Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich.
Ganz besonders herzlich begrüße ich, falls er hier sein
sollte, den Kollegen Laurenz Meyer, der heute seinen
60. Geburtstag feiert und dem ich dazu herzlich gratuliere.
({0})
- Herr Kollege Meyer, es wird nicht allzu häufig vorkommen, dass Sie unter solch einem allgemeinen Jubel
in den Plenarsaal einziehen.
({1})
Auch deshalb werden Sie den heutigen Tag sicherlich
besonders gut in Erinnerung halten.
Wir kommen nun zu unserer Tagesordnung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 sowie 24 a und
24 b auf:
22 Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister der Finanzen
Lage der Finanzmärkte
24 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Christine Scheel, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzmärkte stabilisieren
- Drucksache 16/7531 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Axel
Troost, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Aktionsplan „Finanzmärkte demokratisch
kontrollieren, Konjunktur und Beschäftigung
stärken“ - Aus den internationalen Finanzturbulenzen Konsequenzen ziehen
- Drucksache 16/7191 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann können wir das so vereinbaren.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! „Panik auf dem Börsenparkett“,
„neue Weltwirtschaftskrise“, „Börsencrash vernichtet
deutsche Arbeitsplätze“, „Börsencrash signalisiert Ende
des Finanzmarktkapitalismus“, mit diesen oder ähnlichen Begriffen werden die Turbulenzen und die Verwerfungen aufbereitet, mit denen wir es in den letzten Monaten auf den internationalen Finanzmärkten zu tun
hatten.
({0})
- Über die Mikrofonanlage oder über meine Stimme?
({1})
Redetext
Bisher haben Sie jedenfalls nichts Falsches gesagt,
Herr Minister.
({0})
Herr Präsident, können Sie die Uhr anhalten?
({0})
- Gut. Dann ist meine Rede beendet, meine Damen und
Herren.
Um ernsthaft auf dieses wirklich schwergewichtige
Thema zurückzukommen: Es ist richtig, dass wir es in
weiten Teilen der Welt und zulasten weiter Teile der
Welt mit einer ernsthaften, ausgemachten Finanzmarktkrise zu tun haben. Nicht alle Teile der Welt sind von ihr
betroffen, Ostasien zum Beispiel nicht bzw. kaum, insbesondere aber Nordamerika und weite Teile Europas. Sie
wird uns das ganze Jahr 2008 beschäftigen. Sie ist kein
deutsches Spezifikum. Sie birgt weitere, noch nicht behobene Risiken. Infektionsgefahren für die weltweite
Konjunktur und die weltweite Wachstumsentwicklung
sind nicht zu übersehen.
Aber, meine Damen und Herren, so wenig Grund es
zur Verharmlosung gibt, so unangebracht wäre auch jede
Hysterie. Nötig ist ein professionelles Krisenmanagement aller infrage kommenden Partner, das sich auf die
Stabilisierung der Finanzmärkte konzentriert und sich
nicht durch Empörungen und Reflexe ablenken lässt.
Es ist ferner notwendig, die Ursachen dieser Krise
herauszuarbeiten, sie klar beim Namen zu nennen und
die sich daraus abzuleitenden Konsequenzen insbesondere im internationalen Kontext zu ziehen. Denn nur so
werden wir verlorengegangenes Vertrauen auf den Finanzmärkten und bei vielen Bürgerinnen und Bürgern
zurückgewinnen.
Ich warne ausdrücklich davor, in jedem Durchsacken
des DAX im Verlauf eines einzigen Handelstages das
untrügliche Vorzeichen des Beginns einer ausgeprägten
Rezession in Deutschland zu sehen;
({1})
denn dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil, wir sollten versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Es gibt keinen Grund für politische Schnellschüsse,
mit denen man sich lediglich den Beifall einer zugegebenermaßen verunsicherten Öffentlichkeit sichern würde.
Um die Situation richtig zu erfassen, ist es wichtig, zu
wissen, wo die Ursachen der Finanzmarktkrise liegen.
Knapp gefasst: im US-amerikanischen Markt für zweitklassige Hypothekenkredite, den die Experten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, lange Zeit offenbar nicht
auf ihrem Radar hatten, zumindest nicht, was sein Potenzial anbelangt, zu einer echten Belastungsprobe für das
globale Finanzsystem zu werden.
Salopp gesprochen haben US-Banken auf der Jagd
nach der schnellen Rendite ihre Anforderungen an die
Qualität von Krediten deutlich verringert und kräftig risikoreiche, weil schlecht gesicherte Hypothekenkredite
vergeben, meist an Eigenheimkäufer mit geringer Bonität. Die damit verbundenen hohen Kreditrisiken wurden
von den Banken auch deshalb in Kauf genommen, weil
man die Möglichkeit hatte, diese Risiken über sogenannte Verbriefungstransaktionen und strukturierte Produkte lieber jetzt als gleich aus den eigenen Büchern, aus
den eigenen Bilanzen zu bekommen, indem man sie auf
dem Markt verkauft. Ich will sagen: Eine ursprünglich
defensive Strategie, Risiken zu verteilen, wurde zu einer
spekulativen Blase, zu einer spekulativen Welle.
Die Käufer dieser hochkomplexen Produkte - ein Teil
von ihnen hat Namen, die ich gar nicht kannte - haben
diesen verpackten Sprengstoff vornehmlich außerhalb
ihrer Bilanzen geführt und damit auch außerhalb des
Einblickes von Wirtschaftsprüfern, von Aufsichtsbehörden, von Verwaltungsräten und von Aufsichtsräten.
Dass diese Papiere mit gebündelten Kreditrisiken bei
renditehungrigen Investoren weltweit auf große Nachfrage stießen, auch und gerade in Deutschland, ist nicht
zuletzt den Ratingagenturen zu verdanken. Sie waren
es, die in einer fragwürdigen Doppelrolle an beiden Enden beteiligt gewesen sind. Auf der einen Seite haben sie
diese Papiere häufig mit der höchsten Bonität bewertet,
auf der anderen Seite haben sie die Banken bei der Verbriefung und Vermarktung der Kreditrisiken beraten.
Das ist so ähnlich, als ob die Stiftung Warentest ein Produkt testen würde, an dessen Umsatz sie anschließend
beteiligt ist.
({2})
Auch hier müsste man damit rechnen, dass der Informationsgehalt des Testergebnisses, gelinde gesagt, eingeschränkt ist.
Das Ganze ging so lange gut, wie der Markt in den
USA expandierte. Aber irgendwann ist jeder Boom zu
Ende. Steigende Zinsen und fallende Immobilienpreise
in den USA haben seit dem letzten Jahr immer mehr dieser Hypothekenkredite in Not gebracht. Bei den Banken,
die weltweit, auch in Deutschland, die Risiken aus diesen Krediten gekauft hatten, wurden Abschreibungen in
Milliardenhöhe notwendig.
Da diese Risiken nicht oder erst sehr spät auf dem Radarschirm der verantwortlichen Bankmanager und
Bankaufseher aufgetaucht sind, stellt sich als Erstes die
Frage nach der Qualität des jeweiligen bankeninternen
Risikomanagements. Damit müsste die Suche nach Verantwortlichen eigentlich anfangen - wenn denn diese
Suche nicht nur dem üblichen und durchsichtigen Ruf
„Haltet den Dieb!“ folgen sollte. Darin, meine Damen
und Herren, liegt auch meine sehr kritische Einlassung
über ein verbreitetes Bankmanagerversagen begründet,
an der ich festhalte.
({3})
Fern einer Kollektivschelte darf ausgesprochen werden,
dass es einzelne Bankmanager gibt, die in dem Rennen
nach höherer Marge, höherem Profit auf der Grundlage
unzureichender Geschäftsmodelle, ohne ausreichende
Expertise, in einem Missverhältnis zum Eigenkapital ihrer Institute und unter Vernachlässigung des bankeninternen Risikomanagements ein Milliardenrad gedreht
haben.
Diese Entwicklung liegt auch an der Unzulänglichkeit
der aktuellen Bilanzierungsregelungen; das gilt nicht
nur in Deutschland, das ist weit verbreitet. Sie ermöglichen es den Banken, eigene Risiken eigenkapitalschonend außerhalb ihrer Bilanzen zu führen, sie auf spezielle Zweckgesellschaften zu übertragen oder, besser
ausgedrückt, sie zu verstecken vor denjenigen, die Kontrollfunktionen wahrzunehmen haben.
Wie Sie wissen, haben die Probleme an den internationalen Finanzmärkten auch deutsche Kreditinstitute
in Mitleidenschaft gezogen. Hier in Deutschland gehören die Landesbanken Sachsen LB und West-LB sowie
die Privatbank IKB mit den von ihnen finanzierten
Zweckgesellschaften zu den ersten und zu den spektakulärsten Opfern der sogenannten Subprime-Krise. Weitere
Institute - über die gesamte Bandbreite des deutschen
Bankensektors - sind auch betroffen, aber weniger existenziell.
Vor allem die IKB hat uns in den letzten Tagen in
Atem gehalten - nicht das erste Mal -, weil neuer Abschreibungsbedarf bzw. Eigenmittelbedarf in Milliardenhöhe erforderlich wurde. Wir haben sehr intensive Debatten geführt, wie es mit der IKB weitergehen soll.
Wichtig war meinem Kollegen Glos und mir, dass es
über den konkreten Fall der IKB zu keiner Verschärfung
der Bankenkrise in Deutschland kommt.
({4})
Darüber waren und sind wir uns in der Bundesregierung
einig. Wir haben die Verantwortung, Schaden vom Finanzplatz Deutschland abzuwenden.
Wir haben uns diese Entscheidung gewiss nicht einfach gemacht. Sie war auch nicht einfach, weil wir nicht
einfach Vorteile gegen Nachteile, sondern nur jeweilige
Nachteile gegeneinander abwägen konnten. Der Nachteil
einer drohenden Insolvenz verbunden mit einer drohenden Erschütterungsdynamik für den gesamten Finanzplatz Deutschland war gegen den Nachteil abzuwägen,
auch mit Steuergeldern ein Institut zu stützen, das sich
am Markt verzockt hat und eigentlich vom Markt bestraft
werden müsste.
Im Rahmen dieser schwierigen Abwägung zwischen
der Situation bei der IKB und den Risiken für den deutschen Bankenmarkt haben wir uns im Verwaltungsrat
der KfW am Mittwoch entschieden, dass die KfW der
IKB mit einer Zuweisung nach dem KfW-Gesetz ein
weiteres Mal unterstützend behilflich ist, und zwar mit
1,5 Milliarden Euro.
Der Bund wird davon mindestens 1 Milliarde Euro
tragen, die aus Dividendenerträgen stammt. Dadurch
wird die bisherige Finanzplanung nicht belastet. Die Ehrlichkeit gebietet es aber, zu sagen, dass diese 1 Milliarde Euro eines Tages als nicht eingegangene Einnahmen
zu Buche schlagen wird. Der Bundesverband deutscher
Banken hat unter der Bedingung einer letztmaligen Inanspruchnahme zugesagt, mit 300 Millionen Euro einen
weiteren wesentlichen Teil der Stützung zu übernehmen.
Für die restlichen 200 Millionen Euro wird es eine Lösung geben. Im Zweifelsfall müssen sie im laufenden
Haushalt eingesammelt werden.
Sie können sich vorstellen, dass ich über diese Belastung des Bundeshaushaltes alles andere als begeistert
bin. Auch wenn Sie mich deshalb hier mit zusammengebissenen Zähnen stehen sehen - jedenfalls dann, wenn
ich nicht rede -,
({5})
ist die Entscheidung richtig, die IKB nochmals zu stützen.
Erstens ist uns wichtig, dass die IKB verkaufsfähig
gemacht wird und dass der bereits angelaufene Verkaufsprozess der Bank - das betone ich - weitergehen kann
und so schnell wie möglich abgeschlossen wird. Damit
das gut funktioniert, werden das Management der IKB
und auch der KfW personell verstärkt.
({6})
Zweitens ist uns wichtig, dass wir im Ergebnis vermeiden können, dass die Mittelstandsförderung und
der Substanzerhalt des ERP-Sondervermögens - mit
Blick auf diejenigen, die im Hohen Hause in dieser Frage
sehr engagiert sind, ist mir an dieser Aussage sehr gelegen - durch neue Sanierungsbeiträge beeinträchtigt werden. Ich wiederhole: weder die Mittelstandsförderung
noch der Substanzerhalt des ERP-Sondervermögens. Um
diesbezügliche Fragen an dieser Stelle abschließend zu
beantworten: Das ist sichergestellt.
({7})
Drittens ist unsere Entscheidung für die IKB ein klares
Signal an den Markt. Wir verhindern damit, dass andere
Banken durch die Krise bei der IKB in Mitleidenschaft
gezogen werden, und zwar, indem wir verhindern, dass
Einlagen der IKB in zweistelliger Milliardenhöhe - um
Ihnen eine Zahl zu nennen: knapp oberhalb von 24 Milliarden Euro - verlorengehen. Diese Einlagen stammen
nicht nur von anderen Bankinstituten aus dem öffentlichrechtlichen, dem genossenschaftlichen und dem privaten
Bereich, sondern es handelt sich auch um Einlagen von
Nichtbanken bis hin zu Versicherungen. Wir verhindern
damit, dass diese Einlagen möglicherweise bzw. wahrscheinlich verlorengehen und dass damit auch der freiwillige Einlagensicherungsfonds der privaten Geschäftsbanken in Anspruch genommen wird, den sie dringend
brauchen, um Vorsorge für ihren eigenen Bereich zu
schaffen.
Viertens gilt es zu verhindern, dass auf dem Markt für
Hybridkapital die Preise für lang laufende Anleihen
deutlich steigen, was andere Banken, die sich mit
solchen Anleihen refinanzieren, ausgesprochen negativ
treffen würde.
Fünftens wäre die IKB - an dieser Aussage ist mir
sehr gelegen - die erste europäische Bank, die in der direkten Folge der US-Subprime-Krise pleiteginge. Das
sollten wir uns nicht als Symbol des deutschen Bankenmarktes leisten - auch nicht im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern.
({8})
Sechstens hat ein Finanzminister sehr genau über die
steuerlichen Folgen eines solchen Risikoszenarios bzw.
unterschiedlicher Risikoszenarien nachzudenken. In welchem Verhältnis stehen zu erwartende Einnahmeverluste
gegenüber dem Einsatz von Haushaltsmitteln zur Rettung einer Bank? Dass es auch in diesem Hause einzelne
Personen gibt, die mit ihren technischen Mitteln schon
eine sehr genaue Summe hinsichtlich der steuerlichen
Folgen der Finanzmarktkrise errechnen und der Presse
mitteilen konnten, findet meine Bewunderung. Der deutschen Steuerverwaltung ist dies mit ihrer Datenverarbeitung bisher nicht gelungen.
Ich erwähne diese Gründe so ausführlich, meine Damen und Herren, damit Sie und die deutsche Öffentlichkeit einen Einblick in die Abwägung der Bundesregierung bekommen und Sie sich damit vielleicht auch etwas
stärker gegen eilfertige, undifferenzierte Urteile und Bewertungen immunisieren können. Uns allen sollte klar
sein: Die Bankenkrise ist noch lange nicht zu Ende. Wir
haben es hier nicht nur mit einer Bank zu tun, die sich in
unverantwortlicher Weise verzockt hat. Alle Kreditinstitute, die mit Subprime-Marktpapieren gehandelt haben,
sind von dieser Krise betroffen. Schlecht ist, dass nach
wie vor niemand ganz genau weiß, welches Institut in
welchem Ausmaß betroffen ist.
Fest steht: Die teils deutlichen Abschläge bei den Aktienkursen der Kreditinstitute zeigen, dass der Markt von
einem höheren Wertberichtigungsbedarf ausgeht, als
bisher transparent ist. Weltweit, so habe ich in Tokio
während des Treffens der G-7-Finanzminister erfahren,
schätzt der IMF den Wertberichtigungsbedarf auf
400 Milliarden US-Dollar, wobei die Experten sagen,
das bisher ungefähr ein Drittel davon tatsächlich wertberichtigt worden ist.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren,
kann das Gebot der Stunde nur lauten, dass die Banken
in ihren Bilanzen klar Schiff machen müssen, und zwar
ohne langen Aufschub. Wer glaubt, mögliche Wertberichtigungen oder Verluste nur in Häppchen nach der
Salamitaktik offenbaren zu müssen, der provoziert nicht
nur eine eigene Abstrafung durch den Markt, sondern
der handelt zum Schaden des gesamten Finanzsektors in
der Bundesrepublik Deutschland. Um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, dürfen wir es uns nicht leicht
machen und nur die akute Krisenbewältigung sehen, die
auch dank des entschlossenen Handelns großer Zentralbanken bisher insgesamt gut gelungen ist. Ich möchte
der Europäischen Zentralbank ein ausdrückliches
Kompliment machen, die eine dieser Zentralbanken gewesen ist, die den Markt in einer sehr angespannten
Lage mit Liquidität versorgt haben, anders als zum Beispiel eine andere europäische Zentralbank.
({9})
Ebenso bedanke ich mich insbesondere beim Präsidenten der Deutschen Bundesbank und beim Präsidenten der
BaFin, die in diesem Krisenmanagement eine wichtige,
eine verlässliche und eine unterstützende Rolle gespielt
haben.
({10})
Wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen,
welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Natürlich
spielt das Eigeninteresse der Finanzmarktteilnehmer,
Finanzkrisen zu vermeiden, hierbei eine zentrale Rolle.
Der Markt sorgt derzeit, wenn auch schmerzlich, für eine
Anpassung: Risiken werden jetzt wieder anders eingepreist als vor dieser Blase. Aber dieses Marktinteresse
allein wird nicht ausreichen, um Inkompetenzen, Fehlverhalten und Übertreibungen dieses Marktes, Exzesse
durch diesen Markt wirklich zu verhindern. Es hat ja
auch nicht gereicht, um die bisherige Krise abzuwenden.
Ich bin deshalb überzeugt, dass die Krise eine politische Reaktion erfordert und wir zu besseren, international abgestimmten Spielregeln kommen müssen. Beim
Treffen der G-7-Finanzminister in Tokio vom vergangenen Wochenende wurden deshalb auch auf deutsche
Initiative hin Vorschläge diskutiert und in dem Kommunique festgehalten, mit dem wir in drei zentralen Bereichen das Vertrauen an den Märkten nachhaltig stärken
wollen: die Eigenkapitalunterlegung der Banken, ein
besseres Liquiditätsmanagement und eine höhere Transparenz. Es versteht sich von selbst, dass für alle Maßnahmen eine Umsetzung auf internationaler Ebene der Königsweg ist, allein schon deshalb, um darüber einseitige
Wettbewerbsnachteile für einen einzelnen Finanzplatz
wie beispielsweise Deutschland zu vermeiden. Das heißt
aber umgekehrt nicht, dass wir nicht auch auf europäischer und ebenso auf deutscher Ebene aktiv werden
müssen, zum Beispiel auch dann, wenn bei einer internationalen Umsetzung Schwierigkeiten auftauchten.
Aus Zeitgründen möchte ich hier nur die wichtigsten
Maßnahmen anreißen; ich bin sicher, dass sich nächste
Woche sowohl im Finanzausschuss wie im Haushaltsausschuss die Gelegenheit für eine intensivere Erörterung ergeben wird.
Erstens geht es um eine verbesserte Eigenkapitalunterlegung. Die Finanzmarktturbulenzen haben gezeigt, dass wir mehr Risikovorsorge für Stressphasen am
Markt brauchen, allerdings erst nach Überwindung dieser Krise, um die Kreditinstitute aktuell nicht noch mehr
zu überfordern, als sie es ohnehin schon sind. Eine Möglichkeit hierzu ist, im Zuge einer Nachjustierung von
Basel II von den Banken einen zusätzlichen Eigenkapitalpuffer zu verlangen, und zwar zusätzlich zu dem, was
nach den jetzt seit wenigen Wochen geltenden Basel-IIRegeln für den gewöhnlichen Fall reibungslos funktioBundesminister Peer Steinbrück
nierender Märkte ermittelt wird. Aber die Märkte funktionieren eben nicht immer reibungslos und so wie gewöhnlich.
Hinsichtlich der Verbriefungen, einem der Dreh- und
Angelpunkte der derzeitigen Krise, empfiehlt sich darüber hinaus eine Erhöhung der Risikogewichte dieser
Verbriefungen zur Bestimmung der nötigen Eigenkapitalunterlegung nach Basel II. Dies könnte zum einen
durch eine andere Ausübung bereits bestehender Wahlrechte oder zum anderen durch eine Neuberechnung der
Risikogewichte erfolgen, die bisher immer nur in Schönwetterzeiten erarbeitet worden sind. Je nach einer daraus
resultierenden neuen Risikogewichtung müsste dann
mehr Eigenkapital von den Instituten bereitgehalten werden, was wiederum bei Investmentmanagern den Anreiz
verstärken würde, in den Bewertungen stärker auf die
wirtschaftlichen als auf die spekulativen Rahmenbedingungen ihres Engagements zu achten.
Zweitens wollen wir das Liquiditätsmanagement
verbessern. Die Finanzmarktturbulenzen machen deutlich, dass die globalen bankaufsichtsrechtlichen Liquiditätsvorschriften dringend ausgebaut werden müssen.
Handlungsbedarf sehe ich hierbei vor allem in zweierlei
Hinsicht: Erstens sprechen gute Gründe für eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Vorschriften über
die einzelne Bank hinaus auf einen Bankkonzern. Zweitens sind Belastungstests - oder auf neudeutsch Stresstests - unter der Annahme einer nur eingeschränkten
Marktliquidität geboten. Die bislang übliche Annahme
liquider Märkte ist ungenügend und wird von den von
uns gemachten Erfahrungen falsifiziert.
Drittens wollen wir mehr Transparenz auf den Märkten schaffen. Dies ist eine zentrale Aufgabe für die internationale Politik. Alle Marktteilnehmer - auch Anleger
und Aufsichtsgremien - müssen die Chance haben, bestehende Risiken angemessen bewerten zu können. Dies
ist derzeit nicht gewährleistet. Die Marktteilnehmer können keine eigenen Risikoprofile erstellen.
Ich möchte heute nicht näher auf das Thema Hedgefonds eingehen, zumal diese definitiv nicht die derzeitigen Finanzmarktturbulenzen verursacht haben. Aber ich
möchte daran erinnern, dass es von manchen im Inland
wie auch im Ausland - insbesondere im angloamerikanischen Bereich - belächelt worden ist, dass wir unter der
deutschen EU-Rats- und G-7-Präsidentschaft vor ungefähr einem Jahr das Thema Transparenz auf die Tagesordnung gesetzt haben.
({11})
Ich hätte mir damals in ihrem eigenen Interesse etwas
mehr Unterstützung aus der Branche selber gewünscht.
Inzwischen ist, wie Sie wissen, einiges in Gang gekommen, und zwar in Großbritannien durch die Kommission, die Andrew Large, der frühere Vizepräsident der
Bank of England, in Gang gesetzt hat, wie auch in der
sogenannten President’s Working Group on Financial
Markets in den USA. Das alles sind wichtige Initiativen
im Ergebnis dessen, was wir vor einem Jahr initiiert haben. Diese Initiativen werden uns im Financial Stability
Forum und schon während des G-7-Treffens im April
stark beschäftigen.
Es wäre zu wünschen, will ich hinzufügen, dass wir
dieses Mal insbesondere von der Ratingbranche Unterstützung bekommen, von der wir die Schaffung eines
„set of best practices“ für strukturierte Produkte erwarten. Mir ist wichtig, dass wir in Zukunft verhindern, dass
die Agenturen, wie gesagt, erst beratend an der Strukturierung beteiligt sind und anschließend an der Bewertung.
Unter dem Stichwort der Transparenz werden wir
auch eine eventuelle Ergänzung des Bilanzrechtes diskutieren müssen, um bislang außerbilanziell durchgeführte Transaktionen zukünftig besser sichtbar zu machen. Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen,
dass der von der Kollegin Zypries bereits vorgelegte Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes vorsieht, die Kriterien enger zu fassen, nach denen
Zweckgesellschaften bilanziert werden müssen.
Wenn es um nachhaltige und wirkungsvolle Konsequenzen aus den Finanzmarktturbulenzen geht, dann
sprechen wir automatisch auch über die Arbeit der Aufsichtsbehörden bei uns. Das ist sowohl national als
auch in der grenzüberschreitenden Kooperation ein
wichtiges Thema in der Eurogruppe und im Ecofin-Rat.
Vor diesem Hintergrund begrüße ich ausdrücklich die
zwischen der BaFin und der Bundesbank gefundene Verständigung auf eine transparentere und reibungslosere
Aufgabenverteilung bei der Bankenaufsicht. Sie ist ein
wichtiger Beitrag zu einer handlungsfähigen stabilen
deutschen Bankenaufsicht. Nähere Auskünfte darüber
werden mit Gewissheit auch in den beiden Ausschüssen
gegeben.
Ich bin überzeugt, dass die von mir beschriebenen
Maßnahmen - vor allem, wenn sie auch im internationalen Kontext umgesetzt werden - eine gute Basis für eine
nachhaltige Beruhigung und Stabilisierung der Finanzmärkte darstellen. Genauso überzeugt bin ich allerdings
davon, dass kurzfristige Konjunkturprogramme, wie sie
derzeit auch unter Verweis auf die Situation in den USA
gelegentlich reflexartig wie lautstark in Europa und in
Deutschland propagiert werden, definitiv nicht die richtige und angemessene Antwort auf die jetzige Situation
sind.
({12})
Das gilt - um es gleichermaßen vorweg zu sagen - für
etwaige zusätzliche und nach Lage der Dinge wohl auch
kreditfinanzierte Ausgabenprogramme wie auch für
die von mancher Seite vorgetragene Forderung nach
Steuersenkungen auf Pump. Es gibt eine Reihe von
Gründen, die gegen beides sprechen. Erstens haben wir
es im Unterschied zu den Amerikanern in Europa und
speziell in Deutschland immer noch mit einer starken
konjunkturellen Grunddynamik zu tun. Die Finanzmarktturbulenzen treffen auf eine wesentlich robustere
deutsche Wirtschaft als noch vor zwei oder drei Jahren.
Auch die stabilen Fundamentaldaten deuten nicht auf
eine stärkere konjunkturelle Abkühlung und erst recht
nicht auf eine rezessive Entwicklung in Deutschland hin.
So haben wir es beispielsweise aktuell mit einer aufwärts
gerichteten Tendenz bei den Auftragseingängen und mit
einem entsprechend positiven Ausblick für die Entwicklung der Industrieproduktion in den nächsten Monaten
zu tun. Einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zufolge blickten die deutschen Industrieunternehmen im vermeintlich schwierigen Monat Januar
optimistischer in die Zukunft als vor einem halben Jahr.
Das ist ein Ausschnitt aus der aktuellen Lage. Ich könnte
das fortsetzen. Aus Zeitgründen will ich das nicht tun.
Auf der Basis der jetzt vorliegenden Erkenntnisse
rechnet die Bundesregierung, unterstützt von fast allen,
die man dazu befragen kann, mit einem gesamtwirtschaftlichen Wachstum in Höhe von 1,7 Prozent in diesem Jahr. Damit können wir trotz unbestreitbarer Risiken - diese negiere ich gar nicht - zufrieden sein, wenn
es denn so kommt. Wir sollten die Kirche allerdings im
Dorf lassen. 1,7 Prozent Wachstum bedeuten nicht mehr
und nicht weniger, als dass wir damit ungefähr unser
derzeit geschätztes Wachstumspotenzial in Deutschland
ausschöpfen können. Sie alle wissen, dass das 2003 und
2004 nicht so war. Damals hätten wir bei 1,7 Prozent
Wachstum die Sektkorken knallen lassen.
Zweitens haben wir keinerlei Veranlassung, unseren
bisher so erfolgreichen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs, eben die Kombination aus dauerhafter Wirtschaftsförderung und Wachstumsförderung sowie einer
soliden Haushaltspolitik, zu verlassen. Die gegenwärtig
wirksamen Strukturreformen helfen uns auch im aktuell
schwieriger werdenden konjunkturellen Fahrwasser;
denn sie wirken konjunkturunterstützend. So wird sich
im laufenden Jahr allein der Gesamteffekt durch die Förderung von Wachstum, Beschäftigung und Familien
- Sie können sich sicherlich erinnern, dass es sich um
ein 25-Milliarden-Euro-Programm handelt, 12,5 Milliarden Euro ergänzt durch die Bundesländer; hinzu kamen
im letzten Jahr 10 Milliarden Euro zusätzlich -, die Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung
und die Entlastung der Wirtschaft durch die seit dem
1. Januar dieses Jahres gültige Unternehmensteuerreform auf rund 18 Milliarden Euro belaufen. Um Ihnen
eine Relation zu geben: Diese 18 Milliarden Euro entsprechen spitz gerechnet 0,75 Prozent des deutschen
Bruttosozialproduktes. Das, was der Präsident der USA
in seiner State of the Union erklärt hat, entspricht ungefähr 1 Prozent des amerikanischen Bruttosozialprodukts.
Das heißt, mit diesen Impulsen bewegen wir uns in etwa
in der Relation dessen, was der amerikanische Präsident
in seiner State of the Union als konjunkturfördernde
Maßnahmen angekündigt hat.
Drittens würde jede Abkehr vom notwendigen Konsolidierungskurs, die mit einem Konjunkturprogramm
verbunden wäre, zwangsläufig zu gegenläufigen Entwicklungen führen. Es wäre sehr wahrscheinlich, dass
ein Verlassen des Konsolidierungspfades in der jetzigen
Situation nicht nur ein sträflicher Wiederholungstatbestand wäre, der uns im Hinblick auf das Ziel der Generationengerechtigkeit Lügen strafen würde und der vor
allen Dingen dem verbreiteten Verdacht Vorschub leistete, dass die Politik im Zweifelsfall immer bereit ist,
sich leichtfüßig in eine höhere Staatsverschuldung zu
flüchten. Diese Abkehr könnte gerade angesichts des
derzeitigen Inflationsdrucks viel mehr auch die europäische Geldpolitik betreffen. Sie könnte zu einer restriktiveren Geldpolitik, also zu Zinserhöhungen durch die
EZB führen. Je nach Ausmaß würde die Konjunktur dadurch stärker belastet, als ein Konjunkturprogramm beschleunigend wirken könnte.
Bisher sind die Auswirkungen der globalen Finanzmarktturbulenzen auf die deutsche Konjunktur und damit auf den aktuellen Bundeshaushalt verkraftbar. Bisher! Es besteht Grund zu der Annahme, dass dies
weiterhin so bleibt. Aber ich rate dringend, sich von der
lieb gewordenen Vorstellung zu verabschieden, dass wir
künftig - genauso wie 2006 und 2007 - mit unerwarteten
Steuermehreinnahmen rechnen könnten, die wir bisher
zu zwei Dritteln in die Absenkung der Nettokreditaufnahme und zu einem Drittel in zusätzliche Investitionen
für Wachstum und Beschäftigung gesteckt haben. Ich
sage an dieser Stelle sehr prononciert: Auf unerwartete
zusätzliche Steuermehreinnahmen kann in diesem Jahr
niemand hoffen. Das Gegenteil ist nicht auszuschließen.
Vor diesem Hintergrund sehe ich die hauptsächliche
Gefahr für den weiteren notwendigen Konsolidierungskurs nicht in der konjunkturellen Entwicklung, sondern
in den trotz schwieriger Rahmenbedingungen ungebremsten politischen Begehrlichkeiten gegenüber dem
Haushalt.
({13})
Die Gleichzeitigkeit unverträglicher politischer Forderungen und Vorschläge verwirrt nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern behindert auch die Stetigkeit
unseres Kurses. Runter von der Staatsverschuldung, aber
rauf mit diversen Ausgaben und runter mit den Steuersätzen und das alles gleichzeitig, dies funktioniert nicht.
Das sollte endlich Common Sense in diesem Haus werden.
({14})
Ich betreibe keine Schwarzmalerei, aber die haushaltsbelastenden politischen Wünsche übersteigen die
gegenwärtig sichtbaren und beherrschbaren Einnahmeausfälle durch die etwas schwächer werdende Konjunktur um ein Vielfaches. Deshalb sage ich: Vorsicht an
der Bahnsteigkante! Die Große Koalition hat keinerlei
Anlass, von ihrer erfolgreichen, soliden Haushaltspolitik
abzuweichen, weder durch ökonomisch fragwürdige
Programme noch durch zusätzliche steuerliche Entlastungen nach einer Serie bereits erfolgter Steuersenkungen.
({15})
Die jüngste ist gerade einmal sieben oder acht Wochen
her. Für die anstehenden Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2009 kann dies nur zweierlei bedeuten: Erstens.
Die Verhandlungen werden von uns allen sehr große
Disziplin und Konzentration auf das wirklich NotwenBundesminister Peer Steinbrück
dige verlangen. Zweitens. Sie werden noch weniger vergnügungssteuerpflichtig sein, als sie es je waren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Hermann Otto Solms für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es kann gar kein Zweifel sein, dass diese
aktuelle Krise am Finanzmarkt ihren Ausgang in den
Vereinigten Staaten genommen hat, dass dort Fehler gemacht worden sind und dass dies zu kritisieren ist. Es ist
aber nicht Sache eines Oppositionspolitikers, sich mit
den Fehlern in den Vereinigten Staaten zu befassen, sondern meine Aufgabe ist es, zu prüfen, was die Bundesregierung getan hat, ob sie Fehler gemacht hat und wer
für diese Fehler verantwortlich ist. Darüber müssen wir
heute reden.
({0})
Ich halte es auch für richtig, Herr Bundesfinanzminister,
und ich unterstütze - das sage ich jetzt persönlich, weil
wir das in der Fraktion nicht abgestimmt haben -, dass
Sie jetzt in einer erneuten Runde öffentliche Finanzmittel beiziehen, um den endgültigen Untergang der IKB zu
vermeiden, insbesondere um Schaden vom deutschen
Finanzmarkt abzuwenden.
Aber: Wer ist verantwortlich für den riesigen Verlust
an öffentlichen Mitteln, der nun eingetreten ist? Ich will
auf die Fehler hinweisen.
Erstens. Ihr Vorgänger Hans Eichel hat die ersten
Fehler gemacht. 2001 hat er entschieden - der Bundestag war mit dieser Angelegenheit nicht befasst -, dass
die KfW als Eigentümerin bei der IKB eintritt. Es war
immer unsere Auffassung, dass sich eine staatliche Förderbank nicht an privaten, riskanten Spekulationsgeschäften beteiligen darf.
({1})
Ich habe dies, Herr Bundesfinanzminister, auch im
Wahlkampf 2005 öffentlich gesagt. In der WiWo ist das
zitiert. Ich habe Herrn Eichel und Frau Matthäus-Maier
auch persönlich gesagt: Wenn wir 2005 Verantwortung
übernommen hätten, wäre diese Beteiligung unverzüglich veräußert worden. - Dann hätten wir uns den Schaden erspart.
({2})
Sie haben nun 2005 den Fehler begangen, das zu übernehmen und das Engagement fortzusetzen. Sie haben die
Verantwortung dafür, dass der Staat, also der Steuerzahler, an diesen riskanten Spekulationsgeschäften beteiligt
geblieben ist.
Zweiter Fehler. Herr Eichel hat die Bankenaufsicht
unzureichend geregelt. Er hat einen Kompetenzwirrwarr
zwischen Bundesbank und BaFin mit Streitigkeiten bis
jetzt ausgelöst. Jetzt soll es angeblich einen vorläufigen
Kompromiss zwischen beiden Instituten geben. Wir haben damals gefordert, die Kompetenz auf eine Institution
zu konzentrieren, und zwar am besten auf die Deutsche
Bundesbank, weil diese unabhängig ist und nicht unter
Ihrer Aufsicht steht. Sie würde Ihnen dafür aber auch die
Verantwortung ersparen.
({3})
Auch das ist nicht gemacht worden.
Was ist dabei herausgekommen? Nicht nur Kompetenzwirrwarr bei der Bankenaufsicht, sondern auch
Kompetenzwirrwarr bei der Aufsicht durch den Bundesfinanzminister; denn Sie sind an der Aufsicht der IKB
direkt und indirekt geradezu dreifach beteiligt, nämlich
durch den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden
Herrn Leinberger, der im Vorstand der KfW sitzt, und
durch Herrn Asmussen, Abteilungsleiter im Finanzministerium, der gleichzeitig im Verwaltungsrat der
BaFin und im Aufsichtsrat der IKB sitzt, sich also sozusagen selbst kontrolliert. Auch das liegt in Ihrer Verantwortung. Schließlich hat die BaFin beansprucht, die
Überwachung der IKB selbst durchzuführen und die
Bundesbank herauszuhalten, sodass die Überwachungsfehler eindeutig der BaFin zuzuschreiben sind. Diese
dreifache Überwachung hat zu dem Versagen geführt.
Jetzt soll mir aber niemand erklären, das alles wäre geheimnisvoll und vertuscht worden. Ich habe mir - wie es
jeder tun kann - den Geschäftsbericht der IKB aus dem
Internet heruntergeladen und ausgedruckt. Dort sind ja
alle Zahlen aufgeführt; jeder kann sie sich anschauen.
Zumindest Fachleute hätten doch aufmerksam werden
müssen.
({4})
Ich möchte eine Passage zitieren; das ist etwas, was
man sich nur auf der Zunge zergehen lassen kann. In
dem Geschäftsbericht steht: Unsere Investments konzentrieren sich zu zwei Dritteln auf US-Portfolios, insbesondere auf Hypothekenkreditforderungen. - Dann kommt
das Schönste:
Wir nutzen unsere große Expertise … in diesem Bereich aber auch, um auf Provisionsbasis externe Gesellschaften bei deren Investments in internationale
Kreditportfolien zu beraten. Dies bezieht sich insbesondere auf das Conduit „Rhineland Funding Capital Corporation“ in den USA.
Das ist ja eine Tochtergesellschaft der IKB. Die haben
sie beraten, damit der gleiche Mist, der bei der IKB
durchgeführt wird, auch bei dem Conduit durchgeführt
wird.
„Unsere große Expertise“ - und das hat bei Ihnen niemand gemerkt? Das steht doch alles im Geschäftsbericht! Der Aufsichtsrat bestätigt das ja.
({5})
Der nächste Fehler: das Krisenmanagement, das Sie
durchgeführt haben - jetzt wird ja schon die dritte Hilfsaktion durchgeführt. Die erste Hilfsaktion fand im August
statt: 3,5 Milliarden Euro sind zur Verfügung gestellt worden. Die zweite Hilfsaktion fand am 30. November statt.
Dabei sind die Mittel der KfW zur Abschirmung der Risiken auf 4,8 Milliarden Euro erhöht worden. Vorgestern
gab es die dritte Runde: 1,2 Milliarden Euro öffentliche
Mittel sind zur Verfügung gestellt worden. Das sind insgesamt 6 Milliarden Euro. Ist das jetzt die letzte Runde?
Sind diese Aktionen jetzt abgeschlossen? Oder wie viele
Runden haben wir noch vor uns? Kann das jemand sagen?
Sie beschimpfen die privaten und die anderen Banken. Sie haben in der FAS in einem Interview gesagt:
Das begründet meine Aufforderung an die anderen
Banken, jetzt schnell alles offenzulegen, was sie an
erkennbaren Risiken mitschleppen, damit der Markt
nicht im Vierzehn-Tage-Rhythmus von Hiobsbotschaften weiter nervös gemacht wird.
Was passiert denn in Ihrem Bereich? Was haben Sie
denn jetzt aufgedeckt? - Sie verfahren nach der Salamitaktik: Wenn es notwendig ist, dann wird etwas aufgedeckt. Dann wartet man bis zur nächsten Krise. Was hier
vorgeführt wird, ist wirklich dilettantisch.
({6})
Meine Damen und Herren, insgesamt sind mindestens
6 Milliarden Euro öffentliche Mittel verbrannt. Die sind
verbraucht. Wer ist dafür verantwortlich? Darum geht es
hier. Wir wollen kein Bauernopfer, etwa das von Frau
Matthäus-Maier, sehen. Wir wollen wissen, wer für den
Verlust von 6 Milliarden Euro Steuernmitteln hauptsächlich verantwortlich ist. In diesem Fall ist das eindeutig
der Bundesfinanzminister.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Norbert Röttgen
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in dieser Debatte mit einer ausländischen Stimme beginnen,
({0})
und zwar mit dem englischen Kolumnisten Martin Wolf,
der sich in der englischen Financial Times - in meiner
freien Übersetzung - kurz so geäußert hat:
({1})
Ein Finanzsektor, der enorme Gewinne für die Insider
und gleichzeitig wiederholte Krisen für Hunderte Millionen unbeteiligter Zuschauer produziert, ist auf lange
Sicht politisch inakzeptabel.
({2})
Gerade diejenigen, die eine marktwirtschaftlich geprägte
Globalisierung wollen, müssen das als die Achillesferse
der Globalisierung erkennen. Effektives Handeln ist jetzt
gefordert, bevor eine noch größere globale Krise kommt.
Ich glaube, dass der sicherlich völlig unverdächtige
Kolumnist der Financial Times die politische Dimension
der Krise, in der wir uns befinden, deutlich gemacht hat.
Es gibt sicherlich eine ganze Menge bankenregulatorischer Fragen, aber es geht im Kern um diese politische
Dimension.
({3})
Wenn ich seine Aussage noch einmal reduzieren
wollte, würde ich sagen: Es geht inzwischen nicht mehr
nur um die Rettung von Geld, es geht schon gar nicht um
Rechthaberei, sondern es geht um die Wiederherstellung
von Vertrauen. Das ist die Aufgabe und Herausforderung, der wir gerecht werden müssen.
({4})
Das geht nicht mit Schnellschüssen. Es braucht Entschlossenheit, vielleicht auch ein bisschen Mut, sich dieser Situation zu stellen.
Was könnten Elemente für eine konzeptionelle Antwort auf die Krise sein, die ihr gerecht werden? Es geht
doch darum, aus der Krise zu lernen.
Das erste Element ist: Wir müssen erfassen, was das
Charakteristische der Finanzglobalisierung ausmacht,
was sich eigentlich so fundamental verändert hat - es
gibt fundamentale Veränderungen -, warum wir nicht
einfach mit den Instrumenten und der Art weitermachen
können, die wir in den ersten Jahrzehnten nach dem
Krieg, eingeführt unter Ludwig Erhard, mit Erfolg praktiziert haben.
Ein Charakteristikum ist, dass Risiken und Krisen
zwar national oder regional entstehen, aber in ihren Auswirkungen nicht mehr national oder regional begrenzbar
sind, sondern globale Auswirkungen haben, und zwar
für Politik, Wirtschaft und private Haushalte in der ganzen Welt. Niemand kann sich diesen Risiken und Krisen,
die an irgendeiner Stelle entstehen - diesmal in den
USA; es könnte auch Asien sein -, entziehen, auch nicht
hier in Deutschland. Wir sind miteinander verbunden.
({5})
Aus diesem Charakteristikum folgt eine Antwort. Es
folgt nicht die Antwort, dass der Staat überflüssig wird.
Ich bin fest überzeugt, dass die Globalisierung den Staat
alles andere als überflüssig macht. Er hat eine neue Aufgabe. Tatsache ist aber, dass eine adäquate Antwort auf
die Globalisierung und auch auf die Finanzglobalisierung nicht rein national sein kann. Das Gebot der Stunde
ist internationale Kooperation. Darum sollte man nicht
so oft damit drohen: Wenn wir uns nicht einigen, machen wir es allein. - Wir sind nicht der entscheidende
Akteur in dieser Frage, sondern internationale Kooperation ist das Gebot der Stunde.
({6})
Ich möchte auf den Anlass dieser Regierungserklärung zurückkommen, das G-7-Finanzministertreffen. Es
ist zu würdigen, dass es diese Kooperation gibt und dass
unser Land und diese Bundesregierung in ihrer Präsidentschaft die Bedeutung erkannt und eine führende
Rolle übernommen haben. Ich will keine Rechthaberei
betreiben, aber doch an die Auseinandersetzungen erinnern, die es um Heiligendamm und das G-8-Treffen in
Deutschland gab, auch an den politischen Widerstand
- das ging bis hin zu militantem Widerstand - gegen das
Treffen und die Kooperation überhaupt. Ich glaube, dass
die Finanzmarktkrise all diejenigen, die sagen: „Wir
brauchen diese Kooperation nicht; sie ist böse; sie ist
eine Versammlung von denjenigen, die Ausbeutung betreiben wollen“, eines Besseren belehrt. Manche sollten
ihren Horizont weiten. Nichts ist nötiger als internationale Zusammenarbeit.
({7})
Das gilt auch im Hinblick auf die Schwellenländer
- das hat Herr Steinbrück gesagt -, die ein stabilisierender Faktor sind. Darum müssen wir die vorhandenen Institutionen entwickeln. Der Internationale Währungsfonds hat eine Geschichte und hat in seiner Geschichte
schon unterschiedliche Funktionen wahrgenommen. Ich
halte es für sinnvoll, den Internationalen Währungsfonds
zu einem globalen Frühwarnsystem für die Finanzmärkte weiterzuentwickeln. Ein solches Instrument
brauchen wir. Wir sollten an dieser Fortentwicklung aktiv mitwirken.
({8})
Ich glaube, dass in der aktuellen Finanzmarktkrise die
Stunde Europas schlägt. Nach den großen Erfolgen der
europäischen Integration fragen wir jetzt immer wieder:
Was ist eigentlich die Legitimation Europas heute? Ist
Europa Opfer seines eigenen Erfolges geworden? Nein,
Europa erweist sich im Zeitalter der Globalisierung als
die erste und beste Antwort auf ebendiese Globalisierung. Jetzt, da der Euro fast zehn Jahre alt ist, können
wir auch sagen: Der Euro erlebt in diesen Tagen - ich
glaube nicht, dass das zu hoch gesprochen ist - vielleicht
seine erste historische Rechtfertigung. Der Euro liefert
in dieser Krise den Bürgern in den Ländern der Eurozone einen Schutz, den die gute alte Mark nicht hätte liefern können. Der Euro hat sich in dieser Krise als Garant
für Währungsstabilität und als Gestaltungsinstrument
bewährt.
({9})
Deshalb ist es gut, dass die Entscheidung zugunsten des
Euro getroffen worden ist. Darum erkläre ich, dass wir
als Unionsfraktion - ich glaube, das ist auch die Position
Deutschlands - die entscheidende institutionelle Voraussetzung für Währungsstabilität, also für einen stabilen
Euro, erhalten wollen. Diese sehen wir in der unabhängigen Europäischen Zentralbank.
