ durch den Berliner Senat. ({2}) Es war dieser Fall, der Zweifel an der gängigen Restitutionspraxis aufgeworfen hat, vor allen Dingen deshalb, weil der Berliner Senat ihn so unglaublich schlecht gehandhabt hat. Unabhängig von dem Ergebnis dieses einzelnen Vorgangs ist das deshalb traurig, weil er so viele erfolgreiche Restitutionsvorgänge negativ überschattet. ({3}) Denn schließlich ist die einvernehmliche Restitution - das wissen auch Sie - gängige Praxis. Was ist erreicht worden? Deutschland hat - das haben auch Sie erwähnt - nicht nur 1998 an der Konferenz teilgenommen und die Washingtoner Erklärung unterzeichnet, sondern auch eine Gemeinsame Erklärung zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes verabschiedet. Sie haben zu Recht die Einrichtung einer Koordinierungsstelle in Magdeburg und die Erarbeitung einer Handreichung erwähnt. Doch zeigt jener Fall Kirchner, wie heikel diese Vorgänge sind und wie schwer es ist, generell verbindliche Regeln zu empfehlen. Obwohl es sich bei derartigen Vorgängen primär um Aufgaben der Länder handelt, hat sich Kulturstaatsminister Neumann entschlossen, bundesseitig Verantwortung zu übernehmen - denn Sie haben ja die Regierung angesprochen -, und eine Arbeitsgruppe eingesetzt, der unter anderem Vertreter aus Bund, Ländern, Kommunen und der KMK sowie von Museen und der Koordinierungsstelle in Magdeburg - Sie wissen das - angehören. Es waren diese Experten, die sich mit den vorhandenen Papieren und Instrumenten auseinandergesetzt haben. Ich finde, das Ergebnis ist in mehrfacher Hinsicht eindrucksvoll; denn, Herr Otto, es beantwortet Ihre Frage nach der Einberufung einer möglichen Washingtoner Folgekonferenz oder aber - das ist wirklich ein Unterschied - einer Konferenz in Bezug auf Kunstwerke in Deutschland. Weder der Wortlaut noch der Geist der Washingtoner Erklärung stehen hier zur Debatte. Deutschland steht zu seiner moralischen Verantwortung, auch mehr als 60 Jahre nach Kriegsende Kulturgüter zu suchen und zurückzugeben. ({4}) Einigkeit besteht auch darüber, dass die Gemeinsame Erklärung unverändert bestehen bleibt. Lediglich die Handreichung aus dem Jahr 2001 wurde redaktionell überarbeitet, aber ohne die Substanz zur Disposition zu stellen. So wird zum Beispiel die Beweislast nicht infrage gestellt. Sie liegt nicht bei den Opfern und deren Nachfahren. Auch Verjährungs- und Ausschlussfristen wird es - das war ebenfalls ein Thema im Kulturausschuss - in Deutschland nicht geben, weil dies unserer moralischen Verantwortung nicht gerecht würde; denn Unrecht wie dieses kann nicht verjähren. ({5}) Im Ergebnis der Initiativen Neumanns ist eine zentrale Arbeits- und Geschäftsstelle Provenienzrecherche - Sie haben sie erwähnt - eingerichtet worden. Sie haben freundlicherweise erklärt, dass Sie das in Ordnung finden. ({6}) Richtig ist, dass sie beim Institut für Museumsforschung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angesiedelt ist. Herr Otto, 1 Million Euro kommen vom Bund und 200 000 Euro von der Kulturstiftung der Länder. Die tun also sehr wohl etwas dafür. Wichtig ist, dass vor allen Dingen kleinen Museen geholfen wird, die häufig mit den Forschungsaufgaben überfordert sind, weil sie ähnlich wie die großen nicht nur auf Forderungen reagieren, sondern unaufgefordert zur Aufklärung beitragen möchten. Ich empfinde die Zweifel an den Museen häufig als unberechtigt. Was wäre noch zu tun? Herr Otto, alle anderen Fragen, die 1998 in Washington zur Debatte standen - der Umgang mit Raubgold, entzogene Versicherungswerte, enteignete Grundstücke oder die sogenannte HolocaustErziehung -, liegen weder in der Zuständigkeit des Staatsministers für Kultur noch in der Zuständigkeit des Kulturausschusses. Diese Aufgaben sind unter der jetzigen Regierung sehr offensiv und zielgerichtet bearbeitet worden. Es geht nicht um eine grundsätzliche Hinterfragung der Substanz der Washingtoner Erklärung und der Gemeinsamen Erklärung sowie ihres moralischen Gehalts. Vielmehr muss der Gedankenaustausch zwischen den betroffenen Akteuren über die nunmehr startende Provenienzrecherche, die mit immerhin 1,2 Millionen Euro ausgestattet ist, und über konkrete Fragen der Restitutionspraxis - die sind viel heikler als die Grundfragen intensiviert werden. Vor allen Dingen das hat der unglückliche Fall Kirchner gezeigt. Wir unterstützen die Einrichtung einer großen Fachkonferenz, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der bei ihr neu geschaffenen Arbeitsstelle Provenienzrecherche plant. Herr Otto, ich finde es falsch, diese Ansätze schlechtzureden, ehe sie überhaupt in die Praxis umgesetzt wurden. ({7}) - Doch, Herr Otto. Sie sagen, das sei das Gegenteil von dem, was Sie möchten. Dabei ist Ihre Begrifflichkeit unpräzise. Sie sind nicht auf die Hauptthemen in Washington 1998 eingegangen, die hiermit eben nichts zu tun haben. - Die internationale Beteiligung an dieser Fachkonferenz muss gegeben sein und - ich komme zum Schluss - das Hauptaugenmerk auf die aktive Recherche und Forschung im Hinblick auf NS-Raubkunst gerichtet werden. Ihr und, wie ich meine, unser aller Ziel muss es sein, mit den Museumsakteuren gemeinsam faire und gerechte Lösungen für die Wiedergutmachung erlittenen Unrechts zu finden und das in einer Fachkonferenz zu besprechen. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf Antrag der FDP sollen wir heute die Bundesregierung auffordern, im Herbst dieses Jahres in Berlin eine Nachfolgekonferenz der Washington Conference on Holocaust-Era Assets durchzuführen. Ich wette, aus dieser Konferenz wird nichts. Wie würde Deutschland auf dieser Konferenz dastehen? Im Antrag der FDP heißt es: „Angesichts der besonderen moralischen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland bei der Aufarbeitung der in der Zeit des Nationalsozialismus entstandenen Vermögensverluste und der Restitution von NS-Raubkunst hat“, sollte erstens „analysiert werden, welche Ziele der Washingtoner Erklärung bereits erreicht werden konnten“, und zweitens sollten internationale Erfahrungen mit der Umsetzung ausgetauscht sowie „vorbildhafte Vorgehensweisen und Strukturen identifiziert werden“. Wie würde Deutschland da abschneiden? Die Sachverständige Monika Tatzkow hat bei der öffentlichen Anhörung vor dem Ausschuss für Kultur und Medien festgestellt: Tatsache ist …, dass die Bundesrepublik Deutschland anders als Länder, die von Nazi-Deutschland in Westeuropa überfallen und besetzt wurden oder denen der Krieg erklärt wurde, bei der Umsetzung der Washingtoner Erklärung noch ganz am Anfang steht. Neun Jahre nach der Erklärung wissen wir nicht viel; der Informationsstand ist sehr unzureichend. Das war vor einem Jahr. Viel hat sich seitdem weiß Gott nicht geändert. ({0}) Die lang angekündigte Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und -forschung unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist personell immer noch nicht besetzt. Sie hat noch keinen einzigen Arbeitstag hinter sich gebracht. Ihre finanzielle Ausstattung mit 1 Million Euro - 200 000 Euro Zuschuss von den Ländern kommen noch hinzu - ist keineswegs ausreichend für die Aufarbeitung dieses seit Jahrzehnten vernachlässigten Bereiches. Auch der Fachbeirat bei der Koordinierungsstelle für Kulturverluste in Magdeburg hat seine Arbeit noch nicht aufgenommen. All das steht nur auf dem Papier. Heute veröffentlichte der Staatsminister eine Pres15350 seerklärung; tatsächlich ist aber noch gar nichts geschehen. Noch eines: Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung das Ausfuhrverbotsgesetz für Kunstwerke verschärft und NS-Raubkunst davon nicht ausgenommen, ganz anders als Österreich, das sein Gesetz, nach dem die Ausfuhr von Raubkunst verboten ist, für diese Fälle ausdrücklich außer Kraft gesetzt hat. Das aber bedeutet eine klare Verfügungsbeschränkung für Alteigentümer. Entweder können sie die ihnen zurückgegebenen Werke nun in Deutschland, dem Land der Täter, verkaufen, oder sie benötigen eine Ausfuhrgenehmigung des Kulturstaatsministers. Ist das ein fairer und gerechter Umgang nach all dem angetanen Unrecht? Wie sähe Deutschland also auf einer internationalen Bilanzkonferenz zehn Jahre nach der Washingtoner Erklärung aus? Wie könnte es sich darstellen? Wenn wir unsere Umsetzungsdefizite in Gegenwart aller anderen 43 Signatarstaaten ganz offen zur Diskussion stellten und uns auf qualitative Veränderungen für die Zukunft verpflichteten, dann wäre ich sehr für eine solche Konferenz. Eine salvierende Großveranstaltung unter dem verpflichtenden Titel „Washingtoner Nachfolgekonferenz“ in Berlin im Schonraum der Gastgeberrolle wird meine Fraktion allerdings nicht befürworten. Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Reiche von der SPD-Fraktion.

