Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, und
wünsche uns eine erfolgreiche Sitzungswoche.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Erster Erfahrungsbericht
der Bundesregierung zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef
Jung. - Bitte, Herr Minister.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns
in der heutigen Kabinettssitzung mit dem Ersten Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Soldatinnen- und
Soldatengleichstellungsgesetz beschäftigt. Dieser Erfahrungsbericht wird dem Deutschen Bundestag in den
nächsten Tagen zugehen. Als Bundesregierung sind wir
verpflichtet, die Situation der Soldatinnen mit der der
Soldaten zu vergleichen und dem Parlament alle zwei
Jahre diesbezüglich zu berichten. Sie wissen, dass das
Gesetz 2005 in Kraft getreten ist und dass sich dieser
Bericht auf den Zeitraum 2005 bis 2006 bezieht. Das
heißt, bei diesem Bericht kann es sich nur um eine erste
Erfahrungseinschätzung handeln.
Ich will hier gegenüber dem Parlament sagen, dass
der zunehmende Anteil weiblicher Soldaten in der Bundeswehr zeigt, dass im Hinblick auf das innere Gefüge
unserer Streitkräfte die Fragen der Förderung und der
Verhinderung von Benachteiligungen von Bedeutung
sind. Die Dienstleistungen von Frauen in den Streitkräften sind seit 1975 schrittweise ausgedehnt worden. Zunächst waren es nur approbierte Ärztinnen und Apothekerinnen. Im Jahr 2001 wurde die Bundeswehr für
Frauen geöffnet - auf freiwilliger Basis. 1985 waren lediglich 0,04 Prozent aller Berufs- und Zeitsoldaten
Frauen. Im Jahr 2006 waren es schon 7 Prozent. Um das
in Zahlen auszudrücken: Mittlerweile sind über
15 000 Soldatinnen bei der Bundeswehr aktiv. Ich kann
nur sagen: Das ist ein Gewinn für die Streitkräfte. Überall, wo ich hinkomme, kann ich feststellen, dass das
Engagement unserer Soldatinnen - sei es im Auslandseinsatz, zum Beispiel in Afghanistan, auf den Fregatten
vor dem Horn von Afrika, sei es im Inlandseinsatz - einen besonderen Zugewinn für die Bundeswehr darstellt.
Ich glaube, dass diese Zahl und die Anzahl der Bewerberinnen zeigen, dass der Dienst attraktiv ist und wir
die Frage der Eignung und Befähigung ins Blickfeld rücken. Spezifische Probleme müssen aber deutlicher akzentuiert werden. Im Klartext heißt das: Im Rahmen der
Vorschrift „Innere Führung“ haben wir das Thema „Familie und Dienst“ stärker in den Blick genommen; denn
je mehr Soldatinnen in der Bundeswehr tätig sind, umso
häufiger steht dieses Thema auf der Tagesordnung. Dies
reicht bis zur Kinderbetreuung. All diese Themen sind in
diesem Zusammenhang von Bedeutung und werden verstärkt von uns behandelt.
Ich will aber auch auf andere Themen zu sprechen
kommen, über die teilweise kritisch diskutiert wird. Es
wurde die Frage gestellt, warum es bei den Dienstbezeichnungen keine weiblichen Formen gibt. Hierzu will
ich sagen: Es bleibt dabei, dass ein Hauptmann ein
Hauptmann und nicht eine Hauptfrau ist. Das entspricht
im Übrigen dem Wunsch unserer Soldatinnen und auch
dem Wunsch unserer militärischen Gleichstellungsbeauftragten. Das Gesetz hätte zwar eine andere Regelung
zugelassen, wir wollten diesbezüglich aber dem Wunsch
der Soldatinnen entsprechen.
Oft wird die Frage gestellt, wie sich die Situation im
Hinblick auf Beförderungen in höhere Dienstgrade darstellt. Hierzu will ich Folgendes sagen: Natürlich ist es
so - die Entwicklung begann mehr oder weniger erst im
Jahre 2001 und danach -, dass es einige Zeit dauert, bis
man Ergebnisse sieht. Aber wir haben mittlerweile eine
Generalärztin in Ulm, eine Pilotin, die Tornados fliegt,
und Frauen in anderen höheren Dienstgraden. Diese
Redetext
Entwicklung vollzieht sich erst. Ich habe es schon gesagt: Dies ist letztlich ein Gewinn für die Bundeswehr.
Für die Streitkräfte insgesamt haben wir einen Frauenanteil von 15 Prozent festgelegt. Beim Sanitätsdienst
soll die Quote 50 Prozent betragen. Wir wollen dieses
Gesetz weiterhin den Erfordernissen der Tagesaktualität
entsprechend umsetzen. Es gibt eine gute Zusammenarbeit mit der militärischen Gleichstellungsbeauftragten.
Das Thema „Familie und Dienst“, das ich schon angesprochen habe, umfasst natürlich auch Themen wie die
Teilzeitarbeit und Telearbeitsplätze und erstreckt sich bis
zu der Einrichtung von Familienbetreuungszentren. Hier
hat der Generalinspekteur Mitte letzten Jahres die „Teilkonzeption Vereinbarkeit von Familie und Dienst in den
Streitkräften“ erlassen. In ihr werden Handlungsfelder
zur Verbesserung aufgezeigt: Personalführung, Organisation des Dienstes, Führungskompetenz, Dienstzeit sowie finanzielle und sonstige Leistungen für Frauen.
Ich möchte einen letzten Gesichtspunkt ansprechen.
Einen besonderen Stellenwert hat die Kinderbetreuung.
Sie wissen, dass die Bundesregierung ein Programm
zum Ausbau der Kinderbetreuung aufgelegt hat. Wir
sind mit den kommunalen und kirchlichen Trägern vor
Ort im Gespräch, um unser Angebot zu erweitern und
damit auch diesen Kriterien innerhalb der Streitkräfte
Rechnung zu tragen.
Insgesamt würde ich mich freuen, wenn der Bericht
der Bundesregierung trotz seines durchaus erheblichen
Umfanges auf Ihr reges Interesse trifft und als ein Baustein dazu beiträgt, weiteres Engagement und Aufgeschlossenheit für die Belange der Streitkräfte zu wecken.
Ich denke, unsere Soldatinnen und Soldaten haben dies
verdient.
Besten Dank.
({0})
Herzlichen Dank, Herr Minister. - Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den
soeben berichtet wurde.
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Herr Minister Jung, recht herzlichen Dank für Ihren
Vortrag. Es hat ja schon im Vorfeld einige Berichterstattungen dazu gegeben. Unter anderem gibt es einen Bericht der ddp. Dazu würde ich gern eine Frage an Sie
richten, nämlich die, ob auch die Bundesregierung die
Position vertritt, dass es im Ernstfall Probleme und
Schwierigkeiten mit Soldatinnen gibt. Ich zitiere jetzt,
aus welchem Grund es zu Schwierigkeiten kommen soll.
In der ddp-Meldung steht:
Es stellte sich heraus, dass die Männer in der Gefahrenlage einen Beschützerinstinkt für die Kameradinnen entwickelten und mehr darauf achteten,
sie vor schlimmen Kriegsfolgen zu bewahren als
genau die Befehle zu befolgen. Aus diesem Grund
sei schon manche Einheit an den Rand der Kampfunfähigkeit geraten, ist in Militärberichten nachzulesen.
Vertreten auch Sie diese Position, und, wenn ja, welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Frau Abgeordnete, ich vertrete diese Position nicht.
Meine Erfahrungen sind völlig anders. Ich habe gerade
darauf hingewiesen: Immer wenn ich die Truppen im
Auslandseinsatz besuche - sei es am Horn von Afrika
auf unseren Fregatten, wo auch unsere Soldatinnen
engagiert sind, sei es in Afghanistan oder im Kosovo -,
kann ich eher das Gegenteil feststellen.
Ich will allerdings Folgendes sagen: Wir müssen den
kulturellen Situationen vor Ort ein Stück Rechnung tragen. Ich denke beispielsweise an Afghanistan. Dort stellt
sich die Frage, wo man Soldatinnen, wenn ein Kontakt
mit der Bevölkerung vorgesehen ist, einsetzen kann. Das
ist ein Punkt, den wir berücksichtigen.
Aber insgesamt unterstreiche ich noch einmal, dass
unsere Soldatinnen einen sehr positiven Beitrag zur Entwicklung unserer Streitkräfte leisten und ihren Auftrag
voll und ganz erfüllen, so wie ihn die Bundeswehr insgesamt für dieses Land zu leisten hat.
({0})
Die nächste Frage stellt erst einmal die Kollegin
Lenke.
Herr Minister, auch ich kenne das Papier des Generalinspekteurs, das jetzt ein Jahr alt ist und viele Ideen bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Dienst enthält. Aber aus der Sicht der Truppe kann ich Ihnen
sagen, dass die Realität sehr wenig mit dem Bericht zu
tun hat. In einiger Zeit soll nun schon wieder ein Bericht
vorgelegt werden, und es soll geprüft werden. Sie sollten
erst einmal dafür sorgen, dass in Ihrer Truppe Familie
und Dienst wirklich vereinbart werden können. Wir alle
wissen, dass Soldatenehepaare hier Schwierigkeiten haben.
Da Sie bei der Kinderbetreuung wieder nur auf die
Kommunen setzen, möchte ich Sie fragen, ob Sie bei
großen Kasernen Möglichkeiten sehen, eine Kinderbetreuung zu organisieren. Es kann schließlich sein, dass
beide Ehepartner ins Manöver ziehen müssen. Sie können es einem kommunalen Kindergarten - das ist ähnlich wie an einer Hochschule - nicht zumuten, die Kinderbetreuung auch für die Nacht zu organisieren.
In dem Bericht lese ich: „Man soll …“, „Man
kann …“, „Es muss überlegt werden …“ Ich frage Sie:
Wie wollen Sie die vielen guten Dinge, die in dem BeIna Lenke
richt stehen, in diesem oder auch im nächsten Jahr zumindest teilweise umsetzen?
Der Generalinspekteur hat die Teilkonzeption bewusst erlassen, damit dies in die Praxis umgesetzt wird.
Ich bin mit unserer militärischen Gleichstellungsbeauftragten diesbezüglich im Gespräch. Wir wissen, dass wir
auf unterschiedliche Herausforderungen Antworten finden müssen. Wenn es beispielsweise vor Ort Möglichkeiten gibt, kommunale Einrichtungen oder kirchliche
Träger zur Kinderbetreuung zu nutzen, dann ist es sinnvoll, diesen Weg zu gehen. Aber es gibt im Hinblick auf
die Bundeswehr spezifische Fragen, auf die wir eigene
Antworten finden müssen. Das gilt für viele Bereiche;
ich darf das Thema Teilzeitarbeitsplätze und Telearbeitsplätze ansprechen. Wir haben, um diesen Kriterien
Rechnung zu tragen, einen Prozess angestoßen, der sich
- das sage ich Ihnen ganz offen - erst noch entwickeln
muss.
Die nächste Frage stellt wiederum die Kollegin
Schewe-Gerigk. - Bitte.
Herr Minister Jung, ich freue mich über Ihre positive
Einstellung zu den Soldatinnen. Ich habe auch nichts anderes erwartet. Aber ich habe Sie nicht nach der Rolle
der Soldatinnen, sondern nach der Rolle der Soldaten gefragt, die, wie es in dem Bericht steht, aus dem ich zitiert
habe, statt ihre Befehle auszuführen, ihrem Beschützerinstinkt gegenüber den Soldatinnen nachkommen. Wäre
da nicht von Ihrer Seite eine Klarstellung notwendig, damit solche Sätze nicht mehr auftauchen?
Es gab in diesem Zusammenhang - das will ich hier
nicht verschweigen - durchaus Startschwierigkeiten. Sie
wissen, welche große öffentliche Diskussion teilweise
stattgefunden hat, als es darum ging, Frauen als Soldatinnen in der Bundeswehr zuzulassen; das will ich jetzt
nicht alles schildern. Aber ich muss Ihnen sagen: Die
Praxis und die Erfahrung sind völlig anders. Es gibt zwar
einzelne Dinge, zum Beispiel das, was Sie gerade angesprochen haben. Dies werden wir aber korrigieren.
Meine Einstellung ist folgende - ich will dies hier im
Parlament ganz offen sagen -: Das Verhalten der Männer
hat sich in verschiedenster Hinsicht zum Positiven gewendet, als die Frauen dazukamen. Auch das ist ein Gewinn für die Bundeswehr.
({0})
Die nächste Frage stellt die Kollegin Lenke.
Herr Minister, in diesem Bericht gibt es wie üblich
Zusammenfassungen und Schlussfolgerungen. Die letzten Sätze dieses Berichtes haben mich wirklich erstaunt;
als Verteidigungsminister segnen Sie diesen Bericht ja
ab.
Wir wissen, dass der Anteil der Frauen bei den Teilstreitkräften 15 Prozent und bei den Sanitätern 50 Prozent betragen soll. Das ist eine von der alten Regierung
festgesetzte Größe. Zum Thema Quoten lassen Sie
schreiben, Schätzungen, wann die Quoten erreicht würden, seien nur schwer möglich, da sich die Bewerbungsund Einstellungslage vor dem Hintergrund der politischen/sicherheitspolitischen Situation, der Arbeitsmarktlage und der demografischen Entwicklung verändern
könne. Dann heißt es hier noch: Selbst bei anhaltend guter Bewerbungslage würden die gesetzlichen Quoten
nicht erreicht.
Jetzt frage ich Sie: Welche Quoten wollen Sie erreichen? Diese Quote muss ja bei Teilstreitkräften unter
15 Prozent und bei den Sanitätern unter 50 Prozent betragen. Die Quote bei den Sanitätern ist kein großes Problem, aber bleiben wir bei der Truppe und damit bei den
Teilstreitkräften. Welchen Prozentsatz meinen Sie in Ihrer Zeit als Minister zu erreichen? Das Schlusswort dieses Berichtes erscheint mir sehr schlecht; denn es ist gerade für die Soldatinnen sehr demotivierend, die sich
von Ihnen mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Bundeswehr erwartet haben.
Zunächst einmal möchte ich noch einmal darauf hinweisen, Frau Kollegin, dass das genannte Gesetz 2005 in
Kraft getreten ist und dass dies nach einer relativ kurzen
Zeit ein erster Erfahrungsbericht ist. Dass wir dieses Ziel
erreichen wollen, ist klar; das ist vorgegeben. Es ist bisher noch nicht erreicht worden; das haben Sie hier gerade formuliert. Aber ich denke, wir kommen dorthin.
Ich habe den Eindruck - das will ich klar und deutlich
sagen -, dass im Hinblick auf Eignung, Leistung und Fähigkeit Voraussetzungen dafür gegeben sind, das zu erreichen. Wir haben übrigens bei der Bewerberlage
- wenn ich es richtig im Kopf habe - ein Verhältnis von
eins zu vier bei den Frauen und Männern, die zu uns
wollen. Von daher bin ich durchaus optimistisch, dass
wir diese Quote erreichen.
Ich schaue jetzt in die Runde. Mir sind bisher keine
weiteren Fragen zum Bericht des Ministers angezeigt
worden. - Es scheint auch jetzt keine zu geben.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Auch das ist nicht der Fall.
Herzlichen Dank, Herr Minister.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung und
unterbreche die Sitzung für zehn Minuten, bevor ich die
Fragestunde aufrufe, da die Kolleginnen und Kollegen,
die es betrifft, offensichtlich nicht damit gerechnet
Vizepräsidentin Petra Pau
haben, dass dieser umfängliche Bericht hier in so kurzer
Zeit behandelt werden kann.
({0})
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/7792, 16/7820 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/7820 auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung
der dringlichen Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin
Dr. Dagmar Enkelmann auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Feststellung des Statistischen Bundesamtes vom Montag,
dem 21. Januar 2008, dass im Jahr 2005 knapp 13 Prozent der
Bundesbürger von Armut bedroht gewesen seien und dieser
Anteil in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete Dr. Enkelmann, das Statistische
Bundesamt berichtet in seiner Pressemitteilung vom
21. Januar 2008 nicht, dass der Anteil der von Armut bedrohten Menschen in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.
Die amtlichen Daten zeigen, dass das statistische Risiko von Einkommensarmut von 2004 auf 2005 trotz der
wirtschaftlich angespannten Situation nur geringfügig
angestiegen ist, nämlich nur um rund 1 Prozentpunkt. In
der Pressemitteilung werden aktuelle Ergebnisse der Erhebung „Leben in Europa 2006“ vorgestellt. Die neue
Statistik wird mittlerweile in allen EU-Mitgliedstaaten
sowie in Norwegen und Island einheitlich erstellt und
liefert als einzige amtliche Quelle international vergleichbare Informationen zu Einkommensverteilung,
Armut und Lebensbedingungen in Europa. Ausschlaggebend für die Armutsrisikoquote sind die erfragten Vorjahreseinkommen aus 2005. Auf dieser Grundlage hat
das Statistische Bundesamt für Deutschland eine Armutsrisikoquote von genau 12,7 Prozent ermittelt. Damit
liegt Deutschland deutlich unter dem EU-25-Schnitt von
16 Prozent und gehört zu den Staaten mit geringem Armutsrisiko. Lediglich die skandinavischen Länder,
Tschechien und Slowenien schneiden noch besser ab.
Im Übrigen ist inzwischen bereits der Dritte Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung in Arbeit.
Dieser Bericht soll dem Kabinett im Frühjahr 2008 vorgelegt werden, da er nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages regelmäßig zur Mitte einer jeden Legislaturperiode vorzulegen ist. Daran schließt sich dann
die Behandlung im Parlament an. In diesem Bericht wird
ein umfassendes Bild der sozialen Lage in Deutschland
beschrieben, das sich nicht nur auf die Analyse relativer
Einkommensarmut beschränkt; vielmehr werden dort
weitere Teilhabeformen und die Lebenslagen ausgewählter Gruppen analysiert sowie die Maßnahmen der
Bundesregierung zur Stärkung von Teilhabe und sozialer
Integration beschrieben. Nur auf der Basis einer derart
umfassenden Betrachtung und Bewertung können entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden.
Frau Dr. Enkelmann, Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Eine kurze Vorbemerkung, Herr Staatssekretär: Ich
finde es schon erschreckend, dass Sie es offenkundig
nicht als Problem begreifen, wenn 13 Prozent der Menschen von Armut bedroht sind.
Ich komme zu meiner ersten Nachfrage: Inwieweit
könnte ein gesetzlich garantierter Mindestlohn zur Armutsvermeidung beitragen?
Ein Problem in diesem Land ist die Kinderarmut.
2,6 Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut;
das ist ein Skandal. Dazu meine zweite Nachfrage: Was
will die Bundesregierung tun, welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um Kinderarmut zu
vermeiden?
Das waren jetzt gleich beide möglichen Nachfragen. Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Dr. Enkelmann, eine Anmerkung zu Ihrer Vorbemerkung: Damit befassen wir uns schon. Das macht Sorgen. Wir gehen mit diesem Thema sehr sorgfältig um.
Dies hat bereits die Vorgängerregierung im Jahre 2003
mit der Einführung der Grundsicherung getan, und das
tut die jetzige Koalition dadurch, dass sie die Armutsund Reichtumsberichterstattung fortschreibt. Das ist im
Koalitionsvertrag so niedergelegt.
({0})
- Ich habe Ihnen gerade gesagt: Wir arbeiten daran.
Man kann sich dabei nicht einfach nur auf eine statistische Erhebung und Bewertung konzentrieren, sondern
wir müssen auch darüber sprechen, wie es mit den Teilhabechancen, der Bildung und der Arbeit aussieht. Im
Dritten Armuts- und Reichtumsbericht wird ein umfassendes Bild beschrieben. Das zeigt, dass die Bundesregierung auch bei diesem Thema an entsprechenden
Antworten arbeitet.
Sie wissen auch: Es ist völlig klar, dass das Einkommen im Alter ein Spiegelbild des Einkommens in der Erwerbsphase ist. Das heißt, wir müssen alles dafür tun,
dass es für die Menschen, die sich in der Erwerbsphase
befinden, Bildung und Arbeit zu fairen Bedingungen
gibt.
Deswegen hat diese Bundesregierung erstens einen
entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Dabei geht es
darum, wie wir beim Arbeitnehmer-Entsendegesetz mit
den Mindestlöhnen umgehen und anhand welcher Kriterien dieses Gebiet weiterentwickelt wird, sodass die Tarifvertragsparteien Mindestlöhne für die Menschen und
Branchen regeln können, die wollen, dass dieses Gesetz
Anwendung für sie findet.
Zweitens haben wir eine Reform für das Gesetz über
die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vorgelegt, um auch die Branchen zu erfassen - über einen
Ausschuss geregelt -, die nicht unter das Arbeiternehmer-Entsendegesetz fallen, um zu gewährleisten, dass
die Menschen fair und anständig entlohnt werden.
Drittens halten wir weiterhin daran fest, konkrete Impulse zu geben, damit Deutschland auf dem Wachstumspfad bleibt. Dies haben wir mit dem 25-Milliarden-EuroInvestitionsprogramm getan, was mit dazu beiträgt, dass
Arbeit und Beschäftigung in den verschiedenen Investitionsfeldern - Forschung und Entwicklung, Infrastruktur, CO2-Gebäudesanierung - entstehen. Das sind nur ein
paar kleine Punkte.
Viertens hat diese Regierung in den letzten sechs bis
sieben Monaten Programme für den Bereich des Arbeitsmarktes beschlossen, die gut bis zu 400 000 Menschen
betreffen, die es aufgrund ihrer persönlichen Situation
und besonderer Vermittlungshemmnisse besonders schwer
haben, Arbeit zu bekommen. Das sind die bis zu
100 000 Menschen, die im Rahmen des Kommunalkombi-Programms entlohnt werden, das sind die bis zu
100 000 Menschen, bei denen es große Vermittlungshemmnisse gibt, das sind die 100 000 Menschen, die
hinsichtlich der Ausbildung jetzt eine zweite Chance bekommen, das sind die 40 000 jungen Menschen, für die
wir zusätzliche Einstiegsqualifizierungsplätze entwickelt
haben, das sind die 23 000 Plätze für junge Menschen, bei
denen es hinsichtlich eines Ausbildungsplatzes schwere
Vermittlungshemmnisse gibt, das sind die 4 000 Menschen, die wir im Bereich der Behindertenpolitik fördern
- 500 Ausbildungsplätze, 1 000 Plätze für Menschen mit
besonderen Behinderungen und 2 500 Plätze für Integrationsfälle -, usw.
Ich habe diese Zahlen nur deshalb genannt, damit
deutlich wird, dass diese Bundesregierung sehr viel Wert
darauf legt, Beschäftigung zu organisieren und auch denen zu helfen, die besondere Schwierigkeiten haben,
damit sie in der Erwerbsphase Arbeit und ein gutes Einkommen haben. Das ist die beste Sicherung gegen Altersarmut.
({1})
- Dazu gehört auch der Bereich der Kinderarmut. Ich bin
Ihnen sehr dankbar, dass Sie auch daran noch einmal erinnern. Im Übrigen wird durch die Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamtes sehr deutlich, dass gerade die
Erwerbsfähigkeit und die Ausbildung ein ganz zentrales
Risikopotenzial bergen. Wenn man keine Arbeit und
keine Ausbildung hat, dann ist das Risiko, arm zu sein,
besonders hoch.
Ich habe gerade etwas zu den Ausbildungsplätzen
gesagt. Die Integration von Jugendlichen ist das eine.
Das andere ist, mit den besonderen Vermittlungs- und
Kinderbetreuungsaktivitäten der Bundesregierung, der
Schaffung von Ganztagsschulplätzen und der Schaffung
von Krippenplätzen dafür zu sorgen, dass Alleinerziehende Arbeit finden, sodass auch die Kinder dieser Eltern aus der Kinderarmut herauskommen.
Daneben arbeitet diese Bundesregierung an einem
Konzept, die bisher schon herbeigeführte Regelung,
nach der 140 000 Kinder sozusagen über ihre Eltern vom
Kinderzuschlag profitieren, auszuweiten. Außerdem
denken wir über einen Erwerbstätigenzuschuss nach.
Es ist sehr kompliziert - auch der Komplex Arbeitslosengeld II muss berücksichtigt werden -, dies jeweils
zu berechnen. Unsere Absicht ist es, über diesen Weg
- Kinderzuschlag und Erwerbstätigenzuschlag - die
Schwelle ins Arbeitslosengeld II für diese Menschen erheblich zu erhöhen, sodass die Kinder aus der Armut herauskommen.
({2})
Eine Nachfrage stellt nun die Kollegin Kornelia
Möller.
Danke. - Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir bitte
auch eine Vorbemerkung. Es ist, glaube ich, sehr fraglich, ob die von Ihnen benannten Kombilohnmodelle
wirklich dazu beitragen, dass den betroffenen Menschen
geholfen wird, oder ob sie nicht vielmehr den betreffenden Unternehmen nützen. Darüber können wir uns aber
gern noch einmal im Ausschuss unterhalten.
Zu meiner Frage: Sie haben bereits angemerkt, dass
Sie tätig werden wollen.
Wir wollen, dass niemand wegen der Kinder in die
Bedürftigkeit fällt.
Dann sagte sie weiter:
Deshalb werden wir den Kinderzuschlag erhöhen
und vereinfachen.
Ich möchte von Ihnen wissen, wann eine entsprechende
Gesetzesinitiative vorliegen wird.
Frau Präsidentin, ich enthalte mich jetzt einer Vorbemerkung, weil wir hier keine Debatte führen, sondern in
der Fragestunde sind. Ich versuche daher, mich auf die
Frage zu konzentrieren.
Ich habe gerade ausgeführt, dass wir daran arbeiten.
Sie wissen, dass mehrere Häuser, das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend und das
Finanzministerium, davon tangiert sind. Wir befinden
uns in einem Diskussionsprozess. Ich kann Ihnen hier
jetzt kein Datum nennen; aber wir arbeiten sehr zügig
daran, weil wir wissen, dass dies ein Thema ist, auf das
es zeitnah eine Antwort geben muss.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Lenke.
Herr Staatssekretär, es geht um den Kinderzuschlag.