({10})
Europa stellt, wie ich glaube, auch die unterste Ebene
für eine Regulierung des Bankensektors dar. Wenn wir
es neben der Aufgabe der Regulierung auch noch schaffen wollen, die Europäische Union zu einem Schutzraum
für ihre Bürger gegen Ansteckung von solchen Gefahren
zu entwickeln, dann dürfen wir nicht weiter zuschauen
- das tun wir zurzeit noch zu sehr -, wie sich die nationalen Wirtschaftspolitiken, abgesehen vom Feld der Regulierung, eher weiter auseinanderentwickeln, als dass
sie zusammenkommen. Die Europäische Union braucht
neben dem Regulierungsansatz auch einen gemeinsamen, abgestimmten, kohärenten, insbesondere Deutschland und Frankreich vereinenden wachstums- und wirtschaftspolitischen Ansatz. Wir brauchen mehr Kohärenz
der Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union.
({11})
Wir können uns nicht auf den Standpunkt zurückziehen,
Deutschland und Frankreich seien traditionell verschieden. Nein, das können wir uns nicht mehr leisten. Wir
brauchen eine besser abgestimmte Wirtschaftspolitik in
der Europäischen Union.
({12})
- Das gilt auch für die Sozialpolitik, völlig richtig. Man
kann übrigens Wirtschafts- und Sozialpolitik an dieser
Stelle nicht unabhängig voneinander denken. Völlig
richtig.
({13})
Was bedeutet das für Deutschland? Es bedeutet, dass
Protektionismus keine vernünftige Option für unser
Land ist.
({14})
- Es ist gut, dass Sie sich melden. - Es bedeutet, dass
Stimmungsmache und Angstmache das Gegenteil von
Wahrnehmung politischer Verantwortung sind. Es ist geradezu verwerflich, die Ängste von Menschen zu parteipolitischen Zwecken zu missbrauchen, wie es Ihre Methode ist. Darum ist es gut, dass Sie sich als Betroffene
von sich aus gemeldet haben.
({15})
Das bedeutet auch, dass wir schauen müssen, wie sich
Deutschland besser auf die Globalisierung einstellen
kann. Meine Überzeugung ist, dass die entscheidende
Ursache für unser Wachstum ist, dass sich unsere Unternehmen bis in den Mittelstand hinein konsequent auf die
Globalisierung eingestellt haben. Dieser Prozess wurde
in den letzten Jahren vollzogen und stellt die wirtschaftliche Basis für unseren derzeitigen Aufschwung dar. Ich
halte die Feststellung für zutreffend, dass sich der
Bankensektor in Deutschland in den letzten Jahren
nicht konsequent auf die Globalisierung eingestellt hat.
Der Bankensektor in Deutschland hat sich nicht optimal
auf die Globalisierung eingestellt.
Zu dem Fragenkomplex, wie der Bankensektor zukünftig aussehen soll, gehört auch eine durch die Finanzkrise auf die Tagesordnung gekommene Frage: Was ist
die Legitimation, und was ist die Rolle öffentlicher Banken? Meine Damen und Herren, es entspricht nicht der
Wahrnehmung politischer Verantwortung, sich nur mit
den Fragen zu beschäftigen, die bequem sind. Es ist auch
nicht böse, diese Frage zu stellen; vielmehr steht die
Frage, was im Zeitalter der Finanzglobalisierung Rolle
und Legitimation öffentlicher Banken in Bezug auf das
internationale Finanzgeschäft ist, auf der Tagesordnung.
({16})
Diese Frage hat bestimmte bankenspezifische Implikationen, zum Beispiel in Bezug auf die Risiko- und Bonitätsbewertung des Kapitalmarktes bei öffentlichen Banken. Sie hat aber eben auch eine politische Dimension.
Es ist etwas anderes, ob der Staat im Krisenfall einer
privaten Bank gegenübertritt und entscheidet, zu intervenieren und zu helfen oder nicht, oder ob der Staat in
Form des Vehikels einer öffentlich-rechtlichen, also
- das sage ich bewusst so - einer privatrechtlichen Bank
mit erheblicher öffentlicher Beteiligung, selber Akteur
ist und für sein Fehlverhalten die Bürgerinnen und Bürger und die Steuerzahler direkt oder mittelbar mit in Haftung nimmt.
({17})
Diese Inhaftungnahme der Bürger und Steuerzahler
braucht eine Rechtfertigung.
Diejenigen, die Staatsbanken eine führende Rolle
zuweisen - der Bundesfinanzminister hat das ja in einem
Interview angeregt -, haben eine Bringschuld, zu begründen, warum sich öffentliche Banken im internationalen Finanzgeschäft beteiligen sollen. Ich glaube, dass
sie das nicht tun sollten; denn diese Bringschuld kann an
dieser Stelle nicht erbracht werden.
Ich möchte einen letzten Punkt anmerken. Was bedeutet die Finanzkrise für Deutschland? Ich glaube, dass sie
den Sinn von Konsolidierungs- und Wachstumspolitik
deutlich macht. Manche Menschen fragen sich: Was haben wir eigentlich von Haushaltskonsolidierung? Was haben wir vom Sparen? Was haben wir vom Wachstum? Diese Finanzmarktkrise macht deutlich, dass der Sinn
von Konsolidierungs- und Wachstumspolitik darin liegt,
dass der Staat wieder Handlungsfähigkeit gewinnt. Ein
überschuldeter Staat ist nicht krisenfähig; er kann nicht
handeln. Darum müssen wir diesen Kurs - konsolidieren,
Handlungsfähigkeit zurückgewinnen, Wachstumsgrundlagen stärken - fortsetzen. Er macht durch die Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit und durch wirtschaftliche
Stärke unser Land stark gegenüber den Ansteckungsgefahren der Weltwirtschaft.
({18})
Eine Krise wünscht man sich nie. Wenn sie aber
schon da ist, sollte man das Beste daraus machen, nämlich aus ihr lernen. Ich glaube, dass die Veränderungen
so fundamental sind, dass dazu auch politischer Mut gehört. Aber angesichts der Stärken und des Potenzials unseres Landes - wir haben es in den letzten zwei Jahren
gesehen - bin ich ganz sicher, dass wir genügend Optimismus für diesen Mut haben können und dass wir der
Verpflichtung, unserem Land zu dienen, es in diesen Zeiten wetterfest zu machen und die Chancen zu nutzen,
nachkommen können. Aber es bedarf auch einer aktiven
Annahme der Herausforderungen der Globalisierung.
({19})
Das ist eine Aufgabe, der wir uns auch in diesem Parlament stellen müssen.
Herzlichen Dank.
({20})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Gregor Gysi,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Röttgen, in einem Punkt muss ich Ihnen recht geben:
Aus Krisen kann man eine Menge lernen.
({0})
Das entspricht auch meinen Erfahrungen; das will ich
gar nicht leugnen. Ich habe mich auch gefreut, dass Sie,
Herr Steinbrück, gesagt haben, die letzte Steuerkürzung
sei erst sieben Wochen her. Sie hätten aber dazusagen
sollen, dass es sich dabei um eine Kürzung der Körperschaftsteuer für die Kapitalgesellschaften, also die Deutsche Bank, handelte, während Sie vor über einem Jahr
für die Gesamtheit die Mehrwertsteuer um 3 Prozent erhöht haben. Das ist das, was wir an Ihrer Steuerpolitik
immer kritisieren.
({1})
Ich finde, wir müssen kurz darstellen, worum es bei
dieser Krise geht und was in den USA geschehen ist. Die
Öffentlichkeit muss das ja verstehen. Die Banken in
den USA haben Kredite an Hausbesitzer oder Leute, die
Häuser kaufen wollten, auch wenn sie kaum Geld hatten,
gegeben. Das klingt erst einmal edel, und man sagt:
Mein Gott, die geben ja sogar Ärmeren Geld.
({2})
- Ich sagte, es klingt edel. - Das Problem ist nur, dass die
Banken davon ausgingen, dass die Häuser im Wert steigen und dass man im Wege der Zwangsversteigerung alDr. Gregor Gysi
les wunderbar realisieren kann. Da haben sie sich verspekuliert; denn der Wert der Grundstücke ist gesunken.
Weil sie aber schlau sind, haben sie gesagt: „Das Risiko
wollen wir nicht alleine tragen“, Wertpapierfonds gebildet und diese den Europäern angeboten. US-hörig, wie
die Europäer sind, allen voran die öffentlich-rechtlichen
Banken, haben sie sich gesagt: Das müssen wir unbedingt kaufen; da machen wir ein todsicheres Geschäft. Damit sind sie furchtbar auf die Schnauze gefallen. So
einfach ist das Ganze.
({3})
Herr Röttgen, Sie haben gefragt, was das Typische an
der Finanzglobalisierung ist. Das kann ich Ihnen sagen;
denn dafür gibt es eine unwiderlegbare Zahl: Täglich
werden weltweit 1 900 Milliarden Dollar umgesetzt. Für
den gesamten Waren- und Dienstleistungsbereich sind
das täglich 38 Milliarden Dollar, also 2 Prozent davon.
Das heißt, dass 1 862 Milliarden Dollar täglich zu reinen
Spekulationszwecken umgesetzt werden. Das hat die
Politik ermöglicht,
({4})
und das bezahlen wir heute in dieser Krise teuer. Das ist
die Wahrheit.
({5})
Man kann nämlich entgegen der Annahme mancher
Banker aus Geld nicht Geld machen. Das funktioniert
nie oder nur kurzfristig, und irgendwann hat man den
Schaden. Herr Steinbrück, Sie haben die Bankvorstände
kritisiert. Ich muss hier Herrn Solms zustimmen - ich
weiß nicht, ob ihm das angenehm ist oder mir; das spielt
auch keine Rolle; auf jeden Fall muss ich ihm zustimmen -: Sie, Herr Steinbrück, haben nichts zur Verantwortung der staatlichen Kontrolle gesagt und damit auch
nichts zu Ihrer eigenen Verantwortung. Das ist nicht hinnehmbar.
({6})
Ich führe einmal die entsprechenden Beispiele an. Die
Westdeutsche Landesbank aus NRW hat sich an den unsicheren Geschäften mit 23 Milliarden Euro beteiligt,
und zwar in der Zeit, Herr Steinbrück, als Sie als Finanzminister bzw. Ministerpräsident die Aufsicht hatten.
Aber Sie haben nichts dazu gesagt.
({7})
Die Bayerische Landesbank hat unter Aufsicht des
Finanzministers und heutigen CSU-Vorsitzenden Huber
Risikogeschäfte im Umfang von 16 Milliarden Euro gemacht. Dazu ist nichts gesagt worden.
({8})
Die Sachsen-Landesbank hat unter Verantwortung
des früheren Finanzministers und heutigen Ministerpräsidenten Milbradt sowie des heutigen Finanzministers
Tillich Risikogeschäfte im Umfang von 18 Milliarden Euro gemacht. Dazu ist nichts gesagt worden.
({9})
Dann gibt es noch die Industriekreditbank, eine private Mittelstandsbank, die mindestens 15 Milliarden
Euro in diese Risikogeschäfte gesteckt hat. Nur hat sich
- da hat Herr Solms völlig recht - eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, nämlich die Kreditanstalt für Wiederaufbau, an dieser Privatbank zu 38 Prozent beteiligt und
haftet jetzt für alles mit. Das ist das Problem, vor dem
wir unter anderem stehen.
({10})
Herr Steinbrück, Sie haben nichts dazu gesagt, dass
ein Angehöriger Ihres Ministeriums im Aufsichtsrat der
Industriekreditbank sitzt. Was hat er da eigentlich getrieben? Sie und auch Herr Glos haben Kontrollfunktionen
bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wie haben Sie
diese eigentlich wahrgenommen? Sie hätten sagen müssen: Alle diese Kontrollfunktionen haben nichts, aber
auch gar nichts diesbezüglich verhindert. - Das wäre die
erste ehrliche Feststellung gewesen.
({11})
Dann gibt es noch - auch da hat Herr Solms recht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Man fragt sich, wozu wir die eigentlich haben, wenn sie
nichts davon mitkriegt, was an Spekulationsgeschäften
weltweit läuft.
({12})
Damit komme ich zur zweiten Seite, zur Deregulierung. Herr Steinbrück, Sie haben - im Übrigen völlig zu
Recht - vor einem Jahr in einem Interview gesagt, dass
es da „komische Produkte“ und eine „irrationale Entwicklung“ auf dem Finanzmarkt gibt. Das stimmt. Aber
Sie vergaßen zu erwähnen, dass diese komischen Produkte und diese irrationale Entwicklung überhaupt erst
durch die SPD/Grünen-Regierung erlaubt worden ist.
Wenigstens das müssen Sie doch einmal feststellen.
({13})
Es war Ihr Vorgänger, Hans Eichel, der die Hedgefonds zugelassen hat, über die dann später Müntefering
gemeckert hat. Es war die Änderung des Finanzmarktförderungsgesetzes und des Kreditwesengesetzes, mit
denen die komischen Produkte und die Spekulation in
Deutschland zugelassen wurden. Sie selber, Herr
Steinbrück, haben gesagt, dass die Kreditverbriefungen
das Ziel der Finanzmarktförderung sind. Wissen Sie,
was die USA gemacht haben? Sie haben das alles als
Kreditverbriefungen angeboten. Ihr Ziel ist also erreicht
worden, und damit sind wir jetzt auf die Schnauze gefallen. Das ist die Wahrheit; das muss man doch einmal sagen können.
({14})
Ich will den Nobelpreisträger für Wirtschaft Joseph
Stiglitz erwähnen, damit Sie nicht denken, die Einwände
kämen nur von der Linken oder gelegentlich von der
FDP; sie kommen auch von anderer Seite.
({15})
- Dazu würde ich an Ihrer Stelle jetzt gar nichts sagen.
({16})
Joseph Stiglitz hat der taz gesagt:
Die wichtigste Ursache der gegenwärtigen Turbulenzen ist ein Übermaß an Deregulierung.
Das ist das Problem. Wir wollen eine Re-Regulierung.
Wenn die Politik die direkte Verantwortung für die Finanzmärkte weltweit aufgibt, dann schwächen wir die
Demokratie. Denn die Wahlmöglichkeit zwischen der
Union und der Linken würde diesbezüglich nichts mehr
bringen, wenn beide in diesen Fragen nichts mehr zu
entscheiden haben. Genau das wollen wir aber nicht. Wir
wollen ein Primat der Politik, auch über die Finanzmärkte, und nicht umgekehrt.
({17})
Das heißt: Wir fordern ein Verbot von Nebengeschäften und Zweckgesellschaften. Wir meinen, dass angesichts dieser Unsummen, mit denen dort jongliert wird,
entsprechende Sicherheiten hinterlegt werden müssen
und es eine wirksame Kontrolle geben muss.
Es ist schon absurd. Sie müssen den Bürgerinnen und
Bürgern einmal Folgendes erklären: Wenn ein Bäckermeister eine zweite Filiale eröffnet und er die Umsätze
nicht angibt, dann hat er mehrere Staatsanwälte und das
Finanzamt auf dem Hals; da ist dann was los. Wenn ein
ALG-II-Bezieher falsche Angaben macht und dadurch
50 Euro monatlich mehr bekommt, als ihm zusteht, dann
werden wir aber aktiv. Aber wenn Milliarden weltweit
verschleudert und verspielt werden, dann gibt es kein Finanzamt und keinen Staat, die sich darum kümmern. Das
ist nicht vermittelbar.
({18})
Jetzt kommt der eigentliche Nachteil. Wer haftet denn
für eintretende Verluste? Das sind doch nicht Ihre Privatkassen. Dann haften die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist nicht vermittelbar. Herr Röttgen hat recht,
wenn er das sagt. Das ist wirklich nicht vermittelbar.
Das Problem ist, dass Sie, Herr Steinbrück, erst gesagt haben, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler würden diesmal nicht haften; dafür würden Sie sorgen. Jetzt
sagen Sie: Na ja, 1,5 Milliarden Euro! - Als ob das
nichts wäre! 1,5 Milliarden Euro ist der Betrag, den die
Union brauchte, um die Umsetzung ihrer Kindergeldforderung zu finanzieren. Dann kommt nachher wieder das
Argument: Jetzt haben wir leider kein Geld mehr. - Verstehen Sie, das sind die Zusammenhänge, die die Leute
immer besser durchschauen.
({19})
Die Steuermindereinnahmen sind doch ein gesellschaftliches Problem. Ich kenne die Zahlen nicht genau;
ich tue auch nicht so, als ob ich sie genau kenne. Sie
nennen als Größenordnung eine Summe von 5 bis 6 Milliarden Euro. Ich kann das nicht einschätzen. Es geht
hier aber um Verluste in Milliardenhöhe. Wer muss die
denn ausgleichen? Wollen Sie das wieder mit einer
Mehrwertsteuererhöhung machen, oder wie müssen die
Bürgerinnen und Bürger das bezahlen? Entweder Sie
kürzen Leistungen oder Sie erhöhen Steuern; das ist
nicht hinnehmbar.
({20})
Es geht aber nicht nur darum. Die Länder übernehmen Bürgschaften. Viele Bürgschaften in Milliardenhöhe werden übernommen. Keiner von uns kann einschätzen, wie viel Geld davon fällig wird und wie viel
Geld nicht fällig wird.
Dann haben wir noch die Westdeutsche Landesbank.
Die entscheidet sich, 1 500 Menschen zu entlassen. Da
trifft es direkt die Beschäftigten, die jetzt für die Verluste
herhalten müssen. Das ist das, was mich so stört; Bankenkrise für Bankenkrise passiert dasselbe: Die Gewinne
streichen die privaten Banken ein. Da schreien sie alle:
Wir wollen keinen Staat. Kommt bloß nicht zu uns! Das
sind unsere Gewinne. Es ist furchtbar, wenn wir dafür
ein paar Steuern zahlen müssen etc. - Die Gewinne streichen sie ein. Aber sobald Verluste vorhanden sind, rufen
sie nach den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die
das ausgleichen sollen. Die Zeche bezahlen letztlich immer dieselben. Es sind die Rentnerinnen und Rentner,
die Arbeitslosen, die Kranken, die abhängig Beschäftigten und - nicht zu vergessen - die kleinen und mittleren
Unternehmen; denn diese werden steuerlich ganz anders
kontrolliert als die Großkonzerne. Das ist ein Problem,
das wir haben.
({21})
Jetzt will ich gar nicht auf Herrn Zumwinkel zu sprechen kommen. Aber all das ist Symbolik. Wir haben
- das habe ich schon mehrfach gesagt - einen Reichtum,
der maßlos wird. Wir haben zunehmende Armut. Jede
Gesellschaft verträgt hier nur eine bestimmte Spanne.
Wenn diese Spanne immer größer wird, ist dies gesellschaftlich zerstörerisch.
({22})
Deshalb sage ich Ihnen: Machen Sie etwas dagegen! Das
sollte sich nicht so weiterentwickeln.
Herr Röttgen hat zu Recht gesagt, dass wir über die
Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Banken neu diskutieren müssen. Das stimmt. Ich möchte daran erinnern:
Landesbanken sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Sie
sollen auch kleine Kredite an Bürgerinnen und Bürger
sowie an kleine und mittlere Unternehmen gewähren. Es
muss ihnen untersagt werden, weltweit zu spekulieren und dann noch frei von Kenntnis, also ohne jede Sachkenntnis, ohne wirksame Kontrolle und das Ganze zum
Nachteil der Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen die
Aufgaben der Landesbanken deutlich formulieren. Wir
wissen das aus Berlin. Wir wissen das aus Sachsen und
jetzt auch aus Bayern.
Nun lassen Sie uns doch einmal etwas unternehmen,
indem wir festlegen, was deren Aufgabe eigentlich ist.
Sie sollen fördern und helfen und nicht weltweit spekulieren, wovon sie nichts verstehen, und dann müssen die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das alles bezahlen.
Genau das ist nicht hinnehmbar.
({23})
Ludwig Stiegler ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Röttgen hat gerade vergessen,
({0})
Steinbrück und Glos dafür zu danken, dass sie in dieser
Krise gemeinsam wie weiland Plüsch und Plum so besonnen und beherzt gehandelt haben. Deshalb sage ich
dies in seinem Namen an die Adresse der beiden Minister.
({1})
Ich denke, wir sollten froh sein, dass sie manches Trennende hintangestellt, die Sache gemeinsam vorangebracht und Schaden von diesem Lande abgewendet haben. Es ist leicht, demagogisch zu reden, wie es Kollege
Gysi getan hat.
({2})
Es ist aber schwer, dann im harten Alltag Schaden von
den Menschen und von unserer Ökonomie abzuwenden.
Das ist die Hauptaufgabe, die die Politik in diesen Tagen
hat.
({3})
Wir haben hier wieder ein schönes Déjà-vu-Erlebnis.
Wir Sozialdemokraten haben in unserem Grundsatzprogramm stehen: So viel Staat wie nötig und so viel Markt
wie möglich. Wir haben gesehen: Wenn ein alleingelassener Markt versagt, ist die internationale Staatengemeinschaft genötigt, wieder für Recht und Ordnung zu
sorgen. Die Krise ist da. Sie ist tiefgreifend und hässlich.
Ich möchte an dieser Stelle auch den Zentralbanken
danken. Sie haben die Liquiditätskrise großartig gemeistert. Die Banken haben einander nicht mehr vertraut. Sie
wären an ihrem gegenseitigen Misstrauen erstickt. Sie
haben gedacht: Wenn die anderen bei ihren Papieren so
einen Mist haben wie wir, können wir ihnen kein Geld
geben. - Die Banken waren nicht in der Lage, sich selbst
zu disziplinieren. Die Zentralbanken haben ihre
„wealthy and successful asses“ gerettet. Sage mir also
keiner, der Staat habe in der Finanzindustrie nichts zu
suchen. Wir haben jetzt den Beweis dafür.
({4})
In der Not flüchten alle in Staatsanleihen. In der Not sind
die Zentralbanken Lender of last resort.
Hauptaufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Krise in
der Finanzindustrie nicht auf die Realwirtschaft durchschlägt. Das ist das Entscheidende. Wir haben eine gute
Konjunktur. Wir müssen sie retten und bewahren. Das
werden wir auch tun.
Die Bedenken sind es durchaus wert, darüber zu diskutieren. Wer gestern die Rede von Bernanke gehört
bzw. gelesen hat und wer die Äußerungen von StraussKahn vom IMF vernommen hat, weiß das. Zum ersten
Mal seit 25 Jahren fordert der IMF einen Fiskalimpuls.
Früher hat er immer genau das Gegenteil gesagt. Deshalb sage ich auch an die Adresse der Bundesregierung:
Halten wir es wie die klugen Jungfrauen, und bereiten
wir uns auf den Tag und die Stunde vor, wo wir handeln
müssen.
({5})
Ich will keine Hektik verbreiten; das ist auch keine
Übertreibung. Aber es muss Vorsorge getroffen werden.
Herr Kollege Stiegler, ich mache vorsichtshalber darauf aufmerksam, dass ich den Einzug mit Öllampen in
das Parlament aus Sicherheitsgründen nicht gestatten
könnte.
({0})
Dann werden wir sie modernisieren und Elektrolampen daraus machen.
Das Positive ist, dass es in Deutschland keine Kreditklemme gibt. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben genügend Geld, um die Kreditbedürfnisse
zu befriedigen. Wir haben keine amerikanischen oder
englischen Verhältnisse. Wir haben derzeit mehr Geld,
als gebraucht wird. Unser Bankensystem hat sich in Krisenzeiten bewährt. Was mussten wir in den letzten Jahren über die Überlegenheit des angelsächsischen Systems lesen! Ganze Bibliotheken sind mit Büchern
darüber gefüllt worden. Jetzt wissen wir: Das At-Arm’sLength-Banking hat dazu geführt, dass alle in die Grube
gefallen sind. Ein gutes Banking in Zusammenarbeit mit
Einlegern, Kunden und Unternehmen, das ist es, was wir
auch in Zukunft in Deutschland brauchen.
({0})
Herr Röttgen, wir haben keinen Grund, die öffentlichen Banken schlechtzureden. Wir haben Gott sei Dank
die Sparkassen; die Sparkassen sind in Zeiten des Sturms
ein Stabilitätsfaktor in den Regionen. Man darf die
Transformationsprobleme einiger Landesbanken nicht
hernehmen, um die öffentlichen Banken insgesamt ins
Gerede zu bringen. Der öffentliche Sektor ist unsere
Rückversicherung, gerade im Zeitalter der Globalisierung.
({1})
Ich stimme Ihnen zu: Diese Banken sollten nicht mit den
großen Hunden pinkeln gehen, weil sie am Ende das
Bein nicht hochbringen. Das haben wir jetzt mehrfach
feststellen können. Entweder sind die Landesbanken
Partner der Sparkassen
({2})
und helfen ihnen daheim bzw. auf internationaler Ebene
bei der Syndizierung von Krediten, oder sie nehmen
diese Aufgabe nicht wahr. Dann sollten sie die Gelder
zurückgeben, und die Sparkassen erledigen das selber.
({3})
Der öffentliche Finanzsektor darf aber nicht nebenbei ins
Gerede gebracht werden. Das Dreisäulensystem ist für
uns eine wichtige Rückversicherung.
Wir müssen das Hauptproblem angehen. Was ist denn
die Hauptursache? Was steckt hinter all dem, was passiert ist? Das ist die Gier nach übermäßiger Rendite. Wer
mehr Rendite haben will, als man realistischerweise erwarten kann, kauft diese schlimmen Produkte. Wir brauchen wieder mehr Moral und Selbstbeherrschung in der
Finanzindustrie.
({4})
Anders als diejenigen, die die Gier zu solchem Verhalten
gebracht hat, sollten wir auf dem Boden bleiben und
nicht das ganze System infrage stellen.
Wir haben - in den USA wie bei uns - Lehren zu ziehen. Ich orientiere mich dabei an dem, was das Financial Stability Forum aufgezeigt hat. Verheerende Kreditprüfungsstandards gibt es bei uns nicht. Wir vergeben
keine Kredite an Kreditnehmer, bei denen nur die
Adresse stimmen muss; wir haben ordentliche Kreditbeziehungen. Ich war froh, dass die Sparkassen gestern
auch gesagt haben, dass sie ordentliche Kredite nicht
weiterverkaufen und dafür auch nicht mehr Geld verlangen.
({5})
In den USA gab es betrügerische Praktiken. Wenn ein
Institut wie das Financial Stability Forum Begriffe wie
„betrügerische Praktiken“ benutzt, dann muss das schon
gewaltig gewesen sein. Ich denke, man wird mit den
Amerikanern reden müssen, wieso es unter Aufsicht der
Fed und Tausender von Agenturen zu diesen betrügerischen Praktiken - Drückerkolonnen wurden in irgendwelche Gegenden geschickt und haben Kredite
verkauft - kommen konnte und wie das in Zukunft verhindert werden kann, aber auch darüber, wer für den
Schaden geradesteht. Ich denke, man sollte nicht einfach
sagen, dass wir das hinnehmen. Diejenigen, die Mist in
Goldpapier verpackt und ihn als werthaltig verkauft haben, müssen zur Verantwortung gezogen werden.
({6})
Daran war auch die Deutsche Bank beteiligt. Es ist erstaunlich, dass die Deutsche Bank in ihrer Pressekonferenz gesagt hat: Wir waren so schlau und sind frühzeitig
ausgestiegen. - Gleichzeitig haben sie den Mist noch gehandelt. Kann man als ordentlicher Kaufmann einem
Partner Mist verkaufen? Sie sollten einmal das Protokoll
der Pressekonferenz der Deutschen Bank nachlesen und
überlegen, ob das so in Ordnung ist.
({7})
- Einverstanden, es gibt den Grundsatz „caveat emptor“,
der Käufer soll aufpassen. Aber Betrug ist selbst unter
diesen Bedingungen nicht erlaubt. Wenn ich weiß, dass
ich mit Mist handele, dann muss ich es auch als Mist deklarieren und nicht als Gold.
({8})
Bei den Banken gibt es ein schwaches Risikomanagement. Da sollten sie in sich gehen. Wir haben gutgläubige Investoren, die nicht selber geprüft haben, was sie
gekauft haben, sondern sich auf Triple A verlassen haben. Wir müssen mit den Ratingagenturen hadern, die
falsche Illusionen geweckt haben. Sie sollen in Zukunft
für das, was sie empfehlen, haften. Hier ist Moral Hazard im Spiel. Die Ratingagenturen dürfen nicht etwas
als Triple A deklarieren, was sie selber gestrickt haben
und wofür sie bezahlt worden sind; das muss in Zukunft
getrennt werden.
({9})
Hinzu kommen die Verlockungen im Bezahlungssystem der Beteiligten. Diese Boni-Sklaverei vieler Banker
ist eine der Ursachen dafür, dass sie moralisch schwach
geworden sind. Wir haben gerade im Zusammenhang
mit Managergehältern darüber gesprochen. Wir müssen
auch darüber reden, dass die Bezahlung in der Finanzindustrie nicht dazu verleiten darf, andere zu betrügen und
nur auf kurzfristigen Vorteil zu achten.
({10})
Wir müssen Modelle entwickeln, die man durchschauen kann. Wer heute die verschiedenen CDOs anschaut, der braucht große Rechnerwerke, um die Finanzflusskaskaden überhaupt zu überblicken. Wir müssen
dafür sorgen - national, international und europäisch -,
dass in der Branche wieder nach Regeln gespielt wird.
Erst dann wird das Vertrauen zurückkehren. Kredit
kommt von Vertrauen. Wenn das Vertrauen fort ist, dann
bricht alles zusammen. Zum Vertrauen gehören klare
Regeln, eine strenge Aufsicht, aber auch die Beherrschung der Gier.
An Warnungen hat es in den letzten Jahren nicht gefehlt. Aber sie sind international nicht befolgt worden.
Es ist lächerlich, allein auf ein paar deutsche Institute,
auf ein privates Institut, die IKB, einzuprügeln. Wenn
ich in die Schweiz, nach Frankreich oder nach England
schaue, dann stelle ich fest: Unter vielen anderen SünLudwig Stiegler
dern befindet sich auch ein deutscher. Dieses Problem
müssen wir bewältigen. Ein Stück weit haben wir das
bereits getan, indem wir gesagt haben: Wir wollen nicht
Tausende von anderen schädigen. Der Finanzminister
hat diese Angelegenheit ordentlich gemanagt. Wir dürfen die Finanzmärkte in Zukunft nicht der Gier überlassen, sondern wir müssen hier eine ordentliche Arbeit
machen.
Gerade was die IKB betrifft, stelle ich mir so manche
Frage. Die Ackermänner und die Müller von den privaten Banken rühmen sich in Pressekonferenzen ihrer großen Gewinne. Wenn es aber um die Rettung einer privaten Bank geht, dann sagen sie, wie die Schwaben es
ausdrücken: Wir habbet nix, wir gebbet nix, wir hän
schon gegebbe.
({11})
Auch das ist kein Verhalten, das sich hier zur Nachahmung empfiehlt.
Wir haben eine schwere Krise. Mit Jammerei und Beschuldigungen kommen wir da nicht heraus. Wenn die
Feuerwehrleute darüber diskutieren, wer am Brand
schuld ist, dann ist ein warmer Abbruch die Folge. Wir
haben jetzt miteinander diese Krise zu bewältigen und
Schaden von der Realwirtschaft abzuwenden.
({12})
Wir haben uns darauf vorzubereiten, dass die Krise nicht
anhält. Das ist unsere Aufgabe, die wir gemeinsam erfüllen werden.
({13})
- Sie können weiterhin am Wegesrand quengeln. Das ist
Ihre Rolle; das ist okay. Dafür braucht man nicht viel
Hirnschmalz. Wir werden uns anstrengen, das Notwendige zu tun.
({14})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun
der Kollege Fritz Kuhn das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Stiegler, ich fand übrigens nicht, dass
Herr Gysi unverantwortlich dahergeredet hat.
({0})
Er hat eine analytisch präzise Aussage gemacht: Wenn
die kleinen Leute Mist bauen, dann werden sie zur Rechenschaft gezogen; wenn eine große private Bank pleitegeht, dann hilft der Staat aus. - Das war kein Populismus, sondern eine Analyse.
({1})
Sie haben mit irgendwelchen feuilletonistischen Aussagen herumgeeiert, ohne wirklich konkret zu werden.
({2})
Herr Finanzminister, als Sie Ihre Regierungserklärung
abgegeben haben, hatte ich das Gefühl: Da redet jemand,
der für irgendeine große Tageszeitung die internationalen Finanzmärkte analysiert; er stellt hier und da eine
kleine These auf, und der Text, den er vorträgt, wirkt
rund. Ich habe nicht den Eindruck gehabt: Hier redet
jemand, der als Finanzminister der Bundesrepublik
Deutschland, auch als Chef der Finanzaufsicht die Verantwortung für das hat, was am Finanzmarkt in Deutschland geschehen ist.
({3})
Herr Steinbrück, außerdem hatte ich den Eindruck: Je
länger Sie reden, je schneller Sie reden, je witziger Sie in
Ihrer Ironie reden, desto mehr entziehen Sie sich dieser
Verantwortung. Sie glauben wohl, Sie könnten dieses
Parlament mit Ihrer Analyse in den entscheidenden Fragen täuschen: Was haben Sie eigentlich falsch gemacht?
Hätten Sie etwas anders machen müssen? An welchen
Punkten hat dieser Finanzminister versagt?
({4})
Die erste Warnung vor den Subprime-Krediten und
vor der amerikanischen Immobilienkrise hat der IWF im
Dezember 2005 schriftlich - also für alle lesbar - ausgesprochen; ich erspare Ihnen jetzt das entsprechende Zitat. Im Dezember 2005 wurde klargemacht: Es sind in
den Vereinigten Staaten viele ungesicherte Kredite unterwegs; die internationale Finanzgemeinschaft möge
damit vorsichtig umgehen.
Jetzt stelle ich mir die Frage: Was macht eigentlich
ein Finanzminister, der dies liest? Im Aufsichtsrat der
IKB sitzt ein Abteilungsleiter seines Ministeriums. Der
Finanzminister weiß zudem, dass Landesbanken - sein
Ministerium ist für sie nicht zuständig; dennoch ist er
von den Steuereinnahmen der Länder abhängig - in diesen Bereichen spekulieren. Das war kein Geheimnis; das
steht ja auch in den Geschäftsberichten. Herr Solms hat
es richtig gelesen. Ich frage noch einmal: Was macht eigentlich dieser Finanzminister? Herr Steinbrück, haben
Sie Ihre Mitarbeiter, die dem Kontrollorgan der IKB angehören, aufgefordert, festzustellen, inwiefern Subprime-Kredite Spekulationsgegenstand der IKB sind?
Haben Sie dies als Mitverantwortlicher für dieses Geldinstitut getan, ja oder nein? Sehr verehrter Herr
Steinbrück, darüber hätten Sie hier einmal reden müssen.
({5})
Der Chef von Eon, Herr Dr. Hartmann, ist der Vorsitzende des Aufsichtsrats der IKB. Hat er genug Zeit, um
diese private Bank effektiv kontrollieren zu können,
oder nicht? Da frage ich mich: Wann reden wir hier einmal über die Aufsichtsratsstrukturen?
({6})
Wir fordern seit langem: Es sollten nicht mehr als fünf
Aufsichtsratsmandate pro Person erlaubt sein. Außerdem sollten Aufsichtsratsmitglieder die notwendige Zeit
und Kompetenz haben, um sich mit den Details zu beschäftigen. Herr Steinbrück, hierfür sind Sie verantwortlich.
({7})
- Selbstverständlich haben Sie hier eine Verantwortung.
Ich wünsche mir einen Finanzminister, der darauf achtet,
dass in Deutschland keine unerträglichen Risiken vorhanden sind, für deren Beseitigung im Zweifel der Staat
einspringen muss.
Reden wir doch einmal konkret über die IKB. Bisher
sind dort 7,6 Milliarden Euro verbraten worden. Obwohl
der Anteil des Bundes an der IKB nur 38 Prozent beträgt, hat er davon indirekt über die KfW schon
6 Milliarden Euro übernommen. Dabei ist die IKB eine
private Bank; viele wissen das nicht. Ich frage mich:
Was ist mit den privaten Banken? Wo ist ihr Beitrag?
({8})
Das Erste, was ich von Ihnen verlange, Herr Minister,
ist, dass Sie durchsetzen, dass die privaten Banken einen
höheren Anteil erbringen, wenn die IKB gerettet werden
soll. An dieser Stelle möchte ich festhalten: Es ist richtig, dass die IKB gerettet wird. Würde man das nicht tun,
würden viele, die gar nichts dafür können, darunter leiden.
Zweitens. Da sich der Bund über die KfW mit jetzt
noch einmal 1 Milliarde Euro - vielleicht wird dieser
Betrag sogar noch höher - an der Beseitigung des entstandenen Schadens beteiligt, würde mich interessieren:
Können Sie diesem Hohen Hause eigentlich garantieren,
dass es das dann war? Oder ist in der nächsten Woche
oder in drei Wochen die nächste Milliarde fällig? Sie
müssen ausschließen, dass sich das wiederholt. Sonst
stellt sich die Frage: Wie viel Geld stecken wir in dieses
Kartenhaus noch hinein? Das wäre nicht zu verantworten.
({9})
Herr Finanzminister, Ihre Darstellung, was auf internationaler Ebene, zum Beispiel im Rahmen der G 7, zu
tun ist, war schön. Sie haben viele Vorschläge aufgeführt, die wir schon einmal gemacht haben. Indem Sie
diese Debatte führen, lenken Sie aber davon ab, dass die
Bundesregierung und ganz speziell Sie als Finanzminister Verantwortung für das tragen, was in diesem Sektor
geschieht.
({10})
Jetzt möchte ich noch etwas zur Verantwortung der
Länder und zu den Landesbanken sagen. Bei mir hat es
geraschelt, als der Ramsauer Peter am Dienstag dieser
Woche gesagt hat: Wenn es nach ihm ginge, dann gäbe
es schon lange einen Untersuchungsausschuss.
({11})
Ich habe mir gleich gedacht: Wenn der Ramsauer Peter
so daherredet, dann will er nur von der Bayerischen Landesbank ablenken.
({12})
- Jetzt schreien Sie. Es ist immer ein gutes Zeichen,
wenn Herr Ramsauer schreit; denn dann ist er getroffen.
({13})
Was ist da geschehen? Die „schlaue“ CSU wollte die
Veröffentlichung des Ergebnisses der Bayerischen Landesbank am liebsten auf die Zeit nach der Kommunalwahl hinauszögern.
({14})
Das hat aber - Gott sei Dank! - nicht funktioniert, weil
die Finanzmärkte in solchen Situationen etwas kritischer
sind.
({15})
Zu Ihrem Parteivorsitzenden kann man nur sagen:
Entweder ist er verlogen, oder er ist einfach dumm.
({16})
Denn als Finanzminister von Bayern ist er unter anderem
für die Aufsicht der Bayerischen Landesbank zuständig.
Er muss wirklich von Tuten und Blasen keine Ahnung
gehabt haben; er wusste nicht, was bei diesem Geldinstitut los war.
({17})
- Herr Ramsauer, Sie können es sich aussuchen: dumm
oder verlogen. Es liegt an Ihnen, die bessere Alternative
zu wählen.
Ich komme zum Schluss. Wir haben viele kluge Vorschläge dazu gehört, wie man auf internationaler Ebene
vorgehen sollte. Die Bundesregierung hat sich ihrer VerFritz Kuhn
antwortung aber nicht gestellt. Das werden wir, die Opposition - ich glaube, hier sind sich alle drei Oppositionsfraktionen einig -, Ihnen nicht durchgehen lassen.
Sie sind für das, was geschehen ist, mitverantwortlich.
Dieser Verantwortung müssen Sie sich stellen. Bereiten
Sie sich auf intensive Debatten in den nächsten Wochen
vor!
({18})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Eduard Oswald für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute im deutschen Parlament die Finanzmarktentwicklung und die Finanzmarktkrise. Wir würden allerdings einen großen Fehler machen, wenn wir
diese Diskussion so führen würden, als handele es sich
dabei vor allem um ein deutsches Problem. Schließlich
hat diese Krise ihren Ausgang an den US-Immobilienmärkten genommen. Es wäre wünschenswert gewesen,
wenn die amerikanische Finanzaufsicht der wundersamen Geldvermehrung, die uns auf dem Wege der Verbriefung und des weltweiten Verkaufs strukturierter Finanzprodukte erreicht hat, nicht so lange zugeschaut
hätte.
Ich sage ein Zweites: Risikofreude bei Unternehmen
und Investoren darf, ja soll sich lohnen. Wenn aber risikofreudige Investoren stets damit rechnen können, dass
sie bei Turbulenzen von der Politik aus der Risikohaftung ausgelöst werden, dann ist dies eine Quelle von Instabilität.
({0})
Die bisherige Diskussion zeigt: Für die Zukunft müssen die nationalen und internationalen Regeln neu justiert werden. Wir sollten uns bei dieser Debatte darüber
im Klaren sein, dass man Turbulenzen nie gänzlich wird
verhindern können. Dies wäre nur um den Preis einer
Strangulierung der Finanzmärkte möglich. Diese könnten dann aber nicht mehr ihrer zentralen Aufgabe nachkommen, nämlich der Bereitstellung von Investitionskapital für die Weltwirtschaft. Es gilt daher, die nationalen
und internationalen Aufsichtsregeln mit den von den
Marktteilnehmern eingegangenen Risiken in eine bessere Balance zu bringen.
Es ist richtig, wenn wir angesichts der gegenwärtigen
Situation einen kühlen Kopf behalten und genau überlegen, anstatt uns zu Maßnahmen hinreißen zu lassen. Wir
brauchen eine Diskussion über die Fragen: Wie viel
Freiheit der Märkte wollen und brauchen wir, und welche systemischen Risiken sind mit dieser Freiheit verbunden? Ab wann produziert die Jagd der Finanzmarktteilnehmer nach Spitzenrenditen Auswüchse, die der
Realwirtschaft mehr schaden als nützen? Ich stelle fest:
Zur Deregulierung der Finanzmärkte gibt es keine Alternative. Sie hat der Wirtschaft und den Bürgern neue Anlage- und Finanzierungsmöglichkeiten eröffnet, und sie
hat zur Risikostreuung beigetragen. Zugleich hat sie das
Sortiment an Finanzprodukten so komplex gemacht,
dass Bankmanager und Aufsichtsbehörden gleichermaßen den Überblick verloren haben. Genau hier gilt es anzusetzen.
Wir haben erfahren: Es gibt Finanzprodukte, bei denen niemand weiß, was sich eigentlich darin befindet.
Wir haben erfahren: Es gibt anscheinend Bankvorstände,
die mit solchen Produkten in großem Umfang arbeiten
und sich nur auf die Bewertung der Ratingagenturen
verlassen. Das kann doch nicht wahr sein, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen.
({1})
So entstehen die Probleme, die wir haben.
Aus all dem, was wir bisher erfahren haben - möglicherweise werden wir in den kommenden Wochen und
Monaten noch mehr erfahren -, ziehe ich folgende
Schlüsse:
Erstens. Das, was wir gerade erleben - die Auswüchse, die ich eben skizziert habe -, darf sich so nicht
wiederholen.
Zweitens. Alle Finanzmarktteilnehmer, Banken und
Aufsicht haben den Ratings eine viel zu entscheidende
Rolle zugeteilt. Anstatt Risiken selber vernünftig einzuschätzen, haben sich die Marktteilnehmer fast blind auf
die Ratings verlassen, oft sogar ohne die gerateten Produkte selbst zu verstehen.
Ein Sachverständiger hat in unserer Anhörung zur
Rolle der Ratingagenturen in dieser Woche festgestellt:
Ratingagenturen haben in großem Stil bei der Vorhersage der Finanzkrise versagt. Es ist ihnen nur beschränkt
gelungen, Investoren frühzeitig vor Fehlentwicklungen
zu warnen. Sie sind damit in der aktuellen Krise den ihnen zugedachten Aufgaben nicht ausreichend gerecht
geworden. - Damit ist alles gesagt.
Gleichwohl sind die Ratingagenturen in der aktuellen
Finanzkrise nicht die Schuldigen. Sie haben sie nicht
ausgelöst; sie haben sie aber befördert. Nach dem, was
wir wissen, bleibt für mich festzustellen: Ratingagenturen und Ratings wurden von Banken und Investoren
überschätzt. Zu Beginn der 90er-Jahre gab es die Forderung, die Europäer sollten ein eigenes, europäisch geprägtes Ratingsystem entwickeln. Leider scheiterte der
Versuch damals an zu unterschiedlichen Interessen. Wir
sollten die derzeitige Umbruchphase nutzen, um einen
neuen Anlauf zu unternehmen. Möglicherweise könnten
Banken, Versicherer und/oder die EZB unterstützend
wirken.
Drittens. Wir müssen uns überlegen, ob wir genug getan haben, um zu verhindern, dass Kreditinstitute in großem Stil Geschäfte außerhalb ihrer Bilanzen, ohne die
erforderliche Transparenz und Aufsicht, durchführen
können. Ich halte nichts davon, in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit eines Basel III zu sprechen.
Man muss erst einmal Basel II ordentlich anwenden.
Aber wir müssen darüber nachdenken, ob die Sicherungsmechanismen, die wir mit Basel II in nationales
Recht umgesetzt haben und die seit Beginn dieses Jahres
gelten, ausreichen. In anderen Bereichen, zum Beispiel
im Bilanzrecht, sind weitere gesetzliche Konsequenzen
bereits in Vorbereitung; der Finanzminister hat darauf
hingewiesen.
Viertens. Das Wort „Transparenz“ wird in den Diskussionen natürlich stark strapaziert. Wir müssen aber
genauer definieren, was wir darunter eigentlich verstehen. Es reicht nicht, allein das Wort zu sagen. Für mich
gilt es, Transparenz stärker zu adressieren.
({2})
Fünftens. Die internationale Zusammenarbeit der
Aufsichtsbehörden muss weiter verbessert werden; das
ist für mich ganz klar. Ich stelle eindeutig fest: Die Bankenaufsicht in Deutschland hat nicht versagt. Sie ist
nicht dazu da, die Geschäftspolitiken der Marktteilnehmer zu bewerten. Ich sage auch: Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland keine Systemkrise, sondern wir
haben ein stabiles Drei-Säulen-Modell. Auch Ludwig
Stiegler hat gerade darauf hingewiesen. Ich sehe in diesem Bereich also kein Versagen. Dass die internationale
Zusammenarbeit im Bereich der Aufsicht verbessert
werden muss, ist in den ganzen Diskussionen aber unmissverständlich klar geworden.