Steffen Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der Washingtoner Konferenz vor rund zehn Jahren ist viel erreicht worden. So beschämt wir über die über 50 Jahre davor sein müssen, so dankbar und zufrieden können wir über das zwischenzeitlich Erreichte sein. Es ist bei Weitem noch nicht alles geschafft, aber die Weichenstellungen, die in Deutschland nach der Washingtoner Konferenz vorgenommen wurden, sorgen dafür, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Die Washingtoner Konferenz und ihr Ergebnis, die Washingtoner Erklärung, waren ein Erfolg. Gab es in Deutschland vorher nur wenige Bemühungen, durch Provenienzrecherchen die Eigentumsverhältnisse an Kunstwerken zu klären, ist durch die Koordinierungsstelle in Magdeburg, durch die Gemeinsame Erklärung von 1999 und durch die Handreichung von 2001 ein allgemeines Bewusstsein geschaffen worden. Insbesondere durch die Aktivitäten der Bundesregierung und von Herrn Neumann ist eine Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und -forschung eingerichtet worden und wird, denke ich, in den nächsten Wochen personell untersetzt und entsprechend ausgestattet. Die Handreichung ist auf der Grundlage der Erfahrungen von sechs Jahren überarbeitet worden. Der Antrag der FDP zeigt, wie ich finde, sehr gut, was alles in den letzten Jahren unternommen worden ist. Dafür herzlichen Dank. ({0}) Die aktive Stärkung der Provenienzrecherche ist also gemeinsames Anliegen. ({1}) Der US-amerikanische Holocaustbeauftragte, Sonderbotschafter Christian Kennedy, hat im vergangenen Jahr vorgeschlagen - ich weiß nicht, ob die FDP es zuerst vorgeschlagen hat oder er -, ({2}) eine Bilanzkonferenz, also eine Art Washington II, in Berlin zu veranstalten. Die Bilanz würde gerade aufgrund der Arbeit der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren nicht schlecht ausfallen. Es ist viel geschehen. Aber die Frage ist, ob statt einer großen Bilanznachfolgekonferenz nicht vielmehr eine Fachkonferenz - von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz organisiert - die Erfahrungen besser auswerten und neue Impulse geben könnte. Vor zwei Monaten hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz an das Leo-Baeck-Institut geschrieben und darauf hingewiesen, dass die SPK als Veranstalter einer internationalen Fachkonferenz zum Themenkomplex der Restitution von NS-Raubkunst zur Verfügung steht. Auf diese Weise wäre gesichert, dass dieses schon an sich hochkomplexe Thema nicht durch andere Themen, über die zurzeit in den USA diskutiert wird, wie zum Beispiel die Versicherungspolicen aus der NS-Zeit oder andere Forderungen von Holocaustnachkommen, überlastet werden würde. Eine solche Fachkonferenz könnte beides: Bilanz ziehen und Impulse geben. Die Bundesregierung sollte aufgrund der Bedeutung des Themas und der von dieser Regierung erreichten Fortschritte eine solche Tagung nicht nur mitfinanzieren, sondern auch dabei präsent sein. Die Überlegungen, die es dazu im Auswärtigen Amt gibt, teile und unterstütze ich. Zu Beginn dieses Jahres hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern gemacht und will damit die verschiedenen Änderungen der Richtlinie von 1993 kodifizieren. Unser Thema, die in der NS-Zeit unrechtmäßig angeeigneten Kulturgüter, ist ein Sonderfall des größeren Themas unrechtmäßig angeeigneter und verbrachter Kulturgüter. Vor zehn Jahren haben die Vereinigten Staaten zur Washingtoner Konferenz eingeladen. Sie hat stattgefunden, um das in Europa entstandene Problem der unrechtmäßigen Aneignung der Vermögen von Holocaust-Opfern zu lösen. Weil dieses in Europa entstandene Problem in einer Nachfolgekonferenz am besten in Europa gelöst werden kann, schlage ich vor, dass die sich vereinigenden Staaten von Europa in den nächsten Jahren zu einer Konferenz einladen, um zu bilanzieren, welche Lösungen in dieser Frage erreicht wurden. Vor allem sollte im Rahmen einer von der EU veranstalteten KonSteffen Reiche ({3}) ferenz nach Wegen gesucht werden, wie die Erfahrungen der UNESCO im Hinblick auf den weltweiten Kulturgüterschutz in anderen Situationen von Völkermord und Krieg genutzt werden können. Es ist meiner Meinung nach die Krux des FDP-Vorschlags, eine deutsche Washington-Nachfolgekonferenz abzuhalten. Wie gewährleistet man dort die Balance zwischen selbstgerechter deutscher Präsentation der Erfolge und erneuter Einladung zur Anklage Deutschlands? ({4}) - Ich denke, das kann mit der Fachkonferenz anders sein, weil dort die Fachleute an diesem Thema arbeiten und nicht die Regierungen, die natürlich auch eingeladen sind, auf dieser Konferenz über weitere, über dieses fachlich eingrenzte Thema hinausgehende Themen zu diskutieren. Das Problem, über das zu diskutieren ist - zunächst auf der SPK-Konferenz und später im Rahmen einer EUKonferenz -, ist ein europäisches Problem. Denn Staaten in Europa und Menschen aus Europa sind davon betroffen. Meiner Meinung nach wird an Ihrem Antrag deutlich, dass die FDP nicht europäisch genug denkt. Wir können diese Herausforderung nur gemeinsam in Europa lösen. Deshalb sollte eine Nachfolgekonferenz eine europäische Initiative sein. Das Volk der damaligen Täter lebt heute mitten in der Europäischen Union. Auch in anderen Staaten der heutigen Europäischen Union sind von Deutschen organisiert oder von Deutschen angestiftet und unterstützt unrechtmäßige Eigentumswechsel geschehen. Die davon Betroffenen leben in Staaten Europas oder außerhalb Europas. Die Europäische Union könnte diesen Themenkomplex in einer von ihr organisierten Veranstaltung auf sinnvolle Weise weiter behandeln, zugleich andere weltweit geschehene Kulturgüterverbrechen thematisieren und ausgehend von den zum Beispiel in Deutschland durchgeführten Verfahren Lösungsansätze entwickeln. Sie könnte die Arbeit der Fachkonferenz also auf sinnvolle Weise aufgreifen und weiterführen. Martin Roth, der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, sagt zu Recht - ich zitiere ihn -: Es geht … nicht nur um die deutsch-jüdischen Zusammenhänge, sondern wir haben alle gelernt in den letzten Jahren, dass dieses Provenienzforschungsthema und Restitutionsthema noch mal deutlich größer ist. ({5}) - Ja, weil er meinen noch nicht kannte. ({6}) Ich habe heute mit ihm darüber diskutiert. Nachdem wir kurz miteinander gesprochen haben, hat er dem viel abgewinnen können, weil er merkte, dass mein Vorschlag über Ihren Vorschlag weit hinausgeht und den Rahmen sinnvoller und größer absteckt. Außerdem, so Martin Roth, ist eine von Deutschen in Deutschland organisierte Nachfolgekonferenz nicht der richtige Rahmen. Was größer ist als Deutschland, ist Europa. Alles, was Deutschland sinnvollerweise nicht alleine lösen kann, löst es in der Europäischen Union. Das damalige, besonders große, perverse und schwierige Verbrechen war ein deutsches. Aber es gibt in der Zeit danach auch Probleme, die mit unseren bei der Lösung des in diesem Zusammenhang wohl größten Problems gemachten Erfahrungen andernorts lösbar würden. Eine solche europäische Konferenz könnte besser und glaubwürdiger das Thema „Best Practice“ thematisieren. Sie könnte, wie Martin Roth formuliert hat, thematisieren, was in anderen europäischen Ländern geschehen ist bzw., um ihn noch einmal zu zitieren, wie „man in anderen europäischen Ländern gearbeitet“ hat. Unser Wunsch ist, dass der BKM die SPK bei der Fachkonferenz unterstützt und begleitet und in Brüssel die Anregung unterbreitet, dass nach Amerika in den nächsten Jahren Europa zu einer Konferenz einladen könnte; ob in Brüssel, in Berlin oder im UNESCO-Ort Paris, ist egal, wenn man den richtigen Rahmen hat. Nach den Vereinigten Staaten von Amerika bieten diesen Rahmen die sich vereinigenden Staaten von Europa. Wer europäisch denkt, sieht besser. Eine europäische Konferenz kann besser eine sinnvolle Folgeveranstaltung der amerikanischen Konferenz sein. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dr. Uschi Eid von Bündnis 90/Die Grünen.

Ursula Eid-Simon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000454, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Frage, wie wir unserer Verantwortung im Umgang mit den unter dem NS-Regime enteigneten Kunst- und Kulturgütern gerecht werden, hat uns immer wieder beschäftigt. Diese Frage ist wichtig; sie ist aber viel zu spät gestellt worden. Es war 1998, als das Washingtoner Abkommen Klarheit brachte und die Weichen für faire und gerechte Lösungen gestellt hat. Vor zwei Jahren kam es in Deutschland zu einer kontroversen Debatte über die Rückgabe des Kirchner-Gemäldes „Berliner Straßenszene“. Doch der Eindruck, den manch einer damals angesichts des spektakulären Einzelfalls zu erwecken versuchte, ist falsch: Es gibt keinen Bedarf, die Restitutionspraxis infrage zu stellen. Es gibt ganz im Gegenteil eine ziemlich erfolgreiche Rückgaberealität. ({0}) In 90 Prozent aller Fälle kommt es zu einer gütlichen Einigung; die meisten Rückgabestücke besitzen vor allem einen hohen emotionalen Wert. Trotzdem wurde versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Prinzipien und Ideen der Washingtoner Erklärung nicht einer fairen und gerechten Lösung dienen, ja dass sie nur den Profitinteressen des internationalen Kunsthandels nutzen. Vor diesem Hintergrund hat die FDP einen Antrag gestellt, den sie Ende letzten Jahres noch einmal umgeschrieben hat. Das Thema Restitution wurde im Ausschuss intensiv und ernsthaft diskutiert. Der Ausschuss hat dazu eine Anhörung durchgeführt, in der nicht nur die Praxis in Deutschland, sondern auch die Erfahrungen im Ausland beleuchtet wurden. Die Anhörung war ein großer Schritt zu einer Versachlichung der Debatte. Staatsminister Neumann hat eine Arbeitsgruppe einberufen, die breit besetzt war, und er hat einige Punkte der Kritik an der gegenwärtigen Praxis in Deutschland aufgenommen. Konsens ist und bleibt - das ist immer wieder deutlich geworden -, dass es keine Abstriche an der Washingtoner Erklärung gibt. Das ist gut so. ({1}) Warum die FDP nach dieser ausführlichen Bestandsaufnahme und den Ankündigungen des Staatsministers ihren alten Antrag wieder einbringt, verstehe ich nicht. ({2}) Eine Neuauflage der Washingtoner Konferenz in Deutschland geht an der Realität vorbei. Der Antrag sendet zudem ein falsches Signal, nämlich dass wir eine vermeintlich günstigere Rückgabepraxis erreichen wollen. Doch „günstig“ ist eine Terminologie, die bei nie verjährendem Unrecht unpassend ist. ({3}) Es ist zu begrüßen, dass die Diskussion, die wir in den vergangenen Monaten geführt haben, Früchte trägt. Der Vorschlag, eine Stelle für Provenienzrecherche einzurichten, ist richtig, auch wenn darüber gestritten werden kann, wie weit die dafür bereitgestellten Gelder reichen; dazu haben sich ja auch die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, geäußert. Um die Herkunftsforschung ist es an deutschen Museen schlecht bestellt; das hat die Expertenanhörung im Kulturausschuss gezeigt. Es ist richtig, die Zusammenarbeit der Magdeburger Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste mit den Museen vor Ort auf eine breitere Grundlage zu stellen. Allerdings sind die finanziellen und personellen Engpässe in vielen Museen, die eine eigenständige Forschung behindern, damit noch nicht beseitigt. Einige Rahmenbedingungen sind neu justiert worden, sodass die Notwendigkeit einer Evaluation der Rückgabepraxis, wie im Antrag vorgesehen, nicht ersichtlich ist. Deshalb ist eine Neuauflage oder „Nachfolgeveranstaltung“ der Washingtoner Konferenz in diesem Herbst aus der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen nicht erforderlich. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Rita Pawelski von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen auch 63 Jahre nach Kriegsende in der moralischen Verpflichtung, das von den Nazis gestohlene Kulturgut weiterhin aktiv zu suchen und den rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Darum steht Deutschland uneingeschränkt zu den Vereinbarungen der Washingtoner Erklärung von 1998. Wir erfüllen die eingegangenen Verpflichtungen. Staatsminister Neumann hat drei wesentliche Neuerungen auf den Weg gebracht: Erstens. Seit dem 1. Januar 2008 hat die Arbeitsstelle für Provenienzforschung und -recherche die Arbeit aufgenommen. ({0}) - Hat sie seit Januar. Zweitens. Bei der in 2001 eingerichteten Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg wurde ein Fachbeirat etabliert. Drittens. Die maßgeblichen Handreichungen wurden, wie gefordert, überarbeitet und werden ständig aktualisiert. Sie helfen gerade den kleineren Museen, weil sie sehr detailliert zeigen, wie geraubte Kunst aufgespürt werden kann. Es gibt eine Checkliste, die abgearbeitet werden kann. Das ist gerade für kleinere Museen eine große Hilfe. Diese Bundesregierung hat gehandelt. Die von ihr beschlossenen Maßnahmen tragen entscheidend dazu bei, dass die Provenienzforschung in Deutschland transparenter, koordinierter und nachvollziehbarer wird. Dies hat auch die FDP bestätigt. Staatsminister Bernd Neumann hat einmal mehr bewiesen, dass er sich nicht scheut, sensible Themen anzupacken und erfolgreich zu lösen. Jetzt nähert sich der Tag, an dem sich die Washingtoner Konferenz zum zehnten Male jährt. Die FDP will eine Nachfolgekonferenz, diesmal in Deutschland. Staaten und Organisationen sollen berichten, wie die elf Punkte der Erklärung abgearbeitet wurden und welche Anstrengungen darüber hinaus unternommen werden sollen. Was könnte außerdem das Ziel einer Nachfolgekonferenz sein? Die Grundpfeiler für die Rückgabe von Restitutionsgütern wurden 1998 festgelegt. Erwartet die FDP zusätzliche, andere oder neue Grundsätze? Außerdem, verehrter Herr Otto, sehe ich zwischen dem heute debattierten Antrag der FDP und dem FDPAntrag „National bedeutsames Kulturgut schützen“ eine - ich sage es einmal freundlich - Disharmonie. In dem Antrag vom 25. Oktober 2006 fordern Sie, dass die Balance zwischen den Interessen der Alteigentümer und den Anliegen der Museen und öffentlichen Sammlungen im Geiste der Washingtoner Erklärung zum Beispiel durch eine zehnjährige Haltefrist neu justiert werden muss. Sie fordern somit von den Eigentümern der geraubten Kunstwerke etwas, was in der Washingtoner Erklärung auch nicht ansatzweise vereinbart wurde. Ist dies ein Punkt, den Sie auf einer Nachfolgekonferenz geklärt haben möchten? In Ihrer am 1. Dezember 2006 gehaltenen Rede kritisierten Sie die neu entstandene Restitutionsindustrie und wollten Vorkehrungen gegen die schwarzen Schafe treffen, wie Sie sagten, die ziemlich ungeniert Geschäfte machen. Herr Otto, dies ist ein sehr sensibles Thema. Wollen wir das wirklich auf einer Nachfolgekonferenz diskutieren? ({1}) Meine Damen und Herren, in dem heute debattierten Antrag lobt die FDP, dass die Bundesregierung konkrete und erfolgreiche Maßnahmen ergriffen hat. Dies wurde heute bereits zu Recht mehrfach erwähnt. Um das bisher Erreichte zu bewerten und nächste Schritte vorzubereiten, brauchen wir eine Fachkonferenz der beteiligten Museen mit Experten und Wissenschaftlern aus den verschiedenen Ländern. Darum unterstützen wir die von Staatsminister Neumann geforderte Fachkonferenz, die mit internationaler Unterstützung dieses unglaublich wichtige Thema aufarbeitet und uns neue Wege aufzeigt. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7857 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes - Drucksache 16/7716 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/8217 - Berichterstattung: Abgeordnete Anette Kramme Es ist vereinbart, dass die Reden zu Protokoll genom- men werden sollen. Dabei handelt es sich um die Reden der Kollegen Paul Lehrieder von der CDU/CSU, Anette Kramme, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Jörn Wunderlich, Die Linke, und Markus Kurth, Bündnis 90/ Die Grünen.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8217, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7716 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine deutschen Soldaten für eine schnelle Eingreiftruppe zur Verfügung stellen Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden - Drucksache 16/7890 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke das Wort. ({2})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Vorfeld einer Debatte gibt es in der Regel Signale aus anderen Fraktionen, wie sie über einen vorgelegten An- 1) Anlage 2 trag denken. Mich hat als Erstes die Frage erreicht, warum wir einen Antrag einbringen, obwohl die Bundesregierung längst entschieden hat, die schnelle Eingreiftruppe nach Afghanistan zu entsenden. Die Antwort ist relativ einfach: Gerade weil die Bundesregierung diesen Beschluss gefasst hat, muss der Deutsche Bundestag dies nach unserer Auffassung korrigieren. ({0}) Der Deutsche Bundestag als Volksvertretung ist der Souverän, nicht die Bundesregierung. Sie hat zu machen, was das Parlament beschließt. Wenn die Bundesregierung eine Fehlentscheidung trifft, dann muss das Parlament als Souverän die Bundesregierung zurückpfeifen und die Entscheidung korrigieren. ({1}) Das wollen wir mit diesem Antrag, und wir wollen eine Auseinandersetzung darüber. Als Zweites hat mich die Frage erreicht, ob wir jetzt jede Woche Anträge zum Thema Afghanistan in den Bundestag einbringen wollen. Einige haben gesagt, dass sie das nervt. Ich kann zwar verstehen, dass sie davon genervt sind, aber solange Deutschland Krieg führt, werden wir dieses Thema und unsere Gegenargumente so häufig wie möglich im Deutschen Bundestag vorbringen. ({2}) Das ist für uns keine Frage, die man sozusagen unter dem Punkt Verschiedenes abhandeln kann. Für die Linke ist die Position einer Antikriegspartei konstituierend. Diese Position - das Nein zu Kriegen und damit auch zum Krieg in Afghanistan - ist nicht verhandelbar. ({3}) Wenn unser Antrag die Ausschüsse durchlaufen hat, werden wir - damit Sie wissen, wie wir mit dem Antrag weiter verfahren - im Deutschen Bundestag namentliche Abstimmung beantragen. Denn wir wollen, dass die Wählerinnen und Wähler wissen, wer sich in dieser Frage wie positioniert, ({4}) damit sie mit ihren Abgeordneten diskutieren und sie zur Rechenschaft ziehen können. Jeder, der zur Entsendung der schnellen Eingreiftruppe Ja sagt, muss vor der Öffentlichkeit, vor den Wählerinnen und Wählern und vor dem eigenen Gewissen die Verantwortung dafür übernehmen. ({5}) Ich denke, dass es generell zwei politische Linien gibt, die nicht zusammenlaufen. Darum unterscheiden sich auch die strategischen Überlegungen. Schauen wir uns einmal die Linie bei der schnellen Eingreiftruppe an. Es war interessant, zu sehen, wie Sie von der Bundesregierung im Hinblick auf den NATO-Gipfel argumentiert haben. Sie haben argumentiert, es sei richtig gewesen, dies ohne Aussprache im Parlament zu entscheiden, weil Sie weiter gehende Forderungen der USA abwehren wollten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Entsendung von Kampftruppen ist der Türöffner für die Forderung nach noch mehr Truppen. Das steht doch im Raum. Lesen Sie einmal den heutigen Beitrag des Kollegen Klose, den ich leider nicht mehr sehe! Viele Abgeordnete aus den Reihen der Regierungskoalition sagen schon jetzt, man müsse mehr Soldaten nach Afghanistan entsenden. Ich will mich mit den genannten Zahlen gar nicht aufhalten. Sie können stimmen oder nicht. Aber nach der Logik der jetzigen Regierungspolitik werden Sie - diese Position werden Sie immer wieder einnehmen - mehr und mehr deutsche Soldaten in diesen Krieg schicken. Das ist die Logik Ihrer Politik und eines Krieges, der - das weiß jeder in diesem Hause - militärisch nicht zu gewinnen ist. ({6}) - Ich habe dich gar nicht angesprochen. Aber das ist die Logik einer solchen Politik. ({7}) Wenn man aus dieser Logik heraus will, muss man Signale setzen und endlich mit dem Abzug der Truppen beginnen. Man wird in Afghanistan keine Politik der nationalen Versöhnung betreiben können, wenn immer wieder die Gefahr einer weiteren Besetzung des Landes droht. Eine weitere Besetzung bedeutet weitere Opfer, weitere Verletzte und weitere Entwürdigungen. Dann wird neuer Hass entstehen. Genau das muss man bekämpfen. ({8}) Es gibt genau diese zwei Grundlinien: mehr Truppen oder raus aus Afghanistan. Das ist die Logik der Auseinandersetzung. Dabei geht auch ganz schnell das Völkerrecht über Bord. Ich habe mir den ersten Beschluss über den ISAFEinsatz noch einmal durchgelesen. Das ursprüngliche Ziel war, mitzuhelfen, Kabul abzusichern. Was ist daraus geworden? Es ist eine Kriegstruppe geworden. Ich bitte die Bundesregierung, endlich aufzuklären, was mit den gezielten Tötungen ist. Das kann man in einem Interview mit dem deutschen ISAF-General Kasdorf nachlesen. Beteiligungen an gezielten Tötungen sind rechtswidrig. ({9}) Es wird behauptet, deutsche Soldaten machten das nicht. Wenn im Rahmen von ISAF und OEF gezielte Tötungen betrieben werden, dann ist man aufgrund der Truppenbeteiligung auch an gezielten Tötungen beteiligt. Ich finde, das ist ein katastrophaler Zustand. Klären Sie endlich, was mit den Gefangenen oder Festgesetzten in Afghanistan ist. Wir haben keinen Vertrag mit Afghanistan. An wen werden diese übergeben? Jeder weiß, dass in afghanischen Gefängnissen gefoltert wird. Wenn Sie es zulassen, dass Gefangene afghanischen Organen übergeben werden, setzen Sie die Gefangenen der Folterung aus. Auch das ist rechtswidrig. ({10}) All das haben Sie nicht geklärt. Wir fordern endlich eine Erklärung vor dem Deutschen Bundestag, damit jeder weiß, was in Afghanistan passiert und wer die Verantwortung dafür trägt. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zurzeit wird die eine oder andere Überlegung angestellt, ob und unter welchen Voraussetzungen man vielleicht mit der Fraktion Die Linke koalieren könne. Ich kann allen, die solche Überlegungen anstellen, nur raten, dem Antrag nicht zuzustimmen, über den wir heute debattieren; denn dieser Antrag zeigt die völlige Unfähigkeit der Fraktion Die Linke, Sicherheitsvorsorge für Deutschland zu betreiben, international Verantwortung zu übernehmen und Bündnissolidarität zu wahren. Warum ist das so? Die Linke beantragt, dass der Deutsche Bundestag ablehnen soll, dass deutsche Soldaten eine Aufgabe übernehmen, die seit 2005 norwegische Soldaten ausgeführt haben. Die norwegischen Soldaten haben dies unter deutschem Kommando getan. ({0}) Wie wollen Sie, Herr Gehrcke, das in Oslo erklären? ({1}) Wie wollen Sie, wenn Sie schon dort wären, die Passage in Ihrem Antrag erklären, Norwegen habe durch die Stellung der Quick Reaction Force gegen alle Regeln des Völkerrechts verstoßen? Das ist das, was Sie hier behaupten. ({2}) Was Deutschland jetzt mit der Übernahme der Quick Reaction Force macht, ist exakt dasselbe, was Norwegen bisher gemacht hat. Der Auftrag der Quick Reaction Force bleibt unverändert und ist im Übrigen ein völlig anderer, als Sie es in Ihrem Antrag, den Sie über alle möglichen Medien, angefangen vom Neuen Deutschland, vertreiben, darlegen. Es geht um Patrouilleneinsatz, es geht um die Absicherung etwa von öffentlichen Veranstaltungen oder von Konvois, es geht um den Einsatz gegen gewaltbereite Menschenmengen, und es geht um Evakuierungsoperationen, beispielsweise von Vertretern der ISAF oder der internationalen Gemeinschaft. Hier zeigt sich beispielhaft Ihre Unfähigkeit zur Solidarität; denn evakuiert werden müssen könnten möglicherweise auch zivile Entwicklungshelfer, wenn sie in Gefahr geraten. Sie aber sagen: Seht einmal zu, wie ihr da selber herauskommt. - Es geht bei der Quick Reaction Force um Zugriffs- und Durchsuchungsoperationen. Außerdem soll sie eine taktische Reserve sein. Und es geht auch gemeinsam mit afghanischen Streitkräften und afghanischen Sicherheitskräften um offensive Operationen gegen militante, bewaffnete Aufständische. Auch das ist eine Frage der Solidarität; denn wir sind in Afghanistan, und der ISAF-Einsatz heißt, dass wir den Afghanen, auch den afghanischen Sicherheitskräften, helfen, Sicherheit herzustellen. Das ist der Auftrag. Sie beschreiben in Ihrem Antrag eine Situation, die sich ausweislich der norwegischen Erfahrungen überhaupt nicht so darstellt. Norwegen hat im Jahr 2007 26 Einsätze in der Quick Reaction Force durchgeführt. In der Regel waren etwa 70 Soldaten daran beteiligt. Es handelte sich überwiegend um Aufgaben der Absicherung der Provincial Reconstruction Teams, die bekanntlich der zivil-militärischen Zusammenarbeit dienen, der Absicherung von Konvois oder beispielsweise der Absicherung von Veranstaltungen wie der Eröffnung der neuen Brücke, die über den tadschikisch-afghanischen Grenzfluss Piandsch führt, im August 2007. Die Absicherung war bei der Einweihung der Brücke erforderlich, weil dort hochrangiges Publikum anwesend war. ({3}) Dann gab es - darüber haben wir hier schon gesprochen - im Grenzgebiet zwischen der Nord- und der Westregion die Operation Yolo-2. Dabei ist es zu vereinzelten Kampfhandlungen der afghanischen Sicherheitskräfte und der norwegischen Quick Reaction Force gegen bewaffnete Aufständische gekommen. Es hat bisher keinen Einsatz im Süden und auch keinen im Osten gegeben. Norwegen hatte bisher auch - wir hoffen natürlich alle, dass das so bleibt - keine Verluste durch das Stellen der Quick Reaction Force. ({4}) Die Quick Reaction Force ist seit 2005 Bestandteil der ISAF im Norden. Das ISAF-Mandat enthält die Berechtigung zur Selbstverteidigung und Nothilfe, die Berechtigung, zur Durchsetzung des Auftrags auch militärische Gewalt einzusetzen. Es ist natürlich offensichtlich, dass der Einsatz militärischer Gewalt, insbesondere der Schusswaffengebrauch, auch zur Tötung von Angreifern und Gegnern führen kann. Das ist richtig. Aber Sie verschweigen, dass nach den Aussagen des Verteidigungsministers der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer zu beachten ist. Das heißt, dass der Einsatz tödli15356 cher Gewalt dann eingeschränkt ist, wenn es mildere Mittel gibt, die mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden können. Die Quick Reaction Force ist also ein Teil von ISAF und stellt wie ISAF insgesamt die Voraussetzungen für die Sicherheit her, die für den zivilen Wiederaufbau erforderlich ist. Sie ist beispielsweise erforderlich, damit die Überlandleitung aus Usbekistan über Masar-i-Scharif nach Kabul fertiggestellt werden kann. Dort wird Strom über 460 Kilometer transportiert. 