Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.
Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte
ich dem Kollegen Georg Brunnhuber zu seinem
60. Geburtstag gratulieren, den er vor wenigen Tagen
begangen hat, und im Namen des Hauses alle guten
Wünsche übermitteln.
({0})
Die Feierlichkeiten hat er erkennbar gut überstanden;
das ist beruhigend.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 13, 23 und 25 abzusetzen und die verbundene Tagesordnung um die in der folgenden Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Vereinbarte Debatte
Zukunft des Kosovos nach der Unabhängigkeitserklärung ({1})
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Fehlende Strategien der Bundesregierung in
der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und
Konsequenzen aus den Steuervergehen durch
Finanztransfers ins Ausland ({2})
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst
Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Naturschutz praxisorientiert voranbringen Entwicklung der Wildtiere in Deutschland
- Drucksache 16/8077 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer
- Drucksache 16/8185 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann,
Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlamentes und des Rates über den Schutz
der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte
Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben
- Drucksache 16/8187 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({6})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU, der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe,
Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine neue, effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nahrungsmittelhilfekonvention
- Drucksache 16/8192 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({8})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des
Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung
von Entscheidungen über die Sicherstellung
von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union
- Drucksache 16/6563 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({9})
- Drucksache 16/8222 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({10})
Joachim Stünker
Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
FDP:
Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen
Kommunistischen Partei, über offene Listen
der Partei DIE LINKE in Parlamenten Mandate zu erlangen, und die damit verbundenen
Auswirkungen
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({11}), Christoph Waitz, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zehn Jahre Washingtoner Konferenz - Initiative für eine Nachfolgekonferenz in Deutschland
- Drucksache 16/7857 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({12})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien
für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen
- Drucksache 16/5615 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({13})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Potenziale der Tourismusbranche in der Entwicklungszusammenarbeit durch Aufgabenbündelung im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausschöpfen
- Drucksache 16/8176 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck ({14}), Ekin
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Integrationspolitik der Bundesregierung Große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit
- Drucksache 16/8183 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({15})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 143. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll
zusätzlich dem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts
({17})
- Drucksache 16/7918 überwiesen:
Finanzausschuss ({18})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Präsident Dr. Norbert Lammert
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig
der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien
im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften
- Drucksache 16/8148 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({19})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich ({20})
- Drucksache 16/8149 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({21})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur
Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
- Drucksache 16/8150 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({22})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({23}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Deutschen Energie-Agentur
GmbH ({24}) über die Bestandsaufnahme
und den Handlungsbedarf bei der Förderung
des Exportes Erneuerbare-Energien-Technologien 2003/2004
- Drucksachen 15/5938, 16/480 Nr. 1.17, 16/4962 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
Angelika Brunkhorst
Hans-Josef Fell
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Bundesminister Sigmar Gabriel.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Wir behandeln heute die ersten Bestandteile des integrierten Klima- und Energiepakets, das
die Bundesregierung am 5. Dezember 2007 beschlossen
hat. Die Bundesregierung hat das Ziel, die Treibhausgasemissionen unseres Landes bis zum Jahre 2020 um
40 Prozent zu senken. Wir gehen davon aus, dass wir bei
den internationalen Verhandlungen, die auf Bali begonnen haben, Erfolg haben werden. Um zu erreichen, dass
die Treibhausgasemissionen weltweit um 30 Prozent reduziert werden, muss auch die Europäische Union ihren
Beitrag leisten. Um dieses Ziel in der Europäischen
Union abzusichern, ist Deutschland bereit, einen Minderungsbeitrag von 40 Prozent zu erbringen, wenn wir international Erfolg haben.
Zu diesem Zweck hat das Kabinett in Meseberg im
August des letzten Jahres eine Vielzahl von Gesetzentwürfen und Verordnungen in Auftrag gegeben. 14 davon
haben wir am 5. Dezember 2007, nicht einmal drei Monate danach, beschlossen. Ein weiteres Paket wird am
21. Mai verabschiedet werden. Die ersten Gesetzentwürfe dazu liegen vor.
Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich wollen wir den
Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor bis 2020
auf 30 Prozent ausbauen. Heute sind wir bei 14 Prozent.
Das ist eine Riesenerfolgsgeschichte in unserem Land.
Wir wollen den schlafenden Riesen wecken und dazu
beitragen, dass die erneuerbaren Energien auch im Wärmesektor genutzt werden. Ihr Anteil beträgt im Wärmesektor im Moment etwa 6 Prozent. Wir wollen diesen
Anteil auf 14 Prozent steigern. Allein in diesen beiden
Sektoren haben wir 235 000 Arbeitsplätze in unserem
Land geschaffen. Das ist ein Riesenerfolg in der Entwicklung der Technologie zur Nutzung der erneuerbaren
Energien in unserem Land.
({0})
Mit unseren Ausbauzielen wollen wir die Zahl der
Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien bis
zum Jahre 2020 mindestens verdoppeln. Wir wollen drei
Ziele miteinander verbinden: Erstens. Wir wollen mehr
zum Klimaschutz beitragen, indem wir unsere Treibhausgasemissionen senken. Zweitens. Wir wollen vom
Import von Rohstoffen wie Öl und Gas und damit von
Preissprüngen unabhängiger werden. Drittens. Wir wollen neue Arbeitsplätze in unserem Land schaffen. Wir
wollen zeigen, dass wirtschaftliches Wachstum, Leistungsfähigkeit und Wohlstand mit Klima- und Umweltschutz vereinbar sind.
Beim Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung
des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geht es - dazu
will ich etwas mehr sagen - um den Einsatz von Bio15238
kraftstoffen, die ja derzeit in der internationalen und
auch in der deutschen Debatte umstritten sind.
Zum Thema Biokraftstoffe hat das Bundeskabinett
Gesetz- und Verordnungsentwürfe verabschiedet: Das
Biokraftstoffquotengesetz ist bereits am 1. Januar 2007
in Kraft getreten. Darin wird geregelt, dass wir stufenweise bis zum Jahr 2015 auf 8 Prozent Einsatz von Biokraftstoffen an den normalen Kraftstoffen kommen wollen.
Heute ändern wir hier im Parlament das Biokraftstoffquotengesetz mit dem Achten Gesetz zur Änderung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Diese Änderung soll
uns, bezogen auf die tatsächliche Verringerung des CO2Ausstoßes bei Kraftstoffen, ehrlicher machen. Der Mindestanteil von Biokraftstoffen wird in Zukunft in
Deutschland nicht mehr energetisch definiert, wie es bislang in der Europäischen Union und auch in anderen
Ländern immer noch der Fall ist, sondern der tatsächliche Klimaschutzbeitrag soll Grundlage für die Anrechenbarkeit des Einsatzes von Biokraftstoffen auf die
Quote werden. In Zukunft dürfen Biokraftstoffe nur angerechnet werden, wenn sie mindestens einen Klimaschutzbeitrag von 30 Prozent gegenüber fossilen Kraftstoffen erbringen.
Meine Damen und Herren, die öffentliche Kritik am
Einsatz von Biokraftstoffen in der Klimapolitik ist
durchaus gerechtfertigt. Natürlich müssen wir darauf
achten, dass wir uns nicht selbst täuschen und eine
Scheinbilanz für die Senkung von CO2 vorlegen. Weder
darf der Einsatz von Biokraftstoffen in Deutschland und
Europa das Abholzen von Regenwäldern beschleunigen
und begünstigen, noch dürfen wir die CO2-Emissionen
wissentlich übersehen, die bei der Herstellung von Biokraftstoffen zum Beispiel im Hydrierungsverfahren ausgelöst werden können.
Das hat zur Folge, dass wir den 10-prozentigen Anteil
an Biokraftstoffen, wie ihn die Europäische Union haben
will, ehrlicherweise auch netto berechnen müssen. Die
EU tut dies bislang nicht; sie bezieht sich in ihren Berechnungen nur auf den Energiegehalt und nicht auf den
tatsächlichen Klimaschutzbeitrag. Bei Zugrundelegung
des Nettoklimaschutzbeitrags müssen wir, um den von
der EU verlangten 10-prozentigen Beitrag zu erbringen,
dem Volumen nach 20 Prozent Biokraftstoffe beimischen. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wollen wir
also den ersten entscheidenden Schritt tun, um den Einsatz von Biokraftstoffen auf ihren tatsächlichen Klimaschutzbeitrag zu überprüfen.
Der zweite entscheidende Schritt ist die Einführung
der Nachhaltigkeitsverordnung, die das Bundeskabinett bereits am 5. Dezember 2007 verabschiedet hat.
Diese Nachhaltigkeitsverordnung, die ökologische Standards für die Anrechenbarkeit von Biokraftstoffen auf
die Quoten nach dem Biokraftstoffquotengesetz regelt,
liegt derzeit zur Notifizierung bei der Europäischen
Union. Die Notifizierung ist notwendig, weil die ökologischen Standards natürlich Handelshemmnisse im europäischen Binnenmarkt auslösen sollen. Sie ist nach unserer Rechtsauffassung nicht WTO-widrig, weil wir nicht
den Import von Biomasse, sondern durch die ökologischen Standards die Anrechenbarkeit auf die Biokraftstoffquote einschränken. Dies soll natürlich den wirtschaftlichen Druck auf die Einhaltung der
Nachhaltigkeitskriterien drastisch erhöhen.
Diese Nachhaltigkeitsverordnung Deutschlands soll
das Vorbild für die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Regelungen zur Nachhaltigkeit beim Biokraftstoffeinsatz sein. Auch die EU-Kommission will ihr Ziel von
10 Prozent Biokraftstoffbeimischung bis 2020 an die
Einhaltung dieser Kriterien binden. Der Vorwurf, diese
Nachhaltigkeitskriterien würden erst in einem Jahrzehnt
in Kraft treten, ist falsch. Richtig ist, dass die Entwicklung von Zertifizierungssystemen, die den Nachweis eines ökologisch nachhaltigen Anbaus erbringen können,
Jahre in Anspruch nehmen wird. Aber nach Inkrafttreten
der Nachhaltigkeitsverordnung im Jahr 2010 dürfen importierte Biokraftstoffe solange nicht auf die Quote angerechnet werden, bis diese Kriterien erfüllt sind.
Diese Strategie zur Durchsetzung von ökologischen
Standards beim Anbau von Biomasse zur Energieerzeugung und die Orientierung an einer Nettobilanz müssen
natürlich auch auf den Bereich der Stromerzeugung und
der Wärmeproduktion ausgedehnt werden. Nicht nur
das: Aus meiner Sicht müssen diese Kriterien auch für
den Einsatz von Futtermitteln in der Landwirtschaft gelten;
({1})
denn wir führen am Beispiel der Biokraftstoffe natürlich
derzeit eine Stellvertreterdiskussion. Weit mehr als
80 Prozent der weltweit angebauten Biomasse gehen in
die Nahrungs- und Futtermittelerzeugung und nicht
in die Kraftstofferzeugung. Hier geht es vor allem um
Sojaanbau. In diesem Bereich ist Europa der größte Importeur und innerhalb Europas Deutschland. Wer über
die Abholzung von Regenwäldern spricht und sich darüber beklagt, darf die Gefahren im Bereich der
Brandrodung und des Anbaus von Soja in den Regenwäldern für die Futtermittelindustrie nicht permanent
verschweigen.
({2})
Wenn die öffentliche Diskussion über Biokraftstoffe bewirkt, dass wir auch darüber reden und die Nachhaltigkeitskriterien auch im Bereich der Futtermittelindustrie
ausbauen, dann leisten wir einen wirklichen Beitrag zum
Schutz der Regenwälder und gegen das Abbrennen von
Mooren in Indonesien.
({3})
Die Bundesregierung wird sich offensiv mit den umfangreichen Gutachten zu den ökologischen und sozialen
Folgen der Biomasseproduktion auseinandersetzen
und - das sage ich deutlich - gegebenenfalls im Kabinett
die Biokraftstoffstrategie anpassen. Erste Überlegungen
gehen in folgende Richtung:
Über die Klimabilanz und die derzeitigen Nachhaltigkeitskriterien hinaus sollten wir bestimmte Anbaumethoden generell von der Anrechenbarkeit bei Kraftstoffen
und von der Förderung nach dem EEG und dem EEWärmeG ausschließen. Dazu zählen zum Beispiel die Abholzung von Regenwäldern oder das Abbrennen von Mooren.
In technologischer Hinsicht müssen wir auf den Einsatz organischer Reststoffe für die Energieerzeugung
drängen. Dabei ist nicht nur die Klimabilanz deutlich
besser; vor allem kommt es dabei nicht zu den befürchteten Nahrungsmittelkonkurrenzen. Im Übrigen geht es
nicht um eine Konkurrenz zwischen Biomasse und Nahrungsmitteln, sondern zwischen Biomasse zur Kraftstoff- oder Energieerzeugung und dem Einsatz von Biomasse in der Futtermittelindustrie. Im Wesentlichen geht
es in der Debatte um die Fleischerzeugung aus Rinderund Schweinemast.
Dass wir in technologischer Hinsicht auf den Einsatz
organischer Reststoffe - also auf Bioraffinerie - drängen
wollen, war der Grund dafür, dass sich der Bundesfinanzminister und das Bundeskabinett auch in der Debatte um die Steuerbefreiung von Biokraftstoffen im
letzten Jahr für diese technologische Richtung eingesetzt
haben, statt auf die weitere Förderung eines zum Teil
umstrittenen Einsatzes von Biomasse zu setzen.
({4})
Die Durchsetzung ökologischer und sozialer Standards in der EU ist auch deshalb wichtig, weil wir damit
nicht auf eher instabile Länder mit einem schwer kontrollierbaren Anbau von Biomasse setzen müssen; vielmehr wollen und müssen wir künftig vor allem mit Partnern in Osteuropa zusammenarbeiten. Dann wird sich
über die Transportbilanz auch die Klimabilanz verbessern.
Insgesamt werden wir im Lichte der existierenden
Gutachten und im Rahmen der parlamentarischen Beratungen überprüfen müssen, ob wir unter Einhaltung der
genannten Kriterien die ambitionierten Ausbauziele
beim Biomasseeinsatz und insbesondere beim Kraftstoffeinsatz erreichen werden. Dazu zählt auch, dass wir die
Novelle zur 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung
zur Einführung von B7 und E10 - Biodiesel- und Bioethanolkraftstoffe - erst dann in Kraft setzen werden,
wenn die Zahlen des Verbandes der Automobilindustrie
und auch der Automobilimporteure zu den potenziell betroffenen Fahrzeughaltern, deren Fahrzeuge diese Kraftstoffe nicht vertragen, überprüft worden sind.
Meines Wissens hat zum Beispiel die Kollegin Frau
Reiche kritisiert, dass wir zu sehr auf Fachleute vertraut
haben. In der Tat vertrauen wir nach wie vor auf Aussagen aus der Automobilindustrie. Das ist die Strategie
der Bundesregierung, die sozusagen in großkoalitionärer
Einigkeit gemeinsam mit dem Kollegen Seehofer erarbeitet wurde. Insofern können Sie die Kritik gleichmäßig
verteilen.
({5})
- Wenn man Pressemitteilungen veröffentlicht, dann erwartet man doch eine Antwort, oder? Ich wollte nur höflich sein.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung zur Nutzung von
erneuerbarer Energie im Wärmebereich. Ich will auf einen Widerspruch im Zusammenhang mit der Kraftstoffdebatte hinweisen. Wenn es um die ökologischen Schäden beim Anbau von Biomasse für den Kraftstoffbereich
und die dadurch entstehenden Konkurrenzen geht, dann
darf man die Nutzungskonkurrenzen nicht dadurch verschärfen, dass man Biomasse zu Bioöl und Biogas verarbeitet, es zur Verbrennung freigibt und dies als Beitrag
zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz bezeichnet.
({6})
Wenn es Nutzungskonkurrenzen bei Flächen gibt, dann
müssen wir darauf achten, dass der Biomasseeinsatz effizient erfolgt. Deshalb haben wir im Wärmegesetz vorgesehen, dass die Verbrennung von Biogas nur bei der
Kraft-Wärme-Kopplung - also bei der Produktion von
Strom und Wärme - angerechnet werden kann. Wer
diese Stoffe nur verheizen will, um Erdgas und Erdöl zu
ersetzen, verschärft die Nutzungskonkurrenz und vertritt
die Interessen eines kleinen Teils der deutschen Mineralölindustrie, statt eine technologische Entwicklung verbunden mit der Entstehung neuer Arbeitsplätze in Gang
zu setzen. Das ist nicht der Gegenstand von Gesetzentwürfen der Bundesregierung.
Ich glaube, dass wir mit der Vorlage dieser Gesetzentwürfe einen guten Schritt geschafft haben. Wir sollten in
den nächsten Wochen die weiteren Maßnahmen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele diskutieren und umsetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Horst Meierhofer für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
es vorwegzunehmen: Ich werde mich hauptsächlich
- genauso wie der Herr Minister - auf die Biokraftstoffe
konzentrieren. Frau Kollegin Brunkhorst wird sich später mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz dezidiert auseinandersetzen. Bevor die SPD, die Grünen und die
CDU/CSU ihr Verletzungspotenzial ausschöpfen: Natürlich sind auch wir für die Förderung der erneuerbaren
Energien. Auch uns geht es darum, den Anteil der erneuerbaren Energien im Energiemix deutlich zu erhöhen.
({0})
Heute geht es hauptsächlich um den Bereich der Biokraftstoffe. Der Herr Minister hat schön darum herumlaviert, wie gefährlich es sein könnte. Er tat so, als könnten wir kaum etwas dagegen tun. Wir setzen schließlich
nur europäische Vorgaben um und versuchen vielleicht
sogar, es noch etwas besser zu machen, als es die EU
vorsieht. Aber an der Medienberichterstattung in den
letzten Tagen und Wochen hat man recht deutlich gesehen, dass es eine ganz große Koalition derjenigen gibt,
die große Schwierigkeiten haben. Nicht umsonst hat der
Bundesrat den vorliegenden Gesetzentwurf abgelehnt.
Ich darf es vorwegnehmen: Die FDP wird das Gleiche
tun.
({1})
Die Biokraftstoffbeimischungsquote ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch irrsinnig, sinnlos und kontraproduktiv. Deswegen halten wir davon überhaupt
nichts. Sich damit herauszureden, dass es sich hier um
Vorgaben der EU handle, ist insoweit scheinheilig, als
wir alle wissen, dass gerade die Bundesregierung in besonderem Maße daran beteiligt war, dieses Gesetz zu puschen und die Beimischungsquote zu erhöhen. Daran
werden wir uns nicht beteiligen.
({2})
Herr Minister Gabriel hat gesagt, dass es weniger um
die Lebensmittelproduktion, sondern mehr um die Futtermittelproduktion geht. De facto wird es aber zunehmend mehr Nutzungskonkurrenzen geben. Damit werden auch die Lebensmittelpreise deutlich steigen. Ich bin
gespannt, wie sich die Kollegen der Linkspartei dazu äußern werden; denn hier entsteht nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein soziales Problem. Ein ökologisches ist es ohnehin. Die Fleischpreise werden deutlich
steigen. Die Weizenpreise sind bereits gestiegen. Hier
kann man argumentieren, dies sei vernünftig, weil es der
Landwirtschaft einen Vorteil bringe. Interessanterweise
hat aber selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gesagt, dass die Ideen der Bundesregierung zu Biomasse und Biokraftstoffen zu überdenken
seien und dass man grundsätzlich darüber nachdenken
solle, ob man hier auf dem richtigen Wege sei.
({3})
Dass es wirtschaftlich zu größeren Problemen kommt,
haben wir alle festgestellt, und zwar allein dadurch, dass
sich der Spritpreis zunehmend der 5-DM-Marke annähert, die die Grünen früher als Schreckgespenst gefordert haben. In diese Richtung geht es nun. Wenn man dadurch etwas für den Klimaschutz oder das ökologische
Gewissen täte, könnten wir darüber inhaltlich diskutieren. Aber in Wirklichkeit tun wir das genaue Gegenteil.
Wir unterstützen nicht diejenigen, die etwas ökologisch
Sinnvolles tun wollen. Vielmehr geht es nur darum, dass
wir etwas für unser Gemüt tun, um uns besser zu fühlen.
Wir Deutsche glauben, etwas für den Klimaschutz zu
tun. Dabei ist es uns egal, was im Rest der Welt passiert.
({4})
Die Gretchenfrage ist, wie es in den Ländern aussieht,
die irgendwann nachhaltig wirtschaften sollen. Verschiedene Kollegen, die diese Länder besucht haben, haben
festgestellt, dass dort das genaue Gegenteil passiert. In
Südamerika, Malaysia und Indonesien beispielsweise
werden riesengroße Flächen Regenwald abgeholzt. Das
geschah zwar schon früher. Aber das Gesetz und das,
was wir in Europa machen, werden die Probleme deutlich verschärfen. Wir wollen sicherlich nur nachhaltig
hergestellte Produkte. Aber wir wissen, dass wir in
Deutschland nicht in der Lage sein werden, die Probleme weltweit zu lösen, und dass das Potenzial hoch ist,
wenn es darum geht, bestimmte Regelungen zu umgehen. Wenn wir so tun, als wäre es anders, ist das scheinheilig und außerdem ein bisschen blauäugig.
({5})
Bald wird die Biodiversitätskonferenz in Bonn tagen.
Dann werden wir wieder hören, wie wichtig das alles sei.
Aber gleichzeitig verschärfen wir die Probleme in den
genannten Ländern, in denen die größte Biodiversität
vorherrscht. Wir sorgen dafür, dass noch mehr Regenwald den Kettensägen zum Opfer fällt. Das ist ein gravierender Vorgang und geht in die vollkommen falsche
Richtung.
Interessanterweise ist festzustellen, dass es hier eine
riesengroße Koalition gibt. Die FDP-Bundestagsfraktion
hat sich mit Vertretern von Umweltverbänden getroffen.
Es gibt sicherlich unterschiedliche Positionierungen.
Aber in einem Punkt sind wir uns einig: Es geht nicht
darum, einen Nachhaltigkeitsfaktor einzuführen. Die
Umweltverbände haben, genau wie wir, gesagt: Das Gesetz zur Beimischung von Biokraftstoffen läuft in die
völlig falsche Richtung. - Das Gleiche sagen Misereor,
die katholische Kirche, die evangelische Kirche, Frau
Wieczorek-Zeul, Entwicklungshilfeorganisationen und
Vertreter der SPD. Das ist eine wirklich große Koalition,
breiter geht es nicht. Jetzt zu sagen: „Wir werden versuchen, das vernünftig umzusetzen; wir haben hier EUVorgaben“, halte ich schon für einen bemerkenswerten
Vorgang.
({6})
Das ist nicht allein ein Problem der SPD und der
CDU/CSU; das war auch in der Vergangenheit so. Die
Grünen haben mit der Politik begonnen, dass wir uns das
ökologische Mäntelchen umhängen, damit wir uns ein
bisschen besser fühlen. Wir haben heute Abend eine Diskussion zu dem Thema Verpackungsverordnung. Damit
verhält es sich ähnlich. Die Menschen sollen Müll trennen, egal ob es sinnvoll ist oder nicht. Jetzt sollen sie an
der Tankstelle das Gefühl haben, dass sie Bio tanken.
Was aber im Rest der Welt passiert, ist offenbar vollkommen egal. Wenn das wirklich die Idee ist, wie wir
unsere ökologische Arbeit hier definieren, dann frage ich
mich schon, ob wir nicht ein bisschen über den Tellerrand hinausschauen sollten.
({7})
Ich denke, dass die Problematik zu dem Zeitpunkt,
wenn es wirklich darum geht - der 10-Prozent-Anteil
soll ja nicht schon im nächsten Jahr gelten -, schon so
weit fortgeschritten ist, dass Nachhaltigkeit vermutlich
leider keine Rolle mehr spielen wird, weil der Großteil
des Regenwalds, der zur Erzeugung der Rohstoffe für
Biosprit genutzt werden wird, dann schon abgeholzt sein
wird. Dass der Orang-Utan damit vielleicht seinen Lebensraum verliert, ist auch egal. Vielleicht besuchen wir
den später im Zoo. Vielleicht finden wir auch einen passenden Paten für ihn.
({8})
Dass wir die Meseberg-Beschlüsse nur umsetzen, damit wir uns besser fühlen, halte ich für ganz groben Unfug. Die FDP wird diese Ideen ablehnen. Ich kann Sie
nur bitten, im Rahmen der Beratungen von diesen Ideen
abzurücken, es anders zu machen und zu erkennen, dass
damit weder ökologisch noch ökonomisch ein Fortschritt
erzielt wird.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort erhält nun die Kollegin Katherina Reiche,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Klimaschutz und die Sicherung der Energieversorgung gehören zu den wichtigsten Themen, denen sich nicht nur
diese Koalition, sondern Deutschland insgesamt zu stellen hat. Deshalb beginnen wir heute mit den Beratungen
zu dem wohl ehrgeizigsten Klimaschutzprojekt, das je
eine Bundesregierung auf den Weg gebracht hat.
Ich möchte zunächst auf die Biokraftstoffindustrie
eingehen. Zum einen haben wir nun endlich den Bericht
vorliegen. Wir Umweltpolitiker sehen uns in unserer
Sorge um die einheimische Biokraftstoffindustrie bestätigt.
({0})
Zum Zweiten. Herr Minister, natürlich brauchen wir verlässliche Zahlen, was die Beimischung angeht; die müssen vorgelegt werden. Dafür ist aber nicht der ADAC
oder der VDA zuständig, sondern zuständig ist das Ministerium. Meines Wissens legen immer noch die Ministerien und das Parlament die Gesetzentwürfe vor und
nicht der ADAC.
({1})
Insofern brauchen wir Verlässlichkeit. Die Verunsicherung der Autofahrer muss beendet werden.
({2})
Grundlage jeder zeitgemäßen Energieversorgung ist
das bewährte Zieldreieck von Versorgungssicherheit,
Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz. Dies gilt auch für
die erneuerbaren Energien, die einen ganz wichtigen
Beitrag nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur
Versorgungssicherheit leisten. Zu unseren einheimischen Energieträgern gehören die erneuerbaren Energien; es gehören aber auch Technologien dazu, die sich
bewährt haben. Ich bin dem Koalitionspartner dankbar,
dass auch er immer wieder darauf hinweist - ich nenne
Herrn Hempelmann und andere -, dass auch mit Braunkohle in Kombination mit CCS klimapolitisch viel zu
machen ist.
({3})
Heute diskutieren wir aber über die erneuerbaren Energien, die mit 5,6 Prozent am Primärenergieverbrauch
und circa 14 Prozent am Bruttostromverbrauch ein ganz
wesentliches Element des Integrierten Klima- und Energieprogramms der Bundesregierung darstellen. Es ist das
ambitionierteste Vorhaben, das je eine Bundesregierung
auf den Weg gebracht hat. Ich bin auch überzeugt, dass
dieses große Reformprojekt der Koalition unsere Handlungsfähigkeit unterstreicht.
Wir behandeln heute zwei zentrale Elemente, die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Strom und Wärme aus
erneuerbaren Energien haben mit 41 Prozent den Löwenanteil an den bis 2020 zu erbringenden CO2-Einsparungen. Beide Gesetze sollen aber auch dafür sorgen,
dass wir bei den erneuerbaren Energien Technologieführer bleiben.
Das EEG wird international als beispielhaft angesehen. Aber sicherlich ist nichts so gut, als dass es nicht
noch besser werden könnte. Deshalb wollen wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz weiterentwickeln. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung beträgt mittlerweile 14 Prozent; das ist mehr, als viele
erwartet haben.
({4})
Er soll bis zum Jahr 2020 auf 25 bis 30 Prozent erhöht
werden.
Wir müssen aber auch die energieintensiven Industrien im Blick behalten; denn viele sind am Limit, was
die Belastungen durch Strompreise und eigene CO2-Einsparungen betrifft. So kommen wir schnell an einen
Punkt, an dem eine Rechnung klimapolitisch nicht mehr
aufgehen kann. Ich bin davon überzeugt, dass nirgendwo
auf der Welt so umwelt- und klimaschonend produziert
wird wie in Deutschland. Wir müssen deshalb auch über
Tarife und Degressionen sprechen. Es gerät leicht in Vergessenheit, dass es Sinn und Zweck der Degressionen
ist, Unternehmen durch Innovationen marktfähig zu machen. Bei vielen Besuchen in der Branche der erneuerba15242
Katherina Reiche ({5})
ren Energien haben mich immer wieder die vorhandene
große Innovationsfähigkeit und die technische Raffinesse beeindruckt. Dennoch werden Stimmen laut - und
sie sind auch nicht zu überhören -, dass einige Bereiche
überfördert sind. Ich denke zum Beispiel, dass in der
Fotovoltaik Nachholbedarf besteht. Der Anteil der zur
Verfügung gestellten Mittel steht momentan in keinem
Verhältnis zu dem, was Fotovoltaik insgesamt zur
Stromproduktion beiträgt. Ich glaube, dass Technologiesprünge dann möglich sind, wenn wir Innovationsanreize setzen. Ich denke dabei an Solarzellen der dritten
Generation.
({6})
Ein weiteres wichtiges Thema sind die sogenannten
Kombinationskraftwerke oder virtuellen Kraftwerke.
Hier stellt sich die Frage, ob wir im EEG tatsächlich die
erforderlichen Regelungen geschaffen haben, um das Zusammenspiel verschiedener Energieträger - wie zum Beispiel Wind und Biomasse oder Wind und Biogas - so zu
kombinieren und zu fördern, dass erneuerbare Energien
grundlastfähig werden. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass das noch nicht der Fall ist, dann sollten wir
nachbessern.
({7})
Mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz beschreiten wir Neuland. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Wärmebereitstellung betrug im Jahr 2006
6 Prozent und ist in den letzten Jahren nur langsam gewachsen. Die Technologien sind vorhanden; oftmals
fehlt es aber an der Marktdurchdringung, zum Teil auch
wegen fehlender Wirtschaftlichkeit. Die erneuerbaren
Energien im Wärmemarkt sind ein schlafender Riese,
den wir mit diesem Gesetz wecken wollen.
Für uns als Union waren mehrere Punkte zentral:
Zum einen sollen im Bereich Neubauten ganz klare,
auch ehrgeizige Vorgaben gemacht werden, die zu erfüllen sind. Zum anderen wollen wir eine Verstetigung des
Marktanreizprogramms erreichen, damit für die Branche
verlässliche Mittel zur Verfügung stehen, die nicht
schwanken. Aber wir haben auch darauf gedrungen, dass
im Bereich des Gebäudealtbestandes vorsichtiger vorgegangen wird. Wir sind der Auffassung, dass eine Ausdehnung auf den Altbestand dazu geführt hätte, dass entweder gar nicht oder verzögert investiert worden wäre
oder dass durch Stückelung der Investitionen die Verpflichtungen aus dem EEWärmeG möglicherweise umgangen worden wären. Diese Szenarien sind für unser
Klima eher schädlich als nützlich. Gleichwohl wissen
wir, dass die Gebäude in Deutschland zu 75 Prozent vor
1978 gebaut wurden, also energetisch nicht in dem heute
notwendigen und wünschenswerten Maß ausgestattet
sind.
Wichtig ist uns zudem, dass wir mit Anreizen arbeiten, um Klimaschutz zu realisieren. Jeden planwirtschaftlichen Ansatz halten wir für verfehlt. Wir setzen
auf Markt, auf Innovationskraft und auch auf die Findigkeit unserer Handwerker. Ohne Hightech ist in einer modernen Industriegesellschaft nichts möglich.
({8})
Mir scheint der Hinweis wichtig, dass wir das Ziel im
Auge behalten müssen, das der Minister am Anfang seiner Rede deutlich gemacht hat, nämlich die CO2-Emissionen um bis zu 40 Prozent zu reduzieren, wenn die
internationalen Rahmenbedingungen stimmen. Also sollten wir uns möglichst viele Wege dahin offenhalten und
nicht von vornherein Wege ausschließen. Das heißt auch
für das Wärmegesetz: möglichst technologieoffen vorangehen.
({9})
Ein Blick in andere Länder zeigt uns, welche Dynamik im Bereich erneuerbare Energien vorhanden ist. Repower zeigt uns, dass Länder wie Indien aufrüsten. Auch
in Kalifornien sind die grünen Technologien ein heißes
Thema. Nicht wenige meinen, dass die USA nach den
nächsten Wahlen, wenn dort andere klimapolitische Weichen gestellt werden, erneut ihre große technologische
Innovationskraft beweisen werden. Ich finde, da müssen
wir vorne mit dabei sein. Deshalb werben wir um Ihre
Unterstützung.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort erhält nun der Kollege Hans-Kurt Hill für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke
sagt: Wirksamer Klimaschutz, gute Arbeit und bezahlbare Energie, das gehört zusammen, und zwar ohne
Wenn und Aber.
({0})
Das alles geht mit erneuerbaren Energien.
Das funktioniert aber nur, wenn der Bundestag den
gesetzlichen Rahmen richtig ausgestaltet. Nach dem,
was uns vorliegt, droht der notwendige Ausbau von
Wind- und Wasserkraft, Solarenergie, Biomasse und
Erdwärme aber auf halbem Weg stecken zu bleiben. Ihre
Gesetzentwürfe, meine Damen und Herren der Koalition, sind aus der Sicht der Linken viel zu lasch ausgelegt und zum Teil absolut untauglich, was den Wärmebereich betrifft. Die Linke fordert das Parlament auf, in den
nächsten Monaten die schlimmsten Fehler zu korrigieren.
Lassen Sie mich erklären, worum es geht.
Erstens: Klimaschutz. Fest steht: Wenn wir die Erderwärmung in erträglichen Grenzen halten wollen, müssen
die Treibhausgase bis 2050 weltweit um bis zu 80 Prozent gesenkt werden. Dies bestätigen uns auch die neuesten Daten des UN-Klimarates. Deutschland ist, wie
wir wissen, weltweit einer der größten CO2-Verursacher.
Deshalb müssen wir den CO2-Ausstoß bis 2020 um minHans-Kurt Hill
destens 40 Prozent senken. Das hat auch die Bundesregierung erkannt. Die Frage ist nur, ob sie sich gegen die
Interessen der Industrie durchsetzen wird. Dieses Ziel
werden wir - da gebe ich Frau Ypsilanti aus Hessen
recht - nicht erreichen, wenn in Deutschland weiter klimaschädliche Kohlekraftwerke gebaut werden.
({1})
Das geht nämlich nur mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Allein im letzten Jahr haben Sonne,
Wind und Co. 110 Millionen Tonnen CO2 eingespart.
Zweitens. Kommen wir nun zur guten Arbeit. In der
Branche der erneuerbaren Energien arbeiten zurzeit mindestens 235 000 Menschen; Herr Gabriel hat es bereits
ausgeführt. Jedes Jahr kommen 25 000 neue Stellen
hinzu. Bei der Kohle- und Atomwirtschaft erleben wir
hingegen einen kontinuierlichen Arbeitsplatzabbau. Auch
mit neugeplanten Großkraftwerken werden hier bis 2020
mindestens 45 000 Jobs verloren gehen. Erneuerbare
Energien bringen also auch neue Beschäftigung. Natürlich müssen wir berücksichtigen, was für Arbeit entsteht.
Ich spreche von guter Arbeit. Das heißt für die Linke:
anerkannte Mitbestimmung, Betriebsräte und anständige
Bezahlung - auch für Leiharbeiter. Das ist ein wichtiger
Rahmen für eine ausgewogene Förderpolitik.
Drittens: bezahlbare Energie. Wir alle merken, wie
die Preise für Öl und Gas ins Uferlose steigen und die
großen Energiekonzerne weiter unverschämte Milliardenprofite machen. Keiner wird günstige Energieversorgung organisieren, der es zulässt, dass sich die fossilen
oder atomaren Großkraftwerke weiter in der Hand von
wenigen Energiebossen wie Eon, EnBW, RWE und
Vattenfall befinden.
({2})
Wer das verspricht, der macht den Menschen in diesem
Land etwas vor.
Dagegen senken erneuerbare Energien die Stromund Heizpreise. Sie führen zu sinkenden Preisen an der
Strombörse und zusätzlich führen sie indirekt zu Einsparungen bei Gesundheits- und Umweltkosten. Wir Linke
sagen: bezahlbare Energie, das geht nur mit Energieeinsparung und erneuerbaren Energien.
({3})
Bei diesen Rahmenbedingungen ergeben sich aus
Sicht der Linken folgende Anforderungen an die Gesetzesentwürfe der Bundesregierung:
Es gilt, den Missbrauch der Stromnetze zu verhindern. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz muss die Verhinderungstaktik der Stromkonzerne jetzt ausgehebelt werden. Der Netzausbau darf nicht länger Konzerninteressen
folgen, sondern muss dem Allgemeinwohl dienen. Das
heißt, im Interesse von Klimaschutz, Beschäftigung und
bezahlbarer Energie müssen die Stromnetze vorsorglich
für den schnell wachsenden Bereich der erneuerbaren
Energien ausgebaut werden; nach unserer Ansicht - Sie
wissen das - gehören sie in staatliche Hand.
({4})
Warum werden von RWE und Co. die Engpässe im
Stromnetz nicht beseitigt? Doch nur, um einen Grund zu
haben, Wind- und Solarparks abzuschalten, weil man
mit abgeschriebenen Kohle- und Atommeilern natürlich
mehr Geld verdient! Ich will ganz klar sagen: In meinen
Augen ist so etwas kriminell. Anlagenbetreiber im Bereich erneuerbarer Energien sind deshalb künftig für solche Ausfälle zu entschädigen. Zudem brauchen wir einen Förderbonus für kluges Einspeisemanagement,
zum Beispiel innovative Speicher für Wind- und Solarstrom.
Gut hingegen ist das Repowering, das heißt doppelter
Energieertrag bei halber Anlagenzahl. Das überzeugt
auch Windparkkritiker.
Die Ausgestaltung für die Offshorewindenergie, also
Energiegewinnung im Meer, ist ebenfalls ein guter Aufschlag.
Bei der Windkraft an Land muss die Bundesregierung, müssen aber auch die Länder jenseits des EEG
deutlich mehr Aktivität zeigen, um Hemmnisse abzubauen. Die Bauhöhenbegrenzung behindert den Bau
von neuen Windrädern in fast allen Bundesländern und
wurde unlängst auch von der EU-Kommission gerügt.
Wasserkraft ist im Einklang mit der Umwelt weiterhin
machbar. Aber eine Notiz am Rande: Wenn wir den
Schutz der Auenwälder verbessern wollen, müssen zuerst der unsinnige Elbausbau und auch das Projekt
Donaukanal gestoppt werden.
({5})
Die Solarstrombranche war in der letzten Zeit erheblich in der Kritik, was teilweise wohl auch gerechtfertigt
war. Hierbei geht es um Innovationsmüdigkeit, Ausruhen auf dem Stand der Technik usw. Erstaunlich ist allerdings, wie stark sich das im Gesetzesentwurf widerspiegelt. Ich habe mich in Betrieben in Sachsen und
Sachsen-Anhalt davon überzeugt, dass Innovation und
Entwicklung sehr wohl stattfinden. Und: Keine Branche
schafft so viele Arbeitsplätze in Ostdeutschland wie die
Solarbranche.
Was die Arbeitsbedingungen angeht, habe ich folgende Erfahrung gemacht: Mitbestimmung und faire Arbeitsbedingungen müssen Voraussetzung für eine gute
Förderung sein, und zwar ohne Wenn und Aber.
({6})
Als Abgeordneter der Linken werde ich mich für ein
starkes EEG einsetzen, mich aber auch für gute Arbeit in
der Branche verwenden. Der Linken ist es nicht gleich,
ob Menschen zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden
oder gute Arbeit geschaffen wird. Gerade in Ostdeutschland, wo die Solarbranche schnell wächst, ist das für die
Menschen von erheblicher Bedeutung. Ich erwarte, dass
die Branche hierbei mitzieht. Das wird sich dann auch in
einer fairen Ausgestaltung der Förderung widerspiegeln.
Der zweite Gesetzesentwurf, der heute vorliegt, befasst sich mit der Förderung von erneuerbaren Energien
im Wärmebereich. Es ist gut, dass CDU/CSU und SPD
den ordnungspolitischen Ansatz der Linksfraktion aufgegriffen haben.
({7})
Aber das war es dann auch schon. Was uns hier vorliegt,
ist ein schlechter Witz. Abgesehen davon, dass viel zu
niedrige Ziele gesteckt werden, soll der Einsatz erneuerbarer Energien nur in Neubauten gefördert werden. Dabei ist doch auch Ihnen klar: Das weitaus größte Potenzial liegt im Altbau, nämlich 80 Prozent. - Den wollen
Sie ausklammern. Das ist, wie gesagt, ein Witz. Hier
wird offenbar der Wohnungswirtschaft nach dem Mund
geredet, die auch schon beim Gebäudeenergiepass gegen
den Klimaschutz gewettert hat.
Aber selbst der, der neu baut, kann sich künftig um
die erneuerbaren Energien herumdrücken, wenn er bei
der Wärmedämmung ein wenig drauflegt. Hierzu haben
wir Linken folgenden Vorschlag zu machen: Wenn sich
die Bundesregierung weiter weigert, auch die Besitzer
von Altbauten beim Klimaschutz in die Pflicht zu nehmen, dann sollte sie auf das Wärmegesetz besser ganz
verzichten und lieber die Energieeinsparverordnung,
welche energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei Gebäuden regelt, anpassen.
Ein Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien im
Wärmebereich, das die Ziele „Klimaschutz“, „Beschäftigung“ und „faire Energiepreise“ ernst nimmt, muss nach
Ansicht der Linken folgende Ansprüche erfüllen:
Erstens. Es muss den Anteil erneuerbarer Energien im
Wärmesektor bis 2020 auf 20 Prozent erhöhen.
Zweitens. Neubauten sollten mindestens 30 Prozent,
Altbauten mindestens 20 Prozent ihres Wärmebedarfs
aus Solarenergie, Erdwärme oder Biomasse beziehen.
Drittens. Bei der Erfüllung dieses Vorhabens muss es
einen Vorrang für Solar- und Erdwärme geben, und Biogas muss vor flüssige Biomasse gestellt werden. Darauf
gehe ich gleich noch etwas näher ein.
Viertens. Grundsätzlich muss beim Einsatz von Bioenergie eine Pflicht zur Nutzung von Kraft-WärmeKopplung bestehen.
Fünftens. Elektrisch betriebene Wärmepumpen müssen mit Ökostrom betrieben werden, der das Zertifikat
„Grüner Strom Label“ aufweist.
Sechstens. Echte Passivhäuser sollten von der Pflicht
ausgenommen werden.
Um noch einmal auf die Bioenergie zurückzukommen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht sehr
wohl den Einsatz von Bioheizöl in einfachen Heizkesseln ohne Kraft-Wärme-Kopplung vor. Das hat zwei
Folgen:
Erstens wird auf innovative Technik wie Solarthermie
und Erdwärmenutzung verzichtet. Die Beschickung der
Heizungsanlage mit Agroheizöl ist nun einmal einfacher
als neue Technik.
Zweitens verspielt die Bundesregierung damit jegliche Chance der ökologischen und klimaverträglichen
Nutzung von Biomasse. Allein die Erhöhung der Biokraftstoffquote, die hier auch zur Beratung steht, ist eine
Absage an Klimaschutz und Beschäftigung in Deutschland.
({8})
Dabei sind sich nach meiner Einschätzung die meisten
Abgeordneten im Umweltausschuss mittlerweile einig,
dass die Biokraftstoffquote nicht zielführend ist.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat in einem Gutachten deutlich gemacht, dass eine Biospritquote über 7 Prozent auf Kosten des Naturhaushaltes
und auf Kosten anderer Biomassenutzung geht. Mehr
geben die Flächen in der Bundesrepublik Deutschland
nicht her. Die SPD will aber 20 Prozent, also das Dreifache. Das bedeutet umweltschädliche Monokulturen und
massenweise Import von Agrosprit, der in den Entwicklungsländern zu Raubbau und Vertreibung von Kleinbauern führt. Das ist mit uns nicht zu machen. Die Linke
fordert deshalb eine Rücknahme der Zwangsquote für
Biosprit. Richten Sie die Bioenergieförderung endlich
auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz aus.
({9})
Die Linke will Förderung von reinen Biokraftstoffen in
regionalen Strukturen und Vorrang für Biogas.
Ich fasse zusammen:
({10})
Erstens. Für die Linke ist das EEG zur Förderung erneuerbarer Energien im Stromsektor ein weltweites Erfolgsmodell und ohne Alternative.
({11})
Seine Ausgestaltung muss sorgfältig vorgenommen und
gegen unseriöse Behauptungen in Schutz genommen
werden. Ich blicke da insbesondere auf die Kolleginnen
und Kollegen der FDP.
Zweitens. Die Vorschläge zur Förderung erneuerbarer
Energien im Wärmebereich sind unserer Ansicht nach
das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Hier verlangt
die Linke von der Bundesregierung ein deutliches Nachlegen, wenn sie nicht an Glaubwürdigkeit verlieren will.
({12})
Drittens. Die Biokraftstoffquote stellt einen Angriff
auf kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland dar. Sie führt zu einer menschenverachtenden Produktion von Biokraftstoffen, die den Namen „Bio“ nicht
verdienen, und zum Raubbau an Regenwäldern. Nach
Ansicht der Linken gehört sie komplett abgeschafft.
({13})
Meine Damen und Herren, werte Kollegen, ich freue
mich auf die kommenden Beratungen, bei denen wir
hoffentlich gemeinsam Ihre vorgelegten Gesetze so verbessern werden, dass sie in der Tat für wirksamen Klimaschutz, gute Beschäftigung und bezahlbare Energien
stehen.
Vielen Dank.
({14})
Dirk Becker ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit einem Dreivierteljahr reden wir über die Beschlüsse von Meseberg. Heute ist endlich die Stunde des
Parlamentes gekommen. Wir befassen uns mit den ersten
Gesetzesentwürfen des dort geschnürten Pakets.
Bei der nun anstehenden Beratung über das Gesetz
zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich
und dem entsprechenden Neuregelungsgesetz im Strombereich geht es heute sicherlich um ganz entscheidende
Stellschrauben. Der Wärme- und der Strombereich sind
zwei zentrale Bereiche, an denen sich entscheidet, ob wir
es schaffen, unsere CO2-Emissionen entsprechend zu reduzieren.
Ich möchte zunächst stellvertretend für die Bundesregierung dem Umweltministerium danken. Es gab einen
straffen Fahrplan und ein umfangreiches Programm. Wir
haben allen Unkenrufen zum Trotz den Fahrplan halten
können. Das hat manchem im Ministerium einiges abverlangt. Vonseiten der SPD-Fraktion dafür zunächst
einmal herzlichen Dank.
({0})
Klar ist aber auch, dass in diesem zügigen Verfahren
zwar vieles geregelt werden konnte, manches aber noch
verbessert werden kann. Dafür sind wir schließlich da.
Wir freuen uns, dass wir diesen Spielraum sehen. Diesen
Spielraum werden wir nutzen.
Damit komme ich zum ersten Gesetzentwurf und dem
Erneuerbare-Energien-Gesetz. Noch einmal - das haben
zwei Redner angesprochen -: Frau Reiche hat Recht,
dass dies eines der erfolgreichsten Gesetze ist, die von
diesem Parlament jemals verabschiedet wurden. Darauf
sind wir stolz. Herr Meierhofer, es bringt nichts, ständig
zu sagen, dass auch Sie die erneuerbaren Energien fördern wollen. Die Tatsache, dass diese Regelungen von
über 40 Ländern übernommen wurden, ist der Beweis
dafür, dass dies das effizienteste Instrument ist. Daher
sagen Sie endlich Ja zum EEG, aber argumentieren Sie
nicht immer damit, dass Sie zwar wollen, aber nicht wissen, wie.
({1})
Das Modell der Einspeisevergütung ist das effizienteste
und auch das wirtschaftlichste. Wir werden an diesem
Modell festhalten; das ist unbestritten.
({2})
Wichtig ist aber, dass wir das System der Einspeisevergütung weiterentwickeln. Neue Aufgaben warten auf
uns; das hat Frau Reiche angesprochen. Wir müssen unser Augenmerk stärker darauf lenken, wie wir Netz- und
Marktintegration in diesem Gesetz sicherstellen. Ich bin
sicher, es wird dazu im weiteren Verfahren Lösungsansätze geben. Wir müssen sehen, wie wir beispielsweise
fluktuierende erneuerbare Energien verlässlicher in den
Energiemix einbeziehen. Hierzu werden wir weitere
Vorschläge machen. Aber auch die Anpassung der Vergütungssätze wird erforderlich sein, sowohl in einigen
Technologien nach unten - Frau Reiche hat ein Beispiel
angesprochen - als auch bei anderen Technologien nach
oben.
Man hat manchmal den Eindruck, die Windenergie
ist für viele abgeschrieben. Es wird über Offshoreanlagen und Repowering gesprochen. Aber ich sage Ihnen:
Unsere Ziele für den Ausbau, die Quoten für erneuerbare
Energien, können wir nur dann erreichen, wenn auch
weiterhin Onshoreanlagen gefördert werden.
({3})
Auch hier müssen wir schauen, ob die Vergütungssätze
ausreichend sind. Es gibt zumindest Anzeichen, dass die
Vergütungssätze tatsächlich ein Problem darstellen und
dass hier noch einmal nach oben hin nachjustiert werden
muss. Das wird im weiteren Verfahren zu prüfen sein.
Ich komme zum zweiten Gesetzentwurf, dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz. Herr Hill, Sie haben hier
ein Untergangsszenario mit den Worten geschildert, man
hätte besser nichts machen sollen. Entschuldigung, das
ist Blödsinn. Richtig ist, dass die Pflicht zum Einsatz
erneuerbarer Energien nur im Bestand greift und dass
der Anteil im Bestand pro Jahr etwa um 1 Prozent
wächst. Das ist natürlich wenig. Man kann das aufsummieren: Bis 2020 kommt dann schon ein erklecklicher
Batzen zusammen. Wir müssen also die Regelungen
zum Bestand ändern.
Aber wir haben hier in der Tat ein Problem. Ich sage
das mit dem klaren Bekenntnis, dass auch ich mir durchaus ordnungsrechtliche Verpflichtungen zum Bestand
hätte vorstellen können. Anteilig finde ich das gut. Aber
wir haben schon heute ein Vollzugsdefizit. Wer garantiert denn, dass das, was in der EnEV vorgeschrieben ist,
heute eingehalten wird? Wir alle wissen von dem Problem. Die Zahlen zeigen immer wieder, dass in der EnEV
zwar tolle Werte stehen - wir werden versuchen, sie noch
weiter zu verschärfen -, aber wer prüft sie vor Ort? Wenn
ich diese Probleme nicht lösen kann, aber im Ergebnis
den CO2-Ausstoß mindern will, dann versuche ich zunächst einmal einen freiwilligen Ansatz.
Einen Satz an die Oppositionsparteien: Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie zugeben, dass es keiner von Ihnen
für möglich gehalten hätte, dass wir das Marktanreizprogramm auf 500 Millionen Euro aufstocken. Das ist
ein Riesenerfolg dieser Bundesregierung. Das hätte keiner von Ihnen für möglich gehalten.
({4})
Ich glaube sehr wohl, dass die Menschen in diesem Land
über dieses ambitionierte Programm zu erreichen sind.
Es muss weiterhin Öffentlichkeitsarbeit betrieben werden. Auch müssen wir die Handwerker entsprechend
schulen. Dann haben wir mit diesen 500 Millionen Euro
viele Möglichkeiten, um die erneuerbaren Energien im
Wärmebereich wirklich marktfähig zu machen.
Ich sage aber auch deutlich: Der Anteil von 14 Prozent erneuerbarer Wärme, den wir bis 2020 erreichen
wollen, ist nicht der letzte Schritt, sondern der erste
Schritt. Danach wird es weitere Schritte geben. Das Ziel
lautet folgendermaßen - das kann man nachlesen -: Wir
wollen durch energetische Gebäudesanierung den Bedarf
an Wärme immer weiter absenken. Der geringe Bedarf,
der am Ende noch übrigbleibt, soll durch erneuerbare
Energien - ich füge für mich hinzu: ohne Ressourcenverbrauch und ohne Verbrennungsprozesse - gedeckt werden. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Geothermie
und insbesondere die Solarenergie. Wir müssen weg von
der Verbrennung wertvoller Biomasse und wertvollen
Mineralöls.
Dieses zweite Ziel wird nach meiner festen Überzeugung nur erreicht werden können, wenn wir jetzt zwar
auf der einen Seite festlegen, über einen längeren Zeitraum verlässlich mindestens 500 Millionen Euro zur
Verfügung zu stellen, und versuchen, die Menschen dazu
zu bewegen, diese Förderung in Anspruch zu nehmen,
auf der anderen Seite aber deutlich machen, dass es eine
Deadline gibt, und sei es in zehn Jahren. Das heißt, es
muss über längere Zeit einen Anreiz geben; aber ab dem
Zeitpunkt X - zum Beispiel 2020; ich nenne einmal diesen Zeitpunkt - muss auch im Bestand die Einsatzpflicht
bestehen. Auf diese Weise gibt es für alle einen langen
Planungszeitraum, sodass sich jeder frühzeitig überlegen
kann, schon jetzt die Förderung in Anspruch zu nehmen
oder später im Wege des Ordnungsrechtes bei einem
Heizungsaustausch auf erneuerbare Energien umzusteigen.
Ich glaube, wir werden im Interesse des Klimaschutzes und der Unabhängigkeit von Energieimporten um
diesen Weg mittel- bis langfristig nicht herumkommen.
Für mich ist eine wichtige Option, den Menschen heute
zu sagen: Nehmt den Anreiz in den nächsten Jahren in
Anspruch; ihr müsst damit rechnen, dass es irgendwann
aus den von mir dargestellten Gründen zur Pflicht werden wird.
Dies sind einige Punkte, die wir im weiteren Verfahren beraten werden. Ich bin sicher, Herr Hill, dass Ihre
Einschätzung total falsch ist. Wir werden bis 2020 mit
diesen beiden Gesetzen und mit dem gesamten Programm 36 Prozent der angepeilten Reduzierung der
CO2-Emissionen schaffen. Das ist ein ambitioniertes und
gutes Ziel, und das wird ein Erfolg dieser Koalition.
Danke.
({5})
Das Wort hat nun der Kollege Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Verehrte Besucher aus Hammelburg auf
der Tribüne! Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist einer
der größten Erfolge der grün-roten Koalition:
({0})
für den Klimaschutz, für die Sicherung der Energieversorgung und für die Senkung der Strompreise. Vor allem
bewirkte das EEG eine weltweit bestaunte industrielle
Entwicklung und weitreichende Innovationen. Das EEG
ist ein zentrales Element zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, vor allem im Osten Deutschlands. Auch am
Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre hat es einen beachtlichen Anteil.
({1})
Seit Inkrafttreten im Jahre 2000 gingen die gesamten
CO2-Emissionen Deutschlands durchschnittlich um
18 Millionen Tonnen jährlich zurück. Ohne die seit 2000
neu in Betrieb gegangenen EEG-Anlagen wären die
Emissionen in Deutschland nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. Das EEG ist das erfolgreichste Klimaschutzinstrument.
({2})
Es ist gut, dass inzwischen die Union wieder hinter
den Grundprinzipien des EEG steht, wollte sie doch
noch im Wahljahr 2005 die Einspeisevergütung abschaffen. Anders als die Liberalen hat die Union einen erfreulichen Wandel vollzogen und kämpft sogar mit uns Grünen und der SPD in Brüssel für das deutsche System der
Einspeisevergütung.
({3})
Statt des hochbürokratischen und zum Scheitern verurteilten Vorschlags der EU-Kommission eines elektronischen Handels brauchen wir ein europaweites Einspeisungssystem. Dafür werden wir Grünen uns einsetzen.
({4})
Angesichts der großen wirtschaftlichen Erfolge des
EEG wäre es folgerichtig, wenn sich die Koalition vehement für eine Stärkung aller erneuerbaren Energien im
Strombereich, im Wärmesektor, bei Treibstoffen und
auch bei der Energieeinsparung einsetzen würde. Doch
die Große Koalition ist weit davon entfernt, auch im
Wärme- und Kühlungssektor sowie beim Transport eine
ähnliche Dynamik zu schaffen. Zwar hören wir viel Rhetorik von Kanzlerin Merkel, dass man alles für den Klimaschutz tun müsse; aber im Klimaschutz- und Energiepaket der Bundesregierung finden wir davon nur sehr
wenig.
Es ist unglaublich, aber wahr: Sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundesumweltminister setzen
sich für den Bau neuer Kohlekraftwerke ein, bekanntlich die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung.
({5})
Zu Recht ernten sie damit immer mehr Bürgerproteste
statt neuer Kohlekraftwerke. Wir Grünen werden diese
neue Bürgerbewegung weiter unterstützen.
({6})
Der Ausbau der Kohlekraft und die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken wären das größte Hemmnis
für einen schnellen und dynamischen Ausbau der erneuerbaren Energien, so wie es die Branche kann und auch
will.
Viele zweifelten doch im Jahre 2000, ob wir in zehn
Jahren eine Verdopplung des Stromanteils für erneuerbare Energien hinbekommen. Die Erneuerbare-EnergienBranche schaffte sogar in sieben Jahren viel mehr. Mit
dieser Wachstumsdynamik kann die Branche sowohl
den Atomausstieg leisten und 40 Prozent CO2-Reduktion
schaffen als auch die Kohlekraftwerke ersetzen. Wir
brauchen keine neuen Kohlekraftwerke.
({7})
Das Ziel des Bundesumweltministers, einen Anteil
von 25 bis 30 Prozent erneuerbaren Energien zu erreichen, ist nicht ambitioniert. Die Branche kann und will
mehr. Das sollten wir auch akzeptieren und entsprechende Maßnahmen anstoßen.
({8})
Andererseits setzt die Verknappung der fossilen und
atomaren Ressourcen die Versorgungssicherheit aufs
Spiel, wie aktuell am nationalen Notstand in Südafrika
zu sehen ist. Wer wie die großen Energiekonzerne und
die Bundesregierung heute noch auf Atom und Kohle
setzt, sorgt dafür, dass spätestens übermorgen die Lichter
ausgehen werden. Das ist die Entwicklung, auf die wir
zusteuern.
({9})
Die Große Koalition setzt weiter auf die Besteuerung
der reinen Biokraftstoffe statt auf Steuererleichterungen.
Sehenden Auges lassen Sie die heimischen dezentralen
Ölmühlen und Biodieselanlagen in Konkurs gehen.
Stattdessen unterstützen Sie mit dem Beimischungszwang sogar die Abholzung tropischer Regenwälder.
Herr Minister Gabriel, Sie sprechen vom Urwaldschutz,
sorgen aber mit Ihrem Biokraftstoffquotengesetz für die
Abholzung genau dieser Wälder.
({10})
Auch Ihre halbherzige und ökologisch wie sozial unzulängliche Nachhaltigkeitsverordnung für Bioenergien
wird dies nicht ändern. Klimaschutz und Waldschutz sehen anders aus.
Meine Damen und Herren von der Koalition, bei Ihren Gesetzentwürfen stimmt oft nur die Überschrift, aber
nicht der Inhalt. In der Fassung, in der Sie das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vorgelegt haben, wird in
der Branche der Erzeuger von erneuerbarer Wärme die
notwendige und erhoffte Ausbaudynamik nicht entstehen, vor allem deshalb, weil Sie das große Volumen des
Altbausektors unberührt lassen. Herr Becker, es genügt
nicht, die Mittel für das Marktanreizprogramm aufzustocken; man muss auch für den Abfluss sorgen.
({11})
Unter Ihrer Regierung war bereits im letzten Jahr ein
drastischer Rückgang bei den Neuinvestitionen für Sonnenkollektoren und Holzpelletsheizungen zu verzeichnen. Das ist keine Ausbaudynamik.
({12})
Auch im Biogassektor haben Sie in Ihrer Regierungszeit bereits einen 70-prozentigen Markteinbruch zu
verantworten. Statt nun massiv entgegenzusteuern, wollen Sie in der Biogaseinspeisung zwar die Netzzugangsbedingungen ein wenig verbessern - das ist auch gut -,
aber keine Vergütung für das eingespeiste Biogas einführen. So erreichen Sie keine Dynamik im innovativen
Mittelstand.
Selbst in der von Ihnen vorgeschlagenen Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes gibt es Licht und Schatten. Es ist gut, bessere Anreize für Offshorewindanlagen
zu schaffen, aber bitte vernachlässigen Sie nicht die mittelständisch orientierte Windkraftbranche an Land.
Onshorewindräder können viel kostengünstiger und
schneller emissionsfreien Windstrom erzeugen als die
Mühlen auf dem Meer. Doch trotz gestiegener Rohstoffpreise wollen Sie die Windvergütung weiter senken und
setzen zu wenig Anreize für Repowering. Dabei haben
wir doch - ebenfalls unter Ihrer Regierungsverantwortung - seit dem letzten Jahr einen bedenklichen Rückgang bei den Windkraftneuinstallationen in Deutschland.
Auch in der Fotovoltaik setzen Sie auf willkürlich
festgelegte drastische Vergütungssenkungen, selbst auf
das Risiko hin, dass diese hochinnovative Branche
Markteinbrüche zu befürchten hat. Wir schlagen vor, die
Degression der Vergütung nicht auf Jahre hinweg festzuschreiben, sondern dynamisch an das Marktwachstum
anzubinden. Bei starkem Wachstum könnte die Vergütung stärker gesenkt werden als bei Stagnation oder gar
Investitionsrückgang. Mit unserem Modell wird es für
die Branche weiterhin verlässliche Wachstumsbedingungen geben, und gleichzeitig werden die Kosten schnell
gesenkt werden können.
({13})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der
Großen Koalition, Sie haben noch harte Arbeit vor sich,
um das Klima- und Energiepaket wirklich zu einem Klimaschutzerfolg werden zu lassen. Wir Grünen bieten Ihnen dazu unsere aktive Mitarbeit im parlamentarischen
Verfahren an,
({14})
haben wir doch in der Vergangenheit mit der Einführung
des EEG bewiesen, dass wir erfolgreich Wirtschaftspolitik und Klimaschutz zusammenbinden können. Wir bieten Ihnen faire parlamentarische Beratungen an mit dem
ehrlich gemeinten Ziel der Zustimmung der Grünen
- aber natürlich nur, wenn die Novelle des ErneuerbareEnergien-Gesetzes allen erneuerbaren Energien - Sonne,
Wind, Wasser, nachhaltig angebauten Bioenergien, Erdwärme und Meeresenergien - gute Wachstumsmöglichkeiten bietet und ein im Vergleich zum Entwurf deutlich
verbessertes Wärmegesetz für erneuerbare Energien eine
Dynamik auch im Altbausektor entfachen kann.
Herr Kollege Fell.
Denn uns muss immer wieder klar werden: Nur mit
erneuerbaren Energien und mit Energieeinsparungen
können der Klimaschutz und die Verhinderung von weiter steigenden Erdgas-, Erdöl- und Strompreisen gelingen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Lieber Herr Fell, wir haben uns - ich glaube, alle Fraktionen im Deutschen Bundestag haben das konzediert mit dem Ziel einer EEG-Verstromung von 30 Prozent im
Jahr 2020 eine ambitionierte Aufgabe gestellt. Wir müssen eine Menge dafür tun, um das auch tatsächlich zu erreichen. Derjenige, der sich tagtäglich damit befasst,
welche Investitionen in die erneuerbaren Energien
selbst, aber zum Beispiel auch in die Netze dazu notwendig sind, weiß, dass das eine Aufgabe ist, an deren Bewältigung wir hart zu arbeiten haben. Dennoch ist es so,
dass am Ende 70 Prozent des Stroms nicht aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Nur weil es populär ist,
so zu tun, als ob wir in diesem Zeitraum ohne Kohleverstromung auskämen, ist eine Täuschung der Öffentlichkeit.
({0})
Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: Wir wollen, dass
die alten Mühlen - diejenigen, die am stärksten CO2 ausstoßen - so zeitnah wie möglich abgeschaltet werden.
Dazu brauchen wir aber Neuinvestitionen, auch in Kohlekraftwerke. Wir haben ganz klar gesagt: Unsere Priorität ist dabei die Kraft-Wärme-Kopplung, die letztlich
aufgrund ihrer Effizienzgrade und ihres Wärmeausstoßes Vorteile gegenüber dem Kondensationsstrom hat.
Wir wollen im Bereich Forschung und Entwicklung Demonstrationsobjekte für die Technik der CO2-Abscheidung und -Speicherung schaffen, wohl wissend, dass
noch nicht alle Fragen beantwortet sind. Aber ich denke,
da gilt das Vorsorgeprinzip. Innerhalb des Zeitraums bis
2020 werden wir dann sehen, wo Optionen für eine weitere Kohleverstromung liegen. Aber klar ist: Wir wollen
die alten Mühlen zeitnah beseitigen. Das geht leider
nicht allein über erneuerbare Energien, sondern dazu
brauchen wir neue moderne Kraftwerke im Bereich der
Kohle.
({1})
Das ist aber nicht das Thema der heutigen Debatte.
Ich möchte mich vor allen Dingen auf die Novelle zum
Erneuerbare-Energien-Gesetz konzentrieren, auch
wenn die Aufregung groß ist, da hier Argumente angeführt werden, die offenbar dem einen oder anderen in der
Fraktion der Grünen nicht passen, weil sie mit der Realität zu tun haben.
({2})
Heute weiß mittlerweile nicht nur jeder Mediziner, dass
mit „EEG“ nicht das Elektroenzephalogramm gemeint
ist, sondern das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es ist
- das haben mehrere Redner schon gesagt - eine Erfolgsgeschichte geworden.
Gelegentlich wird der Vorwurf gemacht - heute wieder insbesondere von der FDP -, dass dieses Instrument
nicht wirtschaftlich angelegt sei und es zu Überförderungen oder Unterförderungen - wie auch immer - komme.
Der Monitoringbericht spricht eine andere Sprache:
Gerade in dieser Hinsicht ist das Instrument ein Erfolgsbeispiel. Wir haben mit den im EEG festgelegten Vergütungssätzen und Degressionsschritten offenbar - jedenfalls im Großen und Ganzen - die richtige Richtung
beschritten. Es gibt kaum Überförderungen. Da, wo es
sie gibt, werden wir sie beseitigen. Es gibt aber vor allen
Dingen keine Unterförderungen; sonst wäre dieses Instrument nicht so erfolgreich gewesen, wie es über Jahre
gewesen ist. Ich glaube, dass wir, was die Wirtschaftlichkeit dieses Instrumentes angeht, von der Grundausrichtung her noch besser werden können, aber schon in der
Vergangenheit - auch das muss man sagen - gut gewesen sind.
Ein Punkt, den wir dieses Mal besonders hervorheben
wollen, ist das Thema Netz- und Marktintegration von
erneuerbaren Energien. Ich will dazu ein paar Worte sagen; andere Kollegen werden weitere Aspekte ansprechen.
Es gibt im Gesetzentwurf eine Verordnungsermächtigung zum Thema Netzintegration. Ich glaube, dass wir
uns die Mühe machen sollten, in weiteren gesetzgeberischen Verfahren zu überlegen, was wir möglicherweise
schon jetzt nicht nur in der Verordnung, sondern auch im
Gesetz tun können, um frühzeitig mögliche Anreize dafür zu setzen, dass der EEG-Strom noch wertvoller wird,
weil er noch stetiger eingespeist wird.
({3})
Es gibt eine ganze Menge guter Ideen. Vorgeschlagen
werden zum Beispiel die Verkopplung verschiedener
Anlagen der erneuerbaren Energien - von Wind- und
Biogasanlagen beispielsweise -, die Kopplung von Angebots- und Nachfrageseite - zum Beispiel von Windenergieproduzenten und Kühlhäusern - oder innovative
Speichermöglichkeiten. Selbst die großen Energieversorgungsunternehmen denken darüber nach, ob NachtRolf Hempelmann
speicherstrom künftig für Elektroautos genutzt werden
kann. All das sind Ideen, mit denen wir uns befassen
müssen. Wir müssen überlegen, was wir gesetzgeberisch
schon jetzt tun können, um diesen Weg zu beschreiten.
({4})
Letztendlich wird das dazu führen, dass wir insbesondere bei der volatilen Windstromerzeugung die Täler
und die Spitzen abfangen können, dass wir zu mehr Volllaststunden in diesem Bereich kommen, dass der Bedarf
an teurer Regelenergie sinkt und damit der Wert des
Stroms aus erneuerbaren Energien deutlich steigt. Auch
die Netzbetreiber werden etwas davon haben; denn die
Netzstabilität wird dann selbstverständlich leichter herzustellen sein. Das ist gerade vor dem Hintergrund wichtig, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien an der
Verstromung in den nächsten Jahren deutlich steigern
wollen. Last but not least wird das die Akzeptanz dieses
Instruments sowohl in der Bevölkerung als auch in der
betroffenen Wirtschaft deutlich steigern.
Ein anderes Stichwort in diesem Zusammenhang ist
die Marktintegration. Dabei geht es darum, die Anreize
so zu setzen, dass die erneuerbaren Energien ein Stück
weit, da wo es möglich ist, von der Vergütung wegkommen. Wir müssen zu am Markt erzielten Preisen und Gewinnen kommen. In der Vergangenheit wurden diesbezüglich durchaus Fortschritte gemacht. Wir glauben,
dass da noch mehr möglich ist. Im Dialog mit der Branche sind dazu Vorschläge erarbeitet worden. Sie unterscheiden sich ein Stück weit von dem, was im Gesetzentwurf angeregt wird. Ich glaube, dass wir hier noch
einmal genau hinschauen sollten. Wir müssen Anreize
setzen, die dazu führen, dass die Erzeuger von erneuerbaren Energien schrittweise in Richtung Eigenvermarktung gehen. Wir müssen einen Schritt in Richtung Entsendung der erneuerbaren Energien in den Wettbewerb
machen. Das wird uns nicht von einem Tag auf den anderen gelingen. Wenn wir diese Schritte machen, gehen
wir aber in die richtige Richtung.
({5})
Ich bin ganz sicher, dass wir im weiteren Verfahren
den Gesetzentwurf, der im Grundsatz schon sehr gut ist,
optimieren können. Dazu sind selbstverständlich auch
die Fraktionen der Opposition herzlich eingeladen. Ich
weiß, dass es auch dort engagierte Verfechter der erneuerbaren Energien gibt. Wir wollen diese Ressourcen
gerne nutzen.
({6})
Das Wort hat nun die Kollegin Angelika Brunkhorst,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch die FDP begrüßt die Zielsetzung der EU, die
Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Überdies haben wir auch den interfraktionellen
Vorschlag des Bundestages unterstützt, nach dem eine
unkonditionierte Reduzierung um 30 Prozent bis zum
Jahr 2020 erreicht werden soll. Ebenso richtig ist das
Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch bis dahin auf 20 Prozent zu steigern.
Leidenschaftlichen Streit gibt es allerdings in mindestens zwei Punkten.
Der erste Punkt ist: Welche Instrumente wollen wir
nutzen, um die erneuerbaren Energien stärker in den
Energiemix zu integrieren? Ist das EEG wirklich der
Weisheit letzter Schluss, oder geht es, zumindest beim
Zubau, auch anders, kostengünstiger und besser? Das
EEG ist keine heilige Kuh. Hier gibt es auf jeden Fall einen Dissens.
Der zweite Punkt bezieht sich sowohl auf die erneuerbaren Energien als auch auf die Zukunft der konventionellen Energieträger. Sie, meine Damen und Herren von
der Bundesregierung - neuerdings muss ich auch einige
Kollegen von der Union ansprechen -, wollen am liebsten aus allem gleichzeitig aussteigen: aus der Kernenergie und aus der Kohleverstromung gleich mit. Das
halten wir für unverantwortlich. Das ist ein Unfug, der
ins wirtschaftliche Desaster führen kann.
({0})
Verkaufen Sie die Leute doch nicht für dumm. Umwelt- und Klimaschutz sind keine Themen für den ökologischen Neobiedermeier, sondern Energiepolitik ist
vor allen Dingen ein Hightech-Thema. Wenn Sie das
Klima von Treibhausgasemissionen entlasten wollen,
dann gelingt das nur mit Hightech auf allerhöchstem Niveau,
({1})
sowohl im Bereich der erneuerbaren Energien als auch
bei den konventionellen Kraftwerkstechnologien inklusive einer möglichen CO2-Abscheidung.
({2})
Die vorliegende Novelle des EEG ändert am Grundproblem nichts. Das EEG hat entscheidende Webfehler.
Es ist kostspielig. Das wird immer deutlicher, je mehr
Zeit vergeht. Es ist immer wieder fatal, wenn sich der
Staat anmaßt, den richtigen Preis für bestimmte Technologien zu kennen. Woher sollte der Staat dieses Wissen
nehmen? Es ist ein weiterer Fehler, den Wettbewerb zwischen den verschiedenen erneuerbaren Energien nahezu
komplett auszuschalten.
({3})
Wir von der FDP setzen dem EEG ein System der differenzierten Mengensteuerung entgegen, ein System, das
nicht sprachlos ist, wenn es um erneuerbare Wärme geht
oder um die Nutzung der erneuerbaren Energien im Bereich Verkehr.
({4})
- Das hat funktioniert.
({5})
An anderer Stelle werden wir darüber diskutieren.
Ihre Begeisterung für das EEG teilen wir nicht. Dennoch enthält die heute von Ihnen vorgelegte Novelle des
EEG einige positive Aspekte gegenüber der bisherigen
Förderpraxis. Sinnvoll ist insbesondere, dass grundlastfähigen Energien endlich ein gewisser Vorrang eingeräumt wird.
({6})
Die FDP begrüßt außerdem die Beendigung einiger
Doppelförderungen und die Tatsache, dass die Förderung regenerativen Stroms stärker als bisher einer Degression unterworfen wird und die Produzenten stärkere
Anreize haben sollen, ihren Strom auch selbst zu vermarkten. Diese Wahlmöglichkeit zwischen EEG-Förderung und Eigenvermarktung bringt die erneuerbaren
Energien zumindest ein kleines Stück näher an ihre
Marktfähigkeit.
({7})
Völlig inakzeptabel ist jedoch, dass nach der heute
vorgelegten Novelle beim EEG-Erfahrungsbericht in
Zukunft keine Ressortabstimmung mehr vorgegeben
sein soll. Noch dreister ist: Das BMU soll in die Lage
versetzt werden, zentrale Elemente des Gesetzes, nämlich die Degressionsregel und die Biomassenachhaltigkeitskriterien, nur durch Rechtsverordnung und ohne
Beteiligung der Parlamente festzulegen. So geht das
nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungskoalitionsfraktionen.
({8})
Das allein wäre für uns schon Grund genug, diese Novelle abzulehnen.
Inhaltlich negativ bewerten wir auch die zum Teil
absurden und kontraproduktiven Regelungen beim
Repowering. Es ist noch kein Offshorepark gebaut
worden, aber die Förderung für Offshorewindenergie
wird massiv erhöht.
({9})
- Ich bin noch nicht fertig.
Gerade bei der Realisierung der Offshoretechnologie
steht uns noch ein gewaltiger Kraftakt bevor. Täuschen
wir uns nicht: Es sind noch viele technische Fragen dieser Vision offen. In den Werkshallen werden gigantische
Windräder gefertigt, deren Gondeln 400 Tonnen wiegen.
Das ist Extremmaschinenbau, dessen Technik erst erprobt werden will. Nebenbei bemerkt: Die Nordsee ist
kein seichtes, zahmes Gewässer. Auch da werden wir
uns noch wundern.
({10})
Zudem sollten wir das Problem der Übertragung des
Windstroms an Land und über Land nicht vergessen. Allerorten gibt es mittlerweile Engpässe bei den Netzkapazitäten. Auch hier wünsche ich mir von den gleichen
Akteuren wie beim EEG innovative Visionen. Die Zauberworte heißen „Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung“ und „intelligente Netze“. An dieser Stelle ganz
nebenbei: Niedersachsen hat seit Dezember 2007 ein
Erdkabelgesetz. Das sind faszinierende Techniken, die
zugegebenermaßen erheblich viel Geld kosten werden.
Das dürfen wir dem Verbraucher nicht verschweigen.
Bei der Biomasseverstromung steht für die FDP fest,
dass der Einsatz von Reststoffen und Gülle verstärkt
Vorrang haben muss. Wir meinen auch, dass wir den sogenannten Nawaro-Bonus nicht zu erhöhen brauchen.
Vielmehr sollten wir durch Umschichtung den Einsatz
von Gülle und anderen Reststoffen verstärkt honorieren,
nicht zuletzt wegen der hier schon verschiedentlich angesprochenen Nutzungskonkurrenzen bei der Biomasse.
Diese Konkurrenzen wollen wir nicht noch mehr verstärken.
({11})
Nun zum Wärmegesetz. Das Ergebnis der langwierigen Diskussionen über dieses Gesetz kann nicht zufriedenstellen. Rund 37 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland entfallen auf den
Wärmebereich, also auf die Warmwasserbereitung und
die Beheizung von Gebäuden. Diesen gewaltigen Schatz
wollen Sie jetzt heben, indem Sie eine Pflicht zur Nutzung erneuerbarer Energien für das zarte Pflänzchen
Neubauten einführen. Derzeit werden pro Jahr lediglich
175 000 Neubauten realisiert. Das kann also nicht weiterhelfen.
Alle hochtrabenden Pläne, endlich einen großen Wurf
für den Wärmebereich zu erzielen, sind gescheitert. Das
Bundesumweltministerium musste im Verlauf der Ressortabstimmung eine herbe Niederlage einstecken und
den Gebäudebestand aus dem Geltungsbereich des Gesetzes gänzlich streichen. Jetzt bettelt man um weitere
Fortschritte, indem man den Umweg über die Länder
nimmt.
Die Bundesregierung versucht zudem, den Gesetzentwurf aufzupeppen und als Erfolg zu verkaufen. So verspricht sie unter § 13 Fördermittel, die in direktem Gegensatz zum Kern des Gesetzes stehen. Denn für
Anlagen, die der Erfüllung der Nutzungspflicht dienen,
kann man gar keine Fördermittel erhalten. Zudem sind
Regelungen zur Verwendung dieser Mittel bereits im
Rahmen des Marktanreizprogramms getroffen worden.
Bitte täuschen Sie die Bürger nicht durch großartige Förderversprechen und eine doppelte Buchung der Finanzmittel!
Am vorliegenden Entwurf eines Wärmegesetzes sind
auch die maßlosen Bußgeldregelungen und die Verletzung der Eigentumsrechte durch den Anschluss- und BeAngelika Brunkhorst
nutzerzwang zu kritisieren. Ist das Ihre Politik des
21. Jahrhunderts? Das kann es ja wohl nicht sein. Eigentumsrechte sind Bürgerrechte, und die sollte man schützen und nicht diskreditieren.
({12})
Die FDP hat als erste Fraktion bereits im Sommer letzten Jahres ein abgestimmtes und umfassendes Konzept
zur Nutzung der erneuerbaren Energien im Wärmebereich vorgelegt. Wir haben in unserem Antrag auf Drucksache 16/5610 dargelegt, dass dadurch große ökologische
Fortschritte erzielt werden können und die Integration des
Gebäudesektors in den Emissionshandel gelingen kann.
So könnten die Maßnahmen zur Gewinnung von Wärme
aus regenerativer Energie untereinander diskriminierungsfrei, marktwirtschaftlich, technologieoffen, wettbewerbsneutral und unter minimalem gesamtwirtschaftlichem Aufwand gefördert werden.
({13})
Leider hat das Wärmegesetz die gleichen Webfehler
wie das EEG. Man versucht, bestimmte Technologien zu
definieren und deren Anwendungs- und Nutzungsbedingungen strikt vorzugeben. Wie wir auch an der heutigen
Debatte sehen, führen solche Vorhaben immer wieder zu
einem kontinuierlichen Anpassungsbedarf an die sich
wandelnden Marktbedingungen.
Die von Ihnen vorgelegten Gesetzentwürfe enthalten,
wie schon erwähnt, durchaus positive Aspekte. Dazu gehört unter anderem der Vorrang für grundlastfähige erneuerbare Energien bei der Netzeinspeisung. Auch die
Kraft-Wärme-Kopplung verdient eine besondere Würdigung ihrer Stärken, wenn auch die geplante KWKPflicht bezüglich mittlerer Biomasseanlagen doch reichlich überzogen ist, wie es auch die absurden Anschlusszwänge sind.
({14})
Am Ende überwiegen für uns die negativen Aspekte.
Die FDP lehnt das vorgelegte Gesetzespaket ab, sowohl
aus ökonomischen als auch aus ökologischen Gründen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gute Nachricht ist: Deutschland ist und bleibt
Vorreiter beim Klimaschutz, und das nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt.
({0})
Es ist vor allem dem herausragenden Einsatz unserer
Bundeskanzlerin und ihrem sehr geschickten Agieren als
EU-Ratspräsidentin zu verdanken, dass man sich im
letzten Jahr in Europa verbindlich auf „20/20/20“ geeinigt hat: auf eine 20-prozentige Energieeinsparung, eine
20-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen
und einen 20-prozentigen Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020. Dadurch wurden der Fortschritt in Heiligendamm und der Durchbruch in Bali hin zu einer sich
abzeichnenden internationalen Lösung unter Beteiligung
aller überhaupt erst möglich.
Deutschland ist aber nicht nur Vorreiter beim Klimaschutz, sondern auch Schrittmacher und Benchmark
beim Energiesparen. Die Energieeffizienz ist ein Feld,
das leider immer etwas zu kurz kommt, obwohl es sich
hierbei eigentlich um den Königsweg der Energiepolitik
handelt. Das Bundeswirtschaftsministerium hat hierzu
ein sehr umfangreiches Paket vorgelegt. Die Bundesregierung hat im Herbst letzten Jahres entscheidende Fortschritte bei der Energieeffizienz erzielt, gepaart mit Fortschritten bei neuen Energietechnologien. Nur diesem
Fortschritt - der Entkopplung von Wirtschaftswachstum
und Energieverbrauch - ist es zu verdanken, dass wir
von den weltwirtschaftlichen Krisen und von den Ausschlägen der Preise für Rohstoffe und Energie bisher relativ wenig betroffen sind. Deshalb müssen wir diesen
Weg konsequent weitergehen.
({1})
Mit der ersten Tranche des integrierten Klima- und
Energiepaketes, die wir heute in erster Lesung behandeln, folgen den Worten des letzten Jahres weitere, entscheidende Taten. Das integrierte Klima- und Energiepaket ist ein geeigneter Ansatz, um zu erreichen, dass 2020
zwischen 25 und 30 Prozent des Stromes und mindestens
14 Prozent der Wärme aus erneuerbaren Energien erzeugt
wird. Das ist - wie auch immer man das im Einzelnen definieren will, Herr Bundesminister Gabriel - ein deutlicher Beitrag zum Klimaschutz und zur Versorgungssicherheit. Durch eine Biokraftstoffquote von 20 Prozent
oder mehr werden wir die Unabhängigkeit weiter vorantreiben. Die Union unterstützt dieses Vorhaben uneingeschränkt.
Die erneuerbaren Energien haben mittlerweile einen
Anteil von 14 Prozent; 14 Prozent unserer Energie werden somit CO2-neutral erzeugt. Hinzu kommen die ungefähr 26 Prozent unserer Energie, die in Kernkraftwerken erzeugt werden. Das heißt, bereits heute, 2008,
werden in Deutschland gut 40 Prozent des Stroms CO2frei erzeugt. Selbst wenn wir die erneuerbaren Energien
massiv ausbauen und bis 2020 einen Anteil von 25 bis
30 Prozent erreichen - vielleicht sogar 35 Prozent -,
werden diese Bemühungen nicht ausreichen. Wir handeln also mit Zitronen; denn der Anteil unseres Stromes,
der CO2-frei erzeugt wird, wird, wenn wir die Kernkraftwerke abschalten, 2020 immer noch unter dem liegen,
was wir heute haben. Die Differenz muss nämlich durch
fossile Energieträger gedeckt werden. Der Strom kommt
schließlich nicht einfach so aus der Steckdose. Insofern
kann ich nur alle auffordern - auch unseren geschätzten
und geliebten Koalitionspartner -, sich der Realität zu
stellen.
({2})
Jetzt zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das Bessere ist bekanntlich der Feind des Guten. Wir sind uns ja
einig, dass wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
für den Strombereich erreichen wollen, dass der Anteil
der erneuerbaren Energien auf 25 bis 30 Prozent steigt.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist erfolgreich, auch
was die Menge anbelangt - keine Frage. Es ist auch einfach: mit einem Fixpreis und mit einer Abnahmegarantie. Auch die Administration ist kein Problem. Aber wir
kommen - das haben wir schon gemerkt - zunehmend in
zwei Problembereiche hinein, die beim jetzigen Stand
der Vorlage des Kabinettsbeschlusses noch nicht in ausreichendem Umfange gewürdigt sind.