Für mich heißt das keinesfalls, dass ich eine einheitliche europäische Aufsichtsbehörde befürworte. Ganz im
Gegenteil: Entsprechende Ideen auf europäischer Ebene,
etwa die Lamfalussy-Gremien zu stärken, weisen uns
nicht den richtigen Weg.
({3})
Meine Damen und Herren, wir reden in diesen Wochen viel über Subprime, über Bankenkrise und über Finanzmärkte. Weitaus direkter betrifft die Krise jedoch
die Menschen in den eigenen vier Wänden, die ihre Raten nicht bezahlen können und denen eine Zwangsversteigerung ihrer Häuser droht. Dies erleben wir in den
USA zurzeit in großem Ausmaß. Gott sei Dank können
wir sagen: nicht in Deutschland. Dies ist kein Zufall.
Hier gibt es keine Immobilienpreisblase. Hier gibt es
Banken, Sparkassen und Bausparkassen, die in Übereinstimmung mit ihren Kunden seit jeher auf die Karte
Sicherheit setzten. Festzinskultur, ausreichender Eigenkapitaleinsatz, solider Blick auf die Einkommensverhältnisse und Bausparverträge, so lauten die Stichworte für
diese Sicherheit. Das ist beruhigend.
({4})
Aber nicht nur das. Es sollte uns auch Selbstbewusstsein für die Debatten geben, die wir in Europa führen,
nicht zuletzt für die Debatte über die Bewältigung der
aktuellen Finanzkrise. Diese Sicherheit wollen wir uns
bewahren. Das sage ich auch mit Blick auf das Weißbuch der Europäischen Kommission zum Hypothekarkredit.
Ein Unternehmer in meiner bayerischen Heimat, der
im Bankgeschäft tätig ist, hat in diesen Tagen gesagt:
Aber das Bankgeschäft bleibt immer auch eine
Dienstleistung. Es geht nie allein um den eigenen
Vorteil, sondern um einen Dienst und eine Leistung
für einen anderen, und daraus entsteht der kostbare
Wert des Vertrauens.
Wir müssen uns hier gemeinsam wünschen, dass die
Banken das verlorene Vertrauen wiederherstellen; denn
Vertrauen ist nicht nur die Grundlage für die Finanzgeschäfte, sondern auch für unser Wirtschaftssystem insgesamt. Wenn das Vertrauen in die Finanzmärkte in unserem Land nicht vorhanden ist, dann gibt es auch kein
Vertrauen in unser Wirtschaftssystem der sozialen
Marktwirtschaft, das wir aber benötigen, weil es dazu
keine brauchbare und vernünftige Alternative gibt.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Frank Schäffler für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Spätestens seit dieser Woche müsste eigentlich
allen klar sein: Die IKB ist eine Staatsbank, für deren
Wirken die Bundesregierung unmittelbar Verantwortung trägt.
({0})
Dabei hat diese Bundesregierung unendlich versagt,
nicht nur im Risikomanagement, sondern auch im Krisenmanagement; wir erleben es tagtäglich.
Ingrid Matthäus-Maier hat am 14. Juli 2007 erklärt,
die IKB sei für die KfW im Mittelstandsgeschäft ein
wichtiges Ohr am Markt.
({1})
Wenige Tage später hat der Markt sie eingeholt. Die
Bundesregierung hat die notwendige Sorgfalt bei der
Kontrolle der IKB vermissen lassen.
({2})
Herr Solms hat auf die Rolle des Abteilungsleiters im
Finanzministerium hingewiesen. Es hat schon ein Geschmäckle, wenn der zuständige Abteilungsleiter für die
Finanzmarktaufsicht gleichzeitig im Aufsichtsrat einer
privaten Bank sitzt und stellvertretender Verwaltungsratvorsitzender der BaFin ist. Wenn das kein Geschmäckle
hat, dann frage ich mich, was heutzutage noch ein Geschmäckle hat. Das stinkt zum Himmel.
({3})
Ein KfW-Vorstand ist Vorsitzender des Finanz- und Prüfungsausschusses des IKB-Aufsichtsrates und soll jetzt
für seine gute Leistung auch noch Aufsichtsratsvorsitzender werden. Sie als Regierung halten den Corporate
Governance Kodex ständig hoch, halten sich in Ihren
eigenen Unternehmen aber nicht daran. Bemerkenswert
ist die Begründung, wieso im Falle der IKB zum Beispiel keine Selbstbeteiligung an der Haftpflichtversicherung für den Vorstand und den Aufsichtsrat für notwendig erachtet wurde, wie es im Kodex ausdrücklich
vorgesehen ist. Ich zitiere aus dem Geschäftsbericht
2005:
Wir sind unverändert der Auffassung, dass die Vereinbarung eines Selbstbehalts nicht geeignet ist, die
Motivation und das Verantwortungsbewusstsein zu
verbessern.
Dann heißt es von der Regierung, Sie seien vom Vorstand getäuscht und über die Risiken nicht informiert
worden. Auch dazu ist ein nochmaliger Blick in den Geschäftsbericht 2006/2007 sinnvoll:
({4})
In dem Posten „Andere Verpflichtungen“ sind Kreditzusagen über insgesamt 11,9 Milliarden Euro
Gegenwert an Spezialgesellschaften enthalten, die
nur im Falle kurzfristiger Liquiditätsengpässe bzw.
vertraglich definierter Kreditausfallereignisse von
diesen in Anspruch genommen werden können.
Genau das ist passiert.
({5})
Es war eine bewusste Entscheidung der IKB, in den USImmobilienmarkt zu investieren, und über die Verantwortung hierfür, darüber, wer diese Entscheidung getroffen hat, haben Sie, Herr Finanzminister, hier in diesem
Haus heute nichts gesagt.
({6})
Zu Hause haben Sie die Mittelstandsbank IKB als Mittelstandsfinanzierer verkauft; tatsächlich war es ein
schlecht geführter Hedgefonds, der internationale Spekulationsgeschäfte gemacht hat. Das ist der eigentliche
Skandal.
({7})
Wenn wir heute zum Krisenmanagement kommen,
dann müssen Sie sich auch für das verantworten, was Sie
im letzten Dreivierteljahr hier in Deutschland gemacht
haben. Es war der Kardinalfehler am Anfang, dass Sie
über die außerbilanzielle Zweckgesellschaft Rhineland
Funding von Beginn an eine Liquiditätszusage gemacht haben, ohne andere Beteiligte mit ins Boot zu
nehmen. Es war ein Kardinalfehler, dass Sie bis heute
80 Prozent der Lasten bei der IKB übernehmen, obwohl
wir nur 38 Prozent der Anteile halten. Darin liegt Ihre eigentliche Verantwortung.
({8})
Die privaten Banken und die anderen Marktteilnehmer
sagen inzwischen, der Staat werde das schon richten.
Diese Ihre Verantwortung müssen Sie tatsächlich tragen,
und diese Konstellation ist auch die Voraussetzung dafür, dass Sie bei jeder neuen Runde dabei sind und die
anderen sich zurückziehen.
Außerdem haben Sie die Dimension völlig unterschätzt. Die geschassten Vorstände haben bis Ende des
Jahres noch ihr Gehalt erhalten, eine fristlose Kündigung
ist nicht erfolgt, und die Gratifikationen in sechs- und
siebenstelliger Höhe aus dem Vorjahr sind in diesem
Jahr noch ausgezahlt worden. Erst jetzt ist der Aussichtsrat eingeschritten. Da frage ich mich: Ist das ein Indiz
dafür, dass der Aufsichtsrat, also auch das Finanzministerium, über das Engagement und über die Risiken, die
die IKB eingegangen ist, tatsächlich unterrichtet war?
Außerdem haben Sie nichts aus der Finanzkrise gelernt. Wir haben seit Anfang dieses Jahres die IPEXBank ausgegliedert, unter dem Dach der KfW, und man
könnte meinen, bei der Besetzung der Aufsichtsräte achtete man jetzt ein bisschen mehr auf Qualität. Nichts ist
geschehen: Sie haben Ihren Staatssekretär in den Aufsichtsrat geschickt,
({9})
der Wirtschaftsminister hat seinen Staatssekretär in den
Aufsichtsrat geschickt. Man muss da nur hoffen, dass
künftig nichts passiert, sondern tatsächlich nur Risiken
eingegangen werden, die im Zweifel den Steuerzahler
nicht weiter belasten.
Aus meiner Sicht hätten Sie die IPEX-Bank an dieser
Stelle verkaufen sollen. Es wäre sicherlich falsch gewesen, Steuergelder aus dem Verkauf der IPEX-Bank für
die Rettung der IKB einzusetzen, aber ich glaube, Sie
hätten ordnungspolitisch damit eine richtige Entscheidung getroffen, denn Sie hätten die Flanke auf dieser
Seite beseitigt.
Der Skandal setzt sich letzte Woche fort. Der Wirtschaftsminister und der Finanzminister stellten sich am
Mittwoch vor die Kamera und verkündeten eine weitere
Stützung des Bundes in Höhe von 1 Milliarde Euro. Gestern wurde in der Öffentlichkeit bekannt, dass Sie die
Öffentlichkeit nicht richtig informiert haben. Tatsächlich
werden weitere 700 Millionen Euro fließen, die Sie von
einem künftigen Verkaufserlös abziehen wollen. Sie haben damit einen ungedeckten Scheck auf die Zukunft
ausgestellt und das Parlament - das haben Sie heute
Morgen auch gemacht - wissentlich falsch informiert.
Unser Fazit: Sie haben schon heute dem Bund ein
Verlustrisiko von weit mehr als 6 Milliarden Euro hinterlassen. Das entspricht der Lohn- und Einkommensteuer von 4 Millionen Familien mit einem Durchschnittseinkommen von 30 000 Euro brutto oder - wir
diskutieren viel über Kindergelderhöhung - 30 Euro
mehr Kindergeld in diesem Land.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Dass Frau
Matthäus-Maier - wie ich gestern in der Presse lesen
musste - dann im Krisengespräch eine Verlängerung
ihres Vertrages als KfW-Chefin angesprochen hat,
schlägt das dem Fass den Boden aus. Herr Minister, räumen Sie endlich in Ihrem Laden auf!
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Ortwin Runde, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Solms, Sie haben vorhin Ihre Rolle definiert und gesagt, dass Sie sich als Opposition nicht mit
der Finanzmarktkrise in den Vereinigten Staaten befassen müssten; Ihnen geht es vielmehr darum, der Regierung eins zu verpulen. Angesichts der Dimension und
der Auswirkungen dieser Krise müssen Sie sich aber fragen lassen: Verstehen Sie Ihre Rolle da richtig? Wäre es
angesichts dieser Finanzmarktkrise nicht angebracht,
einmal selbstkritisch die Position der FDP in der Vergangenheit zum Thema Finanzmärkte zu reflektieren?
({0})
Welche Stellung haben Sie zum Thema Hedgefonds
bezogen? Welche Stellung haben Sie zum Thema REITs
bezogen, bei dem es darum geht, Wohnungen an die
Börse zu bringen und dort zum Handelsobjekt zu machen? Stellen wir uns vor, welche Auswirkungen es in
solchen Finanzmarktkrisen für die Bevölkerung gehabt
hätte, wenn das Realität geworden wäre.
({1})
Weitere Beispiele sind die Private-Equity-Beteiligungsgesellschaften und das Risikobegrenzungsgesetz. Welche Positionen haben Sie dazu vertreten? Wo haben Sie
gewirkt? Haben Sie zur Verminderung der Risiken an
den Finanzmärkten beigetragen, oder ist das inhärent in
dem, was Sie vertreten?
({2})
- Damit sind wir exakt beim Thema.
({3})
Herr Gysi, Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Subprime-Krise der Ausgangspunkt
war. Die Amerikaner haben fröhlich ihren Mist - wie
Ludwig Stiegler es ebenfalls zu Recht nannte - in die
Märkte geschickt. Aber Ihre weitere Analyse verrät nicht
sonderlich viel wirtschaftlichen Sachverstand. Sie haben
gesagt, die öffentlich-rechtlichen Banken in Deutschland
hätten sich wegen ihrer Amerikahörigkeit in dem Geschäft besonders engagiert.
({4}): Die europäi-
schen, nicht nur die deutschen!)
Diese Analyse erscheint mir zu stark verkürzt. Sie erklärt auch nicht, warum nicht etwa die öffentlich-rechtlichen Banken in Deutschland und die IKB am stärksten
von der Subprime-Krise betroffen sind, sondern die
amerikanischen Großbanken und damit diejenigen, die
am besten Bescheid wissen, wie Kapitalmärkte funktionieren. Insofern trifft das so nicht zu.
Erstaunlich ist auch, dass zum Beispiel die UBS,
Merrill Lynch und Morgan Stanley mit Summen im
zweistelligen Milliardenbereich betroffen sind. Insofern
muss man vorsichtig sein, Herr Solms, die IKB-Krise als
singulären Akt völlig unabhängig von kritischen Bewegungen an den Finanzmärkten zu betrachten.
Ich meine, die Krise bei der IKB ist nicht von irgendwelchen Laienspielgruppen bei mittelgroßen deutschen
Banken im öffentlichen oder privaten Bereich verursacht
worden. Dies ist vielmehr eine Krise, die in dieser Tiefe
nur Profis haben anrichten können.
({5})
Ich finde es bezeichnend, dass ein Vorstand einer großen
deutschen Privatbank sagt: Ich habe auf das Triple A der
Ratingagenturen vertraut. Warum soll ich mir weitere
Gedanken machen? Dazu kann ich nur sagen: Hier ist
natürlich etwas verloren gegangen. Nur die Banken sind
nicht betroffen, deren Bankvorstände - diese sind für das
operative Geschäft und die Ausrichtung der Geschäftsfelder von entscheidender Bedeutung - gesagt haben:
Ich handele nur mit Sachen, deren Risiken ich selbst
überschauen kann. Ich habe Bankvorstände erlebt, die
gesagt haben: Obwohl uns alle unsere Investmentbanker
geraten haben, uns auf Derivate und Subprime-Pakete
einzulassen, haben wir das nicht getan. Diese Vorstände
fühlen sich heute bestätigt.
Warum es zu einer Vertrauenskrise im gesamten
Bankensektor gekommen ist, haben wir in der Anhörung
erfahren: Die Geschäfte sind inzwischen so komplex,
dass sie keiner mehr überblickt. Die Ratingagenturen haben bei Eintritt der Krise gesagt: Auch Bankvorstände
müssen genauso wie ein Patient, der ein Rezept einlöst,
auf die Nebenwirkungen und das Kleingedruckte achten.
Ein gutes Rating wie Triple A bedeutet noch lange nicht,
dass es wirtschaftlich gut geht. Diese Zusammenhänge
müssen wir sehen.
Herr Schäffler, Sie haben gefragt, welches die Aufgabe eines Finanzministers in dieser Zeit ist. Herr
Röttgen hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir
es mit den Auswirkungen globaler Finanzmärkte zu tun
haben. Wenn sich der deutsche Finanzminister als Vertreter einer der größten Volkswirtschaften nicht um Regelwerke der internationalen Finanzmärkte kümmerte,
hätte er seine Aufgabe verfehlt. Er hat aber auf dem Gipfel in Heiligendamm - das haben Sie bereits erwähnt Anstöße gegeben und gesagt: Wenn ihr mit ganz geringem Eigenkapital so große Räder dreht, gefährdet dies
das System der internationalen Finanzmärkte. Das ist der
richtige Ansatz.
({6})
Wenn man sich anschaut, welche Räder sowohl bei
den Hedgefonds als auch bei den Private-Equity-Fonds
und in den Zweckgesellschaften gedreht werden, dann
muss man feststellen: Darum müssen wir uns kümmern.
Es verwundert mich allerdings, dass parallel zu Basel II
- hier haben wir uns infolge der letzten Finanzmarktkrise um eine bessere Eigenkapitalunterlegung von
Bankgeschäften gekümmert - der regulierte Bankensektor fröhlich Auswege in Form von Zweckgesellschaften
sucht.
({7})
Das bedeutet, dass fast alle Banken neben dem eigentlichen Bankgeschäft Glücksräder aufgebaut und darauf
vertraut haben, dass ihnen das Glück ewig hold ist. Das
funktioniert im Bankenbereich aber ganz offenkundig
nicht.
In einer Situation, in der die Märkte im Finanzsektor
zum großen Teil zusammengebrochen sind und Vertrauen nur durch eine Liquiditätsversorgung der Zentralbanken, von der EZB bis hin zur Fed, geschaffen werden
konnte, ist es unsere Aufgabe, die Stabilität der
Finanzmärkte auf Dauer sicherzustellen. Dabei sind
Aspekte der globalen, der europäischen und der nationalen Ebene zu berücksichtigen. Auch auf der nationalen
Ebene gibt es viel zu tun. Kredite müssen ein Gesicht haben. Die Bürgerinnen und Bürger müssen wissen, wer
Kreditgeber ist. Das gilt nicht nur für gut bediente Kredite, sondern auch dann, wenn jemand aufgrund von
Brüchen in seiner Biografie wie Arbeitslosigkeit vorübergehend in Schwierigkeiten gerät. Dann dürfen diese
Kredite nicht an irgendwelche Kreditverwerter verkauft werden, sondern dann muss er mit seiner Sparkasse darüber reden können. Deswegen ist das System,
das wir haben, das Dreisäulensystem, etwas Verteidigenswertes und Stabilisierendes.
({8})
Dass wir eine neue Aufgabenbestimmung der Landesbanken nach den Veränderungen, die die Privatbanken
in Brüssel erzwungen haben, vornehmen müssen, ist
richtig. Aber ich glaube, auch die haben jetzt gelernt. In
Sachsen haben sie gelernt, in Bayern und in anderen
Ländern. Auch ich habe meine Erfahrung als Aufsichtsratsvorsitzender einer Landesbank, die ein bestimmtes
Geschäftsfeld hatte. Wir sind nicht so darin verwickelt.
Das ist aber nach meiner Zeit, und ich übernehme keine
Verantwortung für die Geschäfte, die jetzt dort gemacht
werden.
Ich glaube, die Aufgabe des Finanzministers der Bundesrepublik Deutschland ist in der Tat auch, auf Regelwerke Einfluss zu nehmen. Allein mit Schuldzuweisungen bei der IKB kommen wir nicht weiter.
Herr Kollege Runde.
Ein letzter Satz, Herr Präsident. - Die entscheidende
Frage haben Sie alle nicht beantwortet.
({0})
Wie würden Sie bei der IKB vorgehen?
({1})
Würden Sie sie in Insolvenz gehen lassen, oder würden
auch Sie sie wegen der Auswirkungen auf die Finanzmärkte stabilisieren? Das ist die entscheidende Frage.
({2})
Dass ich mir einen größeren Anteil und ein anderes
Engagement der Privatbanken wünschen würde, ist richtig, aber diese Frage müssen Sie beantworten.
Schönen Dank.
({3})
Ich erlaube mir den gut gemeinten Hinweis, dass es
für die Bewirtschaftung der knappen Redezeiten außerordentlich hilfreich ist, die entscheidenden Fragen nicht
nach Ablauf der gewährten Zeit zu stellen, sondern möglichst gleich zu Beginn. Dann kann man sie noch in voller Schönheit entfalten.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard
Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dann will ich genau das tun, was Sie, Herr Präsident, anmahnen, nämlich die zentralen Fragen in den Mittelpunkt stellen, und zwar gleich am Anfang der Rede. Ich
glaube, das tut auch not, nachdem einige Beiträge aus
den Koalitionsfraktionen relativ wolkig blieben. Herr
Oswald hat darüber gesprochen, dass die Banken wieder
Vertrauen herstellen sollen,
({0})
Herr Stiegler hat Moralappelle an die Banken gerichtet.
({1})
Sagen Sie einmal, was ist denn eigentlich die Aufgabe
der Politik, und was ist die Aufgabe eines Parlaments?
Es ist doch nicht die Aufgabe, leere Appelle zu richten,
({2})
sondern es ist die Aufgabe, die notwendigen Hausaufgaben, die in Deutschland zu machen sind, jetzt endlich anzugehen. Dazu möchte ich von Ihnen Antworten hören.
({3})
Sie können sich doch nicht um die Beantwortung der
entscheidenden Fragen drücken. Erste Frage: Wie geht
es mit der Finanzaufsicht in Deutschland weiter? Sie
überlassen es der BaFin und der Bundesbank, die sich
seit Monaten und Jahren beharken, sich zu einigen. Es
läge in der Verantwortung der Regierung, aus Anlass
dieser Krise, in der einige Sachen falsch gelaufen sind,
diesen Prozess selber zu gestalten, eine Neugestaltung
der Aufsicht durchzuführen und die Fragen, die sich aus
der Krise ergeben - sie sind schon angeklungen -, wirklich zu beantworten.
({4})
Der Finanzminister lehnt sich locker zurück und gibt
keine Antwort auf die heutige Frage, was die Zukunft
der deutschen Finanzaufsicht ist.
({5})
Ich komme zur zweiten Frage. Die Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht hat ungefähr 1 600 Mitarbeiter, die KfW ungefähr 3 800 Mitarbeiter. Das sind
zwei große Institutionen unter dem Dach des Bundesfinanzministeriums, von dem wir jetzt wissen, dass es
viele Probleme in diesem Bereich überhaupt nicht gesehen hat. Herr Steinbrück hat gesagt, die Experten hätten
die Lage nicht richtig eingeschätzt. Ja, aber auch die Experten des Finanzministeriums haben die Lage nicht
richtig eingeschätzt.
({6})
Herr Steinbrück hat davon gesprochen, dass es Inkompetenzen bei Bankmanagern gegeben habe. Da fragen wir
uns natürlich: Ist es für die Zukunft machbar, mit einer
Hand voll Leuten zu überprüfen, was die Finanzaufsicht
und die KfW in Deutschland tun? Ich meine: Nein.
Sie müssen hier einmal erläutern, wie Ihr Ministerium
das in Zukunft überwachen will. Zu diesen Fragen haben
wir heute Antworten von Ihnen erwartet. Die kamen
aber nicht.
({7})
Dritte Frage: Wie sieht die Zukunft des öffentlichen
Bankensektors in Deutschland aus? In Sachsen stellen
wir ein dramatisches Versagen der Politik beim Controlling der Landesbank fest. Es gibt kein Geschäftsmodell,
und es entstehen hohe Lasten für die Steuerzahler in
Sachsen. Wir erleben, dass Herr Rüttgers und Herr
Oettinger im CDU-Präsidium aus irgendwelchen politischen Gründen nicht miteinander können und deswegen
sinnvolle Verhandlungen um die Zukunft der Landesbank nicht möglich sind. Wir erleben weiter, dass ein
CSU-Vorsitzender und Finanzminister in Bayern nicht
weiß, welche Rolle man im Verwaltungsrat einer öffentlichen Bank hat. Wie antwortet also die Bundesregierung
auf die Frage: Wie geht es im öffentlichen Bankensektor
weiter?
({8})
Wollen Sie denn wirklich die Zukunft des öffentlichen Bankensektors den Sargnägeln dieses Bankensektors, den CDU- bzw. CSU-Ministerpräsidenten, überlassen? Lassen Sie sich doch einmal auf der Zunge
zergehen, was von der Union in diesem Bereich in den
letzten Jahren geleistet worden ist: Landowsky in Berlin,
Milbradt in Sachsen, Rüttgers bei der West-LB und jetzt
das Chaos unter Herrn Huber in Bayern. Das ist doch
eine Katastrophe.
({9})
Wir erwarten vom deutschen Finanzminister, dass er
die Initiative ergreift, um den öffentlichen Bankensektor
in Deutschland zu stützen und ihm eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, dass er die Konsolidierung vorantreibt und ein solides Geschäftsmodell errichtet. Aber
dazu haben Sie nichts gesagt. Sie verweigern die Moderatorenrolle, die Sie dringend einnehmen müssten.
({10})
- Ja, aber wenn diese Landesparlamente und Landesregierungen miteinander verhandeln sollen, dann wird
nur etwas Gutes dabei herauskommen, wenn man die
Egoismen - die Sicherung der einzelnen Minifinanzplätze, die überhaupt nicht gelingen kann - überwindet
und eine gemeinsame Antwort für Deutschland findet.
Anders wird es nicht gehen, Herr Steinbrück.
({11})
Herr Runde, Sie haben die ganze Zeit über die großen
internationalen Dinge gesprochen. Sie haben ja recht:
Wir müssen auch über das Internationale sprechen.
Dann muss man sich einmal die Frage stellen, ob es eigentlich sinnvoll ist, dass Produkte fünfmal hin- und hergeschoben werden - Stichwort „Repackaging“ -, sodass
am Schluss niemand mehr den Inhalt kennt. Ich erinnere
an die gestrige Debatte über eine Mehrwertsteuerermäßigung für Produkte für Kinder. Wir haben gesagt: Es darf
keine Ausnahmen geben. - Wenn Sie auch die Verantwortung für den internationalen Bereich - einen Finanzmarkt, der immer mehr Produkte hin- und herschiebt wahrnehmen wollen und das Internationale in den Vordergrund rücken, dann stellt sich schon die Frage, warum aus der deutschen Bundesregierung keine Initiative
in Richtung Devisenumsatzsteuer, Finanztransaktionssteuer - das hat die österreichische Bundesregierung
vorgeschlagen - kommt. Ich erwarte auch auf diese
Frage eine Antwort von der deutschen Bundesregierung.
Diese werden wir als Grüne in Zukunft einfordern. Wir
haben in unserem Antrag einige Vorschläge gemacht.
Folgen Sie ihnen!
Danke schön.
Nun erhält der Kollege Otto Bernhardt das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will mit den Ursachen, dem Ausmaß und der
Verantwortung für diese Krise beginnen. Zu den Ursachen: Wir haben gehört - das ist richtig -, es handelt sich
um bonitätsmäßig schlechte Immobilienkredite, die verbrieft, gemischt - man nennt das „strukturiert“ - und
dann von anderen Banken gekauft wurden. Die Größenordnung liegt irgendwo bei 1,5 Billionen Euro. Das entspricht den Gesamtschulden der öffentlichen Hand in
Deutschland.
Der Abschreibungsbedarf, das hat sich am Wochenende in Tokio gezeigt, liegt zurzeit bei etwa 275 Milliarden Euro. Ich sage bewusst „zurzeit“, denn der Wert dieser Papiere wird jeden Tag neu festgelegt. Insofern kann
heute auch noch niemand sagen: Wir wissen schon ganz
genau, wie groß der Schaden ist. - Zum überwiegenden
Teil handelt es sich Gott sei Dank noch um Buchverluste, die nur abgeschrieben werden. Was das wirklich
bringt, wissen wir nicht.
Nach den Informationen, die heute vorliegen, liegen
auf jeden Fall Papiere im Wert von über 100 Milliarden
Euro bei deutschen Banken. Dementsprechend haben
wir zurzeit einen Abschreibungsbedarf, der irgendwo bei
20 Milliarden Euro liegt. Herr Minister, dann kann man
auch ausrechnen, wie hoch die Steuerausfälle sind:
39 Prozent, es geht noch um das Jahr 2007. Das heißt,
sie liegen irgendwo bei 8 Milliarden Euro.
Jetzt kommt das Problem mit den Verantwortlichen.
Wenn man von einer Sache viel versteht, ist es schwierig; dann kann man sich dem Thema wirklich nur sehr
differenziert zuwenden. Es gibt mindestens sechs Gremien oder Institutionen, die die Probleme nicht erkannt
haben, deren Vertreter heute aber tolle Reden halten.
Natürlich liegt die Hauptverantwortung bei den Vorständen der Banken; das ist völlig klar.
Aber auch die Aufsichtsgremien der Banken haben
es nicht gemerkt. Ich finde es nicht fair, wenn hier immer darauf hingewiesen wird, dass der Wirtschaftsminister und der Finanzminister zum Beispiel im Aufsichtsgremium der KfW sitzen. Alle Fraktionen sind dort
vertreten. Auch Herr Lafontaine sitzt in diesem Gremium. Man muss das ganz nüchtern wissen.
({0})
Auch die Aufsichtsgremien haben es also nicht gemerkt.
Viel schlimmer ist das jedoch bei den Ratingagenturen, die hier schon angesprochen worden sind. Was da
passiert ist, ist eine Katastrophe.
({1})
All die Prüfungsgesellschaften mit klingenden Namen,
die nicht nur intensiv geprüft haben,
({2})
sondern auch hohe Rechnungen gestellt haben, haben es
nicht gemerkt.
Ich muss an dieser Stelle ebenfalls, auch wenn ich die
beiden Institutionen schätze, die Bundesbank und die
Bankenaufsicht nennen. Heute wissen sie genau, um
welche Papiere es sich handelt und wie schlecht und
schwach die sind. Deshalb warne ich davor, mit der
Schuldzuweisung so ganz schnell zu sein.
Was die Organisation der Bankenaufsicht anbetrifft, Herr Kollege Dr. Schick: Es gibt eine klare Regelung im Gesetz. Darin steht: Die beiden sollen sich einigen. Wenn sie sich nicht einigen, muss der Minister tätig
werden. Das war übrigens 2003 bei der Gründung der
BaFin der Fall. Damals wurden sie sich nicht einig. Da
gab es einen Erlass. Ich bin froh, dass sie sich jetzt geeinigt haben. Damit ist der Minister nicht mehr am Zug.
Die gesetzliche Anforderung ist erfüllt. Sie haben sich
geeinigt. Ich bin die Richtlinie ziemlich genau durchgegangen und darf sagen: Sie haben sich auf einer vernünftigen Basis geeinigt.
({3})
Die Arbeitsteilung ist jetzt deutlich klarer.
In diesem Zusammenhang gibt es natürlich weitere
Fragen, so zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Bereichs. Ich sage in großer Bescheidenheit, die gar nicht
eine meiner Stärken ist: Wir dürfen uns hier nur mit unserem Bereich auseinandersetzen. Für das Thema Landesbanken sind wir nicht zuständig. Ich persönlich habe
die klare Vorstellung: Landesbanken, Sparkassen, das ist
ausschließlich Ländersache. Wir haben genug Probleme
bei uns. Lassen wir das die Länder machen! Dort ist Lösungsbedarf.
({4})
Wir haben nur ein Problem, und das ist die KfW. Das
ist eine Bank, die wir brauchen; darüber sind wir alle uns
im Klaren. Sie hat etwas gemacht, wozu mit Recht gesagt worden ist: Es war sogar die Empfehlung eines
Ministers, dass sie sich da beteiligen soll. Ich sage hier
sehr deutlich: Natürlich ist die IKB rechtlich gesehen
eine Privatbank, aber faktisch - das zeigt nun mal die
Diskussion - ist sie schon eine ziemlich öffentlich-rechtliche Bank.
Ich sage genauso deutlich: Ich bin froh, dass man am
Mittwoch eine Lösung gefunden hat, einen Weg, um die
Bank zu retten. Bedenken Sie die Auswirkungen, wenn
sie in die Insolvenz gegangen wäre! Wir hätten heute
eine ganz andere Diskussion. Beide, Finanz- und Wirtschaftsminister, wären gescholten worden. Man kann
nicht in Euro ausrechnen, was die Insolvenz kosten
würde. Ich verweise nur auf die hier genannten
24 Milliarden Euro Einlagen bei der Bank. Die würden
mit einer Konkursquote bedient. Wie hoch die wäre,
wenn man erst einmal die Papiere abgewickelt hätte - Ich warne Neugierige!
Vor dem Hintergrund bin ich enttäuscht - ich vermute, Sie, Herr Minister, sind es auch -, dass von den
rund 7 Milliarden Euro, die bisher eingesetzt wurden,
über 80 Prozent von der KfW, vom öffentlichen Bereich,
aufgebracht worden sind, während der andere Bereich
nur knapp 20 Prozent beigesteuert hat. Ich sage sehr
deutlich: Das ist zu wenig. Das finde ich nicht so toll.
({5})
Die Insolvenz wäre nämlich eine katastrophale Entwicklung für den Einlagensicherungsfonds; die Bank gehört
zum privaten Einlagensicherungsfonds.
Ich glaube, ich spreche im Namen zumindest der beiden großen Fraktionen, wenn ich sage: Eine solche Aktion wie bei der IKB darf nicht Schule machen. Es wird
befürchtet, dass jetzt die Ministerpräsidenten hier anreisen usw. Um es klar zu sagen: Wir sind nur für das hier
zuständig. Das ist ein einmaliger Fall.
Ich gehöre aber nicht zu denen, die behaupten: Das
Problem ist endgültig gelöst; da kommt nichts mehr. Das kann man bei der Bewertungsproblematik wirklich
nicht sagen. Wer dies von der Regierung fordert, der fordert etwas, was sie heute nicht bringen kann. Deswegen
ist die Aussage des Ministers richtig: Wir haben noch ein
schwieriges Jahr vor uns, aber wir hoffen, das war sozusagen der letzte Akt.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, abschließend Folgendes sagen: Schnellschüsse sind populär; das
weiß ich. Ich glaube aber, es ist richtig, wie die Regierung vorgeht: zunächst ausführlich zu analysieren und
das Ganze insbesondere - der Kollege Röttgen hat schon
darauf hingewiesen - im internationalen Bereich abzuklären. Wir können das Thema nicht isoliert betrachten.
Wer das glaubt, der hat noch nicht begriffen, was Globalisierung bedeutet. Deshalb müssen wir eines tun: klarmachen, dass Deutschland diese Krise ab kann. Unser
Banken- und Wirtschaftssystem ist stabil genug; wir
können sie ab. Natürlich würde es uns noch besser gehen, wenn es die Krise nicht gäbe; denn sie kostet viel
Geld.
Es gibt also keinen Anlass zur Panik - wir lösen die
Krise -, aber natürlich auch keinen Anlass zur Verharmlosung. Wir brauchen jetzt ein Stück Gelassenheit und
ein Stück Internationalität. Im Rahmen der G-7-Staaten
werden wir dieses Problem gemeinsam lösen.
Herzlichen Dank.
({6})
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kollegen Jörg-Otto Spiller, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir führen heute keine Debatte über eine einzelne private Geschäftsbank, sondern wir führen eine
Debatte über die internationale Finanzmarktlage und
über ihre Auswirkungen auf Deutschland.
({0})
Ich sage sehr freimütig: Wenn es nicht den Hintergrund dieser Finanzmarktkrise gäbe, wäre natürlich die
Frage, ob man eine einzelne Bank stützen muss, ganz anders zu beurteilen.
({1})
Da wäre sicher auch die schon ordnungspolitisch naheliegende Frage zu prüfen gewesen, ob man nicht besser
eine geregelte Abwicklung der IKB vornimmt. Das hätte
natürlich bedeutet, dass der Einlagensicherungsfonds
des Bundesverbandes deutscher Banken, das heißt der
privaten Geschäftsbanken, heftig hätte bluten müssen.
Das wäre aber durchaus eine ernst zu nehmende Alternative gewesen.
Angesichts der Situation, in der wir uns heute befinden, kann ich für meine Fraktion nur sagen: Wir haben
Respekt vor dem,
({2})
was der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister in dieser Woche zur Stabilisierung der
Bank in die Wege geleitet haben. Ich teile die Auffassung des Kollegen Bernhardt, dass die private Seite noch
ein bisschen mehr bringen könnte. Aber die Grundentscheidung war in der jetzigen Situation erforderlich.
({3})
Ich teile ausdrücklich den Respekt, den mehrere hier
schon gegenüber den Maßnahmen geäußert haben, die
der Bundesfinanzminister ja nicht erst in den letzten Wochen, sondern schon das ganze Jahr 2007 über unternommen hat, um auf internationaler Ebene - auf europäischer
Ebene wie auf der Ebene der G 7 bzw. der G 8 - für eine
Stabilisierung der Finanzmärkte und für eine Verbesserung ihrer Transparenz zu sorgen.
Wir haben im Finanzausschuss des Bundestages am
Mittwoch ein Fachgespräch über und mit Ratingagenturen geführt. Das war aufseiten der Ratingagenturen
- alle großen waren vertreten - nicht gerade von übermäßigen Selbstzweifeln geprägt. Sie legten eher ein
dreistes Selbstbewusstsein an den Tag. Das kam in ihrer
Kernaussage zum Ausdruck, sie hätten alles richtig gemacht. Bedauerlicherweise hätten die Banker sie aber
missverstanden; denn die hätten eine Triple-A-Note für
ein Gütesiegel gehalten. So sei das aber nicht gemeint
gewesen.
({4})
Das ist eine neue Erkenntnis. Das haben die Ratingagenturen bisher nicht so deutlich gesagt, dass man ihnen im
Grunde genommen nicht glauben sollte bzw. ihre Aussagen zumindest nicht überbewerten sollte.
({5})
Auch Folgendes ist in dem Gespräch von mehreren
Seiten herausgearbeitet worden: Erstens ist es notwendig, dass Bankvorstände selbst versuchen, zu verstehen, welche Finanzprodukte sie kaufen oder vielleicht
sogar verkaufen wollen. Das Zweite ist: Wenn sie sich
bei der Bewertung eines schwer durchschaubaren Produktes durch Ratingagenturen unterstützen lassen wollen, dann dürfen sie sich nicht mit einer simplen Note
begnügen, sondern müssen nachfragen. Dann müssen
die Ratingagenturen genau sagen, was sie untersucht und
eingeschätzt haben und worauf sich ihre Bewertung bezieht.
Das alles ist keine wirklich neue Erkenntnis. Die
Bundesbank hat in den letzten Jahren jedes Jahr einen
- wie ich finde, gut lesbaren - sogenannten Finanzstabilitätsbericht vorgelegt. Sie hat sich seit 2005 besonders mit der Frage der Wirkung von Kreditveräußerungen, Derivaten und Verbriefungen befasst. Ein Derivat
ist - das ist wie in der Mathematik - eine Ableitung, aber
nicht unbedingt die erste, sondern manchmal schon die
zweite, dritte, vierte oder fünfte. Wenn es fünf Ableitungen geben kann, muss das Produkt sehr kompliziert sein.
Die Bundesbank hat darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Vorstellung war, die Risiken zu mindern;
({6})
auch durch Kreditveräußerungen, durch die Bildung
von Paketen könne man eine Risikostreuung erreichen
und nebenbei mehr Spielraum für neue, angemessene
Kreditfinanzierungen der Unternehmen schaffen. Das
klang alles sehr plausibel. Aber schon vor drei, vier Jahren hat die Bundesbank zu Recht darauf hingewiesen,
dass das nur funktioniert, wenn die Produkte nicht zu
komplex sind und wenn die Bankvorstände, die Entscheidungsträger, wissen, worüber sie entscheiden.
({7})
- Das Finanzministerium, lieber Herr Kollege Schäffler,
ist nicht zuständig für Entscheidungen von Bankvorständen. Sie haben hier eine für mich sehr verblüffende Argumentation gebracht,
({8})
als wäre der Staat für alles oder manchmal eben auch für
gar nichts zuständig. Das ist nicht wirklich überzeugend.
Was müssen wir jetzt tun? Da folge ich dem, was der
Kollege Bernhardt, aber auch der Kollege Schick gesagt
hat: Wir müssen uns fragen, welche Aufgaben und welche Möglichkeiten der Staat hat. Natürlich betrifft das in
erster Linie die beiden Behörden in Deutschland, die
sich um die Bankenaufsicht kümmern: die Bundesbank,
die für die laufende Kontrolle der Institute zuständig ist,
und die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Beide haben ein hohes Maß an Kenntnis;
das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Da ist viel
Expertise. Aber die Instrumente müssen offenbar verbessert werden, damit diese hochkarätigen Fachleute auch
handeln können. Wir dürfen jetzt nicht, sozusagen aus
der Defensive heraus, so tun, als hätten sie alles richtig
gemacht. Nein, es gibt einen Bedarf, die Bankenaufsicht
zu stärken, und es gibt einen Bedarf, die Verantwortung
von Wirtschaftsprüfern zu stärken und möglicherweise
auch Haftungsansprüche zu präzisieren. Das werden wir
uns vornehmen müssen.
Die letzten Wochen und Monate waren oft mit Feuerwehraktionen belastet. Wenn das Haus lichterloh brennt,
muss man löschen. Aber die Hauptaufgabe von Feuerwehren ist nicht der gelegentliche Löscheinsatz, sondern
der Brandschutz,
({9})
der vorbeugende Brandschutz. Es muss darauf hingewiesen werden: Wenn eine Bank meint, sie müsste im Heizungskeller Nitroglycerin und auf dem Dachboden Benzin lagern, dann muss man ihr sagen, dass das nicht geht.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/7531 und 16/7191 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts
({0})
- Drucksache 16/7918 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gäbe noch viel zu sagen zu einigen Bemerkungen
aus der vorhergehenden Debatte, die dadurch gekennzeichnet waren, dass sie sehr selektiv und sehr undiffe15104
renziert waren und nicht die ganze Bandbreite widerspiegelten, wie es erforderlich gewesen wäre.
({0})
Das gilt insbesondere mit Blick auf die Situation der
IKB. Es bekümmert mich sehr, dass ich nicht die Möglichkeit habe, auf die entsprechenden Bemerkungen zu
replizieren. Aber dies ist nicht der Ort dafür. Es wird im
Haushalts- und im Finanzausschuss möglich sein.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle trotzdem, dass ich
für einen Mitarbeiter meines Hauses Partei ergreife. Ich
werde es nicht dulden, dass in diesem Haus ein Abteilungsleiter meines Hauses aufgrund seiner Funktion im
Aufsichtsrat der IKB auf diese Weise angegriffen wird.
Das halte ich schlicht und einfach für unanständig. Wenn
Sie sich jemanden vorknöpfen wollen, dann bin ich es,
aber nicht der Abteilungsleiter meines Hauses.
({1})
- Greifen Sie dann bitte alle an! Greifen Sie auch Ihnen
nahestehende Leute an! Greifen Sie einen Aufsichtsratsvorsitzenden und einen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden an, der mit diesen Geschäften begonnen hat! Knöpfen Sie sich aber nicht meinen Abteilungsleiter vor, nur
weil er im Aufsichtsrat sitzt.
({2})
- Das ist mir bei Ihnen schon klar. Aber es war unanständig, wie Herr Schäffler in seinen Ausführungen auf die
Rolle des Abteilungsleiters meines Hauses eingegangen
ist.
({3})
- Sie erlauben mir, dass ich meinen Spielraum wahrnehme.
Das Thema dieser Debatte ist aber ein anderes.
({4})
Ein altes schlesisches Sprichwort lautet: Eine halbe
Stunde gut erben ist besser als fünf Jahre arbeiten. Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts wird Erben in
Deutschland nicht nur günstiger, sondern auch wieder
verfassungskonform. Darüber hinaus sichert die Reform
den Ländern - nicht dem Bund - stabile Erbschaftsteuereinnahmen auf dem heutigen Niveau, sich dann dynamisch entwickelnd, von 4 Milliarden Euro.
Dieser Entwurf setzt nicht nur die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes um, wonach sich die Bewertung des anfallenden Vermögens künftig in allen
Fällen am sogenannten allgemeinen Wert, also am Verkehrswert, orientieren muss. Ich habe gelegentlich den
Eindruck, dass die Kritiker dieses Gesetzentwurfs insbesondere mit Blick auf die zukünftige Bewertung von
Vermögensbeständen nicht richtig zur Kenntnis genommen haben, dass diese Bewertungsmaßnahmen nicht auf
irgendeine politische Initiative von einigen, die sich dabei vergaloppieren, zurückgehen, sondern auf ein Urteil
des Bundesverfassungsgerichts.
Das heißt: Wenn einige Erben nicht in den Genuss der
Vergünstigungen kommen, wie es das Gesetz generell beabsichtigt - das wird sicher Gegenstand der Kritik sein -,
dann liegt dies daran, dass hohe Immobilienstände gehalten werden, die einer neuen Bewertung zugeführt
werden. Diese neue Bewertung geht aber, wie gesagt,
nicht etwa zurück auf eine Initiative der Koch/
Steinbrück-Arbeitsgruppe oder derjenigen, die in der
Koalitionsarbeitsgruppe zugearbeitet haben, sondern auf
das Bundesverfassungsgericht. Ich wäre dankbar, wenn
in den anschließenden Debatten dies deutlich gemacht
werden könnte.
Der Entwurf macht darüber hinaus auch von einer vom
Bundesverfassungsgericht, aufbauend auf eine gleichmäßige Vermögensbewertung, eröffneten Möglichkeit Gebrauch, „bei Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe“
normenklare steuerliche Verschonungsregelungen für
den Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände steuerrechtlich folgerichtig auszugestalten. Dies ist die Öffnung dafür, dass wir ein Steuerprivileg verteilen. Das
steht am Anfang jeder Debatte. Diese Erbschaftsteuernovelle gibt ein Steuerprivileg. Das hat es bisher so nicht
gegeben. Denn 85 Prozent des vererbten betrieblichen
Vermögens werden nach einer Stundung von zehn Jahren steuerfrei gestellt. Das ist der erste Satz, bevor wir
uns dann vielleicht über Details zu unterhalten haben
und einige sagen: Damit und hiermit bin ich nicht zufrieden. Der erste Satz ist: Es findet zum ersten Mal in
Deutschland im Rahmen der Vererbung von Betriebsvermögen eine Steuerbefreiung von pauschal 85 Prozent
statt.
({5})
Bei mancher Kritik, die die Protagonisten der Arbeitsgruppe erfahren haben, war der Reflex nicht so ganz
fernliegend, noch ein bisschen mehr zu fordern. Ich
stelle den Kritikern die Frage, ob sie es bei dem jetzigen
Erbschaftsteuerrecht belassen wollen. Nun weiß ich,
dass dies ein gefährlicher Satz ist; denn das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht: Wenn man sich
bis Ende dieses Jahres nicht einigt, dann passiert mit der
Erbschaftsteuer dasselbe wie mit der Vermögensteuer.
Aber angesichts der fundamentalen, aus meiner Sicht
manchmal völlig überzeichneten und sehr stark von partikularen Interessen gekennzeichneten Kritik, die eine
Art pauschalen Verriss des vorliegenden Entwurfes beinhaltete, hat es mir in den Fingern gejuckt, zu sagen:
Wenn das so ist, Herr Förster, dann legen wir das Reh
wieder auf die Lichtung; dann bleibt es so, wie es ist.
Dann werden wir es nicht mit einer pauschalen Steuerbefreiung von Betriebsvermögen zu tun haben.
Deshalb bitte ich, in richtiger Reihenfolge zunächst
einmal festzustellen, dass der Entwurf der Bundesregierung, zurückgehend auf eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Koalitionsparteien, eine Begünstigung in
Gang setzt, die es so vorher nicht gegeben hat. Das sage
ich in aller Ernsthaftigkeit.