200 000 Menschen werden durch diese Stromleitung an das Elektrizitätsnetz angeschlossen werden. Ohne die Quick Reaction Force, ohne die ISAF ist das nicht sicher zu gewährleisten. Auch die Umsetzung des Aufbauprogramms für den afghanischen Mittelstand, für Handwerker, für die Landwirtschaft - bisher sind insgesamt etwa 15 000 Männer und Frauen trainiert worden -, ist ohne ein einigermaßen sicheres Umfeld nicht zu gewährleisten. Die Lehrerausbildung in den Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan, in denen 15 Referenzschulen aufgebaut und inzwischen 8 000 Lehrer ausgebildet worden sind, ist ohne ISAF und die Quick Reaction Force nicht durchführbar. Auch für das Entwickeln einer legalen Einkommensalternative zum Drogenanbau, etwa durch Unterstützung von Viehwirtschaft, Bienenzucht oder Obstplantagen, ist diese Absicherung notwendig. Allein im Norden Afghanistans, für den Deutschland eine besondere Verantwortung trägt, sind inzwischen 70 Schulen neu gebaut bzw. wieder errichtet worden, 20 Brücken, 40 Gesundheitsstationen mit Trinkwasserund Bewässerungsanlagen sind in 30 Dörfern wieder hergestellt oder neu eingerichtet worden. 10 000 zurückkehrende Flüchtlinge sind unterstützt worden. All das, Herr Gehrcke, war nur möglich, weil ISAF im Norden ein vergleichsweise sicheres Umfeld geschaffen hat. Damit der ISAF-Einsatz mit unseren wenigen Truppen, die im Norden stationiert sind, wirksam organisiert werden kann, ist diese spezielle Ausprägung der Quick Reaction Force notwendig. So wird ein Schuh daraus. Wenn Sie sich dieser Notwendigkeit verweigern, wenn die Linke die Quick Reaction Force ablehnt, dann stellen Sie zum einen die ISAF insgesamt infrage bzw. lehnen sie ab - aber das tun Sie ja sowieso -, aber zum anderen gefährden Sie gleichzeitig - und das sagen Sie so nicht - den Wiederaufbau Afghanistans. Sie provozieren damit die Rückkehr der Taliban und al-Qaidas. ({5}) Damit gefährden Sie auch die Sicherheit in Deutschland. Das ist die Konsequenz Ihres Antrags, wenn man Ihn zu Ende denkt. Deshalb weise ich noch einmal darauf hin: Jeder, der meint, er könne mit Ihnen verantwortlich zusammenarbeiten - etwa koalieren -, der sollte sich diesen Antrag gut aufheben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Polenz, Sie haben versucht, die Fraktion Die Linke mit logischen Argumenten zu überzeugen. ({0}) Ich gebe zu, diesen Versuch werde ich nicht wiederholen. ({1}) Ich bin aber dankbar, dass Sie diese Diskussion am Laufen halten und wir unsere Positionen dazu klarmachen können, vor allem, dass die Regierung ihre Position zu diesem Thema nachhaltig klarmachen kann. Völlig klar ist - Sie haben es gesagt -: Die Quick Reaction Force, die Eingreiftruppe, ist notwendig, damit wir den Auftrag, den wir in Afghanistan haben, erfüllen können. Wir haben zusammen mit der afghanischen Regierung einen Stabilisierungsauftrag. Zur Umsetzung dieses Auftrages gehört am Ende des Tages eventuell auch - wenn es notwendig ist - der Einsatz militärischer Gewalt. Das sollten wir gar nicht beschönigen, sondern deutlich ausdrücken: Wenn es zur Erfüllung unseres Auftrags notwendig ist, dann muss eventuell militärische Gewalt eingesetzt werden. Das ist die Wahrheit, das beinhaltet auch das ISAF-Mandat. Die norwegischen Soldaten haben das in den letzten Monaten unter deutschem Kommando in fabelhafter Weise umgesetzt. Und es ist - wie gesagt - überhaupt nicht einzusehen, warum das, was unter deutschem Kommando stattfindet, nicht auch von deutschen Soldaten ausgeführt werden sollte. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Von daher müssen wir ganz klar festhalten, meine Damen und Herren: Mit Blick auf das Mandat handelt es sich nicht um eine neue Qualität des Einsatzes, sondern der Einsatz der Eingreiftruppe geschieht im Rahmen des bisherigen Mandats. Deutschland muss für diese Aufgabe neue Kompetenzen und Kapazitäten bereitstellen. Damit hat das Ministerium noch genügend zu tun. Die Debatte zeigt aber auch, wie konfus in der Bundesrepublik insgesamt über das Mandat, über Mandatierung und Mandatserfüllung diskutiert wird und wie konfus insbesondere die Regierung mit diesem Thema umgeht. Der Kern unserer Diskussion ist doch, wie wenig die Öffentlichkeit aufgeklärt wird und vor allen Dingen wie wenig die Öffentlichkeit bei dieser schwierigen Aufgabe mitgenommen wird. Die Regierung versucht bis zum heutigen Tage fast krampfhaft immer noch den Eindruck zu erwecken, es gehe in Afghanistan primär darum, Brücken zu bauen und Schulen einzuweihen. Das ist ohne Zweifel wichtig. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es geht eben auch um anderes. Daher kann ich nicht verstehen, dass bis zum heutigen Tage auf der Homepage der Bundesregierung steht: Der Kampf gegen die Taliban findet nur im Rahmen der OEF statt, und es gibt eine strikte Trennung zwischen ISAF und OEF. Nein, das stimmt nicht. Auch im Rahmen von ISAF wird gegen die Taliban gekämpft, nicht nur im Süden, sondern auch im Norden. Das ist ein Faktum. Die Operation „Harekate Yolo“ war genau so ein Fall. Das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen. Diese Unsicherheit führt dazu, dass auch in den Reihen der Koalitionsfraktionen in den ersten Wochen dieser Diskussion eine gewisse Unsicherheit geherrscht hat. Es ist zum Beispiel ein Gegensatz zwischen Stabilisierung und Kampfeinsatz konstruiert worden. Das ist kein Gegensatz; das gehört eventuell zusammen. Es soll nicht im Vordergrund stehen; das wissen wir alle. Dafür setzen wir uns nachdrücklich ein. Der Verteidigungsminister trägt leider selber zur Verwirrung bei. Zwei Vokabeln - auch Herr Kollege Polenz hat sie heute hier benutzt - trägt er wie ein Mantra vor sich her: „Selbstverteidigung“ und „Verhältnismäßigkeit“. Lieber Herr Polenz, Verhältnismäßigkeit ist eine Maxime jeden staatlichen Handelns. Das gilt für die Berliner Polizei und für alle anderen. Daher ist es selbstverständlich, dass wir verhältnismäßig vorgehen und nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Wir müssen der Öffentlichkeit deutlich sagen: Im Notfall geht das, was wir militärisch tun, über die Selbstverteidigung hinaus - auch in Afghanistan. Die Schilderung der norwegischen Soldaten, die wir im Fernsehen zur Kenntnis nehmen konnten, zeigt doch, dass das, was sie getan haben, über eine militärische Selbstverteidigung hinausging. Das muss die Bevölkerung wissen; das müssen auch unsere Soldaten wissen. Hier gibt es leider eine weitere Grauzone: Die Soldaten sind sich nicht bewusst, was sie in Afghanistan wirklich tun dürfen, lieber Kollege Siebert. Das heißt, sie wissen nicht, welche Funktionen, welche Fähigkeiten und welche Kompetenzen sie eigentlich haben. Ich habe im Verteidigungsausschuss versucht, eine Diskussion darüber anzuregen, um mehr zu erfahren. Das Ergebnis war: Die Bundesregierung setzt jetzt, im Februar 2008 - wir sind schon sechs Jahre in Afghanistan -, eine Arbeitsgruppe ein, um uns diese Frage im Ausschuss in 14 Tagen kompetent beantworten zu können. ({2}) Dazu sage ich deutlich: Das ist blamables Regierungshandeln. Die Soldaten haben Besseres verdient. ({3}) Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, den Sinn dessen, was dort getan wird, der Bevölkerung klarzumachen. Daran muss wirklich gearbeitet werden. Meine Damen und Herren von der Regierung, nur so können Sie den bodenlosen Argumenten der Linken nachhaltig den Boden entziehen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Niels Annen von der SPDFraktion. ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Gehrcke, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, haben Sie gesagt, Sie wollten jede Gelegenheit nutzen, um an dieser Stelle Ihre Position darzulegen, ({0}) und Sie hätten gehört, das nerve uns und wir sähen das als Ritual an. ({1}) Ich sage Ihnen: Lassen wir uns gemeinsam auf diese Diskussion ein. Ich fürchte mich überhaupt nicht vor dieser Debatte. Eine Parlamentsarmee benötigt nämlich die öffentliche Auseinandersetzung über die Grundsätze des Einsatzes der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten. Diese Auseinandersetzung muss in der Öffentlichkeit, in diesem Hohen Hause, in der Bundesregierung, überall dort, wo es die Menschen bewegt, geführt werden. ({2}) Herr Kollege, dagegen, dass Sie „Wir brauchen die Diskussion in der Öffentlichkeit“ sagen, ist nichts einzuwenden, aus Gründen der Legitimation unseres Einsatzes und auch weil es für die Soldatinnen und Soldaten, die dort Dienst leisten, wichtig ist, zu wissen, dass sie die Unterstützung dieses Hauses haben, dass es also ein Verständnis für diese schwierige Mission gibt. Sie sind aber auch gefordert. Sie sollten hier keinen Antrag vorlegen, bei dem es offensichtlich eigentlich nur darum geht, Stichwörter wie „völkerrechtswidrig“ oder „Verwicklung in einen wie auch immer gearteten Krieg“ zu geben und eine entsprechende Assoziation herzustellen. Das ISAF-Mandat, über das wir hier reden, und die Quick Reaction Force, über die wir hier diskutieren, sind beide glasklar durch das Völkerrecht legitimiert. ({3}) Sie entwerten mit dieser Form der Ritualisierung - nicht mit der regelmäßigen Debatte; von mir aus können wir jeden Tag in der Sitzungswoche darüber debattieren; damit habe ich gar kein Problem - Teile der Argumente. Ich würde sagen: Lassen Sie uns in diesem Haus eine kritische Debatte führen, auch über die Frage, ob die Strategie von Counter Insurgency gerade im Süden, aber auch im Osten Afghanistans Erfolg haben kann. Das ist eine Frage, die auch auf der NATO-Gipfelkonferenz jetzt zur Debatte steht. Unsere Strategie der vernetzten Sicherheit, unsere Strategie, die darauf setzt, miteinander ins Gespräch zu kommen, aber auch das klare Bekenntnis dazu, dass man in Afghanistan einen Teil „militärische Absicherung“ braucht, all das kann zu der Erkenntnis führen, dass es eine Quick Reaction Force braucht, wie das in den vergangenen Monaten und Jahren ja auch vorgekommen ist. So führen wir eine seriöse Debatte. Der Kollege Polenz hat zu Recht erwähnt, seit wann die Norweger dort unter deutschem Kommando Dienst tun. ({4}) Wann hat es in diesem Hause, Herr Kollege Gehrcke, eine von Ihnen beantragte Debatte über die Arbeit der norwegischen Soldaten im Rahmen der Quick Reaction Force gegeben? Ich kann mich nicht daran erinnern. ({5}) Der Souverän ist das Parlament. Ich unterschreibe diesen Satz. Das bedeutet für jeden von Ihnen und für jeden von uns: Wir werden uns für unsere Entscheidung den Wählerinnen und Wählern stellen; gar keine Frage. Ich will die einzelnen Punkte nicht wiederholen, weil sie ausreichend dargestellt worden sind. Ich stimme dem zu, was zu den Aufgaben der Quick Reaction Force und zu den Absicherungsnotwendigkeiten gesagt worden ist. Wenn wir uns jetzt die Diskussionslage in Deutschland und innerhalb des Bündnisses anschauen, erkennen wir: Es gibt Punkte, über die wir uns Gedanken machen müssen. Ich bedauere ein wenig, dass ein unseriöser Zungenschlag hineinkommt. Fakt ist: Die Menschen in Deutschland zweifeln daran, dass es die richtige Entscheidung war, mit Soldaten nach Afghanistan zu gehen. - Jeder von uns erfährt das - in Bürgergesprächen, Anrufen, Mails, Briefen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen; gar keine Frage. Deswegen glaube ich - das sage ich auch mit Blick auf Bukarest -: Die Menschen werden sich nicht überzeugen lassen, wenn man einfach nur sagt: Die Glaubwürdigkeit des Bündnisses NATO steht infrage, wenn wir in Afghanistan scheitern. - Wir müssen sagen, welcher Weg der richtige Weg für Afghanistan ist. Der militärische Aspekt wird einer sein, auf den wir uns in Zukunft werden verlassen müssen. Sie aber, Herr Kollege Gehrcke, sprechen für eine Fraktion, die es sich immer zugutehält, das Militär nicht in den Mittelpunkt zu rücken. Mit dieser Form der Debatte rücken Sie das Militär aber jede Woche in den Mittelpunkt. ({6}) Deswegen denke ich, dass wir das von Ihnen angestoßene Ritual in Zukunft nutzen sollten, um über folgende Fragen zu sprechen: Wie schaffen wir wirklich vernetzte Sicherheit? Was können wir beim Polizeiaufbau besser machen? ({7}) Wie können wir mit den NGOs besser zusammenarbeiten? Dann könnte vielleicht, gegen Ihre Intention, aus dieser Debatte wirklich etwas Konstruktives herauskommen. Es könnte auch herauskommen, dass der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Quick Reaction Force wirklich die politische Legitimation besitzt, die diese für ihre Arbeit brauchen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer gegen ISAF ist, ist auch gegen QRF - das ist logisch. Jemand, der immer schon gegen ISAF war, behauptet nun, die QRF sei eine neue Qualität. ({0}) Das allerdings dementieren Sie in Ihrem eigenen Antrag. Sie schreiben: … keine deutschen Soldaten dem ISAF-Kommando für den Austausch - ich zitiere die Linkspartei der norwegischen schnellen Eingreiftruppe … zur Verfügung zu stellen; Das heißt, der Antimilitarismus der Linkspartei beginnt dann, wenn es deutsche Soldaten betrifft und nicht mehr norwegische. ({1}) In der Tat ist es so, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihrer Verantwortung für den Norden mit einem Zehntel der ISAF-Truppen ein Viertel des Landes relativ stabil