Meine Frage: Was hat die Bundesregierung bisher gemacht, und was will sie angesichts der Tatsache machen,
dass nur 12 Prozent aller Antragsteller, die auf einen
Kinderzuschlag hoffen, diesen Zuschlag gezahlt bekommen, während 88 Prozent aller Antragsteller eine Ablehnung erhalten? Außerdem haben wir von der Bundesregierung erfahren, dass 18 Prozent der Gesamtkosten,
die der Kinderzuschlag ausmacht, Verwaltungs- und Bürokratiekosten sind. Was haben Sie gemacht, um beim
Kinderzuschlag die Bürokratiekosten zu senken, und
was haben Sie gemacht, um eine höhere Genehmigungsquote zu erreichen? - Das hat nichts mit der Entfristung
der Monate des Kinderzuschlags zu tun; nicht, dass Sie
auf meine Frage so antworten. Ich möchte von Ihnen
eine klare Antwort.
Frau Kollegin Lenke, Sie wissen, dass die Frage nach
dem Verhältnis von Antragstellern und Bewilligungen
dann, wenn eine Ablehnungsquote von 88 Prozent beschrieben wird, nicht unbedingt auf einen prinzipiellen
Misserfolg des Gesamtleistungspotenzials hinausläuft.
Es geht hier auch darum, mit welcher Erwartung Anträge gestellt werden und ob Anträge möglicherweise
auch dann gestellt werden, wenn von vornherein klar ist,
dass sie nicht positiv beschieden werden können. Ich
habe aber gerade bei Ihrer Vorfragerin ausgeführt, dass
genau diese Erfahrungen aus der Vergangenheit berücksichtigt werden müssen, wenn wir jetzt den Erwerbstätigen- und Kinderzuschuss weiterentwickeln, und zwar
auch hinsichtlich der Frage, wie sich dies so regeln lässt,
dass Erwartungen entsprochen werden kann, dass möglichst viele Kinder dabei erreicht werden und dass die
Menschen nicht in die Bedürftigkeit im Hinblick auf
Arbeitslosengeld II hineinfallen. Das gehört alles mit in
den Komplex hinein, nach dem Ihre Vorfragerin gerade
gefragt hat und zu dem ich gesagt habe, dass wir zeitnah
daran arbeiten und einen Abstimmungsprozess mit den
anderen Häusern zu organisieren versuchen, um hier
bald zu einer Lösung zu kommen.
Die letzte Nachfrage zu dieser ersten dringlichen
Frage stellt die Kollegin Hirsch. - Bitte.
Besten Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben gerade
ausgeführt, dass Sie zügig und zeitnah daran arbeiten.
Das Ganze stand als Vorhaben auch schon in der Koalitionsvereinbarung. Seither sind weit über zwei Jahre vergangen. Was ist damit?
Wir haben im November 2007 eine Kleine Anfrage an
die Bundesregierung gerichtet und zur Antwort bekommen, die Bundesregierung beabsichtige nicht, den Kinderzuschlag zu erhöhen. Wir sind da doch etwas verwirrt.
({0})
Erst will man es zeitnah und zügig machen, wie es schon
in der Koalitionsvereinbarung steht, dann plötzlich wieder überhaupt nicht. Anschließend kommt die Ankündigung der Kanzlerin. Was stimmt denn an dieser Stelle eigentlich?
({1})
So ist das eben mit der Fragerei und dem, was man hineininterpretiert.
({0})
Ich bitte darum, die Antwort des Staatssekretärs erst
einmal anzuhören.
Ich habe nicht von einer Erhöhung, sondern von einer
Ausweitung der bisherigen Regelung zum Kinderzuschlag gesprochen. Wir wollen den Kreis derjenigen, die
vom Kinderzuschlag profitieren - zurzeit wird er für ungefähr 140 000 Kinder gewährt -, erweitern. Ich habe
auch darauf hingewiesen, dass wir damit denjenigen helfen wollen, die sich hinsichtlich der Bedürftigkeit an der
Schwelle zum Arbeitslosengeld II befinden. Wir wollen
verhindern, dass sie diese Schwelle überschreiten.
An dieser schwierigen Konstruktion, bei der es auch
um die Anrechnung des Einkommens und die Klärung
der Bedürftigkeit geht, arbeiten wir zurzeit, und zwar zügig. Tun Sie mir deshalb den Gefallen, nichts in die bereits gegebenen klaren Antworten auf die Fragestellungen hineinzuinterpretieren. Von einer Erhöhung ist nicht
die Rede gewesen.
Damit kommen wir zur dringlichen Frage 2 der Abgeordneten Elke Reinke:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Feststellung des Statistischen Bundesamtes vom Montag,
dem 21. Januar 2008, dass Ältere - Menschen über 65 Jahre im früheren Bundesgebiet mit 14 Prozent überdurchschnittlich von Armut betroffen sind, sowie aus den jüngsten Warnungen der OECD vor einer Wiederkehr der Altersarmut für
ihre künftige Rentenpolitik?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort lautet wie folgt: Die Armutsrisikoquote der Älteren liegt auf Basis der amtlichen Erhebung EU-SILC von 2006 nicht unter dem Wert für die
Gesamtbevölkerung, sondern mit 13,1 Prozent in etwa
gleichauf. Ein Grund hierfür ist, dass in EU-SILC gegenwärtig selbstgenutztes Wohneigentum nicht als fiktives
Einkommen in die Berechnung miteinbezogen wird. Ältere Haushalte weisen eine höhere Eigentumsquote und
geringere Hypothekenbelastungen auf.
Wie sich aus anderen Studien ergibt, führt eine Berücksichtigung dieses Einkommensvorteils zu einer unter der Gesamtquote für die Bevölkerung liegenden
Armutsrisikoquote Älterer. Voraussichtlich wird selbstgenutztes Wohneigentum in die EU-SILC-Ergebnisse
für das Jahr 2007 eingehen.
Die Warnung vor einer Zunahme der Altersarmut bezieht sich auf die Ergebnisse der 2007 von der OECD
veröffentlichten Studie „Pensions at a Glance“. Diese
Publikation zeigt, dass Deutschland mit seinen Reformen im Bereich der Alterssicherung im internationalen
Vergleich bereits weit vorangekommen ist und die eingeleiteten Maßnahmen angemessene Antworten auf die demografischen und gesellschaftlichen Herausforderungen sind.
Aus den Ergebnissen der OECD geht hervor, dass als
Folge der Reformen in Zukunft die gesetzliche Rentenversicherung, die private Rentenversicherung und die
betriebliche Altersvorsorge gemeinsam dazu beitragen,
dass der Lebensstandard gewahrt werden kann. Dies gilt
auch für Geringverdiener, deren Renteneinkommen nach
den Berechnungen der OECD im Übrigen oberhalb der
Grundsicherung für Ältere liegen.
Die Berechnungen der OECD zeigen aber auch, dass
in Verbindung mit der geförderten zusätzlichen Altersvorsorge der Lebensstandard der Rentnerinnen und
Rentner auch in Zukunft auf dem heutigen Niveau gehalten werden kann. Somit bestätigt die OECD den von der
Bundesregierung eingeschlagenen Kurs, bei Wahrung
der finanziellen Tragfähigkeit der Rentenversicherung
einen angemessenen Lebensstandard der Älteren durch
die Kombination von gesetzlicher Rentenversicherung
und staatlich geförderter zusätzlicher Altersvorsorge zu
sichern.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage, bitte.
Meine erste kurze Nachfrage lautet: Welche weiteren
Erkenntnisse über die Zunahme von Altersarmut liegen
der Bundesregierung vor?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich habe das eben erläutert. Wir werten zurzeit weitere Untersuchungen aus, die in den Dritten Armuts- und
Reichtumsbericht Eingang finden werden. Zu diesem
derzeit laufenden Auswertungsprozess kann ich hier
keine Daten nennen. Auch hierbei gilt, was ich in meiner
Antwort auf die Frage von Frau Dr. Enkelmann ausgeführt habe: Wir arbeiten derzeit an dem Bericht, der im
Frühjahr in das parlamentarische Verfahren eintreten
wird. Wir werden mit Sicherheit im Laufe des ersten
Halbjahrs Gelegenheit haben, im Deutschen Bundestag
darüber zu diskutieren.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage lautet: Wie bewerten Sie die
Einschätzung des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, dass bis 2020 der Anteil der von Altersarmut
Betroffenen auf bis zu 10 Prozent steigen könne? Wie
wollen Sie diesen Trend stoppen? Die Variante RiesterRente zieht wohl nicht mehr.
Die Bundesregierung hat sich bei den von ihr in den
letzten Jahren eingeleiteten Schritten zur Sicherung des
Einkommens im Alter sehr stark darauf konzentriert,
Chancen und Gelegenheiten zum Aufbau einer zusätzlichen privaten und betrieblichen Altersvorsorge zu geben. Ich erinnere an die Renaissance der betrieblichen
Altersvorsorge mit dem Recht auf Entgeltumwandlung.
Ich erinnere daran, dass wir noch vor kurzer Zeit im
Deutschen Bundestag entschieden haben, die Sozialversicherungs- und die Steuerfreiheit für die hierfür aufgewendeten Beiträge fortzuführen. Ich erinnere daran, dass
heute rund 17,3 Millionen Menschen einen Rechtsanspruch auf betriebliche Altersvorsorge haben. Ich erinnere an den rasanten Anstieg der Zahl derjenigen, die
einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben. Das sind inzwischen über 10 Millionen Menschen. Das alles trägt
zur Sicherung des Einkommens im Alter bei. Das sollten
wir bei der Einschätzung zukünftiger Entwicklungen berücksichtigen.
Das Einkommen im Alter ist das Spiegelbild des Einkommens in der Erwerbsphase. Faire Löhne, Mindestentlohnungsbedingungen und Mindestlöhne haben somit
Einfluss auf das Einkommen im Alter. Die beiden entsprechenden Gesetzentwürfe hat Bundesarbeitsminister
Scholz hier vorgelegt. Des Weiteren müssen wir Beschäftigung organisieren. Das ist die gleiche Argumentation wie eben.
Noch ein Hinweis. Heute sind rund 2 Prozent der über
65-Jährigen auf Grundsicherung im Alter angewiesen.
Die Grundsicherung im Alter ist eine solidarische Leistung aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für die
Menschen, die im Alter kein ausreichendes Einkommen
haben, egal aus welchen Gründen. Darunter sind viele
Menschen, die keine Gelegenheit hatten, zu arbeiten,
wie ältere Frauen, die nach dem Krieg Kinder erzogen
haben. Darunter sind auch welche, die keine Arbeit gefunden haben oder einer Arbeit nachgegangen sind, die
nicht sozialversicherungspflichtig gewesen ist. 2003 haben wir geregelt, auf den Unterhaltsrückgriff auf Familienmitglieder weitestgehend zu verzichten. Man muss
also beim Sozialamt nichts offenlegen, sondern hat Anspruch auf Grundsicherung. Diese beträgt im Schnitt für
die über 65-Jährigen 627 Euro. Damit sind auch Wohnungs- und Heizungskosten abgedeckt. Das ist eine solidarische Leistung aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt nicht aus
eigener Kraft bestreiten können. Rund 2 Prozent der
über 65-Jährigen kommt diese gesetzliche Regelung zugute; das sind ungefähr 370 000 Männer und Frauen in
Deutschland. Das ist eine gute Leistung.
Man darf aber von den heutigen Bedingungen keine
Rückschlüsse auf die Zukunft ziehen. Wenn jemand
heute 800 Euro verdient, dann bedeutet das nicht, dass er
in seiner 30-jährigen Erwerbsphase dauerhaft 800 Euro
verdienen wird. Man kann nicht voraussagen, wann Phasen der Selbstständigkeit und der Arbeitslosigkeit eintreten. Damit Sie die ganze Komplexität deutlich wahrnehmen: Wir haben im Rentenversicherungsrecht zum
Beispiel geregelt, dass es für Kindererziehungszeiten zusätzliche Entgeltpunkte gibt. Da Sie nicht alle biografischen Verläufe konkret voraussagen können, können Sie
auch nicht behaupten, in 30 Jahren liege die Altersarmut
bei 10 Prozent. Ich halte nichts davon, mit solchen Zahlen zu operieren. Wir stehen heute in der Verpflichtung,
alles dafür zu tun, Arbeits- und Ausbildungsplätze zu
schaffen sowie Menschen zu fairen und anständigen
Löhnen in Beschäftigung zu bringen.
Die erste Nachfrage stellt der Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, geben Sie mir recht, dass das Risiko der Altersarmut insofern steigt, als eine Senkung
des Rentennettoniveaus vor Steuern im RV-Nachhaltigkeitsgesetz vorgesehen ist? Gerade in den neuen Bundesländern gibt es viele Personen, die Phasen längerer
Erwerbslosigkeit zu verzeichnen haben. Insgesamt gibt
es in unserem Land zudem einen Trend hin zu mehr Teilzeitarbeit. Nur noch zwei Drittel der Beschäftigten verfügen heutzutage über eine Vollzeitarbeitsstelle. Der Anteil der gesetzlichen Rente wird also deutlich rückläufig
sein. Sieht die Bundesregierung vor diesem Hintergrund
die Notwendigkeit, den Anreiz für Geringverdiener und
Personen mit gebrochenen Erwerbsverläufen zum Aufbau einer privaten Altersvorsorge zu verstärken? Heute
besteht das Problem darin, dass ein Anspruch auf
Riester-Rente auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird.
Ich glaube, die Frage ist deutlich geworden.
Das führt aus unserer Sicht zu Fehlanreizen, die dringend beseitigt werden müssen. Sehen Sie das auch so?
Herr Staatssekretär.
Ich könnte jetzt einfach sagen: Nein. - Ich will das
Nein gerne begründen, Kollege Kolb.
Erstens müssen wir - das sage ich noch einmal deutlich - daran arbeiten, Arbeit und Beschäftigung zu fairen
Löhnen zu erreichen. Das heißt im Kern: Vollzeitarbeit.
Man muss dazu sagen, dass Menschen für die Zeiten, in
denen sie in Teilzeit arbeiten, manchmal auch eigenverantwortlich und selbst entschieden, bei knapp 850 Euro
Monatseinkommen einen Rentenanspruch erwerben, der
über der Grundsicherung liegt, wenn man von der
Riester-Förderung Gebrauch macht. Bei einem Einkommen von 850 Euro und Inanspruchnahme von RiesterFörderung erhält man im Alter mit gesetzlicher Rente
und Riester-Rente mehr als 627 Euro. Wir haben die
Förderbedingungen für die Riester-Rente so günstig gestaltet, dass auch Phasen der Arbeitslosigkeit mit einem
Beitrag von 5 Euro im Monat überbrückt werden können, sodass die Riester-Verträge weiterlaufen. Im Bereich der unteren Einkommen, insbesondere bei Familien mit Kindern, werden teilweise Förderquoten von
70 bis zu 90 Prozent erreicht. Ich glaube, damit haben
wir gute Voraussetzungen für ein angemessenes Einkommen auch im Alter geschaffen.
Ich wiederhole: Man sollte nicht davon ausgehen,
dass dauerhaft in Teilzeit gearbeitet wird oder dass wir
es überwiegend mit gebrochenen Erwerbsbiografien zu
tun haben. Ich glaube, dass eine vernünftige Abdeckung
über die ganze Wegstrecke gewährleistet sein kann.
Wir haben noch zwei Nachfragen zu dieser zweiten
dringlichen Frage. Als Erste hat die Kollegin
Dr. Enkelmann das Wort.
Herr Staatssekretär, da Sie auf konkrete Fragen sehr
unkonkret sehr viel reden, versuche ich es noch einmal.
Stichwort Riester-Rente.
Sie haben über Lebensstandardsicherung im Alter gesprochen, unter anderem durch geförderte private Altersvorsorge. Wie passt es zusammen, wenn dann bei Betroffenen, die Grundsicherung im Alter erhalten, das
angerechnet wird, was sie mit der Riester-Rente angespart haben? Sind Sie bereit, diese Anrechnung endlich
zu beenden?
Herr Staatssekretär.
Frau Dr. Enkelmann, das passt wie folgt zusammen:
§ 2 des Sozialgesetzbuches XII beschreibt das Nachrangigkeitsprinzip der Sozialhilfe. Damit ist einfach Folgendes umschrieben: Das, was solidarisch von allen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern für jemanden aufgebracht wird, der aus eigener Kraft seine Existenz ökonomisch nicht sichern kann, wird erst aufgebracht, nachdem derjenige, sofern er eigenes Einkommen oder
eigenes Vermögen hat, dieses eingesetzt hat. Erst dann
kommen die Leistungen der Solidargemeinschaft, in
dem Fall der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, zum
Einsatz. Dieses Nachrangigkeitsprinzip zieht sich durch
das ganze Sozialrecht. Darauf bitte ich immer sehr genau
zu achten, Frau Dr. Enkelmann, weil wir an dieser Position Orientierung brauchen.
Würde man hier eine Veränderung herbeiführen,
käme sofort die nächste Frage: Wie behandeln wir in
dem Zusammenhang die anderen Einkommensarten wie
Rente, Lebensversicherung oder Vermögen, das möglicherweise aus Grund- und Hauseigentum besteht? Wenn
Sie bei der Grundsicherung das, was an Riester-Rente
angespart worden ist, nicht verrechnen, stellt sich automatisch die Frage: Darf eine andere Rente möglicherweise auch nicht angerechnet werden? Ich sage ganz
deutlich: Es ist nicht möglich, auf den Grundsicherungsanspruch quasi noch ein Plus oben drauf zu setzen,
({0})
sodass am Ende derjenige, der nur die Möglichkeit hatte,
sich eine geringe Rente zu erarbeiten, dadurch einen
Nachteil hätte.
Dieses Nachrangigkeitsprinzip müssen Sie beachten.
Ich glaube, es ist ein gutes Prinzip, dann zu helfen, wenn
jemand keine eigenen Einkommen hat und nichts Eigenes einbringen kann. Dann ist die Solidargemeinschaft
da. Ist es anders und kann Einkommen eingebracht werden, dann muss dieses auch eingebracht werden. Daher
wird es keine Änderung an dieser Stelle geben.
({1})
Es drängt viele Kolleginnen und Kollegen, zu dieser
Frage nachzufragen. Ich will Nachfragen gerne zulassen,
appelliere aber an die Fragesteller, sich um präzise Fragen zu bemühen, sodass es dem Staatssekretär möglich
ist, kurz zu antworten.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rohde.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
bei der Frage, die eben aufgeworfen wurde, geht es darum, dass die Trennlinie zwischen gesetzlicher Verpflichtung und Freiwilligkeit gezogen werden muss.
Wenn bei den Vorsorgeformen, die Sie aufgeführt haben,
Freiwilligkeit herrscht, dann muss diese Freiwilligkeit
geschützt werden.
Meine Frage zielt auf Ihre Aussage, jemand mit einem Einkommen von 850 Euro könne mit seinen Einzahlungen in das gesetzliche Rentensystem und mit einer
Riester-Rente schon den Grundsicherungsbetrag erreichen. In der Anhörung, die wir am Montag hatten, wurde
gesagt, dass es die Möglichkeit gibt, dass genau jemand
aus diesem Personenkreis mit 63 Jahren im Falle der Arbeitslosigkeit vorzeitig mit Abschlägen in Rente geschickt werden kann. Die Abschläge bewegen sich circa
zwischen 7 und 14 Prozent. Dann gäbe es doch ein größeres Problem gerade für die Bezieher niedriger Einkommen. Hat die Bundesregierung vor diesem Hintergrund vielleicht nicht doch die Möglichkeit, die
Gesetzeslücke zu schließen?
Kollege Rohde, wir haben gerade heute Morgen im
Ausschuss darüber debattiert, wie mit dem Prinzip umgegangen wird, dass man dann, wenn Rentenansprüche
vorhanden sind, von der Möglichkeit des vorzeitigen
Eintritts in die Rente Gebrauch machen sollte. Wir haben
heute Morgen auch darüber diskutiert, dass das auch etwas mit dem Arbeitsplatzangebot zu tun hat. Ich glaube,
bei den Erwerbsverläufen, die da sind, tritt an der Stelle
bei denjenigen, über die wir heute sprechen, dieses Problem nicht auf; denn diese haben in der Regel Erwerbsphasen und, wenn sie arbeitslos waren, Anrechnungszeiten in der Rentenversicherung, die über 42, 43, bis hin zu
45 Jahren gehen.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Dr. Troost.
Herr Staatssekretär, haben Sie gestern den Kommentar von Lucas Zeise in der Financial Times Deutschland
mit der Überschrift „Genug geriestert“ gelesen? Für
meine Begriffe wird dort das Grundproblem völlig richtig beschrieben. Die Riester-Förderung, die sehr viel
Geld kostet, wird bei denjenigen, die im unteren Einkommenssegment arbeiten, letztlich nichts bewirken; sie
ist vielmehr für die Katz, weil diese Menschen sowieso
die Aufstockung bekommen. Diejenigen, die letztlich
von der Riester-Förderung profitieren, sind die mit relativ
hohen Einkommen. Da stellt sich die Frage, ob dieses Instrument überhaupt noch gebraucht wird. Ich glaube, dieser Kommentar - ich kann ihn auch allen Kolleginnen und
Kollegen empfehlen - bringt das Gesamtproblem auf den
Punkt. Vor dem Hintergrund muss die ganze Riester-Förderung für meine Begriffe neu überdacht werden.
Wenn das der Tenor des Artikels ist - zu Ihrer ersten
Frage: Ich habe ihn nicht gelesen -, dann teile ich die
Meinung des Autors, so wie Sie sie wiedergegeben haben, nicht. Ich wiederhole: Bei einer Einkommenshöhe
von 850 Euro und einer Einzahlung in die Rentenver14548
sicherung lohnt sich die Riester-Rente. Alle Berechnungen, die angestellt werden und die besagen, die RiesterRente würde sich nicht lohnen, implizieren immer die
Aussage: Du hast sowieso keine Chance, auf deiner langen Wegstrecke irgendwann ein gutes Einkommen oder
eine richtige Vollzeitbeschäftigung zu bekommen. - Das
ist nicht unser Weltbild.
Wir wollen vielmehr dazu beitragen, dass Menschen
Arbeit bzw. Beschäftigung und eine faire Entlohnung
bekommen. Das ist im Kern bei dem Großteil der Fall.
Es gibt einige Arbeitnehmer - sonst würden wir die politische Debatte über Mindestlöhne nicht führen -, bei denen das nicht der Fall ist. Wir müssen darüber reden, wie
wir andere Risiken im Bereich des Arbeitslebens besser
absichern können. Daraus zu schlussfolgern, ein RiesterVertrag würde sich nicht lohnen, würde dem widersprechen, was zum Beispiel die Stiftung Warentest in der
Zeitschrift Finanztest bewiesen hat: Riester lohnt sich
für die Menschen. Ich kann nur hinzufügen: Einen Vertrag über eine Riester-Rente abzuschließen, muss ein
persönliches Präjudiz sein. Wir sind davon überzeugt;
sonst wären wir auch nicht zu dem Ergebnis gekommen,
über die Aktion „Altersvorsorge macht Schule“ zusammen mit den Volkshochschulen die Riester-Rente bekannter zu machen und deutlich zu machen, dass die gesetzliche Rentenversicherung, private und betriebliche
Altersvorsorge dazu beitragen, ein angemessenes Auskommen im Alter zu haben.
Die letzte Nachfrage zu dieser dringlichen Frage stellt
der Kollege Haustein.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass man
35 Jahre lang 1 850 Euro brutto braucht - so sind unsere
Berechnungen -, um Grundsicherungsniveau zu erreichen? Wie kommen Sie darauf, dass man nur 800 Euro
im Monat braucht, um dieses Niveau zu erreichen?
({0})
Die Rentenberechnungen sind im Kern darauf ausgelegt: 45 Jahre und durchschnittliches Einkommen; das
durchschnittliche Jahreseinkommen im Jahr 2006 lag,
glaube ich, bei knapp 30 000 Euro. Es ist notwendig,
27 Jahre Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen, um
eine Leistung oberhalb der Grundsicherung zu erhalten.
({0})
Wir kommen damit zur dringlichen Frage 3 der Kollegin Hirsch:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Feststellung des Statistischen Bundesamtes vom Montag,
dem 21. Januar 2008, dass Menschen, die 2005 781 Euro im
Monat zur Verfügung hatten, als armutsgefährdet betrachtet
werden müssen, für ihre Überprüfung der Regelsätze in den
Grundsicherungssystemen?
({0})
- Liebe Kollegen aus der FDP-Fraktion, dieses Thema
mag vertiefungswürdig sein, aber jetzt sind wir bei der
dringlichen Frage 3 der Kollegin Hirsch, und das Wort
hat der Parlamentarische Staatssekretär.
Zwischen der Höhe des vom Statistischen Bundesamt
errechneten Werts und der Höhe der Eckregelsätze gibt
es keinen Zusammenhang.
Die vom Statistischen Bundesamt berechnete Armutsrisikoquote bzw. die damit verbundene Schwelle sind
statistische Messzahlen zur Erfassung der Einkommensverteilung. Anders als bei den Eckregelsätzen bzw. dem
Grundsicherungsbedarf geht es bei dieser Statistik nicht
darum, das gesellschaftlich notwendige Minimum an
materiellem Lebensstandard und Teilhabemöglichkeiten
zu definieren.
In der Analyse des Statistischen Bundesamtes wird
die im Rahmen der Methode der offenen Koordinierung
zwischen den EU-Mitgliedstaaten vereinbarte Definition
des Armutsrisikos zugrunde gelegt. Damit ist die mittlere Einkommenssituation der Referenzpunkt. Dem
Risiko der Einkommensarmut unterliegt derjenige, dessen Einkommen einen bestimmten Mindestabstand zum
Mittelwert in der Gesellschaft aufweist. Als Konvention
wurden dabei 60 Prozent des bedarfsgewichteten Medianeinkommens ausgewählt.
Entscheidend ist, dass diese Armutsrisikogrenze nur
eine statistische Kennziffer ist. Ihre Höhe hängt von verschiedenen normativen Festlegungen wie der Wahl eines
Mittelwerts oder der Festlegung eines Gewichtungsverfahrens für Mehrpersonenhaushalte ab. So hat zum
Beispiel das Land Nordrhein-Westfalen in seiner Armutsberichterstattung 50 Prozent des Durchschnittseinkommens als Schwelle definiert, wodurch der Wert dort
deutlich niedriger ist.
Die Armutsrisikoquote ist eine Messzahl, mit der ein
Aspekt der Ungleichheit in der Einkommensverteilung
statistisch gemessen wird. Die Armutsrisikoquote stellt
nur eine Zwischengröße hin zu dem Berechnungswert
dar.
Dass diese statistische Maßzahl nichts mit der landläufigen Vorstellung von Armut zu tun hat, zeigt auch
folgendes Beispiel: Würden sich die Einkommen aller
Personen in Deutschland auf einen Schlag verdoppeln,
so wäre auch die Armutsrisikogrenze, die ja in Relation
zum Mittelwert errechnet wird, doppelt so hoch. Die Armutsrisikoquote, also der Anteil der Personen mit einem
Einkommen unter dieser Grenze, bliebe also unverändert.