Ich sage zweitens, dass ein solches Steuerprivileg
kein Selbstzweck ist. Ein solches Steuerprivileg kann
nicht einfach so gewährt werden.
({6})
- Genau; das Stichwort ist richtig. - Dann verhält man
sich nämlich gleichheitswidrig gegenüber denjenigen,
die nicht in den Genuss eines solchen Steuerprivilegs
kommen. Das sind all diejenigen, die privat vererben
oder erben. Das heißt, diesem Steuerprivileg muss eine
Gegenleistung zugrunde liegen. Die Gegenleistung zu
dieser Steuerprivilegierung rechtfertigt sich daraus, dass
die zu vererbenden Betriebe erhalten werden - in weiten
Teilen auch mit Blick auf die Beschäftigung. Das heißt,
diejenigen, die dieses Steuerprivileg in Anspruch nehmen wollen, müssen wissen, dass sie eine Gegenleistung
zu erbringen haben, und zwar eine nachvollziehbare und
belegbare, damit wir nicht wieder in einen Verfassungskonflikt hineingeraten.
({7})
Das sage ich besonders an die Adresse derjenigen in
Industrie, Wirtschaft und auch in Lobbyverbänden - sie
machen ja viel Lärm -, die unwissend oder bewusst meinen, über die Bedingungen und die Ausgestaltung dieses
Steuerprivilegs könne man quasi verhandeln oder feilschen wie auf dem Markt - das kann man nicht -, nach
dem Motto: Darf es vielleicht ein etwas höherer Freibetrag oder eine etwas geringere Behaltefrist im Hinblick
auf das steuerbegünstigte Vermögen sein?
Vielleicht wird freundlicherweise auch zur Kenntnis
genommen, dass der Reformentwurf neben dieser Verschonung von pauschal 85 Prozent insbesondere für
kleine und mittlere Unternehmen einen gleitenden
Abzugsbetrag von 150 000 Euro vorsieht. Das bedeutet,
dass im Ergebnis ein Betriebsvermögen bis zu einem
Gesamtwert von 1 Million Euro unbesteuert bleibt. Dies
wiederum bedeutet, dass deutlich mehr als drei Viertel
aller Unternehmen in Deutschland mit der Erbschaftsteuer zukünftig nichts mehr zu tun haben werden. Ich
wiederhole: drei Viertel aller Unternehmen in Deutschland! Wenn wir dies an den Anfang stellen könnten,
dann würde sich die Diskussion vielleicht etwas mehr
versachlichen. Dies sage ich mit Blick auf eine Kritik,
bei der man den Eindruck hat, man müsste sich fast über
das Ergebnis der Koalitionsarbeitsgruppe unter der Leitung von Herrn Koch und mir schämen.
Wenn im Übrigen einige fragen: „Warum nicht eine
100-prozentige Freistellung, also nicht nur eine 85-prozentige pauschale Freistellung?“, dann liegen dem, dass
wir so nicht vorgehen können, die sehr großen Schwierigkeiten einer Abgrenzung zwischen Privatvermögen
und produktivem Vermögen zugrunde, wie viele von
Ihnen wissen. Im ersten Regierungsentwurf waren wir
noch so weit, dass wir versucht haben, diese Abgrenzung
herzustellen, um die Möglichkeit der Verschiebebahnhöfe zu beseitigen, von denen Sie, auch soweit Sie Kritiker sind, doch wissen. Denn Sie werden nicht erwarten
können, dass der Gesetzgeber, Sie, auf der Basis eines
Vorschlages der Bundesregierung Tür und Tor dazu
öffnet, dass Sie, ich und andere gewisse Teile ihres Privatvermögens fröhlich in das Betriebsvermögen verschieben, in der klaren Erwartung, dass dann eine Steuerfreistellung erfolgt.
Das übereinstimmende Ergebnis aller Teilnehmer dieser Koalitionsarbeitsgruppe - mit viel Sachverstand auch
aus den Ländern - war: Das Unbürokratischste, was wir
machen können, ist: Wir nehmen umgekehrt einfach einen Pauschalsatz, den wir abziehen, bzw. wir nehmen
85 Prozent und sagen: Hier kümmern wir uns gar nicht
mehr um die Abgrenzung von produktivem Vermögen
gegenüber privatem Vermögen und beseitigen damit diesen leidigen bürokratischen Aufwand. All denjenigen,
die sagen: „Wir wollen wieder eine Freistellung zu
100 Prozent“, antworte ich: Sie handeln sich damit automatisch Abgrenzungsprobleme bezüglich der Verschiebemöglichkeiten im Hinblick auf das private Vermögen
und das Betriebsvermögen ein.
Der zentrale Grundgedanke des Entwurfes, den wir
vorgelegt haben, lautet: generationsübergreifende
Gerechtigkeit. Das bedeutet, dass einerseits die Weitergabe der weitaus meisten Erbschaften - ich wiederhole
es: bei 75 Prozent der Vererbung von betrieblichem Vermögen wird man mit der Erbschaftsteuer nichts mehr zu
tun haben - nicht über Gebühr belastet wird. Andererseits wollen wir, dass höchste Vermögen und Vermögensübertragungen insbesondere außerhalb des engen
Familienumfeldes einen höheren Beitrag zum Steueraufkommen leisten und damit zur Gegenfinanzierung beitragen. Diese Logik spiegelt sich in diesem Gesetzentwurf, wie ich finde, wider.
Ich weiß, dass einige sagen: Schafft doch die Erbschaftsteuer ab. Sie verweisen auf andere europäische
Länder, fügen aber nicht hinzu, wie die Steuersysteme
dieser Länder insgesamt aussehen. Das heißt, sie betreiben Kirschenpflücken.
({8})
Sie suchen sich aus anderen europäischen Steuersystemen nur das heraus, was mit Blick auf ihre Partialinteressenlage das Günstigste ist. Das kann ich auch. Nehmen wir das Beispiel Schweden: Schweden hat keine
Erbschaftsteuer. Ich kann Sie ja mal fragen, ob Sie im
Gegenzug die schwedischen Einkommensteuersätze
zahlen möchten. Das können wir uns ja mal überlegen.
Ich kann Ihnen sagen: Verglichen mit den Ländern, in
denen es eine Erbschaftsteuer gibt, ist das deutsche Erbschaftsteuersystem mit das günstigste in Europa. Vergleichen Sie es mit dem englischen oder dem französischen Erbschaftsteuersystem. Das heißt: Die Vergleiche,
die mir, der Bundesregierung und der Arbeitsgruppe der
Koalition entgegengehalten werden, zeugen von einem
ziemlichen Tunnelblick. Es wird nur das gesehen, was
gerade passt, und was nicht passt, wird nicht in die Ana15106
lyse der Gesamtsituation, mit der wir es gerade zu tun
haben, einbezogen.
Im Ergebnis werden nicht mehr Steuerpflichtige als
bisher mit der Erbschaftsteuer belastet. Anders ausgedrückt - ich beziehe mich jetzt nicht nur auf das betriebliche, sondern auf jedwedes Vermögen -: Oma ihr klein
Häusken bleibt steuerfrei, auch wenn es frisch renoviert
ist; aber die Erben von Oma ihrer Villa mit Park und
Seezugang werden einen höheren Beitrag leisten. Das ist
Vorsatz, das ist Absicht, und das halte ich auch für gerechtfertigt.
({9})
- Herr Westerwelle, wenn ich mir Ihre Bilder vor Augen
führe, muss ich feststellen, dass man Sie dafür auch nicht
loben kann.
Die politische Arbeitsgruppe, die wir einberufen haben, bestand aus sehr vielen Vertretern, insbesondere der
Länder. Ich habe die Arbeit dieser politischen Arbeitsgruppe immer als sehr hilfreich empfunden, insbesondere was die Zuarbeit der technischen Arbeitsgruppe betrifft. Da wurde sehr viel gerechnet.
Ich wundere mich darüber, dass über dieses Thema
eine fast irreführende öffentliche Diskussion geführt
wird. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Beispiel wurden ganzseitige Anzeigen geschaltet. Eine
Anzeige der KPMG, die wohl mit Unterstützung eines
Herausgebers der Frankfurter Allgemeinen Zeitung entstanden ist, enthält drei fundamentale Fehler, die ich aus
Zeitgründen jetzt nicht darlegen will. In einem Briefwechsel hat mein Staatssekretär Nawrath dies insbesondere gegenüber Herrn Nonnenmacher und der KPMG
deutlich gemacht. Was im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuerreform inzwischen an Lobbyarbeit, an interessengeleiteter Verunglimpfung und Irreführung stattfindet, ist teilweise sehr schwer erträglich.
({10})
Ich komme zum Ergebnis: Mir ist sehr wohl bewusst,
dass es Ihnen im parlamentarischen Beratungsprozess
offensteht, an der einen oder anderen Stelle zu anderen
Ergebnissen zu kommen.
({11})
- Nicht so schnell. - Wir haben in der Koalitionsarbeitsgruppe, an der viele von denen, die hier sitzen, beteiligt
waren, einen Kompromiss gefunden, der nicht beliebig
aufzulösen ist.
({12})
Bei der Frage der pauschalen Berücksichtigung hat es natürlich andere Auffassungen gegeben. Es hat auch eine
sehr lange Debatte über die Berücksichtigung des Betriebsvermögens, das über Aktivitäten der Vermögensverwaltung hinausgeht, gegeben. Wir haben die 50-Prozent-Grenze und die Lohnsummenregelung - 70 Prozent sehr genau definiert.
Das heißt - ich möchte an dieser Stelle auch für die
SPD und nicht nur als Bundesfinanzminister sprechen -:
Wer an einem Faden des Pullovers zieht, muss wissen,
dass der Pullover dann leicht weg sein kann. Deswegen
sage ich abschließend sehr deutlich: Diese Bund-LänderArbeitsgruppe hat einen Kompromiss gefunden. Wenn
der Bundestag als Souverän Änderungen vornehmen
will, dann muss im parlamentarischen Verfahren ein
neuer Kompromiss gefunden werden. Man sollte nicht
glauben, dass man nur auf einen Bestandteil des Kompromisses Druck ausüben muss, um einen völlig anders
ausbalancierten Gesetzentwurf zum Erbschaftsteuerrecht
zu erhalten.
({13})
Ich komme zu dem Ergebnis, dass wir es geschafft
haben, den Generationswechsel in kleinen und mittleren
Unternehmen zu erleichtern. Es ist zum ersten Mal so,
dass wir die Vererbung von betrieblichem Vermögen
weitgehend freistellen. Wir erreichen eine verbesserte
Arbeitsplatzsicherheit. Wir kommen, wie ich finde, für
die nächsten Verwandten auch bei der Vererbung von
privaten Vermögen zu deutlich besseren Regeln als jetzt.
Ich halte es für völlig angemessen, dass große Vermögen
von Erblassern, insbesondere von denjenigen in einem
entfernten Verwandtschaftsgrad, stärker als bisher zur
Finanzierung des Erbschaftsteueraufkommens herangezogen werden. Ich bin überzeugt, dass der vorliegende
Regierungsentwurf eine solide und sehr ausbalancierte
Grundlage für das jetzt in Ihrer Hand liegende Gesetzgebungsverfahren ist.
Herzlichen Dank.
({14})
Für die FDP-Fraktion spricht nun Carl-Ludwig
Thiele.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister, erstens
muss ich sagen, dass Ihre pampige Einlassung zu den Finanzmärkten zeigt, dass Sie getroffen sind. Ich kann nur
sagen: Es ist richtig, dass sie getroffen sind; denn Sie tragen die Verantwortung. Deshalb haben wir Sie bezüglich
der Finanzmärkte angesprochen. Darüber muss hier diskutiert werden.
({0})
Zweitens möchte ich mich herzlich für den Gnadenakt bedanken, dass der Gesetzgeber nach Ihrer Auffassung tatsächlich an einem Gesetzgebungsverfahren mitwirken darf.
({1})
Das ist in der Großen Koalition relativ neu, aber warum
nicht; vielleicht findet das bei diesem Gesetz einmal
statt. Herzlichen Dank für die Gnade!
Drittens. Es gibt verfassungsrechtliche Vorgaben; das
ist richtig. Aber das Verfassungsgericht hat nicht erklärt,
dass diese in diesem Gesetzentwurf so Gesetz werden
müssen. Sie hätten ganz andere Gesetze machen können.
Sie hätten auch bessere Gesetze machen sollen. Dieser
Gesetzentwurf ist nicht die Lösung der Probleme im internationalen Wettbewerb und auch nicht für die Bevölkerung unseres Landes.
({2})
Insofern möchte ich sagen: Diese Erbschaftsteuerreform kennt nicht nur Gewinner - das ist der Eindruck,
den Sie immer erwecken wollen -, sondern auch Verlierer. Die Große Koalition setzt bei dieser Erbschaftsteuerreform den roten Faden der Politik der Steuererhöhungen
fort. Das Durchschnittsaufkommen der Erbschaftsteuer
der letzten zehn Jahre betrug 3,2 Milliarden Euro pro
Jahr. Hier ist das Ziel 4 Milliarden Euro pro Jahr. Ich persönlich habe den Eindruck, dass klammheimlich noch erheblich mehr Geld von den steuerpflichtigen Erben in
unserem Lande eingesammelt werden soll, als das Finanztableau bisher ausweist.
({3})
Ich möchte auf ein paar Punkte kurz eingehen. Verlierer sind vor allem die Mittelständler in unserem Land.
Einige Diskussionen passen überhaupt nicht zusammen.
Auf der einen Seite diskutieren wir darüber, wie Investitionen mit Millionensubventionen gefördert werden.
Diese Firmen müssen fünf Jahre lang die Arbeitsplätze
erhalten. Auf der anderen Seite soll der Mittelstand, der
in Deutschland die Arbeitsplätze schafft und in die Vergünstigungsregelung kommt, 15 Jahre lang die Arbeitsplätze erhalten. Das kann mir niemand erklären und hat
mir auch noch niemand erklären können. Herr Finanzminister, ich muss Ihnen ehrlich sagen: Auch Ihre Erklärung heute hat mich nicht überzeugen können.
({4})
Der Mittelstand wird durch dieses Gesetz in einer
Form benachteiligt, wie es leider das Kennzeichen der
Großen Koalition ist.
({5})
Denn wer Arbeitsplätze in unserem Lande schaffen und
erhalten will, muss sich insbesondere darum kümmern,
dass die Familienunternehmen gefördert und nicht belastet werden. 95 Prozent der Betriebe in unserem Land
sind mittelständische Betriebe. 57 Prozent der Beschäftigten sind im Mittelstand tätig. Auch in den letzten Jahren, als in der Industrie Arbeitsplätze abgebaut wurden,
hat der deutsche Mittelstand zusätzliche Arbeitsplätze
geschaffen. In inhabergeführten Familienunternehmen
ist dies erfolgt und nicht in den großen DAX-Konzernen.
({6})
Die Erbschaftsteuer ist eine reine Mittelstandsteuer.
Denn kein DAX-Konzern hat je 1 Cent Kapital durch die
Erbschaftsteuer verloren. Wenn ein Aktionär verstirbt,
werden seine Aktien beim Erben bewertet. Die Steuer
wird festgesetzt, und Aktien können dann über den Kapitalmarkt veräußert werden. Aber VW, Bayer und sonstige Firmen haben nie 1 Cent Kapital verloren. Das ist
im deutschen Mittelstand anders. Da ist das Vermögen in
die Firma investiert, teilweise über Generationen hinweg. In diesen Familien gilt der Grundsatz: Die Firma
steht vor der Familie. 90 Prozent der Ausschüttungen
müssen häufig in das Unternehmen reinvestiert werden,
um die Zukunft des Unternehmens langfristig sicherzustellen.
Wenn hier mit der Erbschaftsteuer eingegriffen wird,
dann liegt das Geld, das eingenommen werden soll, nicht
in irgendwelchen Banktresoren, sondern es ist in der
Firma gebunden. Um Erbschaftsteuer zu zahlen, muss
Geld aus der Firma genommen werden, Teile der Firma
müssen veräußert werden oder die Firma muss belastet
werden.
Zum angeblichen Vorteil der Stundungsregelung.
Allein durch die Stundungsregelung wird das Rating der
Unternehmen drastisch verschlechtert. Das heißt, die
Kreditzinsen steigen, weil es sich um eine latente Steuerlast des Unternehmens handelt. Sie betrifft massiv die
Refinanzierung des Unternehmens.
({7})
Wer hier ein solches Gesetz auf den Weg bringt, der
muss sich wirklich fragen lassen, ob er es mit dem Erhalt
und der Schaffung von Arbeitsplätzen ernst meint und
wie er es eigentlich mit den Unternehmen in unserem
Lande hält. Betroffen sind nämlich zahlreiche familiengeführte Unternehmen, die zum Wohle der Beschäftigten, aber auch unseres Landes mit Engagement und Kapital arbeiten.
Ich möchte weitere Punkte ansprechen.
Zur Steuerklasse II. Der Freibetrag wird zwar geringfügig erhöht; aber der Eingangssteuersatz steigt um
150 Prozent, von 12 Prozent auf 30 Prozent. Das gilt für
enge Familienangehörige; das gilt auch für Personen, die
in Steuerklasse III sind.
Überall wird gesagt: Schafft Vermögen! Betreibt Altersvorsorge! Wenn von zwei Personen, die zusammenleben - auch als nichteheliche Lebensgemeinschaft und die es im Laufe ihres Lebens geschafft haben, ein
Haus im Wert von 240 000 Euro zu entschulden, um den
Lebensabend ohne Miete bestreiten zu können, eine verstirbt, dann erbt die andere Person die Hälfte des Wertes
dieses Hauses. Das sind in diesem Fall 120 000 Euro.
Bei einem Freibetrag von 20 000 Euro müssen dann
100 000 Euro mit 30 Prozent versteuert werden, sprich:
Steuern in Höhe von 30 000 Euro sind einen Monat nach
Erhalt des Steuerbescheids fällig. Mir liegen schon jetzt
viele Briefe von Bürgern vor, in denen steht: Das können
wir nicht leisten. Wir sind jetzt alt. Wir haben für uns,
für unser Land und für unsere Altersversorgung gearbeitet. Jetzt, da wir alt sind, sollen uns von diesem Erarbei15108
teten 30 Prozent weggenommen werden. Das kann nicht
richtig sein.
({8})
Insofern appelliere ich hier an Sie: Dieser Gesetzentwurf kann so nicht bleiben, auch wenn Herr Koch an seinem Zustandekommen mitgewirkt hat. Wir erleben, dass
Teile der Union sich von diesem Gesetzentwurf distanzieren. Das Kabinett hat ihn gleichwohl beschlossen.
In Österreich - dort ist ebenfalls eine Große Koalition tätig - ist die Situation anders. Herr Finanzminister,
ich zitiere den österreichischen Bundeskanzler, der der
SPÖ und damit vermutlich auch der Sozialistischen Internationale angehört - es handelt sich also um einen
Parteifreund eines Nachbarlandes -:
Tatsache ist, dass es von Mitte 2008 an in Österreich keine Erbschaftssteuer mehr gibt. Ich bitte
Sie, das möglichst breit zu publizieren!
Was bezweckt er denn damit? Einen Wettbewerbsvorteil für Österreich! In der Vergangenheit haben wir erlebt, dass in ganzseitigen Anzeigen dafür geworben
wurde, seinen Sitz nur wegen der Erbschaftsteuer in die
Schweiz zu verlegen. Wer einmal im Ausland ist, der
kommt nicht wieder, der trifft Investitionsentscheidungen nicht mehr aus deutscher Sicht und der zahlt Jahr für
Jahr weder Einkommensteuer noch Körperschaftsteuer
noch Lohnsteuer noch Verbrauchsteuer. Wir müssen alles daransetzen, unseren Standort Deutschland attraktiv
zu machen, und wir müssen uns diesem Wettbewerb stellen. Dieses Gesetz unter einer Großen Koalition mit einer christdemokratischen Kanzlerin auf den Weg zu
bringen, halte ich für abenteuerlich. Es wird Zeit, dass
die Bevölkerung endlich merkt, welche Steuererhöhungen damit vorgenommen werden.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Michael Meister, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir führen heute die erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts
durch. Für uns gibt es in dieser Debatte zwei Ausgangspunkte: Der eine Ausgangspunkt ist die Erleichterung
der Unternehmensnachfolge beim Übergang in die
nächste Generation. Der zweite Ausgangspunkt ist das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns vorgibt,
dass wir auf der Bewertungsebene den in Art. 3 des
Grundgesetzes verankerten Gleichheitsgrundsatz beachten müssen.
Ich möchte zunächst einmal sagen: Es ist uns ein
wichtiges Anliegen, dass die Sozialbindung des Eigentums deutlich hervorgehoben wird. Wir haben in
Deutschland die Kultur, dass es viele mittelständische
Familienunternehmen gibt. Diese Familienunternehmen
haben zur Erfolgsstory der vergangenen zwei Jahre maßgeblich beigetragen. Denn in diesen Unternehmen war
ein überproportional großer Aufwuchs an Arbeitsplätzen
zu verzeichnen. Im Interesse des Standortes Deutschland
müssen wir dafür sorgen, dass der mittelständische Sektor auch in Zukunft gestärkt wird. Damit tun wir etwas
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Das ist unser zentrales Ziel.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Firmeneigentümer und Firmenlenker haben eine soziale Verantwortung
für ihre Mitarbeiter, die sie auch wahrnehmen. Wir sprechen jetzt nicht über anonyme Kapitalgesellschaften,
sondern über Gesellschaften, deren Eigentümer eine soziale Verantwortung für ihre Mitarbeiter haben. Wir wollen sicherstellen, dass diese Kultur nicht zerstört wird.
Die Kultur der sozialen Verantwortung im unternehmerischen Bereich muss gewahrt werden.
({1})
Deshalb müssen wir bei der Erbschaftsteuer eine Regelung treffen, die die Weitergabe eines Unternehmens an
die nächste Generation ermöglicht, und zwar unter Erhalt dieser Kultur, unter Wahrung der Arbeitsplätze und
unter Fortführung der Unternehmen.
({2})
Der zweite Punkt, der Anlass für die heutige Debatte
ist, ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach
dem wir alle Vermögensarten - unternehmerisches Vermögen, Immobilienvermögen, Barvermögen und landund forstwirtschaftliches Vermögen - zum gemeinen
Wert, sprich: zum Verkehrswert, einheitlich zu bewerten
haben. Durch dieses Urteil werden die Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers maßgeblich eingeschränkt.
Wir haben keinerlei Spielraum. Da wir aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, ist
es auch ein Stück weit fahrlässig, den Status quo mit der
künftigen Gesetzgebung zu vergleichen.
({3})
Für viele steht die Frage im Mittelpunkt: Wie wird der
Verkehrswert überhaupt ermittelt? Wir haben gefordert,
die Wertermittlungsverordnung, die eigentlich nicht Gegenstand der Beratungen im Deutschen Bundestag ist,
rechtzeitig vorzulegen und im Rahmen einer Anhörung
zu thematisieren, damit wir auch die Frage, wie die
Werte ermittelt werden, im parlamentarischen Verfahren
gemeinsam erörtern können. Ich glaube, dieser Aspekt
ist für alle Betroffenen sehr wichtig. Wir werden die
Wertermittlung ernsthaft beraten und versuchen, hier zu
vernünftigen Lösungen zu kommen.
({4})
In Anbetracht des Urteils des Bundesverfassungsgerichts kann es uns nur darum gehen, BegünstigungsregeDr. Michael Meister
lungen auf der Ebene der Besteuerung zu treffen. Ich
möchte aber, bevor ich zu den Details komme, zunächst
einmal die zwei Grundfragen offenlegen, die wir uns zu
Beginn gestellt haben.
Erstens. Brauchen wir in Deutschland in Zukunft
überhaupt eine Erbschaftsteuer? Nachdem wir alle Argumente, die dafür und dagegen sprechen, abgewogen haben, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir an
der Erbschaftsteuer festhalten wollen.
({5})
Herr Kollege Thiele, auf diese Frage habe ich eigentlich
auch von Ihnen eine Antwort erwartet. Sie haben viele
Fragen gestellt. Ich habe aber keine Aussage dazu gehört, ob die FDP für die Abschaffung oder für die Beibehaltung der Erbschaftsteuer ist. Dazu haben Sie kein
Wort gesagt. Offensichtlich hat die FDP hierzu keine
Meinung. Sie haben sich zu dieser Frage nicht geäußert.
({6})
Zweitens. Wir haben uns Gedanken darüber gemacht,
ob wir eine Steuer, deren Aufkommen den Ländern zufließt und die von den Ländern gestaltet werden könnte,
tatsächlich auf Bundesebene regeln müssen. In unserer
Arbeitsgruppe haben wir den Vertretern der Länder angeboten, das Steuerrecht selbst zu bestimmen. Die Länder waren aber der Meinung, dass es besser sei, dies auf
Bundesebene einheitlich zu regeln. Deshalb unterzieht
sich der Deutsche Bundestag nun der Übung, ein bundesweit einheitliches Erbschaftsteuerrecht zu entwickeln, und wir stehen gerade erst am Beginn unserer Beratungen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Thiele?
Gerne, Herr Präsident.
Herr Kollege Meister, da Sie gesagt haben, Sie wüssten nicht, welche Vorstellungen die FDP zur Erbschaftsteuer hat, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist,
dass der Bundesparteitag der FDP einen Beschluss gefasst hat, der besagt, dass die Erbschaftsteuer als reine
Ländersteuer von den Ländern gestaltet und erhoben
werden sollte. Das verstehen wir unter Wettbewerbsföderalismus.
({0})
Der Bund muss nicht alle Steuern selbst regeln. Das
gilt erst recht für die Steuern, aus denen er überhaupt
keine Einnahmen erzielt. Dieses Vorgehen funktioniert
auch in anderen Ländern, zum Beispiel in der Schweiz.
Nach unserer Auffassung würde das auch in Deutschland funktionieren. Es ist also nicht so, dass die FDP
keine Vorstellungen zur Erbschaftsteuer hat. Ich bitte
Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass die FDP sehr wohl
eine Meinung zu diesem Thema hat. Den genauen Wortlaut unseres Parteitagsbeschlusses stelle ich Ihnen im
Anschluss an diese Debatte jederzeit gerne zur Verfügung.
Lieber Herr Kollege Thiele, Sie haben in Ihrer Rede
bedauerlicherweise nichts zu dieser Frage gesagt. Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich, dass Sie jetzt in Ihrer
Frage darauf Bezug genommen haben.
Ich habe die Frage gestellt, ob die FDP an der Erbschaftsteuer festhalten möchte und, wenn ja, ob sie bundesweit gelten soll oder ob jedes Land für sich darüber
entscheiden soll. Dazu haben Sie weder in Ihrer Rede etwas gesagt, noch geht das aus dem Beschluss Ihres Bundesparteitages hervor.
({0})
Sie sagen lediglich, dass diese Entscheidung auf die
Länderebene delegiert werden soll. Sie sind ja in einigen
Landtagen vertreten und an einigen Landesregierungen
beteiligt. Deshalb müssen Sie in dieser grundsätzlichen
Frage einmal Position beziehen! Dieser Frage dürfen Sie
nicht ständig auszuweichen versuchen.
({1})
Wir haben es den Ländern anheimgestellt, diese Frage
selbst zu regeln. Die Länder haben uns gesagt, dass sie
an einer bundesweit einheitlichen Lösung interessiert
sind. Deshalb beraten wir hier gemeinsam. Ich möchte
ausdrücklich festhalten, dass ich glaube, dass die Arbeitsgruppe, die getagt und die Eckpunkte für den Entwurf für diese erste Lesung vorgelegt hat, eine gute
Grundlage für die Beratungen geschaffen hat, wenngleich wir Änderungsbedarf sehen.
({2})
Ich will auf beide Punkte eingehen, zum Ersten auf
die Beratungsgrundlage und zum Zweiten auf den Änderungsbedarf. Ich will an dieser Stelle in Erinnerung rufen, was der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion
gesagt hat: Kein Gesetz, das dieses Haus betritt, wird es
auch so verlassen. Wir als Unionsfraktion werden zeigen, dass dieses Struck’sche Gesetz auch für dieses Gesetzgebungsverfahren gilt.
({3})
Zunächst einmal zu den positiven Aspekten. Wir haben durch eine deutliche Erhöhung der Freibeträge in
allen Steuerklassen dafür gesorgt, dass normales Gebrauchsvermögen - auch ein Einfamilienhaus, das innerhalb der Familie vererbt wird - steuerfrei vererbt werden
kann. Das ist natürlich in extremen Lagen schwer darzustellen, wenn man bundeseinheitliche Gesetze macht.
Aber im Regelfall können wir davon ausgehen, dass die
Freibeträge im vorliegenden Gesetzentwurf so gestaltet
sind, dass die Menschen bessergestellt werden, obwohl
der Wert von Immobilien jetzt höher angesetzt werden
muss.
Wir wollen, dass unternehmerisches Vermögen leichter an die nächste Generation weitergegeben werden
kann. Wir haben diesen Ansatz mit der Abschmelzregelung realisiert. Man kann - Herr Steinbrück hat das angesprochen - darüber streiten, ob man Privatvermögen
und Unternehmensvermögen voneinander abgrenzen
sollte oder ob eine pauschalierte Regelung angebracht
wäre. Ich habe mich persönlich mehr als fünf Jahre mit
dieser Thematik auseinandergesetzt und muss sagen: Es
gibt keine saubere Lösung dafür, wie man eine solche
Abgrenzung vornehmen sollte. Deshalb glaube ich, dass
der Pauschalierungsansatz vertretbar ist und in die richtige Richtung weist. Über die Höhe haben wir gerungen;
die 15 Prozent sind ein Kompromiss. Bei unserem jetzigen Ansatz wird das Weltvermögen des Unternehmens
einbezogen. Das will ich klar und deutlich sagen; denn
der eine oder andere hat daran Zweifel geäußert. Auch
das ist ein gewaltiger Schritt nach vorne.
In der Debatte ist zu Recht die Lösung für Kleinbetriebe angesprochen worden, die dafür sorgt, dass viele
Unternehmen von der Erbschaftsteuer überhaupt nicht
tangiert werden. Damit stellt sich die Frage der Bürokratie an dieser Stelle nicht. Wir sollten da nicht für Verunsicherung sorgen.
Im Immobilienbereich wird ein 10-Prozent-Abschlag
gewährt. Auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch möglicherweise nicht ausreichend. Es
muss überlegt werden, wie wir mit großen Immobilienbeständen umgehen, wenn Arbeitsplätze daran hängen.
Möglicherweise müssen wir ähnlich wie bei privaten
Banken, ähnlich wie bei Unternehmen, die mit Edelmetallen handeln, überlegen, wie wir die Strukturen bewahren. Denn auch am Immobiliensektor hängen viele
Arbeitsplätze. Deshalb glaube ich, dass wir uns diesen
Punkt noch einmal anschauen müssen.
Herr Thiele hat das Rating von Unternehmen angesprochen. Der Steuerschuldner ist nicht das Unternehmen, der Steuerschuldner ist der Eigentümer. Deshalb
hat die ganze Geschichte auf die Frage des Ratings eines
Unternehmens keinerlei Auswirkungen. Die Frage einer
Verschuldung des Unternehmens ist nämlich nicht tangiert.
Die Begünstigung der Landwirtschaft, die wir mit
dem Bewertungsverfahren zur adäquaten Abbildung der
Verhältnisse in der Landwirtschaft einzuführen versuchen, ist dargestellt worden.
Meine Fraktion hat das Ansinnen, die Anhörung und
die Hinweise aus dem Bundesrat, der ja zeitgleich mit
uns tagt, ernst zu nehmen und zu schauen, wie wir die
Anregungen, die gegeben werden, miteinander umsetzen
können. Wenn ich das richtig sehe, gibt es ein Problem
bei Geschwistern; Kollege Thiele hat das angesprochen.
Wir müssen überlegen, ob der Tarifverlauf in der Steuerklasse II im Verhältnis zu dem in der Steuerklasse III
adäquat ist oder ob nicht, wenn es zwischen Geschwistern, Neffen und Nichten zur Vererbung kommt, eine andere als die gegenwärtig vorgeschlagene Tarifierung angebracht wäre.
({4})
Wir sehen eine 15-jährige Bindungsfrist vor, während der man aus dem Unternehmen nichts ins Privatvermögen übernehmen darf. Die Berechnung dieser Frist
könnte Ihnen ein Mathematiker sauber darstellen. Man
kann sich ausrechnen, dass es genau dieser Zeitraum
sein muss, um Steuerneutralität zu erreichen.
Wir reden hier aber nicht nur über Steuern, sondern
auch über betriebswirtschaftliche Entscheidungen und
Planungshorizonte von Unternehmen. Deshalb glaube
ich, dass wir trotz der Steuerneutralität noch einmal prüfen müssen, ob die 15 Jahre angemessen sind oder ob
wir an dieser Stelle nicht zu einer Vereinheitlichung der
Fristen auf 10 Jahre kommen können, die ja auch bei der
Abschmelzung vorgesehen sind.
({5})
Ein riesiges Problem ist die Beantwortung der Frage,
was die Pönale ist, wenn es zur Verletzung der Kriterien
zur Begünstigung kommt. Ich glaube, an dieser Stelle
gilt es zu bedenken: Wenn sich jemand 14 bzw. 9 Jahre
lang ordentlich verhalten hat, dann sollte er nicht so behandelt werden wie derjenige, der schon im ersten Jahr
die Regeln verletzt. Deshalb müssen wir über eine Differenzierung der Pönale nachdenken und müssen uns überlegen, ob wir hier nicht zu einer entsprechenden Reduzierung kommen sollten, wie das dem Gedanken des
Abschmelzmodells entspricht.
({6})
Der Normenkontrollrat weist uns darauf hin, dass ein
großer Bürokratie- und Administrationsaufwand erforderlich ist, um die Begünstigung einzuführen und die
Wertermittlung vernünftig zu vollziehen. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf in den Beratungen mit Sicherheit noch einmal darauf überprüfen, ob wir den Administrations- und Bürokratieaufwand im Interesse der
Finanzverwaltung und der Steuerzahler vermeiden können. Ein Punkt dabei ist die vorhandene Dynamisierung
der Lohnsumme. Ich glaube, an dieser Stelle müssen wir
prüfen, welcher Administrationsaufwand verursacht
wird.
Ich komme zu den letzten zwei Punkten, die ich benennen will.
Bei dem ersten Punkt geht es um ein Phänomen, das
es bisher nicht gab, nämlich die theoretisch mögliche
Doppelbelastung durch Erbschaft- und Einkommensteuer. Dazu gibt es zwar keine Vorlage im Gesetzentwurf, aber es liegt eine Protokollnotiz der Arbeitsgruppe
von Herrn Koch und Herrn Steinbrück vor, aus der hervorgeht, dass wir uns diesem Problem zuwenden wollen.
Dieses Problem tritt auf, weil sowohl bei der Erbschaft- als auch bei der Einkommensteuer die Verkehrswerte für die Besteuerungsgrundlage herangezogen werden. Das haben wir bisher nicht getan. Bisher sind wir in
der Erbschaftsteuer von Bilanzwerten ausgegangen. Um
diesen Effekt auszugleichen, müssen wir uns das Problem der Doppelbelastung noch einmal anschauen und
hier zu einer Lösung kommen. Ich glaube nicht, dass wir
das Problem durch dieses Gesetz lösen; aber wir müssen
uns ernsthaft vornehmen, durch Regelungen hinsichtlich
der Einkommensteuer eine Lösung für die Betroffenen
zu finden.
({7})
Meine letzte Bemerkung bezieht sich auf die deutsche
Landwirtschaft. Wir haben hier einen Gesetzentwurf
vorgelegt, der dazu führen wird, dass die deutsche Landwirtschaft durch die Erbschaftsteuer nicht stärker belastet wird, als das heute der Fall ist. Wir haben nach langen
Diskussionen Verfahren gefunden, die dazu führen, dass
es an dieser Stelle zu einer adäquaten Bewertung
kommt. Ich glaube, wir müssen uns auch noch einmal
das Problem der Pachtflächen anschauen und prüfen,
welche adäquaten Lösungen wir für große Pachtbetriebe
finden können.
In diesem Sinne lade ich dazu ein, dass wir dieses
Verfahren gemeinsam konstruktiv begleiten, die Emotionen ein Stück weit außen vor lassen und versuchen, mit
Ratio gemeinsame Lösungen für die angesprochenen
Probleme zu finden. Ich würde mich freuen, wenn das in
den nächsten Wochen in diesem Hause hier und auch bei
den Kollegen im Bundesrat möglich wäre.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile Kollegin Barbara Höll, Fraktion Die Linke,
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Meister, mir fällt es in dieser Debatte schwer, meine
Emotionen zu beherrschen.
({0})
Herr Steinbrück hat sich hier hingestellt und hochzufrieden verkündet: Erben wird günstiger in Deutschland. - Richtig!
({1})
Wenn man die Debatten am gestrigen und am heutigen
Tag betrachtet, dann bemerkt man, dass Sie das mit einem hohen Grad an Befriedigung erreicht haben.
1,2 Milliarden Euro müssen wir der IKB zuschießen.
Gestern haben wir hier in diesem Hause einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Waren und Dienstleistungen
für Kinder beantragt, nämlich eine Senkung von 19 Prozent, die Sie beschlossen haben, auf 7 Prozent.
({2})
Herr Bernhardt meinte, dass das etwa 1,5 Milliarden
Euro kosten würde. Dafür ist kein Geld da; das geht
nicht.
Schauen Sie sich die Regelsätze bei Hartz IV an. Ich
habe sie mir für diese Debatte noch einmal herausgesucht. Für ein Kind im Alter von unter 14 Jahren werden
208,20 Euro im Monat gezahlt. Das sind am Tag
6,94 Euro. 38 Prozent davon - also 2,64 Euro - sind für
Lebensmittel, Getränke und Tabak vorgesehen. Es ist
übrigens schön, dass Sie den Tabak auch schon für Babys vorsehen. Wissen Sie, was ein Schulessen kostet?
Kein Schulessen in Deutschland, wenn es überhaupt angeboten wird, kostet im Durchschnitt unter 2 Euro, sondern 2,20 bis 2,70 Euro; dort, wo Ökologisches angeboten wird, wird es meistens noch teurer. Aber Sie sagen
hier: Erben wird günstiger. Na schön, prima! Das kann
sich unsere Gesellschaft leisten? Nein, das kann sich unsere Gesellschaft eben nicht leisten!
({3})
Die Unternehmensberatung BBE geht für die nächsten Jahre davon aus, dass zwischen 2006 und 2015
2,5 Billionen Euro von Familien an junge Menschen
übergehen. Sie streben eine Belastung von 2 Prozent an,
jährlich 4 Milliarden Euro. 98 Prozent des Vermögensübergangs sollen nach Ihrer Auffassung steuerfrei bleiben. Das können wir uns leisten? Wie hoch ist denn die
Lohnsteuer? Wie hoch sind andere Steuern? Da greift
der Staat zu; er greift zwar nicht gerecht, aber berechtigt
zu, denn wir alle leben im Gemeinwesen.
Folgende Zahlen, wonach 1 Prozent der Bevölkerung
über 20 Prozent des Vermögens der Bundesrepublik
Deutschland besitzen oder, wenn wir es etwas erweitern,
10 Prozent der Bevölkerung 60 Prozent des Vermögens
besitzen, aber mehr als zwei Drittel der Bevölkerung
über 17 Jahre nichts oder fast nichts besitzen, belegen
klar, dass die Vermögensverteilung in Deutschland
noch ungerechter als die Einkommensverteilung ist. Wir
sind doch einfach in der Pflicht, dies etwas gerechter zu
gestalten,
({4})
um Aufgaben wie Bildung und Chancengleichheit für
Kinder finanzieren zu können.
Da hier der internationale Vergleich immer so hochgehalten wird, wäre es wichtig, Folgendes zu betrachten:
Von 30 OECD-Ländern erheben lediglich sieben Staaten
keine Erbschaftsteuer. In drei Staaten davon wurde bei
der Abschaffung dieser Steuer allerdings eine Teilkompensierung eingeführt.
Für wichtig halte ich, wie hoch der Anteil der Erbschaftsteuer am Bruttoinlandsprodukt ist. In Deutschland beträgt er 0,16 Prozent, in Großbritannien hingegen
0,28 Prozent. Das sind 3 Milliarden Euro pro Jahr mehr,
eine Summe, die ja wohl nicht zu verachten ist, mit der
man das kostenfreie Mittagessen für alle Kinder sicherlich finanzieren könnte. In den Niederlanden liegt dieser
Anteil bei 0,34 Prozent und im Durchschnitt der EU der
15 bei 0,31 Prozent.
({5})
Wenn wir nur den Durchschnitt erreichten, hätten wir
wesentlich mehr Geld für anstehende wichtige Aufgaben.
({6})
Aber Sie sagen: Erben wird günstiger. - Schön! Wir
brauchen das Geld nicht. - Denn vor dem Hintergrund
der ansteigenden Erbmasse bedeutet Ihr Vorschlag konkret eine massive Senkung der Erbschaftsteuer.
({7})
- Ja, weil das zu vererbende Vermögen steigt.
({8})
Außerdem beachten Sie nicht die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass eine tatsächlich realistische Bewertung von Immobilien und Betriebsvermögen
erfolgen soll. Mit welcher Berechtigung sollen
85 Prozent des Betriebsvermögens verschont werden?
Darauf antworte nicht ich; vielmehr sollten wir uns an
dem orientieren, was die Industrie selber sagt. Heute
steht ein wunderbarer Artikel in der Frankfurter Rundschau, in dem Herr Stratthaus, Finanzminister von Baden-Württemberg, zitiert wird: Niemand von den Mittelständlern, die immer über die Erbschaftsteuer jammern,
muss sie bezahlen. - Es ist ein Phantomschmerz.
({9})
Ich möchte Ihnen noch ein Zitat vom DIW vortragen:
So gibt es keine empirische Evidenz zu besonderen
erbschaftsteuerbedingten Problemen bei der Nachfolge von Familienunternehmen, …
- ich habe in einer Kleinen Anfrage danach gefragt, ob
überhaupt ein Fall bekannt ist, in dem die Erbschaftsteuer dazu geführt hat, dass es beim Übergang des
Unternehmens zu Schwierigkeiten gekommen ist; Sie
konnten nicht einen Fall benennen, es ist heute kein Problem … auch die bisherige Stundung wird offenbar kaum
in Anspruch genommen.
Diese Möglichkeit gibt es ja schon.
Unternehmen können auch von Nichtfamilienmitgliedern erfolgreich fortgeführt werden. Das Abschmelzmodell würde die Übertragung von millionenschweren Unternehmensvermögen steuerfrei
stellen, bei denen keine nennenswerten steuerlich
bedingten Liquiditätsprobleme auftauchen.
Das Ganze hat nichts mit Existenzgefährdung zu tun,
es hat nichts mit Gefährdung der Unternehmensfortführung zu tun. Ihre Entlastung ist überflüssig und unnötig,
und sie belastet die Allgemeinheit.
({10})
Interessant ist auch, wie Sie Ihr Vorhaben ausgestalten. Wenn man die bestehende und die geplante Regelung vergleicht, ist bei einer Unternehmensübergabe
an Nichtfamilienmitglieder eine massive Höherbelastung für Unternehmen mit einem Verkehrswert bis zu
1 Million Euro festzustellen. Das ist der einzige Bereich,
in dem Sie wirklich eine massive Anhebung planen. Das
heißt, bei den kleinen Betrieben mit einem Verkehrswert
bis zu 1 Million Euro planen Sie eine Anhebung; bei den
anderen Unternehmen bleiben die Steuersätze im Wesentlichen unverändert. Das kann doch nicht wahr sein.
({11})
Es ist doch ein Hohn, wenn Sie sagen, dass kleine und
mittelständische Unternehmen entlastet werden. Gerade
ihnen gegenüber ist Ihr Vorhaben nicht gerecht.
Herr Steinbrück hat das Beispiel des Einfamilienhauses genannt, für das auch künftig keine Erbschaftsteuer
gezahlt werden müsse. Mit Ihrer Diskussion zur Unternehmensnachfolge lenken Sie davon ab, dass Sie die
Ausgestaltung der Erbschaftsteuer, die bereits heute nur
zu 8 Prozent von den Unternehmen gezahlt wird - 92 Prozent entfallen auf den Übergang von Privatvermögen
durch Erbschaft -, zur massiven Entlastung der Unternehmen wieder durch die Privatvermögen finanzieren
lassen wollen. Sie sehen eine massive Besserstellung der
traditionellen Familie - Vater, Muter, Kind - bei einer
Schlechterstellung der Steuersätze in Steuerklasse II
und III für andere Verwandte und sonstige Erben vor.
Das erwähnte Beispiel der Geschwister spricht wirklich
Hohn.
Lassen Sie mich mit einem Blick auf die Zahlen
schließen. Die Zahlen des vergangenen Jahres - Herrn
Steinbrücks Beispiel des Einfamilienhauses und der
Villa und die daraus scheinbar resultierenden Freibeträge
sind an den Haaren herbeigezogen - zeigen, dass es in
Deutschland ganze vier Städte gibt - nämlich Hamburg,
München, Stuttgart und Düsseldorf -, in denen der Verkehrswert eines normalen Einfamilienhauses mit einem
kleinen Grundstück über 300 000 Euro beträgt. Sie sehen also auch in dem Bereich eine massive Anhebung
der Freibeträge vor. Offenbar wollen Sie weniger Geld
einnehmen.
Wenn Sie behaupten, die 4 Milliarden Euro seien eine
solide Grundlage, sage ich Ihnen: Ich zweifele die Zahlen massiv an. Auf unsere Nachfragen hat das Finanzministerium angegeben, über keine entsprechenden Zahlen zu verfügen. Den Berechnungen wurden zum
Beispiel bei einer Übergabe im Unternehmensbereich
erst Zahlen ab 50 Millionen Euro zugrunde gelegt.
Sie haben also gar keine Zahlen. Konkret wird damit
zu rechnen sein, dass noch weniger Geld für Bildung,
Kinder und damit für unsere Zukunft zur Verfügung
steht.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat nun Christine Scheel, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sollten auch darüber reden, dass maßgebliche Kräfte in
dieser Gesellschaft das Ziel haben, die Erbschaftsteuer
abzuschaffen. Diese Kräfte finden sich in der FDP, und
da hilft es nichts, wenn Herr Thiele feststellt, die FDP
wolle zwar, dass die Erbschaftsteuer erhoben wird, aber
in Verantwortung der einzelnen Bundesländer, das heißt,
nicht durch ein Rahmengesetz des Bundes, sondern in
ausschließlicher Zuständigkeit der Länder. Ich behaupte,
dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelt.