hält. Ich finde es schon interessant, wie dieser Einsatz im Norden einerseits von Briten und Amerikanern und andererseits gelegentlich von Ihnen, Herr Gehrcke, verzerrt dargestellt wird. Ich glaube, dass Herr Annen recht hat. Ich wünschte mir, aufseiten der Regierung würde gehört, was er hier gesagt hat; denn in der Tat brauchen wir einen Strategiewechsel und ein anderes Herangehen. Ich habe heute in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass jemand aus Ihren Reihen meint, wir brauchten keinen Strategiewechsel, sondern mehr Soldaten. Es sei unsolidarisch, schreibt Herr Klose an dieser Stelle. Dieser Haltung möchte ich die Haltung von jemandem entgegensetzen, bei dem wir unterstellen sollten, dass er weiß, was er gerade tut. Am gleichen Tag, an dem dieses Plädoyer von Herrn Klose zu lesen war, wurde im Tagesspiegel ein Interview mit Brigadegeneral Dammjacob veröffentlicht. Auf den Vorhalt, „es dürfe keine Zweiteilung der NATO in Kämpfer und Aufbauer geben“, sagte Herr Dammjacob: Ich kann ja nicht durchs Land ziehen und Feinde suchen, die ich erschießen kann. Herr Dammjacob sagte später: Wir versuchen hier klarzumachen, dass wir keine Besatzer sind, sondern helfen wollen. Daraufhin fiel dem Tagesspiegel - so weit sind wir schon - die Frage ein: Was sagen Sie Leuten, die meinen, Sie bestechen die Leute? Herr Dammjacob antwortete: Den Gedanken finde ich ziemlich absurd. Für welche Gegenleistung sollte ich den Afghanen denn bestechen? Darauf folgte die Antwort: Damit er nett bleibt. Herr Dammjacob: Na, das ist ja interessant. Ich gehe davon aus, dass der von vornherein nett ist. ({2}) Mit diesen einfachen Worten hat der kommandierende General den Ansatz Deutschlands und den Kern der deutschen Strategie im Rahmen von ISAF zutreffend beschrieben. Wir dürfen im Streit über die Strategie - sie wird im Süden in dieser Form nicht umgesetzt - nicht weiter der bisherigen Logik folgen und sagen: Letztes Jahr haben wir 500 Soldaten mehr geschickt; dieses Jahr schicken wir eventuell 1 000 Soldaten mehr. Auch dazu hat Herr Dammjacob etwas gesagt, und zwar auf die Frage, ob er 1 000 weitere Soldaten in Afghanistan brauchen könne: Ich komme mit dem aus, was ich habe. Und ich fordere nicht mehr Soldaten. Deswegen muss sich die Regierung beim NATO-Gipfel in Bukarest in der Tat für einen Strategiewechsel einsetzen. Dort, wo ein Strategiewechsel vollzogen wurde, zeigen sich Erfolge. Ich weise darauf hin, dass der Mohnanbau im Norden anders als im Süden zurückgegangen ist. Es ist mittlerweile gelungen, im Osten Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen: Stammesältere sorgen mit den Aufständischen über die Tribal Liaison Offices in bestimmten Bereichen für Sicherheit. Es gibt inzwischen Aufbauprojekte der GTZ, die endlich - mit einem Jahr Verzögerung - auch im Süden aufgenommen wurden. Das heißt, das Bild von Afghanistan ist kein Bild der durchgehenden Verschlechterung, sondern das Bild einer unterschiedlichen Entwicklung. Wir können heute feststellen, dass dort, wo ein Strategiewechsel erfolgt ist, dies zu Erfolgen geführt hat. Bevor ich zu meinem Schlusssatz komme, muss ich, glaube ich, die Luft anhalten. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erlauben Sie zum Schluss eine Zwischenfrage? Bitte schön.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Trittin, angesichts des Lobes über die deutsche Strategie im Norden frage ich Sie: Würden Sie gleichwohl erstens einräumen, dass die Taliban im Süden Afghanistans - auch weil sich dort überwiegend paschtunische Stammesgebiete befinden - per se einen stärkeren Rückhalt als im Norden hatten? Würden Sie zweitens einräumen, dass die Rauschgiftanbaugebiete im Süden von vornherein stärker als im Norden verbreitet waren? Würden Sie also einräumen, dass die Tatsache, dass die Erfolge im Süden noch ausstehen, nicht allein - auch nicht in erster Linie - einem anderen strategischen Vorgehen geschuldet ist, sondern dass die Lage im Süden vielerorts offensichtlich ein anderes Vorgehen erforderlich macht?

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Polenz, ich glaube, darüber kann niemand hinwegreden; das tut übrigens auch Herr Dammjacob in dem Text nicht. ({0}) - Nein. Ich habe vier Minuten Redezeit, und Herr Polenz gibt mir jetzt die Gelegenheit, das Ganze etwas ausführlicher darzustellen. Das freut mich; ich bedanke mich dafür. - Es ist in der Tat etwas anderes, wenn Sie eine offene Grenze haben, über die nachts immer wieder Leute kommen können, die dann bei stärkerem militärischen Druck entsprechend wieder entfliehen können. Deswegen ist das, was ich hier gesagt habe, auch nicht als Kritik zum Beispiel an den Niederländern zu verstehen, die dort mit einem ganz ähnlichen Konzept wie die Deutschen ebenfalls größere Probleme haben, nur unter anderen Schwierigkeiten. Wir müssen gemeinsam feststellen - deswegen habe ich die Beispiele aus dem Tribal Liaison Office im Osten und der GTZ im Süden genommen -, dass der Ansatz, Aufbau und Sicherheit miteinander zu verknüpfen, was dort unter schwierigen Bedingungen umgesetzt werden muss, richtig ist, dass aber ein Verständnis, wie es sich in vielen Kommandoaktionen niedergeschlagen hat, nämlich dass es dort einen Feind gibt, den man militärisch zerschlagen müsste, kontraproduktiv gewesen ist. Das ist der Grund, warum wir für einen Strategiewechsel im Norden wie im Süden plädieren. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Sowohl der Einsatz von immer mehr Soldaten als auch der blanke Abzug würde in die Irre führen. Es würde zu mehr Krieg führen. Wir müssen an dieser Strategie festhalten, und wir müssen sie für ganz Afghanistan durchsetzen. Das ist die Herausforderung, vor der diese Bundesregierung steht. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit auch in dieser Debatte wieder geleugnet wird, dass die schnelle Eingreiftruppe eine neue Qualität im Krieg in Afghanistan darstellt. Herr Polenz, ich glaube, die Linke muss auch nicht der Bevölkerung in Norwegen erklären, dass es nichts nutzt, die Probleme dort mit militärischen Mitteln zu lösen, sondern dass man diese in erster Linie mit zivilen Mitteln lösen muss. ({0}) Die norwegische Bevölkerung hat in ihrem Parlament durchgesetzt, dass die Ausgaben für die Rüstung in Afghanistan heruntergefahren und gleichzeitig die Zivilausgaben erhöht werden. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Beispiel. Dem sollte sich unsere Regierung anschließen. ({1}) 86 Prozent der Deutschen wollen trotz Ihrer Propaganda nicht, dass die Bundeswehr sich an Kampfeinsätzen beteiligt. Die Bundesregierung müsste doch allmählich gelernt haben, dass ihre Öffentlichkeitsarbeit nach der Methode „Weichspülen und Einlullen“ das genaue Gegenteil des angestrebten Zwecks bewirkt. Die Bevölkerung wohnt schließlich nicht hinter dem Mond. Sie bekommt doch mit, dass der ursprüngliche Unterstützungsauftrag der ISAF-Truppe inzwischen Aufstandsbekämpfung heißt. Das beinhaltet auch gezieltes Töten. Sie sieht die Folgen dieses Strategiewechsels, nämlich die dramatische Zunahme der Zahl der Anschläge in den letzten anderthalb Jahren, die sich selbst in diesem schweren und harten afghanischen Winter mit bis zu 90 Anschlägen pro Woche auf einem hohen Niveau bewegt. Heute debattieren wir über 250 Soldaten für eine schnelle Eingreiftruppe. Zur selben Zeit denken Regierung und Koalitionsspitzen aber schon halböffentlich über die Aufstockung des deutschen Kontingents um weitere 1 000 Soldaten nach. Ich sage Ihnen: Wenn Sie glauben, damit den Pentagon-Chef besänftigen zu können, dann sind Sie schief gewickelt. ({2}) Herr Klose redet in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung Klartext. Dort sagt er, was die Spitzen von SPD und CDU/CSU wirklich denken: „Gleiches Risiko für alle … Warum wir in Afghanistan sind, und warum unsere Soldaten auch in den Süden müssen.“ ({3}) Der Artikel zeigt, wohin die Reise in Afghanistan gehen wird. Ich sage Ihnen: Nach sechs Jahren Kriegsbeteiligung geraten wir in einen immer tieferen Kriegssumpf. Das sage ich Ihnen, Herr Kolbow, auch als Fraktionsloser; denn auch als Fraktionsloser habe ich eine Meinung, die ich hier vertreten können muss. ({4}) Dabei ist ein radikaler Schnitt erforderlich. Wir brauchen endlich ein politisches Afghanistan-Konzept, das die Priorität auf die zivile Hilfe setzt. Wie wenig Sie im zivilgesellschaftlichen Bereich vorangekommen sind, zeigt der Fall des 23-jährigen Studenten und Journalisten Kambaksch. Der junge Mann sitzt in Masar-i-Scharif in der Todeszelle. Er wurde in einem Geheimprozess wegen „Abfall vom rechten Glauben“ durch einen „Rat der Gelehrten“ verurteilt. Er hatte keinen Verteidiger. Sein Vergehen war: Er hat Schriften aus dem Internet über die Stellung der Frau im Islam verbreitet. Nun kommt der Gipfel: Der afghanische Senat hat das Todesurteil bestätigt, und Präsident Karzai hat nicht die Absicht, ihn zu begnadigen. Das ist die Realität in Afghanistan, an der die Bundesregierung mitschuldig ist. ({5}) Sie ist das Ergebnis einer vollkommen verfehlten Afghanistanpolitik. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin hat die Kollegin Ursula Mogg von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem Redebeitrag ist es vielleicht hilfreich, die Debatte auf den Kern zurückzuführen, also auf das, worüber wir heute Abend debattieren wollen. Wir reden darüber, dass die Bundeswehr 240 norwegische Soldaten ablösen soll, die bisher die Aufgaben einer Quick Reaction Force im Norden von Afghanistan im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr erfüllt haben. Das wollen wir ab Juli im Rahmen des bestehenden Mandates tun. Dazu werden wir nicht mehr Soldaten brauchen, wie immer wieder unterstellt wird, sondern es wird alles im Rahmen des Mandats, das 3 500 Soldatinnen und Soldaten vorsieht, geschehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der Linken, Sie sprechen viel über Verantwortung. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, dass es auch verantwortungslos sein kann, nichts zu tun? Ich habe den Rednern Ihrer Fraktion gestern mit großem Interesse in der Debatte über das Kosovo zugehört und habe mit Entsetzen festgestellt, dass sie einen Teil der Wirklichkeit komplett ausgeblendet haben. In Ihrer Argumentation findet sich der Zeitraum 1998/99 überhaupt nicht wieder. Sie haben Milošević und das komplett ausgeblendet, worüber wir damals in diesem Hause miteinander diskutiert haben. Genauso blenden Sie jetzt die Tatsache komplett aus, dass es in der Debatte über Afghanistan noch mehr zu beachten gibt. Mit diesem Mandat, über das wir fortgesetzt im Deutschen Bundestag beraten, haben wir für die Menschen in Afghanistan eine Verantwortung übernommen. ({0}) Da hilft es - darauf hat schon der Kollege Polenz hingewiesen -, sich einmal anzusehen, was die Norweger in den vergangenen zwei Jahren getan haben. Sie waren zuständig für die Rettung der Soldaten und der afghanischen Zivilbevölkerung; sie haben Konvois geschützt und sind gegen bewaffnete Gruppen vorgegangen, die die Zivilbevölkerung bedrohen und terrorisieren. Auch das gehört zur Wirklichkeit in Afghanistan. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihren Antragstext zu lesen - auch darauf ist in dieser Debatte schon hingewiesen worden -, fällt an vielen Stellen sehr schwer, weil Sie mit nichts anderem arbeiten als mit Unterstellungen. Der Kollege Stinner hat es schon angesprochen: Nach unserem Rechtssystem und unserem demokratischen Verständnis gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Wenn Sie sich mit dem beschäftigen würden, was die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bewegt, dann würden Sie wissen, dass unsere Soldatinnen und Soldaten mit gezielten Tötungen nichts im Sinn haben. ({1}) Bei allem, was sie tun, wissen sie, dass sie Demokraten und Staatsbürger in Uniform sind und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit selbstverständlich beachten müssen. ({2}) Sie fordern in Ihrem Antrag eine rechtzeitige, wahrheitsgemäße und umfassende Information ein. Was machen wir denn andauernd im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages? Sie stellen sich doch selbst ein schlechtes Zeugnis aus, wenn Sie das in dieser Art und Weise in Ihrem Antragstext fordern. Sie sprechen von einer Überdehnung des Mandates. Haben Sie denn einmal in den damaligen Antragstext der Bundesregierung geschaut, in dem steht, welche Aufgaben zu leisten sind und welcher Auftrag zu erfüllen ist? Dies steht in Punkt 3 des Antrages vom 21. September 2005. Dort wird dies genau beschrieben: „Unterstützung der Regierung von Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit“. Was tut die Quick Reaction Force? Genau dies tut sie. ({3}) „Mitwirkung an der Führung von ISAF …“, „Sicherung des Arbeitsumfeldes des Personals …“, und zwar zivil und militärisch. Das tut die Quick Reaction Force. Sie brauchen nur den Antragstext von 2005 zu lesen. Sie können unter Punkt 5 genau nachlesen, um welche einzusetzenden Kräfte und Fähigkeiten es geht. Das ist alles ganz genau aufgelistet. Es gibt kein Geheimnis in diesem Parlament.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mogg, denken Sie an die Zeit.