Das eine Problem ist der Netzausbau. Wir haben zu
wenig Netze, und wir haben die Netze an der falschen
Stelle. Wir können die Strommengen, die erzeugt werden, in die Netze gar nicht einspeisen. Wir haben also
kein Problem bei der Stromerzeugung, sondern bei der
Zurverfügungstellung des Stromes. Dafür wird und muss
die Bundesregierung - das Wirtschaftsministerium ist ja
damit befasst - im Mai mit dem zweiten Paket eine Lösung vorschlagen, die greift und trägt. Die bisherigen
Bemühungen, das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, haben bei weitem nicht die Fortschritte gebracht,
die notwendig sind. Ich will aber heute nicht im Detail
darauf eingehen; darauf kommen wir noch zu sprechen.
Das andere Problem ist die System- und Netzintegration der erneuerbaren Energien insgesamt. Wir stoßen schon heute an Systemgrenzen. Als der Anteil der
erneuerbaren Energien bei 2 Prozent, bei 4 Prozent lag,
hatten wir kein Problem. Aber schon die 14 Prozent, die
wir heute haben, bekommen wir nicht ins Netz eingespeist.
Aus unserer Sicht gibt es neben dem Netzausbau drei
Stellgrößen, die noch nicht entsprechend geregelt sind.
Erstens zur Frage der Marktintegration. Dazu werden wir konkret vorschlagen, mit einem sogenannten
Marktprämienmodell die Direktvermarktung des Stromes aus erneuerbarer Energie zu verbessern. Das beste
Kombikraftwerk ist - darüber haben viele Kollegen eben
schon gesprochen - der Markt, der mit seinen kreativen
Suchprozessen Mittel und Wege findet, die erneuerbaren
Energien untereinander oder auch die erneuerbaren mit
fossilen Energien so zu kombinieren, dass im Strombereich Fahrplanlieferungen möglich sind und Regelenergie und Ausgleichsenergie zur Verfügung gestellt werden können.
({3})
Was nützt es uns, wenn wir den Strom erzeugen, ihn
aber nicht in das System bringen können? Bei einer
Quote von 25 bis 30 Prozent wird unser System dies
nicht leisten können. Deshalb ist da Not am Mann. Wir
können nicht warten, bis das Licht ausgeht, sondern
müssen bereits jetzt im parlamentarischen Verfahren
zum Erneuerbare-Energien-Gesetz nachjustieren. Wir
sind hier für konstruktive Anregungen aufgeschlossen
und werden einen konkreten Änderungsvorschlag einbringen.
({4})
Ein zweiter Punkt bedarf näherer Betrachtung, der
noch nicht richtig im Licht der Öffentlichkeit steht, weil
es sich um eine komplizierte Angelegenheit handelt: die
Neuordnung des sogenannten Wälzungsmechanismus.
Zusätzlich zu den Differenzkosten, die 2007 bei den erneuerbaren Energien 3,3 Milliarden Euro betrugen, machen die Kosten des Wälzungsmechanismus - das sind
die neuesten Angaben der Bundesnetzagentur, die uns in
der letzten Woche mitgeteilt wurden - mittlerweile
1 Milliarde Euro aus. Das sind Kosten der Netzanbindung und der Veredlung des unsteten Stroms aus erneuerbarer Energie. Diese Kosten machen den Strom aus erneuerbarer Energie letztlich für den Verbraucher unnötig
teuer. Mit einer Neuordnung des Wälzungsmechanismus, also der Abwicklung und Abrechnung der EEGKosten, muss hieran Hand angelegt werden; dies sollten
wir in dem parlamentarischen Verfahren ganz konkret
angehen. Auch dieser Punkt liegt uns sehr am Herzen.
({5})
Als dritten Punkt spreche ich etwas an, was ebenfalls
bereits angeklungen ist. Wir wollen die erneuerbaren
Energien massiv ausbauen. Die Gelder sind begrenzt;
jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Daher
müssen wir die Gelder möglichst effizient ausgeben und
uns daran orientieren, welches die geringsten Vermeidungskosten sind, welche erneuerbare Energie bis 2020
- das ist unser Zielhorizont - den größten Beitrag liefern
kann und welcher erneuerbaren Energie es vor allen Dingen um Technologieförderung geht.
In diesem Zusammenhang müssen wir uns mit der
Fotovoltaik näher auseinandersetzen. Das BMU hat
hierzu dankenswerterweise Zahlen für den Kabinettsbeschluss vom 5. Dezember 2007 ausgerechnet, die besagen, dass es sich um eine nicht unerkleckliche Summe
handelt. Selbst in Zeiten der Bankenkrise sollte uns diese
Summe aufhorchen lassen. Bis 2020 werden Differenzkosten von knapp 70 Milliarden Euro für das Gesamtengagement bei den erneuerbaren Energien zu Buche
schlagen. Davon entfallen - wie gesagt, es sind die Zahlen von Herrn Gabriel und nicht meine - 34 Milliarden
Euro auf die Fotovoltaik. Das sind über 45 Prozent der
Gesamtkosten. Zugleich trägt die Fotovoltaik nur mit
maximal 6 Prozent zur Stromerzeugung bei. Angesichts
dessen muss schon die Frage erlaubt sein, ob wir uns im
parlamentarischen Verfahren die einzelnen Technologien
nicht hinsichtlich der Vergütungshöhe und der Degressionssätze sehr genau anschauen sollten.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wir haben
Gelegenheit, das Ganze in den weiteren Runden zu beraten.
Ich möchte Folgendes festhalten: Zu Beginn meiner
Rede habe ich gesagt: Wir sind Vorreiter und Benchmark. Wichtig ist aber, dass wir nicht in dem Sinne Vorreiter bleiben, dass wir vorangehen und uns niemand
folgt, sondern in dem Sinne, dass wir vormachen, wie es
funktioniert. Es funktioniert aber nur, wenn wir im Hinblick auf den Klimaschutz das energiepolitische
Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit erfüllen. Gelingt uns
dies, werden uns andere Länder wie die USA, China
oder Indien folgen.
Lassen Sie uns in diesem Sinne den vorliegenden Gesetzentwurf weiter optimieren. Dann können wir es erreichen, die drei von mir genannten Punkte unter einen
Hut zu bringen. Wir sind dazu bereit und freuen uns auf
eine konstruktive Diskussion.
Vielen Dank.
({0})
Bärbel Höhn ist die nächste Rednerin für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Pfeiffer hat eben noch einmal auf den Ausgangspunkt der heutigen Debatte über die vorliegenden
Gesetzentwürfe hingewiesen: Das war die Diskussion
über den Klimaschutz im letzten Jahr. Ich muss ehrlich
sagen, dass ich es gar nicht so schlecht fand, als sich die
Kanzlerin auf der großen Konferenz in Heiligendamm
für den Klimaschutz eingesetzt hat. Das war schon eine
Verbesserung gegenüber dem früheren Kanzler
Schröder, der die Wertigkeit des Klimaschutzes nicht erkannt hatte. Insofern war es gut, dass eine ehemalige
Umweltministerin Kanzlerin geworden ist; sie versteht
ihr Geschäft.
({0})
- Vielen Dank. Das wollte ich erreichen.
Jetzt frage ich aber, was daraus geworden ist.
({1})
Heute geht es um den ersten großen Schritt zur Umsetzung dessen, was vor einem Jahr versprochen worden
ist. Interessant ist, dass das Vorhaben nicht als Klimapaket, sondern als EEG bezeichnet wird. Wir reden nicht
über das Klimapaket, um das es eigentlich geht, sondern
über das Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Hans-Josef Fell hat recht, was den Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes angeht. Es ist in der Tat das
Herzstück des Klimaschutzes. Das EEG war aber nicht
die Idee der Schwarzen, sondern ist von Jürgen Trittin
und den Grünen angeschoben worden.
({2})
Wenn man der Frage nachgeht, was im vergangenen Jahr
aus dem EEG geworden ist, dann stellt man fest, dass
das Herz des Klimaschutzes zu stottern beginnt.
({3})
Im vergangenen Jahr gab es 25 Prozent weniger Investitionen in Windkraft und 60 Prozent weniger Investitionen in Biogasanlagen, und das bei einem Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Sie zu verantworten haben.
Sie schwächen das Herzstück des Klimaschutzes. Das ist
nicht in Ordnung. Wir brauchen ein starkes EEG, um
beim Klimaschutz voranzukommen.
({4})
Das Klimapaket der Bundesregierung hat drei große
Schwächen. Erstens hat es große Lücken. Deshalb reden
wir heute über das EEG. Zweitens schrumpft das ehrgeizige Klimaschutzpaket von Tag zu Tag. Drittens ist es
zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht.
Lassen Sie mich auf die Lücken eingehen. Ich finde
es interessant, dass auch Herr Hempelmann sofort darauf
eingegangen ist. In der Debatte ist nicht die Rede von
Steinkohlekraftwerken. Das ist aber notwendig. Wenn
es um Klimaschutz und CO2-Reduktion geht, dann müssen wir auch über Investitionen in neue Kohlekraftwerke
in Deutschland diskutieren. Denn sie sind der größte
Feind des Klimaschutzes.
({5})
Sie haben darauf hingewiesen, Herr Hempelmann,
dass es nur noch moderne Anlagen gibt. - Sie haben sich
in die letzte Reihe gesetzt. Da gehören Sie auch hin.
Frau Höhn, die Übertragungsanlage reicht aus, um
den Kollegen Hempelmann mit diesen Botschaften auch
in der dritten und vierten Reihe zu erreichen.
({0})
Okay.
Dann lassen Sie uns den Blick auf das Kohlekraftwerk in Hamburg richten. Der CO2-Ausstoß dieses modernen Kraftwerks beträgt 9,2 Millionen Tonnen. Das
entspricht dem CO2-Ausstoß von 3 Millionen Autos, die
20 000 Kilometer pro Jahr fahren.
({0})
Der Bau großer Kraftwerke macht jeden Klimaschutz
zunichte.
({1})
Das ist die Achillesferse Ihrer Klimaschutzpolitik.
Minister Gabriel hat in der Braunschweiger Zeitung
festgestellt - Zitat -:
Es macht mir Sorge, dass jetzt bereits geplante
Standorte für neue Kraftwerke infrage gestellt werden. Das ist gefährlich: …
So hat jeder seine Sorgen. Die Anwohner sind in Sorge
um ihre Gesundheit und Lebensumgebung.
({2})
Die Umweltverbände haben Sorge um das Klima. Und
der Umweltminister hat die Sorge, dass nicht genug
Kohlekraftwerke gebaut werden. Das ist das Problem
dieser Politik.
({3})
Wenn man sich damit befasst, was die CDU/CSU fordert, stellt man fest, dass sich eine tolle Allianz gefunden
hat. Frau Reiche fordert mehr Braunkohlekraftwerke,
die, wie wir wissen, die größten Klimakiller dieser Republik sind. Herr Pfeiffer sagt, am besten sei eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke. Das alles
stellt Ihnen beim Klimaschutz ein Armutszeugnis aus.
So darf es nicht sein.
({4})
Schauen wir uns einmal an, was aus dem großen Klimapaket geworden ist, das der Umweltminister vor
einem halben Jahr vor dem Gipfel von Meseberg vorgelegt hat. Er hat gesagt, elektrische Nachtspeicherheizungen müssten ab 2009 verboten werden. Ist das im
Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, das Dienstwagenprivileg müsse gekappt werden. Ist das im Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, die Maut müsse
auf Lkws ab 7,5 Tonnen ausgeweitet werden. Ist das im
Klimapaket drin? Nein. Dann hat er gesagt, die KfzSteuer müsse auch bei Altfahrzeugen auf den CO2-Ausstoß umgestellt werden. Ist das im Klimapaket drin?
Nein. Dieses Klimapaket schmilzt von Tag zu Tag. Es
wird immer weniger. Schließlich wird nichts mehr übrig
bleiben.
({5})
Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz wird auf
Neubauten beschränkt. Altbauten sind nicht mehr im Paket. Das Gros, bei dem man wirklich etwas tun könnte,
ist also ausgenommen. In der Realität, wenn es um das
Ganze geht, machen Sie schlechte Politik. Das nutzt dem
Klima nicht, sondern schadet ihm.
({6})
Herr Minister Gabriel, ich habe den Eindruck, dass es
sich beim Klima- und Energiepaket wie mit dem Gletschereis im Klimawandel verhält. Jedes Mal, wenn man
hinschaut, sind die Eisberge geschrumpft. Das ist kein
gutes Zeichen, auch nicht für die Eisberge.
({7})
Ich möchte noch - das wurde bereits mehrfach angesprochen - auf die Biokraftstoffe eingehen. Das ist in
der Tat ein spannender Punkt. Hier gilt das Motto: Gut
gemeint, aber schlecht gemacht. Schauen wir uns die
von der Bundesregierung vorgeschlagene Beimischungsquote an. Sie treiben mit dieser Quote einen großen Teil
unserer Wirtschaft, die kleinen und mittelständischen
Betriebe, die sich im Bereich der erneuerbaren Energien
und Biokraftstoffe engagieren, in die Insolvenz und stärken die großen Mineralölkonzerne. Das führt zu Monokulturen und zu einem nicht nachhaltigen Anbau von
Pflanzen, aus denen Biokraftstoffe gewonnen werden.
Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik.
({8})
Deshalb hat der Bundesrat auch kürzlich gesagt:
Wenn 10 Prozent Biokraftstoffe beigemischt werden
müssen, müssen 1,5 Millionen Autofahrer Superbenzin
tanken, weil ihre Fahrzeuge nicht über die entsprechende
Technik verfügen. Herr Gabriel, auch hier heißt es wieder einmal: Gut gemeint, aber schlecht gemacht. Die
Ausführung Ihrer Vorhaben ist Pfusch. Das werden wir
weiter so benennen.
({9})
In einem Punkt hat Herr Gabriel allerdings recht.
Wenn wir einen nachhaltigen Anbau gerade im Bereich
der Biomasse haben wollen, dann können wir uns nicht
allein auf Biokraftstoffe beschränken; denn wenn der
Regenwald abgeholzt wird, ist es egal, ob das Palmöl in
den Autotank geht oder für Lebensmittel verwendet
wird. Wir müssen den Regenwald vor nicht nachhaltigem Anbau und Rodungen schützen. Deswegen müssen
wir Biokraftstoffe und Lebensmittel gleich behandeln.
Das wäre der richtige Weg.
({10})
Frau Kollegin Höhn!
Letzter Satz. Ich weiß Bescheid. Ich sehe Sie aufleuchten.
({0})
- Manchmal leuchtet auch der Präsident, finde ich.
Ein leuchtender Präsident schadet dem Parlamentarismus nicht.
In die EU werden 5 Millionen Tonnen Palmöl eingeführt. Davon sind 80 Prozent für Lebensmittel und Kosmetika bestimmt. Auch das müssen wir stoppen.
({0})
Lieber Herr Präsident, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Geduld. Ich finde, dieses Paket ist
schlecht gemacht. Pfusch im Gesetzgebungsverfahren,
ein schrumpfendes Klimapaket, Lücken beim Verkehr
und Ja zur Kohle, das alles geht nicht. Das ist ein Nein
zum Klimaschutz. Das ist nicht gut für den Klimaschutz.
Vielen Dank.
({1})
Frau Kollegin Höhn, es schadet dem Parlamentarismus gewiss nicht, wenn der Präsident leuchtet. Aber es
hilft der Einhaltung der vereinbarten Debattenzeiten,
wenn das Aufleuchten der Lampe am Rednerpult zu einer baldigen Beendigung der Rede beiträgt.
({0})
- Sehr schön. Schauen wir einmal, ob es in der weiteren
Debatte hilft.
Nun hat das Wort der Kollege Rainer Fornahl für die
SPD-Fraktion.
({1})
Vielen Dank, Herr Präsident, für die einleuchtenden
Anmerkungen zum Umgang miteinander.
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Werte Kollegin
Höhn, Sie sollten nicht nur Hohn und Häme versprühen,
sondern Sie sollten auch immer daran denken, dass das
Mögliche und das Machbare zusammengeführt werden
müssen. Genau das ist, glaube ich, mit dem IKEP insgesamt und den konkreten Vorgaben, über die wir heute
diskutieren, ein gutes Stück weit auf den Weg gebracht
worden. Wir werden am Ende des Tages sehen, ob wir
die ambitionierten Ziele erreichen, sodass wir alle damit
zufrieden sein können. Ich kann Sie alle einladen, daran
konstruktiv mitzuarbeiten. Halten Sie keine Wahlkampfreden, auch wenn am Sonntag in Hamburg Wahlen stattfinden!
({0})
Ich will vom eher unverbindlichen Allgemeinen zum
Konkreten kommen und auf einen Aspekt hinweisen, der
eine zentrale Rolle beim IKEP und beim Klimaschutz
spielt, und zwar auf den Gebäudebereich. Der Gebäudebestand in Deutschland umfasst 17 Millionen Wohngebäude mit ungefähr 40 Millionen Wohneinheiten.
40 Prozent des Endenergieeinsatzes in der Bundesrepublik Deutschland werden für das Heizen und das Kühlen
in diesen Bestand gesteckt. Darin steckt ein gewaltiges
Potenzial, das wir gemeinsam heben müssen. Dazu haben wir mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
einen ersten Vorschlag gemacht, der wichtige Rahmenbedingungen umfasst. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien in der gesamten Bandbreite bis 2020
auf 14 Prozent anheben. Das ist nicht das Endziel. Das
geht nach 2020 selbstverständlich noch weiter.
Wir wollen aber dabei nicht vergessen, dass man auch
mit Kraft-Wärme-Kopplung eine ganze Menge Energie einsparen kann. Beide Aspekte müssen gemeinsam
berücksichtigt werden. In diesem Gesetz geht es auch
um quartiersbezogene Lösungen, also um die dezentrale
Erzeugung von Strom und Wärme. Insbesondere diese
zu fördern, ist gut und richtig. Die finanzielle Förderung
in der Größenordnung von 500 Millionen Euro für diesen Bereich kann sich durchaus sehen lassen. Mit diesem
Geld kann man eine ganze Menge bewirken.
({1})
Ich bedauere ein Stück weit, dass wir den Altbaubestand aus dem Gesetzentwurf genommen haben. Aber
das liegt an den realen Möglichkeiten und der Machbarkeit. Wir setzen auf die entsprechenden Anreizprogramme. Ich denke, dass im Zusammenhang mit den
Vorgaben der EnEV die Eigentümer von Einfamilienhäusern oder die Eigentümer von großen Wohnanlagen
ein eigenes Interesse daran haben, Maßnahmen zur
Energieeinsparung zu ergreifen, die notwendige energetische Sanierung und Modernisierung in die Wege zu leiten und erneuerbare Energien einzusetzen.
Ich will noch auf eines verweisen: Das Gesetz enthält
eine Klausel, die es den Ländern erlaubt, mehr zu tun,
als in dem Rahmengesetz des Bundes vorgesehen ist.
Baden-Württemberg hat schon etwas auf den Weg gebracht. Ich finde es sehr interessant, dass das Land Berlin mit den Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen eine Vereinbarung unterzeichnet hat, die die
Umsetzung von Energiesparmaßnahmen und den Abbau
von Hemmnissen, Energiesparmaßnahmen zu ergreifen,
vorsieht. Das ist ein nachahmenswertes Beispiel. Dem
sollten alle Länder nacheifern; denn nach der Föderalismusreform I sind die Länder für den Wohnungsbereich
und den Baubereich zuständig. Die müssen dann natürlich den einen oder anderen Euro in die Hand nehmen.
Darauf sollte man an der Stelle verweisen.
Neben dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und
der EnEV, die ich schon angesprochen habe, sind wichtige Instrumente insbesondere die Einführung der Energieausweise und - eine Erfolgsgeschichte par excellence das CO2-Gebäudesanierungsprogramm.
({2})
Das muss man immer wieder erwähnen, und man muss
die Größenordnung darstellen. Für den Zeitraum 2006
bis 2009 geben wir über 4 Milliarden Euro aus. 400 000
Wohnungen wurden bereits saniert. Diesen Weg wollen
wir weitergehen. Wir wollen über ergänzende und
zusätzliche Maßnahmen im sozialen Bereich in den
Kommunen - energetische Sanierung von Schulen, Kindergärten, Turnhallen usw. - und auch bei den Bundesbauten im Rahmen von Programmen erhebliche Mittel in
die Hände nehmen - 600 Millionen Euro werden den
Kommunen und 120 Millionen Euro für die energetische
Sanierung von Bundesbauten zur Verfügung gestellt -,
damit in diesen Bereichen eine energetische Sanierung
durchgeführt werden kann. So wird die Umsetzung der
entscheidenden Aspekte, nämlich Energieeinsparung
und Energieeffizienz auf der einen Seite und die Nutzung von erneuerbaren Energien auf der anderen Seite,
ermöglicht.
Damit wird alleine schon für diesen Sektor deutlich,
dass wir, die Koalition, gemeinsam durchaus in der Lage
sind, bei einer ambitionierten Zielsetzung mit Ordnungsrecht und Marktanreizen auf Bundesebene das Nötige
und Machbare zu fördern. Wir sind schon jetzt in der
Lage - und werden dies auch in Zukunft sein -, bei den
klassischen Formen von Energie immer wieder eine
Schippe draufzulegen - eine Mütze Wind oder ein paar
Sonnenstrahlen, um bei dem Bild zu bleiben -, um die
erneuerbaren Energien zu stärken.
Mit diesem Paket, über das wir heute in erster Lesung
diskutieren, sind wir, so meine ich, auf einem guten
Wege. Ich kann Sie alle nur ermuntern, an der weiteren
Diskussion aktiv und konstruktiv teilzunehmen.
Vielen Dank.
({3})
Dr. Georg Nüßlein ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau
Höhn hat gesagt, die Koalition bringe das Herz des Klimaschutzes, nämlich das EEG, zum Stottern. Frau Höhn,
ich sage Ihnen eines: Ihnen dabei zuzuhören, wie Sie
sich ereifern und laut und schrill Ihre Meinung vortragen, geht mir aufs Herz,
({0})
insbesondere dann, wenn Sie bei der Gelegenheit auch
noch die Unwahrheit behaupten.
({1})
Denn eines muss man einmal deutlich sagen: Das von
Ihnen viel gerühmte - und auch zu Recht gerühmte EEG geht auf das Stromeinspeisegesetz der Union zurück. Das dürfen Sie nicht vernachlässigen.
({2})
Warum sollten wir denn gegen etwas sein, das wir ursprünglich maßgeblich mit angestoßen haben?
({3})
Dabei geht es natürlich auch um ein Instrument für den
Klimaschutz. Dieses Thema wird politisch dominant,
und das zu Recht.
Obwohl nur 3,2 Prozent der klimaschädlichen Gase in
Deutschland emittiert werden, haben wir als Industriestaat eine Vorbildfunktion für andere. Dieser Vorbildfunktion können wir aber nur dann gerecht werden,
wenn es uns gelingt, Ökonomie und Ökologie sinnvoll
zueinanderzubringen. Das muss doch sozusagen die
Überschrift für alle Gesetze sein, die wir heute unter diesem Tagesordnungspunkt beraten.
({4})
Um beim EEG zu bleiben: Es geht dabei natürlich
auch um Versorgungssicherheit und Ressourcenschonung. Gestern gab es die Meldung, Lukoil dreht den Ölhahn zu. Das ist natürlich ein Thema, um das wir uns
kümmern müssen. Es geht aber auch um die Themen Innovationsförderung und Erschließung von Schlüsseltechnologien. Gerade mit Blick auf diesen Bereich sollten wir im Rahmen der Novellierung des EEG noch
einmal darüber nachdenken, wie wir es zielorientiert erreichen, neue Technologien, zum Beispiel im Bereich
der Fotovoltaik oder der Geothermie, zu fördern, und
zwar ohne auf der einen Seite riesige Differenzkosten zu
produzieren und auf der anderen Seite die Strukturen,
die unbestritten auf Basis des EEG geschaffen worden
sind, zu zerstören.
({5})
Ich bestreite nicht, dass es insbesondere vielen Kolleginnen und Kollegen von der CSU darum geht, mit diesem Gesetz Regional- und Strukturpolitik zu machen. Im
Bereich der Landwirtschaft ist uns einiges gelungen.
({6})
Ich sage aber auch: Damals hatten wir andere Ansätze.
Es ging darum, wie man Boden und Fläche aus der landwirtschaftlichen Produktion herausnimmt. Auch in diesem Bereich müssen wir darüber reden, ob nicht das eine
oder andere angepasst werden muss. Freiflächenanlagen
für Fotovoltaik auf dem besten Ackerland - das muss
aus meiner Sicht überhaupt nicht sein.
({7})
Außerdem müssen wir uns überlegen, wie wir im gesamten Bereich der Biomasse einvernehmlich etwas zustande bringen.
Mit dem EEG machen wir aber auch ein Stück weit
Wettbewerbspolitik. Ich sage deutlich: Der vielzitierte
Markt in diesem Bereich ist nicht so, wie wir uns ihn
vorstellen. Wir haben vier große Versorger. Ohne Einspeiserechte kann man nicht sicherstellen, dass kleine
und mittelständische Stromproduzenten in den Markt
eintreten können. Ich wiederhole: Ohne diese Rechte
geht es nicht. Deshalb stehen wir in ganz besonderer
Weise zum EEG als Wettbewerbsinstrument.
({8})
Wenn man sich diese Politikfelder anschaut, dann erkennt man, dass man die Differenzkosten, von denen
heute schon die Rede war, nicht einseitig der Klimapolitik zuordnen darf. Man muss aber berücksichtigen, dass
es diese Kosten gibt, und man muss darauf entsprechend
reagieren. Wir tun das über die Härtefallregelung für die
energieintensiven Industrien. Diese Regelung ist dort
wichtig, wo wir aus physikalischen Gründen keine Möglichkeiten haben, die Energieeffizienz zu erhöhen.
Aus meiner Sicht müssen wir dort noch mehr tun, wo
sich soziale Härten ergeben. Herr Hill, Sie haben das
Thema Altbauten und Wärmegesetz angesprochen. Ich
hätte hören wollen, was Sie gesagt hätten, wenn wir das
gemacht hätten, was Sie hier vorschlagen; dann wären
nämlich die Mieten gestiegen. Ich kann mir gut vorstellen, was für ein Lamento von Ihnen gekommen wäre. Es
ist richtig, sich hier zunächst einmal auf Neubauten zu
konzentrieren.
Das Gleiche gilt übrigens für das Thema Mobilität.
Mobilität ist ein hohes Gut für die Menschen auf dem
Land, insbesondere für die einfachen Leute dort. Wir haben leider die Pendlerpauschale kassiert. Wir haben das
gegen den Widerstand vieler, auch in der Union, getan,
die diese Sache anders gesehen haben. Man muss sich
die Frage stellen: Wie geht das weiter?
Damit sind wir bei dem Thema Steuerpolitik. Ich
sage in aller Klarheit: Allen, die heute behaupten, EEG
und KWK seien Preistreiber, halte ich immer wieder entgegen, dass ein erheblicher Teil der Verteuerung durch
die Steuerpolitik verursacht wird. Ein Durchschnittshaushalt, also ein Haushalt mit drei Personen, zahlt für
den Strom heute 60 Euro pro Monat. 20 Euro davon entfallen auf Steuern und Konzessionsabgabe, 2,85 Euro
gehen auf das EEG zurück.
({9})
Man muss sich vielleicht einmal Gedanken darüber machen, wie man an dieser Stelle das eine oder andere ausgleicht.
({10})
Wir reden heute über die Novellierung des EEG. Dabei müssen wir natürlich über den Tellerrand hinausschauen. Der Kollege Pfeiffer hat dankenswerterweise
das Thema Netze angesprochen. Einen Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien, wie wir uns ihn vorstellen, gibt es nur, wenn wir Hochspannungstrassen
bauen. Es geht nicht alles auf einmal. Wir haben mit einigen Widersprüchen zu kämpfen: Wir wollen auf der einen Seite erneuerbare Energien und auf der anderen
Seite keine Hochspannungstrassen; wir wollen auf der
einen Seite Wasserkraftwerke und auf der anderen Seite
die Verschärfung des Wasserhaushaltsrechts, um dadurch einen Beitrag dazu zu leisten, dass in diesem Bereich am Ende weniger produziert wird; wir wollen auf
der einen Seite auf dem Gebiet der Wärmeerzeugung zusätzliche erneuerbare Energien einsetzen und auf der anderen Seite die BImSchV so weit verschärfen, dass
7,25 Millionen Einzelraumfeuerungsanlagen bis zum
Jahr 2024 auszutauschen sind. Das passt doch nicht zusammen. Ich bitte, hier auch darauf zu achten - wir werden das als Koalitionspartner sicherlich tun -, dass hier
letztendlich auch die Konsistenz stimmt.
({11})
Ich füge hinzu: Was die Biomasse angeht, wollen wir
natürlich keine Maismonokulturen. Wir brauchen eine
gute landwirtschaftliche Praxis.
Was wir überhaupt nicht wollen, ist das Abholzen der
Regenwälder. An dieser Stelle hat Frau Höhn recht: Es
kommt nicht darauf an, wozu der Regenwald abgeholzt
wird: für die Lebensmittelproduktion, für die Futtermittelproduktion - die Futtermittel fließen am Schluss ebenfalls in die Lebensmittelproduktion -, für die Kosmetikaproduktion oder zur Verwertung als Energierohstoffe.
Wir müssen da etwas tun. Das geht aber nur, wenn man
ein Zertifizierungssystem einführt. Außerdem muss man
eine WTO-konforme Übergangslösung schaffen - der
Herr Minister hat gesagt, dass das geht -, durch die ausgeschlossen wird, dass bei uns Palmöl auf den Markt
kommt, für dessen Produktion Regenwälder abgeholzt
werden.
Erfolg haben wir nur, wenn wir den Regenwäldern
vor Ort, zum Beispiel in Indonesien, die nötige Bedeutung zukommen lassen. Das heißt, ein Teil der Versteigerungserlöse muss so eingesetzt werden - und zwar nicht
nur national, sondern auch international -, dass diejenigen, die den Regenwald wegen ihrer Armut abholzen,
eine Entschädigung erhalten, wenn sie das nicht mehr
tun. Auch das ist eine ökonomische Frage.
Letzte Anmerkung. Natürlich waren wir bei der Entscheidung zum Biokraftstoff nicht konsistent im Hinblick auf das, was man aufgrund der Klimadiskussion
hätte erwarten dürfen. Wir müssen das jetzt korrigieren.
Angesichts dessen, was da auch von der EU an Anforderungen auf uns zukommt, Herr Minister, dürfen wir jetzt
nicht erst einmal die nationalen Kapazitäten zerschlagen,
um dann am Ende zu schauen, woher der Stoff zur Beimischung kommt.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat nun der Kollege Marco Bülow, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
finde es schon interessant, bei solchen Debatten zu hören, wer alles die Väter und Mütter eines Projekts - hier
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG - sind.
Wir haben gerade schon ein bisschen gewitzelt. Wahrscheinlich muss man das bis zu Bismarck oder vielleicht
noch weiter zurückverfolgen, bis man den Vater oder die
Mutter gefunden hat. Wie dem auch sei: Ich finde es gut,
dass sich immer mehr zum Erneuerbare-Energien-Gesetz bekennen. Wahrscheinlich werden wir in 20 oder
30 Jahren eine Debatte haben, in der auch die FDP sagt,
dass sie das EEG erfunden hat. Das würde mich freuen;
denn dann wären wir alle zusammen.
({0})
Wichtig ist, dass wir dieses Gesetz jetzt fortentwickeln und noch einmal betonen, welch immense Bedeutung die erneuerbaren Energien innerhalb des Klimaschutzes haben. Ich will die Zahl noch einmal nennen:
110 Millionen Tonnen CO2 sind dadurch letztes Jahr eingespart worden. Wenn wir mit den erneuerbaren Energien nicht so weit wären, wie wir sind, hätten wir über
ein ganz anderes Klimapaket zu diskutieren und müssten
noch viel mehr machen. Deswegen müssen wir daran
weiterarbeiten.
({1})
Frau Höhn, es gibt bestimmte Sachen, über die wir
uns auseinandersetzen können, über die es eben keine
Übereinstimmung gibt. Aber konstruieren Sie doch bitte
keine Gegensätze, wo es keine gibt. Die meisten von uns
sind für das EEG. Dann lassen Sie uns doch gemeinsam
schauen, wie wir das EEG fortentwickeln und die erneuerbaren Energien weiter vorantreiben!
Dass das Klimapaket schrumpft, trifft einfach nicht
zu. Wir haben den ersten Teil des Klimapakets vorgestellt. Das ist genau so geblieben, wie es am Anfang in
Meseberg besprochen und von Sigmar Gabriel, unserem
Umweltminister, und anderen Ministern vorangetrieben
worden ist.
({2})
- Das ist genau so geblieben, wie es besprochen worden
ist. Der zweite Teil des Pakets folgt. Das wird um die anderen Punkte, die Sie zum Teil erwähnt haben, also noch
ergänzt.
({3})
Kollege Bülow, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Immer doch.
Herr Kollege Bülow, Sie haben behauptet, das Klimapaket sei genauso eingebracht worden, wie es in Meseberg beschlossen worden sei. Aber wir haben gerade
festgestellt, dass im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
der gesamte Bereich Altbau fehlt. Können Sie bestätigen, dass ebendieser Bereich Altbau in Meseberg noch
drin war, aber mittlerweile fehlt, das Paket also auch in
diesem Punkt geschrumpft ist?
({0})
Es gibt sicherlich Punkte, in denen es nicht so ist, wie
es in Meseberg besprochen worden ist.
({0})
Das heißt aber nicht, dass Gesetze insgesamt fehlen. Außerdem diskutieren wir ja jetzt im Parlament noch über
diese Gesetze.
({1})
Da müssen wir natürlich schauen, das einzubeziehen.
Aber Fakt bleibt: Die Gesetze, die in Meseberg beschlossen worden sind, sind auch so eingebracht worden.
Wie sie aussehen, ist eine andere Frage. Aber darüber
diskutieren wir jetzt im Parlament.
({2})
Der erste und der zweite Teil des Pakets insgesamt
sind ein Start in die Klimaschutzpolitik. Etwas anderes
sagt niemand, auch niemand in der Regierung. Trotzdem: Es ist der beste und stärkste Start, den es in Europa
überhaupt gibt. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.
({3})
Ich muss doch noch einen Satz zu Herrn Pfeiffer sagen. Herr Pfeiffer, Sie können es mit Ihrer Atomkraft ja
nicht lassen.
({4})
Sie müssen natürlich damit rechnen, dass es eine Antwort darauf gibt. Sie stellen eine Milchmädchenrechnung auf. Sie haben sehr viel über Energieeffizienz gesprochen. Da stimme ich Ihnen in allen Punkten zu. Aber
diese Effizienz müssen Sie dann auch einbeziehen. Sie
sagen, im Strombereich erbrächten Atom und erneuerbare Energien gemeinsam über 40 Prozent. Wenn wir die
Energieeffizienz aber steigern, brauchen wir nicht mehr
100 Prozent der Energie, sondern viel weniger,
({5})
und dann kommen wir mit den erneuerbaren Energien
auch hin.
({6})
Die Kombination von Effizienz und erneuerbaren Energien macht es.
Ich möchte noch ganz kurz auf die Diskussion zum
Thema „Urwald, Regenwald, Palmöl“ eingehen; diese
Diskussion ist zum Teil ja berechtigt. Ich habe nur das
Gefühl, dass die Diskussion über diese durchaus kritischen Punkte ein wenig in eine Hetzkampagne ausartet.
Deshalb meine ich, dass man sie wieder auf die Füße
stellen sollte. Es ist nämlich vollkommen daneben und
vollkommen falsch, die Zerstörung von Regenwäldern
alleine auf die vermehrte Nachfrage nach Palmöl für
Biokraftstoffe zurückzuführen. Wir müssen genauso
- das hat der Umweltminister zu Recht gesagt - über
drei andere Faktoren diskutieren. Der erste ist der Sojaanbau. Dieser ist nämlich immer noch der „Hauptschuldige“, weil zum Decken des Bedarfs an Tierfutter
viele Sojaflächen ausgewiesen werden. Der zweite ist
der Holzeinschlag aufgrund der Nachfrage nach tropischen Hölzern. Zum Dritten landen 90 Prozent des
Palmöls, das von Deutschland importiert wird, in Kosmetika und Lebensmitteln. Auch das wurde hier schon
angesprochen. All das muss also genauso kritisiert und
auf den Prüfstand gestellt werden. Zudem muss man
wissen - wir waren ja in Indonesien -, dass es immer
noch viele Flächen gibt, wo Palmölplantagen angelegt
werden könnten, ohne dass Regenwald abgeholzt werden müsste. Auch das sollte man berücksichtigen. Erst
dann kann man eine faire und vernünftige Diskussion
führen. Diese sollten wir führen - gar keine Frage! -,
aber dann auch gemeinsam von dieser Basis ausgehend.
({7})
Jetzt doch noch einmal zum Erneuerbare-EnergienGesetz. Ich glaube, dass es wichtig ist, es fortzuentwickeln. Natürlich müssen die erneuerbaren Energien
quantitativ ausgebaut werden, wir müssen aber auch
schauen, dass wir eine bessere Netzintegration hinbekommen. Wir brauchen diese, damit Strom aus erneuerbaren Energien besser von den Netzen aufgenommen
werden kann. Außerdem müssen Möglichkeiten geschaffen werden, damit mit Strom aus erneuerbaren
Energien auch Volllaststunden erbracht werden können.
Das muss unser Ziel sein. Deshalb sollten wir unseren
Förderschwerpunkt in den nächsten Jahren auf diesen
Bereich legen.
Hier gibt es längst intelligente Lösungen. Deswegen
ist es falsch, zu sagen: Na ja, wenn der Wind nicht bläst
oder wenn die Sonne nicht scheint, gibt es Schwierigkeiten mit den erneuerbaren Energien. Dieses Denken ist
überholt. Man muss vielmehr auf intelligente Lösungen
zurückgreifen.
({8})
Hier wären zum einen Speichertechnologien zu nennen,
zum anderen Projekte wie das Kombikraftwerk. Hier
liegt die Zukunft. Ein Kombikraftwerk, Frau
Brunkhorst, das aus mehreren erneuerbaren Energiequellen gespeist wird, ist Hightech. Hiermit gelingt es nämlich - das ist jetzt schon bewiesen -, Volllaststunden zu
erbringen und damit eine Grundlast abzudecken. Diese
Technologie ist allen anderen nicht nur deshalb überlegen, weil sie CO2-frei ist, sondern auch deshalb, weil sie
Strombedarfsspitzen abdecken kann, was eigentlich alle
anderen Kraftwerke nicht können. Diesen Weg müssen
wir beschreiten. Bei der Neuregelung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes müssen wir dafür sorgen, dass dieser
Bereich gefördert wird.
({9})
Mir scheint, dass die Vorlagen der Regierung zu erneuerbaren Energien im Strom- wie im Wärmebereich
sehr gut sind. So können wir sie uns in einzelnen Bereichen näher anschauen. In vielen Bereichen gibt es riesige Potenziale. Ich nenne die Solarthermie, die wir
gerade mit dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz
fördern wollen. Auch die Geothermie, die immer ein wenig vergessen wird, bietet riesige Potenziale. Ich glaube,
dass es wichtig ist, diesen Bereich sehr stark zu fördern.
Wir dürfen aber - das hat ja auch mein Kollege Dirk
Becker schon gesagt - das Zugpferd der erneuerbaren
Energien nicht vergessen. Den größten Anteil an diesen
hat ja nach wie vor die Windkraft. Wir dürfen jetzt
nicht nur darauf achten, auch wenn es wichtig ist, dass
wir mit dieser Technologie aufs Meer gehen, sondern
wir müssen auch darauf achten, dass das Repowering ordentlich gelingt. Der Austausch einer bestehenden Anlage gegen eine neue kann nämlich eine Verdopplung
oder gar eine Verdreifachung der Energieerzeugung bewirken. Darüber hinaus gibt es noch viele Flächen, gerade an Autobahnen, die sich dafür eignen, neue Windkraftanlagen zu installieren. Auf diese Weise könnte also
auch hier noch ein deutlicher Zuwachs erzielt werden.
({10})
Eines ist aber auch klar: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, so gut und zielgenau es auch ist, wird zur Erreichung dieses Ziels nicht ausreichen. Wir müssen auch
dafür sorgen, dass in den Ländern bürokratische Hemmnisse abgebaut werden, die den Ausbau der Windkraft
einschränken. Man kann nämlich nicht auf der einen
Seite fordern, für mehr Energieeffizienz zu sorgen, und
auf der anderen Seite diese Effizienzsteigerung dadurch
behindern, dass man die Nabenhöhe begrenzt. So verhindert man nämlich, dass Windkraft marktfähiger wird und
noch günstiger Strom produziert.
({11})
Ich denke, dass wir ein gutes neues ErneuerbareEnergien-Gesetz auf den Weg bringen werden. Ich lade
wie auch schon meine Vorredner alle Parteien ein, daran
mitzuwirken. Es ist wichtig, dass wir auch außerhalb der
Koalitionsfraktionen eine große Zustimmung zu diesem
Gesetz bekommen. Jedem dürfte klar sein, welche Bedeutung diesem Gesetz innerhalb des Klimapaketes zukommt.
Damit alleine allerdings - das ist deutlich geworden werden wir unsere Klimaschutzziele nicht schultern;
hierfür sind viele Maßnahmen nötig, die ja im Klimapaket zusammengefasst worden sind. Wir müssen auch zukünftig immer wieder neue Maßnahmen ergreifen, um
unseren Klimaschutzpfad erfolgreich zu beschreiten.
Damit wird nicht nur der CO2-Ausstoß reduziert werden,
sondern wir werden dann in vielen einzelnen Bereichen
so viel Technologieförderung betrieben haben und so
viele Arbeitsplätze geschaffen haben, dass all das zu einem wichtigen Bestandteil der Industrie unseres Landes
und damit auch unserer Gesellschaft wird. Das ist der eigentliche Beitrag, den wir hier zu leisten haben. In diesem Sinne: auf gute Zusammenarbeit und gute Verhandlungen.
Danke schön.
({12})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Dr. Maria Flachsbarth für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die schwarz-rote Koalition hat die Energie- und Klima15260
schutzpolitik ganz oben auf die Agenda gesetzt. Im Rahmen der deutschen G-8- und EU-Präsidentschaft 2007
sind unter der Federführung unserer Bundeskanzlerin
Angela Merkel ambitionierte Klimaschutzziele vereinbart worden. In den Weltklimaberichten der Vereinten
Nationen wurde nachdrücklich auf die Notwendigkeit
des Handelns hingewiesen.
Zugleich hat die Bundesregierung im Rahmen des
Energiegipfelprozesses eine nachhaltige Diskussion über
ein nationales Energiekonzept angestoßen. Energieund Klimapolitik gehören zusammen. Dabei ist die Beachtung des Zieldreiecks Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit entscheidend.
In Bezug auf die Versorgungssicherheit ist vor allem
die Importquote der Energieträger und deren Verfügbarkeit in der Zukunft wichtig. Deutschland importiert
60 Prozent der Steinkohle, 80 Prozent des Erdgases und
100 Prozent des Mineralöls. Fossile Rohstoffe sind endlich. Nach Angaben des BMWi reichen die Kohlevorräte
noch 100 Jahre, die an Erdgas und Erdöl noch 50 Jahre.
Deshalb ist der intelligente Ersatz von fossilen Brennstoffen durch regenerative Energien auch eine Frage der
Generationengerechtigkeit und der Nachhaltigkeit.
({0})
Die Union tritt aus Gründen der Versorgungssicherheit für einen breiten Energiemix von Kernenergie über
Kohle, Gas und Öl bis hin zu den erneuerbaren Energien
ein. Deren Anteil, beispielsweise im Strombereich, ist
2007 auf 14 Prozent gestiegen. Dabei trägt jede der weit
über 70 000 Gigawattstunden erneuerbarer heimischer
Energien zur Versorgungssicherheit bei. Die Wirtschaftlichkeit des Energiemixes ist entscheidender Standortfaktor für die deutsche Industrie und damit für Arbeitsplätze und zugleich zunehmend eine bestimmende
Größe einer neuen sozialen Frage in Deutschland: Wie
viel Energie kann ich mir leisten, an der Tankstelle, bei
der Stromrechnung und den Heizkosten?
({1})
Die Härtefallregelung des EEG hilft energieintensiven Betrieben und hilft damit auch, Arbeitsplätze zu sichern, kostet aber natürlich wieder mehr für all diejenigen Betriebe und Verbraucher, die nicht unter diese
Regelung fallen. Andererseits ist in den letzten Jahren zu
beobachten, dass die Strompreise, obwohl der EEG-Anteil am Strompreis konstant 3 bis 4 Prozent ausmacht,
dennoch steigen. Das liegt zum einen an der Mehrwertsteuererhöhung, zum anderen aber auch an unvollkommenen Marktstrukturen, wodurch Energieversorgungsunternehmen höhere Preise am Markt erzielen können.
Und das liegt eben nicht nur, aber auch an der Endlichkeit fossiler Rohstoffe, entsprechenden Spekulationen an
den Rohstoffmärkten und politischen Instabilitäten in
den Lieferländern.
All das führt insgesamt zu einem aktuellen Ölpreis
von über 100 Dollar pro Barrel. Die konventionellen
Energieträger allein sind eben keine Garantie für moderate Energiepreise. Außerdem ist jeder Euro der 70 Milliarden pro Jahr für Energieimporte weg. Bei den
3,3 Milliarden Euro Differenzkosten 2006 für erneuerbare Energien findet vom Anlagenbau bis zur Energieerzeugung ein Großteil der Wertschöpfung in unserem
Land statt, und zwar mit positiven Auswirkungen auf
Wirtschaft, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.
({2})
Ich komme zur Umweltverträglichkeit der Energieund Klimapolitik, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Langfristiges Ziel der deutschen und europäischen Politik ist ein Kioto-Plus-Abkommen und die
Verankerung des 2-Grad-Ziels. Deshalb hat das Bundeskabinett auf Grundlage der Vereinbarungen des Europäischen Rates in Meseberg im August 2007 entsprechende
Eckpunkte beschlossen und pünktlich zur Klimakonferenz auf Bali am 5. Dezember 2007 ein umfangreiches
Paket mit 14 Gesetzen und Verordnungen vorgelegt.
Eine Reduktion von 36 Prozent der CO2-Emissionen in
Bezug auf 1990 soll erreicht werden. Es gibt kein vergleichbares Industrieland mit einem ähnlich ambitionierten und konkret ausgestalteten Programm, liebe Frau
Höhn.
({3})
Ich komme zu den drei diskutierten Gesetzentwürfen
im Einzelnen. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz sieht für das Jahr 2020 einen Anteil von 14 Prozent
der Wärme- und Kälteerzeugung aus erneuerbaren Energien vor, und zwar durch die anteilige Nutzungspflicht
erneuerbarer Wärme bei Neubauten, aber auch durch
mehr Wärmedämmung oder Nutzung von Fernwärme
bzw. Kraft-Wärme-Kopplung. Der Union ist es in diesem Zusammenhang besonders wichtig, das Ganze technologieoffen auszugestalten. Außerdem ist die Aufstockung des Marktanreizprogramms auf 500 Millionen
Euro pro Jahr für uns besonders wichtig. Wir wollen eine
Verstetigung und Verrechtlichung dieses wichtigen
Instruments, um den Investoren und vor allen Dingen
der mittelständisch geprägten Branche verlässliche Rahmenbedingungen zu geben.
Das Achte Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sieht vor, den Anteil der beigemischten Biokraftstoffe ab dem Jahr 2015 ausschließlich an der Minderung von Treibhausgasemissionen
auszurichten, um den CO2-Ausstoß bis 2020 um
10 Prozent zu senken. Dabei ist die Nachhaltigkeitsverordnung zu beachten. Der Minister hat darauf hingewiesen.
Bezugnehmend auf die aufgeregte Diskussion der
letzten Tage über die Kosten, die auf die Besitzer älterer
Fahrzeuge zukommen sollen, bittet meine Fraktion den
Bundesumweltminister nachdrücklich, sich mit der Autoindustrie ins Benehmen zu setzen. Diese Problematik
hätte, mit Verlaub, Herr Minister, eigentlich im Rahmen
der Vereinbarungen der Roadmap bereits ausgeräumt
sein müssen. Denn Biokraftstoffe sind das wichtigste Instrument, das europäische 120- bzw. 130-Gramm-Ziel zu
erreichen.
Der Bundesfinanzminister lässt dem Bundestag in
diesen Tagen endlich den Biokraftstoffbericht zukommen. Nach dem ersten Durchblättern ist ersichtlich, dass
die Biodieselpreise nach Inkrafttreten der zweiten Stufe
der Steuerreform Anfang dieses Jahres nicht mehr auskömmlich sind.
({4})
Die Realität zeigt, dass das stimmt: Erzeugungskapazitäten in Deutschland werden stillgelegt, und der B100Markt ist faktisch tot. Stattdessen sollte jetzt auf die Beimischung gesetzt werden. Auch dieser Weg scheint nun
aus den oben genannten Gründen nicht gangbar. Ich
gehe davon aus, dass dem Bundestag sehr bald belastbare Fakten über die Motorenverträglichkeit vorgelegt
und alle Optionen zur Dekarbonisierung im Mobilitätssektor vor dem Hintergrund dieser Fakten erneut vorurteilsfrei geprüft werden.
Den größten Beitrag zur Erfüllung unserer Klimaschutzziele aber muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz
leisten. Das Ziel der Bundesregierung, den Anteil erneuerbaren Stroms bis 2020 auf 25 bis 30 Prozent auszubauen, bedeutet eine Verdopplung in den nächsten zwölf
Jahren. Um diesen enormen Zuwachs bewältigen zu
können, müssen deshalb alle erneuerbaren Energien weiter zielgenau gefördert werden.
Windenergie lieferte 2007 mit fast 40 Milliarden Kilowattstunden den größten Anteil am erneuerbaren
Strom. Allerdings geht der Zubau in den letzten Jahren
deutlich zurück. Daher ist es sinnvoll, das Repowering
weiter zu fördern.
Offshorewind ist weiterhin der Hoffnungsträger der
Politik für einen zügigen Ausbau der Windenergie, verbunden mit der Aussicht, an den windstarken Standorten
vor der Küste eine wesentlich höhere Zahl an Volllaststunden zu erzielen. Allerdings gibt es nach wie vor ungelöste technische Probleme im Rahmen der Gründung,
der Wartung auf hoher See und der Anforderungen an
das Material durch Wind, Wasser und Salz. Auch hier
sind weitere Anreize notwendig.
Biomasse hat einen Anteil von etwa 20 Prozent an
der Ökostromproduktion. Flächenkonkurrenz und höhere Substratpreise erschweren den wirtschaftlichen Betrieb und weiteren Zubau. Deshalb muss der Bestand der
Altanlagen gesichert und zugleich die Nutzung von
Gülle forciert werden, um das klimaschädliche Ausgasen von Methan aus direkt auf die Felder ausgebrachter
Gülle zu reduzieren.
({5})
Außerdem muss versucht werden, so viel organische
Substrate wie möglich, auch Abfall- und Nebenprodukte, Biogasanlagen zugänglich zu machen. Eine bessere Wärmenutzung ist umweltpolitisch dringend erforderlich. Da könnte der KWK-Bonus weiter lenkend
eingreifen.
Der Bereich des Sonnenstroms macht angesichts sehr
hoher Kosten ein Nachjustieren erforderlich. So stellt die
Fotovoltaik derzeit nur gut 3 Prozent des Ökostroms;
ihr Anteil an der Gesamtvergütung erneuerbaren Stroms
beträgt allerdings 20 Prozent.
Wasserkraft liefert seit Jahren konstant etwa
22 Milliarden Kilowattstunden Strom. Hier ist allerdings
kein wesentlicher Zubau mehr möglich.
Geothermie spielt bislang keine Rolle in der Stromproduktion. Allerdings hat sie großes Potenzial, grundlastfähigen Strom zu liefern. Deshalb ist da weitere Förderung notwendig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus
müssen wir sehen, wie wir das Erneuerbare-EnergienGesetz weiterentwickeln und die erneuerbaren Energien
näher an den Markt führen können. Dazu gehört, die
zeitlichen Fristen für die optionale Eigenvermarktung
flexibler zu gestalten. Ziel muss die Verschiebung der
Erzeugung in die Zeiten hoher Nachfrage sein. Die Veredelungs- und Wälzungskosten müssen transparenter
werden. Wir wollen unabhängigen Erzeugern ermöglichen, sich an diesem Markt zu beteiligen. Die Bundesnetzagentur sieht hier Effizienzpotenziale in Höhe von
mehreren Hundert Millionen Euro.
Wir wollen virtuelle Kraftwerke fördern. Durch die
Kombination von Wind-, Biomasse- und Speicherkraftwerken kann erneuerbarer Strom nahezu grundlastfähig
werden.
Was wir uns allerdings nicht vorstellen können, ist die
sehr weitgehende Verordnungsermächtigung für die
Bundesregierung. Denn damit wäre das Parlament bei
der weiteren Gestaltung wichtiger Instrumente im EEG
praktisch außen vor - so bitte nicht!
({6})
Das IKEP ist am Freitag letzter Woche im Bundesrat
beraten worden. Nun wird die Bundesregierung eine Gegenäußerung vorlegen; die Ausschussberatungen des
Bundestages einschließlich der Anhörungen finden von
März bis Mai statt. Eine Verabschiedung im Bundestag
und Bundesrat soll möglichst noch vor der Sommerpause erreicht werden, um bald Sicherheit über die Rahmenbedingungen für die Branche und die Finanzgeber
zu erzielen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung setzt
mit dem IKEP und insbesondere mit den drei heute anberatenen Gesetzentwürfen energiepolitische Weichenstellungen für die Zukunft. Wir wollen alles daran
setzen, die Vorhaben auf der Basis der ehrgeizigen Klimaschutzziele und im Dreiklang von Umweltschutz,
Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit erfolgreich
zu gestalten. Wir wollen dabei auch die Punkte im Blick
behalten, die im Rahmen des dritten Energiegipfels erarbeitet worden sind. Es wurde vom Prognos-Institut und
vom EWI gezeigt, dass Klimaschutz und ein breiter
Energiemix zu annehmbaren Kosten möglich sind. Al15262
lerdings gilt dies nur unter Einbeziehung aller uns zur
Verfügung stehenden Energietechniken.
Vielen Dank.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Bei den Tagesordnungspunkten 4 a bis 4 c wird interfraktionell Überweisung der Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 16/8148, 16/8149 und 16/8150 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 4 d. Es geht um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/4962 zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 15/5938 über den Bericht der Deutschen EnergieAgentur GmbH ({0}) über die Bestandsaufnahme und
den Handlungsbedarf bei der Förderung des Exportes
Eneuerbare-Energien-Technologien 2003/2004. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Straßenbaubericht 2007
- Drucksache 16/7394 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner Herrn Bundesminister Wolfgang Tiefensee das Wort
für die Bundesregierung.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordnete! Sehr verehrte Damen und Herren!
Wir stellen heute den Straßenbaubericht 2007 vor. Wie
in jedem Jahr legen wir ein Konvolut auf den Tisch, das
nicht nur zum Zustand unserer Bundesfernstraßen Auskunft gibt, sondern gleichermaßen Informationen zur
Finanzierung, zum rechtlichen Rahmen und zu modernen Technologien enthält. Ergänzt wird dieser Bericht
durch ein umfangreiches Tabellenwerk. Sie können sich
so davon überzeugen, dass wir in Deutschland über ein
hervorragend ausgestattetes, dichtes Netz an Bundesfernstraßen verfügen, das sich mit denen anderer europäischer Staaten messen kann und das das Rückgrat für
unsere Wirtschaft darstellt.
Der Zustand der Straßen ist im Durchschnitt gut, was
aber nicht heißt, dass Abgeordnete in ihren Wahlkreisen
nicht auch anderes erleben. Der Bericht zum Zustand unserer Straßen muss in den Zusammenhang mit Mobilität
und Infrastruktur in unserem Land gesetzt werden. Es
geht darum, dass wir einerseits mit dieser Infrastruktur
die enormen Herausforderungen der Zukunft bewältigen
müssen und andererseits eine Branche unterstützen müssen - immerhin sind 2,5 Millionen Menschen im Bereich
der Logistik beschäftigt -, die uns wichtig sein muss.
Lassen Sie mich einige Daten aus diesem Bericht
herausgreifen, um deutlich zu machen, wo wir stehen.
Wir verfügen über ein Netz von ungefähr 12 500 Autobahnkilometern und über 40 000 Bundesfernstraßenkilometern.
Wir haben im Berichtszeitraum erheblich zulegen
können, indem wir die von Ihnen bereitgestellten Bundesmittel eingesetzt haben, um 60 Kilometer der Bundesautobahnen zu erweitern und rund 180 Kilometer neu
zu bauen. Wir haben 44 Kilometer der Bundesfernstraßen vierstreifig und 111 Kilometer zweistreifig ausbauen
können und haben damit ein Drittel der Projekte im
Bedarfsplan, der ein Finanzvolumen von rund 50 Milliarden Euro umfasst, fertigstellen können. In den neuen
Bundesländern sind sogar 50 Prozent der Bedarfsplanprojekte als erledigt anzusehen. Das ist auch im Hinblick auf die Vereinigung Deutschlands eine Erfolgsgeschichte.
({0})
Ich greife nur die Küstenautobahn A 20, das Vorantreiben der A 38 oder den Fortgang bei der A 9 und der A 4
heraus. Hier sind wir gut vorangekommen, sodass wir
konstatieren können: Ein Drittel der Aufgaben und die
Hälfte der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ im Bedarfsplan des Ostens sind erledigt. Wir werden auch in
den kommenden Jahren in dieser Richtung weiter investieren.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass Verkehr und
Lebensqualität zusammengehören. Wir haben im vergangenen Berichtszeitraum auch in den Lärmschutz investieren können. Die Zahlen sind beachtlich: Wir haben
Lärmwände in einer Größenordnung von rund 65 Kilometer und Lärmschutzwälle in einer Größenordnung von
75 Kilometer errichten können. 12 000 Quadratmeter
Lärmschutzfenster konnten eingebaut werden. Wir haben
Ortsumgehungen in einer Größenordnung von 120 Kilometer gebaut. Wir haben uns um Radwege gekümmert.
Rund 90 Kilometer sind an Bundesfernstraßen entstanden. Das alles führt dazu, dass die Lebensqualität nicht
durch den Verkehr beeinträchtigt wird.
Ein Weiteres: Wir kümmern uns um die Finanzierung nicht nur mit dem klassischen Instrument der Investitionsmittel über den Haushalt, sondern indem wir
Public-Private-Partnership-Modelle in Gang setzen. Ich
erinnere daran, dass wir im Berichtszeitraum erste ProBundesminister Wolfgang Tiefensee
jekte im Bereich der A 8 Augsburg-München und der
A 4 in Thüringen in Angriff nehmen konnten. Projekte
im Bereich der A 1 werden folgen. Auch F-Modelle, der
Albaufstieg auf der A 8 oder die Hafenquerspange in
Hamburg, werden geprüft. Hier soll eine neue Finanzierung ermöglicht werden.
Darüber hinaus treiben wir die Planungsbeschleunigung voran. Wir brauchen kürzere Zeiträume zwischen
der Idee, der Entwicklung eines Konzeptes und der Realisierung. Mit der Umsetzung unseres Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetzes und den dort enumerativ
aufgeführten Maßnahmen erreichen wir eine Verkürzung
um bis zu zwei Jahre, damit der volkswirtschaftliche
Nutzen von Baumaßnahmen eher zum Tragen kommt.
Es geht darum, die Verkehrsbeeinflussung voranzutreiben. Sie finden in dem vorliegenden Bericht eine
Fülle von Maßnahmen, wie wir Standstreifen zur Verfügung stellen und die Zuläufe zu Autobahnen regeln, aber
auch auf Staus und dergleichen mehr aufmerksam machen. Wir wollen die Maut, die sich zu einer Erfolgsstory ausweitet, auch dazu nutzen, Verkehre beeinflussen
zu können. Da ist sicherlich in der Zukunft noch einiges
zu tun.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Das Geld ist gut
angelegt. Wir kommen voran, wenn es darum geht, die
Maßnahmen des Bedarfsplanes im Hinblick auf die Bundesfernstraßen abzuarbeiten.
Wir müssen aber - das soll in diesem Zusammenhang
der letzte Gedanke sein - die Kapazitäten der Straße in
den Modal Split mit den anderen Verkehrsträgern einordnen. Dies gilt auch für die Herausforderungen, die in
Europa vor uns stehen. Deutschland ist Drehscheibe. Ich
verhehle nicht, dass wir im Hinblick auf die Zunahme
des Güterverkehrs auf der Straße - wir prognostizieren bis 2050 einen Anstieg auf das Doppelte; das ist ein
Anstieg um 100 Prozent - noch lange nicht so weit sind,
dass wir eine Antwort auf jede in diesem Zusammenhang wichtige Frage gefunden hätten. Wir werden im
Masterplan Güterverkehr und Logistik, den wir voraussichtlich im März der Öffentlichkeit vorstellen werden,
viele Antworten geben. Wir wollen auch auf der europäischen Ebene zusammen mit dem Verkehrskommissar
nach Lösungen suchen.
Meine Damen und Herren, es geht darum, Verkehr zu
vermeiden, ihn intelligent zu lenken und jedem Verkehrsträger - Straße wie Schiene wie Binnenwasserstraße - den ihm gemäßen Platz zuzuweisen. Dort, wo er
den größten Nutzen entfaltet, die Lebensqualität nicht
beeinträchtigt und den Klimaschutz vorantreibt, soll er
eingesetzt werden.
Wir sind auf einem guten Weg. Der Bericht, den wir
Ihnen heute vorlegen, belegt das mit eindrücklichen
Zahlen.
Vielen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Jan Mücke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Deutschland ist seit Jahren Exportweltmeister, was sich
auch im grenzüberschreitenden Güterverkehr widerspiegelt. Die Zahl der grenzüberschreitenden Lkw-Fahrten
stieg zwischen 1996 und dem Berichtsjahr 2006 um
circa 70 Prozent. Der Umfang der Güterverkehrsleistungen stieg von 57,9 Milliarden Tonnenkilometer im
Jahr 1996 auf über 105 Milliarden Tonnenkilometer im
Berichtsjahr 2006. Das entspricht einem Zuwachs von
82 Prozent innerhalb von 10 Jahren, also innerhalb eines
relativ kurzen Zeitraumes. Ein ähnliches Bild stellt sich
uns im Inland dar. Dort nahmen die Güterverkehrsleistungen in den letzten 10 Jahren um 54 Prozent zu, bezogen auf die letzten 15 Jahre sogar um 75 Prozent.
Dieser Anstieg wird nach allen Prognosen, nach allem, was wir aus der Verkehrswissenschaft wissen, in
den nächsten Jahren anhalten; bis 2015 wird - das steht
in dem Bericht - ein Zuwachs von 64 Prozent erwartet.
Die Realität hat diese Prognosen aber längst eingeholt.
Die Zahlen, die für 2015 prognostiziert wurden, werden
wir wahrscheinlich schon 2008, also in diesem Jahr, erreichen.
({0})
Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Güterverkehrsleistung bei gleichbleibendem Straßenanteil bis
zum Jahr 2050 verdoppelt haben wird.
Die Frage ist, wie das Parlament mit der prognostizierten Verdoppelung umgeht. Wenn wir Exportweltmeister bleiben wollen, müssen wir uns die Frage stellen, wie die Verkehrsinfrastruktur künftig finanziert
werden soll. Ist Deutschland fit für die Verdoppelung des
Güterverkehrsaufkommens? Wenn ich den Straßenbaubericht unter diesem Blickwinkel lese, muss ich feststellen, dass das Bild, das sich abzeichnet, nicht so rosig ist,
wie es der Herr Minister hier geschildert hat.
({1})
Ich möchte aber nicht nur auf die Investitionen, sondern vor allem auf den Zustand der bestehenden Straßen
eingehen. Schauen Sie sich einmal den Fahrbahnzustand
unserer Bundesstraßen an: Nur circa 58 Prozent sind voll
gebrauchsfähig, 17,9 Prozent sind leicht eingeschränkt gebrauchsfähig, und 23,5 Prozent sind stark eingeschränkt
gebrauchsfähig. Diese Zahlen sind erschreckend. Es ist
ein Problem, wenn wir nur 60 Prozent der Bundesstraßen vollständig nutzen können. Wir wissen, dass diese
Zahlen aus den Jahren 2003 und 2004 stammen. Wenn
wir unsere Bundesstraßen benutzen, können wir täglich
feststellen, in welchem Zustand sie sich befinden. Das
lässt nichts Gutes für die Zukunft erahnen.
({2})
Das gilt insbesondere, wenn wir den prognostizierten
Anstieg bei den Güterverkehrsleistungen berücksichtigen.
Aber auch in Bezug auf den Ausbau des Fernstraßennetzes besagt der Bericht für das Berichtsjahr nichts
Erfreuliches. Zwar wurden auch in diesem Jahr Projekte
neu für den Verkehr freigegeben, insgesamt nahm die
Länge der Bundesfernstraßen aber um 104 Kilometer ab.
Das kann nicht allein der Tatsache geschuldet sein, dass
es Umstufungen gegeben hat; denn auch die Länge der
übrigen überörtlichen Straßen hat abgenommen, und
zwar um 17 Kilometer.
Ich möchte Sie an die 60er- und den Anfang der 70erJahre erinnern - damals war ich noch gar nicht geboren -:
Zu dieser Zeit wurden in einem Haushaltsjahr mehrere
hundert Kilometer an Bundesfernstraßen neu gebaut.
Von diesen Zahlen sind wir weit entfernt.
({3})
Warum sind wir weit entfernt davon? Vor allem, weil im
Haushalt sehr viel weniger Geld zur Verfügung steht, als
eigentlich notwendig wäre.
({4})
Wir alle wissen, dass die Pällmann-Kommission vor einigen Jahren versucht hat, den für Ausbau und Erhaltung
des Bundesfernstraßennetzes notwendigen Finanzbedarf objektiv festzustellen. Dort ist man auf einen
Mindestbetrag von 6,5 Milliarden Euro im Jahr gekommen.
Sie alle kennen die Haushaltszahlen. Der Haushaltsansatz für 2006 lag bei 4,86 Milliarden Euro. Die Koalition hat versucht, durch Umschichtungen 1 Milliarde
Euro draufzulegen. Am Ende ist sehr viel weniger herausgekommen. Wenn diese Entwicklung, die schon einige Jahre anhält, so weitergeht, dann heißt das nichts
anderes, als dass wir in jedem Jahr immer weniger Geld
für die Bundesfernstraßen zur Verfügung haben und dass
sich der Zustand der Bundesfernstraßen dauerhaft verschlechtern wird, weil wir nicht mehr investieren.
({5})
Die Finanzplanung der Bundesregierung sieht keineswegs einen Aufwuchs oder - wie der Herr Minister
immer so freundlich sagt - eine Verstetigung der Finanzmittel vor. Die Finanzplanung weist beispielsweise für
das Jahr 2011 nur noch Investitionen in Höhe von
4,5 Milliarden Euro aus. Das ist erheblich weniger als
das, was die Pällmann-Kommission objektiv als Bedarf
für den Ausbau der Bundesfernstraßen festgesetzt hat.
Ich möchte namens der FDP-Fraktion noch an einen
Fakt erinnern, der in der Öffentlichkeit immer weniger
eine Rolle spielt, weil die meisten die Mehrwertsteuererhöhung und diverse andere Preissteigerungen schon
völlig vergessen haben. Ich erinnere an die Äußerungen
aus der Bauindustrie, die erst Anfang der Woche auf der
bautec hier in Berlin gemacht wurden: Vom Jahr 2006
bis heute gab es einen Anstieg der Baupreise um fast
8 Prozent. Daran hat die Mehrwertsteuererhöhung einen
ganz erheblichen Anteil. Wenn wir um die Preissteigerungen - ganz genau sind es 7,7 Prozent - wissen, aber
unseren Etat für die Bundesfernstraßen nicht weiter ausbauen, heißt das, dass wir mit demselben Ansatz von
Jahr zu Jahr weniger an Bundesfernstraßen bauen und
unsere Infrastruktur immer schlechter wird. Das ist absolut nicht ausreichend, um unsere Pflichten auf Dauer zu
erfüllen und um auf die Verdopplung des Güterverkehrsaufkommens - das betone ich für die Öffentlichkeit - in
den nächsten Jahren eine adäquate Antwort zu geben.
({6})
In diesem Zusammenhang möchte ich auch an die
Maut und an den Mautbetrug erinnern. Ursprünglich
wurde davon gesprochen, dass die Mehreinnahmen, die
wir aus der Maut erzielen, zusätzlich zu den Mitteln, die
aus dem Haushalt für die Straßeninfrastruktur zur Verfügung gestellt werden, investiert werden. Diese zusätzlichen Mittel wurden nie für die Bundesfernstraßen verwendet; denn der Bundesfinanzminister hat seinen
Zuschuss für den Verkehrshaushalt um genau den Betrag, den wir über die Maut zusätzlich einnehmen, gekürzt. Diesen Zustand können wir als FDP-Fraktion auf
gar keinen Fall hinnehmen, weil dies dauerhaft dazu
führt, dass unsere Straßeninfrastruktur von Jahr zu Jahr
schlechter statt besser - das wäre notwendig - wird.
({7})
Wir alle müssen uns die Frage stellen: Was ist uns
eine gute Straßeninfrastruktur oder Infrastruktur generell
wert? Gerade einmal 2 Prozent aller Ausgaben im Bundeshaushalt sind in die Fernstraßeninfrastruktur investiert worden; diese Zahl ist viel zu gering. Dieser Wert
reduziert sich im Übrigen für das Jahr 2007 auf
1,8 Prozent.
Wir müssen die Prioritäten für die Investitionen in
diesem Land ganz anders setzen. Wenn wir nicht wollen,
dass Deutschland im Verkehrskollaps erstickt, wenn wir
wollen, dass wir weiter Wirtschaftswachstum haben,
dann brauchen wir eine hervorragende Infrastruktur.
Diese muss anständig finanziert werden.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Klaus Lippold für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte vorwegschicken, Herr Minister Tiefensee,
dass ich Ihnen für den Erfolg bei der Umsetzung des Bedarfsplans Straße ganz herzlich danken will. Es ist ein
Erfolg, den wir miteinander erzielt haben. Man sollte das
nicht kleinreden lassen.
({0})
Dass es dazu noch einige Anmerkungen gibt, ist völlig richtig. Aber man muss deutlich sagen, dass wir die
Zeichen der Zeit erkannt haben, dass wir die Verkehrsentwicklung kennen. Die Verkehrsentwicklung in der
Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich nach wie vor
dadurch aus, dass der Straßenverkehr nicht nur einen hohen Anteil hat, sondern auch in Zukunft haben wird.
Über die Frage der Verlagerung wird zwar immer wieder
diskutiert, aber aufgrund der Kapazität des Schienennetzes ist dies nicht möglich.
Ich will darauf hinweisen, dass der Ausbau der Schieneninfrastruktur, insbesondere im Hafenhinterland,
eine weitere Möglichkeit ist, zur Entlastung der Straße
beizutragen. Denn wenn wir den gesamten Containerverkehr, den wir erfolgreich in unseren Häfen anlanden,
hinterher auf der Straße wiederfinden, dann ist diese Situation untragbar. Deshalb ist es absolut notwendig, die
Schiene als Ergänzung der Straße einzubeziehen. Daran
werden wir weiterhin arbeiten.
Ich will darüber hinaus deutlich machen, dass der
Straßenbau für die Entwicklung unserer Wirtschaft von
besonderer Bedeutung ist. Dabei geht es auch, aber nicht
nur um die Bauindustrie. Selbstverständlich ist allerdings auch die Bauindustrie von der Auftragsvergabe in
diesem Bereich betroffen. Dieser Punkt ist für die Entwicklung der Wirtschaft in Deutschland zentral.
Herr Minister, Sie haben auf die Entwicklungen im
Logistikbereich hingewiesen. Die Logistik wird eine
wichtige Zukunftsbranche sein; das gilt für die Weltwirtschaft insgesamt. Deshalb sind wir gehalten, unsere Infrastruktur so auszubauen, dass wir in diesem Bereich
mithalten können, damit wir auch in Zukunft von den
positiven Entwicklungen, die wir im Logistikbereich
bislang zu verzeichnen haben, profitieren können.
Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung wird
das besonders notwendig sein. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Wir haben die EU-Osterweiterung
gemeinschaftlich bejaht. Aber mit dem aus ihr resultierenden Mehrverkehr müssen wir auch de facto umgehen
können. Auch das ist im Hinblick auf den Straßenverkehr ein wichtiger Aspekt.
Wer sich die Haushalte unserer osteuropäischen
Nachbarländer ansieht, der stellt fest, dass dort im Bereich der Straße viel investiert wird, im Bereich der
Schiene aber fast gar nichts. Der Verkehr aus diesen
Ländern wird also vor allem über die Straße kommen. Er
kann aber nicht an der bundesdeutschen Grenze auf die
Schiene umgeladen werden.
({1})
Daher müssen wir darauf achten, dass wir in Zukunft
trotz all dieser Entwicklungen handlungs- und mobilitätsfähig bleiben. Dieser Punkt ist für uns von ganz entscheidender Bedeutung.
Ich will noch etwas zur Erhaltung der Infrastruktur sagen. Herr Minister, Sie haben freundliche Worte
benutzt, indem Sie gesagt haben, dass wir auf unseren
Straßen im Durchschnitt noch keine Probleme haben.
Die Formulierung „im Durchschnitt“ macht deutlich,
dass es Abweichungen nach oben und nach unten gibt.
Zu meiner Freude haben wir in den neuen Bundesländern ein hervorragendes System aufgebaut, das von einigen in diesem Hause manchmal nicht in dem Maße gewürdigt wird, in dem es gewürdigt werden sollte.
({2})
Ich möchte einmal darauf hinweisen, dass wir im Bereich der Verkehrsinfrastruktur generell, insbesondere
aber im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur im Interesse der neuen Bundesländer Hervorragendes geleistet haben.
Allerdings häufen sich die Defizite in den alten Bundesländern; das muss man ohne Umschweife sagen.
Auch hier muss etwas getan werden. Früher hieß es:
Wenn man von Hessen nach Thüringen fährt, merkt man
das an der Straße. Heute heißt es: Wenn man von Thüringen nach Hessen fährt, merkt man das an der Straße. Das
kann auf die Dauer nicht so weitergehen.
Herr Minister, wir haben uns einmal gemeinschaftlich
und mit großem Erfolg dafür eingesetzt, dass mehr Mittel für die Verkehrsinfrastruktur bereitgestellt werden.
Ich glaube, diesen Kampf sollten wir jetzt fortsetzen.
Denn der letzte Erfolg, den wir gemeinschaftlich erzielt
haben, war leider nicht so groß, wie ich es mir erhofft
habe; auch das möchte ich ganz deutlich sagen.
Wenn ich mir vor Augen führe, wie viel wir in Brückenbauten investieren müssen, welche Zusatzinvestitionen auf uns zukommen und was wir in den Lärmschutz investieren müssen, stelle ich mir die Frage: Was
bleibt dann noch für den dringend notwendigen Neubau,
den wir den Bürgern versprechen, zum Beispiel für den
Neubau von Umgehungsstraßen etc., der auch zur Sicherung der Lebensqualität der Menschen beiträgt und nicht
nur Belastungen mit sich bringt? Auch das muss sichergestellt werden.
Ich sage ganz unverhohlen, dass es einen Punkt gibt,
der mir nicht gefällt: Wenn es in einem Finanzierungssystem wie der IKB zu einer Krise kommt, dann sind
plötzlich und schnell 6 Milliarden Euro verfügbar.
({3})
Ich sage ganz deutlich: Ich möchte nicht, dass es erst zu
einer Krise kommen muss - zum Beispiel, wie es in Milwaukee geschehen ist, durch eine eingestürzte Brücke -,
damit Mittel für den Straßenbau zur Verfügung gestellt
werden. Das muss vorher geschehen und nicht hinterher,
wenn die Brücke bereits eingestürzt ist!
({4})
Das setzt voraus, dass wir hierfür generell Mittel einplanen.
({5})
Wir dürfen uns nicht nur daran orientieren, was gerade in
einem spezifischen Teilabschnitt notwendig ist. Der Investitionsbedarf ergibt sich auch daraus, dass es zu Preiserhöhungen gekommen ist, die, wenn über die Höhe der
bereitgestellten Mittel entschieden wird, berücksichtigt
werden müssen. Hier sind Positionen, bei denen einiges
getan werden muss.
Ich bin froh, dass es uns gemeinschaftlich gelungen
ist, die Mittel für den Lärmschutz aufzustocken. Ich
glaube, dass das im Sinne aller Bundesbürger ist. Lärmbelastung bedeutet nämlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität. Wir werden an diesem Punkt
weiter arbeiten müssen. Wir müssen allerdings nach kosteneffizienten Lösungen suchen. Wenn ich von Aschaffenburg aus in den bayerischen Raum hinein fahre und
die Kapselungen betrachte, muss ich mich fragen, inwieweit Kosteneffizienz gegeben ist, ob es vertretbar und
begründbar ist, wenn so viel an Mitteln für ein verhältnismäßig kurzes Stück Lärmschutz aufgewandt wird.
Die effiziente Verwendung von Mitteln ist eine der Positionen, von denen ich meine, dass wir sie angehen müssen.
({6})
Wir dürfen die Erfolge bei der Schaffung von Radwegen an Bundesfernstraßen nicht kleinreden. Radwege an
Bundesfernstraßen sind nicht nur ein Beitrag zu mehr Sicherheit. Es gibt hier dringenden Bedarf, dem wir entgegenkommen müssen. Auch an diesem Punkt sollten wir
weiter arbeiten.
Rastplätze an Bundesautobahnen, insbesondere für
den Lkw-Verkehr, sind - das müssen wir deutlich machen - notwendig. Hier gibt es nach wie vor einen Engpass. Sie, Herr Minister, haben sich kürzlich dazu geäußert. Ich sage ganz offen: Auch wenn es nicht
abgestimmt war, habe ich es begrüßt. Auch hier muss
also noch etwas getan werden.
Wir sollten einmal gemeinschaftlich prüfen, inwieweit eine Privatfinanzierung der Rastplätze denkbar und
möglich ist. Wir müssen PPP sicherlich stärker einsetzen, als das bislang der Fall ist. Wir sollten die
Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft besser
ausstatten, damit sie handlungsfähiger wird und eine
stetige Mittelvergabe erfolgen kann. Den Grundstock
würde die Überweisung der Mauteinnahmen an diese
Institution bilden. Ferner wäre es sinnvoll, mit den
Haushältern über eine begrenzte Kreditfähigkeit dieser
Institution zu sprechen. Das alles - PPP-Projekte auf
der einen Seite, Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft auf der anderen Seite - ersetzt allerdings
nicht die Anmerkungen, die ich zum Haushalt und generell zur Finanzierung gemacht habe; auch diese
Dinge sind nach wie vor notwendig.
Letzter Gedanke. Ich halte es für wichtig, dass wir die
Schnittstellen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern optimal gestalten, damit fließende Übergänge möglich sind. Auch dadurch können wir die Straße entlasten.
Das setzt, um das deutlich zu sagen, voraus, dass die
Bahn ihr Angebot an Güterannahmestellen zumindest
aufrechterhält. Die Bahn muss erreichbar sein, wenn sie
ihren Beitrag in der Fläche leisten können soll. Wenn
Güterannahmestellen geschlossen werden, ist eine Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene, vorsichtig gesagt, nur widersprüchlich zu denken. Hier
muss sich etwas ändern. Das Ganze muss logisch, in sich
stimmig zusammengeführt werden. Da haben wir noch
etwas zu tun. Aber nach dem, was wir bislang gemeinschaftlich geschafft haben, muss ich sagen: Wir werden,
wenn wir es weiterhin entschlossen angehen, noch mehr
in dieser Richtung schaffen.
Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Damen und Herren! Nach Weihnachten haben
wir alle Jahre wieder das gleiche Ritual: Die Bundesregierung legt den Straßenbaubericht für das Vorjahr vor.
Er hat fast den gleichen Text wie sein Vorgänger; lediglich bei den Zahlen kann man eine Anpassung an die aktuelle Entwicklung feststellen.
Über den Straßenbaubericht 2006 haben wir im Plenum nicht diskutiert, nur im Ausschuss. Aber wenn ich
an unsere Debatte über den Straßenbaubericht 2005
denke - das war am 16. März 2006 -, muss ich sagen,
dass es - sieht man von dem Part ab, den wir den Maßnahmen für die damals bevorstehende Fußballweltmeisterschaft gewidmet haben - nicht auffallen würde, wenn
wir die gleichen Reden wie vor zwei Jahren wieder halten würden. Die Linke kritisierte damals, dass in den
Neubau von Straßen zu viel Geld fließt. Zwar sagen
wir kein kategorisches Nein zum Neubau; aber Instandhaltung, Erhalt und Ausbau der bestehenden Straßen
muss aus unserer Sicht unbedingt Vorrang eingeräumt
werden.
({0})
Im Bericht 2007 stellen wir nunmehr fest, dass der
Bestand an Bundesfernstraßen abnimmt. Auch die Ausgaben des Bundes für den Straßenbau sinken. 2007 gab
es zwar 168 Kilometer mehr Autobahnstrecken, aber
gleichzeitig 272 Kilometer weniger Bundesstraßen als
2006. Per saldo ist also die Netzlänge um 104 Kilometer
geschrumpft. Der Rückgang resultiert im Wesentlichen
aber nicht daraus, dass Straßenabschnitte zurückgebaut
worden und dort Wälder und Wiesen entstanden wären,
sondern aus einer Umwidmung. Bundesstraßenabschnitte wurden zu Landstraßen umgewidmet, was dann
auch bedeutet, dass die Kosten für Unterhalt und Instandhaltung andere zu tragen haben.
Es ist dem aktuellen Bericht zu entnehmen, dass weniger Autobahnabschnitte gebaut wurden und mehr für
die Substanzerhaltung getan wurde. Dies begrüßt die
Linke ausdrücklich; das wollte ich an dieser Stelle auch
einmal sagen.
Dem vorliegenden Bericht hätte ich aber gern etwas
mehr zu anderen Themen entnommen, unter anderem
zur Ausweitung von Mautstrecken. Gerade zu den
Strecken, die vom Güterverkehr als Ausweichstrecken
benutzt werden, weil sie dicht an Autobahnen vorbeiführen bzw. parallel zu Autobahnen verlaufen, finde ich in
diesem Bericht zu wenig. Hier wünsche ich mir für den
nächsten Bericht deutlich mehr; hier müssen wir, wie ich
glaube, etwas tun.
Ein Blick auf die dem Bericht angefügte Straßenkarte
genügt, um festzustellen, dass in den Landesteilen im
Westen, abgesehen von kleinen Ausnahmen, genügend
Autobahnen vorhanden sind. 2007 wurden einige Autobahnabschnitte vollendet; ich spreche jetzt nur die A 14
Halle-Magdeburg, die A 20 Lübeck-Stettin und die
A 38 Göttingen-Halle an. Herr Lippold, was Sie zu diesem Thema gesagt haben, ist komplett falsch. Die Linke
hat nie gesagt, es werde zu wenig in die Infrastruktur im
Osten investiert. Über diesen Bereich haben wir uns nie
nennenswert beklagt. Wir haben zwar gesagt, es gebe
große Defizite, aber das Thema Straßen ist nicht unbedingt ein Schwerpunkt unserer Kritik.
Im Osten Deutschlands ist also eine Menge getan
worden. Aber die Straßenkarte zeigt auch, dass es nach
wie vor Lücken gibt, auch solche, bei denen es einen
schon jucken könnte, einen Filzer zu nehmen und eine
Verbindung zu schaffen. So dürfte zum Beispiel die
Autobahn 14 Magdeburg-Wismar durchaus noch sinnvoll sein. Das ist übrigens eine sehr alte Planung; dieser
Abschnitt war schon zu DDR-Zeiten vorgesehen. Aber
bei der A 39 Lüneburg-Wolfsburg sieht es schon anders
aus. Hierfür sehen wir keine Notwendigkeit, und es existiert nicht nur bei uns, sondern auch in der betroffenen
Region Widerstand. Nicht zuletzt sieht der Bundesverkehrswegeplan von 2003 bei der A 39 keinen vordringlichen Bedarf.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass wir bei
Lückenschlüssen sehr wohl berücksichtigen müssen,
wie sie von den Menschen in den betroffenen Regionen
angenommen werden. Eine Verkehrspolitik ohne Akzeptanz der Menschen läuft in die falsche Richtung.
