Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/13/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Wahl der vom Deutschen Bundestag zu benen- nenden Mitglieder des Deutschen Ethikrats gemäß den §§ 4 und 5 des Ethikratgesetzes - Drucksache 16/8024 -1) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen daher gleich zur Abstimmung. Wer stimmt für den inter- fraktionellen Wahlvorschlag auf Drucksache 16/8024? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Dann ist der Wahlvorschlag mit den Stimmen des ge- samten Hauses bei Enthaltung des Kollegen Dr. Ilja Seifert angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Moderni- sierung der gesetzlichen Unfallversicherung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie an dieser Befragung nicht teilnehmen können, bitte ich Sie, den Saal so zu verlassen, dass wir der Bundesregierung trotz- dem das Wort geben können und die verbleibenden Kol- leginnen und Kollegen den Ausführungen folgen kön- nen. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes- minister für Arbeit und Soziales, Franz Thönnes. - Bitte schön. 1) Anlage 27

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank für die Möglichkeit, hier und heute über eine wichtige Entscheidung des Kabinetts zu informieren. Es geht um den Beschluss zur Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit dem Gesetzentwurf, der heute Morgen beraten und über dessen Einbringung entschieden worden ist, wird die gesetzliche Unfallversicherung modernisiert und neu ausgerichtet. Die Organisation wird gestrafft und an die heutigen wirtschaftlichen Strukturen angepasst. Wirtschaftlichkeit und Effektivität des Systems werden gesteigert. Sie wissen, dass die Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen es mit sich bringen, dass auf der einen Seite alte Bereiche wie Bergbau und Stahlindustrie, die wenig Beschäftigte haben, hinsichtlich der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung stark belastet werden, was aus der Vergangenheit resultiert, während auf der anderen Seite über die Jahre neue Branchen mit vielen Beschäftigten entstanden sind, die aufgrund des geringen Unfallrisikos weniger stark belastet werden. Wir flankieren die neuen Organisationsstrukturen deswegen mit einem Lastenausgleich zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften. Außerdem werden in dem Gesetzentwurf die Elemente einer Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie geregelt. Der Gesetzentwurf geht zurück auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages aus der vergangenen Legislaturperiode. Der Auftrag von damals wurde in die Koalitionsvereinbarung einbezogen und somit Teil des Regierungshandelns. In der Koalitionsvereinbarung haben wir uns das Ziel gesetzt, die Unfallversicherung zu modernisieren und zukunftssicher zu machen. Das Vorhaben ist im letzten Jahr in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe intensiv vorbereitet worden. Die Arbeitsgruppe hat ihre Vorschläge im letzten Sommer vorgelegt. In den letzten Monaten ist deutlich geworden, dass die organisatorischen Maßnahmen im Kern unumstritten sind. Es wurde aber auch deutlich, dass hinsichtRedetext lich der Leistungsreform erheblicher Abstimmungsbedarf besteht. Aus diesem Grund wurde darauf verzichtet. Wir haben uns im Herbst in der Koalition darauf verständigt, zunächst die Organisationsreform umzusetzen. Ein kurzer Überblick über einige Punkte im Gesetzentwurf: Die Organisation der Berufsgenossenschaften wird durch Zielvorgaben für Fusionen der Unfallversicherungsträger gestrafft. Vorgesehen ist, dass es am Ende neun gewerbliche Berufsgenossenschaften gibt. Soweit die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, die zwischenzeitlich gebildet worden ist, hoheitliche Aufgaben wahrnimmt, wird sie unter Aufsicht gestellt. Die Umsetzung der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie wird ebenfalls im Gesetzentwurf geregelt. Die Lastenverteilung zwischen den gewerblichen Berufsgenossenschaften wird auf ein neues Fundament gestellt und als Aufgabe dem Bundesversicherungsamt übertragen. Das Vermögensrecht der Unfallversicherungsträger wird hinsichtlich der Betriebsmittel, der Rücklagen und der Verpflichtung zur Bildung von Altersrückstellungen mit mehr Transparenz ausgestattet. Die Insolvenzgeldumlage wird in die Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit eingebunden anstelle des bisherigen Einzugs durch die Unfallversicherung. Außerdem gibt es Durchführungsregelungen zur Übertragung des Betriebsprüfungsdienstes von der Unfall- auf die Rentenversicherung. Weite Teile des Gesetzentwurfes haben bei den Sozialpartnern in den zwischenzeitlich durchgeführten Beratungen ein positives Echo hervorgerufen. Wir sind dem Credo gefolgt, dass wir der Selbstverwaltung bei der Umsetzung der Fusionen einen Vorrang geben wollen. Die Beschlüsse der Selbstverwaltung zu den Fusionen und zum Lastenausgleich sind im Gesetzentwurf aufgegriffen worden. Die Neuorganisation, die ich dargelegt habe, wird im Allgemeinen begrüßt. Die Selbstverwaltung ist hinsichtlich der Zielvorgabe zur Reduzierung der Trägerzahl ein gutes Stück vorangekommen. Es ist auch positiv aufgenommen worden, den Spitzenverband als Verein zu organisieren. Auch der neue Lastenausgleich hat weitestgehend Zustimmung gefunden. Das neue Vermögensrecht der Unfallversicherungsträger und die Übertragung des Insolvenzgeldeinzugs sind nicht umstritten. Weiterer Bestandteil - ich habe ihn genannt - ist die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, mit der sich Bund, Länder und Unfallversicherungsträger auf ein gemeinsames und systematisches Vorgehen im Arbeitsschutz verpflichten. Dazu gehören die wichtigen Elemente Prävention und Vorbeugung. Weitere Elemente der Strategie sind die verbesserte Zusammenarbeit der Aufsichtsdienste, die Beratung und Überwachung der Betriebe sowie die Optimierung des Vorschriften- und Regelwerks. Auch hier gibt es einen breiten Konsens. Ich greife einen Kritikpunkt auf, der von Wirtschaftsverbänden in den letzten Tagen noch einmal angesprochen wurde. Dieser bezieht sich auf die Betriebsprüfung. Der Bürokratieaufwand dabei wird bemängelt. Ich sage: Diese Behauptung ist falsch. Mit dem Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz ist im letzten Jahr die Betriebsprüfung von der Unfall- auf die Rentenversicherung übertragen worden. Die Rentenversicherung wird künftig einheitlich und übergreifend für alle Sozialversicherungszweige prüfen. Das Meldeverfahren muss hierzu entsprechend angepasst werden. Der Normenkontrollrat hat die Konzeption, die wir erarbeitet haben, im Kern bestätigt. Er hat außerdem festgestellt, dass durch die künftig einheitliche und effizientere Prüfung eine Entlastung der Arbeitgeber eintritt. Ich denke, damit kann man diese Kritik widerlegen. Der Normenkontrollrat hat eine weitere Anregung gemacht: Zur weiteren Entlastung der Wirtschaft sollte der Lohnnachweis für die Berufsgenossenschaften entfallen. Dieser Anregung gehen wir weiterhin nach. Allerdings ist eine Umsetzung nicht sofort möglich. Denn das setzt voraus, dass die neuen Prüf- und Meldeverfahren in der Praxis fehlerfrei laufen. Dieser Gesetzentwurf trifft also im Kern auf breite Zustimmung und wird mit Sicherheit dazu beitragen, dass die Organisationsreform der Unfallversicherung diese wichtige Säule unserer sozialen Sicherung in Deutschland auf ein zukunftssicheres Fundament stellt und damit zu einer solidarischen Lastenverteilung bei den einzelnen Berufsgenossenschaften beiträgt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat der Kollege Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich habe drei Fragen zu den privatisierten öffentlichen und privatisierten kommunalen Unternehmen. Wie ich gehört habe, soll für den Bund geprüft werden, ob die privatisierten Staatsunternehmen den Berufsgenossenschaften zugeordnet werden können; zumindest im Referentenentwurf war das vorgesehen. Gibt es schon Anhaltspunkte dafür, wie diese Prüfung ausfallen wird? Warum sind die privatisierten kommunalen Unternehmen, die ja in Konkurrenz zur gewerblichen Wirtschaft stehen, nicht konsequent den Berufsgenossenschaften zugeordnet worden? Warum genießen sie im Bereich der öffentlichen Unfallkassen noch einen Sonderschutz?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Kurth, Sie wissen, dass wir, weil es sehr viele rechtliche Streitigkeiten gegeben hat, vor einiger Zeit ein Moratorium vereinbart haben, in dem wir im Kern - ich verkürze das jetzt - gesagt haben: Die Zuordnung, die in den einzelnen Bereichen erfolgt ist, bleibt bestehen. - Damit ist Rechtssicherheit gewährleistet. Den jetzigen Zustand werden wir beibehalten. Die Unfallkassen von Post und Bahn - die Bahn ist ja noch nicht privatisiert, sondern nach wie vor ein staatliches Unternehmen - bleiben erst einmal so organisiert, wie es derzeit der Fall ist. Auf der weiteren Wegstrecke wird zu entscheiden sein, in welcher Form Fusionen möglich sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Haustein.

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, die Unfallkassen bestehen seit 1884. Seitdem genießen sie den Monopolschutz. Wenn jetzt eine Reform durchgeführt wird, in deren Rahmen der Leistungsteil ausgegrenzt wird, ist das Ziel dieser Reform schon verfehlt. Denn die Unternehmer interessiert nur eine Frage: Was sparen wir an Bürokratie und Geld ein? Wie sieht es in dieser Hinsicht mit Blick auf die geplante Reform aus?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ein wesentlicher Punkt, den wir uns vorgenommen haben und der zu Entlastungen führen wird, besteht darin, dass wir den Lastenausgleich neu regeln. Dadurch werden knapp 1,5 Millionen der gut 3 Millionen berührten Unternehmen entlastet. In den Branchen, über die ich gerade gesprochen habe und die in den letzten 10, 20 oder 30 Jahren aufgrund veränderter Wirtschaftsstrukturen entstanden sind, wird es zu geringfügigen Belastungen kommen, weil sie eine größere ökonomische Stärke haben. In einer solidarisch angelegten Sozialversicherungsstruktur ist das allerdings begründbar und vertretbar. Ein Beispiel: Wenn die Prämie im Einzelhandel von 0,90 Prozent auf 0,96 Prozent steigt, dann ist das, wie ich denke, durchaus vertretbar. Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft Fusionen. Wir gingen von einer Größenordnung von 25 oder 26 Berufsgenossenschaften aus; mittlerweile sind es schon weniger geworden. Wir wollen ihre Zahl bis Ende 2009 auf ungefähr neun Unfallkassen reduzieren. Durch Fusionen können Verwaltungskosten und Bürokratiekosten eingespart werden. Mit der Übertragung der Betriebsprüfung der Unfallversicherungsträger auf die Betriebsprüfung der Rentenversicherung haben wir diesen Prozess bereits eingeleitet. Das heißt, es wird weniger Gremien geben, und die Entscheidungen werden konzentriert. Im Hinblick auf das Einsparvolumen haben wir keine Zielvorgabe gemacht. In den Diskussionen über die Frage der Rechtsform - Stichwort: Körperschaft - haben wir uns dem Prinzip der Selbstverwaltung angenährt. Der Wunsch war, dass sie sich in Form privatrechtlicher Vereine organisieren. Daher können auch keine Vorgaben gemacht werden. Ein Verein hat nicht die Kompetenz, bei Grundsatz- und Querschnittsaufgaben verbindliche Entscheidungen zu treffen. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion - ich glaube, das war im vergangenen Jahr - hat die Bundesregierung anhand von Beispielen fusionierter Berufsgenossenschaften dargelegt, dass über eine längere Wegstrecke auch auf sozialverträgliche Weise - dadurch, dass Stellen nicht neu besetzt worden sind - Personalkapazität eingespart, Verwaltungsgebäude veräußert und dadurch Effizienzpotenziale freigesetzt werden konnten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, im Rahmen der Ex-ante-Bewertung von Gesetzgebungsvorhaben gibt der Normenkontrollrat, den die Bundesregierung eingesetzt hat, zu jedem Gesetzgebungsvorhaben eine Stellungnahme ab. In dieser Stellungnahme, so haben wir heute Morgen im Ausschuss für Arbeit und Soziales erfahren, wurde der Bundesregierung empfohlen - Sie haben es im Grunde bestätigt -, anstelle der Übertragung von Prüfkompetenzen - von der Unfallversicherung auf die Rentenversicherung - und damit anstelle von Veränderungen bei den Meldepflichten die Meldepflichten der Unternehmen gegenüber der Unfallversicherung zu reduzieren. Meine Frage: Ist es richtig, dass jährlich 56 Millionen Euro eingespart werden können, wenn die Meldepflichten der Unternehmen gegenüber der Unfallversicherung reduziert werden? Wenn ja: Wie lange wollen Sie dieses Parallelverfahren aufrechterhalten und damit den Unternehmen diese vermeidbare Mehrbelastung zumuten?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich kann Ihnen diese Zahl nicht auf Punkt und Komma bestätigen, will aber etwas zu dem Verfahren sagen und dazu, warum wir die Anregung des Normenkontrollrates aufnehmen. Wenn wir diese Meldepflicht vollständig ablösen wollen, ist eine Anpassung der Termine für die Erhebung der Umlage in der Unfallversicherung notwendig, da der Lohnnachweis bis zum 11. Februar eines jeden Jahres abzugeben ist, die Jahresmeldung im Meldeverfahren der Sozialversicherung aber bis zum 15. April eines jeden Jahres. Das führt zu zeitlichen Verlagerungen bei der Betriebsveranlagung und bei der Durchführung des Lastenausgleichs. Wenn wir das harmonisieren wollen, setzt das voraus, dass wir prüfen, wie die besonderen Merkmale der Unfallversicherung, die heute dem Lohnnachweis entnommen werden, zukünftig an die Unfallversicherung übermittelt werden. Wir reden hier auch über die Lohndaten der ehrenamtlich Tätigen und der 400-Euro-Kräfte. Dass diese Prüfaufgabe mit dem Zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz der Deutschen Rentenversicherung übertragen worden ist, wird vom Normenkontrollrat begrüßt. Wir brauchen den Lohnnachweis, bis auf maschinelle Weise mit dem Entgeltabrechnungsprogramm die Daten erzeugt werden können, die wir brauchen. Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der wir das Neue und das Alte ein Stück weit parallel laufen lassen müssen. ({0}) - Bis der erste Durchgang vorbei ist und wir eine gute Trefferquote haben, um das zu bewerten; das ist die Zielorientierung. Wenn es gut läuft - davon gehen wir aus -, wird man auf das andere verzichten können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Gerald Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, eines der kennzeichnenden Prinzipien des gewachsenen Systems der Unfallversicherung ist die Selbstverwaltung. Wir tun gut daran, der Selbstverwaltung Vorrang zu geben, wo immer es möglich ist. Inwieweit war das Prinzip der Selbstverwaltung für Sie bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes beherrschend? Inwieweit haben Sie der Selbstverwaltung bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfes Raum gegeben?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Weiß, wir haben in der Bund-LänderArbeitsgruppe über die zukünftige Anzahl der Berufsgenossenschaften im gewerblichen Bereich diskutiert. Es entspricht einem Beschluss der Selbstverwaltungsorgane, am Ende der Verhandlungen neun Berufsgenossenschaften zu haben. Es gibt Fusionsverhandlungen, die abgeschlossen sind, es gibt Fusionsgespräche, es gibt aber auch Prozesse, die zurzeit stocken, wo miteinander gesprochen werden muss. Die Frage der Umsetzung liegt jetzt in den Händen der Selbstverwaltung; daran sehen Sie, dass wir der Selbstverwaltung Raum gegeben haben. Im Moment ist im Gesetzentwurf vorgesehen, dass der Regierung und damit auch dem Parlament bis zum 31. Dezember 2008 Bericht zu erstatten ist, wie das Ganze läuft und wie der Weg bis zum 31. Dezember 2009 aussieht. Hinzu kommt, dass wir einen sehr engen Diskurs darüber geführt haben, ob das Ganze durch eine Körperschaft organisiert werden soll, die öffentliche Aufgaben - auch der Organisation - und auch das Verhandeln und Durchsetzen von Positionen - zum Beispiel von Einsparzielen - übernimmt. Die Position der Selbstverwaltung war, dass man dafür lieber die Form eines privatrechtlichen Vereins wählen möchte. Dem sind wir am Ende gefolgt. Weil dort auch die Prävention eine Aufgabe ist und weil wir dort auch die Aushandlung der Kosten und Verträge mit den Leistungserbringern sowie die Heilmittelverfahren geregelt haben, müssen wir dies allerdings einer Fach- und Rechtsaufsicht unterstellen. Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das ist aber sozusagen die Bedingung für das Zugeständnis, dafür die Rechtsform eines Vereins zu wählen. Wenn man das eine haben will, muss man das andere hinnehmen. Die Körperschaft war im Kern nicht gewollt. Aus dem Grunde haben wir uns an dieser Stelle auf die Selbstverwaltung zubewegt. Ich glaube, dass wir damit eine gute Grundlage für die weitere Arbeit gefunden haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, das alles klingt strukturorientiert. Ich darf einmal auf die Leistungsseite zu sprechen kommen. Bei den Menschen, die Arbeitsunfälle, Wegeunfälle oder dergleichen erlitten haben, gibt es die Befürchtung, dass zukünftig Leistungen eingeschränkt werden. Können Sie bitte eine Auskunft darüber geben, was für diejenigen, die Unfälle erlitten haben - also nicht hinsichtlich derjenigen, die sie verursacht haben -, auf der Leistungsseite passieren wird?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Im gesamten Verfahren war eine Neugestaltung der Leistungen angelegt. Die Philosophie dahinter war - so, wie das im Leben eben ist -, dass diejenigen, die schwerere Unfälle erleiden, am Ende auch stärker entschädigt werden sollen als diejenigen, die einen leichteren Unfall haben. Wir haben das intensiv diskutiert - auch mit den Sozialpartnern - und festgestellt, dass eine Umstellung von dem einen System in ein neues System zum jetzigen Zeitpunkt mit einem großen Akzeptanzproblem verbunden wäre. Auch hinsichtlich dieses Bereichs haben wir ganz klar und deutlich gesagt, dass es für Menschen, die heute Leistungen aus der Unfallversicherung beziehen, keine Verschlechterungen geben wird. Darüber ist draußen ziemlich viel erzählt worden. Dabei wurden Befürchtungen geweckt, die aber wirklich ausgeschlossen werden können. Ein neues Leistungsrecht ist nicht Bestandteil des jetzt eingeleiteten Gesetzgebungsverfahrens. Es gab ja die Forderung, die Wegeunfälle aus der Unfallversicherung herauszunehmen. Ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass von uns immer erklärt worden ist, dass wir das nicht wollen. Gerade in einer Wirtschaft, die auf die Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen ist, hat es sich bewährt und ist es auch für die Zukunft gut so, dass die Beschäftigten darauf vertrauen können, dass sie auch auf dem Weg von der Arbeit und zu der Arbeit unter den gesetzlichen Schutz der Unfallversicherung fallen. Das bleibt so. Im Kern wird also nichts berührt. Niemand braucht hier Befürchtungen zu haben. Es gibt in diesem Gesetzentwurf keine Regelung zum Leistungsrecht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Jörg Rohde.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, im Rahmen der Reform der gesetzlichen Unfallversicherung hätte es jetzt auch die Möglichkeit gegeben, die Schwarzarbeit besser zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Es gibt zum Beispiel den Vorschlag, die Verpflichtung zur sofortigen Meldung von Arbeitnehmern einzuführen; zurzeit gilt eine Frist von 14 Tagen. Damit könnte wirksam kontrolliert werden, wer nun wirklich arbeiten darf und wer bei einem Unfall entschädigt werden kann. Warum wurde das im Gesetzentwurf nicht aufgegriffen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Rohde, Sie schneiden ein Thema aus dem letzten Abschnitt einer Kleinen Anfrage der FDPFraktion an. Wir haben Ihnen damals gesagt - deswegen ist es gut, dass Sie das auch jetzt hier hinterfragen -, dass wir das prüfen. Dieser Prüfungsprozess ist im Kern abgeschlossen. Es ist uns ein großes Anliegen, die Schwarzarbeit aktiv zu bekämpfen. Sie wissen, dass hierbei auch das Finanzministerium berührt ist. In Abstimmung mit dem Finanzministerium wird es im Hinblick auf die Verschärfung der Meldepflichten, im Hinblick auf den Punkt, den Sie gerade angeschnitten haben, nämlich Sofortmeldungen einzuführen und dies nicht erst wochenlang laufen zu lassen, und im Hinblick auf andere zu regelnde Bestandteile wahrscheinlich sehr bald eine Änderung in einem weiteren SGB-IV-Änderungsgesetz geben. ({0}) - Bitte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich komme auf das Thema zurück, das der Abgeordnete Gerald Weiß angesprochen hat. Sie haben ausgeführt, Bedingung für den Verzicht auf die Organisation der Unfallversicherung in Form einer Körperschaft sei die Übernahme der Rechts- und Fachaufsicht durch das BMAS gewesen. Für den Bereich der Prävention wird von den Trägern der Unfallversicherung die Befürchtung geäußert, dass Forschungsschwerpunkte, Praxisprogramme und dergleichen durch das Ministerium beeinflusst, womöglich sogar unterbunden werden könnten. Wie reagieren Sie darauf, können Sie dazu Stellung nehmen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Kurth, leider ist im Jahre 2006, verglichen mit 2005, die Zahl der Arbeitsunfälle - auch die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle - in verschiedenen Bereichen gestiegen. Wir stellen bei einem relativ guten Regelwerk des Arbeitsschutzes fest, dass neue Krankheiten, etwa psychische Krankheiten, Belastungen durch Stress usw., hinzukommen, und diskutieren sehr engagiert über ein Präventionsgesetz. Damit will ich sagen: Solche Befürchtungen haben keine Grundlage. Vielmehr ist es unsere Absicht, dazu beizutragen, die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen in einer Industriegesellschaft zu erhalten, die einem ständigen Wandel unterworfen ist und damit natürlich auch Belastungen mit sich bringt. Dazu dient unser gut ausgebautes System von Rehabilitationseinrichtungen. Auch die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie soll dazu beitragen; dort werden wir - Bund, Länder und die Berufsgenossenschaften - darüber zu sprechen haben, wie man zielgerichtet daran geht und wo man Schwerpunkte lokalisiert. In dieser Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie sind die Berufsgenossenschaften und damit die Selbstverwaltung - Gewerkschaften und Arbeitgeber mit Sitz und Stimme repräsentiert und können an dieser Stelle so, wie sie es wollen, einen erheblichen Einfluss darauf ausüben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsekretär, es gibt die umgangssprachliche Wendung, nichts sei dauerhafter als ein Provisorium. Bezogen auf die Unfallversicherung würde ich sagen: Nichts ist dauerhafter als ein Moratorium. Dieses Moratorium führt zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Unternehmen, die den Unfallkassen zugeordnet sind, und jenen Unternehmen, die den gewerblichen Berufsgenossenschaften zugeordnet sind. Gerade im Baubereich mit seinen extrem hohen Beiträgen zur Berufsgenossenschaft stellt das ein Problem dar; jedenfalls beobachten wir dies. Gibt es auch nach Feststellung der Bundesregierung eine Art Absetzbewegung dergestalt, dass private Unternehmen versuchen, sich mit öffentlichen Unternehmen zusammenzuschließen, um auf diesem Wege unter das Dach der günstigeren Unfallkassen zu kommen und so Wettbewerbsvorteile zu erzielen? Schließen Sie für den Rest der Legislaturperiode aus, dass die Moratoriumslösung in einen endgültigen Zustand überführt wird?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Wir haben mit der heutigen Entscheidung im Hinblick auf das parlamentarische Verfahren bis auf das Leistungsrecht - dazu habe ich etwas gesagt - den Koalitionsvertrag an dieser Stelle umgesetzt und schaffen damit auch Rechtssicherheit, sodass ich davon ausgehe, dass es bei der jetzt gefundenen Lösung bleiben wird. Was Ihre Frage und die mit ihr verbundene kritische Bewertung angeht, dass durch Absetzbewegungen Wettbewerbsvorteile erlangt würden, so kann ich diese nicht bestätigen. Aber ich greife die Frage auf und werde sie in meinem Hause prüfen lassen. Dann werden wir uns darüber im Dialog weiter austauschen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die bisher letzte Frage zu diesem Themenbereich stellt der Kollege Haustein.