({0})
Die Kollegin Hirsch hat das Wort zu einer Nachfrage.
Wir freuen uns zunächst einmal über Ihre fast schon
politische Forderung, dass sich die Einkommen der abhängig Beschäftigten in Zukunft verdoppeln sollen. Ich
glaube, das ist ein guter Ansatzpunkt. Es würde vielleicht schon helfen, mit dem gesetzlichen Mindestlohn
zunächst einmal eine Untergrenze einzuziehen.
Aber nun zu meiner konkreten Nachfrage. Offensichtlich hängen die Regelsätze und die beschriebene Gefährdung, in Armut hineinzufallen oder sich schon in Armut
zu befinden, irgendwie zusammen. Wir können ganz
deutlich feststellen, dass die aktuellen Regelsätze nicht
ausreichen. Wenn ich mir das beispielsweise aus der bildungspolitischen Perspektive anschaue, komme ich zu
dem Schluss, dass das, was anhand des Regelsatzes berechnet wird, nicht ausreichend ist, zum Beispiel das
Mittagessen in Ganztagsschulen zu bezahlen.
Meine Nachfrage lautet einfach, ob die Bundesregierung diese Feststellung des Statistischen Bundesamts
zum Anlass nimmt, um vielleicht doch eine ganz deutliche Erhöhung der Regelsätze anzustoßen.
Frau Kollegin Hirsch, es gibt hierzu einen gesetzlichen Rahmen, in dem wir uns bewegen - er ist von diesem Haus festgelegt worden und so auch mit den Ländern geregelt -, nach dem für die Festlegung der
Eckregelsätze die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zugrunde gelegt wird. Diese Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe wird alle fünf Jahre in der Gruppe
derjenigen in der Bevölkerung durchgeführt, die zu den
unteren 20 Prozent im Einkommensbereich gehören. In
der Vergangenheit wurden die Sozialhilfebezieher herausgenommen, um diesen Personenkreis nicht mitzuerfassen. Wir wollen nämlich ein Bild von dem Ausgabenverhalten der unteren 20 Prozent erhalten, auf dessen
Basis das Statistische Bundesamt das soziokulturelle
Existenzminimum für diejenigen berechnet, die aus eigener Kraft kein eigenes Einkommen erwirtschaften
können. Das Ergebnis dieser Berechnung unterliegt dann
noch den entsprechenden gesetzlichen Anpassungsvorschriften, gemäß denen die Eckregelsätze so wie die
Renten angepasst werden müssen. Auf dieser Basis liegt
der Betrag heute bei 347 Euro. Zusätzlich werden von
den Kommunen und für Arbeitslosengeld-II-Empfänger
auch anteilig vom Bund die Miet- und die Heizkosten
übernommen.
In den vergangenen Monaten haben wir nun eine Diskussion in diesem Hause geführt, ob man aufgrund der
Preissteigerungen reagieren müsse, da die Eckregelsätze
ja schon vor etwas längerer Zeit festgelegt wurden. Die
Erhebungsbasis ist schon etwas älter. Zurzeit wird die
Erhebung des Jahres 2008 durchgeführt. Da nun ein langer Zeitraum zwischen den Erhebungen liegt und für die
Auswertung auch noch einmal zwei Jahre benötigt werden, debattieren wir im Moment darüber, ob es möglich
ist, die Zeiträume zwischen den Erhebungen zu verkürzen oder die Auswertung zu beschleunigen.
Eine weitere Frage ist, wie wir auf die Bedürfnisse
von Kindern reagieren. Der Vorgänger von Bundesarbeitsminister Scholz, Franz Müntefering, hat hierzu in
einer Debatte im Deutschen Bundestag sinngemäß gesagt: Wir müssen darüber reden, ob wir bei den Kindern
etwas im Bereich des Mittagessens tun können, also wie
gewährleistet werden kann, dass Kinder von Eltern, die
von Grundsicherung, Arbeitslosengeld II leben, ein warmes Mittagessen in der Schule bekommen.
Wir haben weiterhin darüber nachgedacht und denken
auch noch darüber nach - das wurde auch schon damals
von Franz Müntefering angekündigt -, ob man auch etwas zum Zeitpunkt der Einschulung machen kann, wenn
Schulranzen und andere Dinge gekauft werden müssen.
Die Debatte hierüber führen wir zurzeit intern. Wir
arbeiten daran. Um hierzu etwas vorlegen zu können, bedarf es weiterer Abstimmungsprozesse. Das Thema steht
also weiterhin bei uns auf der Tagesordnung. Das alles
ändert natürlich nichts an der Prozedur, wie bisher die
Regelsätze erhoben werden.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage. - Bitte.
Kurze Vorbemerkung: Danke schön, dass Sie daran
arbeiten und sich darüber Gedanken machen. Aber die
Menschen brauchen jetzt Lösungen und Antworten. Dafür sind gesetzliche Maßnahmen von Ihrer Seite nötig.
Danke schön auch, dass Sie noch einmal dargestellt haben, wie das Verfahren zur Festlegung der Eckregelsätze
aussieht.
Nun meine Nachfrage: Halten Sie das Verfahren zur
Festlegung der Eckregelsätze grundsätzlich für ein sinnvolles Verfahren, wenn es dazu führt, wie wir vorhin gehört haben, dass 13 Prozent der Bürgerinnen und Bürger
in diesem Land von Armut bedroht sind? Daran wird
doch deutlich, dass irgendetwas mit diesem Verfahren
nicht stimmt. Man müsste deshalb doch darüber nachdenken, ob es wirklich sinnvoll ist. Denkt die Bundesregierung also über Alternativen nach, um eine armutsfeste Grundsicherung zu gewährleisten?
Frau Kollegin Hirsch, bis 1988/89 lag der Erhebung
ein Warenkorbmodell zugrunde. Damals war man auf
breiter politischer Front - Ministerpräsidenten und Deutscher Bundestag - der Meinung, dass dieses Modell
nicht ausreicht, das soziokulturelle Existenzminimum zu
bestimmen. Man ist zum Modell der Einkommens- und
Verbrauchsstichprobe übergegangen. Ich glaube, dass
sich dieses bislang bewährt hat. Angesichts der Dynamik
mancher Entwicklungen wird kritisch hinterfragt, ob der
Zeitraum von fünf Jahren zu lang ist, und überlegt, wie
der Auswertungsprozess beschleunigt werden kann. An
beiden Punkten arbeiten wir.
Ich wiederhole aber noch einmal, was ich schon in
meinen vorherigen Antworten gesagt habe: Wir wollen
nach Möglichkeit dafür sorgen, dass die Menschen nicht
auf Grundsicherung und Arbeitslosengeld II angewiesen sind, weil Arbeit und Beschäftigung da ist.
({0})
Deswegen diskutieren wir vor dem Hintergrund der hohen Zahlen an Aufstockern über Mindestlöhne. Deswegen debattieren wir darüber, wie Jugendliche, die die
Schule ohne Abschluss verlassen haben, einen Hauptschulabschluss nachholen können, damit sie eine Chance
auf einen Ausbildungsplatz haben. Deswegen haben wir
Beschäftigungsprogramme aufgelegt. All das sind sozusagen Voraussetzungen dafür, um die Inanspruchnahme
von Leistungen, die die Steuerzahlerinnen und -zahler finanzieren, im Bereich der Grundsicherung letzten Endes
unnötig zu machen. In den Fällen, wo die Inanspruchnahme doch nötig wird, wollen wir, dass es sich dabei
um einen möglichst kurzen Zeitraum handelt, indem wir
den Menschen helfen, aus eigener Kraft wieder aus dieser Situation herauszukommen.
Das Wort zu einer Nachfrage hat der Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, dass
jemand, der 35 Jahre lang auf der Basis von 800 Euro
brutto Rentenbeiträge gezahlt hat und am Schluss mit
einer Rente von 300 Euro nach Hause geht, damit deutlich armutsgefährdet ist, dass jemand, der 45 Jahre
1 450 Euro brutto verdient und auf dieser Basis Beiträge
gezahlt hat, am Ende eine Rente allenfalls auf Grundsicherungsniveau erzielt und dass in beiden Fällen der Abschluss eines privaten Riester-Vertrages keinen Sinn
macht?
({0})
Ich kann die Zahlen und die Rechnungen, die Sie gerade vorgetragen haben, an dieser Stelle so nicht bestätigen; aber ich kann Ihnen sagen: 850 Euro und RiesterRente führen im Ergebnis dazu, dass man im Kern oberhalb der Grundsicherung liegt.
({0})
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin
Dr. Enkelmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben dankenswerterweise
daran erinnert, dass der Kollege Müntefering tatsächlich
das warme Mittagessen für Kinder gefordert hat. Nur,
der Kollege Müntefering ist nicht mehr in dieser Regierung. Wann also wird aus den vielen Ankündigungen der
Koalitionsvereinbarung von 2005 und den vielen Ankündigungen von heute, etwas gegen Armut zu tun, endlich konkrete Politik?
Frau Kollegin Enkelmann, Kollege Scholz setzt die
Arbeit, die Bundesarbeitsminister a. D. Franz
Müntefering eingeleitet hat, fort. Ich habe Ihnen gerade
gesagt: Wir arbeiten sehr intensiv an dem Abstimmungsprozess zwischen den Häusern, was den Kinderzuschlag
und den Erwerbstätigenzuschuss angeht. Ich habe Ihnen
gerade gesagt, dass wir Programme für bis zu
400 000 Menschen aufgelegt haben, damit sie in Ausbildung, Arbeit und Beschäftigung kommen können.
Ebenso habe ich Ihnen gerade gesagt, wie wir die
Riester-Rente fördern.
({0})
Ich erinnere auch daran, dass wir hier gerade die Förderbedingungen für Kinder erheblich verbessert haben.
Dies passiert zeitnah.
({1})
- Sie wollen ein Datum wissen?
({2})
- Ich kann Ihnen an dieser Stelle kein Datum nennen.
Wir arbeiten zügig daran.
({3})
Ich denke, dass wir Ihnen an dieser Stelle bald die Ergebnisse präsentieren können.
({4})
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Reinke.
Ich möchte noch einmal nachfragen zu dem Wann.
Was bedeutet für Sie „zeitnah“? Heißt das, im Sommer,
im Herbst, kurz vor den Bundestagswahlen? Auch das
Jahr wäre nicht schlecht. Wir sind da hartnäckig; denn
wir müssen den Leuten ja auch etwas sagen können, zum
Beispiel: Haltet noch ein bisschen durch! Die Bundesregierung macht sich gerade einen Kopf. Zeitnah wird euer
Hunger gestillt.
Frau Präsidentin, ich bitte um Nachsicht. Ich habe
diese Frage im Kern gerade zwei- oder dreimal beantwortet
({0})
und verweise auf das Protokoll.
Wir sind in der Fragestunde. Ich bitte darum, dass jeweils Fragesteller wie auch Staatssekretäre aussprechen
können. - Herr Staatssekretär, waren Sie fertig? - Gut,
dann hat für die letzte Nachfrage zu dieser Frage der
Kollege Rohde das Wort.
Herr Staatssekretär, ich bin sehr verwundert, dass Sie
die Frage des Kollegen Kolb eben mit Nichtwissen beantwortet haben.
({0})
Wir haben im Oktober in einer Anfrage an die Bundesregierung exakt diese Fragen formuliert und die Antworten
in der Form erhalten, wie Herr Kolb sie vorgetragen hat.
Das heißt, die Antwort der Bundesregierung war: Wenn
1 450 Euro brutto zugrunde gelegt werden, muss der
Beitragszahler 45 Jahre lang in das gesetzliche Rentenversicherungssystem einzahlen, um das Grundsicherungsniveau zu erreichen. Eine weitere Frage von uns
war: Wie viele der Riester-Sparer haben diese Einkommensklasse? Ein Drittel der Riester-Sparer liegt unterhalb von 1 450 Euro brutto, was bei 10 Millionen
Riester-Verträgen ungefähr 3 Millionen Verträge ausmacht. Wir werden sicherlich einige Sonderfälle finden,
zum Beispiel wenn der Ehepartner mit berücksichtigt
wird, wo das nicht zutrifft. Aber es wird eine sehr große
Gruppe übrig bleiben, die davon bedroht ist, dass ihre
Riester-Rente komplett auf die Grundsicherung im Alter
angerechnet wird. Um diese Gruppe sollten wir uns
kümmern. Aufgrund dieser Ungerechtigkeit führen wir
die Diskussion mit der Regierung.
Die Frage an Sie ist: Würden Sie mir zustimmen,
dass, wenn die Bundesregierung uns das so sagt, die
Zahlen fundiert sein und sich nicht auf das Durchschnittsniveau beziehen sollten, das Sie eben ins Feld
geführt haben, sondern auf die Geringverdiener Bezug
nehmen sollten, die von dieser Problematik betroffen
sind?
Herr Rohde, in Ihrer Frage spiegelt sich die Auffassung wider, dass diese Einkommensgrößen statisch
seien. Weil Sie wissen, wie die Berechnungen erfolgen,
haben Sie bemerkt, dass es nur sehr schwer ist, eine Prognose abzugeben, wie die Einkommenssituation im Alter aussehen wird. Dafür sind viele Punkte entscheidend:
Wie sehen die persönlichen Lebensverhältnisse aus? Wie
hoch sind die gezahlten Kinderzulagen und die Entgeltpunkte aus Kindererziehungszeiten? Ist eigenes Vermögen vorhanden? Lebt man in einer Bedarfsgemeinschaft,
sodass noch jemand anderes herangezogen werden kann,
um das Existenzminimum zu gewährleisten?
All diese Fragen können Sie nicht auf die Zukunft
projizieren, und Sie können daher nicht schon jetzt sagen, ob jemand in Zukunft auf Grundsicherung angewiesen ist und dementsprechend seine Riester-Förderung in
seine Grundsicherung - in diesem Fall spricht man davon, dass sie angeblich umsonst gewesen ist - einbringen muss. Dies lässt sich für den Einzelfall nicht genau
vorhersagen.
({0})
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung der Frage steht der Parlamentarische
Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 4 des Kollegen Dr. Axel
Troost auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen der
um sich greifenden weltweiten Börsenkrise auf Beschäftigung
und Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland, und mit
welchen Maßnahmen - wie zum Beispiel einem umfassenden
Konjunkturpaket auf den Gebieten Arbeit, Bildung, Forschung und Infrastruktur - will die Bundesregierung gegensteuern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Troost, die Antwort lautet: Die Schwankungen
der Börsenkurse sind wiederkehrende Ereignisse der Kapital- und Finanzmärkte und in ihren Auswirkungen zunächst auf Kapitalvermögenswerte beschränkt. Die Bundesregierung sieht deswegen keine Notwendigkeit,
aufgrund des jüngsten weltweiten Rückgangs der Aktienkurse die Wachstumserwartungen, die wir heute im
Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt haben, von 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verändern.
Im Übrigen gilt, dass hektische Reaktionen der Politik
in solchen Situationen die bestehenden Unsicherheiten
eher vergrößern als verkleinern. Wir planen kein Konjunkturprogramm.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Von Hektik war gar keine Rede. Wir wissen jetzt
schon, dass die Finanzmarktturbulenzen dazu führen,
dass kleine und mittelständische Unternehmen Schwierigkeiten haben, Bankkredite zu bekommen. Wir können
jetzt schon die Konsequenz absehen - wir diskutieren
darüber auch im Finanzausschuss -, dass es einen Wertberichtigungsbedarf bei deutschen Banken in der Größenordnung von wahrscheinlich 15 Milliarden Euro gibt,
was zu Steuermindereinnahmen in der Größenordnung
von 5 Milliarden Euro - möglicherweise noch in diesem
Jahr - führt. Diese Konsequenzen sind ja schon absehbar.
Die Frage ist: Sehen Sie nicht doch, ähnlich wie in
den USA, die Notwendigkeit, zumindest darüber nachzudenken, wie man versuchen kann, das Wachstum auf
einem solchen Niveau zu halten, dass es nicht bereits in
diesem Jahr zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit
kommt?
Ich bleibe bei meiner Bemerkung, dass hektische
Reaktionen schädlich sind. Ich halte es für erstaunlich,
dass Sie schon drei Tage nach den negativen Auswirkungen an den Börsen von Erfahrungen sprechen können
und davon, welche Schäden der Realwirtschaft in
Deutschland dadurch zugefügt wurden. Meiner Meinung
nach gibt es Auswirkungen im psychologischen Bereich,
aber keine, die sich in den Fakten widerspiegeln. Wir sehen keine Kreditprobleme für den deutschen Mittelstand.
Deswegen bleibe ich dabei: Jetzt zu spekulieren, was
man alles tun könnte, verstärkt nur die Problematik. Wir
gehen davon aus, dass die Situation in Deutschland stabiler sein wird als in den Vereinigten Staaten von Amerika, weil es in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren
in Deutschland in allen Bereichen unserer Wirtschaft
Gott sei Dank einige Fortschritte bei der Prosperität gab.
Unser Markt ist weniger finanzmarktgesteuert als angelsächsische Märkte. Wir sind Gott sei Dank näher an der
realen Wirtschaft geblieben.
Ich bleibe dabei: Jede Reaktion in der jetzigen Situation würde die Probleme nur vergrößern und nicht verkleinern. Auch weiter gehende Spekulationen würden
diesen negativen Effekt haben. Deswegen beteilige ich
mich weder in meinen Antworten noch in der Kommentierung von Sachverhalten an Spekulationen.
Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten Nachfrage.
Sie stimmen aber mit mir darin überein, dass das Problem der Finanzmarktturbulenzen nicht erst vor drei Tagen begonnen hat, sondern dass wir schon seit August in
internationalen Finanzkrisen stecken. Die Entwicklungen bei der IKB, der Sachsen LB und der West LB sind
gravierende Fälle. Ähnliches gilt auch für andere Banken. Insofern wird das natürlich Konsequenzen haben.
Was die Kreditvergabe angeht, liegen meiner Ansicht
nach durchaus Erfahrungen vor.
Ich bleibe dabei: Bei einem Wirtschaftswachstum,
das möglicherweise unterhalb der Beschäftigungsschwelle liegen wird, werden wir möglicherweise steigende Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen haben.
({0})
Ich warne davor, das durch Statistikmanipulationen zu
korrigieren, zum Beispiel, indem man künftig alle 58-Jährigen aus der Arbeitslosenstatistik herausnimmt.
Ich stelle die Frage noch einmal: Sie meinen, man ist
auf einem stabilen Kurs und es bedarf keinerlei Handlungen?
Es gibt jedenfalls keinen Anlass, sich jetzt in Spekulationen zu verlieren. Ich bleibe bei meiner Auffassung
- dann haben wir eben unterschiedliche Standpunkte -,
({0})
dass jede hektische politische Reaktion jetzt eher schädlich als nützlich wäre. Ich vertraue auf die Kraft des
Standortes Deutschland und auf die Stabilitätserfolge,
die wir in der Vergangenheit erzielt haben. Ich glaube,
dass sich Deutschland stabiler präsentieren kann als
viele unserer internationalen Mitwettbewerber.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin
Dr. Enkelmann.
Diese Bundesregierung neigt offenkundig sowieso
nicht zur Hektik. - Ich hätte eine Nachfrage: Das Europäische Parlament diskutiert gerade heute über Möglichkeiten der Finanzmarktkontrolle. Was hält die Bundesregierung von möglichen Kontrollmechanismen?
Dass die Bundesregierung noch keine Meinung zu einer Diskussion haben kann, die heute im Europäischen
Parlament stattfindet, werden Sie nachvollziehen können.
({0})
Dass wir in der Vergangenheit eine sehr intensive Diskussion über die Stabilität des Finanzmarktes Deutschland geführt haben, können Sie daran ablesen, dass, so
behaupte ich, trotz der engen Verflechtungen der internationalen Finanzmärkte der deutsche Finanzmarkt einer
der stabileren im Vergleich aller wichtigen Player ist.
Deswegen haben wir keine Veranlassung, über bereits
eingeleitete Maßnahmen und getroffene Entscheidungen hinauszugehen und in Hektik zu verfallen. An den
Stellen, wo wir in der Diskussion sind, werden wir in der
Diskussion bleiben. Bezüglich Fragen, bei denen das
Parlament zu fragen ist, werden wir in vernünftigen Zeitabständen mit dem Parlament gemeinsam überlegen, wie
die eine oder andere Optimierung der Stabilität erreicht
werden kann.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, die Börse hat seit Jahresbeginn
bis zum gestrigen Tag 9 Prozent an Wert verloren. Nachdem gestern erneut ein Verlust von 6 bis 7 Prozent zu
verzeichnen war, ist nun rund ein Sechstel der Marktkapitalisierung verloren gegangen. Mehr als 50 Milliarden Euro sind vernichtet worden. Glauben Sie wirklich,
dass das keinen Einfluss auf das Konsumklima in
Deutschland hat? Wie kann es sein, dass Sie sich in einer
Situation, wo andere Länder über Steuersenkungen diskutieren bzw. die Zinsen senken, darauf beschränken,
Ihre Wachstumsprognosen zu reduzieren? Das kann
doch nicht die einzige Antwort der Bundesregierung
sein.
Herr Kollege Kolb, ich habe auf die Frage der Linken,
die das entgegengesetzte Aktionsprogramm als Reaktion
auf die jetzige Lage erwartet, geantwortet, dass ich von
Schnellschüssen und hektischen Entscheidungen gar
nichts halte.
({0})
Das gilt genauso für Hoffnungen auf Steuersenkungen
und ähnliche Gegenreaktionen. Wir bleiben auf Kurs.
Der Jahreswirtschaftsbericht, den das Kabinett heute beschlossen hat, fordert genau das: Kurs halten. Wir werden die Veränderungen sorgfältig beobachten.
Wir haben auch nicht reagiert, als der DAX im Verlauf des Jahres 2007 einen Zugewinn von 22 Prozent
verzeichnet hat. Wir halten das, was jetzt passiert, für
Toleranzen, für Schwankungen, die an Börsen möglich
sind, ohne dass die Politik deswegen sofort Kernfragen
stellen und beantworten müsste.
Die letzte Nachfrage stellt die Kollegin Koczy.
Herr Staatssekretär, es geht nicht um Hektik und auch
nicht um Spekulationen. Meinen Sie nicht, dass es nötig
ist, jetzt zu reagieren? Meinen Sie nicht, dass Handlungsbedarf besteht? Meinen Sie nicht, dass sich die
Bundesregierung in der Diskussion, die schon seit Monaten in der Welt ist, bei der es um Transparenz, um Regulierungen, um Mechanismen und die Einbindung klarerer Regeln geht, nicht zurückzulehnen und das
Problem aussitzen, sondern vorangehen sollte? Sollte sie
nicht sagen: „Diese Krise, die wir seit Monaten begleiten, ist Anlass für einen echten Neuanfang in Richtung
Schutz der Kleinanleger“?
({0})
Ich bleibe dabei: Die Transparenzregeln, die wir in
Deutschland haben, sind weitgehend. Es wird darüber
diskutiert, ob sie optimiert werden können; aber das hat
mit der gegenwärtigen Krise und ihrer Bekämpfung
nichts zu tun.
Die Ausgangsfrage, ob wir ein Konjunkturprogramm
auflegen wollen, habe ich eindeutig beantwortet. Sie fragen ein neues Feld ab, nämlich ob es Überlegungen gibt,
im Bereich des Finanzmarktes die Stabilität, die Transparenz und die Verlässlichkeit zu erhöhen. Das ist eine
dauerhafte Aufgabe. Da beraten die Finanzpolitiker über
eine Reihe von Maßnahmen, was man zusätzlich tun
könnte. Aber wir haben keine Veranlassung, die bisherigen Beratungsergebnisse über Bord zu werfen und zu
völlig anderen Ansätzen zu kommen. Diese Fragen werden vielmehr kontinuierlich weiterbearbeitet und sind,
wie Sie ja wissen, nur noch sehr selten im engen Sinne
national zu beantworten. Denn kaum ein Markt ist so international aufgestellt wie der Finanzmarkt. Insoweit ist
da sehr viel internationale Abstimmung erforderlich.
Auch hier gilt: Hektik schadet.
({0})
Danke, Herr Staatssekretär.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind,
({0})
rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 16/7792 in der
üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Erich Stather zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 1 der Kollegin Ute Koczy.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, nach meiner Information beantwortet das AA den ersten Teil der Frage.
Das ist mir nicht signalisiert worden. Steht denn jemand aus der Bundesregierung zur Beantwortung zur
Verfügung? Denn die Bundesregierung entscheidet ja,
wer antwortet. - Ich bitte einen kleinen Moment um Geduld.
({0})
Die Bundesregierung wird sich sicherlich abstimmen
können.
Es sind zwei Fragen, die auf einem Blatt abgedruckt
sind. Die erste Frage beantwortet nach meiner Information, da sie den Haushalt des AA betrifft, das AA. Die
zweite Frage beantwortet das BMZ. Auf die bin ich vorbereitet.
Es ist zwar unüblich, ich gebe jetzt trotz alledem der
Bundesregierung die Chance, sich abzustimmen und uns
zu benachrichtigen, wer die Frage 1 der Kollegin Koczy
beantwortet. Ich bitte Sie, Kollegin Koczy, noch einmal
Platz zu nehmen.
Wir kommen in der Zwischenzeit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Die Fragen 2 und 3 der Kollegin Kirsten Tackmann
werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir schon bim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
hätte der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Schmidt zur Verfügung gestanden. Aber die Frage 4 des
Kollegen Hans-Christian Ströbele soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth steht
zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 5 und 6 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
werden schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich die Frage 7 des Kollegen HansMichael Goldmann auf.
({0})
- Ich bitte, das vorher anzuzeigen. Unsere Regel besagt:
Wer nicht anwesend ist bei Aufruf, bekommt keine Antwort.