({1})
Als Beispiel erwähne ich nur den umstrittenen Weiterbau des Stadtrings hier in Berlin, der einerseits gravierend ins Stadtbild einschnitte, andererseits aber einen
Lückenschluss in Richtung Ostsee ermöglichte. Dies
muss nach unserer Auffassung aber mit den Menschen
gemeinsam diskutiert werden; hier darf man keine Politik am Reißbrett machen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, uns fehlt im Straßenbaubericht eine kritische Abwägung von Maßnahmen. Woher sollte sie aber kommen, wenn dieser Bericht
Jahr für Jahr fortgeschrieben wird und nur die Zahlen
des vergangenen Jahres eingearbeitet werden? Es ist hier
schon angesprochen worden, dass wir eine Verdoppelung der Transportmengen im Güterverkehr erwarten.
Sollten diese Prognosen eintreffen, wird es erhebliche
Auswirkungen haben. Allerdings sind diese Prognosen
für 42 Jahre berechnet, da sie bis zum Jahr 2050 reichen,
und damit noch längst nicht Realität. Erstens kann man
hier inhaltlich umsteuern - dem sollten wir uns stellen -,
und zweitens muss ich niemandem hier im Hause erzählen, wie sehr sich Deutschland in den letzten 42 Jahren
verändert hat. Wir dürfen also nicht als Gesetz annehmen, dass das unbedingt genau so eintreten wird, wie es
prognostiziert worden ist.
Hätte zum Beispiel 1840 jemand eine Verkehrsprognose für die nächsten 40 Jahre abgegeben, dann hätte er
die Verkehrsprobleme sicherlich anders eingeschätzt, als
sie sich 1880 tatsächlich darstellten. Damals gab es ein
sehr dichtes Eisenbahnnetz, von dem wir heute nur träumen können. Seitdem ist es zerfleddert worden und geschrumpft.
Wenn wir Transportprobleme lösen wollen, dann
müssen wir die Bahn mit in die Verantwortung nehmen.
Wir müssen die Verkehrsträger gemeinsam betrachten.
Deswegen ist ein Straßenbaubericht alleine etwas zu
kurz gesprungen. Nur die Kombination aller Verkehrsträger wird uns helfen, Probleme zu lösen und dabei den
Menschen und der Umwelt gerecht zu werden.
Deswegen betone ich an dieser Stelle für unsere Fraktion ausdrücklich: Die Bahn ist ein wichtiger Verkehrsträger und kann nicht losgelöst von der Straße betrachtet
werden. Ebenso wie die Bundesfernstraßen, die nicht
Renditeinteressen unterworfen werden dürfen - wir sind
grundsätzlich gegen PPP-Projekte -, darf auch die Bahn
nicht den Interessen renditehungriger Anleger unterworfen werden.
Wir meinen, dass wir nicht nur einen Straßenbaubericht - so wichtig dieser Teilaspekt auch ist -, sondern
auch einen Verkehrswegebericht brauchen und regen an,
die Verkehrsprobleme und -anforderungen integrierter
zu betrachten und ein integriertes Verkehrskonzept für
Straße, Schiene und Wasserstraße zu erarbeiten und fortzuschreiben.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Anton Hofreiter
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In den vergangenen Jahren sind einige Trends
deutlich sichtbar geworden, die mehr oder weniger mit
dem Straßenbau verknüpft sind. Dazu gehört zunächst
der Klimawandel, der kaum noch zu leugnen ist. Man
muss die CDU/CSU loben: Auch sie hat inzwischen erkannt, dass der Klimawandel ein ernstes Problem ist.
Der Rohölpreis ist auf über 100 Dollar pro Barrel gestiegen. Andere bereits bekannte Entwicklungen wie die
Abwanderung und Alterung der Bevölkerung in vielen
Teilen Deutschlands haben sich fortgesetzt. Der Schwer15268
verkehr auf den Bundesfernstraßen hat in manchen Bereichen stark zugenommen. Der Unterhaltsrückstand bei
den Bundesfernstraßen ist nicht etwa geringer geworden,
sondern hat tendenziell weiter zugenommen. Des Weiteren kommt - wie bereits erwähnt wurde - eine große Anzahl von Brücken in ein Alter, in dem eine Sanierung
dringend notwendig ist.
Wie hat das Bundesverkehrsministerium auf diese
Entwicklungen reagiert? Im Straßenbaubericht findet
sich dazu wenig. Es wird einfach weiter in den Neubau
von Straßen investiert. Die Rede des Bundesministers
war ein sehr schönes Beispiel dafür, wie man eine ganze
Reihe von entscheidenden Trends ignorieren kann. Auch
die eigentlich bemerkenswerte Rede des Herrn Kollegen
Lippold war im Gegensatz zu seiner einleitenden Bemerkung, dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden, ein
schönes Beispiel dafür, dass sie nicht erkannt wurden. Es
wurde dargestellt, wie das zweitwichtigste Netz - das
Schienenverkehrsnetz - vernachlässigt wird und entscheidende Maßnahmen nicht ergriffen werden. Die
Rede war interessant, aber sie hat eher die Defizite aufgezeigt.
Lassen wir aber zunächst die Klima- und Umweltfrage beiseite und wenden wir uns der Frage zu, ob das
investierte Geld unter verkehrlichen Gesichtspunkten
sinnvoll eingesetzt wird. Im Straßenbaubericht findet
sich eine ganze Reihe von Beispielen aus Mecklenburg-Vorpommern, Bayern oder Niedersachsen, wo
Geld für Ortsumgehungen eingesetzt wird, die von
4 000, 6 000 oder 7 000 Kraftfahrzeugen am Tag genutzt
werden. Das heißt, wir haben Geld ausgegeben, Fläche
verbraucht und Natur zerstört und dabei nicht einmal
verkehrliche Probleme gelöst.
Vor dem Hintergrund, dass unsere Bundesstraßen im
Durchschnitt von 9 000 Kraftfahrzeugen am Tag - auf
manchen werden täglich 50 000 Kfz gezählt - und die
Bundesautobahnen von 100 000 Kraftfahrzeugen befahren werden, geben wir Geld für Straßen aus, die nur von
einem Bruchteil davon genutzt werden.
Angesichts der ökonomischen Abhängigkeit unseres
Landes von einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur
ist die Vernachlässigung der Beseitigung der Engpässe
zugunsten von Investitionen in Straßen, auf denen nichts
los ist, volkswirtschaftlich hochgradig schädlich.
({0})
Es geht auch um die zeitnahe Beseitigung von Engpässen. Dies darf nicht erst in 20 oder 30 Jahren geschehen. Dazu gibt es eine ganze Reihe von einfachen Maßnahmen wie die Einführung eines Tempolimits - es
erhöht die Durchgängigkeit -, die Telematik - sie kostet
zwar ein wenig Geld, ist aber weitaus schneller umsetzbar - und eine zeitlich gestaffelte Lkw-Maut. Das alles
kann man relativ schnell umsetzen und entlastet damit an
den entscheidenden Stellen das Straßennetz.
({1})
Nun zu der schönen Rede der FDP. Die FDP hat sich
- wie erwartet - ganz klassisch verhalten. Sie verhält
sich in diesem Bereich wie ein Gast, der zwar gerne ein
Fünf-Sterne-Hotel hätte, aber nur wie für ein
Ein-Sterne-Hotel bezahlen möchte. Das geht einfach
nicht.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich
schätze euch. Aber redet doch einmal mit euren Finanzpolitikern, damit eure Politik zumindest ansatzweise
stimmig wird.
({3})
Wir geben gerne zu, dass es richtig ist, wie vorgesehen
mehr Geld für den Unterhalt auszugeben. Aber noch immer fallen 45 Prozent der Brücken in die Kategorien
„kurzfristige Sanierung“ oder „sofortige Sanierung“.
Eine zentrale Aufgabe der Verkehrspolitik ist es,
Mobilität für alle zu sichern. Angesichts von Rohölpreisen in Höhe von über 100 Dollar stellt sich die
Frage, ob Straßenneubau die richtige Antwort ist. Man
darf nicht vergessen: Bereits jetzt haben nur rund
50 Prozent der Bevölkerung einen regelmäßigen Zugang
zum Auto.
({4})
Deshalb denkt einmal darüber nach, ob Straßenneubau
eine sinnvolle Antwort ist, wenn die Preise weiter steigen. Des Weiteren stellen wir fest: Viele der jetzt gebauten Projekte sind vor über 30 Jahren geplant worden.
Seitdem haben sich aber die Verkehrsströme verlagert.
Die Menschen wohnen und arbeiten woanders. Können
wir es uns wirklich leisten, so überholte Planungen noch
umzusetzen?
({5})
Wir müssen bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen
um 80 Prozent reduzieren, um ein stabiles Klima zu erhalten und unsere Lebensgrundlagen zu sichern. Eine
Straße baut man aber nicht für fünf bis zehn Jahre, sondern für 30, 40 oder 50 Jahre. Im Jahr 2013 wird der
nächste IPCC-Report erwartet. Wir wissen bereits, dass
er noch viel dramatischer ausfallen wird als der im letzten Jahr, der die uns allen bekannten Wirkungen entfaltet
hat. Darauf deuten alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Beispiel zur Entwicklung des Grönlandeises hin. Das ist nicht zu bestreiten. Es ist zu befürchten,
dass sich der Straßenneubau in wenigen Jahren als Investitionsruine herausstellen wird.
Was ist nötig? Wir brauchen dringend eine Revision
des Bundesverkehrswegeplans und der Infrastrukturausbaugesetze. Wir brauchen eine Mobilitätsgesamtplanung
zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen und der
Wirtschaft in diesem Lande, welche die unbestrittenen
Trends - noch nicht einmal eure Kanzlerin bestreitet sie Dr. Anton Hofreiter
nicht ignoriert, wie es gerade der Bundesverkehrsminister getan hat, sondern sie berücksichtigt.
({6})
Eine klimafreundliche, erdölarme und leistungsfähige
Infrastruktur lässt sich aber nicht über Nacht schaffen.
Mit Planung und Umsetzung müssen wir jetzt beginnen.
Es gilt jetzt umzusteuern, um Mobilität für unsere Wirtschaft und für uns alle zu erhalten.
Ich hoffe nicht - das meine ich ehrlich -, dass wir wieder - wie beim Klimaschutz - 20 Jahre Überzeugungsarbeit leisten müssen, damit ihr dann endlich so weit
seid, wie wir es bereits vor 20 Jahren waren.
({7})
Sonst haben wir ökonomisch und umweltpolitisch, aber
auch im Mobilitätsbereich ernsthafte Probleme.
Vielen Dank.
({8})
Nun hat das Wort der Kollege Jörg Vogelsänger für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren über den Straßenbaubericht 2007 in der Kernzeit im Parlament und nicht im Ausschuss. Das ist angemessen. Der Ausbau und der Erhalt der Infrastruktur
sind entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung in
Deutschland. Hier bleibt die Koalition am Ball.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zur
Erinnerung: Der Bundesverkehrswegeplan wurde 2003
von Rot-Grün verabschiedet. Die Große Koalition macht
nichts anderes, als diesen umzusetzen. Sie von der FDP
waren nicht mit dabei gewesen,
({1})
aber die Grünen waren dabei, und wir haben einen guten
Bundesverkehrswegeplan.
Weiter: Die Große Koalition hat gehandelt. Wir haben
die mittelfristige Finanzplanung für den Bereich Verkehrsinfrastruktur - das betrifft Schiene, das betrifft
Wasserstraße, das betrifft Straße - deutlich verbessert,
und zwar im Milliardenbereich. Mir ist klar, dass sich
der eine oder andere mehr wünscht. Herr Mücke, das ist
für einen Verkehrspolitiker völlig klar. Das gebe auch
ich zu. Aber die Umsetzung ist - auch wenn man selber
in der Regierung ist - sehr viel schwieriger. Ich empfehle Ihnen einen Blick nach Niedersachsen, wo die FDP
in der Regierung sitzt. Schauen Sie sich einmal den
Haushalt an! Dann wissen Sie, wie viel das Land Niedersachsen in Landesstraßen investiert. Da zeigt sich, wie
Verantwortung wahrgenommen wird. Auch das muss
man machen.
({2})
- Wir reden über den Bund, und wir sind im Bundestag,
aber bei der Verkehrsinfrastruktur sind wir alle in der
Verantwortung, auch die Länder. Das sollten wir ganz
deutlich machen.
({3})
Wir als Große Koalition haben auch im
Verkehrshaushalt 2008 deutlich nachgebessert, und zwar
im dreistelligen Millionenbereich.
({4})
Es ist ein Erfolg der Koalition, dass wir diesen dreistelligen Millionenbetrag bereitgestellt haben. Das Geld wird
sinnvoll eingesetzt. Unser verehrter Ausschussvorsitzender hat schon darauf hingewiesen, dass wir ein deutliches Problem hinsichtlich der Lkw-Parkplätze an
Autobahnen haben. Es kann und darf nicht sein, dass
wir dem Speditionsgewerbe eine Auflage nach der anderen machen, was notwendig ist, aber nicht genügend
Stellplätze vorhanden sind. Deshalb ist das sinnvoll eingesetztes Geld, und deshalb ziehen wir dort Investitionen vor.
({5})
Ein Weiteres: Man sollte als Politiker auf dem Boden
der Realität bleiben und anerkennen, dass etwas erreicht
wurde. 1990 standen wir vor der Situation, dass ein Staat
am Ende war und eine völlig desolate Infrastruktur hatte.
Seit 1990 ist mit den Verkehrsprojekten „Deutsche
Einheit“ eine Riesenaufbauleistung vollbracht worden.
({6})
Ich verwahre mich gegen die Aussage, damit habe Ostdeutschland gewonnen. Deutschland hat insgesamt
durch die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ gewonnen.
({7})
Die Ostseeautobahn führt von Mecklenburg-Vorpommern nach Schleswig-Holstein und nützt auch Hamburg.
Das ist ganz deutlich. Dazu ein Wort an die Linke: Sie
bekritteln immer - das ist richtig so -, dass die Arbeitslosigkeit noch zu hoch ist; aber die Koalition handelt.
Sie gehören immer zu den Bedenkenträgern und den
Verhinderern von Verkehrsinfrastruktur.
({8})
Nach den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ und
dem Thema Infrastruktur will ich nun auf ein weiteres
wichtiges Thema eingehen. Wir in Deutschland sind gut
mit dem Ausbau des Radwegenetzes vorangekommen.
Im Bericht ist nachzulesen, dass das Netz immerhin
17 300 Kilometer umfasst. Mittlerweile sind einige Kilometer hinzugekommen. Das sorgt für mehr Verkehrssicherheit, und das sorgt dafür, dass die Umwelt entlastet
wird. Die Große Koalition wird da weiter am Ball bleiben. Im Übrigen hat das Parlament dazu immer gute Beiträge geleistet. Wir sorgen dafür, dass 90 Millionen Euro
für den Bau von Radwegen eingesetzt werden, und das
ist gut so.
({9})
Ich will noch etwas zu den Radwegen sagen. Für mich
ist eines schwierig: Vertreter von Straßenbaubehörden
sagen mir oft: Wir haben weitere Radwege geplant, aber
20 bis 25 Prozent der Mittel müssen wir für Ausgleichsmaßnahmen einsetzen. - Das halte ich für falsch. Ein
Radweg hat auch einen ökologischen Wert. Wenn die
Leute das Auto stehen lassen, gewinnen wir alle. Deshalb sollten wir uns dieses Themas noch einmal annehmen.
({10})
Verkehrspolitik hat auch eine europäische Dimension.
Wir alle freuen uns, dass Grenzkontrollen entfallen sind
und damit die Staus an den Grenzen zu Polen und zur
Tschechischen Republik endlich ein Ende haben. Wir
freuen uns, wenn Schlagbäume fallen, andere wollen
wieder Mauern errichten. Als Große Koalition haben wir
aber auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die europäischen Verkehrskorridore weiter ausgebaut werden.
Das ist eine Pflicht, die aus dem Zusammenwachsen von
Europa erwächst. Deshalb muss auch der Straßenbau vorangetrieben werden.
({11})
Verkehrspolitik ist ein vielschichtiges Thema. Da hört
man von manchen Abgeordneten schon einmal: Wir
brauchen mehr Bildung statt Beton. - Dieselben Abgeordneten schreiben uns dann in netten Briefen, wie wichtig die Ortsumgehung im eigenen Wahlkreis ist. Wir
sollten souverän sagen: Wir brauchen eine verbesserte
Infrastruktur und selbstverständlich auch verstärkte Aufwendungen im Bildungsbereich. Da bleibt die Koalition
dran.
Vielen Dank.
({12})
Die Kollegin Renate Blank ist die nächste Rednerin
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte über den jährlich vorzulegenden Straßenbaubericht der Bundesregierung ist nicht nur eine
Pflichtübung in diesem Haus. Denn die Frage, wie wir es
mit der Straßenverkehrsinfrastruktur in Deutschland halten, ist eine Zukunftsfrage ersten Ranges.
({0})
Die Verkehrspolitik muss die Zukunft im Blick haben.
Kollege Hofreiter von den Grünen, wenn man über
Straßen in den neuen Bundesländern, in Bayern, in Niedersachsen - eigentlich in allen Flächenländern spricht, dann muss man sicherlich darauf hinweisen,
dass auf manchen Straßen nicht sehr viel Autoverkehr
stattfindet. Aber eines muss man auch sagen: Alle Straßenbaumaßnahmen dienen auch der Erschließung der
Fläche und der Mobilität der Menschen. Und wenn im
Durchschnitt jeder Haushalt in Deutschland pro Monat
350 Euro für Mobilität ausgibt, dann haben diese Haushalte auch einen Anspruch darauf, dass ein Teil ihrer
Steuern dafür verwendet wird, dass sie mobil sein können. Wir brauchen also auch die Straßen, die nicht ganz
so stark befahren sind.
({1})
Auch hängt jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland
vom Straßenverkehr ab. Diese Zahlen sollten wir auf
keinen Fall vergessen. Der Zustand unserer Straßen und
die Investitionen in unsere Straßen gehören sozusagen
zum „Eingemachten“ unseres Volksvermögens. Nur eine
gut ausgebaute, leistungsfähige und sichere Verkehrsinfrastruktur sichert die Mobilität der Bürgerinnen und
Bürger und schafft notwendige, wettbewerbsfähige
Standortbedingungen von Industrie und Handel.
Wir wissen auch, dass die fahrfähige Bevölkerung
von 2006 bis 2010 von 68,1 Millionen Personen auf
68,9 Millionen Personen anwachsen wird, während die
Zahl der Personen zwischen 10 und 18 Jahren, die für
den Schülerverkehr bestimmend ist, von 7,9 Millionen
auf 7,3 Millionen zurückgehen wird.
Die Zahl der Pkw-Zulassungen ist im Berichtszeitraum um 500 000 gestiegen. Damit sind mittlerweile
46,5 Millionen Pkw, 2,6 Millionen Lkw und rund
4 Millionen Krafträder zugelassen. Ich glaube, diese
Zahlen sprechen für sich.
Der Straßenbaubericht belegt auch, dass bei der Entwicklung der Straßeninfrastruktur ein Paradigmenwechsel bevorsteht. Der Neubaubedarf ist weitestgehend gedeckt. In Zukunft wird für uns mehr und mehr die
Finanzierung des Ausbaus, der Modernisierung und
des effizienten Betriebs des Straßennetzes die größte
Herausforderung darstellen. Dazu brauchen wir aber
auch die entsprechende Mittelausstattung. Wenn wir im
internationalen Standortwettbewerb nicht zurückfallen
wollen, dann müssen wir dem Ausbau und der Erhaltung
unseres Straßennetzes eine hohe Priorität einräumen. Die
Frage ist, ob die Finanzausstattung ausreicht, um diesen
Anforderungen gerecht zu werden. Ich bedanke mich in
diesem Zusammenhang bei den Haushältern, die für
2008 die Mittel für den Straßenbau um circa
300 Millionen Euro erhöht haben. Herr Minister, Sie haben uns auf Ihrer Seite, wenn es um mehr Mittel für den
Straßenbau geht. Ich muss aber sagen: Die
1,2 Milliarden Euro, die der Finanzminister für die IKB
ausgibt, wären sinnvoller im Straßenbau angelegt gewesen.
({2})
Bei dem Stichwort „Management der IKB“ muss man
schon darüber nachdenken, ob hier richtig gehandelt
wurde. Beim Bereich Straßenbau handelt das Ministerium schon richtig, aber wir bräuchten etwas mehr Geld.
Jedenfalls ist das Management im Ministerium in diesem
Bereich besser als bei der IKB.
({3})
Leider gibt es schlechte Noten für die deutschen Bundesstraßen. Rund 40 Prozent des 40 711 km langen
Streckennetzes sind in einem mehr oder weniger maroden Zustand. Das zeigt der Straßenbaubericht 2007 auf.
23,5 Prozent der Bundesstraßen erhalten in dem Bericht
sogar die Zustandsnote 4,5 bis 5,0, also „eingeschränkte
Gebrauchsfähigkeit“. Im Klartext bedeutet das: sehr
stark wahrnehmbare Unebenheiten; deutlich erkennbare
Spurrillen mit Aquaplaninggefahr; schlechte, stellenweise unzureichende Griffigkeit.
Deutlich besser ist dagegen laut Straßenbaubericht
2007 der Fahrbahnzustand auf den Autobahnen, und
das trotz permanent steigender Verkehrsbelastung.
80,4 Prozent des aktuell rund 12 500 Kilometer langen
Streckennetzes schaffen die Note 1 bis 3,5 und sind damit „voll gebrauchsfähig“. Bei knapp 20 Prozent der
Bundesautobahnen lässt der Fahrbahnzustand allerdings
zu wünschen übrig.
Nun, Herr Minister, zu dem Thema Brückenbau. Ich
will hier keine Panik hervorrufen, und es besteht auch
keinerlei Anlass zur Panik. Im Straßenbaubericht 2007,
der immerhin 81 Seiten hat, wird der Zustand der Brücken nur auf einer halben Seite behandelt. Im Straßenbaubericht 2006 waren die Brücken überhaupt nicht
existent; vielleicht sind sie vergessen worden. Ich bin
der Meinung: Bei über 37 000 Brücken mit einem Anlagevermögen von rund 40 Milliarden Euro interessiert
doch der bauliche Zustand. Ich bitte, das im Straßenbaubericht in Zukunft etwas ausführlicher darzustellen.
Herr Minister, wir haben zum Thema Brückenzustand
- mein Kollege Lippold hat schon darauf hingewiesen,
dass die Brücken äußerst wichtig sind - einen Bericht
angefordert. Dieser Bericht liegt leider noch nicht vor.
Ich hoffe, Herr Minister, dass Sie diesen Bericht im
Laufe des Monats März vorlegen. Ich bin überzeugt,
dass das Ministerium auf der Höhe der Zeit ist und per
Knopfdruck über den Zustand jeder einzelnen Brücke
- Beschaffenheit, Unterhaltungszustand usw. - Auskunft
geben kann. Die Ausgaben für die Erhaltung von Brücken und Ingenieurbauwerken der Bundesfernstraßen
sind deutlich gestiegen. Das wird auch im Straßenbaubericht 2007 dargestellt.
Herr Minister, ich zitiere aus dem Straßenbaubericht
2005: Immerhin erhalten 12,8 Prozent der Brücken die
Note 3,0 bis 3,4; ihre Instandsetzung ist umgehend erforderlich. Das macht schon ein bisschen betroffen. Ich
glaube, hier haben das Parlament, die Haushälter und die
Verkehrspolitik insgesamt noch eine große Aufgabe zu
bewältigen, damit wir den Zustand unserer Brücken halten und auch verbessern.
In 200 000 Staus pro Jahr verpuffen im Übrigen mehr
als 14 Milliarden Liter Kraftstoff und Kosten in Höhe
von 100 Milliarden Euro. Fast die Hälfte der Autofahrer
steht täglich im Stau. Im deutschen Straßenverkehr werden jährlich rund 12 Milliarden Liter Kraftstoff durch
Staus und zähfließenden Verkehr unnötig verbraucht.
Zumindest ein erheblicher Teil davon könnte durch gezielten Infrastrukturausbau sowie durch moderne Verkehrsmanagementsysteme und Verkehrsinformationsdienste eingespart werden.
Im ganzen Straßenbaubericht 2007 zeigt sich, wie
wichtig es war, die Verkehrswegeplanung zu beschleunigen. Mit dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz, das im Dezember 2006 in Kraft trat, wurden ein
wichtiges Vorhaben der Großen Koalition umgesetzt und
ein Reformversprechen eingelöst. Mit dem Gesetz
werden Planungsverfahren in ihrer Dauer und vor allen
Dingen in ihren Kosten kalkulierbarer. Die Bürokratie
verschlingt nämlich über die Hälfte der Autobahnbaukosten. Von den ermittelten 27 Millionen Euro pro Kilometer Autobahn entfällt nur ein Viertel der Kosten auf
die Fahrbahn. Der größte Anteil sind die Verwaltungskosten, die während der Genehmigungsphase anfallen.
Das können wir auf jeden Fall noch ändern.
Auf der einen Seite nimmt der Verkehr insgesamt zu,
und auf der anderen Seite stehen die zur Umsetzung der
erforderlichen Bauvorhaben notwendigen öffentlichen
Mittel nicht zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung. Die
klassische Haushaltsfinanzierung stößt hier an ihre
Grenzen. Deshalb müssen wir neue Wege gehen, zum
Beispiel, indem wir die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft kreditfähig machen, um so notwendige Projekte schneller verwirklichen zu können.
Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, der den Blick
auf die zentrale Bedeutung der Verkehrsinfrastruktur
lenkt.
({4})
Das bedeutet, dass wir in Zukunft mehr Geld für Verkehrsinfrastruktur brauchen.
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Klaas Hübner für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Straßenbaubericht 2007 legt Rechenschaft
darüber ab, wie die Verwendung von Haushaltsmitteln
durch die Bundesregierung erfolgt ist, und das wird mit
vielen Zahlen untermalt. So können wir Parlamentarier
bewerten, wie die Bundesregierung gearbeitet hat. Es ist
auf den ersten Blick wie trocken Brot: ein bisschen fade,
dient aber der Ernährung. Dennoch hat dieser Bericht
eine hohe politische Bedeutung.
Der Straßenbaubereich ist einer der größten Investitionsposten des Bundeshaushalts. Die Investitionen
kommen zum allergrößten Teil den Unternehmen und damit den Arbeitnehmern in Deutschland zugute. Auch der
Nutzen der Investitionen entfaltet sich unmittelbar. Ohne
gute Straßenverbindungen, ohne eine funktionierende Infrastruktur - eine solche haben wir in Deutschland - wären wir nicht Exportweltmeister. Hier zeigt sich: Gute
Verkehrspolitik, gute Infrastrukturpolitik ist immer die
Voraussetzung für eine gute Wirtschaftspolitik.
({0})
Auch beim Aufbau Ost sind wir nicht mehr weit davon entfernt, die gesetzten Ziele zu erreichen. Es ist uns
in einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit den ostdeutschen Landesregierungen gelungen, binnen relativ weniger Jahre die Bundesfernstraßen in Ostdeutschland
grundlegend zu modernisieren und die größten Engpässe
zu beseitigen. Bis zum nahen Ende dieses Jahrzehnts
werden fast alle Neubaumaßnahmen im Autobahnbereich abgeschlossen sein. Über 90 Prozent der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ sind realisiert oder kurz vor
der Fertigstellung. Das ist ein großer Erfolg dieser Regierung, aber auch der Gesellschaft insgesamt,
({1})
und zwar nicht nur für Ostdeutschland, sondern für
Deutschland insgesamt; denn Deutschland profitiert insgesamt, wenn der Osten aufholt. Deswegen kann man
sagen: Weiter so auf diesem Weg, Herr Minister! Wir
danken Ihnen dafür!
({2})
Der Straßenbaubericht dokumentiert die strukturellen Veränderungen, die wir mit unserer Verkehrspolitik
erreicht haben. Wir haben die Verkehrspolitik modernisiert. Im Straßenbaubericht ist auch unser Umweltengagement dokumentiert worden. Wir finanzieren immer
mehr Maßnahmen im Bereich Lärmschutz, beim Radwegebau und auch im Naturschutz. Daran zeigt sich, dass
wir in der Verkehrspolitik auf eine Kombination von
Mobilität, Ökonomie, aber auch Ökologie setzen. Das ist
moderne Verkehrspolitik.
({3})
Der Straßenbaubericht dokumentiert ferner den Einsatz neuer Instrumente in der Verkehrssteuerung. Jeder
Stau, der nicht entsteht, ist eine Entlastung von Umwelt
und Wirtschaft. Mit der engeren Verknüpfung der Verkehrsträger fördern wir eine stärkere Einbindung insbesondere der Bahn, richtigerweise, aber auch der Binnenschifffahrt in die Transportketten. Hier verbinden wir
Umwelt und Wirtschaft ebenfalls. Das ist echte Nachhaltigkeit.
Der Straßenbaubericht dokumentiert schließlich die
Bereitschaft, nicht nur über neue Finanzierungsinstrumente zu reden, sondern auch aktiv nach Wegen zu suchen, sie einzusetzen. Der Bericht zeigt zum Beispiel,
dass die Lkw-Maut - wer hätte das nach den Startschwierigkeiten gedacht? - und damit der Einstieg in die
Nutzerfinanzierung ein voller Erfolg ist.
({4})
Wir werden die Mautsysteme weiter ausbauen, um
Verkehre steuern zu können. Auch hier verbinden wir
wieder Ökonomie, Ökologie und Verkehrssteuerung verbunden mit einer besseren Finanzierung der Verkehrswege in Deutschland - auch das gehört zu unserem modernen Ansatz.
Außerdem bestätigt der Bericht, dass Public-PrivatePartnership, öffentlich-private Partnerschaft, ein gutes
Instrument ist, wenn es im richtigen Moment verantwortungsvoll eingesetzt wird. Ich will nicht sagen, dass dort
von vornherein alles gut gewesen ist. Aber wir haben gelernt, wir haben es fortentwickelt. Mit den laufenden
A- und F-Modellen haben wir Erfahrungen gesammelt,
die wir für die nächste Generation der Public-PrivatePartnership-Modelle nutzen werden. Auch hier gilt in
meinen Augen, Herr Minister: Wir sind auf einem guten
Weg.
Schließlich wird im Straßenbaubericht noch ein Trend
dokumentiert, der die Straßenverkehrspolitik nachhaltig
verändern wird - das ist von einigen in der Debatte heute
schon angesprochen worden -: Die Neubaumaßnahmen
werden weniger; Ausbau und Erhalt von Bundesfernstraßen gewinnen an Bedeutung. Damit wird nicht nur
die Zahl der Bändchen geringer, die wir durchschneiden
können; es verändert sich auch der politische Fokus.
Ernstzunehmende Kritiker wie der Bundesrechnungshof weisen uns darauf hin, dass es bei der Erhaltung der
Bundesfernstraßen erhebliche Effizienzreserven gibt.
Dass der Bund bestellt, die Länder aber ausführen, zeigt
schon, dass hier möglicherweise Spielräume vorhanden
sind. Dass es außerdem keinerlei Vergleichsmaßstäbe für
effizientes Handeln gibt, erhärtet den Verdacht, dass Ineffizienzen vorhanden sein könnten. Einen Teil dieser
Spielräume sollten wir uns leisten; denn der von uns gewollte Föderalismus wird nie ganz reibungslos funktionieren. Wir können aber versuchen, das Miteinander von
Bund und Ländern bei der Straßenbauverwaltung effizienter zu gestalten.
({5})
Im Rahmen der Föderalismuskommission II sollten wir
noch einmal einen Versuch unternehmen, um hier weiterzukommen; denn die Bürgerinnen und Bürger haben
das Recht, dass das Geld in diesem Bereich, das ja aus
Steuermitteln stammt, möglichst effizient eingesetzt
wird. Ich glaube, hier liegt noch eine kleine Aufgabe vor
uns, die wir angehen sollten.
({6})
Klar ist: Straßenbau ist weder Selbstzweck, noch ist
er des Teufels. In der richtigen Dimension und in Verbindung mit einer umweltorientierten Verkehrspolitik sind
Straßen Lebensadern für Wirtschaft und Gesellschaft.
Unsere Straßenbaupolitik ist verantwortungsvoll und
stellt damit eine gute Investition in die Zukunft dar.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen.
({7})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7394 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 h
sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf:
30 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Ent-
schließung vom 8. Juli 2005 zur Änderung des
Übereinkommens vom 26. Oktober 1979 über
den physischen Schutz von Kernmaterial
- Drucksache 16/8151 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum begünstigten Flächenerwerb nach § 3 Ausgleichsgesetz und der
Flächenerwerbsverordnung ({0})
- Drucksache 16/8152 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Hopfengesetzes
- Drucksache 16/8153 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über
die Beschränkung des Einsatzes schädlicher
Bewuchsschutzsysteme auf Schiffen ({2})
- Drucksache 16/8154 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldgesetzes
({4})
- Drucksache 16/8188 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({5})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Dr. Max Stadler, Hartfrid Wolff ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Sicherheitsregeln für Flüssigkeiten im Handgepäck von Flugreisenden auf den Prüfstand
stellen
- Drucksache 16/6641 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({7})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Tourismus
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Monika Lazar, Priska Hinz
({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Systematische Weiterentwicklung der politischen Bildung beim Thema Nationalsozialismus
- Drucksache 16/8184 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({9})
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
h) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einzelnen, global agierenden, internationalen Organisationen und Institutionen
im Rahmen des VN-Systems
- Drucksache 16/5850 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({10})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst
Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Naturschutz praxisorientiert voranbringen Entwicklung der Wildtiere in Deutschland
- Drucksache 16/8077 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({11})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christine Scheel, Dr. Gerhard Schick, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte für eine gerechte Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer
- Drucksache 16/8185 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({12})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Mechthild Dyckmans, Hans-Michael Goldmann,
Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlamentes und des Rates über den Schutz
der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte
Aspekte von Teilzeitnutzungsrechten, langfristigen Urlaubsprodukten sowie des Wiederverkaufs und Tausches derselben
- Drucksache 16/8187 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({13})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU, der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe,
Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine neue, effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nahrungsmittelhilfekonvention
- Drucksache 16/8192 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({14})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Es handelt sich dabei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Sie sind, wie ich sehe, damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Nun kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 31 a
bis 31 m sowie zu Zusatzpunkt 4. Dabei geht es um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 31 a:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
InVeKoS-Daten-Gesetzes und des Direktzahlungen-Verpflichtungengesetzes
- Drucksache 16/7827 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des InVeKoS-Daten-Gesetzes
und des Direktzahlungen-Verpflichtungengesetzes
- Drucksache 16/8147 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({15})
- Drucksache 16/8223 Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Waltraud Wolff ({16})
Hans-Michael Goldmann
Dr. Kirsten Tackmann
Cornelia Behm
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8223, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/7827 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Stimmt jemand dagegen? - Enthaltungen? Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses
angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des InVizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
VeKoS-Daten-Gesetzes und des DirektzahlungenVerpflichtungengesetzes. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8223, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/8147 für erledigt zu erklären. Gleichwohl müssen wir über diese Empfehlung abstimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Norman Paech, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Eskalation im Atomkonflikt mit dem Iran verhindern
- Drucksachen 16/4202, 16/7532 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({18})
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7532, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/4202 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke.
Bei den Tagesordnungspunkten 31 c bis 31 m geht es
nun um die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Zunächst Tagesordnungspunkt 31 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 352 zu Petitionen
- Drucksache 16/8063 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 352 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 353 zu Petitionen
- Drucksache 16/8064 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Auch die Sammelübersicht 353 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 354 zu Petitionen
- Drucksache 16/8065 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 354 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 355 zu Petitionen
- Drucksache 16/8066 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 355 ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 356 zu Petitionen
- Drucksache 16/8067 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 356 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 357 zu Petitionen
- Drucksache 16/8068 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 357 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 358 zu Petitionen
- Drucksache 16/8069 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 358 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0})
Sammelübersicht 359 zu Petitionen
- Drucksache 16/8070 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 359 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1})
Sammelübersicht 360 zu Petitionen
- Drucksache 16/8071 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 360 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei
Gegenstimmen der Fraktion der FDP und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2})
Sammelübersicht 361 zu Petitionen
- Drucksache 16/8072 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 361 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion
der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 31 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3})
Sammelübersicht 362 zu Petitionen
- Drucksache 16/8073 Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 362 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wir kommen zum Zusatzpunkt 4:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des
Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung
von Entscheidungen über die Sicherstellung
von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union
- Drucksache 16/6563 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 16/8222 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({5})
Joachim Stünker
Dr. Peter Danckert
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8222, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6563 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktionen der FDP und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Möglichkeiten von Mitgliedern der Deutschen
Kommunistischen Partei, über offene Listen
der Partei DIE LINKE in Parlamenten Mandate zu erlangen, und die damit verbundenen
Auswirkungen
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dirk Niebel das Wort.
({6})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der erstmalige Einzug einer Kommunistin seit
1953 in ein westdeutsches Landesparlament ist der Beleg dafür, dass die Linkspartei weiterhin versucht, Kommunisten und Stasispitzel in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen.
({0})
Die Landtagsabgeordnete Christel Wegner, die als DKPMitglied über die Liste der Linkspartei in den Niedersächsischen Landtag eingezogen ist, hat in einem Interview nicht nur die Wiedereinführung der Stasi gefordert,
sie hat auch noch den Mauerbau damit begründet, dass
verhindert werden sollte, dass die Westdeutschen massenweise in die DDR kommen und dort die Waren zu
billigen Preisen aufkaufen. Der Geheimdienstkenner
Gregor Gysi hatte zum angerichteten Schaden sofort
eine Verschwörungstheorie parat. Er sagte: Das riecht
nach Verfassungsschutz.
Aus diesem Vorgang lernen wir zweierlei: Erstens.
Die Mauer gab es nur, damit die Wessis den Ossis die
nicht vorhandenen Bananen nicht wegkaufen konnten.
Zweitens. Wer auf diese Weise argumentiert, wird uns
demnächst auch erklären wollen, die DDR sei eine gigantische Simulation der CIA gewesen.
({1})
Die Öffnung der Listen für DKPisten bei der Linkspartei bedeutet nichts anderes, als dass das Gift der Diktaturverherrlichung schleichend in unsere Gesellschaft
einzieht. Diese schleichende DDR-Rehabilitierung sehen wir auch in diesem Hohen Hause. Seit dieser Legislaturperiode haben wir nicht mehr nur inoffizielle Stasispitzel, sondern mit Herrn Lutz Heilmann einen
hauptamtlichen Mitarbeiter des Unterdrückungsregimes
in diesem Hause sitzen. Das soll uns zeigen, dass sich
diese Republik verändern kann, hin zu dem Systemwechsel, den die Linken bei der Parteigründung durch
die Rede ihres Vorsitzenden gefordert haben.
({2})
Dr. Hubertus Knabe, der Leiter der Stasigedenkstätte
in Berlin-Hohenschönhausen, hat sein Buch unter den
Titel „Die Täter sind unter uns“ gestellt. Das stimmt
ganz offensichtlich nicht nur für den Deutschen Bundestag, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland
und den Versuch, die Kommunisten über die Linke Liste
in die Parlamente Westdeutschlands einziehen zu lassen.
({3})
Wer sich in Hessen umschaut, wird feststellen, dass
der erste Linke-Spitzenkandidat nach der durch ihn vorgenommenen Gleichsetzung des DDR-Schießbefehls an
der Mauer mit den Einsatzregeln der deutschen Bundeswehr in Afghanistan zurückgetreten wurde und durch einen Menschen ersetzt wurde, der Willi van Ooyen heißt
und jahrzehntelang Mitglied und Funktionär der Deutschen Friedens-Union gewesen ist, einer KPD-Nachfolgeorganisation, die von der DDR finanziert worden ist.
({4})
Wer sich die Wahllisten der Linken für die Bürgerschaftswahl in Hamburg am kommenden Sonntag anschaut, wird feststellen, dass allein zehn DKP-Mitglieder
auf diesen Listen stehen,
({5})
von denen Olaf Harms, der Landesvorsitzende der DKP,
der für die Bürgerschaft kandidiert, ganz klar die Verstaatlichung der Produktionsmittel für Deutschland fordert. Wenn das nicht die DDR mit anderen Mitteln ist,
dann weiß ich nicht, was die hier erreichen wollen.
({6})
Sie von der Linksfraktion nutzen derzeit die kriminelle Energie einiger Steuerbetrüger, um Wasser auf Ihre
Mühlen zu leiten.
({7})
Woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass das
verschwundene SED-Vermögen nicht auf den gleichen
liechtensteinischen Konten gelandet ist?
({8})
Wenn in mehr als 80 Jahren in mehr als 70 Ländern der
Welt mit mehr als 20 Milliarden teilnehmenden Probanden das Ergebnis eines Feldversuches immer das gleiche
gewesen ist - der Bankrott des Staates und der Ruf der
Menschen nach Freiheit -, dann liegt das nicht daran,
dass eine vermeintlich gute Idee vielleicht falsch umgesetzt wurde, sondern dann liegt das an der falschen Idee
als solcher!
({9})
Deshalb sage ich Ihnen: Wehret den Anfängen und
geht gegen die Extremisten von links und von rechts vor!
Wenn Sie als Linke noch halbwegs glaubwürdig bleiben
wollen, müssen Sie zunächst einmal alle DKP-Kandidaten von den hamburgischen Listen streichen.
({10})
Spätestens seit gestern wissen wir aber auch, dass sich
die SPD in Hessen von den Kommunisten an die Regierung bringen lassen will.
({11})
Kurt Beck sagt dazu: Dann machen wir es halt so. - Herr
Naumann, der Spitzenkandidat in Hamburg, war bei dem
Gespräch dabei.
({12})
Die SPD hat schon längst ihre Unschuld verloren spätestens seit der Tolerierung von Herrn Höppner in
Sachsen-Anhalt sowie der rot-roten Regierung in Mecklenburg-Vorpommern und in der Bundeshauptstadt. In
der Bundeshauptstadt gibt es rechnerisch eine Mehrheit
für Rot-Grün. Warum regieren Sie hier dann eigentlich
mit den Kommunisten?
({13})
Erklären Sie den Menschen und der deutschen Öffentlichkeit vor der Hamburg-Wahl in diesem Hause verbindlich, dass Sie jede Zusammenarbeit mit dieser
Gurkentruppe in Hessen und anderswo ausschließen!
Ansonsten verlieren auch Sie jedwede Glaubwürdigkeit.
({14})
Ich komme zum Schluss. Hessen und Niedersachsen
haben eines deutlich gezeigt: Wer nicht wählt, wählt
links. Deshalb fordere ich alle Bürger in Hamburg auf:
Gehen Sie zur Wahl, und nehmen Sie Ihr Wahlrecht in
Anspruch!
Vielen herzlichen Dank.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Hartmut Koschyk für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist mit Blick auf die Fraktion Die Linke/DKP interessant,
({0})
wer heute bei dieser dringend notwendigen Aktuellen
Stunde nicht da ist.
({1})
Herr Dehm ist nicht da. Er war der Wegbereiter dieser
Verbindung zwischen DKP und Linken und auch der
Wegbereiter für den Einzug von Christel Wegner in den
Niedersächsischen Landtag. Weder Herr Gysi noch Herr
Lafontaine sind da.
({2})
Ich vermisse auch die Vizepräsidentin des Bundestages
von der Linken, Frau Petra Pau, die sich ebenfalls schon
in diese Debatte eingebracht hat. Ich vermisse ebenso
Herrn Ramelow. Was sagt uns dieses Fernbleiben? Es
sagt uns, dass der Rauswurf von Frau Wegner eine reine
Alibiveranstaltung ist. Zu dieser Schlussfolgerung
kommt man auch, wenn man sich einmal anschaut
- Herr Niebel hat es angesprochen -, wie viele Kommunisten bei der Hamburg-Wahl für die Linke auf der Landesliste, auf den Wahlkreislisten, aber auch auf den Bezirkslisten kandidieren.
Die Panorama-Moderatorin, die letzte Woche den in
Rede stehenden Beitrag anmoderiert hat, hat es auf den
Punkt gebracht, indem sie gesagt hat: Wo Linke draufsteht, sind Kommunisten drin.
({3})
Das müssen sich die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld
der Hamburger Wahl wirklich einmal vor Augen führen.
Ich habe mir vorhin noch einmal den Panorama-Beitrag angesehen.
({4})
Anscheinend ist in der Öffentlichkeit bislang das Interview mit Herrn Harms noch nicht angemessen beachtet
worden. In diesem Beitrag wird über eine vor kurzem
stattgefundene Kundgebung der Linken in Brandenburg
berichtet, auf der viele DKP-Fahnen zu sehen waren und
der vorvorletzte Verteidigungsminister der DDR, Herr
Keßler, eine markige Rede halten konnte.
Der Redakteur dieses Beitrags zitiert anschließend
aus dem DKP-Programm, in dem Solidarität mit der ehemaligen SED-Führung gefordert wird. Frage des Moderators an Herrn Harms: Die SED-Führung war verantwortlich für Stasigefängnisse und Mauertote. Warum
erklärt sich die DKP solidarisch? - Antwort Herr Harms:
Weil das ein Verantwortungsbereich war, der ein
kleiner Bereich war, so ungut er auch möglicherweise gewesen ist. Gleichzeitig waren sie dafür verantwortlich, dass in der DDR keiner hungern
musste.
({5})
Ihr Rauswurf von Christel Wegner durch die Linke ist
so lange unglaubwürdig, solange Sie zulassen, dass so
jemand am kommenden Sonntag auf einer Liste der Linken für die Bürgerschaft in Hamburg kandidieren kann.
({6})
Wissen Sie, was der eigentliche Skandal ist? Das jämmerliche Dementi von Herrn Gysi in dieser PanoramaSendung. Wissen Sie, was Herr Gysi dazu gesagt hat, als
er befragt wurde, was er von dem Fall Wegner und dem
Kandidaten Harms hält? Gysi hat sich ganz elegant hingestellt und gesagt: Ich war dagegen - in Klammern hinzugefügt: dass Kommunisten auf unserer Liste kandidieren -; wenn jemand, der die Meinung von Frau Wegner
teilt, mit der Linken ein Mandat erringt, wird dieser eben
in der Fraktion überstimmt. So ist Demokratie.
Hier zeigt sich, dass Kommunisten mit der Tarnkappe
der Linken - auch dieser schöne Begriff stammt aus dieser Sendung - der Weg in deutsche Parlamente geebnet
wird. Sie aber haben nicht einmal den Mut, eine solche
Debatte zu nutzen, um hier jemanden reden zu lassen,
der wie Herr Ramelow zu Recht sagt: Dehm soll in dieser Frage endlich einmal die Klappe halten.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Maurer für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Dies alles wird doch im Fernsehen übertragen. Halten
Sie sich also zurück!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was lernen wir aus den unterirdischen Reden des Kollegen
Niebel und des Kollegen Koschyk? Wir lernen daraus:
Es sind Wahlen in Hamburg, nicht wahr, Herr Kollege
Niebel? Das lerne ich aus Ihrer Rede. Das ist auch der
einzige Grund, warum Sie diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Es geht nicht um seriöse Fragen, sondern
vor der Wahl soll noch ein bisschen Dreck geschleudert
werden. Deswegen machen Sie das hier. Ich sage Ihnen
eines: Sie unterschätzen die Wählerinnen und Wähler
grandios.
({0})
Ich lerne aus Ihrer Rede: Der FDP geht es im Hinblick
auf die Wahlen in Hamburg offensichtlich dreckig.
({1})
- Das ist so. - Auch der CDU/CSU geht es nicht gut.
Jetzt dürfen Sie hier noch ein bisschen Klamauk machen, und am Montag werden Sie sich zum Katerfrühstück versammeln.
({2})
- Ihretwegen gehe ich ganz bestimmt nicht auf die Thematik ein
({3})
- ruhig -, sondern deswegen, weil es in diesem Land
Menschen gibt, die Fragen an uns gestellt haben. Diese
beantworte ich heute so, wie ich und übrigens auch der
Kollege Ramelow sie immer beantwortet haben.
({4})
Die Frage lautet: Wie haltet ihr es mit der Stasi und der
Mauer? Unsere Antwort heißt: Wer die Stasi und die
Mauer gut findet, hat in unseren Parlamentsfraktionen
nichts verloren.
({5})
Wer sich so äußert, dem wird das Gleiche passieren, was
die Fraktion unserer Partei in Niedersachsen gemacht
hat: Sie hat Frau Wegner
({6})
durch einstimmigen Beschluss aus der Fraktion ausgeschlossen. Alles andere, was Sie hier probieren, ist aus
der Mottenkiste.
Herr Niebel, passen Sie auf: Dieses Haus ist ein ziemliches großes Glashaus.
({7})
Wer sich wie Sie eine Blockpartei mitsamt dem Vermögen einverleibt hat,
({8})
dem rate ich zu äußerster Zurückhaltung.
({9})
Auch Sie von der CDU/CSU haben sie sich einverleibt.
Sie haben mit Herrn Junghanns jemanden zum stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister gemacht, der
noch im Sommer 1989 die Mauer als einen antifaschistischen Schutzwall bezeichnet hat. Ihn haben sie zum Minister und stellvertretenden Ministerpräsidenten gemacht. Da sind Sie alle ganz großartig.
Wenn ich hier im Parlament die Frage stellen würde
- passen Sie mit Biografien auf! -, wer schon alles, bevor er zu hohen Staatsämtern gekommen ist, in irgendwelchen kommunistischen Bünden war, dann würde ich
bei dieser Suche außerordentlich erfolgreich sein.
({10})
Eines sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Wir setzen
uns radikal und grundlegend mit den Verbrechen des
Stalinismus auseinander. Ja, das tun wir.
({11})
Herr Niebel, ich lasse Ihnen den Versuch, geschichtliche
Tatsachen zu leugnen, nicht durchgehen - Sie brauchen
so eine grobe Antwort -: In den KZs der Nazis waren
Sozialdemokraten und viele Kommunisten.
({12})
Auch Liberale saßen im KZ. Nach 1945 waren es aber
die Liberalen, Herr Niebel, und die CDU/CSU, die ehemaligen hochrangigen Nazis und Mitläufern zu höchsten
Staatsämtern verholfen haben. Auch das gehört zur geschichtlichen Wahrheit. Die einen saßen im KZ, und die
anderen sind zu hochrangigen Staatsämtern gekommen.
({13})
Deswegen empfehle ich Ihnen sehr viel Zurückhaltung.
Wenn Sie wollen, können wir eine große Geschichtsdebatte führen.
({14})
Ich komme zum Schluss. Sie können mit Dreck
schleudern, soviel Sie wollen - unsere Partei wird gewählt, weil der von Ihnen geförderte finanzmarktgetrie15280
bene Kapitalismus den Menschen sein finsterstes Gesicht zeigt.
({15})
Deswegen werden wir gewählt. Das ist auch die richtige
Antwort.
Herr Niebel, wenn Sie uns loswerden wollen, sollten
Sie die Gesetze zurückzunehmen, die nach Dr. Hartz benannt worden sind
({16})
- Sie waren doch auch dafür -, dann empfehle ich Ihnen,
die Sklavenarbeit zu beenden, die unter dem Deckmantel
von Zeitarbeitsfirmen stattfindet; dann empfehle ich Ihnen, die Beteiligung an weltweiten Kriegen einzustellen.
Damit würden Sie uns in Schwierigkeiten bringen. Mit
Verunglimpfungen bringen Sie uns nicht in Schwierigkeiten. Nach der Wahl in Hamburg sprechen wir uns
wieder.
({17})
Nun hat der Kollege Klaus Uwe Benneter für die
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Niebel, mir hat sich der Sinn dessen, was Sie
hier thematisiert haben, nicht so richtig erschlossen. Sie
wissen doch, dass wir im Deutschen Bundestag das
Wahlrecht kürzlich geändert haben: Sie haben mitbestimmt, dass es künftig nicht mehr möglich ist, dass die
PDS Kommunisten über ihre Listen ins Parlament verhilft.
({0})
- Bei der Wahl in Hamburg am Sonntag gilt das nicht.
Das Bundeswahlgesetz gilt nur für Bundestagswahlen
und nicht für Landtagswahlen. Deshalb ist es gut, dass
Herr Ramelow gesagt hat, dass man das auch bei allen
Landtagswahlen so handhaben wolle. Im Bundestag hat
die PDS noch dagegen gestimmt, als es darum ging, dass
Kandidaten verschiedener Parteien nicht gemeinsam auf
einer Liste kandidieren können. Für die Bundestagwahlen ist das jetzt geklärt; es wird in Zukunft nicht mehr
vorkommen können, dass etwa, wie in Niedersachsen,
eine Kommunistin aus der Fraktion ausgeschlossen
wird, bevor sich das Parlament überhaupt konstituiert
hat.
({1})
Es ist Ironie des Schicksals, dass die PDS einem
längst vergessenen Haufen, der mit verworrenen Vorstellungen die Verbrechen des Stalinismus zu relativieren
versucht, dazu verhilft, wieder in einem Parlament aufzutauchen.
({2})
Diether Dehm, der für die PDS im Bundestag sitzt und
auch über eine solche Liste in den Bundestag eingezogen
ist, meint, das relativieren zu können.
({3})
Wer die DKP auf die Liste nimmt, der weiß, was er
tut; der kann den Menschen nicht vormachen, ihm sei
nicht klar gewesen, dass da Kommunisten mit verschrobenen Ideen und wirren Vorstellungen in die Parlamente
gewählt werden wollen. Die Ewiggestrigen müssen aus
den Parlamenten herausgehalten werden! Das ist der
Grund, warum wir unser Wahlrecht geändert haben. Wir
wollen Transparenz. Wir wollen wissen, wer auf den
Listen steht und wer für bestimmte Programme in Parlamente gewählt wird. Die PDS versucht, das durch solche
Listenverbindungen zu verheimlichen.
In Hamburg tritt Herr Harms - nicht harmlos - an.
Kollege Koschyk hat sich die entsprechende PanoramaSendung noch einmal angesehen. Das ist eigentlich jedem zu empfehlen; das kann jeder heute problemlos über
das Internet nachholen. Dieser Herr Harms ist auf der
Liste in Hamburg. Die Wählerinnen und Wähler wissen
jetzt, was in Hamburg auf sie zukommt. Sie haben die
Möglichkeit, die Linken dort aus dem Parlament herauszuhalten. Sie haben die Möglichkeit, dafür zu sorgen,
dass hier ein klarer Schnitt gemacht wird - mit stalinistischen Ideen, mit stalinistischen Vorstellungen, mit der
Verharmlosung der Stasi und dem Gutheißen von Verbrechen, die dort passiert sind. Die Wählerinnen und
Wähler in Hamburg sind aufgerufen, deutlich zu machen, dass die Linke, solange sie solche Kommunisten
auf ihren Listen duldet, in den Parlamenten nichts zu suchen hat.
({4})
Das hat Kollege Ramelow gemeint, als er gesagt hat:
Dehm soll die Klappe halten.
({5})
Das wird aber nicht ausreichen, um den Wählerinnen
und Wählern klarzumachen, dass auf diese Art und
Weise Leute ins Parlament gewählt werden, die, wenn
sie offen angetreten wären, nie eine Chance gehabt hätten, in ein deutsches Parlament zu kommen.
({6})
Typischerweise kommt dann Gysi mit der Haltet-denDieb-Methode: Das war dann der Verfassungsschutz,
({7})
oder es waren andere Verschwörungen, die die offensichtlich umnachtete Frau Wegner dazu veranlasst haben, sich gegenüber Panorama-Redakteuren so zu äußern. Wir sollten Ihnen nachsehen, was für Leute Sie auf
Ihre Listen genommen haben. Auch im Bundestag haben
wir einen Kollegen, der zwar auf der Liste der PDS
stand, aber dann sehr schnell als fraktionsloser Abgeordneter hier saß und immer noch sitzt. Diese Fraktionslosen gehen ja nicht aus dem Parlament, auch wenn sie
von der PDS dazu aufgefordert werden.
({8})
Nein, sie sitzen hier noch länger und verharmlosen weiter die Verbrechen des Stalinismus. Dem, denke ich,
können die Wähler Einhalt gebieten.
({9})
Die FDP in Hamburg ist offensichtlich die Partei, die
sich für Raucher mit Kampfhunden und gegen Leinenzwang einsetzt.
({10})
Bezüglich des Kölner Stadt-Anzeigers, Kollege
Niebel, sage ich: Wenn sich die Zeitungen Falschmeldungen ausdenken
({11})
und unter dem Hinweis, dies sei in Zeitungskreisen bekannt geworden, in die Zeitung setzen, dann kann man
wirklich nicht erwarten, dass solche Falschmeldungen
auch noch von denjenigen dementiert werden, die immer
klargemacht haben, dass dies Falschmeldungen sind.
({12})
Die SPD wird sich weder in Hessen noch in Hamburg
von der Linkspartei wählen lassen, wenn die FDP ihrer
Verantwortung nachkommt.
({13})
Die FDP hat dort ihre staatsbürgerliche Verantwortung
wahrzunehmen; dazu ist sie aufgefordert. Das können
Sie hier mit solchen Aktuellen Stunden nicht vernebeln.
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Maurer, Sie haben gezeigt, dass Sie die berechtigten Fragen, die die Menschen an Sie stellen, gar nicht ernst nehmen.
({0})
Wir haben wirklich eine seltsame Veranstaltung erlebt.
Das DKP-Mitglied - und linke Abgeordnete - Christel
Wegner erklärt uns, dass man in einer sozialistischen Gesellschaft eine Stasi braucht, um die reaktionären Elemente in Schach zu halten. Die führenden Vertreter der
Linken reagieren darauf, als erlebten sie gerade eine
große politische Kinderüberraschung. Das Überraschungsei geht auf, und man wundert sich, was herauspurzelt:
({1})
Ach, da stand DKP drauf; oh, da ist sogar DKP drin.
({2})
Es ist doch wirklich billig, wie Sie darauf reagiert haben.
({3})
Herr Gysi sieht in seiner ersten Überraschung den
Verfassungsschutz am Werk. Da hätte der Satz von Bodo
Ramelow: „Wer Unsinn redet, hat bei uns keinen Platz“
zur Anwendung kommen können.
({4})
Herausgekommen ist: Das war nicht der Verfassungsschutz - das war aber auch keine Überraschung -, sondern das war der Originalton marxistisch-leninistischer
Grundschulung.
({5})
Die einschlägigen Lehrbücher aus der DDR über die
Grundlagen des dialektischen Materialismus konnte man
in den 70er-Jahren auch im Westen lesen.
({6})
Ich fände es schon seltsam, wenn ich die Einzige in
diesem Hause sein sollte, die sich noch dunkel daran erinnert, was in diesen Büchern gestanden hat. Ich will Ihrem Gedächtnis einmal auf die Sprünge helfen und den
„freundlichsten“ der einschlägigen Theoretiker, nämlich
Friedrich Engels, zitieren:
Solange das Proletariat den Staat noch gebraucht,
gebraucht es ihn nicht im Interesse der Freiheit,
sondern der Niederhaltung seiner Gegner …
Das ist fast Originalton Frau Wegner.
({7})
Ich kann Ihnen gerne auch härteren Stoff aus Lenins
„Staat und Revolution“ oder etwa Maos Satz „Die Revo15282
lution ist kein ... Deckchensticken“ nachliefern, wenn
das hier gefragt ist.
({8})
Was Frau Wegner gesagt und Herr Dehm verteidigt
hat, gehört schlichtweg zum theoretischen Grundgerüst
des Marxismus-Leninismus.
({9})
Es läuft auf ein taktisches Verhältnis zur Demokratie und
auf eine Relativierung von Menschenrechten und
Rechtsstaat hinaus.
({10})
Das höhere Ziel ist der Sozialismus. Menschenrechte
und Demokratie sind ihm unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten untergeordnet. Das war die theoretische
Basis für die Rechtfertigung des Mauerbaus, des Schießbefehls und der Zerstörung von Leben in der DDR; so
einfach ist das manchmal.
({11})
Sie sind dafür verantwortlich, dass Menschen, die auch
heute immer noch nach genau dieser theoretischen Maxime ticken, jetzt der Weg in deutsche Parlamente geebnet wird.
({12})
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, worüber wir hier reden: Wir reden nicht davon, dass man
Menschen, die vor 20 Jahren in der DKP waren, sich inzwischen aber weiterentwickelt haben, jetzt ihre Vergangenheit vorhält.
({13})
Wir reden von Menschen, die 18 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch auf der gleichen kommunistischen Stelle treten,
({14})
die ihr Denken 40 Jahre lang nicht geändert haben und
darauf auch noch stolz sind. Diese Leute halten sich
heute für Helden. Ich sage: Die haben ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie, und Sie helfen denen heute in
die Parlamente. So sieht es doch aus!
({15})
Was glauben Sie denn, wer in Hamburg eine Partei
mit dem Etikett „Alte DKP“ wählen würde? Was glauben Sie denn, wer eine Partei mit dem Etikett „Bund
Westdeutscher Kommunisten“ wählen würde? Aber Sie
pappen das harmlos klingende Etikett „Die Linke“ drauf.
({16})
Und bums: Die zehn Kandidaten der DKP in Hamburg
sind in Sektlaune, weil sie von Ihnen sozusagen durchgeschleust werden. Hören Sie doch auf, uns Ihr linkes
Trojanisches Pferd als Unschuldslamm zu verkaufen!
({17})
Es ist wirklich nicht so, als wüssten Sie nicht, welche
Kandidaten Sie sich da zusammengesucht haben. Was
Sie stört, ist aber nicht etwa, dass sich jemand, der der
DKP angehört, auf Ihrem Ticket auf dem Weg in ein Parlament befindet. Was Sie stört, ist, dass Ihre seltsamen
Genossen ins Scheinwerferlicht geraten sind und sich
verplappert haben.
({18})
Dann müssen sie eben weg wie Frau Wegner. Hier funktioniert Ihr Mechanismus, dass der einzelne Mensch für
die große Sache geopfert werden muss, immer noch hervorragend.
Ich sage Ihnen: Herr Gysi und Herr Ramelow sind
bestenfalls geschickt. Vielleicht ist das sogar eine wichtige politische Teilfähigkeit. Aber verkaufen Sie uns in
diesem Hause Geschicklichkeit nicht als Moral!
({19})
Hören Sie auf, so zu tun, als hätten Sie den Alleinvertretungsanspruch für das Gute in der Welt! Sie haben eine
Menge Hausaufgaben, die Sie noch nicht gemacht haben.
({20})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kristina Köhler für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu
Herrn Maurer. Herr Maurer, Sie haben uns eben treuherzig erklärt, dass sich die Linkspartei mit den Verbrechen
des Stalinismus ernsthaft auseinandergesetzt habe. Ich
möchte daher zitieren, was die Kommunistische Plattform davon hält, einen Gedenkstein für die Opfer des
Stalinismus zu errichten. Die Kommunistische Plattform
schreibt wörtlich:
Ein Stein, der pauschal an alle erinnert, die unter
Stalin zu Tode kamen oder Haftstrafen verbüßten,
ist für uns inakzeptabel.
({0})
Kristina Köhler ({1})
Das zeigt: Das Problem ist nicht nur die DKP. Die Kommunistische Plattform ist Teil der Linkspartei; das Problem ist somit die Linkspartei an sich.
({2})
Das kann man an einem Artikel, der in der heutigen
taz steht, wunderbar nachvollziehen. Die taz zitiert nicht
nur Herrn Harms - der heute schon viel zitiert wurde -,
sondern auch einen Kreischef der Linken. Auch dieser
singt allen Ernstes das Hohelied der DDR und der guten
Seiten der Stasi. Wer meint, Frau Wegner, Herr Harms,
die DKPler seien Ausrutscher auf den Listen der Linkspartei, der irrt gewaltig. Die DKP steht nämlich nicht
links von der Linken; sie steht fest in deren Mitte.
({3})
Sie können Herrn Gysi ausrichten: Die DKPler wurden
nicht etwa vom Verfassungsschutz auf Ihre Listen gesetzt, sondern von der Linkspartei selbst.
({4})
Die Frage nach der historischen Einordnung der DDR,
die Frage der Würdigung der Opfer des Kommunismus,
die Frage nach der Abschaffung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, diese Fragen treffen Sie,
meine Damen und Herren von der Linkspartei, mitten ins
Herz; denn Sie haben sich bis heute nicht entschieden, ob
Sie unsere Demokratie bloß reformieren oder ob Sie sie
bekämpfen wollen.
({5})
Ich rede hier nicht, wie man vermuten könnte, von
Standpunkten aus Zeiten des Kalten Krieges; ich rede
von der Linken, wie sie sich heute darstellt.
Schauen wir uns einmal die Programmatischen Eckpunkte an, die die Linken im Jahr 2007 beschlossen haben! Beispiel Nummer eins:
Als mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das
größte Gegengewicht wegfiel, konnten sich die zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten kapitalistischen Marktes immer mehr entfalten.
({6})
Ich halte fest: Die Linke bedauert den Zusammenbruch
der Sowjetunion, weil diese angeblich die Marktwirtschaft in Schach gehalten hat. Das ist genau die Logik,
der zufolge die Berliner Mauer ein antikapitalistischer
Schutzwall war.
({7})
Nichts anderes hat Frau Wegner gesagt.
Ein weiteres Beispiel aus den Eckpunkten der Linken;
es trifft den Kern dieser Debatte. Die Linke stellt die
Frage:
Inwieweit müssen dazu
- es geht um die, wie es heißt, Demokratisierung der
Wirtschaft auch kapitalistische Eigentumsverhältnisse aufgehoben werden?
({8})
Wir dürfen uns nichts erzählen lassen! Es geht hier nicht
um Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes - Sozialpflichtigkeit des Eigentums -, sondern um einen Kern unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung, nämlich um
das Recht auf Eigentum.
({9})
An dieses Eigentum will die Linke ran.
Ich habe hier einen Wahlkampfflyer der Hamburger
Linken, die nächsten Sonntag zur Wahl stehen. Da
schreibt die Linke ganz offen:
Deshalb liegt unser Ziel im Aufbau eines demokratischen Sozialismus,
- gut, das möchte unser Koalitionspartner auch ({10})
in dem das Privateigentum an Produktionsmitteln
überwunden ist.
Im Klartext: Die Sozialisten wollen die Enteignung der
großen und kleinen Unternehmen von Maschinen und
Grundeigentum. Sie fordern die Enteignung des kleinen
Handwerkers von nebenan. Sie fordern volkseigene Betriebe.
({11})
Das ist es, was mir wirklich Sorgen macht.
Es wäre anmaßend, jemandem vorzuwerfen, dass er
in der SED war. Es wäre sicherlich auch falsch, zu sagen, jeder Wähler der Linkspartei wolle, dass die Handwerker enteignet werden. Aber wenn in einem Programm der Linken aus dem Jahr 2007 ernsthaft wieder
der Niedergang der kommunistischen Sowjetunion betrauert und über eine Enteignung von Unternehmern
nachgedacht wird, dann zeigt dies eines: Unser Problem
sind nicht Frau Wegner und Herr Harms von der DKP,
sondern unser Problem ist die Linkspartei an sich, weil
sie nichts gelernt hat.
({12})
Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort Carl-Ludwig
Thiele, FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, dass der Kollege
Maurer zu Anfang erklärt hat, dass sich die Linkspartei
um die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit und
auch um die Aufarbeitung der DDR bemüht habe. Wir
sollten uns einmal anschauen, was die DKP eigentlich
war. Ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung vom gestrigen Tage:
Die Deutsche Kommunistische Partei … wurde
1968 gegründet, sie gilt als Ersatzorganisation der
im Jahr 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen KPD. Die DKP war bis zum Zusammenbruch der DDR eine von der SED finanzierte westdeutsche Kaderpartei …
({0})
Erinnern wir uns, wie es mit dem Parteivermögen der
SED war und wer für das Parteivermögen der SED verantwortlich war. Es war Herr Gysi. Herrn Gysi ist von
der Unabhängigen Kommission bescheinigt worden,
dass er verschleiert habe, wo dieses Geld der SED geblieben ist, das vorher den Bürgern der DDR abgenommen wurde.
({1})
Bis heute sind an dieser Stelle nicht alle Klarheiten beseitigt. Das ist die Partei, die die DKP finanziert und am
Leben erhalten hat und die heute sagt, mit ihr habe sie
nichts zu tun. Dies verstehe ich nun beim besten Willen
nicht.
({2})
Ich freue mich über die Präsenz bei dieser Aktuellen
Stunde, die bei der SPD vielleicht noch etwas stärker
hätte sein können. Aber ich finde es auf der anderen
Seite auch ein bisschen traurig, dass dieses Thema ausschließlich von der FDP beantragt wurde. Dies hätte
auch den Grünen gut angestanden, die noch „Bündnis 90“ im Namen führen.
({3})
Es hätte auch der Union gut angestanden, unserem Antrag beizutreten; denn die Bedeutung dieser Aktuellen
Stunde geht in der politischen Dimension weit über das
hinaus, was wir hier derzeit diskutieren.
({4})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
DDR war ein Unrechtsstaat. Durch den Bau der Mauer
mit dem Todesstreifen wurde ein ganzes Volk gefangen
genommen. Hunderte von Menschen haben an der
Grenze ihr Leben gelassen. Dann kommt eine neu gewählte Landtagsabgeordnete der Linkspartei und rechtfertigt auch hinsichtlich dieser Menschen und eines ganzen Volkes, das von der Mauer gefangen gehalten
wurde:
Der Bau der Mauer war in jedem Fall eine Maßnahme, um zu verhindern, dass weiterhin Westdeutsche in die DDR konnten.
Dies zeigt, dass immer noch in dieser Kategorie gedacht
wird. Dafür ist auch kennzeichnend, dass sich diese Person bei einer anderen Mehrheit die Stasi wieder
wünscht, wie sie es tatsächlich gesagt hat.
({5})
Weil Sie, Herr Maurer, die Glaubwürdigkeit angesprochen haben, empfehle ich Ihnen, genauso zu handeln, wie es die FDP-Fraktion getan hat. Seit der deutschen Einheit haben sich zu Beginn einer Wahlperiode
alle unsere Mitglieder freiwillig auf eine Stasi-Mitarbeit
überprüfen lassen. Wenn man Transparenz braucht,
braucht man sie auch in diesem Bereich.
({6})
Das sollte auch von Ihnen gemacht werden. Alles andere
sind Lippenbekenntnisse, um die alten Stalinisten in Ihrer Partei nicht zu verprellen. Das ist doch der Hintergrund.
({7})
Da wird doch nur formal eine Auseinandersetzung
geführt, die inhaltlich überhaupt nichts bedeutet, weil
viele nach wie vor der untergegangenen DDR nachtrauern. Wer genauer hinsieht, erkennt: Diese Trauer ist ungerechtfertigt, weil die Menschen gefangen genommen
und beschnüffelt wurden und weil ein Unrechtsregime
herrschte, das in sozialistischen Staaten häufiger zu finden war. Das ist eben nicht der Staat, den wir uns in der
Bundesrepublik Deutschland wünschen. Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass Personen, die dieses Gedankengut verkörpern und als Abgeordnete versuchen,
dafür zu werben, keine Mandate erhalten. Sollten sie
doch Mandate erhalten, dann dürfen sie zumindest nicht
die Regierung maßgeblich mitbestimmen.
Aber in dieser Hinsicht erleben wir gerade etwas anderes. In Mecklenburg-Vorpommern gab es schon eine
rot-rote Koalition. In Berlin gibt es derzeit die zweite
rot-rote Koalition. In der SPD gehen die Reihen ganz
schön auseinander. Ich behaupte nicht, dass jeder die Zusammenarbeit mit der Linkspartei möchte. Aber Sie wissen genau so gut wie ich, dass viele von Ihnen dies wünschen. An dieser Stelle muss man an Hessen denken.
Wann kommt es in den westdeutschen Parlamenten
dazu, dass die Linkspartei an Macht gewinnt, in dem sie
zum Beispiel Frau Ypsilanti den Steigbügel reicht, damit
sie Ministerpräsidentin werden kann? So, wie die gesamte Diskussion verläuft, wird die SPD wohl so vorgehen.
({8})
- Das ist nicht unsere Verantwortung, sondern Ihre, Herr
Benneter. Wir haben uns vor der Wahl eindeutig erklärt.
({9})
Sie haben sich ebenfalls erklärt, und zwar vor der Wahl
wie nach der Wahl. Wir werden sehen, ob Ihre Ankündigungen eingehalten werden. Ich habe massive Zweifel.
({10})
- Genau wie bei der Mehrwertsteuer: Vor der Wahl
wollte Frau Merkel die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte erhöhen - das war für die SPD die sogenannte
Merkelsteuer -; nach der Wahl wurde sie um 3 Prozentpunkte erhöht.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Dass Sie nicht mehr daran erinnert werden möchten,
verstehe ich zwar, aber Sie müssen daran erinnert werden; denn ich habe die Sorge, dass Sie wieder so handeln
werden und ein Wahlversprechen brechen.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich gebe dem Kollegen Sebastian Edathy, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Transparenz gehört zu den Wesensmerkmalen des deutschen Wahlrechts. Es muss eine Selbstverständlichkeit
sein, dass die Wählerinnen und Wähler - egal wo sie zu
den Wahlen eingeladen werden - davon ausgehen können, dass die auf den Listen zur Wahl stehenden Parteien
von Menschen getragen werden, die hinter dem Programm der jeweiligen Partei stehen.
Wir haben im Deutschen Bundestag erst vor wenigen
Wochen diesbezüglich Konsequenzen gezogen. Ich hatte
bereits in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Vorschlag eingebracht. Denn es ist ein Unding,
wenn sich Kleinstparteien, um ihre Wahlchancen zu erhöhen, zusammenschließen, formal nur eine Partei antritt und die anderen huckepack genommen werden, indem entsprechende Kandidaten auf den Listen der
kandidierenden Partei aufgestellt werden.
({0})
Ich hatte das damals mit Blick auf Verabredungen
zwischen NPD und DVU vorgeschlagen, die Wahlabsprachen mit Blick auf mehrere Landtagswahlen und die
Bundestagswahl getroffen hatten. Es trat nur eine Partei
an; Kandidaten aus den Reihen der anderen Partei konnten sich aber auf die Listen setzen lassen. Ich glaube, das
ist Irreführung und Täuschung der Wähler. Es ist richtig,
dass wir das im Bundestag geändert haben. Ich kann nur
an die Kolleginnen und Kollegen in den Länderparlamenten appellieren, sich das zum Vorbild zu nehmen,
um sicherzustellen, dass Wählerinnen und Wähler nicht
sozusagen eine Fata Morgana wählen, sondern eine Partei, die in sich konsistent ist.
In Hamburg ist die Gesetzeslage anders. In Hamburg
ist es noch möglich, dass Kandidaten anderer Parteien
auf einer Parteiliste kandidieren. Solange das möglich
ist, ist es eine Frage des Anstands jeder einzelnen Partei,
ob sie diese gesetzliche Lücke nutzt. Die PDS hat sich
entschieden, diese Lücke zu nutzen. Wenn Sie das tun,
liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen Sie sich
auch zurechnen lassen, wer bei Ihnen kandidiert.
Ich habe heute Morgen im Internet im Programm der
DKP aus dem Jahr 2006 Folgendes gelesen - ich will
nur einige Sätze zitieren -:
Die Deutsche Demokratische Republik hat unter
Führung der SED der Macht des deutschen Imperialismus Grenzen gesetzt. Vier Jahrzehnte lang war
in einem Teil Deutschlands die Herrschaft der Monopole und Banken beseitigt. Die Befreiung vom
Faschismus hatte dem deutschen Volk günstige
Möglichkeiten für die Schaffung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung in ganz Deutschland
eröffnet. Allerdings wurde diese Chance in konsequenter Weise nur im östlichen Teil, in der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR, genutzt.
Mit der DDR entstand auf deutschem Boden eine
sozialistische Alternative zum deutschen Imperialismus. Die DDR, ihr konsequenter Antifaschismus, ihr Eintreten für Frieden, Entspannung und
Abrüstung sowie die Verwirklichung elementarer
sozialer Grundrechte gehören zu den größten Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung
und sind Teil des humanistischen Erbes in Deutschland. ... Die Niederlage des Sozialismus ist zugleich
das Ergebnis der äußeren und inneren Konterrevolution.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
wie Sie sich aktuell nennen, wenn Sie Kandidaten einer
Partei, die diesen zynischen und menschenverachtenden
Unsinn propagiert, auf Ihre Wahllisten setzen, dann müssen Sie sich solche Positionen auch zurechnen lassen;
das ist ganz klar.
({2})
Sie sagen, die Liste in Hamburg sei eingereicht und
könne nicht mehr zurückgezogen werden. Wenn dem so
wäre und Sie es ernst meinten, dann könnten Sie heute
im Deutschen Bundestag erklären, dass für den Fall, dass
Ihre Bürgerschaftsfraktion in Hamburg Mitglieder hat,
die der DKP angehören, diese Mitglieder ausgeschlossen
werden. Wenn Sie das nicht tun, dann ist das ein Mangel
an Glaubwürdigkeit.
({3})
Ich hoffe, dass sich die Wählerinnen und Wähler
nicht nur am kommenden Sonntag in Hamburg vor Augen führen, dass die PDS alles andere als eine Partei ist,
die für Ziele arbeitet. Meine Damen und Herren von der
Linkspartei, Sie sind eine reine Protestbewegung. Das
wird auch an Ihrem Personal deutlich. Sie haben mit
Oskar Lafontaine einen Fraktionsvorsitzenden, dem nur
eines wichtig ist, nämlich er sich selber. Die PDS segelt
auf einem Boot ohne Kompass. Es kann passieren, dass
hin und wieder der Wind weht und sich die Segel blähen.
Aber die Wählerinnen und Wähler werden über kurz
oder lang erkennen, dass Sie keinen Kurs und kein Ziel
haben und dass bei allen Problemen, die wir in Deutschland haben, die Lösungskompetenz noch immer bei den
eindeutig demokratischen Parteien liegt. Eine Partei, die
Kommunisten, die die DDR verherrlichen, auf ihre Listen setzt, weckt Zweifel an ihrer demokratischen Zuverlässigkeit.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Bernhard Kaster,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! In der heutigen Aktuellen Stunde befassen wir uns im Prinzip mit zwei Problembereichen. Der
eine ist der formal-wahlrechtliche Problembereich - dazu
ist schon einiges gesagt worden -, und der andere ist die
politische Dimension. Sie stellt das eigentliche Kernproblem dar, über das wir hier zu sprechen haben.
Zum Wahlrecht haben die Kollegen Edathy und
Benneter schon einiges gesagt. Wir haben im Bundestag
geregelt, dass man bei der Bundestagswahl formal nur
für eine Partei und nicht gleichzeitig noch für eine andere kandidieren kann. Aber mit dem Wahlrecht alleine
ist es nicht getan. Das eigentliche Problem ist damit
nicht gelöst. Ob mit oder ohne DKP-Mitgliedschaft, es
werden auf den Listen der Linken immer wieder Kommunisten kandidieren. Das muss uns bewusst sein.
Der Ausschluss der niedersächsischen DKP-Abgeordneten aus der Fraktion Die Linke und die distanzierenden Äußerungen von Herrn Ramelow sind taktische
Wahlkampfmanöver oder - besser gesagt - reine Heuchelei. Das will ich auch begründen.
({0})
Der gleiche Herr Ramelow hat erst vor wenigen Tagen,
am 7. Februar, in einer Phoenix-Runde stolz erklärt, die
Linke sei nicht die Nachfolgepartei der SED, nein, sie
sei mit ihr identisch. Wo Herr Ramelow recht hat, hat er
recht.
({1})
Die enge Verbandelung der SED, die sich heute Die
Linke nennt, mit der DKP hat eine lange Tradition. Ich
erinnere an die Ergebnisse der Unabhängigen Kommission „Parteivermögen“. Danach hat die DKP in den Jahren 1981 bis 1989 Zahlungen in Höhe von über
500 Millionen DM erhalten; das ist erwiesen. Des Weiteren haben die DKP und die Linke seit Jahren gemeinsame Vorbilder. Ein Beispiel ist der verstorbene ehemalige DDR-Auslandsspionagechef und erste Stellvertreter
von Stasi-Chef Mielke, Markus Wolf. Im Nachruf des
Parteiorgans der DKP Unsere Zeit wird Markus Wolf als
kluger, aufrechter und dem Sozialismus zutiefst verbundener, warmherziger und standhafter Kommunist geschildert.
Er sei seinen Weg stets aus Überzeugung gegangen.
Bei der Linken liest sich dies laut Neues Deutschland
wie folgt:
Wir trauern um unseren Freund und Genossen, ...
der aufrecht durch sein Leben ging.
Die Anzeige war unter anderem auch von Frau Petra
Pau unterzeichnet.
Heute schickt man nun gemeinsame Kandidaten in
die Wahlkämpfe, zunächst in Niedersachsen und jetzt in
Hamburg den ehemaligen Direktkandidaten der DKP
und heutigen DKP-Bezirksvorsitzenden. Eine Vielzahl
weiterer Kandidaten ist auf den Bezirkslisten zu finden.
Vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte
erfüllt es mich mit großer Sorge, dass extremistische
Parteien wieder in deutschen Parlamenten Fuß fassen.
Links- und Rechtsextreme dürfen nicht wieder, und zwar
egal mit welchen Steigbügelhaltern, politischen Einfluss
in Deutschland gewinnen.
({2})
Auch dürfen wir nicht in unserem Bemühen nachlassen,
weiter vor den Extremisten zu warnen. Die SED hat
schon einmal mit einem menschenverachtenden Unterdrückungssystem unser Land ruiniert.
Ich selbst komme aus Trier, der Geburtsstadt von Karl
Marx. Ich selbst und jeder, der sich mit ihm beschäftigt,
weiß, dass die ärmlichen Lebensumstände in Deutschland und Europa am Anfang des 19. Jahrhunderts seine
politische Philosophie geprägt haben. Heute aber stehen
wir am Beginn des 21. Jahrhunderts, und zudem wissen
wir, wie viel Unglück und Unterdrückung der Marxismus im vergangenen Jahrhundert der Menschheit gebracht hat. Wenn heute Kandidaten für den Landtag von
Niedersachsen Sehnsucht nach der Stasi haben oder solche in Hamburg die Verstaatlichung der Wirtschaft fordern, dann sind das keine Ausrutscher. Die Frankfurter
Allgemeine Zeitung hatte recht, als sie am 16. Februar
kommentierte:
Die westdeutschen Kader können sich einfach noch
nicht so gut verstellen.
Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen.
Vielen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Carstensen,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde hat heute einen langen Titel. Man kann ihn
- das ist zum Teil hier schon gemacht worden - auf die
Frage verkürzen: Was handeln wir uns da eigentlich ein?
Was handeln sich eigentlich die Wählerinnen und Wähler der Landesparlamente ein, wenn sie nicht zur Wahl
gehen, weil sie glauben, es sei egal, welche Partei und
welche Abgeordneten im Parlament sind, und dadurch
den prozentualen Anteil dieser Truppe erhöhen? Manche
werden sogar ihr Kreuz bei der PDS machen in der Annahme, man könne es einmal im Westen mit dieser Ostpartei probieren. Eine Ostpartei ist es, das können wir
hier im Deutschen Bundestag an der Vielzahl der Redebeiträge und Anträge sehen; von gesamtdeutscher Verantwortung ist da überhaupt nichts zu spüren.
({0})
Deshalb ist auch ganz klar, dass so eine Partei in westdeutschen Landesparlamenten überflüssig ist.
Bisher gibt es die PDS in drei Landesparlamenten.
Das erste Beispiel ist Bremen. Dort beschäftigt sich die
Fraktion der Linken mit allem, nur nicht mit den Sorgen
der Bremerinnen und Bremer. Sie machen Schlagzeilen
mit Liebes-SMS und mit komischen Mails. Ein weiteres
Beispiel ist Hessen, wo 5,1 Prozent der Wählerinnen und
Wähler durch ihre aus meiner Sicht falsche Entscheidung verhindern, dass wir einen klaren Schnitt und soziale und ökologische Politik machen können.
({1})
Wir haben in Niedersachsen eine DKP-Abgeordnete mit
lauter Stasi-Fantasien. Das Problem ist - das ist bereits
gesagt worden - eben nicht erledigt. Diese Dame ist bis
2013 Landtagsabgeordnete;
({2})
sie ist noch fünf Jahre Abgeordnete. Das Parlament hat
sich noch nicht einmal konstituiert.
Niemand sollte glauben, dass man mit einer solchen
Truppe die Zukunft gestalten kann. Am wenigsten sollten das die Menschen glauben, für die es notwendig ist,
dass sich die Politiker in den Parlamenten mit ihren Sorgen beschäftigen. Deswegen sind alle Wählerinnen und
Wähler aufgerufen, am Sonntag in Hamburg zu verhindern, dass die PDS unter neuem Namen in die Hamburgische Bürgerschaft einzieht.