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das tue ich gerne, Herr Präsident. Obwohl: Mein Herz ist voll, und da läuft der Mund gerne über. Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, dringend auf: Verbreiten Sie keine Panik! Vermeiden Sie Unterstellungen! Bleiben Sie bei der Wahrheit und übernehmen Sie gemeinsam mit uns allen in diesem Parlament die Verantwortung für die Menschen in Afghanistan! Verharmlosen will niemand. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7890 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung - Drucksachen 16/7954, 16/8123 Nr. 2.1, 16/8216 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein Horst Meierhofer Sylvia Kotting-Uhl Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Gerd Bollmann von der SPD-Fraktion. ({1})

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entgegen vielen Befürchtungen ist der Entwurf der fünften Novelle zur Verpackungsverordnung ohne grundlegende Änderungen durch den Bundesrat verabschiedet worden. Der Bundesrat hat sowohl dem Trennungsmodell als auch dem System der Vollständigkeitserklärung zugestimmt. Unseriösen Selbstentsorgern und Trittbrettfahrern wird die Möglichkeit zum betrügerischen Missbrauch genommen. Das Ziel der Novelle, kurzfristig die getrennte Haushaltssammlung und das gesamte System zu stabilisieren und vor einem Zusammenbruch zu bewahren, ist erreicht. Die SPD stimmt daher der heute vorliegenden Novelle zu und erwartet eine zügige Umsetzung. Ich will jedoch nicht verhehlen, dass wir uns in manchen Punkten bessere Lösungen vorstellen können. Die Verbesserungen zugunsten der Kommunen und der Bürger gehen uns nicht weit genug. Die Auflage, dass die öffentlich-rechtlichen Entsorger bei der Vergabe der Sammlung durch die dualen Systeme anzuhören sind, wurde vom Bundesrat gestrichen. Begründet wird dies damit, dass eine solche Auflage aufgrund des Verstoßes gegen höheres Recht nicht möglich ist. Anscheinend war das Ministerium anderer Meinung. Ich will dies nicht kommentieren und auch nicht entscheiden, wer recht hat. Die Auffassung des Bundesrates macht aber eines deutlich: Wenn wir bei der Sammlung bürgerfreundliche und unbürokratische Lösungen wollen, müssen wir neue Wege gehen. Wir sind weiterhin der Meinung, dass eine Zuständigkeit der Kommunen für die Sammlung und deren Ausschreibung nach wettbewerbs- und europarechtlichen Kriterien am sinnvollsten ist. ({0}) Sicherlich gibt es unterschiedliche Auffassungen zur besten Ausgestaltung der Verpackungsverordnung. Die Diskussionen haben verdeutlicht: Es gibt hier weiteren Gesprächs- und, wie ich meine, Handlungsbedarf. Die SPD begrüßt daher, dass das Bundesumweltministerium das von uns geforderte Planspiel durchführen wird. In diesem Planspiel soll eine Abschätzung der Folgen der jetzigen Novelle durchgeführt und sollen weitergehende Änderungen durchgespielt werden. Es müssen die Möglichkeiten einer grundlegenden Novellierung dargestellt werden. Dabei müssen alle Optionen aufgezeigt werden. Denkblockaden darf es nicht geben. Ziel muss es sein, zu längerfristigen ökologisch und ökonomisch sinnvollen sowie bürgerfreundlichen Lösungen zu kommen. Anmerken möchte ich noch, dass sich die SPD auch einer Abgabenregelung nicht grundsätzlich verschließen wird. Die Verpackungsverordnung sollte zu einer material- und stoffstromorientierten Regelung im Sinne der Kreislaufwirtschaft weiterentwickelt werden. Mit der Regelung, dass die Kommunen die Sammlung stoffgleicher Materialien in der gelben Tonne verlangen können, weist die jetzige Novelle in die richtige Richtung. Eine zukünftige Ausgestaltung der Verpackungsverordnung muss für Kommunen und Bürger gleichermaßen verlässlich und handhabbar sein sowie die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen. ({1}) Keinesfalls darf es zu weiteren Privatisierungen kommen. Die Hausmüllentsorgung gehört zur Daseinsvorsorge. Wir lassen nicht zu, dass daran gerüttelt wird. ({2}) Gestatten Sie mir einige allgemeine Worte zur Abfallwirtschaft. In den letzten Jahren wurde immer wieder mit dem Hinweis auf bessere technische Möglichkeiten ein Verzicht auf die getrennte Haushaltssammlung gefordert. Ich kann mir vorstellen, dass Herr Meierhofer in seinem gleich folgenden Beitrag wieder darauf hinweisen wird, dass das, was wir da machen, eigentlich völlig überflüssig und nicht mehr zeitgemäß ist. ({3}) Ich lehne eine technische Mülltrennung keineswegs ab. Die Fachleute sind aber der Meinung, dass die händische Trennung derzeit bessere Ergebnisse bringt. Diese Auffassung wurde in der Anhörung zur fünften Novelle der Verpackungsverordnung unter anderem von Professor Dr. Pretz von der Technischen Hochschule in Aachen bestätigt. Dies war auch das Ergebnis der großen Anhörung, die wir 2004 im Bundestag durchgeführt haben. Von acht Sachverständigen haben sich damals sieben eindeutig geäußert. Bei der Anhörung zur fünften Novelle habe ich diesbezüglich noch einmal nachgefragt. Von Professor Dr. Pretz wurde diese Auffassung eindeutig bestätigt. Ich denke, man muss irgendwann damit aufhören, die Leute zu verunsichern und so zu tun, als würde nur Blödsinn gemacht, der eigentlich völlig überflüssig ist. ({4}) Ein Verzicht auf die getrennte Haushaltssammlung bedeutet, dass der größte Teil des Abfalls verbrannt wird. Mit dem Hinweis auf den Klimaschutz wird die thermische Abfallverwertung als Möglichkeit zur CO2Einsparung gepriesen. Einen derartigen Vorrang für die Verbrennung lehne ich jedoch ab. Sowohl unter Klimaschutzaspekten als auch unter Berücksichtigung der Ressourcenschonung halte ich einen massiven Einstieg in die thermische Verwertung für den ökologisch und ökonomisch falschen Weg. ({5}) Ob wir zur Energienutzung Rohöl oder aus Öl hergestellte Kunststoffe verbrennen: Die Minderung des CO2Ausstoßes ist in beiden Fällen nur gering. Die Bindung von CO2-Produkten und -Stoffen ist auch unter Klimaschutzaspekten besser. Darüber hinaus schonen wir Ressourcen und werden angesichts hoher Rohstoffpreise unabhängiger. Eine moderne Abfallwirtschaft muss Kreislaufwirtschaft mit dem Ziel der Ressourcenschonung sein. Bei der Abfallwirtschaft geht es heute nicht mehr um eine möglichst hygienische und kostengünstige Beseitigung des Abfalls; die Abfallwirtschaft ist heute eine moderne Umweltindustrie, wo zahlreiche Menschen beschäftigt und modernste Technologien eingesetzt werden. Sie entwickelt sich angesichts knapper und teurer Rohstoffe zu einem für Deutschland immer wichtiger werdenden Wirtschaftszweig. Diese Entwicklung müssen wir weiter fördern. Thermische Verwertung lehnen wir natürlich nicht grundsätzlich ab. Sie hat Vorrang vor der Deponierung. Wenn eine stoffliche Verwertung technisch unmöglich oder nicht bezahlbar ist, muss der Abfall thermisch verwertet werden. Diese Verwertung muss den bestmöglichen Energieausstoß haben. Müllverbrennungsanlagen und Ersatzbrennstoffkraftwerke müssen bessere Werte als heute erzielen. Das ist durch den Einsatz der KraftWärme-Kopplung möglich. Damit leistet die Abfallwirtschaft auch noch einen Beitrag zu einer klimafreundlichen Energiepolitik. In diesem Zusammenhang will ich noch hervorheben, dass die Abfallwirtschaft allein durch das Deponierungsverbot einen großen Anteil an der Reduzierung von Treibhausgasen hat. Zwischen 1990 und 2003 wurden im Abfallbereich 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart. Bis 2012 wird eine Einsparung von weiteren 8,4 Millionen Tonnen CO2 prognostiziert. Zum Schluss möchte ich auf ein Problem der Abfallwirtschaft und der Umweltpolitik allgemein hinweisen. Bei der Umsetzung und dem Vollzug - sei es des Deponierungsverbots, der Verpackungsverordnung oder einer ordnungsgemäßen Abfallverwertung - gibt es immer wieder Probleme. Ich bin für Bürokratieabbau, schlanke Gesetze und Verordnungen. Wir müssen erlassene Gesetze aber auch vollziehen und den Vollzug kontrollieren können. ({6}) Bürokratieabbau darf nicht mit übermäßigem Personalabbau verwechselt werden. ({7}) Die Umweltbehörden müssen personell so ausgestattet sein, dass ein ordnungsgemäßer Vollzug möglich ist. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Horst Meierhofer von der FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich mit einer Reaktion auf die Vermutung, die Sie, Herr Bollmann, ausgesprochen haben, anfangen. Natürlich wünschen wir uns mehr Wettbewerb. Wenn Sie sagen, momentan seien verschiedene Alternativen nicht in der Lage, die Trennung gut durchzuführen, dann brauchen Sie doch keine Angst vor dem Wettbewerb zu haben; denn diese Alternativen werden im Wettbewerb nicht bestehen können. Das ist eine ganz einfache Antwort darauf. ({0}) Ich weiß nicht, warum man den Einsatz anderer innovativer Techniken von vornherein ausschließen soll. ({1}) Es ist doch nicht ausgeschlossen, dass das möglich ist. Sie haben einen der Experten zitiert; ich könnte Ihnen die anderen vorhalten. Es ist nun einmal bei Anhörungen so, dass sich jeder seine Experten einlädt. Hier war es so, dass die Meinungen, die vorher bestanden, leider nur bestätigt wurden. ({2}) Deswegen ist es vollkommen unzweckmäßig, wenn man hier so tut, als wäre eine klare Aussage getroffen worden. Wir fordern die Zulassung von Alternativen. Dies schließen Sie mit dieser Novelle aus. Das ist ein Skandal. Wir wollen zu neuen Modellen kommen. Diese Möglichkeit wird mit dieser Novelle verhindert. Die CDU/CSU hat schon mehrfach - erst gestern wieder im Ausschuss - bestätigt, dass man sich nicht sicher ist, ob man hier tatsächlich zu einer Verbesserung kommt. Daher frage ich mich: Warum stimmt die CDU/ CSU dem zu? Das Wirtschaftsministerium hat damit große Schwierigkeiten. Staatssekretär Pfaffenbach hat sich schon vor längerer Zeit dagegen ausgesprochen. Auch Herr Glos war sehr kritisch. Aber im Endeffekt sagt man aus Gründen des Koalitionsfriedens: Wir stimmen dieser Sache zu, obwohl wir wissen, dass es in die vollkommen falsche Richtung geht. Ich verstehe nicht, warum man nicht in der Lage ist, zu sagen: Wenn jemand glaubt, ohne den Grünen Punkt, ohne den gelben Sack genau die gleichen ökologischen Ergebnisse zu erzielen, warum sollte man ihm das untersagen? Es gibt keine Möglichkeit für einen Wettbewerb, wenn man an der Ladentheke dafür zahlt, dass später der gelbe Sack abgeholt wird. Das ist das Problem. Ich bin wirklich sehr enttäuscht, dass man hier nicht in der Lage war, in die richtige Richtung zu marschieren. Ich muss sagen, dass die Ideen des Bundesrates zum Teil in die richtige Richtung gegangen sind. Ich fand zum Beispiel sehr erfreulich, dass man sich jetzt schon überlegt, eine sechste Novelle zu erarbeiten. Das haben auch Sie jetzt relativ positiv dargestellt. In den ersten Debatten - ich erinnere mich daran - war das noch kein Thema. Wir haben damals gesagt: Mit dieser großen Reparaturnovelle haben wir das Problem erst einmal beseitigt. - Wir müssen dem Bundesrat dankbar sein, dass er diesen weiteren Schritt gegangen ist. Ich glaube nicht, dass die CDU/CSU und die SPD in der Lage gewesen wären, hier so schnell zu entscheiden. Wir haben schon vor längerer Zeit einen Antrag eingebracht, der nicht zu weniger Umweltschutz und weniger Wettbewerb führt, sondern zu mehr. Er kann zu besseren ökologischen und ökonomischen Ergebnissen führen. Ich maße mir nicht an, zu wissen, welche Form der Verwertung an welcher Stelle die vernünftigste ist. Ich glaube, dass auch Sie das nicht können. Man muss die Ziele definieren. Wie diese Ziele zu erreichen sind, ist nicht die Aufgabe der Politiker. Sie verhalten sich an verschiedenen Stellen so, dass man den Eindruck gewinnt: Wir als Bundestagsabgeordnete sind besser informiert als die meisten Fachleute. Das halte ich nicht unbedingt für klug. ({3}) Deswegen glaube ich, dass wir uns an dieser Stelle nicht für schlauer halten sollten als die Leute, die sagen, dass es Alternativen gibt. ({4}) Wir wollten eigentlich eine Mininovelle, die nur die gröbsten Probleme beseitigt. Erreicht haben wir leider das Gegenteil, nämlich einen Schritt in die vollkommen falsche Richtung. Wir haben auf das Problem, dass es zu wenig Wettbewerb in dieser Branche gibt, damit reagiert, dass