Die Fragen 7 und 8 werden also schriftlich beantwortet, die Fragen 9 und 10 der Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan ebenfalls sowie die Frage 11 des Kollegen Mücke. Die Fragen 12 und 13 des Kollegen
Christian Ahrendt werden bitte auch schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Uwe Barth auf:
({1})
Denkt die Bundesregierung darüber nach, im Rahmen der
Neuordnung der Bundesbauverwaltung eine Bundesbauanstalt mit einem Bundesamt für Forschung und Entwicklung zu
errichten, und, wenn ja, soll das Bundesamt für Forschung
und Entwicklung in den neuen Bundesländern angesiedelt
werden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
({2})
Frau Präsidentin! Herr Kollege Barth, die Bundesregierung antwortet Ihnen wie folgt: Die beabsichtigte
Neuordnung der Bundesbauverwaltung hat zum Ziel,
das heute in Bonn und Berlin ansässige Bundesamt für
Bauwesen und Raumordnung in eine für operative
Bauaufgaben zuständige rechtsfähige Bundesanstalt öffentlichen Rechts und in ein Bundesforschungsamt aufzuteilen. Dieses Amt soll aus den vorhandenen beiden
wissenschaftlichen Abteilungen bestehen, in die ergänzend das vom Bund finanzierte Institut für Erhaltung und
Modernisierung von Bauwerken e. V. Berlin integriert
werden soll. Es handelt sich somit nicht um die Neuerrichtung einer Behörde, sondern lediglich um eine
Umstrukturierung. Deshalb geht es nicht darum, einen
Standort für eine neue Behörde zu finden. Vielmehr stehen die bisherigen Standorte Bonn und Berlin zur Verfügung.
Einer Ansiedlung des Bundesamts in den neuen Ländern, etwa in Weimar, steht auch das Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom
20. Juni 1991 zur Vollendung der Einheit Deutschlands
- Berlin/Bonn-Gesetz vom 26. April 1994 - entgegen;
denn der heutige wissenschaftliche Bereich des BBR
wurde 1998 aus der in Bonn ansässigen ehemaligen
Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung gebildet. Das Gesetz legte 1994 fest, dass die
Berliner Außenstelle der Bundesforschungsanstalt für
Landeskunde und Raumordnung nach Bonn zu verlagern
war. Vor diesem Hintergrund werden mit dem vorgesehenen Sitz in Berlin und in Bonn alle Spielräume ausgeschöpft, die neuen Länder zu stärken.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, ich habe mir den Koalitionsvertrag herausgesucht; er
ist ja für die Nachwelt schwarz auf weiß abgedruckt. Im
Koalitionsvertrag heißt es wörtlich:
Neue Bundeseinrichtungen sollen in den neuen
Ländern angesiedelt werden.
Würden Sie mir recht geben, dass es gemäß dem Sinn
dieses Vorhabens weniger darum geht, neue Einrichtungen in den neuen Ländern anzusiedeln, sondern überhaupt Einrichtungen des Bundes dort anzusiedeln, weil
es um eine infrastrukturelle Unterstützung der neuen
Länder geht? Insofern ist es gar nicht wichtig, ob es neu
zu gründende, durch Umstrukturierungen neu entstehende oder vielleicht einfach nur umziehende Einrichtungen sind, die in den neuen Ländern angesiedelt werden sollten, um dieses Ziel zu erreichen. Daher geht der
Verweis darauf, dass es sich hier nicht um eine Neugründung handelt, möglicherweise nicht nur am Sinn und
Inhalt der Koalitionsvereinbarung, sondern auch am Verständnis der Menschen, die von der Entscheidung betroffen sind - an dieser Stelle die Bürger der Stadt Weimar -,
vorbei.
Frau Präsidentin! Kollege Barth, es ist kein Zufall,
dass in der Koalitionsvereinbarung „neue Bundeseinrichtungen“ steht. Die Bundesregierung möchte nämlich
keinesfalls das Gesetz des Bundestages missachten.
Sie können noch eine zweite Frage stellen.
Jawohl, Frau Präsidentin, ich habe das verstanden und
danke für diese Möglichkeit.
Frau Staatssekretärin, Sie haben ausgeführt, dass nach
dem Berlin/Bonn-Gesetz der Schwerpunkt der Einrichtung in Bonn bleiben müsse. Würden Sie mir darin zustimmen, dass es angesichts des voraussichtlichen Anteils derer, die nach Weimar hätten umziehen können
- das wären 150, vielleicht 200 Mitarbeiter der etwa
1 200 Mitarbeiter gewesen -, durchaus möglich gewesen
wäre, den Schwerpunkt der Einrichtung in Bonn zu belassen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Barth, wie schon gesagt, geht es nicht um die Frage „Was wäre, wenn?“,
sondern um die Grundsatzfrage: Ist das eine neue Einrichtung, trifft hier das Berlin/Bonn-Gesetz zu oder
nicht? Da es sich hier um keine neue Einrichtung handelt, gehen wir nach dem Berlin/Bonn-Gesetz so vor,
wie ich es Ihnen beschrieben habe.
Darüber hinaus will ich doch noch anmerken, dass
eine Vielzahl von Einrichtungen im Geschäftsbereich
unseres Ministeriums in den neuen Ländern angesiedelt
wurde. Allerdings waren das auch vom Ziel her andere
Institutionen, die dann schon dort waren.
Ich verstehe, dass Sie gerne eine Ansiedelung in Weimar wollen. Aber wir haben Prinzipien einzuhalten, insbesondere den Bundestagsbeschluss, den ich zitiert habe.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Bodo
Ramelow das Wort.
Wenn im Raume steht, dass das erlassene Gesetz geändert werden müsste, frage ich mich natürlich, warum
die Bundesregierung den Bundestag in dieser Angelegenheit nicht gefragt hat, wie es mein Kollege Barth gerade in seiner Frage formuliert hat. Wir hätten hier im
Plenum des Bundestages jederzeit darüber debattieren
und dann die Entscheidung treffen können, diese sinnvolle Einrichtung in Weimar anzusiedeln, in Synergie
zur Bauhaus-Universität, angesichts all der Traditionen,
die gerade in Weimar existieren. Deswegen frage ich
mich, warum Sie uns als Gesetzgebungsorgan überhaupt
nicht gefragt haben.
Wenn Sie sagen, es handele sich nicht um eine neue
Einrichtung, sondern um eine Neustrukturierung, frage
ich mich, warum dann nicht einfach eine Zweigstelle in
Weimar errichtet wurde, mit dem gleichen Effekt.
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter Ramelow, es ist
ganz einfach: Es geht um eine Steigerung der Effizienz
der Verwaltung, nicht um eine Ansiedlung an einem Ort
wie Weimar oder Dresden oder einem anderen Ort in den
neuen Ländern. Es geht vielmehr darum, die vorhandenen Einrichtungen zu optimieren und deshalb neu zu
strukturieren. Das ist für uns der entscheidende Punkt.
Wenn der Bundestag das Berlin/Bonn-Gesetz aufheben will, dann wird die Bundesregierung das zur Kenntnis nehmen; aber solche Initiativen kenne ich nicht.
Eine letzte Nachfrage zu dieser Frage stellt die Kollegin Hirsch.
Warum nehmen Sie den Koalitionsvertrag so ernst,
wenn es darum geht, dass explizit von einem neuen Amt
die Rede ist, und erfüllen ihn an anderer Stelle nicht, beispielsweise bei der Festlegung, dass im Laufe der Legislaturperiode eine Großforschungseinrichtung in den
neuen Bundesländern angesiedelt werden soll? Sind
nicht auch Sie der Ansicht, dass da der Eindruck entsteht, dass die Bundesregierung die neuen Bundesländer
kontinuierlich und in allen Politikbereichen hinten runterfallen lässt?
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, die Frage nach einer neuen Einrichtung muss natürlich immer vor dem
Hintergrund gestellt werden, an welchem Standort sie
richtig, vernünftig und gut ist. Aber die neuen Länder
haben - das hat man in den letzten Jahren gesehen dort, wo es möglich ist, bei neuen Einrichtungen Priorität. Insofern teile ich Ihre Meinung nicht.
Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die beiden Fragen, die zu diesem Bereich gestellt sind, werde
ich jetzt aufrufen und beantworten lassen. Danach werde
ich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und
damit zur Frage 1 zurückkommen. Das nur als Hinweis
an die Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Uwe Barth auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die Stadt Weimar auch aufgrund der Bauhaus-Universität ideale Voraussetzungen für die Ansiedlung eines Bundesamtes für Forschung
und Entwicklung in dieser Stadt bietet?
Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist jetzt nicht entscheidend.
({0})
Entscheidend ist, dass der Standort, den wir vorsehen
- Bonn und Berlin -, aufgrund der dargestellten Begrün14556
dung gewählt worden ist. Wir sehen daher, bezogen auf
Weimar, keinen Handlungsbedarf.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Frau Staatssekretärin, inwieweit haben andere Aspekte bei der Entscheidung eine Rolle gespielt? Wie bei der vorigen Frage
schon diskutiert, glaube ich nicht, dass hier tatsächlich
die explizite Festlegung auf eine neue Behörde den Ausschlag gibt.
Mir liegt ein Schreiben des Kollegen Carsten
Schneider vor, der ebenfalls der SPD-Fraktion angehört
und dort als haushaltspolitischer Sprecher eine herausgehobene Stellung hat. In diesem Schreiben an den Thüringer Bauminister macht er auch Haushaltsbedenken
geltend, da ein Umzug natürlich erhebliche Kosten verursachen würde. Deswegen möchte ich Sie fragen, ob
kalkuliert worden ist, wie hoch die Kosten dieses Umzugs wären und ob insbesondere berechnet worden ist, in
welcher Größenordnung sich der Unterschied zwischen
den Kosten eines Umzugs nach Berlin und den Kosten
eines Umzugs nach Weimar bewegt.
Frau Staatssekretärin, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Barth, da wir von dem
ausgehen, was ich gesagt habe - dass es sich um keine
neue Behörde, sondern um eine Umstrukturierung der
Behörde zur Verbesserung der Effizienz, um eine Bündelung der Aufgaben an den jeweiligen Standorten Berlin
und Bonn handelt -, haben wir das nicht geprüft. Wir
handeln gesetzestreu, wir sind dem Berlin/Bonn-Gesetz
verpflichtet.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Vielen Dank. - An dieser Stelle will ich nicht lockerlassen; denn Haushaltsüberlegungen spielen immer eine
Rolle.
Wenn es zur Neugründung einer Behörde kommen
sollte, die, wenn es nach Effizienzgesichtspunkten ginge,
in Berlin angesiedelt werden müsste - ich konstruiere
diesen Fall einmal -, wie groß dürfte dann der Unterschied zwischen den Kosten einer Ansiedlung in den
neuen Ländern, ob in Weimar oder an einem anderen
Ort, Ihrer Einschätzung nach sein, damit man dem politischen Willen, der im Koalitionsvertrag zum Ausdruck
kommt, gegenüber den strengen Effizienzüberlegungen
Ihres Hauses noch den Vorzug geben könnte?
Die Frage, ob, wann und in welcher Weise neue Einrichtungen in Berlin angesiedelt werden, wird im Einzelfall geprüft, und zwar dann, wenn sie ansteht. Im Rahmen der Reform der Bundesbauverwaltung steht diese
Frage nicht an. Die Frage „Was wäre, wenn?“ wird dann
beantwortet, wenn es so weit ist.
Damit kommen wir zur Frage 16 der Kollegin Bettina
Herlitzius:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Ankündigung des
Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
Wolfang Tiefensee, in der Süddeutschen Zeitung vom
16. Januar 2008, das Wohngeld spürbar zu erhöhen, und wie
sehen die weiteren Planungen der Bundesregierung, insbesondere vor dem Hintergrund der einhelligen Meinung der Sachverständigen, dass es notwendig sei, das Wohngeld unter Einbeziehung der Heizkosten zu erhöhen und den vorliegenden
Gesetzentwurf der Bundesregierung ({0})
vor allem in den Bereichen Haushaltsbegriff, gesamtschuldnerische Haftung und Wegfall von Rechtsschutzmöglichkeiten
zu überarbeiten, bezüglich einer Novellierung des Wohngeldrechts aus?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Herlitzius, wir haben uns im Zuge der
Diskussionen über die Neuordnung des Niedriglohnsektors, die heute schon eine Rolle spielte, mit den beteiligten Ressorts darauf verständigt, ein Gesamtkonzept zu
entwickeln, einschließlich des Wohngeldes. In diesem
Zusammenhang ist auch über die Berücksichtigung der
Heizkosten zu diskutieren. Die hierzu notwendigen Gespräche werden derzeit geführt. Wir haben das also aufgegriffen.
Die in der Anhörung angesprochenen Themen, die
Sie im Einzelnen aufgeführt haben, können im parlamentarischen Verfahren berücksichtigt werden. Der
entsprechende Gesetzentwurf befindet sich im parlamentarischen Raum. Die Bundesregierung nimmt die Diskussionen, die im Rahmen der Anhörung geführt
wurden, zur Kenntnis. Ich bin mir sicher, dass die Koalitionsfraktionen den einen oder anderen Hinweis, der in
der Anhörung gemacht wurde, aufgreifen werden.
Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Jetzt muss ich genauer
nachfragen, Frau Staatssekretärin. Insbesondere von Kabinettsmitgliedern wurden gegensätzliche Äußerungen
gemacht. Herr Tiefensee hat gesagt - ich habe seine
Aussage in meiner Frage erwähnt -, es bestehe die Notwendigkeit, die Regelungen zum Wohngeld zu verändern und das Wohngeld zu erhöhen. Einen Tag später hat
der Bundesfinanzminister eine ganz andere Meinung
vertreten. Das glich eher der „Muppet Show“ als einer
Kabinettsvorlage. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie:
Wie positionieren Sie sich? Welcher der beiden Minister
hat denn nun recht? Schließlich gehören beide derselben
Regierung an.
({0})
Frau Präsidentin! Kollegin Herlitzius, das ist überhaupt nicht die Frage. Es geht nicht darum, ob das
Wohngeld erhöht werden soll,
({0})
sondern darum, wie das finanziert werden soll. Das war
die Frage, über die intern diskutiert wird, allerdings nicht
kontrovers. An dieser Stelle bitte ich Sie um ein bisschen
Geduld. Ich denke, dass wir hier bald einen Schritt vorankommen werden.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage, bitte.
Dann habe ich die Äußerungen von Herrn Steinbrück
anscheinend falsch verstanden. Das heißt also: Beide
Minister sind der Meinung - die Regierung ist der Meinung -, dass das Wohngeld angehoben werden muss, sie
suchen jetzt nur nach Lösungen dafür. Dann wird der jetzige Gesetzentwurf, der das nicht beinhaltet, zurückgezogen, und wir können mit einer Neuvorlage rechnen.
Darf ich auch noch fragen, wann?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Liebe Kollegin, im parlamentarischen Verfahren ist es
üblich, dass Gesetzentwürfe nach Anhörungen noch verändert werden; das zum Thema „wann“. Es ist vonseiten
der Bundesregierung nicht geplant, einen neuen Entwurf
einzubringen. Es wird zurzeit in den Koalitionsfraktionen über dieses Thema diskutiert.
Was das angeht, was Herr Steinbrück gesagt hat,
möchte ich darauf verweisen, dass er sich in der Sache,
was eine Erhöhung des Wohngeldes anbetrifft, nicht geäußert hat, sondern nur zur Frage der Abstimmung - und
die erfolgt.
Es gibt noch eine weitere Nachfrage. Die Kollegin
Dückert hat das Wort.
Frau Staatssekretärin, habe ich es gerade richtig verstanden, dass Sie mit Ihrer Antwort auf die Frage angedeutet haben, dass die Bundesregierung plant, im laufenden Gesetzgebungsverfahren eine Wohngelderhöhung
aufzunehmen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Kollegin Dr. Dückert, die Bundesregierung hat
einen Gesetzesvorschlag gemacht, der sich im parlamentarischen Raum befindet. Die Frage, ob und inwieweit
im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens eine Wohngelderhöhung vorgesehen wird, wird geklärt.
({0})
Frau Dückert, Sie haben nur die Möglichkeit zu einer
Nachfrage; es tut mir leid.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin!
Wir kommen zurück zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung.
Staatssekretär Erich Stather beantwortet die Frage 1
der Kollegin Ute Koczy:
Wie erklärt die Bundesregierung die Diskrepanz zwischen
der Aussage des Koalitionsvertrages - 2005 -: „Zur Steigerung der Effizienz und Verbesserung der Strukturen der deutschen Entwicklungspolitik sind weitere Straffungen notwendig. Dies gilt insbesondere für eine bessere Verknüpfung von
Technischer und Finanzieller Zusammenarbeit“, die auch von
Staatssekretär Erich Stather laut FAZ-Interview vom 15. Januar 2008 als „klare Verpflichtung“ zur Reform der entwicklungspolitischen Institutionenlandschaft in Deutschland interpretiert wird, und der Tatsache, dass selbst nach Vorliegen
vielfältiger Empfehlungen und Gutachten und der durch die
Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, im Herbst 2006
angekündigten Verschmelzung von KfW Entwicklungsbank
und Deutscher Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit
zu einer neuen, schlagkräftigeren Organisation - vergleiche
oben zitierten FAZ-Artikel - seitdem keine konkreten Reformschritte in die Richtung einer einheitlichen deutschen Entwicklungsagentur unternommen worden sind, und ist in diesem Jahr überhaupt noch damit zu rechnen, dass es eine
Reform der deutschen Institutionenlandschaft der Entwicklungszusammenarbeit in Richtung einer einheitlichen deutschen Entwicklungsagentur geben wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, es tut mir leid, wenn ich ein bisschen Verwirrung gestiftet habe.
Frau Abgeordnete Koczy, ich möchte Ihre Frage wie
folgt beantworten: In der Koalitionsvereinbarung von
2005 steht zu Recht, dass Straffungen der Strukturen der
deutschen Entwicklungspolitik notwendig sind. Daran
halten die Bundesregierung und die beteiligten Ministe14558
rien unverändert fest. Die Bundesregierung hat in der
Vergangenheit bewiesen, dass Straffungen möglich und
umsetzbar sind; ich nenne nur als Beispiel InWEnt und
die DEG.
Die Bundesregierung lässt sich daran messen, was sie
im Rahmen dessen, was in der Koalitionsvereinbarung
steht, bis zum Ende der Legislaturperiode, 2009, umsetzt. Auf der Basis zweier Gutachten von 2006 und
2007 ist die Bundesregierung dabei, einen Reformvorschlag zu entwickeln, mit dem das, was in der Koalitionsvereinbarung steht, umgesetzt wird. Dies wird, wie
bereits erwähnt, im Verlauf der restlichen Legislaturperiode geschehen und entsprechende Handlungsschritte
beinhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke. - Das hört sich gut an. Ich will wie Sie, dass
die Zusammenführung der Entwicklungsdurchführungsorganisationen ein Erfolg wird. Meine Frage ist deshalb:
Können Sie uns bestätigen, dass dies in diesem Jahr geschehen wird?
Frau Abgeordnete, ich kann Ihnen weder bestätigen,
dass dies in diesem Jahr geschehen wird, noch, dass es
im Frühjahr 2009 geschehen wird. Es wird, wie gesagt,
während der Restlaufzeit der Legislaturperiode geschehen.
Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten Nachfrage.
Das stimmt mich sehr nachdenklich. Wir fragen seit
einem Jahr immer wieder nach, wann das passieren wird,
und werden immer wieder vertröstet. Stimmen Sie mir
zu, dass Sie das, wenn Sie es dieses Jahr nicht hinbekommen, vermutlich auch 2009 nicht schaffen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich stimme Ihnen nicht zu, dass das nicht geschehen
wird. Sie wissen selbst: Bei der Vielzahl der Beteiligten
ist ein Zeitplan nicht immer einhaltbar. Ich bin deshalb
nicht in der Lage, zu sagen: Es ist der 15. Juli oder der
17. September. - Wir befinden uns mitten in diesem Prozess, und ich glaube, dass wir auf einem erfolgreichen
Weg sind. Es gibt einen Grundkonsens; aber es gibt noch
keinen Endkonsens.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege HansChristian Ströbele das Wort.
Herr Staatssekretär Stather, geben Sie mir recht, wenn
ich Ihnen vorhalte, dass in der Vergangenheit - insbesondere im letzten Jahr - bereits für Herbst 2007 eine
Entscheidung der Bundesregierung angekündigt bzw. in
Aussicht gestellt worden ist und dass die Tatsache, dass
diese Entscheidung bisher offenbar nicht getroffen oder
jedenfalls nicht bekannt gegeben worden ist, in den
Durchführungsorganisationen zu erheblicher Verunsicherung führt, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen
wird - werden einzelne Durchführungsorganisationen
zusammengelegt oder nicht und, wenn ja, nach welchen
Modalitäten -, und dieser Schwebezustand für die Betroffenen auf die Dauer nur schwer erträglich ist?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Ströbele, ich bin durchaus zur Selbstkritik bereit.
Wenn wir uns darauf verständigen können, dass eine entsprechende Entscheidung in Aussicht gestellt, aber noch
nicht angekündigt worden ist, dann stimme ich Ihnen zu.
Ich bedauere das selbst. Ich glaube, dass auch die
Bundesregierung bedauert, dass die Schritte etwas mühsamer sind, als sie manchmal eingeschätzt werden. Ich
spüre auch, dass es aufseiten der Mitarbeiter in allen
beteiligten Durchführungsorganisationen zwar keine
Unruhe, aber doch den Wunsch nach konkreten Lösungsvorschlägen gibt. Ich glaube aber nicht, dass es für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer irgendeinen
Grund zu Befürchtungen hinsichtlich ihrer Arbeitsplätze
oder sonstiger entscheidender Veränderungen gibt.
Noch einmal: Ich stimme Ihnen zu. Bei einer Vielzahl
von Beteiligten ist der Prozess aber oftmals etwas mühsamer, als er vom Grundsatz her angedacht ist.
({0})
Das geht nicht, Kollege Ströbele. Sie haben nur die
Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Die Kollegin Heike Hänsel stellt noch eine Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich habe auch noch eine Nachfrage. Sie haben den
Grundkonsens erwähnt, den es mittlerweile gibt. Wir haben von Ihnen die sehr kostspielige Studie über die verschiedenen Modelle von Pricewaterhouse-Coopers vorgelegt bekommen. Mich würde interessieren, ob der
Grundkonsens noch die Präferierung eines der Modelle,
die in dieser Studie vorgeschlagen wurden, umfasst.
Oder gibt es jetzt ganz neue Vorstellungen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Abgeordnete, gemäß dem Grundkonsens gibt es
ein Grundverständnis darüber, dass die Strukturen mit
Blick auf einen einheitlichen Auftritt der deutschen Entwicklungspolitik - insbesondere nach außen - verändert
werden müssen. Inzwischen sind auf der Basis der Gutachten zusätzliche und, wie ich finde, auch umfassendere Überlegungen hinzugekommen, die weitere Teile
der Durchführungsorganisationen betreffen; in der Koalitionsvereinbarung wird ja eigentlich nur von der finanziellen und der technischen Zusammenarbeit gesprochen. Es gibt also ein Gesamtpaket, über das ein
Grundkonsens herrscht. Haben Sie aber bitte Verständnis
dafür, dass ich, solange noch kein Endkonsens besteht,
über Details hier nicht sprechen kann und möchte.
Danke, Herr Staatssekretär. - Wir sind damit am Ende
Ihres Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung.
Die Frage 17 des Kollegen Hans-Josef Fell wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Ist es nach Erkenntnissen der Bundesregierung zutreffend,
dass eine von der Strahlenschutzkommission, SSK, geplante
Arbeitsgruppe zur Bewertung der Stellungnahme des Bundesamtes für Strahlenschutz über die epidemiologische Studie zu
Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken, KiKKStudie, vom bisherigen Vorsitzenden der Strahlenschutzkommission, Professor Dr. Wolfgang-Ulrich Müller, geleitet werden
soll, der sofort nach Veröffentlichung der KiKK-Studie bekannt
gab, dass die darin festgestellte erhöhte Kinderkrebsrate nicht
auf atomare Strahlung zurückgeführt werden könne?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Erstens. Die Bewertung der KiKK-Studie - so heißt
sie in der Kurzform - haben wir in Abstimmung mit der
Begleitkommission Herrn Professor Dr. Wolfgang-Ulrich
Müller von der Universität Essen übertragen. Dies ergibt
sich auch aufgrund seiner Funktion als Vorsitzender der
Strahlenschutzkommission, die er übrigens längere Zeit
bis Ende 2007 ausübte.
Zweitens. Die von Ihnen unterstellte Aussage ist von
Herrn Professor Müller so nicht getroffen worden, wie
Nachfragen ergeben haben. Sie hätten übrigens dasselbe
Ergebnis bekommen, wenn Sie die Nachfrage, die beispielsweise im Interview von Stern-online veröffentlicht
wurde, nachgelesen hätten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär Müller, ich beziehe mich jetzt
nicht auf das Interview von Stern-online; es gibt auch
andere Interviews Ihres Namenskollegen WolfgangUlrich Müller. Ich beziehe mich nun auf seine Aussagen
in einem Interview der Frankfurter Rundschau vom
10. Dezember. Auf die Frage „Am heftigsten wird über
die Krebsfälle in der Elbmarsch bei Krümmel gestritten.
Ist die dortige starke Häufung anders als mit Radioaktivität zu erklären?“ antwortete Herr Müller:
Es gibt derzeit keine Antwort. Der Krümmel-Dauerbetrieb kann die Ursache nicht sein. Und dass ein
vertuschter Störfall der Grund ist, wie behauptet
wird, halte ich für unwahrscheinlich.
Welchen anderen Schluss lässt das zu, als dass Herr
Müller die Radioaktivität als Ursache ausschließt?
Ich gebe Ihnen noch ein zweites Beispiel. Auf eine
zweite Frage, bei der es um den Vergleich der Strahlenbelastung durch Röntgen, Fliegen und AKW geht, antwortet er, man könne dies nicht eins zu eins vergleichen.
Dann sagt er:
Beim Röntgen und Fliegen ist die Einwirkungszeit
kurz, bei den AKW ist es eine chronische Exposition. Letztere liegt aber so niedrig, dass dies für
eine Krebsauslösung in dem von der Studie festgestellten Umfang nicht infrage kommt.
Welchen anderen Schluss lässt dies zu?
In dem von mir genannten Interview ist auf die Frage
„Scheidet Strahlung bei Ihnen also aus?“ von Herrn
Müller geantwortet worden:
Nein, wir werden die Strahlung nicht ausschließen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich muss an dieser Stelle noch ein bisschen bohren.
Es mag ja sein, dass eine Aussage in einem Interview ein
bisschen vorsichtiger als eine Aussage in einem anderen
Interview getroffen wird; nichtsdestoweniger negiert die
Aussage in dem einen Interview nicht die Aussage in
dem anderen. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel und
frage Sie, ob das BMU die folgende Einschätzung teilt;
denn das muss ich unterstellen, wenn Sie diesem Mann
jetzt eine so verantwortungsvolle Aufgabe geben. Auf
die Frage „Die internationale Strahlenschutzkommission
hat neue Richtlinien angekündigt. Es heißt, das Leukämierisiko bei Kindern wurde unterschätzt. Doch eine
neue Bewertung?“ antwortet Herr Müller:
Nein. Die Veränderungen sind minimal, denn es
gibt keine sensationellen neuen Erkenntnisse. Die
Bewertung verändert sich nicht substanziell.