({3})
Das ist möglich. Viele haben ja den Eindruck, dass Umfragen sozusagen schon Wahlergebnisse sind. In Hamburg liegt diese Truppe in den Umfragen bei 9 Prozent.
Tatsache ist aber: Erst am Sonntag wird gewählt.
({4})
Noch können die Wählerinnen und Wähler, zum Beispiel durch eine hohe Wahlbeteiligung, verhindern, dass
zehn DKP-Mitglieder in die Hamburgische Bürgerschaft
einziehen.
({5})
Zu dieser Truppe ist schon viel gesagt worden. Ich
will dennoch ein Zitat vom 16. Februar hinzufügen. Ich
zitiere eine Kandidatin für die Bürgerschaft:
Wir müssen aber auch die Frage diskutieren, wie
sich eine sozialistische Gesellschaft oder eine Gesellschaft, die sich demokratisieren will, gegen Angriffe schützen kann.
Das ist ein Zitat von Frau Grotehusmann, Kandidatin der
Linken. - Herr Maurer, Sie haben gesagt, Leute wie Frau
Wegner, die so einen Unsinn erzählen, hätten bei Ihrer
Landtagsfraktion, bei ihrer Truppe nichts zu suchen.
({6})
Aber die Hamburgerinnen und Hamburger können
nicht darauf warten, dass Sie hier so etwas erklären oder
abwarten, wie Sie sich nach der Wahl verhalten. Wir
wollen in Hamburg keinen DDR-Sozialismus.
({7})
Wir wollen auch keine Fantasien in dieser Richtung. Wir
wollen in Hamburg keine Leute, die davon träumen, sich
zu demokratisieren, und die meinen, dass sie sich schützen müssen. Wir haben in Hamburg zum Glück eine Demokratie, weil Sie dort nie etwas zu sagen hatten.
({8})
Unter dem Deckmantel des neuen Namens - und
nicht nur ich finde es anmaßend, dass Sie jetzt einfach
sagen, Sie seien die Linke, nachdem Sie sich vorher
SED, PDS oder wie auch immer genannt haben ({9})
können jetzt natürlich Leute in die Parlamente, möglicherweise auch in die Hamburgische Bürgerschaft,
schlüpfen - Klaus-Uwe Benneter hat das richtig gesagt -,
die sonst nie eine Chance gehabt hätten, gewählt zu werden. Das sind Leute, die, wenn wir nicht aufpassen, verhindern, dass Hamburg wieder zusammenwächst, dass in
Hamburg ab März die Studiengebühren wieder abge15288
schafft werden, dass die Kitagebühren stufenweise abgeschafft werden, dass das Büchergeld abgeschafft wird,
dass sich Hamburg für den Mindestlohn einsetzt.
({10})
Das wollen wir in Hamburg nicht. Das wollen wir in
ganz Deutschland nicht. Deswegen, liebe Wählerinnen
und Wähler, passen Sie auf: Die PDS ist immer noch die
PDS, mit DKP-Unterstützung, und ist nicht zu wählen.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Carstensen, was Sie zur Linkspartei gesagt
haben, hat mir gut gefallen. Zusätzlich haben Sie noch
ein bisschen Wahlkampf gemacht. Ich habe die herzliche
Bitte, dass Sie sich auch nach der Wahl noch an das erinnern, was Sie den Bürgern vor der Wahl gesagt haben.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was man Herrn
Maurer und der Linkspartei nicht durchgehen lassen
darf, ist die Behauptung, die auch heute wieder erhoben
worden ist, man habe nicht gewusst, wen man da aufgestellt habe.
({1})
Ich komme aus Niedersachsen. Christel Wegner ist seit
40 Jahren in Niedersachsen für die DKP aktiv.
({2})
Frau Kollegin Stokar, ich weiß nicht, ob es zu indiskret
ist, wenn ich das erzähle: Wir haben über Frau Wegner
gesprochen, und Sie haben gesagt, wenn Sie Frau
Wegner auf Demonstrationen getroffen haben, dann haben Sie darauf geachtet, dass sie immer möglichst weit
hinten marschiert. - Insofern hat die Linke ganz genau
gewusst, wen sie da aufstellt. Es ist Ihnen aber egal gewesen, weil es Ihnen nur um eines ging, nämlich darum,
dass die DKP nicht antritt, Sie die Infrastruktur der DKP
nutzen können und Sie auf diesem Weg in den Niedersächsischen Landtag kommen. Das war der entscheidende Punkt.
({3})
Ich finde es geradezu bedrückend, wenn Frau Wegner
jetzt erklärt, sie freue sich diebisch, dass sie die Medien
durch die öffentliche Benennung ihrer Parteizugehörigkeit zum Beweis gezwungen habe, dass es die DKP in
Deutschland noch gebe.
({4})
Das zeigt: Die DKP benutzt die Linke als Steigbügelhalter, um in die Parlamente zu kommen, und zwar mit Erfolg. Was der SED und der Stasi mit vielen Millionen
Mark bis 1989 nicht gelungen ist, das hat die Linke jetzt
geschafft. Das ist ein skandalöser Vorgang in Anbetracht
der Wahl in Niedersachsen.
({5})
Es ist hier viel zitiert worden; das, was zitiert worden
ist, wurde allerdings immer nach den Äußerungen von
Frau Wegner gesagt. Ich bin auf eine Äußerung der
Hamburger Spitzenkandidatin der Linken, Dora Heyenn,
gestoßen. Sie hat ein Gespräch mit der Welt geführt, das
am 14. Februar abgedruckt worden ist; da wusste man
noch nichts von den Äußerungen von Frau Wegner. Frau
Heyenn ist nach Olaf Harms, dem DKP-Kandidaten in
Hamburg gefragt worden. Ich zitiere, was Frau Heyenn
in der Welt gesagt hat: Auch wenn er - Harms - visionär
in eine völlig andere Richtung arbeitet, bei den kurzfristigen Zielen sei sich ihre Partei mit der DKP völlig einig.
({6})
Man muss sich diese Aussage vor Augen halten: Kurzfristig will man gemeinsam in die Bürgerschaft, und
nach der Wahl bricht dann die visionär völlig andere
Richtung durch. Das ist systematische Wählertäuschung.
({7})
Es ist hier doch erwähnt worden: Herr Harms ist nicht
irgendein Mitläufer, irgendein Unbekannter. Er ist DKPVorsitzender von Hamburg. Sie haben gesagt: So ganz
detaillierte Äußerungen hat man von ihm ja noch nicht
gehört. Erstens hat der Kollege Koschyk solche Äußerungen zitiert; zweitens hat der Kollege Edathy aus dem
DKP-Programm zitiert. Die Verharmlosung von Mauer,
Stasi und Stacheldraht gehört bei der DKP zum Programm. Herr Harms ist Vorsitzender der Hamburger
DKP. Damit ist er übrigens einer der Nachfolger unseres
Kollegen Gehrcke. Da braucht man keine spezifischen
Äußerungen mehr. Da muss man sich entweder klar distanzieren, oder man ist angesichts einer solchen Entwicklung völlig unglaubwürdig.
({8})
Ich warne allerdings davor, dass wir nur in diese
Richtung argumentieren, wenn wir uns mit der Linkspartei auseinandersetzen. Herr Maurer sitzt da relativ entspannt, weil es ihm in seiner Rede heute nur auf eines
ankam: kurz vor der Wahl in Hamburg noch einmal ein
bisschen Kapitalismuskritik zu betreiben und den Eindruck zu vermitteln, die soziale Gerechtigkeit sei bei der
Linken in guten Händen.
Ich will gerade vor der Hamburg-Wahl einmal daran
erinnern, wie es dort aussieht, wo Sie Verantwortung tragen: in Berlin. Sie haben in Berlin, wo Sie dem Senat angehören - das muss man denen, die uns kurz vor der
Hamburg-Wahl zuschauen, auch einmal sagen -, in den
letzten fünf Jahren 160 Millionen Euro bei Kinder- und
Jugendeinrichtungen und bei den Hilfen zur Erziehung
gestrichen, Sie haben 140 Jugendeinrichtungen geschlossen, Sie haben beim Personal in den Kitas gespart,
Sie haben die Lehrmittelfreiheit eingeschränkt, und Sie
haben das Blindengeld gekürzt. In Berlin ist jedes dritte
Kind von Kinderarmut betroffen. Die Menschen werden
ärmer durch Ihre Politik, und es geht ihnen nicht besser.
({9})
- Dass Sie jetzt so laut brüllen, zeigt allen Zuschauern,
dass Sie das in Wahrheit am meisten trifft.
({10})
Das wird man Ihnen ebenfalls vorhalten müssen.
Ich sage Folgendes: Vielleicht müssen wir die Äußerung von Frau Wegner ganz anders einordnen; die Kollegin Sager hat das getan. Vielleicht spricht sie nur das
aus, was bei den Linken in Wahrheit viele denken: dass
die DDR eben keine Deformation des Sozialismus war.
Im Grunde sagt Frau Wegner das, was früher in der DDR
als Parteilinie galt: Die Stasi ist Schwert und Schild der
Partei. Im Grunde sagt uns Frau Wegner: Sozialismus, so
wie ihn viele bei der Linken wollen, geht eben nicht
ohne Stasi. Dann bin ich allerdings entschieden dafür, zu
zeigen, dass es in der deutschen Politik ohne die Linken
geht.
({11})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Garrelt Duin, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch in meiner Nebenfunktion als Landesvorsitzender
der niedersächsischen SPD ({0})
dieses Ehrenamt habe ich noch; die niedersächsische
SPD macht eine schwere Zeit durch; sie hat ein schlechtes, sogar katastrophales Wahlergebnis erzielt - will ich
Folgendes deutlich und mit aller Entschiedenheit sagen:
Dafür, dass ein DKP-Mitglied in einem Landtag sitzt,
trägt einzig und allein die Linkspartei und niemand sonst
die Verantwortung.
({1})
Wir müssen das auf den Punkt bringen: Die Linkspartei hat unter ihrer Flagge Leute wie Frau Wegner mitsegeln lassen, tut das Gleiche jetzt in Hamburg. Wir
müssen klar erkennen, dass der Ausschluss aus der niedersächsischen Landtagsfraktion jetzt, sozusagen nach
getaner Arbeit, rein taktischer Natur ist,
({2})
um vor der Hamburg-Wahl ein bisschen Ruhe zu haben.
({3})
Wer glaubt denn, dass der Landesvorsitzende der
Linkspartei in Niedersachsen, der Stasiinformant Dehm,
wirklich ein ernsthaftes Interesse an der Aufarbeitung
der Zusammenarbeit von Linkspartei und DKP hat?
({4})
Hochgradig unglaubwürdig ist dieser Mann.
({5})
Ich will deutlich machen, dass es hier nicht nur um
die DKP geht, sondern um große Teile der Linkspartei
selbst. Die sogenannte antikapitalistische Linke, eine
Gruppe innerhalb der Linkspartei, der Bundestagsabgeordnete wie Frau Höger, Frau Hirsch und Frau Jelpke angehören, hat erst vor kurzem einen Aufruf zu den anstehenden Wahlen verabschiedet, in dem steht, Erfolg für
die Linkspartei sei gerade auch der Solidarität der DKP
zu verdanken, und dieser Weg müsse solidarisch fortgeführt werden.
({6})
Das ist nicht Zitat DKP; das ist Linkspartei original. Mitglieder des Deutschen Bundestages, Ihrer Fraktion,
äußern das in diesen Tagen. Deswegen ist es so von
Doppelmoral geprägt, wenn Herr Maurer so tut, als ob er
damit überhaupt nichts zu tun hätte.
({7})
Herr Maurer, Sie haben hier gesagt, die Linkspartei sei
seit Jahren, fast schon seit Jahrzehnten ganz intensiv dabei, die Geschichte aufzuarbeiten.
({8})
Das ist fast zum Lachen, wenn es nicht so bitter wäre.
({9})
Herr Modrow hat im Jahr 2006 noch einmal zum Besten gegeben, dass die Verantwortung für die Toten an der
Mauer die Verantwortlichen auf beiden Seiten zu tragen
hätten. Empfinden Sie das als Aufarbeitung?
({10})
Frau Sahra Wagenknecht, nicht irgendwer in Ihrer
Partei, Mitglied des Europäischen Parlaments,
({11})
spricht bis heute davon, dass die Mauer ein notwendiges
Übel gewesen sei. Denken Sie, das ist Aufarbeitung der
Geschichte? Nein, meine Damen und Herren, davon sind
Sie leider noch weit entfernt.
({12})
Kurt Schumacher hat am 30. März 1930 - ich bitte
Sie, den historischen Zusammenhang dabei sehr genau
zu beachten - in Eßlingen gesagt, als er über Kommunisten sprach, dass Kommunisten in Wirklichkeit nur rotlackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten seien.
({13})
Er hat damals gesagt, beiden gemeinsam sei der Hass gegen die Demokratie.
({14})
Wir sind anlässlich dieser Debatte wirklich an dem
Punkt, an dem es wieder um die Frage gehen muss, welches Verständnis Sie als Linkspartei insgesamt mit Ihren
diversen Mitgliedern, die ich gerade zitiert habe, gegenüber der Demokratie haben. Diese Frage können aber
nicht wir beantworten; die müssen Sie beantworten.
({15})
Es geht dabei um die Aufarbeitung der Geschichte der
DDR, und zwar nicht nach dem Motto Good Bye, Lenin,
ein bisschen als Komödie und Ostalgie. Ich habe mit Erschrecken gelesen, dass in Berlin ein neues Hotel aufgemacht hat, in dem nur Ostmöbel und Ostprodukte verwendet werden. Wenn das die Aufarbeitung sein soll,
dann sage ich: Das reicht nicht. Wir brauchen eine Aufarbeitung - ich will bei den Filmtiteln bleiben - à la Das
Leben der Anderen. Darin wird sehr viel mehr über die
Wahrheit gesprochen. Ein solcher Film ist ein wesentlich
besserer Anlass, die Aufarbeitung in die Hand zu nehmen, als es reine Komödien sind.
Ich bin davon überzeugt, dass die Linkspartei so lange
nicht in der Lage sein wird, etwa in Koalitionen einzutreten, solange sie diese Aufarbeitung nicht geleistet hat.
({16})
Ich bin fest davon überzeugt, dass im Zusammenhang
mit den in Rede stehenden Landesparlamenten - Sie haben über Hamburg gesprochen, und wir reden über Hessen ({17})
verantwortungsvolle Sozialdemokraten sich von dieser
Linkspartei nicht in irgendwelche öffentlichen Ämter
wählen lassen. Ich bin davon überzeugt und setze darauf,
dass das so bleibt.
({18})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert
- Drucksache 16/6796 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute
Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Energie, Sicherheit, Gerechtigkeit
- Drucksache 16/8181 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Nach dieser turbulenten Debatte kommen wir zu einem
anderen Thema, das nicht minder wichtig ist. Die FDPFraktion legt Ihnen heute einen Antrag vor mit dem Titel: „Energieaußenpolitik für das 21. Jahrhundert“. Sie
werden sich fragen, was dahintersteht. Ich möchte Ihnen
sagen, dass beim energiepolitischen Dreiklang von Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit
die Säule der Versorgungssicherheit - so könnte man sagen - zu einer vergessenen Säule geworden ist.
Wir haben in diesem Parlament über viele Monate
über Atomausstieg, Emissionshandel, Ostseepipeline,
Kohleverstromung - diese wurde ja immer wieder verGudrun Kopp
teufelt - und viele Themen mehr, so natürlich auch über
den Klimaschutz, diskutiert. Das alles sind sehr wichtige
Themen, aber in der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, als gebe es in puncto Sicherheit der Energieversorgung in Deutschland absolute Garantien und keinerlei
sich in irgendeiner Weise auftuende Lücken. Dem ist
nicht so. Das anzunehmen, wäre ein ganz großer Irrtum;
denn die Sicherheit der Versorgung unseres Landes mit
Strom für Mobilität und Wärme ist eben nicht garantiert.
Ich nenne Ihnen ein paar Daten zur Energieabhängigkeit Deutschlands. Wir sind derzeit insgesamt zu
70 Prozent von Energieimporten abhängig: beim Mineralöl zu 100 Prozent, bei der Steinkohle zu 60 Prozent,
bei Gas allein aus Russland zu 35 Prozent. Lediglich bei
der Braunkohle können wir uns selbst versorgen. Zugleich haben wir uns hohe Klimaschutzziele gesetzt, die
die FDP-Fraktion ebenso unterstützt. Wir sagen aber
deutlich: Wer Versorgungssicherheit will, der muss Ja zu
einem breiten Energiemix sagen und darf die Kernenergie dabei nicht ausschließen.
({0})
Vor dem Hintergrund, dass ein Drittel des Stromverbrauchs innerhalb Deutschlands bis 2020 durch erneuerbare Energien gedeckt werden soll und sogar 50 Prozent
des Stromverbrauchs bis 2050, müssen alle, die hier Verantwortung tragen, die Frage beantworten, wie denn ihr
Konzept aussieht, um die restlichen 70 bzw. 50 Prozent
des Energiebedarfs tatsächlich abzudecken. Diese Antwort bleiben Sie schuldig. Deshalb sind wir der Meinung, dass Energiepolitik nicht nur die Ressorts Umwelt
und Energie betrifft, sondern auch die Ressorts Entwicklungshilfe sowie Außen- und Sicherheitspolitik betreffen
muss.
({1})
- Herr Meyer! - Der Bundesregierung fehlt ein zusammenhängendes Konzept für die nationale und die europäische Energiepolitik. Sie können sich nicht länger auf
das Umwelt- und Wirtschaftsressort beschränken, sondern Sie müssen dieses Thema umfassend sehen und entsprechend behandeln. Dabei ist es kein Geheimnis, dass
wir bis weit über das 21. Jahrhundert hinaus von Rohstoffen abhängig bleiben werden, die Erdöl, Kohle, Erdgas und auch Kernenergie heißen. Hier brauchen wir tatsächlich dieses Konzept.
Der Ihnen heute vorliegende Antrag, mit dem wir die
Bundesregierung vorantreiben wollen - es geht um ein
nötiges Konzept auf Deutschland- und EU-Ebene -, enthält einige Forderungen, von denen ich nur wenige zitieren möchte.
Erstens. Es geht uns um die Benennung und die Sicherung der Energieinfrastruktur im Rahmen von EU
und NATO. 80 Prozent der Leitungen für Erdgas, mit
dem Deutschland beliefert wird, verlaufen durch die
Ukraine. Wenn Sie sich überlegen, wie leicht sich bei
dieser Lieferkette Unterbrechungen ergeben könnten,
dann ist das Thema Energieinfrastruktursicherheit absolut wichtig und notwendig. Wenn Sie darüber hinaus sehen, welche sicherheitspolitischen Aspekte sich bei
möglichen Terroranschlägen ergeben, dann brauchen wir
auch dafür ein Konzept, um die Sicherheit tatsächlich zu
gewährleisten.
Zweitens. Wir brauchen eine verstärkte Zusammenarbeit bei den Versorgungsunternehmen, und zwar bei der
Bevorratung von Erdgas- und Erdölreserven. Wir müssen uns hier auf ein gegenseitiges Konzept der Hilfe verständigen.
Drittens. Wir brauchen vor allen Dingen die Beendigung der Verhandlungen über die Energiecharta. Diese
Verhandlungen laufen schon seit längerem, aber kommen einfach nicht zum Abschluss. Es geht um den
gegenseitigen Marktzugang, Investitions- und Rechtssicherheit - auch das ist ein wichtiger Punkt - und die
Aufnahme der weltweiten WTO-Streitschlichtungsmechanismen. Auch dieser Punkt würde uns energiepolitisch weiterbringen.
Viertens. Wir als Liberale haben in einem anderen
Antrag bereits sehr detailliert die Einführung einer EUWettbewerbsbehörde, einer EU-Kartellbehörde gefordert. Auch das ist wichtig, um protektionistische Marktmechanismen zu vermeiden, die sich hier sehr wohl auftun, weil wir es häufig mit Staatsunternehmen zu tun
haben, bei denen eine politische Lenkung zumindest
nicht ausgeschlossen werden kann. Wir brauchen eine
verstärkte Wettbewerbsaufsicht. Diese möchten wir im
Rahmen eines EU-Kartellamtes gesichert wissen.
Fünftens. Die Energieforschung ist ein absolut wichtiger Punkt, bei dem wir kooperieren sollten und bei dem
die Schwerpunkte nach liberaler Überzeugung bei der
tatsächlichen Erforschung der Energiespeicherung liegen sollten. Wenn wir da weiterkämen, hätten wir auch
im Bereich der instabilen erneuerbaren Energien ganz
andere Effizienzen. Darüber hinaus müssen wir weiter
auf den Gebieten der Kernenergie und der Sicherheitstechnologie forschen.
Kurz und gut: Der Antrag, den Ihnen die FDP heute
vorlegt, wird hoffentlich bei Ihnen allen die notwendigen Denkprozesse initiieren, damit ein Gesamtkonzept
endlich auf den Tisch kommt und die Verengung auf nur
ein Thema oder zwei Themen aufhört, denn Energiepolitik ist eine wichtige Lebensader.
Ich schließe mit dem Satz: Wer Energie hat, hat die
Macht. Wer Energie hat, sichert auch Wohlstand.
({2})
Insofern freue ich mich auf die Debatte und am Ende
dann hoffentlich auch auf die Konzepte der Bundesregierung, die uns an dieser Stelle unbedingt weiterbringen sollten.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich gebe der Parlamentarischen Staatssekretärin im
Wirtschaftsministerium Dagmar Wöhrl das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Kopp, wenn ich sage, dass das Thema
der sicheren Energieversorgung für die Bundesregierung
ein wichtiges Thema ist, dann dürfen Sie mir das glauben. Das kann man an den Ergebnissen unseres Energiegipfels und an dem integrierten Energie- und Klimaprogramm sehen. An diesen Programmen, die wir in den
letzten zwei Jahren auf den Weg gebracht haben, kann
man auch unsere energieaußenpolitische Zieltriade erkennen, nämlich erstens Energiequellen und Energietransportwege zu diversifizieren, zweitens noch mehr
Energie zu sparen und effizienter zu nutzen und drittens
die erneuerbaren Energien auszubauen.
Wir haben während unserer EU-Ratspräsidentschaft
im letzten Jahr einen energiepolitischen Aktionsplan mit
sehr ehrgeizigen Zielen verabschiedet, an dem wir arbeiten und den wir Stück für Stück umsetzen. Er verbindet
Versorgungssicherheit und Klimaschutz durch Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien und zur Senkung des Energieverbrauchs. Das betrifft verschiedene
Bereiche: das Erneuerbare-Energien-Gesetz - über
dessen Novellierung wir heute Morgen sehr intensiv diskutiert haben -, das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, die Biogaseinspeisung und die Eckpunkte für die
Energieeinsparung.
In Ihrem FDP-Antrag sprechen Sie von Rahmenbedingungen auf nationaler und europäischer Ebene. Sie
sprechen von einem liberalisierten Energiewettbewerb
und vom Vorantreiben des Ausbaus grenzüberschreitender Netzkapazitäten für Strom und Erdgas. Hier besteht
Konsens zwischen uns und der FDP. Das sind Punkte, an
denen wir arbeiten und die wir im Rahmen verschiedener Gesetze schon auf den Weg gebracht haben. Ich
erwähne hier nur die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung, die Anreizregulierungsverordnung und die GWBNovelle, wodurch endlich eine verschärfte Missbrauchsaufsicht möglich wird.
Das heißt aber auch, dass Wettbewerb in den leitungsgebundenen Sektoren nur dann möglich ist, wenn es
- auch da besteht Konsens - in diesem Bereich ausreichende Leitungskapazitäten gibt. Eine Beschleunigung
des Netzausbaus ist für uns sehr wichtig. Hier sind noch
viele Verbesserungen nötig. Wir merken, dass oftmals
vor Ort, in den Kommunen, in den Ländern, Investitionen auf der Strecke bleiben, auch durch verlangsamte
Planungsverfahren. Deswegen arbeitet unser Ministerium an einem Gesetz mit einem vordringlichen Bedarfsplan für die Übertragungsleitungen.
Durch die dena-Netzstudie I - jetzt kommt auch die
Netzstudie II - wissen wir, dass wir, wenn man einen
Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch
von 20 Prozent unterstellt, allein bis zum Jahr 2015
845 Kilometer Fernleitungstrassen hinzubauen müssen.
Das heißt, wir müssen zu einem beschleunigten Verfahren in diesem Bereich kommen.
({0})
Für den grenzüberschreitenden Stromnetzausbau, der
ebenfalls ein wichtiger Punkt ist und den Sie auch in Ihrem Antrag angesprochen haben, sind wir in Gesprächen
mit den Benelux-Staaten und Frankreich und den dortigen Netzbetreibern. Für uns ist wichtig, eine regionale
Stromhandelsbörse zu schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Energieaußenpolitik ist für die Regierung ein wichtiger Bestandteil
der Außenwirtschaftspolitik. Minister Glos wird am Wochenende wieder in die kaspische Region reisen, und
mehr als 80 Unternehmer werden ihn auch dieses Mal
begleiten. Dabei wird es um Förderung des Exports von
Energieeffizienz- und Erneuerbare-Energien-Technologien gehen. Ich glaube, dass wir mit unseren Exportinitiativen „Erneuerbare Energien“ und „Energieeffizienz“ sehr gut aufgestellt sind. Wir helfen sehr vielen
deutschen Unternehmen, im Ausland Geschäfte in diesem Bereich zu tätigen. Außerdem tragen wir mit dazu
bei, unsere Spitzentechnologie im Bereich der erneuerbaren Energien weltweit zu vertreiben.
Daneben ist es aber auch wichtig, dass wir zur Erschließung neuer Quellen für die Energieversorgung
kommen. Wir brauchen dazu sehr viele bilaterale Gespräche und einen intensiven Dialog mit großen Erzeugerländern wie Russland und Norwegen. Frau Kopp hat
es schon angesprochen: Russland hat einen Anteil von
35 Prozent und Norwegen von 27 Prozent an unserer
Gasversorgung. Die Bedeutung dieser Länder wird nicht
weniger werden, sondern zunehmen. Deswegen ist der
Dialog mit diesen Ländern sehr wichtig. Aber der Dialog
mit den vielen Transit- und Verbraucherländern darf dabei nicht auf der Strecke bleiben.
Wir haben 2006 das deutsch-indische Energieforum
gegründet. Wir stehen, was den Energiesektor anbelangt,
in enger Kooperation mit China. Ich will in diesem Zusammenhang noch die Internationale Energie-Agentur
erwähnen, die für die Verhinderung von Ölkrisen eine
wichtige Rolle spielt.
Sie haben auch die Energieforschung angesprochen,
Frau Kopp. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben das
5. Energieforschungsprogramm auf den Weg gebracht.
Im Rahmen dieses Programms werden wir 1,7 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Forschung und
Weiterentwicklung vor allem im Bereich der emissionsfreien fossilen Kraftwerke und der Brennstoffzellen
voranzutreiben. Es geht aber auch um die Weiterentwicklung von Brennstoffzellen sowie um die Wasserstofftechnologie und die Technik für CO2-Trennung und
CO2-Einlagerung. Das sind nur einige Beispiele. Ich
kann nicht alle aufzählen.
Wir können zu Recht behaupten: Wir sind gut aufgestellt. In vielen Bereichen sind wir sogar internationale
Spitze. Ich denke dabei an unsere Technologien im BeParl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl
reich der erneuerbaren Energien. Wenn man gut aufgestellt ist, bedeutet dies aber nicht, dass man nicht noch
besser werden kann. Wir arbeiten intensiv daran, in vielen Bereichen noch besser zu werden. Wir würden uns
natürlich sehr freuen, wenn wir auch zukünftig die Unterstützung der FDP hätten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, Frau Kopp, wir brauchen ein zusammenhängendes
Konzept, das ökologische, soziale und Entwicklungsperspektiven mit ökonomischen verbindet. Aber genau das
vermisse ich in Ihrem Antrag.
({0})
Sie orientieren sich einseitig an den ökonomischen Interessen.
Der Klimawandel bedroht die Existenz von Millionen
von Menschen. Er bedroht vor allem die Menschen in
den Entwicklungsländern, die vom Wohlstand wegen
des fehlenden Zugangs zu Energie bis jetzt ausgeschlossen sind. Daraus ergibt sich die Verpflichtung, die nationalen Treibhausemissionen um mindestens 40 Prozent
und nicht nur um 20 Prozent zu reduzieren. Andererseits
müssen die Zahlungen für die Bewältigung des Klimawandels in den Entwicklungsländern erhöht werden.
In der Entwicklungszusammenarbeit muss der Technologietransfer für regenerative Energien und Energieeffizienz verstärkt werden. Das findet man in Ihrem Antrag aber nicht.
({1})
Sie setzen im Wesentlichen auf Ausweitung des Freihandels, auf Atomenergie und auf eine Energie-NATO, womit diese Probleme nicht gelöst, sondern verstärkt werden.
Die meisten Menschen in den Entwicklungsländern
haben bis heute keinerlei Zugang zu Energie. Sie befürchten sogar, dass sie über die Begrenzung der Emissionen ihrer Entwicklung zum Wohlstand beraubt
werden sollen. Der Hauptzuwachs am weltweiten Energiebedarf kommt natürlich von Schwellenländern wie
China. Vergleicht man aber den Pro-Kopf-Bedarf an
Energie, liegen Industrieländer wie Deutschland und die
USA noch immer weit vorne. Daraus ergibt sich für uns
die Verantwortung, vor allem unseren Bedarf abzusenken.
Wir müssen in der Energieaußenpolitik von dem Leitbild ausgehen: Jeder Mensch auf der Erde hat das gleiche Recht an der Nutzung der Atmosphäre. Die Industrieländer haben nicht das Recht, heute die Rohstoffe zu
verschwenden, die andere Länder morgen selbst brauchen.
({2})
Deshalb noch einmal - obwohl darüber bereits heute
Morgen diskutiert wurde -: Mit der Biokraftstoffquote
sorgt die Regierung weiterhin für das Abholzen der Regenwälder, die Verknappung und Verteuerung von Lebensmitteln und den Ruin von Kleinbauern. Deshalb
muss die Quote zurückgenommen werden und reicht
eine Nachhaltigkeitsverordnung für die Lösung dieses
Problems nicht aus.
Wir brauchen erst recht keine weitere Handels- und
Investitionsliberalisierung, Frau Kopp. Wir brauchen im
Gegenteil ein internationales Investitionsregime bei der
UN,
({3})
das menschenrechtliche, soziale, gewerkschaftliche und
ökologische Standards auch für transnational agierende
Konzerne festlegt. Diese müssen dann allerdings auch
sanktionsfähig sein, nicht aber die WTO.
Es ist richtig: Die Energieversorgung ist von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und vom Uran
geprägt. Gerade vor diesem Hintergrund ist aber Ihr Versuch, die Atomenergie zu rechtfertigen, lächerlich. Ich
will gar nicht auf die ungelöste Entsorgungsfrage, die
Kinderkrebsstudie oder das Risiko atomarer Unfälle eingehen.
Bleiben wir bei der Rohstofffrage. In der Uranversorgung sind wir zu 100 Prozent vom Ausland abhängig.
Das derzeit wirtschaftlich zu fördernde Uran reicht für
etwa 70 Jahre. Wird der Bedarf gesteigert, reduzieren
sich die Vorräte ganz schnell. Durch den Uranabbau
werden Regionen radioaktiv verseucht. Derzeit werden
Vorkommen abgebaut, die circa 1 Prozent Uran enthalten. Fast das gesamte schwachstrahlende Material bleibt
als Abraumhalde erhalten ebenso wie die Schlammmassen, die durch die Abtrennung entstehen. Je länger die
Atomenergie genutzt wird, je größer der Bedarf, umso
mehr muss auf schlechte Erze zurückgegriffen werden.
Die ökologischen Schäden in den Abbaugebieten würden sich potenzieren. Das ist nicht vertretbar, schon gar
nicht, weil es bessere Alternativen gibt.
({4})
Sie setzen neben der Atomenergie auch auf die Energie-NATO. Der Krieg um Öl hat eine lange Tradition leider. In der Vergangenheit ging es vor allem um den
Profit aus der Verwertung der Ressourcen. Heute kommt
die Frage der Versorgungssicherheit hinzu. Folgen des
Klimawandels, Umweltkrisen, Dürren und Wasserknappheit verschärfen Landnutzungskonflikte. Umweltprobleme
erhöhen kriegerische Gefahren.
Die Bundesregierung hat leider 1992 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen zum vitalen Sicherheitsinteresse Deutschlands erklärt. Das ist
verheerend und verschärft die Kriegsgefahr weltweit,
statt für friedliche Lösungen zu sorgen. Wir brauchen
keine Bereitstellung einer Energie-NATO für einen
Krieg um Rohstoffe. Wir brauchen eine Energiewende.
Wir brauchen Verfahren und Institutionen, die die Verteilung der knappen Ressourcen friedlich und gerecht lösen. Wir brauchen eine größere Unabhängigkeit von
Rohstoffimporten.
({5})
Das heißt, wir brauchen in erster Linie Energieeffizienz und die Einsparung von Energie. Riesige Effizienzpotenziale in Deutschland werden bisher nicht genutzt. Wir könnten unseren Energieverbrauch nach
Studien bis 2050 halbieren. Wir brauchen den massiven
Ausbau erneuerbarer Energien; darüber wurde heute
Morgen bereits ausführlich diskutiert. Auf diesem Weg
kann der Energiebedarf, verbunden mit Energieeffizienzprogrammen, gedeckt werden. Für die Realisierung
brauchen wir strukturelle Eingriffe in die Energiewirtschaft. Mit dem Energiekartell der vier großen Energiekonzerne wird es nicht möglich sein, diese Energiewende herbeizuführen.
Wir brauchen keine NATO, die Ressourcen und Transitwege für Rohstoffe sichert. Wir brauchen den Mut im
Parlament und in der Regierung, die Energiekonzerne zu
entmachten und die Energieversorgung zu rekommunalisieren. Dann würden wir bei der Lösung des Problems
einen Schritt weiterkommen.
Danke.
({6})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Ditmar Staffelt,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich finde es gut, dass wir heute miteinander über
ein so wichtiges strategisches Thema debattieren, auch
wenn wir möglicherweise zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. In jedem Fall wird die Frage der Energieaußenpolitik eine sein, die uns auch in Zukunft in hohem
Maße und in vielerlei Hinsicht beschäftigen wird. Deshalb kann man sich über dieses Thema nicht oft genug
austauschen.
Zunächst einmal müssen wir wohl feststellen, dass die
Probleme, über die wir heute im Rahmen der Energiepolitik zu diskutieren haben, in hohem Maße mit dem
Tempo der Globalisierung und den Herausforderungen,
die damit verbunden sind, zusammenhängen. Es besteht
die Sorge, dass neue Konflikte entstehen, und zwar nicht
nur bezogen auf Wasser, sondern auch bezogen auf
Energieressourcen anderer Art. Daher ist es außerordentlich wichtig, dass wir uns diesbezüglich international
stärker vernetzen, sehr viel mehr miteinander reden und
zu Vereinbarungen kommen.
Diese Vereinbarungen werden neue Abhängigkeiten
und manche Empfindlichkeiten schaffen. Ich glaube sogar, dass der Dialog darüber einen Prozess einleiten
kann, der eine Art Fortsetzung der Entspannungspolitik
in der Welt ist, weil der Versuch unternommen werden
muss, Gegensätze zu harmonisieren und einen Ausgleich
zwischen Reich und Arm zu schaffen, und zwar auch im
Hinblick auf die vorhandenen Energieressourcen.
({0})
Ich bin dafür, dass Europa zu allererst den Dialog mit
Russland über politische, aber auch wirtschaftliche Verflechtungen vertieft. Russland ist der wichtigste Partner
der EU in Bezug auf die Energieaußenpolitik und wird
das auch auf Dauer sein. Wir müssen alles unternehmen,
um die international geltenden Standards zunehmend
auch in Russland einzuführen. Die ersten Versuche dazu
hat es gegeben. Sie werden sich erinnern, dass Russland
die Energiecharta im Rahmen der G-8-Konferenz in
Sankt Petersburg akzeptiert hat. Mehr Verlässlichkeit,
mehr Transparenz und vor allem Investitionssicherheit
sind damals zugesagt worden. Ich denke, dass es gelingen wird, ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen Russland und der Europäischen Union zuwege zu bringen. Aufgrund des Streits zwischen Polen
und Russland konnte das bisher nicht erreicht werden.
Ich bin sehr dafür, dass wir dafür werben, dass Russland endlich Mitglied der Welthandelsorganisation wird.
Die Standards, die im internationalen Wirtschaftsverkehr
üblich sind, würden dann auch für Russland gelten.
Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, bei allen Sorgen, die uns unsere großen Energieunternehmen innenpolitisch machen - wir wollen mehr Wettbewerb in Europa
und in Deutschland -, zu betonen, dass wir starke Energieunternehmen haben, die in der Lage sind, von ökonomischer Seite her Verbindungen - so will ich das einmal
nennen - zu Partnern mit Energiereserven herzustellen;
denn das garantiert letztlich die Energiesicherheit für die
EU und für Deutschland.
Es ist uns gelungen, in vielerlei Hinsicht wichtige
Schritte in die richtige Richtung zu machen. Denken Sie
daran, dass es uns gelungen ist, eine Energiegemeinschaft Südosteuropa zu schaffen. Auch damit haben wir
den Versuch unternommen, Standards zu harmonisieren.
Denken Sie bitte daran, dass die deutschen Unternehmen
hierbei eine ganz wichtige, helfende Rolle gespielt haben, übrigens auch als Gesellschafter von Unternehmen,
die in diesen Bereichen unseres Kontinents zu Hause
sind. Denken Sie an die von Außenminister Steinmeier
angestoßene Zentralasienstrategie. Das ist ein weiterer
wichtiger Bereich. Hier wird genau das aufgenommen,
was schon angesprochen wurde: Es ist der Versuch, die
Diversifizierung des Zugangs zu Energien für Europa zu
sichern.
({1})
- Bei mir ist etwas passiert, was nicht vorgesehen war.
Das ist aber schon in Ordnung.
({2})
Ich denke, dass wir bezüglich der internationalen Vernetzung in jedem Falle auf einem außerordentlich guten
Weg sind. Ich stimme allerdings Frau Staatssekretärin
Wöhrl ausdrücklich zu: Wir können in der Zukunft sicherlich noch eine ganze Menge mehr machen, weil wir
diesbezüglich immer wieder auf neue Herausforderungen stoßen.
Ich will auch daran erinnern, dass es im Zusammenhang mit der G-8-Konferenz in Heiligendamm immerhin
gelungen ist, die Energiepolitik zu einer zentralen Frage
des Heiligendamm-Prozesses werden zu lassen. Auch
das ist etwas Neues: Versorgungssicherheit, Energieeffizienz, Technologietransfer und Klimaschutz sind die
vier zentralen Punkte auf diesem Felde, die weiter bearbeitet werden und die, wie wir hoffen, auch von den Japanern in ihrer Verantwortung für die nächste G-8-Konferenz übernommen werden.
Ich sagte: Der Dialog muss weiter gefördert werden.
Eine weitere wichtige Initiative ist das Internationale
Energieforum in Riad, das sich vor allem um den Bereich Öl bemüht. Wir brauchen im Grunde Gleiches für
den Bereich Erdgas. Ich bin im Übrigen der festen Überzeugung, dass die ersten Ansätze von Steinmeier und
Schwarzenegger zu einem globalen Emissionshandel ein
wichtiger Schritt auf dem Weg sind, den wir weiter beschreiten müssen. Insoweit möchte ich sagen: Es ist sehr
viel passiert. Auf diesem Felde geht es im Übrigen in
Europa heiß her. Das können wir daran sehen, dass viele
Unternehmen unterwegs sind, um mit den potenziellen
Energielieferländern entsprechende Vereinbarungen zu
treffen.
Nichtsdestotrotz darf uns das natürlich nicht irre machen. Wir müssen fordern, dass im Binnenmarkt einiges
mehr getan wird. Wir brauchen mehr Wettbewerb im
Binnenbereich. Wir müssen insbesondere dafür Sorge
tragen, dass mehr grenzüberschreitende Netzkapazitäten
geschaffen werden, um mit der vorhandenen Energie
ökonomisch vernünftiger umzugehen.
Ich stimme mit all jenen überein, die immer wieder
daran erinnern, dass wir in Deutschland unsere Schularbeiten weiterhin machen müssen. Eine zentrale Frage
lautet, wie wir neben den bekannten Energiequellen mit
der Entwicklung neuer Technologien auf diesem Felde
umgehen. Wir brauchen in diesem Bereich noch mehr
private, aber auch öffentliche Investitionen, damit wir
von den bekannten endlichen Ressourcen unabhängiger
werden.
Deutschland spielt hier eine wichtige Rolle. Technologietransfer ist ein wichtiges Thema für uns. Genau das
ist übrigens auch ein Thema, wenn wir über Russland reden. Es ist ganz selbstverständlich, dass wir, wenn wir
erwarten, sichere Zugänge zu Erdgas zu haben, unsererseits mit neusten Technologien helfen, um dazu beizutragen, dass zum einen nicht unnötig Ressourcen verlorengehen und zum anderen neue Ressourcen erschlossen
werden. Gerade das können wir. Hier stellen wir - auch
im eigenen Interesse - eine starke helfende Hand gegenüber den Lieferländern dar.
Ich möchte noch ein Wort zu den regenerativen Energien sagen. Wenn ich mir überlege - lassen Sie mich das
einmal kritisch anmerken -, welche Mühe es gemacht
hat, hier überhaupt eine Schneise zu schlagen, regenerative Energien zu einem Thema der deutschen Politik und
zu Regierungspolitik werden zu lassen, dann kann ich
nur sagen, dass wir ein Label geschaffen haben, das sich
heute weltweit sehen lassen kann, weltweit hohe Anerkennung hat und vor allem auf große Nachfrage stößt, ob
in Entwicklungsländern oder entwickelten Ländern. Wir
sollten diesen Weg mit aller - ich darf das in diesem Zusammenhang sagen - Energie fortsetzen, damit Fotovoltaik, Windenergie, Biogas oder anderes weiter Erfolgsgeschichten made in Germany bleiben.
({3})
Sicherlich werden die regenerativen Energien in unserem Lande nicht alle Probleme lösen können; das ist hier
auch nicht das Thema. Das Thema ist, dass wir weltweit
einen Energiemix brauchen, in dem die regenerativen
Energien auch in Zukunft eine sehr große Rolle für die
zentrale, aber auch für die dezentrale Versorgung spielen.
Wir werden diese Debatte sicherlich mit einem entwicklungspolitischen Akzent fortsetzen. Dann wird auch
die Bedeutung deutlich, die gerade dieser Bereich für die
Versorgung und für die wirtschaftliche und politische
Entwicklung jener Länder hat, in denen die ökonomischen und politischen Vorbedingungen im Moment nicht
die besten sind. Lassen Sie uns an dieser Stelle weiter
diskutieren. Ich glaube, das lohnt sich für unser Land
und für die Europäische Union.
Danke.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den
letzten Monaten wurde die Energiepolitik durch zwei
Dinge besonders in den Mittelpunkt gerückt. Das eine
war der IPCC-Report, das andere die Studie des britischen Ökonomen Sir Nicholas Stern, in der er beschrieben hat, dass der Klimawandel, wie er es sagte, das
größte Marktversagen in der Geschichte ist. Interessant
ist die Frage: Wer trägt die Folgen dieses Marktversagens, verursacht insbesondere durch die vielen Treibhausgasemissionen in den Industrieländern? Die Hauptleidtragenden sind diejenigen Länder, die am wenigsten
gegen den Klimawandel tun können: die Entwicklungsländer. Aufgrund der Folgen des Klimawandels gibt es
dort mittlerweile bis zu 150 Millionen Flüchtlinge.
Eine ähnliche Entwicklung können wir beobachten,
wenn wir die Entwicklung der Preise fossiler Rohstoffe
betrachten. Gestern haben wir wieder einmal erlebt, dass
der Ölpreis pro Barrel auf über 100 Dollar gestiegen ist.
Das sind immer spekulative Ausschläge. Aber wir alle
wissen: Die Zeiten billigen Öls und Gases sind vorbei,
und Energie wird immer teurer. Auch an dieser Stelle
kann man die einfache Feststellung treffen: Darunter leiden vor allem die ärmeren Länder. Im Gegensatz zu ihnen können wir manche dieser Probleme, wenn auch unter Ächzen und Klagen, noch bewältigen.
Daran wird meiner Meinung nach deutlich: Wenn wir
diese beiden Probleme, den Klimawandel und die Ressourcenkonkurrenz, betrachten, ist festzustellen, dass
wir es mit einem Problem zu tun haben, das kein Land
im Alleingang lösen kann. Es wird nur im Zusammenwirken aller zu lösen sein. Energiesicherheit gibt es nicht
ohne Energiegerechtigkeit. Die globale Herausforderung, für Energiesicherheit und -gerechtigkeit zu sorgen,
kann man aber nur gemeinsam bewältigen. Das muss der
wichtigste Parameter einer Energieaußenpolitik sein.
({0})
Frau Kopp, das macht es so schwierig, über Modelle
wie eine Energie-NATO zu diskutieren. Ich verstehe
zwar den Gedanken, der dahinter steht. Sie müssen sich
aber klarmachen, dass man sich, wenn man Energiesicherheit und -gerechtigkeit sicherstellen will, auch den
anderen Problemen zu stellen hat, die es auf diesem Globus gibt. 1,6 Milliarden Menschen haben überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität. Wollen wir ihnen auf Dauer
vorenthalten, abends ihre Häuser zu beleuchten, Fernsehen zu schauen und ihre Medikamente zu kühlen? Nein;
denn das ist eine existenzielle Frage.
Wenn wir die Armut überwinden wollen, müssen wir
dafür sorgen, dass diese Menschen Zugang zu Energie
und Elektrizität bekommen. Außerdem müssen wir sie
davon abbringen, ihren Energiebedarf mit vorzeitlichen
Methoden zu befriedigen - ein Beispiel ist das Kochen
mit Dung -, die schreckliche, auch schreckliche gesundheitliche Folgen haben können.
Wir werden erleben, dass die Nachfrage nach Energie
gewaltig wachsen wird. In einem solchen Fall richten
wir unseren Blick gerne nach China oder Indien. Aber
ich finde, eines müssen wir uns immer wieder klarmachen: Die Hauptverantwortlichen für die steigende
Nachfrage nach der knappen Ressource Energie, die im
Wesentlichen aus fossilen Rohstoffen gewonnen wird,
sind immer noch die Industrieländer. In den Ländern, in
denen 15 Prozent der Weltbevölkerung leben, werden
56 Prozent des Öls, werden 60 Prozent des Gases und
wird über die Hälfte der anderen endlichen Rohstoffe
verbraucht. Deswegen besteht der erste und wichtigste
Schritt zu dem Ziel, Energiesicherheit und Versorgungssicherheit zu schaffen, darin, den Nachfragedruck aus
den Industrieländern deutlich zu senken.
({1})
Das ist die Schlüsselfrage, und das ist keine vergessene
Säule; ich komme darauf noch zurück.
Wenn man diesen Weg gehen will, muss man
schauen: Was sind das für Instrumente? Wir brauchen internationale Strategien, die das umsetzen, was wir in
Deutschland mit den drei E bezeichnen: mehr Energieeffizienz, mehr Energieeinsparung, mehr erneuerbare
Energien. Solche internationalen Strukturen haben wir
nicht. Wir haben zwar die Internationale Energieagentur.
Sie prophezeit übrigens - damit liegt sie näher an dem,
was die Grünen sagen, als an dem, was Sie sagen -, dass
der Anteil der Atomenergie rückläufig sein wird. Aber
diese Internationale Energieagentur ist immer noch eine
Agentur dieser 15 Prozent der Weltbevölkerung, sie
führt Konsumenten und Produzenten sowie Entwicklungsländer nicht zusammen. Wir müssen die Internationale Energieagentur für die anderen Nachfrager und für
die, die noch stärker abhängig sind, öffnen.
({2})
Wir brauchen Instrumente zur Förderung der erneuerbaren Energien, zum Beispiel REN 21 oder die von vielen vorgeschlagene IRENA. Wir müssen diese internationalen Strukturen aufbauen.
Gleichzeitig dürfen wir andere Strukturen, die viel
mit Sicherheit zu tun haben, nicht schwächen. Ich behaupte, dass die neu entflammte Liebe von Nicolas
Sarkozy - nicht zu Carla Bruni, sondern zur Nuklearenergie - uns große Probleme bescheren wird.
({3})
Wofür soll ein Land wie Libyen - mit Öl- und Gasvorräten und mit einem gigantischen Potenzial an solarer
Strahlungsenergie - Atomkraftwerke brauchen? Hier
produzieren wir unser Proliferationsproblem von morgen. Libyen ist zudem nicht das einzige Land. Ein weiteres Beispiel ist Brasilien. Iran muss ich nicht erwähnen.
All diese Länder greifen nicht aus energiepolitischen
Gründen nach dieser Technologie. Und das, liebe Frau
Kopp, sollen wir promoten?
({4})
Das lohnt sich nicht, allein deswegen, weil die Atomenergie gerade einmal 3 Prozent des Energiebedarfes der
Welt deckt. Deshalb glaube ich, dass wir den Weg hin zu
mehr Energieeffizienz, zu mehr Energieeinsparung, zu
mehr erneuerbaren Energien gehen müssen. Das erspart
uns neue Proliferationsrisiken.
({5})
Wir brauchen an dieser Stelle mehr Markt. Frau
Wöhrl, wenn Sie sich zu mehr Markt bekennen, dann
müssen Sie das auch zu Hause machen. Dann können
Sie es nicht wie Ole von Beust machen, der kurz vor der
Wahl das hamburgische Gasnetz einem der Monopolisten wieder übereignet, statt es in kommunalen Besitz zu
überführen oder es einem anderen Wettbewerber zu
übertragen. Das ist nicht mehr Markt.
({6})
Mehr Markt brauchen wir auch in einem anderen Bereich. Es ist nicht so, dass die Energieversorgung der
Welt an zu viel Freihandel leidet. Im Gegenteil, die Monopolisierung der Angebotsstruktur durch große, staatseigene Konzerne - Gasprom ist hier nur einer; auch der
saudische Staat wäre zu nennen, oder Chávez - geht ja
nicht in erster Linie zulasten der reichen Länder, sie geht
zuallererst zulasten der ärmsten der armen Länder.
({7})
Mehr Markt, mehr Transparenz an dieser Stelle, das ist
also auch ein Stück Energieaußenpolitik.
Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz hinzufügen.
Frau Kopp, Sie haben am Anfang gesagt, dass wir viel
über Energiepolitik diskutieren, aber dabei die Säule der
Versorgungssicherheit vergessen hätten. Sie haben über
Diversifizierung gesprochen, darüber, dass man sich
nicht von einer Quelle abhängig machen sollte; dass wir
Flüssiggasterminals brauchen. Das ist alles richtig.
Herr Kollege Trittin!
Aber glauben Sie wirklich - damit will ich Sie nachdenklich machen -, dass es einen Widerspruch zwischen
Klimaschutz und Versorgungssicherheit gibt?
({0})
Ich glaube, einen solchen Widerspruch gibt es nicht.
Wenn wir in Europa unser Klimaschutzziel, 30 Prozent
unserer Energie aus erneuerbaren Quellen zu decken, erreichen würden, würde unsere Abhängigkeit von Energieimporten von 75 Prozent auf unter 50 Prozent sinken.
Klimaschutz ist praktizierte Energiesicherheit.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Laurenz Meyer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Anliegen, das wir hier diskutieren, und der Grundansatz, der in dem FDP-Antrag zum Ausdruck kommt,
sind ganz wichtig und werden von uns nachdrücklich
unterstrichen. All das, was zur Exportabhängigkeit
Deutschlands - ich würde sagen: Europas -, zu der Tatsache, dass Schwellenländer wie China und Indien mit
zusätzlicher Nachfrage auf den Markt kommen, zu unserer Abhängigkeit insbesondere im Ölbereich von den
Krisenregionen, aber auch zu unserer derzeitigen
Abhängigkeit im Gasbereich, die wir vielleicht durch internationale Politik und mit Unterstützung unserer Unternehmen und Technologien im Bereich der Flüssiggasreserven ein bisschen verringern können, gesagt worden
ist, ist richtig und wichtig.
Ich möchte heute den Versuch machen, Herr Trittin,
uns alle nachdenklich zu machen, was unsere eigene Politik angeht, wenn wir die Situation so beschreiben, wie
Sie es zu Recht getan haben. Ich glaube nämlich wirklich, dass die Ressourcen Energie und Wasser unter den
Stichworten „Frieden“ und „Armutsbekämpfung“ - das
ist eben auch von Herrn Staffelt gesagt worden - international die zentralen Themen sind. Es ist hier auch schon
richtig beschrieben worden, wie die Situation in Afrika,
Indien und anderen Teilen der Welt ist, was die Brennstoffversorgung, das Abholzen von Wäldern, den Verbrauch des letzten Holzes, von Dung usw. sowie die damit verbundenen CO2-Emissionen angeht.
Das, was bei der Konferenz der deutschen Industrie
im asiatischen Raum zu der Frage vorgetragen wurde,
wo unsere Unternehmen in Asien die Ansatzpunkte sehen, fasse ich wie folgt zusammen: Die Klimapolitik, die
wir in Deutschland betreiben, ist zu überprüfen. Ist es
wirklich richtig, dass wir hier für den Einsatz von Fotovoltaik riesige Summen ausgeben, wodurch der Druck
auf die Hersteller, preisgünstigere Geräte und Technologien anzubieten, eher geschwächt als gestärkt wird;
müssten wir nicht eher dazu beitragen, dass zum Beispiel in Indien in viel stärkerem Maße Fotovoltaik eingesetzt wird, damit dort Licht und Wärme nicht mehr
durch direkte Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Öl
erzeugt werden? Dort hätten wir im Vergleich zu den
CO2-Einsparungen, die wir hier erzielen, um Potenzen
höhere CO2-Einsparungen zu erwarten. Dort reden wir
nicht wie hier vom Faktor zwei, sondern vom Faktor 15
oder 20. Mir stellt sich wirklich die Frage, ob wir darüber nicht einmal sprechen müssen.
Dies gilt auch für die Frage, wie wir unseren Energiemix gestalten müssen, damit wir solche Ansätze einbeziehen können. Mir ist die Diskussion, die wir hier führen, zu widersprüchlich. Auf der einen Seite weisen Sie
zu Recht darauf hin, wie die Situation in den genannten
Ländern ist, in denen ein zusätzlicher Nachfragedruck in
Bezug auf fossile Energieträger entsteht, und sagen, dass
wir, um ihnen fossile Energieträger günstiger zur Verfügung zu stellen, diese hier nicht einsetzen sollten. Außerdem sollten wir hier auch keine Kernenergie einsetzen,
um den weltweiten Nachfragedruck zu verringern. Ist es
aber nicht viel sinnvoller, dass wir mit unseren Hochtechnologien die fossilen Energien hier einsetzen und
unsere Technologien etwa im Bereich der Fotovoltaik
von mir aus mit deutschem Geld den Schwellenländern
zur Verfügung stellen? Darüber sollten wir einmal in
Ruhe reden. - Ich meine nicht, dass das etwas zum Grinsen ist.
({0})
Vielmehr sollten wir in Ruhe und ernsthaft abwägen, wo
die größeren Erfolge beim Klimaschutz zu erreichen wären. Ich bringe diesen Punkt einfach einmal zum Nachdenken in diese Debatte ein, weil hier die Gelegenheit
dazu ist.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Trittin?
Gern.
Lieber Herr Meyer, ich wollte eben nicht grinsen. Ich
stimme Ihnen sogar in einem Punkt zu.
Würden Sie mir in dieser nachdenklichen Debatte zugestehen - Sie haben zwar recht, was die Ausnutzung
zum Beispiel von Fotovoltaikanlagen unter den klimatischen Bedingungen in Afrika angeht -, dass gerade für
Afrika der hohe Anschaffungspreis solcher Anlagen das
Haupthindernis war und dass es durch die Entwicklung
einer massenhaften Nachfrage insbesondere in Deutschland gelungen ist, innerhalb von acht Jahren die Stückkosten für Fotovoltaikanlagen zu halbieren, und wir inzwischen erreicht haben, dass im Vergleich zu einem
Dieselgenerator eine Fotovoltaikanlage auch unter den
klimatischen Bedingungen in Afrika wettbewerbsfähig
ist?
Sie haben in dem Punkt recht, dass die Anstoßfunktion wichtig ist. Ich sehe aber zurzeit das Problem, dass
der Druck auf die Produzenten, die Rationalisierungsreserven auszuschöpfen, nicht stark genug ist. Die Frage
ist, wie wir mit der weiteren Finanzierung der Fotovoltaik unter unseren Bedingungen umgehen, um den
Druck in Richtung einer weiteren Senkung der Kosten
dieser Anlagen zu erhöhen. Denn zurzeit kommt unser
Programm in erster Linie Kapitalanlegern und der japanischen Solarindustrie zugute. Das machen leider Gottes
die Zahlen deutlich.
Wir sollten uns weiter damit befassen, wie wir mit
dem Einsatz dieser Anlagen bei der CO2-Vermeidung
den größtmöglichen Erfolg erreichen können. Insofern
kann ich nicht nachvollziehen, dass man sich ideologisch auf Einzelaspekte und einzelne Teilbereiche der
Energiepolitik beschränkt. Unter solchen Bedingungen
kann ich auch nicht nachvollziehen, warum man ausgerechnet in dem vor uns liegenden Zeitraum, in dem wir
die Umstellung auf neue Technologien schaffen wollen,
aus der einzigen CO2-freien Energie, der Kernenergie,
aussteigen und dafür verstärkt auf den Bau neuer Kohlekraftwerke setzen will.
({0})
Das kann ich nicht nachvollziehen, wenn es uns um rationale Energiepolitik geht.
Bei all unseren Diskussionen über Investitionen, Kraftwerksausbau, Netzkuppelstellen in Europa und unsere
Industrie stellt sich die Frage, was wir tun können, um
auf internationaler Ebene die größten Erfolge zu erzielen. Wir müssen zum Beispiel bei der Preisgestaltung
darauf achten, dass wir unsere energieintensiven Industrien in Deutschland halten, weil sie unter den hiesigen
Bedingungen am ehesten unter dem Druck stehen, einen
Beitrag zur Verringerung des CO2-Ausstoßes zu leisten.
Die Lage wird doch nicht besser, wenn die Stahlindustrie
nicht mehr bei uns angesiedelt ist, sondern in Indien, wo
völlig andere gesetzliche Rahmenbedingungen gelten.
Wenn wir den CO2-Ausstoß weiter durch den beschränkten Rahmen unserer kleinen nationalen Brille betrachten, statt endlich auch über solche Zusammenhänge
zu sprechen, dann werden wir international keine Erfolge erzielen. Nach dem, was verschiedene Kollegen
vorgetragen haben, erscheint mir die gesamte Diskussion
sehr eng.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollege Gabriele Groneberg, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist in der Tat gut, dass wir eine so nachdenkliche Debatte führen. Es ist grundsätzlich erfreulich, dass wir
heute anhand der beiden Anträge Gelegenheit haben,
über das Thema zu diskutieren, und zwar nicht nach dem
Motto „Gut, dass wir darüber geredet haben“, sondern
unter dem Gesichtspunkt, was zu tun ist und wie wir in
den unterschiedlichen Fraktionen mit bestimmten Faktoren umgehen.
Den Stellenwert der Energiepolitik und die notwendige Verzahnung von Außenpolitik, vor allem im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung, bestreitet wohl niemand in diesem Hause
mehr ernsthaft. Herr Trittin hat dazu schon einiges ausgeführt. Die Gestaltung der Energiepolitik wird in Zukunft für uns alle substanziell sein, weil sie untrennbar
mit anderen Bereichen verbunden ist. Man kann sie nicht
mehr isoliert betrachten; das ist schon in den Debattenbeiträgen der Kollegen zum Ausdruck gekommen.
Zu Beginn möchte ich die Aspekte zusammenfassen,
die uns und die Entwicklungs- und Schwellenländer gleichermaßen betreffen. Erstens geht es in diesem Zusammenhang um die Notwendigkeit, die Energiesicherheit
für die Gegenwart und die Zukunft zu gewährleisten. Das
gilt sowohl für uns als auch für die Entwicklungs- und
Schwellenländer, Frau Kopp.
Zweitens muss bei der Energieproblematik immer
auch der Klimaschutz mit in den Blick genommen werden. Gerade im letzten Jahr haben wir so oft über dieses
Thema und die Verknüpfung geredet wie nie zuvor. Hier
zeigt sich deutlich, dass wir unsere Interessen nur gemeinsam wahrnehmen können; denn Klimaschutz kann
effektiv nur in weltweiter Zusammenarbeit betrieben
werden.
Drittens muss die Auseinandersetzung mit der Thematik immer vor dem Hintergrund der Versorgung mit
Rohstoffen, aber auch im Bewusstsein der Endlichkeit
fossiler Ressourcen geführt werden.
Viertens geht es hier schlichtweg um sicherheitspolitische Aspekte. Konflikte um Ressourcen sind an der Tagesordnung. Ich brauche das nicht weiter auszuführen;
denn wir werden Tag für Tag damit konfrontiert.
In diesen Rahmen eingebettet sehe ich die Energieaußenpolitik. Sie ist für mich nicht nur - wie das leider in
Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt, meine Damen und
Herren von der FDP - ein Instrument zur Wahrnehmung
der eigenen Interessen. Für mich ist Energieaußenpolitik
mehr als ein Mittel zum Zweck. Der Begriff ist weiter
gefasst und durch ein Denken in Zusammenhängen gekennzeichnet. Wir können Energie-, Entwicklungs- und
Klimapolitik nicht mehr sektoral betreiben und auseinanderdividieren. Sie sind auf komplexe Weise miteinander verbunden.
({0})
- Nein, das fehlt in Ihrem Antrag. So ist das zumindest
nicht zum Ausdruck gekommen.
Genau diese Aspekte und Zusammenhänge - das ärgert mich ein bisschen an den vorliegenden Anträgen haben wir in unserem Koalitionsantrag „Energie- und
Entwicklungspolitik stärker verzahnen - Synergieeffekte
für die weltweite Energie- und Entwicklungsförderung
besser nutzen“ im letzten Jahr aufgezeigt. In diesem Titel kommt zum Ausdruck, worüber wir hier eigentlich
diskutieren. Ich finde es schade, dass Sie, meine Damen
und Herren von der FDP, und die Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unseren Antrag damals
nicht unterstützt haben. Dort haben wir alle Aspekte aufgenommen. Ich bin erstaunt: Sie haben etliche Passagen,
manchmal fast wortwörtlich, aus unserem Antrag übernommen. Ich bedauere das nicht, sondern finde das gut.
Aber es ist schade, dass Sie im letzten Jahr nicht dazu
bereit waren, einen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten,
sondern nun einen eigenen Antrag vorgelegt haben, in
dem Sie einen Teil unserer Forderungen als Wahrheit
und Bestandteil Ihrer Politik übernommen haben.
({1})
- Meine Kollegin hat vollkommen recht. Wir sind Gott
sei Dank immer ein bisschen schneller.
Frau Kopp, darüber hinaus habe ich ein substanzielles
Problem mit dem Antrag Ihrer Fraktion. In Ihrem Antrag
werden Zielkonflikte heraufbeschworen. Es ist sogar von
Widersprüchen zwischen entwicklungs- und umweltpolitischen Zielsetzungen die Rede. Das sehen wir so absolut
nicht. Im Gegenteil: Dort, wo Sie Widersprüche und
Zielkonflikte sehen, sehen wir die Möglichkeit für Synergien. Ich will dies am Beispiel Öl im Zusammenhang
mit dem Ressourcenreichtum bestimmter Entwicklungsländer und der damit verbundenen Möglichkeit der entwicklungsorientierten Verwendung von Einnahmen, die
aus dem Verkauf von Ressourcen stammen, deutlich machen. Wenn regionale Kontrollmechanismen insbesondere in Afrika bei der Mittelverwendung greifen, dann
besteht bei den Zusatzeinnahmen aus der Öl- und Gasförderung in einigen Entwicklungsländern auf jeden Fall
das Potenzial, diese Gelder für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele einzusetzen.
Etwa ein Zehntel der weltweit bekannten Ölreserven
liegt auf dem afrikanischen Nachbarkontinent. Damit
aus dem Ressourcensegen kein Ressourcenfluch wird,
müssen wir Initiativen unterstützen wie die zivilgesellschaftliche „Publish what you pay“-Initiative oder die
„Extractive Industries Transparency“-Initiative, die sich
darum bemühen, durch Offenlegung der Zahlungen sicherzustellen, dass das Geld in entwicklungsrelevanten
Bereichen wie Gesundheit und Bildung Verwendung findet und nicht in die Taschen einiger korrupter Machthaber fließt.
Für viele ressourcenarme Entwicklungsländer hingegen führt die Energieimportabhängigkeit zu hohen Belastungen. Steigende Ölpreise stellen für diese Länder ein erhebliches Risiko dar, weil finanzielle Mittel für die eigene
Entwicklung verloren gehen. Vor diesem Hintergrund ist
es nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern ein unbedingtes Muss, die Förderung von erneuerbaren Energien voranzutreiben. Herr Staffelt und Herr Trittin haben
diesen Zusammenhang eben dargelegt. Frau Kopp, es ist
dringend notwendig, die Kernenergie - im Gegensatz zu
Ihrer Forderung - als rückwärtsgewandte Technologie zu
betrachten. Sie ist nicht die Zukunftstechnologie.
Ich kann Ihnen versichern, dass die Bundesregierung
ihre Hausaufgaben macht. Mit einer Fördersumme in
Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr sind die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz die größten Investitionsbereiche in der bilateralen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Im Übrigen stehen 120 Millionen Euro pro Jahr für die internationale Zusammenarbeit
im Klimaschutz zur Verfügung. Das ist ganz wichtig,
und damit werden wir unserer Verantwortung gerecht.
({2})
Mit dem Export von Technologien zur Nutzung von
erneuerbaren Energien und zur Verbesserung der Energieeffizienz können wir einen wesentlichen Beitrag zur
Energieversorgung in ressourcenarmen Entwicklungsund Schwellenländern leisten. Nicht zu vergessen: Interessant ist, dass wir selbst auch davon profitieren, weil
unsere Unternehmen mit ihrer Technologie auf in Zukunft boomenden Märkten Fuß fassen können, auch in
Afrika. Daraus wiederum ergibt sich die Schlussfolgerung der Technologiezusammenarbeit auch mit großen
Schwellenländern wie China und Indien. Das ist für uns,
Frau Kopp, in diesem Bereich eine Selbstverständlichkeit, was Sie nicht so sehen. Wir haben darüber oft genug diskutiert.
Wir werden die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit
China nicht aufkündigen, auch wenn China schon selbst
als Geberland in Afrika auftrat. Wir müssen darüber reden, und wir haben das auch schon getan; aber wir wissen ganz genau, dass wir eigentlich nur auf diesem Wege
Klimaschutzdiplomatie betreiben können. Wir sorgen
nämlich mit unserem Know-how dafür, dass auf den chinesischen Märkten Umweltschutztechnologie installiert
wird. Letztendlich profitieren unsere Unternehmen davon. Da hätte ich mir ausgerechnet von der FDP eine
klare Aussage gewünscht.
Mehr Positives kann ich zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen sagen. Es ist allerdings wiederum schade, dass Sie nicht unserem Antrag von vor einem Jahr gefolgt sind; denn die Grundlagen für die erfolgreiche Politik, die wir jetzt machen, haben wir - das
gebe ich gerne zu - in den Jahren der rot-grünen Zusammenarbeit gelegt. Wir sind jetzt etwas erfolgreicher, weil
wir eine größere Mehrheit hier im Hause haben. Das
freut uns. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel: Es wäre
schön gewesen, wenn Sie bei unserem letzten Antrag dabei gewesen wären.
Als Beleg für unsere Vorwärtsstrategie will ich ein Zitat aus einem Namensartikel unseres Außenministers
vom März 2006 anführen. Er hat gesagt:
Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wird den
Übergang zu einem friedlichen Nach-Öl-Zeitalter
gestalten helfen und dafür Sorge tragen, dass die
Energieversorgung unseres Landes und Europas gesichert bleibt.
Wo bitte, Frau Kopp, ist da die „vergessene Säule“? Das
kann ich hier nicht sehen.
Ich hätte mich wirklich gefreut, wenn wir uns eher
verständigt hätten. Vieles in Ihren Anträgen ist durchaus
richtig. Wir arbeiten weiter an unserem Ziel. Ich kann
nur sagen: Schön, dass Sie dabei sind. Einen Satz
möchte ich ergänzen, Frau Kopp. Sie haben gesagt: Wer
die Energie hat, hat die Macht. Ich würde es anders formulieren: Wer die Energie hat, hat vor allen Dingen Verantwortung.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Manfred Grund, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man
kann am Ende dieser Debatte einige Zahlen nicht oft genug wiederholen: Schon heute importiert die Europäische
Union 57 Prozent des benötigten Erdgases. Prognosen
zufolge werden im Jahre 2030 80 Prozent des benötigten
Erdgases nach Europa importiert werden müssen - dies
bei ständig steigender Nachfrage. Bereits heute kommen
25 Prozent der Nachfrage vom russischen Staatskonzern
Gasprom. Deutschland ist gegenwärtig zu 40 Prozent auf
russische Gaslieferungen angewiesen. Auch hier steigt
die Tendenz. Der Ausstieg aus der Atomtechnik, die Verhinderung des Baus von Kohlekraftwerken und überambitionierte Klimaschutzziele werden das Ihrige dazu beitragen.
Eine in Ansätzen befindliche europäische Energieaußenpolitik bezieht sich auf vier Hauptelemente, als da
sind: regionale Diversifizierung, Institutionalisierung
der Energiemärkte, Verbreiterung des Energiemixes und
Effizienzerhöhung. Allein mit der Steigerung der Energieeffizienz lassen sich erhebliche Potenziale erschließen. Dazu können wir bei uns - das ist gesagt worden viel beitragen. Weit mehr lässt sich bei unseren ost- und
mitteleuropäischen Nachbarn, vor allem in Russland, erreichen. So gehen in Russland zwei Drittel der Erdgasförderung in den Binnenverbrauch. Eine Erklärung dafür
sind die zurzeit noch niedrigen russischen Binnenpreise
für Erdgas. Eine Ursache sind aber auch veraltete Technologien und die veraltete Infrastruktur. Hier wäre viel
zu tun, Stichwort Technologieexport.
Durch die Steigerung der Energieeffizienz und mit
der Verbreiterung des Energiemixes - auch das ist angesprochen worden - können wir sicher sehr viel erreichen.
Aber auf absehbare Zeit wird sich auf diese Weise die
Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger nur sehr
begrenzt verringern lassen. Deshalb haben wir ein weiter
zunehmendes Interesse daran, gemeinsame Regeln für
den Energiehandel und die Energiemärkte zu vereinbaren. Stichworte dazu sind genannt worden: internationales Energierecht, Institutionalisierung des Energiemarktes, Energiecharta. Frau Kollegin Kopp, Herr Kollege
Staffelt, wir wissen aber auch, dass sich Russland bisher
beharrlich weigert, der Energiecharta beizutreten.
({0})
Gefahren und Risiken in diesem Zusammenhang erwachsen uns nicht nur aus der Möglichkeit politischer
Einflussnahme auf Energietrassen und Energietransporte. Hinzu kommt, dass Russland zur Modernisierung,
zum Erhalt und zum Ausbau seiner Produktion gewaltige Finanzmittel benötigt, die es aus eigenen Kräften
schwer aufbringen kann.
Doch wie sollen notwendige Investitionen in Russland ohne eine Liberalisierung seines Energiemarktes
zustande kommen? Offenbar hat Russland gegenwärtig
an der geopolitischen Kontrolle über Vorkommen und
Transportwege ein größeres Interesse als an der Erschließung neuer Vorkommen und der Erneuerung seiner
Infrastruktur. Es steht zu befürchten, dass in sehr viel
kürzerer Zeit Lieferengpässe bei uns auftreten, als der
abstrakte Vergleich von Reserven und Nachfrageentwicklung vermuten lässt. Verschärft wird das Problem
- auch das ist gesagt worden - durch den Energiehunger
von China und Indien.
Eine Diversifizierung der Importe wird daher gar
nicht in erster Linie dem Ziel dienen müssen, Abhängigkeiten zu verringern, vielmehr muss es auch uns um die
Erschließung neuer Lieferquellen gehen. Für eine stärkere Diversifizierung gibt es zwei Optionen: Für die eine
Option steht das Projekt der Nabucco-Pipeline. Hierbei
geht es um den Zugang zu zentralasiatischen und möglicherweise auch iranischen Gasvorkommen. Die zweite
Option besteht im zunehmenden Import von Flüssiggas.
Mit der Nabucco-Pipeline sollen bis zu 30 Milliarden
Kubikmeter Erdgas aus Turkmenistan und unerschlossene Ressourcen Aserbaidschans nach Europa gepumpt
werden, und zwar, wenn es geht, an Russland und Gasprom vorbei. Es ist jedoch schon heute zweifelhaft, ob in
Turkmenistan und den angrenzenden Regionen überhaupt jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas zur Lieferung über diese Pipeline zur Verfügung stehen. Denn
fast alles, was bisher gefördert wird, hat Gasprom vertraglich gebunden und leitet es weiter.
Ohne die Einbeziehung der gewaltigen iranischen
Gasvorräte dürfte Europa bei Nabucco also in die Röhre
gucken. Klar ist: Derzeit kommt eine Zusammenarbeit
mit Iran nicht infrage. Diese Situation könnte sich jedoch im Falle einer politischen Verständigung über das
iranische Atomprogramm ändern. Ein so umfangreiches
Projekt wie die Nabucco-Pipeline mit Investitionen von
mehr als 5 Milliarden Euro ist zwangsläufig langfristig
anlegt.
Stärker auf Import von Flüssiggas als Zweitoption
setzen zu wollen, könnte sich hingegen als fragwürdige
Option erweisen. Denn der Transport von Flüssiggas
birgt erhebliche Risiken. Pipelines sind nicht nur wirtschaftlicher, sondern sie stellen auch eine wechselseitige
Verflechtung dar. Pipelines, die wir bauen, führen nach
Europa, Flüssiggastanker fahren überallhin.
Diversifikation wird unsere Abhängigkeit von Russland allenfalls graduell, aber nicht substanziell verringern. Diversifiziert allerdings Russland seine Exporte,
wird dies seine Abhängigkeit von uns viel stärker reduzieren. Es gibt derzeit keine Strategie, mit der sich die
Asymmetrie im Energiehandel mit Russland wirklich
abbauen ließe; denn dazu müsste Moskau zur Öffnung
und Liberalisierung seines Energiemarktes bereit sein.
Frau Präsidentin, wie ich sehe, geht meine Redezeit
zu Ende. Ich möchte aber noch eines sagen: Wir brauchen den stärkeren Aufbau eines integrierten europäischen Energiemarktes, sodass wir als Europäer gemeinschaftlich mit Gasprom, mit Russland verhandeln
können. Dazu gehören natürlich auch - Frau Kollegin
Kopp, Sie haben es gesagt - Energiespeicher, um Energie bevorraten zu können und gegenüber Russland bzw.
Engpässen in der Energieversorgung besser gewappnet
zu sein.
Herr Kollege!
Je größer die Marktmacht Europas in diesem Zusammenhang ist, desto größer ist auch unser Verhandlungsspielraum und desto sicherer wird unsere Energieversorgung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dafür, dass Sie mich
so lange haben reden lassen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6796 und 16/8181 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Eckart von Klaeden, Dr. Wolf
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Detlef
Dzembritzki, Gert Weisskirchen ({1}),
Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Deutsche Personalpräsenz in internationalen
Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken
- Drucksachen 16/6602({2}), 16/7938 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Gert Weisskirchen ({3})
Wolfgang Gehrcke
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort hat der Kollege Dzembritzki, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich - ich sehe, die Freude ist bei meinem
Kollegen Dr. Ruck ähnlich groß -, dass wir heute die
Möglichkeit haben, über diesen Antrag zu sprechen.
Denn dieses Thema beschäftigt uns nun wahrhaftig über
Legislaturperioden, in einer Kontinuität, die beinahe
schon beispielhaft ist. Deswegen ist es gut, dass wir dazu
heute endlich hier im Plenum sprechen können.
Es ist unverkennbar: Der Einfluss internationaler Organisationen nimmt kontinuierlich zu. Deshalb ist es für
uns wichtig, die Politik in diesen Institutionen mitzugestalten. Wir sind auf Ansprechpartner angewiesen. Ein
Netzwerk deutscher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
internationalen Organisationen ist notwendig. Ein Dialog zwischen Regierung und Parlament darüber ist ebenfalls notwendig. Wir müssen darauf achten, dass wir dort
entsprechend unseren Möglichkeiten vertreten sind.
Die Repräsentation deutscher Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ist - das will ich einmal vorweg sagen weitaus besser geworden als vor etlichen Jahren. Aber es
ist nicht so, dass wir total zufrieden sein können. Wir
wollen diese Repräsentanz deutscher Mitarbeiter nicht
unmittelbar aus unseren finanziellen Beiträgen ableiten;
denn natürlich müssen wir auch Verständnis dafür haben, dass Länder mit geringeren Möglichkeiten international beteiligt sein müssen. Es kann aber nicht sein,
dass wir im Vergleich zu anderen Industrieländern in
wichtigen Institutionen quasi unterrepräsentiert sind.
Deutschland ist Mitglied in über 200 internationalen
Organisationen. Diese 200 internationalen Institutionen
beschäftigen circa 60 000 Personen im vergleichbaren
höheren Dienst. Das heißt, dort sind 60 000 Menschen
mit Hochschulabschluss tätig. Darin sind Projektpersonal, Peacekeeping und Sprachendienst nicht enthalten.
Etwa 5 400 deutsche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind auszumachen. Das heißt, dass der Anteil an deutschem Personal seit 1998 - damals waren es 8,8 Prozent auf 9,5 Prozent gestiegen ist. Das ist zwar eine Steigerung,
aber Sie werden mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass
hier Verbesserungen möglich sind.
({0})
Wir befinden uns in der erfreulichen Situation, dass
wir zum Beispiel auf der Generaldirektorenebene der EU
oder im UN-Sekretariat in der quantitativen Ausstattung
gut vertreten sind. Schaut man sich die Spitzen einmal
an, wird man feststellen, dass mit Achim Steiner bei
UNEP nur noch einer der wenigen Spitzenposten von einem Deutschen besetzt ist. Bis vor kurzer Zeit, Herr Kollege Trittin, hatte auch Tom Koenigs einen solchen Posten inne; er ist nun nicht mehr dabei. Gerade bei einer
Diskussion über die internationale Mitarbeit kann man
seitens des Parlaments stellvertretend Tom Koenigs,
aber auch allen anderen für ihr Engagement Dank sagen;
denn sie bringen sich da auch für die Bundesrepublik
Deutschland ein.
({1})
Wir haben erfreulicherweise von Aktivitäten der Bundesregierung zu berichten. Herr Staatsminister Erler, ich
darf sowohl an Ihr Haus als auch an das Bundeskanzleramt richten: Wir als Parlamentarier können uns über den
Dialog mit den Häusern nicht beklagen. Unsere Zusammenarbeit ist wirklich gut. Wir haben immer wieder erkennen können, dass Anregungen aufgenommen werden. So verfügen wir jetzt über einen internationalen
Stellenpool, sodass man den nötigen Überblick hat.
Ganz wichtig - das geht aus dem Antrag hervor - sind
die Staatssekretärsrunde für deutsches Personal in internationalen Organisationen im Kanzleramt und der Koordinator für internationales Personal im Auswärtigen
Amt. Dort besteht eine wirklich enge Zusammenarbeit.
Nicht unbedeutend - das will ich hier noch einmal unterstreichen - ist auch der regelmäßig tagende Ressortkreis unter Einbeziehung der Länder. Wir erleben es bei
Afghanistan - ich nenne nur das Stichwort Polizei - oder
auch in der Kulturpolitik - ich nenne nur das Stichwort
Lehrerinnen und Lehrer -: Wir brauchen die Länder.
Deswegen ist es wichtig, dass sie einbezogen werden.
Unser föderales System macht das möglich. Ich hoffe, es
wird als Chance und nicht als zusätzliches Problem begriffen.
({2})
Ebenfalls gut ist, dass heute eine Vorbereitung durch
Informationsveranstaltungen für Bewerberinnen und Bewerber für internationale Institutionen stattfindet. Das
hat dazu geführt, dass der Anteil deutscher Bewerberinnen und Bewerber tatsächlich gestiegen ist.
Ich kann mich sehr gut an eine Konferenz erinnern, an
der Herr Dr. Ruck und ich teilgenommen haben und zu
der das Auswärtige Amt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus internationalen Organisationen eingeladen hatte.
2007 hat eine solche Konferenz zuletzt stattgefunden.
Interessant war, dass sich 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beworben haben, um an der Konferenz teilzunehmen, aber nur 200 Plätze vergeben werden konnten.
Das zeigt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfinden dies als sehr wichtig. Die Bundesregierung kann
man nur ermuntern, diesen Weg weiterzugehen und zu
prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, den Rahmen noch zu
erweitern.
Vielen ist nicht so bekannt, dass ein großer Teil der
deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in internationalen Organisationen nicht aus dem öffentlichen Dienst
kommt. Wir haben festzustellen, dass circa 1 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem öffentlichen Bereich, aber circa 4 200 aus der privaten Wirtschaft oder
aus anderen Institutionen kommen. Man muss sich natürlich auch deren Sorgen anhören. In den Gesprächen
mit dem Verband der Bediensteten in internationalen Organisationen kommt - nicht überraschenderweise - gerade aus dem Kreis dieser Personen die Bitte, sich stärker um sie zu kümmern. Solche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die im internationalen Bereich tätig waren
und nach Deutschland zurückkommen, sollten keine
Nachteile haben. Vielmehr sollte ihre Erfahrung positiv
zur Kenntnis genommen werden. Die Rückkehr in die
deutschen Sozialsysteme muss ermöglicht bzw. erleichtert werden. Es darf nicht dazu kommen, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann quasi um ihre Sicherung und ihre Existenz kämpfen müssen.
({3})
Hier geht mein Appell an die Bundesregierung - das
geht ein Stückchen über unseren Antrag hinaus -, sich
dieser Thematik anzunehmen. Die Zugangsmöglichkeiten zum Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungssystem müssen für diese Bediensteten aufrechterhalten werden.
Schauen wir uns die Situation der deutschen Beamtinnen und Beamten an! Mein Appell geht erneut dahin,
dass nicht nur im Auswärtigen Amt und im BMZ, wo die
klassische internationale Arbeit stattfindet, sondern auch
in den anderen Häusern der Bundesregierung und bei
den Ländern eine Auslandstätigkeit nicht als längerer
Urlaub verstanden wird, sondern als Dienstleistung, die
von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erbracht
wird.
({4})
Diejenigen, die zurückkommen, dürfen nicht irgendwo
sozusagen abgestellt werden; vielmehr sollte man ihre
Erfahrung sinnvoll und nutzbringend einsetzen. Das
liegt im gemeinsamen Interesse.
Zu prüfen ist auch noch, wie die Flexibilität erhöht
werden kann. Wir haben für alles Regelungen. So wird
zum Beispiel ein Beamter, der in den auswärtigen Dienst
geht, für fünf Jahre beurlaubt. Er kann im Ausnahmefall
für weitere zehn Jahre beurlaubt werden. Nun stelle man
sich vor, dass er 13 oder 14 Jahre gebraucht wird. Hier
muss man an die Kreativität der Regierung appellieren.
Es gilt, flexible Regelungen zu schaffen.
Ich habe mich gerade auf den Konferenzen mit einzelnen Kolleginnen und Kollegen unterhalten. Dass jemand, der in jungen Jahren als Regierungs- oder Oberregierungsrat nach Brüssel oder New York gegangen ist
und dort 10 bis 15 Jahre gearbeitet hat, dann, wenn er
zurückkommt, hier nur die Perspektive hat, wieder als
Regierungsrat beschäftigt zu werden, kann natürlich
nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Wir erwarten,
dass man sich auf Regierungsseite darüber noch einmal
Gedanken macht.