Denn Sie weisen bei jeder Gelegenheit darauf hin, in
welchen Ländern die Erbschaftsteuer nicht mehr erhoben wird, dass sie hochbürokratisch
({0})
und im Übrigen unnötig ist. Deswegen plädiere ich für
mehr Ehrlichkeit und Offenheit, statt so zu tun, als ob
man für ein anderes Modell wäre, obwohl man in Wirklichkeit die Erbschaftsteuer abschaffen will.
({1})
Das gilt übrigens auch für einzelne in der Union und
für diejenigen, die wir als Wirtschaftselite bezeichnen.
Auch dort findet die Debatte statt. In der Diskussion
muss bei allem, was sich in der heutigen Zeit ereignet
- Herr Zumwinkel hat wohl zwischenzeitlich seinen
Rücktritt angeboten -,
({2})
auch berücksichtigt werden, wie sich ein solches Vorhaben auf das Gerechtigkeitsgefühl in dieser Gesellschaft
auswirkt. Wie wirkt sich eine solche Diskussion auf den
sozialen Zusammenhalt aus, den wir in unserer Bundesrepublik dringend brauchen?
({3})
Wir alle haben Verantwortung, wenn es um den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft geht. Hierzu gehört eine
vernünftig ausgestaltete Erbschaftsteuer.
({4})
Die soziale Kluft in der Gesellschaft vergrößert sich.
Die reichsten 10 Prozent der Deutschen besitzen zwei
Drittel des gesamten Volksvermögens, die ärmste Hälfte
dagegen fast gar nichts. Wir wissen, dass Deutschland so
wohlhabend wie noch nie ist. Das Gesamtvermögen der
Bundesrepublik Deutschland beträgt 5,4 Billionen Euro.
Das zeigt, dass Deutschland ein reiches Land ist, und das
ist auch gut so. Bei gleichmäßiger Verteilung wären das
81 000 Euro pro Kopf. Realität ist aber, dass immer
mehr Menschen immer weniger und einige immer mehr
haben. Die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung
verharrt nicht beim Status quo, sondern nimmt zu. In
diesem Kontext bedeutet die geplante Ausgestaltung der
Erbschaftsteuer, die eine stärkere Entlastung der Vermögenden zur Folge hätte, dass sich diese Schere noch weiter öffnet. Genau das wollen wir nicht.
({5})
Laut einer in der FAZ veröffentlichten AllensbachUntersuchung sehen nur 15 Prozent der Deutschen die
wirtschaftlichen Verhältnisse als gerecht an. Man muss
insbesondere von den Leistungsträgern und Leistungsträgerinnen in dieser Gesellschaft mehr Geld verlangen,
um das zu tun, was wir für die Zukunft brauchen. Nicht
nur meine Fraktion stellt die Bildung immer wieder in
den Vordergrund. Bildung wird von allen als Himmelsleiter für den sozialen Aufstieg beschworen. Doch der
Zugang zu dieser Leiter hängt zunehmend davon ab, ob
Familien Vermögen haben, ob Kinder von den Bildungsinvestitionen der Familie profitieren können. Begüterte
Familien vererben praktisch die Bildungschancen, die
für einen höheren sozialen Status entscheidend sind, an
die nächste Generation. Wir brauchen aber Einnahmen,
um etwas für Kinder und Jugendliche aus bildungsarmen
Schichten zu tun. Das Ganze hat schließlich einen materiellen Hintergrund.
({6})
Wir alle wollen mehr Ganztagsbetreuung und mehr
Bildungsinvestitionen. Deshalb brauchen die Bundesländer - die Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer - Einnahmen, um Bildungsinvestitionen tätigen zu können. Wir
können auf der Bundesebene nur an die Bundesländer
appellieren: Kommt auch ihr eurer Verantwortung nach
und sorgt dafür, dass die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer für Bildungsinvestitionen in die Zukunft unserer
Kinder verwendet werden und nicht zum Beispiel für
den Straßenbau!
({7})
Dann verstehen die Menschen auch, warum es diese
Steuer gibt und dass die Einnahmen daraus einen Beitrag
zur Umverteilung des Vermögens zwischen den Generationen leisten kann. Das ist der Kern der Überlegungen.
In einem weiteren Schritt müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Erbschaftsteuer nach den Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts so ausgestalten können,
dass es gesellschaftspolitisch stimmig ist. Herr Finanzminister, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erzwingt eine gleichmäßige Besteuerung aller
Vermögensarten. Gleichzeitig müssen aber die Bewertungsregeln geändert werden. In der letzten Woche gab
es erste Vorschläge, wie die Bewertungsregeln in verschiedene Rechtsverordnungen überführt werden können und wie sie ausgestaltet werden sollen. Ich kann für
unsere Fraktion nur sagen: Weil das Parlament zu entscheiden hat, ist es zwingend, dass wenigstens die wesentlichen Eckwerte dieses Verfahrens für die Ermittlung
der Verkehrswerte von Betrieben und Immobilien im
Gesetz geregelt werden und nicht lediglich in einer
Rechtsverordnung.
({8})
Wir als Parlament wollen darüber entscheiden. Wir wollen die Regelung der Eckwerte für die Ermittlung nicht
der Exekutive überlassen. Auch das muss ich an dieser
Stelle ganz klar sagen. Ich habe da ein anderes Parlamentsverständnis als anscheinend viele in der Großen
Koalition.
Unsere Kritik richtet sich auch dagegen, dass Sie von
einem sehr antiquierten Gesellschaftsbild ausgehen.
Das hehre Bild intakter Familienverhältnisse wird in
dem Gesetzentwurf festgeschrieben. Die Freibeträge und
die drei Steuerklassen sind nach dem Verwandtschaftsgrad geordnet. Begünstigt werden nahe Verwandte
- Kollegen haben bereits darauf hingewiesen -, alle anderen werden sehr hoch belastet. Das passt nicht in die
heutige Zeit. Wir haben Wahlverwandtschaften, die ständig zunehmen, wir haben Patchworkfamilien, in denen
die Menschen zusammenhalten, wir haben einen demografischen Wandel in dieser Gesellschaft, und wir haben
ein stetig steigendes durchschnittliches Lebensalter, was
dazu führt, dass das solidarische Helfen im Alter einen
immer größeren Stellenwert bekommt. Wenn man diese
Fakten zugrunde legt, dann stellt man fest, dass dieser
Gesetzentwurf auf eine solche Lebensrealität überhaupt
nicht reagiert.
({9})
Es reicht nicht, wenn man die geplante Erbrechtsreform ein bisschen daran anpasst, aber die Erbschaftsteuerreform diese Realität außen vor lässt. Deswegen
brauchen wir eine Zusammenführung der Überlegungen
zur Erbrechtsreform und zur Erbschaftsteuerreform, damit die beiden zusammenpassen. Alles andere ergibt keinen Sinn.
({10})
Es ist nicht einzusehen, dass Menschen, die im hohen
Alter nicht verheiratet zusammenleben, derartig stark
durch diesen Regierungsvorschlag belastet werden. Es
ist doch oft so, dass hochbetagte Geschwister, von denen
einer bzw. eine noch fit ist und die in einem gemeinsamen Haushalt leben, den Bruder bzw. die Schwester
pflegen können. Die werden durch diese Erbschaftsteuerreform gegenüber der heutigen Gesetzgebung enorm
benachteiligt.
({11})
Das kann es nicht sein.
Vielmehr müssen wir uns überlegen, ob Ihr Vorschlag
mit den Steuerklassen, die Sie vorgelegt haben, richtig
ist. Wir sagen: Nein. Wir müssen uns überlegen, ob so
viele Steuerklassen überhaupt Sinn machen oder ob es
besser ist, diese Steuerklassen auf eine oder zwei zu reduzieren und zum Ausgleich der Verwandtschaftsverhältnisse Freibeträge einzuführen. Letzteres wäre eine
moderne Herangehensweise, mit der man auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bzw. die Größe des Vermögens berücksichtigen könnte. Es sollte also nicht nur
der Verwandtschaftsgrad entscheidend sein, sondern
auch die Art und Weise des Zusammenlebens in dieser
Gesellschaft und die Verantwortung, die im Einzelnen
für die jeweiligen Personen übernommen wird.
({12})
Ein weiterer Punkt, den wir kritisieren, ist, dass Vererben und Schenken hochkompliziert werden. Das wird
eine Spielwiese - das garantiere ich Ihnen - für Berater
und Beraterinnen. Das betrifft vor allen Dingen Betriebsinhaber und Betriebsinhaberinnen, die ihren Betrieb einem Nachfolger übergeben. Es stehen Zehntausende von Betriebsübergaben an.
Ich glaube, dass es keinen Sinn ergibt, jahrelang zu
warten, bis die Verschonungsregelung greift. Das zuständige Finanzamt muss nämlich die Betriebsfortführung über 15 Jahre überwachen - das muss man sich einmal überlegen -, bei land- und forstwirtschaftlichen
Betrieben sind es sogar 20 Jahre. Wir hingegen sagen
- übrigens genauso wie der Bundesrat -, dass diese Verschonungsregelung einen zu langen Zeitraum umfasst und
zu bürokratisch ist. Wir brauchen kein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Finanzbehörden und explodierende
Bürokratiekosten für Finanzämter und Unternehmen. Wir
haben von einem Bürokratiemonster gesprochen. Es
werden auch viele Streitigkeiten entstehen.
({13})
Ich habe kein Interesse daran, dass hier Gesetze verabschiedet werden, die die Finanzgerichte lahmlegen. Wir
sollten vielmehr alles dafür tun, damit im Gesetz Klarheit, Transparenz und eine einfache Anwendung geregelt
werden. Wir dürfen das nicht erneut der Rechtsprechung
zur Nachjustierung überlassen.
In dem Sinne hoffe ich, dass wir im laufenden Verfahren in den Ausschüssen einen Schritt weiterkommen.
Ich bin gespannt darauf, wie die Diskussionen vonseiten der Koalition geführt werden. Anscheinend ist man
sich in vielen Punkten überhaupt noch nicht einig. Wir
werden jedenfalls unseren Beitrag leisten und Vorschläge zu dem Gesetzentwurf einbringen, um zu einem
fairen Ausgleich zwischen den Generationen zu kommen, damit unser Land für die Zukunft vernünftig aufgestellt ist.
Danke schön.
({14})
Das Wort hat nun Florian Pronold für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Debatte über die Erbschaftsteuer erinnert
mich ein bisschen an die Debatte über die Abgeltungsteuer. Die Banken haben jahrelang die Einführung der
Abgeltungsteuer gefordert, um zu verhindern, dass das
Kapital ins Ausland flüchtet. Dann hat man die Abgeltungsteuer nach langen politischen Debatten eingeführt
({0})
mit dem Ergebnis, dass den Bürgerinnen und Bürgern
pro Jahr 1,7 Milliarden Euro Steuern geschenkt werden.
({1})
Das trifft überwiegend diejenigen, die bisher stark belastet sind. Bei denjenigen, die nicht so stark belastet sind,
ändert sich im Prinzip nichts; Stichworte „Steuerfreibetrag“ und „Nachveranlagung mit dem persönlichen
Steuersatz“.
({2})
Anstatt die Banken nun die Einführung der Abgeltungsteuer gelobt hätten, machen sie nun in jedem
Schaufenster und in vielen Werbebriefen darauf aufmerksam, dass man von der Abgeltungsteuer bedroht
wird und dringend zur Bank gehen sollte, um sich beraten zu lassen. Damit wird das, was wir mit der Einführung der Abgeltungsteuer erreichen wollten, sozusagen
auf den Kopf gestellt. Die Banken führen die Beratungsgespräche nur aus Eigeninteresse; denn sie müssen nicht
vor der Abgeltungsteuer warnen. Sie wollen in diesen
Gesprächen mit den Leuten Geschäfte machen.
Ähnlich läuft es jetzt bei der Erbschaftsteuerreform.
Aus der Wirtschaft kamen Forderungen nach einem Abschmelzmodell. Über zehn Jahre soll abgeschmolzen
werden. Das bedeutet aber - egal wie die Regelungen
sind -, dass die Fortführung des Betriebes zehn Jahre
lang überprüft und an bestimmte Kriterien gebunden
werden muss. Die öffentliche Verwaltung muss das zehn
Jahre lang überprüfen; das bezieht sich auf das alte Modell. Zur Frage, wie sich das auf die Banken auswirkt, ist
anzumerken: Wenn man die Kriterien des Abschmelzmodells nicht einhält, dann muss man später Steuern
nachzahlen, und die Banken werden selbstverständlich
in ihrem Rating die Kreditwürdigkeit bewerten. Wie gesagt, die Forderung nach diesem Modell kam aus der
Wirtschaft, das hat sich nicht die Politik ausgedacht.
Jetzt beginnt die Rosinenpickerei. Man will nur die
Rosinen, aber nichts vom Rest des Kuchens. Aber einen
Kuchen, der nur aus Rosinen besteht, gibt es nicht.
({3})
Die öffentliche Debatte wird genauso geführt. Man will
nur die Rosinen herauspicken. So macht man den Menschen Angst, obwohl es dafür überhaupt keine Grundlage gibt.
Wir als Sozialdemokraten hätten sehr gerne mehr
Erbschaftsteuer eingenommen. Wir finden, nur 2 Prozent des gesamten zu vererbenden Vermögens in mehr
Forschung, mehr Bildung, mehr Kinderbetreuung zu investieren, ist zu wenig. Aber wir haben einen Koalitionspartner, der zwar auch die Kinderarmut bekämpfen will,
aber offensichtlich nicht über die Erbschaftsteuereinnahmen. Wir mussten uns einigen und haben einen Betrag
von 4 Milliarden Euro errechnet.
Es gibt in diesem Zusammenhang allerdings eine
spannende Differenz. Die Linkspartei meint, das Erbschaftsteueraufkommen wird viel geringer sein als
4 Milliarden Euro. Die FDP sagt, es wird viel höher sein.
Das ist ein spannendes Thema, das müssen wir uns genauer anschauen. Aus meiner Sicht könnten dann auch
bestimmte Ängste beseitigt werden. Bisher liegt das Erbschaftsteueraufkommen bei 4 Milliarden Euro. Herr
Thiele, für dieses Jahr sind übrigens 4,2 Milliarden Euro
prognostiziert. Man kann nicht so rechnen und sagen:
Der Durchschnitt der letzten zehn Jahre liegt bei
3,2 Milliarden Euro, jetzt werden es 4 Milliarden Euro
sein, das ist dann eine Steuererhöhung um 800 000 Euro.
({4})
Was Sie hier verbreiten, ist wahnwitziger Unsinn.
({5})
Wir haben für das nächste Jahr 4,2 Milliarden Euro eingeplant. Wenn man sich jetzt 4 Milliarden Euro als Ziel
setzt, ist das mit Sicherheit keine Mehreinnahme.
({6})
- Eine Schätzung von der FDP hat noch nie gestimmt;
da bin ich mir relativ sicher.
({7})
Wir haben bisher Einnahmen von 300 Millionen Euro
aus Betriebsvermögen. Das wird nicht mehr. Wir haben
bisher 20 Millionen Euro aus dem Bereich Landwirtschaft. Auch das wird nicht mehr.
Jetzt bin ich überrascht, wie anhand dieser Zahlen solche Horrorszenarien und Untergangsszenarien an die
Wand gemalt werden können. Die sind schlichtweg
falsch.
({8})
- Wir können gern in die Bereiche gehen.
({9})
- Gern.
({10})
Gehen wir zu der Frage über, über die jetzt öffentlich
mit Spannung diskutiert wird: Wie lang sollen die Haltefristen sein? Über diese Frage kann man durchaus reden. Wir haben auch in der Koch/Steinbrück-Arbeitsgruppe ausführlich über diese Frage gesprochen. Peer
Steinbrück hat dargelegt, warum wir von einem reinen
Abschmelzmodell zu einem pauschalierten Ansatz gekommen sind. Wenn ich das in Erinnerung rufen darf:
Der erste Vorschlag war übrigens, 30 Prozent pauschal
zu besteuern.
({11})
- Deshalb hat die Union auch darauf gedrängt, dass das
niedriger wird.
({12})
- Ja. - Weil die Union die verfassungsrechtlichen Probleme hinsichtlich der Gleichbehandlung sehr wohl
sieht, hat sie aber zugestanden, dass man im Gegenzug
die Haltefristen verlängern und auch die Frage der vermögensverwaltenden Gesellschaften beantworten muss.
Diese beiden Parameter, die im Entwurf zunächst anders
waren, sind verschärft worden, um dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Verfassung und dem Aufkommensaspekt Rechnung zu tragen.
Natürlich kann man über die Frist von 15 Jahren diskutieren. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber
man muss wissen, dass dann an anderer Stelle Änderungen erforderlich werden, erstens um das Aufkommen sicherzustellen und zweitens um die Verfassungsgemäßheit hinsichtlich der Behandlung der unterschiedlichen
Vermögensarten sicherzustellen.
Jetzt darf ich denjenigen in der Union und anderswo,
die immer Zweifel an der Regelung haben, einmal etwas
vorlesen. Günter Weber, Herausgeber des Steuertip
- kein Freund der Erbschaftsteuer -, schreibt:
Kaum zu glauben aber, dass ausgerechnet aus Kreisen der CDU und vor allem der CSU verlangt wird,
dass die 15-Jahre-Haltefrist auf 10 Jahre gesenkt
werden soll. Spielt doch jede Verkürzung den Playboys der jungen Generation in die Karten, die möglichst schnell das in jahrzehntelanger Arbeit von
den Eltern Aufgebaute auf Ibiza, den Seychellen
oder in Spielerparadiesen verjuxen wollen.
({13})
- Das habe nicht ich gesagt.
Ich darf daran erinnern, wie die Debatte war. Es ging
darum, dass wir etwas für Familienunternehmen tun
wollen, die das Vermögen an die nächste Generation
übergeben wollen, bei denen das Vermögen nicht aus
dem Betrieb genommen werden soll, um es zu verjuxen.
({14})
Was diese Frist von 15 Jahren angeht, so sehen wir
- das ist vielleicht noch nicht bekannt - eine Reinvestitionsklausel vor. Es geht dabei nicht um die Fälle, in denen der Betrieb aufgelöst werden soll, sondern um die, in
denen er umstrukturiert werden soll, wobei vielleicht ein
Teil zu verkaufen ist. Wenn das Geld im Betrieb bleibt,
ist das nach der jetzt vorgesehenen Regelung alles kein
Problem. Aber wenn das Geld entnommen wird, das zuvor zu 85 Prozent verschont worden ist, dann müssen
Steuern gezahlt werden, und nur darum geht es. Das ist
keine Behinderung wirtschaftlicher Aktivitäten, sondern
das trägt genau dem Grundsatz Rechnung, mit dem wir
angetreten sind,
({15})
nämlich die Familienunternehmen zu stärken. Das muss
man einfach einmal zur Kenntnis nehmen.
({16})
- Herr Michelbach, entschuldigen Sie! Lesen Sie halt
den Gesetzentwurf, und reden Sie mit den Kollegen, die
in der Koch/Steinbrück-Arbeitsgruppe dabei waren!
({17})
Wir haben uns das alles wirklich im Detail angeschaut.
({18})
Wir haben eine gemeinsame Zielsetzung, nämlich die
Betriebsfortführung, und zwar wegen des Erhalts der Arbeitsplätze und wegen der Gemeinwohlverpflichtung.
Deswegen soll das begünstigt werden, deshalb die
85 Prozent. Das ist ein ordentliches Steuergeschenk;
aber es gibt dieses Steuergeschenk nur, wenn im Gegenzug dazu auch eine Gemeinwohlorientierung vorhanden
ist.
({19})
Darüber werden wir nicht mit uns reden lassen: Darüber
können wir auch gar nicht mehr mit uns reden lassen,
weil wir ansonsten Gefahr laufen, dass diese Regelung
als verfassungswidrig eingestuft wird.
({20})
Ansonsten stellt ja derjenige, der privat erbt, mit Recht
die Frage, warum er mehr Erbschaftsteuer zahlen soll als
andere.
Lassen Sie mich auch noch etwas zu einem Punkt sagen, über den wir in diesem Hause schon diskutiert haben, der aber heute noch gar nicht zur Sprache gekommen ist, obwohl sich damals fast alle einig waren. Kurz
vor dem Christopher Street Day haben wir darüber gesprochen, dass wir Menschen, die Verantwortung füreinander übernehmen, zum Beispiel in Lebenspartnerschaften, besserstellen wollen. Wir waren uns einig, dass
die bisherigen Regelungen zur Erbschaftsteuer nicht gerecht sind. In diesem Gesetzentwurf haben wir dieses
Vorhaben nun umgesetzt. Wir geben Menschen in Lebenspartnerschaften dieselben Freibeträge wie Eheleuten. Dabei handelt es sich um 500 000 Euro, wobei der
durchschnittliche Wert von Einfamilienhäusern, die in
Deutschland vererbt werden, bei 160 000 Euro liegt.
Meistens geht es dann auch nur um den halben Wert eines Hauses, weil es gemeinsam angeschafft wurde. Hier
reichen 500 000 Euro also locker aus.
Nun haben wir in diesem Gesetz also für eine Gleichstellung von Menschen in Lebenspartnerschaften und
Eheleuten gesorgt. Aber was passiert? In dieser Debatte
werden wieder neue Haare in der Suppe gesucht. Mir
kommt es manchmal so vor, als ob sich Leute, die beim
Friseur waren, einige der abgeschnittenen Haare einstecken und sie dann in die Suppe werfen, um noch etwas
zu finden. Dabei haben wir für die Lebenspartnerschaften wirklich etwas Gutes und Richtiges umgesetzt.
Nun zur Frage der nahen Angehörigen: Die durchschnittliche Steigerung des Wertes von Grundstücken
aufgrund des neuen Wertermittlungsverfahrens wird bei
etwa 40 Prozent liegen. Zugleich haben wir die Freibeträge für die nahen Angehörigen praktisch verdoppelt.
Aber wenn wir insgesamt 4 Milliarden Euro an Erbschaftsteuer einnehmen wollen - das sieht die Vereinbarung ja vor -, dann muss es auch irgendjemanden geben,
der für dieses Aufkommen sorgt. Da beißt doch die
Maus keinen Faden ab. Deswegen haben wir die Entscheidung getroffen, entferntere Verwandte und Nichtverwandte mit höheren Steuern zu belegen.
Das ist eine politische Entscheidung. Natürlich kann
man diese wieder revidieren. Aber wenn man sie revidiert, dann heißt das, dass die Begünstigung für Familienmitglieder geringer ausfallen müsste. Das kann man
alles machen. Darüber kann man diskutieren. Ich bitte
aber, immer ehrlich die beiden Seiten ein und derselben
Medaille zu benennen und nicht immer so zu tun, als
wäre die Welt erst dann in Ordnung, wenn man jede
Menge Änderungen vorgenommen hat. Das mag sein.
Aber dann, wenn wir all diese Änderungen berücksichtigen, rutschen wahrscheinlich die Einnahmen aus der
Erbschaftsteuer ins Minus und wir müssten am Ende
noch etwas auszahlen.
({21})
Ein weiteres Beispiel, Frau Kollegin Scheel. Für die
Landwirtschaft haben wir folgendes Modell gefunden:
Wir übernehmen die langen Haltezeiten aus dem Zivilrecht, und zwar aus dem Grund, weil wir ganz bewusst
festgeschrieben haben, dass die Bewertung einer Landwirtschaft auf Basis der Ertragswerte vorgenommen
wird. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seinem
Beschluss ziemlich eindeutig gesagt, das sei eigentlich
vom Grundsatz her nicht möglich. Wir machen das aber
trotzdem, weil es bei landwirtschaftlichen Betrieben
häufig geringe Ertragswerte und hohe Substanzwerte
gibt. Für weichende Hoferben gilt nun folgende Regelung: Wenn die Landwirtschaft fortgeführt wird, ist alles
in Ordnung. Sobald aber innerhalb der Haltefrist von
20 Jahren Anteile verkauft werden, müssen die weichenden Hoferben beteiligt werden, und dementsprechend erzielt der Staat dann auch entsprechende Erbschaftsteuer.
Das ist ein wirklich gutes Modell.
Ich will hier nicht verschweigen, dass mir ein hoher
Funktionär des Deutschen Bauernverbandes einen Gedenkstein für mein Engagement bei dieser Regelung versprochen hat.
({22})
- Ja, damit hätte ich nicht gerechnet.
Ich möchte nun aber alle ermahnen, nicht das, was erreicht worden ist, infrage zu stellen, indem man auf einmal andere Probleme, die eigentlich gar nicht vorhanden
sind, aufbläst. Ich halte die gefundene Regelung für richtig. Unser Interesse muss es doch sein, dass die Landwirtschaft fortgeführt wird. Es gibt ja einen deutlichen
Unterschied zwischen einer Villa am Starnberger See
und einem Betrieb bzw. einer Landwirtschaft. Denn bei
Letzterem geht es um Arbeitsplätze und um gemeinwohlverpflichtende Elemente. Das ist die einzige Begründung, warum wir diese Ausnahme machen können.
Der Grundsatz ist: Erbschaftsteuer müssen alle zahlen. Wenn man nachlassen will, dann muss man das begründen. - Das haben wir für die Landwirtschaft und
auch für das Betriebsvermögen gut geregelt. Trotzdem
haben wir jetzt im Wege der Verordnungen ein Bewertungsgesetz auf den Weg gebracht. Damit werden die
Verfassungsvorgaben erfüllt, und wir werden zukünftig
- vielleicht mit anderen politischen Mehrheiten - die
Möglichkeit haben, die Erbschaftsteuer so zu erheben,
dass man sie besser zur Bekämpfung von Bildungs- und
Kinderarmut einsetzen kann.
Herzlichen Dank.
({23})
Das Wort hat nun Volker Wissing, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Pronold: Ich gönne Ihnen jeden Gedenkstein, und für den Fall, dass Sie Deutschland von Ihren schrecklichen Steuergesetzen verschonen, sage ich
Ihnen zu, dass Sie von der FDP noch einen Gedenkstein
dazubekommen.
({0})
Die Bundeskanzlerin kündigt an, mehr Freiheit wagen
zu wollen. Was Sie uns hier vorlegen, ist ein Vorschlag,
nach dem Unternehmer nach Betriebsübergang für
15 Jahre unter die Staatsaufsicht der Finanzbehörden
gestellt werden. Wir haben heute Morgen über die IKB
gesprochen und darüber, dass es nicht sinnvoll ist, wenn
sich der Staat an Geschäften beteiligt, die die Privaten
besser erledigen können. Wir haben gehört, dass da
6 Milliarden Euro in den Sand gesetzt worden sind. Ich
dachte eigentlich, dass man daraus etwas lernt. Aber das
hält bei Ihnen ja keine Stunde an. Sie schlagen jetzt vor,
dass staatliche Beamte die Personalpolitik von privaten
Unternehmern für 15 Jahre wesentlich mitgestalten. Das
kann nicht funktionieren. Das ist eine Zumutung für den
deutschen Mittelstand, und das wird dazu führen, dass
Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen, weil die
Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes in Deutschland
durch Ihr Gesetz zurückgeht.
({1})
Wenn Arbeitsplätze gefährdet sind, dann ist das auch
eine Gefahr und ein Risiko für den Bundeshaushalt.
Weil Sie über die Landwirtschaft gesprochen haben,
Herr Pronold: Es ist in Deutschland in vielen landwirtschaftlichen Bereichen sehr schwer, Betriebsnachfolger
zu finden. Wir reden viel über Kulturlandschaftspflege
und darüber, wie wichtig es ist, dass solche Betriebe
übernommen werden. Deswegen sollten Sie Hürden abbauen und nicht aufbauen.
({2})
15 Jahre Staatsaufsicht für landwirtschaftliche Betriebe
bedeuten eine neue Hürde.
({3})
Deswegen ist der Landwirtschaft mit Ihrem Gesetz nicht
geholfen. Vielmehr schwächen Sie den landwirtschaftlichen Sektor in Deutschland mit Ihren Vorschlägen.
Das ist nicht das einzige Problem dieses Erbschaftsteuergesetzentwurfes. Sie reden von Sozialbindung des
Eigentums. Aber dann müssen Sie sich auch einmal die
Frage stellen, was Sie da eigentlich besteuern. Sie besteuern Vorsorge der Menschen, Vorsorge fürs Alter, für
Notsituationen, für Enkel.
({4})
Sie stellen die Gerechtigkeitsfrage; aber im Grunde genommen behandeln Sie die Menschen ungleich. Wer
konsumiert und nichts auf die hohe Kante legt, zahlt
keine Steuer, und derjenige, der anspart, wird von Ihnen
zur Kasse gebeten.
({5})
Das ist schon ein merkwürdiges Verständnis von Politik.
Sie haben es nicht geschafft, heute ein tragfähiges
Konzept vorzulegen. Was Sie uns präsentieren, ist sehr
unausgegoren und auch verfassungsrechtlich äußerst
problematisch. Sie kennen sicherlich das Gutachten von
Herrn Professor Crezelius. Er sagt, die vorliegende Reform der Erbschaftsteuer führe zu einer grundgesetzwidrigen Mehrfachbesteuerung; die Doppelbelastung werde
durch die massive Erhöhung der Grund- und Unternehmenswerte enorm gesteigert. Das ist ein Gutachten für
die Familienunternehmer. Dazu haben Sie heute nichts
gesagt. Aber Sie nehmen es mit der Verfassungsgemäßheit des Steuerrechts seit der Pendlerpauschale ja ohnehin nicht mehr so genau.
Wenn wir über Verfassungsfragen reden, dann müssen wir auch über die Frage des Wesentlichkeitsprinzips reden. Es kann doch nicht sein, dass die Kernfrage
dieser Erbschaftsteuerreform, nämlich die Bewertungsfrage, in einer Rechtsverordnung geregelt wird. Das
macht keinen Sinn. Deswegen ist das, was uns der
Finanzminister heute vorgelegt hat, äußerst dürftig.
({6})
Wir können festhalten: Sie sind nicht in der Lage, hier
ein vernünftiges Konzept auf den Tisch zu legen. Herr
Meister, es ist gut, dass Sie fragen, welche Vorschläge
die FDP macht. Ich finde es richtig, dass Sie auf unsere
Konzepte in der Steuer- und Finanzpolitik schauen. Da
können Sie viel lernen. Wenn Sie die Erbschaftsteuer
wirklich reformieren wollen, ist es an Ihnen, ein Konzept
vorzulegen, das die deutschen Unternehmer in ihrer
Wettbewerbsfähigkeit stärkt und nicht schwächt. Deswegen ist das, was Sie uns bieten, wirklich nicht ausreichend.
({7})
Zu der internationalen Wettbewerbsfähigkeit haben
Sie überhaupt kein Wort gesagt. Aber das ist doch die
entscheidende Frage. Wir beobachten - der Kollege
Thiele hat es schon angesprochen -, dass sich andere
Länder überlegen, wie sie ihr Steueraufkommen sichern
können. Dabei kommen sie vielfach zu dem Ergebnis,
dass sie die Erbschaftsteuer nicht brauchen. Hier wurde
gesagt, dass die Bundesländer diese Steuer brauchen, um
in Bildung zu investieren. Dazu sage ich Ihnen: Die Länder sind für ihre Haushalte selbst verantwortlich. Es ist
nicht Sache des Deutschen Bundestages, Länderhaushalte aufzustellen, Frau Kollegin Scheel. Das liegt in der
ureigenen Verantwortung der Bundesländer.
({8})
Wenn das Erbschaftsteueraufkommen den Bundesländern zufließen soll, dann sollen sie darüber entscheiden,
ob und wie sie die Erbschaftsteuer erheben. Wir haben
dazu Vorschläge in der Föderalismuskommission gemacht. Die Verantwortung soll dort getragen werden, wo
sie getragen werden muss. Deswegen schlage ich Ihnen
vor, dass Sie Ihren Gesetzentwurf zurückziehen und die
Vorschläge, die wir in der Föderalismuskommission gemacht haben, übernehmen. In unseren Vorschlägen wird
die Verantwortung dort angesiedelt, wo sie zu tragen ist.
Wenn den Ländern das Aufkommen zufließt, dann sollen
sie auch über die Erhebung der Erbschaftsteuer entscheiden. Wenn Sie nicht in der Lage sind, dazu einen tragbaren Vorschlag zu machen, dann sollten Sie sich unserem
Vorschlag anschließen.
({9})
Nun erteile ich Kollegen Bartholomäus Kalb, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Große Koalition hat sich zu Beginn zum
Ziel gesetzt, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu
verbessern. Dies ist im unternehmenspolitischen Bereich
durch die Unternehmensteuerreform geschehen. Ich
denke, wir nehmen da zwischenzeitlich einen guten Mittelplatz unter den Industrienationen ein.
Wir haben uns aber auch vorgenommen, die Unternehmensnachfolge zu erleichtern und zu verbessern. Es
geht darum, dass der Unternehmensübergang so gestaltet
wird, dass die Betriebe fortbestehen können und dass zu
Investitionen ermutigt wird. Die Betriebe sollen im Rahmen eines Generationenwechsels neu ausgerichtet und
für die Zukunft fit gemacht werden können. Wir müssen
dafür sorgen, dass ihnen keine Substanz entzogen wird.
Es geht auch darum, die persönliche Verantwortung zu
stärken und nicht zu schmälern.
({0})
Letztlich geht es gerade im mittelständischen Bereich
darum, dafür zu sorgen, dass Arbeitsplätze erhalten und
zukunftsfähig gemacht werden.
({1})
Daher hätte ich mir sogar gewünscht, dass wir diese Regelung zur Unternehmensteuerreform zeitnäher hätten
umsetzen können.
({2})
Herr Kollege Pronold, bei aller Freundschaft: Neid ist
hier ein schlechter Ratgeber.
({3})
Die steuerliche Belastung bei Privatentnahmen wird von
der Erbschaftsteuer jedenfalls nicht berührt. Auch wir
wollen keine Playboys begünstigen; sie werden auch
nicht begünstigt. Das ist meine Entgegnung auf Ihren
Einwand.
Die Aufgabe, die wir uns gestellt haben, ist schwierig
genug. Das Bundesverfassungsgericht hat uns, wie
schon vorgetragen wurde, aufgegeben, das Erbschaftsteuerrecht insgesamt neu zu regeln. Dies hat auch erhebliche Auswirkungen auf den Umgang mit dem Erbe.
In Deutschland ist es eine gute Tradition, dass wir mit
dem Erbe sorgsam und verantwortungsbewusst umgehen. Das gilt für das geistige, für das kulturelle und natürlich auch für das materielle Erbe.
({4})
Mit dem Erbe sorgsam und verantwortungsbewusst
umzugehen, ist ganz entscheidend für die Stabilität einer
Gesellschaft. Es geht uns darum, dafür zu sorgen, dass
der generationenübergreifende Verantwortungsverbund gestärkt und nicht geschwächt wird.
({5})
Kollege Meister hat es gesagt: Wir haben eine äußerst
schwierige Aufgabe zu erfüllen. Wir haben die Aufgabe,
das Recht neu zu gestalten. Wir ernten mit Sicherheit
Kritik, wir beziehen die Prügel - und die Länder das
Geld. Das macht es für uns nicht ganz einfach. Ich habe
deswegen Verständnis für viele Kolleginnen und Kollegen, die fragen: Warum beschränkt sich der Bund nicht
auf eine Rahmengesetzgebung und überlässt dann die
Ausführungen den Bundesländern?
({6})
Ich weiß wohl, dass die Länder diese Aufgabe nicht so
gerne erfüllen, weil natürlich auch sie die Schwierigkeiten sehen. Aber natürlich weisen die Kolleginnen und
Kollegen zu Recht darauf hin, dass die Verhältnisse in
Frankfurt, Stuttgart, München und Hamburg anders sind
als etwa in Rostock oder bei uns in Deggendorf, in Hof,
Chemnitz oder weiß Gott wo.
Wir werden und wir müssen die parlamentarische Beratung mit großer Intensität und Sorgfalt führen. Die Arbeitsgruppe Koch/Steinbrück hat zweifellos eine wichtige Vorarbeit geleistet und schon viele Probleme dem
Grunde nach beseitigt. Aber ich weise darauf hin: Das
parlamentarische Verfahren beginnt erst jetzt. Wir haben die Aufgabe, dieses Verfahren entsprechend zu gestalten. Wir werden uns die Beschlüsse des Bundesrates,
der zeitgleich tagt, ganz genau ansehen und in die Beratungen mit einbeziehen. Am 5. März, Herr Vorsitzender
des Finanzausschusses, wird eine Anhörung dazu stattfinden.
({7})
- Dies soll auf Vorschlag der Koalitionsarbeitsgruppe so
beschlossen werden, Herr Kollege Thiele. - Wir werden
die Ergebnisse der Anhörung natürlich ganz intensiv beraten und in die Arbeit mit einfließen lassen.
Gerade wir von der CSU-Landesgruppe, lieber
Dr. Peter Ramsauer, sehen noch erheblichen Beratungsbedarf in wesentlichen Punkten, die zum Teil schon
vom Kollegen Meister angesprochen worden sind, beispielsweise bei der Abschmelzregelung, der Behaltefrist
und der Verschonungsregelung, dem Verhältnis von Betriebsvermögen und Verwaltungsvermögen insbesondere
mit Blick auf die Landwirtschaft, aber auch auf den Bereich der Immobilien. Bei der Landwirtschaft ist in besonderer Weise zu erwähnen, dass die Rückwirkung auf
die Agrarstruktur von ganz entscheidender Bedeutung
ist. Das muss natürlich in besonderer Weise beachtet
werden.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, den wir uns
intensiver anschauen werden - dies ist schon im Laufe
der Debatte angesprochen worden -: Es geht um die
Frage, wie wir mit den weiteren Verwandten - dies betrifft die Steuerklasse II -, also mit Geschwistern, Nichten, Neffen usw., umzugehen haben. Das werden wir uns
genau ansehen müssen. Natürlich werden wir uns, bevor
wir zu einem Abschluss kommen - so ist es besprochen
worden -, die Bewertungsverordnung vornehmen müssen.
({8})
Wir werden beachten müssen, wie das alles wirkt.
Nur dann, wenn wir dies alles tun, werden wir zu
einem guten Ergebnis kommen können. Das heißt, uns
stehen die Bewältigung schwieriger Aufgaben und intensive Beratungen bevor. Wir sind für Hinweise jedweder
Art, die uns die Chance eröffnen, die Dinge zu verbessern, sehr dankbar.
Herzlichen Dank.
({9})
Nun hat Axel Troost für die Fraktion Die Linke das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute scheint ein besonderer Tag zu sein. Während uns
sonst immer nur Gesetzentwürfe vorgelegt werden,
durch die Unternehmen und Reiche entlastet werden sollen, besteht diesmal scheinbare Aufkommensneutralität. Aber wenn man sich das genau anschaut, dann stellt
man fest, dass diese Aufkommensneutralität nur vor dem
Hintergrund zustande gekommen ist, dass wir deutlich
höhere Erbschaften und eine Andersbewertung von Immobilien zu verzeichnen haben. Das heißt nichts anderes, als dass es wieder zu einer Steuersenkung kommt,
weil das eigentlich zu besteuernde Volumen viel größer
geworden ist.
Wenn wir uns aber die Prozesse in den letzten zehn
Jahren anschauen, dann ist viel entscheidender: 1998,
genau vor zehn Jahren, sind SPD und Grüne in den Bundestagswahlkampf gezogen und haben gesagt: Wir sind
für die Wiedererhebung der Vermögensteuer. Sie haben
die Wahl gewonnen; sie haben eine Koalitionsvereinbarung getroffen, in der von der Wiedereinführung der Vermögensteuer die Rede war.
1999 hat der Basta-Kanzler Schröder auf dem Parteitag der SPD gesagt: Mit mir ist eine Vermögensteuer
nicht machbar; aber bei der Erbschaftsteuer werden wir
richtig zulangen; da werden wir Reformen machen; da
werden wir Chancengleichheit hinbekommen. Seitdem
aber ist nichts passiert, weder unter Rot-Grün noch während der Großen Koalition. Jetzt wird uns ein Entwurf
vorgelegt, der im Ergebnis aufkommensneutral ist: keine
Vermögensteuer und reduzierter Erbschaftsteuersatz.
Dazu sagen wir: Das ist mit uns Linken nicht machbar.
({0})
Wir sagen nach wie vor: Wir brauchen dringend das
Steuermehraufkommen aus Vermögensteuer und Erbschaftsteuer, das den Länder zufließt. Wir brauchen dieses Mehraufkommen für die Finanzierung von Bildung,
aber auch, weil die Föderalismuskommission bestrebt
ist, die Verschuldungsmöglichkeiten der Bundesländer
einzuschränken. Die FDP ist konsequent, wenn sie sagt:
Steuern runter, Schulden runter und anschließend bitte
auch die Ausgaben runter. Wenn wir aber sagen, dass wir
die öffentliche Hand, Bildung und vieles andere mehr
brauchen, dann brauchen wir auch ein entsprechendes
Steueraufkommen.
Wir sind der Ansicht, dass die Vermögensteuer wieder erhoben werden muss und wir eine echte Reform der
Erbschaftsteuer brauchen, die ein wesentlich höheres
Steueraufkommen nach sich zieht. Das ist nicht populistisch formuliert. Dafür gibt es ganz konkrete Konzepte.
Diese Konzepte werden von den Gewerkschaften
IG Metall, Verdi und vielen anderen unterstützt. Wenn
wir das umsetzen, bekommen wir wieder solide Länderfinanzen. Dann kann man in der Föderalismuskommission darüber diskutieren, wie man zu einer Konsolidierung der Länderhaushalte kommen kann.
Danke schön.
({1})
Nun hat Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte
Gäste auf den Tribünen! Lieber Florian Pronold, ich rufe
dir einmal zu: Ich habe dir das nicht versprochen. Ich
will das gleich klarzustellen, nicht dass da ein Verdacht
aufkommt. Es ist ein Unterschied, ob man über einen
Gedenkstein, einen Grabstein oder vielleicht nur einen
Grenzstein redet.
Ich möchte die grundsätzliche Feststellung treffen:
Wir haben uns das Thema nicht ans Revers geheftet. Ursächlich ist die Entscheidung von Karlsruhe. Die Länder
machen sich jetzt keinen faulen Lenz. Sie waren bei den
Debatten im Vorfeld voll im Einsatz. Es ist aber der
Deutsche Bundestag, der das Erbschaftsteuerrecht für
die gesamte Bundesrepublik Deutschland vorgibt. Ich
finde, das ist gut so, auch wenn es die eine oder andere
populistische Äußerung dazu gibt.
Zur Klarstellung sage ich insbesondere in Richtung
der FDP: Wir kommen um eine Reform des Erbschaftsteuerrechts nicht herum. Klar ist aber auch, dass man
bei so einem Thema keine guten Karten hat, weil es
schnell in eine Neiddebatte führt. Schließlich fühlen nur
8 oder 10 Prozent der Bevölkerung entsprechend mit,
während die anderen sagen: Da ist etwas zu holen. Dieses Thema hat auch mit Wahltaktik zu tun. Ich warne vor
entsprechenden Überlegungen.
Ich sage aber auch sehr deutlich: Ich hätte mit dem alten Erbschaftsteuerrecht weiterhin gut leben können.
Dieses Erbschaftsteuerrecht haben wir 1997 beschlossen. Ich habe schon Probleme damit, dass man liegendes
Vermögen so behandelt wie Aktien oder reines Geldvermögen, weil es nicht so mobil ist.
({0})
Die Frage ist, wie man das bewertet, wie man damit umgeht. Die Tatsache, dass Karlsruhe uns die Freiheit gegeben hat, sogenannte Verschonungsfristen zu gestalten,
entspricht der Interessenlage der deutschen Landwirtschaft; denn bäuerliches Vermögen wird in der Regel
drei- oder viermal vererbt, bevor es einmal verkauft
wird. Für Wald gilt das erst recht. Wir sind der Überzeugung, dass Erbschaftsteuerrecht so gestaltet sein muss,
dass die Sache rentabel bleibt. Daher bin ich der Koch/
Steinbrück-Kommission ausgesprochen dankbar dafür,
dass sie diesen Weg beschritten hat. Es ist ja nicht alles
schlecht.
Ich will das, was der Finanzminister gesagt hat, unterstreichen: Die allermeisten deutschen Grundbesitzer
müssen auch in Zukunft keine Erbschaftsteuer zahlen, da
wir eine kleinflächige Struktur haben. Man muss aber
auch darauf hinweisen, dass ein Bauer, der sein Erbe von
10 oder 15 Hektar auf 30 Hektar erweitert hat, diese Erweiterung nach Zahlung der Einkommensteuer finanziert hat.
({1})
Später müssen seine Kinder, je nachdem wie die Einschätzung war - Stichwort: Kaufpreissammlung -, entsprechend nachzahlen. Es ist nicht gerecht, dass man
Leistung doppelt abstraft. Deswegen sind die nächsten
Schritte, dass wir im Bewertungsgesetz - ich plädiere
dafür, dass es ins Gesetz kommt und nicht in die Verordnungen,
({2})
weil ich den Beamten auf mittlerem Weg absolut nicht
traue -,
({3})
klare Vorgaben machen.
Einen Punkt muss man nachhaltig zur Diskussion
stellen: Bleiben wir bei den Fristen von zehn und 15 Jahren? Ich weiß, sie kommen aus dem Höferecht, also gerade aus der Landwirtschaft; Herr Pronold hat mit Recht
darauf hingewiesen. Aber wo will der Staat das Geld
herholen, wenn der Betrieb im letzten Jahr bankrott ist?
Hier muss man auch danach fragen, wie abgerechnet
wird, wenn ein Notverkauf dringend notwendig ist.
Schließlich spielt das Einkommensteuerrecht bei einer
solchen Veräußerung eine gewisse Rolle. Ziel unserer
Anstrengungen muss sein, einen Betrieb, ob im Mittelstand oder in der Landwirtschaft, auf Dauer zu erhalten.
Wenn die internen Zahlen über das Abschmelzen stimmen, sollte man darüber konstruktiv nachdenken. Angesichts des Strukturwandels, den wir überall erleben, ist
das ein denkenswerter Ansatz. Damit nähmen wir eine
gewisse Furcht und würden das Erbschaftsteuerrecht
mittelstandsfreundlich gestalten.
({4})
Ich nenne noch einen Punkt: die Einbeziehung der
verpachteten Flächen. Wir haben - das räume ich ein bei der Unternehmensnachfolge in der Landwirtschaft
einen Kompromiss zwischen Schwarz und Rot gefunden. Dass sich die SPD da deutlich bewegt hat, erkenne
ich mit großem Respekt dankend an.