Ich frage Sie: Teilt das BMU diese Einschätzung?
Ich weiß, dass Sie unsere Stellungnahme in der Aktuellen Stunde mitbekommen haben. Insofern erübrigt
sich eigentlich Ihre Frage. Aber ich gebe den Ball einfach zurück: Herr Professor Müller ist unter dem Umweltminister Jürgen Trittin zum Vorsitzenden der Strahlenschutzkommission gemacht worden. Seine Amtszeit
ist Ende 2007 ausgelaufen. Wenn Sie Ihre Frage so stellen, bezieht sie sich auf die gesamte Amtszeit. Sie wissen, dass wir die Strahlenschutzkommission sehr pluralistisch besetzt haben und dass diese Frage zumindest
von einem Vertreter Ihrer Fraktion in der Vergangenheit
nie gestellt worden ist.
Wir kommen damit zur Frage 19 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche Epidemiologen
in die genannte Arbeitsgruppe berufen werden sollen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Auf Ihre zweite Frage kann ich Ihnen sagen, dass drei
Epidemiologen angefragt worden sind: Dr. Martin Röösli
vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern, Frau Dr. Tirmarche vom IRSN, einem
französischen Institut, und Frau Sarah Darby aus Oxford, drei ausgewiesene Strahlenepidemiologen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich schicke voraus,
dass die Berufung von Herrn Müller als Vorsitzenden der
Strahlenschutzkommission durch den vormaligen Umweltminister diesen ehemaligen Umweltminister wahrscheinlich nicht davon abgehalten hätte, nach diesem Interview Herrn Müller nicht zum Vorsitzenden dieses
neuen Expertengremiums zu machen. Aber wir können
ihn ja gern einmal gemeinsam fragen.
Nun meine Nachfrage zu den Epidemiologen: Was
hat sie besonders ausgezeichnet, um in dieses Gremium
berufen zu werden?
Unabhängig davon, dass die Meinung von Herrn
Müller schon immer bekannt war - ich bin länger als Sie
im Parlament und weiß, wie er auch in der Zeit der vorigen Bundesregierung bewertet wurde -, sollten wir hier
nicht am Thema vorbeireden. Der entscheidende Punkt
war in der Vergangenheit der Pluralismus, woran man
sich gehalten hat. Wir werden darauf Wert legen, dass er
auch in der Arbeitsgruppe eingehalten wird. Alle drei
Epidemiologen haben konkrete Erfahrungen auf dem
Gebiet der Wirkung von radioaktiver Strahlung auf Kinder und Krankheitsbilder im Bereich von Krebs.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich beziehe mich
auf den zweimal von Ihnen erwähnten Pluralismus in der
Strahlenschutzkommission. Hat die Strahlenschutzkommission keine eigenen Epidemiologen, die die gleichen
Erfahrungen mitbringen wie die ausländischen Experten,
die Sie jetzt berufen wollen?
Sicherlich gibt es die auch, aber ich weiß nicht, inwiefern das gegen die anderen Experten spricht. Ich sehe
den Sinn Ihrer Frage nicht ganz. Was spricht dagegen,
dass Experten mit sehr viel Erfahrung auf dem Gebiet
aus einem anderen Land kommen? Sie müssten schon
näher erläutern, was Sie konkret meinen.
({0})
- Sie hätten in Ihrer Frage angeben müssen, ob Sie gegen irgendjemanden etwas haben. Darüber kann man reden. Aber so geht es nicht.
({1})
- Okay.
Sie können das gerne bei anderer Gelegenheit vertiefen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Andreas Storm zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 20 der Kollegin Ina Lenke:
Zu welchen Anteilen soll sich die geplante Fortbildungsinitiative für 80 000 Personen auf Tagesmütter und -väter
bzw. Erzieherinnen und Erzieher erstrecken, und wie viele
von ihnen sollen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit bzw.
bei Wiedereinstieg nach einer Erwerbsunterbrechung für diese
Fortbildungsinitiative gewonnen werden?
Frau Abgeordnete Lenke, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Für den geplanten bedarfsgerechten Ausbau
des Betreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren
sind rund 50 000 Erzieherinnen und Erzieher sowie bei
einem Anteil der Tagespflege von rund 30 Prozent etwa
27 000 Tagespflegepersonen zusätzlich zu gewinnen.
Zur Unterstützung dieses Prozesses starten das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend eine gemeinsame Qualifizierungsoffensive Kinderbetreuung mit einem Internetportal zur frühkindlichen Bildung.
Dieses Informations- und Weiterbildungsangebot
richtet sich sowohl an berufstätige als auch arbeitslose
Erzieherinnen und Erzieher sowie Tagesmütter und -väter, aber ebenso an Quereinsteiger mit beruflicher Bildung. Es wird grundsätzlich allen offenstehen, die an
diesen Bildungsinhalten interessiert sind.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, ich finde es sehr erstaunlich, dass
Ihnen dazu nicht mehr als ein Internetportal eingefallen
ist. Ich glaube, dass die Erzieherinnen und Erzieher noch
andere Erwartungen an die Bundesregierung hatten. Ist
das alles, oder gibt es zusätzliche Angebote? Schließlich
stellen Sie viel Geld zur Verfügung.
Nein, Frau Abgeordnete Lenke, das ist nicht alles. Zunächst zur Bedeutung des Internetportals: Es geht darum, einen wichtigen Beitrag für die Verbesserung der
Qualifizierungsmöglichkeiten der Erzieherinnen und Erzieher durch Schaffung von Infrastruktur zu leisten. Es
wird beispielsweise darum gehen, Angebote zugänglich
zu machen, die über Tutorien oder Lerngruppen IT-Qualifizierungsmaßnahmen begleiten.
Wie Sie wissen, sind im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zuständigkeit in diesem Bereich sehr stark die
Länder und Kommunen gefordert. Der Bund ist aber zur
Verbesserung der Qualifikation im Bereich der frühkindlichen Bildung auf weiteren Feldern aktiv, zum Beispiel
indem wir Forschung zu frühkindlicher Bildung fördern.
Ich nenne noch ein weiteres Beispiel. Wir leisten seitens des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
einen wichtigen finanziellen und organisatorischen Beitrag, um das „Haus der kleinen Forscher“ - dabei handelt es sich um eine Public-Private-Partnership zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft zur Stärkung von naturwissenschaftlichen Kompetenzen im Bereich der frühkindlichen Bildung - in kurzer Zeit möglichst bundesweit zu
verbreiten.
Ihre zweite Frage, bitte.
Zu dieser geplanten Fortbildungsinitiative in Form eines Internetportals habe ich folgende Frage: Ist das nur
ein Informationsportal, oder haben die Erzieher und Erzieherinnen sowie die Tagesmütter und -väter die Möglichkeit, dort interaktiv eine Zertifikation zu bekommen?
Wenn sie eine solche nicht haben, dann ist das Ganze nur
von allgemeinem Interesse. Es gibt viele Internetportale,
die sich zum Beispiel mit Bildungsforschung bei unter
Sechsjährigen befassen. Man kann sich vieles aus dem
Internet besorgen. Ist das, was Sie anbieten, nur ein Informationsportal?
Frau Abgeordnete Lenke, ich habe schon in der Antwort auf Ihre erste Zusatzfrage deutlich gemacht, dass es
über die Bereitstellung der Infrastruktur mit diesem Internetportal hinaus Aktivitäten gibt. Zuerst muss dieses
Internetportal mit Inhalten durch die Anbieter gefüllt
werden, die auch für die Bereitstellung von begleitenden
Gruppen sorgen sollten; das nennt man Blended Learning. Das heißt, es geht um Betreuung des E-Learning.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Es soll Möglichkeiten
geben, die so erworbenen Fortbildungsinhalte nachzuweisen und zertifizieren zu lassen.
Dieses Internetportal ist also nur ein Element eines
Bündels zahlreicher Maßnahmen zur Stärkung der frühen Bildung von Kindern und der Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher, der Tagesmütter und Tagesväter.
Wir kommen zu Frage 21 der Kollegin Ina Lenke:
Welcher zeitliche und finanzielle Umfang der Fortbildung
ist für die einzelne Tagespflegeperson bzw. die Erzieherin
bzw. den Erzieher jeweils für die einzelnen Weiterbildungsmodule und Präsenzangebote vorgesehen, und wie soll gerade
in kleineren Einrichtungen und im Rahmen der Tagespflege
die Vertretung gewährleistet werden?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Abgeordnete Lenke, diese Frage schließt unmittelbar an den ersten Sachverhalt an. Ich antworte wie
folgt: Grundsätzlich obliegt es den Trägern der Einrichtungen, den Kommunen und den Ländern unter Berücksichtigung der Bildungspläne der Länder die Modalitäten
zur Weiterbildung des Personals in der Kindertagesbetreuung festzulegen. Ziel der Initiative der Bundesregierung ist es, diesen Institutionen ebenso wie interessierten
Einzelpersonen den Zugang zu besten Standards, qualitätsgesicherter Weiterbildung und berufsbegleitender
Qualifizierung zu ermöglichen. Das Angebot von Qualifizierungsmodulen über neue Medien in Kombination
mit Präsenzangeboten ermöglicht dabei ein hohes Maß
an Flexibilität bei der individuellen Zeiteinteilung für die
Fortbildung.
Zur Sicherstellung der Vertretung in Fehlzeiten des
Personals wird im Aktionsprogramm „Kindertagespflege“ in Abstimmung mit Ländern, Kommunen und
Trägern die Anbindung von Tagespflegepersonen an
Einrichtungen bzw. die Arbeit in Großpflegestellen gezielt erprobt.
Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, nach diesen Antworten fallen mir
dazu keine Fragen mehr ein.
Die Frage 22 des Kollegen Jan Mücke wird schriftlich
beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Die Fragen 23 und 24 des Kollegen Dr. Seifert werden schriftlich beantwortet.
Damit rufe ich die Frage 25 des Kollegen Markus
Kurth auf:
Wann wird die zwischen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz abgestimmte Übersetzung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie des Fakultativprotokolls zugänglich gemacht, und
wie geht die Bundesregierung mit dem Vorwurf um, die gute
Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den
Menschen mit Behinderungen und deren Verbänden im Vorfeld der Erarbeitung der UN-Konvention nicht auch im Zuge
des Übersetzungsprozesses fortgesetzt zu haben?
Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Kurth, meine Antwort lautet wie folgt:
Am 10. Januar 2007 hat die Bundesregierung die mit
Österreich, der Schweiz und Liechtenstein abgestimmte
deutsche Fassung des UN-Übereinkommens über die
Rechte von Menschen mit Behinderungen und des dazugehörigen Fakultativprotokolls auf der Internetseite des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales veröffentlicht. Die Bundesregierung wird auch die notwendigen
Schritte einleiten, um Versionen des Übereinkommens
und des Fakultativprotokolls in Gebärdensprache sowie
in leichter Sprache erstellen zu lassen.
Auch bei der Übersetzung des Übereinkommens hat
die Bundesregierung die Verbände behinderter Menschen eng eingebunden. Die deutsche Arbeitsübersetzung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
wurde den Verbänden behinderter Menschen frühzeitig
zur Verfügung gestellt, die sich dazu schriftlich und
mündlich gegenüber dem Ministerium äußerten. Am
5. Juli 2007 wurde auf einer Fachkonferenz des Deutschen Instituts für Menschenrechte mit Vertreterinnen
und Vertretern des Deutschen Behindertenrates über Fragen der Übersetzung diskutiert. Die Anregungen des
Deutschen Behindertenrates hat das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales zusammen mit den Stellungnahmen der Bundesländer und der Ressorts in die Verhandlungen mit den anderen deutschsprachigen Staaten bei
der Übersetzungskonferenz am 4. und 5. September 2007
eingebracht.
Die Abstimmung über eine einheitliche deutsche
Übersetzung des Übereinkommens zwischen diesen
Staaten war erforderlich, weil das Übereinkommen nur
in den sechs Amtssprachen der Vereinten Nationen ausgefertigt wurde; das sind Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch und Arabisch.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.
Ist es bei der Rücksprache mit den anderen deutschsprachigen Ländern etwa dazu gekommen, dass mögliche Empfehlungen des Deutschen Behindertenrates
nicht übernommen wurden? Haben die anderen deutschsprachigen Länder Einwände erhoben?
Im Verlauf eines Prozesses im Rahmen der Konferenz
mit den Behindertenverbänden wurde seitens des
Behindertenrates angeregt, das Wort „Inklusion“ für
„inclusion“ zu wählen. In dem ganzen Prozess hat sich
herausgestellt, dass man sich sowohl mit den anderen
deutschsprachigen Ländern als auch mit den Bundesländern auf „integrativ“ verständigt hat, um zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Als ein Element hat
auch die 1994 abgestimmte Salamanca-Erklärung dabei
eine Rolle gespielt, die die Bereiche Bildung und Schule
umfasst und in der auch immer wieder das Wort „integrativ“ verwendet wird.
Eine weitere Zusatzfrage?
Nun besteht - das werden wir vermutlich auch bei der
Beantwortung der nächsten Frage noch sehen - ein großer Unterschied zwischen „Integration“ und „Inklusion“.
Das wissen Sie auch. Welche Möglichkeiten gibt es denn
für die Bundesrepublik Deutschland, die ja ein souveräner Staat ist, abweichend eine Übersetzung nur für die
Bundesrepublik Deutschland vorzulegen, in der jene für
den Behindertenrat wichtigen Punkte berücksichtigt
werden?
Wir wollen jetzt den Ratifizierungsprozess einleiten.
Voraussetzung dafür ist diese gemeinsame Übersetzung,
weil darin auch eine gemeinsame Sprache und Bewertung zum Ausdruck kommt. Im Verlauf des Ratifizierungsprozesses werden wir hier im Deutschen Bundestag darüber beraten, und auch im Bundesrat muss
darüber gesprochen werden, um die Zustimmung der
Länder zu bekommen. Von daher war es gut, schon in
den Vorbereitungsprozess alle mit einzubeziehen und
auch die Positionen der Länder zu hören. Auf dieser ganzen Strecke haben sich alle an den Entscheidungen Beteiligten auf das Wort „integrativ“ verständigt, weil sie
glauben, damit den Komplex abgedeckt zu haben, den
wir in der gesamten Behindertenpolitik diskutieren. Wir
wollen, dass die Menschen am gesellschaftlichen Leben
teilhaben, dass sie in die Gesellschaft integriert und eben
nicht ausgeschlossen sind.
Damit kommen wir zur Frage 26 des Kollegen
Markus Kurth:
Ist die Annahme richtig, dass bei der offiziellen Übersetzung der UN-Konvention die Begriffe „Inklusion“, „selbstbestimmt leben“ und „Barrierefreiheit“ nicht vorkommen, und
wie geht die Bundesregierung mit dem Vorwurf um, diese Begriffe genau deshalb nicht aufgenommen zu haben, da ansonsten die Bundesländer mit Vorbehalten bei der Ratifizierung
drohen würden?
Die Antwort auf diese Frage lautet wie folgt: Die mit
Österreich, der Schweiz und Liechtenstein abgestimmte
Übersetzung des UN-Übereinkommens über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen und des dazugehörigen Fakultativprotokolls wird die Grundlage für das Gesetzgebungsverfahren zur Ratifizierung des UN-Übereinkommens sein, das die Bundesregierung derzeit
vorbereitet. In dieser Übersetzung haben die Begriffe
„Inklusion“, „selbstbestimmt leben“ und „Barrierefreiheit“ wörtlich keinen Eingang gefunden. Die Übersetzung von „independent living“ lautet in der deutschsprachigen Übersetzung „unabhängige Lebensführung“. Die
Formulierung „selbstbestimmt leben“ wurde auf der
Fachkonferenz des Deutschen Instituts für Menschenrechte von keiner Seite vorgeschlagen. Sie war daher
auch nicht Gegenstand einer ausdrücklichen Erörterung
auf der Übersetzungskonferenz mit den anderen deutschsprachigen Staaten Anfang September 2007.
Mit diesen Staaten hat sich die Bundesregierung auf
die Begriffe „integrativ“ und „Integration“ sowie durchgehend auf „zugänglich“ und „Zugänglichkeit“ geeinigt.
Damit konnte eine für die deutschsprachigen Staaten
einheitliche Sprachfassung erreicht werden. Die Bundesländer und die Kultusministerkonferenz wurden im Übrigen wie die Verbände behinderter Menschen vor der
Übersetzungskonferenz mit den deutschsprachigen Staaten an den fachlichen Überlegungen zur Übersetzung beteiligt.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bei der
Aushandlung dieser UN-Konvention in besonders starkem Maße eingebracht, namentlich auch der damalige
Beauftragte der Bundesregierung für die Rechte der
Menschen mit Behinderung, Karl Hermann Haack. Meines Wissens ist sehr viel Wert darauf gelegt worden, dass
nicht der englische Begriff „integration“, also „Integration“, im Vertragstext stand, sondern der Begriff „inclusion“, den man ins Deutsche mit „Inklusion“ übersetzen
kann und bei dessen Anwendung sich sehr weitreichende
Mitbeteiligungsrechte - ich denke an den Bereich der
Beschulung - ergeben würden. Wie gehen Sie jetzt damit um? Sehen Sie unterschiedliche Rechtsfolgen durch
den Begriff „Integration“ statt „Inklusion“? Wird das
etwa für die Bundesländer, was Beschulung anbelangt,
dazu führen, dass im Prinzip alles beim Alten bleiben
kann?
Herr Kollege Kurth, wir gehen so damit um, dass wir
auf der Basis eines zwischen allen deutschsprachigen
Staaten abgestimmten Übersetzungstextes, bei dessen
Erarbeitung die Bundesländer einbezogen gewesen sind,
den Prozess der Ratifizierung einleiten. Das habe ich gerade erläutert. Ich habe auch gesagt, dass eine der Arbeitsbasen, die wir haben und bei der auch immer auf die
Wörter „Integration“ und „integrativ“ verwiesen wird,
die Salamanca-Erklärung von 1994 ist, die sich im Wesentlichen mit Fragen der integrativen Erziehung und der
Beschulung befasst. Vor diesem Hintergrund besteht
weiterhin das Postulat und auch die Erwartung bei den
Ländern, eine integrative Beschulung vorzunehmen und
keine Trennung zwischen den jungen Menschen mit Behinderung und den jungen Menschen ohne Behinderung
zuzulassen, weil wir im Kern wollen, dass die jungen
Menschen gemeinsam aufwachsen und nicht frühzeitig
in der Gesellschaft ein Auseinanderdividieren stattfindet. Das ist unser Anspruch, und der lässt sich auch aus
dem Wort „integrativ“ ableiten.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Noch eine letzte Frage zu dem Begriff der Barrierefreiheit, den ich gerne näher erläutert sähe. Alle Fraktionen dieses Hauses haben sich in den vergangenen Jahren
sehr stark darum bemüht, den Begriff „behindertengerecht“ durch „barrierefrei“ zu ersetzen bzw. das Substantiv „Barrierefreiheit“ zu benutzen, um deutlich zu
machen, dass es hier nicht nur um die Gruppe der Menschen mit Behinderung geht, sondern um die Beseitigung von Hürden für alle Menschen, etwa auch für alte
Personen. Warum ist jetzt der Begriff der Barrierefreiheit, den Sie noch in der Presseerklärung vom 30. März
2007 hervorgehoben haben, nicht in der deutschen Übersetzung der UN-Konvention?
Es ist so: Der Art. 9 des Übereinkommens trägt in der
amtlichen englischen Fassung die Überschrift „Accessibility“. Festgelegt wird hier, welche Maßnahmen die
Vertragsstaaten treffen sollen, um für Menschen mit Behinderung unter anderem den gleichberechtigten Zugang
zu Transportmitteln, Gebäuden oder auch zu Kommuni14564
kationsmitteln zu gewährleisten. Die Bundesregierung
hat sich gemeinsam mit den deutschsprachigen Staaten
Österreich, Schweiz und Liechtenstein auf die Übersetzung mit dem Begriff „Zugänglichkeit“ verständigt. Dieser Begriff wird auf internationaler Ebene regelmäßig
verwendet und findet auch in den deutschen Unterlagen
der Europäischen Union seine Verwendung. Wir glauben, dass zusammen mit den anderen deutschsprachigen
Staaten der Zielperspektive, die wir dabei haben, mit
dem Wort „Zugänglichkeit“ entsprochen wird.
Die Fragen 27 und 28 des Kollegen Volker Schneider
({0}) werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zur Frage 29 des Kollegen
Dr. Heinrich Kolb:
Wie kann es nach Ansicht der Bundesregierung einer Person mit einem Verdienst von 850 Euro brutto gelingen, im Alter zu einer Gesamtaltersversorgung zu kommen, die über
dem Grundsicherungsniveau nach dem SGB XII von 681 Euro
monatlich liegt?
Die Antwort lautet wie folgt: Anders als in der Fragestellung angegeben, beträgt der durchschnittliche monatliche Bruttobedarf bei Grundsicherung im Alter für Personen ab 65 Jahre nach den zuletzt verfügbaren
statistischen Daten nicht 681 Euro, sondern 627 Euro.
Für alle Bezieher der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung beträgt der durchschnittliche monatliche Bedarf sogar nur 614 Euro.
Rechnerisch erreicht ein Versicherter mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 850 Euro nach 45 Beitragsjahren auf Basis heutiger Werte eine monatliche Bruttorente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe
von knapp 410 Euro. Werden darüber hinaus Beiträge in
einen Riester-Vertrag eingezahlt, ergibt sich nach
45 Jahren eine zusätzliche Riester-Rente in Höhe von
260 Euro. Insgesamt liegt das Alterseinkommen dann
also bei rund 670 Euro. Berücksichtigt man die von der
Rentnerin oder dem Rentner zu zahlenden Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträge, beträgt das Nettoalterseinkommen gut 630 Euro und liegt damit über dem heutigen Grundsicherungsniveau.
Herr Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, ich kann aber nicht nachvollziehen, wie man bei einem monatlichen Bruttoeinkommen
von 850 Euro nach 45 Jahren auf eine Rente von
410 Euro kommen soll. 850 Euro entsprechen etwa einem Drittel des Durchschnittsverdienstes. Nach Adam
Riese erreicht man dann nach 45 Jahren 15 Entgeltpunkte. Wenn man die 15 Entgeltpunkte mit 25 multipliziert - der entsprechende Wert beträgt nämlich jetzt
knapp 25 Euro -, kommt man auf 375 Euro.
({0})
Würden Sie mir zumindest in diesem Punkt schon einmal recht geben wollen?
Ich kann einen anderen Vergleich anstellen. Bei einem Bruttoeinkommen von 820 Euro im Monat ergibt
sich eine Nettorente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in der Größenordnung von 355 Euro. Wenn man
zusätzlich einen Riester-Vertrag hat, erhält man - dabei
gehe ich von 4 Prozent Verzinsung aus - eine RiesterRente von 250 Euro. Damit erreicht man ganz leicht
96 Prozent des von mir eben genannten Grundsicherungsbedarfs.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Würden Sie mir denn darin zustimmen, dass es doch
eine Ungerechtigkeit darstellt, wenn jemand 45 Jahre
lang riestern muss, um am Ende eine Leistung zu erhalten, die anderenfalls als Grundsicherung im Alter ohne
jedes eigene Zutun gewährt wird?
Nein, ich glaube nicht, dass das eine Ungerechtigkeit
ist. Das Prinzip in unserer Gesellschaft ist, aus eigener
Kraft, mit eigener Leistung den Versuch zu unternehmen, in der Erwerbsphase ein gutes Einkommen zu erreichen. Wo das unter den Bedingungen, wie sie zurzeit
gegeben sind, in Teilbereichen nicht möglich ist, versuchen wir - das habe ich schon vorhin bei der Beantwortung der dringlichen Fragen gesagt -, über die Regelungen des Entsendegesetzes und des Gesetzes über die
Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen dazu beizutragen, dass es zu Mindestlöhnen kommt.
Ich glaube, dass die Menschen im Prinzip immer ein
Interesse daran haben, einen guten Verdienst zu erzielen,
auch die Möglichkeit zu haben, voll zu arbeiten. Von daher ist die Perspektive, 45 Jahre lang mit einem Einkommen von 850 Euro zu arbeiten, eine solche, von der ich
glaube, dass sie in den meisten Fällen so nicht eintritt.
Die Frage, die Sie zur Ungerechtigkeit gestellt haben,
impliziert ein Stück weit die Frage der Anrechnung der
Riester-Rente beim Grundsicherungsbedarf. Hier muss
ich noch einmal auf das Prinzip der Nachrangigkeit hinweisen. Ich will das an einem Beispiel beschreiben, weil
man versuchen muss, beim Prinzip der Gerechtigkeit
Folgendes im Auge zu haben:
Ich nehme ein einfaches Zahlenbeispiel. Bei einem
Grundsicherungsbedarf von 600 Euro hätte jemand, der
eine gesetzliche Rente von 500 Euro erhält, Anspruch
auf Grundsicherung in Höhe von 100 Euro, um auf diese
600 Euro zu kommen. Bei einer anderen Person - Grundsicherungsbedarf wieder 600 Euro -, die eine relativ
kleine gesetzliche Rente von 250 Euro bezieht und
250 Euro aus einem Riester-Vertrag erhält, ergäbe sich
die Situation, dass natürlich die gesetzliche Rente von
250 Euro angerechnet wird. Um nun auf den Grundsicherungsbedarf von 600 Euro zu kommen, müssten
350 Euro Grundsicherung draufgelegt werden. Jetzt führen wir einmal einen politischen Dialog: Sie fordern nun
eine Freistellung der Riester-Rente. Der Betreffende
hätte nun 600 Euro, bekäme seine 250 Euro, die er aus
der Riester-Rente hat, anrechnungsfrei dazu und hätte
insgesamt 850 Euro.
Ich glaube, das ist nicht zu vermitteln. Hier gilt, wie
ich schon vorhin sagte, das Nachrangigkeitsprinzip: Hast
du selbst etwas einzubringen, dann musst du es einbringen. - Stellt man die Riester-Rente nun anrechnungsfrei,
tritt automatisch die Fragestellung auf, wie mit anderen
erarbeiteten Rentenansprüchen, Erträgen aus Lebensversicherungen oder sonstigen Anlageformen verfahren
werden soll.