({5})
Im Raum steht dann immer wieder das sogenannte
Spiralmodell. Ich vermute, der Kollege Dr. Ruck wird
darauf noch eingehen. Ich will Ihnen deshalb nur kurz
sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir einbringen müssen: Wenn wir zum Beispiel wollen, dass jüngere Kollegen vom Auswärtigen Amt oder von anderen
Behörden in internationale Organisationen geschickt
werden, müssen wir dafür sorgen, dass wir im Personalbereich flexibler werden. Das bedeutet, dass das Auswärtige Amt - dieses betrifft es ja in der Regel - Möglichkeiten erhalten muss, eine Art Personalreserve bzw.
einen Personalstock aufzubauen, um in diesem Bereich
tätig werden zu können.
Ein Punkt, der sich in der Diskussion ebenfalls immer
wieder abzeichnet, ist die im Unterschied zu anderen
Ländern lange Ausbildungszeit in Deutschland. Zwischen einem Juristen, der bei uns ausgebildet wurde und
dann in eine internationale Organisation geschickt wird,
und einem Juristen, der in Frankreich oder Großbritannien ausgebildet worden ist und dann in eine internationale Organisation geschickt wird, können Sie schon einen massiven Altersunterschied feststellen. Das bringt in
der Regel bei den weiteren Aufstiegsmöglichkeiten Probleme mit sich. Wir müssen also schauen, ob man hier
gemeinsam mit den Universitäten Wege finden kann, um
Benachteiligungen zu beseitigen.
Nachdem ich die Universitäten angesprochen habe,
möchte ich dazu überleiten, dass es bei uns eigentlich
zum Normalfall werden muss, dass innerhalb der Hochschulen Angebote gemacht werden, mit denen junge
Menschen auf eine Tätigkeit in internationalen Organisationen vorbereitet werden. Hier ist, wie ich glaube, innerhalb der Hochschulen einiges machbar. Diese Angebote sollten in Korrespondenz zu Programmen, die
bereits zur Verfügung stehen, gesetzt werden. Ich nenne
das Carlo-Schmid-Programm für Praktikanten oder das
Programm „Beigeordnete Sachverständige“. Ähnliche
Programme könnten mit einer effektiven Ausbildung an
den Hochschulen kombiniert werden, sodass hier für
beide Seiten, für die Hochschule wie für die Studentinnen und Studenten bzw. die jungen Akademiker, enorme
Synergieeffekte entstehen könnten. Ich meine also, dass
gerade im Bereich der akademischen Ausbildung noch
andere Formen und Ideen eingebracht werden könnten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe herzlich
Dank zu sagen für die gute Zusammenarbeit, in diesem
Fall besonders mit meinem Kollegen Dr. Ruck.
Christian, ich erwähne das gerne noch einmal, weil wir
wirklich über Jahre dieses Anliegen immer wieder eingebracht haben. Ich bedanke mich beim Unterausschuss
Vereinte Nationen, der dieses Anliegen ebenfalls mitbegleitet hat, und bei den verantwortlichen Kolleginnen
und Kollegen in der Bundesregierung, die uns mit Rat
und Tat zur Seite standen.
Ich schenke Ihnen jetzt einige Sekunden meiner Redezeit und bitte dafür um Verständnis.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
befassen uns heute mit einem altbekannten Antrag. Er
wurde schon in der vorletzten und in der letzten Legislaturperiode vorgelegt. Im Wesentlichen hat sich an der
Situation nichts geändert. Deshalb werden wir diesem
Antrag auch zustimmen; denn er ist im Kern richtig.
Herr Kollege Dzembritzki hat eben sehr vieles gesagt,
was ich außerordentlich unterstreiche. Natürlich werde
ich es ein wenig zuspitzen. Denn ich denke, es ist die
Aufgabe der Opposition, zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass die deutschen Dienststellen, die möglicherweise
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu internationalen Organisationen entsenden, von Konzepten zu Personalentwicklung, die in der Wirtschaft selbstverständliche Realität sind, Lichtjahre entfernt sind.
({0})
Hier ist das Prinzip „aus den Augen, aus dem Sinn“ nach
wie vor prävalent. Das wird ganz klar, wenn man sich
ansieht, mit welchen Begriffen ein junger Diplomat, der
in den auswärtigen Dienst eintritt, konfrontiert wird. So
tolle Worte wie Fokussierung und Diversifizierung sind
die beiden Schlüsselbegriffe der Personalplanung des
Auswärtigen Amtes. Wenn man genauer hinschaut, stellt
man aber fest, dass es sich hierbei nur um den organisierten Versuch handelt, jederzeit Löcher, die entstehen,
stopfen zu können. Das reicht nicht aus, um wirklich von
Personalplanung zu reden. Vielmehr kommt es darauf
an, eine Strategie zu entwickeln, um Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die sich durch eine Auslandstätigkeit in
internationalen Organisationen weiterentwickeln, strategisch in Aufgabenbereichen einzusetzen, wo sie zum
Nutzen unseres Landes mehr beitragen können, als das
sonst der Fall ist. Da ist noch viel zu tun; das möchte ich
durchaus kritisch anmerken.
Ich möchte auch kritisch anmerken, dass die Situation
nicht so schön ist, wie es die Koalition hier in Treue zur
Regierung darstellt. Die Präsenz von Deutschen in Spitzenpositionen der internationalen Organisationen ist
jammervoll. Man muss sehen, wie schnell das manchmal
bei anderen geht. Die Geschwindigkeit, mit der die Franzosen Herrn Strauss-Kahn plötzlich in eine Topposition
gebracht haben, ist atemberaubend. Hier haben wir noch
sehr großen Nachholbedarf. Beispielsweise sind nach
dem Abgang von Herrn Töpfer nicht mehr allzu viele
Deutsche im Rahmen der UNO zu sehen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Besuch von
Minister Steinmeier in Seoul, als er zum ersten Mal
Herrn Ban Ki-moon, dem damaligen koreanischen Außenminister, die Unterstützung bei der Wahl zum UNGeneralsekretär zugesichert hat. Danach ist vom UNGeneralsekretär im Hinblick auf die Bundesrepublik
nichts mehr passiert. Es wäre schon ganz schön,
Deutschland wäre auf der Ebene unterhalb des UN-Generalsekretärs oder an der Spitze von UN-Sonderorganisationen wieder vertreten. Hier muss noch einiges geschehen.
({1})
Ich möchte nicht verschweigen, dass ich auch einige
Punkte außerordentlich begrüße. Das Auswärtige Amt
hat seit ein paar Jahren ein Programm zur systematischen Betreuung von Bewerbern für Auswahlverfahren
auf der EU-Ebene installiert. Das ist ausgesprochen erfolgreich. Die Erfolgsquote deutscher Bewerberinnen
und Bewerber hat sich seitdem erheblich erhöht. Hier
stehen wir sehr gut da. Das kann ich nur begrüßen.
Aber was die Europäische Union angeht, kann man
nicht gerade Erfolgsmeldungen absondern. Hier muss
man schon genauer hinsehen, Herr Dzembritzki. Sie haben die Zahl der Generaldirektoren angesprochen. Von
den sieben deutschen Generaldirektoren in der Europäischen Kommission werden bis 2010 sechs pensioniert.
Danach kommt nichts, weil wir auf den Ebenen darunter
kaum noch vertreten sind, und wenn, dann nicht in strategischen Positionen oder Aufgaben mit inhaltlichen
Positionen, die für uns besondere Bedeutung haben.
Eine Ebene weiter unten wird es geradezu bedenklich.
Mögliche Nachfolger der Generaldirektorinnen und -direktoren der Europäischen Union, in der Kommission
wie auch im Rat, sind im Wesentlichen diejenigen, die
jetzt Referatsleiter sind oder es werden könnten. Ich
nenne hier die Zahlen: Bei den Referatsleitern liegt
Deutschland mit 133 hinter Frankreich mit 172, Italien
mit 164 und Belgien mit 152. Das ist außerordentlich bedenklich, da muss sich etwas tun. Bei den Direktoren
sieht das nicht viel besser aus, zumindest wenn man
Deutschland mit Großbritannien und Frankreich vergleicht. Jetzt rächt es sich, dass man früher immer geglaubt hat, nur auf Spitzenfunktionen achten zu müssen,
aber nicht darauf, dass man auch von unten hervorragendes Personal nachschieben muss.
Ich muss mich angesichts meiner außerordentlich begrenzten Redezeit auf eine Schlussbemerkung zum
Thema europäischer auswärtiger Dienst beschränken.
Da wird gegenwärtig ein neues Fass aufgemacht. Einige
Weichen werden neu gestellt, was für uns eine enorme
Langzeitwirkung haben wird. Daher bitte ich die Bundesregierung, sehr schnell sehr aktiv zu werden. Die Interessenkonflikte zwischen Kommission, Ratssekretariat, teilweise sogar innerhalb des Ratssekretariats, und
Mitgliedstaaten sind ganz evident. Einige Dinge werden
gegenwärtig von der Kommission schamhaft verschwiegen, weil man daran nicht rütteln will, zum Beispiel das
Beamtenstatut in der Kommission.
Wenn es denn so sein wird, wie sich das die Kommission vorstellt, dass ihre Generaldirektionen den Kernbestand des zukünftigen europäischen auswärtigen
Dienstes ausmachen werden, dann bedeutet das bei dem
gegenwärtigen Personalstatut der Kommission, dass
Mitarbeiter, die aus den Mitgliedstaaten kommen, kein
Direktionsrecht gegenüber Mitarbeitern der Kommission
haben dürfen. Das heißt, sie kommen nur für nachgeordnete Aufgaben infrage, gewissermaßen als nationale Experten. Das kann es nicht sein. Ich bitte dringend, darauf
zu achten.
Ein letztes Wort zum Thema Sprachen. Im Zusammenhang mit dem europäischen auswärtigen Dienst wird
eine Entscheidung über das Sprachenregime in diesem
zukünftigen europäischen auswärtigen Dienst herbeizuführen sein. Es gibt einen Konflikt zwischen dem Sprachenregime der Kommission - das sind drei Sprachen,
Deutsch eingeschlossen - und dem Regime der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee wird nur Englisch und Französisch gesprochen. Wenn wir an dieser
Stelle nicht die Weichenstellung zugunsten des Deutschen vornehmen, wird das Deutsche auf Jahrzehnte in
der europäischen Außenpolitik keine Rolle spielen. Das
kann nicht in unserem Interesse sein. Dort werden die
Weichen jetzt gestellt, nicht erst in ein paar Jahren.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In unserem Antrag geht es um eine schlagkräftige, effiziente Vertretung unserer Interessen in internationalen Organisationen durch eine optimierte strategische,
das heißt durchdachte und langfristige Personalpolitik.
Wir haben das Papier fraktionsübergreifend erarbeitet.
Es ist nicht neu; denn es ist ein sehr dickes Brett, das da zu
bohren ist. Ich darf den ausgesprochenen Dank zurückgeben, zum Beispiel an dich, Detlef; wir arbeiten ja schon
jahrelang zusammen an diesem Brett. Es gab auch vorher
schon ein dickes Brett. Auch Kollege Weisskirchen war
betroffen; ich erinnere mich an die dramatische Situation
in der letzten Woche der letzten Legislaturperiode Kohl
im Jahr 1998, als wir einen ähnlichen Antrag verabschiedet haben. Es war ein etwas ungünstiger Zeitpunkt, und
darum mussten wir an diesem dicken Brett weiterarbeiten. Warum ist das Brett so dick? Das hat etwas mit
Mentalitätsveränderungen an vielen Stellen zu tun. So
etwas dauert immer lange.
Das Anliegen ist in den letzten zehn Jahren immer
dringlicher geworden. Die Globalisierung hat sich unvermindert fortgesetzt und damit auch die Risiken und
Chancen durch die Globalisierung, die Bedeutung von
internationalen Lösungen und internationaler Zusammenarbeit sowie die Bedeutung internationaler Organisationen und ihrer Auswirkung auf unsere Innenpolitik,
auf die Arbeit in unserem Land. Unser Land befindet
sich mitten in diesem Prozess. Die Bundesrepublik ist
hochgradig abhängig von einer positiven internationalen
Entwicklung.
Wir haben in den letzten zehn Jahren auch im außenpolitischen Handel mit ganz neuen Herausforderungen
- Balkan, Kongo, Afghanistan - zu tun gehabt. Nicht zuletzt sind wir international einer der größten Zahlmeister.
Das bedeutet, dass wir als Bundesrepublik Deutschland
ein ganz erhebliches Interesse am Erfolg der Arbeit internationaler Organisationen haben, am Erfolg der EU,
der WTO und auch der UNO-Einsätze. Damit haben wir
auch ein Interesse an frühzeitigen Informationen aus diesen Organisationen und an erfolgreicher Einflussnahme.
Mitreden und Mitgestalten sind für uns in den letzten
zehn Jahren immer wichtiger geworden.
({0})
Das funktioniert nur mit ausreichender Präsenz von
hochqualifiziertem und hochmotiviertem deutschen
Personal in internationalen Organisationen.
Das ist der Inhalt dieses Antrags. Wir sind Mitglied in
mehr als 200 internationalen Institutionen. Wir sind ein
wichtiger und zuverlässiger Beitragszahler. Aber in vielen Vertretungen ist unsere Präsenz nicht angemessen,
weder quantitativ noch qualitativ.
Ich möchte ein Beispiel nennen, das uns alle bewegt
hat: der Einsatz im Kongo. Das war eine der teuersten
Missionen, an denen wir mit unseren bei der UN üblichen 9 Prozent beteiligt waren. Wir hatten aber, besonders am Anfang, auf die Operation so gut wie keinen
Einfluss, weil wir kaum Personal gestellt haben, ich
glaube, einen oder zwei von 16 000 Leuten. Das hat sich
dann erst durch einen deutschen stellvertretenden
MONUC-Direktor geändert, der andere Leute nachgezogen hat. Das ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man
es nicht machen soll, aber auch dafür, wie es dann doch
geht, wenn man sich anstrengt.
({1})
Ähnlich ist es auf dem Brüsseler Parkett - darauf wurde
bereits eingegangen -, bei der WTO, die für die Exportnation Deutschland sehr wichtig ist, bei der NATO, in
der UNO-Verwaltung, bei der OECD usw.
Wir haben uns als Antragsteller natürlich immer gefragt, warum es andere offensichtlich besser können. Die
Franzosen und die Engländer sind berühmt für ihre relativ egozentrische und egoistische Personalpolitik. Hiervon können wir uns die eine oder andere Scheibe abschneiden.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass sich in
den letzten zehn Jahren doch einiges getan hat. Unser
Personalanteil ist seit 1998 signifikant von 3 400 auf
5 400 gestiegen. Das Netzwerk der Bundesregierung mit
den deutschen Mitarbeitern in internationalen Organisationen wurde deutlich gestärkt. Ich glaube auch, dass im
Personalrahmenkonzept der Bundesregierung viele unserer Ideen aufgegriffen wurden. Bei der Umsetzung
wird es uns einen großen Schritt nach vorne bringen.
Wir haben in unserem Antrag dennoch auf einige
wunde Punkte hingewiesen und haben Vorschläge gemacht, an denen wir hängen. Detlef, du hast schon auf
das Spiralmodell hingewiesen. Es ist nichts anderes als
die Rotation von Personal der Bundesregierung zwischen Ministerien und internationalen Organisationen.
Dieses Modell wird von anderen Ländern mit Erfolg
praktiziert. Wir müssen hier nachziehen. Das bedeutet
aber, dass man in der Haushaltspolitik in dieser Hinsicht
flexibler wird und eine Art Polster anlegt.
({2})
Ich glaube, das haben wir zusammen mit den Haushältern geschafft.
Ganz wichtig ist der Mentalitätswechsel; er wurde bereits angesprochen. Wir müssen verhindern, dass jemand,
der im Ausland gedient hat, bei seiner Rückkehr - wenn
er sich überhaupt traut, zurückzukommen - in der Besenkammer landet. Es muss vielmehr so sein, dass ein Auslandsdienst zu einem Karrieresprung zu Hause führt. Solange wir diesen Mentalitätswechsel nicht vollziehen,
wird sich da nur sehr wenig ändern.
({3})
Wichtig ist auch - das wurde ebenfalls schon angesprochen - die bessere Zugangsmöglichkeit für Deutsche in internationalen Organisationen zu den deutschen
Sozialsystemen. Dabei muss man auch an das Umfeld
der Betroffenen denken. Wenn man einen hochqualifizierten Mann oder eine hochqualifizierte Frau für eine
Tätigkeit im Ausland gewinnen will, dann muss das familiäre Umfeld - ich denke da etwa an schulpflichtige
Kinder - mit berücksichtigt werden und müssen attraktive Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es geht
nicht nur um das Nettogehalt, sondern auch um die
Frage, ob die Familie ohne Probleme mit umziehen und
zurückkehren kann.
Man muss feststellen - Herr Hoyer, auch Sie haben in
dieser Richtung argumentiert -, dass ganze Disziplinen
an Hochschulen wegbrechen. Ich nenne zum Beispiel
die Südostasien- und die Südasienforschung.
({4})
Es gibt kaum noch Hochschulen, die sich auf diesem Gebiet engagieren. Obwohl es nicht in unserer Kompetenz
liegt, müssen wir darum kämpfen, dass an dieser Stelle
wieder etwas aufgebaut wird.
({5})
Ich komme zum Schluss. Entscheidend ist auch, dass
man das Ressortdenken überwindet. Einer muss für den
anderen kämpfen. Es wird noch eine Weile dauern, bis
wir das geschafft haben.
Ich bitte die Administration um Entschuldigung, dass
wir wieder einmal einen Bericht fordern. Aber es ist im
Sinne dieser Administration, dass wir alle zwei Jahre erfahren, ob wir auf diesem Gebiet Fortschritte machen
oder nicht. Auch die Bundesregierung besteht nur aus
Menschen. Wenn diese alle zwei Jahre Erfolgsberichte
abliefern müssen, dann kann es der Sache nicht schaden.
Insofern ist die Forderung, die wir erheben, sinnvoll.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, man sollte sich zu Beginn der Debatte - nicht nur
seitens meiner Fraktion, sondern auch fraktionsübergreifend - beim auswärtigen Dienst bedanken. Dort sind
qualifizierte Kolleginnen und Kollegen tätig, die eine
vernünftige Arbeit machen. Da die dort geleistete Arbeit
sehr aufreibend ist, sollte man dies am Anfang einmal
feststellen.
({0})
- Schönen Dank, Kollege Trittin.
Ich möchte hinzufügen, dass ich es bemerkenswert
finde, dass dieser auswärtige Dienst, was die Zeit vor
1945 angeht, mit seiner Tradition und seiner Geschichte
in einem hohen Maße gebrochen hat. In der Nachkriegszeit ist dort eine andere Einstellung gewachsen, die
nichts mehr mit einem bestimmten Typ von Karrierediplomaten zu tun hat. Wenn wir über diesen Bereich
diskutieren, ist es mir wichtig, auch dies einmal festzustellen. Das könnte ja ein gemeinsamer Zugang sein.
Wenn man feststellt, dass gute Arbeit geleistet wird,
entsteht daraus die Verpflichtung - ich möchte jetzt begründen, warum meine Fraktion dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen wird -, gute Arbeitsbedingungen
zu schaffen. Ich finde, das erfordert mehr als nur Appelle, wie dies sowohl im Antrag als auch in den Reden
der Kolleginnen und Kollegen geschehen ist.
Ein paar Punkte möchte ich in diesem Zusammenhang kurz ansprechen. Ich denke, dass es gut gewesen
wäre, sich dazu zu äußern, dass Veränderungen im Beamtenrecht erforderlich sind. Ein Beispiel: Ich halte es
für nicht akzeptabel, dass mitreisende Familienmitglieder
von Bediensteten im auswärtigen Dienst, die im Ausland
eingesetzt werden, dann, wenn sie verheiratet sind, einen
bestimmten Rechts- und sozialen Status haben, dann
aber, wenn sie in anderen Lebensgemeinschaften leben,
diesen Rechtsstatus nicht haben. Warum wird das nicht
geändert?
({1})
Das könnte man ganz schnell machen.
Ich denke auch, dass eine solche Debatte nicht geführt
werden kann, ohne dass auf den ungeheuren Berg an
Überstunden hingewiesen wird, die bei den Kolleginnen
und Kollegen des auswärtigen Dienstes immer wieder
auflaufen. Es muss daran gearbeitet werden, wie dies
ausgeglichen und bezahlt oder wie ansonsten damit umgegangen wird.
Es wäre auch vernünftig - im Antrag wird von der
Durchlässigkeit des auswärtigen Dienstes gesprochen -,
nicht nur eine Durchlässigkeit von der privaten Wirtschaft in den öffentlichen Dienst zu skizzieren. Was ist
mit der Durchlässigkeit zu den Nichtregierungsorganisationen, zu den NGOs? Was ist mit der Durchlässigkeit in
Richtung Stiftungen? Wenn Sie schon für Durchlässigkeit sind - auch ich bin dafür -, dann bitte mit einem
weiteren Blick und nicht nur mit Blick auf die private
Wirtschaft und den öffentlichen Dienst. All dies hätte in
einen solchen Antrag gehört.
Auf das Problem des kommenden europäischen auswärtigen Dienstes - dieser taucht im Antrag gar nicht
auf - hat Kollege Hoyer hingewiesen. Seine Ansicht
teile ich; deswegen brauche ich nicht gesondert darauf
einzugehen. Zumindest die Formulierung dieser Problemstellung hätte in den vorliegenden Antrag gehört.
Gestatten Sie mir, noch drei Punkte anzusprechen, bei
denen ich es für bedenklich halte, dass Dinge nicht zu
Ende formuliert und bedacht worden sind. Die Überschrift des Antrages lautet: „Deutsche Personalpräsenz
in internationalen Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken“. Das hat bei mir die Frage aufgeworfen: Was ist eigentlich das nationale Interesse
Deutschlands? Dann habe ich mit Spannung nachgelesen,
ob es definiert wird; denn das wäre schon länger fällig
gewesen. Es ist aber kein Satz dazu zu finden, was das
nationale Interesse Deutschlands ist.
Ich finde, dies muss definiert werden, wenn man sich
schon darauf beruft. Worin unterscheidet sich das deutsche nationale Interesse vom europäischen Interesse?
Liegt es im Interesse Deutschlands, an Militäraktionen teilzunehmen, oder wäre es das nationale Interesse Deutschlands, friedlich, sozial, demokratisch, gerecht - man könnte
andere Punkte hinzufügen - vorzugehen? Sie haben noch
nicht einmal den Versuch unternommen, zu erklären,
was das nationale Interesse ist oder was sich daraus abWolfgang Gehrcke
leiten lässt. Auch da hätte ich mir etwas mehr Problembewusstsein gewünscht.
Wenn jemand in internationalen Organisationen eine
Aufgabe übernimmt, dann ist er aus meiner Sicht erst
einmal dieser Organisation verpflichtet und nicht primär
dem Land, aus dem er kommt. Gibt es, wenn man in den
Vereinten Nationen eine Aufgabe übernimmt, Widersprüche zwischen dem, was in dem nicht definierten nationalen Interesse liegt, und dem, was im Interesse dieser
Organisation liegt? Ich denke, dass man sich auf solche
Probleme, auf mögliche Widersprüche zumindest hätte
einlassen müssen, dass man sie erklärt und sich damit
auseinandersetzt. Im Zweifelsfall heißt das für mich:
Wenn man in einer internationalen Organisation arbeitet,
ist man dieser internationalen Organisation verpflichtet
und nicht dem Land, aus dem man kommt.
({2})
Das gehört zu einem Mentalitätswechsel und zu einem
neuen Geist, über den man reden muss.
Ein letzter Punkt. Es hat mich sehr geärgert, dass dies
in dem Antrag so formuliert wurde und dass sich einige
in ihren Reden darauf berufen haben. Ich bitte Sie sehr,
anders zu argumentieren. Sie argumentieren im Antrag
und auch in einigen Reden: Weil wir so viel zahlen,
haben wir auch einen Anspruch auf einen bestimmten
Personalumfang. Ich finde, das ist ein schlechtes Argument. Wir zahlen nicht, um einen bestimmten Personalumfang einzuklagen, sondern deswegen, weil uns eine
bestimmte Aufgabe, die zu leisten ist, am Herzen liegt.
Der Kurzschluss: „Wer zahlt, soll auch bestimmen bzw.
entsprechendes Personal stellen“ ist einfach unangebracht.
Zum Schluss: Herr Staatsminister, vielleicht wäre es
möglich, dem auswärtigen Dienst zumindest meinen
Dank - vielleicht auch den des ganzen Hauses - auszurichten. Die Kolleginnen und Kollegen sollten wissen,
dass wir persönlich und auch die Fraktionen ihre Arbeit
politisch hoch schätzen.
Danke sehr.
({3})
Das Wort hat nun Kollegin Uschi Eid, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es
kommt nicht allzu oft vor, dass wir über einen Antrag
zweimal im Plenum debattieren. Unser heutiges Thema
ist aber so wichtig, dass ich das für eine richtige Entscheidung halte. Um es gleich vorweg zu sagen: Wir von
Bündnis 90/Die Grünen werden dem Antrag der Koalition zustimmen, da wir das Bestreben, die personelle Repräsentanz Deutschlands in internationalen Organisationen zu erhöhen, voll und ganz unterstützen.
Bei der letzten Debatte habe ich bereits darauf hingewiesen, dass auch unter Rot-Grün einiges zur Verbesserung der allseits beklagten Situation geschehen ist; zum
Beispiel wurden Informationsmöglichkeiten verbessert
und hinderliche Regelungen verändert. Die Zahlen, die
von meinen Vorrednern schon genannt worden sind, sind
darauf zurückzuführen, dass verschiedene Regierungen
an diesem Problem gearbeitet und versucht haben, die
Situation zu verbessern.
Wir freuen uns, dass es inzwischen ein personalwirtschaftliches Rahmenkonzept gibt, das in ressortübergreifender Zusammenarbeit entstanden ist. Konzepte müssen
aber auch umgesetzt werden, und das sehe ich bisher
nicht. Ich glaube, dass die bürokratischen Mühlen etwas
zu langsam mahlen. Vielleicht sorgt die heutige Debatte
ja für neuen Schwung.
Wer Aufgaben in internationalen Organisationen erfolgreich meistern will, muss qualifiziert und motiviert
sein. In Deutschland mangelt es ganz gestimmt nicht an
Menschen mit diesen Eigenschaften, an Menschen, die
Interesse haben und die nötige Motivation mitbringen.
Eine ganz entscheidende Voraussetzung für eine Tätigkeit
in internationalen Organisationen ist aber die Auslandserfahrung. Die kann man zum Beispiel durch Praktika
erwerben. Dadurch wird nicht nur die sprachliche Fertigkeit vertieft, sondern vor allem auch das so notwendige
fachliche und berufsalltägliche Rüstzeug erworben.
Trotzdem ist festzustellen, dass Praktika in EU-Institutionen und in internationalen Organisationen vom Staat
noch immer viel zu wenig gefördert werden. Das Gleiche gilt für Praktika in den internationalen Finanzinstitutionen, in denen deutsche Beschäftigte stark unterrepräsentiert sind. Ich finde, das muss sich ändern.
({0})
Gar keine finanzielle Unterstützung gibt es bisher für
Praktika in zivilen Friedensmissionen. Das Zentrum für
Internationale Friedenseinsätze könnte auf diesem Gebiet vieles tun, wenn die Bundesregierung Mittel dafür
bereitstellen würde.
({1})
Krisenprävention ist ein auch international zu gering geschätztes Anliegen, dessen magere institutionelle Ausstattung bedauerlicherweise mit dem Mangel an Finanzmitteln
einhergeht. Natürlich fehlt es auch an Personal. Das liegt
aber, zumindest in Deutschland, nicht an einem Mangel
an interessierten Menschen, sondern an einer zu geringen Kapazität und zu wenig Geld. Das ist klar.
Ich betone dies, weil Deutschland gerade hier, auf einem verhältnismäßig jungen Gebiet der Außenpolitik,
einiges vorzuweisen hat. Einsatz für Krisenprävention
ist verdienstvoll, schwierig und mühsam. Erfolgreiche
Krisenprävention verhindert Opfer und Zerstörungen,
spart Geld und stärkt obendrein das Prestige der deutschen Außenpolitik.
Generell gilt: Bei der Einstellung und Beförderung
werden die Kernkompetenzen für internationale Aufgaben als zusätzliches Auswahlkriterium noch viel zu wenig berücksichtigt, vom Auswärtigen Amt und vom
BMZ einmal abgesehen. Das ist bedauerlich. Leider
werden aber auch zahlreiche nationale und internationale
Programme zur Vorbereitung auf die Übernahme von internationalen Aufgaben zu wenig genutzt.
Die fachliche und persönliche Eignung der international
Beschäftigten ist die eine Notwendigkeit. Die andere ist
die, dass sich geeignete Personen überhaupt auf Stellen
in internationalen Organisationen bewerben. Ein aktuell
viel diskutiertes Problem ist, dass sich nicht genügend
Polizisten für die dringend notwendige Verstärkung der
Ausbildung von Polizisten in Ländern wie Afghanistan
melden.
({2})
Woran liegt das? Die Rückkehrer hadern oft - das wurde
schon genannt - mit der in Deutschland fehlenden Wertschätzung ihres Einsatzes. Schlechtestenfalls ist sogar
ein Karriereknick die Folge. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der nicht nur den Betroffenen schadet, sondern
auch der Reputation Deutschlands in internationalen Institutionen und generell auf dem internationalen Parkett.
({3})
Negative Auswirkungen auf den weiteren Berufsverlauf des Einzelnen darf es nicht geben. Im Gegenteil: Wir
müssen Anreize schaffen, damit sich mehr fähige junge
Männer und Frauen bei internationalen Organisationen
bewerben. Die Bereitschaft zu zeitweiligen Auslandseinsätzen sollte nicht nur selbstverständliche, sondern geradezu notwendige Voraussetzung für Beförderungen werden; das ist bislang nicht der Fall.
({4})
Herr Präsident, letztlich müssen wir all das Richtige,
das in diesem Antrag steht, dadurch ergänzen, dass das
öffentliche Dienstrecht angepasst werden muss.
Herzlichen Dank.
({5})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Fragen haben sich durch diese gesamte Debatte gezogen. Die eine Frage lautet: Warum sind andere
Staaten besser, wenn es darum geht, ihr Personal in internationale Organisationen zu schicken? Die zweite Frage
hat der Kollege Gehrcke aufgeworfen, sie lautet: Was ist
eigentlich das deutsche Interesse? Ich finde, unser Antrag beantwortet dies sehr deutlich, wenn man ihn von
vorne bis hinten durchliest. Unser Antrag zeigt ganz
deutlich: Unser Interesse sind in diesem Fall starke internationale Organisationen.
Ich glaube, dass sich das aus drei Quellen speist. Die
erste Quelle ist: Wir haben sicherlich eine Geschichte,
die uns bis zu einem sehr hohen Grade verpflichtet, international zu denken. Das ist der eine Punkt.
({0})
Die zweite Quelle, aus der sich dieses Denken aus
meiner Sicht speisen muss, ist die Anerkennung, dass internationale Politik und damit internationale Organisationen - Christian Ruck hat darauf hingewiesen - in einer globalisierten Welt natürlich immer mehr Bedeutung
gewinnen. Wir schauen plötzlich auf Organisationen, die
wir früher selten wahrgenommen haben. Wir sehen, dass
Länder plötzlich eine Rolle spielen, die wir ihnen früher
nie zugedacht hätten.
Im Zusammenhang mit den Ländern, denen wir früher keine so große Rolle zugedacht hätten, bin ich bei
der dritten Quelle. Wenn wir unsere Interessen international vertreten wollen, dann brauchen wir Verbündete
und Partner, dann brauchen wir starke Organisationen, in
denen Recht gesetzt, Recht gemessen und auch Recht
nachgegeben wird. Diese starken internationalen Organisationen werden uns, einem Land mit 80 Millionen Menschen, in dem vielleicht irgendwann nur noch 70 oder
60 Millionen Menschen leben werden, dabei helfen, mit
anderen Ländern in positiven Wettbewerb zu treten, zum
Beispiel mit China, wo 1,5 Milliarden Menschen leben,
mit Indien, wo 1,2 oder 1,3 Milliarden Menschen leben,
und mit vielen anderen Staaten, in denen mehrere hundert Millionen Menschen leben; von Russland und den
USA ganz zu schweigen.
Auch aus diesem Grund haben wir ein ganz klares Interesse, deutlich zu machen, warum wir dort mit entsprechendem Personal vertreten sein müssen. Denn das bedeutet am Ende des Tages, dass wir diese Organisationen
stark machen. Das ist unser Interesse in diesem Zusammenhang.
({1})
Dem gleichberechtigt steht die Frage gegenüber: Warum können andere es besser, wenn sie es denn besser
können? Wenn man sich das einmal anschaut, sieht man,
dass auch ein Staat wie die USA in manchen internationalen Gremien, gemessen an dem, was er bezahlt, unterrepräsentiert ist. Es gibt auch andere Staaten, die das beklagen. Aber in Deutschland scheint das ein spezielles
Problem zu sein. An einem liegt es jedenfalls nicht: Es
liegt nicht daran, dass uns die Menschen fehlen, die das
könnten.
({2})
Es liegt auch nicht daran, dass die Menschen zu unflexibel sind. Ich habe mir im Vorfeld der Debatte einmal
die Mühe gemacht, einige Zahlen über die im Ausland
studierenden Deutschen herauszusuchen: 1995 haben
von den 1,7 Millionen deutschen Studenten 2,4 Prozent
dauerhaft im Ausland studiert. 2005 waren es schon
4,3 Prozent. Wenn ich noch an all diejenigen denke, die
sich kurzzeitig für einige Semester im Ausland aufhalten, dann glaube ich, dass das ein ganz klares Zeichen
dafür ist, dass besonders diejenigen, die wir für solche
wichtigen Aufgaben vorsehen, durchaus willens und in
der Lage sind, diese Aufgaben zu erfüllen.
Insofern muss man schauen, welche anderen Probleme wir in diesem Zusammenhang haben. Dazu ist
sehr viel gesagt worden und, ich glaube, auch sehr viel
Richtiges. Das ist einmal die Frage der Anerkennung innerhalb des Dienstes. Der Aufenthalt im Ausland wird
oft nicht als zusätzlicher Wert, sondern sehr häufig als
ein Nachteil empfunden, weil man nicht unter der Beobachtung der Leitung war. Denn keiner weiß ganz genau, was dieser Mitarbeiter im Ausland gemacht hat,
während sein Kollege, der hier geblieben ist, natürlich
unter Beweis stellen konnte, was er alles kann. Diese Internationalität, diese neue Erfahrung wird sehr häufig
nicht als solche, sondern eher als eine Art Durchbruch
der guten fachlichen Praxis angesehen. Ich glaube, das
ist eine Mentalität, an der man arbeiten muss; das ist
auch in dieser Debatte sehr deutlich geworden.
Es gibt einen zweiten Punkt, den ich in dieser Debatte
für ausgesprochen wichtig halte - das ist ein Appell an
uns alle -: Wir sollten aufpassen, dass wir die Attraktivität des öffentlichen Dienstes nicht schmälern, indem wir
ihn dauernd schlechtreden. Diesem Phänomen begegnen
wir nämlich immer öfter. Dabei geht es dann immer wieder um das Schlagwort „Beamtenmikado“ und ähnliche
Begriffe.
Wir tragen hier einen Kampf um die besten Köpfe
aus. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass die großen internationalen Wirtschaftsunternehmen und die Privatwirtschaft die besten Mitarbeiter haben, während der öffentliche Dienst sozusagen nur den Rest bekommt. Mit
einem Rest wird man keinen Staat machen können. Das
gilt auch auf internationaler Ebene.
Wir müssen klarmachen, dass der öffentliche Dienst,
gerade wenn es um Tätigkeiten in internationalen Organisationen geht, eine unheimlich spannende, eine unheimlich erfüllende und eine aus meiner Sicht sehr gute
Möglichkeit bietet, das Berufsleben zu gestalten. Wir
müssen viel deutlicher als bisher darauf hinweisen, dass
es hier viel mehr Chancen gibt, als es in der Öffentlichkeit immer wieder dargestellt wird.
({3})
In diesem Zusammenhang will ich einen weiteren
wichtigen Aspekt anführen. Wir müssen deutlich machen, dass internationale Organisationen nicht nur beim
Auswärtigen Amt angesiedelt sind.
({4})
Dass man sich zu einem Ressortkreis zusammenschließt
und auch andere Organisationen in den Blick nimmt, das
sind große Fortschritte.
Wenn man sich anschaut, in welchen Organisationen
Deutschland noch nicht in ausreichendem Maße vertreten ist, stellt man fest: Das sind Organisationen wie die
Internationale Arbeitsorganisation, die Internationale
Atomenergiebehörde, die OECD und die Weltbank. All
diese Organisationen haben natürlich auch mit auswärtiger Politik zu tun. Organisatorisch sind sie aber eigentlich bei anderen Ministerien angesiedelt. Deswegen sind
die ressortübergreifende Zusammenarbeit und die Nachwuchsförderung von entscheidender Bedeutung.
In diesem Bereich, in dem Deutschland durchaus eine
Führungsrolle übernehmen kann, wurde bereits einiges
erreicht. Das kann man am Beispiel des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze sehen. Dort findet die Ausbildung für Friedenseinsätze statt. Das ist etwas, was seinen Anfang in Deutschland genommen hat. Auf diesem
Gebiet ist Deutschland heute weltweit führend. Aber andere Nationen holen natürlich auf. Deshalb müssen wir
unsere Anstrengungen fortsetzen. Allerdings sollten unsere Erfolge an dieser Stelle einmal herausgestellt werden.
({5})
Bei diesem Thema geht es um eine Aufgabe, die niemals bewältigt sein wird. Es ist und bleibt notwendig,
dass wir uns auch in Zukunft damit beschäftigen. Deswegen bin ich den Damen und Herren, die sich - in unterschiedlichen Konstellationen - immer wieder die
Mühe machen, diesen Antrag in den Bundestag einzubringen, dankbar. Das ist nicht ganz einfach. Ich finde
aber, das ist eine Aufgabe, an deren Lösung wir alle weiterhin arbeiten sollten.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD mit dem Titel „Deutsche Personalpräsenz in internationalen Organisationen im nationalen Interesse konsequent stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7938,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/6602 ({0}) in der Ausschussfassung
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee
Bär, Wolfgang Börnsen ({2}), Peter
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Albach, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Monika Griefahn, Jörg Tauss, Martin
Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Wertvolle Computerspiele fördern, Medien-
kompetenz stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje
Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Hochwertige Computerspiele fördern und
bewahren
- Drucksachen 16/7116, 16/7282, 16/8033 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Christoph Waitz
Grietje Bettin
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
„Fair-Work“-Siegel für Computerspiele
- Drucksache 16/8178 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Dorothee Bär,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Hamburg
gab es eine Veranstaltung mit dem Thema: Wie schützen
wir unsere Kinder vor den schädlichen Einflüssen der
Theater Lebender Fotografien? Das war nicht im
Jahr 2007, das war im Jahr 1907. Damals war das neue
Medium Kino der große Feind, wurde behauptet, dass
die Kinder durch das Kino schädlichen Einflüssen ausgesetzt seien. In den 30er-Jahren gab es Bestrebungen,
den Jazz zu verbieten. In den 60er-Jahren war man gegen das Fernsehen, auch wegen der Zombiefilme. Dann
war es Heavy Metal. Auch über das Internet wurde gestritten.
Die Debatte, die wir in diesem Land über Computerspiele führen, hat oft einen ähnlich negativen Touch.
Wieder werden Sündenböcke für aktuelle Entwicklungen gesucht. Durch die negativen Begriffe, die im Zusammenhang mit Computerspielen ständig fallen, kommen wir dem, was wir erreichen wollen, keinen Schritt
näher. Die Computerspielebranche jedoch bringen wir
mit diesen ständigen Verbotsbestrebungen in ernsthafte
Probleme: Viele Firmen denken über eine Verlagerung
ins Ausland nach. Es gibt Spiele, die für den deutschen
Markt nur noch umgeschrieben, aber nicht mehr für uns
konzipiert werden. Andere Spiele, die es weltweit gibt,
erscheinen bei uns gar nicht erst.
Computerspiele können sehr positive Effekte haben.
Chirurgen, die regelmäßig Computerspiele spielen, operieren besser, weil das die Geschicklichkeit fördert. Es
gibt darüber hinaus eine Reihe anderer positiver Effekte.
Es ist verlockend, nach einem Sündenbock zu suchen,
wenn ein Kind hyperaktiv ist, laut ist, frech ist, wenn ein
Jugendlicher stiehlt, gewalttätig oder brutal ist oder, im
schlimmsten Fall, zum Attentäter mutiert. Früher war es
der Jazz, heute sind es die Computerspiele. Wir müssen
das nur verbieten, und alle Probleme sind gelöst, sagt
mancher. Wer als Politiker etwas verbietet, macht es sich
leicht, weil er, wenn irgendetwas passiert, aus der Verantwortung entlassen ist; er hat ja sein Möglichstes getan.
Wir von der Koalition wählen einen anderen Ansatz.
Wir rufen einen Preis für wertvolle Computerspiele ins
Leben. Wir verteufeln nicht die Branche, sondern versuchen, die positiven Aspekte herauszuarbeiten, um zu zeigen, dass es in dieser Branche viele gibt, die sich an einer positiven kulturellen Entwicklung in diesem Land
beteiligen. Nun könnte man sagen: Schon wieder ein
Preis! Wenn unser Kulturstaatsminister oder auch andere
Mitglieder der High Society bei der Verleihung eines jeden Preises, den es in Deutschland gibt, zugegen sein
wollten, hätten sie nichts anderes zu tun, als sich ständig
in Schale zu werfen.
({0})
- Ich weiß, dass das Spaß macht; aber irgendwann muss
auch einmal gearbeitet werden. - Denn es gibt den Deutschen Filmpreis, den Deutschen Fernsehpreis, den Deutschen Buchpreis, den Echo, den Deutschen Theaterpreis,
den Deutschen Jugendvideopreis, den Deutschen Lernspielpreis, den Kritikerpreis Spiel des Jahres, und es gibt
selbstverständlich auch den Bayerischen Filmpreis, den
Bayerischen Theaterpreis, den Bayerischen Fernsehpreis alles herausragende Preise, die vergeben werden.
({1})
Deswegen möchte ich mich bei den Kultur- und Medienpolitikern der Koalition herzlich bedanken, dass wir
es geschafft haben, uns insgesamt einig zu sein. Ein großer Dank geht auch an unsere Haushälter,
({2})
die die Gelder für den Deutschen Computerspielepreis
schon heuer zur Verfügung stellen. Vielen herzlichen
Dank auch an den Staatsminister, der sich für den Deutschen Computerspielepreis einsetzt, indem er die Koordination übernimmt. Wenn der BKM 300 000 Euro zur
Verfügung stellt und die Wirtschaft ebenfalls
300 000 Euro, dann zeigt das, wie gut die Verknüpfung
von Politik und Wirtschaft funktionieren kann, wenn wir
an einem Strang ziehen.
Warum loben wir diesen Deutschen Computerspielepreis aus? Wir wollen natürlich die Entwicklung nicht
verpassen. Wir wollen uns nicht sagen lassen, wir ließen
die tolle Industrie, die wir in Deutschland haben, und
ihre Entwickler ins Ausland abwandern. Es sind im Übrigen nicht nur die Entwickler beteiligt, sondern neben
denjenigen, die für die technischen Herausforderungen
zuständig sind, auch sehr viele Künstler: Musiker, Grafiker, Designer und Autoren. Alle bemühen sich darum,
ein deutsches Kulturgut auf die Beine zu stellen. Der Bereich hat eine ganz eigene Kultur entwickelt, es werden
Geschichten erzählt und Abenteuer erlebt. Autoren denken sich eine Spielhandlung aus, und es werden neue
Lieder sowie die passenden Figuren und Szenarien entwickelt.
Besonders wichtig ist bei diesem Thema der ressortübergreifende Aspekt: Neben dem Kulturstaatsminister
wollen wir auch die Ressorts für Wirtschaft, Bildung und
Familie erreichen.
Viele Eltern sind heute leider überfordert und brauchen bei der Suche nach sinnvollen Spielen Hilfestellung.
({3})
Ihnen möchten wir Hilfestellung geben, indem wir gute
Spiele fördern. Deshalb stellen wir diesen Preis neben
Internetportale wie „fragFinn.de“ im Rahmen der Initiative „Ein Netz für Kinder“ oder „Schau hin“; Letzteres
betrifft das Fernsehen. Das ist ein erster Schritt in die
richtige Richtung, um Kindern den Umgang mit den Medien beizubringen.
({4})
Verbote und Polemik helfen uns nicht weiter. Wir möchten zwar unsere Kinder am liebsten vor allem schützen.
Das Wichtigste ist aber, sie gut vorzubereiten; dies gilt
auch für den Umgang mit den Medien. Unser Preis ist
ein erster Schritt in die richtige Richtung.
({5})
Wir werden noch viele weitere Schritte gemeinsam gehen.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort Christoph Waitz, FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wie viele Medienpolitiker des Bundes und der
Länder habe ich im August des letzten Jahres die Games
Convention in Leipzig besuchen dürfen, eine der weltweit größten Messen für Computerspiele. Ich konnte mir
vor Ort ein Bild von der Vielfalt der unterschiedlichen
Computerspielearten machen und mich davon überzeugen, welches wirtschaftliche Potenzial in der Computerspieleindustrie steckt - ein Potenzial, dem wir in
Deutschland bislang noch nicht genug Beachtung geschenkt haben. Nach Branchenangaben existieren in
Deutschland nur rund 90 Entwicklungsstudios, in denen
600 bis 1 000 Spieleentwickler tätig sind. Im Vergleich
dazu arbeiten in den Vereinigten Staaten
16 000 Entwickler, in Großbritannien 6 000 und in
Frankreich immerhin noch 2 500. Diese Zahlen machen
deutlich, dass wir im internationalen Vergleich unser Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft haben.
Wer sich mit Branchenvertretern unterhält, bekommt
sehr deutlich gesagt, dass der Flaschenhals einer besseren
Entwicklung der Computerspieleindustrie in Deutschland der Mangel an qualifizierten Entwicklern und Programmierern ist. Der Bedarf daran resultiert auch daraus,
dass Computerspiele nur dann wirtschaftlich erfolgreich
sind, wenn sie dem jeweiligen Sprach- und Kulturraum
angepasst sind.
Die von der Koalition und vom Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Anträge greifen Forderungen der Computerspieleverbände, wie sie zum Beispiel im „Leipziger
Manifest“ formuliert werden, sehr richtig auf. In ihrer
Analyse ist beiden Anträgen auch durchaus beizupflichten. Trotzdem können wir uns den Schlussfolgerungen,
die Sie aus der Analyse gezogen haben, leider nicht anschließen.
({0})
Wenn die Computerspielebranche in den letzten Jahren negativ beeinflusst wurde, dann durch Diskussionen
und Forderungen nach dem Verbot von sogenannten Killerspielen. Kollegin Bär hat schon darauf hingewiesen,
dass es sinnvoll gewesen wäre, dies zu unterlassen, weil
uns diese Verbotsdiskussion nicht weiterbringt.
({1})
Ich werde diese Diskussion an dieser Stelle nicht wieder
eröffnen. Aber es wäre aus meiner Sicht schon wichtig
gewesen, wenn in dem Antrag der Koalition zu diesem
Punkt eine eindeutige Aussage zu lesen wäre. Folgen Sie
dem Antrag Bayerns im Bundesrat, die Produktion und
den Vertrieb dieser Spiele in Deutschland zu verbieten,
({2})
- ich höre es gern, Herr Tauss - oder gehen Sie den Weg,
den die Familienministerin vorzeichnet, indem sie auf
eine verbesserte Alterskennzeichnung und verschärfte
Alterskontrollen im Einzelhandel abzielt? Ich kann in Ihrem Antrag dazu leider nichts lesen. Sie können aber
auch nicht vor diesem Thema einfach so wegtauchen.
({3})
Ausdrücklich unterstützen können wir Ihren Vorschlag, eine Förderung von qualitativ hochwertigen Computerspielen im Rahmen des EU-Programms „MEDIA
2007“ zu prüfen und für eine angemessene Finanzausstattung dieses Programms zu sorgen. Ich hatte aber bereits in
der ersten Lesung versucht, Ihnen zu vermitteln, dass es
sehr schwierig werden wird, dieses Programm vor 2013
noch einmal aufzuschnüren. Es ist schlichtweg durch die
Gremien durch.
Es ist auch diskussionswürdig, was ein qualitativ
hochwertiges Computerspiel ist und ob es immer erzählungsbasiert sein muss. Wir sollten auf dieser Basis mit
dem EU-Programm beginnen und dann möglichst zeitnah die Ergebnisse evaluieren lassen.
Ihrer Forderung, einen Deutschen Computerspielepreis einzuführen, folgen wir nicht. Das Instrument,
durch einen Preis Anreize zur Produktion hochwertiger
Computerspiele zu setzen, ist verlockend. Wir halten es
jedoch für angemessen, insbesondere die Produzenten in
die Pflicht zu nehmen, die Preisgelder auszuloben und
gemeinsam mit der Bundesregierung eine unabhängige
Jury auszuwählen. Gleiches gilt auch für die Einführung
eines Qualitätssiegels.
({4})
In Anbetracht des Fachkräftemangels in der Computerspieleindustrie geht der Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen, in dem zusätzliche Studienplätze und Personalkapazitäten gefordert werden, in die richtige Richtung.
Leider ist es sehr fraglich, ob in Anbetracht der schwierigen Haushaltssituation vieler Bundesländer die benötigte
Anpassung kurzfristig umgesetzt werden kann.
Wir halten es auch für problematisch, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, mit den Tarifpartnern
Aus- und Fortbildungsgänge zu verhandeln, um Fertigkeiten und Kenntnisse zur Computerspieleentwicklung
zu erweitern. Dazu ist sie schlichtweg nicht befugt und
zuständig.
Wenig fruchtbringend ist der Vorschlag der Linken,
ein „Fair-Work-Siegel“ für Computerspiele einzuführen. Wie mir scheint, will die Linke, ohne dass ein Problem in diesem Bereich wahrnehmbar wäre, ihren Wählerinnen und Wählern vor der Wahl in Hamburg noch
einmal deutlich machen, für welche Inhalte sie stehen
möchte. Im Hinblick auf die ganz und gar unerträglichen
Stasiäußerungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Wegner kann ich das gut nachvollziehen.
Computerspiele sind ein Teil unserer Alltagskultur
geworden. Der Deutsche Kulturrat hat die Frage, ob
Computerspiele ein Kulturgut sind, längst mit Ja beantwortet und fordert die dauerhafte Aufbewahrung von
Computerspielen in öffentlichen Archiven.
Auch wenn die FDP-Fraktion den vorgelegten Anträgen nicht zustimmt, stimmen wir dem Grundanliegen zu
und werden uns dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen der Computerspieleindustrie als wichtigem Teil
der Kultur und Kreativwirtschaft weiter verbessert werden. Als sächsischer Bundestagsabgeordneter freue ich
mich auf die nächste Games Convention in Leipzig und
hoffe, dass sie dort möglichst lange weiterexistiert.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Monika Griefahn, SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich,
dass wir heute den Weg für den ersten Computerspielepreis des Bundes freimachen können.
({0})
Mein Kollege Jörg Tauss und ich hatten es gerade wegen
der zum Teil sehr emotional, aber leider auch - Frau Bär
hat es schon angesprochen - populistisch geführten Debatte um sogenannte Killerspiele während der letzten
Jahre nicht immer leicht mit der Idee eines Preises.
({1})
Doch inzwischen scheint vielen klar geworden zu
sein, dass Computerspiele mehr sind als die 5 Prozent
Gewaltspiele, die auf dem Markt sind. Verkaufsrenner
sind ganz andere Spiele. Dazu gehören zum Beispiel
Strategiespiele wie Siedler oder Fußball-Manager, die
Strategiespiele aus der Anno-Reihe oder das gerade bei
meinen Mädels beliebte Spiel Sing-Star, bei dem man
bekannte Pop- und Rocklieder im Wettbewerb nachsingt.
Auch das sind Computerspiele, auch wenn immer
wieder gesagt wird, Computerspiele seien eine Sache für
Jungs.
({2})
- Beide singen gleich gut.
Es gibt zwar auch gewalthaltige Spiele, für die es wie
beim Film oder bei anderen Medien einen möglichst effektiven Jugendmedienschutz geben muss. Doch ich bin
froh, dass sich mit unserem Antrag eine positive und fördernde Politik durchsetzt und die vermeintlich problemlösenden Verbote etwas in den Hintergrund gedrängt
werden.
Notwendig ist der Vollzug der existierenden Gesetze
zum Jugendmedienschutz. Das ist klar, und daran arbeiten wir mit Hochdruck, Herr Kollege Waitz. Es geht um
die Umsetzung der bestehenden Gesetze statt um neue
Verbote. Ich meine aber, dass es die existierenden Gewaltspiele nicht wert sind, durch solche Diskussionen
immer wieder im Mittelpunkt zu stehen. Mit unserem
Computerspielepreis, mit dem qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele
ausgezeichnet werden sollen, erreichen wir das Gegenteil, nämlich dass sich die Aufmerksamkeit auf die anderen 95 Prozent der Spiele richtet, die auf dem Markt
sind.
Wir erreichen besonders für die prämierten Spiele zukünftig eine größere Aufmerksamkeit und machen beispielsweise deutlich, was für Kinder und Jugendliche gut
ist und was die Eltern und Großeltern ohne Bedenken
kaufen können.
Ein Preis ist eine sinnvolle Förderung von Medienkompetenz, und zwar auch gerade der Eltern und Großeltern.
({3})
Sie glauben nicht, wie dringend nötig das zum Teil ist.
Gerade Nichtspielern fehlt oft das Verständnis für Computerspiele. Ich höre zum Beispiel immer wieder von
stolzen Großeltern, dass sie ihren Enkeln absichtlich ein
Spiel, das erst ab 16 oder 18 freigegeben ist, kaufen, weil
sie meinen, es sei - ähnlich wie bei einem Buch - besonders anspruchsvoll nach dem Motto: Mein Kind kann
das schon. Mit unserem Preis geben wir solchen Menschen eine wichtige Orientierung, genauso wie der Deutsche Filmpreis den Kinobesuchern, nach dem Motto:
Das ist ein guter Film; in den kann ich gehen. In diesem
Fall ist es ein gutes Computerspiel.
Der Preis soll in unterschiedlichen Kategorien vergeben werden: natürlich für das beste Spiel des Jahres insgesamt, aber auch für ein Kinder- und ein Jugendspiel.
Darüber hinaus gibt es einen Innovations- und einen
Nachwuchspreis. In den Kategorien spiegeln sich zwei
zentrale Anliegen unserer Initiative wider:
Erstens. Computerspiele sind ein Kulturgut. Immer
mehr Spielerinnen und Spieler aus allen Bevölkerungsgruppen befassen sich unabhängig vom Alter durch
Computerspiele mit Inhalten, die sehr oft an aktuelle
kulturelle und gesellschaftliche Themen geknüpft sind.
Ich habe vorhin Fußball oder aktuelle Popstars als Beispiele erwähnt. Deswegen können wir inzwischen von
einer sehr vitalen Spielekultur sprechen, die wir auch
fördern sollten. Im Übrigen werden auch die Inhalte kultureller. Zum Beispiel spielen heute - Frau Bär hat das
bereits erwähnt - Musikkompositionen und gutes Design
eine sehr große Rolle. Damit sind Computerspiele ein
wichtiger Kultur- und Kulturwirtschaftsfaktor.
Zweitens. Computerspiele sind zu einem wichtigen
Innovationsfaktor für technische und mediale Entwicklungen geworden. Leider muss man aber auch feststellen, dass weniger als 10 Prozent aller in Deutschland gekauften Spiele auch hier produziert sind, und das bei
einem Markt, der inzwischen größer ist als der der Filmindustrie. Das ist schade; denn so bleibt eine kulturelle
und wirtschaftliche Chance noch ungenutzt.
({4})
Mit dem neuen Computerspielepreis, dessen Preisgelder immer in neue Projekte fließen müssen, können wir
positive Anreize setzen. Herr Waitz, natürlich wird es
Jurys geben, genauso wie beim Filmpreis. Auch dort gibt
es unabhängige Jurys. Die Preise werden nicht vom
Staatsminister für Kultur und Medien per Zuruf vergeben. Sinn und Zweck von Jurys ist es, aus dem Wust das
Richtige herauszufinden.
Ich finde, es ist ein wichtiger Schritt, dass der Deutsche Bundestag heute beide Aspekte und damit die kulturelle und die wirtschaftliche Bedeutung von Computerspielen anerkennt und sich zur Förderung bekennt. Ich
freue mich auf weitere intensive Diskussionen bei der
Umsetzung. Ich hoffe, viele von Ihnen bei der ersten
Preisverleihung zu sehen.
Danke schön.
({5})
Das Wort hat nun Lothar Bisky, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Computerspiele haben heute eine hohe kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung. Das ist ohne jeden
Zweifel richtig. Es ist auch richtig, diese Entwicklung
weiter zu fördern. Das ist insbesondere für qualitativ
hochwertige und pädagogisch wertvolle Computerspiele
festzustellen. Ob die weitere Förderung der Spielebranche allerdings über die Auslobung eines Deutschen
Computerspielepreises oder durch eine Qualitätskennzeichnung für Computerspiele erfolgen sollte, möchte
ich dahingestellt sein lassen. Beides kann man tun, ohne
jeden Zweifel.
Die Kritik der Linken richtet sich nicht gegen eine
Förderung als solche, sondern gegen die unzureichende
Bewertung der Situation und der Probleme in der Computerspielebranche. Sowohl im Koalitionsantrag als
auch im Antrag der Grünen wird Unterstützenswertes
genannt. Erwähnt wird das kulturelle, technologische
und wirtschaftliche Gewicht der Branche. Erwähnt wird
ihre künftige Bedeutung für bildende Künstlerinnen und
Künstler, Komponisten, Musikerinnen und Musiker sowie Autoren. Erwähnt werden auch die Produzenten und
Publisher. Es wird gefordert, anerkannte Studiengänge
zu schaffen, Aus- und Fortbildungsgänge zu erweitern,
und vieles mehr. Nur eines lässt sich in den Anträgen
nicht finden: Die schlechten Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Computerspieleindustrie werden mit
keinem einzigen Wort erwähnt. Das geht gar nicht.
({0})
Beide Anträge sind von dem romantischen Begriff der
Kreativwirtschaft geprägt, wie ich finde. Sie verkennen
die industriellen Fertigungsbedingungen in der Computerspielebranche. Von prekärer Beschäftigung ist ebenso
wenig die Rede wie von „hire and fire“, von überlangen
Arbeitszeiten oder Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz und den Arbeitsschutz. An keiner Stelle wird auf die
oft eintönige, sinnentleerte „Kreativ-Tätigkeit“ in dieser
Branche hingewiesen.
Einen Computerspielepreis auszuloben oder eine Qualitätskennzeichnung für Computerspiele zu entwickeln,
ohne dies mit Forderungen und Kontrollen nach guter Arbeit zu verbinden, halte ich für politisch falsch.
({1})
Ich will Ihnen gerne ein paar Beispiele für die prekären
Bedingungen in der Games-Branche nennen. Der Beruf
des Spieleentwicklers oder Designers ist beliebt. Es gibt
weniger Arbeitsplätze, als nachgefragt werden. Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger erhalten ein Gehalt
von rund 2 000 Euro brutto im Monat, doch nicht selten
wird von diesem Richtwert nach unten abgewichen.
Qualitätstester von Spielen sind fast ausschließlich Prak15314
tikantinnen und Praktikanten, denen wenig oder nichts
bezahlt wird. Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden täglich sind keine Seltenheit - ohne Freizeit- oder Überstundenausgleich wohlgemerkt. Außerdem ist die Unsitte verbreitet, nach Abschluss der Entwicklung eines
Spiels erst einmal bis zu zwei Drittel der Belegschaft zu
entlassen. Gegen solche schlechten Arbeitsbedingungen
brauchen wir ein Instrument. Die Gegenargumente von
Produzenten und Publishern halte ich für nicht stichhaltig. Sie behaupten allen Ernstes, es sei richtig, dass die
Beschäftigten in der Spielebranche länger arbeiteten und
vergleichsweise weniger Geld bekämen, weil sie dafür
überdurchschnittlich viel Spaß an der Arbeit hätten. Das
ist Unsinn; denn von Spaß an der Freude kann sich niemand etwas kaufen.
({2})
Wir stellen darum den Antrag, über die Einführung
eines Fair-Work-Siegels für Computerspiele sofort abzustimmen. Nur Unternehmen, die die Voraussetzungen für
ein solches Siegel erfüllen, sollen in Zukunft staatliche
Fördermittel beziehen können oder bei der Nominierung
für einen Computerspielepreis berücksichtigt werden.
Ich bedanke mich.
({3})
Grietje Bettin ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich finde es klasse, dass wir uns hier heute
einmal positiv mit dem Thema Computerspiele auseinandersetzen. Das Thema ist für viele Menschen leider
immer noch sehr negativ besetzt. Die unsägliche Debatte
über die Killerspiele, die gerade von der Union angestoßen wurde, wird nun endlich versachlicht, und das begrüße ich außerordentlich. Es wurde schon von meinen
Vorrednerinnen und Vorrednern angesprochen, dass
Computerspiele mehr sind als nur Gewaltspiele. Sie sind
ein neues Massenmedium geworden. Computerspiele
sind ein positives Beispiel dafür - Monika Griefahn hat
die positiven Lerneffekte schon angesprochen -, dass
man mithilfe neuer Technologien Medienkompetenz
sinnvoll vermitteln kann.
({0})
Die Computerspielbranche ist international eine
wichtige Zukunftsbranche, und wir müssen aufpassen,
dass Deutschland den Anschluss nicht verliert. Kollege
Waitz hat das angesprochen. Gerade in Asien und den
USA finden die großen Entwicklungen statt. Dort entstehen die Spiele, die in Deutschland am meisten verkauft
werden. Deshalb zielt unser Antrag darauf, in Deutschland insbesondere auf den Fachkräftemangel zu reagieren; denn der ist das Problem, das bei uns immer an erster Stelle steht.
Zu dem Antrag der Koalition: Wir begrüßen den Antrag grundsätzlich, aber wir glauben, dass aus dem
Grund, den ich eben angesprochen habe, die Bedürfnisse
der Branche noch nicht wirklich erkannt wurden und
dass Computerspiele zu sehr mit dem Film verglichen
werden. Es wird versucht, Computerspiele und Filme
gleichzusetzen. Wir aber glauben, dass Computerspiele
ein anderes Medium sind, das nach anderen Kriterien
funktioniert. Wir kritisieren, dass das Einzige, was der
Koalition einfällt, der Computerspielepreis ist. Er ist natürlich schön für die Spielentwickler, und es ist schön für
den Herrn Staatsminister, wenn er sich auf Fotos mit den
Preisträgern ablichten lassen kann, aber wir glauben,
dass die strukturellen Probleme der Branche anders bekämpft und andere Antworten auf die Fragen gefunden
werden müssen.
Außerdem haben wir die Sorge - das ist auch ein Kritikpunkt -, dass wahrscheinlich eher die großen Entwickler von diesem Computerspielepreis profitieren,
jedoch eher die kleinen Entwickler Unterstützung brauchen. Deshalb wollen wir, dass - auch als wichtiger Hinweis für die Eltern - analog zum Siegel „Spiel des Jahres“ ein Gütesiegel entwickelt wird, das alle beantragen
können.
({1})
Zum Thema „Nachwuchsmangel bekämpfen“: Die
Fraktion der Grünen ist der Meinung, dass die Computerspieleentwicklung in Aus- und Fortbildung integriert
werden muss, dass entsprechende Studiengänge an den
Hochschulen und Fachhochschulen geschaffen und gerade kleine, innovative Spieleentwickler gefördert werden müssen - Stichwort Ideenvielfalt. Ein Computerspiel zu entwickeln, ist unendlich teuer; und kleine,
innovative Spieleentwickler können sich das nicht unbedingt leisten, wenn sie nicht finanziell unterstützt werden. Einzelne Bundesländer haben eine entsprechende
Unterstützung bereits als einen Teil der Wirtschaftsförderung aufgenommen. Wir wünschen uns eine flächendeckende Wirtschaftsförderung gerade auch für kleine
und mittlere Spieleentwicklerfirmen in Deutschland.
Zum Thema „Computerspiele sind Kultur“: Wir aus
dem Fachgebiet sind uns, glaube ich, alle einig: Computer spielen ist eine moderne Fortschreibung des klassischen Spielens mit neuen technischen Mitteln. Computerspiele haben eine eigene Ästhetik, eigene Inhalte.
Aber Computerspiele sind nicht mit Filmen gleichzusetzen, deswegen sind andere Maßnahmen notwendig.
Für uns ist wichtig - das wird in unserem Antrag angesprochen -, in Deutschland Archivierungsregeln für
Computerspiele, ähnlich wie für Bücher und Filme, zu
treffen. Kultur ist ein Spiegel der Zeit, und wir sollten
diese Spiele für die Nachwelt erhalten. Technik verändert sich, und damit können diese Spiele nicht immer gespielt werden. Deshalb wollen wir uns für eine Archivierungsregelung auch für Computerspiele einsetzen.
Insgesamt ist klar, dass wir noch am Anfang einer
sehr spannenden Diskussion stehen. Es ist zu begrüßen,
dass wir uns endlich auch mit den positiven Aspekten
der Computerspiele beschäftigen.
Den Antrag der Großen Koalition werden wir allerdings ablehnen.
({2})
Denn wir glauben, dass damit die zentralen Probleme
nicht wirklich gelöst werden können.
Danke schön.
({3})
Das Wort erhält der Kollege Philipp Mißfelder von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Allein die Tatsache, dass der Präsident des Hauses bei dieser Debatte anwesend ist, zeigt, dass mittlerweile auch
ausgewiesene Kulturpolitiker der Union anerkennen,
dass es sich bei Computerspielen um Kunst und Kulturgut handelt.
({0})
- Herr Tauss, Sie mögen an solche Zufälle glauben, ich
tue das nicht.
Herr Kollege Mißfelder, aus meiner schieren Anwesenheit eine solch weit reichende Schlussfolgerung herzuleiten, ist jedenfalls kühn.
({0})
Ich bin mir sicher, dass die Kindergeneration unseres
Präsidenten, zu der ich ja auch zähle, diese Anwesenheit
trotzdem sehr zu schätzen weiß und dass sie das Generationenproblem auflöst, das zwischen der Internet- und
Computerspielgeneration und der Generation derjenigen
besteht, die noch nie in ihrem Leben im Internet waren.
Ich finde es auch sehr positiv, dass heute Abgeordnete
zu diesem Thema gesprochen haben, die bisher selbst
selten im Internet waren und auch sonst wenig mit diesem Thema zu tun hatten. Trotzdem erkennen sie an,
dass wir mit diesem Preis auf dem richtigen Weg sind.
Ich glaube tatsächlich - um mich den Vorrednerinnen
und Vorrednern anzuschließen -, dass wir in den vergangenen Monaten und Jahren die Debatte vielfach unter
falschen Vorzeichen geführt haben. Dass viele, gerade
auch ältere Familienpolitiker dieses Kulturgut nicht anerkennen, ist Ausdruck der Verzweiflung darüber, dass
sie ihre eigene Kindergeneration nicht verstehen.
Es gibt keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang zwischen dem Spielen von Computerspielen - auch von sogenannten Killerspielen - und Gewaltexzessen, den konnte auch ein früherer Justizminister
aus Niedersachsen nicht nachweisen, der sich auf diesem
Forschungsfeld verdient gemacht hat und dort immer
noch verdienstvoll tätig ist. Es nutzt der Sache allerdings
nichts.
({0})
- Auch in unserer eigenen politischen Familie, Herr
Tauss, haben wir sicherlich noch viel Überzeugungsarbeit in diesem Bereich zu leisten.
({1})
Dass die scheinbar einfache Lösung vorgeschlagen wird,
Computerspiele zu verbieten, zeigt, dass insgesamt wenig Verständnis mit Blick auf das Internet vorhanden ist.
Verbote bringen in dieser Branche nichts. Gerade in einer digitalisierten Welt gibt es keine Grenzen.
({2})
Ich finde es richtig, um an das anzuknüpfen, was Frau
Griefahn gesagt hat, dass die Koalitionsfraktionen diesen Preis auf den Weg gebracht haben. Eine kleine Korrektur muss trotzdem erlaubt sein. Nicht nur Sie und
Herr Tauss waren dafür verantwortlich, sondern in erster
Linie natürlich die Union, unser Kulturstaatsminister,
Frau Bär und Herr Börnsen. Ich möchte mich selber von
diesem Dank nicht ausschließen.
({3})
Ich verweise deshalb darauf, dass wir diesen Preis auf
den Weg gebracht haben und in diesem Bereich in den
nächsten Jahren sicherlich noch viel zu tun haben.
Ich glaube, es ist richtig, deutlich zu machen, dass
Computerspiele auch Kulturgut und eine Ausdrucksform
der Kunst sind. Dass dort öffentliche Aufklärungsarbeit
geleistet werden muss, gerade um besonders wertvolle
Computerspiele herauszustellen, halte ich für sinnvoll
und erstrebenswert.
Ich glaube, dies ist eine der wenigen Debatten, bei der
uns viele Jugendliche über das Internet - vielleicht auch
über das Fernsehen, wenn diese Debatte dort überhaupt
übertragen wird; ich wünschte mir, dass Parlamentsdebatten häufiger im Fernsehen übertragen werden - genau
auf den Mund schauen, um zu erfahren, was die Politiker
zu den für sie wichtigen Themen sagen. Die generelle
Kriminalisierung einer ganzen Generation die Computerspiele macht, ist nämlich falsch und zeugt von wenig
Verständnis für die Kinder. Deshalb finde ich diesen
Preis und auch die heutige Debatte richtig.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Nachdem die meisten Anwesenden Wert darauf gelegt haben, zu den Initiatoren dieses Preises gezählt zu
werden, will ich für die wenigen, die das nicht in Anspruch nehmen, wenigstens festhalten, dass sie der Vergabe dieses Preises nicht im Wege stehen wollen.
({0})
Nun erhält zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes
der Kollege Tauss für die SPD-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Vielen Dank und vielen Dank auch
für die freundlichen Worte, gestern Abend an meine
Adresse gerichtet. Ich brauche heute ein bisschen mehr
Redezeit, weil die nachfolgende Rednerin noch nicht da
ist.
Ich will an dieser Stelle alles unterstreichen, was zur
wirtschaftlichen und zur kulturellen Bedeutung gesagt
worden ist. Um einen Vergleich zu ziehen: Es ist in der
Tat so, dass die Computerspielindustrie die Filmindustrie zwischenzeitlich sogar überrundet hat. In den USA
hat die Filmindustrie mittlerweile eine größere ökonomische Bedeutung als die Automobilindustrie. Das zeigt
ein Stück weit, welche Bedeutung das hat, wovon wir
hier reden. Aus diesem Grunde ist es gut, dass wir dieses
Thema hier ansprechen.
Manchmal wird man gefragt: Habt ihr keine anderen
Sorgen als Computerspiele? Ähnlich wurde übrigens gefragt, als wir hier einmal über den Film diskutiert haben.
Die Aufregung ist immer groß, wenn es zu irgendwelchen Katastrophen kommt. Katastrophen will ich überhaupt nicht kleinreden. Kollege Mißfelder und andere
haben sie angesprochen. Das sind ernste Themen. Allerdings wird man den Computerspielerinnen und Computerspielern mit einfachen Kausalzusammenhängen, wie
sie immer wieder dargelegt werden - Computerspiele
führen zu Gewalttätigkeit -, nicht gerecht, und man diskriminiert im Grunde genommen einen großen Teil der
jungen Generation. Aus diesem Grunde glaube ich, dass
von dieser Debatte ein Signal ausgehen muss.
({0})
Die tragischen Vorgänge in Erfurt hatten viel eher mit
einem, mittlerweile zum Glück korrigierten, Schulgesetz
zu tun - nach vielen Jahren Schulbesuch konnte man
ohne Abschluss dastehen, Stichwort „Perspektivlosigkeit“ - als mit anderen Dingen.
Wenn ich mit jungen Leuten diskutiere, zum Beispiel
mit Schulklassen aus meinem Wahlkreis, dann bemerke
ich Folgendes: Dieses Thema bewegt. Computerspiele
sind mittlerweile ein fundamentaler und kultureller Bestandteil des Alltags vieler Menschen, insbesondere junger Menschen; der Anteil der unter 30-Jährigen ist dabei
überproportional hoch.
({1})
- Ja, natürlich spiele ich auch. Das muss ich zugeben.
Obwohl ich spiele, will ich darauf hinweisen, dass ich
noch nicht marodierend durch den Bundestag gezogen
bin.
({2})
Es gibt welche, die sagen, ich hätte dafür andere Auffälligkeiten. Kollege Krings, das mag sein. - Es wäre in der
Tat ein Problem, dieses Thema auf Killerspiele zu reduzieren.
Wir hätten in den heute von der Großen Koalition auf
den Weg gebrachten und vorgelegten Antrag „Wertvolle
Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken“
noch viele Punkte aufnehmen können. Kollege Bisky,
ich denke nicht, dass es richtig gewesen wäre, hier das
Elend der Branche zu benennen. Ich war bei vielen Firmen hier in Deutschland, die Computerspiele herstellen.
Ich habe gesehen, mit welcher Begeisterung junge Menschen an der Entwicklung arbeiten und was für kreative
Teams am Werk sind. In meinem Wahlkreis gibt es beispielsweise Personen, die ein Piratencomputerspiel vertreiben. Ohne dass wir die bestehenden Probleme in irgendeiner Form ignorieren, muss ich sagen: Es macht
Spaß, mit denen zu diskutieren, die sich mit den Computerspielen beschäftigen.
Der Preis ist notwendig, weil wir ein anderes Signal
geben wollen. Das ist richtig; darauf ist hingewiesen
worden. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass vonseiten der Wirtschaft ein großes Interesse an diesem
Preis gezeigt worden ist.
Bei allem Lob kann man an der Stelle auch das Negative noch kurz ansprechen. Wir erwarten, dass die Wirtschaft ihre Zusagen jetzt auch einhält.
({3})
Wir tun etwas für diesen Bereich, nicht nur was sein Ansehen angeht; wir fördern die Computerspiele an den unterschiedlichen Stellen, wie beschrieben, halten dies für
richtig und wichtig, erwarten jetzt aber auch, dass das
Geld kommt.
Wir geben vom Bund und erwarten den gleichen Anteil von der Industrie. Das ist bisher noch nicht erfolgt.
Wenn es nicht erfolgt, laufen wir Gefahr, dass die Initiative scheitert. Ich sage also in aller Deutlichkeit: Wir erwarten von der Wirtschaft, dass sie ihre Zusagen jetzt
einlöst.
({4})
Alles andere hätte einen großen Imageverlust zur Folge.
Dass der Bund allein einen Preis für Computerspiele bezahlt, würde ich nicht einsehen. In diesem Sinne würde
ich es auch für gut halten, wenn wir mit der Branche
noch etwas kritischer und offensiver diskutierten.
Computerspiele haben etwas mit Kultur zu tun und
nicht damit, dass gewalttätige junge Menschen irgendwo
in der Gegend herumrandalieren. - Dieses deutliche Signal sollten wir geben.
Herr Präsident, die Lampe leuchtet, die mir nachfolgende Rednerin ist auch da. Insofern passt es: Ich bedanke mich sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.
({5})
Herr Kollege Tauss, Sie haben ohne Not den Eindruck
erweckt, der Redebeitrag habe nur der Füllung der Lücke
bis zum nächsten Tagesordnungspunkt gedient. Davon
kann natürlich überhaupt keine Rede sein.
({0})
Davon war jeder spätestens nach Ihrem Redebeitrag
überzeugt.
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesord-
nungspunkt.
Zum Tagesordnungspunkt 8 a gibt es eine Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Kultur und Medien auf
Drucksache 16/8033. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
auf Drucksache 16/7116 mit dem Titel „Wertvolle Com-
puterspiele fördern, Medienkompetenz stärken“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist die
Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der Koalitions-
fraktionen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 16/7282 mit dem Titel „Hochwer-
tige Computerspiele fördern und bewahren“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Auch diese Beschlussempfehlung ist
mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord-
nungspunkt 8 b. Hierbei geht es um den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/8178 mit dem Titel:
„Fair-Work“-Siegel für Computerspiele. - Wer stimmt
für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Bildungszugang von Kindern und Jugendli-
chen stärken - Finanzierung von Schüler- und
Schülerinnenbeförderung im SGB II ermögli-
chen
- Drucksachen 16/4486, 16/6013 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, Irmingard
Schewe-Gerigk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche
aus armen Haushalten fördern
- Drucksachen 16/5253, 16/5686 Berichterstattung:
Abgeordneter Max Straubinger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion.
({3})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Gleiche Chancen im Bildungssystem - darum geht es
heute. Gleiche Chancen im Bildungssystem, das heißt
gleiche Chancen von Arbeiterkindern auf einen Studienplatz, gleiche Chancen von Migrantenkindern auf einen
Ausbildungsplatz, gleiche Chancen von Kindern Arbeitsloser auf einen guten Schulabschluss.
({0})
Da kann jeder im Bundestag zustimmen, aber wenn es in
die Details geht, sind die Antworten sehr unterschiedlich.
Die sogenannte Linke fordert: Schülerfahrkarten für
Kinder aus Arbeitslosenhaushalten sollen vom Bund bezahlt werden. Das Geld soll man sich bei den Ländern
holen. - Das ist ein unseriöser Finanzierungsvorschlag.
Diese Forderung kann nur bei voller Missachtung des
Grundgesetzes gestellt werden.
({1})
Wahrscheinlich waren die Antragsteller bei der Föderalismusdebatte gerade nicht im Bundestag. Sonst wüssten
sie nämlich, dass Bundesländer und Kommunen für die
Lernmittelfreiheit in Schulen und für den Weg zur
Schule verantwortlich sind, egal ob wir das gut finden
oder nicht.
({2})
Es ist wichtig, dass sich die Menschen an Landtagswahlen beteiligen, denn im Land - nicht im Bund - wird
über die Bildungschancen der Kinder entschieden.
Ich möchte kurz auf den Antrag der Grünen eingehen:
Er ist mit Verantwortung für unser Bildungssystem und
den Staatshaushalt geschrieben. Ich teile ausdrücklich mit
Ihnen die Meinung, dass vom heutigen Tag ein Signal an
die Länder und Kommunen ausgehen muss, damit sie ihrer Verantwortung für gleiche Bildungschancen - sie
selbst hatten den Wunsch, die Verantwortung dafür zu tragen - gerecht werden.
Nehmen wir einmal an, ich teilte Ihr Grundanliegen,
Schülerfahrkarten voll über das SGB II zu finanzieren,
dann fände ich es spannend, zu wissen, wie es in Berlin
geregelt ist, wo die Linke doch in der Regierung sitzt
und die verantwortliche Senatorin stellt. Siehe da: Selbst
in Berlin werden den Familien, die Arbeitslosengeld II
erhalten, nicht die Kosten für Schülerfahrkarten zurückerstattet.
({3})
Hier im Bundestag und in Talkshows fordern Sie, was
das Zeug hält, und halten nichts davon ein, wenn Sie die
Verantwortung tragen: Das ist Ihre Art der Politik;
({4})
die Menschen sollen das wissen. Das ist unseriös und
unglaubwürdig. Es zeigt, dass Sie lieber reden als handeln.
Ich teile Ihre Grundlogik ausdrücklich nicht, wonach
Kinder von Arbeitslosengeldempfängern mehr Chancen
auf Bildung und später auf einen Beruf haben, wenn wir
das Arbeitslosengeld erhöhen. Das Arbeitslosengeld II
ist ein über Steuern finanziertes soziokulturelles Existenzminimum. Um den Kindern zu helfen, brauchen wir
bessere Schulen. Man muss also die Struktur ändern:
Wir brauchen mehr Ganztagsbildungsangebote, um den
Teufelskreislauf - Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, kein strukturierter Tagesablauf und das tägliche
Durchwurschteln - zu durchbrechen. Nur so eröffnen
wir gleiche Bildungschancen. Nur so rückt für diese
Kinder ein guter Ausbildungsplatz in greifbare Nähe.
Das nehmen wir Sozialdemokraten ernst. Als Partei
des Fortschritts wissen wir:
({5})
Bildung ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Ja, ich gehe weiter: Bildung ist die beste Arbeitslosenversicherung. Wir sind davon überzeugt:
Der Staat hat dafür zu sorgen, dass alle den gleichen
Zugang zu Bildung haben, unabhängig von ihrer
Herkunft. Jeder Mensch hat das Recht auf einen gebührenfreien Bildungsweg von Krippe und Kindergarten bis zur Hochschule.
Diese Sätze sind brandaktuell und stehen in unserem
Hamburger Grundsatzprogramm. Dieses Grundsatzprogramm ist das Leitbild für unser Regierungshandeln; dafür stehen wir Sozialdemokraten, das Ziel klar vor Augen. Schritt für Schritt setzen wir das Programm um.
Lassen Sie mich einige Beispiele dafür aufführen, um
zu zeigen, dass glaubwürdige Politik nicht in Talkshows
und mit Scheinanträgen, sondern durch verantwortliches
Regierungshandeln gemacht wird.
({6})
Es war die Schröder-Regierung, die den Durchbruch
beim Thema Ganztagsschulen geschafft hat, indem sie
mutig 4 Milliarden Euro in die Hand genommen hat.
({7})
Heute gibt es keine Landesregierung und keinen Bundesminister mehr, der ohne ein klares Bekenntnis zur
Ganztagsschule bestehen kann. Ohne den Mut der
Schröder-Regierung wären allein in meiner Heimat
sechs Schulen heute keine Ganztagsschulen: in Birkenfeld, Dietlingen, Mühlacker und drei in Pforzheim.
Wir werden auch für Kinder ab einem Jahr den
Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durchsetzen,
weil wir wissen, dass Chancengerechtigkeit schon bei
den Kleinen anfängt; dabei liegen wir aber noch mit unserem Koalitionspartner im Argen.
({8})
Wir haben mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz
von Renate Schmidt angefangen und damit 230 000 zusätzliche Kitaplätze geschaffen; da machen wir in der
Großen Koalition weiter.
({9})
Damit sorgen wir für gleiche Bildungschancen, gerade
auch für Kinder aus sozial benachteiligten Familien, und
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unabhängig
vom Geldbeutel.
Der Übergang von der Bildungs- zur Arbeitsmarktpolitik ist fließend: Wann fängt die Berufsorientierung an?
Wer ist dafür zuständig? Wie helfen wir den Jugendlichen, die trotz Schulabschluss keine Chance auf Ausbildung haben? Wir im Bund nehmen Geld in die Hand und
gehen mutig voran: mit mehr Berufsberatern in den
Schulen, mit der Einstiegsqualifizierung, die mit über
70 Prozent Erfolgsquote in Ausbildung die beste Methode ist, und nun mit dem geplanten Ausbildungsbonus
für Altbewerber. Mit ihm werden wir bis 2010 100 000
zusätzliche Ausbildungsplätze für die Jugendlichen
schaffen, die es heute schwer haben. Der Betrieb bekommt einen Zuschuss, und bei Problemen hilft eine zusätzliche sozialpädagogische Begleitung.
Lassen Sie mich noch einmal Pforzheim und den
Enz-Kreis zitieren: Wir haben schon seit längerem für
jährlich 40 Jugendliche aus dem Berufsvorbereitungsjahr so einen Zuschuss. Das ist ehrliche Hilfe. Die
Kombination aus zusätzlichem Ausbildungsplatz, Bonus für den Betrieb und sozialpädagogischer Begleitung ist ein Erfolg. Eine Ausbildung im Betrieb ist besser als jede Warteschleife. Deshalb handeln wir im
Bund - und das ist gut so - mit unserem Ausbildungsbonus.
Doch auch für die BAföG-Empfänger konnten wir einiges erreichen: 10 Prozent mehr. Um deutlich zu machen, was wir da erreicht haben, zitiere ich den Koalitionsvertrag:
Das BAföG als Sozialleistung wird in seiner jetzigen Struktur zur Finanzierung des Lebensunterhalts
erhalten ({10}).
10 Prozent mehr; das zeigt, was wir in der Großen Koalition bewegen können.
({11})
Im Übrigen steht im Koalitionsvertrag eindeutig:
Die Koalitionspartner sind in der Frage von Studiengebühren unterschiedlicher Auffassung.
({12})
Aber auch in den Bundesländern zeigen wir, dass wir
nicht nur über gleiche Chancen in der Bildungspolitik reden, sondern auch handeln. Rheinland-Pfalz ist unser sozialdemokratischer Champion. Kurt Beck regiert allein
mit sozialdemokratischer Politik:
({13})
keine Studiengebühren, Beitragsfreiheit für das letzte
Kindergartenjahr, denn von Anfang an wird über Bildungs- und Zukunftschancen entschieden, Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Zweijährige ab
2010, Beitragsfreiheit der Kitaplätze bis 2010 und die
Zusammenführung der Haupt- und Realschule zur „Realschule plus“; das gibt Hauptschülern neue Perspektiven bei der Berufsorientierung.