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, die Gesamtkosten dessen, was die Berufsgenossenschaften von den Betrieben einziehen, belaufen sich auf 9,6 Milliarden Euro. 90 Prozent entfallen auf den Leistungsteil, den Sie aber unberührt lassen. Stattdessen setzen sie nur bei der Verwaltung an. Somit kann von einer Reform nicht die Rede sein. Ist in dieser Legislaturperiode noch eine Reform des Leistungsteils geplant?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Das bestehende gesetzlich geregelte Unfallversicherungssystem, in dem die Arbeitgeber Beiträge zahlen, hat sich über die Jahre bewährt und reagiert jetzt auf die strukturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft, in der wir es mit schrumpfenden Branchen und aufgrund neuer Märkte mit neu entstehenden Industrien und Dienstleistungsbereichen zu tun haben. Dass wir bzw. die Selbstverwaltung die Kraft haben, das solidarisch neu zu regeln, zeichnet dieses System im Kern aus. Es gibt zwar andere politische Vorstellungen, nach denen alles privatisiert werden kann, aber damit wäre die Einzelklagemöglichkeit des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber verbunden, was niemand will. Das heißt, dieses System befindet sich - auch bei den Sozialpartnern auf einer guten gesamtgesellschaftlichen Grundlage. Sie haben die Höhe des Beitragsvolumens genannt. Die gezahlten Leistungen beziehen sich zum größten Teil auf die Unfallrenten. Der Verwaltungskostenanteil liegt bei circa 10 bis 11 Prozent. Bei dem verbleibenden Volumen ist es durchaus lohnenswert, die Potenziale durch Fusionen, durch Konzentration der Überprüfungstätigkeit durch die Rentenversicherung auszuschöpfen. Das würde auch zu einer größeren Erfassungsdichte beitragen, ohne dass - der Kollege Seifert hat danach gefragt - die Leistungsfähigkeit, die Ortsnähe und die Betreuungskompetenz für die Betriebe reduziert würden. Von daher glaube ich, dass sich die dadurch entstehenden Effizienzpotenziale, die wir meines Wissens in der Antwort auf Ihre Anfrage anhand der Fusionsergebnisse in Bayern dargestellt haben, auch bei der Umsetzung des derzeitigen Gesetzesvorhabens ergeben werden. Die Erfahrungen aus der Diskussion über ein beabsichtigtes Leistungsrecht zeigen mir sehr deutlich, dass dafür ein gewisser Zeitraum notwendig ist, in dem man gelassen und unaufgeregt sehr sachlich darüber diskutieren kann, was wir regeln wollen. Geht es uns um Regelungen, nach denen ein Schadensausgleich geleistet wird, oder um eine Unfallrente, bei der dann, wenn sie mit der gesetzlichen Rente zusammenfällt, diese reduziert würde? Dies würden manche Menschen aufgrund der Anrechnungstatbestände nicht verstehen. Um diese vielen komplizierten Fragen zu regeln, ist der Zeitraum bis September/Oktober 2009 zu kurz. Ich glaube, das ist eine große Herausforderung, auf die eine der nächsten Regierungen - egal in welcher Konstellation - Antworten finden muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich habe inzwischen weitere Wortmeldungen zu diesem Themenbereich. Das Wort hat der Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage. Die Bundesregierung hatte sich im Juli 2007 festgelegt. In ihrer Antwort auf die Fragen 7 und 10 in der Bundestagsdrucksache 16/6085 hatte sie sehr deutlich gemacht, dass eine Leistungsreform sachgerecht und systematisch richtig ist. Aus unserer Sicht als Opposition gab es damals den erklärten Willen der Bundesregierung, diese Reform durchzuführen. Ich entnehme Ihren Ausführungen, dass auch in diesem Bereich nicht mehr daran gedacht ist, in der restlichen Legislaturperiode etwas zu tun. Sie müssen uns erklären, woran das liegt. Wenn Sie es damit begründen würden, dass Sie als Große Koalition nicht mehr in der Lage sind, sich auf Kompromisse zu verständigen, dann würde ich das akzeptieren. Aber vielleicht gibt es auch andere Erklärungen dafür, dass der im Jahr 2007 noch als wichtig erachtete Bereich jetzt nicht mehr geregelt werden soll.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Dr. Kolb, wir haben damals mit der Umsetzung des Vorhabens begonnen. Ich habe gerade ausführlich erklärt, dass zur Umsetzung dieses Teilbereichs der Reform auch die Akzeptanz der Betroffenen notwendig ist. Wir haben mit den Sozialpartnern darüber gesprochen und deutlich gemacht, dass hinsichtlich des Leistungsrechts letztlich kein Einsparungsgesetz herausgekommen wäre. Vielmehr haben wir darauf hingewiesen, dass wir die Unfallversicherung bzw. den Schadenausgleich zielgenauer regeln wollen. Dazu hat es Gespräche und Debatten gegeben. Die Komplexität des Ganzen hat aber deutlich gemacht, dass man dafür einen längeren Zeitraum benötigt. Grund dafür sind nicht Diskussionen in der Koalition. Die Zielorientierung muss dabei bleiben, das auf den Prüfstand zu stellen, aber nicht um Leistungskürzungen herbeizuführen. Vielmehr geht es darum, das Ganze zielgenauer zu organisieren. Es kann sein, dass in neu auftretenden Fällen andere Leistungen erbracht werden als in Fällen in der Vergangenheit. Es ist durchaus möglich, dass mehr als in der Vergangenheit gezahlt wird. Wie gesagt, vielleicht werden die schweren Unfälle beim Schadenausgleich etwas stärker berücksichtigt. Aber das alles ist sehr komplex. Deswegen glaube ich, dass das in dieser Legislaturperiode keine Rolle mehr spielen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben in Ihrer Antwort auf meine Nachfrage zur Prävention die Rechts- und Fachaufsicht begründet und auf die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie verwiesen. In der Tat könnte eine solche Rechts- und Fachaufsicht durch den Bund ein koordiniertes Vorgehen zweier Ministerien, etwa des Gesundheitsministeriums und des BMAS, ermöglichen. Insbesondere wäre dann denkbar, die gesetzlichen Krankenkassen in die Präventionsanstrengungen auf der Ebene der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz einzubeziehen. Aber das ist augenscheinlich nicht der Fall. Warum ist dies nicht der Fall? Schließlich wird die betriebliche Prävention nach dem GKV-WSG für die gesetzlichen Krankenkassen zu einer Pflichtaufgabe. Daher läge es nahe, die gesetzlichen Krankenkassen auch hier einzubeziehen.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Kollege Kurth, wir haben uns in der Arbeitsgruppe auf den Weg der Zusammenarbeit verständigt und festgelegt, dass Bund und Länder sowie die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Berufsgenossenschaften der öffentlichen Hand, die DGUV, ihre Arbeit im Rahmen der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz aufnehmen. Ich denke, es sollte dem weiteren Prozess überlassen bleiben, inwieweit mögliche ergänzende Strukturen hinzukommen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das aber nicht beabsichtigt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Brauksiepe.

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, bin ich richtig informiert, dass der Dachverband der Berufsgenossenschaften die hier vorgetragene Einschätzung nicht teilt, sondern der Meinung ist, dass die Prävention auch nach einer Organisationsreform gewährleistet ist? Teilen Sie meine Einschätzung, dass eine Leistungsrechtsreform eigentlich Sache des Parlaments als Gesetzgeber ist und nicht von der Bundesregierung zu entscheiden ist?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Es gibt mehrere Möglichkeiten, Gesetzentwürfe einzubringen. Letztlich braucht man hier im Parlament die Zustimmung. Das gilt auch im Hinblick auf eine Reform des Leistungsrechts. Die DGUV vertritt beim Thema Fach- und Rechtsaufsicht eine andere Auffassung, genauso wie beim Komplex Prävention. Wir haben uns jedenfalls bewegt und sind gegen eine Körperschaft und für einen Verein, um Verbindlichkeit herzustellen und praktisch eine Beleihung in dieser Frage vorzunehmen. Wenn man dem Ganzen zum Erfolg verhelfen will, ist es notwendig, hin und wieder zu hinterfragen, was dort gemacht wird, und der Spitze der DGUV die Fach- und Rechtsaufsicht bei der Prävention zu geben, damit sie Durchsetzungsmöglichkeiten bei den fusionierten Berufsgenossenschaften hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich beende nun die Befragung zu diesem Themenbereich. Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? Das ist nicht der Fall. Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Herzlichen Dank Herr Staatssekretär. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/7998, 16/8023 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/8023 auf. Wir kommen zur dringlichen Frage 1 des Kollegen Jürgen Trittin: Wie viele Personen für die Teilbereiche Polizei, Justiz und Zoll sind derzeit insgesamt für die bevorstehende ESVP-Mission - Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik - im Kosovo benannt und einsatzbereit, nachdem sich Meldungen über eine zu erwartende einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Februar zuletzt mit Aussagen des serbischen Präsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz am letzten Wochenende verdichtet haben, und zu welchem Datum kann das für den ersten Aufwuchs geplante Kontingent von circa 300 Angehörigen dieser Mission seine Arbeit vor Ort aufnehmen? Die dringliche Frage des Kollegen Jürgen Trittin bezieht sich auf den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Bitte, Herr Staatsminister.

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Ich darf Ihnen folgende Antwort geben: Die im Mindestumfang 1 829 internationale Experten umfassende zivile ESVP-Mission, genannt EULEX-Kosovo, soll im Kosovo Aufgaben im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Polizei übernehmen und neben Beobachtung, Anleitung und Beratung auch begrenzte exekutive Befugnisse in den Bereichen Justiz, Polizei und Zoll wahrnehmen. Nach derzeitigem Planungsstand wird die Polizeikomponente der Mission 1 400 Polizisten, darunter circa 460 Polizisten in geschlossenen Einheiten, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung umfassen. Die Justizkomponente wird 225, die Zollkomponente voraussichtlich 26 internationale Experten umfassen. Hinzu kommen 112 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Stab des Missionsleiters und 66 Verwaltungsexperten. Der Personalaufwuchs der Mission soll in mehreren Wellen, beginnend mit dem Leitungspersonal, in einer viermonatigen Übergangs- und Aufbauphase erfolgen. Zwei Monate vor der Verantwortungsübernahme von UNMIK soll die Personalstärke auf circa 300 internationale Experten angewachsen sein. Der genaue Zeitpunkt des Beginns eines operativen Einsatzes von EULEX-Kosovo sowie die Modalitäten der Verantwortungsübernahme von UNMIK bedürfen noch der Klärung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage. Bitte.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, diese Zahlen stehen schon länger im Raum. Angesichts der Tatsache, dass fast alle damit Beschäftigten es für hochwahrscheinlich halten, dass am 17. Februar, also am nächsten Sonntag, die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo erfolgen wird und sich dann unmittelbar die Frage einer Überführung der internationalen zivilen Präsenz von UNMIK in die ESVP-Mission stellt, frage ich Sie, wie viele Personen mit Namen, Adressen und der Bereitschaft, zeitnah diese Aufgaben wahrzunehmen, tatsächlich hinter Ihren Zahlen stehen.

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Herr Kollege Trittin, ich will Ihren Bewertungen und Beobachtungen, dass bestimmte Entscheidungen anstehen, gar nicht widersprechen. Allerdings bitte ich doch, auch zu sehen, dass die schon vor langer Zeit geplante ESVP-Mission unabhängig von anderen Entscheidungen ist, die möglicherweise in den nächsten Tagen anstehen. Die EU hat rechtzeitig darüber nachgedacht. Es ist noch keine Entscheidung über den Beginn dieser Mission gefallen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Gloser, können Sie die Situation ausschließen, dass mit der ESVP-Mission im Kosovo das Gleiche passiert wie mit der EUPOL-Mission in Afghanistan, bei der man sich zwar vorgenommen hatte, bestimmte Sollzahlen zu erreichen, man dann aber wegen eklatanter Schwierigkeiten bei der Rekrutierung nicht in der Lage war, diese Zahlen zu erreichen, weil tatsächlich keine konkreten Personen zur Verfügung standen?

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Herr Kollege Trittin, ich weiß - das ist immer deutlich gemacht worden -, dass das eine der größten Herausforderungen der Europäischen Union ist. Deshalb hat die Vorbereitungsarbeit lange vor der Entscheidung über den Beginn dieser Mission und die Rekrutierung des Personals begonnen. Auch die deutsche Seite hat daran mitgewirkt, dass sich entsprechende Personen an Ausschreibungen beispielsweise für Polizisten und andere Experten beteiligen. Wie das im Einzelnen verläuft - das werden Sie mir bestimmt zugestehen -, darüber können wir spekulieren. Ich denke, dass rechtzeitig alle Maßnahmen getroffen worden sind, damit die Einsatzfähigkeit dann, wenn die Entscheidung getroffen wird, vorhanden ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine Nachfrage stellt nun die Kollegin Marieluise Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, angesichts der Tatsache, dass wir heute den 13. Februar haben und für den 17. Februar die Unabhängigkeitserklärung erwartet wird, frage ich: Können Sie ausschließen, dass es einen Raum der Unsicherheit geben wird, weil sich nicht ausreichend viele Kräfte für die neue Mission vor Ort befinden werden? Können Sie hier bestätigen, dass tatsächlich bei allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Einigkeit über das Zustandekommen dieser Mission besteht?

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Frau Kollegin Beck, wir haben in den vergangenen Räten der Außenminister vielfach darüber gesprochen. Auch im Europäischen Rat am 14. Dezember ist ein Beschluss über eine gemeinsame Aktion gefasst worden. Es hat in den vergangenen Wochen auch im Rahmen eines schriftlichen Verfahrens Entscheidungen gegeben. Ich kann der Debatte am kommenden Montag natürlich nicht vorgreifen. Beispielsweise ist aber bereits eine Entscheidung mit - so glaube ich - allen Stimmen der europäischen Mitgliedstaaten mit der Ausnahme von Zypern erfolgt. Zum zweiten Punkt der Frage. Noch einmal: Es ist alles getan worden - vom Ratssekretariat, aber auch von der Kommission -, um entsprechende Vorbereitungsarbeiten zu leisten, auch im Hinblick auf die Rekrutierung des Personals. Ich bitte einfach noch einmal darum, zu berücksichtigen, dass ein Kontext zwischen einer möglichen Unabhängigkeitserklärung und der EULEX-Mission nicht herzustellen ist, sondern dass die ESVP-Mission schon vor längerer Zeit angedacht worden ist und es in diesem Zusammenhang entsprechende Vorbereitungen gibt. Es bleibt dem Rat der Außenminister am kommenden Montag vorbehalten, welche weiteren Entscheidungen zu fällen sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Jürgen Trittin: Wird sich die Bundesregierung im Europäischen Rat der Außenminister am 18. Februar 2008, vorausgesetzt die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo erfolgt am 17. Februar, für einen sofortigen Beschluss über den Beginn der ESVP-Mission einsetzen, und wird sie auf ein schnelles Inkrafttreten hinwirken? Bitte, Herr Staatsminister.

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Meine Antwort auf diese Frage ist: Ich habe bereits gesagt, dass wir heute nicht darüber spekulieren können. Die Bundesregierung nimmt auch nicht zu hypothetischen Fragen Stellung. Noch einmal: Es besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Datum der Unabhängigkeitserklärung und dem Datum der Einleitung der ESVPMission.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Trittin, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, Sie erlauben, dass ich mich ob dieser Aussage politisch verwundert zeige. Die Feststellungen hinsichtlich der Anerkennung des Kosovo durch die Bundesregierung habe ich immer so verstanden, dass die Bundesregierung eine Anerkennung des Kosovo nur auf der Basis der Vereinbarungen des Ahtisaari-Planes erwägen konnte und dass in diesem Zusammenhang die internationale Präsenz und damit die Umsetzung der Kernpunkte des Ahtisaari-Planes - sprich: zum Beispiel Schutz der entsprechenden Minderheiten und der serbischen Kulturgüter - in diesem Prozess eine der politischen Voraussetzungen dafür ist, dass die Bundesregierung überhaupt eine Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo erwägt. Wenn Sie nun erklären, diese Dinge hätten nichts miteinander zu tun, soll ich dann daraus die SchlussfolJürgen Trittin gerung ziehen, dass die Bundesregierung erwägt, den Kosovo anzuerkennen, ohne dass sichergestellt ist, dass die Rahmenbedingungen des Ahtisaari-Planes, zu denen auch die europäische zivile Sicherheitsmission gehört, erfüllt sind?

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Kollege Trittin, ich habe im Rahmen der Beantwortung der ersten Frage und der Zusatzfragen deutlich gemacht, welche Vorbereitungsarbeiten geleistet worden sind. Ich habe auch - trotz sich verdichtender Meldungen über eine Entscheidung, die nicht in der Entscheidungsebene der Bundesregierung, sondern des Kosovo liegt - um Verständnis dafür gebeten, dass nicht schon jetzt darüber spekuliert werden kann, welche Entscheidungen am kommenden Montag gefällt werden. Ich habe die verschiedenen Schritte dargelegt, die in den letzten Wochen in Vorbereitung dieser Mission gemacht worden sind. Über einen Einsatz dieser Mission ist noch nicht entschieden worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Trittin, Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ganz einfach: Gedenkt die Bundesregierung die Unabhängigkeit des Kosovo auch dann anzuerkennen, wenn über die Implementierung einer zivilen europäischen Sicherheitsmission im Kosovo noch keine Entscheidung getroffen ist, über deren Ausgang ja - wie Sie sagen - auch nicht spekuliert werden kann?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass das nicht allein ihre Entscheidung ist, sondern dass wir im Rahmen der Europäischen Union eine gemeinsame Entscheidung treffen wollen. Es wäre sehr wichtig für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, dass gemeinsame Entscheidungen getroffen werden. Einzelentscheidungen und Einzelwege der Nationalstaaten möchte ich nicht vorwegnehmen, sondern es bedarf einer gemeinsamen Erörterung im Außenministerrat am kommenden Montag.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Marieluise Beck das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, dass zwar eine politische Entscheidung gefällt worden ist, man möge gemeinsam anerkennen, dass rechtlich gesehen aber jede Nation einzeln anerkennt und damit also auch die Bundesregierung vor dieser Entscheidung steht? Ich habe Ihnen eben sehr genau zugehört. Sie haben gesagt: Ich glaube, dass alle außer einem Land dieser ESVP-Mission zustimmen werden. Könnten Sie bitte einmal etwas genauer ausführen, was es bedeutet, wenn eine Regierung lediglich glaubt, statt von realen Verhandlungsergebnissen und Kenntnissen auszugehen?

Not found (Gast)