wir den Wettbewerb vollkommen ausgeschlossen haben. Ich weiß nicht, wie wir davon so schnell wieder runterkommen können. Ich glaube, dass die CDU/CSU gut daran getan hätte, sich deutlicher von dem zu distanzieren, was die SPD wollte. Es soll nicht um eine Rekommunalisierung gehen, sondern um mehr Wettbewerb. Auch die Kommunen haben hier andere Vorschläge. Ich freue mich auf die Rede der Kollegin Kotting-Uhl, die hier sicherlich noch einiges dazu sagen wird. Daran sieht man, dass das kein Streit zwischen Links und Rechts oder zwischen Wirtschaft und Ökologie ist. Es geht um die starre Ansicht, der Staat müsse alles regeln. Man ist nicht in der Lage, zu glauben, dass man das vielleicht anders regeln könnte. Das halte ich für ein bisschen feige. Eine Änderung wird noch vorgenommen. Diese Änderung betrifft die sogenannten Brötchentüten. An dieser Stelle muss man fast ein bisschen schmunzeln; hier sind wir vielleicht der gleichen Meinung, Herr Bollmann. Man hat nämlich so getan, als könne man hier einen Vorteil ziehen. Angesichts von 0,03 Cent pro Tüte muss man sich mit Blick auf den Bundesrat wirklich die Frage stellen, ob man in diesem Punkt noch viel erreicht hätte. ({5}) Insgesamt bin ich enttäuscht. Wenn man ein bestehendes System verschärft durch „intelligente Fehlwürfe“, indem man davon ausgeht, dass der Bürger schlauer ist als das System, dann sollten wir uns wirklich grundlegende Gedanken machen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Brand von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Novelle ist vor der Novelle. Diesen Grundsatz können wir heute amtlich festhalten; das wurde durch die Äußerungen des Kollegen Bollmann deutlich. Außerdem hat die SPD-Fraktion vor dieser Debatte in einer schriftlichen Meldung zur heutigen Beratung erklärt, dass sie unter anderem - ich will das zitieren - „grundlegende Änderungen“ der Verpackungsverordnung nicht ausschließt, wobei „alle Optionen Berücksichtigung finden“ sollen. Zudem hat die SPD-Fraktion am heutigen Tag erklärt, sie wolle - Zitat - „die Zuständigkeit und Ausschreibung der Sammlung“ - also beides, meine lieben Kolleginnen und Kollegen - „durch die Kommunen“. Ich finde, das ist sehr bemerkenswert. Das will ich am Ende dieser zum Teil quälenden Debatte über die vorliegende fünfte Novelle festhalten: Wirklich zufrieden mit dieser Novelle ist hier im Hause wohl niemand. Herr Kollege Meierhofer; das ist auch von uns immer wieder thematisiert worden. Es besteht am heutigen Tag gar kein Anlass, etwas anderes zu erklären. Die Beobachter sind sich einig, dass die von Lobbyinteressen in die Öffentlichkeit gespielten Nachrichten und Zahlen über einen unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch der haushaltsnahen Sammlung nicht den Bestand hatten, von dem auch das BMU berichtet hat. Dennoch - dazu steht die CDU/CSU - mussten einige Auswüchse bei der Entsorgung von Verkaufsverpackungen endlich korrigiert werden. Deswegen hat die Union in der Ausschusssitzung im Dezember 2005 als erste Fraktion die Initiative ergriffen und gesagt: Wir wollen unseriöse Verrechnungsmodelle und das Trittbrettfahrertum beenden. ({0}) Dass es mehr und nicht weniger Wettbewerb geben wird, hat uns Umweltminister Gabriel in Aussicht gestellt. Dass es mehr und nicht weniger Schutz von Ressourcen geben wird, hat uns Minister Gabriel ebenfalls in Aussicht gestellt. Dass es zu einer effizienten und nicht nur zu einer scheinbaren Bekämpfung der wirklichen Trittbrettfahrer kommen wird, hat er uns ebenfalls in Aussicht gestellt. Dass es keine das System eventuell massiv gefährdenden Rechtsprobleme geben wird, hat uns der Umweltminister ebenfalls in Aussicht gestellt. Für die Union möchte ich aber sehr deutlich sagen, dass diese Novelle vor allem die Novelle des Umweltministers Gabriel und seines Staatssekretärs Machnig ist. Dies möchte ich betonen: Das ist uns allen klar. Nun hat die Bundesregierung alle Änderungswünsche des Bundesrates - zum Teil ging es dabei um deutliche Änderungen auf Empfehlung des Umweltministers übernommen. Aus Sicht der CDU/CSU ist heute nicht der geeignete Zeitpunkt, die Debatten der letzten Monate zu wiederholen. Im November letzten Jahres haben wir im Deutschen Bundestag im Rahmen der zweiten und dritten Lesung eine ausgiebige Diskussion über dieses Thema geführt. Ich möchte festhalten: Die CDU/CSU bekennt sich zur getrennten Erfassung und setzt sich ganz entMichael Brand schieden für einen Wettbewerb der Systeme ein, der diesen Namen auch verdient. Ich kann all das, was Kollege Bollmann mit Blick auf die Anhörung und den Sachverständigen Herrn Professor Pretz dankenswerterweise ausgeführt hat, unterstreichen. Ich glaube, dass man es sich nicht so einfach machen kann, wie es in dieser Debatte einige oftmals tun. Man kann nicht einfach sagen: Vielleicht können wir stoffliche und thermische Verwertung gleichstellen und sozusagen alles durch den Schornstein jagen. So einfach, liebe Kollegen von der FDP, ist die Wahrheit nicht. ({1}) Ob durch die vorliegende fünfte Novelle der Wettbewerb und die Effizienz zum Wohle von Umwelt und Verbrauchern gestärkt oder geschwächt werden, werden wir genau beobachten. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass das Bundeskartellamt die vom Bundesumweltministerium favorisierte besondere Rolle der Gemeinsamen Stelle in Kernelementen kritisiert und Nachbesserungen zugunsten eines fairen Wettbewerbs verlangt hat. In diesem Zusammenhang kommen mir wieder die Äußerungen in den Sinn, die in der letzten Diskussion, die wir im Deutschen Bundestag zu diesem Thema geführt haben, von Vertretern der FDP wie der Grünen gemacht worden sind. Auch Sie, Frau KottingUhl, haben damals gefordert, dass es zu mehr Wettbewerb kommen muss; das will ich ausdrücklich unterstreichen. Wir ermutigen das BMU ausdrücklich, alles zu unterstützen, was den Wettbewerb stärkt, und genauso alles zu bremsen, was zu einer Schwächung des Wettbewerbs führt. Aus Sicht der CDU/CSU gab es durchaus die reale Chance auf einen Kompromiss für eine bessere Verpackungsverordnung; dies hat sich in der Anhörung, die der Bundestag am 10. Oktober des vergangenen Jahres durchgeführt hat, ergeben. Ob und inwieweit die von der SPD bereits begonnene Debatte über eine sechste Novelle die gewünschten Verbesserungen bringen kann, werden wir sehen. Es gibt weitere offene Themen. Ich nenne hier vor allem den von uns und anderen angesprochenen dramatischen Einbruch im Bereich von Mehrweg. Die rot-grüne, Trittin’sche Regelung zum Pfand auf Einweg ist gerade dabei, dem ökologisch wertvollen Mehrwegsystem und vielen mittelständischen Getränkeunternehmern in rasender Geschwindigkeit den Garaus zu machen. ({2}) Das ist im Übrigen ein perfektes Beispiel dafür - das möchte ich an die beiden Vertreter der Grünen gerichtet sagen -, wie „gut gemeint und schlecht gemacht“ zu miserablen Ergebnissen führen kann. Vom BMU und leider auch über die jetzt aufschreienden Umweltorganisationen bis hin zu manchen Ländervertretern wurde während des Verfahrens zu stark auf den Grünen Punkt und damit auf Einweg geschaut. Dass den berechtigten Anliegen der Mehrwegbefürworter trotz einer aktuell angesetzten Novelle nicht Rechnung getragen und das Thema vertagt wurde, ist eindeutig ein Sieg des Grünen Punktes über den Blauen Umweltengel. Ich will Sie hier ausdrücklich ausnehmen, Frau KottingUhl, weil Sie diese Debatte wohltuend begleitet und immer geäußert haben, dass wir nicht einseitig auf den Grünen Punkt schauen sollten. Es wird interessant sein, zu beobachten - da will ich das Farbenspiel aufnehmen -, ob nach dem grünen Umweltminister der rote Umweltminister nicht nur dem Grünen Punkt, sondern auch dem Blauen Engel hilft. Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind aufgerufen, die Rettung des breit akzeptierten Mehrwegsystems einzuleiten. 2010 - das sagen uns alle Beobachter - wird es zu spät sein. Ich appelliere eindringlich an den Bundesumweltminister, schnell aktiv zu werden und sich als Roter nach dem Einsatz für das Grüne nun auch für das Blaue ins Zeug zu legen. Ansonsten sehen wir als Union - wie könnte es anders sein? - schwarz, und zwar für das Mehrwegsystem. Das BMU ist dringend aufgefordert, zu handeln, statt Gutachten einzuholen. Die Mehrwegquote bei alkoholfreien Getränken befindet sich nämlich in rasantem Fall: Wir haben gerade noch 31 Prozent Mehrweg. Das ist dramatisch und könnte ein Sterben der mittelständischen Industrie im Bereich des Mehrwegs auslösen. Auch bezüglich der konkreten Umsetzung dieser fünften Novelle in die Praxis höre ich noch viel Skepsis. Wir werden die Verfahren vor dem Bundeskartellamt ebenso genau beobachten müssen wie eventuell problematische Einzelregelungen. Wir warnen zudem davor, die Handelslizensierung - also die Praxis, dass Handelsunternehmen den Produzenten durch massiven Druck die Freiheit abpressen, das für sie angeblich beste duale System auszusuchen - durch die Hintertür wieder zuzulassen. Wir wissen ja, wie das in der Praxis funktioniert. Wir setzen darauf, dass sowohl der Bundesumweltminister und das Bundeskartellamt als auch die Länder dieser Tendenz von Anfang an einen Riegel vorschieben. Ohnehin übersehen wir als CDU/CSU nicht, dass eine zu starke Ausrichtung auf die großen Unternehmen bei Handel, dualen Systemen und Entsorgungsunternehmen dazu führt, dass es Marktkonzentrationen gibt und der Mittelstand unter die Räder eines schädlichen Konzentrationsprozesses geraten kann. Lieber Herr Kollege Meierhofer, auch da muss ich Ihnen sagen: So einfach ist die Welt nicht! Denn wenn wir nicht auf die mittelständische Struktur in diesem Bereich schauen - ohne sie überzogen unter Schutz zu stellen -, wird die mittelständische Wirtschaft an dieser Stelle ein Riesenproblem haben. ({3}) Wir setzen darauf, dass wir als die Mittelstandsfraktion in diesem Parlament bei unserem Koalitionspartner auf ein offenes Ohr treffen, wenn es darum geht, Fehlentwicklungen rasch zu begegnen. Trotz aller Mängel sind wir als CDU/CSU-Fraktion von Anfang an und bis heute als Anwalt von Umwelt und Verbrauchern für die getrennte, haushaltsnahe Sammlung, für die hochwertige stoffliche Verwertung auch im Bereich der Verpackungen; ich habe es eben unterstrichen. Für die Zukunft setzen wir uns für eine Weiterentwicklung in Richtung von Stoffströmen ein, die die Ressourcen schonen und bei denen im Wege des stofflichen Recyclings Rohstoffe zurückgewonnen werden. Es ist ein zutiefst konservativer Ansatz - auch im Zeitalter der Konsumgesellschaft und des teils gegebenen Verpackungswahns -, die Grundlagen unserer Natur zu schonen. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünschen wir der fünften Novelle der Verpackungsverordnung den erhofften Erfolg. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich an der strategischen Weiterentwicklung dieses Themas beteiligen, und dies wie gewohnt aktiv und intensiv. Dabei werden wir insbesondere auf die sehr ergebnisreiche Anhörung im Deutschen Bundestag zurückgreifen können, die vom BMU - auch dies will ich hier sagen - bei dieser Novelle nicht ausreichend berücksichtigt worden ist. Die CDU/CSU hat nach der Anhörung am 10. Oktober einen sachlichen Dialog mit dem Koalitionspartner versucht, der auch nach der Verabschiedung dieser fünften Novelle seine Fortsetzung finden wird. In diesem Sinne sehen wir dem inhaltlichen Dialog mit Interesse entgegen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unserer Ansicht nach ist die Novelle zur Verpackungsverordnung durch den Bundesrat nicht wesentlich verändert worden. Darum bleiben wir bei unserer Ablehnung, obwohl wir natürlich einige Ansätze begrüßen. Zum Beispiel war es längst überfällig, dass sämtliche Verpackungen, die typischerweise beim Endverbraucher anfallen, haushaltsnah in gelben Tonnen oder Säcken gesammelt werden. Wenn also sogenannte Selbstentsorger künftig nicht mehr bei Drogerien und dergleichen, sondern nur noch bei gewerblichen Verpackungsabfällen zulässig sind, dann werden Schlupflöcher für Trittbrettfahrer geschlossen, und das ist gut so. Die Drogerieketten brauchen hier keine Krokodilstränen zu vergießen. Sie dürften in den letzten Jahren ein Vermögen gespart haben. Schließlich zahlten sie nie für den Grünen Punkt und hatten trotzdem kaum Aufwand mit den paar Seifenschachteln. ({0}) Weiterhin mangelhaft ist allerdings, dass es keine Verwertungsquoten für gewerbliche Verpackungsabfälle geben soll. Dies ermöglicht Manipulationen, weil bei der Quotenerfüllung gewerbliche Verpackungsabfälle mit Verpackungen von privaten Haushalten verrechnet werden können. Auch für das gegenwärtig größte Problem hat die Novelle keine Lösung - Kollege Brand hat es angesprochen -: Trotz des Pflichtpfands für Einwegflaschen und -dosen sinkt die Mehrwegquote unaufhörlich. Sie haben die Zahl schon genannt: Nur noch 30 Prozent der alkoholfreien Getränke werden in wieder befüllbaren Verpackungen verkauft. In den 90er-Jahren - ich wiederhole diese Zahl - waren es über 70 Prozent. Herr Brand, Sie haben hier als Koalition die Mehrheit. Dann tun Sie etwas! ({1}) Noch ein Wort zu jenen, die das Duale System mittelfristig abschaffen wollen. Alternativ soll dafür eine gemeinsame Entsorgung aller Haushaltsabfälle eingeführt werden. Zunächst käme also alles zusammen in eine Tonne, und die Trennung erfolgte später durch private Firmen und weitgehend maschinell. Zum Thema Privatisierung und Wettbewerb sage ich nur, Herr Meierhofer: Wir kennen das. ({2}) Dann geht es nämlich mit Preisdumping und Dumpinglöhnen los. Wenn Sie in Regensburg von Bürgerbeteiligung und Transparenz sprechen, dann ist dies sehr nett. Auf der anderen Seite führt dieser Wettbewerb zu Dumpinglöhnen. Da ist dann nichts mehr mit Transparenz, und mit der Bürgerbeteiligung ist es dann auch vorbei. ({3}) Nun noch einmal zur Anhörung des Umweltausschusses. Die Fachleute erklärten ganz klar, dass die haushaltsnahe Trennung der Abfallfraktionen gegenwärtig noch die beste und preiswerteste Art sei, um zu qualitativ hochwertigen Abfallfraktionen zu kommen. Nur solche lassen sich auch vernünftig stofflich verwerten. Technik, die Gemischtabfall sinnvoll und bezahlbar im Großmaßstab trennen kann, gibt es leider noch nicht. Wer aber die wertvollen Sekundärrohstoffe ohnehin durch den Schornstein jagen will, weil es schön profitabel ist, dem kann dies ohnehin egal sein. Genau dies ist ja das Ziel von Pyromanen, und das lehnen wir ab. ({4}) - Ja. ({5}) Aus diesem Grund unterstützen wir im Übrigen auch Bürgerinitiativen, die gegen die momentan überall aus dem Boden schießenden und meist überdimensionierten Ersatzbrennstoffkraftwerke - kurz: EBS-Kraftwerke kämpfen. Wir haben das Gefühl, dass diese EBS-Kraftwerke wieder die Müllverbrennung puschen sollen - mit all ihren negativen Folgen für die Kreislaufwirtschaft und den Verkehr und leider mit schlechteren Emissionswerten als bei der klassischen Monoverbrennung. Dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir nicht zulassen. Es wird Zeit, dass wir im Umweltausschuss auch einmal über diese EBS-Kraftwerke intensiv sprechen. Danke. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieses Thema - das letzte am heutigen Abend - bietet offensichtlich ein vielfältiges Spektrum an Möglichkeiten, sich zu äußern. Jeder sucht sich seinen Schwerpunkt aus. Auch ich will noch einiges hinzufügen. Aus grüner Sicht kann man sich selten freuen, wenn sich der Bundesrat mit umweltpolitischen Themen befasst und seine Spur hinterlassen hat. Umso mehr freut es mich, dass diesmal der Bundesrat in einem Punkt, den in dieser Debatte noch niemand erwähnt hat, eine positive Spur hinterlassen hat. Dabei handelt es sich um die Biokunststoffe. Der Bundesrat hat dafür gesorgt, dass die Biokunststoffe für zwei weitere Jahre vom Pfand befreit sind. Das halte ich für richtig. Es geht dabei insbesondere um Flaschen aus Biokunststoffen. Allerdings wurde zur Auflage gemacht, dass sie in Zukunft zu 75 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen und gleichzeitig biologisch abbaubar sind. ({0}) Das ist eine gute Forderung, die aber den kleinen Fehler aufweist, dass es diese Flaschen noch gar nicht gibt. Das heißt, wir haben es mit einem wunderbaren Fall von Innovationsdruck zu tun, wobei allerdings die zwei Jahre etwas kurz sind. Das heißt, wir werden uns in absehbarer Zeit damit befassen müssen, ob wir die Verlängerung um zwei Jahre nicht noch etwas ausdehnen sollten, damit der Innovationsdruck zum Ziel führen kann. Auch die vorgelegte Novelle enthält neben dem, was sie eigentlich regeln soll - was auch mehr oder weniger gut gelungen ist -, durchaus positive Punkte. Für mich war und ist vor allem entscheidend, dass die Spielzeugente und die Salatschüssel - sprich: stoffgleiche Nichtverpackungen - jetzt in der gelben Tonne entsorgt werden dürfen, wenn die Kommune das wünscht. Allerdings gibt es - ich hoffe, dass Sie mir darin zustimmen ein großes Aber. „Wenn die Kommune das wünscht“ heißt, dass die Kommune auch die Kosten übernehmen muss. Es gibt keine Lizenzgebühren und damit nicht einmal die geringe Lenkungswirkung, die die Kommunen heute noch ausüben. Ich bin im Umweltausschuss vor allem von Staatssekretär Müller etwas dafür gescholten worden, dass wir Grünen die Novelle ablehnen, obwohl sie das, was sie regeln sollte, einigermaßen gut regelt - wie gesagt, so gut oder schlecht, wie es innerhalb des bestehenden Systems möglich ist. Ich will gerne begründen, warum wir die Novelle ablehnen. Wenn ich einen Schuh habe, der mir nicht mehr passt und dessen Absatz wackelt, dann kann ich ihn zum Schuhmacher bringen und den Absatz reparieren lassen. Vielleicht läuft es sich dann eine Zeit lang etwas besser, aber der Schuh wird mir trotzdem nicht passen, und ich werde mir Blasen holen. Das gleiche Problem haben wir mit der Verpackungsverordnung. Sie passt nicht mehr in die heutige Zeit. Sie wird den heutigen Aufgaben nicht gerecht. Die Zeiten, in denen wir uns eine Verpackungsverordnung mit einem finanziellen Volumen von 1,58 Milliarden Euro im Jahr leisten können, um uns um 5 Prozent der Abfälle zu kümmern, sind vorbei. ({1}) Seit dem Inkrafttreten der Verpackungsverordnung hat sich die Lage verändert. Die Frage der Nutzung von Ressourcen stellt sich völlig anders und verschärft sich von Jahr zu Jahr. Wir müssen Antworten auf die Fragen finden, wie wir Wertstoffe in Ressourcen umwandeln können, wie wir von der Abfallpolitik zu einer Ressourcenpolitik kommen können. Wir können es uns nicht mehr leisten, Lizenzgebühren ohne Lenkungswirkung für einen kleinen Teil von Abfällen zu erheben. Wir brauchen perspektivisch für alle Produkte Ressourcenabgaben mit Lenkungswirkung. Notwendig ist die Entwicklung dieser Verpackungsverordnung zu einer Wertstoffverordnung. ({2}) Wir Grünen werden Ihnen zu gegebener Zeit einen entsprechenden Antrag vorlegen. Wir haben das Konzept erarbeitet. Ich hoffe, dass Sie sich angemessen damit befassen und vielleicht sogar mit uns zu einer gleichen Meinung kommen. Auch wenn ich nicht dem Präsidenten vorgreifen möchte, freue ich mich, Ihnen jetzt als letzte Rednerin einen schönen Feierabend wünschen zu können. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Verpackungsverordnung. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8216, der Verordnung auf Drucksache 16/7954 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Die Debatten sind beendet. Aber ich bitte Sie, noch eine Weile hier zu bleiben, weil wir noch einige Formalitäten zu den verbliebenen Tagesordnungspunkten zu erledigen haben. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Hans- Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Den Ostseeraum zur Modellregion für regio- nale Kooperationen ausbauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäi- schen Meerespolitik weiterentwickeln - Drucksachen 16/7286, 16/8171 - Berichterstattung: Abgeordneter Gero Storjohann Wir nehmen die Reden der Kollegen Gero Storjohann, CDU/CSU, Dr. Margrit Wetzel, SPD, Dr. Christel Happach-Kasan, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, und Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem soeben verlesenen Titel. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8171, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/7286 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften - Drucksache 16/8100 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wir nehmen die Reden der Kollegen Franz-Josef Holzenkamp, CDU/CSU, Dr. Marlies Volkmer, SPD, Hans-Michael Goldmann, FDP, Karin Binder, Die Linke, und Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.2) 1) Anlage 3 2) Anlage 4 Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/8100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Jens Ackermann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Feinstaub-Fahrverbote für Reisebusse sachgerecht und unbürokratisch regeln - Drucksache 16/7865 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuss fürTourismus ({3}) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Federführung strittig Wir nehmen die Reden der Kollegen Jens Koeppen, CDU/CSU, Detlef Müller, SPD, Ernst Burgbacher, FDP, Lutz Heilmann, Die Linke, und Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7865 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Tourismus. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der FDP abstimmen, das heißt Federführung beim Ausschuss für Tourismus. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, das heißt Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Überweisungsvorschlag bei Enthaltung der FDP-Fraktion einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausverkauf von Krediten an Finanzinvestoren stoppen - Verbraucherrechte stärken - Drucksache 16/8182 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({4}) Rechtsausschuss 3) Anlage 5 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wir nehmen die Reden der Kollegen Leo Dautzenberg und Manfred Kolbe, CDU/CSU, Dr. Hans- Ulrich Krüger, SPD, Carl-Ludwig Thiele, FDP, Dr. Barbara Höll, Die Linke, und Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8182 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Importverbot für illegales Holz durchsetzen - Drucksache 16/8052 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden, die wir zu Protokoll nehmen, stammen von den Kollegen Cajus Caesar, CDU/CSU ({6}) - die wäre in lateinischer Sprache gewesen; ich weiß nicht, ob Sie die vollständig verstanden hätten -, ({7}) Dr. Gerhard Botz, SPD, Dr. Christel Happach-Kasan, FDP, Eva Bulling-Schröter, Die Linke, und Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8052 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link ({8}), Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Freiheit und Demokratie im Südkaukasus - Für freie und faire Wahlen 2008 - Drucksache 16/7864 - 1) Anlage 6 2) Anlage 7 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({9}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Europäische Nachbarschaftspolitik zur Förderung von Frieden und Stabilität im Südkaukasus nutzen - Drucksache 16/8186 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({10}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch diese Reden sollen zu Protokoll genommen werden. Sie stammen von den Kollegen Manfred Grund und Eduard Lintner von der CDU/CSU-Fraktion, Markus Meckel, SPD, Markus Löning, FDP, Dr. Hakki Keskin, Die Linke, und Rainder Steenblock, Bündnis 90/ Die Grünen.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 16/7864 und 16/8186 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen - Drucksache 16/5615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({11}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Die Reden, die wir zu Protokoll nehmen, stammen von der Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU, Dr. Sascha Raabe, SPD, Dr. Karl Addicks, FDP, Heike Hänsel, Die Linke, und Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die Grünen.4) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5615 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist so. Dann ist die Überweisung so beschlossen. 3) Anlage 8 4) Anlage 9 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Februar 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.