({14})
Ich bleibe also dabei: Das Verändern der Strukturen
führt zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Dazu stehen wir
Sozialdemokraten auf allen Ebenen, ob im Bund, in den
Ländern oder in den Kommunen. Wir gehen Schritt für
Schritt vor: gebührenfreie Kindergärten, Ganztagsschulen, gebührenfreies Studium und Begleitung lebenslangen Lernens. Das sind wir den Menschen und der Zukunft unseres Landes schuldig.
({15})
Jörg Rohde ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Frau Mast, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie auf die Scheinheiligkeit der Linksfraktion
hingewiesen haben.
({0})
Wenn man in politischer Verantwortung ist, dann kann
man die Forderungen, die man erhebt, auch vor Ort umsetzen.
({1})
Das muss man deutlich machen. Allerdings haben Sie es
versäumt, darauf hinzuweisen, dass der Regierungspartner der Linken in Berlin die SPD ist.
({2})
Das ist natürlich kein Ruhmesblatt für diese Diskussion.
({3})
Die Zielsetzung beider Anträge, die heute zur Abstimmung stehen, verdient Respekt und Anerkennung.
Es ist völlig unbestritten, dass die Bildungschancen von
Kindern und Jugendlichen nicht von der Finanzkraft ihres Elternhauses abhängen dürfen. Auch die FDP spricht
sich uneingeschränkt für Chancengerechtigkeit im Zugang zu frühkindlicher, schulischer und beruflicher Bildung aus.
({4})
Mit zahlreichen Anträgen hat die FDP in den vergangenen Jahren im Deutschen Bundestag, vor allem aber in
den Landtagen Vorschläge dafür unterbreitet. Denn, sehr
geehrte Kolleginnen und Kollegen von Grünen und Linken, das, was Sie in Ihren Anträgen fordern, fällt nicht in
die Zuständigkeit des Bundes, sondern in die Zuständigkeit der Länder.
({5})
Bildung ist Ländersache, und Bildung bleibt Ländersache.
({6})
Das ist das Ergebnis der Föderalismusreform, und das ist
gut so. Je zentralistischer Bildung organisiert wird, desto
bürokratischer wird sie. Je mehr Gestaltungsmöglichkeiten die Länder haben, desto mehr können sie auch für
Bildung tun, desto vielfältiger und dynamischer kann
sich Schule entwickeln. Dies gilt explizit für die Sicherstellung der Schülerbeförderung durch die Landkreise
und die Versorgung mit Lernmitteln. Es ist Aufgabe der
Länder und Landkreise, auch Kindern und Jugendlichen
aus einkommensschwachen Familien den Zugang zu
Schule und Bildung zu ermöglichen. Sie kommen diesem Auftrag auch nach. Alles andere ist eine unverantwortliche Schwarzmalerei.
({7})
Herr Kollege Rohde, möchten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss beantworten?
Sehr gerne, Herr Tauss.
Das ist wunderbar. - Obwohl wir um Koalitionspartner werben, will ich jetzt weniger nett sein.
Ich will Ihrem leidenschaftlichen Bekenntnis zum Föderalismus - ich sehe, auch der Kollege Burgbacher ist
anwesend - gerne folgen. Können Sie mir aber bestätigen, dass der Kollege Barth und die Kollegin Pieper im
Ausschuss für Bildung und Forschung gelegentlich ganz
andere Töne anschlagen und völlig mit Recht darauf hin15320
weisen, dass man doch eine verstärkte Kooperation von
Bund und Ländern im Bildungsbereich anstreben sollte?
Seid ihr euch nicht ganz einig über das, was ihr da wollt?
Lieber Kollege Tauss, auch in der FDP gibt es Meinungsvielfalt.
({0})
Es ist nicht alles stromlinienförmig; es gibt also auch
Einzelmeinungen. Ich trage Ihnen jetzt die Mehrheitsmeinung vor.
Wir haben eine intensive Debatte innerhalb der FDP
gerade über die Bildungspolitik geführt. Es gibt natürlich gute Argumente für die eine oder für die andere
Seite. Bei der FDP setzt sich aber die Meinung durch,
dass Bildung Ländersache ist.
({1})
- Es gibt Bildungspolitiker auf verschiedenen Ebenen.
Die FDP ist in Kommunalparlamenten, in den Landtagen, im Bundestag und in Europa vertreten. Auf den verschiedenen Ebenen gibt es unterschiedliche Meinungen.
Das gilt aber auch für andere Parteien. Ich bin sicher,
dass Sie auch in der SPD den einen oder anderen finden,
der in dieser Frage vielleicht nicht Ihrer Meinung ist.
({2})
Ich trage eben die Mehrheitsmeinung der FDP vor.
({3})
Viele Landkreise gehen bei der Schülerbeförderung
mit gutem Beispiel voran und befreien Eltern mit niedrigen Einkommen von den Zuzahlungen. Dies ist der richtige Weg. Falsch wäre es dagegen, dort, wo von den
zuständigen Trägern Verantwortung nicht in zufriedenstellendem Maße wahrgenommen wird, mit Nothilfen
durch den Bund einzuspringen. Dies hätte in vielfacher
Hinsicht negative Auswirkungen:
Zum einen müssten wir befürchten, dass sich dann
weitere Landkreise aus der Verantwortung stehlen, weil
sie zukünftig ja schon wüssten, dass im Zweifel der
Bund einspringt. Zum anderen würde vor allem für die
betroffenen Eltern eine unzumutbare Situation eintreten,
wenn sie zwischen den Kostenträgern des SGB II,
SGB XII oder des Asylbewerberleistungsgesetzes und
den Landkreisen hin und her geschickt würden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der
Grünen, die in Ihren Anträgen skizzierten Missstände
gibt es vereinzelt, aber sie müssen vor Ort abgestellt
werden, nicht im Deutschen Bundestag. Tragen Sie
deshalb die heute vorliegenden Anträge in Ihre Landtags- und Kreistagsfraktionen! Dorthin gehören diese Initiativen. Im Deutschen Bundestag können wir Ihren Anträgen leider nicht zustimmen.
Das heißt allerdings nicht, dass man von Berlin aus
zur Lösung vieler Probleme der Länder und Kommunen
nicht beitragen könnte. Im Gegenteil: Im Rahmen der
Föderalismusreform II, also der Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, müssen
die Länder und Kommunen auch finanziell in die Lage
versetzt werden, ihren Aufgaben umfassend und verantwortungsbewusst nachzukommen. Insbesondere von der
Union und der SPD erwartet die FDP deshalb, dass die
Föderalismusreform II nicht weiter auf die lange Bank
geschoben wird.
Der Schlüssel zur Lösung der Probleme einkommensschwacher Familien liegt in der Schaffung neuer Arbeitsplätze und in der Verbesserung der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. Wir brauchen bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Bezieher sozialer Leistungen.
Niedrigere Steuern und Lohnnebenkosten würden zu
mehr Beschäftigung führen und damit einkommensschwachen Familien den Weg aus dem Leistungsbezug
ebnen.
Für diejenigen, die dennoch auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, fordern wir Liberale schon seit
langem die Einführung eines Bürgergeldes. Im Bürgergeld sind alle steuerfinanzierten Sozialleistungen wie
Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Wohngeld, BAföG, Grundsicherung und Kindergeld zu einer bedarfsdeckenden
Leistung zusammengefasst. Die bürokratisch aufwendige
und oftmals auch zermürbende und stigmatisierende Ermittlung der einzelnen Bedarfe und Sonderbedarfe nach
heutigem Recht fiele weg. Ein individuell nachzuweisender Mehrbedarf, wie ihn die Linken fordern, würde
dagegen einen weiteren Gang zur Arge, zum Jobcenter
oder zum Sozialamt bedeuten.
Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im
Bundestag die Weichen für mehr Arbeit und stabile Länder- und Kommunalfinanzen stellen! Die Bildungspolitik dagegen sollten wir weiterhin den Ländern überlassen, und zwar in vollem Umfang, also auch was
Lernmittel und den Weg zur Schule betrifft.
Vielen Dank.
({4})
Karl Schiewerling spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion - mindestens für die Mehrheit, vermute ich.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Rohde, der guten Ordnung halber zu Ihren
Hinweisen auf Bund, Länder und Kommunen: Viele
Länder und Kommunen sind mittlerweile in der glücklichen Lage, ausgeglichene Haushalte zu haben. Ich weise
deutlich darauf hin, dass der Bund hier noch einige Anstrengungen unternehmen muss, um das auch hinzubekommen.
({0})
Bevor wir anfangen, Gelder vom Bund auf die Länder
und die Kommunen zu verteilen, sollten wir einmal
schauen, wie die Zuständigkeiten unter dem Strich wirklich verteilt sind, und sollten die Diskussionen in der
Föderalismuskommission II abwarten.
({1})
Wir haben in der Tat das Problem, dass die Bildungssituation in Deutschland - dies ergibt sich aus den PISAStudien - beklagenswert ist. Im Kreuzfeuer der Kritik
steht dabei der enge Zusammenhang zwischen sozialer
Herkunft und den erzielten Bildungsleistungen. Dass es
diesen Zusammenhang gibt, ist offenkundig. Aber er ist
nicht immer zwangsläufig gegeben.
Kinder aus Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, sind nicht dümmer als andere Kinder und vor allen
Dingen nicht per se bildungsarm. Es gibt im Bereich der
Arbeitslosengeld-II-Bezieher sehr unterschiedliche Lebenssituationen. Es ist notwendig, diese auch in dieser
Frage sehr differenziert zu betrachten.
({2})
Wir machen uns in der CDU/CSU-Fraktion zunehmend Sorgen um diejenigen Kinder, die aus jenen hochproblematischen sozialen Milieus kommen, die völlig
überfordert sind, das eigene Leben zu gestalten, Tagesabläufe zu strukturieren und damit den Kindern zu helfen,
in ihrem Leben Orientierung zu bekommen. In diesem
Milieu greifen übrigens noch nicht einmal Sanktionsmaßnahmen, wie sie im SGB II vorgesehen sind. Wir haben ein Problem: Diese Milieus wachsen in Deutschland
schneller als manche andere.
Deshalb hat sich meine Fraktion Anfang dieses Jahres
intensiv mit dem Thema der Familien in sozial schwierigem Umfeld beschäftigt. Schätzungsweise 2,6 Millionen
Menschen leben in der sogenannten ererbten oder zu
vererbenden Sozialhilfe, viele davon in Ballungszentren
und in einschlägig bekannten Wohngebieten. Sie leben
in zweiter und dritter Generation von staatlichen Transferleistungen. Viele dieser Familien haben in ihrem Leben nicht ein einziges Mal die Situation erlebt, dass sie
selbst, ihre Eltern oder ihre Großeltern mit ihrer eigenen
Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt verdient haben. Sie
haben die Fähigkeit verloren, ihr eigenes Leben zu gestalten.
Besonders davon betroffen sind in der Tat Familien,
sind die Kinder. Sie erleben den staatlichen Transfer als
eine absolute Lebensnormalität. So leben sie zum einen
in der Gefahr, den apathischen Stil ihrer Eltern nachzuleben. Zum anderen gehören diese Kinder in der Tat oft zu
den Bildungsarmen. Bildung ist aber die wesentliche
Grundlage für berufliche und gesellschaftliche Teilhabe.
Ich sage Ihnen sehr deutlich - auch mit Blick auf die Lebenssituation dieser Kinder -: Wir dürfen keines dieser
Kinder verloren geben.
({3})
Hier muss - das möchte ich betonen - Hilfe ansetzen.
Hier muss Selbsthilfe organisiert werden und muss mehr
passieren als die bloße finanzielle Steigerung der Sozialtransfers. Wir benötigen aufsuchende Hilfestrukturen,
die auf diese Familien zugehen und sie im Alltag stärken. Die Angebote müssen niedrigschwellig sein, um so
auch die Eltern in sozial schwierigen Milieus für die Arbeit mit ihren Kindern zu gewinnen.
({4})
Es gibt zahlreiche gute Beispiele in diesem Zusammenhang. Ich erwähne nur die Arche in Hamburg oder die
Einrichtung Lichtblick Hasenbergl in München. Denn
die Praxis zeigt: Über die Hilfe für die Kinder kann in
vielen Fällen auch die Lebenseinstellung der Eltern verändert werden. Wir brauchen dazu allerdings ein Zusammenwirken zwischen den unterschiedlichen Bereichen.
Dazu gehören Schule und auch Kinder- und Jugendhilfe.
Alle müssen mithelfen, dass wir dort weiterkommen.
In den vorliegenden Anträgen geht es im Wesentlichen darum, die Leistungen des SGB II auszuweiten. Sie
fordern Lernmittelfreiheit, die Übernahme der Kosten
für das Mittagessen und Schultransporte. Angebliche
Kommerzialisierungstendenzen im Schulwesen sollen
gestoppt werden und vieles mehr.
Die Zuständigkeit der Länder für Bildung ist im Rahmen der Föderalismusreform I gerade ausdrücklich
betont worden. Was wir jetzt bestimmt nicht machen
werden, ist, in diesen Kompetenzbereich der Länder einzugreifen.
({5})
Nicht nur die Bildungshoheit liegt bei den Ländern, sondern in der logischen Folge ist auch die Beförderung der
Schüler zu den Schulen Aufgabe der Länder. Jedes Bundesland regelt in speziellen Gesetzen, Verordnungen und
Erlassen, wie die Beförderung der Schüler zu organisieren ist und wer die Kosten dafür trägt. Oft werden die
Kosten für die Beförderung im öffentlichen Nahverkehr
bezuschusst. In ländlichen Gebieten wird die Beförderung in der Regel mit speziellen Schulbussen gewährleistet.
Im SGB II ist glasklar geregelt, welche Leistungen
der Bund und welche die Kommunen zu erbringen haben. Die Kommunen sind zuständig für die Beförderung
der Schülerinnen und Schüler, ebenso für die Schulspeisung und die Übermittagbetreuung. Daher kann es hier
nicht darum gehen, neue Leistungsanforderungen an die
Grundsicherung zu stellen. An dieser Stelle weise ich in
aller Deutlichkeit darauf hin, dass das Bundessozialgericht im November 2006 Höhe und Art der Bedarfsermittlung, wie sie in § 23 des SGB II geregelt ist, als verfassungsgemäß angesehen hat.
({6})
In vielen Ländern gibt es sehr innovative Schulprojekte, die ganz bewusst in sozial schwierigen Regionen
durchgeführt werden. Es ist immer das Engagement einzelner Menschen oder Gruppen, das darüber hinaus zu
Verbesserungen führt. Ich weise darauf hin, dass es in
Nordrhein-Westfalen den Landesfonds „Kein Kind ohne
Mahlzeit“ gibt, für den das Land 10 Millionen Euro zur
Verfügung stellt. 50 000 Kinder und Jugendliche profitieren jedes Jahr davon. Die Landesregierung NRW hat
einen besonderen Schwerpunkt auf die kulturelle Bildung gelegt. Sie hat sich unter anderem das Ziel gesetzt,
die künstlerisch-musische Grundausbildung in den
Schulen zu verbessern. Das reduziert Bildung nicht auf
Wissen, wie die PISA-Studie es tut. Dies ist vielmehr ein
Schritt in Richtung einer ganzheitlichen Sicht auf den
Menschen und einer entsprechenden Förderung. Die Initiative „Jedem Kind ein Instrument“ ist ein beachtlicher
Erfolg.
Des Weiteren gibt es diverse Projekte rund um das
Thema gesunde Ernährung. Doch die präventive Arbeit
hat nur dann Erfolg, wenn wir es den Kindern vorleben,
in der Schule, in der Freizeit und vor allem in der Familie. Eltern haben eine Vorbildfunktion.
Lassen Sie mich deutlich sagen, dass es auch um die
überwiegende Zahl von Familien geht, die keine Grundsicherung bekommen, deren Einkommen aber nur knapp
darüber liegt. Diese Familien müssen alles, ob Busfahrkarte oder Schulbücher, selbst bezahlen. Diese Familien
müssen wir fördern. Sie gehören zum Kern der Leistungsträger unserer Gesellschaft.
({7})
Deswegen reformieren wir den Kinderzuschlag. Mit
den geplanten Neuregelungen wollen wir verhindern,
dass etwa 250 000 Kinder auf Grundsicherung angewiesen sind. Ich halte das für den richtigen Weg; denn wir
wollen verhindern, dass Kinder und Familien auf den
Hilfebezug zurückgreifen müssen, und wir wollen, dass
diejenigen, die Hilfe beziehen, da so schnell wie möglich
wieder herauskommen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort erhält nun die Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werte Gäste! „Aufstieg durch Bildung - Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung“, beschlossen im letzten
Monat. „Aufstieg durch Bildung“ - für wen? Junge Menschen aus sozial benachteiligten Familien sind damit sicher nicht gemeint; denn für die meisten platzt der Traum
vom Aufstieg spätestens nach Klasse zehn. Fahrten zu
weiterführenden Schulen, Gymnasien, Ausbildungsstätten oder zu Einrichtungen, in denen man das berufsvorbereitende Jahr absolvieren kann, sind für Hartz-IV-Kinder in sogenannten Bedarfsgemeinschaften viel zu teuer.
({0})
Ein Jugendlicher aus meinem Landkreis besucht eine
Fachoberschule und möchte danach gerne studieren. Ihm
stehen zum Leben gerade einmal 278 Euro pro Monat
zur Verfügung. Da nach dem zehnten Schuljahr keine
Fahrtkosten erstattet werden, gehen rund 100 Euro pro
Monat für die Fahrkarte drauf. Im Regelsatz sind für
Bus- oder Bahnfahrten aber nur 16,67 Euro vorgesehen.
Es bleiben 178 Euro übrig, von denen er allerdings auch
Schulbücher bezahlen muss. Ihm bleiben also 6 Euro pro
Tag. Wie lange steht er das wohl noch durch?
Natürlich versuchen die meisten Eltern, das nötige
Geld irgendwie zusammenzukratzen. Sie sparen an anderer Stelle, zum Beispiel am Kinobesuch, beim Sportverein und auch am Essen. Weil viele Familien das nicht
durchhalten, müssen Jugendliche die Schule und manchmal auch die Ausbildung abbrechen. Das ist wieder einmal kein Einzelfall - leider. Fragen Sie doch einmal in
Ihrem Wahlkreis nach! Sie werden überrascht sein, wie
viele dieser Einzelfälle Sie dort finden.
({1})
Fakt ist nun einmal, dass die Finanzierung der Schülerinnen- und Schülerbeförderung in den letzten Jahren zunehmend auf die Eltern abgewälzt worden ist. Die Kosten der Schülerbeförderung werden durch die Regelsätze
gemäß SGB II und XII nicht abgedeckt. Deutlich wird:
Die Beförderungskosten sind ein echtes Hindernis beim
Zugang zu Bildung. Die Verlierer sind wieder einmal die
sowieso schon Benachteiligten.
({2})
Sie werden systematisch von höherer Bildung ausgegrenzt.
Im Antrag meiner Fraktion wird die Bundesregierung
zum einen aufgefordert, die Länder auf ihre Verantwortung für eine sozial ausgewogene Finanzierung der
Schülerbeförderung hinzuweisen und umgehend aktiv zu
werden. Zum anderen fordert die Linke vom Bund, dass
der Bund, solange die Länder ihrer Verantwortung nicht
nachkommen, entsprechende Förderungen gemäß
SGB II und SGB XII sowie Asylbewerberleistungsgesetz möglich macht.
Mir ist schon bekannt, dass hier die Länder zuständig
sind. Die Bundesregierung muss aber die Länder anweisen, ihre Verantwortung wahrzunehmen,
({3})
und bundesweite Mindestregelungen auf den Weg bringen. Ihr ständiges Kompetenzgerangel, dieses Hin und
Her, nervt übrigens nicht nur mich, sondern auch die Betroffenen. Sie wollen von Ihnen endlich Lösungen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
wollen, dass für arme Kinder Lernmittel, SchulbefördeElke Reinke
rung, Schulmahlzeiten, Sportangebote, Musikschulen
und Bibliotheken bereitgestellt werden. Das sind richtige
und wichtige Forderungen; die erheben wir ebenfalls.
Aber Sie haben schon vergessen: Sie waren es doch gemeinsam mit den sogenannten Sozialdemokraten, die
mit Einführung von Hartz IV die Regelsätze für 6- bis
14-Jährige auf 207 Euro gesenkt haben.
({5})
Jetzt tun die Grünen so, als hätten sie mit diesem Verarmungsgesetz nichts zu tun. Dieser Antrag der Grünen ist
eine Bankrotterklärung aller Hartz-IV-Parteien.
Ich möchte noch einmal kurz auf unseren Antrag zurückkommen. Entfernen Sie die Stoppschilder zum
„Aufstieg durch Bildung“.
({6})
Die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung besagt: Deutschland braucht eine gemeinsame Anstrengung, um schneller voranzukommen. Dann leisten Sie
jetzt Ihren ersten Beitrag. Stimmen Sie unserem Antrag
zu!
Vielen Dank.
({7})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1,4 Millionen Schülerinnen und Schüler beziehen Leistungen gemäß SGB II bzw. Hartz IV. 1,4 Millionen
Schülerinnen und Schüler stellen sich in jedem Schuljahr
oder sogar in jedem Halbjahr die Frage, wie sie Hefte,
Stifte, Füller, Ranzen und anderes benötigtes Material
bezahlen können. Die Kosten für dieses Material sind
nicht im Regelsatz vorgesehen. Das ist ausdrücklich
nicht - das wollen wir einmal klarstellen - Sache der
Länder, sondern eine originäre Aufgabe gemäß SGB II.
({0})
Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag, dass
wir wenigstens als Kannleistung eine Öffnungsklausel
einführen, um es dem Fallmanager in den Fällen, in denen unabweisbar Bedarf an Unterrichtsmaterial besteht,
möglich zu machen - es geht nicht um einen rechtlichen
Anspruch -, Mittel für dieses Material zu bewilligen.
Sie schauen gerade nach allen Seiten; das macht für
mich nicht klar, wo Ihre Präferenzen liegen.
({0})
Aber wenn Sie bereit wären, eine Zwischenfrage des
Kollegen Weiß zu beantworten, werde ich das gerne genehmigen.
Gerne.
Herr Kollege Kurth, ich möchte Sie fragen, ob es zutrifft, dass in der siebenjährigen Regierungszeit, die das
Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit den Sozialdemokraten gestaltet hat,
({0})
sowohl bei der Sozialhilfe, also im SGB XII, als auch
beim Arbeitslosengeld II, also im Sozialgesetzbuch II,
die Pauschalierung der Regelsätze beschlossen wurde
und damit bewusst eine Abkehr vom früher geltenden
Sozialhilferecht erfolgt ist,
({1})
nach dem man für jeden Kühlschrank, für jeden Fernseher und, und, und beim zuständigen Sachbearbeiter einen eigenen Antrag stellen und dann auf die Entscheidung warten musste, ob der Antrag genehmigt wird oder
nicht. Warum sind Sie jetzt gegen die pauschalen Regelsätze, die Sie selbst eingeführt haben?
Kollege Weiß, ich bin nicht allgemein gegen die Pauschalierung. Damals haben wir uns dafür eingesetzt;
dazu stehen wir. Aber die Frage, ob die pauschalierten
Regelsätze ihren Zweck erfüllen, hängt davon ab, ob sie
ausreichend bemessen sind. Das ist doch der entscheidende Punkt.
({0})
- Auch wenn wir das mit beschlossen haben, müssen
wir, nachdem wir zwei Jahre lang Erfahrungen damit gesammelt haben, rückblickend sagen, dass insbesondere
die entwicklungsbedingten Bedarfe von Kindern und Jugendlichen in den Regelsätzen offensichtlich nicht angemessen berücksichtigt sind.
({1})
Das haben wir erkannt, und darauf müssen wir reagieren.
Wenn eine allgemeine Erhöhung der Regelsätze vor
dem Hintergrund der Mehrheiten in diesem Hause nicht
möglich ist, dann sollte den Fallmanagern, die mit konkreten Schicksalen zu tun haben, zumindest die gesetzliche Möglichkeit eröffnet werden, nach Prüfung des konkreten Einzelfalls zum Beispiel zu entscheiden: Wie ich
sehe, wird eine Schulausstattung gebraucht. Ich treffe
eine Einzelfallentscheidung und bewillige das. - Ich
finde, als eine Art Notmaßnahme - so ist unser Antrag
nämlich zu verstehen - wäre es absolut gerechtfertigt, an
dieser Stelle von der Pauschalierung abzuweichen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen - ich meine insbesondere die der Sozialdemokraten -, jetzt möchte ich Ihnen kurz aus einem Gesetzesantrag vorlesen;
({3})
danach dürfen Sie raten, von wem er ist. Ich sage nur,
dass es sich um einen Gesetzesantrag handelt, der sich
aktuell im Bundesrat befindet. Darin heißt es:
Die von Schülerinnen und Schülern für den regulären Unterricht typischerweise geforderte Ausstattung mit Schulmaterialien übersteigt preislich den
im Regelsatz … vorgesehenen Betrag. Ausgaben
für notwendige Schulmaterialien, wie Taschenrechner, Füller, Stifte, Hefte … liegen in der Summe typischerweise oberhalb der in Regelsatz und Regelleistung hierfür vorgesehenen Beträge.
Welche Lösung dieses Missstands wird in diesem Gesetzesantrag vorgeschlagen? Es müsse eine abweichende
Erbringung von Leistungen möglich sein, und zwar insbesondere bei einmaligen Bedarfen. Diese werden um
den Bedarfstatbestand der besonderen Lernmittel - außer Schulbüchern - erweitert.
Wer macht diesen Vorschlag, der exakt dem entspricht, was wir schon im Mai letzten Jahres in unserem
Antrag vorgeschlagen haben?
({4})
Diesen Vorschlag macht das Land Rheinland-Pfalz.
({5})
Unterzeichnet ist dieser Antrag mit „Mit freundlichen
Grüßen von Kurt Beck“, dem Supersozialdemokraten,
wie Sie ihn vorhin nannten.
({6})
Wenn Sie gleich gegen unseren Antrag stimmen, dann
werden Sie also auch den Inhalt genau dieses Gesetzesantrags ablehnen, der am 28. September 2007 in den
Bundesrat eingebracht worden ist und der uns im April
dieses Jahres wieder auf den Tisch flattern wird.
Auch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU
brauchen sich nicht zu freuen. Jetzt werde ich nämlich
noch aus einem Gesetzesantrag des Landes NordrheinWestfalen zitieren,
({7})
der sich ebenfalls im Bundesrat befindet. Darin heißt es:
Mit dem jetzigen System
- also dem des SGB II können besondere entwicklungsbedingte Bedarfe
der Kinder und Jugendlichen insbesondere im Zusammenhang mit der Teilhabe an der Bildung nicht
hinreichend abgebildet werden.
({8})
Wie wahr! Das entspricht fast wörtlich dem, was in unserem Antrag steht.
({9})
Wenn ich darf, ergänze ich noch einen Satz:
Die Lebenswirklichkeit der betroffenen Kinder, die
Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII erhalten, zeigt unter anderem, dass die Aufwendungen für Gebrauchs- und Unterrichtsmaterialien und
die persönliche Ausstattung für die Schule aus den
Regelleistungen nicht getragen werden können.
Auch das Land NRW schlägt eine Öffnungsklausel vor.
Da Sie, Frau Nahles, gerade kess dazwischengerufen
haben, wir hätten unseren Antrag abgeschrieben, sage
ich Ihnen: Unser Antrag, der hier und jetzt behandelt
wird, stammt vom 9. Mai letzten Jahres. Kurt Beck ist
- wahrscheinlich, nachdem er unseren Antrag gelesen
hat - zu derselben Einsicht gelangt wie wir, und zwar am
28. September 2007.
({10})
Das Land Nordrhein-Westfalen ist zu dieser Einsicht am
14. Dezember 2007 gelangt, also beträchtliche Zeit
nachdem wir unseren Antrag vorgelegt haben. Ich
denke, das spricht für sich. Stimmen Sie unserem Antrag
zu! Dann unterstützen Sie auch Ihre Ministerpräsidenten, und dann stellen wir einmal seltene Einigkeit her.
Vielen Dank.
({11})
Ich schließe die Debatte.
Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6013, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4486
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Das Erste war die Mehrheit. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 9 b. Der
Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5686, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5253 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich der Stimme? - Das Erste war die Mehrheit.
Auch diese Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klärung der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren
- Drucksachen 16/6561, 16/6649 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
genetische Untersuchungen zur Klärung der
Abstammung in der Familie
- Drucksache 16/5370 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 16/8219 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Irmingard Schewe-Gerigk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Die nachwirkende Begeisterung über den letzten Tagesordnungspunkt bitte ich außerhalb des Plenarsaals
fortzusetzen, damit die volle Konzentration für den
nächsten Tagesordnungspunkt hergestellt werden kann.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Bundesministerin Brigitte Zypries.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf, mit dem wir uns heute in zweiter und dritter
Lesung zu befassen haben, beruht darauf, dass wir einen
enormen wissenschaftlichen Fortschritt haben. Die
Frage, ob der Vater der Vater ist, hat schon die Generationen vor uns umgetrieben. Heute kann dies mit einem
einfachen DNA-Test überprüft werden.
({0})
Als es aufkam, dass in den U-Bahnen und S-Bahnen
in Berlin plakatiert wurde: „Sind das Ihre Augen? Ist das
Ihr Mund? Machen Sie einen genetischen Test!“, haben
wir gesagt: Wir müssen handeln.
Parallel dazu war beim Bundesverfassungsgericht ein
Verfahren anhängig, in dessen Rahmen unsere Auffassung, dass es nicht richtig ist, genetische Tests heimlich
durchführen zu lassen, bestätigt wurde.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Das ist ein
Verstoß gegen das Recht der Kinder auf informationelle
Selbstbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht hat
uns aufgegeben, bis zum 31. März ein Gesetz zu machen, mit dem die Abstammung einfacher geklärt werden kann. Insofern befinden wir uns gerade auf der Zielgeraden. Vielen Dank dafür, dass der Bundestag bereit
war, das in der Form zu machen.
({2})
Wir schaffen ein Verfahren, das völlig unabhängig ist
von der Anfechtung der Vaterschaft. Man kann künftig
isoliert klären lassen, ob jemand der Vater ist. Das kann
der Vater beantragen, das können aber auch die Mutter
oder das Kind beantragen. So sorgen wir dafür, dass sich
das Recht auf Kenntnis der Abstammung ohne einen
Rechtsverstoß verwirklichen lässt, nämlich ohne dieses
heimliche Verfahren. Damit stärken wir zugleich das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung, und wir
schützen die Familie, weil sich in Zukunft kein Vater
mehr von seinem Kind rechtlich lossagen muss, nur weil
er die Abstammung geklärt haben möchte. In Zukunft
haben der rechtliche Vater, die Mutter und das Kind jeweils gegeneinander einen Anspruch auf Einwilligung in
eine genetische Untersuchung zur Klärung der Abstammung. Willigt beispielsweise die Mutter als für das Kind
Sorgeberechtigte nicht ein, kann das Familiengericht an
ihrer Stelle entscheiden. Dabei muss es - das haben wir
auch festgelegt - die besonderen Interessen des Kindes
berücksichtigen. Wenn bei dem Kind eine besonders
schwierige Situation festzustellen ist und eine Beeinträchtigung des Kindeswohls droht, dann muss das Interesse des Vaters auf Klärung der Abstammung für eine
gewisse Zeit warten.
({3})
Das ist eine Regelung, die wir für wichtig halten und die
in den Entwürfen des Bundesrates, die wir heute ebenfalls beraten, nicht vorhanden ist. Ansonsten ist die Zielrichtung dessen, was die Länder und was wir vorgeschlagen haben, ungefähr identisch. Aber genau dieser
wichtige Gesichtspunkt, auf den wir nach meinem Dafürhalten Rücksicht nehmen müssen, fehlt.
Wenn die Einwilligung des Ehepartners vorliegt oder
sie durch das Familiengericht ersetzt wurde, dann kann
der Klärungsberechtigte ein Gutachten einholen. Ich
meine auch, dass es richtig ist, dass der Betroffene und
nicht das Gericht dieses Gutachten veranlasst. Das Niveau, um das es hier geht, ist ein anderes. Das freihändig
eingeholte Privatgutachten ist sehr viel kostengünstiger
und einfacher, und vor allen Dingen geht es sehr viel
schneller. Deswegen spricht alles dafür.
Im Übrigen wissen wir, dass aus 80 Prozent der Gutachten herauskommt, dass der Vater der Vater ist. Viele
Männer machen sich also völlig unnötig Sorgen, dass sie
vielleicht nicht der Vater seien. In diesen 80 Prozent der
Fälle sind anschließend kein Anfechtungsverfahren und
daher auch kein fundierteres und gründlicheres, vom Gericht beauftragtes Gutachten nötig.
Noch kurz zu einem zweiten Punkt, den wir diskutiert
haben: Der biologische Vater wird keinen eigenständigen
Klärungsanspruch erhalten. Er behält das Recht, das er
nach der geltenden Rechtslage hat. Er kann also unter be15326
stimmten Voraussetzungen anfechten. Dies ist nach unserer Auffassung ausreichend; denn wir brauchen kein zusätzliches Verfahren für Leute, die aus bloßer Neugier
oder um die Familie zu stören, behaupten, sie seien der
Vater.
({4})
Ich bedanke mich beim Hause dafür, dass die Beratungen dieses Gesetzentwurfs so konstruktiv erfolgen
konnten, wie sie erfolgt sind, und hoffe, dass wir damit
einiges getan haben, um in diesem schwierigen familienrechtlichen Bereich etwas mehr Rechtsfrieden herzustellen.
({5})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor fast genau drei Jahren habe ich hier eine Frage
gestellt, die offenbar viele Väter beschäftigt: Ist es wirklich mein Kind? Das Thema der genetischen Klärung der
Vaterschaft ist heikel. Wir müssen nicht nur die Rechte
der Väter, sondern auch die Rechte der Kinder, der Mütter, ja der ganzen Familie beachten.
Bereits im Januar 2005 hat die FDP-Bundestagsfraktion den Antrag „Verfahren der Vaterschaftstests vereinfachen und Grundrechte wahren“ in den Deutschen Bundestag eingebracht.
({0})
Wir wollten das Recht der Väter, die biologische Vaterschaft feststellen zu lassen, stärken und der Zunahme der
heimlichen Vaterschaftstests Einhalt gebieten. Wir schlugen daher ein niederschwelliges Abstammungstestverfahren vor, das nicht notwendigerweise mit der Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft enden sollte.
({1})
Wir erinnern uns: Damals gab es auch Stimmen, die die
Vaterschaftstests ganz freigeben oder aber unter Strafe
stellen wollten.
({2})
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2007, also zwei Jahre nach unserem Antrag, wurde
jedoch die Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion bestärkt. Dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, einen Verfahrensweg zu eröffnen, der das Recht auf Kenntnis und
Feststellung der Abstammung verwirklicht, ohne dies
zwingend mit einem Anfechtungsverfahren zu verbinden.
Die Bundesregierung hat auf dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts kurz vor Ablauf der gesetzten
Frist reagiert. Danach können der rechtliche Vater, die
Mutter oder das Kind die Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung sowie die Duldung der
Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe von den Familienmitgliedern verlangen.
Nicht feststellungsberechtigt ist in diesem vereinfachten
Klärungsverfahren der biologische Vater, der nicht der
rechtliche Vater ist. Wird der Anspruch auf Einwilligung
nicht erfüllt, hat das Familiengericht die Einwilligung
auf Antrag zu ersetzen und die Duldung einer Probenentnahme anzuordnen. Dabei hat das Gericht das Verfahren
auszusetzen, wenn und solange die Klärung der Abstammung eine so erhebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls begründet, dass sie auch unter Berücksichtigung
der Belange des Antragstellers für das Kind unzumutbar
wäre. Ich glaube, damit ist dem Kindeswohl durchaus
Rechnung getragen worden. Diese Regelung entspricht
nicht nur den Forderungen der FDP-Bundestagsfraktion,
sondern auch den berechtigten Interessen aller betroffenen Väter, Kinder und Mütter.
Der Gesetzentwurf wurde in einer Sachverständigenanhörung intensiv beraten. Die Gespräche der Berichterstatter brachten weitere Klärung, insbesondere zur Anfechtungsfrist, die wie bisher zwei Jahre ab dem
Zeitpunkt der Kenntnis des Anfechtungsgrundes beträgt.
Umstritten bleibt die Feststellungsberechtigung des
biologischen Vaters. Das Bundesverfassungsgericht lässt
dem Gesetzgeber hier einen Ermessensspielraum. Das
Bundesverfassungsgericht verlangt vom Gesetzgeber
aber ausdrücklich, dass - ich zitiere - „das von Art. 6
Abs. 1 GG geschützte Interesse insbesondere des Kindes, gegebenenfalls seine rechtliche und soziale Zuordnung zu behalten, auch weiterhin Berücksichtigung
findet“. Es stellte sich also die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein potenzieller
biologischer Vater in eine bestehende, sozial gewachsene Familie eingreifen darf. Ich bin der Meinung, dass
man nicht alles, was naturwissenschaftlich möglich ist,
wirklich machen muss. Rechtliche Bedenken gegen die
fehlende Feststellungsberechtigung des potenziellen biologischen Vaters müssen hier zurückstehen.
Aus meiner familienrechtlichen Praxis weiß ich, dass
es für Familien und insbesondere für Kinder sehr
schmerzlich ist, wenn vom Vater leichtfertig der Vorwurf
erhoben wird, es seien gar nicht seine Kinder. Für Familien ist es sehr problematisch, wenn solche Vorwürfe erhoben werden. Deswegen ist es, denke ich, wichtig, dass
es für Familien einen gesetzlichen Rahmen gibt, in dem
sie Klärung finden und in einem weiteren Schritt entscheiden können, ob eine Anfechtung notwendig ist.
Ich glaube, die gefundene gesetzliche Regelung sorgt
dafür, dass einerseits mit der Vaterschaftsanfechtung
kein Schindluder getrieben werden kann, aber andererseits die Interessen aller - insbesondere der Kinder - gewahrt bleiben. Die FDP-Fraktion wird deshalb diesem
Gesetzentwurf zustimmen.
({3})
Das Wort hat der Kollege Dr. Jürgen Gehb für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute ist
ein guter Tag für die materielle Gerechtigkeit und insbesondere für all diejenigen Männer, die es bisher schwer
hatten, aus ihrer babylonischen Gefangenschaft einer
Zahlvaterschaft herauszukommen und besser als bisher zu
klären, ob man als Zahlvater überhaupt der biologische
Vater ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner
Entscheidung vom 13. Februar letzten Jahres uns auch
aufgegeben. Mit dem Gesetzentwurf - er wird offenbar
von allen gelobt -, den wir kurz vor Toresschluss auf den
Weg gebracht haben, werden Ideen sowohl von der FDP
als auch von der Union und der SPD - hier verweise ich
im Übrigen auf den Koalitionsvertrag - umgesetzt.
Aber warum meine ich, dass heute ein guter Tag ist?
Wie ist die Gesetzeslage jetzt? Schließlich beschäftigt
sich nicht jeder in diesem Saal oder vor dem Fernsehschirm von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit
dem Anfechtungs- und Abstammungsrecht. Die Menschen haben auch noch etwas anderes zu tun.
({0})
Bisher ist es nur möglich, sich von der rechtlichen
Stellung als sogenannter rechtlicher Vater oder Zahlvater, der man aufgrund gesetzlicher Vermutungen ist, zu
lösen, indem man ein Anfechtungsverfahren einleitet,
das auf dem Grundsatz „Alles oder nichts“ beruht. „Alles“ bedeutet die sofortige Lösung der Familienbande
mit der sofortigen Beendigung der Unterhaltszahlungspflicht. „Nichts“ ist, wenn die Klage abgewiesen wird.
Das Problem ist, dass man bei der Anfechtungsklage für
den Vater oder auch Nichtvater, den Zweifel quälen, sehr
hohe Hürden geschaffen hat, um überhaupt die Eintrittskarte dafür zu bekommen, dass in einem forensischen
Verfahren mit molekularbiologischem Gutachten geklärt
wird, ob er der Vater ist oder nicht, ob er anfechtungsberechtigt ist.
Wir haben - nicht zuletzt bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht - einen dualen Weg gewählt, wie es
so schön heißt, indem wir zwei Verfahren nebeneinander
stellen. Bei dem einen Verfahren steht zunächst nur die
Frage im Raum - welche Konsequenzen zu ziehen sind,
wird erst einmal ausgeblendet -: Stammt das Kind, dessen Vaterschaft ich anerkannt habe oder dessen Vater ich
aufgrund der gesetzlichen Annahme bin, da ich mit der
Kindesmutter verheiratet bin, leiblich von mir ab? Bei
diesem Verfahren sind die Hürden bei weitem nicht so
hoch gelegt. Eigentlich bestehen gar keine Hürden. Der
Vater, der es wissen will, geht zu der Mutter, mit der er
zusammenlebt, und sagt: Ich habe arge Bedenken, dass
das Fritzchen von mir ist. Es hat so eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Nachbarn. - Daraufhin kann die
Frau sagen: „Jawohl, du hast recht“ und beichtet. Dann
ist im Grunde genommen die Anfechtung unkompliziert.
Aber wir haben es in der Regel mit dem Fall zu tun, dass
die Kindsmutter dies bisher verhindert hat. Deswegen ist
man auf heimliche Vaterschaftstests ausgewichen, zu denen ich - ähnlich wie Cato mit ceterum censeo in den
Senatsverhandlungen - noch kommen werde. In den Fällen, in denen die Mutter ihre Einwilligung zur Entnahme
eines Haares oder eines anderen molekularbiologischen
Refernzmaterials verweigert, ist das Gericht nun, ohne
weitere Beweise zu erheben oder ohne weitere Darlegungen zu verlangen, sofort in der Lage, zu sagen: „Die
Einwilligung wird ersetzt“, oder sogar: Die Untersuchung wird angeordnet.
Nun kommt es darauf an, welches Ergebnis dieses
Klärungsverfahren auf niedriger Flamme zeitigt. Kommt
es zu dem Ergebnis, dass der Vater tatsächlich der Vater
ist, ist Ende der Durchsage. Dann kann die Mutter sagen:
Du hast dich umsonst aufgeregt; du warst wieder einmal
voreilig eifersüchtig. - Die Familie wird in ihrem Frieden trotzdem mächtig gestört sein.
({1})
Ist das Klärungsverfahren aber zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht der leibliche Vater ist, dann hat er die
Möglichkeit, zu sagen - wenn wir ehrlich sind, wird das
in den meisten Fällen so sein -: Da das Kind nicht von
mir abstammt, löse ich mich auch von allen anderen
Pflichten. - Das ist aber nicht zwingend. Er hat auch die
Möglichkeit, zu sagen: Ich belasse es dabei. Was kann
eigentlich der Kleine dafür? Ich habe mich an ihn gewöhnt und zu ihm - genauso wie bei einem adoptierten
Kind - Liebe und Herzlichkeit entwickelt. Ich sehe davon ab, anzufechten. - Das ist ein schönes Ergebnis, viel
besser als vorher, als es nur die Alles-oder-nichts-Lösung gab. Aber er hat auch die Möglichkeit, zu sagen:
„Jetzt will ich es nicht nur bei der Feststellung belassen,
nicht der Vater zu sein; ich möchte mich auch von allen
damit verbundenen Pflichten lösen“, und er ficht an.
Nun haben wir im Laufe des Verfahrens den Gesetzentwurf ein bisschen geändert. Zuerst sah der Regierungsentwurf vor, dass man im Anfechtungsverfahren
- genauso wie es das Bundesverfassungsgericht in einem Obiter Dictum gesagt hat - das Kindeswohl berücksichtigen muss. Im Anfechtungsverfahren soll das Kindeswohl aber keinesfalls schlechter berücksichtigt
werden als heutzutage. Deswegen sah der Entwurf zuerst
nicht nur im Klärungsverfahren, sondern auch im Anfechtungsverfahren die Möglichkeit vor, auf Einspruch
des Kindes oder der Mutter, die das als Sachwalterin geltend macht, die Anfechtungsklage abzuweisen. Das haben wir Gott sei Dank übereinstimmend mit den Kollegen von der SPD-Fraktion wieder eliminiert, weil wir
gesagt haben: Das Kindeswohl ist eigentlich ausreichend
berücksichtigt, indem wir erstens im Klärungsverfahren
die Möglichkeit der Aussetzung gewähren, wenn das
Kindeswohl gefährdet ist, und zweitens die Frist, binnen
derer angefochten werden muss, bei zwei Jahren belassen, damit nicht über Jahre das Damoklesschwert über
dem Familienfrieden schwebt und der Mann möglicherweise eine Art Erpressungspotenzial in die Hand bekommt nach dem Motto: Liebe Frau, bring mir einmal
die Latschen und mach mir das Essen warm! Wenn du
nicht spurst, dann werde ich anfechten. - Das wäre ein
unerträgliches Verhältnis. Deswegen belassen wir es bei
der Zweijahresfrist, binnen derer angefochten werden
muss, und zwar von dem Zeitpunkt an, zu dem der Vater
den Anfechtungsgrund kennt.
Ich weiß schon, dass die mir nachfolgenden Redner,
wie sie das in den Berichterstattergesprächen und auch
in der Rechtsausschusssitzung gemacht haben, genau
das wieder geißeln werden. Es ist eben das Los von uns
Abgeordneten, dass wir vieles immer wieder gebetsmühlenartig vortragen. Dennoch: Ich finde, diese Lösung ist
gelungen. Sie steht auch im Einklang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Ich will aber noch auf einen Punkt kommen, den Sie,
Frau Ministerin, eben zur Ouvertüre Ihres Beitrags gemacht haben. Sie sagten, das Bundesverfassungsgericht
habe die heimlichen Vaterschaftstests verboten. Genau
das hat es nicht gemacht. Das Bundesverfassungsgericht
hat gesagt, dass es gegen das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung des Kindes verstößt, wenn diese Daten im Gerichtsverfahren eingebracht und dort verwendet werden; denn Adressat unserer Grundrechte ist in allererster Linie der Staat, der Hoheitsträger, und das
Gericht begegnet in dem Moment dem Anfechtenden als
Hoheitsträger. Es ist keineswegs gesagt, dass damit die
Einholung eines heimlichen Gutachtens verboten wäre.
Schon gar nicht ist nach dem gegenwärtigen Gesetz ein
Verstoß strafbewehrt.
({2})
Davor kann ich auch nur warnen. Deswegen komme ich
jetzt zu meinem ceterum censeo, nicht zu dem ceterum
censeo Carthaginem esse delendam, sondern zu dem ceterum censeo, dass ich heimliche Vaterschaftstests nicht
für überflüssig halte. Wenn ein zweifelnder Vater entweder bei seiner Frau mit der Idee vorstellig wird, sich untersuchen zu lassen, oder gar schon zum Gericht rennt
und damit sein Anliegen öffentlich - notorisch - macht,
dürfte der Familienfrieden gefährdet sein. Weil Sie eben
gesagt haben, in 80 Prozent der Fälle komme man eher
zu dem Ergebnis, dass die Zweifel an der Vaterschaft
ausgeräumt werden, frage ich Sie: Warum lässt man
nicht dem zweifelnden Vater nur für sich selber, nicht
zur Verwertung vor Gericht und nicht zu Beweiszwecken, sondern nur zur Selbstvergewisserung die Möglichkeit, einen Test durchzuführen? Wenn dieser Test zu
dem Ergebnis kommt, dass er der Vater ist, dann wird
der Mann Abbitte leisten, vielleicht mit einem Rosenstrauß nach Hause kommen und sagen: Alles bestens,
liebe Frau. ({3})
Aber wenn öffentlich das Abstammungsverfahren und
dann auch noch das Anfechtungsverfahren in Gang gesetzt sind, dann, so glaube ich, ist der Familienfrieden
nicht mehr zu retten. Ich hoffe, wir alle sind noch zu retten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Diese Wortspielereien kenne ich aus der Grundschule.
Manche behalten ihr kindliches Gemüt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte gleich darauf kommen, was der Gesetzentwurf bezweckt; denn es muss nicht alles fünfmal wiederholt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat gefordert,
dass parallel zum Anfechtungsverfahren ein isoliertes
Klärungsverfahren eingeführt wird, das nicht die rechtlichen Bindungen zu dem Kind beenden soll. Anspruchsberechtigt sind Mutter, rechtlicher Vater und Kind.
Ich will gleich auf den Knackpunkt kommen - Herr
Gehb hat schon darauf hingewiesen, dass die nachfolgenden Redner das kritisieren werden -: die Kinderschutzklausel. Man kann durch das Klärungsverfahren
zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um den Vater des
Kindes handelt oder nicht, oder aber durch eine freiwillige Erklärung, indem man die Vaterschaft erklärt, ohne
dass das Gericht eingeschaltet wird.
({0})
- Das ist der Problemfall. - Da ist nämlich die im Klärungsverfahren eingeführte Kinderschutzklausel nicht
relevant, weil es kein gerichtliches Klärungsverfahren
gibt. Bei der gegenwärtigen Rechtslage - auch das haben
Sie schon gesagt - kann man nicht vor Gericht gehen
und die Vaterschaft anfechten, weil man glaubt, nicht der
Vater des Kindes zu sein. Dann wird man gefragt, warum
man die Vaterschaft anficht, aufgrund welcher Umstände
man dazu kommt und welche Tatsachen man anführen
kann, um die Vermutung zu belegen, dass man nicht der
Vater des Kindes ist. Man muss substantiiert vortragen,
wie der Jurist sagt. Mit dem Klärungsverfahren fällt dieser Vortrag jetzt weg. Das ist im Grunde eine verbilligte
Eintrittskarte in das Anfechtungsverfahren.
In diesem Zusammenhang will ich aus der Begründung des ersten Gesetzentwurfs zitieren, in dem die Kinderschutzklausel noch stand. Dort heißt es:
Die Anfechtungsberechtigung soll zum Schutz des
Kindes … eingeschränkt werden. Dies ist erforderlich, weil durch den neuen Anspruch auf Klärung
der Abstammung sehr viel leichter als bisher die
Kenntnis erworben werden kann, dass der rechtliche Vater nicht der biologische Vater ist.
Es heißt weiter, hier müsse
ein Korrektiv geschaffen werden, das in Ausnahmefällen die Anfechtung ausschließen kann.
Dabei wird auf das Bundesverfassungsgericht Bezug genommen; das ist völlig korrekt.
({1})
Nach den Beratungen im Ausschuss wurde diese Regelung zum Schutz des Kindes aber komplett gestrichen,
und zwar mit der Begründung: Das haben wir bislang
auch nicht gehabt; das Bundesverfassungsgericht müsste
die Kinder besserstellen.
({2})
- Das erleichterte Verfahren hatten wir bislang auch
nicht; genau so ist es.
({3})
- Nein, das sehen Sie falsch.
Die Rechte der Kinder werden hier wieder missachtet.
({4})
Die Kinder haben sich ihre Eltern nicht ausgesucht: weder die sozialen noch die biologischen noch die rechtlichen. Wenn Personenidentität besteht, ist das natürlich
ideal; aber das ist hier nicht der Fall.
Trotz aller positiven Aspekte, die der Gesetzentwurf
bietet - Stichwort: Beibehaltung der Zweijahresfrist -,
fehlt einiges. So finden sich die Mindeststandards für die
genetischen Untersuchungen nicht wieder. Frau Zypries
hat von gründlichen Verfahren gesprochen. Da muss
man sich fragen: Was ist mit den Ergebnissen von nicht
gründlichen Verfahren? Sind sie relevant, kann man sich
darauf verlassen, oder bleiben Restzweifel? - Ich
komme zu einer weiteren Formulierung: aus Kostengründen. Hier geht es um Abstammung. Es geht darum,
Kenntnis darüber zu erlangen, von wem man stammt.
Kann man in solch einem Fall mit Kostengründen argumentieren?
Während die Entnahme einer genetischen Probe im
Gesetzentwurf geregelt ist - man muss eine genetische
Probe vom Arzt entnehmen lassen, sich mit einem Lichtbildausweis ausweisen; wenn das Kind noch keinen
Lichtbildausweis hat, muss eine Geburtsurkunde vorgelegt werden -, ist nicht geregelt, wie nach der Entnahme
mit den genetischen Proben zu verfahren ist. Es heißt,
das Gericht kann die Entnahme und die Untersuchung
anordnen. Aber die Möglichkeit der Anordnung einer
Untersuchung ist ursprünglich nicht im Gesetzentwurf
aufgenommen worden; das hat der Bundesrat vorgeschlagen.
Weiter heißt es: Das alles wird irgendwann im Gendiagnostikgesetz geregelt. Wann, wissen wir nicht, aber
irgendwann wird es geregelt. Im BGB können wir es
nicht regeln, also lassen wir es.
Die Regelungen zum Datenschutz sind zu dünn, es
gibt keine Standards für die Untersuchung, die Kinderschutzklausel ist gestrichen. Deshalb werden wir diesem
Gesetz - bei allen positiven Aspekten - nicht zustimmen.
Danke.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf sollen Väter
künftig die erleichterte Möglichkeit erhalten, legal klären zu können, ob sie der biologische Vater eines Kindes
sind, ohne die Vaterschaft zugleich rechtlich anfechten
zu müssen. Das unterstützen wir grundsätzlich. Schon
unter Rot-Grün, Herr Gehb, hat eine Beratung über ein
solches Verfahren stattgefunden.
Mit dieser Regelung soll auch den heimlichen Vaterschaftstests Einhalt geboten werden. Als Bürgerrechtspartei haben sich die Grünen von Anfang an gegen heimliche Vaterschaftstests ausgesprochen.
({0})
Unterstützt wurden wir in dieser Auffassung vom Bundesverfassungsgericht. Es entschied nämlich, dass heimliche Tests gerichtlich nicht verwertet werden dürfen,
weil das das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Kindes verletzen würde.
({1})
Stattdessen forderte das Bundesverfassungsgericht ein
vereinfachtes Verfahren zur Klärung der Vaterschaft.
Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt jetzt vor, aber
es ist ein Gesetzentwurf mit Schieflage: zugunsten der
Väter - Sie haben ja schon gejubelt -, aber zulasten der
Kinder. Ich frage mich, woher dieses große Misstrauen
vieler Männer gegenüber der Mutter des gemeinsamen
Kindes kommt, wenn es um die Frage ihrer biologischen
Vaterschaft geht. Bei über 80 Prozent der circa 20 000
Tests steht fest, dass es sich bei dem Zweifler um den biologischen Vater handelt. Ich frage Sie: Ist es Zufall, dass
die Zweifel meist im Vorfeld von Scheidungen auftauchen? Ist es Zufall, dass die Frage der Vaterschaft zur
materiellen Frage des Unterhalts degradiert wird? - Ich
glaube, nicht.
({2})
Es ist gut, dass die Koalition dem Petitum der Sachverständigen Rechnung getragen hat, die Anfechtungsfrist nach der Vaterschaftsklärung nicht neu beginnen zu
lassen. Man muss doch keine Hellseherin sein, um schon
jetzt sagen zu können: Auch das neue Verfahren zur Klärung der Vaterschaft wird meist genutzt werden, wenn
eine Beziehungskrise besteht. Diese Krise wird dann auf
dem Rücken des Kindes ausgetragen. Denn das neue
Verfahren stellt es - ohne irgendwelche Hürden - nahezu in das Belieben des rechtlichen Vaters, sich jederzeit von dem Kind - auch nach einem längeren Zusammenleben - und den Unterhaltsansprüchen zu lösen, es
sei denn, die Mutter kann beweisen, dass der rechtliche
Vater schon vorher Grund zum Zweifel hatte. Dann wäre
die Anfechtungsfrist von zwei Jahren in der Regel verstrichen.
Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber nahegelegt, ein Gegengewicht zu
dieser erleichterten Kenntnisverschaffung herzustellen.
So sollte es unter besonderen Bedingungen nicht gleich
zu einer Beendigung der rechtlichen Vaterschaft kommen, wenn dadurch das Kindeswohl erheblich beeinträchtigt wäre. Eine Kinderschutzklausel im Anfechtungsverfahren wäre also ein geeignetes Mittel.
({3})
Diese hat die Koalition aber aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf gestrichen.
Nun wenden Sie ein, dass das Kindeswohl bereits im
Klärungsverfahren geprüft wird. Was ist eigentlich mit
den Fällen - Herr Wunderlich hat gerade etwas dazu
gesagt -, in denen die Mutter unter dem Druck eines formalen Klärungsverfahrens, das jetzt besteht, dazu gebracht wird, einer einvernehmlichen Klärung zuzustimmen?
({4})
Im anschließenden Anfechtungsverfahren spielt das Kindeswohl dann keine Rolle mehr.
({5})
Da sagen Sie: Die Gerichte werden es schon richten. Ich
finde, es ist besser, man hat klare Gesetze.
({6})
Wir werden durch dieses Gesetz nicht alle heimlichen
Tests verhindern können. Darum ist es umso wichtiger,
dass die Labore in die Verantwortung genommen werden. Bisher untersuchen viele auch die illegal gewonnenen Gewebeproben. Ich finde, das ist nicht hinnehmbar.
({7})
Darum fordern wir Grünen in einem Gendiagnostikgesetz, das diesem Hause als Entwurf vorliegt, nicht nur
klare Qualitätsstandards, sondern auch eine Ahndung als
Straftat für die Labore - nicht für die Väter, Herr Kollege Gehb -, wenn das Einverständnis der Sorgeberechtigten nicht vorliegt. Ich wundere mich wirklich, dass
jetzt gesagt wird, im BGB könne man die Qualität der
Labore nicht regeln, das werde alles im Gendiagnostikgesetz geregelt. Wann legen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Entwurf eines Gendiagnostikgesetzes vor?
Ich komme zum Schluss. Wir unterstützen das Ziel
der erleichterten Klärung der Vaterschaft. Die konkrete
Ausgestaltung ist unseres Erachtens aber nicht ausreichend kindeswohlorientiert. Darum werden wir uns der
Stimme enthalten.
Vielen Dank.
({8})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Christine Lambrecht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man am Ende einer
Debatte spricht, hat man den großen Vorteil, dass man
nicht alles wiederholen muss, sondern auf vieles von
dem, was gesagt wurde, eingehen kann. Eingehen
möchte ich auf die mit diesem Gesetzentwurf verbundene Zielsetzung - sie wurde bereits angesprochen -:
Wir versuchen, heimliche Vaterschaftstests so gut wie
möglich auszuschließen. Auf der anderen Seite wollen
wir dem berechtigten Anliegen auf Klärung der Vaterschaft Rechnung tragen. Ich glaube, das ist mit diesem
Gesetzentwurf hervorragend gelungen.
({0})
Lassen Sie mich jetzt zu einigen Punkten kommen,
die in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz so
konsensual behandelt worden sind. Herr Gehb, manchmal fällt es mir schwer, Ihnen zu widersprechen. Sie haben die Frage gestellt: Warum lassen wir heimliche Vaterschaftstests nicht einfach zu?
({1})
- Gut, dann nehme ich das zurück. - Ich will noch einmal begründen, warum wir keine heimlichen Vaterschaftstests wollen.
({2})
Solche Tests entsprechen nicht unserem Familienbild.
Wenn ein Vater Zweifel daran hat, dass er der biologische Vater eines Kindes ist, dann sollte das in einer fairen Partnerschaft - egal ob mit oder ohne Trauschein zuerst einmal innerhalb der Familie besprochen werden;
es sollten dann nicht heimlich Spucke oder Haare entnommen werden.
({3})
Als Mann sollte man so viel Mumm haben, mit seiner
Partnerin darüber zu sprechen, und nicht diesen heimlichen Gang machen. Es geht dabei um die Rechte der
ebenfalls Betroffenen, nämlich der Mütter und der Kinder. Sie sollten damit einverstanden sein, dass ihr Erbgut
untersucht wird. Schon allein aus diesem Grund darf es
keine heimlichen Vaterschaftstests geben.
({4})
Die Kinderschutzklausel ist immer wieder angesprochen worden. Wir haben es im Ausschuss schon besprochen. Da wir hier aber nicht unter uns sind, verweise ich
ganz kurz auf Folgendes: Das Bundesverfassungsgericht
gibt uns zu Recht auf, eine Kinderschutzklausel bzw. einen Standard einzuführen, der im bisherigen Anfechtungsverfahren nicht gegeben ist. Dieses Erfordernis erfüllen wir durch die Kinderschutzklausel, die nunmehr
im vorgelagerten Klärungsverfahren verankert ist. Wir
sind nämlich der Meinung, dass das erste Verfahren aus
der Sicht des Kindes entscheidend ist. Wenn ein Kind,
das in einer vermeintlich intakten Familie lebt, auf einmal erfährt, dass der Vater, mit dem es jahrelang zusammen in einer Gemeinschaft gelebt hat, nicht sein biologischer Vater sein soll, dann ist der Moment gekommen, in
dem dieses Kind Schutz braucht. Das ist der entscheidende Moment.
({5})
Da wird das Kind beeinträchtigt, und deswegen braucht
es in diesem Moment Schutz.
Deswegen sind wir zu der Auffassung gelangt: Wir
brauchen die Kinderschutzklausel in diesem Moment
und nicht dann, wenn es darum geht, ob Unterhalt gezahlt wird, ob es ein Besuchsrecht gibt oder ob weiß der
Teufel welche rechtlichen Regelungen getroffen werden.
Da, wo es an die Substanz der kindlichen Seele geht,
brauchen wir die Kinderschutzklausel.
({6})
Wir sorgen dafür, dass dann, wenn es tatsächlich zu
einer solchen sehr schwierigen Situation für ein Kind
kommt, das Verfahren schnell durchgeführt wird. Wenn
sich ein Vater so entscheidet, dann muss alles innerhalb
von zwei Jahren ablaufen. Er bekommt Kenntnis davon,
dass er vielleicht nicht der Vater ist, klärt das in der Familie, führt das Klärungsverfahren durch und muss dann
auch das Anfechtungsverfahren durchführen, und das alles in zwei Jahren. Da das eine sehr kurze Zeit ist, reicht
es aus, die Kinderschutzklausel im Klärungsverfahren,
diesem für das Kind entscheidenden Moment, einzuführen.
({7})
Frau Schewe-Gerigk und Herr Wunderlich, Sie haben
gesagt, in den Fällen, in denen es einvernehmlich zum
Klärungsverfahren kommt, werde der Kinderschutz
nicht entsprechend gewahrt. Haben Sie doch ein bisschen mehr Vertrauen zu Müttern!
({8})
Mütter wissen, ob ihre Kinder von einem solchen Klärungsverfahren betroffen sind, und sie werden dann ein
solches Verfahren nicht einfach durchlaufen lassen, sondern sehr wohl die Interessen ihrer Kinder vertreten. Da
sollten wir ein bisschen mehr Mut haben, den Müttern zu
vertrauen, und nicht in die gleiche Falle tappen, in die
immerhin 80 Prozent der Männer tappen, die fälschlicherweise vermuten, sie seien nicht der biologische Vater.
({9})
Ich glaube, dass wir eine ausgewogene Entscheidung
getroffen haben, die verschiedenen Interessen berücksichtigt haben und mit dieser Regelung leben können.
Vielen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Klärung
der Vaterschaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8219, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6561 und 16/6649 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion,
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf des Bundesrates über genetische Untersuchungen zur Klärung der Abstammung in der Familie.
Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8219, den
Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/5370
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der
Fall. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung von allen Mitgliedern des Hauses abgelehnt. Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Priska
Vizepräsidentin Petra Pau
Hinz ({0}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Hungern in der Überflussgesellschaft - Maßnahmen gegen die Magersucht ergreifen
- Drucksache 16/7458 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt Themen, die viele Menschen berühren, die aber
in der Politik ein Schattendasein fristen. So ist das auch
beim Thema Magersucht. Während seit Jahren darüber
diskutiert wird, dass über die Hälfte der Deutschen zu
dick ist, spielt das gegenteilige Phänomen, die Magersucht, kaum eine Rolle. Dabei leiden 1,4 Millionen Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren unter den Symptomen einer Essstörung. Schon neunjährige Mädchen
machen Diäten, die häufig die Einstiegsdroge für Magersucht sind.
Was ist der Grund dafür? Magersucht hat immer viele
Ursachen: Auf der einen Seite ist sie eine Form des seelischen Verhungerns, auf der anderen Seite spielt unser
gesellschaftliches Schönheitsideal eine nicht zu unterschätzende Rolle; vor allem Frauen können gar nicht
dünn genug sein. Dabei ist Magersucht eine unterschätzte und oft tödlich verlaufende Krankheit, an der
zwischen 100 000 und 200 000 Personen, davon
90 Prozent Frauen, leiden. Magersucht ist die Erkrankung mit der höchsten Todesrate unter jungen Frauen:
Bei über 15 Prozent der Erkrankten führt sie zum Tode,
wie die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen feststellte. Wer die Krankheit überlebt, hat trotzdem
schlechte Heilungschancen: Nur knapp jede zweite Erkrankte kann wirklich geheilt werden.
Wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass sich in
Deutschland, in einer Überflussgesellschaft, junge
Frauen für ein fragwürdiges Schönheitsideal zu Tode
hungern. Wir müssen handeln.
({0})
Hier ist die Gesellschaft, aber auch die Politik gefragt.
Bei diesem fragwürdigen Schönheitsideal spielt die
Modebranche naturgemäß eine gewichtige Rolle. Die
Magermodels sind die Vorbilder für viele Essgestörte.
Kaum irgendwo hat das Dünnsein einen so großen Stellenwert. Meist männliche Spitzendesigner - ich will hier
keine Namen nennen - entwerfen Modelle für Knabenfiguren, und die Models müssen sich hineinhungern. Erst
die Todesfälle mehrerer Models haben zu einem Problembewusstsein geführt. Länder wie Italien, Spanien
und Österreich haben Vereinbarungen mit der Modebranche abgeschlossen und einen Antimagersuchtkodex
vereinbart. So war es nur konsequent, dass in der letzten
Woche bei der Madrider Modewoche drei Models nach
Gewichtskontrollen ausgeschlossen wurden. Genau das
brauchen wir auch in Deutschland.
({1})
Darum haben wir, die Grünen, im Dezember einen Antrag mit umfangreichen Forderungen eingebracht.
Ich habe mich sehr gefreut, dass Ministerin Schmidt
und einige ihrer Kolleginnen mit einigen Prominenten
eine Kampagne gegen den Magerwahn ins Leben gerufen haben. Es ist sicher ein Gewinn für die Kampagne,
dass sich prominente Unterstützerinnen gefunden haben,
die selbst der Glamourwelt entstammen; aber Glamour
ist nicht alles. Der mediengerecht inszenierten Selbstdarstellung müssen jetzt endlich auch Taten folgen.
({2})
Da reicht es nicht, wenn Ministerin Schmidt auf der
Düsseldorfer Modemesse in einen Dialog mit der Branche eintritt. Wir brauchen endlich verbindliche Selbstverpflichtungen der Modeindustrie.
({3})
Auch die Modelagenturen tragen eine Verantwortung.
Sie sollten die Richtlinien der Academy of Eating Disorders anwenden und keine untergewichtigen Models einsetzen. Magersüchtige gehören nicht auf den Laufsteg;
Magersüchtige gehören in ärztliche Behandlung.
({4})
Nicht immer sind Allgemeinmediziner und -medizinerinnen - sie sehen die kranken Frauen oft als Erste - in
der Lage, die Krankheit zu erkennen und gezielt zu behandeln. Darum fordern wir nicht nur eine bessere Ausund Weiterbildung, sondern auch Leitlinien für die Diagnose und Behandlung sowie eine verbesserte Forschung.
Auch wenn es nicht in der Bundeskompetenz liegt:
Wir brauchen einen Ausbau und eine bessere Vernetzung
der Beratungsstellen, die über ein enormes Fachwissen
verfügen und oft die erste Ansprechstelle für die jungen
Frauen sind.
Magersucht ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem: An dieser psychischen Erkrankung leiden auch die
Angehörigen mit. Darum sind kostenlose TelefonhotIrmingard Schewe-Gerigk
lines und Internetberatung für Betroffene und ihre Angehörigen unabdingbar. Die Themen Essstörungen und
Schönheitsideale gehören aber auch in den Schulunterricht. Kinder müssen lernen, dass Nahrungsmittel Lebensmittel - wirklich Mittel zum Leben - sind.
({5})
Der Umgang mit Lebensmitteln muss genauso wie die
Mathematik erlernt werden.
Das Thema Essstörungen ist komplex. Es umfasst
nicht nur die Magersucht, sondern auch die Bulimie und
die Fettsucht. Alle Krankheitserscheinungen haben aber
eines gemeinsam: Sie sind ein Hilfeschrei. Wir alle stehen in der Verantwortung. Das, was die Politik beitragen
kann, haben wir in unserem Antrag formuliert. Lassen
Sie uns in den Ausschüssen darüber diskutieren, welche
Hilfen wir den jungen Menschen anbieten können.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren an dieser Stelle häufig über das
Problem der Kinderarmut. Wenn man den Titel des vorliegenden Antrags - „Hungern in der Überflussgesellschaft“ - liest, will man ihn eigentlich in diesen Problemkreis einordnen; aber es geht heute um etwas ganz
anderes, einen eigentlich paradoxen Zusammenhang.
Denn anders als in der Nachkriegszeit muss heute niemand mehr hungern, weil Nahrungsmittelknappheit bestünde. Im Gegenteil, gerade in finanziell ärmeren
Schichten ist Übergewicht überproportional vertreten.
Wenn es heute um Hunger und Magersucht geht, dann
haben wir es mit anderen Ursachen zu tun. Das kann ein
falsches Schönheitsideal sein; häufig geht es aber eben
auch um massive Entwicklungsstörungen. Die Krankheit, mit der wir es zu tun haben, beruht dann letztendlich auf der Weigerung, erwachsen zu werden, oder auf
einem fehlenden Selbstwertgefühl. Die Betroffenen,
meist junge Mädchen oder Frauen, brauchen es dann für
ihr Selbstwertgefühl, die totale Kontrolle über den eigenen Körper, das Hungergefühl und das Gewicht zu haben, und setzen sich da sehr stark unter Druck.
Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass Magersucht und Fehlernährung gravierende Probleme sind.
Es kann sogar Todesgefahr bestehen. Wir müssen das
ernst nehmen, und wir tun das, allerdings nicht erst, seitdem die Grünen diesen Antrag vorgelegt haben. Bereits
ein halbes Jahr vor diesem Antrag hat meine Fraktion einen Fachkongress mit Experten zum Thema „Heranwachsende vor Fehlernährung schützen“ durchgeführt,
und schon im Mai 2007 hat die Koalition einen Antrag
zu dem Thema der richtigen Ernährung mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog eingebracht, den der
Deutsche Bundestag auch angenommen hat.
Schließlich hat die Bundesregierung fast zeitgleich
mit dem heute hier zu debattierenden Antrag mit einem,
wie ich finde, beeindruckenden Aufwand, nämlich mit
der Beteiligung der drei zuständigen Ministerinnen,
({0})
Frau von der Leyen, Frau Schmidt und Frau Schavan, in
seltener Eintracht zusammen mit weiteren Persönlichkeiten aus den Bereichen Mode, Kultur und Sport, eine
großangelegte Kampagne vorgestellt: „Leben hat Gewicht - gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“.
({1})
Die außergewöhnlich starke Besetzung mit drei zuständigen Ministerinnen zeigt, welche Bedeutung die Regierung diesem Ansatz beimisst.
Aber wichtiger als die Frage, wer als Erster die Idee
aufgebracht hat, den Bundestag damit zu beschäftigen,
ist die Frage, wie wir diesem Missstand abhelfen können. Ich glaube, hier liegen wir inhaltlich gar nicht weit
auseinander.
Im Mittelpunkt muss natürlich die Prävention stehen.
Wir müssen ein Bewusstsein für ein realistisches, positives Körpergefühl schaffen, das keinen absurden Schönheitsidealen nachhängt. Generell müssen wir infrage
stellen, ob das Aussehen eines Menschen überhaupt
diese Bedeutung haben darf. Das muss man relativieren
und ein Stück tiefer hängen; da gelten doch ganz andere
Werte, die viel wichtiger sind.
({2})
Wir brauchen mehr Forschung über die Ursachen der
krankhaften Magersucht, und wir müssen das Wissen
über die Zusammenhänge zwischen Sport, Gesundheit
und Ernährung verstärken. An dieser Stelle kann man
dann auch sagen: Wer gesund und sportlich ist, tut damit
vielleicht auch etwas für ein attraktives Äußeres.
Nach meiner Meinung leisten die Medien da übrigens
teilweise ganz gute Arbeit. Eine undifferenzierte Medienschelte ist da nicht angebracht. Wenn ich in Zeitschriften über Diäten lese, dann geht es eigentlich niemals allein um den Verlust von Zentimetern und Kilos,
sondern immer auch um Tipps für eine gesunde und ausgewogene Ernährung.
({3})
Ich will einige weitere vielversprechende Ansätze
nennen. Der 13. Kinder- und Jugendbericht, der dieses
Jahr noch vorgelegt wird, wird erstmals das Thema Gesundheit in den Mittelpunkt stellen und dabei auch den
Aspekt der Ernährung bzw. der Krankheit durch Fehlernährung aufgreifen. Die Bundesregierung fördert Mo15334
dellprojekte zur Stärkung der Selbsthilfe und Forschungsprojekte zum Thema Essstörung. Ich möchte
hier beispielhaft nur ein einziges Projekt nennen. In diesem Projekt werden Mädchen ab dem sechsten Schuljahr
an die Thematik anhand von Barbiepuppen herangeführt. Dieses Modell war schon in meiner Jugend bekannt. Bei mir hat es nicht zu Magersucht geführt.
({4})
Mit der Mode- und mit der Werbewirtschaft werden
Gespräche mit dem Ziel geführt, eine Selbstverpflichtung zu erreichen. Ich denke, wir sind uns einig, dass
Hungermodels eben nicht auf den Laufsteg gehören.
({5})
Eine letzte Bemerkung. Wir müssen uns klarmachen,
dass es hier eigentlich um eine weitere Variante des Themas „Wie machen wir unsere jungen Menschen stark?“
geht. Wenn man es schafft, junge Menschen stark und
selbstbewusst zu machen, dann ist das der beste Schutz
davor, dass sie sich über ihr Aussehen definieren und
sich durch die Beherrschung des Hungers beweisen müssen, dass sie sich selbst unter Kontrolle haben.
({6})
Wir müssen jungen Menschen die Kraft geben, in die
neue Rolle eines Erwachsenen hineinzuwachsen. Ob der
Antrag der Grünen dazu neue Aspekte enthält, werden
wir im Rahmen der parlamentarischen Beratung sehen.
Ich freue mich darauf und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Ina
Lenke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Essstörungen stellen wirklich ein sehr ernstes gesundheitliches Problem dar. Das haben schon alle Rednerinnen
vor mir gesagt. Ich will darauf hinweisen, dass es nicht
nur die jungen Mädchen sind, die Schönheitsidealen
nacheifern und deswegen erkranken.
({0})
Auch junge Männer sind davon befallen. Der Anteil der
17- bis 24-jährigen jungen Männer liegt bei 10 Prozent.
Das sind 90 000 Erkrankte. Jeder kennt einen solchen
Fall in seiner Umgebung. Gott sei Dank sind nicht alle
Betroffenen lebensgefährlich erkrankt.
Frau Schewe-Gerigk, Sie haben auch gesagt, dass
10 bis 15 Prozent der Erkrankten diese Krankheit nicht
überleben. Das ist eine sehr hohe Zahl. Wir müssen uns
alle also große Sorgen machen.
Der Antrag der Grünen listet nur bereits vorhandene
Hilfsangebote auf; Sie fordern noch mehr solcher Angebote. Selbstverpflichtung, Kampagnen und Appelle finden sich in Ihrem Antrag, aber keine neuen Lösungswege.
({1})
Die Kollegin von der CDU/CSU hat die Modebranche erwähnt, die eine Selbstverpflichtung einführen will.
Das halte ich für sehr vernünftig. Die IGEDO, die,
glaube ich, weltgrößte Modemesse in Düsseldorf, hat
dem übertriebenen Schlankheitswahn den Kampf angesagt. Es soll ein nationaler Kodex in diesem Jahr erarbeitet werden. Wir wollen einmal schauen, was dabei herauskommt.
Die Bundesregierung hat mit den drei Ministerinnen
im Dezember letzten Jahres - kurz nachdem Sie den Antrag eingebracht haben, Frau Schewe-Gerigk - diese
Kampagne gestartet. Die FDP unterstützt solche Kampagnen natürlich; das ist ganz klar. Da die Ministerinnen
heute an dieser Debatte aber nicht teilnehmen - auch
wenn es ein Antrag von den Grünen und nicht von der
Großen Koalition ist -, muss man schon die Frage stellen, wie wichtig ihnen dieses Thema überhaupt ist. Das
zeigt mir, dass es sich eher um eine Werbekampagne
handelt, dass die Umsetzung durch irgendjemanden erfolgen soll und die Ministerinnen dieses Thema nicht
nachdrücklich unterstützen.
Der Bundesfachverband Essstörungen hat Richtlinien für Modelagenturen vorgeschlagen. Sie sehen folgendermaßen aus: Das Mindestalter von Models soll
16 Jahre betragen. Die absolute Gewichtsuntergrenze
liegt bei 56,5 Kilogramm, wenn man 1,75 Meter groß
ist. Bei diesen Maßen ist man schon superschlank. Wir
kennen ja alle unsere eigenen Kilos, die wir mit uns herumtragen. Die FDP begrüßt diese Richtlinien. Ich hoffe,
dass die Mode- und Medienbranche eine solche Selbstverpflichtung eingeht.
Mich ärgern auch große Anzeigen für Hautcremes,
auf denen bekannte Models zu sehen sind. Ein Model,
das schon auf die 40 zugeht, sieht wie gemalt aus. Es
wird ein Gesicht gezeigt, das in seiner Makellosigkeit
wie ein Babygesicht aussieht. Vielleicht wissen Sie, um
wen es geht. Ich will nicht unbedingt den Namen nennen. Da frage ich mich, wie man mit fast 40 Jahren keine
Falten haben kann. Das gibt es einfach nicht. Das Bild
ist so stark bearbeitet, dass es unwirklich ist.
Sie wissen auch, dass Models auf einem Foto durch
Computerbearbeitung noch schlanker gemacht werden,
als sie sind. Wenn dann 14-, 15-jährige junge Mädchen
diese Schönheitsideale auf einem Foto sehen, die aber
nicht der Wirklichkeit entsprechen, und diesen dann
nacheifern wollen, dann gibt es wirklich große Probleme. Denn kein Mensch kann diese Pseudoschönheiten erreichen, auch die Models nicht.
({2})
Was ist also wichtig? Dazu hat Frau WinkelmeierBecker etwas gesagt, was ich wiederholen möchte.
Wichtig ist nicht, ob man Kleidergröße 34 oder 36 hat;
wichtig sind ein gepflegtes Aussehen und eine starke eigenständige Persönlichkeit. Die Eltern, die Schule und
alle anderen haben einen großen Anteil daran, dass das
stärker im Vordergrund steht.
Ich will Ihnen eine Werbung zeigen, die mir nicht erst
anlässlich dieser Diskussion ins Auge gefallen ist. Ich
meine die Anzeigen der Kosmetikfirma Dove. Kennen
Sie diese Anzeigen, die letzten Sommer erschienen sind?
Ich zeige Sie Ihnen hier. - Ich habe mich jedes Mal,
wenn ich diese Anzeigen gesehen habe, wirklich gefreut.
Da sind Dickere, Dünnere, Schlankere usw. zu sehen.
Alle sind trotz ihrer Unterschiedlichkeit attraktiv. Man
sollte auch einmal die positiven Beispiele in der Werbebranche zeigen.
({3})
Ich kann leider nicht länger als fünf Minuten sprechen; deshalb zum Schluss: Ich habe mir die Homepage
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung angesehen. Liebe Kollegen und Kolleginnen, liebe
Irmingard Schewe-Gerigk, das können Sie wirklich
nicht toppen. Die haben eine super Homepage. Man findet Hilfsangebote in seinem direkten Umfeld. Man
braucht nur seine Postleitzahl anzugeben und findet entsprechende Hilfsangebote. Das ist eine super Sache.
Darauf sollten wir aufbauen und nicht unbedingt noch
etwas Neues machen, was ich für nicht sehr gut halte.
Wir sollten uns diese Ideen anschauen.
Was bleibt nun von den Forderungen der Grünen in
diesem Antrag übrig? Erstens die Forderung eines eigenständigen Werbeverbots für Wunderpräparate zur Gewichtsabnahme; zweitens, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit für dieses Problem zu schaffen. Für
folgenlose Parlamentswerbekampagnen und Ministerinnenkampagnen eignet sich dieses Thema nicht. Lassen
Sie uns deshalb zusammen nach Lösungen suchen. Eine
Selbstverpflichtung der Mode- und Medienbranche wäre
sicher das Richtige; denn Gesetze beseitigen dieses Problem nicht.
({4})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Marlene Rupprecht.
Herr Kollege, das finde auch ich: Schönheit kennt
kein Alter. Und Schönheit kennt auch kein Gewicht; so
ist es.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich gebe Ihnen, Frau Lenke, recht: Wenn es bei dem
Kampagnenstart der drei Ministerinnen, die sich dazu
zusammengeschlossen haben, bleibt, dann war dies hinausgeschmissenes Geld; denn nach all dem, was wir
wissen, ist bei Essstörungen und insgesamt bei Verhalten, das nicht immer nur vom Kopf zu steuern ist, Nachhaltigkeit erforderlich. Nachhaltigkeit kann nur durch
Kontinuität und Regelmäßigkeit sichergestellt werden.
In diesem Fall würde ich Ihnen recht geben. Aber wenn
man einmal anschaut, dass mit dem Start dieser Kampagne ein Programm ins Laufen gebracht wurde, das
wirklich auf Kontinuität angelegt ist, das heißt, dass tatsächlich Forschung betrieben wird - zum Beispiel bei
Essstörungen über zwölf Jahre -, und wenn man sieht,
dass es derzeit bereits entsprechende Forschungsprojekte
gibt und dem Thema der gesunden Ernährung ein ganzer
Kinder- und Jugendbericht gewidmet wird, dann kommt
man zu dem Ergebnis, dass das schon etwas mit Kontinuität und Nachhaltigkeit zu tun hat.
Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion will ich einen
weiteren Aspekt ansprechen. Dabei will ich gar nicht
dem widersprechen, was in Ihrem Antrag steht; aber ich
meine, dass darin viele Aspekte enthalten sind, die bereits mit dieser Kampagne erfüllt werden. Ein Aspekt,
den man in den Mittelpunkt stellen muss und über den
wir vor ein paar Wochen diskutiert haben, ist der, Familien so zu stärken, dass sie ihre Aufgabe wahrnehmen
können, das heißt, Familien in die Lage zu versetzen,
dass Vater und Mutter ihre Kinder annehmen können.
Nichts ist besser, als wenn ein Kind vermittelt bekommt:
So wie du bist - du brauchst dich nicht erst so oder so zu
verändern -, bist du angenommen. - Das ist die beste
Prävention, und die kostet nichts, außer dass man den Eltern vielleicht zeigt, dass man seine Kinder dadurch,
dass man sie in den Arm nimmt, sie streichelt und Nähe
zeigt - das weiß man heute aus der Bindungsforschung;
dadurch werden im Hirn Synapsen geschlossen und angenehme Erinnerungen gespeichert -, stärkt.
({1})
Ich möchte noch einmal betonen, dass es nicht darauf
ankommt, die Norm zu erfüllen. Leben ist vielfältig.
Kleidergröße 34, 36 oder 56 sind nicht die Norm, sondern die Vielfalt ist die Norm. Da, wo krankhafte Züge
an den Tag treten, wo man von Krankheit sprechen
muss, kommt es darauf an, nicht mit Ablehnung und
Moral - nach dem Motto „Wie kannst du nur?“ - zu reagieren. An dieser Stelle ist Hilfe notwendig. Voraussetzung dafür ist aber, dass man den Menschen akzeptiert,
so, wie er ist, ob dick oder dünn, nicht wahr?
(Zuruf des Abg. Ralf Göbel ({2})
- Ja, Herr Göbel, wir haben ja miteinander - Schön.