Sehr verehrte Frau Kollegin Beck, ich habe von dem Beschluss über die Gemeinsame Aktion gesprochen. Innerhalb der Europäischen Union ist eine Zustimmung erfolgt. Zugestimmt haben alle bis auf ein Mitgliedsland, das sich konstruktiv enthalten hat. Es sind weitere Entscheidungen, was diese Mission, den Operationsplan und den Einsatzzeitpunkt angeht, zu treffen. Darüber sind also noch keine Entscheidungen getroffen worden. Das ist die eine Seite. Ein zweiter Punkt ist die Frage der Anerkennung, wenn es zur Unabhängigkeit kommt. Ich habe vorhin ausdrücklich gesagt, dass die Bundesregierung wie die Regierungen vieler anderer Mitgliedstaaten der Auffassung ist, dass in der Europäischen Union eine gemeinsame Entscheidung über die weitere Vorgehensweise getroffen werden sollte. Das schließt nicht aus, dass sich der eine oder andere Mitgliedstaat davon ausnimmt. Es bedarf aber noch einer Diskussion im Europäischen Rat am kommenden Montag, wenn bestimmte Situationen eintreten. Alles andere wäre aus heutiger Sicht Spekulation.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Dağdelen das Wort.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Frage bezüglich der ESVP-Mission im Kosovo. Werden diese Truppen, die keine UN-Mandatierung haben - es gibt noch nicht einmal eine Mandatierung der Mission im Kosovo durch den UN-Sicherheitsrat -, vor Ort auch gegen Personen vorgehen können, die gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo eintreten?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich hoffe, Sie richtig verstanden zu haben und diese Frage angemessen beantworten zu können. Es handelt sich hier nicht um den Einsatz von Truppen, sondern um - ich habe das vorhin angesprochen eine zivile Mission, um eine Rechtsstaatsmission, an der insbesondere Polizei- und Verwaltungsangehörige teilnehmen. Insofern stellt sich die Frage nach der Mandatierung von Truppen im Kosovo nicht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben leider keine Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage. ({0}) - „Leider“ aus der Sicht der Kollegin. - Die dringlichen Fragen sind damit aufgerufen und beantwortet worden. Ich danke dem Herrn Staatsminister. Wir kommen jetzt zu den Fragen auf Drucksache 16/7998 in der üblichen Reihenfolge. Vizepräsidentin Petra Pau Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Hartfrid Wolff auf: Ist es zutreffend, dass das Bundesministerium der Finanzen in Bezug auf den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts, BilMoG, des Bundesministeriums der Justiz Steuerausfälle in Höhe von rund 15 Milliarden Euro befürchtet, und inwiefern will die Bundesregierung konkret den Entwurf eines BilMoG ändern, um das Gesetz wie angekündigt steuerneutral zu halten? Bitte, Herr Staatssekretär.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Wolff, die Zusammenfassung vorweg: Der Gesetzentwurf ist grundsätzlich auf Steuerneutralität angelegt. So ist es auch in der Begründung des Referentenentwurfs eines Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes ausgeführt; falls Sie dazu nachfragen, kann ich es Ihnen hier vorlesen. Daher werden die Vorschläge auch nicht zu Steuerausfällen von 15 Milliarden Euro führen. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist erwähnt, welche der Regelungsvorschläge unter diesem Gesichtspunkt noch gesondert zu prüfen sind. Dies sind zum Beispiel die vorgesehene Bewertung von Finanzinstrumenten des Handelsbestandes zum beizulegenden Zeitwert - § 253 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfes eines Handelsgesetzbuches - sowie die Möglichkeit der Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung für Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, die notwendigerweise nur zusammen genutzt werden können; ich beziehe mich auf § 253 Abs. 3 Satz 5 des Entwurfes eines Handelsgesetzbuches. An dieser Stelle könnten sich Änderungen des Entwurfs als erforderlich erweisen, um das Ganze steuerneutral zu halten. Es ist nun einmal so, dass Gesetzentwürfe noch geändert werden können. Auch Sie wollen ja noch etwas zu prüfen haben. Im Referentenentwurf ist zudem eine Änderung der handelsrechtlichen Rückstellungsbewertung vorgesehen, nach der künftige Preis- oder Kostensteigerungen, bei Pensionsrückstellungen also auch künftige Lohn- und Gehaltssteigerungen, zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus sollen die Rückstellungen mit von der Bundesbank festzusetzenden Zinssätzen abgezinst werden. Das Bundesministerium der Finanzen hat geschätzt, dass diese Änderungen der handelsrechtlichen Rückstellungsbewertung zu Steuerausfällen von mehr als 15 Milliarden Euro führen könnten, wenn sie auch steuerlich nachvollzogen werden würden. Dies sieht der Referentenentwurf aber gerade nicht vor. Vielmehr soll die steuerliche Bewertung von Pensionsrückstellungen wie bisher nach § 6 a Einkommensteuergesetz erfolgen; dafür ist der Kollege Diller zuständig. Die speziellen steuerlichen Vorschriften für die Bewertung von Rückstellungen sollen inhaltlich nicht geändert werden. Der Referentenentwurf ist demnach schon in seiner bisherigen Fassung in diesem Punkt steuerneutral. Anders ausgedrückt: Zu Steuerausfällen in den genannten Höhen würde es nur kommen, wenn der Referentenentwurf an dieser Stelle geändert werden würde, was von uns allerdings nicht beabsichtigt ist. Nachdem Sie mit Datum vom 8. Februar Ihre mündliche Frage eingereicht hatten, haben Sie eine ausführliche und, wie ich glaube, auch gut nachvollziehbare Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hartfrid Wolff, Dr. Guido Westerwelle und anderer Abgeordneter der FDP-Fraktion erhalten - schätzungsweise am 11. Februar ist sie bei Ihnen eingegangen -, aus der sich alles Weitere ergibt. Ich kann sie Ihnen auch gerne vorlesen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wolff, Sie können jetzt entscheiden, ob Sie den Anregungen des Herrn Staatssekretärs folgen oder andere Nachfragen stellen wollen. - Bitte, die erste Nachfrage.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist sehr nett, Herr Staatssekretär, dass Sie sagen, Sie dächten darüber nach, noch Anpassungen vorzunehmen. Sie haben ferner dargelegt, dass der aktuelle Entwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes insofern keine Änderungen vorsehe. Von daher würde mich interessieren, ob in Ihrem Nachbarministerium, also dem Finanzministerium, über weitere steuerliche Anpassungsregelungen nachgedacht wird.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich dafür nicht zuständig bin.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz schon seit mehr als zwei Jahren in der Diskussion ist und die Diskussion in der Öffentlichkeit jetzt etwas intensiver geworden ist, würde mich interessieren, inwieweit es eine Abstimmung zwischen den verschiedenen Häusern, unter anderem mit dem Wirtschaftsministerium oder dem Finanzministerium, im Hinblick auf die zu erwartenden und von Ihnen auch angekündigten Bürokratiekosten - Sie beziffern sie auf 50 bis 75 Millionen Euro für die Unternehmen - gibt, ob dies auch mit dem Wirtschaftsministerium besprochen worden ist und ob das Wirtschaftsministerium das nach Ihrer Reaktion, die Sie sicherlich abgestimmt haben, ähnlich sieht.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Bei diesem Gesetzentwurf müssen wir mit großer Sorgfalt und Vorsicht vorgehen. Sie wissen, dass gerade die mittelständischen Unternehmen große Sorgen haben, irgendwann bilanzieren zu müssen nach den International Financial - Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach ({0}) - Danke schön. Sie sind in dieser Beziehung ja vom Fach, ich weniger. - Diesen Unternehmen wollen wir mit der Bilanzierung nach HGB eine gewisse Erleichterung anbieten. Das wird uns damit wohl auch gelingen. Was nun die Bürokratie anbetrifft, so wird es für die meisten Unternehmen zu keinen weiteren erheblichen Kosten kommen, weil sie das, was sie ohnehin ermitteln müssen, verwenden können und lediglich vielleicht einen anderen Zinssatz ansetzen müssen, was zum Beispiel die Pensionsrückstellungen angeht. Die Bürokratiekosten werden sich in überschaubaren Grenzen halten. Einerseits müssen möglicherweise zwar zusätzliche Angaben gemacht werden; andererseits aber werden wir mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz eine ganze Fülle von Erleichterungen schaffen, gerade für die kleinen und mittelständischen Unternehmen, sodass diese Unternehmen unter dem Strich einen deutlichen Vorteil haben werden. Außerdem war ich schon erstaunt, dass Sie danach nicht gleich in Ihrer ersten Frage gefragt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Möglichkeit zu weiteren Nachfragen besteht an dieser Stelle nicht. - Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller. Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Britta Haßelmann auf: Wie stellt die Bundesregierung bei der Preisgestaltung der künftigen Partnerschaften Deutschland Gesellschaft, PDG, sicher, dass das Beratungsangebot der Gesellschaft auch für finanzschwache Gebietskörperschaften finanzierbar ist, und hält die Bundesregierung den Neutralitätsanspruch der Partnerschaften Deutschland Gesellschaft mit der Darstellung auf der Internetseite www.partnerschaftendeutschland.de für vereinbar, wonach der Vorteil einer Beteiligung privater Unternehmungen darin besteht, dass sie „den Marktaufbau von ÖPP auch im eigenen Interesse“ - ÖPP: öffentlich-private Partnerschaften - unterstützen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Kollegin Haßelmann, Ihre Frage besteht eigentlich aus zwei Frageteilen. ({0}) Im ersten Teil geht es darum, wie die Bundesregierung bei der Preisgestaltung der künftigen Partnerschaften Deutschland sicherstellt, dass das Beratungsangebot der Gesellschaft auch für finanzschwache Gebietskörperschaften finanzierbar ist. Dazu möchte ich Ihnen antworten: Die Preisgestaltung muss marktgerecht erfolgen, zum einen wegen des Beihilferechtes der EU und zum anderen natürlich wegen des Wettbewerbsrechtes. Wir können also finanzschwachen Kommunen keine karitativen Preise anbieten. Im zweiten Teil Ihrer Frage geht es darum, ob die Bundesregierung den Neutralitätsanspruch der Partnerschaften Deutschland mit der Darstellung auf der angegebenen Internetseite für vereinbar hält. Antwort: Zwischen der Neutralität der Beratungen und der Markterweiterung für ÖPP besteht kein Widerspruch. Internationale Vergleiche zeigen, dass mehr wirtschaftliche ÖPP möglich sind, als es derzeit in Deutschland gibt. Wir haben nur eine Quote von etwa 2 bis 3 Prozent, in Großbritannien beträgt sie 15 Prozent. Hier ist also noch eine Steigerung um ein Vielfaches möglich. Wenn die Partnerschaften Deutschland durch neutrale Beratung dazu beiträgt, dass alle denkbaren Projekte, bei denen ÖPP wirtschaftlich ist - ich unterstreiche diese Bedingung: Es muss wirtschaftlich sein -, auch als ÖPP realisiert werden, dann profitieren nämlich beide Seiten: zum einen die öffentliche Hand durch Effizienzgewinne und zum anderen die Privatwirtschaft durch die Erweiterung des Marktes.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Diller, vielen Dank erst einmal für die Beantwortung meiner Frage. - Ich möchte doch noch einmal auf Ihre Aussage, man könne keine karitativen Preise anbieten, eingehen. Sie reden davon, dass diese Gesellschaft marktübliche Preise nehmen müsse; etwas Ähnliches steht ja auch in Ihren Veröffentlichungen - ich zitiere -: Das Vergütungsmodell der Partnerschaften Deutschland reflektiert ein qualitativ anspruchsvolles Beratungsangebot im mittleren bzw. oberen Preissegment … Wie kommen Sie nun darauf, dass diese Einrichtung gerade für finanzschwache Kommunen ein wichtiges Instrument bei der Beratung in Bezug auf ÖPP-Projekte ist? Ich versuche, mich in die Lage einer Kommune, die finanzschwach ist, zu versetzen. Sie werben massiv damit, dass die Bundesregierung hier ein Angebot gerade für finanzschwache Kommunen schafft. Gleichzeitig signalisieren Sie nach außen, dass diese qualitativ hochwertige Beratung nur im oberen Preissegment möglich ist. Finden Sie nicht, dass da ein Widerspruch besteht?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Nein. Die Qualität der Beratungen, die wir bieten, wird sehr viele Vorteile, auch für finanzschwächere Kommunen, haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie sollen finanzschwache Kommunen ein solches Angebot überhaupt in Anspruch nehmen können? Sie heben ja gleich auf die Qualität der Beratungen ab. Ich selber habe elf Jahre Kommunalpolitik gemacht. Um überhaupt eine Auftragsvergabe vornehmen zu können, müssen doch die entsprechenden Finanzmittel für die Gründung einer Gesellschaft bereitgestellt werden. Erst nach Abschluss einer solchen Vereinbarung können die Kommunen Leistungen in Anspruch nehmen, von denen Sie sagen, sie seien unter Umständen qualitativ hochwertig. Wie kommen Sie vor diesem Hintergrund darauf, dass eine finanzschwache Kommune, die vielleicht sogar den Regelungen des Haushaltssicherungsgesetzes unterliegt, eine solche Beratung überhaupt in Anspruch nehmen kann? Wie kommen Sie darauf, dass die Neutralität gewahrt wird, wenn Sie schon von vornherein eine Zielvorgabe für den ÖPP-Anteil, der erreicht werden soll, geben?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Kollegin, ich selbst war ehrenamtlich mehrere Jahrzehnte kommunalpolitisch tätig. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich Ihnen sagen: Wenn eine Kommune so finanzschwach ist, dass sie noch nicht einmal die Beratung bezahlen kann, dann kann sie sich auch das Projekt nicht leisten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Haßelmann: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Höhe der im Wesentlichen durch Entlastungen beim Wohngeld erzielten Einsparungen der Bundesländer in der Folge von Hartz IV und die Einhaltung der Zusage seitens der Länder, diese Einsparungen vollständig an die Kommunen weiterzuleiten? Sie haben das Wort.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Kollegin, diese Frage bezieht sich auf ein anderes Themenfeld. Zwischen Bund und Ländern bestanden seit Einführung des Arbeitslosengeldes II unterschiedliche Auffassungen über die Höhe der Wohngeldeinsparungen. Aus Bundessicht ist bei der Berechnung der Wohngeldeinsparungen davon auszugehen, dass die Wohngeldausgaben der Länder ohne das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt jährlich angestiegen wären. Dagegen unterstellt die Mehrzahl der Länder, dass die Wohngeldausgaben des Jahres 2004 unverändert auch in den folgenden Jahren der Vergleichsmaßstab für die Wohngeldeinsparungen sind. Das ist nach unserer Auffassung nicht statthaft. Eine Analyse der Haushaltspläne der Länder nach Einführung des Arbeitslosengeldes II zum 1. Januar 2005 zeigte, dass die Einsparungen bei den Wohngeldausgaben selbst nach der eben geschilderten Berechnungsmethode der Länder zuerst nicht vollständig an die Kommunen weitergeleitet wurden. Allerdings gibt es in vielen Ländern Nachzahlungsklauseln, und es waren Spitzabrechnungen vorgesehen. Eine konkrete Überprüfung ist aufgrund der zeitlichen Verzögerungen und der nachträglichen Spitzabrechnungen jedoch allein aufgrund der vorliegenden Haushaltspläne nicht durchführbar. Eine regelmäßige Überprüfung der Weiterleitungsbeträge ist aus Sicht des Bundes aber zurzeit auch nicht erforderlich, da sich Bund und Länder im Dezember 2006 auf die Festlegung der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft für Bezieher von Arbeitslosengeld II anhand einer im Gesetz festgeschriebenen Formel geeinigt haben und diese Formel bis 2010 anzuwenden ist. Die vollständige Weiterleitung der Wohngeldeinsparungen ist als Teil der im Zuge der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe vom Bund zugesagten Entlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro von großer Bedeutung, da sie zur Stärkung der Investitionskraft und der Möglichkeiten der Kinderbetreuung der Kommunen beiträgt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Ihrer Einlassung entnehme ich, dass die Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse über die vollständige Weiterleitung der eingesparten Mittel hat. Sie haben gerade selber das Wort „Spitzabrechnung“ verwendet. Die Weiterleitung war aber Bestandteil der zugesagten Entlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro im Rahmen des SGB II; Sie haben selber darauf verwiesen. Heißt das, die Bundesregierung nimmt Abstand von der Aussage, die Kommunen würden um mehr als 2,5 Milliarden Euro jährlich entlastet?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Nein, Frau Kollegin, allein schon deswegen nicht, weil wir uns mit wesentlich mehr als 2,5 Milliarden Euro an den Kosten der Unterkunft beteiligen. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die Kontrolle - was geben die Länder an ihre Kommunen weiter? Was müssten sie nach ihrer Berechnungsmethode eigentlich weitergeben? Was müssten sie nach der Methode weitergeben, die wir im Vermittlungsausschuss vereinbart haben? - Sache der jeweiligen Landtage bzw. der kommunalen Spitzenverbände ist, die das gegebenenfalls auch politisch vertreten müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. Bitte.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, auch Ihnen, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung des ersten Teils der Frage. - Ihrer Antwort entnehme ich, dass Sie entgegen der Vereinbarung im Vermittlungsausschuss - bezüglich des gesamten Komplexes SGB II hat es ja in der Tat eine Vereinbarung sozusagen zwischen Bund und Ländern gegeben - keine Maßnahmen ergreifen wollen, um vonseiten der Bundesregierung zu überprüfen, dass der im Vermittlungsausschuss gefundene Konsens, nämlich die Weiterleitung, tatsächlich durch Bund, Länder und Kommunen so umgesetzt wird.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Kollegin, ich kann Ihnen versichern, dass wir weiter im Auge behalten werden, wie die Entwicklung verläuft. Wir brauchen natürlich auch die Rechnungsergebnisse. Die Jahresrechnungen müssen gedruckt vorliegen, damit wir nachvollziehen können, was beispielsweise die Spitzabrechnung gebracht hat. Im Übrigen ist festzustellen, dass wir im Gesetz eine Formel festgeschrieben haben, die wir mit den Ländern vereinbart haben und die bis 2010 gilt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Finanzen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller. Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann auf: Wie erklärt der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, den Widerspruch zwischen seinen Aussagen, dass die deutsche Stahlindustrie der Forderung der Fraktion Die Linke, die Emissionszertifikate der deutschen Stahlindustrie zu auktionieren, nur in der Weise entsprechen kann, die Stahlproduktion in andere Länder zu verlagern, und dass weitere CO2-Reduktionen in dieser Branche nur „gegen die Physik“ möglich seien ({0}), sowie den Angaben der Stahlindustrie, die für den Zeitraum von 2012 bis 2020 eine weitere Senkung der spezifischen CO2-Emissionen der Rohstahlerzeugung mit Fremdstrom um 5 Prozent für gegeben hält ({1})? Bitte, Herr Staatssekretär.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Sehr geehrte Kollegin Enkelmann, den Widerspruch, den Sie in Ihrer Frage ansprechen, gibt es nicht. Sie müssen nämlich den Gesamtzusammenhang sehen. Herr Professor Ameling hat in seiner Rede, in der in Bezug auf Minderungsziele nur sehr wenig Ehrgeiz erkennbar war - es wundert mich deshalb, dass Sie ihn als Kronzeugen heranziehen -, für die gesamte Branche bis zum Jahre 2020 eine Minderung von 5 Prozent in Aussicht gestellt. Der Bundesumweltminister hat ausschließlich von der Gichtgasemission gesprochen. Wenn Sie die Rede lesen, können Sie das nachvollziehen. Bei Fachleuten ist unbestritten, dass es bezüglich Gichtgas nur wenig Spielraum für eine Minderung gibt. Ganz anders sieht es natürlich aus, wenn man - wie Herr Professor Ameling - die gesamte Branche nimmt. Da geht es beispielsweise um Verbesserungen bei der Elektrostahlerzeugung und um Effizienzverbesserungen bei Antriebssystemen. Man muss diese beiden Ebenen auseinanderhalten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, mir tut es außerordentlich leid, dass Sie jetzt für Ihren Minister die Kastanien aus dem Feuer holen müssen. Der Minister hat hier in der Aktuellen Stunde behauptet, dass die Senkung von Emissionen in der Stahlindustrie nur durch Verlagerung der Produktion ins Ausland, das heißt durch Abbau von Stellen in diesem Land, möglich ist. Er hat in diesem Zusammenhang die Linke als Klimakiller und Jobkiller bezeichnet. Andere Bereiche der Stahlindustrie sind Selbstverpflichtungen eingegangen. Diese kennen Sie sicher auch; ich brauche mich also nicht nur auf den einen Kronzeugen zu berufen. Die Frage ist: Ist der Minister bereit, sich für die falschen Behauptungen im Bundestag zu entschuldigen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Abgesehen davon, dass mir die Linke in der Vergangenheit wahrlich nicht als besonders klima- und umweltfreundlich aufgefallen ist, möchte ich darauf hinweisen, dass der Bundesumweltminister folgenden Satz gesagt hat: … dass diese Unternehmen nur durch eine einzige Maßnahme ihre Gichtgasemissionen senken können: - ich wiederhole: Gichtgasemissionen senken können durch den Abbau der europäischen Stahlproduktion, durch die Verlagerung in andere Länder. Das ist der Satz, um den es geht. Er sagt etwas anderes aus als der, den Sie zitiert haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, mir geht es um die falsche Behauptung insbesondere gegenüber der Linken und um den Versuch, Wahlkampf zulasten der Linken zu machen. Jetzt kann man sagen, dass dies gründlich danebengegangen ist. ({0}) Der Minister hat angekündigt, vor Betriebsräten von Stahlunternehmen diese falsche Behauptung zu wiederholen. Meine Frage ist: Ist der Minister bereit, diese Behauptung richtigzustellen?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Verehrte Kollegin Enkelmann, ich habe den Eindruck, Sie machen Wahlkampf; denn Sie nehmen den Zusammenhang einfach nicht zur Kenntnis. In dem Absatz, von dem ich gerade geredet habe, spricht der Minister von der Gichtgasemission. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht begreifen, um was es geht. Es geht um die europäische Stahlindustrie. In dem Absatz heißt es weiter, dass kein Facharbeiter in der Stahlindustrie Grün wählen würde. Bei der Gichtgasemission - das ist die Meinung aller Fachleute - gibt es kaum noch Senkungsmöglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass es in der Stahlproduktion nicht noch Reduktionsmöglichkeiten gibt. Bitte halten Sie diese beiden Ebenen auseinander! Dann können wir gut darüber diskutieren. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Schneider hat das Wort zu einer Nachfrage. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, bei allem Verständnis für Ihre Ausführungen: Ich habe das Protokoll vor mir liegen. Wir haben doch offensichtlich dasselbe Protokoll. Dort finden sich zunächst einmal eine Einleitung und dann ein Angriff auf die Linke; darüber diskutieren wir hier. Dann lese ich, nachgeschoben, den Teil, auf den Sie sich die ganze Zeit beziehen. Würden Sie mir zustimmen, dass es zunächst einmal insgesamt um das Papier der Europäischen Kommission ging? Die Anmerkungen zu den Gichtgasemissionen sind natürlich nachgeschoben. Jetzt frage ich mich: Hat der Bundesminister sie deshalb nachgeschoben, weil er sich an dieser Stelle nicht angreifbar machen wollte, oder ist das hier eine einigermaßen unredliche Veranstaltung?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Für diejenigen, die den Text nicht kennen: Das ist alles in einem Satz formuliert; das kann man nicht als „nachgeschoben“ bezeichnen. Die Ausführungen werden nur durch ein Komma getrennt. Ein bisschen merkwürdig ist Ihre Argumentation schon. Wenn Sie es nachlesen, stellen Sie fest, dass dies ein Satz im Protokoll ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 5 des Kollegen Hans-Josef Fell wird schriftlich beantwortet. Ich danke dem Herrn Staatssekretär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 6 der Kollegin Cornelia Hirsch wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Kortmann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Karl Addicks auf: Inwieweit ist die Bundesregierung in die inhaltliche Entwicklung und Umsetzung der Zimbabwe Economic Development Strategy, ZEDS, involviert, und sind an die ZEDS politische Bedingungen an das Mugabe-Regime geknüpft? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Karin Kortmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003161

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen: Die Bundesregierung ist weder in die inhaltliche Entwicklung noch in die Umsetzung der Zimbabwe Economic Development Strategy involviert. Diese Strategie stellt einen Fünfjahresplan der simbabwischen Regierung dar, der Wege aus der derzeitigen wirtschaftlichen Misere aufzeigen soll. Es handelt sich damit um ein rein nationales Programm, das federführend vom simbabwischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung erarbeitet wird. Daher sind daran auch keine politischen Bedingungen geknüpft. Ursprünglich sollte das Papier bereits im Jahr 2007 verabschiedet werden und für den Zeitraum 2008 bis 2012 gelten. Der Plan ist aber bisher nicht von der simbabwischen Regierung verabschiedet worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, gehe ich dann recht in der Annahme, dass Deutschland die ZEDS weder auf direktem noch auf indirektem Wege finanziell unterstützt?

Karin Kortmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003161

Davon gehen Sie zu Recht aus. Wir haben seit dem Jahr 2000 keine Regierungsverhandlungen mehr mit Simbabwe geführt. Alle finanziellen Mittel und alle Unterstützungsmöglichkeiten, die wir für die geschundene Bevölkerung in Simbabwe aufwenden bzw. vorsehen, leisten wir über die politischen Stiftungen, über die Kirchen und über Nichtregierungsorganisationen. Das geht nicht über eine Zusammenarbeit mit dem dortigen Staat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke. - Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, sicherzustellen, dass die ZEDS nicht der Stärkung des Mugabe-Regimes dient, auch wenn wir keine finanziellen Beiträge dazu leisten, und, wenn ja, ergreift sie sie?

Karin Kortmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003161

Ich will es einmal so formulieren: Staatspräsident Mugabe und seine Regierung haben in den letzten Jahren immer wieder Programme angekündigt und beschlossen. Dazu gehört die Kampagne „Mother of All Agricultural Seasons“. Dazu gehört das „Farm Mechanisation Programme“. Dazu gehört das „Indigenisierungsgesetz“, aber auch das Gesetzesvorhaben zur Neuordnung der Eigentumsverhältnisse im Bergbausektor. Alle haben sich letztendlich als Luftblase erwiesen. Inwieweit die jetzt von Ihnen erfragte Strategie tatsächlich in irgendeiner Form beschlossen wird, geschweige denn Umsetzungscharakter erhält, da sehe ich noch viele Fragezeichen. Wir werden erst einmal abwarten, wie das weitere Verfahren in der Regierung in Simbabwe sein wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 8 des Kollegen Dr. Karl Addicks: Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem von den SADC-Staaten - SADC: Southern African Development Community - auf ihrem Gipfeltreffen in Lusaka im August 2007 angekündigten, an keine politischen Bedingungen geknüpften Economy Recovery Plan für Simbabwe?

Karin Kortmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003161

Der in der Frage erwähnte angekündigte Plan - so kann ich Ihre Frage im Namen der Bundesregierung beantworten - ist der Bundesregierung bislang nicht überreicht worden. Deswegen können wir ihn nicht kommentieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ist der Bundesregierung bekannt, dass die SADCStaaten mit dem Economy Recovery Plan Simbabwe unterstützen?

Karin Kortmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003161

Uns ist bekannt, dass es dazu Gespräche gibt, dass Vereinbarungen getroffen werden sollen. Das bezieht sich insbesondere auf die marode wirtschaftliche Situation in Simbabwe, die in diesem Plan, soweit ich weiß, ohne Beschönigungen dargestellt wird. Die finanziellen Erwartungen an die SADC sind hoch. Inwieweit es zu einer Umsetzung dieses Planes kommt, kann ich aber nicht sagen, weil uns dieser Plan, wie gesagt, nicht vorliegt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Würde die Bundesregierung in dem Fall, dass ihr dieser Plan bekannt würde, Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass auf Umwegen aus der ungebundenen Finanzhilfe, die die Bundesrepublik Deutschland an einige der SADC-Staaten leistet, zum Beispiel an Mosambik und Südafrika, Finanzmittel von den SADC-Staaten zur Unterstützung an das Regime in Simbabwe fließen? Es ist ja bekannt, dass Geld im Gegensatz zu Immobilien ein sehr mobiles Gut ist. Geldscheine haben keine Farbe. Ich vermute, dass auf diesem Weg unser - ich möchte fast sagen - Boykott des Regimes in Simbabwe unterlaufen werden könnte.

Karin Kortmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003161

Herr Addicks, Sie können sicher sein, dass wir keine ungebundenen Finanzströme fließen lassen. Wenn wir SADC unterstützen, dann muss klar sein, für welchen Bereich und für welche Vorhaben die Mittel genutzt werden. Sie kennen unsere Kritik am Mugabe-Regime. Der Plan, soweit ich ihn kenne, stellt zwar die marode wirtschaftliche Situation in den Mittelpunkt, zieht daraus aber keinerlei politische Schlussfolgerungen, sagt nicht, dass es auch aufgrund des politischen Regimes zu dieser maroden wirtschaftlichen Situation gekommen ist. Sie können sicher sein, dass wir keine Mittel über Drittwege, die wir nicht kontrollieren können, nach Simbabwe leiten. ({0}) - Bitte sehr.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. - Danke, Frau Staatssekretärin. Die Frage 9 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Uwe Barth auf: Welche neuen Bundesbehörden hat die Bundesregierung an welchen Standorten seit Beginn der 16. Wahlperiode angesiedelt, und aus welchen Vorgängerbehörden sind diese gegebenenfalls entstanden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Barth, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern hat am 2. April 2007 die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ihre Tätigkeit in Berlin aufgenommen. Bis Juni 2007 wurde eine Referenzplattform mit Standorten in Berlin, Hamburg, Lüneburg, Köln, Stuttgart und München errichtet. Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz ist entsprechend dem vom Deutschen Bundestag am 20. Oktober 2006 verabschiedeten Gesetz zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamts für Justiz am 1. Januar 2007 das Bundesamt für Justiz in Bonn gegründet worden. Es hat als Kernbestandteile sämtliche Aufgaben der Dienststelle Bundeszentralregister des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof übernommen, die seit dem Regierungsumzug 1999 ihren Sitz in Bonn hatte. Weiterhin sind ihm Aufgaben der Dienststelle Bonn des Bundesministeriums der Justiz, die nichtministerieller Natur waren, übertragen worden. Das Bundesamt für Justiz nimmt also ganz überwiegend Aufgaben wahr, die bisher bereits am Standort Bonn angesiedelt waren. Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Finanzen wurden zum 1. Januar 2006 aufgrund der Feinplanung des Projekts zur Strukturentwicklung der Bundesfinanzverwaltung aus den ehemaligen Bundesoberbehörden Bundesamt für Finanzen und Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen sowie aus dem der Zollverwaltung zugehörigen Zentrum für Informations- und Datentechnik in funktionaler Nachfolge die Bundesoberbehörden Bundeszentralamt für Steuern mit Sitz in Bonn und Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen mit Sitz in Berlin sowie das Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik mit Sitz in Bonn eingerichtet. Die Ergebnisse des Projekts „Strukturentwicklung Zoll“ sehen eine Straffung und fachliche Neuausrichtung der Mittelbehörden der Bundesfinanzverwaltung vor. Mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze zum 1. Januar 2008 wurden die Oberfinanzdirektionen Cottbus, Hamburg, Köln und Nürnberg mit ihren Zollund Verbrauchsteuerabteilungen und der Abteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ sowie die Zoll- und Verbrauchsteuerabteilungen bei den Oberfinanzdirektionen Chemnitz, Hannover, Karlsruhe und Koblenz aufgelöst. Zugleich wurden fünf Bundesfinanzdirektionen als neue Mittelbehörden der Bundesfinanzverwaltung in Hamburg, Potsdam, Köln, Neustadt an der Weinstraße und Nürnberg errichtet. Durch Organisationserlass der Bundeskanzlerin vom 22. November 2005 wurde mit Beginn der 16. Legislaturperiode das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit erstem Dienstsitz in Berlin und zweitem Dienstsitz in Bonn errichtet. Ihm wurden die Aufgaben des ehemaligen Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit sowie des ehemaligen Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung übertragen. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung der Ressortforschung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 1. Januar 2008 wurden die bisher vorhandenen sieben Bundesforschungsanstalten zu vier neuen Bundesforschungsinstituten zusammengelegt. Dies ist erstens das Julius-Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, mit Hauptsitz in Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Es wurde aus der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft und der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen sowie Teilen der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft gebildet. Zweitens ist dies das FriedrichLoeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, mit Hauptsitz auf der Insel Riems in Mecklenburg-Vorpommern. Es wurde um Teile der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft erweitert. Drittens ist dies das Max-Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, mit Hauptsitz in Karlsruhe. Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel wurde in Max-Rubner-Institut umbenannt. Viertens ist dies das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, mit Hauptsitz in Braunschweig in Niedersachsen. Dieses Institut wurde aus der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft, der Bundesforschungsanstalt für Fischerei sowie Teilen der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft und der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel gebildet. Schließlich wurde beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 18. August 2006 mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gemäß § 25 Abs. 1 dieses Gesetzes die Antidiskriminierungsstelle des Bundes neu errichtet. ({0}) Sie hat ihren Standort in Berlin. Ich hoffe, dass ich Ihre Fragen damit erschöpfend beantwortet habe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben natürlich die Möglichkeit, trotzdem nachzufragen. - Bitte, Ihre erste Nachfrage.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär, Ihre Antwort war umfangreich, aber nicht ermüdend. ({0}) Trotzdem habe ich eine Frage. Im Koalitionsvertrag wurde bei der Reform der Bundesbauverwaltung vereinUwe Barth bart, dass das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung und die Bundesbaugesellschaft Berlin in einer neuen rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechtes aufgehen. Diese Anstalt hat in Ihrer Aufzählung gefehlt. Daher möchte ich Sie fragen - daran kann man sehen, dass man auch in der erschöpfendsten Antwort nicht alles erfassen kann -: Würden Sie mir folgen, wenn ich in Anbetracht der Liste, die Sie vorgetragen haben, und der Vorgängerinstitutionen argumentiere, dass auch diese Anstalt eine neue Behörde ist?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Wenn Sie aus zwei Vorgängerinstitutionen neu errichtet worden ist, müsste sie eigentlich in dieser Liste auftauchen. Wir werden das überprüfen und Ihnen schriftlich mitteilen.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dies ist ja noch nicht erfolgt; es ist nur eine Frage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ist das jetzt Ihre zweite Nachfrage?

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Gut, dann stellen Sie bitte jetzt die Frage.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine zweite Nachfrage lautet: Sie, Herr Staatssekretär, haben - gefühlte - 15 Standorte vorgetragen, an denen verschiedene Behörden jetzt ihren Sitz genommen haben. Wenn ich das richtig überblicke, sind davon zwei Behörden aus dem Bereich des BMBF in den neuen Ländern angesiedelt; Sie erwähnten die Standorte Quedlinburg und die Insel Riems in Mecklenburg-Vorpommern. In dem Abschnitt des Koalitionsvertrages, in dem es um den Aufbau Ost geht, findet sich unter Punkt 10 die Formulierung: Neue Bundeseinrichtungen sollen in den neuen Ländern angesiedelt werden. Würden Sie mir zustimmen, wenn ich angesichts der prozentualen Verteilung der Ansiedlungen zwischen alten und neuen Ländern zu der Auffassung gelange, dass diese Vereinbarung des Koalitionsvertrages höchstens unzureichend erfüllt ist?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Nein, da würde ich Ihnen auf gar keinen Fall zustimmen. Wenn Sie meiner Aufzählung genau zugehört haben, werden Sie festgestellt haben, dass die übergroße Zahl der neu eingerichteten Behörden in einer Zusammenfassung bereits bestehender Behörden bestanden hat. Oftmals wurde auch die Zahl der Standorte zusammengefasst und so verringert. Vor diesem Hintergrund ist es, wie ich glaube, logisch, dass Behörden, die bisher für die Erfüllung bestimmter regionaler Aufgaben zuständig waren, in den Bundesländern neu angesiedelt werden, in denen sie bisher zuständig waren und auch künftig zuständig sein werden. Die von Ihnen erwähnte Passage des Koalitionsvertrages bezieht sich auf Bundesbehörden, die wirklich neu angesiedelt werden, also auf Fälle, in denen es einen Ermessensspielraum gibt, in welchem Bundesland sie angesiedelt werden. Bei meiner Antwort auf Ihre nächste Frage werde ich im Übrigen ein Beispiel nennen, das sich auf die neuen Bundesländer bezieht, nämlich das künftige Bundespolizeipräsidium. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dazu kommen wir noch. Erst einmal hat der Kollege Volker Beck das Wort zu einer Nachfrage. - Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte von der Bundesregierung wissen, ob sie plant, einige der „Inschtitute“ in Institute umzubenennen, und ob sich die Standortfrage in diesem Zusammenhang gegebenenfalls neu stellt. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär, bitte.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ja, Fasching ist vorbei. Herr Kollege Geis, vielen Dank für diese Erinnerung. Die Bundesregierung prüft immer, ob die Standorte optimal sind. Je nachdem, in welchem Bundesland ein Institut angesiedelt ist, kann es sich bisweilen auch um ein „Inschtitut“ handeln. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke für die Beantwortung von Frage 10. Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Uwe Barth auf: Welche neuen Bundeseinrichtungen wird die Bundesregierung bis zum Ende der 16. Wahlperiode errichten, und wo sollen diese ihren Sitz nehmen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Barth, diese Frage beantworte ich wie folgt: Im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird durch das Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zum 1. Januar 2009 der Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung errichtet, dessen Sitz durch die Satzung zu bestimmen ist. Die drei bisherigen Spitzenverbände - der Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, der Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen und der Bundesverband der landwirtschaftlichen Krankenkassen mit Sitz in Kassel - werden durch diese Regelung zu einem einheitlichen Spitzenverband zusammengeschlossen. Was den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz betrifft, ist vorgesehen, im Jahre 2008 das Deutsche Biomasseforschungszentrum am Standort Leipzig, Sachsen, zu errichten. Wie Sie sehen, nehmen wir den Koalitionsvertrag sehr ernst, Herr Kollege. Darüber hinaus wurde der Deutsche Verband für Landschaftspflege e. V. mit Sitz in Ansbach, Bayern, ab dem Jahr 2008 in die institutionelle Förderung des Bundes aufgenommen. Im Hinblick auf den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern ist anzumerken: Im Zuge der Neuorganisation der Bundespolizei werden keine neuen Behörden oder Einrichtungen gegründet, sondern bereits bestehende zum Teil unter neuen Behördenbezeichnungen zusammengefasst. Das künftige Bundespolizeipräsidium mit neuem Sitz in Potsdam vereinigt die bisherigen fünf Bundespolizeipräsidien und die bisherige Bundespolizeidirektion. Die bisherigen Bundespolizeipräsidien waren in den alten Bundesländern angesiedelt, das neue und einheitliche Bundespolizeipräsidium ist in den neuen Bundesländern, in Brandenburg, angesiedelt. Zugleich werden die heutigen 19 Bundespolizeiämter in 10 Bundespolizeidirektionen aufgehen. Von den 128 Bundespolizeiinspektionen werden 77 Bundespolizeiinspektionen erhalten bleiben. Mit Ausnahme von Potsdam werden sämtliche Behörden, Dienststellen und Einrichtungen ihren künftigen Sitz an bisherigen Standorten der Bundespolizei haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich habe vorhin die Umstrukturierung bzw. Reform der Bundesbauverwaltung angesprochen. Auf meine Frage, warum diese neu eingerichtete Anstalt des öffentlichen Rechts ihren Sitz nicht in Weimar nimmt, wofür es eine Reihe guter inhaltlicher Gründe gibt - Sie sind nicht zuständig, Sie müssen darauf nicht eingehen -, hat das Bundesbauministerium geantwortet, dass es sich hier nicht um eine Neugründung, sondern nur um eine Umstrukturierung handele, weshalb diese neue Behörde ihren Sitz - anders, als es im Koalitionsvertrag steht - nicht in den neuen Ländern nehmen müsse. Angesichts der erschöpfenden Liste, die Sie hier vorgetragen haben und die sich auf meine Frage nach neuen Behörden bezog, bitte ich Sie: Könnten Sie mir die Abgrenzung, die die Bundesregierung zwischen Neugründung und Umstrukturierung vornimmt, darlegen, damit ich die Gründe für die entsprechenden Entscheidungen nachvollziehen kann?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich biete Ihnen gerne an, dass wir Ihnen diese schriftlich zukommen lassen. Eine neue Behörde ist beispielsweise die Bundesanstalt für den Digitalfunk. Für diese Aufgabe gab es keine Vorläuferbehörde, sodass hierfür eine neue Bundesoberbehörde geschaffen worden ist. Ein anderes Beispiel ist die Reform der Bundespolizei. Hier gibt es bestehende Behörden. Beispielsweise werden die „Bundespolizeiämter“ in „Bundespolizeidirektionen“ umbenannt. Auch die Zahl der Standorte wird modifiziert. Dies ist der typische Fall einer Umstrukturierung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Abgrenzung ist mir daran nicht klar geworden, Herr Staatssekretär. Ich hatte nach neu gegründeten Behörden gefragt, um zu erfahren, was Sie unter neuen Behörden verstehen. Es geht bei der Festlegung des Koalitionsvertrages ja weniger um die Frage, ob eine Behörde neu gegründet oder ob sie umstrukturiert wird. Vielmehr geht es um strukturpolitische Entscheidungen. Deshalb möchte ich noch einmal nachfragen, wie Sie diese Abgrenzung in Zukunft vornehmen wollen, um dem strukturpolitischen Ansatz des Koalitionsvertrages gerecht zu werden.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Abgrenzung wird in jedem Einzelfall geprüft und vorgenommen, Herr Kollege. Wir sind gerne bereit, sie Ihnen mitzuteilen und zu erläutern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 12 des Kollegen Dr. Keskin: Welche aktuellen Erkenntnisse über die Ursachen des Großbrandes in Ludwigshafen liegen der Bundesregierung vor, und kann hierbei insbesondere eine politisch motivierte Brandstiftung ausgeschlossen werden? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Keskin, ich muss Ihnen mitteilen, dass die Ermittlung der Ursache des Wohnhausbrandes in Ludwigshafen dem Land Rheinland-Pfalz obliegt. Zu Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit eines Landes fallen, äußert sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht. Trotzdem kann ich Sie darauf verweisen, dass die Staatsanwaltschaft Frankenthal und das Bundespolizeipräsidium Rheinpfalz am 12. Februar öffentlich erklärt haben, dass die Soko „Danziger Platz“ weiter mit Hochdruck an der Aufklärung der Brandursache des verheerenden Feuers vom 3. Februar arbeitet. Mitgeteilt werden könne zurzeit lediglich, dass sich das Feuer nach derzeitigen Einschätzungen der Sachverständigen aus dem Kellerbereich heraus entwickelt habe. Die eingesetzten Brandsachverständigen seien damit befasst, die erforderlichen Untersuchungen zur Klärung der Brandursache unvermindert und uneingeschränkt weiterzuführen. Diese Überprüfungen hinsichtlich aller in Betracht kommenden Ursachen dürften mindestens noch diese Woche in Anspruch nehmen. - Weitere Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär Altmaier, in manchen türkischsprachigen Nachrichten wird berichtet, dass es Ansatzpunkte gebe, dass es sich bei diesem Feuer möglicherweise um politisch motivierte Brandstiftung handelt. Was meinen Sie dazu?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Keskin, ich bitte um Verständnis, dass ich noch einmal darauf hinweise, dass die Bundesregierung zu Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit eines Landes fallen, nicht Stellung nimmt. Ich glaube auch, dass es politisch klug ist, die Ermittlungen, die von den zuständigen Landesbehörden mit Unterstützung des Bundeskriminalamtes vorgenommen werden, abzuwarten und nicht zu einem Zeitpunkt, wo wir noch keine hinreichenden Erkenntnisse haben, eine solche Bewertung zu treffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Nein. Dann rufe ich die Frage 13 des Kollegen Keskin auf: In welcher Weise werden die Experten aus der Türkei in die laufenden Arbeiten zur Brandursachenermittlung einbezogen, und welche eigenen Ermittlungsbefugnisse werden ihnen gewährt?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

So leid es mir tut: Auch bei dieser Frage muss ich darauf verweisen, dass dies in die Zuständigkeit des Landes Rheinland-Pfalz fällt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine Nachfrage dazu?

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist sehr schwierig, zu fragen, wenn Sie permanent an eine andere Adresse, nämlich an die Landesregierung Rheinland-Pfalz, verweisen. ({0}) - Es geht nicht um eine Spekulation. Herr Staatssekretär, die Einbeziehung türkischer Experten wurde in der Öffentlichkeit polemisiert; es wurde gesagt, dass das nicht angebracht sei. Nun wissen wir aber, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden unterschiedlicher Länder gibt. Was ist die Position der Bundesregierung zu dieser Einbeziehung von türkischen Experten?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Kollege Keskin, das können Sie vielleicht daraus ersehen: Der Bundesinnenminister hat sich zum Zeitpunkt dieses tragischen Brandes zu politischen Gesprächen in der Türkei aufgehalten. Der Wunsch der türkischen Regierung, Experten nach Ludwigshafen zu entsenden, ist an den Bundesinnenminister herangetragen worden. Er hat diesen Wunsch unmittelbar an die zuständige Landesregierung von Rheinland-Pfalz weitergegeben. Die entscheidenden Weichenstellungen dafür, dass dies möglich war, sind dann zwischen der rheinland-pfälzischen Landesregierung und der türkischen Polizei vorgenommen worden. Alle weiteren Details unterliegen der Verantwortung der örtlichen Behörden in Rheinland-Pfalz. Ich wiederhole mich jetzt, aber es ist nun einmal so: Ich bitte um Verständnis, dass ich dazu nichts sagen kann. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Barth das Wort.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich habe eine ganz kurze Frage dazu. Ich glaube, der Fall „Marco“ ist uns allen noch gut in Erinnerung. Hat die Bundesregierung damals das Ansinnen an die Türkei herangetragen, deutsche Experten in diesem Fall in der Türkei tätig werden zu lassen? Ist Ihnen bekannt, ob schon einmal ein Land mit einem derartigen Ansinnen an die Türkei herangetreten ist? Wissen Sie, wie eine etwaige Anfrage beantwortet worden ist?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Davon ist mir nichts bekannt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 14 des Kollegen Heinz Schmitt: Vizepräsidentin Petra Pau Ist es richtig, dass der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern Peter Altmaier am 26. Januar 2008 bei einer sogenannten Einweihungsveranstaltung in der Dienststelle der Bundespolizei Lauterbourg mitgewirkt hat, bei der es laut Einladung um den „Startschuss für die bundesweit erste deutsch-französische operative Polizeidienststelle“ ging, und welche konkreten Planungen des Bundesministeriums des Innern gibt es hinsichtlich der Dienststelle der Bundespolizei in Lauterbourg?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Schmitt, die Recherchen in meinem Haus haben ergeben, dass der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier am 26. Januar 2008 in Lauterbourg in Frankreich in der Tat an einer gemeinsamen Veranstaltung von Herrn MdB Ralf Göbel und seinem französischen Kollegen Frederik Reiss teilgenommen hat. Hierbei hat er gegenüber den anwesenden Vertretern der Presse und der Öffentlichkeit erläutert, dass die Bundespolizei und die französische Grenzpolizei zukünftig gemeinsam in einem Gebäude am ehemaligen Grenzübergang Lauterbourg untergebracht werden sollen. Bisher hätten die deutschen und französischen Grenzbehörden unterschiedliche Gebäude an dem ehemaligen Grenzübergang genutzt, die beide sanierungsbedürftig seien. Die französische Seite beabsichtige, das von ihr genutzte Gebäude zu modernisieren, und habe der deutschen Seite eine Mitnutzung angeboten. Die gemeinsame Nutzung eines Gebäudes sei neben wirtschaftlichen Gesichtspunkten wie der Reduzierung der Kosten auch unter einsatzpraktischen Gesichtspunkten für die tägliche deutsch-französische grenzpolizeiliche Zusammenarbeit in diesem regionalen Abschnitt von einem hohen Mehrwert. Dabei sei von Anfang an klar gewesen, dass die Einrichtung keine Konkurrenz zur gemeinsamen Dienststelle in Kehl darstelle. Ich kann dies noch wie folgt ergänzen: Es handelt sich bei der Einrichtung dieser Stelle um eine Initiative der Beschäftigten der Bundespolizei in Bienwald. Durch diese Initiative, die das Bundesinnenministerium aufgegriffen und umgesetzt hat, wird zum einen der Standort Bienwald gesichert und aufgewertet; zum anderen kann man in der Tat davon ausgehen, dass für die operative Zusammenarbeit der deutschen und französischen Grenzpolizeien in diesem Raum ein hoher Mehrwert entsteht, weil die Beamtinnen und Beamten unter einem Dach untergebracht sein und gemeinsame Diensträume nutzen werden und weil dies dazu führt, dass sie sich in ihrer täglichen Arbeit absprechen können, wovon wir eine Verbesserung in der täglichen Arbeit erwarten. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich zunächst für die Auskunft. Allerdings wird in der öffentlichen Darstellung der Eindruck wiedergegeben, es werde eine große gemeinsame operative Dienststelle neu errichtet. Diese Erwartung wird dadurch unterstrichen, dass Sie als Staatssekretär bei diesem Startschuss persönlich präsent waren. Sie haben es eben sehr optimistisch beschrieben; man könnte die Gemeinsamkeiten aber auch darauf reduzieren, dass die Teeküche und die Toiletten gemeinsam benutzt werden, ({0}) während die Diensträume immer noch voneinander getrennt sind. An diesem Tag wurden keinerlei dienstliche und fachliche Absprachen oder Übereinkünfte erzielt. Hier ist der Eindruck „Much Ado about Nothing“, viel Lärm um nichts, entstanden. ({1}) Daher bitte ich Sie, dies noch etwas mehr zu konkretisieren. Sie haben in Ihrem letzten Satz beschrieben, dass dies kein Konkurrenzbetrieb zur Dienststelle in Kehl sein solle. Mir geht es also um die Bedeutung dieses Projekts in der Realität.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Schmitt, ich habe ausführlich die Äußerungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Altmaier so zitiert, wie sie gemacht worden sind; sie waren unmissverständlich. Für Missverständnisse, die in der Folge vor Ort entstanden sind, haftet der Staatssekretär nicht. Allerdings bin ich schon einigermaßen verwundert: Wir machen hier etwas, was es im übrigen Bundesgebiet in dieser Form noch nicht gibt, indem wir die praktische, alltägliche Zusammenarbeit unter einem Dach organisieren, ohne dafür eine neue Dienststelle zu schaffen. Die Beschäftigten haben dies ausdrücklich anerkannt und es ja auch gewollt. Mir liegt ein Brief des Vorsitzenden des Personalrats bei der Inspektion Kaiserslautern an den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten vor, in dem er sich über bestimmte abwertende Äußerungen, die in dieser Angelegenheit gemacht worden sind, verwundert zeigt. Wir gehen davon aus, dass dieses Projekt in Bienwald nicht nur für die betroffene Region von Bedeutung ist und dort die Sicherheit für die Menschen verbessern wird, und halten es durchaus für denkbar, dass dieses Projekt, wenn es Erfolg hat, zu einem Modellprojekt für andere Grenzregionen werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Frage. Sie verzichten darauf. Ich rufe nun die Frage 15 des Kollegen Heinz Schmitt auf: Vizepräsidentin Petra Pau Welche Aufgaben werden im Rahmen dieser deutsch-französischen operativen Zusammenarbeit von der Dienststelle Lauterbourg/Bienwald übernommen, die für den gesamten Grenzverlauf in der Süd- und Südwestpfalz zuständig ist, und wie viele neue Personalstellen sind hierfür vorgesehen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Schmitt, auf dem ehemaligen Grenzübergang Lauterbourg ist der Einsatzabschnitt Bienwald - das wird künftig ein Bundespolizeirevier sein - untergebracht. Dieser Einsatzabschnitt ist ein organisatorisch unselbstständiger Teil der Bundespolizeiinspektion Kaiserslautern. Die eingesetzten Beschäftigten nehmen wie grundsätzlich in allen Dienststellen der Bundespolizei ihre Aufgaben integrativ wahr. Dies bedeutet, dass dort alle grenzpolizeilichen und bahnpolizeilichen Aufgaben der Bundespolizei erledigt werden. Zusätzlich werden im Einsatzabschnitt Bienwald zurückzuführende Personen an die französischen bzw. deutschen Behörden überstellt. Die Personalstärken werden für die derzeitigen Einsatzabschnitte bzw. künftigen Bundespolizeireviere als Teilbereiche der Bundespolizeiinspektionen im Organisations- und Dienstpostenplan nicht gesondert ausgewiesen, um einen flexiblen Kräfteeinsatz zu gewährleisten. Dies gilt auch für die Dienststelle Lauterbourg/Bienwald, die in dieser Hinsicht keine Ausnahme bildet. Vom Bundespolizeirevier Lauterbourg/Bienwald aus werden nach Entscheidung der Inspektionsleitung so viele Kräfte ihren Dienst verrichten, wie die polizeiliche Lage dies erfordert. Angesichts der bestehenden internen Planungen kann ich Ihnen allerdings mitteilen, dass es erheblich mehr Kräfte sein werden als in der Vergangenheit. Das heißt, der Standort wird durch die neuen Maßnahmen, die ergriffen worden sind, deutlich aufgewertet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Könnten Sie sich vorstellen, nach einem Gespräch mit dem zuständigen Staatssekretär bei künftigen gewichtigen Anlässen und Besuchen in der Region auch den örtlichen SPD-Abgeordneten entsprechend zu informieren und einzuladen? ({0}) Es liegt sicherlich im Interesse aller, die vor Ort Verantwortung tragen, eingeladen zu werden, wenn so gewichtige Veränderungen anstehen.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Schmitt, bei meinem Besuch in Lauterbourg habe nicht ich den Kollegen Göbel eingeladen, sondern er hat mich eingeladen. Wenn der zuständige SPD-Abgeordnete ebenfalls auf die Idee kommen sollte, mich einzuladen, dann würde ich diese Einladung selbstverständlich ernsthaft prüfen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie verzichten auf die zweite Nachfrage. Dann hat der Kollege Hans-Kurt Hill das Wort zu einer Nachfrage.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär Altmaier, da wir nicht nur dieselbe Mundart sprechen, sondern auch aus demselben Land kommen, das unmittelbar an die französische und die luxemburgische Grenze anschließt, frage ich Sie: Könnten Sie sich Bestrebungen vorstellen, im Saarland ähnliche grenzüberschreitende Maßnahmen durchzuführen, um insbesondere dann, wenn es um prekäre Einsätze geht, zu Verbesserungen zu kommen? Das wäre vielleicht ein schönes „Inschtitut“.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Hill, aufgrund Ihrer engen landsmannschaftlichen Verbundenheit mit dem Saarland wissen Sie wahrscheinlich, dass der Bundespolizeistandort Saarland durch die anstehende Neuordnung der Bundespolizei erheblich gestärkt wird. Das bedeutet, dass dort künftig nicht nur eine einheitliche Inspektion errichtet wird, sondern dass dort auch so genannte MÜKs stationiert werden, wodurch die Zusammenarbeit mit den französischen Behörden im Grenzraum erheblich verbessert werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn auf: Hält die Bundesregierung die Vorschläge des EU-Kommissars für Justiz, Freiheit und Sicherheit, Franco Frattini, Fluggastdaten wie Reisetermin und Reiseroute, E-MailAdressen, Telefonnummern oder Kreditkarteninformationen für Flüge in die und aus der EU 13 Jahre auf Vorrat zu speichern, für verhältnismäßig und für vereinbar mit dem Recht der informationellen Selbstbestimmung in Deutschland und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, EGMR? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte die Frage für die Bundesregierung wie folgt: Die Nutzung von PNR kann ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und anderer schwerer Straftaten wie der organisierten Kriminalität darstellen. Die Bundesregierung begrüßt, dass die Kommission der Bitte des Rates aus dem Jahre 2004 nachgekommen ist und einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken vorgelegt hat. Eine EU-weite Regelung ermöglicht, dass die einzelnen mitgliedstaatlichen Behörden sich einander diese Daten im Bedarfsfalle zur Verfügung stellen. Die nähere Ausgestaltung des Rahmenbeschlusses bedarf aber noch sorgfältiger - auch verfassungsrechtlicher - Prüfung und fachlicher Erörterung. Am Ende der Verhandlungen muss ein Rahmenbeschluss stehen, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht und die datenschutzrechtlichen Standards der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten erfüllt, aber auch die Interessen betroffener Luftfahrtunternehmen angemessen wahrt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auf dem Europäischen Polizeikongress gab es zwei bemerkenswerte Reden zu den Vorschlägen von Herrn Frattini: eine von Bundesinnenminister Schäuble, der die Vorhaben begrüßt, und eine von der Bundesministerin für Justiz, Frau Zypries, die diese Vorschläge massiv kritisiert. Wer der beiden hat die Auffassung der Bundesregierung auf diesem Polizeikongress vertreten? ({0})

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Da ich selbst an dem Polizeikongress nicht teilgenommen habe, ({0}) kann ich die gehaltenen Reden nicht beurteilen. Ich kann Ihnen allerdings versichern: Die Bundesregierung begrüßt, dass die Kommission der Bitte des Rates aus dem Jahre 2004 nachgekommen ist und einen Vorschlag vorgelegt hat. Dies hat die Bundesregierung auch bei der informellen Tagung des Rates der Innen- und Justizminister in Brdo in Slowenien vor wenigen Wochen zum Ausdruck gebracht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Beide Reden sind in Ihrer ganzen Widersprüchlichkeit im Internet nachzulesen. Wie bewertet die Bundesregierung folgenden Satz der Bundesjustizministerin Zypries zu den Vorschlägen von Herrn Frattini: Ich habe ernste Zweifel, ob dieser Vorschlag der Kommission geltendes Recht werden kann … Sie vertritt also eine andere Auffassung als Sie. Uns interessiert, ob das Bundesjustizministerium oder das Bundesinnenministerium die deutsche Haltung zu diesem Fluggastdatenvorhaben vertritt.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin, die Federführung bei diesem Vorhaben hat das Bundesinnenministerium; das ist in der Bundesregierung unbestritten. Es gibt in der Bundesregierung eine abgestimmte Position, die ich Ihnen in meiner Antwort auf Ihre Frage dargelegt habe.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zu Frage 17 der Kollegin Stokar von Neuforn: Welche Dateien werden mit welchen Datensätzen von der Bundespolizei angelegt, um die künftig per automatischen Zugriff erlangten Reisedaten von 29 Millionen Schiffspassagieren zu erfassen und auszuwerten? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Stokar, ich nehme an, dass Sie die Flugpassagiere meinen. ({0}) - Sie meinen tatsächlich die Schiffspassagiere? ({1}) - Okay, die Seeschiffsdaten. - Es gibt hierzu keine Planungen. Im Übrigen ist es generell so, dass die Frage, ob, in welcher Hinsicht und in welchem Umfang die Bundespolizei und/oder andere Sicherheitsbehörden künftig PNR-Daten nutzen werden, selbstverständlich erst nach Zustandekommen eines entsprechenden Ratsbeschlusses beurteilt und entschieden werden kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mich erstaunt als datenschutzpolitische Sprecherin meiner Fraktion Ihre Antwort; denn im Rahmen des Vorhabens zur Änderung der seerechtlichen Vorschriften wurde genau das, wonach ich gefragt habe, von der Bundesregierung bereits beschlossen, nämlich die Speicherung aller Seereisedaten. Da die Bundespolizei zukünftig Zugriff auf diese Daten erhalten soll, frage ich noch einmal: Welche Dateien wird die Bundespolizei in diesem Zusammenhang einrichten, und wie lange und zu welchem Zweck sollen die Daten von Seereisenden bei der Bundespolizei gespeichert werden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ihre Frage bezieht sich auf die Umsetzung des PNR-Rahmenbeschlusses. ({0}) Zu dessen Umsetzung ist innerhalb der Bundesregierung noch keine Vorbereitung erfolgt, weil wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht wissen, wie dieser Rahmenbeschluss letztendlich aussehen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Offensichtlich hat der Herr Staatssekretär - wir sind bei Frage 17 - nicht verstanden, dass meine Fragen betreffend die Schiffspassagiere überhaupt nichts mit PNR zu tun haben. Das ist ein völlig anderer Vorgang. Ich frage deswegen noch einmal: Welche Dateien wird die Bundespolizei im Zusammenhang mit Seepassagieren aufbauen? ({0})

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich muss in der Tat einräumen, dass dies auf einem Missverständnis beruht. Ich schlage Ihnen daher vor, Ihnen die Antwort auf diese Frage schriftlich nachzureichen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Jerzy Montag werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Wolfgang Wieland auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den vorliegenden Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Verwendung von Fluggastdatensätzen ({0}) zu Strafverfolgungszwecken im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ({1}), wonach ein „striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat“ besteht, und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ({2}), wonach eine solche Datensammlung eine Verletzung von Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK, darstellt?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich verweise zunächst auf meine Antwort auf die Frage der Kollegin Stokar, dass wir grundsätzlich diesen Vorschlag der Kommission begrüßen, weil er einer Aufforderung durch den Europäischen Rat der Innen- und Justizminister nachkommt, die bereits sehr alt ist, nämlich schon über drei Jahre. Im Übrigen habe ich in dieser Antwort auch deutlich gemacht, dass die einzelnen verfassungsrechtlichen Vorgaben und die Vorgaben internationaler Verträge wie der Europäischen Menschenrechtskonvention selbstverständlich sehr genau im Hinblick darauf überprüft werden, ob sie mit den vorgelegten Vorschlägen vereinbar sind. Im Übrigen ist es so, dass die Kommission einen Vorschlag vorgelegt hat, der, wenn ich ihn richtig beurteile, prima vista an keiner Stelle über das hinausgeht, was in dem PNR-Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten enthalten ist. Dieses Abkommen hat der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen mit sehr großer Mehrheit ratifiziert. ({0}) Deshalb gehe ich davon aus, dass dieses Abkommen mit den USA, das keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet ist, auch eine gewisse Ausstrahlung auf die Beurteilung des vorliegenden PNR-Abkommens haben wird. Dies wird zwischen den Ressorts sorgfältig geprüft, und wir werden Ihnen die Ergebnisse zu gegebener Zeit mitteilen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht bemerkenswert, dass in Bezug auf den Datenaustausch mit den USA mehrfach auf Fragen hier aus dem Parlament geantwortet wurde, die USA nötigten uns quasi dazu, weil es sonst keinen Flugverkehr mehr in die USA gäbe und wir dort nicht mehr landen dürften? Wieso kommt nun die EU-Kommission auf die Idee, dasselbe wie die USA vorzuschlagen - zugegeben, es ist ein Vorschlag -, und was wird die Bundesregierung tun, um im Dialog das Ganze schon bei der Entstehung und dann im Arbeitsprozess auf verfassungsgemäße Gleise zu lenken? Bisher haben Sie nur gesagt, dass Sie es begrüßt haben, dass die Kommission überhaupt etwas getan hat. Es ist ein sehr bescheidener Anspruch, sich zu freuen, dass die Kommission überhaupt eine Regung zeigt. Hier gibt es doch massive Bedenken, dass Europa die Maßnahmen, von denen wir behaupten, dass sie uns von den USA abgenötigt wurden, dem Rest der Welt auferlegt, sie sogar toppt, noch mehr Daten erhebt und diese noch länger speichert.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Wieland, ich halte es für selbstverständlich, dass die Parlamente aller 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur Verträge und Abkommen ratifizieren, von deren Konformität mit dem Verfassungsrecht sie überzeugt sind, ganz egal welcher Drittstaat mit welchen Argumenten für diese Verträge geworben hat. Es hat in den zuständigen Ministerien selbstverständlich auch vor der Ratifizierung des PNR-Abkommens mit den USA eine umfangreiche verfassungsrechtliche Prüfung gegeben, die so ausgegangen ist, wie ich es Ihnen eben dargelegt habe. Gleichwohl bedeutet dies für den vorliegenden Vorschlag, dass wir ihn im Hinblick auf europäische Datenschutzkultur und Datenschutztradition noch einmal sehr genau anschauen werden und dass wir für jede einzelne Bestimmung überprüfen werden, ob sie erforderlich und geeignet ist, und dass wir dabei die Rechtsprechung nicht nur des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes selbstverständlich vollumfänglich beachten werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie diese Rechtsprechung so berücksichtigen wollen - das strikte Verbot, Datensammlungen auf Vorrat anzulegen, ist ja vor allen Dingen auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurückzuführen -, kommen Sie dann zu dem Ergebnis, zu dem auch die Ausschüsse des Bundesrates - wiederum in einem Entwurf; wir sind ja allgemein in Entwurfsstadien gekommen sind? Ich zitiere aus diesem Entwurf: Vor diesem Hintergrund bestehen aus Sicht des Bundesrates erhebliche Bedenken gegen die in den Art. 5 und 9 des Rahmenbeschlusses vorgesehene anlass- und verdachtsunabhängige Erhebung und Speicherung von PNR-Daten sämtlicher die EU-Grenzen überquerender Fluggäste. Wird die Bundesregierung diese Bedenken zum Anlass nehmen, entsprechend auf die Kommission einzuwirken, oder falten Sie jetzt die Hände und warten auf den endgültigen Rahmenbeschluss?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege, Sie wissen ganz genau, dass die Bundesregierung in den Gremien und Arbeitsgruppen des Rates sowie im Rat selbst sehr engagiert am Zustandekommen europäischer Rechtsvorschriften mitwirkt. Dies war in der Vergangenheit so und hat zu einer sehr erfolgreichen deutschen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union im Bereich der Innenpolitik beigetragen. Dies wird bei dem vorliegenden Vorschlag ganz genauso sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen jetzt zur Frage 21 des Kollegen Wieland: Stimmt die Bundesregierung zu, dass die im vorliegenden Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über die Verwendung von Fluggastdatensätzen ({0}) zu Strafverfolgungszwecken vorgesehene verdachts- und anlasslose Speicherung der Daten von Fluggästen den Weg zu einem Präventionsstaat bereitet, der die Bürger schon vorbeugend überwacht?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Wieland, die Unterstellung, dass wir uns damit auf dem Weg zu einem Präventionsstaat befinden, weise ich erwartungsgemäß zurück. Im Übrigen, denke ich, haben wir diese Frage bereits im Rahmen der vorherigen Frage ausführlich diskutiert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie sagten, dass Sie nicht auf dem Europäischen Polizeikongress waren. Aber Sie sind ja aufmerksamer Zeitungsleser. Ist Ihnen entgangen, dass die Formulierung „auf dem Weg in den Präventionsstaat“ exakt die Formulierung der Bundesjustizministerin mit Blick auf dieses Vorhaben ist? Sie sagen, die Bundesregierung hat sich darauf geeinigt, die Federführung bei diesem Vorhaben liegt beim Innenministerium. Hierbei soll es aber um Daten zu Strafverfolgungszwecken gehen. Das steht schon in der Überschrift des Vorschlags für einen Rahmenbeschluss. Wie kommt es dann, dass nicht die für Strafverfolgung zuständige Ministerin die Federführung hat? Darf ich daraus schließen, dass Sie diese Daten auch für andere Zwecke, zum Beispiel für nachrichtendienstliche oder präventivpolizeiliche Zwecke, benutzen wollen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Welches Ressort bei welchen Vorhaben die Federführung hat, richtet sich danach, auf welche Rechtsgrundlagen aus dem EU-Vertrag die Vorhaben gestützt sind. Zwischen den Ressorts der Bundesregierung war völlig unumstritten, dass die Federführung in diesem Fall beim Bundesinnenministerium liegt. Das war bereits bei dem Abkommen über Fluggastdaten mit den USA völlig unumstritten der Fall. Insofern gibt es hierbei keinen Dissens innerhalb der Bundesregierung. Die Formulierung, die Sie in Ihrer Frage verwandt haben - „Weg in den Präventionsstaat“ -, findet sich meines Wissens nicht in der abgestimmten Stellungnahme der Bundesregierung zu dem vorgelegten Vorschlag der EU-Kommission. Ich mache sie mir auch ausdrücklich nicht zu eigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nun ist es in unserer freiheitlichen Demokratie immer noch möglich, dass eine Ministerin Worte wählt, die nicht mit dem Koalitionspartner abgestimmt waren. Sie soll - laut Presse - diese Worte in der Pressekonferenz gewählt haben. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis. Sie hat damit eine Befürchtung ausgedrückt, die auch wir haben, nämlich dass wir auch mit Blick auf die weiteren Vorhaben der Bundesregierung - Mautdaten- und Vorratsdatenspeicherung gibt es schon, anderes ist in der Mache - auf dem Weg in den Präventionsstaat tatsächlich schon weit fortgeschritten sind. Ich frage noch einmal: Wollen Sie diese Daten auch für nachrichtendienstliche und präventivpolizeiliche Zwecke verwenden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich habe bereits vorhin bei der Beantwortung der Frage der Kollegin Stokar gesagt, dass dies erst im Lichte der Ergebnisse der Arbeit in den zuständigen Ratsarbeitsgremien entschieden werden kann. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, wie der Beschluss genau aussehen wird. Das gilt sowohl für die Anzahl der Datensätze als auch für die Frage von Speicherfristen. Über all diese Fragen wird im Laufe der nächsten Monate diskutiert werden. Im Übrigen darf ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass das Thema Fluggastdatenspeicherung seit dem 11. September weltweit diskutiert wird und dass viele Staaten, auch außerhalb der Europäischen Union, mit diesem Vorhaben bereits gute Erfahrungen gemacht haben. Das gilt auch für Staaten, deren rechtsstaatliche Traditionen völlig außer Diskussion stehen, beispielsweise Kanada. Herr Kollege Wieland, in Großbritannien gibt es seit einigen Jahren Pilotprojekte zum Thema Fluggastdaten. Diese Projekte haben dazu geführt, dass Menschenhändlerringe ausgehoben werden konnten, dass verdächtige Personen ermittelt werden konnten und dass es zu neuen Erkenntnissen bei der Terrorismusbekämpfung gekommen ist. All dies hat die Kommission in Ihrem Vorschlag berücksichtigt. Das war der Grund, warum die Vorgängerregierung - Sie selbst haben ihr zwar nicht als Person angehört, aber Ihre Fraktion hat sie getragen dieses Projekt im Grundsatz immer unterstützt und sogar vorangetrieben hat. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Ströbele werden schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Frage 24 des Abgeordneten Fell soll schriftlich beantwortet werden. Wir kommen zur Frage 25 der Kollegin Heidrun Bluhm: Bei welchen Weltausstellungen und vergleichbaren Veranstaltungen hat die Bundesregierung seit 1980 die Kölnmesse mit der Organisation, dem Bau und der Gestaltung des deutschen Beitrags beauftragt? Zur Beantwortung sollte der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung stehen. ({0}) - In meiner Liste steht, Herr Schauerte, dass Sie die Frage 25 der Kollegin Bluhm beantworten.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich muss um Nachsicht bitten. Ich habe keine Information bekommen, um eine Antwort geben zu können. Ich reiche sie unverzüglich nach. Ich bitte um Entschuldigung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich frage die Kollegin Bluhm: Sind Sie einverstanden, dass Ihre Fragen 25 und 26 schriftlich beantwortet werden? Wenn nicht, müssten wir sie in einer Woche noch einmal aufrufen. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist sehr bedauerlich. Diese Fragen stellen wir nicht ohne Grund hier im Plenum. Wir wollen, dass sie öffentlich beantwortet werden. ({0}) Deshalb bin ich mit einer schriftlichen Beantwortung nicht einverstanden. Herr Schauerte, ich gebe Ihnen aber eine Frist bis zur nächsten Woche, um die Beantwortung nachzuholen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank für das Verständnis. Das kann ja einmal vorkommen. Frau Bluhm, Ihre beiden Fragen und auch die Frage 27 des Kollegen Hans-Kurt Hill werden dann in einer Woche aufgerufen werden. Herr Staatssekretär, ich bitte, dann vorbereitet zu sein, um diese Fragen zu beantworten. ({0}) Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller zur Verfügung. Ist er da? - Ja, er ist da. Wir kommen zur Frage 28 des Kollegen Helmut Lamp: Wie groß - in Hektar - ist die agrarisch nicht genutzte landwirtschaftliche Fläche in der EU und innerhalb Europas, das heißt einschließlich auch der Nicht-EU-Staaten?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage des geschätzten Abgeordneten Helmut Lamp - ich freue mich, dass er wieder Mitglied dieses Hohen Hauses ist - wie folgt: Ich kann mitteilen, dass nach Angaben des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften 2006 die landwirtschaftlich genutzte Fläche in der EU der 27 insgesamt 181 Millionen Hektar betrug. Davon waren 10,8 Millionen Hektar als Brachland ausgewiesen. Dies entspricht einem Anteil von 6 Prozent. Statistisch werden die agrarisch nicht genutzten Flächen innerhalb der landwirtschaftlichen Flächen einschließlich der konjunkturell stillgelegten Flächen ohne Anbau von nachwachsenden Rohstoffen als „Brache“ zusammengefasst. Für die übrigen europäischen Länder liegen uns nur unvollständige Daten vor. Soweit verfügbar, addieren sich diese zu 5,6 Millionen Hektar Brachflächen, die überwiegend in der Türkei liegen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lamp, Nachfrage.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist der Bundesregierung bekannt, dass vor knapp einem Jahr auf einer Veranstaltung des Landwirtschaftsministeriums von einem Mitglied der estnischen Delegation mitgeteilt wurde, dass nur 60 Prozent der Landwirtschaftsfläche Estlands, die 1930 bewirtschaftet wurden, zurzeit bewirtschaftet werden? Des Weiteren wurde während der Grünen Woche von hochrangigen Mitgliedern der russischen Delegation mitgeteilt, dass allein in Russland 22 Millionen Hektar Brachland sind, also nicht genutzt werden. Ist dies der Bundesregierung bekannt?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Herr Kollege Lamp, wenn Sie diese Zahlen nennen, bezweifle ich nicht, dass sie nahe an der Realität liegen; ich werde dies aber auch überprüfen. Uns ist aus Gesprächen bekannt, dass in den genannten Staaten Estland und Russland, aber auch in anderen Staaten in Osteuropa, etwa der Ukraine, noch ein erheblicher Anteil der möglichen landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Tat Brachland ist.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen Sie mit mir darin überein, dass wir von Flächenknappheit in Europa nicht sprechen können?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

„Flächenknappheit“ ist relativ, wenn wir Europa mit Brasilien oder anderen Staaten vergleichen. Sie nehmen sicherlich auf den Wettbewerb oder die Konkurrenz zwischen verschiedenen möglichen Nutzungen der landwirtschaftlichen Flächen Bezug. Ich stimme Ihrer Auffassung zu.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 29 des Kollegen Lamp: Wie hoch schätzt die Bundesregierung das Potenzial zur Ertragssteigerung der landwirtschaftlichen Produktion in Europa bis 2030?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Das ist eine Frage, die man natürlich nicht definitiv beantworten kann. Wenn wir aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließen, dann sind weitere signifikante Ertragssteigerungen zu erwarten, wie sie in den vergangenen 20 Jahren in ganz erheblichem Umfang möglich waren. Die Europäische Kommission hat 2007 eine Studie mit einer Vorausschätzung bis zum Jahr 2020 herausgegeben. Darin kalkulieren die Autoren für den von Ihnen abgefragten Zeitraum in verschiedenen Szenarien eine jährliche Wachstumsrate der pflanzlichen und der tierischen Produktion, die zwischen 0,5 und 1 Prozent liegt. Ich persönlich würde dies für eine sehr zurückhaltende Schätzung halten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Kollege Lamp.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Damit erübrigt sich meine Nachfrage fast, aber ich frage trotzdem: Ist diesen Experten nicht bewusst, dass wir in Deutschland pro Bundesbürger nur 0,2 Hektar zur Ernährungssicherung brauchen, während in den Bei- trittsländern dieser Wert über 0,6 Hektar pro Bürger be- trägt? Hier müssen doch erhebliche Steigerungen mög- lich sein. Wir haben auch in Mitteldeutschland innerhalb von zehn Jahren Steigerungen in der landwirtschaftli- chen Produktion um 50 bis 70 Prozent erlebt. Dieser Sprung steht in Osteuropa noch aus. Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- cherschutz: Wie gesagt, dazu liegen keine genauen Untersuchun- gen und Szenarien vor. Aber nach der Entwicklung, die wir in Mitteleuropa, in Deutschland, in Frankreich, in anderen Staaten, erlebt haben - in den vergangenen 50 Jahren waren erhebliche Ertragssteigerungen pro Hektar und ebenso im Bereich der tierischen Veredelung zu verzeichnen; vor 50 Jahren gab es in der Milcherzeu- gung Durchschnittsleistungen von 2 000 oder 3 000 Li- ter pro Kuh, heute sind es 7 000 oder 8 000 Liter -, kön- nen wir abschätzen, welche Sprünge möglich sind. Ich teile Ihre Einschätzung, auch aus persönlicher Kenntnis insbesondere der neuen Beitrittsstaaten, aber auch ande- rer osteuropäischer Staaten wie der Ukraine und Russ- land, dass dort erhebliche Ertragssteigerungen in der pflanzlichen und tierischen Produktion möglich sind. Wir tragen im Übrigen durch Forschungskooperation, durch intensive Kontakte, durch Austausch und Schu- lung dazu bei, dass diese Länder ihre Ertragssteigerungs- potenziale nutzen können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfragen gibt es nicht. Die Frage 30 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann soll schriftlich beantwortet werden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatsse- kretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung. Die Frage 31 der Kollegin Hirsch soll schriftlich be- antwortet werden.1) Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Volker Beck ({0}): Welche Maßnahmen oder Veranstaltungen oder Veranstaltungsteile des oder für das „Christival 2008“ vom 30. April bis 4. Mai 2008 in Bremen werden aus Mitteln des Bundeshaushalts direkt oder indirekt über welche Träger - Christival e. V., Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland e. V., CVJM oder andere - gefördert?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Auf die Frage des Kollegen Beck antworte ich wie folgt: Das „Christival 2008“ ist ein konfessionsübergreifender Kongress junger Christen in Bremen und ist die vierte Veranstaltung dieser Art seit 1976. Dieser Kongress möchte junge Christen motivieren und befähigen, ihre christliche Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen. Sie sollen insbesondere zum ehrenamtlichen Dienst in Gemeinden, Kirchen und Gesellschaft ermutigt werden. Für die Durchführung des Christival-Kongresses junger Christen vom 30. April bis 4. Mai 2008 erhält die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland, AEJ, einen Zuschuss in Höhe von insgesamt 250 000 Euro aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes. Die AEJ erhält diese Mittel als Zentralstelle und leitet sie an den Ausrichter von „Christival 2008“, Christival e. V., weiter. Der Bundeszuschuss für diese Maßnahme umfasst rund 8 Prozent der kalkulierten Gesamtausgaben. Das Christival wird gemäß den Richtlinien des KJP für Sonder- und Großveranstaltungen als Einzelmaßnahme und damit als Ganzes bezuschusst. Eine gesonderte Förderung von Maßnahmen, Veranstaltungen oder Veranstaltungsteilen innerhalb dieser Einzelmaßnahme ist damit wie bei ähnlichen Großveranstaltungen anderer Träger nicht verbunden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage, Herr Kollege Beck?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Herr Staatssekretär, es würde mich interessieren, ob die Bundesregierung irgendeine inhaltliche Schwer- punktbildung oder inhaltliche Ausrichtung mit der Be- willigung dieser Förderung beschlossen hat oder dem Zuwendungsempfänger irgendetwas aufgegeben hat. Sie selber wissen, dass mehrere Seminare auf diesem Chris- tival sowohl wegen ihrer humanwissenschaftlichen An- lage als auch wegen ihrer theologischen Ausrichtung 1) Anlage 9 höchst umstritten sind, auch gerade unter Christinnen und Christen. ({0}) Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen, ob es irgendeine inhaltliche Vorgabe gibt oder ob Sie die öffentliche Kritik an mehreren Veranstaltungsteilen zum Anlass genommen haben, mit dem Träger über die Ausrichtung dieser Veranstaltung, soweit sie von der Bundesregierung gefördert wird, zu reden.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sie wissen, Herr Abgeordneter Beck, dass dies eine Großveranstaltung mit, glaube ich, über 250 Foren, Workshops und Fachveranstaltungen sowie 18 Gottesdiensten ist. Es ist üblich, dass sich die Antragsteller den Richtlinien des KJP zu unterwerfen haben. Es ist aber natürlich im Verhältnis zwischen Staat sowie freien Trägern und weltanschaulichen Gruppen so - das gehört zum Selbstverständnis eines offenen Staates bzw. einer offenen Gesellschaft -, dass keine Vorgaben hinsichtlich der einzelnen Wertvorstellungen, die dort vertreten werden, gemacht werden. Wenn es anders wäre, müsste die Bundesregierung konsequenterweise jedes einzelne Seminarprogramm - Sie wissen ja, wer alles aus dem Kinder- und Jugendplan gefördert wird - genehmigen. Ich glaube nicht, dass dies der richtige Weg zur Herstellung eines guten Verhältnisses zwischen Staat und freien Trägern wäre. Ich habe Ihnen ja ausdrücklich gesagt, dass in diesem Fall über die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend und über den CVJM gefördert wird. Bei beiden handelt es sich um anerkannte Träger von Jugendarbeit in der Bundesrepublik. Ich glaube, dass die Bundesregierung damit den Sorgfaltspflichten absolut Genüge getan hat. Es ist richtig, dass ein Seminarteil zum Komplex Homosexualität von den Veranstaltern selbst aus dem Veranstaltungsprogramm herausgenommen worden ist. Das nehmen wir zur Kenntnis.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage, Kollege Beck?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich dachte, die Regierung fände das richtig. Na gut, so habe ich auch eine neue Erkenntnis gewonnen. - Nur, damit es klar ist: Es ist überhaupt keine Kritik daran zu üben, dass der CVJM oder die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend für ihre Arbeit und für die Durchführung von Großveranstaltungen finanzielle Förderung erhalten. ({0}) - Lesen Sie die Geschäftsordnung! Danach sind Vorbemerkungen gestattet. - Trotzdem meine ich: Wenn es öffentliche Kritik an einzelnen Veranstaltungsteilen gibt, Volker Beck ({1}) die sozusagen kein Betriebsunfall, sondern systematisch angelegt sind, dann liegt es meines Erachtens in der Verantwortung der Bundesregierung, bezüglich der Ausrichtung nachzufragen und sich das Programm genau anzuschauen. Ihre Fraktion, der Sie früher als Abgeordneter angehört haben, ({2}) hat bei Civitas und Entimon solche Nachfragen bezüglich der einzelnen Träger aus der Zivilgesellschaft immer gestellt und zuweilen zu Recht bestimmte Punkte kritisiert. Warum findet hier eine solche Überprüfung dessen, was wir mit unseren Bundesmitteln fördern, in keiner Weise statt, und warum fällt das Controlling durch Ihr Ministerium offensichtlich völlig aus?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das Controlling fällt in keiner Weise aus. Ich habe gesagt, es gibt Bedingungen und Richtlinien. Das heißt beispielsweise, dass natürlich keine Veranstaltungen mit verfassungsfeindlichen Tendenzen gefördert werden können; das ist völlig klar. Ebenso können keine rechtsoder linksextremistischen Veranstaltungen gefördert werden. Darauf haben wir bei dem Programm gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Tat geachtet. Das war teilweise etwas kompliziert; das will ich gerne zugestehen, weil es um eine Fülle von Veranstaltungen ging. Das war mit ein Grund, weshalb wir uns dafür ausgesprochen haben, das ein wenig zu dezentralisieren und in die Verantwortung der Länder zu geben; denn es ist nicht möglich, das von Berlin aus für jede einzelne Veranstaltung zu bewerten. In diesem Fall ist es so, dass wir uns natürlich auf den Gesamtantrag verlassen, auf die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend, auf den CVJM. Die klare Aussage von dieser Seite sowie die Tatsache, dass dieses Christival nicht zum ersten Mal stattfindet - es ist schon die vierte oder fünfte Veranstaltung - und es in der Öffentlichkeit hohe Anerkennung findet, sind ausreichende Hinweise darauf, dass hier verantwortlich gefördert wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt eine weitere Nachfrage, und zwar der Kollegin Fischbach.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, mir liegt eine Stellungnahme des CVJM vor, aus der ich gerne zitieren möchte: Der CVJM-Gesamtverband in Deutschland unterstützt das Christival voll und ganz. Umso mehr bedauern wir die Art und Weise der aktuellen öffentlichen Debatte um das Christival, die aus den Reihen der Bundestagesfraktion Bündnis 90/Die Grünen angestoßen wurde. An Stelle einer sachlichen Auseinandersetzung werden engagierte christliche Gruppen beschimpft und diffamiert. ({0}) Wir vermissen den Respekt gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden, deren Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit in gleicher Weise durch das Grundgesetz geschützt ist wie die der Kritiker des Christivals. Wir erwarten von politischen Verantwortungsträgern, dass sie bei aller Schärfe der Auseinandersetzung diese so führen, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher ethischer Orientierung in unserer Gesellschaft erleichtert und nicht erschwert wird. Ich frage Sie: Ist der Bundesregierung diese Stellungnahme bekannt, ({1}) und wie bewertet sie diese?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Der Bundesregierung ist diese Stellungnahme bekannt. Ich habe eben schon auf die Träger verwiesen und deutlich gemacht, dass diese für uns die Basis einer Bewertung und einer Beurteilung sind, weil das für uns absolut seriöse und verantwortungsvolle Träger sind. Ich betone ausdrücklich, dass die Ministerin sehr bewusst die Schirmherrschaft für diese Veranstaltung übernommen hat; denn sie will damit die christliche Kinder- und Jugendarbeit anerkennen. Ich will grundsätzlich sagen: Man kann über diese ganz konkreten Dinge diskutieren. Es geht generell um das Verständnis, das wir von dem Verhältnis zwischen Staat und freien und kirchlichen Trägern haben. Ich glaube nicht, dass es Aufgabe des Staates ist - das ist auch die Meinung der Bundesregierung -, bei jeder einzelnen Veranstaltung bis in die Fußnoten hineinzuverfügen und am besten noch die Gesinnung der Referenten zu überprüfen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt eine weitere Frage des Kollegen Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, wenn Ihnen diese Stellungnahme bekannt ist, dann frage ich Sie - ich kann ja schlecht die Kollegin Fischbach fragen -, ob Ihnen auch bekannt ist, dass es dazu eine Antwort gibt, die der kirchenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, nämlich meine Person, an den CVJM-Gesamtverband gerichtet hat - das ist ja ein Austausch offener Briefe - und in der unter anderem zum Ausdruck kam, dass wir das zurückweisen müssen, was der CVJM-Gesamtvorstand beschlossen und uns als Fraktion vorgeworfen hat, nämlich dass wir gegen diese christliche Veranstaltung als solche seien - wir sind überhaupt nicht gegen christliche Großveranstaltungen, auch nicht gegen das Christival -, dass wir aber verlangen, insbesondere wenn eine öffentliche Förderung, zumindest teilweise, vorliegt, dass diese Veranstaltungen einem Mindestmaß an Qualität unterliegen. Sie selber haben in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion darauf hingewiesen, dass Veranstalter zugelassen waren, deren Seminare offensichtlich nicht dem aktuellen wissenschaftlichen und theologischen Stand entsprachen. Diese haben nach Ihrem nachdrücklichen Hinweis ein Seminar zurückgezogen. Ich frage Sie: Ist Ihnen das bekannt? Ist die Darstellung des Christival-Veranstalters richtig, dass er von sich aus das Seminar zurückgezogen hätte, ohne dass die Bundesregierung interveniert hätte?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Reaktion des kirchenpolitischen Sprechers der Grünen auf die Stellungnahme des CVJM kenne ich nicht. Aber ich habe einen ganz guten Kontakt zu ihm, sodass ich davon ausgehe, dass er sie mir persönlich geben kann. Wir werden sie dann ganz sicherlich zu unseren Unterlagen nehmen. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie die Veranstaltung offenkundig gutheißen. Da die Veranstaltung von Ihnen insgesamt nicht infrage gestellt wird, scheinen Sie nichts dagegen zu haben, dass eine Bundesministerin die Schirmherrschaft dieser Veranstaltung übernimmt. Da öffentliche Diskussionen geführt werden, ist es richtig, dass es Kontakte mit dem Veranstalter gibt. Der Veranstalter hat von sich aus Konsequenzen bezüglich dieses einen Seminars gezogen. Ich will ausdrücklich sagen: Das komplexe Thema Homosexualität in einer Fragestunde seitens der Bundesregierung und seitens des Parlaments zu behandeln, ist nicht ganz einfach. Sie haben selbst gesagt, dass wir im Rahmen einer Antwort auf eine Kleine Anfrage sehr differenziert Stellung genommen haben. Es hat eine Fülle von Anfragen des Kollegen Beck gegeben, die wir alle beantwortet haben. Wir gehen von der Position aus, die die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler aus den jeweiligen Fachdisziplinen seit ungefähr 20 Jahren vertritt. Das ist für uns die Basis der Bewertung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Wir kommen dann zur Frage 33 des Kollegen Volker Beck: Welche einzelnen Seminare und Themenstellungen sind in diese Förderung einbezogen bzw. einbezogen gewesen - zum Beispiel Seminartitel 644: „Homosexualität verstehen“ - Deutsches Institut für Jugend und Gesellschaft; Seminartitel 650: „Tabuthema: Jungen als Opfer sexuellen Missbrauchs“ - Wüstenstrom e. V.; Seminartitel 642: „Sex ist Gottes Idee - Abtreibung auch?“ - Dr. Markus Arnold, Schwangerschaftskonfliktberater, Die Birke e. V. -, und wie beurteilt die Bundesregierung diese aus humanwissenschaftlicher Sicht und unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Es gilt das, was ich eben gesagt habe, nämlich dass es schwer ist, im Rahmen einer Fragestunde differenziert darauf einzugehen. Ich sage allerdings auch - wie in der Antwort auf die vorhergehende Frage -, dass das „Christival 2008“ als Einzelmaßnahme gemäß der Richtlinie für den KJP als Ganzes bezuschusst wird, also als Sonder- und Großveranstaltung, dass eine gesonderte Förderung von Maßnahmen, Veranstaltungen und Veranstaltungsteilen innerhalb dieser Einzelmaßnahme damit nicht verbunden und auch im allgemeinen Zuwendungsrecht - unabhängig von dieser Veranstaltung - nicht üblich ist. Die einzelnen Seminare und Themenstellungen dieser Sonder- und Großveranstaltung - das gilt besonders für die von Ihnen genannten Seminare - waren somit nicht bekannt. Insofern entziehen sich die genannten Seminare einer Beurteilung durch die Bundesregierung. Wie eben schon angedeutet: Das Seminar 644 „Homosexualität verstehen“ ist aus der Veranstaltungsliste gestrichen worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nachfrage? - Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, dass bei dem Seminar 642 ein Herr Arnold als Schwangerschaftskonfliktberater genannt wird, der in der Tat für den Verein Die Birke e. V. tätig ist, ein Verein, der vor zehn Jahren vergeblich beim Sozialministerium in Baden-Württemberg die Anerkennung als Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle betrieben hat? Wie bewertet sie das nicht zutreffende Eigenlob vor dem Hintergrund, dass diese Institution unter anderem folgende Aussage gemacht hat: Alle Frauen, die nach der Vergewaltigung „hilfreiche Abtreiber“ gefunden haben, zerbrechen an gleich zwei Traumata, an dem der Vergewaltigung und dem der Abtreibung. Allen Frauen aber, die ihr Kind bekommen haben, gelingt es in weit besserem Maße, die ungeheure und furchtbare Erfahrung der Vergewaltigung zu verarbeiten. Wie beurteilen Sie ein solches Auftreten in einem Seminar, bei dem man davon ausgehen muss, dass junge Frauen und junge Männer, die dieses Seminar besuchen, einem dogmatischen Verständnis dieses schwierigen Themas begegnen und ihnen keine offenen und nach bestimmten Standards festgelegten Beratungen - diese müssen sich an der ratsuchenden Person ausrichten und nicht an der Ideologie der Beratungsstelle - angeboten werden, dass also Jugendliche, die sich vielleicht noch in Selbstfindungsprozessen befinden, solch einseitigen, ideologischen Präsentationen ausgesetzt sind und sich dagegen nicht hinreichend wehren können?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass Die Birke e. V. eine private Initiative für Frauen im Schwangerschaftskonflikt ist, die das Ziel hat, ungeborenes Leben zu schützen und individuelle Alternativen zur Abtreibung zu erarbeiten. Die Schwangerschaftskonfliktberatung durch Die Birke e. V. ist staatlich nicht anerkannt. Sie stellt demnach auch keine Beratungsscheine aus. Schriftmaterialien von Birke e. V. ist zu entnehmen, dass sie den Schutz des ungeborenen Lebens sehr hoch bewertet - mit entsprechenden Konsequenzen. Ich sage ausdrücklich, dass es den staatlichen Finanzier, den Zuschussgeber - es handelt sich um einen Zuschuss von 8 Prozent -, völlig überfordern würde, wenn er bei Großveranstaltungen - stellen Sie sich zum Beispiel Kirchentage vor - einzelne Aussagen in Workshops überprüfen würde. Ich glaube nicht, dass das die Aufgabe der Bundesregierung ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mir ist im Zusammenhang mit dem Zuwendungsrecht durchaus eine andere Praxis im Hinblick auf andere Träger, die mit Ihrem Haus zu tun haben, bekannt. Da ringt man monatelang um Antragstexte; da geht es sehr um das Detail. Aber vielleicht ändert sich das ja jetzt alles angesichts des Christivals. Ich wollte Sie im Zusammenhang mit dem anderen Seminar fragen, ob Sie es wirklich für verantwortbar halten, dass eine Homosexuellenheilungsorganisation wie Wüstenstrom e. V. ein Seminar über das Thema des sexuellen Missbrauchs an Jungen durchführt, vor dem Hintergrund, dass diese Organisation die These vertritt, dass durch sexuellen Missbrauch auch Homosexualität entstehen könnte und dass das eine der möglichen Schädigungen ist. Ich meine nicht, dass das schwierige Thema des sexuellen Missbrauchs und des Schutzes der Kinder und Jugendlichen davor bei einem solchen Träger gut aufgehoben ist. Wären Sie bereit, unter Gesichtspunkten des Jugendschutzes, für den Sie nicht nur bei Kinderbüchern zur Aufklärung über Religion und Atheismus zuständig sind, sondern auch bei dem Thema, wie wir Jugendliche vor Scharlatanerie und psychologischen Defekten durch solche Berater schützen, zu überprüfen, ob dieses Seminar tatsächlich mit Geldern des Ministeriums bzw. der Regierung gefördert werden soll und kann?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst einmal sagen: Zu der Frage, wie detailliert man einzelne Veranstaltungen, die sich aus der Förderung eines bundesweiten Trägers ergeben, seitens des Ministeriums und der Bundesregierung bewerten sollte, habe ich einiges gesagt. Ich glaube, man braucht dazu ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Staat und privaten Trägern. Man muss ein gewisses Vertrauen entwickeln. Das gilt im Übrigen auch für unsere Programme gegen Rechtsund Linksextremismus. Auch dort ist es notwendig, dass eine Vertrauensbasis entsteht. Die haben wir ausdrücklich zu dem Träger, der hier die Verantwortung übernommen hat. Zur Organisation im Einzelnen liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Wenn es Sachverhalte gibt, die gegen Jugendschutzregelungen verstoßen, müssen sie selbstverständlich geahndet werden. Aber das wäre nicht Aufgabe der Bundesregierung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt gibt es eine Nachfrage des Kollegen Norbert Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, dass es bei der Beurteilung der Frage, wie man Homosexualität behandeln soll, unterschiedliche Auffassungen geben kann, auch die Auffassung, dass man durch eine Therapie vielleicht eine Änderung dieser Haltung hervorrufen kann? ({0}) - Ich darf doch in Ruhe fragen. Ich stelle nur eine Frage. Was haben Sie eigentlich gegen Fragestellungen? Lassen Sie mich doch in Ruhe die Frage stellen! Ich wiederhole die Frage: Ist der Bundesregierung bekannt, dass es unterschiedliche Auffassungen zu Fragen der Behandlung von Homosexualität gibt und ist es richtig, wenn eine solche Auffassung als „Scharlatanerie“ oder „Ideologie“ bezeichnet wird, wie das Herr Beck getan hat?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Herr Abgeordneter Geis, ich habe eben schon gesagt, dass sich unsere Bewertung an dem orientiert, was sich in den letzten ungefähr 20 Jahren in der Fachwelt - Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie - durchgesetzt hat, nämlich dass Homosexualität keine psychische Krankheit ist. ({0}) Wir können feststellen, dass der überwiegende Teil der Fachwelt Homosexualität nicht als pathologisch zu beurteilende Störung ansieht. ({1}) Ich weiß aber auch, dass es unterschiedliche Auffassungen zum Thema Homosexualität gibt. Ich habe eben gesagt, dass der überwiegende Teil dieser Auffassung ist. Es gibt aber auch andere Auffassungen. ({2}) Beispiele dafür sind hier ja eben auch genannt worden. Ich denke aber nicht, dass es Aufgabe der Bundesregierung ist, dies im Einzelnen zu bewerten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Zeit für die Fragestunde ist eigentlich abgelaufen. Es gibt aber noch zwei weitere Zusatzfragen, die wir noch abwickeln wollen, nämlich von dem Kollegen Winkler und der Kollegin Stokar von Neuforn. Danach kommen wir zur Aktuellen Stunde. - Bitte, Herr Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage haben Sie geschrieben: Die Bundesregierung vertritt weder die Auffassung, dass Homosexualität einer Therapie bedarf, noch dass Homosexualität einer Therapie zugänglich ist. Wir haben gefragt, ob das die Auffassung der Bundesregierung insgesamt ist. Da dies Ihre Antwort auf unsere Frage war, kann ich doch davon ausgehen, dass die Bundesregierung keine Veranstaltung für förderungswürdig hält und in Zukunft auch nicht fördern wird, bei der solche Angebote gemacht werden. - Das ist die erste Frage. Die zweite Frage lautet: Wie wollen Sie sicherstellen, dass bei Ihrem partnerschaftlichen Umgang mit den Organisationen, die Sie genannt haben - dagegen spricht grundsätzlich nichts -, in Zukunft darauf geachtet wird, dass solche Seminare gar nicht erst in das Programm aufgenommen werden?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich habe Ihnen gesagt, dass wir uns an der Meinung der überwältigenden Mehrheit der Fachleute der unterschiedlichen Disziplinen, die ich genannt habe, orientieren. Ich sage ausdrücklich: „überwältigend“. Es gibt auch andere Meinungen; ({0}) das ist klar. Die hat es immer gegeben. Diese Einschätzung hat sich in den letzten 20 Jahren aber durchgesetzt. Das erklärt auch den Satz in der Antwort auf die Kleine Anfrage. Ich glaube, dass diese Diskussion zeigt, wo es Probleme geben kann und wir deutlich machen, wie wir damit umgehen. Ich meine, dass man diesen Hinweis nicht allen, die Zuwendungen des Bundes erhalten, förmlich mitteilen muss. Ich gehe davon aus, dass man entsprechend handelt. Das ist letztlich die Basis des ganzen Kinder- und Jugendplanes. Wir fördern auch Gruppen, die dem einen oder anderen vielleicht nicht gefallen. Herr Beck stellt dazu häufiger Anfragen. Er kennt sich da im Einzelnen aus. Wir fördern eine Bandbreite von Veranstaltungen, weil wir davon ausgehen, dass das zu einem pluralistischen Staat dazugehört. Ich glaube, dass es gut ist, wenn man die Aufgaben des Staates auf der einen Seite sieht und auf der anderen Seite die Verantwortlichkeit der einzelnen freien, kirchlichen und sonstigen Träger.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt folgt die Frage der Kollegin Stokar von Neuforn.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist der Bundesregierung bekannt, dass wir zwischenzeitlich ein Antidiskriminierungsgesetz bzw. ein, wie es heute heißt, allgemeines Gleichbehandlungsgesetz haben? Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, dass man auch auf solchen Veranstaltungen, die hauptsächlich Kinder und Jugendliche ansprechen, aktiv für dieses Diskriminierungsverbot eintreten muss und dass die pluralistische Gesellschaft dort ihre Grenzen hat, wo die Diskriminierung von Minderheiten ganz offensichtlich beginnt?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Der Bundesregierung ist natürlich bekannt, dass wir ein Antidiskriminierungsgesetz haben. Ich sage aber ausdrücklich, dass das im Umkehrschluss nicht heißen kann, dass wir den freien Trägern, die im Rahmen des Kinder- und Jugendplanes tätig sind, sagen, welche Meinungen vertreten werden dürfen und welche Meinungen nicht vertreten werden dürfen. ({0}) Da gibt es auch umgekehrt eine Grenze, die ich für wichtig halte. Sie führt im Endeffekt zu den Verhaltensweisen, die ich hier erläutert habe.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich beende die Fragestunde. Die nicht beantworteten Fragen werden entsprechend der Geschäftsordnung behandelt. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Aussage der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am 28. November 2007 „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an“ und die wirkliche Situation in Deutschland ({0}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für den Antragsteller das Wort dem Kollegen Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion. ({1})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin sagt es kurz und bündig: „Der Aufschwung kommt bei immer mehr Menschen an.“ Das klingt sehr schön. ({0}) Das Problem ist nur, dass die Bürgerinnen und Bürger, von denen die Kanzlerin spricht, ihre eigene Situation völlig anders sehen. ({1}) Nach einer Umfrage des Stern erklären vier von fünf Befragten, dass sie weder persönlich noch in ihrem Bekanntenkreis etwas von der wirtschaftlichen Erholung merken. Das muss man sich einmal vorstellen: Die Kanzlerin sagt, der Aufschwung komme bei den Menschen an, und die bekommen es nicht mit. ({2}) Darüber muss man doch einmal reden. Ich will das Urteilsvermögen der Bundeskanzlerin nicht infrage stellen, aber wenn 83 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sagen, dass der Aufschwung an ihnen vorbeigeht, dann hat mindestens eine Seite ein ganz erhebliches Wahrnehmungsproblem. Alles spricht dafür, dass dieses Problem im Bundeskanzleramt anzusiedeln ist. ({3}) Wenn schon kaum jemand zu finden ist, bei dem der Aufschwung wirklich ankommt, dann sollten wir uns einmal mit der Frage beschäftigen, bei wem der Aufschwung in Deutschland nicht ankommt. Ganz offensichtlich kommt der Aufschwung bei den Beschäftigten nicht an. ({4}) Die Bundesregierung antwortet auf eine Anfrage der FDP, dass die Gehälter 2007 im Vergleich zum Vorjahr um 1,3 Prozent gestiegen sind. Das ist aber nicht einmal ausreichend, um die Inflationsrate von 2,2 Prozent auszugleichen. Die Bilanz ist ein Minus von 0,9 Prozent. Im Verbraucherpreisindex, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, sieht man, dass die Preise für Nahrungsmittel um 7,5 Prozent, im Bildungswesen um 33,5 Prozent, für saisonabhängige Nahrungsmittel um 13,9 Prozent und für Haushaltsenergie, Strom und Gas, um 9,2 Prozent gestiegen sind. ({5}) Wir können festhalten: Bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist der Aufschwung nicht nur nicht angekommen, sondern sie haben praktisch weniger in der Lohntüte als vorher. ({6}) Das Gleiche gilt für die Sparbücher. Die Spareinlagen der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger werden immer geringer. 2003 hatten die Bürgerinnen und Bürger noch 502 Milliarden Euro auf der hohen Kante, 2007 waren es 440 Milliarden Euro. Das ist ein Rückgang um 12,5 Prozent. Fazit: Auch bei den Sparbüchern der Bürgerinnen und Bürger ist der Aufschwung offensichtlich nicht angekommen. ({7}) - Sie fragen, was das beweist, Herr Kollege. Das beweist, dass die Bürgerinnen und Bürger aufs Ersparte zurückgreifen müssen, weil Sie ihnen mit Steuererhöhungen so sehr in die Tasche greifen, dass sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verdienten nicht mehr bestreiten können. Das heißt das ganz konkret. ({8}) Nun zu den Rentnerinnen und Rentnern. Wir stellen fest: Die Renten wurden 2007 um sage und schreibe 0,54 Prozent angehoben. Das ergibt inflationsbereinigt unter dem Strich ein Minus von 1,66 Prozent. ({9}) - Herr Braukspiepe, es gibt ein Minus bei den Renten. Man kann leicht reden, der Aufschwung sei angekommen. Man muss nur aufpassen, dass man die Menschen in Deutschland mit solchen Reden nicht verhöhnt. ({10}) Die Rentnerinnen und Rentner zählen offensichtlich zu den 83 Prozent der Bevölkerung, die von einem Aufschwung nichts, aber auch rein gar nichts spüren. ({11}) Der Einzige, bei dem der Aufschwung so richtig angekommen ist, ist der Staat. Der Bund kann sich für das Jahr 2007 über Steuermehreinnahmen in Milliardenhöhe freuen. ({12}) Aber die zusätzlichen Steuereinnahmen des Bundes, Herr Brauksiepe, sind nichts anderes als die Mehrbelastungen der Bürgerinnen und Bürger. ({13}) Wenn Sie mich fragen, ob mich das stört, antworte ich: Ja, es stört die FDP, dass die Bürgerinnen und Bürger durch Ihre Politik immer mehr belastet werden. Allein im Januar 2008 mussten die Bürgerinnen und Bürger 10,3 Prozent zusätzlich an den Staat abführen. Ja, das stört die FDP, und zwar ganz massiv; das kritisiere ich an dieser Stelle ausdrücklich. ({14}) Die Zahlen zeigen eines ganz klar: Der Staat beansprucht den gesamten Aufschwung für sich. Das kann man mit Recht als unfair bezeichnen. Die Bürgerinnen und Bürger gehen bei CDU/CSU und SPD nämlich nicht nur leer aus, sondern sie zahlen sogar ganz ordentlich drauf. In Wahrheit haben Sie durch Ihre maßlosen Steuererhöhungen dafür gesorgt, dass der Aufschwung nicht bei den Menschen ankommen kann. Sie haben die Mehrwertsteuer und die Versicherungsteuer erhöht und die Eigenheimzulage gestrichen. Sie haben den Sparerfreibetrag und die Pendlerpauschale erheblich gekürzt. Solange die Bürgerinnen und Bürger netto weniger Geld in der Tasche haben, zählen sie zu den Verlierern und nicht zu den Gewinnern des Aufschwungs. Sie haben es selbst in der Hand, dafür zu sorgen, dass der Aufschwung bei den Menschen in Deutschland ankommt. Ich kann Ihnen nur zurufen: Senken Sie die Steuern, und sorgen Sie dafür, dass die Menschen netto mehr Geld zur Verfügung haben. Mit Schönwetterreden der Bundeskanzlerin ist den Menschen in Deutschland nicht geholfen. Sie sollten sie ernst nehmen. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Menschen immer weniger Geld in der Tasche haben, die Bundesregierung die Situation aber so darstellt, als würden sie am Aufschwung teilhaben. Eine solche Politik ist unfair. Tun Sie etwas für die Menschen, und hören Sie auf, Schönwetterreden zu halten! ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Rheinland gibt es das Sprichwort - Herr Hoyer, Sie kennen es -: Man muss auch gönnen können. - Sie von der FDP tun sich mit dem Gönnen schwer; ({0}) das können wir heute erleben. Das Problem ist nicht, dass Sie der Koalition ihre Erfolge nicht gönnen; wir haben nie gesagt, dass wir für den Aufschwung alleine verantwortlich sind. Dass Sie aber die großartige Leistung der Menschen in diesem Land, durch die dieser Aufschwung erst ermöglicht wurde, schlechtreden, ist sehr schade. ({1}) Sie sollten einmal zur Kenntnis nehmen, welche Entwicklung in den letzten Jahren in Deutschland stattgefunden hat. Im Jahr 2006 hatten wir ein Wirtschaftswachstum von knapp 3 Prozent, das sich in einem Rückgang der Arbeitslosenzahlen und in einer Erhöhung der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse um jeweils rund eine halbe Million niedergeschlagen hat. Damals haben Sie gesagt: Dafür waren die Fußball-WM und der Klinsmann-Effekt verantwortlich. Außerdem war der Winter mild. Nach der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 wird diese positive Entwicklung zu Ende sein. Was ist im Jahr 2007 geschehen? Das wirtschaftliche Wachstum betrug wiederum knapp 3 Prozent. Es begann ein solider Aufschwung, der auch den Arbeitsmarkt erreichte. Die Zahl der Arbeitslosen ist heute um 1,2 Millionen geringer als zu Beginn der Regierung Merkel. Darüber hinaus ist die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse um fast 1 Million gestiegen. Der Aufschwung ist bei den Menschen angekommen, und es wurden mehr Arbeitsplätze geschaffen, und das trotz Ihrer Kassandrarufe. Das ist die Realität in diesem Land. ({2}) Mittlerweile gehen in Deutschland 40 Millionen Menschen einer Erwerbstätigkeit nach. Außerdem können wir ein Plus bei der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse verzeichnen. Der Aufschwung kommt auch den älteren Menschen zugute. Das im Rahmen der Lissabon-Strategie zur Beschäftigung Älterer formulierte Ziel, das bis zum Jahr 2010 erreicht werden sollte, haben wir schon jetzt erreicht. Auch die Langzeitarbeitslosen profitieren vom Aufschwung. Pro Monat fanden durchschnittlich 3 Prozent der Langzeitarbeitslosen einen neuen Arbeitsplatz; das ist der höchste Wert seit 1998. Die Lohn- und Gehaltssumme ist im vergangenen Jahr um 3,1 Prozent gestiegen. Seit den 70er-Jahren ist es in Aufschwungphasen nicht mehr gelungen, die zuvor aufgebaute Arbeitslosigkeit vollständig abzubauen. Zum ersten Mal seit circa 30 Jahren gelingt es uns jetzt, die Arbeitslosenzahlen deutlicher zu senken, als sie vor dem Aufschwung gestiegen waren. Das sind nicht zu bestreitende Erfolge unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die Sie zur Kenntnis nehmen sollten. ({3}) Unsere Politik hat auch dazu geführt, dass wir heute eine bessere Haushaltssituation haben. Herr Wissing, das, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt haben, ist Ausdruck Ihrer völligen Hilflosigkeit. Bei früheren Regierungen haben Sie sich zu Recht beschwert, wenn Haushaltslöcher auftauchten; das haben auch wir getan. Heute stimmen die Einnahmen der öffentlichen Haushalte, und die Neuverschuldung wurde auf null zurück14858 geführt. Nun beklagen Sie sich, dass der Staat Steuereinnahmen hat. Seien Sie doch froh, dass es möglich ist, die öffentlichen Haushalte in Deutschland auszugleichen, damit unsere Kinder und Kindeskinder keine zusätzlichen Schulden zurückzahlen müssen. Das ist doch ein Erfolg für unser Land. Warum beschweren Sie sich über ausgeglichene Staatshaushalte? Das, was Sie uns hier bieten, ist peinlich. ({4}) An dieser Stelle möchte ich Sie auf die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute für das nächste Jahr hinweisen. Sie besagen, dass die Arbeitslosenzahlen um 330 000 sinken und 280 000 Personen eine neue Beschäftigung finden werden. Der Sachverständigenrat hat prognostiziert - das können Sie nachlesen -, dass die Löhne und Gehälter im nächsten Jahr stärker steigen werden als die Inflationsrate und dass die Erwerbstätigkeit weiter zunehmen wird. Niemand von uns bestreitet, dass es in diesem Land Probleme gibt. Niemand von uns bestreitet, dass die Verbraucherpreise in einigen Bereichen rasant nach oben gehen, zum Beispiel die Lebensmittelpreise und die Treibstoffpreise. Die Frage in der politischen Auseinandersetzung muss aber lauten: Was ist Ihre Alternative, was ist Ihr Handlungskonzept? Wir sind dafür, dass die Menschen am Aufschwung teilhaben, auch durch höhere Löhne. Wir wissen genau: Die Verteilungsspielräume für höhere Löhne sind umso größer, je besser die wirtschaftliche Entwicklung ist. Wir begrüßen es, dass die Verteilungsspielräume zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute größer sind als je zuvor. Nur, die Löhne festsetzen, das sollen die Tarifvertragsparteien machen. Wir können lediglich die besten Voraussetzungen für höhere Löhne in Deutschland schaffen. ({5}) Sie reden immer von der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Versicherungsteuer. Herr Wissing, die Preistreiber bei uns in Deutschland sind nicht die Versicherungsprämien. Wenn heute das Barrel Rohöl über 100 Dollar kostet, dann hat das seine Auswirkungen auf die Heizölpreise und die Spritpreise. Haben Sie eine Alternative? Wollen Sie eine Preisdeckelung einführen, wollen Sie administrativ festlegen, dass der Preis für Heizöl bzw. Benzin einen bestimmten Betrag nicht überschreiten darf? Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht liberale Politik, das ist Irrsinn. Tun Sie zumindest das, was Sie tun können: Stimmen Sie in Zukunft nicht mehr dagegen, wenn wir Sozialversicherungsbeiträge senken! Wir haben den Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 3,3 Prozent gesenkt; doch Sie waren dagegen. Früher haben Sie die Rentenformel mit uns verteidigt. Was ist denn Ihre Alternative zu dieser Rentenformel? Wollen Sie eine Rente nach Inflationsausgleich? Jeder weiß: Langfristig fahren die Rentner besser damit, wenn sich die Renten, wie es immer vorgesehen war, nach den Löhnen und Gehältern entwickeln. Das haben Sie selbst einmal so gesehen. Ein letzter Satz: 1999 hat Ihre Kollegin Irmgard Schwaetzer die rot-grüne Bundesregierung kritisiert, dass sie 2000 einen Inflationsausgleich für die Rentner beschlossen hat statt einer Rentenerhöhung, die sich an der Einkommensentwicklung orientiert. Frau Schwaetzer hat gesagt, das sei nicht hinzunehmen. Es kam ein Zwischenruf des Kollegen Dr. Heinrich Kolb, Rentenpolitik nach Kassenlage sei das. Das war damals Ihre Kritik. Was wollen Sie denn jetzt: Rentenerhöhung nach Rentenformel oder Rente nach Kassenlage? Sie ändern Ihr Konzept, wie es Ihnen gerade passt. Wir stehen für eine solide, konsequente Politik, die den Menschen nützt und dafür sorgt, dass die Menschen am Aufschwung teilhaben. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wenig gewundert habe ich mich schon, dass eine Aktuelle Stunde mit diesem Titel von der FDP beantragt wurde. ({0}) - Sie waren doch gerade dran. Ich habe mich deshalb gewundert, weil im Tagesspiegel noch vor kurzem von Herrn Westerwelle zu lesen war, dass SPD und Grüne den Linken hinterherlaufen würden und das wie die Geschichte von Hase und Igel enden würde. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir bereits am 24. Januar 2008, bei der Aussprache zum Jahreswirtschaftsbericht, darauf hingewiesen haben, dass es eine Frechheit ist, bei sinkenden realen Löhnen, bei sinkenden realen Renten und bei sinkenden sozialen Leistungen von Aufschwung zu reden. Es freut mich, dass die FDP von der Linken lernt. ({1}) Umso mehr freut es mich natürlich, dass Sie uns nachlaufen. Herzlich willkommen im Klub! ({2}) Ja, es gab einen Aufschwung, und nicht nur für den Staat. Es gab einen Aufschwung für die, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit oder Vermögen haben. Diese Einnahmen sind 2006 und 2007 um 7,2 Prozent gestieKlaus Ernst gen und werden 2008 um 5,6 Prozent steigen. Die Deutsche Bank hat vor kurzem ein Ergebnis von 8,7 Milliarden Euro vermeldet. Es gibt also eine Gruppe, die hier hervorragend lebt und an diesem Aufschwung partizipiert: Das sind die Aktienbesitzer, vor allem die, die große Pakete halten, und das sind insbesondere die Vorstände, also Ihr Klientel. - Ich weiß nicht, warum Sie sich so beschweren, meine Damen und Herren. ({3}) Ich möchte darauf hinweisen, dass es für die Arbeitnehmer im Gegensatz dazu eben keinen Aufschwung gibt. Die Reallöhne sinken weiter. Aufgrund der Angaben des Statistischen Bundesamtes vom 25. Januar 2008 wissen wir, dass die tariflichen Gehälter der Angestellten im letzten Jahr um 2,0 Prozent und die tariflichen Löhne der Arbeiter um 2,5 Prozent gestiegen sind. Gleichzeitig sind die Verbraucherpreise - Angabe vom 31. Januar 2008 - um 2,7 Prozent gestiegen. Ich kann Ihnen also nur sagen: Bei den Arbeitnehmern kommt nichts an. Ich kann Ihnen auch sagen, dass bei denen, die bei BenQ oder Nokia ihren Job verlieren und künftig mit Arbeitslosigkeit rechnen müssen, auch nichts ankommt. Genauso wissen wir, dass auch bei denen nichts ankommt, die von Minilöhnen leben müssen. Wir wissen also, dass der Aufschwung an einem großen Teil der Bürger, zum Beispiel auch an den Kindern, tatsächlich vollkommen vorbeigeht. Dass man trotz der Tatsache, dass sich die Zahl der Kinder, die in Armut leben, in den letzten zwei Jahren - seit der Einführung von Hartz IV verdoppelt hat, von einem Aufschwung in Deutschland redet, kann ich nur noch als zynisch bezeichnen. Ich kann Ihnen von der Sozialdemokratie nur sagen: Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob das noch Ihre Position ist. Sie sagen, dass es in Deutschland aufwärtsgeht, während die Kinder zunehmend in Armut geraten, während die Arbeitnehmer keine Lohnerhöhung erhalten und während insbesondere auch die Rentner seit Jahren damit fertig werden müssen, dass ihre Renten real sinken, weil sie nicht erhöht werden. Die Steigerung um einen Prozentpunkt, über die jetzt debattiert wird, würde auch wieder nur eine Erhöhung weit unter der Preissteigerungsrate bedeuten. Mit Ihrer Politik klauen Sie den Rentnern die Rente. Das ist nicht positiv, das ist negativ und kein Aufschwung. ({4}) Nach einer Umfrage in Spiegel online fürchten 72 Prozent der Rentner, dass sie ihren Lebensstandard im Alter trotz aller Maßnahmen, die sie getroffen haben - trotz Ihrer Riester-Rente und Ähnlichem -, künftig nicht mehr halten können. Ich kann nur sagen: All das, was Sie hier getan haben, führt nicht dazu, dass die Bürger in diesem Lande von Aufschwung reden können. Sie kennen sicher die Umfrage im ARD DeutschlandTrend vom Dezember 2007, wonach 81 Prozent der Bürger die Frage, ob sie das Gefühl haben, vom Aufschwung zu profitieren, mit Nein beantwortet haben. Herr Brauksiepe, Sie stellen sich hier fast schon guruhaft hin. ({5}) - Guruhaft, also wie ein Guru. Das sind die, die glauben, die Menschen hinter sich herlaufen lassen zu können. ({6}) Wenn Sie glauben, dass die Menschen das, was Sie sagen, angesichts dieser Realität noch glauben, dann glauben Sie auch noch an den Weihnachtsmann. Ich kann Ihnen nur sagen: Bei Ihnen, und zwar bei allen, bedeutet es offensichtlich schon einen Aufschwung, wenn einer einen Meter unter der Wasseroberfläche gelebt hat und jetzt auf 50 Zentimeter unter der Wasseroberfläche aufsteigt. Er ersäuft dann aber immer noch. Die soziale Lage ist für viele in Deutschland ein Problem. Sie haben das noch nicht begriffen. Ich danke fürs Zuhören. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner. ({0})

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute auf Antrag der FDP-Fraktion über die Haltung der Bundesregierung zur Situation der Rentner und Pensionäre unter Berücksichtigung der Aussage der Bundeskanzlerin Angela Merkel am 28. November 2007 „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an“. Meine Damen und Herren, die Kanzlerin hat recht. ({0}) In Deutschland profitieren immer mehr Menschen vom Aufschwung. Sie profitieren von der robusten Konjunktur und vor allem von der guten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Wir müssen dafür sorgen, dass alle vom Aufschwung profitieren. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Im Januar waren 1,35 Millionen Menschen weniger arbeitslos als noch vor zwei Jahren. Gleichzeitig verzeichneten wir ein Rekordhoch bei den Erwerbstätigen - rund 40 Millionen - und bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - rund 27 Millionen. Die Entwicklung kann weitergehen; denn die Bundesagentur für Arbeit meldet circa 1 Million offene Stellen. Im Rahmen dieser Entwicklung wird niemand zurückgelassen, auch diejenigen nicht, die es schwerer als andere haben, Arbeit zu finden: die Jüngeren nicht, die Älteren nicht, die Menschen mit Behinderungen nicht und auch die Langzeitarbeitslosen nicht. ({1}) Sie alle profitieren von der Entwicklung, zum Teil sogar weit überdurchschnittlich. All das ist auch ein Erfolg einer guten Arbeitsmarktpolitik. Dabei bleiben wir weiter ehrgeizig. Die Beschäftigung sichern und ausbauen, das ist der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe, und das ist die beste Grundlage, damit unsere sozialen Sicherungssysteme dauerhaft auf festen Beinen stehen. ({2}) Damit sorgen wir dafür - ich sage es in aller Deutlichkeit -, dass der Aufschwung ankommt. Denn richtig ist: Nur dann, wenn die Menschen Arbeit haben, entsteht Einkommen, und nur dann, wenn die Löhne steigen, können auch die Renten steigen. Richtig ist auch, dass die Renten langsamer als die Löhne steigen müssen, damit künftige Generationen nicht überfordert werden. Aus diesem Grund gibt es eindeutige und verlässliche gesetzliche Regelungen, nach denen die Rentenanpassung berechnet wird. ({3}) Sie haben sich bewährt. Es wäre verantwortungslos, daran herumzumäkeln und eine Politik nach Kassenlage zu machen. ({4}) Es täten alle in diesem Hause gut daran, die Menschen nicht zu verunsichern, sondern die komplizierten Zusammenhänge der Rentenberechnung zu erläutern. Wir haben die Finanzierung der Rente dadurch gestärkt, dass die gesetzliche Rentenversicherung durch Steuerbeiträge von versicherungsfremden Leistungen befreit worden ist. Es ist also eine sichere Finanzierungsgrundlage geschaffen worden. Wie Sie alle wissen, sind die Beiträge zur Sozialversicherung deutlich gesenkt worden. Die FDP, die diesen Antrag auf eine Aktuelle Stunde gestellt hat, hätte durchaus eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Endlich sind wir langfristig bei einem Sozialversicherungsbeitrag von unter 40 Prozent angekommen“ beantragen können. Dies haben Herr Kolb und Kollegen hier beinahe jahrzehntelang gebetsmühlenartig vorgetragen. ({5}) Jetzt sind wir so weit, und ich würde es gutheißen, wenn man solche Erfolge auch dann, wenn man in der Opposition ist, einmal anerkennen würde. ({6}) Wir sind der Auffassung, dass Vertrauen in die soziale Sicherung nur dann gegeben ist, wenn die Verlässlichkeit bezüglich ihrer Finanzierungssysteme in der Gesellschaft erhalten bleibt. Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass zum 1. Juli 2007 die Renten um 0,54 Prozent erhöht wurden. Das war keine Riesensumme - dies kann niemand behaupten -, aber es war die erste Rentenerhöhung seit 2003 überhaupt. Ich gehe davon aus, dass es im Jahre 2008 wieder eine Rentenerhöhung geben wird, auch wenn wir noch nicht wissen, in welcher Höhe sie erfolgen wird, weil noch keine verlässlichen Zahlen zur Rentenberechnung vorliegen. Aber es wird eine Erhöhung geben, und dies steigert das Vertrauen in die gesetzliche Rente. Deswegen sage ich ganz offen, Herr Wissing: Mit einer so geringen Erhöhung werden die Bürger nicht verhöhnt; vielmehr trägt es zur Glaubwürdigkeit bei, dass wir die Rentenformel nicht nach Kassenlage verändern. Wer will, dass unser Sozialstaat auf verlässlichen Beinen steht, muss mithelfen, dass die Grundzüge der sozialen Sicherung erläutert und die Menschen nicht verunsichert werden. ({7}) Eines kann man jetzt schon sagen: Die 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland können sich darauf verlassen, dass wir jede Erhöhung - wirklich jede Erhöhung -, die sich nach der Rentenanpassungsformel ergibt, ohne Wenn und Aber an sie weitergeben. Die gute wirtschaftliche Entwicklung zahlt sich letztlich aus, weil die Rentenfinanzen und damit die Beiträge stabil bleiben. ({8}) Von Ende 2005 bis Ende 2007 ist die Nachhaltigkeitsrücklage um 10 Milliarden Euro gestiegen. Aktuell beträgt die Rücklage drei Viertel einer Monatsausgabe. Dies bedeutet, dass der Beitragssatz bis 2010 konstant gehalten werden kann. Danach wird er nach den Modellrechnungen des Rentenversicherungsberichts sogar gesenkt werden können. Ich bin der FDP-Fraktion dankbar, dass sie die heutige Aktuelle Stunde beantragt hat, da sie Gelegenheit bietet, noch einmal mit einem von der FDP-Fraktion ansonsten verbreiteten Mythos aufzuräumen. Die FDP läuft nämlich durch das Land und verkündet gebetsmühlenartig, der Mindestlohn sei schlecht für die Menschen und deshalb abzulehnen. ({9}) Gerade der Blick auf die Rentenanpassungsformel beweist, dass das Gegenteil richtig ist. Der Mindestlohn nützt den Menschen, und zwar allen: den Unternehmen, die fair bezahlen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die einen Lohn erhalten, der dem wahren Wert ihrer Arbeit entspricht, und den Rentnerinnen und Rentnern, die sich über höhere Renten freuen können. Ich sage es gerne noch einmal: Anständige und faire Löhne - das heißt heute eindeutig höhere Löhne - führen dazu, dass auch die Renten steigen und regelmäßig erneut steigen können. Mindestlöhne sind gut für die Renten, und zwar in zweierlei Hinsicht: Der Arbeitnehmer, der mehr verdient, zahlt mehr in die Rentenkasse und erwirbt für sich persönlich entsprechend höhere Rentenansprüche. Nehmen wir zum Beispiel einen Wachmann, für den sich bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro inklusive einer RiesterRente eine Altersversorgung von rund 1 000 Euro ergäbe. Das ist deutlich mehr, als die Wachleute bekommen, die heute mit einem Minilohn von 5,20 Euro pro Stunde und als Rentner mit etwa einem Drittel weniger auskommen müssen als diejenigen, die sich auf einen gesetzlichen Mindestlohn verlassen können. Das bedeutet, dass die Gefahr, bedürftig zu sein - sei es während oder nach dem Arbeitsleben -, mit einem Mindestlohn zweifelsfrei abnimmt. Zusammenfassend lässt sich deshalb feststellen: Unsere Politik für mehr Arbeit und für Mindestlöhne ist ein wichtiger Beitrag dazu, dass immer mehr Menschen, auch die Rentnerinnen und Rentner, vom Aufschwung profitieren. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae vom Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Brandner, ich kann zwar verstehen, dass Sie der FDP keine große Flexibilität zutrauen, aber sie kann auch durchaus spontan sein. So hat sie das Thema dieser Aktuellen Stunde geändert. Es geht nicht mehr ausschließlich um die Rente, sondern um die Aussage der Kanzlerin „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an“. ({0}) Ich finde es im Übrigen interessant, dass dieses Thema von den Steuerexperten der FDP gesetzt wurde. ({1}) Ich hatte immer den Eindruck, dass für Sie eher das Motto gilt: Wenn jeder an sich selber denkt, dann ist auch an jeden gedacht. Jetzt haben Sie das Thema soziale Gerechtigkeit aufgebracht, und ich glaube, dass das ein ernstes Thema ist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. ({2}) Die Bundeskanzlerin begründet Ihre Aussage „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an“ mit den sinkenden Arbeitslosenzahlen. Diese sind, wie Sie wissen, zu weiten Teilen auch Ergebnis der Reformen, die die rot-grüne Bundesregierung durchgeführt hat. Solche Reformen wirken sich bekanntlich immer mit einer zeitlichen Verzögerung aus. Es ist zwar gut, dass die Arbeitslosenzahlen sinken, aber es gibt immer noch 3,5 Millionen Menschen ohne Arbeit. 10 Prozent der Jugendlichen jedes Jahrgangs erreichen keinen Schulabschluss. 350 000 Menschen unter 25 Jahren haben keine berufliche Perspektive. Wir haben zudem das skandalöse Problem, dass 2,5 Millionen Kinder in Armut leben. Angesichts dieser Tatsachen müssen wir uns fragen, welche Maßnahmen geeignet sind, diesen Menschen zu helfen, damit sie an dem von Ihnen angesprochenen Aufschwung teilhaben können. ({3}) Was sind Ihre Lösungen? Sie bezeichnen die Senkung der Lohnnebenkosten als eine effiziente Maßnahme. Wir meinen, dass Sie die Lohnnebenkosten nicht effizient gesenkt haben. Wenn Sie die Lohnnebenkosten senken wollen, dann sollten Sie das von uns vorgeschlagene Progressivmodell anwenden. Senken Sie die Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich! Denn das ist unser Problem. Die Jobs in diesem Einkommensbereich sind zu teuer. Mit der Senkung der Lohnnebenkosten in diesem Bereich wird es nicht nur für Arbeitgeber interessanter, Jobs in diesem Bereich anzubieten, sondern es wird vor allem auch für Arbeitnehmer interessanter, diese Jobs anzunehmen, weil für sie mehr übrig bleibt. Deswegen müssen Sie sich bei der Senkung der Lohnnebenkosten diesem Ansatz öffnen. Senken Sie die Lohnnebenkosten im unteren Einkommensbereich! Dann bleibt für die Menschen mehr übrig. ({4}) Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Inflation die Steigerung der Löhne und die Rentenanpassung aufgefressen hat. Echte Verlierer sind die Hartz-IVEmpfänger; denn die Anpassung des Arbeitslosengelds II steht noch aus. Nehmen Sie als Beispiel die Energiekosten. Die steigenden Energiepreise stellen ein riesengroßes Problem dar. Gleichzeitig steigen die Gewinne der Energieversorgungsunternehmen. Deswegen müssen Sie sich mit dem Wettbewerb auf den Energiemärkten befassen. Wenn Sie aber wollen, dass die ALG-II-Empfänger faktisch keine Verlierer sind, dann müssen Sie die Regelsätze an die gestiegenen Kosten anpassen. Das muss Ihre Antwort sein, wenn Sie wollen, dass der Aufschwung bei allen Menschen ankommt. ({5}) Wir müssen aber nicht nur die Bekämpfung der Armut, sondern auch die Schaffung von Arbeitsplätzen thematisieren. Einer der Punkte, in denen wir Ihnen Versagen vorwerfen, ist der Fachkräftemangel. Wir haben das Problem 100 000 nicht besetzter Stellen. Aber Sie weigern sich, die Einkommensschwelle für ausländische Zuwanderer zu senken. Nach wie vor müssen ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein jährli14862 ches Einkommen in Höhe von 85 000 Euro nachweisen, wenn sie zu uns kommen wollen. Diese Einkommensschwelle ist zu hoch. So werden wir die notwendige qualifizierte Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt nicht ermöglichen. ({6}) Wenn Sie dort ideologische Vorbehalte haben, dann befassen Sie sich wenigstens mit den Hochschulen. Die Union führt in einem Land nach dem anderen Studiengebühren ein. Die Rückmeldegebühren, Studiengebühren und andere anfallende Kosten betragen in Niedersachsen 750 Euro pro Semester. Was ist das Ergebnis? Erstens. Zunehmend weniger junge Leute studieren. ({7}) Zweitens. Es betrifft vor allem junge Menschen, deren Eltern wenig Geld haben und die es sich nicht leisten können. Was sagt Frau Schavan? Wenn sie könnte, würde sie überall Studiengebühren einführen. Prima! Ich sage Ihnen: Der Fachkräftemangel von heute ist nichts im Vergleich zu dem von morgen. Sie müssen in der Bildungspolitik umsteuern. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Andreae, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Wenn Sie tatsächlich wollen, dass der Aufschwung bei allen Menschen ankommt, dann betreiben Sie eine zielgerichtete Bildungspolitik und eine Politik zugunsten der Bezieher niedriger Einkommen. Passen Sie die Regelsätze beim ALG II an! Dann haben Sie vielleicht die Chance, dass der Aufschwung nicht nur bei einem Teil der Bevölkerung, sondern bei allen ankommt. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Max Straubinger von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat recht: Der Aufschwung kommt bei den Menschen an. Vor allen Dingen sollten die Kolleginnen und Kollegen von der FDP das endlich registrieren. Wir werden Ihnen in dieser Aktuellen Stunde Nachhilfeunterricht geben und die Fakten ins Gedächtnis rufen. Man kann auch der deutschen Öffentlichkeit nicht oft genug klarmachen: 2006 betrug das Wirtschaftswachstum knapp 3 Prozent. 2007 betrug das Wirtschaftswachstum ebenfalls knapp 3 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen ist mittlerweile um 1,5 Millionen zurückgegangen. 2007 ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die der sozialen Unterstützung in unserem Land bedürfen, im Vergleich zu 2006 dank der Politik dieser Bundesregierung um über 150 000 gesunken. Das sind die Erfolge dieser Bundesregierung. ({0}) Das zeigt, dass der Aufschwung bei den Menschen ankommt; denn wenn 150 000 Bedarfsgemeinschaften weniger zu verzeichnen sind, dann bedeutet das neue Zukunftschancen und Zukunftsperspektiven für mindestens 150 000 Menschen. ({1}) Sie müssen nicht mehr durch den Sozialstaat unterstützt werden, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und dementsprechend für die Zukunft vorsorgen können. ({2}) Es ist ebenfalls bemerkenswert - Kollege Brauksiepe hat bereits darauf hingewiesen -: Ausweislich der volkswirtschaftlichen Bilanz 2007 haben die Sozialversicherungsträger sowie Bund, Länder und Gemeinden erstmals seit langem einen Überschuss zu verzeichnen. Wenn die Kolleginnen und Kollegen der FDP sagen, der Nutznießer sei der Staat, dann frage ich die Kolleginnen und Kollegen der FDP: Wer ist denn der Staat? Der Staat sind doch wir alle, der Staat sind die Bürger in unserem Land. Letztendlich ist es doch entscheidend, dass wir mit einer Politik des Wachstums ausgeglichene Ergebnisse erreichen. ({3}) Darüber sollten wir uns freuen. Wir sollten diese Leistung loben und nicht in Misskredit bringen, wie es die FDP versucht. ({4}) Die FDP hat vieles kleingeredet, auch die schmerzlichen und schwierigen Entscheidungen, die die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen zum Beispiel in puncto Mehrwertsteuererhöhung herbeigeführt haben. Die Arbeitsplätze gingen verloren, hat die FDP sehr frühzeitig kundgetan. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wirtschaft werde stagnieren, und es werde keinen Aufschwung geben. Das Gegenteil ist der Fall. ({5}) Unsere Rezepte, gepaart mit Reformen in unseren sozialen Sicherungssystemen und am Arbeitsmarkt - ich erinnere an das Fordern und Fördern und das Umsetzen der Hartz-IV-Gesetze -, haben letztendlich den Erfolg gebracht, und sie sorgen für Zukunftschancen für die Menschen in unserem Land. ({6}) Wir können uns auch darüber freuen, dass wir entgegen der Politik, die seinerzeit Rot-Grün betrieben hat, ({7}) zum Beispiel in der Gesundheitspolitik jetzt ein Ende der Verschuldung der Krankenkassen erreichen. Das ist ein gemeinsamer Erfolg. Ich glaube auch, dass es wirklich bemerkenswert ist, dass wir jetzt mehr Rücklagen in der Rentenkasse und damit mehr Nachhaltigkeit haben. Noch 2005 hat der Bundesfinanzminister die Zahlung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung vorziehen müssen, um die Rentenzahlungen sicherzustellen. Das ist der Erfolg dieser Bundesregierung innerhalb von zwei Jahren. Das hätte uns niemand zugetraut. Darüber sollten wir uns freuen. ({8}) Dieser Aufschwung ist im ganzen Land angekommen. Die Kollegin Maria Michalk hat mich vorhin darauf hingewiesen, in der Stadt Bautzen seien im vergangenen Jahr 1 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Das zeigt, dass der Aufschwung nicht nur in boomenden Wirtschaftsregionen des Westens festzustellen ist, sondern auch im Osten, und es zeigt, der Aufschwung kommt bei den Menschen an. Zusätzlich haben wir die Senkung der Lohnnebenkosten erreicht. Am 31. Dezember 2006 hatten wir noch einen Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 Prozent. Mittlerweile beträgt der Arbeitslosenversicherungsbeitrag nur noch 3,3 Prozent. Das ist eine Entlastung der Unternehmen und trägt zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei. Das bedeutet aber vor allen Dingen eine Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land in einem Umfang von fast 25 Milliarden Euro. Das heißt, dass der Aufschwung beim Bürger ankommt. ({9}) Ich sage aber auch: Wir sind noch nicht am Ende unserer Reformpolitik.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Aber am Ende Ihrer Redezeit, Herr Straubinger. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein Satz noch, Herr Präsident. Das bedeutet, dass wir auch die Leistungsträger in unserem Land entlasten müssen. Dafür stehen wir. ({0}) Ich sage auch ganz offen: Lohnpolitik kann keine Sozialpolitik ersetzen. Wir werden uns damit sicherlich noch auseinandersetzen müssen. Entlastung für die Leistungsträger ist angesagt, um den Aufschwung zusätzlich zu stärken und die Arbeitsplätze zu sichern. ({1}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Herr Präsident, danke für die Geduld. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den Reden von etwa der Hälfte der Redner, die hier ans Pult getreten sind, kann man festhalten: Diese Aktuelle Stunde war und ist bitter nötig. ({0}) Es kann und darf nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben, dass die Regierung eine Entwicklung schönzeichnet, die sich aus Sicht der weit überwiegenden Mehrheit der Bürger vollkommen anders darstellt. ({1}) Weil Sie uns gleich wieder vorwerfen werden, wir würden alles miesreden, schauen wir uns doch einmal an, was uns die Bundesregierung auf folgende Frage in der Kleinen Anfrage der FDP-Fraktion geantwortet hat: „Bei wie vielen Menschen ist nach Ansicht der Bundesregierung der Aufschwung angekommen, und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?“ Ich will vorausschicken: In unserem Lande leben etwa 80 Millionen Menschen. Die Bundesregierung antwortet: „Bei über 900 000 Menschen ist der Aufschwung seit 2005 direkt in der Form einer Beschäftigung angekommen.“ Dazu will ich sagen: Wir freuen uns über jeden Einzelnen, der eine neue Beschäftigung gefunden hat, nachdem er zuvor in Arbeitslosigkeit gewesen ist. ({2}) Aber das ist nur etwa 1 Prozent der Bevölkerung. Weiter wird in der Antwort auf diese Frage darauf hingewiesen, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgesenkt worden seien. ({3}) - Herr Kollege Brauksiepe, wir waren gegen den Plan der Koalition, weil wir weitergehende Senkungsspielräume gesehen haben, weil wir das, was die Bundesregierung getan hat, für nicht ausreichend gehalten haben. ({4}) Ich finde es schon ziemlich dreist, dass die Bundesregierung in der Antwort auf diese Kleine Anfrage die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge isoliert anführt und gleichzeitig verschweigt, dass die Rentenversicherungs- und Krankenversicherungsbeiträge erhöht worden sind und der Pflegeversicherungsbeitrag erhöht werden wird. So etwas schreibt vielleicht die Propagandaabteilung des Konrad-Adenauer-Hauses oder des Willy-Brandt-Hauses, aber doch nicht die Bundesregierung. ({5}) Als dritte Position wird angeführt: „Über die Konsolidierung der Haushalte profitieren zudem auch nachkommende Generationen von wirtschaftlichem Wachstum …“ ({6}) Wir finden es sehr gut, wenn die Verschuldung des Staates auf null reduziert wird. Aber wenn man wie Sie, Herr Kollege Brauksiepe, sagt, dass wir im letzten Jahr eine Neuverschuldung hatten, dann muss man sich auch fragen lassen, warum man für 2008 noch einmal eine Neuverschuldung von 12 Milliarden Euro einplant, wo dieses Ziel so sehr unterstrichen wird. ({7}) Die FDP hat in den Haushaltsberatungen des Deutschen Bundestages ein Sparbuch mit über 400 Vorschlägen eingebracht, nach denen es möglich gewesen wäre, auch 2008 einen ausgeglichenen Haushalt zu fahren. Das ist doch der richtige Weg. Also: Wenn schon, dann richtig, und nicht so halbherzig, wie es die Koalition vorgemacht hat. ({8}) Nein, der Aufschwung kommt nicht bei den Bürgern, bei den Menschen in diesem Land an, sondern er kommt im Staatssäckel an. Das möchte ich deutlich betonen. In den drei Jahren von 2005 bis 2007 - ich rechne das Jahr 2005 mit dazu - sind die Einnahmen des Staates - alle Ebenen - insgesamt um rund 110 Milliarden Euro gestiegen. Die Bruttomehreinnahmen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Lande lagen bei 40 Milliarden Euro. Netto verblieben sind 16 Milliarden Euro. Das ist ein Verhältnis von 110 : 16. Im Verhältnis 1 : 6 profitieren die Menschen bzw. profitiert der Staat vom Aufschwung. Das ist die Realität. Nicht der Bürger, sondern der Staat profitiert überproportional vom Aufschwung und vom steigenden Einkommen der Bürger. Diese Tatsache treibt uns als FDP sehr wohl um. ({9}) Hier ist auch gesagt worden, wir müssten bessere Voraussetzungen für höhere Löhne schaffen; dann werde alles besser. Da warne ich Neugierige. Da ist die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage auch in diesem Zusammenhang sehr bezeichnend. Unter Ziffer 6 ist nämlich in einer Tabelle aufgeführt, wie hoch die Grenzsteuerbelastung der Menschen in diesem Lande ist. Diese Zahlen empfehle ich einmal zur Lektüre. Das Paradoxe ist, dass diejenigen, die einen niedrigen Grenzsteuersatz haben, in der Regel aber noch unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen, bei Lohnerhöhungen zusätzlich mit den Sozialversicherungsbeiträgen beaufschlagt werden. Sie haben damit prozentual in der Summe sogar noch höhere Abgaben als diejenigen, die über der Beitragsbemessungsgrenze liegen, einen Grenzsteuersatz von 45 Prozent Lohn- bzw. Einkommensteuer plus Solidaritätszuschlag plus Kirchensteuer haben und auch schon mehr als die Hälfte einer Bruttolohnerhöhung an den Staat abführen müssen. Das ist nicht zielführend. Sie lächeln den Menschen ins Gesicht und sagen Ihnen, wir wollen, dass ihr höhere Löhne bekommt, aber insgeheim steckt die Hand schon in der Hose und im Portemonnaie der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Das ist eine unlautere Politik, die Sie betreiben. ({10}) Zum Thema Mindestlohn und zum Thema Rentner: Es ist wohlfeil, zu sagen: Wenn nur die Löhne hoch genug sind, dann werden auch die Rentner profitieren. Ich sage: Höhere Löhne sind dann gut, wenn sie durch einen Produktivitätszuwachs gedeckt sind. Höhere Löhne, die gesetzlich verordnet werden, aber nicht durch einen Produktivitätszuwachs gedeckt sind, führen zu einem Arbeitsplatzverlust und werden sich am Ende nicht in höheren, sondern in niedrigeren Renten auswirken. Das ist die Wahrheit, die hier auch einmal ausgesprochen werden muss. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese bewusste Vernachlässigung von Wahrheit in der Antwort, die Sie uns auf die Kleine Anfrage gegeben haben, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Die Mehrheit der Menschen in diesem Land ist längst so weit, dass sie diese Aussage der Bundeskanzlerin durchschaut hat. Das ist auch gut so. Wir werden in Zukunft nicht nachlassen. Da, wo Sie versagen, wo Sie die Konjunktur nicht stützen, sondern mit Ihrer Politik prozyklisch dazu beitragen, dass Konjunktur abflacht, werden wir Sie nicht aus der Verantwortung entlassen. Wir werden Sie stellen und treiben. Dessen dürfen Sie sicher sein. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Grotthaus von der SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch beide Beiträge der FDP-Fraktion zieht sich ein roter Faden: Abbau notwendiger staatlicher Interventionsmöglichkeiten da, wo soziale Probleme in der Gesellschaft entstehen. ({0}) Arbeitnehmerinteressen werden von Ihnen nur ganz kurz beleuchtet. Gleich danach diskutieren Sie über die Senkung der Steuern derjenigen - Sie führen diese Diskussion permanent, seitdem ich hier im Deutschen Bundestag bin -, bei denen der Aufschwung tatsächlich viel stärker als bei den normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in dieser Gesellschaft angekommen ist. ({1}) Es ist gerade schon gesagt worden, wie sich die Vermögens- und Unternehmenseinkommen in den letzten zwei Jahren, projiziert auf das Jahr 2008, entwickelt haben: Sie sind um 19,6 Prozent gestiegen. Die Arbeitnehmerentgelte sind dagegen nur um 7,0 Prozent gestiegen. Wenn Sie richtig und fair diskutiert hätten, dann hätten Sie eigentlich sagen müssen: Ja, wir wissen, dass es in dieser Gesellschaft prekäre Arbeitsverhältnisse gibt; ja, wir wissen, dass es in dieser Gesellschaft nicht die Lohnzuwächse gibt, die die Schere zusammenführen, statt sie weiter auseinandergehen zu lassen. Sie hätten uns an Ihrer Seite, wenn Sie mit uns gemeinsam für einen Mindestlohn kämpften, und Sie hätten uns auch an Ihrer Seite, wenn Sie einmal etwas zu den Lohnzuwächsen in der Industrie gesagt hätten. Stattdessen fordern Sie Steuererleichterungen. Sie müssen doch genau in Erinnerung haben, wem diese Steuererleichterungen dienen. Eine vierköpfige Familie zahlt bei einem Einkommen von 35 000 bis 36 000 Euro einschließlich Kindergeld heute gar keine Steuern. Das heißt, dieser Familie stehen im Monat etwa 3 000 Euro zur Verfügung. ({2}) Dennoch fordern Sie hier Steuererleichterungen. Jetzt frage ich mich: Für wen wollen Sie diese Steuererleichterungen? Doch nicht für diejenigen, von denen Sie hier - zumindest am Rande - behaupten, dass der Aufschwung bei ihnen nicht angekommen ist. ({3}) Was Sie wollen, ist ein Abbau des Staates in Bezug auf Sozialleistungen. Im Ausschuss für Arbeit und Soziales haben wir heute Ihren Antrag behandelt. In diesem Antrag steht: Abbau von bestehenden Regelungen des Kündigungsschutzes; gesetzliche Mindestlöhne ablehnen; Verkürzung der Bezugszeiten für das Arbeitslosengeld nicht zurücknehmen. Außerdem steht dort: Ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Sätzen entwickeln. ({4}) An diesem Punkt sagen wir immer wieder: Mit uns nicht! Dies bedeutet nämlich den Abbau von staatlichen Lenkungsmöglichkeiten, und dies lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({5}) - Es ist gut so, dass wir so wenig zusammenkommen. Die Wählerinnen und Wähler haben unsere Haltung honoriert und nicht Ihre. Die Wählerinnen und Wähler wussten genau, warum sie das getan haben. ({6}) Damit Sie sich noch ein wenig echauffieren, will ich Ihnen jetzt sagen, wie sich die Anzahl der Erwerbstätigen in den zurückliegenden zwei Jahren, also zwischen 2005 und 2007, verändert hat - eigentlich wollte ich das nicht tun; aber es macht mir jetzt Spaß -: Es gab ein Plus von 900 000. ({7}) Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um 700 000 gestiegen. Die Anzahl der registrierten Arbeitslosen ist um 1,1 Millionen gesunken; das ist ein Minus von 22,3 Prozent. ({8}) Die Anzahl der Langzeitarbeitslosen ist um 200 000 gesunken. Das ist ein Minus von 17,3 Prozent. Jetzt sagen Sie wiederum: Der Aufschwung kommt nicht da an, wo er eigentlich hingehört. Ich sage Ihnen: Der Aufschwung muss sich in den Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wiederfinden. ({9}) Er darf sich nicht ausschließlich bei denjenigen wiederfinden, die in den letzten drei oder vier Jahren davon profitiert haben, dass sich das Kapital ohne Arbeit vermehrt hat. Wir sind uns über Folgendes im Klaren: Wenn man detailliert hinschaut, ist feststellbar, dass Menschen mit Vermittlungshemmnissen noch Probleme haben. ({10}) Deshalb sind auch gruppenspezifische Programme aufgelegt worden. Auffallend ist aber auch die Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Deswegen wiederhole ich: Es ist notwendig, das Mindestarbeitsbedingungsgesetz und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu novellieren. Sie reden davon, dass dieser Aufschwung sich in den Taschen aller Menschen wiederfinden sollte. ({11}) Deshalb hoffe ich, dass Sie noch in diesem Jahr an unserer Seite stehen und mit dafür sorgen werden, das Geld so umzuverteilen, dass die breite Masse profitiert und nicht immer Ihre Klientelpolitik betrieben wird. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Peter Weiß von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Vertreter der Oppositionsfraktionen scheinen sich nie in ihren Wahlkreisen blicken zu lassen. ({0}) Mir begegnen zu Hause Menschen, die endlich wieder Arbeit gefunden haben, die zu den über 1 Million Menschen gehören, die nicht mehr in Arbeitslosigkeit sind. Ich kenne Firmen, die Arbeitsplätze schaffen, wo junge Leute tolle neue Jobs finden. Gegenüber diesen Menschen und gegenüber diesen Firmen ist es unverantwortlich und unverschämt, den Aufschwung in der Art und Weise niederzureden, wie das hier passiert. ({1}) Vielleicht sollten Sie lieber nicht irgendwelche Magazine und Umfragen lesen, sondern sich einmal die konkrete Lohnabrechnung eines Arbeitnehmers vom Januar 2008 anschauen. ({2}) Für die Sozialversicherung wird darin nämlich weniger abgezogen als noch im Vorjahr, weil wir von der Großen Koalition es geschafft haben, binnen zweier Jahre den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 3,3 Prozent zu senken. ({3}) Das ist ein Entlastungsvolumen von insgesamt 25 Milliarden Euro. Das ist Aufschwung pur. ({4}) Über zwei Jahre lang ist im Plenum des Deutschen Bundestages von der Opposition bezweifelt worden, sogar mit Häme bezweifelt worden, ({5}) dass es die Große Koalition schaffen würde, die Sozialversicherungsbeiträge auf unter 40 Prozent zu senken. ({6}) Der Punkt ist: Wir von der Großen Koalition haben es geschafft und unser Versprechen eingelöst. ({7}) Vor über zwei Jahren, im Herbst 2005, hat die Deutsche Rentenversicherung zur Auszahlung der Renten einen Sonderkredit des Bundes gebraucht. Heute hat die Rentenversicherung in Deutschland wieder ein Plus. Sie kann die Renten sicher auszahlen und hat sogar noch eine Nachhaltigkeitsrücklage von 11,7 Milliarden Euro oder 0,74 Monatsausgaben aufgebaut. Die Rente ist heute sicherer als vor zwei Jahren. Auch das ist ein Ergebnis des Aufschwungs in unserem Land. ({8}) Klar ist aber auch: Es besteht überhaupt kein Anlass, jetzt die Hände in den Schoß zu legen. Eine konsequente Politik für mehr Wachstum und Beschäftigung ist der einzige Weg, damit die Bürgerinnen und Bürger auch für sich persönlich eine positive Zukunftsperspektive erkennen können. Es gibt meines Erachtens eine Gruppe von Menschen, die in ganz besonderer Weise eine Leistung für die Zukunft unseres Landes erbringt: die Familien mit Kindern. Deswegen ist es richtig, dass die Große Koalition die Leistungen für Familien verbessert hat; ich erwähne das Elterngeld und die Kinderbetreuung. Es ist auch richtig, dass wir den Familien, die durch Preissteigerungen in besonderer Weise belastet sind, mit einer Kindergelderhöhung helfen wollen, ihre Erziehungsleistung für die Zukunft unseres Landes besser zu erbringen. ({9}) Wenn die FDP nun beklagt, dass aufgrund der guten Konjunktur und der guten Beschäftigungslage die Steuereinnahmen steigen, was ja erfreulich ist, ({10}) dann ist das wirklich eine peinliche Klage. Wenn wir den erhöhten Handlungsspielraum des Staates dazu nutzen, gerade unseren Familien mit Kindern zusätzlich unter die Arme zu greifen, mehr in Bildung und Forschung, aber auch in Betreuung zu investieren, dann ist das eine gute Investition, eine Investition für den Aufschwung und nicht das Gegenteil. ({11}) Ich habe gedacht, es würden von der Opposition heute ein paar konkrete Vorschläge dazu kommen, was man über das hinaus, was die Große Koalition bereits getan hat, machen könnte, um den Aufschwung für die Bürgerinnen und Bürger spürbar zu machen. ({12}) Nur, davon war in dieser Debatte an keiner einzigen Stelle die Rede. ({13}) Schlechtreden war das einzige Motto der Rednerinnen und Redner der Opposition. Peter Weiß ({14}) Deswegen möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land sagen: ({15}) Diese Debatte hat erneut bewiesen: Für den Aufschwung, für mehr Wachstum und Beschäftigung stehen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Große Koalition. Von der Opposition, so wie sie sich heute aufgeführt hat, ist nichts zu erwarten. Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Gregor Amann von der SPD-Fraktion. ({0})