Aber es kann zu Unruhe führen, wenn verpachtetes
Vermögen, das im Verwaltungsvermögen geparkt ist, in
der Erbschaftsteuer extrem anders bewertet wird. Bei der
engen Hofnachfolge können die Regelungen funktionieren. Sie könnten jedoch auch zu der Überlegung führen:
Ich verpachte meine Fläche nicht mehr, bremse den
Strukturwandel, nehme dieses Land in einen passiven
Betrieb und schließe nur noch Bewirtschaftungsverträge
von Jahr zu Jahr. - Dies würde vor allem in den westdeutschen Bundesländern zu Unruhe führen. Aber - das
gebe ich zu bedenken - auch in den jungen Bundesländern sind 80 bis 90 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen verpachtete Flächen. Die Frage, welche Unruhe die
unterschiedliche Bewertung hinsichtlich des Pachtlands
auslösen könnte, will ich heute als Anstoß für die Beratungen mitgeben.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Eine letzte Frage: Hat das bäuerliche Wohnhaus, das
eng am Stall oder an Wirtschaftsgebäuden gebaut ist,
den gleichen Wert wie ein vergleichbar anderes Wohnhaus, muss man nicht einen Abschlag vornehmen? Man
muss berücksichtigen, dass alte Bauernhäuser in der Regel viel Wohnfläche haben. Die Berechnung des Verkehrswertes muss agrarstrukturell vorgenommen werden. Die Anhörung findet ja in den nächsten Wochen
statt und die Beratungen mit Sicherheit auch.
Ein Satz muss mir noch erlaubt sein, weil mir das ein
Anliegen ist: Das Recht sollte bitte nicht schon 14 Tage
nach Unterschrift des Bundespräsidenten in Kraft treten.
Die Betroffenen brauchen eine Schonzeit, um abzuwägen. Sie sollten nicht aus Angst schnell zum Notar rennen und etwas Verkehrtes tun. Ich wünsche mir eine
Wirksamwerdung des Gesetzes am 1. Januar 2009.
Danke schön.
({0})
Nun hat das Wort Kollege Christian Freiherr von
Stetten.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer die heutige Debatte aufmerksam verfolgt hat
({0})
und die Änderungsanträge des Bundesrates kennt, dem
ist klar geworden, wie wichtig es war, dass wir den Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums in alle seine
Einzelteile zerlegt haben, um zu überprüfen, ob das eigentliche Ziel, das wir im Koalitionsvertrag vereinbart
haben, nämlich die Entlastung der Familienbetriebe bei
Betriebsübergang, tatsächlich erreicht wird.
Lieber Florian Pronold, in unserem Koalitionsvertrag
ist von einem Abschmelzungsmodell und von 10 Jahren
die Rede, nicht von 15 Jahren und nicht von einem fallbeilartigen Übergang.
({1})
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass wir als Koalition
und ich in der Fraktion dafür werben, dass wir diesen
Koalitionsvertrag einhalten. Ich glaube, das sollte in unserem eigenen Sinne sein.
({2})
- So ist es.
Welche Änderungen wir uns als CDU/CSU-Fraktion
vorstellen, haben die Vorredner bereits deutlich gemacht.
Wir sollten uns auch den Bericht des Normenkontrollrats
ganz genau anschauen. Hier wird klargemacht, wie stark
die Bürokratie den Staat belastet und was auf die betroffenen Bürger zukommt.
Ich möchte mein Augenmerk auf die Bundesratsitzung legen, die parallel zu unserer heutigen Sitzung
stattfindet.
({3})
Die Vertreter der Regierungen der Bundesländer - den
Bundesländern stehen die Erbschaftsteuereinnahmen zu haben Änderungsanträge verabschiedet, durch die betroffene Familienunternehmen entlastet werden sollen. Ich
sage Ihnen: Hinter die Beschlüsse des Bundesrates sollten wir bei den anstehenden Beratungen des Bundestages
nicht zurückfallen. Wir sollten das respektieren, was uns
die Länder - sie bekommen die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer - vorschlagen, und wir sollten dahinter nicht
zurückfallen.
({4})
Wenn man sich die Äußerungen der Bundesländer genauer anschaut, dann stellt man fest, dass zumindest hier
ein weiteres Umdenken eingesetzt hat. Es ist vorhin erwähnt worden: Wir wollten am Anfang dafür werben,
dass die Bundesländer selber entscheiden können, ob sie
eine Erbschaftsteuer erheben und, wenn ja, wie hoch die
Sätze und die Freibeträge sind. In der Vergangenheit haben die Bundesländer dies immer abgelehnt, übrigens
auch die Bundesländer, in denen die FDP an der Regierung beteiligt war.
Der Vertreter von Baden-Württemberg hat heute Morgen im Bundesrat erklärt: Den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung lehne ich ab; die Gesetzgebungskompetenz für die Erbschaftsteuer sollte auf die
Bundesländer übertragen werden; das darf man zu Beginn unserer jetzigen Debatte zur Erbschaftsteuer ruhig
auch einmal erwähnen.
({5})
- Herr Kollege Pronold, wenn Sie hier nicht so aufgedreht hätten, dann würde ich auf Folgendes heute nicht
eingehen:
Auch die rheinland-pfälzische Landesregierung unter
Führung des SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Beck hat
heute im Bundesrat einen Antrag gestellt und damit eine
Art Provokation betrieben. Im Antrag 42/08 wird eine
Überprüfung der Verwaltungsvermögensgrenze von 50 Prozent gefordert. Angeregt wird, den Wert von 50 Prozent,
der schon jetzt fast zu niedrig ist, auf 25 Prozent zu senken.
({6})
Dadurch würde sofort ein Viertel der betroffenen Betriebe nicht mehr begünstigt werden. Das können Sie
wirklich nicht wollen.
Sie fordern weiterhin eine Überprüfung der zu gewährleistenden Lohnsumme, die heute bei 70 Prozent
liegt. Wir wollen auch noch darüber sprechen, ob eine
weniger bürokratische Lösung möglich ist. Sie wollen
- zumindest prüfen Sie das - den Grenzwert von 70 Prozent - er bereitet schon jetzt vielen große Schwierigkeiten - auf 90 Prozent erhöhen. Das ist doch Wahnsinn
und völlig realitätsfremd. Bei diesem Gedankengut mache ich mir um die mittelständische Wirtschaft in Rheinland-Pfalz wirklich Sorgen.
({7})
Die Linksfraktion und die Grünen möchte ich daran
erinnern: Noch vor wenigen Jahren haben Sie ein Gesetz
gefordert, das verhindert, dass sich Pensionsfonds und
andere Heuschrecken in Deutschland breitmachen und
große Firmen und Wohnungsbestände aufkaufen. Frau
Höll, was glauben Sie denn, was passiert, wenn große
Familienbetriebe in Zukunft plötzlich mit 50 Prozent ihres Verwaltungsvermögens bewertet werden, weswegen
sofort 30 Prozent Erbschaftsteuer fällig sind? Wenn ein
Bruder oder ein Cousin erbt, sind sofort 50 Prozent Erbschaftsteuer fällig. Finanzierbar ist das doch nur durch
den Verkauf des Unternehmens oder zumindest eines
Teils des Unternehmens.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Sie
können damit Ihre Redezeit verlängern. Sie ist gerade zu
Ende gegangen.
Sehr gerne, Herr Präsident. Ich sehe 007.
({0})
Frau Höll, bitte.
Herr Kollege, ich möchte einfach nur nachfragen, ob
Sie in Vorbereitung der heutigen Debatte eventuell den
Antrag der Linken zur Erbschaftsbesteuerung zur Kenntnis genommen haben. Darin machen wir einen Vorschlag zur Behandlung des Betriebsvermögens. Wir sind
gegen eine pauschale Freistellung von 85 Prozent, wie
Sie sie vertreten, vielmehr treten wir dafür ein, das Anlagevermögen als Bezugsgröße zu nehmen. Unser Vorschlag ist also wirklich zielgerichtet.
Ich denke, das ist eine Möglichkeit, über die man diskutieren kann. Wir, die Linke, sehen hier durchaus
Handlungsbedarf. Eine Bewertung des Verkehrswertes
ist nicht einfach. Wir brauchen allerdings eine Eins-zueins-Umsetzung, und es muss sachgerecht entschieden
werden. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. Sie sollten
ihn zur Kenntnis nehmen.
Ich nehme ihn zur Kenntnis und freue mich auf die intensive Beratung im Ausschuss. Ich kann Ihnen allen nur
empfehlen: Besuchen Sie einmal einen Familienbetrieb,
und sprechen Sie mit seinen Mitarbeitern. Fragen Sie die
Belegschaft und die Mieter einmal, ob sie gerne Mitarbeiter bzw. Mieter eines Familienbetriebs sind oder ob
sie lieber Mitarbeiter bzw. Mieter eines Großkonzerns
aus dem Ausland wären.
({0})
- Sie dürfen ruhig stehenbleiben; denn sonst muss ich
aufhören, zu reden.
({1})
Ich sage Ihnen noch etwas: Sie von der Linken sind
doch die ersten, die auf der Straße stehen werden, wenn
ein Betrieb aufgrund der Folgen dieses Gesetzes verkauft werden muss,
({2})
und die uns dann auffordern, ein neues Gesetzgebungsverfahren einzuleiten.
({3})
Ich sage Ihnen: Jetzt können wir etwas für die Mieter,
die Belegschaften und die Familienbetriebe tun. Ich lade
Sie alle ein, in den nächsten Wochen gemeinsam mit uns
an einem ausführlichen Gesetzentwurf zu arbeiten, der
diesen Wünschen gerecht wird. Dann können wir uns in
diesem Hohen Hause einigen.
Herzlichen Dank.
({4})
Damit ist die Aussprache geschlossen.
Es ist verabredet, den Gesetzentwurf auf Drucksache
16/7918 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 8 b und 8 a
auf:
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler,
Volker Beck ({0}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zwangsverheiratung durch Verbesserung des
Opferschutzes wirksam bekämpfen
- Drucksache 16/7680 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Federführung strittig
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({3})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler, Ekin
Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zwangsverheiratung bekämpfen - Opfer
schützen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle
Laurischk, Otto Fricke, Ina Lenke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zwangsheirat wirksam bekämpfen - Opfer
stärken und schützen - Gleichstellung durch
Integration und Bildung fördern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Karin Binder, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für einen Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen, für die Stärkung ihrer Rechte
und die längerfristige Bekämpfung der
Ursachen patriarchaler Gewalt
- Drucksachen 16/61, 16/1156, 16/1564, 16/4910 Berichterstattung:
Abgeordnete Michaela Noll
Angelika Graf ({4})
Sevim Dağdelen
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf
Minuten Redezeit erhalten soll. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk
für das Bündnis 90/Die Grünen.
({5})
Ich denke, dass sie erst anfängt, wenn die Gespräche
zum vorigen Tagesordnungspunkt nach draußen verlegt
worden sind.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Es scheint zu klappen. Es sind ja auch fast nur noch
Frauen hier.
({0})
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
- Ich habe gesagt: fast.
Ja. Auch das ist ein wichtiges Thema.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der vergangenen Woche hat sich der Todestag von
Hatun Sürücü zum dritten Mal gejährt. Sie brach aus einer erzwungenen Ehe aus und wollte ihr eigenes Leben
leben, frei von Zwang und Gewalt. Ihre Familie erachtete dies als Verbrechen und bestrafte es mit dem Tod.
Hatun Sürücü ist zu einem Symbol geworden: zu einem
Symbol für Migrantinnen, die von ihrer Familie daran
gehindert werden, selbst über sich und ihren Körper zu
bestimmen, und zwar aufgrund autoritärer und patriarchaler Vorstellungen, die nicht nur den Frauen, sondern
auch den jungen Männern massiv schaden. Darüber
müssen wir eine Debatte führen, allerdings nicht, indem
man die Opfer benutzt, um eine Angstkampagne gegen
Migranten zu entfachen und damit Fremdenhass zu
schüren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU.
({0})
Dass Sie uns Grünen ständig vorwerfen, wir hätten
aufgrund unserer Multikulti-Ideologie die Augen vor
den Menschenrechtsverletzungen an Frauen verschlossen,
({1})
ist eine Frechheit.
({2})
Wenn Sie sich unsere Initiativen der letzten Jahre ansehen,
({3})
stellen Sie fest: Wir haben dafür gesorgt, dass Zwangsverheiratung seit 2005 explizit als Straftatbestand ausgewiesen ist und dass ausländische Ehefrauen im Falle von
Gewalt ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten.
Wir haben Ihnen in unseren Anträgen außerdem vor Augen geführt, was noch zu tun ist.
Sie wissen ganz genau, wie die Opfer von Zwangsverheiratung am besten zu schützen wären. Sie kennen
die Vorschläge, die in der Sachverständigenanhörung im
Ausschuss vorgetragen wurden. Alle Sachverständigen
waren sich darin einig, dass es zum Schutz der in das
Herkunftsland der Eltern verschleppten und zwangsverheirateten Frauen am wichtigsten ist, ihnen das Recht
zur Rückkehr nach Deutschland einzuräumen. Das wissen Sie ganz genau.
({4})
Sie haben auch gehört, dass für die nach Deutschland
zwangsverheirateten Migrantinnen - die ja boshaft „Importbräute“ genannt werden - ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der beste Schutz ist. Denn erst dann können
die anderen Maßnahmen greifen.
({5})
Was machen Sie? Außer Verschlechterungen auf dem
Rücken der Frauen machen Sie nichts. Da können Sie
sich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, nicht wegducken, auch wenn Ihnen das peinlich
ist. Seit 2005 liegt unser Antrag auf dem Tisch. Sie haben uns immer wieder damit vertröstet, es gebe bald einen Koalitionsvorschlag. Nun haben sich Union und
SPD zwei Jahre lang darüber gestritten. Eine hat sich dabei herausgehalten - sie sitzt wieder nicht auf der Regierungsbank -, nämlich Frau Böhmer, die Integrationsbeauftragte.
({6})
Frau Böhmer hat ihr Pokerface aufgesetzt und gesagt,
das müsse man politisch entscheiden.
({7})
Dabei wäre es ihre Pflicht gewesen, für die Rechte der
Migrantinnen zu kämpfen.
({8})
Geschwiegen hat sie auch, als Roland Koch in Hessen
diesen unsäglichen Wahlkampf geführt hat. Da war von
ihr nichts zu hören.
({9})
Verteidigt hat sie hingegen die Verschärfung beim Familiennachzug, die die Große Koalition im Rahmen der
Reform des Aufenthaltsrechts beschlossen hat. Sie hat
schon eine seltsame Auffassung von der Rolle einer Integrationsbeauftragten.
({10})
- Dazu werde ich Ihnen gleich etwas sagen, Herr
Grindel.
Voraussetzung für die Einreise ausländischer Ehegatten nach Deutschland ist seit dem Sommer das Bestehen
eines Sprachtests für Deutsch.
({11})
Diese Regelung gilt aber nicht für alle, sondern nur für
Ehegatten aus bestimmten Ländern.
({12})
Und dann wundern Sie sich darüber, dass dieses Gesetz
in der Türkei als Antitürkengesetz angesehen wird! Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, wo eine Frau
in Ostanatolien die deutsche Sprache lernen soll?
({13})
Sie stellen jede Türkin vom Lande mit geringer Bildung
unter den Generalverdacht der Zwangsverheiratung. Was
ist mit dem grundgesetzlichen Schutz von Ehe und Familie, wenn Ehepartner und Kinder wegen fehlender
Deutschkenntnisse jahrelang getrennt leben müssen?
({14})
Das hätte ich einer christlich orientierten Partei nicht zugetraut.
({15})
Das ist keine Maßnahme zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen, das ist eine Maßnahme zur Verhinderung von Zuwanderung.
({16})
Frau Schewe-Gerigk, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grindel zulassen?
Bitte schön, gerne.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, da viele Bürger, die
uns zuschauen, die aktuelle Diskussion nicht kennen
werden, möchte ich Sie bitten, ihnen zu erklären, wie
Frauen, die von Zwangsverheiratung betroffen sind, die
zahlreichen Beratungsangebote - die es zu Recht gibt annehmen können sollen, wenn sie die deutsche Sprache
nicht beherrschen, wenn sie nicht einmal in der Lage
sind, die Polizei anzurufen, sich Hilfe zu holen, sich zurechtzufinden.
Erklären Sie uns, warum es nicht sinnvoll sein soll,
dass diese Frauen vor der Übersiedlung nach Deutschland Deutsch lernen! So können sie sich schließlich gegen Zwangsverheiratung wehren.
({0})
Erkennen Sie also an, dass das sehr wohl eine wichtige
Maßnahme ist, um Zwangsverheiratungen zu bekämpfen?
Nein, Herr Grindel, ich erkenne das nicht an. Das
reicht nicht aus, um zu begründen, dass verheiratete
Frauen - möglicherweise mit Kindern -, die zu ihrem
Ehemann nach Deutschland ziehen wollen, schon zum
Zeitpunkt der Einreise Deutschkenntnisse nachweisen
müssen. Ich bin dafür, dass die Migrantinnen nach
Deutschland kommen können; wenn sie hier sind, können
sie sofort Deutschkurse und Integrationskurse belegen.
({0})
Das ist der richtige Weg. Aber dafür stehen in den Regionen, in denen Sie zuständig sind, keine Mittel zur
Verfügung.
Natürlich müssen die Frauen die deutsche Sprache
lernen, und das ist die beste Möglichkeit der Integration,
gar keine Frage. Natürlich ist das eine Voraussetzung dafür, die Beratungsangebote zu nutzen. Aber warum sollen sie diesen Sprachtest vorher machen?
({1})
Sie wissen, dass solche Kurse in der Türkei nicht angeboten werden.
({2})
Sie befinden sich mit Ihrer Position ja noch weit hinter
der Position des Innenministers, die ich Ihnen gleich
vortragen will.
({3})
Die Regelungen verstoßen nach Ansicht vieler Richter und Richterinnen klar gegen unsere Verfassung, und
erste Klagen liegen bereits vor. Offensichtlich - damit
komme ich zum Bundesinnenminister, Herr Grindel musste der Bundesinnenminister erst in die Türkei reisen, um festzustellen, welchen Murks er mit diesem Gesetz gemacht hat. Herr Schäuble hat mittlerweile zugesagt, zu überprüfen, ob der Sprachnachweis nicht auch in
Deutschland erbracht werden kann.
({4})
Damit befindet sich der Innenminister schon ein Stückchen näher an der Position der Grünenfraktion als Sie,
Herr Grindel.
({5})
Der Innenminister sagt aber: Wer innerhalb eines halben
Jahres an dieser Prüfung scheitert, der muss wieder ausreisen. - Man müsste wahrscheinlich „die“ sagen. Das
finde ich besonders perfide. Das ist alles andere als eine
gute Integrationspolitik.
Ich komme zum Schluss. Mich wundert es darum
auch gar nicht, dass die CDU die für die nächste Woche
vereinbarte Integrationsdebatte so kurz vor der Hamburgwahl abgesagt hat. Sie haben in Hessen gemerkt,
dass die Menschen auf ausländerfeindliche Parolen nicht
hereinfallen, und wollen alles tun, um zu vermeiden,
dass so etwas auch im weltoffenen Hamburg ankommt.
({6})
Ich sage Ihnen: Geben Sie den Menschen, die auf
Dauer bei uns bleiben wollen, endlich die Perspektive,
deutsche Staatsbürgerin oder deutscher Staatsbürger zu
werden.
Vielen Dank.
({7})
Michaela Noll hat jetzt für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Schewe-Gerigk, jedes Mal, wenn ich
hier stehe und nach Ihnen reden muss, muss ich mich relativ mäßigen, um nicht richtig wütend zu werden;
({0})
denn das, was Sie hier zum Teil vortragen, ist in der Sache und vor dem Hintergrund dessen, was wir in einem
Jahr hier auf den Weg gebracht haben, nicht gerecht.
({1})
Ich werde Ihnen einfach einmal sagen, was in einem
Jahr möglich war und passiert ist. Dafür reichen die fünf
Minuten gar nicht aus. Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele:
Zur Forschung. Das Familienministerium hat den ersten Sammelband zu Zwangsverheiratungen in Deutschland herausgegeben.
({2})
Als wir im letzten Jahr hier darüber diskutiert haben, war
das wie das Fischen im Trüben, weil wir weder Daten
noch Fakten hatten. Mittlerweile liegen sie vor. Es sind
neue Forschungsuntersuchungen in Auftrag gegeben
worden. Das haben Sie im Familienausschuss selber gehört; die Ministerin hat das erzählt.
Zu Onlineberatungen. Es gibt endlich eine anonyme
und niedrigschwellige Beratung, sodass sich die Frauen
direkt an die entsprechende Stelle wenden können.
Im Zweiten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen wird das Thema Zwangsverheiratung aufgeführt. Wir haben einen Nothilfe-Flyer verteilt, damit
die Frauen ihre Rechte kennenlernen.
({3})
Wir haben den Integrationsgipfel veranstaltet, auf dem
mit den und nicht über die Migranten geredet wurde.
({4})
Wir haben einen Nationalen Integrationsplan auf den
Weg gebracht. Wir haben das Zuwanderungsgesetz verabschiedet. Dazu komme ich gleich gerne noch, wenn es
um die Deutschkenntnisse geht.
({5})
- Ich möchte jetzt gerne zu Ende sprechen.
Auch in den Bundesländern geschieht einiges. Ich
nenne den Zehnpunkteplan in NRW, interkulturelle Be
rater usw. usf. Was hier in einem Jahr passiert ist, das haben Sie in der Zeit, in der Sie in der Verantwortung waren, nicht auf die Beine gebracht.
({6})
An dieser Stelle müssen wir unserer Ministerin auch einmal dafür danken, dass das in so kurzer Zeit möglich
war.
({7})
Ich nenne Ihnen jetzt zwei Beispiele für praxisorientierte Maßnahmen:
Erstes Beispiel: Onlineberatung. Ich glaube, die
Onlineberatung ist für diese Frauen ausgesprochen wichtig.
({8})
Bei der häuslichen Gewalt hat man es häufig nur mit einem Täter zu tun. Bei der Zwangsverheiratung hat man
es aber meistens mit der Familie zu tun, die Druck ausübt. Ich glaube: Wenn die Frauen unter Kontrolle bzw.
Beobachtung stehen, dann brauchen sie solche niedrigschwelligen Angebote, um einen unkomplizierten Zugang zur Hilfe zu erhalten. Deswegen haben wir diese
Angebote geschaffen. Ob per E-Mail oder Gruppenchats: Sie erhalten Informationen. Die Mitarbeiterinnen
helfen auch bei der Suche nach Beratungsstellen.
({9})
- Nein, aber ich möchte einfach einmal sagen, was wir
auf die Beine gestellt haben. Sie erwecken hier ja den
Eindruck, als ob sich nichts getan hätte. - Diese Projekte
gibt es in Berlin, in Frankfurt, in Stuttgart und - seit einem Jahr - in NRW. Auf einer Seite waren 5 000 Klicks
zu verzeichnen. Das heißt: Wir haben etwas auf den Weg
gebracht, was den Frauen vor Ort tatsächlich hilft.
({10})
Zweites Beispiel: Deutschkenntnisse. Alle, die in unserem Ausschuss sind, wissen, dass ich immer für
Deutschkenntnisse vor der Einreise gekämpft habe. Davon werden Sie mich nicht abbringen.
({11})
Es ist unser Ziel, zuziehenden Ehegatten ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland zu ermöglichen, weil sie
nur dann eine Chance auf Integration haben. Das geht
aber eben nur über die Sprache.
({12})
Sie stellen sich hier hin und sagen, es sei nichts getan
worden, wir hätten keine Strukturen. Weit gefehlt!
Schauen Sie sich doch einmal an, was die Goethe-Institute in dem einen Jahr auf den Weg gebracht haben. Sie
haben Angebote geschaffen: Sie bieten Sprachkurse an,
zum Beispiel auch mittels CD-ROM.
Die Deutsche Welle bietet kostenlose Sprachkurse an.
Es gibt Faltblätter und Angebote vom Bundesamt für
Migration. Flächendeckend ist ein breites Netz von Angeboten entstanden. Das heißt, die vorhandene Nachfrage wird auch befriedigt. Es gibt das Angebot, das wir
brauchen. Die Frauen müssen diese Kurse nutzen, wodurch sie eine Chance haben, hier in Deutschland zurechtzukommen.
({13})
Für mich sind die Deutschkenntnisse ein wichtiger
Faktor im Hinblick auf den Opferschutz. Wie soll sich
sonst eine junge Frau, die zwangsverheiratet werden
soll, hier wehren können? Nur dann, wenn sie Grundkenntnisse hat, kann sie auf ihre Not aufmerksam machen und sagen, dass sie Hilfe braucht. Anders wird es
nicht funktionieren. Ich glaube, das ist langfristig eine
Maßnahme, um Mädchen vor dem Schicksal als Importbraut zu schützen. Das ist in keinem Ihrer Anträge enthalten.
({14})
Ich wünsche den jungen Frauen, die nach Deutschland einreisen, dass sie eben nicht in irgendwelchen
Wohnungen verschwinden und dadurch keine Chance
haben, an unserem Leben hier teilzuhaben. Deswegen
können Sie mich nicht davon abbringen, dass dies der
richtige Schritt für die jungen Frauen war, um sie präventiv zu schützen. Nicht nur wir denken so. Schauen
Sie einmal über die Grenzen hinweg, werfen Sie einen
Blick nach Holland oder nach Frankreich. Die Franzosen
gehen sogar noch viel weiter.
Im letzten Jahr habe ich Ihnen - daran können Sie
sich vielleicht noch erinnern - von dem jungen marokkanischen Mädchen Latifa erzählt. Ihr Schicksal hat mich
persönlich sehr betroffen gemacht, weil sie zu mir kam,
um Hilfe zu holen. Und warum kam sie zu mir? Sie
konnte Deutsch. Ich konnte ihr helfen, weil wir uns miteinander verständigen konnten.
({15})
Die Pflicht, vor der Einreise Deutschkenntnisse zu haben, fördert die Integration, und wenn Sie Zwangsverheiratungen wirklich bekämpfen wollen, dann sehe ich
darin die echte Prävention.
Noch ein Wort zur Einführung eines eigenen Straftatbestandes;
({16})
denn davon geht meines Erachtens eine höhere Signalwirkung aus. Damit könnten wir deutlich machen, dass
Zwangsehen integrationshemmende Menschenrechtsverletzungen sind, die wir in Deutschland nicht dulden,
nicht tolerieren und nicht akzeptieren werden.
({17})
Wir werden erst dann aufhören, uns weiter dafür einzusetzen, wenn es in Deutschland keine Zwangsverheiratungen mehr gibt. Mit den Deutschkenntnissen vor
Einreise sind wir auf einem guten Weg.
Danke schön.
({18})
Für die FDP hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Integrationspolitik stand durch den Besuch
des türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland in
dieser Woche wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Lassen Sie es mich klar sagen: Der FDP geht es nicht um
Assimilation, was unserem Verständnis vom freien Menschen gar nicht entspräche,
({0})
sondern um Integration dieser Gesellschaft und um das
Miteinander aller Menschen auf der Basis unseres
Grundgesetzes.
Der Auftritt von Herrn Erdogan in Köln und die begeisterte Reaktion seiner Zuhörer und Zuhörerinnen hat
schlagartig deutlich gemacht, dass Integrationspläne und
-gipfel allenfalls Instrumente, aber keine Ziele sind. Wir
sind allenfalls auf dem Weg; vielleicht sind die ersten
Schritte erfolgt.
Ich hätte es begrüßt, wenn der türkische Ministerpräsident Zwangsheirat als Straftat gegen die Menschlichkeit bezeichnet hätte.
({1})
Dies steht nämlich auch in der Türkei unter Strafe.
({2})
Zwangsverheiratungen sind Ausdruck eines archaischen
Gesellschaftsverständnisses, das insbesondere Frauen
die Entwicklung einer eigenen Identität nicht zugesteht
und deshalb auch keine freie Partnerwahl zulässt. In geringerem Maße trifft dies übrigens auch auf Männer zu.
Eine solche Menschenrechtsverletzung können wir nicht
hinnehmen, weshalb diese Form der Nötigung auch in
§ 240 Abs. 4 StGB seit 2005 unter Strafe steht.
Im Jahr 2006 - ich gehe davon aus, ähnlich auch in
2007 - gab es keine 20 Ermittlungsverfahren in Deutschland, geschweige denn Anklagen oder Verurteilungen.
Dies suggeriert, dass hier kaum Probleme existieren. Der
Blick in die Praxis ergibt ein anderes Bild. Mehrere hundert junge Frauen und Männer werden jedes Jahr Opfer
von Zwangsverheiratungen, wie ich höre, auch und gerade hier in Berlin.
Die obige Beurteilung von Zwangsverheiratungen ist
allseits Konsens. Trotzdem hat es die Große Koalition
nicht geschafft, hierzu einen gemeinsamen Antrag zustande zu bringen. Zusätzlich hat man mit der Neuregelung des Aufenthaltsrechts im letzten Sommer Regelungen eingeführt, die das Etikett der Verhinderung von
Zwangsheiraten tragen, in Wahrheit aber Ehen zweiter
Klasse einführen und Ressentiments verstärken.
Die Möglichkeit, Unterricht in der deutschen Sprache
zu nehmen, ist in den Hauptherkunftsländern außerhalb
der Großstädte kaum bis gar nicht vorhanden und mit erheblichen Kosten verbunden.
({3})
Darüber hinaus ist doch fraglich, was mit der Kenntnis
von 300 Wörtern auf Deutsch hier erreicht werden kann.
Wichtig sind eine konsequente und verpflichtende
Sprachförderung hier in Deutschland, denn darum geht
es doch, damit Frauen und Männer Arbeit finden und in
dieser Gesellschaft leben können.
Diese Sprachregelung als Nachzugsvoraussetzung ist
offenbar nur ein neuer Hebel, um dem Familiennachzug
Steine in den Weg zu legen. Dazu passt, dass jetzt schon
standardisiert DNA-Tests verlangt werden, um eine Abstammung nachzuweisen, obwohl zum Beispiel in der
Türkei ein funktionstüchtiges Personenstandswesen
existiert. Die Antragsteller akzeptieren diesen Test im eigenen Interesse, aber ich frage Sie: Wo ist denn die Freiwilligkeit, wenn einem gesagt wird, mach den Test oder
bleib zu Hause?
Ich erwähne dies in dem Zusammenhang, um eines zu
verdeutlichen: Wer das Signal setzt, jemand sei hier nur
bedingt erwünscht, muss sich nicht wundern, wenn diese
Bevölkerungsgruppe das eigene Heimatland bejubelt.
Von der Großen Koalition kommen zum Thema
Zwangsheirat keine Vorschläge für weitere Maßnahmen
mehr, obwohl doch jedem klar ist, dass die aufenthaltsrechtlichen Gesetzesänderungen denen nicht helfen, die
hier Opfer einer Zwangsheirat werden oder geworden
sind.
({4})
Die im Antrag der FDP-Fraktion vorgeschlagenen
Maßnahmen wie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für
Opfer von Zwangsheirat
({5})
ohne die Zweijahresfrist, ein Rückkehrrecht für im Heimatland Zwangsverheiratete und der weitere Ausbau
von Beratungsstellen, Hotlines und Ähnlichem sind notwendig, um wirkliche Verbesserungen zu erreichen. Wir
brauchen eine höhere Sensibilität im Umfeld der Opfer,
also in Schulen, Jugendeinrichtungen und Behörden. Ich
möchte in diesem Zusammenhang den angekündigten
Leitfaden erwähnen, der in Baden-Württemberg erstellt
wird und Verhaltensweisen im Umgang mit konkreten
Bedrohungssituationen sowie Kontaktadressen zur weiterführenden Hilfe vermittelt.
Der Ausbau und die Sicherstellung der Finanzierung
von Schutzeinrichtungen wie den Frauenhäusern liegen
mir besonders am Herzen. Die Finanzierung der Frauenhäuser ist seit ihrem Bestehen unsicher und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. Dies führt
zu nicht hinnehmbaren Unterschieden in der Chance,
Hilfe bei drohender Zwangsverheiratung und der Bedrohung mit körperlicher Gewalt oder dem Tode zu bekommen.
Die FDP-Fraktion vertritt hierzu klar die folgende
Auffassung: Nur flankierende Maßnahmen, die greifen,
werden den Ausstieg aus dem Teufelskreis Zwangsverheiratung und Gewalt bewirken. Strafgesetze haben wir
schon.
({6})
Angelika Graf hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die freie Wahl des Ehe- bzw. Lebenspartners ist für die
meisten von uns eine Selbstverständlichkeit. Dies gilt
jedoch für manche Menschen, die in Deutschland leben,
nicht. Opfer von Zwangsverheiratungen sind meist junge
Menschen mit - allerdings nicht nur türkischem - Migrationshintergrund. Ihnen wird aus patriarchalischen
Familien- und Geschlechtertraditionen heraus die freie
Partnerwahl verwehrt. Die Betroffenen werden zum
Zwecke der Verheiratung aus Deutschland verschleppt,
im Rahmen einer Zwangsehe nach Deutschland verbracht oder auch innerhalb Deutschlands zwangsverheiratet. Ein Unrechtsbewusstsein besteht bei den Tätern
meistens nicht.
Wir wissen relativ wenig über das Ausmaß von
Zwangsverheiratung bei uns in Deutschland. Kurze Einblicke in die Situation erhalten wir nur, wenn es zu öffentlich sichtbarer Gewalt kommt - wie im Fall Hatun
Sürücü - oder wenn sich Betroffene wehren, vor der
Verheiratung fliehen oder nach der Hochzeit die Qual
nicht aushalten. Der Bericht des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der eine bundesweite Evaluierung von Praxisarbeit bei der Bekämpfung
von Zwangsverheiratung vorgenommen hat, und der
Reader des Deutschen Instituts für Menschenrechte liefern erste hilfreiche Einsichten hierzu. Auf ihrer Grundlage müssen wir weiter daran arbeiten, die Opfer zu stärken und in den Migranten-Communities aufklärend zu
wirken. Denn letztlich ist jeder Fall von Zwangsverheiratung in Deutschland ein Indiz für eine nicht gelungene
Integration.
Der Deutsche Bundestag war in der Vergangenheit bei
der Bekämpfung des Phänomens nicht untätig. Irmingard
Schewe-Gerigk hat von „wir“ gesprochen. Damit meinte
sie wohl die rot-grüne Bundesregierung; denn wir haben
als rot-grüne Bundesregierung mit dem Gewaltschutzgesetz, der Absenkung der Frist zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts für ausländische Ehepartner
von vier auf zwei Jahre sowie der Aufnahme der
Zwangsverheiratung ins Strafgesetzbuch als besonders
schwerem Fall der Nötigung bereits einiges erreicht.
({0})
Auch die derzeitige Koalition war aktiv. Frau Noll ist
bereits darauf eingegangen. Zu erwähnen ist besonders
der Nationale Integrationsplan, der zahlreiche Selbstverpflichtungen der Bundesregierung enthält.
({1})
So ist zum Beispiel die in allen Oppositionsanträgen geforderte Evaluation des Nötigungsparagrafen bereits vorgesehen. Im Nationalen Integrationsplan finden sich noch
weitere konkrete Maßnahmen, allerdings nicht vonseiten
der Länder und Kommunen. An dieser Stelle ist eine stärkere Konkretisierung wünschenswert. Denn der Opferschutz vor Ort ist das Wichtigste von allem.
Im Zuge der Beratungen zum EU-Richtlinienumsetzungsgesetz zu asyl- und aufenthaltsrechtlichen Aspekten war es trotz harten Ringens von unserer Seite leider
nicht möglich, die zum Beispiel vom Deutschen Juristinnenbund, aber auch von vielen anderen geforderten
wichtigen Verbesserungen zugunsten der von Zwangsheirat Betroffenen durchzusetzen. Ich nenne hier insbesondere die Forderung, dass der Aufenthaltstitel bei einer
Zwangsverheiratung nicht bereits nach sechs Monaten
erlöschen darf. Auch ich halte es für skandalös, dass eine
junge Frau mit einem ausländischen Pass, die aus
Deutschland verschleppt wird, nicht mehr nach Deutschland zurückkehren kann, wenn die Halbjahresfrist überschritten ist.
({2})
Das Gleiche gilt für das eigenständige Aufenthaltsrecht bei Auflösung der Ehe. Es ist hochproblematisch,
ein Opfer von Zwangsverheiratung zu zwingen, mindestens zwei Jahre bis zum Erreichen des eigenen Aufenthaltsrechts in der Zwangssituation zu verbleiben. Kannbestimmungen bzw. Härtefallregelungen helfen Frauen
in dieser Situation nicht; denn die Frauen brauchen Sicherheit, um sich aus der Zwangssituation lösen zu können.
({3})
Ich bedauere es sehr, dass wir uns in diesen Punkten
nicht durchsetzen konnten; denn gerade beim Rückkehrrecht sind es die integrierten jungen Frauen, die betroffen sind. Wer das verschweigt, ist definitiv nicht im richtigen Film.
({4})
Ein Antrag auf Bekämpfung der Zwangsverheiratung
ohne die essenziellen ausländerrechtlichen Regelungen
kam für die SPD nicht infrage, wobei wir nicht verkennen, dass es in anderen Rechtsbereichen wie beim
KJHG, im Erbrecht oder beim Schutz der persönlichen
Daten im Familienrecht für den Bund noch deutlichen
Regelungsbedarf gibt. Ich verspreche, dass wir weiter
daran arbeiten werden. Ich warne allerdings ausdrücklich davor, alle muslimischen Ehen unter Generalverdacht zu stellen nach dem Motto: Jede zweite türkische
Familie ist von Zwangsverheiratung betroffen. Das ist
definitiv nicht so.
({5})
Fest steht: Wir brauchen weiterhin Aufklärung, damit
Zwangsverheiratungen als das gesehen werden, was sie
sind, nämlich keine private Familienangelegenheit, sondern eine Form von häuslicher Gewalt. Gegen die müssen wir gemeinsam kämpfen.
Angelika Graf ({6})
({7})
Die Kollegin Sevim Dağdelen hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir alle sind uns in diesem Hohen Hause einig:
Zwangsverheiratung stellt ein Höchstmaß an Gewalt dar.
Das immer wieder deutlich zu machen, darf aber kein
Selbstzweck sein. Leider ist diese Debatte symptomatisch dafür, wie zumeist über Integrationspolitik debattiert wird, nämlich weitgehend losgelöst von gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen. Dabei ist die
sozioökonomische Lage der entscheidende Grund für
Zwangsverheiratungen. Das sieht selbst die Bundesregierung so. Die Ursachen von Zwangsverheiratung
einseitig als ethnisch, religiös oder kulturell zu erklären,
hält sie ebenfalls für falsch, nachzulesen in der gestrigen
Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion zu diesem Thema.
Leider ist die Debatte aber gerade vonseiten der
Union nicht so differenziert geführt, dafür aber umso
mehr instrumentalisiert worden. Es handelt sich um ein
Manöver zur Ablenkung vom integrations- und sozialpolitischen Versagen der bisherigen Bundesregierungen.
({0})
Zwangsheirat wurde als ein Grund mehr genutzt, um besonders muslimische Migrantinnen und Migranten verallgemeinernd als rückschrittlich oder minderwertig zu
stigmatisieren. Bei vielen haben die einseitigen Schuldzuweisungen eher eine Abwehrhaltung ausgelöst. Der
Aufklärungs- und Präventionsarbeit ist somit ein Bärendienst erwiesen worden, vor allem aber auch den betroffenen Frauen.
Gerade jene, die seit Jahren in diesem Haus Gleichstellungsmaßnahmen konsequent verhindern, machen
sich plötzlich Sorgen um Frauenrechte. Die Notlagen von
Frauen werden instrumentalisiert und funktionalisiert. So
begrenzt die Bundesregierung den Ehegattennachzug.
Sie versteht das natürlich vor allem als präventive Maßnahme zur Verhinderung von Zwangsverheiratungen.
Dabei spricht sie noch von präventiver Integration. Das
vorgegebene Motiv ist aber mehr als scheinheilig; denn
mit dieser Maßnahme wird kein einziger Fall von
Zwangsverheiratung verhindert. Was hier als Opferschutz getarnt wird, zielt ganz einfach auf die Verhinderung von Einwanderung. Ihr Wunsch scheint sich zu erfüllen. Wie der Antwort auf meine schriftliche Frage zu
entnehmen ist, ging der Ehegattennachzug infolge der
Neuregelungen insgesamt um 40 Prozent und aus der
Türkei um mehr als zwei Drittel - genau 67,5 Prozent zurück.
Selbst die Bundesregierung macht in ihrer Antwort
klar, dass das sehr wohl mit dem EU-Richtlinien-Umsetzungsgesetz vom Sommer letzten Jahres zu tun hat. Das
zeigt: Ihnen geht es nicht um den Schutz von Frauen.
({1})
Faktisch kann das Gesetz jetzt nämlich bei bestimmten
Konstellationen sogar dazu führen, dass sich die Lage
dieser Frauen noch verschärft. So könnten sie sich genötigt sehen, schnellstmöglich ein Kind zu gebären. Nach
der Geburt können sie als Mutter eines deutschen Kindes
auch ohne Sprachtest hier einreisen.
Zwangsweise verheiratete Frauen müssen vor den
Konsequenzen einer Scheidung geschützt werden. Das
haben wir immer wieder gesagt. Unter den Fraktionen
besteht auch weitgehend Einigkeit, abgesehen von der
CDU/CSU-Fraktion, dass aufenthaltsrechtliche Verbesserungen für Betroffene notwendig sind. Das haben alle
Sachverständigen bei der Anhörung im Juni 2006 gesagt. Allerdings ist sich die SPD leider auch beim Thema
Zwangsverheiratungen treu geblieben. Erst stimmt sie
den aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen im Richtlinien-Umsetzungsgesetz zu, im Nachhinein fordert sie
dann auf ihrem Hamburger Parteitag im Oktober 2007
aufenthaltsrechtliche Verbesserungen. Eine klare Linie
bei der SPD - wie immer.
({2})
Aber der Handlungsbedarf liegt klar auf der Hand. Die
Sachverständigen sind sich einig. Wir brauchen starke,
vor allen Dingen aber gestärkte Frauen. Deshalb fordert
die Linke aufenthaltsrechtliche Verbesserungen und die
Schaffung angemessener Hilfsangebote. Die Betroffenen
und auch die Bedrohten müssen aus ihrer Zwangsehe
ausbrechen oder sich dem Willen ihrer Familie verweigern können. Opfer von Zwangsverheiratung müssen die
Möglichkeit haben, als Nebenklägerin aufzutreten; denn
dann könnten sie auch aktiv am Prozess teilnehmen. Sie
würden über besondere Verfahrensrechte verfügen. Zudem müsste es doch allgemein einleuchten, wie notwendig zum Beispiel die Anonymisierung der Adresse der
Betroffenen ist. Wir haben in unserem Antrag Vorschläge
zu den Verfahrensregelungen gemacht.
Wer Frauen schützen will, darf Schutzregelungen
nicht vom Aufenthaltsstatus abhängig machen, wie das
im Moment der Fall ist. Deshalb müssen diese auch für
Frauen ohne gesicherten Aufenthaltstitel gelten. Für den
Schritt aus Unterdrückung und Abhängigkeit brauchen
diese Frauen Ermutigung und Rechtssicherheit.
({3})
Dafür müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen
geschaffen werden. Ich möchte an die Bundesregierung
appellieren. Wir haben im Dezember 2005 diese Debatte
zum ersten Mal geführt. Seit dieser Zeit bin ich Mitglied
dieses Hauses. Jetzt haben wir Februar 2008. Nichts ist
Sevim Daðdelen
geschehen, außer einer Verschlechterung der Lage der
betroffenen und bedrohten Frauen.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte dringend zum Ende
kommen.
Ich fordere Sie auf: Lassen Sie endlich den Sachverstand entscheiden! Hören Sie auf die Sachverständigen
und die Vertreter der Beratungsprojekte, die seit Jahren
in diesem Bereich arbeiten!
Danke sehr.
({0})
Jetzt spricht der Kollege Stephan Mayer für die CDU/
CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! In einem Punkt
sind wir uns einig: Zwangsverheiratung ist eine gravierende und schwerwiegende Menschenrechtsverletzung
und durch nichts zu entschuldigen, insbesondere deshalb, weil die Fälle der Zwangsverheiratung häufig mit
sowohl brutaler physischer als auch psychischer innerfamiliärer Gewalt, mit Demütigung, mit Unterdrückung
und mit Vergewaltigung und teilweise, wie wir leider
Gottes auch schon in Deutschland feststellen mussten,
mit unsäglichen sogenannten Ehrenmorden, die unerträgliche und verabscheuungswürdige Straftaten sind,
verbunden sind.
Das Hauptaugenmerk muss darauf liegen, alles dafür
zu tun und effiziente Regelungen zu schaffen, um
Zwangsverheiratungen zu verhindern. Das ist das große
Defizit aller Anträge der Opposition, mit denen wir uns
heute beschäftigen.
({0})
Sie setzen sich nicht damit auseinander, was getan werden muss, um Zwangsverheiratungen präventiv zu verhindern. Dies ist ihr großes Defizit.
Die Große Koalition hat, wie schon erwähnt, durch
das Gesetz zur Umsetzung asyl- und ausländerrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union einiges getan,
um im präventiven Bereich Zwangsverheiratungen effizient zu verhindern, zum Beispiel indem wir das Nachzugsalter für Ehegatten auf 18 Jahre festgelegt haben.
Frauen, die über 18 sind, sind selbstständiger, eigenverantwortlicher, haben einen ausgeprägteren Charakter
und laufen damit nicht so schnell Gefahr, Opfer von
Zwangsverheiratungen zu werden.
({1})
Mit dem Erfordernis des Nachweises von einfachen
- wohlgemerkt: einfachen - Sprachkenntnissen, die vor
der Einreise nach Deutschland im Herkunftsland erworben werden müssen, wird gewährleistet, dass die Frauen,
insbesondere die aus muslimisch geprägten Ländern,
zum Beispiel aus der Türkei, schon mit ordentlichen
Deutschkenntnissen nach Deutschland kommen, sie sich
somit in der deutschen Gesellschaft zurechtfinden können, eigenständig einkaufen gehen und sich einen Freundeskreis aufbauen können. Auch dies stärkt die Frauen
und verhindert, dass sie in größerem Maße Opfer von
Zwangsverheiratung werden.