({3})
Wenn der Mensch akzeptiert wird, wie er ist, ist es
leicht, an ihn heranzukommen. Dann kann man ihm sagen: Komm, wir nehmen eine medizinische Behandlung
in Angriff! Wir schaffen das! - Warum sollte sich ein
Mensch einem Arzt gegenüber öffnen, der ihm von
vornherein signalisiert: So, wie du bist, kann ich dich
Marlene Rupprecht ({4})
nicht annehmen? Voraussetzung dafür ist, dass man den
Menschen so annimmt, wie er ist. Das fängt beim Kleinkind an, setzt sich im Kindergarten und in der Schule
fort, und gilt auch später im Berufsleben.
Sätze wie: „Dich können wir in der Öffentlichkeit
nicht präsentieren!“, „Weil du zu dick bist, bist du nicht
vermittelbar!“, oder: „Weil du zu dünn bist, bist du nicht
vermittelbar!“ halte ich für Diskriminierung. Wir haben
ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet. Danach ist Diskriminierung verboten. Auch diese
Form der Diskriminierung gehört dazu. Ich glaube, dass
wir diese Aspekte viel zu wenig berücksichtigen. Wir
glauben, dass wir alles regeln können, ohne genau hinzuschauen, wie unsere Welt funktioniert.
Wir können zwar Millionen an Forschungsgeldern
ausgeben, wir werden aber nichts erreichen, wenn die
Bereitschaft zur Akzeptanz nicht da ist. Wenn man weiß,
dass man so, wie man ist, akzeptiert wird, dann ist man
gefeit. Dann nimmt man es an, wenn einer zu einem
sagt: „Mir passt das schon. Jedes Pfund an dir liebe ich.“
Das sagt zum Beispiel mein Mann zu mir.
({5})
- Wie soll ich hier über Magersucht reden, wenn ich
mich, so wie ich bin, nicht selber infrage stelle?
Kollegin Rupprecht, der Kollege Burgbacher möchte
Ihnen bei der Einhaltung der Redezeit helfen, indem er
eine Zwischenfrage stellt. Möchten Sie sie zulassen?
Wunderbar, Herr Burgbacher.
Bitte.
Frau Kollegin, hier geht es um Kampagnen. Stimmen
Sie mir zu, wenn ich sage, dass es eine ganz einfache
Kampagne gäbe: Schönheit braucht Platz.
({0})
Ja. Ich will das Thema aber nicht in eine Ecke schieben. Ich will nicht, dass wir darüber lachen. Anorexia
nervosa ist eine Krankheit. Die Betroffenen brauchen
Hilfe, und es bedarf der Sachlichkeit. Die Betroffenen
brauchen aber vor allem eines: Sie müssen so akzeptiert
werden, wie sie sind.
({0})
Dann haben wir das Problem nicht. Dann sind sie nicht
anfällig für diese Werbung. Dann streben sie solchen
Idealen nicht nach. Diese Idealmaße sind keineswegs für
alle ideal. Bei dem einen liegt das Idealgewicht bei
75 Kilogramm, bei dem anderen bei 56 Kilogramm.
({1})
Ich denke, das passt schon. Wir müssen endlich begreifen - das fängt hier im Parlament an -, dass wir den
Menschen, der vor uns steht, so nehmen müssen, wie er
ist. Wir sollten genauer hinhören, was er macht. Wir
sollten den Kindern Vorbilder sein und sie stärken, indem wir sie akzeptieren.
Danke schön.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dr. Martina Bunge das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die moderne Frau soll stark, unabhängig, erfolgreich
und natürlich attraktiv sein, wobei attraktiv häufig mit
schlank gleichgesetzt wird. Einen wesentlichen Beitrag
hierzu liefern unzählige direkte und indirekte Werbebotschaften, die Frauen in einem vermeintlich perfekten,
weil schlanken Körper zeigen.
Auch wenn es ein absurdes Frauenbild ist - ich erinnere an meine Vorrednerin -, das von den Medien tagtäglich vermittelt wird, dem Gebot der Schlankheit können sich Frauen, vor allen Dingen in jungen Jahren,
kaum entziehen. Ja, es wurde gesagt: Auch Männer stehen zunehmend unter dem gesellschaftlichen Druck, den
perfekten Körper anzustreben.
Diäten können ein Einstieg in spätere Essstörungen
wie Magersucht sein, was hier vorrangiges Thema ist.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen greift insofern in
ihrem Antrag ein wichtiges Thema auf. Doch vieles, was
Sie in Ihrem Maßnahmenpaket schreiben, geht meines
Erachtens nicht über die fast zeitgleich gestartete Kampagne der Bundesregierung „Leben hat Gewicht“ hinaus.
({0})
- Einen Tag eher. Ich habe extra nachgesehen.
So wird beispielsweise die Sensibilisierung der Medien so lange ohne nennenswerte Konsequenzen bleiben,
solange immer noch in der Mode-, Werbe- und Medienindustrie die Möglichkeit besteht, mit Schlankheitswahn
und Diätangeboten einen höheren Gewinn zu erzielen.
Dass hier ein großes Potenzial besteht, wird niemand beDr. Martina Bunge
streiten. Denn schließlich wird niemand jemals die vermeintliche Idealfigur erreichen.
Die Ursachen für Essstörungen sind nicht unbekannt.
Sie sind vielfältig und nicht ausschließlich in falschen
Vorbildern zu suchen. Sie stehen insbesondere im Kontext zu den sich verändernden Leitbildern und Anforderungen an Frauen, zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechterrolle, zum starken Konkurrenz- und
Leistungsdruck und auch zur familiären Situation und zu
persönlichen Erlebnissen.
Eine Essstörung kann Ausdruck einer Bewältigungsstrategie sein und Gefühle wie Angst, Überforderung
und Einsamkeit verdrängen. Die Kontrolle über das
Essen kann ein Gefühl bislang unbekannter Sicherheit
und Macht vermitteln, zumindest zu Beginn. Entscheidend ist, dass wir die Existenz, die Gründe und Zusammenhänge einer Essstörung in den Blick nehmen und
Raum und Atmosphäre schaffen, damit sich die Betroffenen äußern können.
({1})
Zudem sind Ansätze zur Prävention von Essstörungen
dringend zu stärken und auszubauen. Kampagnen allein
reichen nicht. Komplexe Präventionsansätze müssen bereits in den jungen Lebensjahren ansetzen und nicht nur
die Risikofaktoren in den Blick nehmen, sondern auch
- es ist gesagt worden - die persönlichen Ressourcen
stärken. Die Ansätze müssen alters- und geschlechterspezifisch sein.
Eine Voraussetzung für gesunde Ernährung ist, die
Mittel dafür zu haben. Armut hat erhebliche Auswirkungen auf das Essverhalten, vor allen Dingen dann, wenn
die Regelsätze - das ist ernährungswissenschaftlich bewiesen - nicht ausreichen. Deshalb lautet auch aus dieser Sicht unsere Forderung: Hartz IV muss weg!
({2})
Schnellstens sollten wir wenigstens ein unentgeltliches
Schulessen einführen, damit eine gewisse Grundlage gelegt werden kann.
({3})
Ich frage mich, wann wir hier endlich einmal - wir haben im Plenum sehr viel über Ernährung und Bewegung
diskutiert - über einen komplexen Ansatz sprechen können, nämlich über das angekündigte Präventionsgesetz.
Dies wäre ein langfristiger, dauerhafter und flächendeckender Ansatz. Aber wie ich heute auf einer Tagung gehört habe: Es steht in den Sternen, ob wir dieses Präventionsgesetz bekommen. Das finde ich sehr schade. Denn
das wäre der Ansatz, den wir brauchen.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rolf Koschorrek für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Ich bin hier nun
der einzige männliche Redner, der das traute Bild der
Damen stört.
({0})
- Ja, gut. - Der von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte
Antrag stellt mit dem Krankheitsbild Magersucht eine
der gefährlichsten Essstörungen in den Mittelpunkt, die
insbesondere unter Jugendlichen und da besonders unter
jungen Frauen besorgniserregend zunimmt.
Das Krankheitsbild und die Gefährlichkeit dieser Erkrankung, der Anorexia nervosa, sind in der Medizin
schon lange bekannt, ebenso wie die verschiedenen anderen Formen von Fehlernährung mit Suchtcharakter wie
Bulimie oder Adipositas. Insofern lässt sich nur feststellen, dass Sie mit diesem Antrag erneut das Augenmerk
auf eine bekannte, sehr ernst zu nehmende Suchterkrankung, das fehlgesteuerte Essverhalten mit extremer Gewichtsabnahme, lenken.
Bekannt sind auch die vielfach dauerhaften körperlichen Schädigungen und seelischen Folgen der Magersucht: ein Mangel an lebenswichtigen Elektrolyten, Entzündungen der Speiseröhre, Herzrhythmusstörungen,
Nierenstörungen bis hin zur Niereninsuffizienz, eine
Einschränkung der Fruchtbarkeit, Knochenerweichungen infolge des Vitaminmangels und nicht zuletzt eine
extreme Schädigung der Zähne. Veränderungen des Eiweißstoffwechsels wirken sich auf die Übertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn aus und führen zu
Depressionen. Zusammen mit der allgemeinen Leistungsfähigkeit sinkt auch die Konzentrationsfähigkeit.
Wir begegnen der Magersucht bereits heute mit einer
umfassenden medizinischen Versorgung, die selbstverständlich auch die Psychotherapie umfasst. Standardmäßig erfolgt die Therapie der Magersucht bei uns nach
Richtlinienpsychotherapie, und wir gewährleisten damit
eine gute Grundversorgung der Erkrankten. Spezielle
Ambulanzen für Essstörungen, Fachärzte, psychosomatische Kliniken, Selbsthilfeeinrichtungen und Beratungsstellen stehen eigentlich in ausreichendem Maße in der
gesamten Bundesrepublik zur Verfügung. Hinzu kommt
das schon vorhin angesprochene umfassende Beratungsangebot im Internet.
Kollege Koschorrek, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Ja. Warum auch nicht?
Herr Kollege, ich würde Sie gerne fragen, ob auch Sie
der Meinung sind, dass die Gesundheitsberufe sowie die
Ärzte und Ärztinnen, wie es im Antrag der Grünen gefordert wird, noch stärker sensibilisiert werden sollten.
Ich komme darauf in meiner Rede noch zu sprechen.
Vielleicht kann ich Ihre Frage dann beantworten.
({0})
- Ich habe eben gesagt, dass eigentlich in ausreichendem
Maße Möglichkeiten vorhanden sind. Was es noch nicht
in ausreichendem Maße gibt, ist die Inanspruchnahme.
Daran müssen wir arbeiten.
({1})
Die Frage, die jetzt beantwortet wird, hat die Kollegin
Lenke gestellt, es sei denn, auch Sie melden sich zu einer Zwischenfrage.
({0})
Wir können das meinetwegen weit auffächern. - Ich
bin mit Ihnen einig, dass wir bei der Erkennung, der
Therapie und der Verbesserung der Diagnosefähigkeit
der Ärzte noch deutlichen Nachholbedarf haben. Aber
daran arbeiten wir.
({0})
Wir haben darüber hinaus eine Reihe von Vorsorgemaßnahmen ergriffen, mit denen wir uns an die potenziell besonders Gefährdeten, die Jugendlichen und speziell die jungen Frauen, wenden. In der Praxis finden die
Betroffenen schon heute ein breites Spektrum ambulanter und stationärer Therapien sowie zahlreiche Angebote
zur psychologischen Hilfe und zu Selbsthilfeeinrichtungen vor. Nicht zuletzt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung bieten den Betroffenen ebenso wie den Gefährdeten und ihren Familien und Freunden Unterstützung an.
Ein Beispiel ist das Therapiekonzept der bundesweit
bekannten Medizinisch-Psychosomatischen Klinik in
meinem Heimatort Bad Bramstedt, die bei der Behandlung der an Essstörungen leidenden Patienten sehr gute
Erfolge vorzuweisen hat. Hier werden verhaltenstherapeutische und medizinische Behandlungen mit einer
Reihe von ergänzenden Therapiemaßnahmen verbunden,
unter Einbindung der niedergelassenen Ärzte aller Fachrichtungen in der gesamten Region.
In dieses Konzept sind alle Ärzte, Psychologen, das
Pflegepersonal, Krankengymnasten und Sport- und Physiotherapeuten ebenso eingebunden wie Diätassistenten,
Ergotherapeuten und Sozialarbeiter, und zwar nicht nur
in der Klinik, sondern auch in der Fläche. Ich finde, das
ist ein Modellprojekt, das wir ausbauen sollten und das
für andere Regionen durchaus Vorbildcharakter haben
kann.
Im Rahmen der Forschungen zur Fehl- und Mangelernährung wird eine breite Palette von Einzelaspekten untersucht. Analysiert werden die psychosozialen und soziokulturellen Ursachen der Nahrungsverweigerung und
der Fehlernährung, die im extremen Fall zu Magersucht
führen. Renommierte Universitäts- und Forschungsinstitute führen Untersuchungen zu den Ursachen der Magersucht sowie zu geeigneten Therapiekonzepten und Therapieaussichten durch.
Es wurde ein bundesweiter Forschungsverbund zur
Psychotherapie von Essstörungen gegründet. An dieser
Stelle möchte ich auf eine laufende Studie hinweisen.
Unter der Leitung der Sprecherin des Forschungsverbundes, Frau Professor de Zwaan, läuft zurzeit an der Psychosomatischen und Psychotherapeutischen Abteilung
des Universitätsklinikums Erlangen in Zusammenarbeit
mit bundesweit acht weiteren Zentren eine Studie zur
Magersucht in Metropolregionen.
Ziel dieser weltweit ersten Multicenterstudie zur ambulanten Therapie ist es, eine Alternative zur Standardtherapie zu entwickeln, um den Betroffenen vor allem
mit Blick auf die bisher unbefriedigende Langzeitwirkung frühzeitig wirksame Hilfe anzubieten. Diese Untersuchung wird vom Bundesforschungsministerium bis
2009 mit mehr als 1 Million Euro gefördert.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass wir bereits
heute vieles tun, um den verschiedenen Ursachen und
Auslösern der Magersucht ein Bewusstsein für gesunde
Ernährung entgegenzusetzen. Es steht eine Reihe von
Präventionsangeboten bereit. Zugleich tun wir bereits
heute viel, um an Magersucht Erkrankten zu helfen,
wenngleich wir sicherlich noch nicht so weit sind, dass
diese Angebote nicht noch verbessert werden könnten.
Das werden wir im weiteren parlamentarischen Verfahren miteinander diskutieren und erarbeiten können.
Vielen Dank.
({1})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin
Dr. Margrit Spielmann das Wort.
Danke. - Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen! An den Beiträgen, die wir heute gehört
haben, wird deutlich, dass es unser Ziel sein muss, dass
über das Thema Magersucht eine breite gesellschaftliche
Debatte geführt wird.
Als Gesundheitspolitikerin möchte ich sagen, dass ich
einige Forderungen Ihres Antrages begrüße. Auch ich
bin für eine stärkere Sensibilisierung hinsichtlich der Erkennung und Behandlung von Essstörungen der in den
Gesundheitsberufen Tätigen.
({0})
Diese Sensibilisierung sollte aber nicht nur für Ärztinnen
und Ärzte gelten, sondern auch für Pädagoginnen und
Pädagogen.
Ich begrüße es, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, sich bei den Bundesländern dafür einzusetzen,
dass an Schulen und in Kitas mehr zum Thema gesunde
Ernährung vermittelt wird.
Ich begrüße es, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, sich dafür einzusetzen, dass in Kooperation
mit Ländern, Kommunen, Krankenkassen, Patientenberatungsstellen Angebote gefördert werden, bei denen
sich Betroffene und Angehörige beraten lassen können.
Ich begrüße die Forderung, die Forschung zur Indikation Magersucht zu verstärken. In besonderer Weise begrüße ich die Forderung, alle Aktivitäten zu bündeln
- auch dies kommt in Ihrem Antrag zum Vorschein und alle mit dem Problem Magersucht Konfrontierten
als Partner zu gewinnen.
Wir unterstützen Ihr Anliegen, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, meinen
aber, dass es schon sehr vielfältige Kampagnen dazu
gibt. Ich möchte einige aufzählen. In den nächsten Monaten wird - das wurde schon genannt - ein Expertengremium unter der Federführung der drei Ministerinnen
konkrete Maßnahmen gegen Magersucht erarbeiten. Die
Ergebnisse sollen auf einem Kongress vorgestellt werden.
({1})
Sie haben die Auftaktveranstaltung der Initiative „Leben hat Gewicht - gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“ als Glamourveranstaltung dargestellt.
({2})
Ich habe andere Rückkopplungen bekommen, auch
wenn ich zugeben muss, dass ich bei dieser Veranstaltung nicht zugegen war. Zu dieser Kampagne gehört die
Thematisierung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit
zusammenhängenden Krankheiten.
Zu den Kampagnen, die zurzeit diskutiert und durchgeführt werden, gehört in besonderer Weise - darauf
legen wir Familienpolitikerinnen großen Wert - das Erstellen und Auswerten des 13. Kinder- und Jugendberichtes bis Ende 2008. Erstmals rückt das Thema
Gesundheit in den Mittelpunkt der Kinder- und Jugendpolitik. Der Bericht soll Aufschluss über Maßnahmen
gegen Essstörungen geben, und in ihm sollen neue Angebote für die Kinder- und Jugendhilfe im Bereich gesundheitsbezogener Prävention formuliert werden.
Zu den Kampagnen gehört auch, dass das Bundesgesundheitsministerium dieses Jahr die Selbsthilfe bei Essstörungen durch ein Modellprojekt stärken wird. Ziel
soll dabei sein, die Selbsthilfepotenziale der Betroffenen
zu fördern und Handlungsempfehlungen für die Zusammenarbeit der Beratungseinrichtungen mit der Selbsthilfe modellhaft zu erarbeiten. Dafür werden in den
kommenden drei Jahren rund 250 000 Euro zur Verfügung gestellt.
Zu den Kampagnen gehört auch - das wurde genannt -,
dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Essstörungen und der Barmer Ersatzkasse Beratungsangebote bewerten wird.
({3})
Das alles sind Kampagnen, die Sie in Ihrem Antrag
fordern, die aber schon auf dem Weg sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in unseren zukünftigen Debatten sollten wir beachten, dass das Schönheitsideal von jungen Frauen und Männern nie das alleinige
Motiv einer Essstörung ist, sondern diese - das macht
auch die heutige Debatte deutlich - durch vielfältige
Faktoren - biologische, familiäre, leistungsbezogene
und psychosoziale Faktoren - bedingt ist, auf die wir uns
in der Diskussion auch einlassen müssen. Deshalb sollte
das Thema nicht allein unter gesundheitspolitischem Aspekt, sondern interdisziplinär behandelt werden. Wir fordern alle, die hier Familienpolitik, Verbraucherschutz
oder Gesundheitsthemen bearbeiten, auf, sich dieser gesamtgesellschaftlichen Diskussion anzuschließen.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7458 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer
({1}), Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Brunhilde
Vizepräsidentin Petra Pau
Irber, Gert Weisskirchen ({3}), Niels Annen,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Demokratische Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen
- Drucksachen 16/5907, 16/7909 Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer ({4})
Gert Weisskirchen ({5})
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({6})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Marina
Schuster, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Katastrophe in Simbabwe verhindern
- Drucksachen 16/4859, 16/6365 Berichterstattung:
Abgeordnete Anke Eymer ({8})
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Monika Knoche
Kerstin Müller ({9})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch, aber immer noch viele laute
Verabschiedungsreden, die mich daran hindern, die Aussprache zu eröffnen und der ersten Rednerin das Wort zu
erteilen. Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen,
die an dieser Debatte nicht teilhaben wollen und noch etwas zu besprechen haben, das an einem anderen Ort zu
tun.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion.
({10})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist schon grotesk: Während in Afrika Menschen verhungern, diskutieren wir hier über Magersüchtige, die nicht essen, obwohl sie im Überfluss vom Nahrungsangebot Gebrauch machen könnten. Dies stellt eine
Schwierigkeit dar, wenn wir hier jetzt über Simbabwe
diskutieren wollen.
Die Situation in Simbabwe ist Ihnen allen aus den
Medien bestens bekannt. Dennoch möchte ich skizzieren, wie es dort jetzt aussieht. Der Abstieg der einstigen
Kornkammer Afrikas ist einzigartig und zugleich derart
erschreckend, dass ich nicht umhin kann, Ihnen diese Situation vor Augen zu führen.
Der bereits in den 80er-Jahren einsetzende wirtschaftliche Verfall ist seit der gewaltsamen Vertreibung der
weißen Siedler vor acht Jahren auf einer Talfahrt, die
laut IWF weltweit ihresgleichen sucht. Die Arbeitslosenquote in Simbabwe wird mittlerweile auf 80 bis
90 Prozent geschätzt. Die Inflation hat geradezu groteske Ausmaße erreicht: Offizielle Stellen beziffern die
Entwertung des Simbabwe-Dollars auf 66 200 Prozent
innerhalb eines Jahres. Unabhängige Fachleute halten
selbst diese Angabe für geschönt; sie gehen mittlerweile
von einer realen Inflationsrate von 150 000 Prozent aus.
Das von der Regierung angeordnete Einfrieren der
Preise hat zu einem vorläufigen Stillstand der wirtschaftlichen Aktivitäten geführt. Die Regale in den Geschäften
sind leer. Nach Hortungskäufen und Plünderungen durch
Sicherheitskräfte und Milizen sind Grundnahrungsmittel
selbst auf dem Schwarzmarkt selten geworden.
Die durchschnittliche Lebenserwartung ist dramatisch
gesunken. Mit lediglich 34 Jahren für Frauen und 37 Jahren für Männer weist Simbabwe heute die niedrigsten
Werte weltweit auf.
Ein Drittel der auf 11 Millionen Einwohner geschätzten Bevölkerung Simbabwes ist außer Landes geflohen,
vor allem nach Südafrika und Großbritannien. Wenn es
bislang noch nicht zu größeren Hungerkatastrophen gekommen ist, dann liegt das nur daran, dass die Flüchtlinge aus dem Ausland ihre zurückgebliebenen Familien
durch Devisentransfers am Leben erhalten.
Der wirtschaftliche Niedergang dieses einst blühenden Landes ist nur der sichtbare Teil der simbabwischen
Tragödie. Für unsere Augen weitgehend unsichtbar und
doch ungleich schlimmer ist die politische Unterdrückung der Bevölkerung. Diese Unterdrückung läuft
anlässlich der von Mugabe einseitig auf den 29. März
festgelegten Wahlfarce auf einen Höhepunkt zu.
Entzug von Nahrungsmitteln, gewaltsame Einschüchterung, massive Bedrohung oppositioneller Wahlveranstaltungen sowie Verhaftung und Folter unliebsamer Personen gehören zur traurigen Tagesordnung. Hinzu
kommt das übliche Repertoire zur Vorbereitung von
Wahlen in autoritären Staaten: Neuzuschnitt der Wahlkreise, Nichtzulassung von potenziell unzuverlässigen
Erstwählern sowie Wahlausschluss von über 3 Millionen
im Ausland lebenden Staatsbürgern.
Dass es trotz der massiven Einschüchterung durch
den Staatsapparat noch eine organisierte Opposition im
Lande gibt, grenzt an ein Wunder. So gibt es aktuell zwei
Bewerber für das Präsidentenamt: Morgan Tsvangirai,
langjähriger Chef der Bewegung für Demokratischen
Wandel und Simba Makoni, einst Finanzminister und
engster Vertrauter Mugabes. Die Kandidatur Makonis
weist auf Risse innerhalb der Staatspartei ZANU-PF hin,
in der sich die Unzufriedenen nun offen von den loyalen
Parteigängern Mugabes absetzen.
Doch bedeutet die Kandidatur Makonis zugleich eine
Spaltung der oppositionellen Kräfte. Schließlich gibt es
bisher kein Bündnis zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten, um gemeinsam gegen Mugabe vorzugehen. Tsvangirai hat ein Bündnis mit Makoni bislang
mit der Begründung abgelehnt, dass Makoni als Vertreter des alten Regimes für Elend und Unterdrückung im
Lande mitverantwortlich sei. Diese Begründung mag
sachlich richtig sein, doch könnte sich die ZurückweiBrunhilde Irber
sung als schwerwiegender Fehler erweisen. Nur ein
schlagkräftiges Bündnis aller oppositionellen Kräfte
kann einem skrupellosen Machtpolitiker wie Mugabe
ernsthaft gefährlich werden.
({0})
In Anbetracht dieser Situation drängt sich die Frage
auf, was wir in Deutschland tun können.
Kollegin Irber, das können wir jetzt leider nicht mehr
beantworten.
Das ist aber sehr schade, Frau Präsidentin.
({0})
Vielleicht bringt das die weitere Debatte.
Darf ich noch eine letzte Bemerkung machen?
Einen letzten Satz, bitte.
Ich denke, wir sollten unsere Zusammenarbeit mit
den zivilgesellschatlichen Akteuren über unseren Entwicklungsfond weiter fördern. Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit sollte nach Möglichkeit wieder
aufgenommen werden. Wir müssen vor allem Druck auf
die SADC machen. Sie bekommt von der EU
46 Millionen Dollar. Deshalb müssen wir auf die EU
Druck machen - darum bitte ich die Bundesregierung -,
damit sie ihrerseits auf SADC Einfluss ausübt, Mugabe,
Mbeki und die Staatschefs aller anderen umliegenden
Staaten dazu zu bringen, darüber nachzudenken, wie
man die fürchterliche Situation der Menschen in Simbabwe beenden kann.
Ich möchte noch eines ansprechen.
Frau Kollegin Irber, Sie können zwar weiterreden,
aber das geht zulasten der Redezeit von Herrn Riester.
({0})
Ich komme zum Schluss. Die Nichtregierungsorganisationen und die politischen Stiftungen müssen wieder in
Simbabwe arbeiten können, und die Zivilgesellschaft
sollte auch von uns unterstützt werden, damit der Boden
für die Zeit nach Mugabe neu bereitet werden kann und
neue Setzlinge wachsen können. Dem vorliegenden Antrag stimmen wir gerne zu.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Marina
Schuster das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein wenig mehr Mut, das hätte ich mir von Ihnen, meine
Kollegen von der Großen Koalition, heute gewünscht.
Dann hätten Sie unserem Simbabwe-Antrag vom März
2007 zugestimmt.
({0})
Stattdessen haben Sie Monate später einen eigenen Antrag vorgelegt, der bei allgemeinen Formulierungen
bleibt und nur das Mindeste anspricht. Kein Wort über
EU-Sanktionen, kein Wort über die G-8-Präsidentschaft,
kein Wort über die Afrikanische Union! Es wäre Ihnen
sicherlich kein Zacken aus der Krone gefallen, wenn Sie
unserem Antrag zugestimmt hätten. Gerade wenn es um
die Einhaltung der Menschenrechte geht, sollte es uns
Parlamentariern wichtig sein, ein klares Signal zu senden.
Für die Menschen in Simbabwe wäre es ein wichtiges
Zeichen gewesen; denn die dortige Lage ist verheerend.
Die Kollegin Irber hat es geschildert. Unserer Sprache
fehlt es mittlerweile an Superlativen, um die dortige Situation zu beschreiben. Hyperinflation - gestern wurden
100 000 Prozent gemeldet; das ist wahrlich eine katastrophale Lage -, Wirtschaftskollaps, Armut, Menschenrechtsverletzungen und viele Flüchtlinge, das alles sind
Stichworte, hinter denen sich Hunderttausende Schicksale verbergen. Man kann sich heute in Simbabwe beispielsweise von einem durchschnittlichen Monatsgehalt
gerade einmal zwei Brote kaufen. Das muss man sich in
Deutschland einmal vorstellen! Immer wenn wir bisher
dachten, dass es nicht schlimmer kommen kann, hat uns
das Regime Mugabe eines Besseren belehrt. Lässt man
ihn weiter gewähren, wirtschaftet er das Land in Grund
und Boden. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.
({1})
Das Erschreckende ist - das hat meine Kollegin schon
angesprochen -: Mugabe steht wohl eine weitere Amtszeit bevor. Die Konkurrenz aus den eigenen Reihen ist
überschaubar. Die Opposition ist gespalten. Sie muss zudem täglich mit neuen Repressionen rechnen. Wahlveranstaltungen sind nicht möglich. Es wird wahrscheinlich
keine freie und faire Wahl am 29. März geben. Deshalb
ist es gerade jetzt wichtig, dass wir, die Parlamentarier,
die Opposition und die Zivilgesellschaft in Simbabwe
unterstützen. Dazu finde ich in dem Antrag der Koalition
nur sehr wenig. Wir können doch nicht ernsthaft darauf
warten, dass sich das Problem Mugabe von alleine löst.
Erfreulicher ist hingegen das Engagement von Kanzlerin Merkel; das möchte ich hier nicht verschweigen.
Sie hat die Menschenrechtsverletzungen des Regimes
Mugabe beim EU-Afrika-Gipfel und während ihrer
Reise angesprochen. Dieser Einsatz ist lobenswert,
reicht aber nicht; denn das mediale Gedächtnis ist kurz.
Wir müssen viel stärker und ausdauernder auf die afrikanischen Nachbarn einwirken, auch in der Öffentlichkeit.
Südafrikas Präsident Mbeki setzt auf stille Diplomatie.
Aber viel wurde bisher nicht erreicht. Das haben uns die
Tickermeldungen von eben bestätigt. Wir hoffen deshalb, dass sich unter Mbekis Nachfolger eine Neuorientierung ergibt; denn die Flüchtlinge, die täglich von Simbabwe in die Nachbarländer strömen, sind auch ein
innerafrikanisches Problem.
Hier ist die Afrikanische Union gefragt. Sie muss sich
viel mehr als bisher dafür einsetzen, dass Mugabe endlich abtritt. Da dürfen wir den Vorwand der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten nicht gelten lassen.
({2})
Denn das ist gerade der Unterschied der AU im Vergleich zu ihrer Vorgängerorganisation, der Organisation
für Afrikanische Einheit: Die AU hat sich auf die Fahnen
geschrieben, bei Unrechtsregimen tätig zu werden. Hier
müssen wir die AU, aber auch die SADC-Staaten in die
Pflicht nehmen. Auch die internationale Gemeinschaft
hält sich mit Kritik zurück. Der VN-Sicherheitsrat hat
Simbabwe bisher noch kein einziges Mal zur Sprache
gebracht, und das bei einem Land, in dem die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Während Mugabe in einem der prächtigsten Paläste Afrikas residiert, kämpft
die Bevölkerung ums Überleben. Das hat meine Kollegin Irber sehr ausführlich dargestellt. Für einen Aufstand
sind die Menschen vor Ort durch die restriktive Informationspolitik schlicht unzureichend informiert oder vielleicht einfach zu hungrig, und das in einem Land, das
einst die Kornkammer Afrikas war.
Dass dieses Land in den Ruin getrieben wird, dürfen
wir hier nicht tatenlos mit ansehen. Bilateral und seitens
der EU müssen wir deutlich mehr Druck machen. Deshalb haben wir in unserem Antrag auch gefordert, die
EU-Sanktionsliste zu erweitern und weitere Vertreter des
Regimes Mugabe auf diese Liste zu setzen. In dieser
Hinsicht sind uns andere Staaten voraus. Ich finde es
sehr bedauerlich, dass die Kollegen von der Großen Koalition nicht mitgemacht haben; denn es sollte uns ein
Anliegen sein, die Menschen in Simbabwe zu unterstützen. Ich möchte auch an dieser Stelle sagen: Wir sollten
nicht immer nur predigen und schöne Papiere schreiben,
sondern auch handeln.
({3})
Kollegin Schuster, auch Sie müssen bitte zum Schluss
kommen.
Ich komme zum letzten Satz.
Wir sind als Parlamentarier - das ist ein wichtiges
Signal aus diesem Hause - und als Regierung gefragt;
denn die Zeiten, in denen sich Despoten sicher fühlen
können, sollten auch in Afrika vorbei sein.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Arnold
Vaatz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Meine beiden Vorrednerinnen haben schon die
faktische Lage in Simbabwe so trübselig, wie sie ist,
ziemlich deutlich beschrieben, sodass ich eigentlich die
Fakten nicht noch einmal aufzählen muss. Vielleicht gestatten Sie mir aber die Wiedergabe eines kurzen Eindrucks. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen, als ich
vor einigen Jahren in Harare war. Als ich eine Schlange
vor einer Tankstelle gesehen habe, habe ich mich dazu
durchgerungen, denjenigen, der als nächster Treibstoff
erhalten sollte, zu fragen, wie lange er gewartet hat. Die
Antwort war, er habe zwei Tage nachts im Auto verbracht, um Benzin zu tanken. In einem Hospital sagte
mir ein Patient, dass er, um überhaupt die Autofahrt zum
Krankenhaus bezahlen zu können, sein Haus habe verkaufen müssen. Das sind meines Erachtens Verhältnisse,
die man sich beim besten Willen hier in Europa in ihren
ganzen Dimensionen nicht vorstellen kann.
Zu den Pressionen des täglichen Lebens kommen
noch Einschüchterungsmaßnahmen, die von der Regierung ausgehen. Es gibt einen außer Rand und Band geratenen Geheimdienst namens CIO, der allgegenwärtig ist
und von dem eine enorm einschüchternde Wirkung ausgeht. Es gibt die sogenannten Green Bombers. Das sind
junge Leute, die in Lagern zusammengefasst und dort
militärisch ausgebildet werden und sozusagen die Gruppen fürs Grobe abgeben, also mit gewalttätiger Energie
auf die Bürger losgehen und ebenfalls eine enorme Einschüchterungswirkung haben.
Es stellt sich die Frage, wie das alles gekommen ist.
Ich glaube, es wäre unehrlich in dieser Debatte, wenn
wir uns nicht die Fehleinschätzung der demokratischen
Welt eingestehen würden, die nicht sah, wes Geistes
Kind der dortige Diktator Robert Mugabe ist. Der Westen hatte gemeint, ihn instrumentalisieren zu können,
weil er damals eher auf chinesischer als auf russischer
Seite war. Demzufolge jubelte man ihn als Hoffnungsträger hoch. Man hat damals im Übrigen auch nicht beachtet, wie viel Blut er auf seinem Weg zur Macht vergossen hat. Im Jahre 1982 hat das sogenannte MatabeleMassaker stattgefunden, bei dem eine fünfstellige Anzahl von Menschen mit Unterstützung der von Nordkorea ausgebildeten sogenannten Fünften Brigade getötet
wurde. Dieses Massaker ist leider ignoriert worden.
Danach hat es Entwicklungshilfe gegeben. Simbabwe
sollte auf seinem Weg zu einem eigenständigen Staatsgebilde und nach der Unabhängigkeit unterstützt werden. Seit 1982 ist Entwicklungshilfe in Höhe von etwa
1 Milliarde Euro von Deutschland nach Simbabwe geflossen.
Wenn man heute fragt, ob diese Entwicklungshilfe
nachhaltig war oder nicht, dann stellt man fest, dass sie
verpufft ist. In dem in Simbabwe vorhandenen Chaos ist
überhaupt nicht mehr sichtbar, welche Aufbauarbeit dort
geleistet worden ist. Das ist eine niederschmetternde
Nachricht, die wir auch der Öffentlichkeit in Deutschland überbringen müssen. Denn wir müssen natürlich
Auskunft darüber geben, wie sich unsere Entwicklungshilfe tatsächlich ausgewirkt hat.
Wir müssen feststellen, dass sich der Wandel der Situation in Simbabwe schleichend angebahnt hat. Aber wenn
man einen Zeitpunkt bzw. ein Ereignis benennen will,
von dem an es steil bergab ging, dann ist das wohl die
Landreform. Wenn man bedenkt, mit welcher Brutalität
und nach welchen Prinzipien die Landreform, deren
grundsätzliche Notwendigkeit bestimmt auch in diesem
Raum niemand bestreitet, durchgeführt wurde, dann ist
festzustellen, dass das ein Schlag ins Gesicht der Rechtsstaatlichkeit gewesen ist. Die Landreform hatte zur
Folge, dass ganze Regionen in die Subsistenzwirtschaft
zurückgefallen sind. Die Kornkammer war nicht länger
die Kornkammer. Die Landreform wurde zum Selbstbedienungsladen für Günstlinge des Staatschefs, also für
Kriegsveteranen, die sich dabei bedienen konnten.
Alle Schritte der Regierung, die unternommen wurden, um in dieser Situation eine Stabilität der Versorgung
zustande zu bringen, schlugen fehl. Ganze Landstriche
sind verödet. Wenn man heute über das Land fliegt, dann
sieht man, dass riesige Areale, Hunderte oder Tausende
Hektar überhaupt nicht mehr bewirtschaftet werden. Das
ist im Übrigen auch nicht von heute auf morgen wieder
rückgängig zu machen. Dem Land ist ein bleibender
Schaden entstanden.
Dazu kommt jetzt noch die politische Repression, die
in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Die Wahlen, die seit dem Jahr 2002 stattgefunden haben, waren
keine freien Wahlen. Die Opposition hatte nie dieselben
Chancen wie die Regierung. Es gab immer stärkere Bemühungen zur Gleichschaltung der Presse und zur Beschneidung der Unabhängigkeit der Gerichte. Alles lief
auf eine Machtausweitung der herrschenden Partei
ZANU-PF und des Präsidenten persönlich hinaus.
Seit zehn Jahren sind wir als Weltgemeinschaft eigentlich nur ein Zaungast, der den katastrophalen Zusammenfall dieses Landes mehr oder weniger hilflos betrachtet. Wirkliche Eingriffsmöglichkeiten haben wir
nicht. Ich glaube aber, dass es trotzdem richtig war, im
Jahr 2002 die Entwicklungszusammenarbeit einzustellen; denn wir können die Strukturen, die dieses Elend
verursachen, nicht auch noch stärken. Bedauerlich ist
nur, dass andere Staaten, zum Beispiel China, das diplomatische Vakuum, das wir hinterlassen, ausfüllen und
für ihre Interessen nutzen. Vor dieser Tatsache sollten
wir die Augen nicht verschließen.
Ich meine, das Wichtigste, worüber wir in diesem Zusammenhang sprechen müssen, ist die Tatsache, dass
sich Afrika immer noch um Solidarität gegenüber dem
Diktator Robert Mugabe bemüht. Wenn man die SADC
an ihren Grundsätzen messen wollte, dann hätte sie eigentlich unverzüglich etwas gegen die Lage in Simbabwe tun müssen.
({0})
Das große Problem ist, dass die Lippenbekenntnisse
der SADC einerseits und ihre Taten andererseits bis jetzt
zu nichts geführt haben, was in diesem Land in irgendeiner Weise nach vorn deutet. Das ist die Realität. Auch
der NEPAD-Prozess, in den wir so große Hoffnungen
gesetzt haben, hatte in Bezug auf Simbabwe bis heute
keinerlei Wirkung.
Solidarität ist prinzipiell etwas Positives. Darin sind
wir uns sicherlich einig. Aber es gibt auch falsche Solidarität. Wir müssen schon entscheiden, ob wir mit dem
leidenden Volk in Simbabwe solidarisch sein wollen
oder mit dem Todfeind des Volkes, der dieses Volk regiert.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die sogenannte stille Diplomatie von Thabo Mbeki bis jetzt keinerlei positive Erfolge gezeitigt hat. Heute hat eine Pressekonferenz in Johannesburg stattgefunden, bei der die
Oppositionellen aus Simbabwe genau dies gesagt haben,
und zwar beide Flügel der zerstrittenen Oppositionspartei MDC.
Ich halte es für wichtig, immer wieder zu sagen: Wir
müssen den afrikanischen Nachbarländern mitteilen,
dass wir diese falsche Solidarität so nicht akzeptieren
können; derjenige, der behauptet, die Verhältnisse in
Simbabwe seien normal, setzt sich dem Verdacht aus,
diese Verhältnisse auch dann als normal zu bezeichnen,
wenn sie einmal in seinem eigenen Land eintreten.
({2})
Wir sollten uns auch in dieser Frage klar hinter unsere
Kanzlerin stellen, die an der Konferenz in Lissabon teilgenommen hat; sie hat sie nicht boykottiert. Sie hat in aller Klarheit gesagt, was sie für richtig und was sie für
falsch hält. Diese Ehrlichkeit in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung ist dringend erforderlich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie mir eine zusätzliche halbe Minute Redezeit gegeben haben.
Ich hoffe, dass es uns gelingt, aus diesem Haus eine
klare Botschaft zu senden: Simbabwes Schicksal ist uns
nicht gleichgültig. Wir werden alles, was in unserer
Macht steht, dafür tun, unsere Mittel so einzusetzen,
dass sie den Menschen in diesem Land helfen und nicht
deren Leiden verlängern.
Vielen Dank.
({3})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Hüseyin Aydin das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Im vergangenen September
hat sich die Opposition in Simbabwe unter Vermittlung
des südafrikanischen Präsidenten Mbeki auf eine Politik
der kleinen Schritte eingelassen. Das war auch der
Wunsch der Europäischen Union. Die Verhandlungspartner aus beiden Fraktionen der oppositionellen MDC sind
von der Forderung nach einer neuen Verfassung abgerückt. Teile der Zivilgesellschaft und die Basis der MDC
haben dieses Vorgehen scharf kritisiert. Die Ereignisse
der letzten Wochen zeigen, dass die Kritik der Opposition berechtigt war.
Die Unabhängigkeit der Wahlkommission ist nicht
gewährleistet. Die Aktualisierung der Wählerverzeichnisse wird verschleppt. Die Regierung in Harare hat ihr
Versprechen nach mehr Versammlungsfreiheit gebrochen. In der letzten Woche wurde wieder eine friedliche
Kundgebung der Opposition gewaltsam aufgelöst. Im
Polizeigewahrsam kam es erneut zu Brutalitäten. Einer
Hochschwangeren wurde dabei eine Hand gebrochen.
Das Mugabe-Regime hat sich an praktisch keines der
Zugeständnisse gehalten, die unter der Vermittlung von
Südafrikas Präsidenten vereinbart worden sind.
Wir erwarten, dass die ANC-Regierung in Pretoria
die Konsequenz zieht und Mugabe deutlich zurechtweist. Die sogenannte stille Diplomatie ist gescheitert.
Ich sage: Es reicht nicht aus, Mugabe nur durch einen
anderen Kopf aus seinem Umfeld zu ersetzen. Simbabwe braucht eine grundlegende Demokratisierung der
Gesellschaft von unten.
Der Kampf für die Demokratie ist dabei untrennbar
mit dem Kampf um bessere Lebensbedingungen verbunden. Bei einer Inflationsrate von, wie bereits erwähnt,
100 000 Prozent und 150 000 Prozent lösen sich alle
Werte in nichts auf. Grundnahrungsmittel und Benzin
gibt es nur noch auf dem Schwarzmarkt. Rund ein Viertel der Bevölkerung ist bereits geflohen. Letztes Jahr
hieß es in einem Hirtenbrief der Katholischen Bischofskonferenz Simbabwes - ich zitiere -:
Schwarze Simbabwer kämpfen heute für dieselben
Grundrechte, für die sie auch im Befreiungskampf
stritten. Es ist derselbe Konflikt zwischen jenen, die
Macht und Reichtum im Überfluss haben, und jenen, die nichts haben.
Die Hoffnung auf ein einvernehmliches Auskommen
mit den Regierenden ist leider begraben. Mugabe wird
bei den Präsidentschaftswahlen erneut kandidieren. Er
hat angekündigt, ohnehin keinen anderen Sieger als sich
selbst zu akzeptieren. Es gibt nur einen Weg: Mugabe
muss auf demokratischem Wege zu Fall gebracht werden. Das kann nur die simbabwische Bevölkerung schaffen. Jede direkte Intervention von außen würde dem Regime nur neue Vorwände liefern, um die Opposition zu
diskreditieren.
Unsere Aufgabe ist es, die demokratischen Kräfte zu
unterstützen. Gerade an diesem Punkt aber bewies die
Bundesregierung ihre Halbherzigkeit. Dort, wo alle Kameras aufgebaut waren, wie auf dem Lissabon-Gipfel im
Dezember, verliert die Kanzlerin ein paar mahnende
Worte in Richtung Mugabe.
Doch als im letzten September mit Bischof Pius
Ncube einer der wichtigsten Regimegegner durch eine
Schmutzkampagne politisch kaltgestellt wurde, war
nicht der Hauch eines Protestes zu vernehmen. Warum?
Weil der simbabwische Geheimdienst eine Liebesaffäre
des Bischofs öffentlich machte. Offenbar ist der Bruch
des Zölibats zu heikel, als dass die Bundesregierung hier
lautstark Position aufseiten des Bischofs beziehen
möchte.
Diese Politik der unscharfen Konturen kommt auch
im vorliegenden Antrag zum Ausdruck. Was soll die
Aussage, dass Simbabwe bei rechtsstaatlichen und wirtschaftlichen Reformen unterstützt werden soll, bedeuten? Wer ist damit gemeint? Welche Reformen sind damit gemeint?
Solch einem Wischiwaschi versagen wir unsere Zustimmung. Die Linke ist nicht gewillt, Ihrer SimbabwePolitik einen Blankoscheck auszustellen. Wir sagen: Die
Kritik an der Unterdrückung in Simbabwe darf keine
Frage des politischen Opportunismus sein. Alle demokratischen Kräfte aus den Reihen der Kirchen, der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft haben unsere ungeteilte Solidarität.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Kerstin Müller.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sie haben die desaströse Situation in Simbabwe in Ihren
Reden ausführlich beschrieben. Nach 28 Jahren stehen
die Menschen dort vor einem Scherbenhaufen: Hyperinflation, eine Arbeitslosenquote von 80 Prozent, ein Viertel der Bevölkerung - 3 Millionen Menschen - auf der
Flucht. Davon sind nun auch schon die Nachbarländer
betroffen. Man kann es so zusammenfassen: Mugabe ist
ein Mann der Vergangenheit und nicht ein Mann der Zukunft.
({0})
Zum Wohle seines Volkes sollte er besser in Rente gehen. Ich glaube, dass wir uns da einig sind.
({1})
Kerstin Müller ({2})
Die große Frage ist, ob die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 29. März 2008 den überfälligen
Wechsel einleiten werden.
({3})
Sollten sie allerdings wie im Jahre 2005 unter unfairen
und undemokratischen Bedingungen stattfinden, dann,
Frau Schuster, ist in der Tat nicht viel zu erwarten; wobei
ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben habe.
Allerdings: Die von der Opposition geforderte Verfassungsreform steht aus; Sie haben das gesagt. Die Wahlkreise wurden zugunsten der ZANU-PF aufgestockt.
Wählerregistrierung, Aufstellung der Kandidatenlisten,
all das war intransparent. Im Vorfeld gibt es schon wieder willkürliche Demonstrationsverbote, Demonstrationen werden gewaltsam zerschlagen. All das spricht nicht
dafür, dass es anders laufen wird.
Neu ist, dass es einen Kandidaten aus dem eigenen
Lager gibt: Simba Makoni, ein ehemals hochrangiger
moderater ZANU-PF-Funktionär. Ob das eine Chance
für das Land ist, muss sich erst zeigen; das ist eine offene Frage. Jedenfalls zeigt das den Riss und auch die
Unzufriedenheit in der ZANU-PF mit dem Regime
Mugabe. Makoni ist beim Volk beliebt. Mit seinem Programm setzt er auf Ausgleich. Vielleicht kann hier ein
Wechsel gelingen.
Wir müssen uns die Frage stellen: Was können wir,
was kann die internationale Gemeinschaft tun, um diesen Prozess, um eine demokratische Entwicklung in
Simbabwe zu unterstützen? Es war zunächst einmal richtig, dass die Staats- und Regierungschefs in Lissabon im
Dezember 2007 nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen sind. Ich finde es sehr gut - das will ich ausdrücklich sagen -, dass gerade die Bundeskanzlerin sehr
deutliche Worte zu Mugabe gefunden hat.
({4})
Ich finde es auch richtig, dass der Allgemeine Rat der
EU die Geltung der gezielten Sanktionen gegenüber
Simbabwe am Montag verlängert hat.
Wir müssen allerdings kritisch bilanzieren, dass all
dies, auch die Sanktionspolitik, bisher nicht viel gebracht hat, genauso wenig - Herr Vaatz hat es angesprochen - wie die sogenannte stille Diplomatie Südafrikas
und der SADC. Die Oppositionsparteien haben heute in
Johannesburg ganz klar gesagt: Die Vermittlungsbemühungen sind gescheitert. Dennoch zeigt das, die Krise in
Simbabwe kann letztlich nur von den Afrikanern selbst
gelöst werden.
Dabei ist Simbabwe neben Darfur inzwischen zu der
Glaubwürdigkeitsprobe für die Afrikanische Union geworden.
({5})
Der Präsident von Botswana hat mir einmal gesagt,
seine Regierung wolle eigentlich gar nicht mehr an den
SADC-Versammlungen teilnehmen, denn das, was man
dort beschließe, sei eine Farce, wenn sich nicht in Simbabwe endlich einmal etwas ändert. Ich sage Ihnen: Er
hat recht.
Ich glaube, entscheidend ist: Solange Mugabe von
seinen afrikanischen Freunden mit Samthandschuhen
angepackt wird, solange man zwar irgendwie vermittelt,
aber gleichzeitig Mugabe signalisiert, man lasse ihn in
Ruhe, so lange tyrannisiert dieser weiter seine Bevölkerung. Deshalb ist es wichtig, dass wir, die internationale
Gemeinschaft - ich erwarte, auch die Bundesregierung -,
den Ländern der SADC, vor allem Südafrika sehr deutlich machen, dass wir nicht länger bereit sind, diese
Doppelzüngigkeit hinzunehmen, erst recht nicht, weil sie
Unterstützung von der Europäischen Union erhalten.
Wir müssen den SADC-Staaten klar sagen - dafür sind
alle multilateralen Kanäle zu nutzen -: Wachen Sie endlich auf! Mugabe ist schon lange kein Freiheitskämpfer
mehr. Im Gegenteil: Er nimmt den Menschen die Freiheit. Deshalb fliehen sie, deshalb haben auch die Anrainerländer bereits den Schaden.
Die interne Spaltung in der SADC zur Frage der Solidarität mit Mugabe muss daher überwunden werden.
Sonst werden die Vermittlung Mbekis und der internationale Druck weiterhin wirkungslos verpuffen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich glaube, insbesondere die SADC kann zu fairen
und freien Wahlen beitragen, indem sie ihre Leitlinien
endlich ernst nimmt, indem sie Beobachter hinschickt
und prüft, ob die Wahlen fair und frei abgehalten werden, und auch bei der Wahlvorbereitung auf faire Bedingungen drängt. Das ist entscheidend.
Der Kollege Vaatz hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass ich heute ausgesprochen großzügig bin. Jetzt sind
Sie aber wirklich weit über die Zeit.
Ich bin sofort fertig.
Es darf nicht wieder passieren, was 2005 passiert ist.
Hier müssen den Worten der Kanzlerin auch Taten folgen. Das ist entscheidend.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Walter Riester für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß nicht, wer sich erinnert: Fast auf den Tag genau
vor fünf Jahren haben wir eine Debatte über Simbabwe
gehalten. Viele Argumente - ich habe es nachgelesen ähneln sich. Damals hat Staatsminister Bury gesagt: Ich
freue mich auf den EU-Afrika-Gipfel in Lissabon, aber
nur dann, wenn Mugabe nicht eingeladen wird; ich betone: Visastopp, Waffenembargo, Einfrieren der Konten
sind wichtige Schritte. - Wir alle haben dann geklatscht.
Frau Schuster, ich habe einmal nachgelesen, was der
Liberale Löning gesagt hat - das war sehr weitsichtig -:
Wir müssen erkennen, die bisherigen Sanktionen haben
nichts genützt; in dem Erkennen wird uns eine Verschärfung der Sanktionen nicht weiterführen.
Ich glaube, es ist Zeit, sich ein bisschen zurückzunehmen. Wir merken, dass es den Menschen in Simbabwe
jetzt viel schlechter geht. Ich bin überzeugt: Der Konflikt wird sich im Innenverhältnis lösen, oder er wird
nicht gelöst,
({0})
weder durch die SADC noch - wir merken das - durch
die Nachbarländer.
({1})
- Nein, das bedeutet nicht Zuschauen. - Die starke Unterstützung der Widerstandskräfte in Simbabwe - von
den Kirchen über die Gewerkschaften bis hin zu den Oppositionsbewegungen - birgt die Chance, dass der
29. März vielleicht keinen Regierungswechsel, aber hoffentlich auch nicht einen ähnlichen Auftakt wie in Kenia
bringt. Es ist wichtig, den Befriedungsprozess einzuleiten und die genannten Kräfte zu stärken. Dann haben wir
die Chance, von außen stärker zu wirken.
Ehrlicherweise muss man aufzeigen: In den letzten
fünf Jahren haben Sanktionen - ich spreche mich nicht
gegen sie aus - keine Wirkung gezeigt. Bei allen Besuchen, die ich als Parlamentarier machte - egal ob in Malawi oder in Namibia -, hatte ich, wenn wir uns mit der
Regierung unterhalten haben, nicht den Eindruck, dass
ein geschlossener Widerstand gegen Simbabwe aufzubauen ist. Das muss man erkennen.
Deswegen bin ich sehr dafür, alle Widerstandskräfte
zu unterstützen, die Menschen zu unterstützen. Ich bin
aber nicht dafür, dass fünf Jahre später erneut gesagt
wird, das Problem sei nur Robert Mugabe. Es ist Robert
Mugabe, aber nicht nur er. Wir können das Problem nur
überwinden, wenn wir in Simbabwe Kräfte stärken wie
in anderen Ländern auch.
Wenn ich auf die Geschichte zurückblicke - das ist
mein letzter Satz -, muss ich sagen: Ich habe noch nie
erlebt - das müsste eigentlich Anlass zur Besinnung
sein -, dass ein Wirtschaftsboykott zur Ablösung eines
Despoten geführt hätte, ob in Kuba, im Irak oder in Simbabwe.
({2})
- Oder in Südafrika.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Demokratische
Entwicklung Simbabwes unterstützen - Arbeit der internationalen Nichtregierungsorganisationen ermöglichen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/7909, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5907 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDPFraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP
mit dem Titel „Katastrophe in Simbabwe verhindern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/6365, den Antrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/4859 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({0}), Christoph Waitz, Jens
Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zehn Jahre Washingtoner Konferenz - Initiative für eine Nachfolgekonferenz in Deutschland
- Drucksache 16/7857 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hans-Joachim Otto für die FDP-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
und der nationalsozialistischen Terrorherrschaft sind
noch immer zahlreiche geraubte, beschlagnahmte und
verfolgungsbedingt abhandengekommene Kunstwerke
nicht identifiziert und ihren rechtmäßigen Eigentümern
bzw. deren Erben zurückgegeben. Das ist ein Zustand,
der uns nicht ruhen lassen darf. Wir haben die moralische Verpflichtung, uns nach Kräften für eine intensive
Provenienzforschung nach sogenannter NS-Raubkunst
einzusetzen.
Seit fast zehn Jahren sind die Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von
den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, die
Grundlage für die Restitutionspraxis und bleiben - das
will ich ganz unmissverständlich sagen - die Grundlage
aller Überlegungen zur Verbesserung dieser Praxis. Die
Washingtoner Konferenz vom Dezember 1998 war zudem in vielen anderen Staaten die Initialzündung, die
Bemühungen zur Provenienzforschung und Restitution
von NS-Raubkunst zu verstärken, wenn nicht gar erst zu
beginnen. Allein die Tatsache, dass die Washingtoner
Grundsätze von 44 Staaten getragen werden, zeigt die
Dimension des Unrechts, das es aufzuarbeiten galt und
weiterhin gilt.
In der Bundesrepublik wurde - das will ich betonen einiges zur Umsetzung dieser Grundsätze getan. Unter
anderem wurde die Magdeburger Koordinierungsstelle
eingerichtet, die gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden beschlossen
und eine Handreichung zur Umsetzung der Restitutionsgrundsätze erarbeitet und aktualisiert.
Allerdings waren die Anstrengungen der Provenienzforschung in Deutschland - das sollten wir selbstkritisch
feststellen - einige Jahre in den Hintergrund gerückt.
Auch eine immer wieder aufflammende Kritik an einer
unzureichenden Personalausstattung und an einem unklaren Auftrag der Koordinierungsstelle in Magdeburg
führte nicht zu einer Intensivierung der Provenienzrecherche. Es bedurfte erst der sehr umstrittenen Rückgabe
des Kirchner-Gemäldes aus dem Berliner Brücke-Museum, damit endlich die Themen Provenienzforschung
und Restitution von NS-Raubkunst wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt wurden.
Durch die verstärkten Diskussionen über diese Themen haben wir alle in den vergangenen zwei Jahren, so
denke ich, viel dazugelernt. Nicht zuletzt auch der Blick
in unsere Nachbarländer Frankreich und die Niederlande, die im Übrigen - auch das sollte hier gesagt sein ein Vielfaches in die Provenienzforschung investiert haben, hat uns eine zentrale Erkenntnis gebracht, die für
fast alle Restitutionsverfahren gilt: Immer dann, wenn
ein Museum, eine Sammlung oder ein sonstiger heutiger
Besitzer aufgrund eigener Provenienzrecherchen auf die
Erben der früheren Eigentümer zugeht, sind die Chancen
für eine Einigung besonders gut. In den meisten dieser
Fälle sieht die faire und gerechte Lösung, die angestrebt
wird, so aus, dass das betreffende Exponat in der angestammten Sammlung verbleiben kann und die Erben in
Anerkennung der Initiative des Museums mit diesem
eine Vereinbarung treffen - sei es in Form eines Kaufvertrages, einer Dauerleihgabe oder auch in vielen Fällen einer Schenkung.
Neben der moralischen Verpflichtung, die ohnehin
besteht, sollte diese Erkenntnis für uns der Anlass sein,
alles zu unternehmen, um die aktive Provenienzforschung zu verstärken.
({0})
Die Einrichtung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung durch den Kulturstaatsminister ist sicher ein
Schritt in die richtige Richtung. Ich gebe allerdings auch
da zu bedenken, ob die Summe von 1,2 Millionen Euro,
die aus dem Haushalt der Kulturstiftung des Bundes
- ich frage mich übrigens, warum die Länder nichts dazugeben ({1})
zusätzlich für Provenienzforschung zur Verfügung stehen soll, für ein so großes Land wie Deutschland mit
Hunderten von Museen wirklich ausreichend und angemessen ist. Es wäre daher von großer Symbolkraft und
würde einen zusätzlichen Schub für die Provenienzforschung bedeuten, wenn die Bundesregierung in Wahrnehmung ihrer Vorbildfunktion zehn Jahre nach der
Washingtoner Konferenz eine Nachfolgekonferenz in
Deutschland ausrichten würde.
({2})
Eine solche Konferenz wäre zudem auch international
das klare Bekenntnis, dass sich Deutschland der besonderen Verantwortung in dieser Frage bewusst ist. Vor allem aber würde eine solche internationale Konferenz die
Möglichkeit des wechselseitigen Erfahrungsaustausches
bieten. 44 Staaten mit höchst unterschiedlicher Praxis
haben die Washingtoner Erklärung unterzeichnet. Das
heißt, es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Erfahrungen mit der Umsetzung der entsprechenden Grundsätze.
Ich habe noch einmal nachgelesen, was die Kollegen
gesagt haben, als ich vor einiger Zeit diesen Vorschlag
schon einmal im Kulturausschuss gemacht habe. Das
zentrale Argument lautete: Es ist nicht Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, eine solche Konferenz zu organisieren. Das hinterlässt womöglich einen falschen
Eindruck und ist ein falsches Signal.
Ich sage Ihnen: Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Wer, wenn nicht die Bundesregierung, ist berufen, an die
positive Signalwirkung der Washingtoner Konferenz anzuknüpfen und eine Konferenz auszurichten, bei der
über Erfolge und auch Probleme berichtet werden kann,
vorbildhafte Modelle zur Nachahmung empfohlen und
noch ausstehende Aufgaben identifiziert werden können? Ich kann nicht erkennen, wo eine solche Initiative
einen falschen Eindruck hinterlassen könnte.
Ich möchte gleich noch auf einen zweiten Einwand
eingehen, der angeführt wurde. Eine Fachkonferenz,
vielleicht von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausgerichtet: ja; aber eine Konferenz auf der gleichen Ebene
Hans-Joachim Otto ({3})
wie die Washingtoner Konferenz: nein. - Eine Fachkonferenz ist schön und gut und sicherlich sinnvoll. Ich will
gar nichts dagegen sagen.
Wenn wir aber wirklich ein Signal senden wollen,
wenn wir wollen, dass die Regierungen der betreffenden
Staaten sich mit den Erfahrungen und den noch ausstehenden Aufgaben auseinandersetzen und die gewonnenen Erkenntnisse umgesetzt werden, dann müssen wir
die Einberufung einer Regierungskonferenz anstreben.
({4})
Dabei bin ich mir darüber im Klaren, dass die Washingtoner Konferenz einen über geraubte Kunstgegenstände
hinausgehenden Ansatz hatte und man dort alle Vermögensverluste abschließend aufarbeiten wollte. Aber ich
frage Sie: Wenn die Washingtoner Konferenz vor allem
im Bereich der NS-Raubkunst ein Erfolg war und ganz
wichtige Impulse gesetzt hat, warum sollten wir nicht
daran anknüpfen und zehn Jahre danach eine Folgekonferenz in Deutschland ausrichten?
Herr Kollege Otto, bitte!
Ich folge Ihnen, Herr Präsident. - Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Professor Monika Grütters
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Otto, wir sprechen heute zum zweiten Mal
in dieser Legislaturperiode im Plenum des Deutschen
Bundestages über Fragen der Restitution, das heißt über
den Umgang mit NS-Raubkunst. Ich meine, das ist ein
gutes Signal.
({0})
Wir, das Parlament, stellen uns dieser Problematik.
Nicht nur wir tun das, sondern auch auf der Regierungsebene ist so viel passiert wie in keiner Vorgängerregierung.
({1})
Staatsminister Neumann hat Initiativen entwickelt und
dabei wirklich zur Lösung offener Fragen in dieser sensiblen Thematik beigetragen.
Ausgangspunkt der erneuten und aktuellen Debatte ist
übrigens nicht das zehnjährige Jubiläum der Washingtoner Konferenz, sondern die umstrittene Rückgabe des
Kirchner-Gemäldes „Berliner Straßenszene“ durch den
Berliner Senat.
({2})
Es war dieser Fall, der Zweifel an der gängigen Restitutionspraxis aufgeworfen hat, vor allen Dingen deshalb,
weil der Berliner Senat ihn so unglaublich schlecht gehandhabt hat. Unabhängig von dem Ergebnis dieses einzelnen Vorgangs ist das deshalb traurig, weil er so viele
erfolgreiche Restitutionsvorgänge negativ überschattet.
({3})
Denn schließlich ist die einvernehmliche Restitution
- das wissen auch Sie - gängige Praxis.
Was ist erreicht worden? Deutschland hat - das haben
auch Sie erwähnt - nicht nur 1998 an der Konferenz teilgenommen und die Washingtoner Erklärung unterzeichnet,
sondern auch eine Gemeinsame Erklärung zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes verabschiedet. Sie haben zu Recht die
Einrichtung einer Koordinierungsstelle in Magdeburg
und die Erarbeitung einer Handreichung erwähnt. Doch
zeigt jener Fall Kirchner, wie heikel diese Vorgänge sind
und wie schwer es ist, generell verbindliche Regeln zu
empfehlen.
Obwohl es sich bei derartigen Vorgängen primär um
Aufgaben der Länder handelt, hat sich Kulturstaatsminister Neumann entschlossen, bundesseitig Verantwortung zu übernehmen - denn Sie haben ja die Regierung angesprochen -, und eine Arbeitsgruppe eingesetzt,
der unter anderem Vertreter aus Bund, Ländern, Kommunen und der KMK sowie von Museen und der Koordinierungsstelle in Magdeburg - Sie wissen das - angehören. Es waren diese Experten, die sich mit den
vorhandenen Papieren und Instrumenten auseinandergesetzt haben. Ich finde, das Ergebnis ist in mehrfacher
Hinsicht eindrucksvoll; denn, Herr Otto, es beantwortet
Ihre Frage nach der Einberufung einer möglichen Washingtoner Folgekonferenz oder aber - das ist wirklich
ein Unterschied - einer Konferenz in Bezug auf Kunstwerke in Deutschland.
Weder der Wortlaut noch der Geist der Washingtoner
Erklärung stehen hier zur Debatte. Deutschland steht zu
seiner moralischen Verantwortung, auch mehr als
60 Jahre nach Kriegsende Kulturgüter zu suchen und zurückzugeben.
({4})
Einigkeit besteht auch darüber, dass die Gemeinsame Erklärung unverändert bestehen bleibt. Lediglich die
Handreichung aus dem Jahr 2001 wurde redaktionell
überarbeitet, aber ohne die Substanz zur Disposition zu
stellen. So wird zum Beispiel die Beweislast nicht infrage gestellt. Sie liegt nicht bei den Opfern und deren
Nachfahren. Auch Verjährungs- und Ausschlussfristen
wird es - das war ebenfalls ein Thema im Kulturausschuss - in Deutschland nicht geben, weil dies unserer
moralischen Verantwortung nicht gerecht würde; denn
Unrecht wie dieses kann nicht verjähren.
({5})
Im Ergebnis der Initiativen Neumanns ist eine zentrale Arbeits- und Geschäftsstelle Provenienzrecherche
- Sie haben sie erwähnt - eingerichtet worden. Sie haben
freundlicherweise erklärt, dass Sie das in Ordnung finden.
({6})
Richtig ist, dass sie beim Institut für Museumsforschung
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angesiedelt ist.
Herr Otto, 1 Million Euro kommen vom Bund und
200 000 Euro von der Kulturstiftung der Länder. Die tun
also sehr wohl etwas dafür. Wichtig ist, dass vor allen
Dingen kleinen Museen geholfen wird, die häufig mit
den Forschungsaufgaben überfordert sind, weil sie ähnlich wie die großen nicht nur auf Forderungen reagieren,
sondern unaufgefordert zur Aufklärung beitragen möchten. Ich empfinde die Zweifel an den Museen häufig als
unberechtigt.
Was wäre noch zu tun? Herr Otto, alle anderen Fragen, die 1998 in Washington zur Debatte standen - der
Umgang mit Raubgold, entzogene Versicherungswerte,
enteignete Grundstücke oder die sogenannte HolocaustErziehung -, liegen weder in der Zuständigkeit des
Staatsministers für Kultur noch in der Zuständigkeit des
Kulturausschusses. Diese Aufgaben sind unter der jetzigen Regierung sehr offensiv und zielgerichtet bearbeitet
worden.
Es geht nicht um eine grundsätzliche Hinterfragung
der Substanz der Washingtoner Erklärung und der Gemeinsamen Erklärung sowie ihres moralischen Gehalts.
Vielmehr muss der Gedankenaustausch zwischen den
betroffenen Akteuren über die nunmehr startende Provenienzrecherche, die mit immerhin 1,2 Millionen Euro
ausgestattet ist, und über konkrete Fragen der Restitutionspraxis - die sind viel heikler als die Grundfragen intensiviert werden. Vor allen Dingen das hat der unglückliche Fall Kirchner gezeigt.
Wir unterstützen die Einrichtung einer großen Fachkonferenz, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit
der bei ihr neu geschaffenen Arbeitsstelle Provenienzrecherche plant. Herr Otto, ich finde es falsch, diese Ansätze schlechtzureden, ehe sie überhaupt in die Praxis
umgesetzt wurden.
({7})
- Doch, Herr Otto. Sie sagen, das sei das Gegenteil von
dem, was Sie möchten. Dabei ist Ihre Begrifflichkeit unpräzise. Sie sind nicht auf die Hauptthemen in Washington 1998 eingegangen, die hiermit eben nichts zu tun
haben. - Die internationale Beteiligung an dieser Fachkonferenz muss gegeben sein und - ich komme zum
Schluss - das Hauptaugenmerk auf die aktive Recherche
und Forschung im Hinblick auf NS-Raubkunst gerichtet
werden.
Ihr und, wie ich meine, unser aller Ziel muss es sein,
mit den Museumsakteuren gemeinsam faire und gerechte Lösungen für die Wiedergutmachung erlittenen
Unrechts zu finden und das in einer Fachkonferenz zu
besprechen.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia
Jochimsen von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf
Antrag der FDP sollen wir heute die Bundesregierung
auffordern, im Herbst dieses Jahres in Berlin eine Nachfolgekonferenz der Washington Conference on Holocaust-Era Assets durchzuführen.
Ich wette, aus dieser Konferenz wird nichts. Wie
würde Deutschland auf dieser Konferenz dastehen? Im
Antrag der FDP heißt es: „Angesichts der besonderen
moralischen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik
Deutschland bei der Aufarbeitung der in der Zeit des Nationalsozialismus entstandenen Vermögensverluste und
der Restitution von NS-Raubkunst hat“, sollte erstens
„analysiert werden, welche Ziele der Washingtoner Erklärung bereits erreicht werden konnten“, und zweitens
sollten internationale Erfahrungen mit der Umsetzung
ausgetauscht sowie „vorbildhafte Vorgehensweisen und
Strukturen identifiziert werden“. Wie würde Deutschland da abschneiden?
Die Sachverständige Monika Tatzkow hat bei der öffentlichen Anhörung vor dem Ausschuss für Kultur und
Medien festgestellt:
Tatsache ist …, dass die Bundesrepublik Deutschland anders als Länder, die von Nazi-Deutschland
in Westeuropa überfallen und besetzt wurden oder
denen der Krieg erklärt wurde, bei der Umsetzung
der Washingtoner Erklärung noch ganz am Anfang
steht. Neun Jahre nach der Erklärung wissen wir
nicht viel; der Informationsstand ist sehr unzureichend.
Das war vor einem Jahr. Viel hat sich seitdem weiß Gott
nicht geändert.
({0})
Die lang angekündigte Arbeitsstelle für Provenienzrecherche und -forschung unter dem Dach der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz ist personell immer noch nicht
besetzt. Sie hat noch keinen einzigen Arbeitstag hinter
sich gebracht. Ihre finanzielle Ausstattung mit 1 Million Euro - 200 000 Euro Zuschuss von den Ländern
kommen noch hinzu - ist keineswegs ausreichend für die
Aufarbeitung dieses seit Jahrzehnten vernachlässigten
Bereiches. Auch der Fachbeirat bei der Koordinierungsstelle für Kulturverluste in Magdeburg hat seine Arbeit
noch nicht aufgenommen. All das steht nur auf dem Papier. Heute veröffentlichte der Staatsminister eine Pres15350
seerklärung; tatsächlich ist aber noch gar nichts geschehen.
Noch eines: Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung das Ausfuhrverbotsgesetz für Kunstwerke verschärft und NS-Raubkunst davon nicht ausgenommen,
ganz anders als Österreich, das sein Gesetz, nach dem
die Ausfuhr von Raubkunst verboten ist, für diese Fälle
ausdrücklich außer Kraft gesetzt hat. Das aber bedeutet
eine klare Verfügungsbeschränkung für Alteigentümer.
Entweder können sie die ihnen zurückgegebenen Werke
nun in Deutschland, dem Land der Täter, verkaufen,
oder sie benötigen eine Ausfuhrgenehmigung des Kulturstaatsministers. Ist das ein fairer und gerechter Umgang nach all dem angetanen Unrecht?
Wie sähe Deutschland also auf einer internationalen
Bilanzkonferenz zehn Jahre nach der Washingtoner Erklärung aus? Wie könnte es sich darstellen? Wenn wir
unsere Umsetzungsdefizite in Gegenwart aller anderen
43 Signatarstaaten ganz offen zur Diskussion stellten
und uns auf qualitative Veränderungen für die Zukunft
verpflichteten, dann wäre ich sehr für eine solche Konferenz. Eine salvierende Großveranstaltung unter dem verpflichtenden Titel „Washingtoner Nachfolgekonferenz“
in Berlin im Schonraum der Gastgeberrolle wird meine
Fraktion allerdings nicht befürworten.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Reiche von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit
der Washingtoner Konferenz vor rund zehn Jahren ist
viel erreicht worden. So beschämt wir über die über
50 Jahre davor sein müssen, so dankbar und zufrieden
können wir über das zwischenzeitlich Erreichte sein. Es
ist bei Weitem noch nicht alles geschafft, aber die Weichenstellungen, die in Deutschland nach der Washingtoner Konferenz vorgenommen wurden, sorgen dafür, dass
wir uns in die richtige Richtung bewegen. Die Washingtoner Konferenz und ihr Ergebnis, die Washingtoner Erklärung, waren ein Erfolg. Gab es in Deutschland vorher
nur wenige Bemühungen, durch Provenienzrecherchen
die Eigentumsverhältnisse an Kunstwerken zu klären, ist
durch die Koordinierungsstelle in Magdeburg, durch die
Gemeinsame Erklärung von 1999 und durch die Handreichung von 2001 ein allgemeines Bewusstsein geschaffen worden.
Insbesondere durch die Aktivitäten der Bundesregierung und von Herrn Neumann ist eine Arbeitsstelle für
Provenienzrecherche und -forschung eingerichtet worden und wird, denke ich, in den nächsten Wochen personell untersetzt und entsprechend ausgestattet. Die Handreichung ist auf der Grundlage der Erfahrungen von
sechs Jahren überarbeitet worden. Der Antrag der FDP
zeigt, wie ich finde, sehr gut, was alles in den letzten
Jahren unternommen worden ist. Dafür herzlichen Dank.
({0})
Die aktive Stärkung der Provenienzrecherche ist also
gemeinsames Anliegen.
({1})
Der US-amerikanische Holocaustbeauftragte, Sonderbotschafter Christian Kennedy, hat im vergangenen Jahr
vorgeschlagen - ich weiß nicht, ob die FDP es zuerst
vorgeschlagen hat oder er -,
({2})
eine Bilanzkonferenz, also eine Art Washington II, in
Berlin zu veranstalten. Die Bilanz würde gerade aufgrund der Arbeit der Bundesregierung in den letzten
zwei Jahren nicht schlecht ausfallen. Es ist viel geschehen.
Aber die Frage ist, ob statt einer großen Bilanznachfolgekonferenz nicht vielmehr eine Fachkonferenz - von
der Stiftung Preußischer Kulturbesitz organisiert - die
Erfahrungen besser auswerten und neue Impulse geben
könnte. Vor zwei Monaten hat die Stiftung Preußischer
Kulturbesitz an das Leo-Baeck-Institut geschrieben und
darauf hingewiesen, dass die SPK als Veranstalter einer
internationalen Fachkonferenz zum Themenkomplex der
Restitution von NS-Raubkunst zur Verfügung steht. Auf
diese Weise wäre gesichert, dass dieses schon an sich
hochkomplexe Thema nicht durch andere Themen, über
die zurzeit in den USA diskutiert wird, wie zum Beispiel
die Versicherungspolicen aus der NS-Zeit oder andere
Forderungen von Holocaustnachkommen, überlastet
werden würde. Eine solche Fachkonferenz könnte beides: Bilanz ziehen und Impulse geben.
Die Bundesregierung sollte aufgrund der Bedeutung
des Themas und der von dieser Regierung erreichten
Fortschritte eine solche Tagung nicht nur mitfinanzieren,
sondern auch dabei präsent sein. Die Überlegungen, die
es dazu im Auswärtigen Amt gibt, teile und unterstütze
ich.
Zu Beginn dieses Jahres hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von
unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern gemacht und will damit die
verschiedenen Änderungen der Richtlinie von 1993
kodifizieren. Unser Thema, die in der NS-Zeit unrechtmäßig angeeigneten Kulturgüter, ist ein Sonderfall des
größeren Themas unrechtmäßig angeeigneter und verbrachter Kulturgüter.
Vor zehn Jahren haben die Vereinigten Staaten zur
Washingtoner Konferenz eingeladen. Sie hat stattgefunden, um das in Europa entstandene Problem der unrechtmäßigen Aneignung der Vermögen von Holocaust-Opfern zu lösen. Weil dieses in Europa entstandene
Problem in einer Nachfolgekonferenz am besten in Europa gelöst werden kann, schlage ich vor, dass die sich
vereinigenden Staaten von Europa in den nächsten Jahren zu einer Konferenz einladen, um zu bilanzieren, welche Lösungen in dieser Frage erreicht wurden. Vor allem
sollte im Rahmen einer von der EU veranstalteten KonSteffen Reiche ({3})
ferenz nach Wegen gesucht werden, wie die Erfahrungen
der UNESCO im Hinblick auf den weltweiten Kulturgüterschutz in anderen Situationen von Völkermord und
Krieg genutzt werden können.
Es ist meiner Meinung nach die Krux des FDP-Vorschlags, eine deutsche Washington-Nachfolgekonferenz
abzuhalten. Wie gewährleistet man dort die Balance zwischen selbstgerechter deutscher Präsentation der Erfolge
und erneuter Einladung zur Anklage Deutschlands?
({4})
- Ich denke, das kann mit der Fachkonferenz anders
sein, weil dort die Fachleute an diesem Thema arbeiten
und nicht die Regierungen, die natürlich auch eingeladen
sind, auf dieser Konferenz über weitere, über dieses
fachlich eingrenzte Thema hinausgehende Themen zu
diskutieren.
Das Problem, über das zu diskutieren ist - zunächst
auf der SPK-Konferenz und später im Rahmen einer EUKonferenz -, ist ein europäisches Problem. Denn Staaten
in Europa und Menschen aus Europa sind davon betroffen.
Meiner Meinung nach wird an Ihrem Antrag deutlich,
dass die FDP nicht europäisch genug denkt. Wir können
diese Herausforderung nur gemeinsam in Europa lösen.
Deshalb sollte eine Nachfolgekonferenz eine europäische Initiative sein. Das Volk der damaligen Täter lebt
heute mitten in der Europäischen Union. Auch in anderen Staaten der heutigen Europäischen Union sind von
Deutschen organisiert oder von Deutschen angestiftet
und unterstützt unrechtmäßige Eigentumswechsel geschehen. Die davon Betroffenen leben in Staaten Europas oder außerhalb Europas.
Die Europäische Union könnte diesen Themenkomplex in einer von ihr organisierten Veranstaltung auf
sinnvolle Weise weiter behandeln, zugleich andere weltweit geschehene Kulturgüterverbrechen thematisieren
und ausgehend von den zum Beispiel in Deutschland
durchgeführten Verfahren Lösungsansätze entwickeln.
Sie könnte die Arbeit der Fachkonferenz also auf sinnvolle Weise aufgreifen und weiterführen.
Martin Roth, der Generaldirektor der Staatlichen
Kunstsammlung Dresden, sagt zu Recht - ich zitiere ihn -:
Es geht … nicht nur um die deutsch-jüdischen Zusammenhänge, sondern wir haben alle gelernt in
den letzten Jahren, dass dieses Provenienzforschungsthema und Restitutionsthema noch mal
deutlich größer ist.
({5})
- Ja, weil er meinen noch nicht kannte.
({6})
Ich habe heute mit ihm darüber diskutiert. Nachdem wir
kurz miteinander gesprochen haben, hat er dem viel abgewinnen können, weil er merkte, dass mein Vorschlag
über Ihren Vorschlag weit hinausgeht und den Rahmen
sinnvoller und größer absteckt.
Außerdem, so Martin Roth, ist eine von Deutschen in
Deutschland organisierte Nachfolgekonferenz nicht der
richtige Rahmen. Was größer ist als Deutschland, ist Europa. Alles, was Deutschland sinnvollerweise nicht alleine lösen kann, löst es in der Europäischen Union. Das
damalige, besonders große, perverse und schwierige
Verbrechen war ein deutsches. Aber es gibt in der Zeit
danach auch Probleme, die mit unseren bei der Lösung
des in diesem Zusammenhang wohl größten Problems
gemachten Erfahrungen andernorts lösbar würden. Eine
solche europäische Konferenz könnte besser und glaubwürdiger das Thema „Best Practice“ thematisieren. Sie
könnte, wie Martin Roth formuliert hat, thematisieren,
was in anderen europäischen Ländern geschehen ist
bzw., um ihn noch einmal zu zitieren, wie „man in anderen europäischen Ländern gearbeitet“ hat.
Unser Wunsch ist, dass der BKM die SPK bei der
Fachkonferenz unterstützt und begleitet und in Brüssel
die Anregung unterbreitet, dass nach Amerika in den
nächsten Jahren Europa zu einer Konferenz einladen
könnte; ob in Brüssel, in Berlin oder im UNESCO-Ort
Paris, ist egal, wenn man den richtigen Rahmen hat.
Nach den Vereinigten Staaten von Amerika bieten diesen
Rahmen die sich vereinigenden Staaten von Europa. Wer
europäisch denkt, sieht besser. Eine europäische Konferenz kann besser eine sinnvolle Folgeveranstaltung der
amerikanischen Konferenz sein.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Uschi Eid von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die
Frage, wie wir unserer Verantwortung im Umgang mit
den unter dem NS-Regime enteigneten Kunst- und Kulturgütern gerecht werden, hat uns immer wieder beschäftigt. Diese Frage ist wichtig; sie ist aber viel zu spät gestellt worden. Es war 1998, als das Washingtoner
Abkommen Klarheit brachte und die Weichen für faire
und gerechte Lösungen gestellt hat.
Vor zwei Jahren kam es in Deutschland zu einer kontroversen Debatte über die Rückgabe des Kirchner-Gemäldes „Berliner Straßenszene“. Doch der Eindruck, den
manch einer damals angesichts des spektakulären Einzelfalls zu erwecken versuchte, ist falsch: Es gibt keinen
Bedarf, die Restitutionspraxis infrage zu stellen. Es gibt
ganz im Gegenteil eine ziemlich erfolgreiche Rückgaberealität.
({0})
In 90 Prozent aller Fälle kommt es zu einer gütlichen Einigung; die meisten Rückgabestücke besitzen vor allem
einen hohen emotionalen Wert. Trotzdem wurde versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Prinzipien
und Ideen der Washingtoner Erklärung nicht einer fairen
und gerechten Lösung dienen, ja dass sie nur den Profitinteressen des internationalen Kunsthandels nutzen.
Vor diesem Hintergrund hat die FDP einen Antrag gestellt, den sie Ende letzten Jahres noch einmal umgeschrieben hat.
Das Thema Restitution wurde im Ausschuss intensiv
und ernsthaft diskutiert. Der Ausschuss hat dazu eine
Anhörung durchgeführt, in der nicht nur die Praxis in
Deutschland, sondern auch die Erfahrungen im Ausland
beleuchtet wurden. Die Anhörung war ein großer Schritt
zu einer Versachlichung der Debatte. Staatsminister
Neumann hat eine Arbeitsgruppe einberufen, die breit
besetzt war, und er hat einige Punkte der Kritik an der
gegenwärtigen Praxis in Deutschland aufgenommen.
Konsens ist und bleibt - das ist immer wieder deutlich
geworden -, dass es keine Abstriche an der Washingtoner Erklärung gibt. Das ist gut so.
({1})
Warum die FDP nach dieser ausführlichen Bestandsaufnahme und den Ankündigungen des Staatsministers
ihren alten Antrag wieder einbringt, verstehe ich nicht.
({2})
Eine Neuauflage der Washingtoner Konferenz in
Deutschland geht an der Realität vorbei. Der Antrag sendet zudem ein falsches Signal, nämlich dass wir eine
vermeintlich günstigere Rückgabepraxis erreichen wollen. Doch „günstig“ ist eine Terminologie, die bei nie
verjährendem Unrecht unpassend ist.
({3})
Es ist zu begrüßen, dass die Diskussion, die wir in den
vergangenen Monaten geführt haben, Früchte trägt. Der
Vorschlag, eine Stelle für Provenienzrecherche einzurichten, ist richtig, auch wenn darüber gestritten werden
kann, wie weit die dafür bereitgestellten Gelder reichen;
dazu haben sich ja auch die Kolleginnen und Kollegen,
die vor mir gesprochen haben, geäußert. Um die Herkunftsforschung ist es an deutschen Museen schlecht bestellt; das hat die Expertenanhörung im Kulturausschuss
gezeigt. Es ist richtig, die Zusammenarbeit der Magdeburger Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste mit
den Museen vor Ort auf eine breitere Grundlage zu stellen. Allerdings sind die finanziellen und personellen
Engpässe in vielen Museen, die eine eigenständige Forschung behindern, damit noch nicht beseitigt.
Einige Rahmenbedingungen sind neu justiert worden,
sodass die Notwendigkeit einer Evaluation der Rückgabepraxis, wie im Antrag vorgesehen, nicht ersichtlich ist.
Deshalb ist eine Neuauflage oder „Nachfolgeveranstaltung“ der Washingtoner Konferenz in diesem Herbst aus
der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen nicht erforderlich.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Rita Pawelski von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen auch 63 Jahre nach Kriegsende in der moralischen
Verpflichtung, das von den Nazis gestohlene Kulturgut
weiterhin aktiv zu suchen und den rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Darum steht Deutschland uneingeschränkt zu den Vereinbarungen der Washingtoner Erklärung von 1998. Wir erfüllen die eingegangenen
Verpflichtungen.