Eine weitere Frage hat der Kollege Rohde.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
um den politischen Dialog fortzuführen: Es stand ja
schon mehrmals die Thematik im Raum, dass dann,
wenn es einen Freibetrag gibt, dieser für alle Sparformen
und nicht nur für die Riester-Rente gelten muss. Die
Riester-Rente muss allerdings als Flaggschiff herhalten,
weil sie, wie von uns allen gemeinsam gewollt, sehr
populär ist.
In dem Fall eines Bruttoeinkommens von 850 Euro,
den Sie beschrieben haben, müsste sich der Betreffende
ja sehr staatsdienlich verhalten, wenn er sich die RiesterRente auszahlen ließe und damit eine geringere Grundsicherung in Anspruch nähme. Wenn er sich nun aufgrund der Tatsache, dass sein Nachbar, der die gleichen
Voraussetzungen hatte, nicht gespart hat, entscheidet,
seinen ganzen Riester-Vertrag aufzulösen, alle staatlichen Zuschüsse, die er bisher erhalten hat, zurückzuzahlen und nur das eingesetzte Kapital, das ja gesetzlich als
Schonvermögen behandelt wird, zu behalten, dann vermeidet er die Anrechnung auf die Grundsicherung und
der Staat muss mit höheren Grundsicherungszuschüssen
für seinen laufenden Unterhalt im Alter aufkommen. Der
Vorteil, den er sich durch seine eigene Entscheidung verschafft hat, entspricht dann dem Vermögen, das er im
Riester-Vertrag angespart hat. Wir empfinden das natürlich als ungerecht; aber das ist legal. Möchte die Bundesregierung an diesem Umstand etwas ändern?
Man kann solche Berechnungen anstellen, aber man
sollte bedenken, dass uns viele Menschen zuhören. Das
Vermögen, das dort aufgebaut worden ist, ist auch dank
immenser staatlicher Förderung aufgebaut worden. Die
Förderquote liegt bei dem Beispiel, das ich in der Antwort genannt habe, bei 38 Prozent. Der Versicherte erhält eine Zulage von 154 Euro im Jahr, also knapp
13 Euro im Monat. Der Eigenbeitrag beläuft sich auf
knapp 21 Euro im Monat, also nicht ganz zwei Drittel
der Gesamtsumme.
Ich denke - da wiederhole ich mich -, dass auf einen
derartigen Fall perspektivisch im Verlauf des Erwerbslebens nicht hingearbeitet wird, sondern immer versucht
wird, im Schnitt mehr Einkommen zu verdienen. Es ist
auch, wie vorhin erläutert, das Grundprinzip des Sozialstaates gemäß § 2 Sozialgesetzbuch XII zu beachten, gemäß dem die solidarische Leistung aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nur dann eintritt, wenn keine
eigenen Einkommen eingesetzt werden können. Deshalb
muss man sich auch bei der Entscheidung über die
Frage, ob man hier möglicherweise etwas freistellt, an
diesem Prinzip orientieren. Wir sagen deshalb: Alles,
was anrechenbar ist - dazu gehören in dem Fall auch
Einkommen aus einem Riester-Vertrag und anderen Anlagearten sowie vorhandenes Vermögen -, wird entsprechend angerechnet, weil sonst alle Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler einspringen müssten. Dies entspricht
nicht dem Sozialstaatsprinzip der Nachrangigkeit, das
sich im genannten § 2 findet.
Eine weitere Frage dazu hat der Kollege Kurth.
Herr Staatssekretär, ich teile Ihre grundsätzlichen
Ausführungen zum Prinzip der Nachrangigkeit. Ihr Rechenbeispiel aber kann nicht überzeugen. Haben Sie bei
dieser Berechnung überhaupt berücksichtigt, dass von
dem Endbetrag auch noch Beiträge zur gesetzlichen
Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung gezahlt werden müssen? Damit läge der Betrag ja noch einmal um 10 Prozent und in 30 Jahren vielleicht sogar um
noch mehr als 10 Prozent niedriger.
Das ist insofern mitberücksichtigt, als man dann nicht
bedürftig ist.
Wir bleiben bei der Thematik. Wir kommen zur
Frage 30 des Kollegen Dr. Heinrich Kolb:
Welche Aufwendungen zur privaten Vorsorge, etwa einer
Riester-Rente, wären dafür erforderlich, und welchen Verzinsungssatz legt die Bundesregierung ihrer Berechnung zugrunde?
Bei einem monatlichen Bruttolohn von 850 Euro betragen die Beiträge zu einer Riester-Rente bei Inanspruchnahme der maximalen Förderung rund 34 Euro
pro Monat; das sind 4 Prozent von 850 Euro. Zusammen
mit der Grundzulage von 154 Euro pro Jahr - auf den
Monat umgerechnet rund 13 Euro - verbleibt ein Eigenbetrag von nur 21 Euro im Monat, die der Arbeitnehmer
tatsächlich aus seinem Lohn zu zahlen hat. Bei der Be14566
rechnung werden eine jährliche Verzinsung des eingezahlten Kapitals von 4 Prozent sowie Verwaltungskosten
in Höhe von 10 Prozent unterstellt.
Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir denn zustimmen,
dass Ihr Berechnungsbeispiel, das Sie eben genannt haben, insofern hinkt, als der Geringverdiener keine
350 Euro Riester-Vorsorge aufbauen kann, weil die Förderung auf 4 Prozent des Bruttoverdienstes - Sie haben
es gerade vorgetragen - begrenzt ist? Würden Sie mir
also zustimmen, dass jemand, der 850 Euro brutto hat,
nicht so viel Riester-Förderung erzielen kann, dass er
tatsächlich am Ende über die Grundsicherung kommt?
Wie gesagt, er bekommt außerdem die Zulagen des
Staates, und hinzu kommt die jährliche Verzinsung. Daraus ergibt sich bei diesem Rechenbeispiel das Ergebnis,
das ich Ihnen genannt habe.
({0})
Dann rufe ich die Frage 31 des Kollegen Jörg Rohde
auf:
Sieht die Bundesregierung für Personen mit 10 000 Euro
Jahresverdienst nicht auch eine Gefahr, später Grundsicherungsbezieher zu werden, wenn sie zum Beispiel auch einmal
Zeiten der Arbeitslosigkeit aufzuweisen haben?
Die Antwort lautet: Aus der momentanen Einkommenssituation einer erwerbstätigen Person lassen sich
keine Rückschlüsse auf das Einkommen während der gesamten Erwerbsphase und damit auch nicht auf die Höhe
der Alterseinkünfte ziehen. Die Ursachen für geringe Erwerbseinkommen sind vielfältig. Dazu zählen zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Kindererziehung oder Ausbildungszeiten. Diese Lebensphasen sind jedoch zeitlich
begrenzt und können deshalb nicht für die gesamte Erwerbsphase unterstellt werden. Unstrittig ist jedoch, dass
Altersarmut bereits in der Erwerbsphase bekämpft werden muss, da eine unzureichende Altersvorsorge im Alter nicht mehr ausgeglichen werden kann. Deshalb sind
eine gute Beschäftigungssituation und ausreichende Entgelte Voraussetzung für die Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Altersvorsorge.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Ja. - Ich fasse mich kurz, weil wir darüber schon einen umfassenden Dialog geführt haben. Aber Sie haben
mir einige Fragen noch nicht oder nur sehr unzureichend
beantwortet, sodass wir große Lücken in der Argumentation der Bundesregierung sehen. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zeigte auch, dass im
Moment für 20 Prozent der Riester-Verträge ein Zuschuss gezahlt wird, für Personen, die weniger als
10 000 Euro Jahresverdienst haben. So wenig, wie Sie
bezüglich der Erwerbsphasen annehmen können, dass
ein Betroffener zum Beispiel nicht durchgehend arbeitet,
so wenig können Sie voraussetzen, dass er durchgehend
arbeitet, dass es keine Zeiten gibt, in denen er arbeitslos
ist. Sie müssen beispielsweise auch den Umstand berücksichtigen, dass er aufgrund der gesetzlichen Vorgaben mit 63 Jahren vorzeitig in Rente geschickt werden
kann, wodurch er große Abschläge in Kauf nehmen
müsste, die eine Lücke hinterließen. Das heißt, Sie sollten zumindest sehen, dass hier eine sehr große Gruppe
betroffen ist, um die wir uns kümmern müssen.
Herr Kollege Rohde, ich teile diese Einschätzung
nicht. Sie gehen - ich wiederhole es - in Ihrer Fragestellung von 10 000 Euro Jahresverdienst aus. Ein Jahresverdienst von 10 200 Euro bedeutet im Schnitt 850 Euro
im Monat. Damit sind wir wieder bei dem Beispiel, das
ich genannt habe. Bezüglich der Phasen der Kindererziehung wissen Sie, dass wir insbesondere bei denjenigen,
die Teilzeitarbeit leisten, eine erhebliche Höherbewertung des Einkommens unter Zugrundelegung des Durchschnittsentgeltes in Deutschland vornehmen. Sie wissen,
dass pro Kind drei Entgeltpunkte hinzukommen. Phasen
der Arbeitslosigkeit sind Phasen, durch die eine Erwerbsbiografie unterbrochen wird. Ich habe gesagt, wir
arbeiten daran, diese Phasen möglichst kurz zu halten.
Aus den Unterbrechungen kann aber nicht geschlossen
werden - das ist in dem Prozess beschrieben -, dass am
Ende des Arbeitslebens Grundsicherungsbedarf besteht.
Da kommt es auf die gesamten Einkommensverhältnisse
an, auf die Lebensverhältnisse, auf die Bedarfsgemeinschaft. Das alles spielt dabei eine Rolle. Von daher habe
ich diese negative Perspektive, die in Ihrer Frage impliziert ist, nicht.
Möchten Sie eine weitere Zusatzfrage stellen?
({0})
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Die restlichen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD
Energie- und Klimapaket der EU-Kommission
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Marco Bülow das Wort für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist eines der erfolgreichsten
Gesetze, das zur Förderung von erneuerbaren Energien
und zur Bekämpfung des Klimawandels verabschiedet
worden ist. Es ist wichtig, immer wieder auf die Rahmendaten hinzuweisen, die durch dieses Gesetz beeinflusst werden.
Wir haben in Deutschland über 235 000 Arbeitsplätze
in dem Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen. In
diesem Bereich wurde im letzten Jahr in Deutschland
110 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung liegt mittlerweile bei über 14 Prozent und der Anteil am Gesamtenergieverbrauch bei ungefähr 9 Prozent.
Wir haben in diesem Bereich die Technologieführerschaft übernommen und exportieren diese Technologien
in viele Länder dieser Welt. Es gibt immer mehr Befürworter der erneuerbaren Energien, die dieses Instrument
nach dem Vorbild Deutschland ausrichten. 40 Länder haben sich uns bereits angeschlossen. Erst vor kurzem hat
Hillary Clinton lobend erwähnt, wie vorbildlich das
deutsche System sei und dass auch sie nach einem gewonnenen Wahlkampf es einführen werde. Ähnlich äußern sich weitere führende Politiker in den USA.
In Europa haben sich Gott sei Dank diejenigen durchgesetzt, die der Meinung sind, dass es in den Nationalstaaten möglich sein muss, erfolgreiche Einspeisesysteme beizubehalten. Das bestätigt, was in den
Berichten der Europäischen Kommission immer wieder
stand, nämlich, dass das Einspeisegesetz das beste, das
wirtschaftlichste und das effizienteste ist. Ich denke, genau das ist der richtige Weg. Wir können aufatmen, dass
die Entscheidung in Europa entsprechend getroffen
wurde.
({0})
Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang ganz herzlich bei der Bundesregierung und bei dem Minister, diesen Druck mit ausgeübt zu haben.
Ich will deutlich machen, warum es nicht nur für die
deutsche Wirtschaft, sondern insgesamt gesehen wichtig
ist, dass das System der erneuerbaren Energien nicht nur
weiterhin eine Chance hat, sondern die führende Rolle
spielen muss. Manche Länder sind Gott sei Dank auf unser erfolgreiches System umgeschwenkt. Aber es gibt
immer noch Länder wie Großbritannien und Italien, die
das Mengensystem haben. Leider ist auch die FDP immer noch Anhänger dieses Systems. Es wird gesagt, es
sei sehr viel ökonomischer und wirtschaftlicher. Schauen
wir uns doch einmal die Preise an.
In Großbritannien kostet eine Megawattstunde Stromenergie aus Windkraft 120 Euro. In Italien sind es
162 Euro. In Deutschland kommen wir mit unserem Einspeisesystem auf einen Preis von 75 Euro. In Irland, wo
es noch mehr Wind gibt, liegt man schon bei 58 Euro.
Allein dieser Vergleich zeigt: Unser System ist das effizienteste und das kostensparendste. Deswegen werden
wir daran festhalten.
({1})
Dieses System hat dazu geführt, dass die erneuerbaren Energien in Deutschland kontinuierlich ausgebaut
wurden. Die entsprechenden Anteile habe ich gerade genannt. In Großbritannien dümpelt man weiterhin bei einem Anteil von 1,5 Prozent für die erneuerbaren Energien herum - und das seit Jahren. Diejenigen, die an dem
alten System in Großbritannien festhalten, werden irgendwann sagen: Wir haben es versucht, aber wir können die erneuerbaren Energien nicht ausbauen; deswegen müssen wir vielleicht auf Atomkraft setzen. - Genau
das wollen wir nicht. Wir brauchen die erneuerbaren
Energien und Energieeffizienz. Dann haben wir die
große Chance, die Atomenergie loszuwerden und die
Lücke zu kompensieren. Auch deshalb, aber nicht nur
deshalb müssen wir an unserem System festhalten. Wir
brauchen weiterhin das EEG. Es garantiert Versorgungssicherheit, weil die heimischen Energiequellen Sonne,
Wind usw. immer und überall zur Verfügung stehen,
nicht nur in Deutschland. Das Gesetz garantiert, dass
dieser Bereich immer effizienter und die so gewonnene
Energie immer günstiger wird.
Ich glaube, wir haben das richtige Instrument. Die
Maßnahmen, die die Bundesregierung auf den Weg
gebracht hat, über die wir in den nächsten Monaten im
parlamentarischen Verfahren zu diskutieren haben, komplettieren diesen Ansatz. Die SPD-Bundestagsfraktion
wird sich dafür einsetzen, dass die Beschlüsse der Regierung umgesetzt werden, damit es zu einer Verbesserung
kommt, damit wir unsere Klimaschutzziele, die jetzt
auch von der Europäischen Union vorgegeben werden,
nicht nur erfüllen, sondern übertreffen können. Wir wollen Vorbild sein und Europa mitziehen. Wir hoffen, dass
Europa insgesamt - das ist sehr wichtig - eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 30 Prozent erreicht. Ich
glaube, das ist der richtige Weg, weil wir so in der Lage
sind, die anderen in der Welt mitzuziehen. So machen
wir deutlich, dass man durch die Nutzung erneuerbarer
Energien effizienter sein kann, wirtschaftlichen Gewinn
erzielen und Klimaschutz realisieren kann.
In diesem Sinne: Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Kauch für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
FDP unterstützt die Zielsetzungen des Europäischen Rates vom März 2007, nach denen bis zum Jahr 2020 mindestens 20 Prozent Treibhausgase eingespart werden sollen und der Anteil erneuerbarer Energien um 20 Prozent
gesteigert werden soll. Diese Zielsetzungen des Rates
werden nun von der EU umgesetzt. Das ist wichtig für
den Klimaschutz.
Es kommt aber darauf an, auf welche Art und Weise
die richtigen Klimaschutzziele verfolgt werden, wie das
Gesetzespaket der EU-Kommission umgesetzt wird. Die
Kommission hat aus unserer Sicht nicht ausreichend bedacht, dass sie damit über den Wettbewerb auf den
Märkten, über die Arbeitsplätze in unserer Industrie und
vor allem über die Belastung der Verbraucherinnen und
Verbraucher entscheidet. Deshalb fordern wir als Liberale eine Überarbeitung dieses Gesetzespaketes. Das ist
in den nächsten Monaten Aufgabe der Bundesregierung.
({0})
Deutschland wird beim Emissionshandel benachteiligt. Es ist völlig unklar, warum das boomende Spanien
einen Sonderzuschlag an Emissionsrechten braucht. Das
ist eine Umverteilung zulasten Deutschlands. Das ist
eine Umverteilung, die die Bundesregierung so nicht akzeptieren kann. Völlig inakzeptabel ist zudem, dass die
EU Vorgaben für die Verwendung der Versteigerungserlöse machen will. Die FDP setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher vom
Emissionshandel profitieren. Wenn wir die Emissionsrechte im Stromsektor vollständig versteigern, dann
muss das Geld an die Verbraucher zurückgegeben werden, dann muss die Stromsteuer gesenkt werden. Das
würde den Emissionshandel tatsächlich verbraucherfreundlich machen.
Das ist genau der Punkt, den der Umweltminister in
der vergangenen Woche erkannt hat. Darum hat er Sozialtarife für den Bezug von Strom gefordert und gesagt,
es dürfe keine Energiearmut geben. Es war aber der
deutsche Staat, der in Form von Steuern eine Last von
40 Prozent auf die Stromtarife draufgesattelt hat. Diese
Bundesregierung hat das zu verantworten. Die Stromkonzerne sind dafür nicht allein verantwortlich.
({1})
Solange wir kein Kioto-Nachfolgeabkommen haben,
darf die deutsche Industrie ihre Wettbewerbsfähigkeit
nicht verlieren. Ob die geplante kostenlose Zuteilung
von Emissionsrechten an energieintensive Branchen der
Weisheit letzter Schluss ist, muss bezweifelt werden. Es
wäre möglich, sie in die Versteigerung einzubeziehen,
indem man das mit einem sinnvollen System, das die
Rückerstattung an die betroffenen Branchen regelt, verbindet.
Geradezu schädlich für das Exportland Deutschland
sind die Überlegungen, die Herr Barroso heute in Brüssel verkündet hat. Er überlegt, auf Importe aus Staaten,
die das Kioto-Protokoll nicht unterzeichnet haben, Zölle
zu erheben. Meine Damen und Herren, Sie glauben doch
nicht wirklich, dass das ohne Reaktion bleiben wird.
Diese Vorschläge von Herrn Barroso sind ein Anschlag
auf den Freihandel und gefährden die Exportwirtschaft
in Deutschland und damit Arbeitsplätze in unserem
Land.
({2})
Wir müssen noch einmal die Frage aufwerfen, ob es
richtig ist, dass wir neben der Quote von 20 Prozent für
erneuerbare Energien eine Sonderquote von 10 Prozent
für Biokraftstoffe anstreben. Wenn wegen der vermeintlich guten Biokraftstoffpolitik in Europa die Regenwälder in Asien und Afrika abgeholzt werden, dann haben
wir dem Klimaschutz und der Artenvielfalt einen Bärendienst erwiesen.
Die Nachhaltigkeitskriterien, die heute von der EUKommission vorgeschlagen wurden, drohen ein Papiertiger zu werden. Deshalb appelliere ich ganz eindeutig
an die Koalition: Zunächst einmal müssen Zertifizierungssysteme nachgewiesen werden. Dann können wir
die Ziele für die Biokraftstoffe erhöhen. Wir dürfen nicht
erst die Ziele erhöhen und die Regenwälder abholzen
lassen und anschließend die Nachhaltigkeitskriterien
umsetzen.
Deutsche Sonderwege bei den erneuerbaren Energien
machen keinen Sinn. Die FDP setzt sich dafür ein, dass
Deutschland beim europäischen Handel für erneuerbare
Energien mitmacht. Wir glauben, dass dies langfristig der
günstigere Weg ist. Herr Bülow hat die Windenergiepreise angesprochen. Aber was ist denn mit den anderen
Stromarten, die Sie hier beim Kostenvergleich nicht genannt haben? Ich finde ich es besonders skandalös - Frau
Dött wird ja gleich reden und hat sich heute schon in einer Presseerklärung geäußert -, dass die CDU/CSU, die
in der Opposition das EEG massiv kritisiert hat, es jetzt
mit aller Kraft und um jeden Preis verteidigen will.
({3})
Ich finde es unglaublich, wie Sie die Linie verlassen, die
Sie einmal ordnungspolitisch für richtig gehalten haben.
({4})
Wir Liberale werden Kurs halten. Kurs halten sollten
wir auch in der generellen Frage der Energiepolitik. Herr
Clement hat zu Recht gesagt, dass das, was Herr Scheer
und Frau Ypsilanti in Hessen planen, eine Geisterfahrt
für den Industriestandort Deutschland ist. Ich frage
Herrn Gabriel, der hier die Linke dafür angreift, dass sie
im Bundestag die Kohlekraftwerke ablehnt und in Sachsen-Anhalt befürwortet: Wann stoppen Sie endlich die
Politik von Frau Ypsilanti, die Ihrer Politik bezüglich
Kohlekraftwerken in Deutschland völlig widerspricht?
Vielen Dank.
({5})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin Marie-Luise Dött.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
jetzt von der EU-Kommission vorgelegten Energie- und
Klimapaket sollen die im März 2007 von den Staats- und
Regierungschefs der EU verabschiedeten Ziele zur europäischen Klimapolitik umgesetzt werden. Das ist wichtig, um nach den ambitionierten Verhandlungen der Europäischen Union auf Bali international Motor der
Klimapolitik zu bleiben. Wichtige und richtige Ansätze
einer europäischen Klimapolitik sind nun von der KomMarie-Luise Dött
mission eingeleitet worden. Konkret sind das die Aufteilung der Minderungsziele auf die Mitgliedstaaten, die
Regelungen zum Emissionshandel nach 2012, der Ausbau der erneuerbaren Energien durch Handel mit Zertifikaten sowie die Einführung von verbindlichen Regelungen zum Ausfiltern und Einlagern von CO2.
Es ist heute noch zu früh, eine umfassende Aussage
zur Qualität des Gesamtpakets zu machen. Gleichwohl
zeigt bereits ein erster Blick auf die Vorschläge, dass
weitere Diskussionen und wohl auch Überarbeitungen
notwendig sind. So muss man noch einmal die Festlegung des Basisjahres 2005 für die Emissionsminderungen hinterfragen. Mitgliedstaaten, die bis 2005 kaum Anstrengungen unternommen haben und von ihren eigenen
Klimazielen noch weit entfernt sind, würden dadurch bevorteilt. Länder, die bereits vor 2005 erhebliche Minderungen erreicht haben - dazu gehört Deutschland -, würden dagegen benachteiligt.
Auch über die Aufteilung der Minderungsvorgaben
auf die Mitgliedstaaten muss noch einmal diskutiert werden. Die derzeit augenscheinliche Sonderbehandlung,
zum Beispiel von Portugal, Griechenland und Spanien,
muss gerade unter dem Aspekt einer fairen Lastenteilung
geprüft werden.
Wir brauchen bei der Versteigerung der Emissionszertifikate Lösungen, die technologische Bedingungen und
die internationale Wettbewerbssituation gerade energieintensiver Branchen berücksichtigen. Klimaschutz darf
nicht zur Abwanderung von Unternehmen und Arbeitsplätzen in Drittländer führen.
({0})
Die Einbeziehung der Aluminiumindustrie und von Teilen der chemischen Industrie in die Versteigerung ist ein
industriepolitischer Eingriff, den wir so nicht mittragen
werden.
Es ist auch nicht sinnvoll, funktionierende Instrumente der Klimapolitik durch neue, gegebenenfalls sogar teurere Instrument zu ersetzen. Ein Beispiel - hören
Sie jetzt genau zu, Herr Kauch - ist der Handel mit Zertifikaten für die erneuerbaren Energien. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz jetzt gegen einen europäischen
Zertifikatehandel auszutauschen, der voraussichtlich
teurer wird und anderen Staaten die Möglichkeit gibt,
sich von den eigenen Verpflichtungen zum Ausbau der
erneuerbaren Energien auf Kosten der Erreichung unserer nationalen Ausbauziele freizukaufen - die Betonung
liegt auf nationalen Zielen, nicht auf Branchenzielen -,
kann nicht der richtige Weg sein.
({1})
Nationale Ziele müssen national kontrollierbar und beeinflussbar bleiben. Nachweisbar funktionierende nationale Instrumente müssen auch künftig genutzt werden
dürfen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Kommission
nun anerkennt, dass eine Harmonisierung der Instrumente verfrüht ist.
So wie wir in Deutschland daran arbeiten, die Energie- und Klimapolitik im Zieldreieck von Ökonomie, sozialer Verantwortung und Klimapolitik zu justieren, so
erwarten wir das auch bei den Vorschlägen aus Brüssel.
Eine Industriepolitik im grünen Mantel zulasten des
Standorts Deutschland ist mit uns nicht machbar: nicht
beim Automobilbau und schon gar nicht in der Energiepolitik.
({2})
Eine ambitionierte Klimapolitik in Europa werden wir
dagegen uneingeschränkt unterstützen. Hier werden wir
unsere Erfahrungen als europäischer und globaler Vorreiter beim Klimaschutz und beim Ausbau der erneuerbaren Energien einbringen.
Vielen Dank.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn jetzt nichts passiert, wird der Ausstoß von Treibhausgasen EU-weit bis 2020 höchstens um lächerliche
6 Prozent sinken. Das ist quasi ein Beitrag zur Erderwärmung, nicht zum Klimaschutz.
Jetzt ist die Frage: Kann uns das vorgelegte Paket
weiterhelfen? Wir, die Linke, haben da Zweifel. Das Klimapaket wurde zwar gelobt. Wir aber meinen, sein Kardinalfehler ist das niedrige Klimaschutzziel bis 2020.
Darum dreht sich letztendlich alles. Der Ausstoß der
Emissionen soll lediglich um 20 Prozent gegenüber dem
Ausstoß von 1990 reduziert werden. Notwendig ist aber
seitens der EU eine Minderung um wenigstens 30 Prozent. Ansonsten können wir das 2-Grad-Ziel vergessen;
das wissen wir alle.
Langsam wird deutlich, dass die 30-Prozent-Marke,
die die Bundeskanzlerin im letzten Sommer mit dem EURatsbeschluss präsentierte, nie ernst gemeint war. Wir
meinen, dies ist eine Mogelpackung. Die Kommission
hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, ein 30-ProzentSzenario aufzunehmen. Deshalb werden auch die Latten
für den Emissionshandel ab 2012 sowie für die Nichtemissionshandelsbereiche, wie Verkehr und die Haushalte, zu niedrig gehängt.