Gregor Amann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003731, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reden der Kollegen von FDP, Grünen und Linken zeigen: Es sind harte Zeiten für Oppositionspolitiker. ({0}) Deutschland befindet sich in dem stärksten Wirtschaftsaufschwung, den wir seit Jahren erleben. Da ist es selbst für einen Oppositionspolitiker schwierig, noch ein Haar in der Suppe zu finden. Ihre Reden erinnern mich an eine Geschichte, die ich hier gerne erzählen möchte: Ein Junge geht im Winter Schlittschuh fahren. Seine Mutter hat ihn mit einem warmen Anorak, mit einer Wollmütze, Handschuhen und einem festen Schuhwerk ausgestattet. Während er auf dem zugefrorenen See Schlittschuh fährt, bricht er plötzlich ins Eis ein und fällt ins Wasser. Zum Glück ist ein Spaziergänger in der Nähe, der heraneilt, ihn aus dem Wasser zieht, ihn rettet, ihn klatschnass zur Mutter zurückbringt und ihn mit den Worten übergibt: „Ihr Junge hat viel Glück gehabt. Wenn ich nicht in der Nähe gewesen wäre, dann wäre er jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben.“ Was ist die Reaktion der Mutter? Sie sagt: „Und wo ist die Wollmütze, die ich ihm heute Morgen mitgegeben habe?“ ({1}) Ihre Reden von heute kann man in dem einen Satz zusammenfassen: Wo ist die Wollmütze? ({2}) Ja, wir leben in Deutschland nicht im Paradies. Es gibt Probleme und Sorgen, die wir ernst nehmen müssen und um die wir uns kümmern müssen. ({3}) Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich. Das liegt auf der einen Seite daran, dass immer noch zu viele Menschen zu Niedriglöhnen arbeiten müssen. ({4}) Deswegen treten wir Sozialdemokraten auch für Mindestlöhne ein. Es liegt auf der anderen Seite daran, dass die Spitzenverdiener immer mehr verdienen. Außerdem gibt es zu viele Kinder, die in Armut leben. Schließlich müssen wir uns mit steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen beschäftigen. Auch bei der sozialen Durchlässigkeit unserer Bildungssysteme stehen wir im internationalen Vergleich schlecht da. Realität ist aber auch, dass wir im Jahre 2006 ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 2,9 Prozent, im Jahre 2007 in Höhe von 2,7 Prozent hatten. Dieses Jahr wird es, so wird vorausgesagt, um die 2 Prozent liegen, und das trotz des teuren Euro und der Bankenkrise in den USA. Die deutsche Wirtschaft ist im vergangenen Jahr wieder Exportweltmeister geworden. Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf über 40 Millionen gestiegen. Das ist ein historischer Rekord. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - das ist ganz wichtig - erreicht inzwischen fast die 27-Millionen-Marke. Auch das ist ein Rekord. Die Arbeitslosenzahl ist auf etwa 3,4 Millionen zurückgegangen. Das sind immer noch zu viele Arbeitslose, aber es ist der stärkste Rückgang in einem Jahr in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zum ersten Mal seit 30 Jahren - Herr Brauksiepe hat schon darauf hingewiesen - ist die Arbeitslosigkeit stärker gesunken, als sie im Abschwung zuvor gestiegen war. ({5}) Anders als in der Vergangenheit kommt die wirtschaftliche Dynamik nun zunehmend auch den Menschen zugute, die mit besonderen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert sind: den Älteren, den Langzeitarbeitslosen und den Geringqualifizierten. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist von 2005 auf 2007 um 17 Prozent zurückgegangen. Die Erwerbsquote der über 54-Jährigen ist im selben Zeitraum um 6,5 Prozent angestiegen. Die Zahl der Ausbildungsplätze nimmt zu; dadurch geht der Bewerberüberhang bei den Berufsausbildungsstellen zurück. Die solide Finanzpolitik dieser Koalition hat ermöglicht, dass jetzt zum ersten Mal ein ausgeglichener Bundeshaushalt in erreichbare Nähe gerückt ist. ({6}) Aber angesichts dieser Erfolge, Herr Kollege, höre ich von der Opposition immer nur: Wo ist die Wollmütze? ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Peter Rauen von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle hier im Hause, von der linken Seite bis zur rechten Seite, sind dafür verantwortlich, dass der Aufschwung bei den Menschen ankommt. ({0}) Deshalb stehen wir auch in der Verantwortung, eine Politik zu machen, die zu mehr Wachstum führt, und zwar zu einem Wachstum, das Arbeitsplätze sichert und Arbeitsplätze schafft. Über die Methoden können wir streiten. Aber dass wir glaubwürdig bleiben und dass man uns abnimmt, das Beste zu wollen, hängt davon ab, wie ernsthaft wir hier diskutieren und wie wir miteinander umgehen. Ich habe eine Bitte an die FDP: Stellen Sie sich einmal vor - ich hoffe, Ihre Vorstellungskraft reicht dazu aus -, Sie wären so, wie Sie jetzt hier sitzen, 2005 in die Regierungsverantwortung gekommen. ({1}) - Ich glaube, das sollte man schon ertragen. Denn es ist schon wichtig, darüber nachzudenken, was uns die Menschen zutrauen können. Sie können uns zutrauen, dass wir ein paar volkswirtschaftliche Daten beleuchten, die sich unter der Regierung von SPD und CDU/CSU in der Tat erstaunlich gut entwickelt haben. Wir hatten beim Bruttoinlandsprodukt in den letzten zwei Jahren, also 2006 und 2007, einen Zuwachs von 179 Milliarden Euro zu verzeichnen. In den vier Jahren vorher, also von 2001 bis 2005, betrug dieser Zuwachs lediglich 131 Milliarden Euro. Das heißt, wir hatten in den letzten zwei Jahren ein Drittel mehr Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt als in den vier Jahren vorher. Ein Zweites. Die Bruttolöhne sind in den letzten zwei Jahren um 43 Milliarden Euro gestiegen. Herr Kolb, ich glaube, Sie sprachen eben von 42 Milliarden Euro. 43 Milliarden Euro ist die exakte Zahl. In den vier Jahren vorher sind die Bruttolöhne um ganze 24 Milliarden Euro gestiegen. ({2}) - Darauf will ich hinaus; ich komme gleich noch darauf. - Was mich selbst erschreckt hat, war Folgendes: Die Bruttolohnsteigerung von 43 Milliarden Euro bedeutete eine Nettosteigerung von nur 17 Milliarden Euro. In den vier Jahren vorher erwuchsen aus der Bruttosteigerung von 24 Milliarden Euro auch nur 12,7 Milliarden Euro netto, obwohl wir 2004 und 2005 eine Reduzierung des Grundfreibetrages und 2005 eine Absenkung des Eingangssteuersatzes hatten. Über dieses Thema sollten wir nachdenken; ich komme gleich noch einmal darauf zurück. Von 2001 bis 2005 lag der Finanzierungssaldo des Gesamtstaates - Herr Dr. Wissing, ich gehe jetzt nicht nur auf den Bund ein, sondern auf Bund, Länder, Gemeinden und die sozialen Kassen - im Schnitt mit 76 Milliarden Euro jährlich im Defizit. In den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005 haben wir jeweils die Maastricht-Kriterien gerissen. 2006 haben wir sie endlich einmal wieder eingehalten; 2007 stand da eine schwarze Null. ({3}) Herr Kolb, um das klarzustellen: Der Kollege Brauksiepe hat von der Null im Zusammenhang mit dem gesamtstaatlichen Finanzierungssaldo gesprochen; er hat sich nicht nur auf den Bund bezogen. Diese schwarze Null ist im Prinzip hervorragend, wenn man bedenkt, dass die Länder, die Gemeinden und vor allem die sozialen Kassen ein Plus zu verzeichnen haben, was eigentlich die Voraussetzung dafür ist, dass man hoffen kann, dass durch mehr Beschäftigung und Beitragssenkungen bei den Menschen netto mehr ankommt. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - das ist aus meiner Sicht das Maß aller Dinge; die Leute zahlen Steuern und Beiträge, um unseren Staat zu finanzieren - hat sich in den letzten zwei Jahren, also 2006 und 2007, um 600 000 erhöht, während sie in den vier Jahren vorher um 1,655 Millionen zurückgegangen war. Das heißt, hier ist es zu einer Trendwende gekommen, die hoffen lässt, dass bei anhaltend guter Konjunktur - dazu müssen wir natürlich Vernünftiges beitragen auch weiterhin der Zuwachs bei den Menschen ankommt. Ich möchte eines sagen, weil mich das persönlich bewegt. Ich spreche jetzt nicht von den Arbeitern in Deutschland, deren Einkommen am unteren Rand liegen, sondern von den Facharbeitern, von denen, die 14, 15, 16, 17, 18 Euro Stundenlohn haben, im Prinzip die Leistungsträger unserer Gesellschaft. Da stelle ich mir schon die Frage: Wie kann es sein, dass bei einem Bruttolohnzuwachs von 43 Milliarden Euro nur 17 Milliarden Euro bei den Menschen ankommen? ({4}) Darüber sollten wir uns unterhalten, CDU/CSU, SPD, FDP und auch mit den Linken. Wir reden seit Jahren darüber, dass es beim Steuertarif einen Inflationsausgleich geben muss. Wir reden seit Jahren darüber, dass es einen Tarif auf „Rädern“ geben muss. Ich habe das noch einmal genau nachgeschaut. Dass nur 17 Milliarden Euro bei den Menschen ankommen, hat mit der kalten Progression zu tun, also mit Geldern, die eigentlich nicht dem Staat gehören, sondern den Menschen. Wir sollten endlich, und zwar möglichst bald, gemeinsam einen Steuertarif mit dem Ziel machen, ({5}) dass netto mehr bei den Menschen ankommt. ({6}) - Wir verweigern uns überhaupt nicht. Darüber wird hier seit Jahren geredet. Wir sollten darüber wirklich einmal nachdenken. ({7}) - Jetzt lasst doch einfach mal die Schreierei sein! Wir werden doch wohl darüber reden können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Rauen, wir sind in der Aktuellen Stunde, und Ihre Zeit ist schon seit Längerem abgelaufen.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, vielen Dank für den Hinweis. Meine Bitte ist, gemeinsam zu überlegen, wie wir es erreichen können, dass netto mehr bei den arbeitenden Menschen, bei den Leistungsträgern ankommt. Schönen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Andreas Steppuhn von der SPD-Fraktion.

Andreas Steppuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003850, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich das Thema der Aktuellen Stunde gesehen habe, habe ich mich gefragt, warum die FDP eine Aktuelle Stunde mit einem solchen Thema beantragt hat. ({0}) - Ich habe meine eigene Erklärung. - Es gibt für mich nur die Erklärung, dass in Hamburg demnächst Wahlen sind und die FDP ihr Wahlergebnis besser gestalten will. So braucht man also noch ein paar Stimmen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Eigentlich hätte ich erwartet, dass Herr Haustein uns etwas über den Aufschwung in Sachen Räuchermännchen aus dem Erzgebirge erzählt. ({1}) Bei dieser Gelegenheit hätte er sicher davon gesprochen, dass der Aufschwung seine Ursache in niedrigen Löhnen hat. Wenn Sie es ernst damit meinen, dass alle in Deutschland vom Aufschwung profitieren sollen, dann müssten Sie aber eigentlich höhere Löhne fordern ({2}) und für starke Gewerkschaften eintreten. ({3}) Aber all das tun Sie nicht. Deshalb finde ich die Beiträge, die Sie von der FDP hier abliefern, schon ein wenig unehrlich. ({4}) Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Ich war am Montagmorgen zu früher Stunde bei mir im Wahlkreis in einem Stahlwerk zu Besuch. Dort hat die IG Metall einen Warnstreik durchgeführt, um 8 Prozent höhere Löhne zu fordern. Die Beschäftigten haben dazu ein Transparent draußen aufgehängt, auf dem geschrieben stand, dass das Unternehmen am Standort Ilsenburg, das zur Salzgitter-Gruppe gehört, im Jahr 2007 einen Gewinn nach Steuern von 244 Millionen Euro eingefahren hat. Umgerechnet bedeutet dies, dass jeder der Beschäftigten 244 000 Euro Gewinn nach Steuern erwirtschaftet hat. Da frage ich mich schon, warum dieser Arbeitgeber nicht bereit ist, höhere Löhne zu zahlen. Auch die FDP müsste dieses Vorhaben begrüßen. ({5}) Meine Damen und Herren von der FDP, mir ist klar, dass die Situation bei Herrn Haustein im Erzgebirge mit Blick auf die Räuchermännchen vielleicht ein bisschen schwieriger ist als anderswo in der Republik. ({6}) Die Situation in Ostdeutschland ist so, dass nach wie vor die Löhne um durchschnittlich 30 Prozent niedriger sind als in Westdeutschland. Angesichts der Niedriglöhne, von denen man fast nicht leben kann, frage ich mich schon, warum dies nicht ein Ansatzpunkt für eine Diskussion ist. Herr Haustein, Sie müssen mir doch recht geben, dass die Tatsache, dass es in Ostdeutschland niedrige Löhne gibt, nichts mit der Produktivität der Unternehmen und der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu tun hat. Es gäbe in diesem Bereich durchaus Möglichkeiten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Aufschwung profitieren können. Die Gewerkschaften müssten im Rahmen der Tarifautonomie entsprechende Vereinbarungen mit den Arbeitgebern aushandeln. Wir Sozialdemokraten sagen: Die Zeit ist reif; der Aufschwung ist da. Es geht beschäftigungspolitisch in Deutschland voran. Meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben früher den Aufschwung immer folgendermaßen definiert: Wenn die Bilanzen und die Gewinne gut sind, dann ist der Aufschwung da. - Wir sehen es anders: Wenn es beschäftigungspolitisch in Deutschland vorangeht, dann ist der Aufschwung da. Dann ist auch die Zeit gekommen, höhere Löhne für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu vereinbaren. Ich hoffe, dass in diesem Jahr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland lohnpolitisch von der guten wirtschaftlichen Situation profitieren werden. Das Thema Mindestlohn ist schon angesprochen worden. Wenn wir es ernst meinen damit, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vom Aufschwung profitieren sollen, dann heißt das flächendeckende Mindestlöhne für alle in Deutschland. Ich weiß, unser Koalitionspartner tut sich da an der einen oder anderen Stelle immer noch etwas schwer. Aber wir werden das gemeinsam hinkriegen. Die Mindestlöhne werden mit einer, wie ich hoffe, großen parlamentarischen Mehrheit kommen. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Doris Barnett von der SPD-Fraktion das Wort.

Doris Barnett (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002621, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Aufschwung zu sorgen, ist und bleibt für uns eine ständige Herausforderung und Aufgabe, ebenso wie für Gerechtigkeit zu sorgen. Meine Herren von der FDP, schauen Sie einmal nach Rheinland-Pfalz: Für welchen Aufschwung haben wir dort ganz ohne FDP-Wirtschaftsminister gesorgt! ({0}) Dass gerade die FDP meint, sich derjenigen annehmen zu wollen, die der Aufschwung ihrer Meinung nach noch nicht erfasst hat, um so nahe bei den Menschen zu sein, überrascht schon etwas. Für diese Menschen haben Sie bisher doch weder Tarif- noch Mindestlöhne, sondern höchstens Marktlöhne im unteren Segment im Sinn und meinen, damit deren prekäre Lage in Wohlstand verwandeln zu können. Die FDP als Partei der kleinen Leute so kurz vor der Wahl; das glauben Sie doch selbst nicht. ({1}) Aufschwung findet dann statt, wenn die Rahmenbedingungen ringsherum stimmen, und zwar nicht nur hier in Deutschland. An diesen Bedingungen haben wir hart gearbeitet. Die Reformen greifen, und die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. ({2}) Die Arbeitslosigkeit ist von 10,6 Prozent im Jahr 2006 auf 8,2 Prozent im Jahr 2007 zurückgegangen. Über 1 Million Menschen sind nicht mehr auf staatliche Leistungen angewiesen und zahlen zum großen Teil in das System der sozialen Sicherung ein und stärken es. Damit war es möglich, die Lohnzusatzkosten von 41,4 auf 39,7 Prozent zu senken, obwohl bei der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung Kostensteigerungen zu verzeichnen waren, es dort aber keinesfalls zu Leistungskürzungen gekommen ist. Auch die Bruttolöhne haben zugelegt, wenn auch nicht in dem von uns erhofften Umfang. Nichtsdestotrotz hat das natürlich wieder zu Nachfragesteigerungen im Inland von 1,1 auf 1,4 Prozent von 2006 auf 2007 geführt. Am deutlichsten merkt die Gesellschaft, dass es einen Aufschwung gibt - das müsste auch die FDP merken -, ({3}) an den Steuereinnahmen, die nicht nur von den Arbeitnehmern kommen, sondern sogar von den Unternehmen - wenn auch nur in geringem Umfang - beigetragen werden. Im Januar 2008 lagen sie um 10,3 Prozent über denen vom Vorjahr. In der Tat, der maximale Grenzsteuersatz beträgt 45 Prozent. Aber haben Sie vergessen, dass er zu Ihrer Zeit 53 Prozent betragen hat? Unser Ziel war und ist, den Aufschwung für alle hinzubekommen. Das haben wir noch nicht ganz erreicht. Aber der Aufschwung für viele - das kann noch nicht einmal die FDP bestreiten - ist da. Damit geben wir uns aber nicht zufrieden. Im Gegenteil, jetzt gilt es erst recht, alles daranzusetzen, dass unser Konjunkturmotor trotz der internationalen Probleme weiter rund läuft. Dabei ist es durchaus sinnvoll, Steuergelder in die Hand zu nehmen, auch wenn die FDP so etwas, also Subventionen, nur in von ihr ausgewählten Fällen zugestehen würde. So haben wir uns im Unterausschuss „Regionale Wirtschaftspolitik“ gegen die Senkung der GA-Mittel ausgesprochen und dies auch durchgesetzt. Denn jetzt, da auch in bisher wirtschaftlich schwächeren Regionen unseres Landes Investitionen erfolgen, da Menschen mit innovativen Ideen Unternehmen gründen und Mitarbeiter einstellen, müssen wir weiter unterstützend wirken. Den Schwung, der im Land ist, dürfen wir nicht verlieren. Die Familien- und die Bildungspolitik sind dabei für uns Sozialdemokraten die Grundlage einer Wirtschaftspolitik, die auf einen Abbau der Arbeitslosigkeit und mehr Chancengerechtigkeit zielt. Das gelingt nicht über Nacht; das wissen wir selbst. Allerdings haben wir die Weichen richtig gestellt. Wir müssen und werden es durch frühzeitige und umfängliche Bildungsmaßnahmen schaffen, dauerhaft viel mehr Menschen an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben zu lassen, sie in Arbeit zu bringen. Teilhabe sehe ich nicht im Niedriglohnsektor, weil man sich sonst nach der Sinnhaftigkeit der Bildungsausgaben fragen könnte. Billiglöhne helfen weder beim Schuldenabbau noch lösen sie die Frage der Generationengerechtigkeit noch stärken sie die Konjunktur. Was wir brauchen, sind gut ausgebildete, hochproduktive und gut bezahlte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die am Wirtschaftsgeschehen teilhaben. Aber genauso brauchen wir anständig verdienende, motivierte und innovative Selbstständige und Unternehmer. Sie alle zusammen sind die Garantie für sozialen Zusammenhalt und bleibenden Aufschwung. Den Aufschwung robust zu halten, damit er bei möglichst allen ankommt, ist die Herausforderung, der wir uns stellen und die wir, so finde ich, bisher recht gut gemeistert haben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. Februar 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.