Staatsminister Neumann hat drei wesentliche Neuerungen auf den Weg gebracht: Erstens. Seit dem
1. Januar 2008 hat die Arbeitsstelle für Provenienzforschung und -recherche die Arbeit aufgenommen.
({0})
- Hat sie seit Januar.
Zweitens. Bei der in 2001 eingerichteten Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg wurde
ein Fachbeirat etabliert.
Drittens. Die maßgeblichen Handreichungen wurden,
wie gefordert, überarbeitet und werden ständig aktualisiert. Sie helfen gerade den kleineren Museen, weil sie
sehr detailliert zeigen, wie geraubte Kunst aufgespürt
werden kann. Es gibt eine Checkliste, die abgearbeitet
werden kann. Das ist gerade für kleinere Museen eine
große Hilfe.
Diese Bundesregierung hat gehandelt. Die von ihr beschlossenen Maßnahmen tragen entscheidend dazu bei,
dass die Provenienzforschung in Deutschland transparenter, koordinierter und nachvollziehbarer wird. Dies
hat auch die FDP bestätigt. Staatsminister Bernd
Neumann hat einmal mehr bewiesen, dass er sich nicht
scheut, sensible Themen anzupacken und erfolgreich zu
lösen.
Jetzt nähert sich der Tag, an dem sich die Washingtoner Konferenz zum zehnten Male jährt. Die FDP will
eine Nachfolgekonferenz, diesmal in Deutschland. Staaten und Organisationen sollen berichten, wie die elf
Punkte der Erklärung abgearbeitet wurden und welche
Anstrengungen darüber hinaus unternommen werden
sollen. Was könnte außerdem das Ziel einer Nachfolgekonferenz sein? Die Grundpfeiler für die Rückgabe von
Restitutionsgütern wurden 1998 festgelegt. Erwartet die
FDP zusätzliche, andere oder neue Grundsätze?
Außerdem, verehrter Herr Otto, sehe ich zwischen
dem heute debattierten Antrag der FDP und dem FDPAntrag „National bedeutsames Kulturgut schützen“ eine
- ich sage es einmal freundlich - Disharmonie. In dem
Antrag vom 25. Oktober 2006 fordern Sie, dass die Balance zwischen den Interessen der Alteigentümer und
den Anliegen der Museen und öffentlichen Sammlungen
im Geiste der Washingtoner Erklärung zum Beispiel
durch eine zehnjährige Haltefrist neu justiert werden
muss. Sie fordern somit von den Eigentümern der geraubten Kunstwerke etwas, was in der Washingtoner Erklärung auch nicht ansatzweise vereinbart wurde. Ist
dies ein Punkt, den Sie auf einer Nachfolgekonferenz geklärt haben möchten?
In Ihrer am 1. Dezember 2006 gehaltenen Rede kritisierten Sie die neu entstandene Restitutionsindustrie und
wollten Vorkehrungen gegen die schwarzen Schafe treffen, wie Sie sagten, die ziemlich ungeniert Geschäfte
machen. Herr Otto, dies ist ein sehr sensibles Thema.
Wollen wir das wirklich auf einer Nachfolgekonferenz
diskutieren?
({1})
Meine Damen und Herren, in dem heute debattierten
Antrag lobt die FDP, dass die Bundesregierung konkrete
und erfolgreiche Maßnahmen ergriffen hat. Dies wurde
heute bereits zu Recht mehrfach erwähnt. Um das bisher
Erreichte zu bewerten und nächste Schritte vorzubereiten, brauchen wir eine Fachkonferenz der beteiligten
Museen mit Experten und Wissenschaftlern aus den verschiedenen Ländern. Darum unterstützen wir die von
Staatsminister Neumann geforderte Fachkonferenz, die
mit internationaler Unterstützung dieses unglaublich
wichtige Thema aufarbeitet und uns neue Wege aufzeigt.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7857 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und
des Arbeitsgerichtsgesetzes
- Drucksache 16/7716 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 16/8217 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Kramme
Es ist vereinbart, dass die Reden zu Protokoll genom-
men werden sollen. Dabei handelt es sich um die Reden
der Kollegen Paul Lehrieder von der CDU/CSU, Anette
Kramme, SPD, Heinz-Peter Haustein, FDP, Jörn
Wunderlich, Die Linke, und Markus Kurth, Bündnis 90/
Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8217, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/7716 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmverhältnis angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan
Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine deutschen Soldaten für eine schnelle
Eingreiftruppe zur Verfügung stellen Rechtswidrige Kriegshandlungen beenden
- Drucksache 16/7890 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Wolfgang Gehrcke von der Fraktion
Die Linke das Wort.
({2})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im
Vorfeld einer Debatte gibt es in der Regel Signale aus
anderen Fraktionen, wie sie über einen vorgelegten An-
1) Anlage 2
trag denken. Mich hat als Erstes die Frage erreicht,
warum wir einen Antrag einbringen, obwohl die Bundesregierung längst entschieden hat, die schnelle Eingreiftruppe nach Afghanistan zu entsenden. Die Antwort
ist relativ einfach: Gerade weil die Bundesregierung diesen Beschluss gefasst hat, muss der Deutsche Bundestag
dies nach unserer Auffassung korrigieren.
({0})
Der Deutsche Bundestag als Volksvertretung ist der
Souverän, nicht die Bundesregierung. Sie hat zu machen, was das Parlament beschließt. Wenn die Bundesregierung eine Fehlentscheidung trifft, dann muss das Parlament als Souverän die Bundesregierung zurückpfeifen
und die Entscheidung korrigieren.
({1})
Das wollen wir mit diesem Antrag, und wir wollen eine
Auseinandersetzung darüber.
Als Zweites hat mich die Frage erreicht, ob wir jetzt
jede Woche Anträge zum Thema Afghanistan in den
Bundestag einbringen wollen. Einige haben gesagt, dass
sie das nervt. Ich kann zwar verstehen, dass sie davon
genervt sind, aber solange Deutschland Krieg führt, werden wir dieses Thema und unsere Gegenargumente so
häufig wie möglich im Deutschen Bundestag vorbringen.
({2})
Das ist für uns keine Frage, die man sozusagen unter
dem Punkt Verschiedenes abhandeln kann. Für die Linke
ist die Position einer Antikriegspartei konstituierend.
Diese Position - das Nein zu Kriegen und damit auch
zum Krieg in Afghanistan - ist nicht verhandelbar.
({3})
Wenn unser Antrag die Ausschüsse durchlaufen hat,
werden wir - damit Sie wissen, wie wir mit dem Antrag
weiter verfahren - im Deutschen Bundestag namentliche
Abstimmung beantragen. Denn wir wollen, dass die
Wählerinnen und Wähler wissen, wer sich in dieser
Frage wie positioniert,
({4})
damit sie mit ihren Abgeordneten diskutieren und sie zur
Rechenschaft ziehen können. Jeder, der zur Entsendung
der schnellen Eingreiftruppe Ja sagt, muss vor der Öffentlichkeit, vor den Wählerinnen und Wählern und vor
dem eigenen Gewissen die Verantwortung dafür übernehmen.
({5})
Ich denke, dass es generell zwei politische Linien
gibt, die nicht zusammenlaufen. Darum unterscheiden
sich auch die strategischen Überlegungen.
Schauen wir uns einmal die Linie bei der schnellen
Eingreiftruppe an. Es war interessant, zu sehen, wie Sie
von der Bundesregierung im Hinblick auf den NATO-Gipfel argumentiert haben. Sie haben argumentiert, es sei
richtig gewesen, dies ohne Aussprache im Parlament zu
entscheiden, weil Sie weiter gehende Forderungen der
USA abwehren wollten. Das Gegenteil ist der Fall. Die
Entsendung von Kampftruppen ist der Türöffner für die
Forderung nach noch mehr Truppen. Das steht doch im
Raum. Lesen Sie einmal den heutigen Beitrag des Kollegen Klose, den ich leider nicht mehr sehe! Viele Abgeordnete aus den Reihen der Regierungskoalition sagen schon
jetzt, man müsse mehr Soldaten nach Afghanistan entsenden. Ich will mich mit den genannten Zahlen gar nicht
aufhalten. Sie können stimmen oder nicht. Aber nach der
Logik der jetzigen Regierungspolitik werden Sie - diese
Position werden Sie immer wieder einnehmen - mehr und
mehr deutsche Soldaten in diesen Krieg schicken. Das ist
die Logik Ihrer Politik und eines Krieges, der - das weiß
jeder in diesem Hause - militärisch nicht zu gewinnen ist.
({6})
- Ich habe dich gar nicht angesprochen. Aber das ist die
Logik einer solchen Politik.
({7})
Wenn man aus dieser Logik heraus will, muss man Signale setzen und endlich mit dem Abzug der Truppen
beginnen. Man wird in Afghanistan keine Politik der nationalen Versöhnung betreiben können, wenn immer
wieder die Gefahr einer weiteren Besetzung des Landes
droht. Eine weitere Besetzung bedeutet weitere Opfer,
weitere Verletzte und weitere Entwürdigungen. Dann
wird neuer Hass entstehen. Genau das muss man bekämpfen.
({8})
Es gibt genau diese zwei Grundlinien: mehr Truppen
oder raus aus Afghanistan. Das ist die Logik der Auseinandersetzung.
Dabei geht auch ganz schnell das Völkerrecht über
Bord. Ich habe mir den ersten Beschluss über den ISAFEinsatz noch einmal durchgelesen. Das ursprüngliche
Ziel war, mitzuhelfen, Kabul abzusichern. Was ist daraus
geworden? Es ist eine Kriegstruppe geworden. Ich bitte
die Bundesregierung, endlich aufzuklären, was mit den
gezielten Tötungen ist. Das kann man in einem Interview mit dem deutschen ISAF-General Kasdorf nachlesen. Beteiligungen an gezielten Tötungen sind rechtswidrig.
({9})
Es wird behauptet, deutsche Soldaten machten das nicht.
Wenn im Rahmen von ISAF und OEF gezielte Tötungen
betrieben werden, dann ist man aufgrund der Truppenbeteiligung auch an gezielten Tötungen beteiligt. Ich finde,
das ist ein katastrophaler Zustand. Klären Sie endlich,
was mit den Gefangenen oder Festgesetzten in Afghanistan ist. Wir haben keinen Vertrag mit Afghanistan. An
wen werden diese übergeben? Jeder weiß, dass in afghanischen Gefängnissen gefoltert wird. Wenn Sie es zulassen, dass Gefangene afghanischen Organen übergeben
werden, setzen Sie die Gefangenen der Folterung aus.
Auch das ist rechtswidrig.
({10})
All das haben Sie nicht geklärt. Wir fordern endlich
eine Erklärung vor dem Deutschen Bundestag, damit jeder weiß, was in Afghanistan passiert und wer die Verantwortung dafür trägt.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zurzeit wird die eine oder andere Überlegung angestellt, ob und unter welchen Voraussetzungen man vielleicht mit der Fraktion Die Linke koalieren könne. Ich
kann allen, die solche Überlegungen anstellen, nur raten,
dem Antrag nicht zuzustimmen, über den wir heute debattieren; denn dieser Antrag zeigt die völlige Unfähigkeit der Fraktion Die Linke, Sicherheitsvorsorge für
Deutschland zu betreiben, international Verantwortung
zu übernehmen und Bündnissolidarität zu wahren. Warum ist das so? Die Linke beantragt, dass der Deutsche
Bundestag ablehnen soll, dass deutsche Soldaten eine
Aufgabe übernehmen, die seit 2005 norwegische Soldaten ausgeführt haben. Die norwegischen Soldaten haben
dies unter deutschem Kommando getan.
({0})
Wie wollen Sie, Herr Gehrcke, das in Oslo erklären?
({1})
Wie wollen Sie, wenn Sie schon dort wären, die Passage
in Ihrem Antrag erklären, Norwegen habe durch die
Stellung der Quick Reaction Force gegen alle Regeln des
Völkerrechts verstoßen? Das ist das, was Sie hier behaupten.
({2})
Was Deutschland jetzt mit der Übernahme der Quick
Reaction Force macht, ist exakt dasselbe, was Norwegen
bisher gemacht hat. Der Auftrag der Quick Reaction
Force bleibt unverändert und ist im Übrigen ein völlig
anderer, als Sie es in Ihrem Antrag, den Sie über alle
möglichen Medien, angefangen vom Neuen Deutschland, vertreiben, darlegen. Es geht um Patrouilleneinsatz, es geht um die Absicherung etwa von öffentlichen
Veranstaltungen oder von Konvois, es geht um den Einsatz gegen gewaltbereite Menschenmengen, und es geht
um Evakuierungsoperationen, beispielsweise von Vertretern der ISAF oder der internationalen Gemeinschaft.
Hier zeigt sich beispielhaft Ihre Unfähigkeit zur Solidarität; denn evakuiert werden müssen könnten möglicherweise auch zivile Entwicklungshelfer, wenn sie in Gefahr geraten. Sie aber sagen: Seht einmal zu, wie ihr da
selber herauskommt. - Es geht bei der Quick Reaction
Force um Zugriffs- und Durchsuchungsoperationen. Außerdem soll sie eine taktische Reserve sein. Und es geht
auch gemeinsam mit afghanischen Streitkräften und afghanischen Sicherheitskräften um offensive Operationen
gegen militante, bewaffnete Aufständische. Auch das ist
eine Frage der Solidarität; denn wir sind in Afghanistan,
und der ISAF-Einsatz heißt, dass wir den Afghanen,
auch den afghanischen Sicherheitskräften, helfen, Sicherheit herzustellen. Das ist der Auftrag.
Sie beschreiben in Ihrem Antrag eine Situation, die
sich ausweislich der norwegischen Erfahrungen überhaupt nicht so darstellt. Norwegen hat im Jahr 2007
26 Einsätze in der Quick Reaction Force durchgeführt.
In der Regel waren etwa 70 Soldaten daran beteiligt. Es
handelte sich überwiegend um Aufgaben der Absicherung der Provincial Reconstruction Teams, die bekanntlich der zivil-militärischen Zusammenarbeit dienen, der
Absicherung von Konvois oder beispielsweise der Absicherung von Veranstaltungen wie der Eröffnung der
neuen Brücke, die über den tadschikisch-afghanischen
Grenzfluss Piandsch führt, im August 2007. Die Absicherung war bei der Einweihung der Brücke erforderlich, weil dort hochrangiges Publikum anwesend war.
({3})
Dann gab es - darüber haben wir hier schon gesprochen - im Grenzgebiet zwischen der Nord- und der
Westregion die Operation Yolo-2. Dabei ist es zu vereinzelten Kampfhandlungen der afghanischen Sicherheitskräfte und der norwegischen Quick Reaction Force gegen bewaffnete Aufständische gekommen. Es hat bisher
keinen Einsatz im Süden und auch keinen im Osten gegeben. Norwegen hatte bisher auch - wir hoffen natürlich alle, dass das so bleibt - keine Verluste durch das
Stellen der Quick Reaction Force.
({4})
Die Quick Reaction Force ist seit 2005 Bestandteil
der ISAF im Norden. Das ISAF-Mandat enthält die Berechtigung zur Selbstverteidigung und Nothilfe, die
Berechtigung, zur Durchsetzung des Auftrags auch militärische Gewalt einzusetzen. Es ist natürlich offensichtlich, dass der Einsatz militärischer Gewalt, insbesondere
der Schusswaffengebrauch, auch zur Tötung von Angreifern und Gegnern führen kann. Das ist richtig. Aber
Sie verschweigen, dass nach den Aussagen des Verteidigungsministers der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
immer zu beachten ist. Das heißt, dass der Einsatz tödli15356
cher Gewalt dann eingeschränkt ist, wenn es mildere
Mittel gibt, die mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden können. Die Quick Reaction Force ist also ein Teil
von ISAF und stellt wie ISAF insgesamt die Voraussetzungen für die Sicherheit her, die für den zivilen Wiederaufbau erforderlich ist. Sie ist beispielsweise erforderlich, damit die Überlandleitung aus Usbekistan über
Masar-i-Scharif nach Kabul fertiggestellt werden kann.
Dort wird Strom über 460 Kilometer transportiert.
200 000 Menschen werden durch diese Stromleitung an
das Elektrizitätsnetz angeschlossen werden. Ohne die
Quick Reaction Force, ohne die ISAF ist das nicht sicher
zu gewährleisten.
Auch die Umsetzung des Aufbauprogramms für den
afghanischen Mittelstand, für Handwerker, für die Landwirtschaft - bisher sind insgesamt etwa 15 000 Männer
und Frauen trainiert worden -, ist ohne ein einigermaßen
sicheres Umfeld nicht zu gewährleisten.
Die Lehrerausbildung in den Provinzen Kunduz,
Takhar und Badakhshan, in denen 15 Referenzschulen
aufgebaut und inzwischen 8 000 Lehrer ausgebildet worden sind, ist ohne ISAF und die Quick Reaction Force
nicht durchführbar. Auch für das Entwickeln einer legalen Einkommensalternative zum Drogenanbau, etwa
durch Unterstützung von Viehwirtschaft, Bienenzucht
oder Obstplantagen, ist diese Absicherung notwendig.
Allein im Norden Afghanistans, für den Deutschland
eine besondere Verantwortung trägt, sind inzwischen
70 Schulen neu gebaut bzw. wieder errichtet worden,
20 Brücken, 40 Gesundheitsstationen mit Trinkwasserund Bewässerungsanlagen sind in 30 Dörfern wieder
hergestellt oder neu eingerichtet worden. 10 000 zurückkehrende Flüchtlinge sind unterstützt worden.
All das, Herr Gehrcke, war nur möglich, weil ISAF
im Norden ein vergleichsweise sicheres Umfeld geschaffen hat. Damit der ISAF-Einsatz mit unseren wenigen
Truppen, die im Norden stationiert sind, wirksam organisiert werden kann, ist diese spezielle Ausprägung der
Quick Reaction Force notwendig. So wird ein Schuh
daraus. Wenn Sie sich dieser Notwendigkeit verweigern,
wenn die Linke die Quick Reaction Force ablehnt, dann
stellen Sie zum einen die ISAF insgesamt infrage bzw.
lehnen sie ab - aber das tun Sie ja sowieso -, aber zum
anderen gefährden Sie gleichzeitig - und das sagen Sie
so nicht - den Wiederaufbau Afghanistans. Sie provozieren damit die Rückkehr der Taliban und al-Qaidas.
({5})
Damit gefährden Sie auch die Sicherheit in Deutschland.
Das ist die Konsequenz Ihres Antrags, wenn man Ihn zu
Ende denkt.
Deshalb weise ich noch einmal darauf hin: Jeder, der
meint, er könne mit Ihnen verantwortlich zusammenarbeiten - etwa koalieren -, der sollte sich diesen Antrag
gut aufheben.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Rainer Stinner von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Polenz, Sie haben versucht, die Fraktion Die
Linke mit logischen Argumenten zu überzeugen.
({0})
Ich gebe zu, diesen Versuch werde ich nicht wiederholen.
({1})
Ich bin aber dankbar, dass Sie diese Diskussion am
Laufen halten und wir unsere Positionen dazu klarmachen können, vor allem, dass die Regierung ihre Position
zu diesem Thema nachhaltig klarmachen kann.
Völlig klar ist - Sie haben es gesagt -: Die Quick Reaction Force, die Eingreiftruppe, ist notwendig, damit
wir den Auftrag, den wir in Afghanistan haben, erfüllen
können. Wir haben zusammen mit der afghanischen Regierung einen Stabilisierungsauftrag. Zur Umsetzung
dieses Auftrages gehört am Ende des Tages eventuell
auch - wenn es notwendig ist - der Einsatz militärischer
Gewalt. Das sollten wir gar nicht beschönigen, sondern
deutlich ausdrücken: Wenn es zur Erfüllung unseres Auftrags notwendig ist, dann muss eventuell militärische Gewalt eingesetzt werden. Das ist die Wahrheit, das beinhaltet auch das ISAF-Mandat. Die norwegischen
Soldaten haben das in den letzten Monaten unter deutschem Kommando in fabelhafter Weise umgesetzt. Und
es ist - wie gesagt - überhaupt nicht einzusehen, warum
das, was unter deutschem Kommando stattfindet, nicht
auch von deutschen Soldaten ausgeführt werden sollte.
Das ist ein ganz normaler Vorgang.
Von daher müssen wir ganz klar festhalten, meine Damen und Herren: Mit Blick auf das Mandat handelt es
sich nicht um eine neue Qualität des Einsatzes, sondern
der Einsatz der Eingreiftruppe geschieht im Rahmen des
bisherigen Mandats. Deutschland muss für diese Aufgabe neue Kompetenzen und Kapazitäten bereitstellen.
Damit hat das Ministerium noch genügend zu tun.
Die Debatte zeigt aber auch, wie konfus in der Bundesrepublik insgesamt über das Mandat, über Mandatierung und Mandatserfüllung diskutiert wird und wie konfus insbesondere die Regierung mit diesem Thema
umgeht. Der Kern unserer Diskussion ist doch, wie wenig die Öffentlichkeit aufgeklärt wird und vor allen Dingen wie wenig die Öffentlichkeit bei dieser schwierigen
Aufgabe mitgenommen wird.
Die Regierung versucht bis zum heutigen Tage fast
krampfhaft immer noch den Eindruck zu erwecken, es
gehe in Afghanistan primär darum, Brücken zu bauen
und Schulen einzuweihen. Das ist ohne Zweifel wichtig.
Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen: Es geht eben
auch um anderes. Daher kann ich nicht verstehen, dass
bis zum heutigen Tage auf der Homepage der Bundesregierung steht: Der Kampf gegen die Taliban findet nur
im Rahmen der OEF statt, und es gibt eine strikte Trennung zwischen ISAF und OEF. Nein, das stimmt nicht.
Auch im Rahmen von ISAF wird gegen die Taliban gekämpft, nicht nur im Süden, sondern auch im Norden.
Das ist ein Faktum. Die Operation „Harekate Yolo“ war
genau so ein Fall. Das müssen wir doch zur Kenntnis
nehmen.
Diese Unsicherheit führt dazu, dass auch in den Reihen der Koalitionsfraktionen in den ersten Wochen dieser Diskussion eine gewisse Unsicherheit geherrscht hat.
Es ist zum Beispiel ein Gegensatz zwischen Stabilisierung und Kampfeinsatz konstruiert worden. Das ist kein
Gegensatz; das gehört eventuell zusammen. Es soll nicht
im Vordergrund stehen; das wissen wir alle. Dafür setzen
wir uns nachdrücklich ein.
Der Verteidigungsminister trägt leider selber zur Verwirrung bei. Zwei Vokabeln - auch Herr Kollege Polenz
hat sie heute hier benutzt - trägt er wie ein Mantra vor
sich her: „Selbstverteidigung“ und „Verhältnismäßigkeit“. Lieber Herr Polenz, Verhältnismäßigkeit ist eine
Maxime jeden staatlichen Handelns. Das gilt für die Berliner Polizei und für alle anderen. Daher ist es selbstverständlich, dass wir verhältnismäßig vorgehen und nicht
mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Wir müssen der Öffentlichkeit deutlich sagen: Im
Notfall geht das, was wir militärisch tun, über die Selbstverteidigung hinaus - auch in Afghanistan. Die Schilderung der norwegischen Soldaten, die wir im Fernsehen
zur Kenntnis nehmen konnten, zeigt doch, dass das, was
sie getan haben, über eine militärische Selbstverteidigung hinausging. Das muss die Bevölkerung wissen; das
müssen auch unsere Soldaten wissen. Hier gibt es leider
eine weitere Grauzone: Die Soldaten sind sich nicht bewusst, was sie in Afghanistan wirklich tun dürfen, lieber
Kollege Siebert. Das heißt, sie wissen nicht, welche
Funktionen, welche Fähigkeiten und welche Kompetenzen sie eigentlich haben.
Ich habe im Verteidigungsausschuss versucht, eine
Diskussion darüber anzuregen, um mehr zu erfahren.
Das Ergebnis war: Die Bundesregierung setzt jetzt, im
Februar 2008 - wir sind schon sechs Jahre in Afghanistan -, eine Arbeitsgruppe ein, um uns diese Frage im
Ausschuss in 14 Tagen kompetent beantworten zu können.
({2})
Dazu sage ich deutlich: Das ist blamables Regierungshandeln. Die Soldaten haben Besseres verdient.
({3})
Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, den Sinn
dessen, was dort getan wird, der Bevölkerung klarzumachen. Daran muss wirklich gearbeitet werden. Meine
Damen und Herren von der Regierung, nur so können
Sie den bodenlosen Argumenten der Linken nachhaltig
den Boden entziehen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Niels Annen von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Gehrcke, wenn ich es richtig in Erinnerung
habe, haben Sie gesagt, Sie wollten jede Gelegenheit
nutzen, um an dieser Stelle Ihre Position darzulegen,
({0})
und Sie hätten gehört, das nerve uns und wir sähen das
als Ritual an.
({1})
Ich sage Ihnen: Lassen wir uns gemeinsam auf diese
Diskussion ein. Ich fürchte mich überhaupt nicht vor
dieser Debatte. Eine Parlamentsarmee benötigt nämlich
die öffentliche Auseinandersetzung über die Grundsätze
des Einsatzes der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten.
Diese Auseinandersetzung muss in der Öffentlichkeit, in
diesem Hohen Hause, in der Bundesregierung, überall
dort, wo es die Menschen bewegt, geführt werden.
({2})
Herr Kollege, dagegen, dass Sie „Wir brauchen die
Diskussion in der Öffentlichkeit“ sagen, ist nichts einzuwenden, aus Gründen der Legitimation unseres Einsatzes und auch weil es für die Soldatinnen und Soldaten,
die dort Dienst leisten, wichtig ist, zu wissen, dass sie
die Unterstützung dieses Hauses haben, dass es also ein
Verständnis für diese schwierige Mission gibt.
Sie sind aber auch gefordert. Sie sollten hier keinen
Antrag vorlegen, bei dem es offensichtlich eigentlich nur
darum geht, Stichwörter wie „völkerrechtswidrig“ oder
„Verwicklung in einen wie auch immer gearteten Krieg“
zu geben und eine entsprechende Assoziation herzustellen. Das ISAF-Mandat, über das wir hier reden, und die
Quick Reaction Force, über die wir hier diskutieren, sind
beide glasklar durch das Völkerrecht legitimiert.
({3})
Sie entwerten mit dieser Form der Ritualisierung
- nicht mit der regelmäßigen Debatte; von mir aus können wir jeden Tag in der Sitzungswoche darüber debattieren; damit habe ich gar kein Problem - Teile der Argumente. Ich würde sagen: Lassen Sie uns in diesem
Haus eine kritische Debatte führen, auch über die Frage,
ob die Strategie von Counter Insurgency gerade im Süden, aber auch im Osten Afghanistans Erfolg haben
kann. Das ist eine Frage, die auch auf der NATO-Gipfelkonferenz jetzt zur Debatte steht.
Unsere Strategie der vernetzten Sicherheit, unsere
Strategie, die darauf setzt, miteinander ins Gespräch zu
kommen, aber auch das klare Bekenntnis dazu, dass man
in Afghanistan einen Teil „militärische Absicherung“
braucht, all das kann zu der Erkenntnis führen, dass es
eine Quick Reaction Force braucht, wie das in den vergangenen Monaten und Jahren ja auch vorgekommen ist.
So führen wir eine seriöse Debatte.
Der Kollege Polenz hat zu Recht erwähnt, seit wann
die Norweger dort unter deutschem Kommando Dienst
tun.
({4})
Wann hat es in diesem Hause, Herr Kollege Gehrcke,
eine von Ihnen beantragte Debatte über die Arbeit der
norwegischen Soldaten im Rahmen der Quick Reaction
Force gegeben? Ich kann mich nicht daran erinnern.
({5})
Der Souverän ist das Parlament. Ich unterschreibe
diesen Satz. Das bedeutet für jeden von Ihnen und für jeden von uns: Wir werden uns für unsere Entscheidung
den Wählerinnen und Wählern stellen; gar keine Frage.
Ich will die einzelnen Punkte nicht wiederholen, weil sie
ausreichend dargestellt worden sind. Ich stimme dem zu,
was zu den Aufgaben der Quick Reaction Force und zu
den Absicherungsnotwendigkeiten gesagt worden ist.
Wenn wir uns jetzt die Diskussionslage in Deutschland und innerhalb des Bündnisses anschauen, erkennen
wir: Es gibt Punkte, über die wir uns Gedanken machen
müssen. Ich bedauere ein wenig, dass ein unseriöser
Zungenschlag hineinkommt. Fakt ist: Die Menschen in
Deutschland zweifeln daran, dass es die richtige Entscheidung war, mit Soldaten nach Afghanistan zu gehen.
- Jeder von uns erfährt das - in Bürgergesprächen, Anrufen, Mails, Briefen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen; gar keine Frage. Deswegen glaube ich - das sage
ich auch mit Blick auf Bukarest -: Die Menschen werden sich nicht überzeugen lassen, wenn man einfach nur
sagt: Die Glaubwürdigkeit des Bündnisses NATO steht
infrage, wenn wir in Afghanistan scheitern. - Wir müssen sagen, welcher Weg der richtige Weg für Afghanistan ist. Der militärische Aspekt wird einer sein, auf den
wir uns in Zukunft werden verlassen müssen.
Sie aber, Herr Kollege Gehrcke, sprechen für eine
Fraktion, die es sich immer zugutehält, das Militär nicht
in den Mittelpunkt zu rücken. Mit dieser Form der Debatte rücken Sie das Militär aber jede Woche in den Mittelpunkt.
({6})
Deswegen denke ich, dass wir das von Ihnen angestoßene Ritual in Zukunft nutzen sollten, um über folgende
Fragen zu sprechen: Wie schaffen wir wirklich vernetzte
Sicherheit? Was können wir beim Polizeiaufbau besser
machen?
({7})
Wie können wir mit den NGOs besser zusammenarbeiten? Dann könnte vielleicht, gegen Ihre Intention, aus
dieser Debatte wirklich etwas Konstruktives herauskommen. Es könnte auch herauskommen, dass der Einsatz
unserer Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Quick
Reaction Force wirklich die politische Legitimation besitzt, die diese für ihre Arbeit brauchen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer gegen
ISAF ist, ist auch gegen QRF - das ist logisch. Jemand,
der immer schon gegen ISAF war, behauptet nun, die
QRF sei eine neue Qualität.
({0})
Das allerdings dementieren Sie in Ihrem eigenen Antrag.
Sie schreiben:
… keine deutschen Soldaten dem ISAF-Kommando für den Austausch
- ich zitiere die Linkspartei der norwegischen schnellen Eingreiftruppe … zur
Verfügung zu stellen;
Das heißt, der Antimilitarismus der Linkspartei beginnt
dann, wenn es deutsche Soldaten betrifft und nicht mehr
norwegische.
({1})
In der Tat ist es so, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihrer Verantwortung für den Norden mit
einem Zehntel der ISAF-Truppen ein Viertel des Landes
relativ stabil hält.
Ich finde es schon interessant, wie dieser Einsatz im
Norden einerseits von Briten und Amerikanern und andererseits gelegentlich von Ihnen, Herr Gehrcke, verzerrt
dargestellt wird. Ich glaube, dass Herr Annen recht hat.
Ich wünschte mir, aufseiten der Regierung würde gehört,
was er hier gesagt hat; denn in der Tat brauchen wir einen Strategiewechsel und ein anderes Herangehen. Ich
habe heute in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass jemand aus Ihren Reihen meint, wir brauchten keinen
Strategiewechsel, sondern mehr Soldaten. Es sei unsolidarisch, schreibt Herr Klose an dieser Stelle.
Dieser Haltung möchte ich die Haltung von jemandem entgegensetzen, bei dem wir unterstellen sollten,
dass er weiß, was er gerade tut. Am gleichen Tag, an
dem dieses Plädoyer von Herrn Klose zu lesen war,
wurde im Tagesspiegel ein Interview mit Brigadegeneral
Dammjacob veröffentlicht. Auf den Vorhalt, „es dürfe
keine Zweiteilung der NATO in Kämpfer und Aufbauer
geben“, sagte Herr Dammjacob:
Ich kann ja nicht durchs Land ziehen und Feinde
suchen, die ich erschießen kann.
Herr Dammjacob sagte später:
Wir versuchen hier klarzumachen, dass wir keine
Besatzer sind, sondern helfen wollen.
Daraufhin fiel dem Tagesspiegel - so weit sind wir
schon - die Frage ein:
Was sagen Sie Leuten, die meinen, Sie bestechen
die Leute?
Herr Dammjacob antwortete:
Den Gedanken finde ich ziemlich absurd. Für welche Gegenleistung sollte ich den Afghanen denn
bestechen?
Darauf folgte die Antwort:
Damit er nett bleibt.
Herr Dammjacob:
Na, das ist ja interessant. Ich gehe davon aus, dass
der von vornherein nett ist.
({2})
Mit diesen einfachen Worten hat der kommandierende General den Ansatz Deutschlands und den Kern
der deutschen Strategie im Rahmen von ISAF zutreffend
beschrieben.
Wir dürfen im Streit über die Strategie - sie wird im
Süden in dieser Form nicht umgesetzt - nicht weiter der
bisherigen Logik folgen und sagen: Letztes Jahr haben
wir 500 Soldaten mehr geschickt; dieses Jahr schicken
wir eventuell 1 000 Soldaten mehr. Auch dazu hat Herr
Dammjacob etwas gesagt, und zwar auf die Frage, ob er
1 000 weitere Soldaten in Afghanistan brauchen könne:
Ich komme mit dem aus, was ich habe. Und ich fordere nicht mehr Soldaten.
Deswegen muss sich die Regierung beim NATO-Gipfel in Bukarest in der Tat für einen Strategiewechsel einsetzen. Dort, wo ein Strategiewechsel vollzogen wurde,
zeigen sich Erfolge. Ich weise darauf hin, dass der
Mohnanbau im Norden anders als im Süden zurückgegangen ist. Es ist mittlerweile gelungen, im Osten Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen: Stammesältere sorgen
mit den Aufständischen über die Tribal Liaison Offices
in bestimmten Bereichen für Sicherheit. Es gibt inzwischen Aufbauprojekte der GTZ, die endlich - mit einem
Jahr Verzögerung - auch im Süden aufgenommen wurden. Das heißt, das Bild von Afghanistan ist kein Bild
der durchgehenden Verschlechterung, sondern das Bild
einer unterschiedlichen Entwicklung. Wir können heute
feststellen, dass dort, wo ein Strategiewechsel erfolgt ist,
dies zu Erfolgen geführt hat.
Bevor ich zu meinem Schlusssatz komme, muss ich,
glaube ich, die Luft anhalten.
({3})
Erlauben Sie zum Schluss eine Zwischenfrage? Bitte schön.
Herr Kollege Trittin, angesichts des Lobes über die
deutsche Strategie im Norden frage ich Sie: Würden Sie
gleichwohl erstens einräumen, dass die Taliban im Süden Afghanistans - auch weil sich dort überwiegend
paschtunische Stammesgebiete befinden - per se einen
stärkeren Rückhalt als im Norden hatten? Würden Sie
zweitens einräumen, dass die Rauschgiftanbaugebiete
im Süden von vornherein stärker als im Norden verbreitet waren? Würden Sie also einräumen, dass die Tatsache, dass die Erfolge im Süden noch ausstehen, nicht allein - auch nicht in erster Linie - einem anderen
strategischen Vorgehen geschuldet ist, sondern dass die
Lage im Süden vielerorts offensichtlich ein anderes Vorgehen erforderlich macht?
Herr Polenz, ich glaube, darüber kann niemand hinwegreden; das tut übrigens auch Herr Dammjacob in
dem Text nicht.
({0})
- Nein. Ich habe vier Minuten Redezeit, und Herr Polenz
gibt mir jetzt die Gelegenheit, das Ganze etwas ausführlicher darzustellen. Das freut mich; ich bedanke mich
dafür. - Es ist in der Tat etwas anderes, wenn Sie eine offene Grenze haben, über die nachts immer wieder Leute
kommen können, die dann bei stärkerem militärischen
Druck entsprechend wieder entfliehen können. Deswegen ist das, was ich hier gesagt habe, auch nicht als Kritik zum Beispiel an den Niederländern zu verstehen, die
dort mit einem ganz ähnlichen Konzept wie die Deutschen ebenfalls größere Probleme haben, nur unter anderen Schwierigkeiten. Wir müssen gemeinsam feststellen
- deswegen habe ich die Beispiele aus dem Tribal Liaison Office im Osten und der GTZ im Süden genommen -,
dass der Ansatz, Aufbau und Sicherheit miteinander zu
verknüpfen, was dort unter schwierigen Bedingungen
umgesetzt werden muss, richtig ist, dass aber ein Verständnis, wie es sich in vielen Kommandoaktionen niedergeschlagen hat, nämlich dass es dort einen Feind gibt,
den man militärisch zerschlagen müsste, kontraproduktiv gewesen ist.
Das ist der Grund, warum wir für einen Strategiewechsel im Norden wie im Süden plädieren. Ich glaube,
das ist der richtige Weg. Sowohl der Einsatz von immer
mehr Soldaten als auch der blanke Abzug würde in die
Irre führen. Es würde zu mehr Krieg führen. Wir müssen
an dieser Strategie festhalten, und wir müssen sie für
ganz Afghanistan durchsetzen. Das ist die Herausforderung, vor der diese Bundesregierung steht.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es
ist schon erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit auch in
dieser Debatte wieder geleugnet wird, dass die schnelle
Eingreiftruppe eine neue Qualität im Krieg in Afghanistan darstellt. Herr Polenz, ich glaube, die Linke muss
auch nicht der Bevölkerung in Norwegen erklären, dass
es nichts nutzt, die Probleme dort mit militärischen Mitteln zu lösen, sondern dass man diese in erster Linie mit
zivilen Mitteln lösen muss.
({0})
Die norwegische Bevölkerung hat in ihrem Parlament
durchgesetzt, dass die Ausgaben für die Rüstung in Afghanistan heruntergefahren und gleichzeitig die Zivilausgaben erhöht werden. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Beispiel. Dem sollte sich unsere Regierung
anschließen.
({1})
86 Prozent der Deutschen wollen trotz Ihrer Propaganda nicht, dass die Bundeswehr sich an Kampfeinsätzen beteiligt. Die Bundesregierung müsste doch allmählich gelernt haben, dass ihre Öffentlichkeitsarbeit nach
der Methode „Weichspülen und Einlullen“ das genaue
Gegenteil des angestrebten Zwecks bewirkt. Die Bevölkerung wohnt schließlich nicht hinter dem Mond. Sie
bekommt doch mit, dass der ursprüngliche Unterstützungsauftrag der ISAF-Truppe inzwischen Aufstandsbekämpfung heißt. Das beinhaltet auch gezieltes Töten.
Sie sieht die Folgen dieses Strategiewechsels, nämlich die dramatische Zunahme der Zahl der Anschläge in
den letzten anderthalb Jahren, die sich selbst in diesem
schweren und harten afghanischen Winter mit bis zu
90 Anschlägen pro Woche auf einem hohen Niveau bewegt.
Heute debattieren wir über 250 Soldaten für eine
schnelle Eingreiftruppe. Zur selben Zeit denken Regierung und Koalitionsspitzen aber schon halböffentlich
über die Aufstockung des deutschen Kontingents um
weitere 1 000 Soldaten nach. Ich sage Ihnen: Wenn Sie
glauben, damit den Pentagon-Chef besänftigen zu können, dann sind Sie schief gewickelt.
({2})
Herr Klose redet in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung Klartext. Dort sagt er, was die Spitzen
von SPD und CDU/CSU wirklich denken: „Gleiches Risiko für alle … Warum wir in Afghanistan sind, und warum unsere Soldaten auch in den Süden müssen.“
({3})
Der Artikel zeigt, wohin die Reise in Afghanistan gehen wird. Ich sage Ihnen: Nach sechs Jahren Kriegsbeteiligung geraten wir in einen immer tieferen Kriegssumpf. Das sage ich Ihnen, Herr Kolbow, auch als
Fraktionsloser; denn auch als Fraktionsloser habe ich
eine Meinung, die ich hier vertreten können muss.
({4})
Dabei ist ein radikaler Schnitt erforderlich. Wir brauchen endlich ein politisches Afghanistan-Konzept, das
die Priorität auf die zivile Hilfe setzt.
Wie wenig Sie im zivilgesellschaftlichen Bereich vorangekommen sind, zeigt der Fall des 23-jährigen Studenten und Journalisten Kambaksch. Der junge Mann
sitzt in Masar-i-Scharif in der Todeszelle. Er wurde in einem Geheimprozess wegen „Abfall vom rechten Glauben“ durch einen „Rat der Gelehrten“ verurteilt. Er hatte
keinen Verteidiger. Sein Vergehen war: Er hat Schriften
aus dem Internet über die Stellung der Frau im Islam
verbreitet. Nun kommt der Gipfel: Der afghanische Senat hat das Todesurteil bestätigt, und Präsident Karzai
hat nicht die Absicht, ihn zu begnadigen.
Das ist die Realität in Afghanistan, an der die Bundesregierung mitschuldig ist.
({5})
Sie ist das Ergebnis einer vollkommen verfehlten Afghanistanpolitik.
Vielen Dank.
({6})
Als letzte Rednerin hat die Kollegin Ursula Mogg von
der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach diesem Redebeitrag ist es vielleicht hilfreich, die
Debatte auf den Kern zurückzuführen, also auf das, worüber wir heute Abend debattieren wollen. Wir reden
darüber, dass die Bundeswehr 240 norwegische Soldaten
ablösen soll, die bisher die Aufgaben einer Quick Reaction Force im Norden von Afghanistan im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr erfüllt haben. Das wollen
wir ab Juli im Rahmen des bestehenden Mandates tun.
Dazu werden wir nicht mehr Soldaten brauchen, wie immer wieder unterstellt wird, sondern es wird alles im
Rahmen des Mandats, das 3 500 Soldatinnen und Soldaten vorsieht, geschehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der
Linken, Sie sprechen viel über Verantwortung. Haben
Sie einmal darüber nachgedacht, dass es auch verantwortungslos sein kann, nichts zu tun? Ich habe den Rednern Ihrer Fraktion gestern mit großem Interesse in der
Debatte über das Kosovo zugehört und habe mit Entsetzen festgestellt, dass sie einen Teil der Wirklichkeit
komplett ausgeblendet haben. In Ihrer Argumentation
findet sich der Zeitraum 1998/99 überhaupt nicht wieder.
Sie haben Milošević und das komplett ausgeblendet, worüber wir damals in diesem Hause miteinander diskutiert
haben.
Genauso blenden Sie jetzt die Tatsache komplett aus,
dass es in der Debatte über Afghanistan noch mehr zu
beachten gibt. Mit diesem Mandat, über das wir fortgesetzt im Deutschen Bundestag beraten, haben wir für die
Menschen in Afghanistan eine Verantwortung übernommen.
({0})
Da hilft es - darauf hat schon der Kollege Polenz hingewiesen -, sich einmal anzusehen, was die Norweger in
den vergangenen zwei Jahren getan haben. Sie waren zuständig für die Rettung der Soldaten und der afghanischen Zivilbevölkerung; sie haben Konvois geschützt
und sind gegen bewaffnete Gruppen vorgegangen, die
die Zivilbevölkerung bedrohen und terrorisieren. Auch
das gehört zur Wirklichkeit in Afghanistan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Ihren
Antragstext zu lesen - auch darauf ist in dieser Debatte
schon hingewiesen worden -, fällt an vielen Stellen sehr
schwer, weil Sie mit nichts anderem arbeiten als mit
Unterstellungen. Der Kollege Stinner hat es schon angesprochen: Nach unserem Rechtssystem und unserem demokratischen Verständnis gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Wenn Sie sich mit dem beschäftigen würden,
was die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bewegt, dann würden Sie wissen, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten mit gezielten Tötungen nichts im Sinn haben.
({1})
Bei allem, was sie tun, wissen sie, dass sie Demokraten
und Staatsbürger in Uniform sind und das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit selbstverständlich beachten müssen.
({2})
Sie fordern in Ihrem Antrag eine rechtzeitige, wahrheitsgemäße und umfassende Information ein. Was machen wir denn andauernd im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages? Sie stellen sich doch selbst
ein schlechtes Zeugnis aus, wenn Sie das in dieser Art
und Weise in Ihrem Antragstext fordern.
Sie sprechen von einer Überdehnung des Mandates.
Haben Sie denn einmal in den damaligen Antragstext der
Bundesregierung geschaut, in dem steht, welche Aufgaben zu leisten sind und welcher Auftrag zu erfüllen ist?
Dies steht in Punkt 3 des Antrages vom 21. September
2005. Dort wird dies genau beschrieben: „Unterstützung
der Regierung von Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit“. Was tut die Quick Reaction Force?
Genau dies tut sie.
({3})
„Mitwirkung an der Führung von ISAF …“, „Sicherung
des Arbeitsumfeldes des Personals …“, und zwar zivil
und militärisch. Das tut die Quick Reaction Force. Sie
brauchen nur den Antragstext von 2005 zu lesen. Sie
können unter Punkt 5 genau nachlesen, um welche einzusetzenden Kräfte und Fähigkeiten es geht. Das ist alles
ganz genau aufgelistet. Es gibt kein Geheimnis in diesem Parlament.
Frau Kollegin Mogg, denken Sie an die Zeit.
Das tue ich gerne, Herr Präsident. Obwohl: Mein
Herz ist voll, und da läuft der Mund gerne über.
Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion, dringend auf: Verbreiten Sie keine Panik! Vermeiden Sie Unterstellungen! Bleiben Sie bei der
Wahrheit und übernehmen Sie gemeinsam mit uns allen
in diesem Parlament die Verantwortung für die Menschen in Afghanistan! Verharmlosen will niemand.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7890 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
- Drucksachen 16/7954, 16/8123 Nr. 2.1, 16/8216 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Horst Meierhofer
Sylvia Kotting-Uhl
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Gerd Bollmann von der
SPD-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Entgegen vielen Befürchtungen ist der Entwurf der fünften Novelle zur Verpackungsverordnung ohne grundlegende Änderungen durch den Bundesrat verabschiedet
worden. Der Bundesrat hat sowohl dem Trennungsmodell als auch dem System der Vollständigkeitserklärung
zugestimmt. Unseriösen Selbstentsorgern und Trittbrettfahrern wird die Möglichkeit zum betrügerischen Missbrauch genommen. Das Ziel der Novelle, kurzfristig die
getrennte Haushaltssammlung und das gesamte System
zu stabilisieren und vor einem Zusammenbruch zu bewahren, ist erreicht. Die SPD stimmt daher der heute
vorliegenden Novelle zu und erwartet eine zügige Umsetzung.
Ich will jedoch nicht verhehlen, dass wir uns in manchen Punkten bessere Lösungen vorstellen können. Die
Verbesserungen zugunsten der Kommunen und der Bürger gehen uns nicht weit genug. Die Auflage, dass die
öffentlich-rechtlichen Entsorger bei der Vergabe der
Sammlung durch die dualen Systeme anzuhören sind,
wurde vom Bundesrat gestrichen. Begründet wird dies
damit, dass eine solche Auflage aufgrund des Verstoßes
gegen höheres Recht nicht möglich ist. Anscheinend war
das Ministerium anderer Meinung. Ich will dies nicht
kommentieren und auch nicht entscheiden, wer recht hat.
Die Auffassung des Bundesrates macht aber eines deutlich: Wenn wir bei der Sammlung bürgerfreundliche und
unbürokratische Lösungen wollen, müssen wir neue
Wege gehen. Wir sind weiterhin der Meinung, dass eine
Zuständigkeit der Kommunen für die Sammlung und deren Ausschreibung nach wettbewerbs- und europarechtlichen Kriterien am sinnvollsten ist.
({0})
Sicherlich gibt es unterschiedliche Auffassungen zur
besten Ausgestaltung der Verpackungsverordnung. Die
Diskussionen haben verdeutlicht: Es gibt hier weiteren
Gesprächs- und, wie ich meine, Handlungsbedarf. Die
SPD begrüßt daher, dass das Bundesumweltministerium
das von uns geforderte Planspiel durchführen wird. In
diesem Planspiel soll eine Abschätzung der Folgen der
jetzigen Novelle durchgeführt und sollen weitergehende
Änderungen durchgespielt werden. Es müssen die Möglichkeiten einer grundlegenden Novellierung dargestellt
werden. Dabei müssen alle Optionen aufgezeigt werden.
Denkblockaden darf es nicht geben. Ziel muss es sein, zu
längerfristigen ökologisch und ökonomisch sinnvollen
sowie bürgerfreundlichen Lösungen zu kommen.
Anmerken möchte ich noch, dass sich die SPD auch
einer Abgabenregelung nicht grundsätzlich verschließen
wird. Die Verpackungsverordnung sollte zu einer material- und stoffstromorientierten Regelung im Sinne der
Kreislaufwirtschaft weiterentwickelt werden. Mit der
Regelung, dass die Kommunen die Sammlung stoffgleicher Materialien in der gelben Tonne verlangen können,
weist die jetzige Novelle in die richtige Richtung. Eine
zukünftige Ausgestaltung der Verpackungsverordnung
muss für Kommunen und Bürger gleichermaßen verlässlich und handhabbar sein sowie die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen.
({1})
Keinesfalls darf es zu weiteren Privatisierungen kommen. Die Hausmüllentsorgung gehört zur Daseinsvorsorge. Wir lassen nicht zu, dass daran gerüttelt wird.
({2})
Gestatten Sie mir einige allgemeine Worte zur Abfallwirtschaft. In den letzten Jahren wurde immer wieder
mit dem Hinweis auf bessere technische Möglichkeiten
ein Verzicht auf die getrennte Haushaltssammlung gefordert. Ich kann mir vorstellen, dass Herr Meierhofer in
seinem gleich folgenden Beitrag wieder darauf hinweisen wird, dass das, was wir da machen, eigentlich völlig
überflüssig und nicht mehr zeitgemäß ist.
({3})
Ich lehne eine technische Mülltrennung keineswegs
ab. Die Fachleute sind aber der Meinung, dass die händische Trennung derzeit bessere Ergebnisse bringt. Diese
Auffassung wurde in der Anhörung zur fünften Novelle
der Verpackungsverordnung unter anderem von Professor Dr. Pretz von der Technischen Hochschule in Aachen
bestätigt. Dies war auch das Ergebnis der großen Anhörung, die wir 2004 im Bundestag durchgeführt haben.
Von acht Sachverständigen haben sich damals sieben
eindeutig geäußert. Bei der Anhörung zur fünften Novelle habe ich diesbezüglich noch einmal nachgefragt.
Von Professor Dr. Pretz wurde diese Auffassung eindeutig bestätigt. Ich denke, man muss irgendwann damit
aufhören, die Leute zu verunsichern und so zu tun, als
würde nur Blödsinn gemacht, der eigentlich völlig überflüssig ist.
({4})
Ein Verzicht auf die getrennte Haushaltssammlung
bedeutet, dass der größte Teil des Abfalls verbrannt
wird. Mit dem Hinweis auf den Klimaschutz wird die
thermische Abfallverwertung als Möglichkeit zur CO2Einsparung gepriesen. Einen derartigen Vorrang für die
Verbrennung lehne ich jedoch ab. Sowohl unter Klimaschutzaspekten als auch unter Berücksichtigung der Ressourcenschonung halte ich einen massiven Einstieg in
die thermische Verwertung für den ökologisch und ökonomisch falschen Weg.
({5})
Ob wir zur Energienutzung Rohöl oder aus Öl hergestellte Kunststoffe verbrennen: Die Minderung des CO2Ausstoßes ist in beiden Fällen nur gering. Die Bindung
von CO2-Produkten und -Stoffen ist auch unter Klimaschutzaspekten besser. Darüber hinaus schonen wir Ressourcen und werden angesichts hoher Rohstoffpreise unabhängiger.
Eine moderne Abfallwirtschaft muss Kreislaufwirtschaft mit dem Ziel der Ressourcenschonung sein. Bei
der Abfallwirtschaft geht es heute nicht mehr um eine
möglichst hygienische und kostengünstige Beseitigung
des Abfalls; die Abfallwirtschaft ist heute eine moderne
Umweltindustrie, wo zahlreiche Menschen beschäftigt
und modernste Technologien eingesetzt werden. Sie entwickelt sich angesichts knapper und teurer Rohstoffe zu
einem für Deutschland immer wichtiger werdenden
Wirtschaftszweig. Diese Entwicklung müssen wir weiter
fördern.
Thermische Verwertung lehnen wir natürlich nicht
grundsätzlich ab. Sie hat Vorrang vor der Deponierung.
Wenn eine stoffliche Verwertung technisch unmöglich
oder nicht bezahlbar ist, muss der Abfall thermisch verwertet werden. Diese Verwertung muss den bestmöglichen Energieausstoß haben. Müllverbrennungsanlagen
und Ersatzbrennstoffkraftwerke müssen bessere Werte
als heute erzielen. Das ist durch den Einsatz der KraftWärme-Kopplung möglich. Damit leistet die Abfallwirtschaft auch noch einen Beitrag zu einer klimafreundlichen Energiepolitik.
In diesem Zusammenhang will ich noch hervorheben,
dass die Abfallwirtschaft allein durch das Deponierungsverbot einen großen Anteil an der Reduzierung von
Treibhausgasen hat. Zwischen 1990 und 2003 wurden
im Abfallbereich 20 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente
eingespart. Bis 2012 wird eine Einsparung von weiteren
8,4 Millionen Tonnen CO2 prognostiziert.
Zum Schluss möchte ich auf ein Problem der Abfallwirtschaft und der Umweltpolitik allgemein hinweisen.
Bei der Umsetzung und dem Vollzug - sei es des Deponierungsverbots, der Verpackungsverordnung oder einer
ordnungsgemäßen Abfallverwertung - gibt es immer
wieder Probleme. Ich bin für Bürokratieabbau, schlanke
Gesetze und Verordnungen. Wir müssen erlassene Gesetze aber auch vollziehen und den Vollzug kontrollieren
können.
({6})
Bürokratieabbau darf nicht mit übermäßigem Personalabbau verwechselt werden.
({7})
Die Umweltbehörden müssen personell so ausgestattet
sein, dass ein ordnungsgemäßer Vollzug möglich ist. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat der Kollege Horst Meierhofer von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich mit einer Reaktion auf die Vermutung, die Sie, Herr Bollmann, ausgesprochen haben,
anfangen. Natürlich wünschen wir uns mehr Wettbewerb. Wenn Sie sagen, momentan seien verschiedene
Alternativen nicht in der Lage, die Trennung gut durchzuführen, dann brauchen Sie doch keine Angst vor dem
Wettbewerb zu haben; denn diese Alternativen werden
im Wettbewerb nicht bestehen können. Das ist eine ganz
einfache Antwort darauf.
({0})
Ich weiß nicht, warum man den Einsatz anderer innovativer Techniken von vornherein ausschließen soll.
({1})
Es ist doch nicht ausgeschlossen, dass das möglich ist.
Sie haben einen der Experten zitiert; ich könnte Ihnen
die anderen vorhalten. Es ist nun einmal bei Anhörungen
so, dass sich jeder seine Experten einlädt. Hier war es so,
dass die Meinungen, die vorher bestanden, leider nur bestätigt wurden.
({2})
Deswegen ist es vollkommen unzweckmäßig, wenn man
hier so tut, als wäre eine klare Aussage getroffen worden.
Wir fordern die Zulassung von Alternativen. Dies
schließen Sie mit dieser Novelle aus. Das ist ein Skandal. Wir wollen zu neuen Modellen kommen. Diese
Möglichkeit wird mit dieser Novelle verhindert.
Die CDU/CSU hat schon mehrfach - erst gestern wieder im Ausschuss - bestätigt, dass man sich nicht sicher
ist, ob man hier tatsächlich zu einer Verbesserung
kommt. Daher frage ich mich: Warum stimmt die CDU/
CSU dem zu? Das Wirtschaftsministerium hat damit
große Schwierigkeiten. Staatssekretär Pfaffenbach hat
sich schon vor längerer Zeit dagegen ausgesprochen.
Auch Herr Glos war sehr kritisch. Aber im Endeffekt
sagt man aus Gründen des Koalitionsfriedens: Wir stimmen dieser Sache zu, obwohl wir wissen, dass es in die
vollkommen falsche Richtung geht.
Ich verstehe nicht, warum man nicht in der Lage ist,
zu sagen: Wenn jemand glaubt, ohne den Grünen Punkt,
ohne den gelben Sack genau die gleichen ökologischen
Ergebnisse zu erzielen, warum sollte man ihm das untersagen? Es gibt keine Möglichkeit für einen Wettbewerb,
wenn man an der Ladentheke dafür zahlt, dass später der
gelbe Sack abgeholt wird. Das ist das Problem. Ich bin
wirklich sehr enttäuscht, dass man hier nicht in der Lage
war, in die richtige Richtung zu marschieren.
Ich muss sagen, dass die Ideen des Bundesrates zum
Teil in die richtige Richtung gegangen sind. Ich fand
zum Beispiel sehr erfreulich, dass man sich jetzt schon
überlegt, eine sechste Novelle zu erarbeiten. Das haben
auch Sie jetzt relativ positiv dargestellt. In den ersten
Debatten - ich erinnere mich daran - war das noch kein
Thema. Wir haben damals gesagt: Mit dieser großen Reparaturnovelle haben wir das Problem erst einmal beseitigt. - Wir müssen dem Bundesrat dankbar sein, dass er
diesen weiteren Schritt gegangen ist. Ich glaube nicht,
dass die CDU/CSU und die SPD in der Lage gewesen
wären, hier so schnell zu entscheiden.
Wir haben schon vor längerer Zeit einen Antrag eingebracht, der nicht zu weniger Umweltschutz und weniger Wettbewerb führt, sondern zu mehr. Er kann zu besseren ökologischen und ökonomischen Ergebnissen
führen. Ich maße mir nicht an, zu wissen, welche Form
der Verwertung an welcher Stelle die vernünftigste ist.
Ich glaube, dass auch Sie das nicht können. Man muss
die Ziele definieren. Wie diese Ziele zu erreichen sind,
ist nicht die Aufgabe der Politiker. Sie verhalten sich an
verschiedenen Stellen so, dass man den Eindruck gewinnt: Wir als Bundestagsabgeordnete sind besser informiert als die meisten Fachleute. Das halte ich nicht unbedingt für klug.
({3})
Deswegen glaube ich, dass wir uns an dieser Stelle nicht
für schlauer halten sollten als die Leute, die sagen, dass
es Alternativen gibt.
({4})
Wir wollten eigentlich eine Mininovelle, die nur die
gröbsten Probleme beseitigt. Erreicht haben wir leider
das Gegenteil, nämlich einen Schritt in die vollkommen
falsche Richtung. Wir haben auf das Problem, dass es zu
wenig Wettbewerb in dieser Branche gibt, damit reagiert, dass wir den Wettbewerb vollkommen ausgeschlossen haben. Ich weiß nicht, wie wir davon so
schnell wieder runterkommen können.
Ich glaube, dass die CDU/CSU gut daran getan hätte,
sich deutlicher von dem zu distanzieren, was die SPD
wollte. Es soll nicht um eine Rekommunalisierung gehen, sondern um mehr Wettbewerb. Auch die Kommunen haben hier andere Vorschläge. Ich freue mich auf die
Rede der Kollegin Kotting-Uhl, die hier sicherlich noch
einiges dazu sagen wird. Daran sieht man, dass das kein
Streit zwischen Links und Rechts oder zwischen Wirtschaft und Ökologie ist. Es geht um die starre Ansicht,
der Staat müsse alles regeln. Man ist nicht in der Lage,
zu glauben, dass man das vielleicht anders regeln
könnte. Das halte ich für ein bisschen feige.
Eine Änderung wird noch vorgenommen. Diese Änderung betrifft die sogenannten Brötchentüten. An dieser
Stelle muss man fast ein bisschen schmunzeln; hier sind
wir vielleicht der gleichen Meinung, Herr Bollmann.
Man hat nämlich so getan, als könne man hier einen Vorteil ziehen. Angesichts von 0,03 Cent pro Tüte muss
man sich mit Blick auf den Bundesrat wirklich die Frage
stellen, ob man in diesem Punkt noch viel erreicht hätte.
({5})
Insgesamt bin ich enttäuscht. Wenn man ein bestehendes System verschärft durch „intelligente Fehlwürfe“,
indem man davon ausgeht, dass der Bürger schlauer ist
als das System, dann sollten wir uns wirklich grundlegende Gedanken machen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Michael Brand von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach der Novelle ist vor der Novelle. Diesen Grundsatz
können wir heute amtlich festhalten; das wurde durch
die Äußerungen des Kollegen Bollmann deutlich. Außerdem hat die SPD-Fraktion vor dieser Debatte in einer
schriftlichen Meldung zur heutigen Beratung erklärt,
dass sie unter anderem - ich will das zitieren - „grundlegende Änderungen“ der Verpackungsverordnung nicht
ausschließt, wobei „alle Optionen Berücksichtigung finden“ sollen. Zudem hat die SPD-Fraktion am heutigen
Tag erklärt, sie wolle - Zitat - „die Zuständigkeit und
Ausschreibung der Sammlung“ - also beides, meine lieben Kolleginnen und Kollegen - „durch die Kommunen“. Ich finde, das ist sehr bemerkenswert. Das will ich
am Ende dieser zum Teil quälenden Debatte über die
vorliegende fünfte Novelle festhalten: Wirklich zufrieden mit dieser Novelle ist hier im Hause wohl niemand.
Herr Kollege Meierhofer; das ist auch von uns immer
wieder thematisiert worden. Es besteht am heutigen Tag
gar kein Anlass, etwas anderes zu erklären.
Die Beobachter sind sich einig, dass die von Lobbyinteressen in die Öffentlichkeit gespielten Nachrichten und
Zahlen über einen unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch der haushaltsnahen Sammlung nicht den Bestand hatten, von dem auch das BMU berichtet hat. Dennoch - dazu steht die CDU/CSU - mussten einige
Auswüchse bei der Entsorgung von Verkaufsverpackungen endlich korrigiert werden. Deswegen hat die Union
in der Ausschusssitzung im Dezember 2005 als erste
Fraktion die Initiative ergriffen und gesagt: Wir wollen
unseriöse Verrechnungsmodelle und das Trittbrettfahrertum beenden.
({0})
Dass es mehr und nicht weniger Wettbewerb geben
wird, hat uns Umweltminister Gabriel in Aussicht gestellt. Dass es mehr und nicht weniger Schutz von Ressourcen geben wird, hat uns Minister Gabriel ebenfalls
in Aussicht gestellt. Dass es zu einer effizienten und
nicht nur zu einer scheinbaren Bekämpfung der wirklichen Trittbrettfahrer kommen wird, hat er uns ebenfalls
in Aussicht gestellt. Dass es keine das System eventuell
massiv gefährdenden Rechtsprobleme geben wird, hat
uns der Umweltminister ebenfalls in Aussicht gestellt.
Für die Union möchte ich aber sehr deutlich sagen, dass
diese Novelle vor allem die Novelle des Umweltministers Gabriel und seines Staatssekretärs Machnig ist. Dies
möchte ich betonen: Das ist uns allen klar. Nun hat die
Bundesregierung alle Änderungswünsche des Bundesrates - zum Teil ging es dabei um deutliche Änderungen auf Empfehlung des Umweltministers übernommen.
Aus Sicht der CDU/CSU ist heute nicht der geeignete
Zeitpunkt, die Debatten der letzten Monate zu wiederholen. Im November letzten Jahres haben wir im Deutschen Bundestag im Rahmen der zweiten und dritten Lesung eine ausgiebige Diskussion über dieses Thema
geführt. Ich möchte festhalten: Die CDU/CSU bekennt
sich zur getrennten Erfassung und setzt sich ganz entMichael Brand
schieden für einen Wettbewerb der Systeme ein, der diesen Namen auch verdient.
Ich kann all das, was Kollege Bollmann mit Blick auf
die Anhörung und den Sachverständigen Herrn Professor Pretz dankenswerterweise ausgeführt hat, unterstreichen. Ich glaube, dass man es sich nicht so einfach machen kann, wie es in dieser Debatte einige oftmals tun.
Man kann nicht einfach sagen: Vielleicht können wir
stoffliche und thermische Verwertung gleichstellen und
sozusagen alles durch den Schornstein jagen. So einfach,
liebe Kollegen von der FDP, ist die Wahrheit nicht.
({1})
Ob durch die vorliegende fünfte Novelle der Wettbewerb und die Effizienz zum Wohle von Umwelt und Verbrauchern gestärkt oder geschwächt werden, werden wir
genau beobachten. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass das Bundeskartellamt die vom Bundesumweltministerium favorisierte besondere Rolle der Gemeinsamen Stelle in Kernelementen kritisiert und
Nachbesserungen zugunsten eines fairen Wettbewerbs
verlangt hat. In diesem Zusammenhang kommen mir
wieder die Äußerungen in den Sinn, die in der letzten
Diskussion, die wir im Deutschen Bundestag zu diesem
Thema geführt haben, von Vertretern der FDP wie der
Grünen gemacht worden sind. Auch Sie, Frau KottingUhl, haben damals gefordert, dass es zu mehr Wettbewerb kommen muss; das will ich ausdrücklich unterstreichen. Wir ermutigen das BMU ausdrücklich, alles
zu unterstützen, was den Wettbewerb stärkt, und genauso alles zu bremsen, was zu einer Schwächung des
Wettbewerbs führt.
Aus Sicht der CDU/CSU gab es durchaus die reale
Chance auf einen Kompromiss für eine bessere Verpackungsverordnung; dies hat sich in der Anhörung, die
der Bundestag am 10. Oktober des vergangenen Jahres
durchgeführt hat, ergeben. Ob und inwieweit die von der
SPD bereits begonnene Debatte über eine sechste Novelle die gewünschten Verbesserungen bringen kann,
werden wir sehen.
Es gibt weitere offene Themen. Ich nenne hier vor allem den von uns und anderen angesprochenen dramatischen Einbruch im Bereich von Mehrweg. Die rot-grüne,
Trittin’sche Regelung zum Pfand auf Einweg ist gerade
dabei, dem ökologisch wertvollen Mehrwegsystem und
vielen mittelständischen Getränkeunternehmern in rasender Geschwindigkeit den Garaus zu machen.
({2})
Das ist im Übrigen ein perfektes Beispiel dafür - das
möchte ich an die beiden Vertreter der Grünen gerichtet
sagen -, wie „gut gemeint und schlecht gemacht“ zu miserablen Ergebnissen führen kann.
Vom BMU und leider auch über die jetzt aufschreienden Umweltorganisationen bis hin zu manchen Ländervertretern wurde während des Verfahrens zu stark auf
den Grünen Punkt und damit auf Einweg geschaut. Dass
den berechtigten Anliegen der Mehrwegbefürworter
trotz einer aktuell angesetzten Novelle nicht Rechnung
getragen und das Thema vertagt wurde, ist eindeutig ein
Sieg des Grünen Punktes über den Blauen Umweltengel.
Ich will Sie hier ausdrücklich ausnehmen, Frau KottingUhl, weil Sie diese Debatte wohltuend begleitet und immer geäußert haben, dass wir nicht einseitig auf den
Grünen Punkt schauen sollten.
Es wird interessant sein, zu beobachten - da will ich
das Farbenspiel aufnehmen -, ob nach dem grünen Umweltminister der rote Umweltminister nicht nur dem
Grünen Punkt, sondern auch dem Blauen Engel hilft.
Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind aufgerufen, die Rettung des breit akzeptierten Mehrwegsystems
einzuleiten. 2010 - das sagen uns alle Beobachter - wird
es zu spät sein. Ich appelliere eindringlich an den Bundesumweltminister, schnell aktiv zu werden und sich als
Roter nach dem Einsatz für das Grüne nun auch für das
Blaue ins Zeug zu legen. Ansonsten sehen wir als Union
- wie könnte es anders sein? - schwarz, und zwar für das
Mehrwegsystem. Das BMU ist dringend aufgefordert, zu
handeln, statt Gutachten einzuholen. Die Mehrwegquote
bei alkoholfreien Getränken befindet sich nämlich in rasantem Fall: Wir haben gerade noch 31 Prozent Mehrweg. Das ist dramatisch und könnte ein Sterben der mittelständischen Industrie im Bereich des Mehrwegs
auslösen.
Auch bezüglich der konkreten Umsetzung dieser
fünften Novelle in die Praxis höre ich noch viel Skepsis.
Wir werden die Verfahren vor dem Bundeskartellamt
ebenso genau beobachten müssen wie eventuell problematische Einzelregelungen. Wir warnen zudem davor,
die Handelslizensierung - also die Praxis, dass Handelsunternehmen den Produzenten durch massiven Druck
die Freiheit abpressen, das für sie angeblich beste duale
System auszusuchen - durch die Hintertür wieder zuzulassen. Wir wissen ja, wie das in der Praxis funktioniert.
Wir setzen darauf, dass sowohl der Bundesumweltminister und das Bundeskartellamt als auch die Länder dieser
Tendenz von Anfang an einen Riegel vorschieben.
Ohnehin übersehen wir als CDU/CSU nicht, dass eine
zu starke Ausrichtung auf die großen Unternehmen bei
Handel, dualen Systemen und Entsorgungsunternehmen
dazu führt, dass es Marktkonzentrationen gibt und der
Mittelstand unter die Räder eines schädlichen Konzentrationsprozesses geraten kann. Lieber Herr Kollege
Meierhofer, auch da muss ich Ihnen sagen: So einfach ist
die Welt nicht! Denn wenn wir nicht auf die mittelständische Struktur in diesem Bereich schauen - ohne sie überzogen unter Schutz zu stellen -, wird die mittelständische Wirtschaft an dieser Stelle ein Riesenproblem
haben.
({3})
Wir setzen darauf, dass wir als die Mittelstandsfraktion
in diesem Parlament bei unserem Koalitionspartner auf
ein offenes Ohr treffen, wenn es darum geht, Fehlentwicklungen rasch zu begegnen.
Trotz aller Mängel sind wir als CDU/CSU-Fraktion
von Anfang an und bis heute als Anwalt von Umwelt
und Verbrauchern für die getrennte, haushaltsnahe
Sammlung, für die hochwertige stoffliche Verwertung
auch im Bereich der Verpackungen; ich habe es eben unterstrichen. Für die Zukunft setzen wir uns für eine Weiterentwicklung in Richtung von Stoffströmen ein, die die
Ressourcen schonen und bei denen im Wege des stofflichen Recyclings Rohstoffe zurückgewonnen werden. Es
ist ein zutiefst konservativer Ansatz - auch im Zeitalter
der Konsumgesellschaft und des teils gegebenen Verpackungswahns -, die Grundlagen unserer Natur zu
schonen. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wünschen wir der fünften Novelle der Verpackungsverordnung den erhofften Erfolg. Die CDU/CSU-Fraktion
wird sich an der strategischen Weiterentwicklung dieses
Themas beteiligen, und dies wie gewohnt aktiv und intensiv. Dabei werden wir insbesondere auf die sehr ergebnisreiche Anhörung im Deutschen Bundestag zurückgreifen können, die vom BMU - auch dies will ich
hier sagen - bei dieser Novelle nicht ausreichend berücksichtigt worden ist. Die CDU/CSU hat nach der Anhörung am 10. Oktober einen sachlichen Dialog mit dem
Koalitionspartner versucht, der auch nach der Verabschiedung dieser fünften Novelle seine Fortsetzung finden wird. In diesem Sinne sehen wir dem inhaltlichen
Dialog mit Interesse entgegen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Eva Bulling-Schröter
von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unserer Ansicht nach ist die Novelle zur Verpackungsverordnung durch den Bundesrat nicht wesentlich verändert
worden. Darum bleiben wir bei unserer Ablehnung, obwohl wir natürlich einige Ansätze begrüßen. Zum Beispiel war es längst überfällig, dass sämtliche Verpackungen, die typischerweise beim Endverbraucher anfallen,
haushaltsnah in gelben Tonnen oder Säcken gesammelt
werden. Wenn also sogenannte Selbstentsorger künftig
nicht mehr bei Drogerien und dergleichen, sondern nur
noch bei gewerblichen Verpackungsabfällen zulässig
sind, dann werden Schlupflöcher für Trittbrettfahrer geschlossen, und das ist gut so. Die Drogerieketten brauchen hier keine Krokodilstränen zu vergießen. Sie dürften in den letzten Jahren ein Vermögen gespart haben.
Schließlich zahlten sie nie für den Grünen Punkt und
hatten trotzdem kaum Aufwand mit den paar Seifenschachteln.
({0})
Weiterhin mangelhaft ist allerdings, dass es keine
Verwertungsquoten für gewerbliche Verpackungsabfälle
geben soll. Dies ermöglicht Manipulationen, weil bei der
Quotenerfüllung gewerbliche Verpackungsabfälle mit
Verpackungen von privaten Haushalten verrechnet werden können.
Auch für das gegenwärtig größte Problem hat die Novelle keine Lösung - Kollege Brand hat es angesprochen -:
Trotz des Pflichtpfands für Einwegflaschen und -dosen
sinkt die Mehrwegquote unaufhörlich. Sie haben die
Zahl schon genannt: Nur noch 30 Prozent der alkoholfreien Getränke werden in wieder befüllbaren Verpackungen verkauft. In den 90er-Jahren - ich wiederhole
diese Zahl - waren es über 70 Prozent. Herr Brand, Sie
haben hier als Koalition die Mehrheit. Dann tun Sie etwas!
({1})
Noch ein Wort zu jenen, die das Duale System mittelfristig abschaffen wollen. Alternativ soll dafür eine gemeinsame Entsorgung aller Haushaltsabfälle eingeführt
werden. Zunächst käme also alles zusammen in eine
Tonne, und die Trennung erfolgte später durch private
Firmen und weitgehend maschinell. Zum Thema Privatisierung und Wettbewerb sage ich nur, Herr Meierhofer:
Wir kennen das.
({2})
Dann geht es nämlich mit Preisdumping und Dumpinglöhnen los. Wenn Sie in Regensburg von Bürgerbeteiligung und Transparenz sprechen, dann ist dies sehr
nett. Auf der anderen Seite führt dieser Wettbewerb zu
Dumpinglöhnen. Da ist dann nichts mehr mit Transparenz, und mit der Bürgerbeteiligung ist es dann auch vorbei.
({3})
Nun noch einmal zur Anhörung des Umweltausschusses. Die Fachleute erklärten ganz klar, dass die haushaltsnahe Trennung der Abfallfraktionen gegenwärtig
noch die beste und preiswerteste Art sei, um zu qualitativ hochwertigen Abfallfraktionen zu kommen. Nur solche lassen sich auch vernünftig stofflich verwerten.
Technik, die Gemischtabfall sinnvoll und bezahlbar im
Großmaßstab trennen kann, gibt es leider noch nicht.
Wer aber die wertvollen Sekundärrohstoffe ohnehin
durch den Schornstein jagen will, weil es schön profitabel ist, dem kann dies ohnehin egal sein. Genau dies ist
ja das Ziel von Pyromanen, und das lehnen wir ab.
({4})
- Ja.
({5})
Aus diesem Grund unterstützen wir im Übrigen auch
Bürgerinitiativen, die gegen die momentan überall aus
dem Boden schießenden und meist überdimensionierten
Ersatzbrennstoffkraftwerke - kurz: EBS-Kraftwerke kämpfen. Wir haben das Gefühl, dass diese EBS-Kraftwerke wieder die Müllverbrennung puschen sollen - mit
all ihren negativen Folgen für die Kreislaufwirtschaft
und den Verkehr und leider mit schlechteren Emissionswerten als bei der klassischen Monoverbrennung. Dies,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir nicht zulassen. Es wird Zeit, dass wir im Umweltausschuss auch
einmal über diese EBS-Kraftwerke intensiv sprechen.
Danke.
({6})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat nun die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Dieses Thema - das letzte am heutigen Abend - bietet
offensichtlich ein vielfältiges Spektrum an Möglichkeiten, sich zu äußern. Jeder sucht sich seinen Schwerpunkt
aus. Auch ich will noch einiges hinzufügen.
Aus grüner Sicht kann man sich selten freuen, wenn
sich der Bundesrat mit umweltpolitischen Themen befasst und seine Spur hinterlassen hat. Umso mehr freut
es mich, dass diesmal der Bundesrat in einem Punkt, den
in dieser Debatte noch niemand erwähnt hat, eine positive Spur hinterlassen hat. Dabei handelt es sich um die
Biokunststoffe. Der Bundesrat hat dafür gesorgt, dass
die Biokunststoffe für zwei weitere Jahre vom Pfand befreit sind. Das halte ich für richtig. Es geht dabei insbesondere um Flaschen aus Biokunststoffen. Allerdings
wurde zur Auflage gemacht, dass sie in Zukunft zu
75 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen
und gleichzeitig biologisch abbaubar sind.
({0})
Das ist eine gute Forderung, die aber den kleinen Fehler
aufweist, dass es diese Flaschen noch gar nicht gibt. Das
heißt, wir haben es mit einem wunderbaren Fall von Innovationsdruck zu tun, wobei allerdings die zwei Jahre
etwas kurz sind. Das heißt, wir werden uns in absehbarer
Zeit damit befassen müssen, ob wir die Verlängerung um
zwei Jahre nicht noch etwas ausdehnen sollten, damit
der Innovationsdruck zum Ziel führen kann.
Auch die vorgelegte Novelle enthält neben dem, was
sie eigentlich regeln soll - was auch mehr oder weniger
gut gelungen ist -, durchaus positive Punkte. Für mich
war und ist vor allem entscheidend, dass die Spielzeugente und die Salatschüssel - sprich: stoffgleiche
Nichtverpackungen - jetzt in der gelben Tonne entsorgt
werden dürfen, wenn die Kommune das wünscht. Allerdings gibt es - ich hoffe, dass Sie mir darin zustimmen ein großes Aber. „Wenn die Kommune das wünscht“
heißt, dass die Kommune auch die Kosten übernehmen
muss. Es gibt keine Lizenzgebühren und damit nicht einmal die geringe Lenkungswirkung, die die Kommunen
heute noch ausüben.
Ich bin im Umweltausschuss vor allem von Staatssekretär Müller etwas dafür gescholten worden, dass wir
Grünen die Novelle ablehnen, obwohl sie das, was sie
regeln sollte, einigermaßen gut regelt - wie gesagt, so
gut oder schlecht, wie es innerhalb des bestehenden Systems möglich ist.
Ich will gerne begründen, warum wir die Novelle ablehnen. Wenn ich einen Schuh habe, der mir nicht mehr
passt und dessen Absatz wackelt, dann kann ich ihn zum
Schuhmacher bringen und den Absatz reparieren lassen.
Vielleicht läuft es sich dann eine Zeit lang etwas besser,
aber der Schuh wird mir trotzdem nicht passen, und ich
werde mir Blasen holen. Das gleiche Problem haben wir
mit der Verpackungsverordnung. Sie passt nicht mehr in
die heutige Zeit. Sie wird den heutigen Aufgaben nicht gerecht. Die Zeiten, in denen wir uns eine Verpackungsverordnung mit einem finanziellen Volumen von 1,58 Milliarden Euro im Jahr leisten können, um uns um 5 Prozent
der Abfälle zu kümmern, sind vorbei.
({1})
Seit dem Inkrafttreten der Verpackungsverordnung
hat sich die Lage verändert. Die Frage der Nutzung von
Ressourcen stellt sich völlig anders und verschärft sich
von Jahr zu Jahr. Wir müssen Antworten auf die Fragen
finden, wie wir Wertstoffe in Ressourcen umwandeln
können, wie wir von der Abfallpolitik zu einer Ressourcenpolitik kommen können. Wir können es uns nicht
mehr leisten, Lizenzgebühren ohne Lenkungswirkung
für einen kleinen Teil von Abfällen zu erheben. Wir
brauchen perspektivisch für alle Produkte Ressourcenabgaben mit Lenkungswirkung. Notwendig ist die Entwicklung dieser Verpackungsverordnung zu einer Wertstoffverordnung.
({2})
Wir Grünen werden Ihnen zu gegebener Zeit einen
entsprechenden Antrag vorlegen. Wir haben das Konzept erarbeitet. Ich hoffe, dass Sie sich angemessen damit befassen und vielleicht sogar mit uns zu einer gleichen Meinung kommen.
Auch wenn ich nicht dem Präsidenten vorgreifen
möchte, freue ich mich, Ihnen jetzt als letzte Rednerin
einen schönen Feierabend wünschen zu können.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
zu der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung
der Verpackungsverordnung. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8216,
der Verordnung auf Drucksache 16/7954 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Die Debatten sind beendet. Aber ich bitte Sie, noch
eine Weile hier zu bleiben, weil wir noch einige Formalitäten zu den verbliebenen Tagesordnungspunkten zu erledigen haben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({0}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Rainder Steenblock, Hans-
Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Den Ostseeraum zur Modellregion für regio-
nale Kooperationen ausbauen und den Baltic
Sea Action Plan zum Baustein einer Europäi-
schen Meerespolitik weiterentwickeln
- Drucksachen 16/7286, 16/8171 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Gero Storjohann
Wir nehmen die Reden der Kollegen Gero
Storjohann, CDU/CSU, Dr. Margrit Wetzel, SPD,
Dr. Christel Happach-Kasan, FDP, Lutz Heilmann, Die
Linke, und Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen,
zu Protokoll.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem soeben verlesenen Titel. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/8171, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/7286 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
- Drucksache 16/8100 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Wir nehmen die Reden der Kollegen Franz-Josef
Holzenkamp, CDU/CSU, Dr. Marlies Volkmer, SPD,
Hans-Michael Goldmann, FDP, Karin Binder, Die
Linke, und Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen, zu
Protokoll.2)
1) Anlage 3
2) Anlage 4
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/8100 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Jens Ackermann, Michael Kauch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Feinstaub-Fahrverbote für Reisebusse sachgerecht und unbürokratisch regeln
- Drucksache 16/7865 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuss fürTourismus ({3})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Federführung strittig
Wir nehmen die Reden der Kollegen Jens Koeppen,
CDU/CSU, Detlef Müller, SPD, Ernst Burgbacher, FDP,
Lutz Heilmann, Die Linke, und Winfried Hermann,
Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7865 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen wünschen Federführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fraktion der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Tourismus.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
FDP abstimmen, das heißt Federführung beim Ausschuss für Tourismus. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, das heißt Federführung
beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist
der Überweisungsvorschlag bei Enthaltung der
FDP-Fraktion einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Karin Binder, Heidrun Bluhm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Ausverkauf von Krediten an Finanzinvestoren
stoppen - Verbraucherrechte stärken
- Drucksache 16/8182 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Rechtsausschuss
3) Anlage 5
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Wir nehmen die Reden der Kollegen Leo
Dautzenberg und Manfred Kolbe, CDU/CSU, Dr. Hans-
Ulrich Krüger, SPD, Carl-Ludwig Thiele, FDP,
Dr. Barbara Höll, Die Linke, und Dr. Gerhard Schick,
Bündnis 90/Die Grünen, zu Protokoll.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8182 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Behm, Bärbel Höhn, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
EU-Importverbot für illegales Holz durchsetzen
- Drucksache 16/8052 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Reden, die wir zu Protokoll nehmen, stammen
von den Kollegen Cajus Caesar, CDU/CSU
({6})
- die wäre in lateinischer Sprache gewesen; ich weiß
nicht, ob Sie die vollständig verstanden hätten -,
({7})
Dr. Gerhard Botz, SPD, Dr. Christel Happach-Kasan,
FDP, Eva Bulling-Schröter, Die Linke, und Cornelia
Behm, Bündnis 90/Die Grünen.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8052 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Michael Link ({8}), Florian
Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Freiheit und Demokratie im Südkaukasus -
Für freie und faire Wahlen 2008
- Drucksache 16/7864 -
1) Anlage 6
2) Anlage 7
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({9})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hakki Keskin, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Europäische Nachbarschaftspolitik zur Förderung von Frieden und Stabilität im Südkaukasus nutzen
- Drucksache 16/8186 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({10})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch diese Reden sollen zu Protokoll genommen
werden. Sie stammen von den Kollegen Manfred Grund
und Eduard Lintner von der CDU/CSU-Fraktion,
Markus Meckel, SPD, Markus Löning, FDP, Dr. Hakki
Keskin, Die Linke, und Rainder Steenblock, Bündnis 90/
Die Grünen.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 16/7864 und 16/8186 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Regierungsverhandlungen mit Bolivien
für eine kritische Überprüfung der Entwicklungszusammenarbeit nutzen und an Bedingungen knüpfen
- Drucksache 16/5615 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({11})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Die Reden, die wir zu Protokoll nehmen, stammen
von der Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU,
Dr. Sascha Raabe, SPD, Dr. Karl Addicks, FDP, Heike
Hänsel, Die Linke, und Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die
Grünen.4)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/5615 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist so. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
3) Anlage 8
4) Anlage 9
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 22. Februar 2008,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.