Gut ist, dass die Kommission nun die Emissionsrechte für die Stromwirtschaft ab 2013 vollständig versteigern will. Doch was passiert bis dahin? Sollen tatsächlich so lange alle Stromkonzerne davon profitieren,
dass der Staat ihnen die wertvollen Rechte geschenkt
hat? Wir fordern nach wie vor - das müssen Sie sich immer wieder anhören - eine Abschöpfungsteuer für die
Sondergewinne, die aus der Einpreisung der Zertifikatsmarktpreise in den Strompreis herrühren.
({0})
- Warum regen sich die Herren von der CDU/CSU so
auf?
({1})
Die Windfall-Profits sind der Grund, warum wir nicht
wollen, dass die Zertifikate ab 2013 an die Industrie weiterverschenkt werden.
Zum Thema Wettbewerb. Wenn der von der Kommission vorgeschlagene „Klimagaszoll“ kommt, können damit europäische Firmen vor Ökodumping geschützt werden, etwa vor US-Produkten, falls Washington weiter
querschießt. Ich halte das für sinnvoll.
Zu erwarten war, dass der deutsche EU-Kommissar
und Sozialdemokrat Günter Verheugen wieder einmal
den Cheflobbyisten für die Chemie-, Stahl- oder Aluminiumindustrie gibt. Im Klimapaket sieht er „wirtschaftlichen Selbstmord“; das lief heute über den Ticker. Ich
meine, wir sollten da aufpassen, und Sie sollten aufpassen, was Sie den Beschäftigten hier erklären. Ich denke,
eine solche Politik ist sehr gefährlich.
({2})
Dass aber Umweltminister Gabriel kürzlich in Bezug auf
die CO2-Vorgaben der Kommission im Fahrzeugbereich
einen Wettbewerbskrieg gegen die deutschen Autohersteller ausmacht, halte ich für starken Tobak. Anstatt
Angst vor höheren Belastungen der Wirtschaft durch den
Klimaschutz zu haben, sollte die SPD besser den großen
Versorgern auf die Finger klopfen.
({3})
So fordert ja selbst der Chef der Monopolkommission,
ausschließlich den Konkurrenten von RWE, Eon, EnBW
und Vattenfall Genehmigungen für neue Kraftwerksbauten zu erteilen. Wettbewerb belebt halt die Preisfindung.
Wenn dann noch die Netze in öffentliche Hand kommen,
dürfte sich das auch für die Endverbraucher lohnen.
({4})
Deutschland soll nun den Anteil erneuerbarer Energie
am Primärenergieverbrauch bis 2020 auf 18 Prozent steigern. Wir denken, auch dies ist nicht ambitioniert genug.
Wir meinen, 30 Prozent sind möglich und mit Blick auf
die Erderwärmung auch erforderlich.
({5})
Zu den Agrokraftstoffen. Die angestrebte EU-Quote
von 10 Prozent ist viel zu hoch und niemals durch EUinternen Anbau zu erfüllen. Sie muss auf ein realistisches Maß gesenkt und auf alle Energien vom Acker
ausgeweitet werden. Gleiches gilt für das völlig unrealistische Deutschlandziel der Bundesregierung von sogar
20 Prozent. Richtschnur muss sein, sämtliche Agroenergien durch nachhaltigen Anbau auf EU-Flächen zu erzeugen. Wir kennen die Zahlen, und wir wissen, was hier
passiert. Schon jetzt werden für Agrosprit Urwälder gerodet und Kleinbauern in Brasilien oder Indonesien vertrieben. Immer mehr Menschen in diesem Land befassen
sich mit diesen Themen. Sie sollten dem endlich Rechnung tragen.
({6})
Zum Schluss, Herr Gabriel: Wenn Sie ernst gemeint
haben, was Sie in Bali gesagt haben, dann sorgen Sie
bitte dafür, dass die Richtlinien in einigen Punkten nachgebessert werden.
({7})
Nun hat der Kollege Steffen Reiche für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung der Kommission ist historisch;
sie schreibt Geschichte. Der größte Wirtschaftsraum der
Erde macht ein einseitiges Angebot und ist bereit, es zu
erhöhen, wenn es ein internationales Abkommen gibt,
also ein Nach-Kioto-Abkommen beschlossen wird. Bisher waren die beiden Hauptziele der EU: Frieden erhalten, Globalisierung gestalten. Jetzt kommt ein drittes
hinzu: den Klimawandel stoppen.
Die EU zeigt: Wirtschaftliches Wachstum und umwelt- und klimabewusstes Produzieren sind kein Widerspruch. Das ist ein langfristig gutes Investment; denn
3 Euro pro Woche und Bürger für das Handeln zu zahlen, ist besser, als 30 Euro für das Nichthandeln zu zahlen.
({0})
Klimapolitische Schwarzfahrer müssen mehr bezahlen.
Ich vertrete den Wahlkreis, der von dieser Entscheidung vermutlich am stärksten betroffen ist: die Niederlausitz. Dort sind knapp 5 000 Megawatt Leistung auf
Braunkohlebasis installiert. Bisher haben wir knapp
50 Millionen Euro Mehrkosten; demnächst werden es
500 Millionen Euro Mehrkosten für den Zertifikatserwerb sein. Mit dieser Entscheidung wird es weitere Steigerungen geben. Trotzdem trage ich dieses Paket mit. Wir
produzieren fünfmal mehr Strom, als wir in Brandenburg
verbrauchen. In fünf Monaten werden wir das erste CO2arme Kraftwerk - mit einer Leistung von 30 Megawatt ans Netz gehen lassen.
Ich habe vier Kritikpunkte. Erstens. Die Verlegung
der Berechnungsbasis auf das Jahr 2005 ist zu überdenken. Wer sich früh bewegt, darf dafür nicht bestraft werden. Early Action muss sich lohnen.
({1})
Die Verlagerung der Berechnungsbasis trifft kein Land
so hart wie Deutschland. Das Basisjahr des Kioto-Protokolls, also 1990, sollte als Bezugsjahr beibehalten werden.
Steffen Reiche ({2})
Zweitens. Wichtige Bereiche wie die Stahl-, die Zement- und die Chemieindustrie auszuklammern, ist nur
eine Übergangsregelung. Was wir brauchen, ist eine
Border-Tax, einen Zoll für alle, die sich am Nach-KiotoProzess nicht beteiligen;
({3})
denn sonst kommt es zu einer klaren Wettbewerbsverzerrung. Hier brauchen wir eine Richtlinienfolgenabschätzung.
({4})
Die EU muss im Rahmen der Doha-Runde über die Einführung von Border-Taxes diskutieren. Sie sollten ab
dem Jahre 2013 eingeführt werden. Dann könnten auch
Industriebereiche wie die Stahl- und Zementproduktion
berücksichtigt werden.
Drittens. Nur 25 Prozent der Zertifikate im Rahmen
von Joint-Implementation- und CDM-Projekten zuzulassen, ist ein Fehler.
({5})
Die Auslastung der CDM-Projekte beträgt schon jetzt
20 Prozent, und das bei Zertifikatekosten von nur
20 Cent. Die Kosten für die Zertifikate haben sich aber
auf 25 Euro verhundertfacht. JI und CDM sind die
klügsten Antworten auf ein globales Problem. Sie sind
Teil eines globalen Marshallplans. Mit optimalen Kosten
erreichen wir den maximalen Nutzen.
({6})
Die CDM-Zertifikate sind preiswerter als die auktionierten Zertifikate und haben einen nachhaltigeren globalen Nutzen. Der europäische Innovationsdruck bleibt
auch bei einem Anteil der CDM-Zertifikate in Höhe von
50 Prozent erhalten. Ich bitte deshalb zu prüfen, ob in
der Richtlinie der EU-Kommission nicht zumindest die
Möglichkeit eröffnet werden sollte, den Anteil der
CDM-Zertifikate gemeinsam mit dem Rat auf bis zu
50 Prozent zu erhöhen. Im Jahre 2013, also in fünf Jahren, könnten wir dieses Sicherheitsventil auf diesem unter hohem Druck stehenden Kessel dringend brauchen.
Mein vierter Kritikpunkt. Wer erneuerbare Energien
will, braucht effiziente Speicher, auch Pumpspeicherkraftwerke. Die Regulierungsbehörde hat, wie ich
denke, eine Fehlentscheidung getroffen, durch die der
Neubau dieser Kraftwerke und die Nutzung dieser vorhandenen Technik zur Speicherung von Windenergie
massiv behindert werden. Die Braunkohle ist und bleibt
der wichtigste heimische Energieträger. Sie braucht nicht
nur im Hinblick auf die Sicherung der Arbeitsplätze,
sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit eine mittel- und langfristige Perspektive.
({7})
Die beim Zertifikatehandel anfallenden Gewinne müssen
deshalb auch in den Aufbau neuer CO2-freier bzw. -armer
Kraftwerke investiert werden.
({8})
Das Innovationslabor Deutschland kann nur bestehen,
wenn wir wirtschaftlich stark bleiben; hier hat Günter
Verheugen recht. Insofern besteht bei dieser Richtlinie
Gesprächs- und Änderungsbedarf.
Vielen Dank.
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Renate Künast das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! An dieser Debatte wundert mich, wie sehr sich manche Leute
in die einzelnen Details „hineinfräsen“.
({0})
- Das habe ich schon lange vor Ihnen gemacht. Sie brauchen mich also nicht darauf hinzuweisen, dass ich mich
mit Details beschäftigen muss.
({1})
Auch wenn Sie hier gerade, schick drapiert, über den
Klimaschutz geredet haben, muss man feststellen: Die
CDU/CSU hat beim Klimaschutz keine Kompetenz. Das
hat man auch an Ihrer Rede gemerkt.
({2})
Andere halten das große Ganze für richtig. Am Ende
wird aber immer die Ideologie der Ausnahmen und
Tricksereien propagiert. Ich glaube, man kann zum Vorschlag der Kommission nur sagen: Er geht zwar in die
richtige Richtung, entspricht aber nicht dem 40-ProzentZiel, von dem die Bundesregierung immer geredet hat.
({3})
Außerdem kann durch Umsetzung dieser Richtlinie
nicht gewährleistet werden, dass die Erwärmung, die
stattfindet, nur 2 Grad betragen wird. Es gibt keinen Anlass, das in den Himmel zu loben. Vielmehr muss man
dazu, wie sich die Vertreter der Bundesregierung in den
letzten Wochen in Brüssel verhalten haben, feststellen:
Diese Regierung predigt Klimaschutz, aber an allen
Ecken und Kanten bremst sie und sorgt für Ausnahmeregelungen.
({4})
Auf Bali haben Sie gefordert, dass die Industriestaaten
ihre Emissionen bis 2020 um 25 bis 30 Prozent reduzieren. Jetzt - auch eine Vorlage dieser Bundesregierung ist allenfalls noch von 20 Prozent die Rede. Da kann ich
nur sagen: Bei dieser Bundesregierung weiß man nicht,
welche Rolle sie einnehmen will. Auf der internationalen Bühne spielen Sie den Retter des Weltklimas, während Sie in Brüssel, hinter verschlossenen Türen, eine
Lobbymarionette sind, die für Ausnahmen kämpft.
({5})
Wir haben das beim Thema Auto gesehen. Sie haben
davon gesprochen, dass die Vorschläge der Europäischen
Kommission „eine Kriegserklärung an uns“ seien. Jetzt
kann man schon mit Abgasgrenzwerten jemandem den
Krieg erklären. Ich finde, das ist ein bisschen dick aufgetragen.
Auch in der Frage, ob man Netze und Stromproduktion trennen soll, kämpfen Sie gegen die Europäische
Kommission, obwohl gerade hier Wettbewerb hilfreich
wäre, um niedrigere Preise für die Verbraucher durchzusetzen.
Beim Klimaschutz in der Landwirtschaft stehen Sie
ebenfalls auf der Bremse.
({6})
Einer der spannendsten Punkte und der am meisten zu
kritisierende Punkt in dieser Vorlage der Kommission ist
eine Sache, für die sich Herr Gabriel rühmt, und zwar
sind das die Ausnahmen für die energieintensive Industrie. Wer bei der Versteigerung der Zertifikate die
energieintensive Industrie schützt, wer nicht einmal einen Prozentsatz festsetzt, damit der Zwang entsteht, effizienter zu werden, wer einfach davon ausgeht, dass sich
diese Industrie schon modernisieren wird, der ist nicht
der Retter des Weltklimas, sondern jemand, der Politik
im Sinne der Lobby der alten Industriezweige macht. Industriepolitisch ist das ein Fehler.
({7})
Herr Gabriel redet immer von der dritten industriellen
Revolution. Dann muss man aber auch an alle ran. Dann
geht es nicht nur um die Stromerzeugung, dann geht es
auch um Stahl, Chemie und Aluminium. Dann muss man
ohne Wenn und Aber den Menschen Rückendeckung geben - für ihr Portemonnaie und für die Zukunft der Arbeitsplätze. Wir alle wissen doch, dass Energie in Zukunft teurer werden wird. Da können Sie von der FDP
nicht weiter zwischen Export und Import unterscheiden
und sich das jeweils Schönere heraussuchen. Man kann
im Denken nicht bei den Vorschlägen und Beschlüssen
der Regierungskonferenz vom März 2007 bleiben, man
muss davon ausgehen, dass Energie endlich ist und immer teurer wird.
({8})
- Ohne Wenn und Aber. Deshalb müssen wir vom fossilen ins solare Zeitalter eintreten, wir müssen viel effizienter werden.
({9})
Wir haben andere wirtschaftliche Interessen als die,
die jetzt in den Vorstandsetagen sitzen. Wir müssen die
Machtfrage stellen. Wir dürfen nicht immer und immer
wieder vor den Lobbyisten in die Knie gehen. Wir müssen das Land modernisieren und dürfen keine Rücksicht
darauf nehmen, wenn wieder einmal ein Industriezweig
Druck macht. Wir müssen anders wohnen, anders produzieren, anders transportieren. Das ist eine klare Absage
an die Atomkraft.
({10})
Auch wenn die CDU/CSU und Teile der SPD im Europäischen Parlament das anders sehen: Solche Schrottmeiler wie Biblis und Brunsbüttel müssen endlich vom
Netz. Sie schützen weder das Klima, noch bringen sie
niedrige Energiepreise.
({11})
- Das rufen die Ideologen immer dazwischen.
Wir wollen auch keine neuen Kohlekraftwerke.
Wenn, wie vorgeschlagen, die Emissionszertifikate zu
100 Prozent versteigert werden, wenn der Handel durchgesetzt wird, gibt es nämlich nicht nur den guten Klimagrund, keine Kohlekraftwerke mehr zu bauen, sondern auch einen finanziellen Grund: Kohlekraftwerke
werden sich dann definitiv nicht mehr rechnen.
({12})
Es ist eine Fehlinvestition, wenn in Kohlekraftwerke investiert wird, weil der Ausstoß von CO2 viel Geld kosten
wird. Die Kohlekraftwerke werden Milliardengräber.
Wir müssen stattdessen in Wind-, Sonnen- und Wasserkraft sowie in Effizienz investieren. All dies fehlt hier.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin.
Die Bundesregierung muss die Kommission dazu bewegen, sich ein Reduktionsziel von 40 Prozent zu setzen. Die Bundesregierung muss damit aufhören, Lobbyismus zu betreiben und Ausnahmen zu fordern, damit es
keine Fehlinvestitionen gibt. Ich sage Ihnen ganz klar:
Ich möchte Vorschläge von Ihnen sehen statt Lobbypolitik in Brüssel. Denn dieser Vorschlag der Kommission
wird definitiv nicht ausreichen.
({0})
Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Georg
Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Klimaschutz ist natürlich ein europäisches Thema par
excellence. Es geht um die Erfolge, die man nur auf
europäischer Ebene erreichen kann, aber es geht auch
darum, dass wir einen hohen Harmonisierungsbedarf haben, weil das natürlich auch Einflüsse auf die Wettbewerbsfähigkeit hat, Frau Künast.
({0})
Damit bin ich bei dem Punkt, den Sie angesprochen
haben. Im Vorfeld dessen, was uns heute vorgestellt worden ist, haben wir intensive Diskussionen erlebt, die für
die Politik der Europäischen Union exemplarisch sind.
Manche fahren nämlich nach Brüssel, um dort vorrangig
nationale Interessen zu vertreten. Wir müssen dagegenhalten. Das hat diese Bundesregierung auch ganz entschieden und richtig getan.
Insbesondere geht es dabei um die deutsche Automobilindustrie. Sie können jetzt sagen, dass das Lobbybzw. Interessenpolitik ist. Ich sage Ihnen aber eines: Nur
dann, wenn es uns gelingt, auf der einen Seite das Klima
zu schützen und auf der anderen Seite wirtschaftlich voranzukommen und Wachstum zu sichern, wird das, was
wir politisch tun, von den Bürgerinnen und Bürgern dauerhaft akzeptiert werden. Wir brauchen für unsere Politik
doch die Bürgerinnen und Bürger. Wir wollen sie doch
mitnehmen.
({1})
Es ist nun einmal Fakt, dass es in Deutschland Premiumautomobilhersteller gibt, die mit dem, was man uns
vorgeben will, Probleme haben. Es ist entscheidend,
dass man diese besondere Ausgangslage berücksichtigt.
Herr Gabriel, an dieser Stelle müssen wir auf der europäischen Bühne auch politisch weiterarbeiten.
({2})
Allerdings haben wir auch erlebt, dass es an dieser
Stelle seitens der EU-Kommission Versuche gibt - das
ist exemplarisch für die europäische Politik -, Umsetzungskompetenzen an sich zu ziehen. So weit darf es
nicht gehen. Dass wir die Ziele auf der europäischen
Ebene miteinander vereinbaren, ist richtig, dass man
aber, wie bei diesem unsäglich diskutierten Zertifikatehandel, so weit gehen will, den Nationalstaaten vorzuschreiben, wie das umgesetzt werden muss, ist falsch.
Wir brauchen doch den Wettbewerb der Systeme. Deshalb müssen wir ganz deutlich machen, dass wir am Erfolgsmodell EEG festhalten wollen. Alles andere wäre
ein falscher Weg.
({3})
Ich sage auch, dass die EU an dieser Stelle Kompetenzen an sich ziehen will, die sie überhaupt nicht
braucht. Ich spreche die Charta der Rechte der Energieverbraucher an. Ich weiß, dass es den einen oder anderen
im Haus gibt, der sagt: Ein Sozialtarif wäre doch prima;
wenn er auf europäischer Ebene verordnet wird, dann ist
es umso besser. - Nein, so weit darf die europäische
Politik an dieser Stelle nicht gehen.
({4})
Beim Thema Sanktionszahlungen im Automobilbereich sprechen manche mittlerweile unverhohlen von
EU-Steuern.
({5})
Auch das ist nicht im Sinne eines nationalen Parlaments.
Wir müssen dafür sorgen, dass nicht die Kompetenzen nach Brüssel gehen und die Verantwortung dafür bei
uns bleibt. Wir müssen unsere Kompetenzen und unsere
Verantwortung auch wahren.
Ich spreche das Thema Biokraftstoffe an. Wenn wir
hier vorankommen wollen und wenn wir andere Ziele
vorgegeben bekommen, dann heißt das in der Konsequenz, dass wir in diesem Parlament jetzt schnellstens
dafür sorgen müssen, dass die Kapazitäten Deutschlands, die wir aufgebaut haben, auch erhalten bleiben,
damit am Schluss nicht alles aus dem Ausland kommt.
({6})
- Liebe Frau Künast, das werden wir jetzt in Angriff
nehmen.
Wir werden das Thema erneuerbare Energien ausweiten, und wir werden das EEG und das ErneuerbareEnergien-Wärmegesetz im parlamentarischen Prozess
evaluieren.
Aber - jetzt komme ich zu dem, was hier verschiedentlich angesprochen worden ist - wenn wir im
Jahre 2020 über die Ziele hinaus, die uns die EU vorgegeben hat, bei einem Anteil der erneuerbaren Energien
von 30 Prozent liegen werden, dann bleibt die Frage offen, woher die anderen 70 Prozent kommen. Wenn man
gegen Kohle und gegen die Kernenergie ist, dann kann
man diese Frage nicht beantworten. Es ist aber Pflicht
und Aufgabe des Deutschen Bundestages, die Frage, woher sie kommen, auch zu beantworten.
({7})
Herr Kollege Reiche von der SPD, ich hätte mir gewünscht, dass wenigstens der Kollege Scheer, der ja
noch Mitglied dieses Parlaments ist und das im Übrigen
auch bleiben wird,
({8})
hier gewesen wäre und Ihre Rede zum Thema Kohle gehört hätte. Das wäre doch spannend gewesen. Der Frau
Ypsilanti schicken Sie nach Möglichkeit einen Abdruck
dessen, was Sie hier heute gesagt haben.
({9})
Der Kollege Scheer kann und darf nicht so tun, als kämen wir in diesem Land in der absehbaren Zukunft ohne
Kohle und ohne Kernenergie aus. Das ist die Realität,
meine Damen und Herren. Politik beginnt jedenfalls bei
uns, bei der Union, mit dem Betrachten der Realitäten.
Herzlichen Dank.
({10})
Nun hat das Wort Kollege Dr. Axel Berg für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Vorschläge der EU-Kommission sind im
Großen und Ganzen zu begrüßen. Mit den Entwürfen in
allen vier Bereichen - CO2-Minderung, Emissionshandel, erneuerbare Energien und Rechtsrahmen für CCS können wir so weit arbeiten. In der Vorlage der Kommission zur Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Ausbauziele wird es den Mitgliedstaaten überlassen, mit welchen Instrumenten sie ihre Ziele erreichen. Damit ist das
erfolgreiche deutsche EEG, das zigfach in vielen Ländern rund um die Welt kopiert wurde, eben nicht infrage
gestellt. Das ist konsequent und richtig von der Kommission. Schon 2005 hatte sie ja selbst bestätigt, dass das
EEG das effektivste und kosteneffizienteste Instrument
zur Einführung von erneuerbaren Energien ist.
Seit der Einführung des EEG im Jahr 2000 wurden in
der gesamten Branche 250 000 neue Arbeitsplätze geschaffen - notabene in Zeiten, in denen in allen Branchen aus vollen Rohren Personal gefeuert wurde, in Zeiten, in denen der letzte Handyhersteller Deutschland
verlässt. Ende 2007 machte der Anteil der erneuerbaren
Energien beim Strom schon 14 Prozent aus. Das sind
4 bis 5 Prozent des deutschen Gesamtenergieverbrauchs;
das ist deutlich mehr, als zwei Atomkraftwerke produzieren, deren Betreiber leider immer noch die erneuerbaren Energien bekämpfen, die sich selbst inzwischen
Klimaschützer nennen, aber weiter das Volk belügen und
der deutschen Volkswirtschaft schaden.
({0})
Das vorgegebene Ziel der Kommission für Deutschland,
bis 2020 auf 18 Prozent erneuerbare Energien am Gesamtenergieverbrauch zu kommen, ist ambitioniert.
Aber wir können es hinkriegen, wenn alle mitmachen
und wenn die vier Großen endlich aufhören zu mauern.
Lieber Dr. Nüßlein, Steffen Reiche sprach auch die
großen Energieverbraucher an. Ich denke ebenfalls wie
er, dass wir über Ausnahmen und Härtefallregelungen
für energieintensive Industrien noch einmal im Licht der
Kommissionsvorschläge diskutieren sollten.
({1})
Warum sollte nicht an vielen Stellen auf sehr viel energieärmere Materialien gesetzt werden? Man kann Häuser, Brücken oder Bundesgartenschauen energiearm und
reich an Ästhetik auch mit Steinen oder Holz bauen.
Doch die Härtefallregelung macht Zement attraktiv. Wie
schaut es mit Aluminium aus? Alu ist ein großartiger
Hightechwerkstoff. Lasst uns doch langlebige Motoren
aus ihm bauen, aber nicht jede Aluhausfassade subventionieren; der Metzger muss auch nicht jede Leberkässemmel in Alupapier einwickeln. Hierfür gibt es doch
Alternativen. Deshalb kann eine kostenlose Zuteilung
von Zertifikaten, von der ich eben hörte, dass sie die
Kommission verabschiedet habe, keine Lösung sein.
Lasst uns lieber über eine Nachhaltigkeitszertifizierung
nachdenken wie bei der Biomasse. Hier hat Steffen
Reiche die Wahrheit gesprochen, lieber Dr. Nüßlein.
Auch die vorgeschlagene Einbeziehung des Luftverkehrs ist eine sinnvolle Erweiterung des Emissionshandels. Wir müssen, wenn wir ehrlich gemeinten Klimaschutz wollen, Flugreisen zu Taxitarifen eindämmen.
Letztlich wird die Fliegerei wettbewerbsverzerrend gegenüber Auto und Zug subventioniert. Eine Verteuerung
der aktuell genutzten Treibstoffe durch den Emissionshandel wird hier sicherlich größere Forschungsanstrengungen mit sich bringen. Das wiederum ist auch dringend notwendig, wenn Airbus wettbewerbsfähig bleiben
soll, weil Boeing wiederum schon die ersten Biospritprototypen in der Luft hat. Ein Umstieg auf biologische
Treibstoffe ist technisch vielleicht gar nicht so wild, wird
aber von den europäischen Flugzeugbauern bisher noch
nicht einmal angedacht oder ernsthaft angegangen, weil
Kerosin so billig ist.
({2})
- Das wollen wir ja verhindern.
Die von uns geforderte einhundertprozentige Auktion
aller Zertifikate ab 2013 ist von der Kommission aufgenommen worden. Die Einnahmen werden in den nationalen Haushalten landen, um für weitere Klimaschutzmaßnahmen genutzt zu werden. Das ist der richtige Weg,
der uns weiterbringt.
Außerdem sollten die erneuerbaren Energien - das ist
ein wichtiger Punkt - Emissionszertifikate zugeteilt bekommen. Ihnen sind doch die größten CO2-Reduktionen
zu verdanken. Erst dann kann man von einem ganzheitlichen, vernetzt gedachten, sinnvollen Mechanismus sprechen. Es müssen alle CO2-produzierenden und auch
CO2-vermeidenden Branchen einbezogen werden.
({3})
Nur so kommen wir meines Erachtens zu einem Wettbewerb, der diesen Namen auch verdient. So kommen
wir zu sinkenden Preisen. Nur so kommen wir zu einer
Zukunftsfähigkeit unseres Landes ebenso wie der EU.
Ich danke Ihnen.
({4})
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Franz Obermeier.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ist es zu begrüßen, dass die Europäische Kommission ein umfassendes Energiepaket vorgelegt hat, mit
dem wir uns aber aus energie-, wirtschafts- und klimapolitischen Erwägungen intensiv auseinandersetzen
müssen.