({2})
Eine wesentliche Leistung der Großen Koalition ist
auch, dass die Bundesrepublik 150 Millionen Euro im
Jahr für Sprachkurse, Orientierungskurse und Integrationskurse ausgibt. Auch dadurch stärken wir Migrantinnen und Migranten, die nach Deutschland kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es trifft einfach nicht zu, dass im Ausland nicht ausreichende Möglichkeiten geschaffen werden, um im Vorfeld Sprachkurse zu besuchen.
({3})
Ich habe mich selbst davon überzeugt: Das GoetheInstitut bietet zum Beispiel in der Türkei, auch in Südostanatolien, die Möglichkeit an, Sprachkurse zu besuchen. Dafür beauftragt es in Diyarbakir andere Agenturen. Es ist eine Mär, dass es im Ausland nicht möglich
ist, Deutsch zu lernen.
({4})
Dieses Umsetzungsgesetz ist mitnichten diskriminierend und mitnichten türkenfeindlich. Ganz im Gegenteil:
Es ist ein integrations- und frauenfreundliches Gesetz
und deshalb meines Achtens der richtige Schritt in die
richtige Richtung.
({5})
Herr Kollege, es fällt schwer, Ihren Schwung zu stoppen, aber Frau Dağdelen würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, was Ihnen zu noch mehr Schwung
und noch mehr Redezeit verhelfen würde.
Sehr gerne.
Bitte schön!
Vielen, Dank, Herr Kollege Mayer. Sie haben gesagt,
es stimmt nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, Sprachkurse zu belegen, und dass es keine Stellen gibt, wo man
Sprachtests ablegen kann. Haben Sie Kenntnis davon,
dass betroffene Menschen zum Beispiel in Nicaragua
weder die Möglichkeit haben, Sprachkurse zu belegen,
noch die Möglichkeit, bei irgendeiner Stelle - es gibt
dort keine Goethe-Institute - Sprachtests abzulegen?
Verehrte Frau Kollegin Dağdelen, zunächst möchte
ich festhalten: Deutschland ist nicht das Haupteinreiseland für Bürger aus Nicaragua.
({0})
Die meisten Immigranten, die nach Deutschland kommen, kommen nun einmal aus der Türkei. In der Türkei
gibt es ausreichende Möglichkeiten - in Südostanatolien
sogar flächendeckend -, zum einen Deutsch zu lernen
und zum anderen den Deutschtest zu absolvieren.
({1})
Natürlich besteht immer wieder einmal die Notwendigkeit, nachzujustieren. Ich bin der Meinung, man sollte
sich durchaus neuen Möglichkeiten öffnen. Zum Beispiel sind die Niederlande in diesem Bereich sehr weit.
Sie bieten das Belegen von Kursen und das Ablegen von
Tests mittels Computer an. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man diese Möglichkeit auch an deutschen
Botschaften etabliert,
({2})
auch in Nicaragua. Es ist sicherlich nichts so gut, als dass
es nicht noch verbessert werden kann, werte Kollegin.
Aber in den Ländern, für die Deutschland Haupteinreiseland ist - zum Beispiel die Türkei und der Kosovo -, gibt
es bereits ausreichende Möglichkeiten, Deutsch zu lernen und einen Deutschtest abzulegen.
({3})
Es ist ebenfalls eine Mär, dass es erst nach einer zweijährigen Ehebestandszeit möglich ist, dass ein geschiedener Ehepartner, der Opfer von Zwangsverheiratung
oder Gewalt in der Familie geworden ist, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommt.
({4})
Nach der Härtefallregelung in § 31 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes ist es bereits vor dem Ablauf der zweijährigen Ehebestandszeit möglich - meine sehr verehrte Frau
Kollegin, die Hürden sind dabei relativ niedrigschwellig -, dass der betroffene Ehegatte ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht erhält.
({5})
Darüber hinaus muss man natürlich zur Kenntnis nehmen, dass das eigenständige Aufenthaltsrecht, das dem
von Zwangsverheiratung betroffenen Ehegatten erwächst,
nicht über das Aufenthaltsrecht hinausgehen kann, von
dem er sein Aufenthaltsrecht zunächst einmal ableitet,
nämlich von dem des Stammberechtigten. Das ist nun
einmal so. Wir haben die Familienachzugsrichtlinie der
Europäischen Union in vollem Umfang umgesetzt. Es
handelt sich um ein verfassungsgemäßes Gesetz. Das
werden Sie sehen, wenn die Verfassungsbeschwerde in
Karlsruhe geprüft wird.
({6})
Die Professoren Hailbronner und Hillgruber haben in der
öffentlichen Anhörung vor dem Innenausschuss in seiner
Sitzung am 21. Mai ausführlich dazu Stellung genommen.
({7})
Darüber hinausgehende Besserstellungen und eine Perpetuierung einer Opferrolle auf Dauer wäre falsch. Entscheidend ist es, effiziente Regelungen zu schaffen, um
Zwangsverheiratungen zu verhindern und dann, wenn es
wirklich zu Zwangsverheiratungen und innerfamiliärer
Gewalt kommt, die Möglichkeit zu schaffen, dass sich
der betroffene Ehegatte möglichst schnell und unbürokratisch von seinem Partner trennen kann.
Herr Kollege, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu
kommen.
Es geht also nicht darum, eine Opferrolle auf Lebenszeit zu perpetuieren.
({0})
Die heute zu beratenden Anträge der Opposition sind
nicht zielführend und gehen völlig am Thema vorbei. Sie
sind abzulehnen.
Herzlichen Dank.
({1})
Jetzt spricht Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gewalt gegen Frauen und Kinder ist verabscheuungswürdig. Das gilt auch für die besondere Ausprägung der
Zwangsverheiratung, die gegen das Recht auf Selbstbestimmung gerichtet ist, wovon vorzugsweise Frauen und
Mädchen betroffen sind. Insoweit, Herr Kollege Stephan
Mayer, bin ich mit dem Anfang Ihres engagierten Redebeitrags ausdrücklich einverstanden; ich sage das auch
namens der SPD-Fraktion.
({0})
Dieses Einverständnis reicht dann noch so weit: Ehegattennachzug, Altersgrenze von 18 Jahren, das ist okay.
Das entspricht unserem Rechtssystem. Der Regelfall für
die Eheschließung ist nun einmal die Volljährigkeit, es
sei denn, das Vormundschaftsgericht bestimmt das anders. Wir sollten darauf achten - das möchte ich bei der
Gelegenheit einmal sagen -, dass, etwa bei der Umsetzung von EU-Recht, entsprechend deutschem Rechtsverständnis ausgeschlossen wird, dass Minderjährige
heiraten können.
Damit endet dann schon fast die Übereinstimmung.
({1})
Ich persönlich - das gilt auch für einen großen Teil der
SPD-Fraktion - halte überhaupt nichts davon, den vorherigen Erwerb von Deutschkenntnissen zur Bedingung
für den Ehegattennachzug zu machen.
({2})
- Lieber Kollege Grindel, ich weiß, dass wir das beschlossen haben. Ich werde aber doch noch sagen dürfen, dass mich das schmerzt und dass das nicht meiner
Überzeugung entspricht.
({3})
Ich halte sehr viel mehr davon, zu sagen, die Betreffenden möchten bitte in Deutschland Deutsch lernen.
({4})
- Frau Präsidentin, geht dieser Dialog von meiner Redezeit ab? - Gut.
Sie haben den Vorteil, dass Sie das Mikrofon haben.
Ich komme zurück zum Thema. Wenn Sie mir freundlicherweise zuhören würden!
Straftatbestand der Zwangsverheiratung. Die Sachverständigenanhörung im Familienausschuss hat jedenfalls nach meiner Überzeugung ergeben: Der durch
Rot-Grün geschaffene Strafrahmen in § 240 StGB - besonders schwerer Fall der Nötigung - reicht völlig aus.
Einige Sachverständige haben uns aber gesagt: Wegen
der generalpräventiven Wirkung, wegen der besseren
Sichtbarmachung für alle, die sonst unter Umständen
Täter werden könnten, wäre eine Änderung sinnvoll. Da
bin ich bei Ihnen, Frau Kollegin Noll. Wenn wir darüber
einig sind, dies unter eine eigene Überschrift, unter einen
eigenen Paragrafen zu fassen: Wer sollte uns dann daran
hindern?
Nächster Punkt: eigenständiges Aufenthaltsrecht für
von Zwangsverheiratung Betroffene. Ich darf darauf hinweisen, dass nach der Gesetzesvorschrift - sie ist übrigens nicht verschärft worden, liebe Kollegin Dağdelen;
sie hat so schon existiert - in besonderen Härtefällen von
der Frist von zwei Jahren - Rot-Grün hat sie 1999 auf
zwei Jahre festgesetzt - abgewichen werden kann. Aber
ich stimme meiner Kollegin Graf darin zu, dass es natürlich besser wäre, wenn man das ausdrücklich ins Gesetz
schreiben würde. Ich sage wiederum an das ganze Haus,
insbesondere aber an die Kolleginnen und Kollegen von
der Union: Wenn wir uns auch darüber einig sind, dann
sollten wir uns nicht daran hindern lassen, entsprechend
zu verfahren.
({0})
Ich komme auf einen letzten Punkt zu sprechen; ich
halte ihn für den allersensibelsten. Es geht um das Wiederkehrrecht, sowohl für Minderjährige als auch für
Volljährige, die im Ausland - sei es, dass sie verschleppt
worden sind, sei es, dass sie aus einem anderen Grund
dort waren - gegen ihren Willen verheiratet worden sind.
Hier müssen wir alle aufpassen, dass wir uns durch die
Untätigkeit des Gesetzgebers nicht selbst zum Vollstrecker an den Opfern machen,
({1})
sie dort, wo sie verheiratet worden sind, in ihrer Zwangslage sozusagen noch festhalten, anstatt dafür zu sorgen,
dass sie unter vernünftigen Bedingungen nach Deutschland zurückkehren können. Ich weiß, dass das ein Punkt
ist, über den in der Unionsfraktion und unter Regierungsmitgliedern aus der Union nachgedacht wird. Ich
hatte in der Sachverständigenanhörung auch den Eindruck, dass wir uns darüber parteiübergreifend eigentlich
einig waren.
Ich sage noch einmal: Es kann nicht sein, dass jemand, der gegen seinen Willen in einem anderen Land
festgehalten wird - vorzugsweise geht es um junge
Frauen -, gehindert wird, nach Deutschland zurückzukehren, um sich so aus dieser Zwangslage zu befreien,
indem wir sagen: Nach sechs Monaten erlischt das Aufenthaltsrecht. - Das dürfen wir nicht zulassen.
Neben allem, über das wir uns vielleicht einig sind
- eigenständiges Aufenthaltsrecht von Ehefrauen, eigener Straftatbestand, Wiederkehrrecht -, sage ich etwas
noch einmal ganz pointiert.
Herr Kollege!
Ich komme zum Schluss. - Letzter Satz: Wir müssen
wirklich aufpassen, dass wir nicht zum Vollstrecker an
den Opfern der Täter werden, die sie gegen ihren Willen
zwangsverheiratet haben. Das meine ich sehr ernst. Ich
bitte Sie alle, darüber noch einmal nachzudenken und
vielleicht mitzuhelfen.
Danke.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7680 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Allerdings ist die Fe-
derführung strittig. Während die Fraktionen von CDU/
CSU und SPD die Federführung beim Innenausschuss
wünschen, möchte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
die Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend. Darüber müssen wir abstimmen.
Ich lasse zunächst über den Überweisungsvorschlag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, also
Federführung beim Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend. Wer für diesen Überweisungsvor-
schlag ist, möge bitte die Hand heben. - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Dieser Vorschlag ist damit bei
Zustimmung durch die drei Oppositionsfraktionen und
bei Gegenstimmen von den Koalitionsfraktionen abge-
lehnt.
Ich lasse jetzt abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Fe-
derführung beim Innenausschuss. Wer ist für diesen
Überweisungsvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Damit ist dieser Überweisungsvorschlag so ange-
nommen.
Ich komme zum Tagesordnungspunkt 8 a, nämlich
der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/4910.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/61 mit
dem Titel: „Zwangsverheiratung bekämpfen - Opfer
schützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koali-
tionsfraktionen und bei Gegenstimmen von Bündnis 90/
Die Grünen und der Fraktion Die Linke und bei Enthal-
tung der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1156
mit dem Titel: „Zwangsheirat wirksam bekämpfen - Op-
fer stärken und schützen - Gleichstellung durch Inte-
gration und Bildung fördern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Diese Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung
durch die Koalitionsfraktionen und bei Gegenstimmen
von FDP und der Linken und bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/4910 empfiehlt der Ausschuss schließlich die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/1564 mit dem Titel: „Für einen Schutz
der Opfer von Zwangsverheiratungen, für die Stärkung
ihrer Rechte und die längerfristige Bekämpfung der Ur-
sachen patriarchaler Gewalt“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustim-
mung durch die Koalitionsfraktionen, bei Gegenstim-
men von der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung von
FDP und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 25 a und 25 b
auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tierschutzbericht 2007
- Drucksache 16/5044 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({0})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Tierschutzgesetzes
- Drucksache 16/7413 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es ist verabredet, hierüber eine Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist es so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerd Müller für die
Bundesregierung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr gern hätte ich auch gesagt: „Liebe Tiere!“;
({0})
denn bei diesem Tierschutzbericht geht es schließlich
um die Situation der Tiere im Land.
Ich erhebe die Stimme für die Tiere in unserem Land.
Wenn der eine oder andere sich die Frage stellt, ob die
heutige Debatte überhaupt notwendig ist, antworte ich:
Ja, selbstverständlich! In Deutschland gibt es 23 Millionen Haustiere und über 100 Millionen Nutztiere in den
Ställen, zum Beispiel 26 Millionen Schweine. In jedem
dritten Haushalt gibt es ein Tier; 7,5 Millionen Katzen
und 5 Millionen Hunde. Hinzu kommen noch die vielen
freilebenden Tiere.
Ehrfurcht vor dem Leben gebietet auch den besonderen Schutz unserer Tiere und die Fürsorge. Auch Tiere
haben eine Würde und ein Recht darauf, dass Probleme
im Zusammenhang mit der Nutzung und der Tierschutz
hier im Parlament behandelt werden.
({1})
Denn ohne Tiere stirbt die Natur, und ohne Natur stirbt
der Mensch.
Wir hatten im vergangenen Jahr das Thema „Sterben
unsere Bienen?“. In Amerika ist das millionenfach geschehen. An dieser Stelle zeigt sich der Kreislauf der
Natur: Stirbt die Biene, gibt es keinen Frühling, keine
Bestäubung, keine Natur. An diesem kleinen, aber dramatischen Beispiel wird deutlich, welche herausragende
Bedeutung im Zusammenspiel zwischen Mensch, Tier
und Natur den Tieren, auch den freilebenden, zukommt.
Tierschutz ist deshalb sowohl Naturschutz als auch
Menschenschutz. Mit der Vorlage des Tierschutzberichtes wollen wir darauf eingehen und über die Fortschritte
in der Frage, wie wir mit unseren Tieren umgehen, berichten.
Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, nicht nur denen, die jetzt hier anwesend sind. Wir
hatten im letzten Jahr viele fraktionsübergreifende Debatten. Wir haben den Tierschutz als Staatsziel im
Grundgesetz verankert. Das haben Sie ganz wesentlich
bewirkt. Wir haben heute hohe Tierschutz- und Tierhaltungsstandards, und zwar nicht nur in Deutschland. Vielmehr haben wir dieses Thema im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft auch in Europa auf die Agenda gesetzt.
({2})
Das verdient natürlich ein Lob.
Beim Thema Tierschutz geht es ganz besonders um
die Frage, welche Standards wir in Deutschland und Europa setzen. Bundesminister Seehofer hat im Rahmen
der deutschen Ratspräsidentschaft ganz erheblich dazu
beigetragen, dass auch auf europäischer Ebene das
Schützen und Nützen von Tieren in einem ausgewogenen Verhältnis steht. Dazu nenne ich einige Punkte, die
ich natürlich nur kurz markieren kann: Wir haben uns für
eine europäische Tierschutzkennzeichnung stark gemacht. Minister Seehofer und die Bundesregierung haben sich des Weiteren für international gültige Mindeststandards eingesetzt; denn es nützt nichts, nur in
Deutschland Standards zu setzen. Denn ansonsten gibt
es eine Abwanderung insbesondere im Nutztierbereich.
({3})
Das ist uns gelungen. Ich nenne den Punkt CrossCompliance. Dieser Rahmen gilt für die Haltung von
Nutztieren in den 27 Staaten der EU. Ich nenne die
Richtlinie zur Haltung von Masthühnern und die Verordnung hinsichtlich eines Importverbots von Hunde- und
Katzenfellen, ein ganz entscheidendes Thema.
Ein weiteres Anliegen auf europäischer Ebene war
uns, allen Fraktionen - ausgegangen ist das von den Regierungsfraktionen -, die Bekämpfung der illegalen Fischerei im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft. Es nützt
nichts, in mühseligen Verhandlungen Schutzquoten zu
vereinbaren, wenn wir dieses Problem international,
nicht nur in Europa, nicht in den Griff bekommen. Tierschutz muss deshalb auch auf die Agenda der WTO.
({4})
Aber wer sich europa- und weltweit durchsetzen will,
muss zunächst zu Hause vorbildliche Arbeit leisten. Dies
haben wir getan. Diese Koalition geht in Deutschland
mit der Schaffung von vorbildlichen Standards voran. So
ist es uns gelungen, den Tierschutz bei der Nutztierhaltung fortzuentwickeln, ohne die Wettbewerbsfähigkeit
unserer Landwirtschaft aus den Augen zu verlieren. Herr
Goldmann, nicht nur den Bauern, sondern auch den Tieren in den Ställen geht es unter dieser Regierung besser.
Das ist ganz wichtig.
({5})
Wir haben neue und bessere Standards für die Tierhaltung nicht nur angekündigt, sondern auch umgesetzt. Innerhalb von zwölf Monaten haben wir neue Standards
für die Haltung von Schweinen und Legehennen geschaffen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die
Einführung der Kleingruppenhaltung bei Legehennen.
Deutschland ist hier vorangegangen, um eine sinnvolle
und tragfähige Alternative zur Käfighaltung zu entwickeln. Wir haben auch neue Standards für die Haltung
von Pelztieren - ebenfalls ein wichtiges Thema - und
von Zirkustieren geschaffen. Das sind vier sehr zentrale
und wichtige Bereiche.
Ich möchte noch kurz zum Thema Tiertransporte
kommen. Bei den Tiertransporten ist es uns auf europäischer Ebene durch politischen Druck endlich gelungen
auf, den Irrsinn zu beenden, dass nur der Subventionen
wegen Tiere durch Europa transportiert werden. Lange
haben wir darüber diskutiert. Nun ist es endlich gelungen, ein klares Signal auszusenden.
({6})
Man konnte die schrecklichen Bilder im Fernsehen sehen. Zwischenzeitlich haben wir in Deutschland hohe
und höchste Standards beim Tiertransport gesetzt: vom
Tränken bis zur Temperatur in den Lkws.
Die Bundesregierung geht Schritt für Schritt erfolgreich voran. Wir machen Front gegen das brutale Abschlachten der Robben. In dieser Woche stand dieses
Thema im Bundeskabinett auf der Tagesordnung. Wir
setzen die Forderung aller Fraktionen des Bundestages
um, ein nationales Verbot für den Import, die Verarbeitung und das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen
zu erlassen. Wir sind alle einer Meinung: Die Robbenjagd muss ein Ende haben.
({7})
Deutschland muss noch ein Stück Überzeugungsarbeit
mit Blick auf die Mitgliedstaaten der EU und die WTO
leisten.
Ebenso klar ist unsere Position gegen den Walfang
und die illegale Fischerei, die ich schon genannt habe.
Bei der Fischerei ist uns sehr wichtig, dass - über die europäischen Meere hinaus - die Abfischung der Weltmeere Beachtung findet. Der weltweite Artenschutz,
nicht nur bei Fischen, verlangt unseren vollen Einsatz.
Von weltweit circa 1,5 Millionen Tierarten sterben täglich zwischen 100 bis 150 aus. Auch hier dürfen wir die
Probleme nicht nur beklagen und auf die europäische Tagesordnung setzen, sondern wir müssen national handeln. Deshalb hat die Bundesregierung mit der Strategie
zur biologischen Vielfalt, einem Programm zur Erhaltung von Arten und Lebensräumen, 330 konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht.
Ich verkenne aber nicht, dass es in der Zukunft noch
Problembereiche gibt. Ein Problembereich, der auch im
Tierschutzbericht angesprochen worden ist, ist das
Thema Tierversuche. Leider haben wir in den vergangenen zwei Jahren eine Steigerung der Anzahl der Tierversuche. Wir brauchen die Erkenntnisse aus Tierexperimenten, aber der Trend einer steigenden Anzahl von
Tierversuchen muss gestoppt und umgekehrt werden.
({8})
Wir wissen, dass diese Steigerung mit den rechtlichen
Folgerungen aus der Umsetzung von REACH zusammenhängt. Aber es kann nicht sein, dass wir in den
nächsten Jahren eine Steigerung von 4,5 Prozent haben.
Deshalb brauchen wir Alternativmethoden. Auch hier
geht die Bundesregierung voran. Wir werden die ZEBET
stärken und dort ein nationales Referenzzentrum einrichten. Doppelversuche müssen vermieden werden. Wir
werden in den nächsten Monaten über dieses Thema im
Rahmen der Novelle zur EU-Tierschutztransportverordnung mit den europäischen Partnern diskutieren.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Der Tierschutzbericht wird in Zukunft alle vier Jahre
vorgelegt. Wir wollen mit dem zukünftigen Tierschutzbericht ein Stück weit Grundsatzfragen angehen und
langfristige Entwicklungen aufzeigen, über aktuelle Daten aber permanent, also jedes Jahr, über das Internet,
aber auch hier im Parlament mit Ihnen diskutieren.
Herr Kollege!
Tierschutz hat viele Dimensionen und einen hohen
Stellenwert. Er geht uns alle an.
Herzlichen Dank.
({0})
Hans-Michael Goldmann hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich werde jetzt ein bisschen abprüfen, geschätzter Herr Staatssekretär, ob das, was Sie gesagt haben, nämlich dass es den Bauern und den Tieren besser
geht, etwas mit Ihrer Politik zu tun hat.
({0})
Vorweg möchte ich feststellen: Ganz so toll kann Ihre
Politik nicht sein; denn ansonsten wäre gar nicht zu verstehen, warum der Tierschutzbericht zukünftig nur noch
alle vier Jahre vorgelegt wird.
({1})
Normalerweise versucht eine Regierung, mit ihren Erfolgen zu glänzen. Deswegen gehe ich einmal davon aus
- ich werde jetzt versuchen, das zu belegen -, dass die
Erfolge vergleichsweise bescheiden sind. Oder sehen Sie
die Vorlage des Tierschutzberichtes nur noch alle vier
Jahre als eine Maßnahme im Sinne des Bürokratieabbaus, über den wir in dieser Woche schon im Ausschuss
diskutiert haben?
Ich beginne einmal mit ein paar formalen Dingen.
Man muss dem einen oder anderen Zuhörer einmal klarmachen, über was wir heute reden. Wir reden im Wesentlichen über die Zahlen und Ergebnisse des Jahres
2005, wenn es zum Beispiel um die Tierversuche geht.
Diese sind Bestandteil des Tierschutzberichtes 2007. Sie
haben es angesprochen: Die Zahlen sind gestiegen. Die
Zahl der Wirbeltierversuche hat sich von über 2 412 000
auf 2 518 000 erhöht. Unser gemeinsames Ziel war es eigentlich immer, in diesem Bereich besser zu werden. Ich
kann die Wissenschaft und uns selbst nur immer wieder
dazu auffordern, auf Alternativmethoden zu setzen, sich
klarzumachen, dass Tierversuche wirklich nur dann
durchgeführt werden, wenn sie zwingend notwendig
sind, um ganzheitliche Prozesse zu erfahren. Wir sind in
diesem Bereich nicht gut; wir alle müssen in diesem Bereich besser werden.
({2})
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen. Bei
diesem Thema ist man ja meist sehr direkt betroffen. Ich
selbst liebe Tiere. Wir haben eine Katze. Sie hört jetzt zu
Hause auch zu, so nehme ich an.
({3})
- Die liegt jetzt wahrscheinlich bei meiner Frau auf dem
Schoß und muss mit zuhören.
Es gab bei Mastkaninchen unerträgliche Haltungsbedingungen. Was haben Sie gemacht? Sie haben nichts
gemacht. Wer etwas getan hat, war die Wirtschaft. Die
hat nämlich eine Qualitätsgemeinschaft für Kaninchenfleisch gegründet und hat im Grunde genommen eine internationale Vernetzung hinbekommen, also nicht nur
auf dem nationalen Markt, sondern auch im Hinblick auf
südamerikanische Märkte. Hier zeigt sich: Da man die
Dinge national nicht aufgreift und auch auf europäischer
Ebene keine Initiativen in Gang bringt, kann man richtig
froh sein, dass die auch von Ihnen manchmal sehr gescholtene Wirtschaft hier Vorreiter ist. Ich bedanke mich
bei der Wirtschaft dafür, dass sie entscheidend dazu beigetragen hat, dass sich die Bedingungen des Schutzes
von Kaninchen verbessert haben.
({4})
Nehmen wir ein drittes Beispiel. Wir haben in dieser
Woche im Ausschuss über die Blauzungenkrankheit gesprochen. Ich weiß, dem einen oder anderen passt es
nicht; aber die Bundesregierung hat geschlafen. Die
Bundesregierung hat falsche Aussagen getätigt. Sie hat
auf der Grünen Woche signalisiert - Kollege Priesmeier
hat dies im Ausschuss deutlich gemacht -: Wir stehen
unmittelbar vor der Chance des Impfens. Die Chance des
Impfens hat nicht nur etwas mit dem Schutz der Tiere zu
tun, wenn es darum geht, sie zu exportieren, sondern
ganz entscheidend damit, dass Schmerzen bei den Tieren
vermieden werden. Nun mussten wir im Ausschuss feststellen: Es ist kein Impfstoff da. Er kommt möglicherweise in ein paar Wochen oder auch erst in Monaten.
Nur, dann ist es viel zu spät, um den Schutz der Tiere zu
gewährleisten.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, Sie hätten das
Ohr an allen Dingen, die sich entwickeln. Ich frage
mich: Wie kann so etwas passieren? Vier große ernst zu
nehmende Firmen kündigen an, dass sie einen Impfstoff
haben. Diese Information landet in Ihrem Haus und bei
den Forschungseinrichtungen, zum Beispiel auf Riems.
Dann stellen Sie auf einmal fest: April, April! Es wurde
noch gar kein Feldversuch mit diesen Impfstoffen gemacht; wir können sie überhaupt nicht einsetzen. - Dann
fordern wir die Länder auf: Besorgt euch Impfstoffe!
Hessen koordiniert das. Jedem wird gesagt: Seht bloß zu,
dass ihr etwas davon bekommt; denn nachher ist nichts
mehr da. - Ich meine, dass es im Sinne des Tierschutzes
ein eklatantes Versagen ist, was die Bundesregierung da
an den Tag legt.
({5})
Ich will noch einmal betonen: Wir sagen seit geraumer Zeit, dass wir impfen müssen anstatt zu töten. Die
intensiven Haltungsformen, die wir heute haben, sind
nur marktfähig und ethisch vertretbar, wenn wir auch
impfen. Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass bei Seuchenausbrüchen Millionen von Tieren gekeult, totgeschlagen werden. Das versteht kein Verbraucher. Man
muss darauf drängen, dass geimpft wird, und wenn man
die Tiere geimpft hat, muss man mit den Ländern, die
diese abnehmen, in Verhandlung treten. Man muss ihnen
ganz klar sagen: Ihr könnt Fleisch oder Zuchtmaterial
von uns bekommen, aber möglicherweise ist es von Tieren, die geimpft sind. - Darauf muss man hinarbeiten.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass es den Tieren in Deutschland besser ergangen ist. Ich bin sehr damit einverstanden, dass wir heute nicht mehr darüber reden, welche Haltungsform für Legehennen notwendig
ist; das ist abgefrühstückt. Ich bin dafür, dass wir die
Verbesserungen, die wir im Zusammenhang mit der Haltung von Legehennen beschlossen haben, jetzt auch
durchsetzen. Wie Sie aber auf die - ich sage das in Anführungsstrichen - Schnapsidee gekommen sind, für
jede Haltungsform einen Tierschutz-TÜV einzuführen,
weiß ich nicht.
({6})
Sie können doch selber feststellen, zum Beispiel bei den
Schweinen, dass die Landwirte die Dinge hervorragend
regeln. Die Landwirte machen das, was für ihre Tiere gut
ist, weil sie ihre Tiere lieben und weil sie nur mit gutgehenden Tieren wirtschaftlichen Erfolg haben. Man muss
auch bedenken, dass es schon ein Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft gibt, das mit
finanzieller Unterstützung Ihres Hauses Standards erarbeitet. Die Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt, man wolle zurück zur Fachlichkeit. Dabei ist die Fachlichkeit doch bei den Fachleuten
vor Ort gegeben. Ich verstehe daher nicht, warum Sie
hier auf dem Tierschutz-TÜV herumreiten.
Herr Staatssekretär, wie war das denn mit den Hundeund Katzenfellen und den Wildvögelimporten? Sie werden sich daran erinnern: Die Regelung ist im Ausschuss
von den Oppositionsfraktionen erkämpft worden.
({7})
- Waren Sie damals schon dabei, Frau Kollegin? Vorsicht!
({8})
Wir haben immer gesagt: Lasst uns beim Verbot der
Einfuhr von Hunde- und Katzenfellen Vorreiter sein.
Uns wurde immer gesagt, das gehe nicht,
({9})
bis die Dänen auf einmal den Vorreiter gespielt haben.
Als wir gesagt haben: „Jetzt wollen wir hinterher, und
zwar mit aller Gewalt“, sind dann die großen Fraktionen
hinzugetreten, und wir haben diese Regelung gemeinsam erreicht.
({10})
Die Spielregeln sind in diesem Fall relativ klar. Auch bei
der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz waren
wir Vorreiter. Wir sind eindeutig diejenigen, die die
Dinge in Schwung gebracht haben.
Wir können ja versuchen, gemeinsam etwas hinzubekommen, was das Thema Wale anbelangt. Ich erinnere
an die furchtbaren Bilder, wie die Walmutter und ihr
Jungtier an Bord gezogen wurden. Ich finde es gut, dass
solche Bilder veröffentlicht werden, so traurig sie auch
sind. Dadurch wird klar, welcher Schwachsinn da betrieben wird und welche Brutalität hier an den Tag gelegt
wird. Wir machen mit den Japanern ein Geschäft nach
dem anderen, und die behaupten rotzfrech: Wir betreiben
den Walfang aus Forschungsgründen. Das ist glatt gelogen. So ähnlich ist die Sache mit den Robben und den
Kanadiern. Es ist überflüssig wie ein Kropf, wenn Tiere
auf diese Art und Weise abgeschlachtet werden.
({11})
Das ist in keinerlei Hinsicht mit dem Tierschutz in Einklang zu bringen. Lassen Sie uns gemeinsam vorangehen. Dann können wir erfolgreich sein.
Ich bitte Sie aber, noch einmal darüber nachzudenken,
ob es wirklich klug ist, dass wir nur alle vier Jahre über
den Tierschutz debattieren. Schließlich werden Millionen Tiere in Haushalten gehalten, wo die Tierhaltung
zum Teil sicherlich diskussionswürdig ist. Außerdem
werden Millionen Tiere als Nutztiere gehalten, und es
gibt viele internationale Probleme. Wir werden versuchen, das Thema Tierschutz im Bundestag auch zukünftig intensiv zur Sprache zu bringen.
Herzlichen Dank.
({12})
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Mechthild Rawert.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Ich habe keine Katze, die vor dem
Fernseher sitzt, Herr Goldmann. Ich denke auch, dass
das aus Tierschutzgründen ernsthaft überdacht werden
sollte.
({0})
270 000 Sattelrobben wurden im vergangenen Jahr
vom kanadischen Fischerei- und Meeresministerium offiziell zum Töten freigegeben. 270 000 Sattelrobben
wurden allein 2007 in Kanada getötet. Tierschutzorganisationen sprechen von mehr als 400 000 Robben weltweit. Dabei gehen die Robbenjäger nicht zimperlich mit
den Robben um. Ich erspare Ihnen Einzelheiten über das
Töten der Robben und das Abziehen der Felle bei lebenden Robben. Ich bin mir sicher, dass viele von Ihnen
schon Fotos und Reportagen darüber gesehen haben.
Seit Jahren protestieren Öffentlichkeit und Tierschützer
gegen das alljährlich weltweite Abschlachten von Robben.
Der Bundestag hat der Bundesregierung am 19. Oktober 2006 einvernehmlich - ich betone: fraktionsübergreifend einvernehmlich - einen klaren Auftrag erteilt.
Die Bundesregierung wurde aufgefordert, den Import,
die Be- und Verarbeitung und das Inverkehrbringen von
Robbenprodukten wirkungsvoll zu unterbinden. Wir
Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben der Bundesregierung den Auftrag gegeben, sich erstens aktiv dafür einzusetzen, dass es ein europaweites Einfuhr- und
Handelsverbot für Robbenprodukte gibt. Sollte dies
nicht umsetzbar sein, soll es zweitens zu einem nationalen Einfuhr- und Handelsverbot für Robbenprodukte
kommen. Der Auftrag ist klar.
Dem Bundeskabinett, also allen Ministerinnen und
Ministern unserer Bundesregierung, wurde diese Woche
ein entsprechender Entwurf seitens des Hauses Seehofer
vorgelegt. Dieser Entwurf wurde vom Bundeskabinett
zur Kenntnis genommen. Das heißt, es passiert erst einmal gar nichts. Ich kenne die Gründe für diese bloße
Kenntnisnahme nicht, aber ich wiederhole: Es gibt einen
klaren Auftrag des Parlamentes. Daher fordern wir von
der SPD-Fraktion die Bundesregierung auf, diesem in
Bälde nachzukommen. Wir Parlamentarierinnen und
Parlamentarier wollen ein geltendes Verbot. Wir erklären: Wir wollen es jetzt. Wir wollen in Deutschland
keine gehandelten Robbenprodukte.
({1})
Wir setzen ein Verbot für Hundefelle und Katzenfelle
um. Es gibt keinen Grund, Vergleichbares nicht für Robbenprodukte zu machen.
({2})
Die Bundesregierung kann sich nicht zurücklehnen
und zuschauen, wie andere Staaten - beispielhaft die
Niederlande und Belgien - Robben schützen. Durch
Nichtstun verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit in der
eigenen Bevölkerung und auch international. Wer derzeit
in diesem Bereich arbeitet und seine E-Mails liest, weiß,
wie viel Post wir im Augenblick dazu bekommen. Der
Zeitraum vom 19. Oktober 2006 bis heute war für eine
Prüfung lang genug. Wir wollen einen Gesetzentwurf.
Wir haben einen Antrag. Wenn es zu keinem Handeln
kommt, dann werden wir aus dem Parlament einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen.
({3})
Ein weiteres Thema - es wurde schon angesprochen sind die Wale. Für die SPD-Fraktion - Herr Jahr wird
vielleicht gleich für die CDU/CSU-Fraktion noch etwas
dazu sagen - wiederhole ich das, was Herr Goldmann
sagte: Ja, es ist unsäglich, was weltweit, zurzeit insbesondere von Japan, unter dem Schlagwort „Walfang aus
wissenschaftlichen Gründen“ an Schindluder getrieben
wird. Ich weiß, dass die Bundesregierung hier aktiv ist;
aber das reicht noch nicht. Es gibt demnächst in Japan
ein G-8-Treffen. Die Welt weiß, dass das, was derzeit
unter dem Stichwort „Wissenschaftlichkeit“ verkauft
wird - jetzt bin ich aus Freundschaft gegenüber Japan
einmal sehr nett -, absolut antiquiert ist. Es wäre eine
Schande, wenn das, was derzeit als wissenschaftlicher
Standard in Bezug auf Wale propagiert wird, tatsächlich
der wissenschaftliche Standard in Japan wäre. Ich bitte
darum, dem in bilateralen Verhandlungen sehr viel stärker nachzugehen.
Der Tierschutz-TÜV wurde schon angesprochen und
- nicht nur liebevoll - kritisiert. Wir von der SPD-Fraktion sagen eindeutig: Er ist uns wichtig. Wir fordern die
Einführung des Tierschutz-TÜV. Wir nehmen das Staatsziel Tierschutz damit ausgesprochen ernst. Ich freue
mich, dass heute in erster Lesung der Entwurf eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
beraten wird. Dieser Gesetzentwurf hat den TierschutzTÜV zum Gegenstand.
Ziel dieses Tierschutz-TÜV ist es, dass serienmäßig
hergestellte Haltungssysteme und Stalleinrichtungen daraufhin geprüft werden, ob sie den Bedürfnissen und den
Verhaltensweisen der Tiere entsprechen, ob sie somit
tiergerecht sind. Dies muss natürlich geschehen, bevor
die Haltungssysteme und Stalleinrichtungen in den Handel kommen. Nur durch ein solches obligatorisches Prüfverfahren können Schmerzen, Leiden und Krankheiten
unzähliger Tiere, die durch nicht tiergerechte Haltungssysteme entstehen, wirksam und endgültig verhindert
werden.
Das geplante Prüf- und Zulassungsverfahren soll also
dazu dienen, dass zukünftig nur noch auf Tiergerechtigkeit geprüfte und zugelassene serienmäßig hergestellte
Stalleinrichtungen in den Verkehr kommen. Ich betone
ausdrücklich: Dieses Verfahren dient also auch den Haltern von Nutztieren und den Stallbaufirmen. Es bringt
Rechtssicherheit bezüglich des Einsatzes neuer Haltungssysteme. Stallbaufirmen können auf fachkundige
Beratung bei der Weiterentwicklung von Haltungssystemen bauen. Es liegen schon entsprechende Standards,
entwickelt von einem Kreis von Expertinnen und Experten, vor.
Auch als Verbraucherschützerin fordere ich den Tierschutz-TÜV. Das Prüf- und Zulassungsverfahren entspricht dem Wunsch vieler Verbraucherinnen und Verbraucher nach einer tiergerechten Haltung von
Nutztieren in der Landwirtschaft. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher achten bei ihrem Einkauf darauf,
dass sie gute und hochwertige Produkte kaufen. Sie legen damit großen Wert auf die Haltungsbedingungen der
jeweiligen Tiere. Durch die serienmäßige Prüfung von
Haltungssystemen und Stalleinrichtungen kann somit
auch einer Irreführung von Verbraucherinnen und Verbrauchern vorgebeugt werden. Der Aspekt „tiergerechte
Haltung“ ist letztendlich ein unbestimmter, manchmal
auch vager Begriff. Diesen wollen wir hiermit konkretisieren. Es muss endlich selbstverständlich werden, dass
unsere Nutztiere tiergerecht aufwachsen und gehalten
werden.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal
den vielen Tierschützerinnen und Tierschützern in
Deutschland danken, die sich dem Staatsziel Tierschutz
durch ihre tagtägliche - häufig ehrenamtliche - Arbeit
widmen. Sie leisten Großartiges für das Zusammenleben
von Mensch und Tier.
({4})
Die SPD ist und bleibt eine Tierschutzpartei.
({5})
Von der heutigen Debatte erwarten wir also das baldigste
Einfuhr- und Handelsverbot für Robbenprodukte, die
schnelle Einführung eines Tierschutz-TÜV durch die
Verabschiedung dieses Gesetzes und ein noch stärkeres
Eintreten der Bundesregierung für den Schutz der Wale.
Wir wollen der Würde von Tier, Mensch und Umwelt
tatkräftig gerecht werden.
({6})
Jetzt hat Eva Bulling-Schröter das Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Tierschutzbericht 2007 dokumentiert die
beharrliche Lethargie der Bundesregierung, auch wenn
Staatssekretär Müller die Würde der Tiere angesprochen
hat; Herr Müller, Ihre Rede war ja nett. Aber auch die
meisten Landesregierungen sind da nicht besser; denn
einiges, wofür Tierschutzverbände und Öffentlichkeit
jahrelang gekämpft haben, wurde im Bundesrat zurückgedreht.
2002 wurde nach langem Gezerre endlich das Käfighalteverbot für Legehennen beschlossen - mit unseren
Stimmen. 2006 wurde es wieder aufgehoben - gegen unsere Stimmen. Der Renner sollen jetzt die sogenannten
ausgestalteten Käfige sein. In ihnen darf bald lustig gepickt und gescharrt werden. Die glücklichen Hühner
bekommen sogar eine Sitzstange, auf dass sie fleißig
Eier legen - das Ganze allerdings auf 800 Quadratzentimetern je Huhn. Das sind ganze 50 Quadratzentimeter
mehr als bei der konventionellen Käfighaltung. Damit
steht einem Huhn statt des Platzes eines DIN-A4-Blattes
nun der Platz eineinhalb DIN-A4-Blätter zur Verfügung.
Ich finde, diese Form der Käfighaltung ist nach wie vor
ein Skandal.
({0})
Diese Käfige erlauben nicht einmal annähernd eine verhaltensgerechte Unterbringung. Nach wie vor gilt: Sie
gehören verboten.
({1})
Nun liegt ein neuer Gesetzentwurf vor, durch den die
Lage der Tiere verbessert werden soll. Die Bundesregierung will in das Tierschutzgesetz eine Verordnungsermächtigung aufnehmen, um mit einer Verordnung irgendwann ein Verfahren zur Prüfung und Zulassung
serienmäßig hergestellter Stalleinrichtungen zu regeln.
Dabei handelt es sich, kurz gesagt, um eine Art TÜV für
Haltungseinrichtungen. Dieser soll gewährleisten, dass
Nutztiere nur noch in Stallungen gehalten werden, die
tierschutzkonform sind bzw. - besser gesagt - dem entsprechen, was der Gesetzgeber unter „tierschutzkonform“ versteht.
Die Linke begrüßt natürlich, dass Haltungseinrichtungen, die gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen, gar nicht
erst in den Verkehr kommen; das war längst überfällig.
Aber zu Ihrer Information: In der Schweiz wird ein solches Zulassungsverfahren bereits seit 1981 praktiziert.
Sie sind ein bisschen spät dran, meine Damen und Herren.
Wer eine artgerechte und tierfreundliche Nutztierhaltung will, der muss natürlich an den Kriterien ansetzen.
Im Falle der Legehennen wurde das Rad der Geschichte
gerade zurückgedreht. Schließlich haben die ausgestalteten Minikäfige mit Tierschutz genauso wenig zu tun wie
Horst Seehofer - leider ist er heute nicht hier - mit der
Nürnberger Flocke, selbst wenn die Gatter künftig ein
Siegel tragen werden.
Es geht aber nicht nur um Legehennen. Was wir brauchen, ist eine tiergerechte Geflügelhaltung, die auch
Masthühner umfasst. Im Mai 2007 beschloss der EUAgrarministerrat eine Richtlinie zum Schutz von Masthühnern in Beständen mit mehr als 500 Tieren. Demnach dürfen pro Quadratmeter 33 Kilogramm gehalten
werden. Wenn die Bedingungen besonders exzellent
sind, dürfen sich sogar bis zu 42 Kilogramm auf einem
Quadratmeter tummeln. Doch bereits ab 25 Kilogramm
pro Quadratmeter lassen sich Verhaltensauffälligkeiten
und körperliche Schäden an Fußballen und Gelenken
von Masthühnern nachweisen. Herr Seehofer lobte diese
Katastrophe als großen Erfolg für die tiergerechte Masthuhnhaltung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst kürzlich hat die
Koalition dem Entwurf eines Gesetzes zur Reduzierung
und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen
Genehmigungsverfahren zugestimmt. Der Vorwand dafür war unter anderem der Bürokratieabbau. In Wirklichkeit ging es jedoch um den Abbau von Bürgerbeteiligung und Umweltstandards. Zudem ist dieses Gesetz ein
Verrat am Tierschutz. So wurde die Höhe der Immissionswerte, ab der Umweltverträglichkeitsprüfungen
stattzufinden haben, teilweise mehr als verdoppelt. Jetzt
können großindustrielle Mastanlagen, zum Beispiel für
Schweine, viel einfacher gebaut werden als früher. Auch
der Ablauf des Genehmigungsverfahrens wurde verändert. Erörterungstermine, eine wichtige Einrichtung zur
Beteiligung der Öffentlichkeit an bestimmten Bauvorhaben, können stattfinden oder nicht; sie müssen nicht
stattfinden. Das liegt ganz im Ermessen der Genehmigungsbehörde und der Investoren, die sich natürlich die
Hände reiben; das ist klar.
Jetzt zum Tierschutzbericht 2007. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Zahl der Tierversuche in Deutschland
nimmt nicht ab, sondern, wie wir gehört haben, weiter
zu. Insbesondere der Bereich der biotechnologischen
Forschung ist für die Zunahme der Zahl der Tierversuche verantwortlich. Bis ein transgenes Tiermodell - ich
finde übrigens, das Wort „Tiermodell“ sollte zum Unwort des Jahres gewählt werden - forschungsreif etabliert ist, stellen 99 Prozent der bis dahin verwendeten
Tiere sogenannten Ausschuss dar. Ich wiederhole:
99 Prozent. Diese Tiere erscheinen übrigens nicht in der
Tierversuchsstatistik. Einer Studie zufolge lassen sich
Tierversuchsergebnisse nicht einmal in 1 Prozent der
Fälle auf den Menschen übertragen. Ein armseliges Ergebnis für den hochgepriesenen medizinischen Nutzen!
Ein Armutszeugnis für das Staatsziel Tierschutz! Ich
meine, hier muss sich schleunigst etwas ändern.
Ich fordere die Bundesregierung auf, sich für ein sofortiges Ende von versteckten Tierversuchen für Kosmetikartikel, fragwürdigen Chemikalientests und Versuchen an Affen einzusetzen.
({2})
Wir alle wissen, dass mit Versuchen an Primaten auch
der Handel mit wild gefangenen Arten verbunden ist.
Das darf nicht länger geduldet werden. Schließlich werden in Europa jährlich 10 000 Affen für Giftigkeitstests
und Hirnversuche „verbraucht“; allein hierzulande sind
es 2 000.
Stellen Sie sich also nicht länger quer, auch nicht,
wenn es darum geht, ein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände einzuführen! Werden Sie aktiv! Lassen
Sie dem Staatsziel Tierschutz endlich Taten folgen! Der
Tierschutzbericht darf auch nicht nur alle vier Jahre erscheinen. Meine Kollegen von der Opposition haben es
bereits gesagt: Wir müssen zurück zu einem Abstand
von höchstens zwei Jahren. Oder wollen Sie dem Philosophen Max Horkheimer recht geben? Er hat schon 1934
über die Tiere geschrieben, sie seien die unterdrücktesten aller Klassen im Kapitalismus.
({3})
Jetzt hat Cornelia Behm das Wort für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Staatssekretär Müller hat für die Tiere
gesprochen oder wollte es zumindest tun. Schöne Worte;
aber die Praxis sieht anders aus. Denn lässt man Revue
passieren, wie es unter Schwarz-Rot um den Tierschutz
steht, muss man leider feststellen, dass es kaum Fortschritte gibt, dafür aber massive Rückschritte.
Insbesondere im Bereich der industriellen und landwirtschaftlichen Haltung von Tieren besteht deutlicher
Verbesserungsbedarf. Die Zahl der tierschutzwidrigen
Haltungsformen ist entgegen vieler schöner Worte und
Beschwichtigungen erheblich. Beispielsweise werden
Kaninchen in Käfigen unter Bedingungen gehalten, die
von der Bevölkerung zu Recht als abstoßend empfunden
werden. Meist stehen den Tieren nicht einmal Ruhebereiche zur Verfügung, und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits 1999 in seinem Legehennenurteil
dem artgemäßen, ungestörten Ruhen aller Tiere - nicht
nur der Legehennen - besonderes Gewicht verliehen hat.
Legehennen werden weiterhin in Käfigen gehalten.
Zwar hat die rot-grüne Bundesregierung in Folge des Legehennenurteils die Abschaffung dieser Haltungsform
zum 31. Dezember 2006 beschlossen. Durch die Zweite
Verordnung zur Änderung der Geflügel-Aufstallungsverordnung zugunsten der Einführung neuer, geringfügig vergrößerter Käfige hat diese Regierung den tierschutzrechtlichen Fortschritt jedoch wieder aufgehoben.
Da nützt es auch nichts, dass diese Käfige in Kleinvolieren umbenannt wurden. Legehennen brauchen keine
Wortakrobatik, sie brauchen anständige, artgerechte Lebensbedingungen.
({0})
Mastschweine und Ferkel werden weiterhin in einstreulosen Ställen auf Vollspaltenböden gehalten, sind
gezwungen, ständig die durch die Spalten dringenden
Ausdünstungen des eigenen und des fremden Kots einzuatmen, weshalb sie in großer Zahl unter Husten und
Lungenschäden leiden. Muttersauen werden unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht. Auch Kälber und
Mastrinder werden vielfach auf Vollspaltenböden ohne
Liegebereiche mit Einstreu und ohne ausreichenden Bewegungsraum gehalten.
Wenn wir als Gesellschaft dem Anspruch des im
Grundgesetz verankerten Staatsziels Tierschutz gerecht
werden wollen und wenn sich die Politik von dem Vorwurf befreien will, nur dann aktiv zu werden, wenn es
um Wählerstimmen geht, dann muss hier gehandelt werden.
Deshalb müssen umfassend tiergerechte Haltungssysteme eingeführt werden, und wir brauchen anspruchsvolle Prüf- und Zulassungsverfahren für serienmäßige
Haltungssysteme und Zubehöre.
({1})
Der von der Bundesregierung vorgelegte Regelungsvorschlag ist hier aber völlig unzureichend. So ist in ihm
entgegen früheren Zusagen von Minister Seehofer keine
Beteiligung der Tierschutzverbände vorgesehen. Die
Prüfung soll - ich zitiere - auf juristische Personen des
privaten Rechts übertragen werden. Derartig unspezifisch formuliert eröffnet dies auch die Möglichkeit, dass
Nutzerorganisationen damit betraut werden. Ich hoffe,
dass das nicht ernsthaft Ihr Ansinnen ist.
Warum fehlt ein Verbot nicht zugelassener Haltungseinrichtungen? Warum wird der Verkauf ungeprüfter
Einrichtungen nicht untersagt? Es finden sich in Ihrem
Vorschlag viele Halbherzigkeiten - zu viele.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für Schlachttiertransporte gilt zwar die am 5. Januar 2007 in Kraft getretene EU-Verordnung vom Dezember 2004, mit der die
Ausfuhrerstattungen für Schlachtrinder aus der EU abgeschafft worden sind, aber das reicht nicht. Diese Verordnung steht etwaigen strengeren einzelstaatlichen Maßnahmen, mit denen ein besserer Tierschutz für die
transportierten Tiere bezweckt wird, überhaupt nicht entgegen. Solange es um Tiere geht, die ausschließlich im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates oder vom Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates aus auf dem Seeweg befördert werden - in diesem Falle von Deutschland aus -, ist
der Minister sehr wohl in der Lage - das können Sie ihm
von hier mitnehmen, Herr Staatssekretär -, zu handeln.
Tun sie es endlich!
Es ist unerlässlich, durch eine Änderung des Tierschutzgesetzes Schlachttiertransporte zeitlich so zu begrenzen, dass die Tiere nur bis zur einer nahe gelegenen
Schlachtstätte, in keinem Fall aber länger als insgesamt
vier Stunden transportiert werden. Das ist zwar noch
keine Lösung des drängenden Problems der internationalen Schlachttiertransporte, für die ebenfalls unbedingt
eine nicht verlängerbare Beförderungshöchstdauer von
maximal zweimal vier Stunden eingeführt werden sollte,
aber das wäre ein erster richtiger Schritt.
Die Bundesrepublik Deutschland kann ihr Ziel, eine
solche Transportzeitbegrenzung EU-weit durchzusetzen,
aber nur dann glaubwürdig verfolgen, wenn sie auf nationaler Ebene von den entsprechenden Berechtigungen
Gebrauch macht und damit ein positives Beispiel gibt.
Ich erinnere an die Robben. Dort gibt es genau die gleiche Situation. Aus den Nationalstaaten müssen positive
Anregungen in Richtung der EU gegeben werden.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bündnis 90/Die
Grünen steht - das ist wohl allgemein bekannt - für eine
kontinuierliche Verbesserung des Verbraucherschutzes.
Aber es gibt keinen umfassenden Verbraucherschutz
ohne eine artgerechte Haltung und ohne Respekt vor den
Tieren.
({3})
Die Verbraucher wollen keine Schweine aus Mastfabriken, keine Eier aus Legebatterien und kein Fleisch von
mit Genmais gefütterten Rindern. Wir müssen aber auch
das Bewusstsein dafür schärfen, dass gesunde und artgerecht erzeugte Produkte ihren Preis haben und auch wert
sind.
Sarah Wiener hat kürzlich die Frage gestellt:
Wie kann denn ein Huhn 3,50 Euro kosten, so viel,
wie eine halbe Stunde Parkplatz in Berlin-Mitte?
Was sind das für Relationen? Wenn ein Tier nichts
wert ist, wird es auch so behandelt.
Schmackhafte und gesunde Lebensmittel haben ihren
Wert und ihren Preis. „Geiz ist geil“ war gestern,
„Klasse statt Masse“ ist Zukunft.
({4})
Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Jahr das Wort für die
Fraktion CDU/CSU.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, Kollege Goldmann ist gerade verzweifelt dabei,
seine Katze vom Fernseher wegzubekommen.
({0})
Ich habe auch eine Katze und will ihr auch einen Hinweis geben: Wenn du jetzt vor dem Fernseher sitzt, dann
scher dich weg und mach das, wozu wir dich gekauft haben, nämlich in der Natur Mäuse zu fangen.
({1})
Bevor ich dann zum Thema komme, habe ich noch
eine Richtigstellung an den Kollegen Goldmann: Ich
weiß, dass die Opposition manchmal davon lebt, von im
Ausschuss erstatteten Berichten nur den ersten Teil wiederzugeben und den zweiten Teil gern zu vergessen.
Hinsichtlich des Impfstoffes zur Blauzungenkrankheit
hat Minister Seehofer eindeutig gesagt, sobald es einen
praxistauglichen Impfstoff gebe, werde er dessen Zulassung mit einer Eilverordnung genehmigen, sodass es aus
dieser Warte überhaupt keinen Zeitverzug gibt. Wir
brauchen natürlich erst einmal einen praxistauglichen
Impfstoff, bevor wir ihn einsetzen können. Es ist redlich
und richtig, dass man, wenn man den ersten Teil eines
Berichtes zitiert, dann auch noch das Ende vorliest. So
viel Zeit muss ganz einfach sein.
({2})
Uns liegt bereits der zehnte Tierschutzbericht der Regierung vor; er muss entsprechend dem Tierschutzgesetz
alle zwei Jahre vorgelegt werden. Er umfasst diesmal
den Zeitraum 2005/2006. Die Bundesregierung stellt bereits in der Einleitung fest:
In diesem Zeitraum konnten in konsequenter Umsetzung des Verfassungsauftrages spürbare Fortschritte für den Tierschutz erzielt werden.
Das ist eine bemerkenswert optimistische Einschätzung,
die ich jedoch ausdrücklich teile.
Die gute Arbeit im Verbraucherschutzausschuss des
Deutschen Bundestages und die erfreuliche, konstruktive Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen
untereinander haben erfreuliche Ergebnisse erzielt. Tierschutz ist in unserer Gesellschaft und für die verantwortlichen Volksvertreter gegenwärtig eine echte Herausforderung zum Handeln, weit über die netten Bilder von
Knut und Flocke hinaus.
Ich führe gern einige Beispiele unserer erfolgreichen
Arbeit an: Mit dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD zur Sicherstellung des Schutzes der
Wale setzten wir uns nachträglich für einen umfassenden
globalen Schutz der Walbestände ein. Das ist schon erwähnt worden, aber ich halte es für sehr wichtig.
({3})
Jeglicher kommerzielle Walfang wurde in diesem Antrag abgelehnt. Aber auch der wissenschaftliche Walfang, den sich einige Länder noch erlauben, ist nur eine
andere Bezeichnung für eine tödliche Jagd, die dazu beiträgt, den Bestand weiter zu dezimieren.
({4})
Ich erinnere auch an die Robben; wir haben im Ausschuss und auch mit der Bundesregierung sehr lange um
eine entsprechende Formulierung gerungen. Die Notwendigkeit, hier etwas zu unternehmen, ist begründet
worden, und wir haben uns dafür eingesetzt, dass den
tierquälerischen Grausamkeiten durch ein striktes Einfuhr- und Handelsverbot zu begegnen ist. Eine europäische Lösung und damit die Bündelung vorhandener nationaler Gesetze wäre sicherlich die bessere Alternative
gewesen, aber solange dieses EU-weite Einfuhrverbot
nicht zustande kommt, ist die Unterbindung des Inverkehrbringens von Robbenprodukten in Deutschland die
beste Chance, der jährlichen massenhaften Robbentötung ein Ende zu setzen.
({5})
Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass das Bundeskabinett in dieser Woche ein entsprechendes Vorhaben auf den Weg gebracht hat. Wir werden es im Ausschuss noch bekommen und uns dann gemeinsam
darüber freuen.
Ein weiterer Fortschritt aus tierschutzpolitischer Sicht
ist die Erfassung mobiler Tierschauen und Zirkusbetriebe mit Tierhaltung in einem entsprechenden Register.
Dieses Zirkuszentralregister wurde vor allem aufgrund
nicht immer zufriedenstellender Haltungsbedingungen
von Zirkustieren gefordert. Ich halte diesen Ansatz für
weitaus wirkungsvoller, als das Halten von verschiedenen Tieren im Zirkus zu verbieten.
Ein weiteres positives Beispiel, bei dem eine europäische Lösung möglich war, ist das europaweite Einfuhrverbot von Hunde- und Katzenfellen. Unter deutscher
Ratspräsidentschaft konnte dieses Vorhaben erfolgreich
abgeschlossen werden. Diese Verordnung tritt am 31. Dezember 2008 in Kraft.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Tierschutzbericht zeigt jedoch auch neue HandlungsfelDr. Peter Jahr
der auf. Angesichts der hohen Zahl der getöteten Versuchstiere - von allen Rednern bisher kritisiert - müssen
wir endlich zu wirksamen nationalen und europäischen
Lösungen kommen. Leider ist im Jahr 2000 die Anzahl
der insgesamt für Versuche und andere wissenschaftliche
Zwecke verwendeten Tiere auf unvorstellbare 2,5 Millionen Tiere gestiegen. Das war im Vergleich zu 2004 ein
Anstieg um 6,5 Prozent. Das ist zu viel. Um das erklärte
Ziel zu erreichen, die Tierversuche auf das absolut notwendige Maß zu verringern, gilt es, weiterhin verstärkt
mögliche Alternativmethoden zu fördern. Erfreulich ist
- Staatssekretär Müller hat es schon erwähnt -, dass
Deutschland mit zwei Förderprogrammen zur Entwicklung von Alternativmethoden zu Tierversuchen den weitaus größten Beitrag aller EU-Mitgliedstaaten leistet.
({6})
Auch müssen Wiederholungsversuche eingeschränkt
werden. Wie bereits festgestellt wurde - auch ich bin
dieser Meinung -, ist die europäische Chemikalienverordnung REACH hierbei ein schlechtes Beispiel, weil
der Schadensnachweis von sogenannten Altchemikalien
oft mittels Tierversuchen erbracht wird.
({7})
Die bisherigen Ausnahmeregelungen des betäubungslosen Tötens von Schlachttieren - gemeinhin als Schächten bezeichnet - sind aus tierschutzpolitischer Sicht ein
weiteres Ärgernis.
({8})
Ich werbe an dieser Stelle ausdrücklich für eine Änderung des Tierschutzgesetzes. Ich bin mir sicher, dass im
parlamentarischen Verfahren für alle Beteiligten und davon Betroffenen ein praxistauglicher Kompromiss erreichbar ist. Ich persönlich bin fest davon überzeugt,
dass auch ein Schächtverfahren inklusive vorheriger Betäubung zulässig sein kann. In dieser konkreten Debatte
wünsche ich mir mehr Sachlichkeit und weniger Ideologie im Interesse der Tiere.
({9})
Bevor ich schließe, möchte ich auf einen weiteren
positiven Mosaikstein des Tierschutzes, nämlich den
vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Änderung des Tierschutzgesetzes - den sogenannten
Tierschutz-TÜV -, eingehen. Neben dem Grundgesetz
legt § 2 des Tierschutzgesetzes fest, dass derjenige, der
ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, sicherstellen
muss, dass das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen
entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht wird. Um es vorwegzunehmen: Die meisten Landwirte in Deutschland werden diesem Anspruch gerecht.
Der Gesetzentwurf sieht ein obligatorisches Prüf- und
Zulassungsverfahren für serienmäßig hergestellte Stalleinrichtungen für Nutztiere vor, das für das Inverkehrbringen und den Einbau solcher Einrichtungen Voraussetzung sein soll. Das Verfahren soll dazu dienen, dass
zukünftig nur serienmäßig hergestellte Stalleinrichtungen zugelassen werden, die auf Tiergerechtheit geprüft
wurden.
({10})
Der vorliegende Gesetzentwurf unterstützt insbesondere unsere Landwirte. Wenn jemand seine Stalleinrichtungen modernisieren und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt nutzen möchte, dann muss er sich beim
Kauf dieser Anlage von einem namhaften Hersteller
auch sicher sein, dass die Stalleinrichtung nicht nur technisch, sondern auch im Sinne des Tierschutzes auf dem
neuesten Stand ist.
({11})
Nicht mehr, aber auch nicht weniger will der vorliegende
Gesetzentwurf erreichen. Wir werden in den Ausschussberatungen dafür sorgen, dass aus diesem Anspruch kein
bürokratisches Monster, sondern ein tierartengerechtes
Gesetz wird.
Tierschutz ist und bleibt eine echte tagtägliche Herausforderung. Ich wünsche uns das Herz und den Verstand, gute Ideen und reichlich Mut, weiter zum Wohle
unserer Tiere zu arbeiten.
Danke schön.
({12})
Der Kollege Wilhelm Priesmeier hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die
heutige Debatte ist im Sinne aller und des Tierschutzes
recht zufriedenstellend verlaufen. Es ist in der Tat zu beklagen, dass die Zahl der Tierversuche gestiegen ist. Es
ist zu überlegen, welche Maßnahmen dagegen unternommen werden können. Es gibt durchaus einige Möglichkeiten, und wir geben uns dabei große Mühe.
Seit Beginn der schwarz-roten Koalition haben wir
4 Millionen Euro für die Entwicklung von Alternativen
zu Tierversuchen in den Haushalt eingestellt. Dies kann
sich europaweit sehen lassen; das gibt es in keinem anderen europäischen Mitgliedstaat. Unter Rot-Grün ist es
uns nicht gelungen, diesen Ansatz aufzustocken.
Die Aufstockung der Mittel in diesem Bereich zeigt
bereits eine positive Wirkung. Es ist eine Reihe von Verfahren in Zusammenarbeit mit der ZEBET entwickelt
worden, die mittlerweile auch von ECVAM anerkannt
worden sind und deren Validierung bei der OECD vorangetrieben wird. Das wird eine wesentliche Voraussetzung sein, um gerade im Hinblick auf die REACH-Problematik die Zahl der Versuchstiere zu begrenzen.
Dazu gehört aber auch - das ist als eine Replik auf das
gestern diskutierte Thema zu verstehen - die Forschung
an humanen Stammzellen. Gerade in diesem Bereich er15144
geben sich interessante Möglichkeiten, in In-vitro-Versuchen die Toxikologie von verschiedenen chemischen
Substanzen und Verbindungen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, zu bewerten und Risiken auszuschließen.
Das sind weitere Verfahren, die man einsetzen kann, um
die Zahl der Tierversuche drastisch zu reduzieren. Das
gilt auch für die Zulassung von Arzneimitteln. Auf den
LD-50-Test, mit dem der Zusammenhang zwischen Dosis und Mortalität bestimmt wird, kann man in vielen
Bereichen verzichten. Wir müssen uns aber Gedanken
darüber machen, inwieweit die Vorgaben für die Zulassungsverfahren von Arzneimitteln in bestimmten Substanzklassen verändert werden können. Hier lässt sich im
Detail sicherlich noch einiges verbessern.
Man sollte zudem hinterfragen, ob viele Tierversuche
tatsächlich zweckdienlich sind. Es ist sicherlich sinnvoll,
bei ethisch umstrittenen Versuchen zu verlangen, in der
Bewertung nachvollziehbar darzulegen, ob der Versuchszweck überhaupt erreicht wurde. Das bewahrt andere gegebenenfalls davor, den gleichen Versuchsansatz
zu wählen. Das Spannungsfeld zwischen der Freiheit
von Forschung und Lehre einerseits und dem Staatsziel
Tierschutz und dem Anspruch, den Einsatz von Versuchstieren zu minimieren, andererseits muss nach meiner Einschätzung ständig neu überdacht werden. Unter
Umständen sind andere gesetzliche Regelungen notwendig. Ein Instrument - das wurde bereits angesprochen kann in begrenztem Umfang die Verbandsklage sein.
({0})
Wir Sozialdemokraten sind dafür offen,
({1})
insbesondere wenn es um die Ausgestaltung geht. Das
kann sicherlich nicht darauf hinauslaufen, dass man damit eine Verhinderungspolitik betreibt und versucht, die
Bestimmungen zur Genehmigung von Tierhaltungsanlagen konsequent zu unterlaufen. Das ist sicherlich nicht
die Zweckbestimmung solcher Rechtsinstrumente; denn
dieses Instrument soll jemandem die Klage ermöglichen,
der rechtlich an sich nicht betroffen ist. Aber ich möchte
den Dialog mit den Verbänden darüber führen, obwohl
dieses Vorhaben in dieser Koalition vielleicht nicht
gleich umgesetzt werden kann. Man kann zumindest dafür werben und das zum politischen Ziel machen.
({2})
Bei der Ausgestaltung muss man sich den Modalitäten
und Bedingungen anpassen. Aber ich glaube, dass die
Verbände recht offen sind.
Man könnte zudem die Rechtsposition der Tierschutzbeauftragten in den Unternehmen verbessern, die eine
große und intensive Nutztierhaltung betreiben. Dort
müssen die Verantwortlichkeiten deutlich geregelt werden, um die Voraussetzungen für eine präzise Einhaltung
der durch Haltungsverordnungen vorgegebenen Bedingungen zu schaffen. Die Kommission, die im Sommer
die Einhaltung der Tierschutzstandards in den Bundesländern überprüft hat, hat eine ganze Reihe von Problemen festgestellt, zum Beispiel in Niedersachsen und in
Mecklenburg-Vorpommern. Das hängt also nicht davon
ab, wer in den jeweiligen Bundesländern regiert, sondern
von bestimmten Vorbedingungen und eventuell von der
Kontrollfrequenz. Die Einhaltung der Standards ist
wichtig. Es reicht nicht aus, ein paar Millionen Euro in
die Forschung zu investieren. Dazu müssen wir einen
entsprechenden Forschungscluster schaffen. Das ist mit
Celle und Umgebung - sprich: Tierärztliche Hochschule
und andere Beteiligte - angedacht. Das ist wichtig im
Hinblick auf die finanziellen Möglichkeiten.
Wenn man sich den Siebten Forschungsrahmenplan
der EU anschaut, dann erkennt man, dass Tierschutzforschung ein Schwerpunkt ist. Dies müssen wir nutzen, um
in diesem Zusammenhang wissenschaftlich begründbare
Standards zu erforschen, anhand deren wir Haltungssysteme bewerten können. Da liegt vieles im Argen. Da
müssen wir noch viel Arbeit leisten. Wir haben uns bislang immer auf die Hennenhaltung, hauptsächlich Legehennenhaltung, konzentriert. Das ist der erste Ansatz,
weil er in der Gesellschaft am heftigsten diskutiert worden ist. Wir müssen aber auch alle anderen Bereiche einbeziehen. Dazu bietet das Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes ausreichend Möglichkeiten. Die beiden
Verordnungsgrundlagen, die dort enthalten sind, bieten
auch Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf das zu
wählende Verfahren.
Ich appelliere von hier aus an die Bundesländer - das
ist zwischenzeitlich auch bei der Beratung dieses Entwurfes vom Bundesrat signalisiert worden -, dass keine
Kamingespräche der Agrarminister der deutschen Länder stattfinden und ein Konsens darüber hergestellt wird,
was später im Rahmen einer Verordnung umgesetzt wird
und was nicht. Das wäre unfair; denn die Rechtsetzungskompetenz für den Tierschutz liegt beim Bund. Das sollten auch die Länder wissen. Das ist auch nach der Föderalismusreform so. Dieses Feld eignet sich nicht dazu,
über die Bande zu spielen. Ich hoffe auf die tatkräftige
Unterstützung des Koalitionspartners, wenn es darum
geht, die B-Länder in bestimmten Punkten zu überzeugen. Es wird nicht nach dem Motto funktionieren: Machen wir das Gesetz, aber die Verordnung lassen wir vor
die Wand fahren. - Das kann nicht die Gesetzeswirklichkeit sein. Dann können wir uns dieses Gesetz sparen.
Oder wir gehen einen anderen Weg und schreiben die
gesamten Vorgaben, die man benötigt, in das Gesetz selber. Dann haben wir eine ganz andere Position. Das sind
die beiden Alternativen.
In diesem Zusammenhang erwarte ich ein klares Signal seitens der Länder, wie sie denn gedenken, in diesem Punkt weiter zu verfahren, damit etwas Struktur und
Ernsthaftigkeit in die Diskussion zurückkehrt. Diese
kann man in vielen Bereichen nicht unbedingt voraussetzen. Ich als jemand, der Bundespolitik gestaltet, bin jedenfalls nicht bereit, so mit mir umgehen zu lassen. Das
widerspricht auch meinem Selbstverständnis als Bundestagsabgeordneter. Ich lasse mich da von den Ländern
nicht an der Nase ziehen.
({3})
In dem Zusammenhang kann ich auch keinen Konflikt
innerhalb der Koalition erkennen, der von vielen Journalisten konstruiert worden ist. Ich glaube, wir sind auf einem vernünftigen und zielführenden Weg.
Das Käfigverbot auf europäischer Ebene bleibt erhalten. Danke schön für die klare Position der Bundesregierung. Ich kann die jetzige Regelung, die Verlässlichkeit
bietet, nur unterstützen. Über die Frage von Systemen
kann man sich natürlich streiten. Aber ich finde, dass
das, was wir mit der Hennenhaltungsverordnung in
Gang gesetzt haben, ein gelungener Kompromiss ist. Zu
diesem bekennen wir uns. Aus diesem Grunde fordern
wir auch die andere Seite dieses Kompromisses ein. Die
andere Seite dieses Kompromisses lautet: Ab 2012 werden nur noch geprüfte Systeme in den Verkehr gebracht,
und ab 2020 gibt es keine Systeme mehr, die ungeprüft
sind. Das ist die Grundlage. Darauf beziehe ich mich
hier. Das fordern wir ein. Wenn wir das gemeinsam hier
umsetzen, dann kann dieser Tag der Einbringung des
Gesetzentwurfes ein guter Tag für den deutschen Tierschutz werden.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Es ist verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen
16/5044 und 16/7413 an die Ausschüsse zu überweisen,
die in der Tagesordnung aufgeführt sind. - Damit sind
Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartfrid
Wolff ({0}), Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Bevölkerungsschutzsystem reformieren - Zuständigkeiten klar regeln
- Drucksache 16/7520 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Hierzu sind die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Beatrix Philipp, Gerold Reichenbach, Hartfrid Wolff
({2}), Jan Korte und Silke Stokar von Neuforn
zu Protokoll gegeben worden.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7520 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit sind
Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
1) Anlage 3
Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Katja Kipping,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Rechtsanspruch auf Mieterberatung für Menschen mit geringem Einkommen
- Drucksachen 16/5247, 16/7171 Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Gabriele Hiller-Ohm das Wort für die SPD-Fraktion.
({4})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem heute vorgelegten Antrag „Rechtsanspruch auf
Mieterberatung für Menschen mit geringem Einkommen“ greift die Linksfraktion ein Thema auf, das weder
in unsere bundespolitische Zuständigkeit fällt noch den
Menschen vor Ort weiterhilft.
„Jede Leistung ist besser als keine Leistung“, das,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, ist
das Motto Ihrer Sozialpolitik.
({0})
Warum sollte also nicht jeder, der Arbeitslosengeld II,
Sozialhilfe oder Wohngeld bezieht, auch noch eine Mieterberatung auf Kosten der Steuerzahler obendrauf
erhalten? Ganz egal, ob das sinnvoll ist oder nicht. Sie
sind sich dabei auch nicht zu schade, gegen besseres
Wissen Geld zu verteilen, das Sie überhaupt nicht haben,
und großzügig andere Ebenen auf Kosten des Bundeshaushaltes zu entlasten. Wir lehnen den Antrag ab.
Kosten der Unterkunft, also Miete und Heizung der
Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe, sind
Sache der Kommunen. Die Träger der Grundsicherung
vor Ort - das sind Sozialämter und Argen - müssen deshalb ebenso wie die Mieter daran interessiert sein, dass
es keine unberechtigten Erhöhungen gibt. Sie sind damit
auch Ansprechpartner der Grundsicherungsempfänger,
wenn der Protest beim Vermieter erfolglos war. Sie können dann selber aktiv werden oder Rechtsberatung von
außerhalb einholen.
Selbstverständlich sind die Kommunen verpflichtet,
gewissenhaft mit Steuergeldern umzugehen und überzogenen Forderungen von Vermietern energisch entgegenzutreten. Warum also sollten wir Sozialämter und Argen
aus ihrer Verantwortung und Zuständigkeit entlassen?
Dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es überhaupt keinen Grund.
Die Linksfraktion begründet ihre Antragsinitiative
mit einer deutlichen Einsparung bei den Trägern. Dies ist
jedoch mehr als fragwürdig, eigentlich geradezu absurd.
Millionen von Menschen sollen einen Rechtsanspruch
auf kostenlose und unabhängige Mieterberatung erhalten, so lautet die Forderung der Linksfraktion. Es gibt
7 Millionen Menschen in 3,6 Millionen Bedarfsgemeinschaften allein im SGB II. Hinzu kommen über 2 Millionen Sozialhilfe- und Wohngeldempfänger. Millionen
von Menschen sollen also in Mietervereinen angemeldet
werden, und die Beiträge dafür sollen vom Staat übernommen werden. Die Mietervereine werden sich freuen.
Wo aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollen hier
Einsparungen sein? Ich sehe keine. Im Gegenteil: Die
Kosten stehen in überhaupt keinem Verhältnis zu dem
Nutzen. Den Menschen weismachen zu wollen, mit der
Übernahme des Mieterschutzes für alle Leistungsempfänger würden Kosten gesenkt, grenzt ja geradezu an
Volksverdummung.
Gerade bei der Mieterberatung haben wir insgesamt
gesehen ganz gute Strukturen, von denen auch Menschen mit kleinen Einkommen profitieren, die nicht im
ALG-II- oder Sozialhilfebezug sind. Für sie könnte ein
Mietstreit tatsächlich zu einer großen Belastung werden.
Aber natürlich lassen wir diese Menschen nicht im Regen stehen. So gibt es im Rahmen der Beratungshilfe für
10 Euro eine fast kostenlose Mietrechtsberatung, die
durch örtliche Rechtsanwälte durchgeführt wird.
({1})
Auch die Wohlfahrtsverbände stellen eine umfassende Beratungsstruktur zur Verfügung.
Wenn wir uns die Kosten der Unterkunft anschauen,
wird deutlich, dass die Mieterberatung und der Mieterschutz keine Probleme sind. Viel spannender ist hingegen die Frage der Bemessung der Kosten der Unterkunft.
Hier gibt es abhängig vom jeweiligen Träger und Ort
ganz unterschiedliche Berechnungsverfahren und damit
auch individuelle Ungerechtigkeiten. Darauf hat der
Bundesrechnungshof in seiner letzten Unterrichtung des
Bundestages hingewiesen. Durch die willkürliche Bemessung der Kosten der Unterkunft entstehe die Situation, so der Rechnungshof, dass einem Teil der Hilfeempfänger übermäßig hohe Kosten erstattet würden,
während anderen zu schnell und zu drastisch die Leistungen gekürzt würden.
Leider gibt es Fälle, in denen zum Beispiel bei Mieterhöhungen aufstockende Zahlungen verweigert werden,
ohne dass die Konsequenzen im Einzelfall geklärt würden. Hierzu heißt es im Bericht des Rechnungshofes:
Teilweise überschritten die vom Hilfeempfänger
selbst zu zahlenden Beträge sogar die ausgezahlte
Regelleistung. Diese Verfahrensweisen … laufen
einem umfassenden Fallmanagement, das auch die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der
Hilfebedürftigen einbezieht, zuwider.
({2})
Inzwischen hat das Bundessozialgericht zu dieser
Problematik geurteilt und dabei allgemeinverbindliche
Maßstäbe für die Bemessung der Kosten der Unterkunft
festgelegt. Jetzt kommt es darauf an, dass alle Länder
und Kommunen diese Maßstäbe vor Ort anwenden und
so zu einer gerechteren Berechnung der Kosten der Unterkunft beitragen.
Die Linksfraktion spricht in ihrem Antrag auch den
Kreis der wohngeldberechtigten Personen an. Im Hinblick auf Mieterberatung hatte ich bereits erwähnt, dass
hier das Instrument der Beratungshilfe greift. Für diese
Menschen ist aber viel wichtiger, dass es in Kürze eine
Anpassung des Wohngeldes geben soll. Die SPD-Bundestagsfraktion und sozialdemokratische Bundesminister haben sich in den vergangenen Tagen öffentlich dafür
eingesetzt. Profitieren werden von diesem Schritt Menschen mit geringen Einkommen, die trotz Arbeit nur
knapp über der Armutsgrenze liegen. Besonders sind
hier Familien mit Kindern betroffen. Auch Menschen
mit kleinen Renten wird durch die Wohngelderhöhung
der Gang in die Sozialhilfe erspart.
Wir wollen das Wohngeld deutlich erhöhen und damit
Mietsteigerungen seit der letzten Anpassung 2001 nachvollziehen. Ganz wichtig ist aber auch, dass wir auf die
kontinuierlich angestiegenen Energiekosten reagieren,
und das machen wir mit unserem Vorschlag.
({3})
Mit der Anhebung des Wohngeldes setzen wir ein klares Zeichen: Wir lassen bedürftige Menschen mit steigenden Wohnkosten nicht alleine. Im Gegensatz zur
Linksfraktion packen wir da an, wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht und wo wir als Bund nach der Verfassung auch die Zuständigkeit haben.
({4})
Jetzt hat Heidrun Bluhm das Wort für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Hiller-Ohm, es ist eine Katastrophe. Mit großer
Selbstsicherheit tragen Sie hier etwas als Erfolg Ihrer eigenen Politik vor. Mit dem, wie das im Leben derjenigen
aussieht, die das auszubaden haben, ist das überhaupt
nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Nach Angaben des Deutschen Mieterbundes zahlen
Mieterinnen und Mieter in der Bundesrepublik im Jahr
circa 250 Millionen Euro mehr Miete, als nach der rechtlichen Grundlage möglich wäre.
({0})
Dieses Zuviel an Miete geht in die Kassen der Vermieter,
insbesondere der privaten Vermieter, aber sicherlich
auch in die der kommunalen Vermieter. Hier wird Steuergeld, das Familien in Form von Transferleistungen erhalten, weil sie von der eigenen Arbeit, vom eigenen
Einkommen nicht leben können, letztlich also nur in die
Privatwirtschaft hinein durchgeleitet.
Ein Drittel der Betriebskostenabrechnungen, die jährlich zu erstellen sind, sind, wie der Mieterbund feststellt,
falsch, überhöht, nicht nachprüfbar oder Ähnliches.
Auch hier werden also Steuergelder über falsche Betriebskostenabrechnungen in die Hände der Privaten, die
solche Abrechnungen erstellen, durchgeleitet.
Sie, Frau Hiller-Ohm, sagen, der Bund sei nicht zuständig. Selbstverständlich ist der Bund zuständig. Man
kann nicht die Hartz-IV-Gesetze verabschieden, darin
die Verantwortung für diese Aufgabe den Kommunen
zuweisen und dann hier sagen, man mische sich in die
Angelegenheiten der Kommunen ein.
({1})
Es ist einfach nur arrogant, wenn man jetzt die Kommunen mit ihren Belastungen alleine lässt. Schon Ende letzten Jahres konnten wir im Rahmen der Haushaltsberatungen sehr wohl sehen, wie sich der Bund immer weiter
aus der Finanzierung der Unterkunftskosten zurückziehen will.
({2})
Sie sprechen von 10 Euro für Mietrechtsberatung für
Wohngeldempfänger. Wohngeldempfänger bekommen
deshalb Wohngeld, weil sie mit ihrem eigenen Geld die
Miete nicht bezahlen können. Aber sie sollen die
10 Euro für die entsprechende Beratung ausgeben.
({3})
Das ist doch lächerlich. Es wäre doch ganz einfach möglich, in der von Ihnen angekündigten Wohngeldnovelle
entsprechende Regelungen vorzusehen. Diese Novelle
wird sich die Regierung übrigens auch nicht als Erfolg
anrechnen lassen können. Der erste Entwurf nämlich,
den Sie vorgelegt haben, war noch schlechter als das
derzeitige Wohngeldgesetz. Erst als die von Ihnen bestellten Sachverständigen und Gutachter in der von der
Opposition beantragten Anhörung Ihnen bescheinigt haben, dass die Novelle das Papier nicht wert ist, auf dem
sie steht, sind Sie nachdenklich geworden und haben reagiert.
({4})
Irgendwann in naher Zukunft werden Sie uns dann etwas
vorlegen, worüber man diskutieren kann.
Ich denke also, dass all das, was Sie uns hier vorgetragen haben, scheinheilig war.
({5})
Wir sind der Auffassung, es wäre leicht und einfach zu
regeln, indem ein Rechtsanspruch auf Inanspruchnahme
einer Mieterberatung im Gesetz verankert würde. 3 Euro
pro Monat würde zum Beispiel eine Mitgliedschaft für
einen Transferempfänger in einem Mieterverein kosten.
An der Tatsache, dass dadurch gleichzeitig durchschnittlich 160 Euro im Jahr pro Wohngeldempfänger eingespart werden könnten, also ganz konkret weniger Steuergelder aufzuwenden wären, wird deutlich, dass dieses
Vorhaben sehr wohl wirtschaftlich wäre.
Herzlichen Dank.
({6})
Karl Schiewerling spricht jetzt für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Viele Dinge hat Frau Hiller-Ohm vorhin schon dargestellt. Ich will noch auf einige Punkte kurz eingehen.
Frau Bluhm, es mag ja sein, dass die Feststellung des
Mieterbundes, dass jährlich 250 Millionen Euro zu viel
gezahlt würden, zutrifft. Ich kann die Zahlen nicht überprüfen. Es sind ja viele verschiedene Zahlen in der Welt.
Das trifft aber ganz sicher nicht ausschließlich auf Personen zu, die Transferleistungen gemäß SGB II oder
SGB XII erhalten. Ich weiß auch nicht, wen alles Sie mit
Ihren Zwangsberatungen beglücken wollen. Unserer
Vorstellung entspricht das nicht.
Mit ihrem Antrag will die Linke erwirken, dass Bezieher von Grundsicherung nach SGB II und SGB XII,
also Bezieher von Arbeitslosengeld II oder der alten
Sozialhilfe, und alle weiteren wohngeldberechtigten Personen einen Rechtsanspruch auf eine kostenlose, unabhängige Mietrechtsberatung erhalten. Wie ein derartiger
Rechtsanspruch umgesetzt werden soll, sagen Sie nicht.
Offen bleibt auch die Kostenfrage. Die meisten Menschen, die von einer solchen Regelung betroffen wären,
beziehen übrigens Leistungen vom Staat.
Die Behauptung in der Begründung, dass die Kommunen automatisch alle Kosten unkritisch übernehmen,
geht schlichtweg an der Wirklichkeit vorbei.
({0})
Es mag ja den einen oder anderen Fall geben, wo man
sich wundert, dass Kostensteigerungen ungeprüft übernommen werden. Aber das kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass alle Kommunen ein ureigenes Interesse daran haben, die Wohnkosten so gering wie
möglich zu halten.
({1})
Abrechnungen müssen konkret, korrekt und nachvollziehbar sein. Die örtlichen Träger können dafür alle geeigneten und erforderlichen Maßnahmen treffen. Dazu
gehört auch die Unterstützung einer Beratung in Mietangelegenheiten. Dies kann über eigene Einrichtungen
oder über Kooperationsvereinbarungen beispielsweise
mit Mieterverbänden geschehen. Das geschieht bereits
heute, und es geschieht flächendeckend. Die Betroffenen
werden auf diese Möglichkeiten hingewiesen. Dass die
Wahl angesichts der bereits vorhandenen vielfältigen
Beratungsangebote den Betroffenen nicht immer leicht
fällt, bestätigt doch nur, dass wir ein flächendeckendes
Netz an Beratungsmöglichkeiten haben, und zwar durch
die Wohlfahrtsverbände, durch den Mieterbund und
durch die Verbraucherzentralen.
Eine von den Sozialämtern vor Ort bereits angewandte Praxis ist, Mietberatungsscheine auszustellen,
um zum Beispiel augenscheinlich zu hohe Abrechnungen von Experten auf ihre Korrektheit überprüfen zu lassen. In vielen Fällen stellen sich dabei Mängel heraus,
die in großen Abzügen zugunsten der Mieter bzw. der
Kostenträger resultieren. Denn wenn der betroffene
Leistungsträger Zweifel an der Richtigkeit zum Beispiel
der Betriebskostenabrechnung oder der Mieterhöhung
hat, dann wird er immer im Gespräch den Leistungsempfänger auffordern, im Rahmen seiner Eigenverantwortung die Richtigkeit überprüfen zu lassen und notfalls
auch eine Korrektur beizubringen. Wir haben es hier also
mit einem ureigenen Interesse der öffentlichen Hand zu
tun, dass die Mieten ordentlich und sachgerecht behandelt werden.
Wenn wir jetzt zusätzliche Mietrechtsberatungen einführen, dann finanzieren wir mit öffentlichen Geldern
zweimal dieselbe Leistung. Das kann es nicht sein. Oder
haben Sie einfach nur gemeint, dass es dem Hilfeempfänger nicht zuzumuten wäre, selbst dafür zu sorgen,
dass seine Mietabrechnung korrekt ist? Da sage ich Ihnen: Jeder, der Geld vom Staat in Anspruch nimmt, muss
eigenverantwortlich im Sinne des öffentlichen Interesses
für einen sachgerechten Nachweis sorgen.
({2})
Die Träger haben eigene Kooperationsvereinbarungen mit Beratungsstellen. Das entspricht dem Prinzip der
Subsidiarität. Das hat sich bewährt; darauf lassen wir
nichts kommen.
Erinnern möchte ich in diesem Zusammenhang auch
daran, dass das Beratungshilfegesetz den Rechtsuchenden mit niedrigem Einkommen gegen - Frau Hiller-Ohm
hat vorhin darauf hingewiesen - eine geringe Eigenleistung von 10 Euro - die im Einzelfall, was nicht selten
geschieht, völlig erlassen werden - auch Rechtsberatung
und Vertretung außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens
und im Rahmen eines Güteverfahrens gewährleistet.
Deswegen frage ich also: Warum müssen wir das
Ganze zu einem Rechtsanspruch erheben? Die Sozialämter oder andere Träger vor Ort haben, wie bereits angemerkt, ein eigenes Interesse daran, die Kosten niedrig
zu halten. Ich halte die Schaffung einer zusätzlichen gesetzlichen Regelung für nicht erforderlich. Dadurch würden nur zusätzliche Nachweis- und Kontrollpflichten
eingeführt, und das würde zu zusätzlicher Bürokratie
führen. Davon haben wir genug. Wir sind gerade dabei,
sie abzubauen.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Bluhm zulassen?
Nein.
Darüber hinaus stellt sich mir die Frage, was wir mit
den anderen Rechtsbereichen machen. Debattieren wir
dann demnächst auch über Rechtsansprüche in anderen
Bereichen, zum Beispiel bei Haftpflichtversicherungen
oder ähnlichen Dingen? Vor allem frage ich die Antragsteller: Wer soll das Ganze eigentlich bezahlen? Der Antrag ist eine staatliche Einkommensbeschaffungsmaßnahme für Juristen; das sage ich Ihnen in aller Klarheit.
Die Union wird diesen Antrag ablehnen. Wir halten
die Schaffung einer zusätzlichen gesetzlichen Regelung,
die ihrerseits nur ein Mehr an Bürokratie mit Nachweisund Kontrollpflichten mit sich brächte, für nicht notwendig. Ich sage Ihnen deutlich: Den betroffenen Menschen
nützt es nichts.
Herzlichen Dank.
({0})
Markus Kurth hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin ja bei den meisten hier durchaus als jemand bekannt, der mit Kritik am Sozialgesetzbuch II,
insbesondere an seinen leistungsrechtlichen Bestandteilen, da, wo sie angebracht ist, nicht spart.
({0})
- „Leider wahr“ ruft der Staatssekretär a. D. Gerd
Andres. Aber ich stehe dazu. Ich finde es gut, dass das
wahr ist. - Aber Sie schaden mit diesem Antrag
({1})
allen, die eine ehrliche und konstruktive Kritik am
Sozialgesetzbuch II üben. Mit diesem fachlich armseligen und politisch wirklich erbarmungswürdigen Antrag,
der gänzlich überflüssig ist, stehlen Sie Papier und uns
hier die Zeit am Freitagnachmittag.
({2})
Die Argumente sind eigentlich fast alle schon gefallen, sodass ich mit meiner knapp bemessenen Redezeit
auf jeden Fall auskommen werde. Ich will noch einmal
betonen, dass es das Beratungshilfegesetz gibt. Es gibt
einen Anspruch auf kostenlose Rechtsberatung. Die
10 Euro, von denen die Kollegin Hiller-Ohm gesprochen
hat, können im Rahmen des Justizwesens erstattet werden. Es gibt die Prozesskostenhilfe. Wir haben also
durchaus eine kostenlose Beratungsstruktur.
Ich will den Beispielen noch ein prägnantes aus meinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen anfügen.
Herr Schiewerling hat bereits die Mieterberatungsscheine genannt. Bei der Stadt Köln gibt es beispielsweise die Fachkonferenz „Teure Mieten“. Dort sitzt der
Kostenträger mit Mietervereinen und mit der Arge zusammen an einem Tisch. Diese schauen sich gezielt Einzelfälle überteuerter Mieten an. Schritt für Schritt wird
überprüft, ob falsch abgerechnet wurde und ob man
nicht die Kosten im Rahmen des Mietspiegels senken
kann. Diese Beispiele und noch viele andere können
überall gefunden werden. Ihr Antrag ist wirklich gänzlich überflüssig.
Warum stellen Sie dann diesen Antrag? Ich persönlich
glaube, dass es Ihnen auch darum geht, die Lobbyinteressen der Mietervereine zu bedienen. Um nicht missverstanden zu werden, sage ich: Wir unterstützen die Arbeit der Mietervereine; das ist gar keine Frage. Aber
nach Ihrer Auffassung soll die Rechtsberatung auf der
Ebene der Mietervereine stattfinden. Das wäre sozusagen die Einführung einer Dauermitgliedschaft.
All das ist weit entfernt von einer zielführenden Politik. Ich wiederhole es: Es ist einer parlamentarischen Beratung und einer konstruktiven Kritik an Gesetzen nicht
würdig, solche dürren und dürftigen Anträge zu stellen.
Vielen Dank.
({3})
Der Kollege Heinz-Peter Haustein hat seine Rede zu
Protokoll gegeben.1)
Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Rechtsanspruch auf
Mieterberatung für Menschen mit geringem Einkom-
men“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/7171, den Antrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/5247 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 sowie Zu-
satzpunkt 7 auf:
28 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder
Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
1) Anlage 4
Für ein Gesamtkonzept zur Einrichtung von
EU-Agenturen
- Drucksache 16/7746 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Michael Link ({1}), Florian
Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Gerichtliche und parlamentarische Kontrolle
von EU-Agenturen
- Drucksache 16/8049 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Reden der Kolleginnen und Kollegen Veronika
Bellmann, Eduard Lintner, Axel Schäfer, Markus
Löning, Heike Hänsel und Rainder Steenblock wurden
zu Protokoll gegeben.2)
Es ist verabredet worden, die Vorlagen auf den
Drucksachen 16/7746 und 16/8049 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind
Sie damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. Februar 2008, 13 Uhr,
ein.
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten und das
Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.