Der Kommissionspräsident hat heute verkündet, dass
die CO2-Emissionen bezogen auf Fahrzeuge, Haushalte,
Gewerbe, Landwirtschaft und Abfälle um 14 Prozent gesenkt werden sollen. Interessant ist dabei, dass das
Jahr 2005 als Basisjahr gewählt wird. Hier setzt meine
Kritik an. Wir müssen sehr genau prüfen, ob wir dem
ohne Weiteres zustimmen können; denn bezogen auf unser bisheriges Basisjahr 1990 bedeutet das im Grunde
genommen eine Reduzierung der CO2-Emissionen in
diesem Bereich um 33 oder 34 Prozent.
Welche Implikationen eine derartige Reduzierung hat,
ist durchaus erwägenswert. Die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 18 Prozent bezogen auf den gesamten Primärenergieverbrauch ist meines Erachtens
möglich, wenn wir klug handeln. Dies würde in etwa
eine Verdoppelung des jetzigen Bestandes bedeuten. Das
ist unter normalen Bedingungen hinzubekommen.
Interessanterweise lässt sich der Kommissionspräsident auch über die Kostenverteilung aus. Er ist der
Meinung, die Kosten für die Reduzierung der CO2-Emissionen würden im Jahre 2020 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entsprechen. Ich teile diese optimistische
Einschätzung nicht. Insgesamt ist ihm zuzustimmen; gemessen an den Kosten, die ohne eine entsprechende Klimapolitik auf uns zukämen, ist das relativ günstig.
An den Ausführungen des Kommissionspräsidenten
finde ich auch interessant, dass er Klimawandel, Energiepreise und Maßnahmen für die europäische Wirtschaft miteinander verknüpft. Das habe ich in der Form
noch nicht gehört und finde es sehr bemerkenswert, zumal er in seinen weiteren Ausführungen eine kostenlose
Zuteilung an bestimmte Branchen wie die Stahl-, Aluund Kupferindustrie vorschlägt, solange diese Branchen
im internationalen Wettbewerb keinen ähnlichen Restriktionen hinsichtlich der CO2-Emissionen unterliegen.
Ich halte diese Verfahrensweise für angemessen.
({0})
Wir müssen bedenken, dass es um Festsetzungen der
Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments geht. Deswegen müssen wir die gesamte Entwicklung besonders aufmerksam verfolgen. Ich sehe es äußerst kritisch, dass die Auktionserlöse dem EU-Haushalt
zugeführt werden sollen, statt in die Nationalstaaten zurückzufließen. Damit müssen wir uns noch intensiv auseinandersetzen.
Interessant fand ich Ihre Bemerkungen zum Thema
Joint Implementation, Herr Reiche, und den Vorschlag,
den Anteil der CDM-Zertifikate auf bis zu 50 Prozent zu
erhöhen. Das ist eine Basis, über die sich durchaus reden
lässt; denn wir müssen die Preise im Rahmen halten.
Das, was Frau Künast hier vorgetragen hat, ist hanebüchen.
({1})
Die grüne Klimapolitik ist nicht von Kompetenz getragen. Sie ist alles andere als ausgewogen. Wir sagen zwar
Ja zur Klimapolitik, fordern aber auch eine Klimapolitik
unter Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Was
unserer Wirtschaft extrem schadet, müssen wir in diesem
Hause mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen,
vermeiden.
({2})
Für die energieintensive Industrie Ausnahmen zu machen, bedeutet nicht Lobbypolitik, sondern Klimapolitik.
Bedenken Sie: Wenn die energieintensive Industrie ins
Ausland abwandert, dann wird die Produktion nicht zu
den günstigen und guten Bedingungen durchgeführt wie
in Deutschland. Frau Künast, Ihre Ideologie sorgt für
weniger Arbeit und mehr Arbeitslosigkeit in diesem
Land.
({3})
In Ihrer siebenjährigen Regierungszeit ist die Arbeitslosigkeit ständig gestiegen. Die Ursache sind eine völlig
verfehlte Wirtschaftspolitik und Klimapolitik.
Herzlichen Dank.
({4})
Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort dem
Herrn Bundesminister Sigmar Gabriel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
der Aufwärmphase des Jahres 2007 kommen wir nun in
Europa und insbesondere in Deutschland zum Start des
Marathonlaufs beim Klimaschutz. Das, was die
EU-Kommission vorgelegt hat, ist aus unserer Sicht ein
ausgezeichneter Vorschlag zur Erreichung der europäischen Klimaschutzziele.
Um gleich mit ein paar Missverständnissen bei der
Opposition aufzuräumen: Die EU-Kommission schlägt
nicht vor, bis 2020 den Ausstoß der Treibhausgase um
20 Prozent zu reduzieren. Vielmehr soll Europa, wenn
wir zu einem internationalen Abkommen kommen, den
Ausstoß um 30 Prozent senken. Übrigens, Frau Künast,
die Europäische Union hat niemals 40 Prozent versprochen.
({0})
- Nein, das wäre nicht nötig. Das bestätigen auch internationale Wissenschaftler. Sie sprechen von 30 Prozent.
Gleichzeitig zeigt die EU-Kommission auf, wie die
Stellschrauben aussehen müssen, um in der Zielsetzung
von 20 auf 30 Prozent zu erhöhen. Was die EU-Kommission macht, ist richtig.
Deutschland bleibt bei seinem Ziel, bis 2020 den Ausstoß um 40 Prozent zu senken, und gibt somit der Europäischen Union faktisch die Möglichkeit, im Falle eines
internationalen Klimaschutzabkommens die Emissionen
um 30 Prozent zu senken. Da wir über den Zeitraum von
2013 bis 2020 in der EU reden, die internationalen Verhandlungen aber bereits im Jahr 2009 abgeschlossen
sein werden, braucht man die Kommission nicht zu kritisieren, da sie für beide Ziele Maßnahmen vorschlägt.
Die EU-Kommission schafft endlich ein Emissionshandelssystem - dafür haben viele im Haus lange geworben - mit einheitlichen Strukturen im Europa der 27 und
einer 100-prozentigen Auktionierung, dem Verkauf der
Verschmutzungsrechte. Durch den Emissionshandel
sinkt der Anteil der CO2-Emissionen, die in die Atmosphäre entweichen dürfen, deutlich.
Der Kollege hat völlig recht, Frau Künast: Was Sie
vorhin erzählt haben, ist hanebüchen. In Ihrer Regierungszeit ist in der Landwirtschaftspolitik im Hinblick
auf den Klimaschutz gar nichts gemacht worden.
({1})
Sie haben im Rahmen des Emissionshandels den CO2Ausstoß gerade einmal um 2 Millionen Tonnen gesenkt.
Wir sorgen nun für eine Senkung um 53 Millionen Tonnen. Jetzt schlägt die EU-Kommission eine weitere Senkung um 78 Millionen Tonnen vor. Das sind insgesamt
131 Millionen Tonnen. Erzählen Sie also nicht, das EUPapier sei wenig ambitioniert! Sie haben nicht mehr
durchsetzen können. Nun läuft es Gott sei Dank anders.
Freuen Sie sich darüber, und kritisieren Sie nicht die
Europäische Union!
({2})
Das Gleiche gilt beim Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Sie dachten noch, ein 20-prozentiges Ausbauziel bei erneuerbaren Energien sei ambitioniert. Jetzt kommen wir
in Deutschland im Stromsektor auf 30 Prozent, und mit
dem Vorschlag der Kommission verdoppeln wir insgesamt in Deutschland den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020. Das ist vernünftig.
({3})
- Das ist doch Unsinn. Herr Fell, Sie machen Volksverdummung.
({4})
Sie erzählen den Leuten, die Europäische Union hätte
gesagt, für jeden mache sie 20 Prozent erneuerbare Energien. Das ist doch Quatsch!
({5})
- Sie fühlen sich getroffen. Das kann ich verstehen.
({6})
- Ich verstehe das, Frau Künast. Ich würde an Ihrer
Stelle bei so viel Versagen und so wenig Detailkenntnis
bei dem Thema, über das wir hier reden, auch so reagieren, wie Sie reagieren. Sie haben wirklich keine Ahnung,
wovon Sie sprechen.
({7})
Herr Minister, darf ich Sie einen Moment unterbrechen! - Wenn ich es richtig gehört habe, ist gerade von
„Volksverdummung“, aber auch von „Schnösel“ gesprochen worden.
({0})
Ich denke, beides sollte aus unserem parlamentarischen
Sprachgebrauch gestrichen werden.
Herr Minister, bitte sehr.
Frau Präsidentin, vielen Dank für die Erinnerung an
den parlamentarischen Sprachgebrauch. Ich werde jedenfalls für meinen Teil versuchen, mich daran zu halten. Trotzdem stimmt, dass Frau Künast zu Recht gesagt
hat, sie habe sich nicht mit Details befasst. Das, finde
ich, ist richtig.
({0})
Sonst wüsste sie, dass es in dem Papier der Europäischen
Kommission eine einzige Ausnahme gibt, und sonst
wüsste sie vielleicht auch, dass sie in einigen Bereichen
aus physikalischen Gründen CO2 nicht weiter senken
können, zum Beispiel in der europäischen Stahlindustrie.
Es ist aber nicht schlimm, dass sie das nicht weiß; denn
es wird wohl kein Facharbeiter in der Stahlindustrie
Grün wählen. Aber den Kolleginnen und Kollegen von
den Linken würde ich gern Folgendes sagen, weil es ja
Gefahren bei den Wahlen gibt: Ich werde mir die Freiheit nehmen, in ein paar Stahlunternehmen zu gehen und
dort den Betriebsräten zu sagen, dass Sie der Überzeugung sind, es sei richtig, auch für die deutsche Stahlindustrie zur Auktionierung der Emissionszertifikate zu
kommen, obwohl völlig klar ist, dass diese Unternehmen
nur durch eine einzige Maßnahme ihre Gichtgasemissionen senken können: durch den Abbau der europäischen
Stahlproduktion, durch die Verlagerung in andere Länder.
({1})
Wer das fordert, der ist, ohne dass er es will, ein Klimakiller und ein Jobkiller zugleich. Das ist das Ergebnis
dessen, was Sie hier vortragen.
({2})
Als einzige Ausnahme sieht die Kommission bei den
Industriezweigen, die keine wirkliche Chance zur Senkung der CO2-Emissionen haben, in denen die Unternehmen aber im internationalen Wettbewerb stehen mit Unternehmen, die nicht den Stand der Technik haben, eine
hundertprozentige Zuteilung vor. Das ist eine kluge Entscheidung. Das ist absolut richtig.
Ich finde, wir sollten den davon Betroffenen sagen:
Wir zeigen damit das, was die Entwicklungsländer und
viele Industrieländer sehen wollen. Wir zeigen, dass
zwei Dinge zusammenpassen: wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Arbeitsplätze und Wohlstand sichern und dabei den Klimaschutz erreichen, den wir nach den Erkenntnissen der internationalen Wissenschaft erreichen
müssen. Das ist der Beweis, den wir sehen wollen.
Die ganze Kritik an den Ausnahmen ist auch deshalb
nicht nachvollziehbar, weil wir doch gerade zeigen, dass
wir trotz dieser Sonderbehandlung für die Industriezweige, die die Emissionen nicht senken können, die
ambitionierten Klimaschutzziele erreichen. Das haben
uns doch viele Entwicklungsländer nicht geglaubt. Die
Europäische Kommission zeigt, dass es möglich ist. Wir
werden über Details der Regelung zu reden haben, aber
diesen Beweis wollten wir antreten.
Wir sollten denjenigen in Deutschland, die manchmal
Sorge haben, dass Klimaschutz ihre Jobs bedroht, zeigen: Nein, das ist nicht so. - Was die Grünen und die
Linkspartei hier vorschlagen, würde in der Tat darauf hinauslaufen, dass wir, sozusagen gegen die Physik, versuchen, CO2 zu senken. Es würde aber im Ergebnis zu einem Abbau der Produktion bei uns in einigen wenigen,
aber beschäftigungsintensiven Branchen und zur erhöhten Klimabelastung in anderen Teilen der Welt führen
und wäre damit Klimakiller und Jobkiller zugleich. Ich
sage es noch einmal: Darüber werden wir öffentlich reden, meine Damen und Herren, damit die Leute wissen,
was Sie mit Ihrer Politik vorhaben.
({3})
Nur einige wenige Bemerkungen zu den anderen Teilen. Beim Thema erneuerbare Energien sollten wir kritisieren und nachbessern bei der Frage: Warum gilt eigentlich die Nachhaltigkeitsverordnung nach Vorstellungen
der Europäischen Union nur für Kraftstoffe? Herr
Kauch, ich glaube, wir sollten diese Verordnung kräftigen, aber wir sollten sie für alle Biomassebereiche kräftigen. Die EU sollte das tun, was Deutschland macht,
nämlich nur den Nettosenkungsbetrag von CO2 anrechnen, also den Anteil der CO2-Emissionen bei der Produktion von Biokraftstoffen und Biomasse abziehen, damit wir uns nicht in die Tasche lügen. Ich finde, da
müssen wir noch nachbessern.
({4})
An all diejenigen, die jetzt den Regenwald anführen,
richtet sich meine Bitte: Sagen Sie auch öffentlich, worin das Hauptproblem bei der Zerstörung des Regenwaldes besteht! Das ist nach wie vor zu über 95 Prozent der
Sojaanbau. Die Sojaproduktion geht in die Futtermittelindustrie. Das ist ein Thema der Landwirtschaft. Ich
hätte mich gefreut, wenn Sie, Frau Künast, in Ihrer Regierungszeit wenigstens einmal den Versuch unternommen hätten, das mit derselben Energie zu stoppen, mit
der Sie heute gegen die Anwendung von Biokraftstoffen
protestieren.
({5})
Da liegt das Hauptproblem bei der Abholzung des Regenwaldes. Der größte Importeur von Soja ist Europa, in
Europa ist der größte Importeur Deutschland. Da müssen
wir etwas ändern.
({6})
Letzte Bemerkung, Frau Präsidentin: Ich glaube, worauf wir insbesondere Wert legen sollten, ist, dass wir
von der Kommission auch praktische Vorschläge zur
Steigerung der Energieeffizienz einfordern. Auch das ist
im Europäischen Rat beschlossen worden. Dafür hat es
bislang keine Vorschläge gegeben. Top-Runner-Modell,
dynamische Effizienzstandards - all das fehlt. Das müssen wir nachholen. Ich glaube, dass wir dann insgesamt
ein gutes Paket auf den Weg bringen können. Ich jedenfalls meine, dass die Kommission nicht nur den richtigen
Weg eingeschlagen, sondern auch die richtigen Ziele gesetzt hat, nämlich im Ergebnis das 30-Prozent-Ziel.
Deutschland wird mehr als ursprünglich gedacht übernehmen müssen. Das wollen wir tun. Aber dafür brauchen wir die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die
der Kollege Nüßlein angesprochen hat. Wir müssen sicherstellen, dass die Grundstoffindustrie in Europa ihren
Standort behält, um die Kraft und am Ende die finanziellen Möglichkeiten zu haben, die Vorreiterrolle im Klimaschutz in Deutschland und Europa weiter spielen zu
können. Ich finde, es ist ein guter Vorschlag, den die
Kommission vorgelegt hat. Insbesondere beim Emissionshandel kommen wir endlich zu klaren Marktpreisen. Diese regeln dann auch, welche Energieformen in
Deutschland auf dem Markt angeboten werden. Der
Druck, CO2-frei oder CO2-arm zu produzieren, wird dadurch deutlich steigen, auch durch die Einbeziehung von
CCS.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Lämmel für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Nach der Verabschiedung des integrierten Energie- und Klimaschutzprogramms in Deutschland nach
der Weltklimakonferenz in Bali hat nun heute die Europäische Kommission kräftig auf die Klimaschutzpauke
gehauen. Präsident Barroso hat heute im Europäischen
Parlament seine Vorschläge erstmalig vorgelegt und erläutert. Die Europäische Union will wieder einmal Vorreiter in der Welt werden. Das ist auch gut so; denn Klimaschutz geht letztendlich uns alle an.
({0})
Wir wollten immer eine europäische Klimaschutzpolitik, die die Lasten, aber auch die Gewinne des Klimaschutzes gerecht für alle verteilt. Außerdem wollten wir
nicht, dass wir uns hier in Deutschland mit guten Gesetzen abmühen und mit guten Aktionen glänzen, die anderen aber mit verschränkten Armen im Kreise stehen und
zuschauen, ob Deutschland es denn schaffen wird.
({1})
Insofern ist es heute ein guter Tag; denn Europa als Ganzes oder als fast Ganzes bekennt sich zu diesen ehrgeizigen Zielen.
({2})
Das war sicherlich auch der Grund, warum die Fraktionen des Europäischen Parlaments sich überwiegend positiv zu diesem Paket geäußert haben.
Wir wissen aber auch, dass der Teufel bzw. die vielen
kleinen Teufelchen im Detail liegen. Deswegen ist die
strikte Einhaltung der EU-eigenen Vorgaben und Ziele
unabdingbar. Ich nenne erstens die Einhaltung der beschlossenen Ziele für alle Mitgliedstaaten. Man darf
wirklich gespannt sein, ob das funktioniert. Wir haben
eine Menge einschlägiger Erfahrungen mit solchen gemeinsamen Proklamationen gemacht, wo hinterher einige
Staaten versuchten, sich aus dem Programm zu verabschieden. Oftmals schon ist die EU als Löwe losgesprungen und letztendlich als Papiertiger liegen geblieben.
Wird es denn Missbrauchs-, Ausschluss- oder Sanktionsverfahren gegen Staaten geben, die sich nicht beteiligen?
Zweitens. Wir brauchen Fairness für alle Mitgliedstaaten. Die Verteilung der Lasten muss transparent darstellbar sein. Das hat Barroso heute versprochen; wir
dürfen darauf sehr gespannt sein.
({3})
Eine Berechnung nach Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
oder Energieverbrauch pro Kopf wird die Industriestaaten natürlich deutlich mehr belasten.
Drittens. Wir brauchen die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit; verschiedene Redner haben das heute
schon deutlich gemacht. Das ist für mich übrigens auch
eines der wichtigsten Kriterien. Daran wird sich mittelund langfristig der Erfolg der Klimapolitik zeigen. Die
Weltwirtschaft ist globalisiert. Europa ist nur ein Drittel
der Weltwirtschaft; die anderen Zentren - Amerika und
Asien - müssen mitziehen.
Ein Weiteres ist beim Stichwort Wettbewerbsfähigkeit
zu nennen: der Energiemix. Selbst wenn wir noch 5 Prozent mehr erneuerbare Energien einsetzen, bleiben die
fossilen Brennstoffe und die Kernenergie in Deutschland
Hauptlieferanten für den Strom. Das wird auch noch
lange Zeit so sein.
({4})
Wir brauchen den Energiemix.
Sonne - wenn sie denn scheint - Wind und Wellen
sind zwar umsonst, aber die Spitzenkandidatin in Hessen
irrt, wenn sie glaubt, dass die Gewinnung dieser Energien umsonst sei. Die Gewinnung von regenerativen
Energien ist teurer als die Gewinnung von Energie aus
fossilen Brennstoffen oder von Atomenergie.
({5})
Deswegen brauchen wir für die Wettbewerbsfähigkeit
auch weiterhin den Energiemix in Deutschland und in
Europa.
({6})
Viertens. Die Vorschläge der EU-Kommission müssen in internationale Abkommen münden. Was nützt es,
wenn wir in Europa wieder mehrere Schritte vorangehen, aus Peking, Neu-Delhi oder Washington aber keine
Reaktionen erfolgen? Das Vorangehen der Europäischen
Union muss gekoppelt sein mit Druck in den internationalen Verhandlungen mit dem Ziel, hierbei voranzukommen.
Fünftens. Die Menge der globalen Emissionen - das
hängt mit dem vierten Punkt zusammen - muss halbiert
werden. Das muss das Ziel der Verhandlungsführer der
Europäischen Union sein. Klimaschutz in der Welt kann
nur dann wirklich zum Erfolg werden, wenn die Menge
der globalen Emissionen halbiert wird.
Die Kommission hat heute auch gleich die Rechnung
für den Bürger präsentiert: 3 Euro pro Kopf. Für eine
vierköpfige Familie sind das knapp 50 Euro im Monat
oder 600 Euro im Jahr - zusätzlich zu dem, was in
Deutschland schon an Belastungen zu tragen ist. Das
heißt: Klimaschutz ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte zusammenfassen: Kopenhagen wird die nächste Station der Beratung
der Vorschläge sein. Ich kann nur hoffen, dass die weitere Verhandlung über das heute vorgeschlagene Energiepaket erfolgreich ist und dass wir in Deutschland
keine weiteren Benachteiligungen in diesem Bereich
hinnehmen müssen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Frank Schwabe für SPD-Fraktion.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Das
ist nun heute in der Tat eine Aktuelle Stunde im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist so aktuell, dass all das, was
da gedruckt wurde, noch gar nicht trocken ist. Es ist allerdings eine Aktuelle Stunde zu den Vorschlägen der
EU-Kommission zu Energie und Klima. Es ist keine Aktuelle Stunde zur Hessen-Wahl. So war das jedenfalls
nicht gedacht, Herr Dr. Nüßlein, Herr Kauch und Herr
Lämmel; Sie haben sich da ja auch noch eingeordnet. Es
muss einem der Allerwerteste schon ziemlich auf Grundeis gehen, wenn man versucht, das hier so umzufunktionieren.
({0})
Ich bin mir sicher: Die Wählerinnen und Wähler in Hessen wollen den Atomausstieg und werden deshalb dafür
sorgen, dass Frau Ypsilanti Ministerpräsidentin wird.
({1})
Ich will zum Paket der EU drei Dinge sagen:
Erstens. Ich habe überhaupt nicht verstanden, wieso
Sie von der geschätzten Opposition von Grünen und Linken eigentlich von 20 Prozent ausgehen. Entweder haben Sie die Vorschläge nicht richtig gelesen, oder Sie
machen hier in - Entschuldigung - sehr billigem Oppositionsstil ein Stück weit in Populismus.
({2})
Wir wollen 30 Prozent. Es ist ganz klar festgelegt,
dass es 30 Prozent dann sein werden, wenn es ein internationales Abkommen geben wird. Davon gehen wir alle
aus.
({3})
Deswegen waren wir auf Bali. Deswegen verhandeln
wir in Kopenhagen. Wenn Europa auf 30 Prozent kommt
- so ist es auch ausgerichtet -, dann kommt Deutschland
auf mehr als 40 Prozent; das ist jedenfalls die Zielsetzung.
({4})
- Nein, das hört sich nicht anders an.
Der zweite Punkt: Deutschland hat im Vorfeld wichtige Positionen durchgesetzt, vor allem bezüglich der
Weitergeltung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, aber
auch bezüglich der Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Industriezweige. Insofern haben diejenigen unrecht, die sagen - man konnte das ja heute zum
Teil lesen -, dass Deutschland für sein besonderes Engagement, das der Kanzlerin und das des Umweltministers,
bestraft würde. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere hohe
Glaubwürdigkeit und unser starkes Engagement erlauben
es uns, auf solche Vorlagen der Kommission schon im
Vorfeld Einfluss zu nehmen, und das ist gut so.
Als dritten Punkt möchte ich die Thematik CCS erwähnen. Diese ist heute etwas zu kurz gekommen. Ich
glaube, dass die Vorschläge der Kommission neuen
Schwung in die Debatte bringen und den Sprung vom
Glauben zum Wissen ermöglichen, ob diese Technologie
realisiert werden kann.
Ich denke, es ist richtig, wenn der Deutsche Bundestag das, was die Kommission heute vorgeschlagen hat,
im Grundsatz begrüßt. Es war nämlich nicht einfach für
die Kommission, die Quadratur des Kreises hinzubekommen. Was nun zum Emissionshandel vorgelegt
wurde, ist wirklich wegweisend. Dass es jetzt EU-weit
eine Obergrenze geben soll und zukünftig das Geschachere um die nationalen Allokationspläne aufhören wird,
stellt einen riesigen Fortschritt dar. Es ist auch ein riesiger Fortschritt, dass es zu einer 100-prozentigen Versteigerung von Emissionsrechten für den Energiebereich
kommen wird. Es ist auch ein Fortschritt, dass wir uns
demnächst darauf verlassen können, dass im Industriebereich die besten verfügbaren Technologiestandards
eingesetzt werden.
Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag - ich habe
es hier schon einmal gesagt - sehr viel Selbstbewusstsein an den Tag legen kann. Wir haben ein gutes Konzept für die zweite Periode des Emissionshandels vorgelegt. Bezüglich der Frage der Versteigerungen haben wir
auch eine wegweisende Funktion der Kommission gegenüber ausgeübt. Ich meine, das hat sich auch konkret
auf die Vorschläge für die dritte Handelsperiode ausgewirkt.
Ich will es noch einmal sagen: Die Hoffnung einiger,
dass wir uns jetzt europaweit und deutschlandweit von
ambitionierten Zielen verabschieden würden, ist sehr
trügerisch. Wir gehen in Deutschland nach wie vor von
40 Prozent aus. Wir müssen eher sogar die Latte noch etwas höher legen, nämlich bei 42 Prozent, um gemäß den
Vorschlägen der Kommission zukünftig europaweit das
30-Prozent-Ziel zu erreichen. Deswegen müssen wir
sehr strikt das umsetzen, was wir uns im Rahmen von
Meseberg I und Meseberg II vorgenommen haben. Darüber hinaus sind auch noch weiter gehende Maßnahmen
notwendig. Die SPD wird dazu entsprechende Vorschläge machen. Zu diesen Vorschlägen wird im Übrigen auch die Einführung eines Tempolimits gehören.
Das möchte ich an der Stelle noch einmal betonen.
({5})
- Ja, so wird das sein. Kleinvieh macht auch Mist. Es
sind eben keine Peanuts.
({6})
Dadurch sind durchaus maßgebliche Reduktionswerte zu
erreichen.
Als Letztes möchte ich noch etwas zum Thema Bezahlbarkeit sagen. Auch darauf ist Herr Lämmel ja gerade noch einmal eingegangen. Ich finde es gut, dass die
Kommission ehrlicherweise sagt, Klimaschutz kostet
Geld. Die Frage ist nur, was es kosten würde, wenn wir
keinen ordentlichen Klimaschutz betrieben. Hierzu hat
Herr Barroso zu Recht gesagt: Wir können den Kopf
nicht in den Sand stecken. Wenn wir nicht handeln, wird
es zehnmal so teuer, als wenn wir handeln. - Das kann
sich niemand leisten, niemand in Deutschland und niemand in Europa.
({7})
Damit ist nun die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 24. Januar, 9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung.