Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und gute
Beratungen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es eine
Reihe von beachtlichen Ereignissen und Veränderungen
zu vermelden. Seit unserer letzten Sitzung im Dezember
haben die Kolleginnen und Kollegen Marlene
Rupprecht, Antje Blumenthal, Klaus Hagemann,
Bernd Scheelen und - gestern - Gregor Gysi ihren
60. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen Hauses
gratuliere ich ihnen herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Der Kollege Carl-Eduard von Bismarck hat am
10. Dezember 2007 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet.
({1})
- Die folgende Mitteilung ist noch gesicherter als die gerade vorgetragene: Als Nachfolger begrüße ich sehr
herzlich den uns aus früheren Wahlperioden bestens bekannten Kollegen Helmut Lamp.
({2})
Schließlich möchte ich auch den Kollegen
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn herzlich begrüßen,
der am 4. Januar 2008 als Nachfolger für die Kollegin
Margareta Wolf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat.
({3})
Um den neuen Kollegen gleich einen Eindruck von
der Arbeit zu vermitteln, haben die Fraktionen vereinbart, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität hinsichtlich Prävention, Straffälligenhilfe und Ausstattung der
Jugendgerichte ({4})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Unterlaufen von Klimaschutzzielen durch
CDM-Projekte beenden
- Drucksache 16/7752 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({6})
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2007
- Drucksache 16/6385 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD:
Gute konjunkturelle Entwicklung als Basis für
nachhaltige Rentenfinanzen
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({8}),
Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Gleichstellung von Frauen und Männern in
den Gremien des Bundestages tatsächlich
durchsetzen
- Drucksache 16/7739 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9})
Rechtsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Meierhofer, Gudrun Kopp, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Potenziale der Abtrennung und Ablagerung
von CO2 für den Klimaschutz nutzen
- Drucksache 16/5131 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({11}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des
Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses
2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung
({12})
KOM ({13}) 650 endg.; Ratsdok. 14960/07
- Drucksachen 16/7393 Nr. A.34, 16/7769 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({14})
Dr. Carl-Christian Dressel
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick
Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Mehr Chancen durch bessere Bildung und
Qualifizierung
- Drucksache 16/7733 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg
Rohde, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Altersvorsorge für Geringverdiener attraktiv
gestalten
- Drucksache 16/7177 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({15})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
ZP 10 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
FDP:
Gesundheitsfonds stoppen - Beitragsautonomie der Krankenkassen bewahren
Die Tagesordnungspunkte 9 c, 18 und 23 sollen
abgesetzt und der bisher zur Beratung vorgesehene Tagesordnungspunkt 20 ohne Debatte an die Ausschüsse
überwiesen werden. Außerdem ist vorgesehen, die Tagesordnungspunkte 25, 27 und 28 von Freitag auf Donnerstag vorzuziehen. Hierdurch ergibt sich folgende
neue Reihenfolge: Der Tagesordnungspunkt 25 wird
nach dem Tagesordnungspunkt 9 aufgerufen, der Tagesordnungspunkt 27 nach dem Tagesordnungspunkt 11,
und auf den Tagesordnungspunkt 14 folgen zunächst die
Tagesordnungspunkte 10, 28, 12 und 16. Das hat sich jeder sicherlich sofort gut merken können. Für Rückfragen
stehen das Präsidium und die Parlamentarischen Geschäftsführer sonst gern zur Verfügung.
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich mache ich auf drei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 85. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({16}) sowie dem
Ausschuss für Gesundheit ({17}) zur Mitberatung überwiesen werden.
… Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP zur Änderung des
Gentechnikgesetzes
- Drucksache 16/4143 überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({18})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Der in der 123. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({19}) sowie dem
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({20}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erster Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des EG-Gentechnik-Durchführungsgesetzes
- Drucksache 16/6557 überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({21})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Präsident Dr. Norbert Lammert
Der in der 123. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Rechtsausschuss ({22}) sowie dem
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({23}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Vierter Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Änderung des Gentechnikgesetzes
- Drucksache 16/6814 überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({24})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ist irgendjemand mit irgendeiner dieser Veränderun-
gen nicht einverstanden? - Das ist nicht der Fall. Dann
haben wir das einvernehmlich so beschlossen.
Wir kommen nun endlich zu den Tagesordnungs-
punkten 3 a und 3 b sowie zum Zusatzpunkt 2:
3 a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung
zu den Ergebnissen des Klimagipfels auf Bali
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vertrauen in Klimaschutzprojekte im Ausland
erhöhen - Clean Development Mechanism
durch Reformen stärken
- Drucksache 16/7006 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({25})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dr. Gesine Lötzsch, Monika
Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Unterlaufen von Klimaschutzzielen durch
CDM-Projekte beenden
- Drucksache 16/7752 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({26})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
({27})
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Die globale Temperatur steigt weiter; die Weltbevölkerung nimmt zu; die Weltwirtschaft und die Industrialisierung erfassen fast jeden Winkel dieser Erde.
Damit steigen der weltweite Energiehunger und inzwischen auch auf breiter Front die Energiepreise.
Die gute Nachricht ist: Beiden Herausforderungen,
dem wachsenden Energiehunger der Weltwirtschaft einerseits und dem Klimawandel andererseits, können wir
mit einer mutigen gemeinsamen Strategie wirksam begegnen: mit einer deutlichen Steigerung der Energieund Rohstoffeffizienz in der Produktion und im Konsum sowie mit dem Wechsel zu erneuerbaren Rohstoffen, die zu einem immer größeren Anteil aus nachhaltiger Erzeugung stammen.
({0})
Das ist die einzige friedliche Strategie, mit der die wachsende Weltwirtschaft ausreichend mit Rohstoffen versorgt werden kann.
Gewiss, die notwendige klimafreundliche Umstrukturierung der Industriegesellschaft steckt noch in den Kinderschuhen. Auf Bali, wo die Weltgemeinschaft den
Startschuss auf dem Weg zu einem neuen Klimaschutz
gegeben hat, konnten wir jedoch die ersten Fortschritte
verzeichnen. Mehr noch: Die letzte Klimakonferenz hat
für die 2008 beginnenden Verhandlungen eine klare
Richtung vorgezeichnet. Im Kern ging es auf Bali um
die Herstellung einer Balance zwischen den Minderungsverpflichtungen der Industrieländer einerseits und
den Beiträgen der Entwicklungsländer zum Klimaschutz
andererseits.
Angesichts der eindeutigen und klaren Warnsignale
aus der Wissenschaft hätten wir Deutsche und Europäer uns vorgestellt, dass man sich noch stärker an den
Erkenntnissen der Wissenschaft orientiert hätte, also
beispielsweise, dass die Industrieländer einer Verminderung der Treibhausgase bis 2020 in der Größenordnung von 30 Prozent zugestimmt hätten. Auch wenn
darüber und über die Festlegung eines langfristigen
Ziels kein Konsens mit wichtigen Industrienationen auf
Bali möglich war, war die Konferenz ein Erfolg.
Die Ergebnisse der Konferenz auf Bali bilden eine
gute Basis für den Verhandlungsmarathon der nächsten
zwei Jahre. Die Ergebnisse sind wichtige Leitplanken,
um 2009 auf der Konferenz in Kopenhagen ein zukunftsweisendes, weltweites Klimaabkommen zu erreichen,
das stärker und wirksamer als das Kioto-Protokoll ist.
Alle Industrieländer, auch die USA, haben ihre Bereitschaft erklärt, ihre Treibhausgase drastisch zu reduzie14262
ren. Zum ersten Mal sind auch die Entwicklungsländer
bereit, Begrenzungen ihrer Emissionen in einem Vertrag
zu regeln.
Was sind nun aber die entscheidenden politischen Voraussetzungen dafür, dass es 2009 in Kopenhagen auch
wirklich zur Unterzeichnung eines neuen und wirksameren Klimaschutzabkommens kommt? Worauf kommt
es nach Bali in diesem Jahr, dem Jahr 2008, an? Ich bin
sicher, am Ende wird die Beantwortung einer zentralen
Frage über die Zukunft des Klimaschutzes entscheiden:
Ist es möglich, einen wirksamen Klimaschutz mit einer
erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung zu verknüpfen? Das ist die Kardinalfrage, meine Damen und Herren, um die es auf Bali ging. Darauf können wir in Europa und in Deutschland eine positive und erfolgreiche
Antwort geben.
({1})
Zuallererst müssen wir die im letzten Jahr beschlossenen europäischen Klima- und Energiestrategien
glaubwürdig in die Praxis umsetzen. Es waren ganz
maßgeblich die Europäische Union und Deutschland, die
auf Bali durch ihre glaubwürdige Führungsrolle beim
Klimaschutz in der Lage waren, im Streit zu vermitteln.
In der kommenden Woche, am 23. Januar, will nun die
EU-Kommission vorstellen, wie sie die Ziele, die sie im
Jahre 2007 beschlossen hat, in diesem Jahr umsetzen
will. Die Kommission hat in allen Handlungsbereichen
ganz konkret buchstabiert, was die Umsetzung der Ziele
für die Mitgliedstaaten bedeutet. Auch wenn uns das
heute absehbare Ergebnis noch nicht ausreicht und nicht
in allen Bereichen gefällt, verdient zuallererst der Mut
der Europäer, auch der Kommission und der Staats- und
Regierungschefs, die das beschlossen haben, unseren
Respekt. Ich glaube, wir sollten es auch öffentlich sagen:
Das ist wirklich ein Erfolg der Zusammenarbeit in der
Europäischen Union.
({2})
Die Bundesregierung unterstützt dabei die Zielrichtung der Kommission ausdrücklich in folgenden Punkten:
Erstens. Beim Emissionshandel wird mit der bisherigen Kleinstaaterei Schluss gemacht. In Zukunft sollen
europaweit für alle Unternehmen die gleichen Spielregeln gelten. Damit schaffen wir gleiche Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt. Dazu gehören
auch der Verzicht auf 27 verschiedene Obergrenzen für
die CO2-Emissionen aus der Stromproduktion in den
Mitgliedstaaten und stattdessen die Einführung einer
einheitlichen Obergrenze für die CO2-Emissionen aus
der Stromproduktion für ganz Europa sowie das Ziel einer 100-prozentigen Auktionierung in der dritten Handelsperiode.
({3})
Wir haben in den letzten Monaten auch eine Debatte
über die Kohle geführt. Dies, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, ist die Antwort auf Ihre
Kohlediskussion. Statt jedes Kohlekraftwerk in Deutschland und Europa zu verteufeln, selbst dann, wenn es ein
hocheffizientes Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk ist,
muss man den Emissionshandel stärken.
({4})
Uns geht es doch nicht um Propaganda und Polemik gegen einzelne Kraftwerkstandorte, sondern um die
Begrenzung der CO2-Emissionen, die mit dieser Regelung ermöglicht wird. Wir sorgen in Europa für eine
einheitliche Obergrenze bei den CO2-Emissionen aus der
Stromproduktion, für ein weiteres Absinken der CO2Obergrenzen in Europa und vor allen Dingen für eine
klare Einpreisung durch die Auktionierung. Das ist die
Antwort auf Ihre Kohledebatte, und das ist besser, als
durchs Land zu laufen und die Leute verrückt zu machen.
({5})
Sie sind doch Miterfinder des Emissionshandels gewesen. Warum bekennen Sie sich nicht zu ihm? Das ist
meine Frage an Sie.
Hinsichtlich Ihrer Alternative, Gas für die Stromversorgung, muss man in Betracht ziehen, was uns der künftige russische Präsident bereits gesagt hat. Gegenüber
dem Durchschnittspreis von 2007 soll das Gas für
Deutschland im Jahr 2008 um 40 Prozent teurer werden.
Abgesehen davon, dass damit weitere Gaskraftwerke in
der Grundlast - und darüber reden wir - eher unwahrscheinlich sind, müssten Sie - mit Blick auf die Menschen, die weniger als ein deutscher Bundestagsabgeordneter verdienen - einmal erklären, wie Sie den dadurch
entstehenden Strompreis im Griff behalten wollen.
Zweitens. Die Kommission sagt klar, welche Ziele die
einzelnen Mitgliedstaaten bei den erneuerbaren Energien jeweils erfüllen müssen, damit das europäische
Ausbauziel von 20 Prozent bis 2020 erreicht wird. Das
bedeutet für uns in Deutschland etwa eine Verdoppelung. Mit den Beschlüssen der Großen Koalition und des
Kabinetts in Meseberg werden wir diese Verdoppelung
der erneuerbaren Energien in Deutschland schaffen. Das
ist ein großer Erfolg der gemeinsamen Politik dieser Koalition.
({6})
Drittens. Positiv ist auch die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel.
Viertens. Der für die Carbon Capture and Sequestration, also die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid, vorgeschlagene Rechtsrahmen ist eine gute
Basis für die geplanten Pilotprojekte.
Gleichzeitig hat die Bundesregierung nach dem derzeitigen Stand aber auch Bedenken in folgenden Punkten:
Erstens. Damit die EU in den internationalen Verhandlungen glaubwürdig bleibt, ist es wichtig, dass ihre
Maßnahmenprogramme nicht nur das einseitig von der
EU erklärte Ziel einer 20-prozentigen Minderung der
Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber dem Jahr
1990 abbilden. Die EU muss, um für die internationalen
Klimaschutzverhandlungen glaubwürdig zu bleiben,
gleichzeitig die Maßnahmen abbilden, die es ihr erlauben, im Fall des Erfolgs der Verhandlungen auf das
30-prozentige Minderungsziel der Industriestaaten zu
kommen.
({7})
Die Bundesregierung wird sich deshalb auch von diesem
Ziel leiten lassen und hält darum in ihrer nationalen Klimaschutzpolitik am Ziel einer 40-prozentigen Senkung
der Treibhausgase fest, um überhaupt ein 30-prozentiges
EU-Ziel zu ermöglichen.
Zweitens. Bislang fehlen weitgehend Vorschläge, wie
wir das Ziel einer 20-prozentigen Steigerung der Energieeffizienz erreichen wollen, zum Beispiel zu dynamischen Effizienzstandards wie dem Top-Runner-Modell;
das ist bisher in der EU zu schwach ausgeprägt, um damit wirklich Erfolge erzielen zu können.
Drittens. Die erfolgreichen nationalen Fördersysteme bei den erneuerbaren Energien dürfen durch das,
was die EU-Kommission vorschlägt, nicht gefährdet
werden; denn da gibt es ein echtes deutsches Erfolgsmodell.
({8})
Viertens. In der Automobilindustrie muss das Ziel
einer Verringerung auf 120 Gramm CO2 pro Kilometer
im Durchschnitt aller europäischen Fahrzeuge ab dem
Jahr 2012 erreicht werden. Dieses Ziel steht bereits in
der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU/CSU aus
dem Jahre 2005. Klar ist aber auch, dass niemandem damit geholfen wäre, wenn sich Hersteller größerer Fahrzeuge auf den Weg machen würden, Hersteller kleinerer
Fahrzeuge zu kaufen, um einen Durchschnittsausstoß ihrer Fahrzeuge von 120 Gramm zu erreichen, ohne selber
den Ausstoß auch nur um ein einziges Gramm CO2 gesenkt zu haben. Das wäre aber die Konsequenz, wenn
wir etwas umsetzen würden, was nicht auf Wettbewerbsneutralität beruht und somit keinen fairen Wettbewerb
ermöglicht. Deswegen sind wir der festen Überzeugung,
dass die Kommission ihre jetzigen Vorschläge zur Umsetzung des 120-Gramm-Ziels überarbeiten muss.
({9})
Fünftens. Die EU-Kommission darf beim Emissionshandel nicht die Frage offenlassen, wie Wettbewerbsverzerrungen der im internationalen Wettbewerb stehenden energieintensiven Unternehmen berücksichtigt
werden. Die Industriebranchen, die nicht zum Stromsektor gehören, die im internationalen Wettbewerb stehen
und die den Stand der Technik bei der CO2-Vermeidung
durch Benchmarks erreicht haben, müssen - bis hin zu
einer kostenlosen Zuteilung ihrer Emissionsberechtigungen - die Möglichkeit bekommen, in Europa zu bleiben,
solange die internationalen Klimavereinbarungen keine
gleichen Wettbewerbsbedingungen vorsehen. Das gilt
zum Beispiel für die Stahlindustrie, für die Zementindustrie sowie für die Chemieindustrie und andere Bereiche der Kunststoffindustrie.
Wer bisher in Europa nur das Ziel einer Senkung von
8 Prozent CO2 verfolgt hatte, der kann solche Fragen
möglicherweise eine Weile ignorieren. Bei 20, 30 oder,
wie wir das wollen, 40 Prozent Minderung von CO2Emissionen müssen wir die Frage nach dem internationalen Wettbewerb beantworten, solange wir keine gleichen Wettbewerbsbedingungen durch ein internationales
Klimaschutzabkommen haben, das alle umfasst. In der
Stahlindustrie, in der Zementindustrie und in vielen anderen Bereichen sind China und Indien Wettbewerber,
nicht Entwicklungsländer. Wir müssen aufpassen, dass
wir hier nicht unsere wirtschaftliche Kraft verlieren, die
es uns erst erlaubt, eine engagierte Vorreiterrolle im Klimaschutz zu spielen.
({10})
Tatsächlich waren wir 2007 in Sachen Klimaschutz in
Europa erfolgreich, weil die deutsche Ratspräsidentschaft und die Europäische Kommission an einem
Strang gezogen haben. Das war die Erfolgsbedingung.
Es ist nicht so, dass alle in Europa gleichermaßen von einem ambitionierten Klimaschutz getrieben sind. Ohne
unser Land hätte die EU-15, die das Kioto-Protokoll unterschieben hatte, gegenüber dem Ausgangsjahr 1990
nicht eine Minderung von 2 Prozent ihrer Treibhausgase
erreicht, sondern 4 Prozent mehr emittiert. Deutschland
schafft allein 75 Prozent der insgesamt in der EU für die
Erfüllung der Kiotoverpflichtungen erforderlichen Minderung der Treibhausgase. 75 Prozent gehen auf das
Konto unseres Landes! Wir sagen nicht, dass wir besser
als andere sind. Aber wir sollten schon darauf hinweisen,
dass Deutschland seine Leistungsfähigkeit einsetzt, um
einen Riesenbeitrag für die Erfüllung der EU-Ziele zu
leisten.
({11})
Wir wollen diesen Schulterschluss beibehalten. Dazu
muss die EU aber auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen in unserem Land beachten. Es bleibt dabei: Nur
wenn es gelingt, erfolgreichen Klimaschutz in einer erfolgreichen Wirtschaft in Deutschland und in Europa
durchzusetzen, werden andere Industrieländer einem
weltweiten Klimaabkommen beitreten und damit weitere
Minderungsverpflichtungen übernehmen. Nur dadurch
wird ein gefährlicher Klimakollaps verhindert werden
können. Auch die Schwellenländer werden keine substanziellen Beiträge leisten, wenn sie den Eindruck haben, dass der Klimaschutz die wirtschaftliche Entwicklung behindert.
Übrigens werden auch die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer diesen Kurs nur dann engagiert unterstützen, wenn der Klimaschutz in eine wirtschaftliche Wachstums- und Modernisierungsstrategie
integriert wird. Deshalb ist es kein Widerspruch, wenn
wir einerseits für engagierten Klimaschutz eintreten, dafür Gesetze und Verordnungen in unserem Land verabschieden, mit denen eine CO2-Minderung von bis zu
40 Prozent möglich ist, aber andererseits darauf auf14264
merksam machen, dass es nicht vernünftig ist, unter dem
Deckmantel von Klimaschutz in der Autoindustrie in
Europa eine Wettbewerbsauseinandersetzung zu führen.
Das ist kein Widerspruch. Es sind zwei Seiten einer Medaille.
Entgegen manchen Erwartungen hat die Bundesregierung im August 2007 mit ihren Beschlüssen in der Kabinettsklausur in Meseberg ein umfangreiches Klima- und
Energiepaket geschnürt. Das wollen wir in die Tat umsetzen. Bereits am 5. Dezember haben wir die ersten
14 Gesetze und Verordnungen beschlossen. Sie liegen
jetzt im Deutschen Bundestag zur Beratung. Das haben
wir in nicht einmal dreieinhalb Monaten geschafft. Das
zweite Paket soll am 21. Mai beschlossen werden.
Wir steigern den Anteil erneuerbarer Energien am
Strommarkt auf 30 Prozent, bauen die Förderung nach
dem EEG aus, verdoppeln die Energieproduktivität unserer Volkswirtschaft, zum Beispiel durch die Erhöhung des
KWK-Anteils, schreiben beim Neubau die Nutzung erneuerbarer Wärmetechnologien vor und erhöhen die Mittel für die Finanzierung erneuerbarer Wärmetechnik bei
der Altbausanierung von real 130 Millionen Euro im
Jahr 2005 auf sage und schreibe 500 Millionen Euro jährlich, und zwar durchgeschrieben: dieses Jahr 350 Millionen, ab dem nächsten Jahr bis 2012 500 Millionen. Ich
finde, das ist ein Riesenergebnis. Ich danke dafür herzlich
allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere aber dem
Finanzminister, der seinen Beitrag dazu geleistet hat.
({12})
Wir steigern die Bundesmittel für den Klimaschutz
insgesamt von 870 Millionen Euro im Jahr 2005 auf
rund 2,6 Milliarden Euro im Jahr 2008. Im Jahr 2009
werden es rund 2,8 Milliarden Euro sein. Das ist mehr
als eine Verdreifachung, und darin sind die Mittel für die
internationalen Klimaschutzprogramme des BMZ noch
nicht einmal enthalten. Das ist das derzeit weltweit
größte Klimaschutzprogramm. Es ist Unsinn, zu behaupten, das sei Rhetorik und in der Praxis nicht wirksam.
Unser Ziel ist es, die deutschen Treibhausgasemissionen im Rahmen eines anspruchsvollen internationalen Klimaschutzabkommens bis zum Jahr 2020 um
40 Prozent unter das Niveau des Jahres 1990 zu bringen.
Mit diesem Paket schaffen wir bereits 36 Prozent. Wenn
die Kritiker dieses Paketes sagen, wir würden nur
30 Prozent schaffen, dann ist das fast schon ein Lob;
denn es gibt auf der Welt bislang keinen Industriestaat,
der eine Reduzierung um 30 Prozent dargestellt hat. Das
ist ein wesentlicher Grund, warum wir aus Deutschland
und Europa auf Bali so überzeugend auftreten konnten.
Das Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung ist angesichts der drastisch steigenden Öl- und Gaspreise zugleich ein starkes Konjunkturprogramm.
Auch bei uns in Deutschland zeigen sich nämlich die
Folgen der Abhängigkeit von den klimaschädlichen
Energieträgern, deren Preise immer weiter ansteigen. So
hat die deutsche Wirtschaft mit steigenden Rohstoff- und
Energiepreisen zu kämpfen. Zwischen 2000 und 2005
haben sich die Kosten für Energie aus Öl verdreifacht
und der Gaspreis hat sich verdoppelt. Vor diesem Hintergrund werden die Steigerung der Energieeffizienz in der
gewerblichen Produktion, die energetische Sanierung
von Gebäuden und der verringerte Kraftstoffverbrauch
bei Kraftfahrzeugen für die Industriegesellschaft zum
Motor für Innovationen, Wachstum und Beschäftigung.
Es entstehen völlig neue Industriezweige mit sicheren Arbeitsplätzen. Allein im Bereich der erneuerbaren
Energien sind 235 000 neue Arbeitsplätze entstanden.
Mit den Beschlüssen des Kabinetts und hoffentlich auch
mit Unterstützung des Parlaments wollen wir diese Zahl
bis 2020 auf mindestens 400 000 erhöhen und damit fast
verdoppeln.
Die Schubkraft für dieses Konjunkturprogramm kommt
aus einem breit angelegten Förderprogramm zur ökologischen Modernisierung der Industriegesellschaft. Allein mit dem Gebäudesanierungsprogramm und dem
Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien im Wärmemarkt lösen wir in unserem Land Investitionen mit einem Volumen von weit mehr als 10 Milliarden Euro aus.
Es gibt kaum ein Programm, bei dem Investitionen und
Innovationen so gut miteinander verknüpft werden. Auch
das ist ein Erfolg der Regierungspolitik dieser Koalition,
auf den wir getrost stolz sein dürfen.
({13})
Die Folgen der Energie- und Rohstoffentwicklung
und der Klimaveränderungen betreffen alle Menschen.
Besonders negativ sind aber die Ärmeren und die
Schwächeren vom Klimawandel betroffen. Das gilt vor
allen Dingen für Afrika. In Wahrheit können sich höchstens die Reichen auf der Welt einen schwachen Klimaschutz leisten. Genau das dürfen wir aber nicht zulassen.
Gerade die Armen und Schwachen in unserer Gesellschaft und weltweit sind auf einen starken Klimaschutz
angewiesen. Sonst müssen sie allein die Lasten tragen,
die ein ungebremster Energieverbrauch und ein ungebremster Klimawandel mit sich bringen.
Auch bei uns in Deutschland treffen steigende Kosten für Energie aus fossilen Klimakillern auf soziale
Ungleichheit. Nicht jeder in Deutschland wird das Argument vieler Umweltpolitiker verstehen, dass steigende
Energiepreise gut sind, weil sie zu einem sparsamen
Umgang mit Rohstoffen anhalten. Wenn die Energiekosten eines Dreipersonenhaushaltes um sage und schreibe
70 Prozent steigen - das war zwischen 2000 und 2007
der Fall -, die Nominallöhne im gleichen Zeitraum aber
um nur 18 Prozent erhöht werden, gerät die Klimapolitik
schnell in die Defensive. Deshalb müssen wir uns in diesem Jahr mit diesem Problem befassen und Lösungsvorschläge erarbeiten.
Die wichtigste Antwort auf diese Herausforderung
lautet: Klimaschutz zahlt sich aus. Wer in Effizienz und
erneuerbare Energien investiert, gibt die richtige und offensive Antwort auf steigende Energiepreise. Jeder hat
es in der Hand, durch die Sanierung seines Gebäudes die
Heizkostenrechnung zu senken, durch den Kauf von
Haushaltsgeräten mit niedrigem Stromverbrauch die
Stromrechnung zu vermindern oder durch kraftstoffsparende Autos die Tankrechnung zu drücken. Dabei werBundesminister Sigmar Gabriel
den Privathaushalte und Wirtschaft von der Bundesregierung mit ihren Programmen massiv unterstützt. So
sind zum 1. Januar dieses Jahres für das Marktanreizprogramm neue Förderrichtlinien in Kraft getreten. Die Mittel dafür haben wir bereits erhöht.
Ich will nur ein konkretes Beispiel nennen. Wenn der
Eigentümer eines Einfamilienhauses einen neuen Pelletkessel mit Solaranlage einbaut, wird dies mit über
4 300 Euro gefördert; das sind 17 Prozent der Investitionen. Hinzu kommt die jährliche Ersparnis durch vermiedene Brennstoffkosten in Höhe von mindestens
1 000 Euro.
Die Entwicklung der Energiepreise und die Bedrohung der hart erarbeiteten Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehört im Jahr 2008 ins Zentrum der integrierten Klima- und Energiepolitik. In den
Medien wurde zu Beginn der Woche berichtet, dass allein die Strompreise von 437 Anbietern in den ersten
Wochen des Jahres um durchschnittlich gut 7 Prozent
steigen werden. Der Strompreis für Privathaushalte ist
seit dem Jahr 2000 um 46 Prozent, der Gaspreis sogar
um 100 Prozent und der Preis für Heizöl um 70 Prozent
gestiegen.
Das bedeutet im Ergebnis: Die jährliche Energierechnung eines dreiköpfigen Haushaltes ist seit dem Jahr
2000 von etwa 1 300 Euro auf 2 200 Euro gestiegen.
Wohlgemerkt, das durchschnittliche Nettoeinkommen
einer Krankenschwester liegt bei 1 440 Euro, und ein
Arbeiter im Straßenbau verdient nur 1 200 Euro netto.
Da ist es, weiß Gott, nicht egal, ob man im Monat
75 Euro mehr für Energie zahlen muss oder für die Kinder und die Rente sparen kann.
Ich halte den Preisanstieg angesichts dieser Zahlen
für ein ernstes Problem, insbesondere für die unteren
Einkommensgruppen.
({14})
Ein Niedrigverdiener kann sich nicht ohne Weiteres die
staatlichen Fördermittel zur Altbausanierung holen, weil
ihm die Eigenmittel fehlen. Ein Niedrigverdiener kann
sich auch nicht schnell ein neues Auto kaufen. Deshalb
wird es nicht ausreichen, nur auf mehr Wettbewerb zu
setzen; denn Wettbewerb und stärkere Wettbewerbskontrolle brauchen Zeit.
Ich sehe drei Maßnahmen, mit denen wir in einem
ersten Schritt Klimaschutz und eine Dämpfung der
Energiepreise miteinander verbinden können.
Erstens. Wir brauchen Lösungen, damit Vermieter
und Mieter von Investitionen in die Gebäudesanierung profitieren. Dafür bietet das sogenannte Energiecontracting vielversprechende Perspektiven. Mit dem
zweiten Teil des Energie- und Klimapakets wird die
Bundesregierung Regelungsvorschläge dazu prüfen und
Lösungen finden.
Zweitens. Wenn Vermieter gesetzliche Mindeststandards für Gebäude unterschreiten und sich schlicht und
ergreifend nicht darum kümmern, was im Gesetz steht,
darf dies nicht dauerhaft zulasten der Mieter gehen. In
ihrem Energie- und Klimapaket hat die Bundesregierung
deshalb beschlossen, dass geprüft werden soll, ob der
Mieter in diesem Fall berechtigt sein soll, die in Rechnung gestellten Heizkosten entsprechend zu kürzen. Ich
halte das für eine gute Idee. Wir wollen die Vorschläge
des Mieterbundes dazu prüfen und am 21. Mai dieses
Jahres eine Entscheidung treffen.
Drittens. Ganz entscheidend sehe ich dabei die Energieversorgungsunternehmen in der Pflicht. Sie haben
mit den gestiegenen Energiepreisen und vor allen Dingen mit der Einpreisung kostenlos zugeteilter Zertifikate
im Emissionshandel Milliarden verdient. In unserer Verfassung heißt es nicht „Eigentum verpflichtet zu möglichst hohen Börsenkursen“, sondern „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der
Allgemeinheit dienen.“
({15})
Da haben die Unternehmen eine wirkliche Aufgabe.
Der neue Chef von RWE, Jürgen Großmann, hat einen
Energiepakt für Deutschland vorgeschlagen und auch
selbst erste Maßnahmen zur Stabilisierung der Energiepreise durchgesetzt. Das sind gute Ideen und Ansätze. In
einem Energiepaket müssen auch die Energiepreise behandelt werden, vor allen Dingen im Hinblick auf die
einkommensschwachen Haushalte. Die Regionalgesellschaften von Eon haben zum Beispiel einen ersten Schritt
getan und bieten Sozialtarife an, aber leider zeitlich und
vom Kontingent her sehr begrenzt. Wenn das mehr als
PR sein soll, dann müssen weitere Schritte folgen. Alle
Energieversorger sollten dauerhaft einen solchen Sozialtarif in der Grundversorgung anbieten, wie dies die Europäische Energiecharta vorsieht und die EU-Energiedienstleistungsrichtlinie ermöglicht.
In einem so reichen Land wie Deutschland darf es
keine Energie- oder Brennstoffarmut geben. Das muss
unser Ziel in der gemeinsamen Klima- und Energiepolitik sein.
({16})
Noch einmal: Beim Klimaschutz haben Europa und
Deutschland eine Führungsrolle. Viele Menschen in Industrie- und Entwicklungsländern setzen darauf, dass
wir im Hinblick auf den Verhandlungsmarathon bis Kopenhagen im Jahr 2009 Antreiber und Mittler sind. Wir
sollten sie und uns nicht enttäuschen und unserer Verantwortung gerecht werden. Das bedeutet vor allem: Wir
müssen zeigen, dass in der Realität Deutschlands und
Europas erfolgreicher Klimaschutz, wirtschaftliches
Wachstum und Wohlstand zueinander gehören.
Dies wird uns umso besser gelingen, wenn Deutschland als große Industrienation als erste den Nachweis dafür erbringt, dass moderne Klimaschutzpolitik Innovationen fördert, neue Märkte öffnet, Unternehmen stärkt
und den Menschen praktisch hilft, mit zukunftssicheren
Arbeitsplätzen und der Förderung effizienter Nutzung
der immer knapper werdenden Ressourcen.
Lassen Sie uns gemeinsam handeln. Lassen Sie uns
gemeinsam dafür sorgen, dass auch die soziale Unge14266
rechtigkeit mit einer intelligenten und modernen Klimaschutzpolitik, die dafür sorgt, dass Klimaschutz, wirtschaftlicher Wohlstand und sozialer Ausgleich
Wirklichkeit werden, weltweit bekämpft wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Michael Kauch für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die deutsche Delegation hat auf Bali Geschlossenheit gezeigt.
Anders als in den Delegationen anderer Länder war klar,
dass das Parlament, die Regierungs- und die Oppositionsfraktionen, die Verhandlungslinie der Regierung unterstützt.
({0})
Wir streiten im Deutschen Bundestag über die Instrumente. Über die Ziele sind wir uns aber einig, und das ist
die Stärke der deutschen Klimapolitik.
({1})
Wir sollten aber aufhören, das Verhandlungsergebnis von Bali schönzureden. Es gibt keine Einigung darüber, wie viel CO2 denn überhaupt eingespart werden
soll. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum der
Bundesumweltminister hier eigentlich keine Regierungserklärung zu den Ergebnissen der Konferenz auf
Bali abgegeben hat, sondern eine Regierungserklärung
zur allgemeinen Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung.
Der Bundesumweltminister hat nach der Konferenz
von Bali im Fernsehen gesagt: Wir haben im Text zwar
keine Ziele beschlossen, aber es gibt da eine Fußnote. Dazu kann ich nur sagen: Man kann Fußnoten nicht als
Erfolg verkaufen. Was ist das für ein Verständnis von
politischer Führung, wenn man Ziele in Fußnoten verstecken muss?
({2})
Selbst wenn man sich auf eine Fußnotenpolitik à la
Gabriel einließe: Hier hat er die Öffentlichkeit hinters
Licht geführt. Denn schaut man sich den Text an, stellt
man fest: Die Fußnote steht an der falschen Stelle. Sie
steht nicht dort, wo es um die Emissionsreduktionen
geht, sondern dort, wo die Größe des Problems beschrieben wird. Hier hätte ich mir vom deutschen Umweltminister mehr Ehrlichkeit gewünscht.
Meine Damen und Herren, das Gezerre um die Klimaziele wird in den nächsten zwei Jahren weitergehen.
Auf Bali haben wir das Ergebnis dessen gesehen, was
die FDP bereits nach dem Gipfel in Heiligendamm kritisiert hat. Angela Merkel hat dort keine Einigung auf der
Ebene der G 8 erreicht. Schöne Worte und schöne
Strandkorbfotos dienten ihrem Image als „Miss World“,
aber sicherlich nicht einem guten Ergebnis auf Bali.
({3})
Jetzt kommt es darauf an, dass wir es nachholen, eine
Einigung im Rahmen der G 8 und mit den großen
Schwellenländern zu erzielen. Dabei müssen wir uns im
Klaren sein, dass wir die Entwicklungs- und Schwellenländer nur dann ins Boot holen werden, wenn die
Frage des Technologietransfers vernünftig gelöst wird.
Denn sie sagen zu Recht: Ihr habt mehr wirtschaftliche
und technologische Kapazitäten als wir. Daher brauchen
wir eure Unterstützung. - Es ist klug, hier eine Brücke
zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern zu
schlagen. Denn das macht den Klimaschutz günstiger.
Die Regierung von Brasilien beispielsweise hat auf
Bali dargestellt, dass die Ziele ihres Waldschutzprogramms, durch das viel CO2 eingespart wird, zu Kosten
von umgerechnet 5 Euro pro Tonne erreicht werden,
während wir im Rahmen der Biokraftstoffpolitik, die wir
in Deutschland betreiben, je nach Kraftstoff teilweise
Vermeidungskosten von 300 Euro pro Tonne CO2 haben.
({4})
- Wir kommen gleich dazu, Herr Kelber. - Für die FDP
steht deshalb fest: Wir brauchen weltweit Klimaschutzprojekte, in Kooperation von Industrie- und Entwicklungsländern. Der Clean-Development-Mechanism ist
der Schlüssel dazu.
({5})
Wenn die Linke jetzt fordert, das zu stoppen, dann
versündigt sie sich an der Kooperation von Industrieund Schwellenländern und gefährdet das nächste Abkommen. Richtig ist: Wir müssen die Probleme beim
CDM lösen; aber wir dürfen nicht das Kind mit dem
Bade ausschütten.
Ein Durchbruch ist auf Bali tatsächlich erreicht worden, nämlich beim Waldschutz. Hier gibt es gigantische
Potenziale: Die tropischen Regenwälder binden enorm
viel CO2. Würden beispielsweise die Torfwälder auf
Borneo in Indonesien verbrennen, dann entspräche das
der Jahresemission von CO2 der ganzen Welt. Was passiert? Während die Konferenz auf Bali stattfand, brannten Wälder auf Borneo. Das zeigt, wie schlecht die
Rechtsdurchsetzung in diesen Ländern ist. Deshalb bitte
ich die Bundesregierung eindringlich: Wenn Sie jetzt
diesen Ländern - zu Recht - Millionen dafür geben, dass
sie ihre Wälder nicht abholzen, dass die Wälder als Kohlenstoffspeicher erhalten bleiben, dann überweisen Sie
dieses Geld bitte nicht den Regierungen aufs Konto in
der Hoffnung, dass die schon das Richtige damit machen. Fördern Sie stattdessen Projekte, die den Menschen vor Ort Einkommensperspektiven ermöglichen,
und verringern Sie dadurch den Druck, die Wälder abzuholzen.
({6})
Insbesondere mit Blick auf die Entwicklungsministerin sage ich aber auch: Geben Sie nicht neue Geschäftsfelder an die staatlichen Entwicklungsorganisationen,
sondern stärken Sie die privaten Initiativen, die es in den
Ländern bereits gibt und die gezeigt haben, dass sie es
können.
({7})
Wir sollten uns nicht darauf beschränken, mit dem
Finger zum Beispiel auf die indonesische Regierung zu
zeigen, dass sie ihre Wälder nicht schützen kann, wir
sollten auch selbstkritisch fragen, was wir denn für die
dortigen Wälder tun. Es gibt ja einen neuen Plan der
Minister Gabriel und Seehofer, auf der Grundlage der
Meseberg-Beschlüsse der Bundesregierung, die Beimischungsquote von Biokraftstoffen in Benzin und Diesel zu verdoppeln. Das kann man gut finden; aber man
kann auch die Frage stellen, ob wir damit nicht sozusagen den Staubsauger anwerfen, mit dem Ressourcen aus
der Dritten Welt nach Deutschland gesogen werden, und
den Druck in diesen Ländern, die Wälder abzuholzen,
den Anreiz, krumme Geschäfte zu machen, noch erhöhen.
({8})
Die Bundesregierung hat zunächst einmal - da
komme ich zu Herrn Kelbers Lieblingsthema - den
Wegfall der Steuerbefreiung für reine Biokraftstoffe
beschlossen und damit den Konkurs von zahlreichen
mittelständischen Kraftstoffunternehmen bewirkt. Sie
haben durch die Beimischung die heimischen Strukturen
in die Knie gezwungen und die großen Industriestrukturen befördert; denn es gibt eben nur wenige große Mineralölkonzerne, die hier als Nachfrager auftreten. Sie werfen also den Staubsauger an und ziehen so richtig
Ressourcen aus den Wäldern ab. Das, meine Damen und
Herren von der Bundesregierung, ist eine Politik, mit der
Sie sich an den tropischen Regenwäldern versündigen.
Vernünftigen Klimaschutz betreiben Sie damit nicht.
({9})
Deshalb haben wir einen eigenen Vorschlag in den
Deutschen Bundestag eingebracht, Herr Kelber, nämlich
die Steuervergünstigung für reine Biokraftstoffe zunächst einmal wieder einzuführen, dann eine Proportionalsteuer einzuführen. Eine Erhöhung der Biokraftstoffbeimischungsquote kommt aus meiner Sicht, wenn
überhaupt, erst dann infrage, wenn die Zertifizierungssysteme funktionieren. Davon, dass der Bundesumweltminister auf Papier eine Verordnung drucken lässt, ändert sich in Indonesien noch nichts. Wenn Sie die
Quoten erhöhen und sich erst danach um die Zertifizierung kümmern, sind die Wälder längst abgeholzt.
({10})
Ich möchte noch einige Sätze zu der allgemeinen Erklärung des Ministers zum Emissionshandel sagen. Ich
habe sehr genau hingehört. Es ist richtig, dass Sie sich
für die Versteigerung ausgesprochen haben. Wir wünschen uns für die Stromwirtschaft, dass das möglichst
komplett geschieht. Ich finde aber auch das wichtig, was
Sie über unsere Industrie gesagt haben, dass sie nämlich
im internationalen Wettbewerb steht. Deshalb wäre es in
der Tat blauäugig, zu sagen: Wir versteigern, die Grenzen sind offen, und sie werden mit dem, was mit ihnen
im Wettbewerb geschieht, schon klarkommen.
Wir sollten uns aber auch nicht zu früh darauf festlegen, dass wir die Zertifikate der Industrie weiterhin kostenlos zuteilen, wie Sie das hier angedeutet haben; denn
es gibt ja verschiedene Optionen. Es gäbe beispielsweise
auch die Möglichkeit, sie an der Versteigerung zu beteiligen, um geeignete Rückerstattungsmöglichkeiten zu
schaffen. Ich denke, darüber sollten wir im Parlament
noch einmal sehr intensiv diskutieren. Wir haben eine
Verantwortung für das Klima, aber auch für die Arbeitsplätze in diesem Land.
An dieser Stelle und in diesem Zusammenhang aber
auch noch eine ganz klare Bitte an die Bundesregierung:
Der Präsident Frankreichs hat in dieser Woche erneut
vorgeschlagen, man solle doch für alle Länder, die das
Kioto-Protokoll nicht unterschrieben haben, sozusagen
border tax adjustment, also - auf Deutsch - Zölle, einführen. Das kann für ein Land, das auf den Freihandel
angewiesen ist, nicht der richtige Weg sein. Deshalb
bitte ich Sie dringend, diesen französischen Vorstoß in
der Europäischen Union zurückzuweisen.
Vielen Dank.
({11})
Katherina Reiche von der CDU/CSU ist die nächste
Rednerin.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Konferenz auf Bali war ein großer Erfolg; denn durch sie
wird der Weg für die eigentlichen Verhandlungen über
wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und über die
verbindlichen Ziele zur Verringerung der Treibhausgasemissionen frei gemacht.
Zum ersten Mal beginnen jetzt Verhandlungen mit
dem Ziel, dass alle Industrieländer - eben auch die Vereinigten Staaten von Amerika - den Ausstoß von Treibhausgasen vermindern, und zum ersten Mal haben sich
die Entwicklungsländer - eben auch Indien und China verbindlich bereiterklärt, sich am Klimaschutz zu beteiligen. Somit hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, recht, wenn er sagt, dass nach
zwei Wochen harten Ringens auf Bali das Ergebnis als
entscheidender erster Schritt bezeichnet werden muss,
mit dessen Hilfe wir den Klimawandel meistern können.
Noch vor etwas mehr als einem halben Jahr, also vor
dem Treffen in Heiligendamm, sah es bezüglich der Einigungsmöglichkeiten alles andere als rosig aus. Die
USA waren damals noch zusammen mit Australien das
einzige Industrieland, das das Kioto-Protokoll nicht ratifiziert hatte. Wenn man das sehr vorsichtig ausdrücken
möchte, war die US-Regierung wohl nicht ganz davon
Katherina Reiche ({0})
überzeugt, dass der VN-Rahmen der richtige ist, um dem
Klimawandel entgegenzusteuern. Sie haben seit Jahren
gezögert, sich an den Anstrengungen zur Verhinderung
der drohenden Klimakatastrophe zu beteiligen. Die Entwicklungsländer - das gilt insbesondere für China und Indien - standen ebenfalls abseits und waren in das KiotoProtokoll nicht eingebunden.
Das war die Ausgangslage. Ich glaube, man kann
2007 zu Recht als das wohl wichtigste Jahr für die internationale Klimapolitik bezeichnen. Im Wesentlichen
ausgelöst durch den Stern-Report hat das Thema Klimaschutz nicht nur die Titelseiten aller internationalen
Medien erreicht, sondern auch die Aufmerksamkeit weiter Bevölkerungskreise und damit die Aufmerksamkeit,
die es verdient.
Manch einer mag es vergessen haben, aber die Union
hat 1989 auf ihrem Parteitag nicht nur auf die Konsequenzen des Klimawandels hingewiesen - das haben andere auch -, sondern auch eine langfristige drastische
Verminderung von CO2-Emissionen um 50 Prozent verlangt. Gleichzeitig forderten wir die Erarbeitung und den
Abschluss internationaler Vereinbarungen zum Schutz
der Erdatmosphäre sowie ergänzender Protokolle zur
Reduzierung des CO2-Ausstoßes, also nichts anderes als
ein Kioto-Protokoll.
Die Konferenz von Bali ist Teil eines langen Prozesses. Es gibt in diesem Prozess aber auch einige Konstanten, insbesondere politische Konstanten. Eine davon ist
unbestreitbar unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel.
1995 hat sie als Bundesumweltministerin und als Präsidentin der ersten Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Berlin nächtelang verhandelt, um das Berliner
Mandat auf den Weg zu bringen und damit einen ersten
verbindlichen Schritt zur Reduzierung der Treibhausgase zu erreichen. Das Berliner Mandat machte dann den
Weg für die Erarbeitung des Kioto-Protokolls frei.
({1})
Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und
der G-8-Präsidentschaft wurden im Jahr 2007 klimapolitische Meilensteine gesetzt. Man kann sicherlich sagen,
dass diese beiden Präsidentschaften durch das Topthema
„Klimaschutz“ gekennzeichnet waren. So mancher hatte
im Vorfeld der Sitzung des Europäischen Rates im März
2007 möglicherweise Zweifel, ob ein großer Wurf in
Form ehrgeiziger europäischer Ziele gelingen könne.
Aber bei der Sitzung in Brüssel ist es in schwierigen
Verhandlungen gelungen, einen Durchbruch zu erzielen.
Die Europäische Union verpflichtet sich, die CO2Ausstöße bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren - um
30 Prozent, falls Industriestaaten anderer Regionen mitziehen -, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 20 Prozent zu erhöhen, die Energieeffizienz zu steigern und den Anteil von
Biokraftstoffen auf 10 Prozent zu erhöhen.
Im Juni 2007 gelang in Heiligendamm der Durchbruch: Die führenden Industrienationen der Welt erkannten erstmals an, dass der VN-Klimaschutzprozess
das richtige Forum ist, um dem Klimawandel entgegenzutreten. Die G 8 haben erstmals geschlossen erklärt,
sich auf der Klimakonferenz auf Bali im Dezember 2007
aktiv und konstruktiv zu beteiligen. Ebenso entscheidend ist, dass die G 8 gemeinsam in Erwägung zogen,
die globalen CO2-Emissionen bis 2050 um die Hälfte zu
reduzieren. Damit war auch der Gipfel in Heiligendamm
ein Schlüsselereignis und ein Signal für Bali.
({2})
Aber wir haben nicht nur außenpolitisch gehandelt,
sondern auch innenpolitisch. 2006 wurde der Energiegipfelprozess, an dem Politik, Wirtschaft und Verbraucher gleichermaßen beteiligt waren, initiiert. Es gab eine
gute und solide Bestandsaufnahme, welche die Grundlage für das integrierte Klima- und Energieprogramm
der Bundesregierung war. Das erste Paket im Rahmen
dieses Programms wurde im Dezember des vergangenen
Jahres vom Bundeskabinett verabschiedet. Damit legen
wir die Grundlagen zur Erreichung der Klimaschutzziele
in Deutschland, und zwar durch das ambitionierteste
klima- und energiepolitische Vorhaben, das in diesem
Land jemals verabschiedet wurde und auch weltweit beispielgebend ist.
({3})
Das vom Bundeskabinett im Dezember verabschiedete Paket ist zudem ein Beweis für die Handlungsfähigkeit und Reformfähigkeit der Großen Koalition. Es ist
uns gelungen, das Paket marktkonform zu gestalten. Wir
setzen auf wirtschaftliche Anreize, auf die Förderung
neuer Technologien, auf moderne Kraftwerkparks, auf
Forschung, auf einen klugen Energiemix und auf Effizienz.
Herr Kauch, Ihre Sorge um die deutsche Biokraftstoffindustrie nehmen wir natürlich ernst. Deshalb hoffen wir, dass der Biokraftstoffquotenbericht bald vorliegt, an dem wir uns orientieren können, wenn wir
gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen. Die angesprochene Situation lässt uns alles andere als kalt. Auch in
meiner Region gibt es wirtschaftliche Schwierigkeiten in
manchen Betrieben, teilweise sogar Entlassungen.
Im vergangenen Jahr ist also etwas gelungen, das in
Deutschland über viele Jahre so nicht möglich war, nämlich unser Land in Sachen Klimaschutz, Energiesicherheit und Energieeffizienz ganz entscheidend voranzubringen. Insbesondere das BMU und das BMWi haben
in einer gemeinsamen Kraftanstrengung in kürzester Zeit
Entwürfe erarbeitet; der Bundesminister hat das angesprochen. Es gilt jetzt, die parlamentarischen Beratungen
in Angriff zu nehmen. Es gibt selten etwas Gutes, das
nicht noch besser werden kann. Deshalb werden wir intensiv miteinander beraten.
Für die Bürger muss immer auch der Sinn der verschiedenen Maßnahmen erkennbar sein. Gängeleien sind
nicht gewollt. Manche nicht enden wollenden Debatten
sind aber nichts anderes als Gängelung oder Symboldebatten; eine davon ist sicherlich die Debatte über das
Tempolimit auf Autobahnen. Bislang wussten wir den
Bundesminister an unserer Seite, der zu Recht festgestellt hat, dass ein Tempolimit keinen wesentlichen BeiKatherina Reiche ({4})
trag zum Klimaschutz leisten kann; es handele sich um
eine Symboldebatte.
({5})
Ich gehe daher davon aus, dass auch im BMU trotz anderslautender Pressemeldungen wie in der Süddeutschen
Zeitung und in der Berliner Zeitung weiterhin der Kernsatz gilt: Ein Tempolimit löst das Klimaproblem nicht im
Ansatz. Ich füge hinzu: Die Union ist ein Garant gegen
eine solche Zwangsmaßnahme.
({6})
Abschließend gilt mein Dank Bundesminister Gabriel
für sein erfolgreiches Engagement bei der Konferenz auf
Bali.
({7})
Wir haben beim Klimaschutz eine weite Strecke zurückgelegt, sind aber noch lange nicht am Ziel. Es gilt
das, was der englische Sozialreformer Samuel Smiles
einst gesagt hat: Keine große Leistung wurde je aus dem
Stegreif erbracht. So müssen wir uns damit zufriedengeben, überall auf gleiche Weise vorwärtszukommen, nämlich Schritt für Schritt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
War Bali nur eine Fußnote? Ja und nein: Die Klimakonferenz auf Bali sollte die Weichen für den internationalen Klimaschutz nach 2012 stellen. Das ist ihr aber nur
zum Teil gelungen.
Gemessen daran, was eigentlich notwendig wäre, um
den Klimawandel wenigstens auf ein erträgliches Maß
zu begrenzen, sind die Ergebnisse mehr als ernüchternd.
({0})
Zwar gibt es nun - das ist das wichtigste Ergebnis einen Verhandlungsfahrplan für die nächsten zwei Jahre.
Schließlich muss spätestens 2009 in Kopenhagen ein
Post-Kioto-Abkommen stehen. Eine Vorgabe für verbindliche Ziele der Industriestaaten findet sich jedoch
nur in einer Fußnote. Nun könnte man zwar darauf hinweisen, dass es sich um einen komplizierten Verhandlungsprozess mit widerstreitenden Interessen handelt,
der auch wirtschaftlich schwierig ist - das alles stimmt
auch -, aber man muss auch die Frage stellen, worum es
eigentlich geht und in welcher Situation wir uns gegenwärtig befinden.
Im Jahr 2005 wurden weltweit 27 Prozent mehr vom
wichtigsten Klimagas Kohlendioxid in die Luft geblasen
als 1990. Seit der Jahrtausendwende stieg der Ausstoß
mit 3,1 Prozent pro Jahr gar dreimal schneller als im
Jahrzehnt davor. Wenn das so weitergeht, dann wird die
globale Oberflächentemperatur am Ende des Jahrhunderts nicht nur 2 Grad höher sein als zu vorindustriellen
Zeiten - das gilt gerade noch als tolerierbar -, sondern
mehr als 6 Grad. Das wäre Wahnsinn; es wäre das Ende
der Welt, wie wir sie kennen.
Durch Stürme, Überflutungen, Dürren würden ganze
Anbauregionen für die Welternährung ausfallen. Was
das für die menschliche Existenz und die biologische
Vielfalt bedeuten würde, ist noch gar nicht auszumachen. Hinzu kommen Sicherheitsrisiken wie der Kampf
um verbliebene Ressourcen, Kriege oder Umweltmigration.
Wir spielen also ein sehr gefährliches Spiel. Viele
Menschen in diesem Land kennen Knut und jetzt auch
Vera. Viele freuen sich daran. Wir wollen, dass wir Tiere
wie diese Eisbären künftig nicht nur im Zoo sehen können. Wir wollen, dass diese Tiere nicht aussterben. Auch
dafür müssen wir Sorge tragen. Insofern haben Vera und
Knut eine besondere Funktion.
({1})
Wenn wir den Klima-GAU verhindern wollen, dann
müssen wir nach Auskunft von Wissenschaftlern innerhalb der nächsten zehn Jahre die Trendwende schaffen.
Mit einem schlaffen Post-Kioto-Abkommen würde aber
die globale Turboheizung angeworfen. Wie es aussieht,
gäbe es dann keinen Schalter mehr, um sie wieder abstellen zu können.
Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, in Bali tatsächlich einen Erfolg zu sehen. Zwar haben die EU und
auch Umweltminister Gabriel dafür gekämpft, wenigstens einen Zielkorridor für die wichtigsten Emittenten in
den Fahrplan bis 2009 aufzunehmen. Es ist ebenso klar,
wer solche Ziele verhindert hat: in erster Linie die USA
und einige andere Länder. Ich frage mich: Warum haben
wir die Verhandlungen über zukünftige Minderungsziele
für Industrieländer nicht ohne die USA konsequent geführt und eine schnelle Einigung innerhalb der Industrieländer herbeigeführt? Das wäre wahrscheinlich erfolgreich gewesen und wäre schneller gegangen. Das sollte
man nicht vergessen.
Als wirtschaftlichen Fortschritt von Bali sehen wir
das Bekenntnis der Schwellen- und Entwicklungsländer,
zukünftig Klimaschutzverpflichtungen zu übernehmen,
die messbar, dokumentierbar und nachprüfbar sind. Die
meisten weiteren Punkte, die auf Bali beschlossen wurden, sind demgegenüber mangelhaft. So ist die vereinbarte Ausstattung des Anpassungsfonds für Entwicklungsländer, die Ärmsten der Armen, absurd niedrig.
Laut UN-Weltentwicklungsbericht sind bis 2015 rund
86 Milliarden Dollar Hilfe zur Anpassung an die Folgen
des Klimawandels notwendig. 86 Milliarden! Zurzeit
stehen aber nur 500 Millionen Dollar zur Disposition.
Das sind Peanuts. Zu diesem Schluss kommt man, wenn
man daran denkt, für welche anderen Dinge Geld zum
Fenster hinausgeschmissen wird. Wir brauchen hier
mehr Geld.
({2})
Im Vergleich zu den 20 Milliarden Euro, die eine Aufstockung der Entwicklungshilfe auf die von den EUStaaten vereinbarten 0,56 Prozent bringen würde, sind
das Peanuts.
Während die Vertragsstaaten auf Bali keinen Beschluss zustande gebracht haben, um Gelder für die Verhinderung weiterer Entwaldungen bereitzustellen, hat
die Weltbank Tatsachen geschaffen; denn mit ihrem beschlossenen Programm soll der Regenwaldschutz letztlich in die Kohlenstoffmärkte einbezogen werden. Um
nicht falsch verstanden zu werden: Wir müssen alles tun,
damit der Regenwald erhalten wird und dass die Rodungen so schnell wie möglich gestoppt werden, am besten
sofort.
({3})
Wir meinen aber, dass der Weg der Weltbank ein gefährlicher Pfad ist. Offenbar haben die Vertragsstaaten noch
immer nichts aus dem immer offener zutage tretenden
Missbrauch des CDM-Mechanismus, des Anrechnens
von Klimaschutzprojekten in anderen Ländern durch
Zertifikate, gelernt. Im Übrigen wurde auch zu diesem
Thema kein Beschluss gefasst, der künftige Manipulationen bei angeblichen Klimaschutzprojekten in den Entwicklungsländern verhindern könnte. So werden viele
Unternehmen aus den Industriestaaten weiterhin an
Emissionsgutschriften verdienen, welche ökologisch
vollkommen wertlos sind.
Der Schutz des Regenwaldes darf nicht den Kohlenstoffmärkten überlassen werden. Dadurch würde der
Tropenwaldschutz zu einem handelbaren Gut, von dem
man sich auch freikaufen könnte. Dagegen wären ein
Verbot des Imports von illegal geschlagenem Tropenholz und ein Verbot der Einfuhr von Agrartreibstoffen
aus großflächigem Anbau wirksame Schritte.
({4})
Ich kann allerdings nicht erkennen, dass es dafür in
Deutschland oder Europa eine politische Mehrheit gibt.
So wird hierzulande seit Jahren ein wirksames Tropenwaldschutzgesetz torpediert, welches einen Importstopp
von Tropenhölzern zum Ziel hat. Zwar wird sich neuerdings allerorten kritisch zu Palmöl- und Zuckerrohrplantagen für Agrarkraftstoffe geäußert, denen Regenwald
und Kleinbauern zum Opfer fallen, zuletzt sogar in der
EU-Kommission. Die Lösung soll nun ein Zertifizierungssystem sein. Ich sage Ihnen aber: Dieser Weg ist
eine Sackgasse. Ich halte ihn für Augenwischerei.
({5})
Das Problem der indirekten Vertreibungen und Abholzungen, die aus der erhöhten Nachfrage der Industriestaaten nach Agrarkraftstoffen resultieren, bekommen
Sie damit nicht in den Griff. Zudem sind die bekannt gewordenen Zertifizierungskriterien ein Witz. Der Umweltausschuss hat sich vor Ort erkundigt. Wir waren dort
und haben uns das Ganze angesehen. Nicht umsonst
wurden wir, der Umweltausschuss, ausgeladen.
Die Linke ist der Meinung, dass die internationale
Staatengemeinschaft Kompensationsfonds einrichten
muss, welche die Tropenländer bei Verzicht auf Rodungen und bei der Einrichtung von Schutzgebieten unterstützen.
Verschiedene Regierungen des Südens hatten im Vorfeld der Bali-Konferenz den Schutz ihrer Tropenwälder
angeboten, wenn im Gegenzug Kompensationszahlungen fließen. Herr Gabriel, hier könnten Sie ein Exempel
statuieren; das würde der Bundesregierung guttun.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir in der Klimapolitik brauchen, ist Glaubwürdigkeit. Daran können
wir noch arbeiten. Für Deutschland steht und fällt die
Glaubhaftigkeit der Klimapolitik mit der Anzahl der
Kohlekraftwerke, die hier in den nächsten Jahren gebaut werden oder eben nicht gebaut werden. Darum wird
sich die Linke weiter gegen den Neubau solcher Meiler
aussprechen.
({7})
Dabei geht es um Klimaschutz. Wir haben bereits des
Öfteren dargestellt, wie es mit den CO2-Emissionen ausschauen wird, wenn diese Kohlekraftwerke gebaut werden.
({8})
Über CCS werden wir uns nachher unterhalten. Wir lehnen also den Neubau von Kohlekraftwerken ab.
Abschließend noch zu unserem Antrag. Ich habe schon
mehrmals auf eine Anhörung unserer Fraktion hingewiesen, die ergab, dass 30 bis 50 Prozent der gegenwärtigen
Projekte in Asien nicht zusätzlich sind. Das heißt, ein zusätzlicher Klimaschutz gegenüber dem Status quo ist
nicht nachweisbar. Herr Kauch, Sie haben gesagt, ich versündigte mich. Wir sind nicht prinzipiell gegen CDM.
Aber der CDM-Prozess - das müssten Sie eigentlich unterstützen - muss reformiert werden, um Manipulationsmöglichkeiten auszuräumen. Aus diesem Grund fordern
wir ein Moratorium.
Zum Schluss: Klimaschutz hat sehr viel mit sozialer
Gerechtigkeit zu tun.
({9})
Es kann uns nicht egal sein, was am anderen Ende der
Welt passiert und wie mit den Menschen dort umgegangen wird. Aber dies hat auch mit der Situation in unserem Land zu tun.
Ich habe gehört, was Minister Gabriel über die hohen
Strom- und Gaspreise gesagt hat. Er hat dies sehr deutlich thematisiert - ich glaube, zum ersten Mal; wir haben
es bereits des Öfteren getan - und Art. 14 des Grundgesetzes zitiert. Herr Gabriel, ich habe aber die Erwähnung
des Art. 15 vermisst, der besagt, wenn solche Unternehmen nicht primär dem Gemeinwohl dienten, gebe es
auch die Möglichkeit der Enteignung. Darüber müssen
wir reden; so etwas halten wir für sehr sinnvoll. Auch
müssen wir darüber reden, dass die Gewinne abgeschöpft werden. Ein Hartz-IV-Empfänger kann diese
Preise nicht mehr zahlen. Viele Menschen in diesem
Land können die Energiepreise nicht mehr zahlen. DesEva Bulling-Schröter
wegen brauchen wir den Mindestlohn flächendeckend.
Gleiches gilt für eine bezahlbare Mobilität; auch das ist
in diesem Land dringend notwendig. Darüber sollten wir
weiter sprechen. Noch einmal: Klimaschutz hat auch
sehr viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Das sind die
Themen der nächsten Zeit.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Frank Schwabe für
die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Herr
Kauch, Sie waren rhetorisch gut, aber inhaltlich
schlecht. Den Popanz von einem Fußnotenminister, den
Sie hier aufzubauen versuchen, nimmt Ihnen hier niemand ab. Diejenigen, die auf Bali waren und die Konferenz erlebt haben - viele Kolleginnen und Kollegen waren dort, Sie selber auch -, wissen, wie die Situation auf
Bali war und welche Rolle dieser Minister dort gespielt
hat. Sigmar Gabriel war dort eigentlich so jemand wie
der Mister Klimaschutz: allgemein anerkannt bei denen,
die aus Deutschland dabei waren, aber auch international.
({0})
Er hat wie ein Löwe für die Positionierung einer Verpflichtung der Senkung der CO2-Emissionen um 25 bis
40 Prozent gekämpft. Es ist nun wirklich nicht dem Minister zuzuschreiben, dass irgendwelche Dinge nicht so
klar vereinbart worden sind, wie wir es gern gehabt hätten.
Als Partei und Fraktion sollten Sie auch etwas vorsichtiger sein - ich habe es hier schon einmal gesagt -,
sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen angesichts dessen, dass Sie sich in Deutschland noch nicht einmal zum
40-Prozent-Ziel klar bekennen. Ich kenne jedenfalls keinen Beschluss der FDP dazu. Ich überlege mir aber, was
ein FDP-Minister an dieser Stelle international zuwege
gebracht hätte.
({1})
Als Parlament können wir selbstbewusst mit dem umgehen, was in den letzten Jahren erreicht wurde, und
auch mit der Rolle, die Sigmar Gabriel auf solchen internationalen Konferenzen spielen kann, weil er jedes Mal
den Rückenwind des Parlaments hat. Es gibt nämlich
maßgebliche Beschlüsse. Auf der Klimakonferenz in
Nairobi 2006 hat Deutschland eine gute Rolle spielen
können, weil wir im Deutschen Bundestag vorher vereinbart hatten, dass wir eine Senkung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 erreichen
wollen. Wir konnten jetzt auf Bali eine gute Rolle spielen, weil es das Klima- und Energiekonzept der Bundesregierung gibt und wir etwas vorweisen konnten. Wir haben zugesagt, 120 Millionen Euro für internationale
Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Das
war eine Errungenschaft des Parlaments. Wir hier im
Parlament haben die Versteigerung von CO2-Emissionszertifikaten durchgesetzt. Anderenfalls wäre es nicht
möglich gewesen, mit dieser Zusage nach Bali zu fahren.
Deswegen wäre es gut, wenn man die Rolle Deutschlands, des deutschen Parlaments, aber auch des deutschen Umweltministers nicht kleinreden würde.
Es gibt, was Bali angeht, sicherlich zwei Betrachtungsweisen; das ist schon deutlich geworden. Es ist zu
wenig, was auf Bali erreicht wurde, wenn man zur
Kenntnis nimmt, wie der wissenschaftliche Stand eigentlich ist. Es ist aber viel erreicht worden, wenn man die
damaligen Einschätzungen in Nairobi bedenkt. Damals
dachten wir, dass wir nicht so weit kommen würden. Insofern ist das Glas durchaus halb voll. Es ist jetzt zum
Ersten klar, dass es ein Nachfolgeabkommen für das
Kioto-Protokoll gibt. Es ist zum Zweiten klar, dass dieses Abkommen 2009 beschlossen werden soll. Es ist
auch klar, um welche Inhalte es in den Verhandlungen
gehen soll. Was das Ziel der Industrieländer angeht, die
Emissionen um 25 bis 40 Prozent zu senken, gilt: Nach
der Konferenz ist vor der Konferenz. Wir werden hart
um dieses Ziel ringen müssen.
Was die Inhalte angeht, kann ich nur zu einigen wenigen Dingen ganz kurz Stellung nehmen. Ich will das unterstützen, was Kolleginnen und Kollegen hier schon
zum Thema Waldschutz gesagt haben. Wir waren mit
einer Delegation auf Borneo und haben uns die Situation
anschauen können. Es ist wirklich erschreckend, wenn
man sieht, mit welcher Schnelligkeit der Regenwald vernichtet wird. Deswegen ist es gut, dass es dazu Vereinbarungen auf Bali gegeben hat, wenn das auch nur ein erster Schritt ist. Es ist auch positiv, dass Deutschland in der
Lage ist, für die Durchführung solcher internationalen
Waldschutzprojekte 40 Millionen Euro zuzusagen.
({2})
Ich glaube, dass es gut ist, dass es Vereinbarungen
- damit gehe ich kurz auf die beiden Anträge der FDP
und der Linken ein - zum Thema CDM gibt, also zu der
Frage, wie man in Entwicklungsländern Klimaschutzmaßnahmen unterstützen kann. Es geht um die Praktikabilität von CDM-Maßnahmen, es geht aber auch um die
Integrität von CDM-Maßnahmen. Da die Bedeutung solcher CDM-Maßnahmen in den nächsten Jahren zunimmt, muss es gerade im Bereich der Integrität Verbesserungen geben. Sonst höhlt sich das System aus, und
davon hat am Ende niemand etwas.
Wenn ich sagen müsste, was ich an dem, was auf Bali
passiert ist, bemerkenswert fand, dann würde ich sagen:
Bemerkenswert ist erstens - ich glaube, das muss man
der deutschen Öffentlichkeit sagen - die unglaubliche
Bewegung bei den Schwellenländern. China, Indien,
aber auch andere Länder wie Brasilien haben sich bei ihrer Positionierung zum internationalen Klimaschutz in
den letzten Jahren unglaublich entwickelt. Das kann man
nur begrüßen. Zweitens finde ich bemerkenswert, dass
die USA am Ende doch zugestimmt haben. Das spricht
für die Annahme, dass solche Konferenzen gut sind. Es
wird oft gefragt, ob diese Leute alle durch die Welt fahren müssen. Es ist auf Bali deutlich geworden, dass es
eine Konferenzdynamik gibt. Die USA haben gemerkt,
dass sie sich ein Stück weit isoliert haben. Deswegen
gab es am Ende doch die Zustimmung zu dem Abkommen, das auf Bali beschlossen wurde. Drittens ist bemerkenswert, dass Deutschland und Europa eine Vorreiterrolle eingenommen haben. Eine solche Vorreiterrolle
kommt nicht von selbst. Das Thema Vorreiterrolle ist gelegentlich bei dem einen oder anderen hier im deutschen
Parlament durchaus noch umstritten. Wenn man eine internationale Führungsrolle einnehmen will, dann muss
man Vorbild sein und vorangehen.
Dazu dient unter anderem das Klima- und Energiepaket, das national und international wirklich einzigartig ist. Es geht jetzt darum, zu beweisen, dass wir in der
Lage sind, dieses Paket schnellstmöglich umzusetzen.
Das heißt, im ersten Halbjahr haben das Parlament und
die Regierung diese Aufgabe zu erfüllen. Wir werden
dann vor allen Dingen zusehen müssen, dass es eine regelmäßige Überprüfung der Maßnahmen gibt. Dann ist
die Aufgabe für uns, zu überlegen, wie wir das 5-Prozent-Delta, das noch übrig bleibt - denn wir schaffen mit
dem Paket eine Senkung von etwa 35 Prozent -, in den
nächsten Jahren schließen können. Im Gegensatz zu
Frau Reiche glaube ich, dass das Tempolimit eine Maßnahme ist, deren Einführung in den nächsten Jahren anzustreben ist. Jedenfalls sieht es die SPD so.
({3})
Auf der Tagesordnung stehen in den nächsten Monaten für die SPD - der Minister hat es deutlich gemacht die Themen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit.
Klimaschutz kostet etwas - das ist wahr -; unterlassener
Klimaschutz kostet aber noch mehr.
Wir müssen Fragen beantworten, zum Beispiel: Wie
sieht es eigentlich mit der „zweiten Miete“ aus? Wie können wir ein gemeinsames Interesse von Mietern und Vermietern herstellen, diese „zweite Miete“ im Sinne von
Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit zu senken? Wie
sieht es eigentlich - auch das muss auf die Tagesordnung
der Koalition - mit spritfressenden Dienstwagen aus? Es
kann nicht sein, dass sie staatlich noch gefördert werden.
Das ist weder gut für den Klimaschutz noch sozial gerecht.
({4})
Die nationalen Aufgaben in den nächsten Monaten
sind klar umrissen: die Umsetzung von Meseberg I
und II, die Beantwortung der Frage, wie wir die 5-Prozent-Lücke schließen, und im Übrigen eine klare Ausrichtung auf die Zukunft über das Jahr 2020 hinaus. Ich
glaube, auch dies sollte eine Perspektive sein. Frau
Reiche hat heute ein bisschen für die Geschichtsbücher
vorgetragen, als sie erzählt hat, was für Positionen die
CDU schon 1989 hatte.
({5})
Es ist toll, dass es diese Positionen gab. Es wäre gut,
wenn sich die Große Koalition in gemeinsamen Beschlüssen darauf verständigen könnte, dass wir das Ziel
einer Senkung um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 anstreben. Die SPD ist dazu bereit. Die Union muss klarstellen, ob sie ebenfalls dazu bereit ist.
Die nächsten internationalen Verhandlungen finden
2008 in Posen und 2009 in Kopenhagen statt. SchwarzRot wird sich den Herausforderungen - in Kontinuität
der rot-grünen Bundesregierung - stellen. Jedenfalls für
die SPD kann ich das zusagen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun die Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
werten heute die Ergebnisse der Konferenz von Bali aus.
Ich möchte mit der Bewertung durch die Bundesregierung beginnen. Bundeskanzlerin Merkel hat das Ergebnis der Konferenz von Bali als großen Erfolg gefeiert.
Der Umweltminister hat daraus einen Riesenerfolg gemacht. Auch heute haben Sie, Herr Gabriel, noch von
Erfolg gesprochen. Ich persönlich muss sagen: Angesichts des weltweiten Problems der Klimaerwärmung ist
diese Bewertung eine Schönfärberei. Wir brauchen viel
mehr als das, was auf Bali erreicht worden ist, um dem
Klimawandel entgegenzuwirken.
({0})
Die CO2-Emissionen sinken nicht, sie stagnieren nicht,
sondern sie steigen, und zwar so dramatisch wie noch
nie in der Vergangenheit. Das sollten wir immer berücksichtigen, wenn wir über die Erfolge und Misserfolge
der Konferenz von Bali reden.
Man muss deutlich und klar herausstellen: Dass auf
Bali nicht mehr erreicht wurde, ist aber nicht die Schuld
der Bundesregierung. Die deutschen Bundesregierungen haben auf internationalen Konferenzen wie dieser
traditionell eine sehr starke Stellung. Sie haben sich dort
nämlich immer sehr konstruktiv verhalten. Wir haben
zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu einem Vorzeigeprojekt gemacht. Auch in diesem Sinne hat
der Bundesumweltminister auf Bali agiert.
Ich muss allerdings auf Folgendes hinweisen: Kaum
war er zurück, schon hat er all das vergessen, was er auf
Bali gesagt hatte.
({1})
Die erste große konkrete Herausforderung war die Reaktion auf den Vorschlag der EU-Kommission, endlich einmal etwas gegen den CO2-Ausstoß der Autos zu tun.
Wie hat Herr Gabriel darauf reagiert? Plötzlich war er
ein Klimabremser; all das, was er auf Bali gesagt hatte,
hat er vergessen. Er hat - ich zitiere Herrn Schwabe „gekämpft wie ein Löwe“, aber nicht für den Klimaschutz, sondern für die Automobilindustrie. Das war
das Problem.
({2})
Wirtschaftsminister Glos hat von einem Vernichtungsfeldzug gegen die Automobilindustrie gesprochen.
Gabriel hat gesagt, das sei ein Wettbewerbskrieg
zwischen der deutschen, der französischen und der italienischen Automobilindustrie. Das ehemalige VW-Aufsichtsratsmitglied Gabriel hat sich gegen den Umweltminister Gabriel durchgesetzt, und das sollte in Zukunft
nicht mehr der Fall sein.
({3})
Es geht hier um den Klimaschutz.
Deutschland hat sich also an die Spitze des Widerstands gegen einen Klimaschutzvorschlag der EU-Kommission gesetzt. Leider hat das Europäische Parlament
mit den Stimmen von Sozialdemokraten und Konservativen beschlossen, die Grenzwerte aufzuweichen und ihre
Einführung auf 2015 zu verschieben. Das ist ein Anschlag auf den Klimaschutz, und Sie, Herr Minister, haben die Steilvorlage dafür geliefert.
({4})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie auf Bali den Retter des Klimaschutzes spielen und hier den Schutzpatron der Automobilindustrie, dann nehmen Sie eine Doppelrolle ein, die
die Leute Ihnen nicht mehr abnehmen. Wir werden dafür
sorgen, dass das publik wird.
({5})
Ich möchte auf den Punkt Kohlekraftwerke eingehen. Es ist spannend, dass der Bundesumweltminister
selber auf die Kohlekraftwerke zu sprechen gekommen
ist. Momentan sind 24 neue Kohlekraftwerke in
Deutschland nicht nur geplant, sondern entweder schon
genehmigt oder kurz vor der Genehmigung. Gerade in
Niedersachsen ist der Wildwuchs dieser Klimakiller besonders schlimm. In Wilhelmshaven sollen zum Beispiel
fünf bis sechs Blöcke gebaut werden: ein Riesenkohlekraftwerk, und das ohne Wärmeauskopplung. Sie als
Umweltminister unterstützen das auch noch! Das ist ein
Skandal.
({6})
Wenn sich in Krefeld die Genossen, die Sozialdemokraten, gegen ein Kohlekraftwerk aussprechen, dann
werden Sie herbeizitiert, dann müssen Sie nach Krefeld
reisen, um die Sozialdemokraten davon zu überzeugen,
dass sie für ein Kohlekraftwerk stimmen. Das ist keine
Klimapolitik, sondern eine Politik für Klimakiller, nicht
mehr und nicht weniger.
({7})
Ich finde die Argumentation des Ministers Gabriel extrem spannend: Wir haben doch den Emissionshandel,
durch den der CO2-Ausstoß gedeckelt wird; deshalb ist
das mit den Kohlekraftwerken gar nicht so schlimm. Kollege Kelber hat gerade in einem Phoenix-Interview
gesagt, man habe sich in Bonn gegen das Kohlekraftwerk entschieden, weil die Emissionszertifikate immer
teurer würden und sich das neue Kohlekraftwerk nicht
rechne. Logisch weitergedacht, heißt das doch: Minister
Gabriel weiß, dass der Emissionshandel den CO2-Ausstoß deckelt, er weiß, dass die Emissionszertifikate immer teurer werden; trotzdem geht er vor Ort und bringt
die Menschen dazu, in die falschen Kraftwerke zu investieren, in Kraftwerke, die sich in Zukunft nicht mehr
rechnen. Sie gehen vor Ort und argumentieren für Investitionen, die in den Sand gesetzt werden. Das ist ein absoluter Skandal.
({8})
- In Wilhelmshaven geht es nicht um ein Kraft-WärmeKopplungs-Kraftwerk. Erkundigen Sie sich einmal, wie
in großen Kraftwerken Wärme ausgekoppelt werden
soll.
({9})
Ich komme zu einem anderen Punkt. Heute Morgen
hat ein Vertreter der Stahlindustrie gesagt: Wir kommen
nicht damit klar, dass Emissionszertifikate versteigert
werden sollen; dadurch werden 50 000 Arbeitsplätze gefährdet. Wenn die Industrie sagt, die Versteigerung von
Emissionszertifikaten sei ein großes Problem, dann wird
Minister Gabriel der Erste sein, der sich auf die Seite der
Industrie schlägt und damit vordergründig etwas für die
Industrie tut; langfristig gefährdet er damit aber Arbeitsplätze, weil notwendige Umstrukturierungen nicht vollzogen werden. Das ist das Problem des Umweltministers
Gabriel.
({10})
Wir haben mehrfach gesagt: Für die Glaubwürdigkeit
der Bundesrepublik Deutschland auf internationalen
Konferenzen ist es entscheidend, dass wir eine Vorreiterrolle einnehmen. Diese Rolle nehmen wir in Deutschland momentan nicht ein. Der durchschnittliche CO2Ausstoß pro Person in Deutschland ist höher als der EUDurchschnitt; auch das sollten wir uns klarmachen.
Das letzte Jahr, 2007, war das Jahr der klimapolitischen Ankündigungen der Bundesregierung. Wir, die
Grünen, werden darauf drängen, dass 2008 das Jahr der
Taten wird. Das heißt, man muss ein Tempolimit einführen, sich in der Kohlefrage anders verhalten und sich für
strengere Emissionsgrenzwerte bei Pkw einsetzen. Klimaschutz wird am Ende an den konkreten Projekten beurteilt und nicht an irgendwelchen großen Reden, die
man auf internationalen Konferenzen schwingt. Hier
wird Klimapolitik für Deutschland gemacht. Wir erwar14274
ten, dass die Bundesregierung den großen Worten Taten
folgen lässt, und zwar hier in Deutschland.
({11})
Nun hat der Kollege Josef Göppel für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Delegation des Umweltausschusses war schon vor
der Konferenz von Bali in Indonesien, um den Anbau
von Ölpalmen in der Praxis zu sehen; später nahm die
Delegation an der Konferenz teil. Es ist schon einiges zu
der Konferenz auf Bali gesagt worden. Mir ist aufgefallen, dass Deutschland besonders bei den Entwicklungsund Schwellenländern eine hohe Glaubwürdigkeit hat.
Das kommt daher, Frau Kollegin Höhn, dass 2007 eben
nicht das Jahr der Ankündigungen war, sondern das Jahr,
in dem ein deutsches Klimapaket ausgearbeitet und am
5. Dezember 2007 im Kabinett verabschiedet wurde.
Das kommt auch daher, dass die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer Rede beim Besuch in Japan gesagt hat: Jeder
Mensch auf der Erde hat das gleiche Recht, die Atmosphäre zu beanspruchen; 2 Tonnen pro Kopf müssen das
Ziel sein; auf diesen Wert müssen auch wir mit unserem
Lebensstil herunterkommen. - Das hat viel Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die deutsche Delegation geschaffen. Auch ist das Vertrauen in die deutsche Technik, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien, am
größten. Das ist eine Riesenchance für unsere Wirtschaft.
Ich möchte jetzt aber besonders auf die Problematik
des Ölpalmenanbaus eingehen. Wir haben auf Borneo
gesehen, dass praktisch für alle Ölpalmenplantagen Regenwälder gerodet werden, weil die internationalen
Konzerne erst den Ertrag aus den wertvollen Tropenhölzern haben wollen. Auf den gerodeten, abgebrannten
Flächen bauen sie dann die Palmbüsche an. Wenn die
nach 10 bis 15 Jahren zusammenbrechen, überlässt man
die Flächen sich selbst und geht in ein anderes Gebiet.
Wir müssen uns nun wirklich überlegen, ob wir unsere Beimischungsquoten nach oben schrauben, bevor
wir ein wirksames Kontroll- und Zertifizierungssystem
installiert haben.
({0})
In diesem Punkt, Herr Kollege Kauch, stimmen wir Ihnen zu.
Wir sind natürlich in einer Zwangslage; denn die
Frage ist, wie wir den Anteil von Biotreibstoffen sonst
erhöhen können. Unsere Position ist die, dass wir möglichst viel im eigenen Land erzeugen müssen, weil hier
ökologisch besser kontrolliert wird. Wir haben in der
Konferenz dargestellt, wie die europäische Agrarpolitik
funktioniert, mit dem Kontrollsystem InVeKoS zum Beispiel. Schon ein falsch abgelagerter Misthaufen kann zur
Kürzung der Prämie für einen europäischen Bauern führen.
({1})
Es ist auch ohne Weiteres technisch möglich, die Regenwaldrodung über Satelliten so zu kontrollieren, dass
praktisch jeder Stamm verfolgt werden kann.
Wir sind ganz entschieden dafür, dass es einen finanziellen Ausgleich für den Schutz der Regenwälder gibt.
Die 40 Millionen Euro im deutschen Klimapaket sind da
ein sehr kraftvoller Beginn.
({2})
Andere Länder haben das nicht in dieser Größenordnung. Aber es muss Hand in Hand mit einem wirksamen
Kontrollsystem gehen.
Wir dürfen die Biokraftstoffproduktion im eigenen
Land aber nicht durch eine zu schnell ansteigende Besteuerung abwürgen.
({3})
Da mag es manche geben, die die ökologische Effizienz
hinterfragen und sagen: 2015 haben wir BTL-Kraftstoffe. - Aber wir brauchen jetzt Lösungen. Alle diejenigen, die sagen: „Es gibt etwas Besseres; das ist nicht
ideal“, muss ich nach der Alternative fragen. Solange
wir BTL nur in Apothekermengen zur Verfügung haben,
Herr Bundesfinanzminister, darf man den mittelständischen Markt für Biotreibstoffe nicht mit einer zu schnell
ansteigenden Besteuerung abwürgen.
({4})
Wir bitten darum, noch einmal über diese Dinge
nachzudenken. Unser Energie- und Klimapaket sucht in
der Welt seinesgleichen. Wir müssen uns immer wieder
die Frage stellen: Wie machen wir es richtig, zum Beispiel in der Balance zwischen den Energiebauern und
den Bauern, die Lebensmittelerzeugung betreiben? Darauf gibt es keine endgültige Antwort. Das ist auch eine
schwere Frage. Deswegen ist hier immer wieder Korrektur, Schritt für Schritt, nötig. Ich denke, wir sind insgesamt auf einem guten Weg.
({5})
Der Kollege Horst Meierhofer ist der nächste Redner
für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Göppel, es war richtig angenehm und schön, Ihrer
Rede zuzuhören. Im Gegensatz dazu waren die GeHorst Meierhofer
schichten, die Frau Höhn vorher in ihrer Rede erzählt
hat, zum Teil haarsträubend.
({0})
Man muss sich vor dem Hintergrund unseres Zieles, den
Klimaschutz insgesamt zu verbessern, einmal klarmachen, was Sie in Ihrer Rede gebracht haben: Sie beschweren sich darüber, dass in Wilhelmshaven das modernste Kohlekraftwerk der Welt gebaut wird, bei dem
später auch die Möglichkeit bestehen wird, CO2 abzuscheiden.
({1})
Diese Möglichkeit besteht in Zukunft. Davor verschließen Sie aber ebenso die Augen wie vor der Tatsache,
({2})
dass in China riesige Mengen an Kohle herumliegen.
Wie gehen Sie damit um? Glauben Sie tatsächlich, dass
diese Kohlevorkommen nicht zur Energieerzeugung eingesetzt werden und die Chinesen ausschließlich auf erneuerbare Energien setzen werden?
({3})
Mit Sicherheit nicht! Deswegen müssen in Deutschland
auch für den Kohlebereich Anlagen mit modernsten
Techniken entwickelt werden, die dann zum Beispiel
nach China exportiert werden könnten. Vor diesen Fakten darf man doch nicht die Augen verschließen und so
tun, als ob wir in Deutschland das Klimaweltproblem lösen könnten.
({4})
Wenn dies die Haltung der Grünen ist, täte mir das wirklich sehr leid.
({5})
Ich kann allerdings auch die Große Koalition nicht
völlig ungeschoren davonkommen lassen. Man konnte
hier ja hören, wie schlimm und schwer zu verstehen es
für alle Beteiligten ist, dass so viel Regenwald abgeholzt
wird. Vielleicht sollte man sich vor diesem Hintergrund
einmal Gedanken darüber machen, ob das EEG, so wie
es momentan ausgestaltet ist, nicht dazu führt, dass zum
Beispiel auch in deutschen Blockheizkraftwerken Palmöl
verwendet wird, das aus Indonesien importiert wurde.
Sie sollten sich Gedanken machen, ob man hier in
Deutschland nicht vielleicht politisch tätig werden sollte,
damit die Verwendung solchen Öls, beispielsweise aus
Asien, nicht mehr interessant ist.
({6})
- Sie haben ja wohl die Fakten auf dem Tisch liegen.
Auch ich war bei den Betroffenen.
Ich möchte jetzt an dieser Stelle noch ein paar Punkte
zum Clean-Development-Mechanism, zum CDM, anführen.
({7})
Ich denke, dass hiermit eine echte Möglichkeit besteht,
international etwas zu erreichen. Ich glaube, dass es
nicht ausreicht, wenn wir ausschließlich in Deutschland
versuchen, das Weltklima zu retten. Vielmehr müssen
wir schauen, dass wir durch effektive und günstige Maßnahmen auch dort etwas tun, wo die finanziellen Möglichkeiten nicht vorhanden sind. Das ist in der Dritten
Welt, in Entwicklungsländern, aber auch in Schwellenländern der Fall. Da hätten wir mit Techniken aus
Deutschland die Möglichkeit, Antworten zu geben, indem deutsche Firmen auf diesem Wege Zertifikate erhalten, die es ihnen ermöglichen, die Klimaschutzziele zu
erreichen. Damit könnte also tatsächlich ein Schritt nach
vorne getan werden. Wenn wir die Möglichkeit schaffen,
dass deutsche Unternehmen auch im Ausland Klimaschutzzertifikate ersteigern dürfen, würden wir damit zugleich etwas Positives für das Klima wie für die deutsche
Wirtschaft tun. Das wäre doch ideal. Darum hat die FDP
hier den Antrag zu CDM gestellt.
Sie, Frau Bulling-Schröter, haben für die Fraktion Die
Linke gefordert, ein Moratorium zu beschließen. Ich
denke da sofort an manch andere Moratorien, die in der
Vergangenheit beschlossen wurden, die uns nicht nach
vorne gebracht haben. Das gilt sicher auch für dieses
Moratorium. Deshalb müssen wir handeln und die Probleme, die zum Beispiel auch der WWF angesprochen
hat, jetzt lösen. Dafür sieht die FDP bei Umsetzung ihres
Antrages sehr gute Möglichkeiten.
Deswegen, meine Damen und Herren, kann ich Ihnen
nur raten, wenn Ihnen der Klimaschutz wirklich am Herzen liegt und Sie dafür wirklich etwas tun wollen, hier
nicht nur schöne Reden zu halten, sondern auch dem Antrag der FDP zuzustimmen.
Danke.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Marco Bülow für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hat auf Bali eine gute und wichtige Rolle gespielt.
Das habe Tradition, hat Frau Höhn gesagt. Das stimmt,
aber man muss auch jedes Mal wieder neu beweisen,
dass man diese Rolle ausfüllen kann. Dazu war es wichtig, dass wir Folgendes im Gepäck hatten: Erstens zeigte
das Maßnahmenpaket, das wir auf den Weg gebracht
hatten, dass wir den Klimaschutz in Deutschland ernst
nehmen. Zweitens hatten wir Gelder für internationale
Klimaschutzmaßnahmen mitgebracht. Nur deswegen
konnten wir diese Rolle auf Bali einnehmen.
Ich danke dem Minister, dass er versucht hat, die Europäer noch einmal anzutreiben, da mitzumachen und
mitzuziehen. Es war nämlich nur deshalb möglich, das
eine oder andere zu erreichen, weil alle Europäer an einem Strang gezogen haben. Das muss aber auch so bleiben und auf den nächsten Konferenzen wieder deutlich
werden. Es braucht den Motor Europa, aber auch den
Anlasser für diesen Motor; diese Aufgabe muss
Deutschland wahrnehmen. Das sind wir, wie ich denke,
den Menschen insgesamt auf der Welt, aber auch den
Menschen im eigenen Lande schuldig.
({0})
Jetzt sind wir im Parlament am Zug, uns die Gesetze
in dem Paket, das die Bundesregierung zum Klimawandel geschnürt hat, anzuschauen und zu prüfen, wie wir
diese Maßnahmen beschließen und auf den Weg bringen
können. Diese Aufgabe wird das nächste halbe Jahr prägen; wir sollten es gut nutzen.
Den Streit um die Fußnote kann ich langsam nicht
mehr hören. Natürlich kann man sagen, dass sich etwas
in einer Fußnote versteckt. Aber eines sollten wir klarstellen: Auf dieser Konferenz war das das Maximum,
das herausgeholt werden konnte, egal unter welcher Regierung und unter welchem Verhandlungsführer. Ich
möchte auf drei Aspekte eingehen, bei denen ich glaube,
dass wir dort einen Schritt weitergekommen sind; das
darf man nicht einfach außer Acht lassen.
Erster Punkt. Selbst die US-Regierung - nicht die
Amerikaner; die sind ohnehin schon weiter - hat Folgendes eingesehen: Erstens. Es gibt den Klimawandel.
({1})
Zweitens. Der Mensch ist für den Klimawandel verantwortlich. Drittens. Wir müssen etwas unternehmen. Natürlich sollten wir das schon seit 30 oder 40 Jahren wissen. Aber die US-Amerikaner haben das lange nicht
zugegeben, und auch die Diskussionen in Deutschland
zeigen, dass wir noch nicht lange so weit sind, das zu akzeptieren. Hier ist also ein Fortschritt zu erkennen.
Zweiter Punkt. Der Schutz der Regenwälder - das
wurde schon angesprochen - ist stärker in den Fokus der
Klimadebatte gerückt. Einerseits ist es gut, dass wir das
Maßnahmenpaket haben, dass wir die Forest Carbon
Partnership Facility haben, und dass Deutschland sich
daran mit einer bestimmten Summe beteiligt. Andererseits ist das eine überfällige Initiative; denn die Zerstörung des Regenwaldes hat schwerwiegende Konsequenzen. Mittlerweile verursacht sie 20 Prozent des gesamten
CO2-Ausstoßes, der weltweit zu verzeichnen ist. Außerdem - in diesem Jahr findet in Deutschland die Weltkonferenz zur Biodiversität, zur Artenvielfalt, statt - führt
sie dazu, dass viele Arten aussterben, weil vielen Pflanzen und Tieren der Lebensraum genommen wird. Deswegen ist diese Initiative überfällig und sehr wichtig.
Es besteht aber ein Unterschied - da muss man genau
hinschauen; einige aus diesem Parlament haben das auf
Borneo live erleben können - zwischen einem Urwald
oder Regenwald und einem normalen Wald. Wer glaubt,
nur mit Aufforstung bekomme man bestimmte Dinge in
den Griff, täuscht sich. Die Artenvielfalt, aber auch die
Biomasse und damit das gebundene CO2 sind in einem
Regenwald um ein Vielfaches höher. Wir haben zum
Beispiel auf Borneo in Indonesien mit den Torfböden ein
weiteres Problem. Wenn diese Wälder zerstört werden,
werden riesige Massen von CO2 freigesetzt, die bei anderen Waldböden nicht vorhanden sind. Um das einmal
in Zahlen zu gießen: In 1 Hektar Torfboden befinden
sich 4 000 Tonnen Kohlenstoff; in 1 Hektar deutschen
Waldes sind das ungefähr 130 Tonnen. Über diese Dimensionen reden wir. Das ist vergleichbar mit den Permafrostböden, bei denen Methan entweicht, wenn sie
auftauen. Das können wir uns nicht leisten.
Zur Palmöldiskussion hat Herr Göppel schon einiges
gesagt. Wir müssen dieses Thema sehr differenziert sehen. Einerseits wird das ein immer größeres Problem.
Andererseits haben wir lange die Augen davor verschlossen, dass Palmöl auch in vielen anderen Bereichen
- Kosmetik, Nahrungsmittel - eingesetzt wird, was bereits zur Zerstörung von Regenwald geführt hat. Da waren die Stimmen, die heute sehr laut sind, relativ leise.
Es gibt andere Möglichkeiten; auch das haben wir auf
Borneo gesehen. Es gibt viele freie, waldlose Flächen,
wo aber keine Palmölplantagen gebaut werden. Sie
werden dort gebaut, wo noch Wald ist, damit zusätzlich
das Holz verkauft werden kann. Deswegen brauchen wir
hier Kontrollmechanismen. Aber wir müssen stärker
darüber diskutieren und dürfen nicht auf der einen Seite
etwas aufbauen, was wir auf der anderen Seite „mit dem
Fuß“ kaputtmachen. Wir sind dazu verpflichtet, sehr
sorgfältig mit diesem Thema umzugehen.
({2})
Ein dritter Punkt, bei dem ich glaube, dass die Konferenz uns weitergebracht hat. Zum ersten Mal habe ich
den Eindruck, dass die Schwellenländer und die Industrieländer, die mit Blick auf das, was zu tun ist, immer
noch skeptisch sind, näher zusammengebracht worden
sind, dass die Weltgemeinschaft in dieser Hinsicht gewachsen ist und vor allen Dingen die Zahl der Nationen
größer geworden ist, die etwas unternehmen wollen und
bereit sind, konkrete Maßnahmen anzugehen. Das war
vorher nicht sichtbar. Das bedeutet eine Chance, die wir
in den zwei Jahren nutzen sollten.
Bei all dem, was uns weitergebracht hat - nicht nur
die Konferenz, sondern vieles im letzten Jahr -, muss
man aber die Verhältnisse sehen. Ich möchte das an dem
Bild eines 400-Meter-Läufers deutlich machen. Wir haben in Kioto 1997 verhandelt; die Beschlüsse sind leider
erst 2005 in Kraft getreten. Uns war damals klar: Die
400 Meter müssen in einer bestimmten Zeit gelaufen
werden. Danach richtete sich das Kioto-Protokoll. Jetzt,
ein paar Jahre später, besteht das Problem, dass die Zeit
zum Handeln kürzer geworden ist. Der Läufer muss also
in einer kürzeren Zeit mehr als 400 Meter laufen, weil
wir weltweit leider keinen Rückgang von CO2-Emissionen zu verzeichnen haben. Im Gegenteil: Jedes Jahr wird
mehr CO2 emittiert. Die Aufgabe wird damit schwieriger. Jetzt müssen 450 anstatt 400 Meter zurückgelegt
werden.
Wir haben einen Mechanismus für den Anpassungsfonds geschaffen, der zwischen 2008 und 2012
400 Millionen Euro bereitstellt. Aber das ist viel zu wenig. Ich will diese Zahl einmal in das richtige Verhältnis
setzen. Der Unterhalt eines Panzerkreuzers der USAmerikaner kostet pro Jahr ungefähr die gleiche
Summe. 400 Millionen Euro für einen Zeitraum von vier
Jahren reichen auf Dauer nicht aus. Da muss deutlich
draufgesattelt werden.
({3})
Im Augenblick müssen wir leider feststellen, dass wir
noch einen weiten Weg vor uns haben. Die Zeit wird
knapper. Das Sponsoring ist noch relativ mangelhaft,
auch wenn sich Deutschland bemüht, dass sich das weltweit ändert. Dennoch haben wir eine Chance, diesen
Lauf zu gewinnen. Denn es gibt erstens mehr Erkenntnisse, und zweitens sind die Technologien vorhanden,
um es zu schaffen. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Instrumente zur Effizienzsteigerung, die
wir in Deutschland geschaffen haben, beweisen das.
Weltweit ist das Geld vorhanden, diese Technologien
einzusetzen.
Wir müssen es erreichen, dass alle Länder dieser Welt
gemeinsam in die richtige Richtung laufen. Dann werden wir es schaffen, dass die nächsten Konferenzen erfolgreicher sind und dass wir alle in diesem Haus sagen
können: Wir waren erfolgreich; das wollen wir feiern,
und wir wollen diesen Weg gemeinsam weitergehen.
Vielen Dank.
({4})
Nun erhält der Kollege Hans-Josef Fell das Wort für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Erde heizt sich immer schneller auf.
Die Beschlüsse der Weltklimakonferenz auf Bali ändern
daran genauso wenig, wie es alle anderen vorherigen
Weltklimakonferenzen vermocht haben. In Bali wurde
letztendlich das weitere Aufheizen der Erdatmosphäre
beschlossen - nichts anderes. Daran ändert auch das Gesundbeten durch den Bundesumweltminister nichts.
Es ist notwendig, innezuhalten und zu fragen, ob denn
die bisher vorgeschlagenen Strategien, die Ziele und die
Maßnahmen für den Klimaschutz die richtigen sind oder
ob es andere erfolgversprechendere Optionen wie etwa
die solare Gesellschaft gibt.
({0})
Die Dramatik der Lage ist den meisten immer noch
nicht in aller Konsequenz bewusst. Auch in dieser Debatte wird dies ganz klar deutlich. Mit 383 parts per million Kohlendioxid in der Atmosphäre ist die Konzentration von Klimagasen schon heute zu hoch und bewirkt
schon jetzt eine zunehmende Anzahl von Umweltkatastrophen. Wenn man die Trägheit des Klimasystems,
Selbstverstärkerprozesse wie Methangasemissionen
durch das Auftauen des Permafrostbodens oder die
schwindende CO2-Aufnahmefähigkeit der Meere mit bedenkt, dann wird klar, dass jegliche Neuemissionen das
Klimaproblem verschärfen. Auch reduzierte Emissionen erhöhen die Klimagaskonzentrationen und heizen
damit die Erde weiter auf.
({1})
Das Ziel darf nicht mehr einfach nur Halbierung der
Emissionen bis 2050 sein, sondern das Ziel muss die
weltweite solare Gesellschaft sein.
({2})
80 Prozent aller Klimagasemissionen sind mit der Nutzung der fossilen Rohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle
verbunden. Wer wirksamen Klimaschutz will, muss neben anderen wichtigen Maßnahmen wie Waldschutz
oder ökologische Landwirtschaft alles tun, um die verbliebenen fossilen Rohstoffe unter der Erde zu lassen
und sie nicht weiter als Energie- und Chemierohstoffe zu
nutzen.
({3})
Doch diese Klarheit der Gedanken und Strategien hat
der Bundesumweltminister nicht. Er setzt sich lieber
für neue zusätzliche Kohlekraftwerke ein. Jedes dieser
Kraftwerke wird in gigantischem Ausmaß CO2 in die
Atmosphäre schleudern. In Europa sorgt der Bundesumweltminister nicht einmal dafür, dass das CO2-Minderungsziel über 20 Prozent hinausgeht, obwohl er das
eigentlich angekündigt hat. Dabei wäre eine emissionsfreie bzw. emissionsneutrale Versorgung der Welt mit erneuerbaren Energien möglich und technologisch in wenigen Jahrzehnten umsetzbar, wenn denn der Wille dafür
vorhanden wäre.
({4})
Eine konsequente Energieeinsparung würde die Umstellung beschleunigen und erleichtern.
Einer solchen Klimaschutzstrategie stehen aber die
Verkaufsinteressen der großen konventionellen Energiekonzerne entgegen. Faktisch alle Regierungen der Welt
unterstützen wie die deutsche Regierung ihre Konzerne
bei der Nutzung fossiler Rohstoffe, vor allem die OPECStaaten, Russland, die USA und Australien als größter
Kohleexporteur der Welt. Auf allen Klimaschutzkonferenzen hat sich gezeigt, dass genau diese Staaten die
Bremser sind. Aber auch große Verbraucherländer wie
Japan oder Deutschland weigern sich, endlich eine vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien anzugehen.
Dabei böte uns eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien weitere Vorteile. Die Angst vor weiteren
Preissteigerungen bei Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran
bringt immer mehr Investoren dazu, die kostenlosen
Energien der Sonne, des Wassers, des Windes, der Erdwärme und der Meere zu nutzen. In vielen Bereichen
sind erneuerbare Energien heute schon kostengünstiger
als Investitionen in fossile Energieträger. Das zeigt den
Weg, wie Klimaschutz in die Welt kommt: Je mehr industrielle Fertigungstiefe wir für erneuerbare Energien,
Einspartechnologien und nachwachsende Chemierohstoffe haben, desto billiger werden sie und umso schneller haben fossile und atomare Energien keine ökonomische Chance mehr.
({5})
Konsequenter Klimaschutz mit erneuerbaren Energien
ist keine Last, sondern erlöst uns von den Belastungen
der Preissteigerungen immer knapper werdender fossiler
und atomarer Ressourcen.
Diese Entwicklung politisch zu beschleunigen, das ist
die entscheidende Klimaschutzstrategie. Es genügt,
wenn einige Industrienationen als Koalition der Willigen
Massenfertigungstiefe dafür schaffen und gleichzeitig
die wahren Kosten für fossile und atomare Energien
wirksam werden lassen. Eine erfolgreiche Klimaschutzstrategie sieht also folgendermaßen aus: vollständiger
Abbau der Subventionen für fossile und atomare Rohstoffe,
({6})
Steuererleichterungen und Abbau von Genehmigungshürden für erneuerbare Energien und erneuerbare Rohstoffe,
({7})
Investitionsunterstützungen mit Einspeisevergütungen
für Ökostrom und Biogas, aber auch Subventionen und
Ordnungsrecht für Energiesparmaßnahmen und vor allem eine Bildungsoffensive. Doch diese Bundesregierung macht das glatte Gegenteil: Sie verlängert die Kohlesubventionen, sie besteuert reine Biokraftstoffe, was
die Urwaldabholzung beschleunigt, und kämpft in Brüssel für spritfressende Autos.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
große Worte für den Klimaschutz und ein schwaches
Klimaschutzpaket reichen nicht aus. Die Taten dieser
Bundesregierung entlarven Sie als Klimasünder und
nicht als Klimaschützer. Sie sollten endlich konsequent
eine solare Gesellschaft anstreben.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach der Rede des Kollegen Fell fühle ich mich bemüßigt, zurechtzurücken, was aus meiner Sicht in, vor und
nach Bali geschehen ist. Natürlich ist uns allen klar, dass
in Bali noch keine Lösung für die dramatischen Herausforderungen des Klimawandels gefunden wurde. Das
war aber weder die Absicht noch das Ziel dieser Konferenz, Herr Fell, Frau Höhn. Nach einem leidenschaftlichen und dramatischen Ringen, bei dem Papua-Neuguinea eine große Rolle gespielt hat, ist es aber doch
gelungen, den Startschuss für den erwähnten 400-MeterLauf - ich würde sogar sagen: für einen Marathonlauf -,
der vor uns liegt, zu geben. Das ist ein Signal der Hoffnung und auch ein Grund zu Optimismus. Ich würde sogar sagen: In Bali ist das Optimum dessen erreicht worden, was unter realpolitischen Gesichtspunkten auf
dieser Konferenz erreicht werden konnte.
({0})
Schließlich waren es 187 Verhandlungspartner, es gab
Bremser, die schon genannt wurden, und es galt das Einstimmigkeitsprinzip.
Dafür verdienen die Delegation und ihre Vorarbeiter
unseren Dank und unsere Anerkennung. Ich möchte
auch an Frau Bundeskanzlerin Merkel und ihr Team
Dank sagen und ihnen Anerkennung aussprechen. Das,
was in Meseberg, in Heiligendamm und bei der EURatspräsidentschaft geleistet wurde, hat die Bresche für
Bali geschlagen. Frau Höhn, wenn das, was Deutschland
im Jahr 2007 für das Weltklima erreicht hat, zu der Zeit,
als Trittin noch Umweltminister war, erreicht worden
wäre, dann hätten Sie sich alle zehn Finger abgeschleckt.
({1})
Für mich als Entwicklungspolitiker war natürlich besonders erfreulich und wichtig, dass es wie nie zuvor gelungen ist, die Entwicklungs- und Schwellenländer
mit ins Boot zu bekommen. Denn sie sind in der Tat mit
entscheidende Akteure. Einerseits sind sie Täter: China
ist auf dem Sprung, die Nation mit den meisten CO2Emissionen zu werden; Indonesien ist aufgrund der
Waldzerstörung drittgrößter Emittent. Andererseits sind
sie Opfer: Denn vor allem die Entwicklungs- und
Schwellenländer werden vom Klimawandel mit besonderer Wucht getroffen. Dies führt zu dramatischen Konfliktsituationen, die irgendwann voll auf uns zurückschlagen und unsere Sicherheit, unsere Stabilität und
unseren Wohlstand gefährden werden. Die Entwicklungsländer sitzen auf den grünen Lungen der Welt. Zu
Recht wurde die Rolle des Tropenwaldes hier schon oft
genannt. Die Entwicklungsländer haben die Chance, ihre
wirtschaftliche Aufholjagd mit klimafreundlicheren
Energieträgern zu bestreiten.
Deswegen liegt einer der beiden Schlüssel zur Lösung
ganz klar bei den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Da hat Bali einen großen Fortschritt gebracht. Die Länder haben sich zu ihrer Verantwortung bekannt, auch die,
die wir jetzt unbedingt beim Wort nehmen müssen, zum
Beispiel China, Indien und Brasilien. Ein Einstieg zum
Walderhalt wurde gefunden. Nicht nur der Anpassungsfonds wurde geschaffen, sondern auch andere Finanzmechanismen. Allein aus dem Haushalt des BMZ werden
heuer 800 Millionen Euro in diesen Bereich fließen. Wir
haben auch vereinbart, dass wir zum Jahr der Biodiversität noch mehr für den Walderhalt tun, und zwar mit Projekten, durch die wir versuchen, Armutsbekämpfung und
Tropenwalderhalt zu kombinieren.
({2})
Natürlich ist klar: Wir müssen Verbesserungen beim
CDM-Mechanismus schaffen. Da sind wir uns einig. Es
ist auch klar, dass wir Hochtechnologietransfer brauchen, aber nicht nur diesen. Wir brauchen auch den
Transfer von angepasster Technologie. Es macht keinen
Sinn, den Afrikanern zum Beispiel unsere Dachpaneele
und anderes vor die Füße zu kippen und zu sagen: Nun
macht mal! - Das macht überhaupt keinen Sinn. Vielmehr müssen wir mit unseren Partnern einen Austausch
von Kulturen, also auch einen Austausch von Energiekultur, betreiben.
Wie gesagt: Ich glaube, für die Länder, die der eine
Schlüssel sind, ist ein guter Einstieg gefunden worden.
Dies gilt aber auch für den anderen Schlüssel: Das sind
wir. Natürlich sind wir Industrieländer mit unseren
Emissionen in Höhe von 80 Prozent besonders gefragt.
Aber dazu muss ich sagen: Wenn wir - das ist unser Ziel eine Gesellschaft mit CO2-Emissionen in Höhe von
2 Tonnen pro Kopf sein wollen, dann wird das mit der
bisher bekannten Technologie nicht möglich sein. Wir
brauchen bei der Entwicklung der Technologie einen
Quantensprung, nicht nur für unser Land, sondern auch
für die internationale Staatengemeinschaft. Ich erinnere
an das, was John F. Kennedy 1961 in einem anderen Zusammenhang gesagt hat. Er hat das Ziel der Mondlandung mit Technologien beschrieben, die es damals noch
nicht gab. Acht Jahre später ist die Mondlandung gelungen.
Ein viel höheres Ziel ist es, Technologie für die Rettung des Weltklimas auf den Tisch zu legen. Wir müssen
uns dieses ehrgeizige Ziel stecken und Technologien entwickeln, die es jetzt noch nicht gibt. Dann werden wir
dieses ehrgeizige, aber völlig richtige Ziel - CO2-Emissionen in Höhe von 2 Tonnen pro Kopf - für die Bundesrepublik und für die internationale Staatengemeinschaft
erreichen.
({3})
Sehr guter Schluss, Herr Kollege Ruck.
Mein letzter Satz. Ich stimme all denen zu, die sagen:
Wir müssen unseren eigenen Emissionshandel, unsere
eigenen Technologien und unsere eigenen Systeme so
aufbauen, dass auch die Entwicklungs- und Schwellenländer sehen: Investitionen in den Klimaschutz sind etwas, was für Märkte, Produktion und Wettbewerbsfähigkeit von morgen sorgt. Dann werden sich alle Länder
dem Kioto-Protokoll anschließen wollen und müssen
nicht dazu gedrängt werden.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Gabriele Groneberg ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In der Tat: Spannend war die Bali-Konferenz. Offensichtlich war sie auch ein Lehrstück für die
Unwägbarkeiten der internationalen Politik und für Realpolitik; Kollege Ruck hat das gerade schon geschildert.
Eines muss man ganz deutlich sagen: Die Bundesregierung hat in enger Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine positive Führungsrolle ausgeübt; auch das ist heute Morgen schon
des Öfteren betont worden. Ich möchte hinzufügen: Ministerin Wieczorek-Zeul und Minister Gabriel muss vor
allen Dingen dafür ein herzlicher Dank gesagt werden,
dass sie die entwicklungspolitischen Gesichtspunkte in
einer Art und Weise in diese Debatte getragen haben,
wie es zuvor noch nicht geschehen ist. Die Bali-Konferenz hat unter einem ganz anderen Stern gestanden. Dafür unser herzlicher Dank!
({0})
Der Erfolg dieser Konferenz - auch das hat Kollege
Ruck gerade beschrieben - ist vor allen Dingen darin zu
sehen, dass die Industrie- und Entwicklungsländer ihre
Anstrengungen beim Klimaschutz in messbarer, dokumentierbarer und nachprüfbarer Weise verstärken wollen. Obwohl die Entwicklungsländer für den Treibhausgasausstoß nicht in dem Maße verantwortlich sind wie
wir, werden sie hier zukünftig eine große Verantwortung
tragen.
Die Entwicklung der Schwellenländer ist rasant; wir
merken das an vielen Stellen. Uns ist wichtig, dass wir
mit ihnen nicht oberlehrerhaft umgehen. Wir möchten
sie allerdings herzlich bitten - dabei wollen wir sie auch
unterstützen -, die Fehler, die wir, die Industrieländer,
gemacht haben, zu vermeiden; das kann man doch tun.
Wir unterstützen diese Länder in technologischer, vor allen Dingen aber auch in finanzieller Hinsicht und - auch
das ist bereits angesprochen worden - beim Schutz tropischer Wälder; da der Regenwald heute Morgen schon
mehrfach erwähnt worden ist, brauche ich an dieser
Stelle nicht weiter darauf einzugehen. Es ist Fakt, dass
mit der Forest-Carbon-Partnership-Facility endlich der
Durchbruch auf diesem Gebiet gelungen ist. Das sollte
man entsprechend würdigen.
({1})
Klimagerechtigkeit ist von der Armutsbekämpfung
nicht zu trennen; sie ist eine unserer großen Zukunftsaufgaben. Hierbei geht es um Konflikt- und Krisenprävention wie auch um den Zugang zu sauberer Energie und
die Versorgung mit Wasser. Für die Entwicklungsländer
wird es dabei nur dann eine reelle Chance geben, wenn
wir in all diesen Bereich erfolgreich sind.
Natürlich müssen wir die dafür notwendige Finanzierung zur Verfügung stellen.
({2})
- Frau Höhn lacht schon. - Dieser Punkt ist immens
wichtig. Hier wird es einen enormen Finanzbedarf geben, gar keine Frage. Maßnahmen zur Abschwächung
der Folgen des Klimawandels durchzuführen, ist eine
teure Angelegenheit. Dafür müssen wir innovative Wege
gehen und eine neue Finanzarchitektur schaffen.
({3})
Die Grundlagen dafür sind in Bali gelegt worden.
Ich wehre mich dagegen, den Emissionshandel, den
wir als ein Instrument benutzen, von vornherein zu verteufeln. Natürlich werden wir auf die Maßnahmen des
CDM setzen. Wir müssen sie auch für unsere afrikanischen Partner verstärkt verfügbar machen. Das Problem
ist doch, dass zurzeit nur 3 bis 5 Prozent der Maßnahmen
in Afrika durchgeführt werden können und der Rest in
Asien und Lateinamerika durchgeführt wird. Hier müssen wir ansetzen. Das ist die Zukunft.
({4})
In diesem Zusammenhang ist für unsere Unternehmen wichtig, dass eine Vereinfachung der aufwendigen
Verfahren und die Beseitigung der hohen Transaktionskosten in diesem Bereich angegangen werden. Hier müssen wir nacharbeiten, gar keine Frage.
Wichtig ist auch, dafür zu sorgen, dass Klimaprojekte
gezielt in Angriff genommen werden können. Für den
CDM können aber auch kleine Projekte gebraucht werden. Das ist zurzeit noch nicht in der Form möglich, wie
es sinnvoll wäre. Ich warne aber davor, den CDM zu einem modernen Ablasshandel verkommen zu lassen.
Diese Gefahr sehe ich nämlich. Natürlich wäre es einfacher, in Zukunft zu sagen: Wir kommen unserer Verpflichtung dadurch nach, dass unsere Unternehmen in
Entwicklungsländern klimarelevante Maßnahmen durchführen. Dafür erfüllen wir aber unsere Verpflichtungen
bei uns im Inland nicht. - Das geht nicht.
({5})
Insofern muss man da höllisch aufpassen; das gebe ich
zu. Der CDM ist mit Sicherheit ein gutes Instrument;
aber wir müssen auch im Inland unsere Verpflichtungen
erfüllen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, sehe ich bei den in Ihrem Antrag vorgeschlagenen
Maßnahmen leider nicht.
Von den Ergebnissen der Konferenz in Nairobi in Bezug auf die Entwicklung des Kioto-Anpassungsfonds
waren alle fürchterlich enttäuscht. Das ist noch gar nicht
lange her. In Bali ist auch da endlich ein Durchbruch erfolgt. Der Fonds, der jetzt gebildet wird, wird eines dieser neuen Finanzierungsmodelle sein. Jetzt kann man natürlich, wie die Kolleginnen und Kollegen von den
Linken das tun, sagen: Das ist alles Käse, und das wird
sowieso nicht funktionieren. - Man kann eine Sache
gleich von Anfang an totreden. Wir wissen, dass dieser
Fonds in den ersten Jahren noch nicht mit den Finanzmitteln ausgestattet ist, die eigentlich notwendig wären.
Aber es ist doch ein Anfang für ein neues Finanzierungsinstrument. Warum soll man nicht auch solche Wege gehen? Wir können nicht mit den alten Instrumenten all die
Aufgaben erledigen, die wir erledigen müssen.
({6})
- Eben. - Ich denke, man muss dem Fonds eine Chance
geben. Man muss aufpassen, dass man den Fonds nicht
zu einem Gebilde aufbläht, das selber Geld kostet. Der
Fonds muss bei einer bestehenden Organisation angesiedelt werden; dann muss man sehen, wie man damit umgeht. Wichtig ist erst einmal, dass der Fonds auf der
Grundlage eines Marktmechanismus funktioniert; es ist
nicht so, dass nur die Geber permanent einzahlen. Vielmehr spielt der Markt eine Rolle.
Über den Finanzbedarf für die klimarelevanten Aufgaben hinaus dürfen die Mittel für die Armutsbekämpfung nicht zu kurz kommen; die Mittel dafür dürfen nicht
zusammengestrichen werden. Wichtig ist ferner - das fordern wir ein, und ich bin sicher, dass wir da gute Ergebnisse erzielen werden - eine kohärente Zusammenarbeit
von BMU und BMZ. Was nicht passieren darf, ist, dass
unsere Bemühungen zersplittern und die deutsche Arbeit, wenn wir im Ausland auftreten, nicht mehr als kohärente Arbeit zu erkennen ist. Das ist ganz wichtig, und
ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg.
({7})
Das Wort erhält der Kollege Andreas Jung, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist heute früh mehrfach bewertet worden, welches die
Ergebnisse der Konferenz von Bali sind. Es ist teilweise
beklagt worden, was nicht erreicht worden ist. Bevor ich
zu einer eigenen Bewertung komme, will ich ein paar
Eindrücke von dieser Konferenz wiedergeben, und zwar
Eindrücke von 3 der 190 souveränen Staaten, die dort
vertreten waren, Eindrücke, die zeigen, wie unglaublich
schwierig es ist, die unterschiedlichsten Vorstellungen,
Mentalitäten und Positionen unter einen Hut zu bekommen.
Erstes Beispiel: Indonesien. Auf dem Marktplatz eines kleinen Dorfes auf Borneo war ein abgehackter
Andreas Jung ({0})
Baumstumpf ausgestellt, nicht etwa, wie man denken
könnte, als Mahnmal der Abholzung des Regenwaldes,
sondern im Gegenteil als Symbol für Entwicklung und
Fortschritt, was damit sogar verherrlicht werden sollte für die Augen europäischer Betrachter verwunderlich,
fast undenkbar.
Zweites Beispiel: Saudi-Arabien. Die Vertreter
Saudi-Arabiens haben auf der Konferenz die Position
vertreten, mehr Klimaschutz sei ja möglicherweise richtig; klar sei aber, dass mehr Klimaschutz bedeuten
würde: Förderung von neuen Technologien, mehr Technologietransfer und damit den Weg weg vom Öl. Der
Weg weg vom Öl würde für Saudi-Arabien aber erhebliche Einbußen an Umsatz und Gewinn bedeuten; deshalb
könne aus der Sicht Saudi-Arabiens mehr Klimaschutz
nur beschlossen werden, wenn im Gegenzug Schadenersatz für die ölexportierenden Länder vereinbart werde.
Drittes Beispiel: Australien. Es gab einen australischen Wissenschaftler, der als eine Ursache des Klimawandels - nicht ganz zu Unrecht - die Bevölkerungsexplosion ausgemacht hat. Fakt ist: Steigende
Bevölkerung führt zu mehr CO2-Ausstoß. Deshalb, so
hat er argumentiert, sei es doch die logische Konsequenz,
diejenigen Familien, die sich dafür entscheiden, mehr als
zwei Kinder in die Welt zu setzen, mit einer CO2-Steuer
zu belegen und umgekehrt den Paaren, die sich für Geburtenkontrolle und Verhütung entscheiden, eine CO2-Gutschrift zukommen zu lassen - also so etwas wie einen
Babywindel-Emissionshandel.
Wir sind noch nicht dazu gekommen, der Familienministerin den Vorschlag zu unterbreiten. Ich finde, alle
drei Vorschläge sind für uns undenkbar und unvorstellbar. Umgekehrt mag das, was uns objektiv richtig und
möglicherweise offensichtlich erscheint, anderen seltsam und weit hergeholt erscheinen. Das zeigt, wie weit
die Positionen auseinander sind und wie schwierig es ist,
diese 190 souveränen Staaten, die man ja zu nichts zwingen kann und die man nur durch Einsicht zu Ergebnissen
bringen kann, unter einen Hut zu bringen. Schauen Sie
sich die Staaten an, von den USA bis hin zu Papua-Neuguinea, von den Industriestaaten, in denen die Menschen
heute im Wohlstand leben, bis hin zu den Entwicklungsländern, in denen Menschen in bitterster Armut leben,
deren größte Sorge es oftmals ist, wie sie den nächsten
Tag überleben können, aber nicht, was in 10 oder
20 Jahren passiert! Ich finde, die Ergebnisse dieser Konferenz können sich sehen lassen.
({1})
Mehr als das, was in Bali erreicht wurde, war nicht
herauszuholen. Frau Höhn, ich finde, das hat gar nichts
mit Schönreden zu tun. Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass jetzt der Startschuss für die Verhandlungen
über das Post-Kioto-Protokoll gegeben wurde und dass
das, was wir lange Zeit befürchtet haben, nämlich dass
Verhandlungen abseits der Vereinten Nationen geführt
werden, vom Tisch ist. Es ist jetzt klar: Wir wollen ein
Klimaschutzabkommen mit allen Staaten der Welt unter
dem Dach der Vereinten Nationen. Allein das ist schon
ein wichtiger Punkt.
Es ist auch ein wichtiger Punkt, dass sich alle Industriestaaten - die USA eingeschlossen - dazu verpflichtet
haben, selbst wirksame und messbare Maßnahmen gegen
den Klimawandel zu ergreifen. Es war nicht selbstverständlich, dass sich auch die Schwellen- und Entwicklungsländer dazu verpflichtet haben. Auf der Konferenz
hat das Szenario einer Spirale nach unten gedroht. Die
Schwellenländer haben gesagt, sie seien nicht bereit,
messbare und ernsthafte Verpflichtungen zu übernehmen, wenn sich die Industriestaaten, insbesondere die
USA und China, nicht bereit erklären, harte und ehrgeizige Verpflichtungen einzugehen. Man muss sich vor allem auch das anschauen, was nicht so sehr im Mittelpunkt der Berichterstattungen der Medien gestanden hat.
Deshalb finde ich, dass die Konferenz ein Erfolg gewesen ist.
Ich will noch drei Punkte ansprechen: die Vereinbarung des Anpassungsfonds, den Technologietransfer und
vor allem das, was jetzt von vielen Rednern in den Mittelpunkt gestellt worden ist, nämlich den Durchbruch
beim Schutz der Regenwälder.
Zum ersten Mal soll der Waldschutz Teil eines Klimaabkommens werden. Wir konnten uns in Indonesien
davon überzeugen, wie richtig das ist;
({2})
denn man muss sich vergegenwärtigen, dass 20 Prozent
der weltweiten CO2-Emissionen aufgrund der Rodung
von Regenwäldern entstehen und dass in Indonesien
nicht an jedem Tag, nicht in jeder Stunde, sondern in jeder Minute Regenwald in der Größe eines Fußballplatzes
einfach verschwindet. Ich finde deshalb, dass wir, die
Staatengemeinschaft, aufgerufen sind, diesem Punkt
eine ganz hohe Bedeutung einzuräumen.
({3})
Im Antrag der Koalitionsfraktionen zu Bali wurde die
Bundesregierung aufgefordert, alle politischen und diplomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um den
globalen Klimaschutz voranzubringen. Ich finde, wir
können sagen: Auftrag ausgeführt! Herr Minister, ich
will Ihnen für Ihre Verhandlungsführung in Bali danken.
Sie haben mal mehr, mal weniger diplomatisch, aber immer zielorientiert und am Ende mit Erfolg verhandelt.
({4})
Ich bin überzeugt - auch das ist schon angesprochen
worden -, dass Grundstein für diesen Erfolg in Bali die
Präsidentschaften der Bundesrepublik Deutschland in
der EU und in der G 8 waren. Daran, was durch die G 8
erreicht worden ist, hat zuvor niemand geglaubt. Ich
glaube auch, dass zu diesem Erfolg der Konsens beigetragen hat, den es in der deutschen Delegation gab, nicht
nur zwischen den Koalitionsfraktionen, sondern auch im
gesamten Bundestag über alle Fraktionen hinweg und
Andreas Jung ({5})
weit über den politischen Bereich hinaus. Ich war beeindruckt, zu erleben, dass sich hinter der Position der deutschen Bundesregierung in Bali alle deutschen Beteiligten - ich will fast sagen: von Greenpeace bis zum BDI versammelt haben. Das hat unsere Position gestärkt.
Im Übrigen wurde unsere Position auch dadurch gestärkt, dass man uns international eine hohe Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz zuschreibt. Glaubwürdigkeit
gewinnt man nicht durch Worte, sondern durch Taten. Es
war interessant, zu sehen, wie sich in Bali herumgesprochen hat, dass wir Deutschen nicht nur hohe Verpflichtungen eingegangen sind und uns dazu bereit erklärt haben,
weitergehende Verpflichtungen einzugehen, sondern dass
wir auch ganz konkrete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Verpflichtungen beschlossen haben.
({6})
„Meseberg“ war in Bali ein Begriff. Das ist ein Erfolg
dieser Bundesregierung.
({7})
Es ist klar, dass Wünsche offengeblieben sind und
diese Ziele weiterverfolgt werden müssen. Sicher ist,
dass die Bundesregierung dabei die Unterstützung der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat. Wir wollen belastbare Vereinbarungen, in denen sich die Industriestaaten
tatsächlich dazu verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen um 25 bis 40 Prozent zu reduzieren. Wir wollen die
Weiterentwicklung des Emissionszertifikatehandels zu
einem globalen Kohlenstoffdioxidmarkt unter Einbeziehung des Flugverkehrs und des Schiffsverkehrs.
Wir halten zudem die von Angela Merkel formulierte
Zielvorstellung für richtig: Grundlage für einen globalen, gerechten und effizienten Klimaschutz soll sein,
dass langfristig jeder Mensch auf der Welt die gleiche
Menge CO2 ausstoßen darf. Dafür kämpfen wir. In diesen Fragen unterstützen wir die Bundesregierung.
Ich hoffe, dass diejenigen Staaten, die den Klimaschutz in Bali zu einer Fußnote degradieren wollten, am
Ende sagen: Hätten wir nur einmal das Kleingedruckte
gelesen!
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Zu Beginn möchte ich zunächst einen Dank an
die Oppositionsparteien aussprechen, dass die meisten
der Rednerinnen und Redner in ihren Beiträgen differenziert haben. Zumindest wurde zwischen dem außenpolitischen und dem innenpolitischen Teil des Klimaschutzes differenziert. Bei Letzterem gehört es natürlich zum
Pflichtprogramm, den kritischen Teil stärker zu betonen
als die Punkte, in denen man übereinstimmt.
Ich möchte aber als letzter Redner in der Debatte und
als Redner der Koalition auf ein paar der Argumente eingehen, die vonseiten der Opposition vorgetragen wurden.
Zunächst zum Beitrag des Kollegen Fell. Der Kollege
Fell ist sicherlich einer der versiertesten Fachleute. Allerdings hat man ihm heute angemerkt, dass er sich mit
dem, was er sich aufgeschrieben hat, einen Kampfauftrag gegeben hat, den er dann auch so ausgeführt hat, unabhängig von dem, was der Bundesumweltminister gesagt hat. Kollege Fell hat den Bundesumweltminister zu
zwei Dingen aufgefordert: Erstens solle er sagen, dass
wir auf erneuerbare Energien umsteigen wollen. Zweitens solle er sich für eine Reduktion der CO2-Emissionen
in der EU um 30 Prozent einsetzen. Allerdings, Herr
Kollege Fell, hat der Bundesumweltminister genau das
in seiner Rede getan.
({0})
Das wussten Sie freilich nicht, als Sie Ihre Rede geschrieben haben. Aber Sie hätten hier zuhören und auf
das eingehen müssen, was in der Regierungserklärung
gesagt wurde.
({1})
Herr Kauch hat versucht, aus dem Problem, dass es
zwischen den Landwirtschaftspolitikern und den Umweltpolitikern der FDP zwei völlig konträre Positionen
im Hinblick auf die Biomasse gibt, einen Angriff auf die
Große Koalition zu machen. Herr Kauch, ich gebe Ihnen
recht, dass auch mit einer Quote die Gefahr eines Staubsaugereffekts besteht und wir dem nur dadurch begegnen
können, dass der Anbau von Biomasse zur Gewinnung
von Biokraftstoffen immer nachhaltiger erfolgt, dass wir
beginnen müssen, daran zu arbeiten, und dass wir dabei
immer punktgenauer werden müssen. Im Umkehrschluss
müssen Sie mir doch aber recht geben, dass eine völlige
Steuerbefreiung bei Biokraftstoffen, wie sie heute gefordert wurde, genau den gleichen Staubsaugereffekt
hat.
({2})
Denn wenn Biokraftstoff in Ländern, in denen dazu der
Regenwald gerodet wird, für 55 Cent pro Liter hergestellt und nach Deutschland gebracht werden kann, wo
der Konkurrenzsprit 1,30 Euro kostet, dann glauben Sie
doch nicht wirklich, dass darauf verzichtet wird, nur weil
es auf einmal eine Steuerbefreiung statt einer Quote gibt.
Man muss diesbezüglich ein stringentes System anbieten.
Der Kollege Meierhofer hat das Problem des Palmöleinsatzes in Kraftwerken dargestellt. Als Erstes muss
man dazu festhalten, dass nur 10 Prozent der Palmölimporte in die Europäische Union energetisch genutzt werden. 90 Prozent werden in anderen Bereichen wie der
Kosmetik- und Lebensmittelindustrie genutzt.
Erlauben Sie mir eine Belehrung, Herr Kollege
Meierhofer. Man soll eigentlich auf Belehrungen verzichten, aber diese ist notwendig. Wenn wir heute über
die Entwürfe des Klimaschutzprogrammes debattieren,
dann müssen Sie die Entwürfe auch lesen. Im Gesetzentwurf zur Novellierung des EEG ist vorgesehen, dass die
Palmölnutzung in Kraftwerken in Zukunft nicht mehr
vergütet wird, bis es zu einer klaren Regelung kommt.
Das hätten Sie lesen müssen, bevor Sie den Umweltminister angreifen.
({3})
Frau Kollegin Höhn, Sie haben zwei Beispiele - Bonn
und Krefeld - genannt und sind auf das Thema Auto eingegangen. Zunächst zu Bonn; das ist wirklich eine spannende Debatte. Man muss zwar mit dem, was man aus
Aufsichtsratssitzungen erzählt, vorsichtig sein - sie sind
nämlich nicht öffentlich -, aber Folgendes darf ich sicherlich berichten: Der Aufsichtsrat in Bonn hat beschlossen, den Bau eines Steinkohlekondensationskraftwerks gemeinsam mit anderen in der TrianelGruppe zu prüfen. Dieser Beschluss ist einstimmig - inklusive des Vertreters der Partei Bündnis 90/Die Grünen
in diesem Aufsichtsrat - gefasst worden. Diese Prüfung
hat ergeben, dass ein Kondensationskraftwerk nicht nur
nicht in unser ökologisches Portfolio passt - obwohl wir
damit Braunkohlestrom von RWE ablösen wollen, den
wir gegenwärtig ohne eigene Erzeugungskapazitäten beziehen müssen -, sondern unserer Ansicht nach auch
nicht wirtschaftlich betreibbar ist, weil damit ein Effizienzgrad von höchstens 44 oder 45 Prozent erreicht wird.
In Krefeld soll ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk mit einem Wirkungsgrad von über 90 Prozent gebaut werden, das zum Teil Ölfeuerungen in einer Chemieanlage durch Auskopplung von Wärme ablöst.
Kollege Kelber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Immer.
Bitte.
Herr Kollege Kelber, ich war selber in Krefeld und
kenne die Daten sehr gut. Können Sie bestätigen, dass
Ihre Aussage, das in Krefeld geplante Kohlekraftwerk
werde einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent erreichen, falsch ist? Ich bitte Sie, zu begründen, wie Sie darauf kommen. Diese Aussage ist nach den Unterlagen,
die allen vorliegen, eindeutig falsch.
Sie müssen zwei Punkte unterscheiden. Das sind erstens die Versuche, die es gibt, und das, wofür sich die
SPD eingesetzt hat.
({0})
Wir haben gesagt: Es soll gebaut werden, wenn ein
hocheffizientes Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerk mit
der Auskopplung von zum Beispiel 400 Megawatt für
die Chemieanlage entsteht, die heute die Wärmeerzeugung mit einer Ölfeuerung erreicht, und wenn der Strom
zur Eigenerzeugung im Bereich der Stadtwerke Krefeld
ebenfalls den Grundlaststrom von RWE ersetzt, der aus
den aus den 50er-Jahren stammenden Braunkohlekraftwerken aus Frimmersdorf stammt. Die CO2-Bilanz - wir
können gerne Vergleiche anstellen, Frau Höhn - ist frappierend gut.
Zweitens. Sie haben festgestellt, die Sozialdemokraten im Europaparlament hätten sich dafür eingesetzt,
dass der Zeitpunkt, zu dem die Hersteller von Automobilen den Grenzwert von 120 Gramm CO2 je Kilometer
einhalten müssen, von 2012 auf 2015 verschoben wird.
Ich gehe davon aus, dass man im deutschen Parlament
nicht wissentlich die Unwahrheit sagt. Von daher haben
Sie wahrscheinlich nicht alle Informationen bekommen.
Bei den Einzelpunktabstimmungen hat die SPE gegen
die Verschiebung gestimmt. Ich zitiere den Sprecher der
SPE, den deutschen Abgeordneten Matthias Groote:
Das Startdatum zur Reduzierung der CO2-Emissionen muss 2012 sein, und nicht erst 2015. Die Automobilindustrie weiß schon seit 1995, dass sie ihre
Kohlendioxidemissionen senken muss. 12 Jahre
Vorlaufzeit sind mehr als genug.
Das Zitat stammt vom 11. Januar 2008. Ich lasse es Ihnen gerne gleich zukommen, damit Sie Ihre Aussage in
diesem Punkt revidieren können.
Ich glaube, wir sind - auch mit dem Nationalen Klimaschutzprogramm - auf einem guten Weg. Wir werden
nach dem im Mai vorgelegten zweiten Teil irgendwann
noch einen dritten Teil vorlegen müssen; denn wir müssen zeigen, dass wir die 40-Prozent-Vorgabe erfüllen.
Ich glaube, die Große Koalition wäre gut beraten, wenn
sie die dafür notwendigen Positionen noch vor dem
nächsten Wahltermin gemeinsam erstellt, statt bis nach
2009 zu warten.
Ich finde es absolut richtig, das Thema Umweltgerechtigkeit verstärkt in diese Debatte einzubringen, wie
es vor allem die Rednerinnen und Redner aus dem Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, aber auch
der Umweltminister getan haben, statt bis nach 2009 zu
warten. Das gilt sowohl für die Frage der internationalen
Gerechtigkeit als auch der sozialen Gerechtigkeit im eigenen Land; denn es sind nicht nur die Ärmsten der Armen in Afrika oder anderen Regionen der Welt betroffen. Im Übrigen haben diese Ärmsten nie etwas zum
Klimawandel beigetragen. Deren Lebenswandel entsprechend hätten sich die CO2-Emissionen auf eine Größenordnung beschränkt, die noch Jahrmillionen hätte beibehalten werden können. Daraus entstammt die Pflicht,
dass diejenigen, die den Klimawandel verursacht haben,
denen, die darunter leiden, obwohl sie selbst keine
Schuld haben - weder wissentlich noch unwissentlich -,
ausreichend helfen, statt sie in ihrer Not - es geht um das
Überleben dieser Menschen - sitzen zu lassen. Das ist
eine Frage sozialer Gerechtigkeit.
({1})
Im eigenen Land müssen wir in der Tat überprüfen,
wo Menschen von bestimmten Entwicklungen besonders
betroffen sind und wo die vorhandenen Fördermechanismen und gesetzlichen Regelungen noch nicht in ausreichendem Maße greifen. Ein Beispiel ist, dass unsere Fördermechanismen in erster Linie den Eigenheimbesitzern
helfen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Wohnungsbau, insbesondere der soziale Wohnungsbau, in
die Programme zur Modernisierung und Wärmedämmung einbezogen wird, damit auch diese Menschen die
Möglichkeit haben, ihre Heizkosten zu reduzieren. Hier
verhindern bestimmte zusätzliche Regelungen Investitionen eher. Wir müssen dafür sorgen, dass Regelungen
bei denjenigen, die auf staatliche Sozialtransferleistungen angewiesen sind, dem Klimaschutz nicht entgegenstehen.
Ich freue mich sehr, dass Bundesminister Tiefensee
heute Morgen angekündigt hat, gemeinsam mit den Bundesländern eine Initiative zur Anpassung des Wohngelds
an die gestiegenen Heizkosten zu starten. Ich finde, es ist
ein Unding, dass jemandem der Umzug in eine Wohnung
verweigert wird, weil für diese eine höhere Kaltmiete zu
zahlen ist als für die alte, obwohl die neue Wohnung wesentlich besser gedämmt ist und deswegen keine höhere
Warmmiete zu zahlen ist. Hier stehen deutsche Gesetze
dem Klimaschutz entgegen. Wir werden 2008 die Fördermechanismen und die Gesetze anpassen, um den sozialen Aspekt beim Klimaschutz stärker als in der Vergangenheit zu betonen. Ich glaube, das ist eine wichtige
Weiterentwicklung unseres Klimaschutzprogramms.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7763. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag
ist gegen die Stimmen der Antragsteller mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/7006 und 16/7752 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Steuerabzug bei Managerabfindungen begrenzen
- Drucksache 16/7530 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Begrenzung der Managervergütung fördern
- Drucksache 16/7743 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir führen die Debatte über hohe Bezüge von Managern
und Managerinnen - davon gibt es auch ein paar - heute
nicht zum ersten Mal. Wir, die Grünen, wollen mit unserem Antrag dafür sorgen, dass den Worten auch Taten
folgen.
({0})
Die Grünen waren die Ersten, die in dieser Debatte einen
Antrag vorgelegt haben, der sowohl aus rechtlichen als
auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sinnvoll und
haltbar ist. Wir greifen mit unserem Antrag die gesellschaftliche Debatte auf. Ich hoffe, dass unser Antrag bei
der Großen Koalition Zustimmung findet.
Heute berichten Zeitungen und Rundfunk darüber,
dass Minister Steinbrück es durchaus richtig findet, den
staatlich subventionierten Selbstbedienungsladen für
Managerabfindungen zu schließen. Genau dies haben
die Grünen aufgegriffen. Diesen Ansatz sollten wir hier
verfolgen und zu einer klaren Entscheidung bringen.
({1})
Es ist völlig richtig, dass der immer größere Abstand
zwischen extrem hohen Bezügen einzelner Manager und
dem normalen Einkommen von Bürgern und Bürgerinnen den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft bedroht. Allerdings stellt sich die Frage - wir werden uns in der heutigen Debatte auch mit dem Antrag
der Linkspartei auseinandersetzen -, welche Antwort
man darauf gibt. Die Antwort, die gegeben werden kann,
muss natürlich auch umsetzbar sein. Das Parlament, die
Politik, muss brauchbare Regelungen treffen und darf
nicht eine Antwort geben, wie sie von der Linkspartei
gegeben wird: den populistischen Vorschlag einer Steuerbelastung von 65 Prozent, von dem wir heute schon
wissen, dass das Bundesverfassungsgericht ihn nicht akzeptiert, weil in Deutschland der Halbteilungsgrundsatz
gilt. Das müssen Sie akzeptieren, und es hilft auch
nichts, wenn Sie dies blöd finden. Man muss Vorschläge
machen, die auch tauglich und umsetzbar sind.
({2})
Wir haben in unserem Antrag erstens den konkreten
Vorschlag gemacht, eine Begrenzung des Betriebsausgabenabzugs vorzunehmen, damit Abfindungen, wenn
sie eine Höhe von über 1 Million Euro erreichen, nicht
mehr von den Steuerzahlern subventioniert werden.
Vielmehr sollen die Unternehmen diese Abfindungen
nicht mehr so ansetzen können, dass ihre Gewinne reduziert werden.
({3})
Der zweite Vorschlag, zu dem sich Ministerin Zypries
schon positiv geäußert hat, zielt auf mehr Aktionärsdemokratie in unserem Land ab.
({4})
Die Hauptversammlung soll den Gesamtrahmen der Vorstandsbezüge festlegen. Dort muss alles auf den Tisch:
nicht nur das, was der Manager oder die Managerin im
Jahr bekommt, sondern auch, welche Gewinnbeteiligungen Bestandteil des Gehalts sind, welche Aufwandsentschädigungen und Provisionen gezahlt werden und welche Konsequenzen Aktienoptionen haben. Herr Minister
Glos hat dies ebenfalls aufgegriffen. Aber das Problem
mit der Großen Koalition ist, dass immer erst laut getönt
wird, man sich aber dann, wenn es konkret wird, vom
Acker macht. Trotzdem hoffe ich sehr, dass wir hier eine
Lösung des Problems erreichen und die Hauptversammlung in ihren Rechten gestärkt werden kann,
({5})
auch wenn - das sage ich bewusst an die Adresse der
SPD - dies manchen Gewerkschaftsführern nicht gefällt,
weil sie Angst um ihren Einfluss in den Aufsichtsräten
haben. Aber wir wollen an dieser Stelle mehr Aktionärsdemokratie.
Gut wäre des Weiteren mehr Transparenz. Wenn die
erforderlichen Informationen in den Hauptversammlungen gegeben werden, dann wird das Bewusstsein aller
Anteilseigner geschärft werden; denn die Selbstbedienungsmentalität, die so ausgeufert ist, geht auch auf
Kosten der Anteilseigner und -eignerinnen. Das ist vielen gar nicht bewusst. Mehr Transparenz führte hier zu
einer anderen Situation; dann würden die Debatten bei
den Versammlungen auch anders geführt werden.
({6})
Ich möchte nicht, dass sich die Große Koalition bei
diesem Thema wegduckt.
({7})
Im Moment führen wir mit Blick auf die anstehenden
Wahlkämpfe Debatten über andere Fragen. Wir möchten, dass sich niemand vor diesen Missständen wegduckt, und wollen der Bevölkerung klipp und klar sagen,
was geht und was nicht geht. Diese Debatte muss sehr
ehrlich geführt werden, wobei folgenlose Appelle wie
der der Bundeskanzlerin an die Moral der Manager nicht
ausreichen. Es ist Gift für das Vertrauen der Bürger und
Bürgerinnen, wenn Politiker mit populistischen Themen
auf Stimmenfang gehen, dann aber wegtauchen, sodass
letztlich nichts passiert. Aus diesem Grunde muss gehandelt werden. Dafür gibt es einen sehr guten grünen
Vorschlag.
Danke schön.
({8})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Otto
Bernhardt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wegen der
Zahlung von sehr hohen Abfindungen in Einzelfällen hat
es eine sehr kritische Diskussion in Deutschland gegeben, und diese Diskussion über Managergehälter generell dauert an. Ich sage deutlich: Die Union nimmt diese
Diskussion sehr ernst; denn letztlich geht es um den sozialen Frieden in Deutschland.
({0})
Ich will zwei Bemerkungen machen, bevor ich mich
mit den entscheidenden fünf Punkten der beiden vorliegenden Anträge auseinandersetze. Erste Bemerkung:
Wenn wir uns die Managergehälter in der Welt anschauen, dann müssen wir heute feststellen, dass an der
Spitze nicht mehr Deutschland liegt, auch nicht mehr die
westlichen Industrieländer liegen; an der Spitze liegen
heute zwei arabische Länder, dann kommen Schwellenländer wie China und Russland. In einer internationalen
Statistik liegen wir auf Platz 19, wie immer man das berechnet.
Zweite Bemerkung: Ich glaube, es ist nicht gut, wenn
wir die Diskussion über Spitzengehälter auf den Bereich
der Wirtschaft konzentrieren. Das ist ein Bereich, mit
dem wir uns intensiv beschäftigt haben. Hier muss man
vielleicht noch einiges tun, aber ich sehe nicht ein, warum andere Bereiche, ob es der Sport oder die Kultur ist
oder ob es die öffentlich-rechtlichen Medien sind, nicht
in die Überlegungen einbezogen werden. Gehälter, die in
der Wirtschaft gezahlt werden, betreffen die Bevölkerung insofern, als wegen der Geltendmachung als Betriebsausgabe 30 Prozent weniger Steuern gezahlt wer14286
den. Aber die Gehälter etwa im öffentlich-rechtlichen
Fernsehen - manchmal liest man ein bisschen über die
Beträge, die da gezahlt werden - zahlen wir alle zu
100 Prozent über unsere Gebühren. Deshalb sage ich:
Wir müssen die Diskussion auf andere Bereiche erweitern.
Ich komme nun zu den fünf Punkten, die in den Anträgen stehen, die heute diskutiert werden. Zwei davon
finden sich in dem Antrag der Grünen, vier im Antrag
der Linken, in einem Punkt stimmen beide überein.
Der erste Punkt ist die Forderung nach Höchstgrenzen für Spitzengehälter. Diese Forderung finden wir im
Antrag der Linken, und zwar bezogen auf Unternehmen,
auf die die öffentliche Hand Einfluss hat. Ich sage sehr
deutlich: So etwas wird es mit der Union nicht geben. So
etwas gibt es in keinem Land der Welt. Dies ist ein sicher nicht geeigneter und wahrscheinlich auch nicht verfassungskonformer Weg.
({1})
Der zweite Punkt ist schon ernster zu nehmen. Da
geht es um die Frage, ob man die betriebliche Absetzbarkeit von Abfindungen begrenzt. Der gemeinsame
Vorschlag der Linken und der Grünen liegt bei 1 Million Euro. Das würde bedeuten, dass bei der zweiten
Million, die ein Betrieb unter Umständen aufgrund vertraglicher Vereinbarung zahlen muss, der Betrieb dann
300 000 Euro Steuern zahlt und derjenige, der die zweite
Million bekommt, auf diese auch noch einmal
500 000 Euro Steuern zahlt. Das heißt: Netto kommt
eine Abfindung von 500 000 Euro an, und es werden
Steuern in Höhe von 800 000 Euro gezahlt. Ich sage
nicht, dass wir diesen Weg grundsätzlich ablehnen, aber
man muss sich das wirklich genau überlegen. Rechtlich
geht das, um das klar zu sagen; denn man kann zum Beispiel schon heute Aufsichtsratsvergütungen nur zur
Hälfte absetzen. Das Argument zieht also nicht.
Bei dem dritten Punkt geht es um die Frage einer besonderen Steuer für Managergehälter, was letztlich logischerweise eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes für
alle bedeutet, weil man das nicht nur bei Managergehältern machen kann. Die Linken schlagen vor, den Steuersatz für zu versteuernde Einkommen ab 2 Millionen
Euro auf 65 Prozent festzusetzen; mit Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer liegt man dann bei 70 Prozent.
Wir wären damit Spitzenreiter in der Welt. Ich will hier
gar nicht rechtlich argumentieren, wie es die Kollegin
Scheel getan hat. Wahrscheinlich ist das auch rechtlich
sehr problematisch. Wir wollen das aus ganz anderen
Gründen nicht: Die Reichen würden Deutschland verlassen, was katastrophale Folgen hätte. Schon heute haben
viele ihren Wohnsitz in die Schweiz und nach Österreich
verlegt. Wer also glaubt, er bekäme über diesen Weg
mehr Steuern, der irrt. Dieser Weg wird weniger Steuereinnahmen bringen.
Der vierte Punkt betrifft die Transparenz. Wir haben
schon manche Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz bei Aktiengesellschaften und in Analogie dazu auch
bei großen Personengesellschaften ergriffen. Wir haben
zum Beispiel der Hauptversammlung das Recht gegeben, auf bestimmte Dinge zu verzichten, wenn es dafür
eine qualifizierte Mehrheit gibt.
Was die Transparenz angeht, kann man durchaus über
einzelne Punkte sprechen. Ich sage auch hier sehr deutlich: Es muss dann auch einmal ein Blick auf andere Bereiche gestattet sein, und es darf keine isolierte Betrachtung vorgenommen werden.
Der fünfte Punkt - er ist für mich der interessanteste
in der ganzen Debatte - ist der Vorschlag der Grünen,
die rechtlichen Möglichkeiten der Aktionäre - sie bezahlen das letztlich; sie bezahlen 70 Prozent, 30 Prozent bezahlen wir alle über Steuern - zu verbessern. Ich bin für
eine Erweiterung dieses Vorschlags: Wir sollten nicht
nur die Interessen der Aktionäre, die das größtenteils
bezahlen, stärker berücksichtigen, sondern auch einen
Blick auf das Vereinsrecht im Sport werfen. Ich befürchte, man muss auch über mehr Transparenz dort
nachdenken. Das, was von ganz tollen Vereinen gezahlt
wird, muss auch einmal zumindest kritisch hinterfragt
werden. Vielleicht müssen wir den Verwaltungsräten in
den öffentlich-rechtlichen Bereichen mehr Kompetenzen
in dieser Frage geben.
Ich sage zu den fünf Vorschlägen, die in der Diskussion sind: Eine Begrenzung des Einkommens per Gesetz
wird es mit der Union nicht geben.
({2})
Eine Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit von
Abfindungen kann man diskutieren. Ich habe dazu schon
einige kritische Bemerkungen gemacht. Eine Erhöhung
des Spitzensteuersatzes über die heutigen 45 Prozent hinaus wird es mit der Union nicht geben. Bezüglich einer
besseren Transparenz sind wir bereit, über Einzelheiten
zu diskutieren. Ich mache den Hinweis auf eine mögliche Erweiterung. Das Gleiche gilt für den fünften Vorschlag: Stärkung der Aktionäre. Wir erweitern diesen
Vorschlag: Stärkung auch in anderen Bereichen.
Für die Union möchte ich einen Gesichtspunkt ganz
deutlich ansprechen: Angesichts der hitzigen Diskussion, die zurzeit läuft - ich habe Verständnis für diese
Diskussion -, warnen wir vor übereilten gesetzlichen
Schritten. Ich vermute, dass die jetzt stattfindende Diskussion schon manchen Gewerkschaftler im Aufsichtsrat
eines DAX-Unternehmens veranlasst hat, intensiver
über die Frage nachzudenken, zu welchen Punkten man
in der Vergangenheit seine Zustimmung gegeben hat.
({3})
Das wird das Bewusstsein der Verantwortlichen in den
Vorständen stärken. Ich habe nicht den Eindruck, dass es
im Sport und beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen
schon eine kritische Diskussion gibt. Dort fühlt man sich
noch in keiner Weise angesprochen. Deshalb müssen wir
die Diskussion hier erweitern.
Ich appelliere an all die Verantwortlichen, die solche
Gehälter, Abfindungen und Nebenleistungen festlegen,
sich einmal das anzuschauen, was eine RegierungskomOtto Bernhardt
mission im Sommer letzten Jahres zu dieser Problematik
unter dem Motto Selbstverpflichtung vorgelegt hat. Ich
sage sehr deutlich: Natürlich hat für uns von der Union
Selbstverpflichtung Vorrang vor gesetzlichen Maßnahmen.
({4})
Ich vermute allerdings, dass am Ende der Diskussion
auch einige gesetzliche Änderungen stehen.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Hermann Otto Solms für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Scheel hat den Antrag der Grünen hier vorgestellt. Dieser Antrag beginnt mit einem wichtigen
Satz:
Das immer weitere Auseinanderklaffen der Bezüge
am oberen und unteren Ende der Einkommensskala
ist zu einer ernsten Bedrohung der ethischen
Grundlagen unserer Gesellschaft geworden.
Ich stimme dem zu. Aber ich will vorausschicken: Wer
an andere hohe ethische Ansprüche stellt, muss bei sich
selbst anfangen.
({0})
Ich bin aus dem Staunen nicht herausgekommen, als
ich heute Morgen - zehn Tage vor den Landtagswahlen Zeitungen aufschlug und eine Anzeige der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sah, in der rein landtagswahlbezogene Themen behandelt werden, nämlich
Jugend, Kriminalität und Bildung. Gefunden habe ich
diese Anzeige in den Zeitungen Frankfurter Allgemeine,
Frankfurter Rundschau, Hannoversche Allgemeine,
Neue Presse aus Hannover und Süddeutsche Zeitung; in
Bayern finden ja Anfang März Kommunalwahlen statt.
({1})
- Die Zeitungen in Hamburg habe ich nicht überprüft.
Das überlasse ich Ihnen; überprüfen Sie bitte auch noch
die Hamburger Zeitungen.
Ich möchte dazu nur sagen: Das ist unzulässig; zu diesem Ergebnis sind wir immer wieder gekommen, wenn
wir uns mit solchen Fällen befasst haben.
({2})
Das erhebt den Verdacht der unzulässigen Parteienfinanzierung. Damit muss sich der Rechnungshof befassen.
Sie können nicht mit den Steuergeldern der Bundestagsfraktion Wahlkampfmittel und Wahlkampfeinsätze finanzieren.
({3})
- Das mit Grün-Schwarz kommt noch hinzu.
({4})
Zurück zum Thema. Natürlich kann man sich ärgern,
wenn Manager absurd hohe Gehälter und Abfindungen
erhalten, insbesondere, wenn sie erfolglos gehandelt haben. Die Frage ist nur: Soll sich jetzt die Politik - bei den
Mindestlöhnen wie bei den Managergehältern - in die
Lohnfindung einmischen? Wir in Deutschland haben
doch immer das in der Verfassung festgeschriebene
Grundprinzip der Vertragsfreiheit gesichert und bewahrt.
Werden nicht die Gewerkschaften entmachtet, wenn jetzt
die Politik die Löhne festsetzt?
({5})
Ich möchte daran erinnern, in welch schwierige Situation die Gewerkschaften dadurch kommen.
Die Tarifautonomie wurde immer wieder von allen
Parteien im Bundestag bestätigt. Jetzt wollen Sie sich in
die Lohnfindung einmischen, und das in einem Parlament, das nicht einmal in der Lage ist, eine vernünftige
Versorgungsregelung für die Abgeordneten selbst zu beschließen.
({6})
Jetzt wollen Sie für alle reden; dabei kann doch nichts
Vernünftiges herauskommen.
Wenn Sie das machen, dann werden Sie bei jeder
Wahl Oskar Lafontaine hinterherlaufen, weil er immer
noch weiter als Sie geht und das Stöckchen immer höher
hebt;
({7})
Sie kommen da nicht hinterher. Es wird genau so laufen
wie jetzt bei den Steuervorschlägen: Sie haben den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent angehoben; jetzt fordert
Lafontaine 65 Prozent. Wenn Sie ihm ein Stück weit folgen, dann fordert er halt 75 oder 85 Prozent.
({8})
Sie können seine Forderungen nie erfüllen. Auf solche
Dinge darf man sich nicht einlassen.
({9})
Sie müssen sich schon mit der Frage befassen: Wie sichern wir den Standort Deutschland international, in einer offenen Welt? Die Sauerei, die jetzt von Nokia veranlasst wird,
({10})
ist in genau diesem Zusammenhang zu sehen. Die ganze
Subventionitis hat doch zu nichts geführt.
({11})
Jetzt sind die Bindefristen für die Subventionen ausgelaufen; die Subventionen sind kassiert. Jetzt wird die
Ansiedlung von Nokia in Rumänien indirekt mit unseren
Steuergeldern von europäischer Ebene mitfinanziert.
Selbst wenn nicht direkt subventioniert wird, werden
steuerliche Begünstigungen gewährt und Rahmenbedingungen geschaffen; wir finanzieren das mit. Das kann so
nicht weitergehen.
({12})
Wenn wir in diesem Wettbewerb bestehen wollen,
dürfen wir nicht auf die Handvoll Manager schauen,
sondern auf die 40 Millionen Beschäftigten in Deutschland.
({13})
Was hat die Große Koalition mit den Beschäftigten gemacht? Sie hat ihre Steuern und Abgaben dramatisch
erhöht, sodass eine durchschnittliche Familie im Jahr
1 600 Euro weniger in der Tasche hat.
({14})
Das Gegenteil wäre richtig: Abgaben senken, Steuern
senken, die rigide Arbeitsmarktpolitik entflechten, flexibilisieren, damit die Rahmenbedingungen in Deutschland mindestens so gut wie in den Wettbewerbsländern
sind, mit denen wir zu tun haben.
({15})
Dann brauchen wir uns nicht zu fürchten, dann wird es
hier wieder zu Ansiedlungen kommen, dann werden Unternehmen sogar zurückkommen. Wenn Sie immer mehr
regulieren und sich in unternehmerische Entscheidungen
oder Entscheidungen der Arbeitnehmerseite einmischen,
werden Sie dafür sorgen, dass die Unternehmen einen
großen Bogen um Deutschland machen.
Es gilt unser Appell: Ethische Grundsätze müssen
auch in der Wirtschaft gelten. Die Rechte der Arbeitnehmer - sie sind über den Aufsichtsrat immer an den Entscheidungen beteiligt -, der Arbeitgeber und insbesondere der Aktionäre müssen gestärkt werden. Ich halte es
auch für richtig, mehr Transparenz zu schaffen. Herr
Bernhardt, das muss natürlich für alle gelten: nicht nur
für die Wirtschaft, sondern beispielsweise auch für den
Sport, für die Kunst und für öffentlich-rechtliche Organisationen. Das muss überall gelten. Das kann gestärkt
werden. Aber die Entscheidungen selbst müssen da getroffen werden, wo auch die Verantwortung dafür liegt.
({16})
Wir sind dafür nicht verantwortlich. Die Politik darf sich
nicht selbst alles aufladen.
Das ist unser Appell: Lassen Sie die Entscheidungen
dort, wo sie hingehören! Flexibilisieren Sie! Schaffen
Sie Erleichterungen für die Menschen bei Steuern und
Abgaben! Dann wird die Zukunft in Deutschland viel
besser gesichert sein.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({17})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Juristen sagen: Ein Blick ins Gesetz
erleichtert die Rechtsfindung.
({0})
Manchmal trägt ein solcher Blick ins Gesetz allerdings
auch zur Moralfindung bei. So ist zum Beispiel ein Blick
in § 87 des Aktiengesetzes recht aufschlussreich. Darin
heißt es:
Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge … dafür zu sorgen, daß die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den
Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der
Gesellschaft stehen.
Diese Angemessenheit der Bezahlung haben einige
Vorstände leider aus den Augen verloren.
Managergehälter in Höhe von 60 Millionen Euro, Abfindungszahlungen für Versagen der Manager in einer
Höhe, die ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer in seinem gesamten Erwerbsleben nicht erwirtschaften wird,
({1})
die Arroganz derer, die diese Summen damit rechtfertigen, dass sie es aufgrund ihrer Verantwortung und ihrer
Leistung - angeblich - verdient hätten, so viel Geld zu
erhalten,
({2})
all das lässt einen Großteil der Bevölkerung nur noch
verständnislos den Kopf schütteln.
Es verwundert daher nicht, dass immer mehr Menschen in unserem Land eine Gerechtigkeitslücke beklagen. Wenn nur noch 15 Prozent der Menschen in
Deutschland der Ansicht sind, das Einkommen sei gerecht verteilt, so spricht das Bände. Es ärgert die Menschen, dass Topmanager zweistellige Millionenbeträge
kassieren und gleichzeitig verkünden, dass sie einen
Großteil der Belegschaft auf die Straße setzen. Es ärgert
die Menschen, dass dagegen zu wenig getan wird. Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um das Führen einer Neiddebatte, sondern um die Pflichten, die aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes folgen.
({3})
Wir als SPD sind nicht bereit, die von den Menschen
wahrgenommene Ungerechtigkeit weiter zu akzeptieren.
Häufig hört man den Spruch, die Vorstände der Aktiengesellschaften seien nur ihren Aktionären verpflichtet,
um in deren Sinn Gewinnmaximierung zu betreiben. Ich
sage Ihnen dazu: Die Topmanager sind darüber hinaus
auch ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verpflichtet, die - häufig unter Lohnverzicht - einen großen
Beitrag zur Gewinnerzielung des Unternehmens geleistet haben.
({4})
Versagen nun hochbezahlte Vorstände auf ganzer Linie, was häufig dazu führt, dass Hunderte, ja Tausende
von Arbeitsplätzen verloren gehen, kann zumindest ich
nicht erklären, weswegen es im Sinne des § 87 Aktiengesetz angemessen sein soll, diesen Menschen Abfindungen für ihr Ausscheiden aus dem Unternehmen zu
zahlen, und zwar Abfindungen in einer Höhe, die die
meisten der arbeitslos gewordenen Arbeitnehmer in ihrem ganzen Erwerbsleben nicht erwirtschaften können.
Solche Zahlungen, seien es überzogene Gehaltszahlungen, seien es überzogene Abfindungszahlungen, werden auch sozialisiert - das klang schon an -, indem sie
als Betriebsausgaben den Gewinn der Unternehmen
mindern und damit zu geringeren Steuereinnahmen führen. Hier ist die Grenze des guten Geschmacks überschritten.
Exzessive Managergehälter sind selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn der Manager sein Unternehmen gut
platziert hat. Eine solche Leistung ist sicherlich zu würdigen, nur sollte man in Bezug auf die Entlohnung auch
eine gehörige Portion Vernunft und Einsicht erkennen
lassen. Stellen wir uns einmal vor, die für den aktuellen
Aufschwung in Deutschland nicht ganz unverantwortlichen fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
würden ihren Anteil an der guten wirtschaftlichen Entwicklung in ähnlicher Weise einfordern wie manche
Topmanager und nach Jahren des Lohnverzichts bzw.
stagnierenden Reallohns nicht 5 bis 8 Prozent, sondern
50 oder 80 Prozent fordern! Den Aufstand in der Vorstandsetage möchte ich einmal sehen.
Sicherlich ist es schwierig, Begriffe wie Leistung und
Verantwortung zu definieren. Ein Arzt auf der Intensivstation hat meines Erachtens ebenso viel Verantwortung
für Menschen, gar für Menschenleben, wie ein Topmanager. Fakt ist aber, dass die Einkommen von Topmanagern und Assistenz-, ja sogar Chefärzten meilenweit zugunsten der Manager auseinanderklaffen.
Wir sehen also, das Thema bewegt das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen, die sich völlig zu Recht
über Lohnstillstand und Lohnverzicht empören, wenn
sie gleichzeitig erleben, wie eine ganz bestimmte Kaste
ihre Gehälter und Abfindungen nach oben treibt.
({5})
Hier ist politisches Handeln notwendig und richtig. Aus
diesem Grunde hat die SPD im Dezember letzten Jahres
eine Arbeitsgruppe mit dem Titel „Angemessenheit
und Transparenz von Managervergütungen“ eingerichtet. Es geht uns dabei nicht darum, um auch das klar zu
sagen, einen staatlich verordneten Höchstlohn zu schaffen. Jeder Manager soll so viel verdienen können, wie er
verdient hat, aber ohne dabei das Augenmaß zu verlieren; denn auch Manager haben Vorbildcharakter in unserer Gesellschaft und sollten sich dessen bewusst sein.
Daher ist selbstverständlich zu überlegen, wie Vorstandszahlungen transparenter gestaltet werden können.
Ein Kollege von uns hat vor einigen Wochen zu einer
ähnlichen Thematik gesagt, Sonnenschein sei ein gutes
Reinigungsmittel. Ich kann dem nur beipflichten. Die
Aktionäre zum Beispiel sind bei Gehaltsverhandlungen
gar nicht dabei, sondern müssen darauf vertrauen, dass
die zuständigen Gremien in ihrem Sinne handeln. Aber
auch der Aufsichtsrat in Gänze ist häufig nicht vollständig einbezogen. In der Praxis führt vielmehr der Aufsichtsratsvorsitzende, häufig genug selbst Vorstandsmitglied oder Vorstandsvorsitzender eines anderen
Unternehmens, gegebenenfalls unterstützt von einem
diskreten Präsidialausschuss, im stillen Kämmerlein die
Gehaltsverhandlungen.
({6})
Andere Aufsichtsratsmitglieder erfahren hiervon in der
Regel nur auf Anfrage. Ändern können sie bei mitbestimmten Unternehmen angesichts des Zweitstimmrechtes des Aufsichtsratsvorsitzenden häufig nicht mehr
allzu viel.
Getreu dem Motto „Eine Krähe hackt der anderen
kein Auge aus“ besteht deshalb häufig gar kein Interesse, Managergehälter zu begrenzen. Hier kann man
prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, der Hauptversammlung Rahmenrechte zu geben. So könnte sie Vorschläge
für eine ganz bestimmte Gehaltsskala machen; das wäre
eine Art Richtlinie, an die sich der Aufsichtsratsvorsitzende dann auch zu halten hätte. Das könnte man gegebenenfalls mit einem Missbilligungsrecht der Aktionäre
verbinden. Dies hätte den Effekt, dass die Hauptversammlung entscheiden könnte, was die Leitung ihres
Unternehmens ihr letztendlich wert ist.
Ein weiterer wichtiger Punkt - auch das ist schon angeklungen -, wo man ansetzen könnte, ist die Möglichkeit des steuerlichen Abzugs von Managergehältern
und Abfindungen. Selbst im Mutterland des Kapitalismus, den USA, können Firmen die Gehälter ihrer Topmanager nicht unbegrenzt von der Steuer absetzen: ohne
gesonderte Begründung nur in Höhe von 1 Million Dollar. In Deutschland ist es so, dass exorbitante Managergehälter und Abfindungen komplett abgesetzt werden
können. Das hat zur Folge, dass der Gewinn der Unternehmen minimiert wird. Dass hier ein Fehler im System
steckt, leuchtet jedem ein. Das haben auch die Autoren
des Deutschen Corporate Governance Kodex Mitte letzten Jahres ansatzweise erkannt und demgemäß eine neue
Schwerpunktsetzung bei Abfindungsregelungen empfohlen. Diesen Gedanken muss man weiterentwickeln
und die Gestaltungsmöglichkeiten unseres Steuerrechtes
nutzen.
Von daher bin ich froh, dass zumindest heute Morgen
in dieser Runde Klarheit darüber besteht, dass der Steuergesetzgeber hier in rechtlich einwandfreier Weise tätig
werden kann. Wenn es nämlich in § 10 Nr. 4 des Körperschaftsteuergesetzes heißt, dass Aufsichtsratsvergütungen nur zur Hälfte absetzbar sind, und es in § 4 Abs. 5
des Einkommensteuergesetzes heißt, dass bestimmte Betriebsausgaben eben nicht steuermindernd geltend gemacht werden können, so folgt daraus: Verfassungsrechtliche Probleme bei einer entsprechenden Regelung
bestehen nicht.
({7})
Um es zum Abschluss noch einmal ganz deutlich zu
sagen: Jeder ordentliche Manager in Deutschland, der
viel und Gutes für sein Unternehmen tut, der zum Bestand und zur Vermehrung von Arbeitsplätzen beiträgt,
soll ordentlich verdienen können. Hierbei ist aber Augenmaß zu wahren. Ein Überschreiten dieser Grenzen ist
unverhältnismäßig, unsozial und ungerecht, und es ist
schlichtweg unverständlich, wenn Loser-Manager Millionenabfindungen kassieren.
Ziel unserer Arbeit wird es daher sein - ich spreche
hier insbesondere für die SPD-Fraktion -, einen Beitrag
zu etwas mehr sozialer Gerechtigkeit in diesem Lande
zu leisten; denn - da können wir, wie ich denke, unserem
Bundespräsidenten nur beipflichten - sozialer Friede ist
ein Standortvorteil unserer Republik. Das sollten wir bei
der künftigen Bearbeitung der vorliegenden Anträge
nicht aus den Augen lassen.
Ich danke Ihnen.
({8})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Oskar
Lafontaine das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Bevor ich zum Thema komme, gestatten Sie
mir, Herr Kollege Solms, eine Bemerkung an Ihre
Adresse. Ich habe natürlich aufmerksam zugehört, als
Sie gesagt haben, dass die anderen Fraktionen der Fraktion Die Linke nachlaufen würden, etwa beim Steuersatz. Als ich dann aber gehört habe, dass Sie im Zusammenhang mit Nokia von einer „Sauerei“ gesprochen
haben, habe ich überlegt, was wir dazu noch sagen könnten. Mir ist eingefallen: menschenverachtende Sauerei.
({0})
Aber allein aufgrund der Tatsache, dass Sie das Verhalten so gegeißelt haben, lohnt es sich schon, heute im Plenum anwesend zu sein.
({1})
Nun zur Sache. Wir reden nicht über das Thema
Managergehälter, weil das irgendjemand auf die Tagesordnung gesetzt hat, sondern wir reden darüber, weil die
große Mehrheit der Bevölkerung über dieses Thema
spricht. Es ist richtig, dass, wie hier einige Vorredner
festgestellt haben, die Entwicklung den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet. Wenn das aber
richtig ist, dann ist dieses Parlament verpflichtet, darüber
nachzudenken, was es tun kann, um den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu wahren. Da gibt es natürlich unterschiedliche Antworten. Wir haben mehrere
Antworten gegeben. Wir haben gesagt, man könnte zum
Beispiel ins Auge fassen, das 20-Fache der untersten
Lohngruppe zur Richtlinie zu machen. Ich weise darauf
hin, dass das keine feste Höchstgrenze ist - man kann
das ablehnen; ich begründe das gleich noch -, sondern
eine dynamische Höchstgrenze; denn wir haben uns etwas dabei gedacht. So wie wir unsere Managerinnen und
Manager einschätzen, bedeutet die Festlegung ihrer Gehälter auf das 20-Fache der untersten Lohngruppe für sie
einen Ansporn, darüber nachzudenken, wie man die unterste Lohngruppe ausstatten kann. Das steckt dahinter.
({2})
Ich würde hier fast eine Wette anbieten, dass es auch so
kommen würde. Wenn es eine solche Regelung gäbe,
bräuchten wir wahrscheinlich in vielen Bereichen über
einen Mindestlohn nicht mehr nachzudenken.
({3})
Das Zweite ist, dass man - da scheint sich so etwas
wie eine Gemeinsamkeit anzudeuten - den Betriebsausgabenabzug bei Abfindungen begrenzt. Darauf will ich
nicht näher eingehen.
Unser dritter Vorschlag ist, die Reichensteuer stufenweise auszugestalten und der Entwicklung der Managergehälter anzupassen. Wir haben vorgeschlagen:
65 Prozent ab 2 Millionen Euro. Ich glaube, wenn wir
darüber eine Volksabstimmung durchführen würden,
wäre es keine Frage, wie diese Abstimmung ausgehen
würde. Aber Sie denken ja, dass das Volk völlig falsch
und unvernünftig entscheidet und dass die Entscheidung
der Mehrheit in diesem Hause maßvoll und richtig ist.
Hier schauen uns auch Leute zu, die von Hartz IV leben. Ich habe soeben erfahren, dass ein Kollege eine Familie eingeladen hat, die sieben Kinder hat und von
Hartz IV leben muss. Das ist also der Personenkreis, der
hier zuhört, wenn das Plenum über die Entwicklung der
Managergehälter berät. Dabei hören die Zuschauer, dass
Herr Wiedeking bei Porsche ein Jahresgehalt von 60 bis
70 Millionen Euro bekommen hat, Herr Ackermann bei
der Deutschen Bank 13,21 Millionen Euro, Herr Kagermann bei SAP 9 Millionen Euro und Herr Reitzle bei
Linde über 7 Millionen Euro. Man könnte das weiter
ausführen. Die Zuschauer machen sich darüber ihre Gedanken.
Sie machen sich ebenso ihre Gedanken, wenn sie gehört haben - da werde ich jetzt konkret -, dass auch die
Bundeskanzlerin irgendwann, wie es Herr Solms formuliert hat, der Linken nachgerannt ist und Maßlosigkeit
bei Managergehältern beklagt hat. Ich lese hier:
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Debatte
über die Höhe von Managergehältern vor Fantasieabfindungen und Maßlosigkeit gewarnt.
Toll!
Allerdings sieht die CDU-Vorsitzende in dieser
Frage die Gesellschaft und nicht den Staat am Zug.
Auch toll.
({4})
Nun stelle ich mir die Frage: Wer ist für Frau Merkel die
Gesellschaft?
({5})
Wer das einmal näher betrachtet, stößt sehr schnell auf
die Vokabel „Gesellschaften“, und in den Gesellschaften
werden Managergehälter gezahlt. Dann merkt er auf einmal, dass auch Frau Merkel „Gesellschaft“ ist. Sie ist
nämlich, wenn man so will, die oberste Chefin großer
Unternehmen. Nun kann jemand, der aufmerksam die
Debatte verfolgt, feststellen, dass diese oberste Chefin
vieler Unternehmen dort, wo sie Verantwortung trägt,
sich völlig anders verhält, als sie öffentlich reklamiert.
({6})
Das möchte ich jetzt am Beispiel der Bahn erläutern, wo
der Bund - solange die Bevölkerung Sie davon abhalten
kann, die Bahn zu verkloppen - noch 100-prozentiger
Gesellschafter ist.
Wir können lesen: Im letzten Jahr hat sich der Vorstand der Bahn die Bezüge um 70 Prozent erhöht. Wir
können ferner lesen - auch das ist von Bedeutung -, dass
sich im letzten Jahr der Aufsichtsrat die Bezüge um
256 Prozent erhöht hat. Nun stellen wir uns die Frage,
was die Chefin der Bundesregierung - sie ist, wenn man
so will, die Chefin dieser öffentlichen Unternehmen - eigentlich getan hat. Ihre ganzen Worte sind in den Wind
gesprochen. Sie ist völlig unglaubwürdig. Solange solche Zustände in öffentlichen Unternehmen herrschen,
sollte sie nicht mehr über Managergehälter reden.
({7})
Das ist einfach eine Irreführung der Öffentlichkeit und
zeigt einen großen Mangel an Glaubwürdigkeit. Ich habe
für ein solches Verhalten überhaupt kein Verständnis.
Wenn die Bundeskanzlerin gleichzeitig sagt, Toyota
zahle gemäß einer Unternehmensregel den Managern
nur das 20-Fache des Gehaltes eines Arbeitnehmers,
dann muss ich fragen, warum sie ein paar Wochen vorher in namentlicher Abstimmung gegen eine entsprechende Regelung war. Das ist ein völlig unglaubwürdiges Verhalten, an das ich an dieser Stelle erinnern will.
({8})
Wenn man der Theorie vieler in diesem Hause folgt,
dann müsste eine Massenauswanderung von Spitzenmanagern aus Japan stattfinden. Bei solch miserablen
Einkommen müssten sie alle in den Vereinigten Staaten,
in Dubai oder sonst wo tätig sein. Offensichtlich gibt es
aber noch Gesellschaften, auf die Ihre Prognosen überhaupt nicht zutreffen. Augrund ihrer Moral sagen die Japaner - vielleicht hat es auch mit der Kultur oder der Religion zu tun -: Wir sind für den sozialen Zusammenhalt
unserer Gesellschaft verantwortlich und überziehen
nicht maßlos. Deshalb ist das, was in Japan geschieht,
tatsächlich vorbildlich.
({9})
Das größte Problem ist, wie sich die Chefs der bundeseigenen Unternehmen, begünstigt vom Verhalten
der Kanzlerin und allen, die in den Aufsichtsräten und in
den Gesellschafterversammlungen sitzen, aufführen.
Das ist doch unglaublich. Der Vorstand der Bahn hat
sich selbst das Gehalt um 70 Prozent und der Aufsichtsrat seine Bezüge um 256 Prozent erhöht. Bei Lokführern
gibt es nun eine 11-prozentige Lohnsteigerung. Das
macht zusätzlich nur 20 Millionen Euro aus. Obwohl die
Lohnkosten bei der Bahn 9 Milliarden Euro betragen,
spricht man davon, Personal abzubauen und die Preise
anzuheben. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit.
({10})
Das zeigt, welche Moral mittlerweile in die Unternehmen eingekehrt ist. Das zeigt aber auch, dass Sie in der
Verantwortung stehen, ob es Ihnen passt oder nicht.
Wenn Ihnen nicht bekannt ist, wie man sich als Hauptgesellschafter in staatlichen Unternehmen verhält, sind wir
gerne bereit, Ihnen Auskünfte zu geben.
({11})
Es ist unglaublich, was sich die Bundesregierung hier erlaubt. Sie haben sich völlig unglaubwürdig gemacht, da
können Sie hier noch so laut tönen.
({12})
Im Übrigen haben Sie sich hier lächerlich gemacht,
indem Sie sagen, dass wir mehr Transparenz brauchen.
Was soll denn dieses Geschwätz? Sie können doch alles
nachlesen, was in den Unternehmen, in denen Sie die
Verantwortung und das Sagen haben, passiert. Wenn Sie
da nach Transparenz rufen, ist das kläglich und schlicht
lächerlich. Transparenz zu schaffen, ist überhaupt keine
sinnvolle Forderung in diesem Zusammenhang.
({13})
Es geht hier um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ich zitiere hier einmal ganz bewusst den amerikanischen Gerechtigkeitsphilosophen John Rawls. Er hat
gesagt: Wenn die Gesellschaft, bevor die Lebensentwürfe verteilt werden, zu entscheiden hätte, wie die Güter verteilt werden sollten, dann gäbe es zwei Prinzipien:
Zum einen würden sich alle dafür aussprechen, dass die
gleichen Grundrechte verteilt würden. Zum anderen
würden sich alle dafür aussprechen, dass Einkommensunterschiede nur dann zu akzeptieren sind, wenn diese
Unterschiede der Gesamtgesellschaft zugute kommen.
Übertragen Sie dies einmal auf die Bahn. Die Entwicklung bei der Bahn ist der klassische Beweis dafür,
dass diese Gerechtigkeitsvorstellung in ihr Gegenteil
verkehrt wurde. In dem Maße, in dem die Einkünfte der
Manager wachsen, werden nämlich die Einkünfte der
Belegschaft gedrückt. Das ist gemäß John Rawls, den
ich hier bewusst zitiert habe, ein Schlag ins Gesicht der
Menschen, was die Gerechtigkeit angeht.
({14})
Natürlich sind Aktienoptionen überhaupt nicht mit einer solchen Idee zu vereinbaren. Es nützt da gar nichts,
nach Transparenz zu rufen oder an die Moral zu appellieren. Aktienoptionen sind für Manager ein Anreiz, das
eigene Gehalt zu steigern. Sie werden also - so ist das
nun einmal - alles tun, um den Aktienkurs nach oben zu
bringen. Wenn sie vor die Presse treten und einen Personalabbau um 1 000, 2 000 oder 5 000 Stellen ankündigen
- wir haben das ja hundertfach erlebt -, dann wissen sie,
dass der Kurs nach oben gehen wird. Sie bereichern sich
also selbst. Das ist im Sinne von Rawls zutiefst unmoralisch.
({15})
Unsere Vorschläge, dies zu unterbinden, werden hier immer wieder abgelehnt. Wir haben die Manager in
Deutschland lange Zeit ohne Aktienoptionen besoldet.
Ich kann nicht erkennen, dass die Erfindungsleistung,
die Produktivität und was weiß ich sonst noch in diesen
Jahren anders ausgesehen hätte.
({16})
Ein letzter Punkt: Es geht um soziale Verantwortung. Der Begriff der Verantwortung ist in den letzten
Jahren völlig auf den Kopf gestellt worden. Jahrzehntelang war er in der Bundesrepublik auf den anderen bezogen. Derjenige, der Verantwortung wahrgenommen hat,
hat immer für den anderen, der schwächer war, der ihm
anvertraut war, mitgedacht, hat sich um sein Leben und
sein Schicksal gesorgt, und zwar auch auf Unternehmensebene. Dieser Begriff ist mittlerweile umgedreht worden: Verantwortung ist in Eigenverantwortung umdefiniert worden, was man sehr leicht missverstehen kann.
Wenn der Bezug auf den anderen abgelegt wurde, heißt
es: Ich habe Eigenverantwortung. Jeder ist für sein eigenes Schicksal verantwortlich, auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dann verliert man die Machtfrage in der Gesellschaft schnell aus dem Blick, und
dann handelt man genau so, wie wir es bei den Managern sehen: Man hat Eigenverantwortung, bedient sich
maßlos, und die anderen können sehen, wo sie bleiben.
Das ist die Entwicklung, die wir in letzter Zeit zu beklagen haben.
({17})
Da hilft auch kein Verweis auf Gewerkschaftsmitglieder oder Aufsichtsräte; das wird der eine oder andere
ansprechen wollen. Ich will hier in aller Klarheit sagen,
dass einzelne Entscheidungen, die auf diesen Ebenen getroffen wurden, nicht akzeptabel sind. Ich sage das als
Gewerkschafter in aller Klarheit.
({18})
Auch diesbezüglich besteht Erneuerungs- und Reformbedarf. Wenn sich Betriebsratsvorsitzende großer Unternehmen Sorgen über Managergehälter machen, muss ich
sagen: In dem Moment, in dem Betriebsratsvorsitzende
wie Manager entlohnt werden, stimmt im Unternehmen
etwas nicht mehr. Auch das will ich als Gewerkschafter
einmal in aller Klarheit sagen.
({19})
Zusammenfassung: Die soziale Verantwortung, die
hier reklamiert wird, verträgt sich überhaupt nicht mit
Selbstbedienung. Es ist ja schön, wenn wir untereinander
Glaubwürdigkeitslücken aufzeigen. Entscheidend wäre
aber, dass die Bundeskanzlerin, der Sie sicherlich eine
hohe Glaubwürdigkeit bescheinigen, in ihrem eigenen
Unternehmen mit dem anfängt, was sie jeden Tag erzählt. Was sie in der letzten Zeit geboten hat, ist völlig
inakzeptabel.
({20})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Hans
Michelbach das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege
Lafontaine, Ihr Auftritt hat dem Anliegen, der Sache,
({0})
die hier begründet diskutiert wird,
({1})
sehr geschadet;
({2})
denn ein Vergleich zwischen Hartz-IV-Empfängern und
Managern wie Herrn Ackermann und Herrn Wiedeking
ist Populismus. Das kann man letzten Endes nur in das
Volk hineintragen, wenn man die Leute verdummen und
verketzern will. Das kann es doch nicht sein. Sie reißen
hier sozialistische Sprüche und leben selbst wie Gott in
Frankreich. Das kann doch nicht sein.
({3})
Geben Sie von Ihren drei Pensionen doch einmal etwas
ab; dann können Sie vielleicht Glaubwürdigkeit erreichen.
Ich kann nur sagen: Sie haben als Bundesfinanzminister überhaupt nichts bewirkt.
({4})
Im Gegenteil: Sie haben die Veräußerungsgewinne der
Deutschland AG steuerfrei gestellt.
({5})
Das ist die Wahrheit, die Sie ertragen müssen. Sie haben
versagt. Und jetzt glaubt man Ihnen diese sozialistischen
Sprüche nicht mehr.
({6})
Das können Sie nicht für sich in Anspruch nehmen.
({7})
Die aktuelle Debatte über Managergehälter und Abfindungen müssen wir sehr ernst nehmen, weil es leider
Beispiele gibt, die der Glaubwürdigkeit der sozialen
Marktwirtschaft erheblichen Schaden zufügen. Das
Problem darf nicht verharmlost werden, wollen wir die
Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft in der Bevölkerung erhalten. Man muss das aber differenziert sehen. Es
besteht kein Zweifel daran, dass es weltweit kein besseres Wirtschaftssystem als die soziale Marktwirtschaft
nach deutschem Vorbild gibt, die wir seit Ludwig Erhard
zum Erfolg geführt haben.
Unser Wirtschaftsstandort lebt von der Kultur seiner
Unternehmen. Insgesamt gesehen besteht die große
Mehrheit aus leistungsfähigen und verantwortungsbewussten Firmeninhabern und Managern. Die Wirtschaft
selbst hat größtes Interesse am sozialen Frieden. Deswegen muss der Auswuchs geächtet werden. Die Ächtung von Auswüchsen ist das Grundthema, das wir hier
anstoßen müssen.
Als mittelständischer Unternehmer stehe ich oft im
Wettbewerb mit von Managern geführten Konzernunternehmen. Es liegt in der Natur des Wettbewerbs, dass er
nicht immer zu Gleichheit führen kann. Jedoch darf das
Handeln von Managern nicht dazu führen, dass die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft in der Öffentlichkeit als freiheitliches System weiter beschädigt wird.
Nehmen Sie - darüber müssen wir reden - den Südenfall
des Jahres 2007 von Postchef Zumwinkel; nach meiner
Ansicht ist es einer. Als personifiziertes Wettbewerbshindernis hat er es fertiggebracht, in erstaunlichem
Zusammenspiel mit einer Gewerkschaft die Politik geradezu über den Tisch zu ziehen.
({8})
Durch die Auswirkungen seines Gebarens auf den
Aktienkurs hat er dann auch noch kräftig Kasse gemacht. Das ist der Vorstand eines Staatsunternehmens.
Wo ist unser Aufschrei, dass wir so etwas nicht akzeptieren können? Nehmen wir den aktuellen Subventionsmissbrauch von Managern bei Nokia in Bochum oder
die dreisten Lügen von Bankmanagern gegenüber ihren
Anlegern im Zuge der Subprime-Krise. Vertrauensbruch
und Raffgier sind nicht akzeptabel. Sie schaden vielen
Marktteilnehmern. Solche Beispiele sind sicher ein Anschlag auf unsere soziale Marktwirtschaft.
({9})
Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Bei Herrn Koppelin sage ich nie Nein.
({0})
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Sie sprachen davon, dass der Postchef die Politik über den Tisch gezogen hat. Könnte es aber auch sein, dass die Union beim
Mindestlohn in die Falle getappt ist und dass Herr
Zumwinkel die Politik nicht über den Tisch gezogen
hat?
({0})
Herr Kollege Koppelin, die Fallen sind manchmal
größer und manchmal kleiner. Sie sind sicher auch schon
in die eine oder andere Falle getappt. Ich möchte nicht
sagen, dass es eine Falle war.
({0})
Vielmehr hat er die Arbeitgeberverbände in einer Weise
ausgenutzt, dass nur noch das Entsendegesetz übrig
blieb. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich grundsätzlich
der Auffassung bin, dass man - davon habe ich gesprochen - diese Entwicklung und dieses Vorgehen öffentlich ächten muss, das darin besteht, dass man versucht,
Wettbewerber auszugrenzen, letzten Endes auch zulasten
der Arbeitnehmer, die in diesen Wettbewerbsunternehmen arbeiten.
Wir müssen - dafür möchte ich werben - Leistung
und Erfolg in unserer Wirtschaftsordnung immer wieder
Anerkennung verschaffen. Deshalb ist eine Bewertung
von unternehmerischen Leistungen nie eine staatliche
Aufgabe. Staatliche Eingriffe in privatwirtschaftliche Eigentumsrechte sind in einer freiheitlichen Demokratie
nicht statthaft. Was soll der Staat regulieren? Wie soll
das gehen? Es ist Sache der Wirtschaft selbst, diese Auswüchse zu stoppen.
Wir haben keine Planwirtschaft, sondern ein freiheitliches System. Hier sind Eigenverantwortung und Augenmaß von der Wirtschaft selbst gefragt. Wir müssen
Transparenz schaffen. Wir müssen deutlich machen, dass
es Dunkelkammern gibt, wo Licht nicht benötigt oder gesucht wird. Hier müssen wir - so wie es Kollege
Bernhardt gesagt hat - die Hauptversammlungen stärken, die Aktionärs- und Anlegerinteressen stärken und
Transparenz - auch im Interesse der Verbraucher - schaffen. Ich denke auch an den Medienbereich, den Sportbereich und viele andere Bereiche.
Ich glaube, der richtige Weg ist, auf die Selbstheilung
der Wirtschaft zu setzen und nicht den Staat als Allheilmittel zu nutzen. Er kann dies nicht leisten. Ich bin gegen politische Placebos. Denn dann werden wir nicht
ernst genommen, und wir können über populistische Reden, wie wir sie hier gehört haben, nicht hinauskommen.
Deswegen darf eine Schieflage in Einzelfällen nicht zu
ordnungspolitischen Fehlentwicklungen führen. Ohne
Eigenverantwortung ist das freiheitliche System der sozialen Marktwirtschaft nicht vorstellbar und nicht handhabbar. Deshalb müssen wir gerade diese Themen sehr
ernst nehmen.
Wenn wir das Steuerrecht weiterhin für eine relativ
geringe Anzahl von Personen in höchst zweifelhafter
Weise verwüsten, dann frage ich mich schon: Ist das das
richtige Rezept? Ich verwahre mich dagegen, dass das
Nettoprinzip unseres Steuerrechts weiter zerstört wird.
({1})
Es gibt nun einmal keine guten und schlechten Einnahmen, es gibt keine guten und schlechten Kosten, und es
gibt keine guten und schlechten Abfindungen. Deswegen müssen wir an den Rahmenbedingungen der sozialen Marktwirtschaft und an den Grundpfeilern unseres
Steuerrechts festhalten. Das Nettoprinzip ist auch in Zukunft einzuhalten. Hier dürfen wir das deutsche Steuerrecht nicht weiter verwüsten. Vielmehr sind Eigenverantwortung und Transparenz für alle anzumahnen.
Es ist natürlich problematisch, wenn ein Konzernvorstand mit goldenem Handschlag verabschiedet wird, obwohl er offenkundig schlecht gearbeitet hat. Ich finde,
das ist eine Frage von Anstand und Moral, der sich die
Vorstände und Aufsichtsgremien selbst annehmen sollten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Anstand und
Moral sind zuallererst eine Sache des Charakters und
nicht staatlicher Regulierungen.
({2})
Wir müssen aufpassen, dass wir in dieser Diskussion
nicht alle über einen Kamm scheren. Denn in unserem
Land gibt es durchaus verantwortungsbewusste Unternehmensführungen, die Erfolge für Wachstum und Beschäftigung erzielen und den Grundsätzen guter Unternehmensführung gerecht werden. Deshalb konnten wir
in den letzten Jahren Erfolge verbuchen.
Diejenigen, die in Führungspositionen sind, haben die
Pflicht, gutes Beispiel und Vorbild zu sein und schlechte
Beispiele zu ächten. Wer glaubt, das per Steuergesetz regeln zu können, ist nach meiner Meinung auf dem Holzweg.
({3})
Vielmehr sollten wir dieses Thema ganzheitlich betrachten und mehr Ethik und Moral im wirtschaftlichen Handeln einfordern.
Diese Debatte sollte nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in der Wirtschaft geführt werden. Corporate Governance ist ein Anfang, aber nur ein Anfang.
Wir müssen Ethik und Moral zur Erhaltung unserer sozialen Marktwirtschaft weiterhin anmahnen, fördern und
auf einen erfolgreichen Weg bringen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, es ist gut, an dieser Stelle zu fragen: Vor
welchem Hintergrund führen wir diese Debatte, und warum ist sie eigentlich so gekommen, wie sie gekommen
ist? Die entsprechenden Entwicklungen bei den Managergehältern sind ja nicht so neu, wie man jetzt aufgrund
mancher Äußerungen meinen könnte.
Es ist wichtig, sich eine Zahl, die Kollege Krüger genannt hat, anzuschauen: Nur 15 Prozent der Menschen
sind der Meinung, die Einkommensverteilung in
Deutschland sei nicht gerecht,
({0})
und das in einem Jahr, in dem die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt sehr positiv war und in dem eigentlich - man erinnere sich an die entsprechenden Äußerungen aus der Großen Koalition - große Begeisterung
herrschen müsste, wie toll es den Menschen geht. Das ist
der Hintergrund dieser Debatte über die Auseinanderentwicklung der Einkommensverteilung.
Der Aufschwung, für den Sie sich in diesem Hause
unwahrscheinlich häufig selbst gelobt haben, ist bei vielen Menschen in unserem Lande nicht angekommen. Die
Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist
erstmals in der Geschichte unseres Landes mitten in einem Aufschwung zurückgegangen und hat nicht zugenommen. Ich finde es wichtig, diesen Hintergrund aufzuzeigen; denn für diese Entwicklung, die erstmalig so
stattgefunden hat, tragen Sie in der Tat die Verantwortung.
({1})
Sie ist nämlich auf drei Faktoren zurückzuführen:
Der erste Faktor ist, dass Sie - auch das ist historisch
einmalig - mit einer 3-prozentigen Mehrwertsteuererhöhung die breite Masse der Menschen in unserem Land
belastet haben. Dass die Menschen am Aufschwung
nicht partizipieren konnten, ist ein Stück die Ernte, die
wir jetzt einfahren. Dafür tragen Sie die Verantwortung.
({2})
Der zweite Faktor, der die Entwicklung treibt, dass
die Menschen weniger Geld in der Tasche haben, obwohl die Wirtschaft gut läuft, sind die Energiepreise.
Hier haben Sie sich dafür entschieden, sich für den
Schutz der Oligopolisten starkzumachen, anstatt dafür
zu sorgen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher
möglichst günstige Preise bekommen. Auch dieser Faktor geht auf Ihr Konto.
({3})
Der dritte Faktor ist die Lohnentwicklung. Wenn die
Menschen an der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung nicht teilhaben, beschweren sie sich natürlich darüber, dass einige Leute gigantische Lohnzuwächse haben. Auch da hat sich die Große Koalition in diesem
Haus im vergangenen Jahr medienwirksam, wahlkampfwirksam um jeden kleinen Schritt gestritten, anstatt etwas dafür zu tun, dass die Menschen über eine gute Lohnentwicklung am Aufschwung teilhaben. Das ist der
Grund für diese Debatte, meines Erachtens viel wichtiger als manch einzelne Fehlentwicklung. Für diese drei
Punkte tragen Sie als Große Koalition die Verantwortung. Da müssen Sie etwas tun.
({4})
Vor diesem Hintergrund findet diese Debatte statt, die
Sie teilweise instrumentalisiert haben.
Wir Grüne sind der Meinung, dass auf die Fehlentwicklungen in den oberen Gehaltsetagen Antworten gefunden werden müssen. Ich greife gern die Bemerkungen von Herrn Bernhardt auf, dass man dieses Thema
breiter diskutieren sollte. Wir schlagen entlang unserer
grünen Linie, des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes, das wir in der rot-grünen Regierungszeit entwickelt haben, Folgendes vor:
Erstens, die Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit. Herr Michelbach, Sie haben gesagt, man dürfe
bei der Steuer nicht zwischen „guten“ und „schlechten“
Ausgaben der Unternehmen unterscheiden. Ich möchte
Sie darauf hinweisen, dass es auch an anderer Stelle Einschränkungen gibt, was absetzbar ist und was nicht, etwa
bei Geschenken.
({5})
Das heißt, das Steuerrecht hat die Aufgabe, an den Stellen, an denen es Fehlentwicklungen gibt, festzulegen,
was angemessen ist und was nicht. Ich finde, man kann
sich da nicht mit dem Verweis auf ein allgemeines Prinzip herausreden. Bei Fehlentwicklungen muss das Steuerrecht eine entsprechende Antwort liefern. Das ist der
erste Punkt, den wir vorschlagen.
({6})
Der zweite Punkt, den wir vorschlagen, ist Transparenz. Transparenz ist kein Larifari, Herr Lafontaine, sie
würde uns an vielen Stellen guttun. Wir können heute
nur deswegen substanziell über Managergehälter reden,
weil wir in der rot-grünen Regierungszeit die Offenlegung der Vorstandsvergütungen verfügt haben.
({7})
Wir glauben, es ist deutlich geworden, dass wir an ein
paar Stellen nachsteuern müssen, weil in Form von Bonus, Prämie etc. in den Unternehmen Ausweichregelungen gefunden worden sind. Da wollen wir Licht hineinbringen.
({8})
Der dritte, entscheidende Punkt: Natürlich geht das,
was die Manager bekommen, auch zulasten der Eigentümer der Unternehmen. Deswegen freue ich mich sehr,
dass hier unser Vorschlag aufgegriffen worden ist, die
Hauptversammlung als Entscheidungsgremium zu
stärken, um eine bessere Kontrolle herzustellen. Damit
bin ich bei der Ursachenbekämpfung, die Sie einfordern,
Herr Dautzenberg.
({9})
Ich finde, die heutige Debatte hat gut gezeigt - das sage
ich noch einmal an die Adresse der Linkspartei -:
Kollege Schick, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Wenn man wie die Grünen einen Vorschlag macht,
der umsetzbar ist und der eine Chance auf Verwirklichung hat, dann kann man in dieser Gesellschaft etwas
vorantreiben. Noch vor kurzem hat die Kanzlerin erklärt,
gesetzliche Regelungen seien nicht nötig. Heute haben
wir gesehen: Gute Vorschläge, wie wir sie vorlegen, bieten die Chance, in unserer Gesellschaft wirklich etwas
zu verändern.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Klaus Uwe Benneter für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte ist ja nicht neu; denn
das, worüber wir uns hier heute wieder unterhalten müssen, ist seit Jahren ein Ärgernis.
Richtig ist: Hier geht es um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Hier geht es wirklich um
das Auseinanderklaffen von Arm und Reich. Das ist etwas, was uns auch ganz aktuell beschäftigt. Diese Debatte ist Teil der Debatte über die Angemessenheit und
Gerechtigkeit der Verteilung von Einkommen und Vermögen in unserer Gesellschaft. Dafür ist der Bundestag
zuständig, Herr Solms.
Hier gibt es offensichtlich eine Schieflage. Zu Beginn
dieses Jahres waren 600 000 Menschen in Deutschland
trotz ihrer vollen Erwerbstätigkeit, obwohl sie also voll
gearbeitet haben, auf ergänzendes ALG II angewiesen.
Auf der anderen Seite werden die Vorstandsbezüge völlig von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt, und
sie steigen massiv an. Das Verhältnis der Vorstandsgehälter zu den durchschnittlichen Belegschaftsgehältern
ist in den letzten 20 Jahren von 14 : 1 auf inzwischen
44 : 1 angewachsen.
({0})
Um dieses Missverhältnis geht es hier. Der soziale
Zusammenhalt, der in der Gesellschaft notwendig ist, ist
in Gefahr. Das ist auch das, was wir hier verfassungsrechtlich zu sehen haben. Verfassungsrechtlich ist es geboten, diese Schere nicht weiter auseinandergehen zu
lassen. Wir dürfen das Band nicht weiter überstrapazieren.
({1})
Herr Kollege Michelbach, Sie haben von Ethik und
Moral gesprochen. Das ist sicher richtig. Es ist aber natürlich nicht mit Ethik und Moral vereinbar, wenn jemand, der im gleichen Betrieb bzw. Unternehmen tätig
ist, tausendmal mehr verdient als ein einfacher Arbeiter.
Ist denn die Qualität seiner Arbeit so viel besser und sein
Engagement so viel höher? Hat er eine so viel bessere
und längere Ausbildung? Hat er so viele besondere Fähigkeiten? Hat er alles tausendmal mehr? Ist er so unersetzlich? Ist das noch leistungsorientiert, Herr Solms?
Ich denke, das sind die gleichen Leute, die einerseits
Lohndrückerei nach unten zu verantworten haben und
andererseits ihre eigenen Gehälter nach oben schrauben.
Das dürfen wir so nicht mitmachen.
({2})
Wir dürfen nicht länger zusehen, wenn Misserfolge
mit Gagen in Millionenhöhe vergoldet werden. Warum
soll derjenige, der aus eigenem Antrieb aus einem Unternehmen ausscheidet, hinterher überhaupt noch eine Abfindung bekommen?
Meine Damen und Herren, es ist natürlich schlecht
möglich, diesen Herren - insbesondere sind es ja Männer; in der Regel sind es keine Frauen - per Gesetz Ethik
und Moral zu verordnen oder Moral beizubringen. Wir
können durch ein Gesetz aber Transparenz und Durchschaubarkeit schaffen, um darüber zu neuen Anstandsregeln zu kommen.
Die SPD hat sofort gehandelt und eine Arbeitsgruppe
eingesetzt, die noch im Frühjahr seriöse, konkrete und
konstruktive Empfehlungen zur Angemessenheit und zur
Transparenz von Managergehältern geben wird.
({3})
Da wird es keine Placebos geben.
Es wird sicher nicht darum gehen, die Vorstandsgehälter einfach nur zu deckeln. Das würde mit dem
Eigentumsrecht sicher nicht vereinbar und mit unserer
Verfassung auch sicher nicht einfach in Einklang zu
bringen sein. Herr Solms, richtig ist, dass die Vertragsfreiheit verfassungskonform ausgestaltet werden muss,
so wie es auch im Mietrecht und bei allen Verbraucherschutzrechten gilt. Wir sorgen dafür, dass die Vertragsfreiheit im Sinne unserer Verfassung und im Sinne des
sozialen Zusammenhalts dieser Gesellschaft ausgestaltet
wird.
Insofern brauchen wir hier nicht einen abstrusen Vorschlag der PDS nach dem anderen auf dem Tisch, Herr
Lafontaine, sondern für uns reicht es, dass der Bundesfinanzminister Steinbrück inzwischen auch darangegangen ist, einen Kodex für all die Unternehmen zu schaffen, an denen der Bund beteiligt ist. Sie haben recht:
Bundesunternehmen müssen in dieser Frage für uns
Vorbild sein.
({4})
Der Antrag der Grünen ist ein gut gemeinter Vorschlag, aber auf den sind wir inzwischen selbst gekommen.
({5})
Wir haben bei dieser Frage auch in der Vergangenheit
schon gut zusammengearbeitet. Das Steuerrecht ist für
seine Elastizität bekannt, und es lässt Spielräume. Das
Argument, es handele sich um einen Verstoß gegen das
Nettoprinzip, ist nicht überzeugend. Der Gesetzgeber ist
diesbezüglich schon einmal tätig geworden. Kollege
Dr. Krüger hat dargelegt, dass es für Aufsichtsratsvergütungen im Körperschaftsteuergesetz eine Regelung
gibt, wonach sie nur zur Hälfte steuerlich abzugsfähig
sind.
Grundsätzlich gilt, dass freiwillige Vereinbarungen
vorgehen; das haben wir mit den Grünen damals auch so
vereinbart. Die Verantwortung für die Gestaltung von
Vorstandsbezügen liegt ganz klar bei denjenigen, die in
den jeweiligen Unternehmen die Verantwortung tragen.
Vor der Verabschiedung des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes, das wir zusammen mit den Grünen gemacht haben, haben wir mit dem Deutschen Corporate
Governance Kodex auf Freiwilligkeit gesetzt. Wir mussten aber feststellen, dass dies nicht ausreicht, um zu den
gewünschten Ergebnissen zu kommen.
Deshalb brauchen wir neue Vorschläge für präzise
und standardisierte Regelungen. In deren Rahmen
müssen auch Pensionszahlungen, die bisher sehr
undurchsichtig sind, berücksichtigt werden. Durch das
Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz haben wir erreicht, dass inzwischen immerhin 29 der 30 DAX-Unternehmen die Vorstandsvergütungen individualisiert offengelegt haben. Von der Opting-out-Regelung hat bisher
nur ein DAX-Unternehmen - die neu in den DAX aufgenommene Merck KGaA - Gebrauch gemacht. Vielleicht
sollte man sich überlegen, dieses Unternehmen aus dem
DAX herauszunehmen, wenn es auf diese Art und Weise
den Durchschnitt nach unten treibt.
Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz
erstellt inzwischen jährliche Studien, die uns einen guten
Überblick verschaffen und damit Vergleichbarkeit gewährleisten. Aber sie stellt immer wieder fest, die Offenlegungen müssten standardisiert werden, damit eine
noch bessere Vergleichbarkeit möglich wird. Zudem
muss alles offengelegt werden, also Grundvergütung,
Fixgehälter, Boni, Sonderboni, Pensionen, Übergangsregelungen, Sachbezüge und natürlich alle aktienbasierten
Vergütungen. All das muss offengelegt werden.
Ich gehe davon aus, dass die von uns eingesetzte Arbeitsgruppe, die im Frühjahr ihre Empfehlungen abgeben wird, einen ganz konkreten Vorschlag machen wird.
Wir brauchen kein Placebo. Individualisiert, standardisiert und vergleichbar werden die Veröffentlichungen
gemäß den neuen Regelungen sein. Wenn Frau Merkel
der Mut bis dahin nicht verlassen hat, dann werden wir
gemeinsam schnell zur Verabschiedung entsprechender
Gesetze kommen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Debatte werden
mit den beiden Anträge der Grünen und der Linksfraktion zu Managerabfindungen und Managervergütungen
- was zweierlei ist - Themen angesprochen, die allgemein diskutiert, aber aus meiner Sicht mit den vorliegenden Anträgen nicht gelöst werden.
Auch mich und die FDP ärgert es, und ich finde, es ist
nicht in Ordnung, wenn zeitgleich mit der Entlassung
von Tausenden Menschen eine Erhöhung der Vorstandsbezüge erfolgt. Aber auf der anderen Seite muss man sehen, dass das ein negativer Auswuchs ist; es gibt auch
andere Beispiele. Ich halte es für ein außergewöhnliches
Verhalten, dass der Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, Klaus-Peter Müller, in den Aufsichtsrat wechselt
und gleichzeitig freiwillig auf einen vertraglichen Anspruch in Höhe von mehreren Millionen Euro verzichtet.
Diese beiden Beispiele zeigen, dass es zwar in der
Wirtschaft wie überall schwarze, aber auch weiße Schafe
- das sind die positiven Ausnahmen - gibt.
({0})
Es gibt sogar Betriebsräte wie den der Firma Porsche
- der Name Wiedeking ist nicht erst von mir in die Diskussion eingeführt worden -, die öffentlich erklären, die
Vergütung ihres Vorstandsvorsitzenden sei absolut in
Ordnung und die Mitarbeiter des Unternehmens stünden
voll dahinter. Der Betriebsratsvorsitzende der Firma Porsche erinnert in diesem Zusammenhang an die Misere
seiner Firma in den 90er-Jahren - ich zitiere, Herr
Lafontaine -:
Wir hatten schon einmal sehr günstige Vorstände.
Die waren so günstig, dass wir fast pleite gegangen
sind.
Deshalb bin ich der Auffassung, dass die gesamte
Diskussion, in der so viel durcheinandergeworfen wird,
etwas differenzierter geführt werden sollte. Dazu möchte
ich auf drei Punkte eingehen.
Erstens. Die Diskussion nimmt ihren Ursprung in
dem Verhalten einzelner Manager börsennotierter Unternehmen. Diese Unternehmen stellen aber nur einen verschwindend geringen Anteil aller Unternehmen in
Deutschland dar. Die meisten Unternehmen sind inhabergeführte Familienunternehmen. Für sie zählen nicht
die Kurzfristigkeit, der Quartalsbericht oder die Börsenperformance, sondern die langfristige Unternehmensausrichtung im Interesse des Betriebes über Generationen
hinweg und im Interesse der Arbeitnehmer. Denn nirgendwo sonst stehen Unternehmer und Arbeitnehmer so
eng zusammen wie in diesen familiengeführten Betrieben.
({1})
Insofern kann ich nur feststellen, dass die kritisierten
Verhaltensweisen in diesen Familienbetrieben nicht zu
finden sind. Mir jedenfalls ist kein kritischer Punkt bekannt. Deshalb warne ich vor einer allgemeinen Unternehmerschelte. Denn der Aufschwung der letzten Jahre,
das Steigen der Zahl der Arbeitsplätze und das Sinken
der Arbeitslosigkeit konnten nur deshalb erfolgen, weil
die Arbeitnehmer Lohnzurückhaltung geübt haben und
die Gewerkschaften maßvoll waren, aber auch, weil die
Unternehmer in ihren Betrieben die notwendigen Umstrukturierungen durchgeführt haben, die dazu beigetragen haben, dass mehr Menschen eingestellt werden kön14298
nen. Insofern bitte ich, von dem Schwarz-Weiß-Denken
Abstand zu nehmen.
({2})
Zweitens. Wer ist für die Lohnfindung zuständig? Die
Lohnfindung ist nach unserer Auffassung und auch aus
Sicht des Grundgesetzes nicht Aufgabe des Staates, sondern der Tarifvertragsparteien, der Arbeitnehmer und
Arbeitgeber. In Aktiengesellschaften ist die Lohnfindung für die Vorstände - über dieses Thema diskutieren
wir heute - Sache der Eigentümer. Bei Aktiengesellschaften werden die Eigentümer durch den Aufsichtsrat
vertreten. Bei ihm liegt die Entscheidung, aber auch die
Verantwortung.
Bei dieser Lohnfindung in den Aktiengesellschaften,
in denen schließlich auch die betriebliche Mitbestimmung gilt, haben die Vertreter der Arbeitnehmer diesen
Vergütungen fast immer zugestimmt. Das gilt im Übrigen auch für Abfindungen. Insofern sollte man an dieser
Stelle fragen, ob man diese Regelungen ändern will. Wir
als FDP halten sie für richtig. Die Zuständigkeit liegt bei
der richtigen Stelle. Der Staat hat sich herauszuhalten.
Die Arbeitnehmer sind entsprechend vertreten. Über die
sie vertretenden Personen werden sie tätig. Sie sind viel
besser in der Lage, die Situation eines Unternehmens
und die Leistungen der einzelnen Vorstandsmitglieder zu
beurteilen, als der Staat.
({3})
Drittens. Der Staat hat eine Verantwortung, und zwar
vor allem in der Frage der Besteuerung. Je mehr jemand
verdient, desto mehr Steuern muss er zahlen. Ich halte es
für gerecht, dass in einem progressiven Tarif, den auch
die FDP in ihrem Steuermodell vorsieht, die Leistungsfähigen stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls herangezogen werden als die weniger Leistungsfähigen.
Die Hälfte aller Lohn- und Einkommensteuerzahler
zahlen etwa 95 Prozent der gesamten Einkommensteuer.
Die obersten 5 Prozent der Lohn- und Einkommensteuerzahler zahlen fast die Hälfte des gesamten Steueraufkommens in unserem Land. Bei Managervergütungen
und -abfindungen wird also etwa die Hälfte des Betrags
als Steuer erhoben, Herr Lafontaine, um damit öffentliche Aufgaben zugunsten der Allgemeinheit zu finanzieren.
({4})
Daran will keiner rütteln, aber es muss in dieser Diskussion auch angesprochen werden.
({5})
Zu dem angesprochenen Punkt, warum die Kaufkraft
der Bürger nicht entsprechend gestiegen ist, muss ich
feststellen: Es ist erstaunlich, wie sehr sich der Finanzminister für stärkere Lohnerhöhungen einsetzt. Ich bin
auf die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gespannt; denn der Finanzminister agiert gleichzeitig treuhänderisch für die Steuerzahler und möchte die zusätzlichen Belastungen durch Lohnsteigerungen nicht in
seinem Etat zu verantworten haben.
Kollege Thiele, Sie haben jetzt den Kredit, den Ihnen
Herr Solms gewährt hat, aufgebraucht. Kommen Sie
bitte zum Schluss.
Herzlichen Dank. Ich komme zum Schluss.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang nicht die
Bruttofrage, sondern die Nettofrage, das heißt, was den
Bürgern netto von dem bleibt, was sie erarbeitet haben.
Wir sind der Auffassung, dass die Steuererhöhungspolitik der Großen Koalition beendet werden muss. Die Bürger müssen entlastet werden, damit sie endlich wieder
mehr von dem behalten, was sie selbst erarbeitet haben.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege
Dr. Michael Fuchs das Wort.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Kollege Lafontaine, mir kommen immer die Tränen,
wenn ausgerechnet Sie über Moral sprechen.
({0})
Das kommt mir so vor, als ob ein Mafiaboss über eine
Antidrogenkampagne spräche. Das hat auf mich ungefähr die gleiche Wirkung.
({1})
Herr Lafontaine, Sie waren Finanzminister in dieser
Republik und sind davongelaufen. Nichts von dem, was
Sie heute postulieren, haben Sie damals auch nur annähernd umzusetzen versucht. Ich weiß gar nicht, was Sie
wollen. Sie haben Ihre Partei verlassen und sind einfach
- amoralisch - weggelaufen.
({2})
Sonst haben Sie gar nichts gemacht. Dafür sollten Sie
sich schämen. Ich kann absolut nicht mehr akzeptieren,
von Ihnen Moralpredigten in diesem Hohen Hause zu
hören.
Wir reden über Managerabfindungen so, als wäre es
ein Verbrechen, wenn Firmen solche zahlen. Wer entscheidet das denn? Ausschließlich die Aufsichtsräte in
den mitbestimmten großen Unternehmen.
({3})
Wir wollen klar und deutlich festhalten, dass nie eine
Abfindung gezahlt wird, ohne dass die Arbeitnehmerbank mitspielt.
({4})
Der Kollege Ernst von der Linken beispielsweise ist
heute wahrscheinlich aus lauter Scham gar nicht anwesend; denn er sitzt bei SKF sowie bei Fichtel & Sachs im
Aufsichtsrat. Beide Konzerne sind mitbestimmte große
Unternehmen. In beiden Unternehmen entscheidet der
Kollege über Managervergütungen und Managerabfindungen mit, sofern solche zu zahlen sind. Es gibt sicherlich noch mehr Abgeordnete, die in Aufsichtsräten sitzen.
({5})
Wir wollen festhalten: Die Verantwortung ist durch
den Gesetzgeber klar und deutlich geregelt. Es handelt
sich um Entscheidungen, die in mitbestimmten Unternehmen vom Aufsichtsrat gefällt werden. Dorthin gehört es auch. Die Eigentümer, die den Aufsichtsrat
wählen - das sind die Aktionäre -, bestimmen, wer im
Aufsichtsrat sitzt. Die Arbeitnehmerbank wird nicht auf
diese Art bestimmt, wie wir wissen. Aber die Gewerkschafter sind dort vertreten, zum Beispiel Herr Zwickel
bei Mannesmann oder Herr Peters bei VW, der im Aufsichtsrat bereits über Abfindungen mitbestimmt hat.
Spielen Sie sich also nicht so auf, und tun Sie bitte nicht
so, als wäre das Ganze amoralisch und als gingen die Eigentümer mit dem Geld anderer Leute um, als wäre es
ihr eigenes.
({6})
Wir haben hier nichts anderes zu tun, als eine saubere
und ordnungsgemäße Regelung zu treffen. Wir sollten
die Kontrollgremien stärken. Ich bin auf jeden Fall dafür, hier Transparenz walten zu lassen; darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber es gelten schon Gesetze, die für Transparenz sorgen.
Lieber Herr Benneter, das gilt auch in den Bereichen,
in denen Sie Verantwortung tragen. Wenn ich richtig informiert bin, waren Sie eine Zeit lang im ZDF-Fernsehrat vertreten. Haben Sie dort für Transparenz bei den
Gehältern von Herrn Gottschalk und ähnlichen Größen,
die deutlich höhere Gehälter haben als die meisten Manager in dieser Republik, gesorgt? Auch hier müssen wir
die gleichen Forderungen aufstellen. Ich bin der Meinung: Wenn Transparenz in den Unternehmen geschaffen wird, dann gilt das auch für den öffentlich-rechtlichen Bereich. Die Herren und Damen, die im ZDFFernsehrat und in ähnlichen Gremien vertreten sind,
müssen für die gleiche Transparenz sorgen, die wir von
Unternehmen verlangen.
Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Benneter?
Aber selbstverständlich. Ich habe ihn ja als lieben
Kollegen bezeichnet.
Herr Kollege Fuchs, stimmen Sie mir zu, dass zwei
Fünftel der Mitglieder in dem ZDF-Fernsehrat, in dem
ich vergleichsweise kurze Zeit vertreten war, CDU-Mitglieder sind bzw. dem von Bundesverteidigungsminister
Franz Josef Jung geleiteten Freundeskreis angehören?
({0})
Ich kenne nicht den gesamten ZDF-Fernsehrat, verehrter Herr Kollege; ich weiß nur, dass Sie in diesem
Gremium waren. CDU-Mitglieder sind genauso über die
üblichen Gremien gewählt worden. Ich bin dafür, dass sie
da drin sind; ich bin auch dafür, dass Sie da drin waren. Es
tut mir leid, dass Sie damals eine so kurze Karriere als
Generalsekretär Ihrer Partei gemacht und deswegen relativ schnell den Fernsehrat verlassen haben.
Meine Forderung bezog sich auf die Transparenz im
öffentlich-rechtlichen Fernsehbereich; um nichts anderes
geht es mir. Wenn wir Transparenz in den Unternehmen
fordern, dann müssen wir als Erstes Transparenz in den
Bereichen durchsetzen, die für uns originär sind, weil
wir dort Miteigentümer sind und etwas zu sagen haben.
Das sollten wir dann auch gemeinsam tun.
({0})
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, ich möchte
noch den Unsinn korrigieren, den die Linke verbreitet,
dass nämlich der Staat diese Abfindungen subventioniere.
({1})
Nehmen wir einmal folgendes Rechenbeispiel an: Jemand bekommt 10 Millionen Euro Abfindung. Dann
spart das Unternehmen Steuern in Höhe von
3 Millionen Euro. Der Abgefundene zahlt darauf aber
45 Prozent plus Soli plus Kirchensteuer, insgesamt also
annähernd 50 Prozent Steuern. Das bedeutet, dass der
Staat in diesem Fall eine Mehreinnahme von 2 Millionen
Euro hat. Bei einer Abfindung hat der Staat höhere Einnahmen, wenn der Abgefundene anstelle des Unternehmens die Steuern zahlt. Das ist simples Steuerrecht, liebe
Kollegin Scheel; das wissen Sie auch. Deswegen wollen
wir nicht so tun, als subventionierte der Staat die Abfindungen.
Ich habe ein Problem damit, dass wir hier die ganze
Zeit über eine Neiddebatte führen. Wer sind denn die
Leistungsträger dieser Nation? Herr Kollege Thiele hat
eben schon Zahlen dazu genannt. Ich habe mir auch einige Zahlen herausgesucht. Heute gilt als arm, wer über
weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Vor 15 Jahren lag die offizielle Armutsgrenze bei
50 Prozent des Durchschnittseinkommens. Automatisch
sind 10 Prozent ärmer geworden, als wir die Grenze angehoben haben. 1989 galt in Westdeutschland jemand als
arm, der weniger als 340 Euro im Monat hat. 2003 lag
dieser Wert bereits bei 974 Euro. Sie sehen also, wie sich
durch diese Statistiken einiges ganz gewaltig verschoben
hat.
({2})
10 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen verfügen heute über ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen - dabei ist eingerechnet, dass
beide arbeiten - von 10 100 Euro, also nicht etwa 50 000
oder 100 000 Euro oder viel mehr. Diese 10 Prozent zahlen monatlich 4 500 Euro Steuern. Ist das gerecht?
({3})
Ist es nicht ziemlich fragwürdig, dass wir sie in diesem
Maße beanspruchen? Das ist nämlich leistungsmindernd, und das ist auch einer der Gründe, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, warum viele überlegen, ob der
Standort Deutschland für sie der richtige ist. Es muss
doch in diesem Hohen Hause erlaubt sein, dass wir auch
darüber nachdenken, warum 150 000 gut ausgebildete
junge Menschen Jahr für Jahr unser Land verlassen. Wir
müssen diesen Braindrain, diesen Verlust an Humankapital, so schnell wie möglich wieder stoppen und etwas
tun, damit diese Menschen bei uns bleiben.
({4})
Warum gehen denn diese Leistungsträger weg? Es kann
doch nicht wahr sein, dass uns so viele verlassen.
Ich halte es auch für richtig, dass wir das angesprochene Problem in die Eigenverantwortung der Wirtschaft legen. Die Cromme-Kommission wurde im Jahre
2002 gegründet. Sie hat einen Corporate Governance
Kodex vorgelegt, der gut funktioniert. Dieser Kodex ist
mit uns abgestimmt worden, und wir wissen, was in ihm
steht. Im Jahr 2007 hat Herr Cromme einen Kodex-Report vorgelegt. Dabei ist festgestellt worden, dass
97,3 Prozent der Empfehlungen dieses Corporate Governance Kodex in den großen deutschen Unternehmen umgesetzt sind. Das heißt, wir sollten uns in diesem Hohen
Hause vor diesen Pauschalverunglimpfungen der deutschen Wirtschaft und des deutschen Managements hüten.
({5})
Das ist nicht in Ordnung; denn wir sehen gerade an dieser Zahl: Wenn 97,3 Prozent umgesetzt werden, dann ergibt ein solcher Kodex einen Sinn und zeugt von der Eigenverantwortung der Unternehmen.
Lassen Sie mich zum Abschluss Dieter Hundt, den
Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, zitieren, der auf dem letzten Arbeitgebertag folgende Sätze gesagt hat:
Ohne Legitimation nach innen bleibt die Marktwirtschaft gefährdet, auch wenn sie keinen äußeren
Feind mehr hat. Marktwirtschaft braucht nicht nur
Wettbewerbsregeln, sondern auch eine Ethik der
Verantwortung als Sperre gegen Kontrollverlust
und Maßlosigkeit.
Wenn das der Präsident der deutschen Arbeitgeber sagt,
dann zeigt das, dass zumindest die Arbeitgeber sehr genau wissen, worauf es ankommt. Wir sollten uns aus
dem Geschäft dieser Unternehmen heraushalten. Das ist
nicht unsere Aufgabe. Wir sollten dafür sorgen, dass
Transparenz da ist - das können wir gerne tun -, aber
mehr auch nicht.
({6})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte ist nun schon sehr lange geführt
worden. Gleichwohl möchte ich dem Kollegen Fuchs
mit auf den Weg geben: Glauben Sie mir, die Gewerkschaften sind wichtig, aber in aller Regel sind sie nicht
das entscheidende Element bei der Findung von Vorstandsgehältern. Das sollte man vielleicht wieder ins Koordinatenkreuz rücken.
({0})
Zum anderen möchte ich darauf verweisen, dass wir
zu rot-grünen Zeiten zu Recht gemeinsam mit der Wirtschaft vereinbart haben, einen Corporate Governance
Kodex zu entwerfen. Ich finde - ich gehöre zu denen, die
immer noch zuerst an die bestehenden Instrumente denken -, wir sollten uns diesen Kodex noch einmal anschauen. Diese Verhaltensregeln sind in der Politik breit
akzeptiert, von den betroffenen Unternehmen allerdings,
Kollege Fuchs, nicht an der entscheidenden Stelle von
allen umgesetzt worden. Jedenfalls sind die 3 Prozent,
die fehlen, wahrscheinlich die, über die wir heute miteinander diskutieren.
Wenn ich mir das anschaue, dann muss ich sagen: Ich
habe an bestimmten Stellen wenig Verständnis für Vorstände, für Vorstandsvorsitzende und für die Repräsentanten des BDI, des DIHK und des BDA, wenn sie in einer globalisierten Welt bewusst hinter das zurückfallen,
was in angloamerikanischen Ländern seit Jahr und Tag
üblich ist, nämlich die detaillierte Auflistung der Gehälter, auch der Pensionszusagen und der entsprechenden Aktienbestände, die einzelne Vorstandsmitglieder
vorzuweisen haben. Hier wird immer über Neid geredet.
Wissen Sie, das Hauptproblem von Neid ist, dass Einzelne immer versuchen, aus einer Sache ein Geheimnis
zu machen. Erst dann wird das Fragezeichen gesetzt und
gefragt: Was ist da eigentlich los, warum sagen die uns
nicht, wie viel sie am Ende verdienen?
Ich will an der Stelle Punkt 4 des Corporate Governance Kodex zitieren. Dort heißt es ganz klar, dass das
Aufsichtsratsplenum auf Vorschlag des Gremiums, das
die Vorstandsverträge behandelt, die Vergütung aushandeln soll. Weiter:
Die Vergütung der Vorstandsmitglieder wird vom
Aufsichtsrat unter Einbeziehung von etwaigen Konzernbezügen in angemessener Höhe auf der Grundlage einer Leistungsbeurteilung festgelegt.
Im Übrigen sollen „der Erfolg und die Zukunftsaussichten des Unternehmens“ und auch ein „Vergleichsumfeld“ berücksichtigt werden. Wenn hier Kriterien transparent nach außen vermittelt werden, lässt sich vieles
nachvollziehen. Es lässt sich aber nicht nachvollziehen,
wenn 2002, 2003 in einer konjunkturell schwierigen
Phase, in einer Phase der Umstrukturierung und der Entlassung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Vorstandsgehälter offensichtlich nicht orientiert an den entsprechenden Leistungskriterien angehoben werden. Das
kann nicht sein.
({1})
Wenn dies zudem in Unternehmen passiert, die erhebliche Abschreibungen vornehmen, weil sie offensichtlich
betriebswirtschaftliche Probleme gehabt haben, dann
muss hier ein großes Fragezeichen gesetzt werden.
({2})
Außerdem sollten wir uns einmal mit der Frage der
Abfindungen, die hier immer wieder eine große Rolle
gespielt haben, auseinandersetzen. In den Verhaltensregeln, die unter der Leitung von Herrn Cromme in den
Jahren 2000 bis 2002, also in unserer Zeit, das Licht der
Öffentlichkeit erblickt haben,
({3})
heißt es ebenfalls:
Bei Abschluss von Vorstandsverträgen sollte darauf
geachtet werden, dass Zahlungen an ein Vorstandsmitglied bei vorzeitiger Beendigung der Vorstandstätigkeit ohne wichtigen Grund einschließlich Nebenleistungen den Wert von zwei Jahresvergütungen
nicht überschreiten …
Wenn dies der Maßstab gewesen wäre, hätte es nie einen
Mannesmann-Skandal gegeben. Wir glauben, dass das,
was hier steht, richtig ist. Warum wird das eigentlich
nicht von allen in entsprechender Weise beachtet, frage
ich mich.
({4})
Hinzu kommt - ich habe eben vergessen, das zu zitieren; es ist eines der Probleme -: „… und nicht mehr als
die Restlaufzeit des Anstellungsvertrages vergüten“. Das
bezieht sich auf diejenigen, die sich die Nase vergolden
lassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo immer Sie
hier sitzen: In Wahrheit ärgert uns, was bei diesen Personen geschieht.
Ich will ausdrücklich noch etwas Positives sagen.
Wenn Sie sich einmal Vorstandsgehälter anschauen,
dann erkennen Sie: Es gibt eine deutliche Zäsur zwischen den Vorstandsgehältern in DAX-Unternehmen
und denen in MDAX-, TecDAX- und SDAX-Unternehmen. Da reden wir schon von einer ganz anderen Gehaltsliga.
Aber auch unter den DAX-Unternehmen gibt es
große Unterschiede; das muss man ehrlicherweise sagen.
Auf einige dieser Unternehmen wird immer wieder sehr
kritisch losgegangen. Ich will hinzufügen: Es gibt ein
paar DAX-Unternehmen, die die Höhe der Vorstandsgehälter veröffentlicht haben, etwa Bayer, Deutsche Bank,
SAP und Thyssen-Krupp. Ich kann nur sagen: Weiter so,
Beispiel geben! Das müssen die Vertreter der Verbände
gegenüber ihren Unternehmen endlich durchsetzen, damit die deutsche Wirtschaft in der gesellschaftlichen Debatte glaubwürdig werden kann.
({5})
- Und Herr Hundt sowieso. Herr Hundt ist ja immer dabei.
Ich finde, dass wir in jedem Fall alle diese Möglichkeiten ausschöpfen sollten. In der Vergangenheit, insbesondere seit der ersten Transparenzdiskussion, hat man
leider Gottes die Erfahrung gemacht, dass es eines Gesetzes bedurfte, weil man sich an nichts anderes halten
wollte. Gerade seitens der Wirtschaft wird immer wieder
gefordert: Bitte entbürokratisieren und nicht noch mehr
Gesetze. Wenn man das verlangt, dann muss man sich
auch auf bestimmte Verhaltensregeln einlassen, die nicht
nur irgendwelche PDS-Funktionäre fordern, sondern sogar dem Willen derer entsprochen haben, die sie aufgestellt haben. Verdammt noch mal, das muss doch umsetzbar sein! Da ist in allererster Linie die Wirtschaft
gefragt.
({6})
Ich will noch einmal darauf verweisen, dass wir allesamt uns mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie
wir es ansonsten eigentlich halten. Ich glaube, es ist ein
Problem, dass wir in Deutschland das Instrument der
Aktienoptionen eingeführt haben, und zwar in einer
Größenordnung, die nicht unproblematisch ist. Wir sollten auch das reflektieren. Ja, es geht um Shareholder-Value. Aber es geht auch um Unternehmensbestand, um
Volkswirtschaft, um Arbeitsplätze und um langfristige
Dimensionen unternehmerischen Handelns. Auch deshalb muss man so etwas in einem offenen Dialog mit der
Unternehmerschaft in diesem Lande reflektieren.
Auch wenn der Erfolgsbestandteil eines Gehalts möglichst hoch sein soll, müssen nicht zwangsläufig die
Grundgehälter erhöht werden; es gibt auch andere Möglichkeiten der Erfolgsvergütung. Ich füge hinzu: Die armen Vorstände haben es bisweilen mit dem Problem zu
tun, ihre Aktien zu einem falschen Zeitpunkt zu verkaufen, wodurch sie womöglich in den Verdacht geraten,
Insiderhandel betrieben zu haben. Auch das ist nicht sehr
bequem. Das ist ein Aspekt, den wir berücksichtigen
sollten. Wir sollten weiter miteinander darüber diskutieren.
Ich habe jetzt meine neun Minuten fast geschafft, obwohl mir das keiner zugetraut hätte.
({7})
Ich meine, die Politik sollte nicht nur Vorschläge machen - es gab Vorschläge von unserer Fraktion und vonseiten der Grünen, was die steuerliche Betrachtung höherer Managergehälter betrifft -, sondern auch dazu
einladen, den Dialog auf der Grundlage der Verhaltensregeln fortzusetzen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Verhaltensregeln in diesem Lande nicht durchsetzbar sind, obwohl es doch in der Welt viele Beispiele
dafür gibt, dass solche Regeln im Grunde zum Einmaleins unternehmerischen Handelns und unternehmerischen Verhaltens gehören.
Schönen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/7530 und 16/7743 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 e und
20 sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
29 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Masseur- und Physiotherapeutengesetzes und
anderer Gesetze zur Regelung von Gesundheitsfachberufen
- Drucksache 16/1031 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Finanzen
und zur Änderung des Münzgesetzes
- Drucksache 16/7616 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Innenausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Betriebsprämiendurchführungsgesetzes
- Drucksache 16/7685 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Josef Philip Winkler, Volker Beck
({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
UN-Wanderarbeiterkonvention endlich ratifizieren
- Drucksache 16/6787 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({4})
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJosef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Deutschen Bundestag zum Vorbild für die
sparsame und klimafreundliche Stromversorgung machen
- Drucksache 16/7529 Überweisungsvorschlag:
Ältestenrat ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
20 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth ({6}), Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bundeswildwegeplan als Ergänzung zum Bundesverkehrswegeplan
- Drucksache 16/7145 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({7})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 3 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2007
- Drucksache 16/6385 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/7529 zu Tagesordnungspunkt 29 e soll federführend beim Ältestenrat beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis
30 e. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 a auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen
der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen
Interessen beeinträchtigen
- Drucksache 16/6965 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({9})
- Drucksache 16/7517 Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Kolbe
Lothar Binding ({10})
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7517, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6965 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann
ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Zur Erklärung für unsere Besucherinnen und Besucher und für manch einen Fragenden hier aus dem Saal:
Es handelt sich um ein Vertragsgesetz. Deshalb stimmen
wir gleich abschließend ab, eine dritte Lesung findet in
diesem Fall nicht statt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 b auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
24. April 2007 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit des Luftraums
bei Bedrohungen durch zivile Luftfahrzeuge
- Drucksache 16/7219 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({11})
- Drucksache 16/7766 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Raidel
Dr. Hans-Peter Bartels
Paul Schäfer ({12})
Winfried Nachtwei
Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7766, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7219
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Gesetzentwurf bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Zustimmung
der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDPFraktion angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 c auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vereinfachung und Anpassung statistischer Rechtsvorschriften
- Drucksache 16/7248 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13})
- Drucksache 16/7732 Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Wicklein
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7732, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/7248 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion der Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30 d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({14}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der
Gemeinschaft für Beförderungen aus oder
nach einem Mitgliedstaat oder durch einen
oder mehrere Mitgliedstaaten
KOM ({15}) 265 endg.; Ratsdok 10092/07
- Drucksachen 16/5806 Nr. 10, 16/7370 Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? 14304
Vizepräsidentin Petra Pau
Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({16})
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2006 - Einzelplan 20 - Drucksachen 16/6129, 16/7518 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Petra Merkel ({17})
Dr. Claudia Winterstein
Anja Hajduk
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, also
für die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist
diese Empfehlung einstimmig angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, also
für die Erteilung der Entlastung? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Auch
diese Empfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Gute konjunkturelle Entwicklung als Basis für
nachhaltige Rentenfinanzen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner.
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Die gesetzliche Rentenversicherung ist
der größte Zweig der Sozialversicherung. Jährlich zahlt
sie an über 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner
Leistungen mit einem Gesamtvolumen von über
200 Milliarden Euro aus.
Bereits diese Zahlen verdeutlichen ihre große sozialpolitische Bedeutung und die Verantwortung, die damit
verbunden ist. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss eine stabile Finanzlage der Rentenversicherung stets oberste Priorität haben. Denn nur so kann die
gesetzliche Rente das Vertrauen der Menschen gewinnen
und dauerhaft behalten - ein Vertrauen, das ein solches
generationenübergreifendes System unbedingt benötigt.
Die aktuelle finanzielle Situation der gesetzlichen
Rentenversicherung kann sich in der Tat sehen lassen.
Der wirtschaftliche Aufschwung ist auch an dieser Stelle
deutlich zu spüren. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass der Staat in die gesetzliche Rentenversicherung
derzeit Zuschüsse von rund 78 Millionen Euro jährlich
zahlt.
({0})
- Ich war Tiefstapler; es ist besser, wenn man ein bisschen aufwertet. Ich korrigiere: 78 Milliarden Euro jährlich. - Die Einnahmen aus Pflichtbeiträgen belaufen sich
für das Jahr 2007 auf rund 153,6 Milliarden Euro. Dabei
müssen für einen Vorjahresvergleich die Einmaleffekte
aus der Anhebung des Beitragssatzes auf 19,9 Prozent
zum 1. Januar des vorigen Jahres und aus dem Vorziehen
der Beitragsfälligkeit berücksichtigt werden. Tut man
dies, so ergibt sich ein Einnahmeplus von 3,8 Prozent.
Diese erfreuliche Entwicklung ist zum einen auf die
anhaltend gute Konjunktur zurückzuführen. Sie ist zum
anderen jedoch auch ein Ergebnis der Wirkungen, die
unsere Arbeitsmarktreformen entfalten; denn wenn sich
die Situation am Arbeitsmarkt verbessert, dann verbessert sich auch die finanzielle Situation der Sozialversicherung. Die Zahl der Arbeitslosen ist im Verlauf des
vergangenen Jahres um rund 700 000 Personen gesunken. Das stabilisiert die Rentenversicherung dauerhaft.
So konnte die Nachhaltigkeitsrücklage in 2007 auf einen
Betrag von 11,7 Milliarden Euro aufgebaut werden.
Diese Rücklage entspricht rund einer dreiviertel Monatsausgabe. So befinden wir uns etwa auf halbem Weg hin
zum gesetzlich fixierten Höchstwert von 1,5 Monatsausgaben.
Die positive Entwicklung der Rentenfinanzen wird in
den nächsten Jahren anhalten. Diese Aussage lässt sich
heute auf seriöser Basis machen. Das bedeutet vor allem:
Der Beitragssatz zur Rentenversicherung von derzeit
19,9 Prozent wird auch in den nächsten Jahren stabil
bleiben. Eine Absenkung allerdings erscheint aus heutiger Sicht frühestens im Jahr 2011 möglich. Aller Voraussicht nach wird erst dann die Nachhaltigkeitsrücklage
ihre gesetzlich fixierte Höchstgrenze überschreiten. An
diese Voraussetzung ist eine Beitragssatzsenkung per
Gesetz gebunden.
Meine Damen und Herren, wir haben uns 2004 aus
gutem Grund dafür entschieden, die Nachhaltigkeitsrücklage in Zeiten mit guter Einnahmesituation aufzubauen. Auf diese Weise müssen nämlich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten weder Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer noch Arbeitgeber unmittelbar mit Beitragssatzanhebungen belastet werden. Damit es nicht zu
einer Stop-and-go-Politik bei den Beiträgen kommt,
wollen wir von dieser Grundentscheidung nicht abweichen. Sie ist Ausweis einer nachhaltigen Rentenpolitik
auf stabiler finanzieller Grundlage. Darauf müssen sich
die Menschen in unserem Land verlassen können.
Abschließend ein paar Worte zu der fatalen Behauptung, dass sich der Abschluss einer Riester-Rente für
Geringverdiener nicht lohne, weil diese im Alter sowieso auf die steuerfinanzierte Grundsicherung angewiesen seien.
({1})
Diese Aussage, die viele verunsichert, verzerrt die Wirklichkeit und ist schlicht falsch. Richtig ist: Gerade für
Geringverdiener ist der staatliche Zuschuss gemessen an
der Eigenleistung besonders hoch und macht bis zu
90 Prozent des Sparbetrages aus.
Falsch ist auch die in den Medien zitierte Berechnung, derzufolge ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Einkommen erst nach 32 Beitragsjahren das
Grundsicherungsniveau erreicht. Dies ist schon deshalb
falsch, weil nur die Zahlbeträge aus der gesetzlichen
Rentenversicherung in den Blick genommen wurden;
denn leistet der Durchschnittsverdiener Beiträge auch
für eine Riester-Rente - darum geht es ja hier -, dann
übersteigt das Alterseinkommen aus beiden Quellen bereits nach 20 Jahren den durchschnittlichen Grundsicherungsbedarf.
({2})
Diese Grundsicherung ist kein Grundrentenanspruch,
sondern eine steuerfinanzierte Maßnahme für Hilfebedürftige zur Armutsvermeidung. Dabei gilt das Prinzip,
dass der Lebensunterhalt vorrangig durch den Einzelnen
selbst gewährleistet werden muss.
({3})
Die zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips ist ordnungspolitisch höchst bedenklich. Das steht in einem
krassen Gegensatz zu dem erfreulichen Trend, dass immer mehr Menschen erkennen, dass sie über die Leistungen der Sozialversicherungsrente hinaus im Alter vorsorgen müssen. Mehr als 10 Millionen zertifizierte
Riester-Verträge und rund 17,3 Millionen Anwartschaften bei der betrieblichen Altersvorsorge sind aus unserer
Sicht ein toller Erfolg.
({4})
Sollten die verunsichernden Darstellungen dieser Tage
jetzt zu einer Trendumkehr führen, wäre das vor allem
für die Geringverdiener katastrophal.
Dazu kommt, dass diese Debatte die eigentliche Herausforderung verdrängt. Wer drohende Altersarmut
wirksam bekämpfen will, muss dort ansetzen, wo die Ursachen liegen. Es kommt deshalb darauf an, faire Einkommen zu gewährleisten, Mindestlöhne zu garantieren,
neue Arbeitsplätze zu schaffen und Beschäftigung gut zu
organisieren. Wir tun das und tragen damit dazu bei, dass
auch das Einkommen im Alter ausreichend ist, dass
Menschen im Alter nicht nur ein würdiges Leben, sondern ein Leben mit Lebensqualität führen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Als Nächster hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für
die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich das Thema für die heutige Aktuelle Stunde zum
ersten Mal gesehen habe, habe ich gestutzt. Mein erster
Gedanke war: Das können die doch nicht wirklich ernst
meinen. Gibt es denn in der Großen Koalition niemanden mehr, der in der Lage ist, eine Tickermeldung, nach
der die Reserven der gesetzlichen Rentenversicherung
gestiegen seien, in ihrem Kern zu bewerten und Ursache
und Wirkung differenziert zu betrachten? Glauben die
Bundesregierung und die sie tragende Koalition am
Ende wirklich, es sei die Konjunktur gewesen, die in den
letzten beiden Jahren zu einem Aufbau der Rentenreserven auf jetzt 11,7 Milliarden Euro geführt habe?
({0})
Nein; offensichtlich hat da jemand aufgrund dieser
Tickermeldung, in der es hieß, Grund für die positive Finanzentwicklung sei neben der Beitragserhöhung vor allem die gute Konjunktur gewesen, ziemlich gedankenlos
den Antrag auf eine Aktuelle Stunde formuliert und umgesetzt. Ein Rentenexperte, Herr Kollege Müller, kann
es nicht gewesen sein; da sollten wir uns einig sein.
Denn ihm wäre sicherlich aufgefallen, dass bei einem
Beitragsmehraufkommen aus der Beitragssatzerhöhung
per 1. Januar 2007 in Höhe von rund 3,4 Milliarden Euro
und einem Überschuss in 2007 von lediglich 2,1 Milliarden Euro für einen eigenen positiven Beitrag der Konjunktur zu den Rentenfinanzen nicht mehr viel Spielraum übrig bleibt.
Tatsache ist: Nach laufenden jährlichen Defiziten
zwischen 2,3 und 4 Milliarden Euro im Zeitraum von
2002 bis 2006 hätte es trotz einer erfreulichen positiven
Entwicklung bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ohne die Beitragssatzerhöhung auch 2007
ein Defizit in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gegeben.
Der rechnerische Überschuss in der Rentenversicherung
in 2007 ist kein Verdienst der Bundesregierung, sondern
beruht schlicht und einfach darauf, dass man den Versicherten in 2007 höhere Beiträge abverlangt hat.
({1})
Man kann es auch so sagen: Selbst in einem Jahr der
Hochkonjunktur reichen ohne Beitragssatzerhöhung die
laufenden Einnahmen der Rentenversicherung nicht aus,
die laufenden Ausgaben zu decken. Nachhaltigkeit, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sieht für
mich anders aus.
({2})
Nachhaltigkeit, Frau Kollegin Nahles, bedeutet für
mich, dass auch über einen Konjunkturzyklus hinweg
die Rentenkasse mit ihren Rücklagen klarkommen kann.
Nachhaltigkeit bedeutet, dass in den guten Jahren eines
Konjunkturzyklus Geld zurückgelegt wird, das in
schlechten Jahren eingesetzt werden kann, wobei die
Rücklagen - darauf kommt es an - aus den Beitragsmehreinnahmen in den guten Zeiten der Konjunktur zu
bilden sind. Von einer solchen nachhaltigen Entwicklung
der Rentenfinanzen kann aber derzeit keine Rede sein.
({3})
Denn, Frau Kollegin Ferner, der Rücklagenaufbau ist
bisher allein auf Sondereffekte, die mit der Konjunktur
nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, zurückzuführen. Das Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge - Frau Kollegin Ferner, wir haben das
nicht vergessen und werden es Ihnen immer wieder vorhalten, weil es Monat für Monat die mittelständischen
Unternehmen mit überflüssiger Bürokratie belastet - hat
in 2006 bei der gesetzlichen Rentenversicherung zu einem einmaligen Liquiditätseffekt aus dem 13. Monatsbeitrag in Höhe von rund 10,55 Milliarden Euro geführt.
({4})
Hinzu kommt, dass die Beitragserhöhung in 2007 - ich
sagte es bereits - Mehreinnahmen in Höhe von
3,4 Milliarden Euro bewirkt hat.
({5})
Nimmt man beides zusammen, sind also der Rentenkasse in den letzten beiden Jahren Einnahmen aus Sondereffekten in Höhe von rund 14 Milliarden Euro zugeflossen, die, wenn die Konjunktur und die Entwicklung
der Beschäftigung ausreichend gewesen wären, die Ausgabenentwicklung der Rentenversicherung hätten kompensieren müssen. Das verstehe ich unter Nachhaltigkeit. Tatsächlich sind nur noch 11,7 Milliarden Euro
vorhanden. Das heißt, 2,8 Milliarden Euro sind schon
wieder verbraucht. Ich sage noch einmal: Nachhaltigkeit
sieht anders aus.
({6})
Für die Vergangenheit trifft das Thema dieser Aktuellen Stunde also nicht zu. Als grundsätzlich positiv denkender Mensch bin ich aber geneigt, das Thema programmatisch, also in die Zukunft gerichtet, zu
interpretieren. Das bedeutet: Nachdem sie in der Vergangenheit gnadenlos abkassiert hat, möchte die Regierung
in Zukunft nun endlich alles daran setzen, dass der Konjunkturverlauf die Rentenfinanzen wirklich nachhaltig
trägt. Dann dürfen Sie sich aber nicht länger wie ein
Angler verhalten, der seine Angel in den Fluss hält und
versucht, das herauszufischen, was zufälligerweise vorbeigeschwommen kommt. Oder um es mit einem mehr
in die Jahreszeit passenden Bild auszudrücken: Sie sollten sich nicht wie ein Skiliftbetreiber verhalten, der seine
Geschäftsstrategie so beschreibt: Neuschnee ist die Basis
für ein gutes Geschäft. Man muss sich nämlich auch
überlegen, was man in den Jahren macht, in denen es
nicht so gut läuft, bildlich gesprochen: in denen es nicht
schneit.
({7})
Um dem gerecht zu werden, müssen Sie einen grundsätzlichen Wechsel Ihrer Politik herbeiführen.
Sie haben im letzten Jahr mit der größten Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik die Konjunktur nicht stimuliert, sondern belastet.
({8})
Sie sind doch dabei, mit Einführung von Mindestlöhnen
und mit Änderungen bei der Zeitarbeit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Beschäftigung nicht mehr
aufgebaut, sondern tendenziell wieder abgebaut wird.
Das müssten Sie sich hinter die Ohren schreiben, wenn
Sie das Thema dieser Aktuellen Stunde wirklich ernst
nehmen würden.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Ich hoffe, Herr Weiß, dass dieser Ruf zur Ordnung
wirkt und dass Sie gleich von dieser Stelle aus sagen: Jawohl, bisher war es nicht die Konjunktur, sondern
Glück. Aber künftig wollen wir mehr dafür tun. - Wenn
Sie das täten, dann hätte sich diese Aktuelle Stunde gelohnt.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({0})
Vielleicht ist auch das eine Möglichkeit: Wenn zukünftig jeder den nachfolgenden Redner ankündigt, dann
muss das Präsidium das nicht mehr tun.
({0})
Jetzt hat der Kollege Gerald Weiß das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die männliche Kassandra Heinrich Kolb kommt zunehmend in
Nöte.
({0})
Das muss ich nach seinem Beitrag feststellen. Am Anfang hat er den Aufschwung geleugnet. Dann konnte er
es nicht mehr. Danach hat er gesagt: Den Aufschwung
gibt es zwar, aber die Regierung war es nicht. Dann
musste er zunehmend erkennen, dass der Aufschwung
doch etwas mit der Arbeit der Regierung zu tun hat. Danach sagte er: Die Rentenversicherung ist in einer miesen Finanzlage. Monat für Monat hat er im zuständigen
Ausschuss bei der Regierung nachgefragt, wie mies die
Entwicklung denn ist. Gestern im Ausschuss hat er
plötzlich nicht mehr danach gefragt,
({1})
Gerald Weiß ({2})
weil er fachkundig genug ist, zu wissen, dass es der Rentenversicherung besser geht, weil es der Konjunktur besser geht. Das hat auch mit der Arbeit dieser Regierung
zu tun und ist eben nicht allein mit Sondereffekten zu erklären.
({3})
Diese hat es zwar auch gegeben, aber entscheidend ist
der Wirtschaftsaufschwung. Ich werde im Einzelnen
noch darauf eingehen.
Unsere Wirtschaft wächst robust und nachhaltig: um
2,9 Prozent vor zwei Jahren und um 2,5 Prozent im vergangenen Jahr. Im laufenden Jahr wird sie wahrscheinlich wieder um 2 Prozent zulegen. Man kann nun sagen,
dass wirtschaftliches Wachstum nicht alles ist. Ja, aber
ohne wirtschaftliches Wachstum ist alles andere nichts.
Dieses wirtschaftliche Wachstum ist wichtig für Arbeitsplätze, für höhere Löhne, für Investitionen, für die Sozialkassen und letztlich und vor allem für die Rentenentwicklung.
In der Rentenkasse ist jetzt eine positive Aufwärtsentwicklung zu sehen. Wir stellen fest, dass wir 1,2 Millionen Arbeitslose weniger haben als vor zwei Jahren. Es
gibt 900 000 Beschäftigte mehr; die meisten sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Lieber Herr Dr. Kolb,
wir haben damit Hunderttausende mehr Financiers unseres Sozialstaats. Das ist der Hauptgrund, warum es der
Arbeitslosenversicherung und vor allem zunehmend der
Rentenversicherung jetzt besser geht.
({4})
Ich werde dazu noch einige Zahlen vortragen.
Ich will zunächst daran erinnern, dass wir den Beitrag
zur Arbeitslosenversicherung, die diese Entwicklung widerspiegelt, zum 1. Januar nochmals kräftig um 0,9 Prozentpunkte auf 3,3 Prozent absenken konnten. Seit Dezember 2006 haben wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent nachgerade halbiert.
Das ist Ausfluss dieser wirtschaftlichen Entwicklung. Die
Nettokaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird dadurch gestärkt, die Lohnnebenkosten werden
begrenzt und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wird gestärkt. Herr Dr. Kolb, mit dieser Halbierung
des Arbeitslosenversicherungsbeitrages leisten wir einen
wesentlichen Beitrag dazu, dass sich der Aufschwung in
Deutschland verstetigen und es weiter aufwärtsgehen
kann.
({5})
Davon profitiert auch die Rentenkasse. Herr Dr. Kolb,
auch Ihnen ist nicht verborgen geblieben, dass die Rentenfinanzen in den letzten beiden Jahren in Wirklichkeit
besser waren, als die Prognosen es vorausgesagt haben.
Vorher haben wir es umgekehrt erlebt: Da war die Prognose immer günstiger als die Zahlen.
({6})
Herr Dr. Kolb, selbst wenn man die von Ihnen erwähnte
Beitragssatzsteigerung um 0,4 Prozent, die es im vergangenen Jahr gegeben hat, herausrechnet und wenn man
herausrechnet, dass im Jahr 2006 13-mal Beiträge fällig
wurden, verbleibt bei den Rentenversicherungsbeiträgen immer noch eine Einnahmesteigerung von 3,8 Prozent. Das spiegelt die wirtschaftliche Entwicklung, die
Sie an sich und in ihren Auswirkungen auf die Rentenversicherung leugnen, wider.
({7})
- Es mag jetzt noch nicht reichen. Ich stelle aber fest:
Die Prognose sagte für das Jahr 2007 eine Rücklage in
Höhe von 5,8 Milliarden Euro voraus. Jetzt sind es
11,7 Milliarden Euro Rücklage. Im laufenden Jahr werden wir bei der Rentenversicherung endlich nicht mehr
eine schwankende Schwankungsreserve haben, sondern
eine Rücklage, deren Höhe man als nachhaltig bezeichnen kann: 14,3 Milliarden Euro. So wird es bis 2011
weitergehen. Dann werden wir 25,8 Milliarden Euro
Rücklage gebildet haben. Das spiegelt die richtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen und die volkswirtschaftliche Entwicklung. Für deren Verstetigung werden
wir alles tun, was erforderlich ist.
Herzlichen Dank.
({8})
Jetzt spricht der Kollege Oskar Lafontaine für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Auch unsere Fraktion hatte beantragt, heute
über die Renten zu sprechen. Wir wollten aber nicht über
das sprechen, was bisher vorgetragen worden ist.
Es ist zwar wichtig, wie sich die Rentenkasse entwickelt, es ist wichtig, dass es der Rentenversicherung besser geht - so hat es mein Vorredner formuliert -, es ist
auch wichtig, zu beobachten, wie sich die Schwankungsreserve bzw. die Nachhaltigkeitsrücklage entwickelt,
aber wir wollten trotzdem lieber darüber reden, wie es
den Menschen, die jetzt niedrige Einkommen beziehen,
gehen wird, wenn sie älter sind. Das ist die Frage, die die
Menschen wirklich bewegt. Es geht nicht in erster Linie
um das, was hier erzählt worden ist.
({0})
Ich habe darauf gewartet, was die Bundesregierung zu
der Frage sagen würde, die Millionen in Deutschland beschäftigt: Haben sie im Alter noch eine solide Rente oder
kriegen sie nur die Grundsicherung und das war es, weil
die Riester-Rente völlig verrechnet wird? Das ist doch
die Frage, die viele Menschen bewegt. Wir haben unterschiedliche Vorschläge gehört. Was die Bundesregierung
dazu gesagt hat, muss ich einmal vorlesen, damit die Bevölkerung in Deutschland darüber aufgeklärt wird, worum es geht. Der Staatssekretär hat das so formuliert:
Die zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips ist
ordnungspolitisch höchst bedenklich.
Meine Damen und Herren an den Bildschirmen, Sie wissen jetzt, worum es eigentlich geht. Ich wiederhole es:
Die zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips ist
ordnungspolitisch höchst bedenklich.
Wie kann man so über die Köpfe der Menschen hinwegschwadronieren? Das ist unfassbar!
({1})
Die Frage, die Sie hier zu beantworten haben, lautet:
Wird die Riester-Rente angerechnet oder nicht, wenn
eine Rente zu erwarten ist, deren Höhe unter dem
Grundsicherungssatz liegt? Davon sind Millionen betroffen. Sie haben hier mit dieser verschwommenen Formulierung gesagt: Wir werden in Zukunft wie bisher anrechnen. Wir, die Linke, sagen: Das ist Anlagenbetrug.
Sie haben Millionen Bürgerinnen und Bürger betrogen.
({2})
Das ist Anlagenbetrug, weil Sie die Riester-Rente mit
dem Versprechen begründet haben, dass sich insbesondere Menschen mit niedrigen Einkommen durch den
Aufbau dieser Rente einen besseren Lebensabend finanzieren können.
({3})
Dieses Versprechen haben Sie den Menschen gegeben.
Durch die Konstruktion, die Sie hier gewählt haben, brechen Sie genau dieses Versprechen. Die Menschen
bauen ihre Rente brav und fleißig auf, werden im Alter
aber betrogen. Wenn Sie das nicht gewollt haben, dann
geben Sie das hier zu. Wenn Sie das aber gewollt haben,
dann war das Anlagenbetrug, nichts anderes.
({4})
Wie kann man Menschen, die die niedrigsten Einkommen - sie liegen bei 1 000 Euro brutto - und eine
Rentenerwartung in mittlerweile einer Größenordnung
von 400 Euro haben, auffordern, fleißig fürs Alter zu
sparen, und dann sagen: Ätsch, das haben wir nur gemacht, um die Staatskasse zu entlasten, denn es wäre
eine zynische Verkehrung eines Vorrangprinzips, wenn
wir denen das gesparte Geld tatsächlich ließen.
Der Kern ist natürlich nicht die Riester-Rente, sondern die Zerstörung der Rentenformel, die viele hier mitbeschlossen haben, ohne es überhaupt zu sehen. Die
Rentenformel ist zerstört, weil die Rente von der Produktivität abgekoppelt worden ist. Wer die Rente von der
Produktivität, also vom wirtschaftlichen Zuwachs der
Volkswirtschaft, abkoppelt, der hat solche Entwicklungen zu erwarten. Millionen von Menschen, die früher,
als die Rentenformel noch einigermaßen intakt war, eine
ordentliche Versorgung im Alter zu erwarten hatten,
werden in Zukunft mit Altersarmut konfrontiert sein. Sie
haben bisher das Glück, dass viele Menschen in
Deutschland nicht wissen, was auf sie zukommt und was
Sie mit der Zerstörung der Rentenformel angerichtet haben.
({5})
Wir werden daher keine Ruhe geben, bis diese Entwicklung, die Programmierung von Armutsrenten, eine
Entwicklung in den Stand des vorletzten Jahrhunderts,
zurückgenommen wird. Ich sage Ihnen hier: Dieses oder
spätestens nächstes Jahr werden Sie die Rentenformel
wieder ändern. Das muss im Protokoll stehen. Das wird
mit absoluter Sicherheit so sein. Denn Sie haben die Lebenschancen der Menschen auf eine Art und Weise zerstört, wie man es sich in diesem Umfang überhaupt nicht
hätte vorstellen können.
Wenn man diese Formel nicht ändert, dann wäre zumindest ein erster Schritt - das wurde Gott sei Dank von
Teilen der Koalitionsfraktionen gefordert -, die Anrechnung der Riester-Rente so nicht vorzunehmen, also das
Gegenteil von dem zu machen, was der Staatssekretär
hier vorgeschlagen hat. Das Behaupten eines Ordnungsprinzips gegenüber der programmierten Altersarmut von
Millionen von Menschen ist zynisch. Das ist zynisch,
nicht die Umkehrung eines Vorrangprinzips.
({6})
Hier erlebe ich jetzt, dass sich der Staatssekretär Sorgen angesichts der Tatsache macht, dass sich viele Menschen - insbesondere die, deren Bruttoeinkommen heute
bei 1 000 Euro liegt - jetzt fragen, was sie später haben
werden. Die einen sagen: Der Beitragssatz muss stabil
bleiben. Ich kann das aus Zeitgründen jetzt nicht mehr
ordnungspolitisch darstellen. Andere sagen: Die Rentenkasse hat sich ganz gut entwickelt. Wieder andere sagen:
Der Nachhaltigkeitsfaktor ist viel besser, als wir eigentlich geglaubt haben. Daran sieht man, dass Sie nicht
mehr wissen, worüber in der Bevölkerung diskutiert
wird. Die Menschen wollen von Beitragssätzen, Nachhaltigkeitsfaktoren und Rücklagen nichts wissen. Sie
wollen wissen, was sie im Alter zu erwarten haben. Sie
haben Armutsrenten programmiert. Nehmen Sie diesen
Skandal zurück!
({7})
Anton Schaaf hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich hatte gedacht, dass das,
was Monitor an Verunsicherung und Ängsten bei den
Menschen bewirkt hat, nicht zu übertreffen ist. Ich bin
durch diesen Beitrag gerade eines Besseren belehrt worden. Sie verunsichern Millionen von Menschen, die bereit sind, ihre Altersvorsorge privat zu unterstützen. Sie
tun so, als wäre die Grundsicherung ein Rentenanspruch.
Die Grundsicherung ist eine Transferleistung und kein
Rentenanspruch, der sich ergibt. Sie tun so, als wäre es
ein Anspruch.
({0})
Nein, Herr Lafontaine, damit werden Sie am Ende
nicht durchkommen. Ich bin immer bereit, über die Zukunft der Rente sachlich zu diskutieren. Ich bin immer
bereit, Wege zu suchen und neu zu definieren. In der Tat
muss uns die Aussicht von Millionen von Menschen, die
keine Arbeit hatten und haben, im Alter arm zu sein, besorgen. Natürlich müssen wir uns darum kümmern. Aber
Sie haben Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verunsichert, die die Steuergelder für die
Grundsicherung aufbringen und gleichzeitig privat für
ihr Alter vorsorgen müssen. Das, was Sie da machen, ist
relativ skrupellos.
({1})
Sie schaffen es immer wieder besonders gut, bei der
Beschreibung der Entwicklung und dem, was zu tun ist,
die Demografie völlig außen vor zu lassen. Sie glauben,
dass es sich immer nur um eine verteilungspolitische
Frage handelt. Demografie spielt für Sie überhaupt keine
Rolle.
({2})
Vor dem Hintergrund haben wir in der Vergangenheit
und werden wir auch in der Zukunft viel Geld in die
Hand nehmen, um die Menschen in die Lage zu versetzen, im Alter ein vernünftiges Auskommen zu haben. Ja,
vor dem Hintergrund von Demografie mussten wir den
Rentenfaktor ändern, weil sich das Verhältnis von jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die einzahlen, zu Älteren, die Ansprüche haben, verändert, und
zwar dramatisch.
({3})
- Das ist so, und das kann man nicht wegdiskutieren.
Darauf muss man reagieren, und das haben wir getan.
({4})
Wir fördern die betriebliche Altersvorsorge massiv
mit Steuergeldern. Wir fördern die private Altersvorsorge massiv im Rahmen der Riester-Rente; bald werden
wir auch das Wohneigentum mit einbeziehen. Es ist völlig richtig, das zu tun, weil man Altersarmut dadurch tatsächlich verhindern kann; das ist gar keine Frage. Diesen
richtigen Weg werden wir durch die unseriöse Berichterstattung von Monitor, die Sie, Herr Lafontaine, sogar
noch übertroffen haben, nicht infrage stellen lassen.
({5})
Herr Kolb, Sie haben die Einnahmen und Ausgaben
der Rentenversicherung dargestellt. Dazu will ich Ihnen
sagen: Natürlich haben sich die Zuwächse der letzten
zwei Jahre sehr positiv auf die sozialen Sicherungssysteme ausgewirkt; darüber gibt es gar keine Diskussion.
Sie verhalten sich aber widersprüchlich: Sie sagen, dass
die Einnahmeseite nicht ganz in Ordnung ist, dass da eigentlich mehr passieren müsse, und dass das Einmaleffekte waren. Was tun Sie? Sie könnten die Einnahmeseite mit uns gemeinsam stärken. Helfen Sie dabei, dass
in diesem Land Mindestlöhne eingeführt werden!
({6})
Helfen Sie dabei, dass es in diesem Land zu einer vernünftigen Lohnentwicklung kommt! Helfen Sie dabei,
dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land vom Wachstums- und Produktivitätszuwachs
angemessen profitieren! Denn mehr Lohn bzw. ein Mindestlohn bedeutet Mehreinnahmen der sozialen Sicherungssysteme und für den einzelnen Arbeitnehmer und
die einzelne Arbeitnehmerin am Ende selbstverständlich
auch höhere Ansprüche.
({7})
Helfen Sie an dieser Stelle mit, und widersprechen Sie
sich in Ihrer eigenen Argumentation nicht immer selbst.
Ich habe bereits gesagt, dass wir noch darüber diskutieren müssen, inwieweit wir es vernünftig regeln können, Wohneigentum als Altersvorsorge in die RiesterFörderung einzubeziehen. Ich bin aber der festen Überzeugung - Herr Lafontaine, hier sind wir, wie ich denke,
ganz schnell beieinander -, dass das Dreisäulensystem,
das jetzt existiert, auf Dauer nicht ausreichen wird. Wir
werden sicherlich noch über die Einführung einer zusätzlichen steuerfinanzierten Säule diskutieren müssen,
Stichwort: Grundsicherung. Ich bin ganz sicher, dass wir
darum nicht herumkommen werden. Das ist aber nur
eine Perspektive. Das müssen wir nicht ad hoc regeln.
Lassen Sie uns jetzt die positiven Effekte, die in unserem Land für Wachstum sorgen, nutzen, um die sozialen
Sicherungssysteme zu stabilisieren. Am besten, am einfachsten und am wirkungsvollsten wäre es, wenn wir die
Forderung der Gewerkschaften nach vernünftigen Lohnabschlüssen in diesem Jahr unterstützen würden. Lassen
Sie uns im Rahmen des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes den Mindestlohn einführen!
({8})
- Nein, das ist nicht populistisch. Das würde dem einzelnen Arbeitnehmer und der einzelnen Arbeitnehmerin
helfen, und das würde die sozialen Sicherungssysteme
stabilisieren. Das ist der richtige Weg.
Danke.
({9})
Jetzt hat Irmingard Schewe-Gerigk für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das, was uns die Große Koalition mit dieser Aktuellen
Stunde bietet, ist schon ein starkes Stück. Ganz Deutschland diskutiert seit Wochen über das Thema Altersarmut.
Sachverständige rechnen uns vor, dass Vollzeitbeschäftigte mit einem durchschnittlichen Einkommen, um später eine Rente auf Grundsicherungsniveau zu beziehen,
35 Jahre lang erwerbstätig sein müssten. Eine Verkäuferin müsste gar 40 Jahre erwerbstätig sein, um später eine
Rente auf Grundsicherungsniveau zu erhalten. Was aber
macht die Große Koalition? Sie negiert dieses Problem
und beschließt eine Aktuelle Stunde, um ihre Erfolge zu
feiern und sich selbst zu beweihräuchern.
({0})
Eine solche Politik, meine Damen und Herren von der
Großen Koalition, ist instinktlos und führt zu Politikverdrossenheit.
({1})
- Frau Kollegin Nahles, die Menschen haben ein Recht
darauf, zu erfahren, wie die Bundesregierung auf das
künftige Problem der Altersarmut reagieren wird. Stattdessen wollen Sie sich auf der guten Konjunktur und den
sprudelnden Renteneinnahmen ausruhen; in diesem
Punkt bin ich anderer Meinung als Sie, Herr Kollege
Kolb.
Dazu passt, dass Arbeitsminister Scholz bei der gestrigen Vorstellung seiner Vorhaben der nächsten zwei
Jahre das Wort „Rente“ überhaupt nicht in den Mund genommen hat.
({2})
Ihre heutige Botschaft soll lauten: Die soliden Einnahmen der Rentenkassen sind das Verdienst dieser Regierung.
({3})
- Ja, ja. Dazu werde ich Ihnen gleich noch etwas sagen. Dabei haben Sie der Bevölkerung gleich zu Beginn Ihrer
Amtszeit tief in die Tasche gegriffen. Ich will nicht die
Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte nennen, sondern die Erhöhung des Beitrags zur Rentenversicherung auf 19,9 Prozent. Alle namhaften Experten und
Expertinnen haben Ihnen vorher versichert, dass
19,7 Prozentpunkte ausreichen würden, um die Einnahmen und Ausgaben in ein solides Verhältnis zueinander
zu bringen. Sie haben darauf nicht gehört. Sie wollten
sich ein bequemes Polster aufbauen, auf dem Sie sich
jetzt ausruhen können, wie es offensichtlich Kollege
Scholz in der Rentenpolitik vorhat. Die Prognosen zu
den Einnahmen der Rentenkasse haben Sie bewusst nach
unten gerechnet, um sich jetzt auf die Schulter klopfen
zu können. Zu Ihrer Selbstbeweihräucherung passt auch
die Behauptung der Bundeskanzlerin, die gute konjunkturelle Entwicklung komme jetzt bei den Menschen an.
Derjenige, der trotz Vollbeschäftigung ergänzende
Leistungen der Bundesagentur benötigt, um über die
Runden zu kommen, wird solch einen Satz als zynisch
empfinden. Klar, auch wir sind erleichtert, dass wieder
mehr Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt ist
erfreulich und muss fortgesetzt werden. Aber ist es darum gerechtfertigt, die Hände in den Schoß zu legen?
Was machen Sie eigentlich, wenn es mit der Konjunktur
nicht so weitergeht? Was tun Sie, wenn die Konjunktur
einbricht? Wo bleiben dann die Reformen?
Hinweise auf Nachbesserungsbedarf haben Sie in den
letzten Monaten genügend bekommen. Zum Beispiel hat
der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Gutachten vom
November 2007 ein eigenes Kapitel der Altersarmut gewidmet und ganz deutlich Handlungsbedarf angemahnt.
Heutzutage sind nur gut 2 Prozent der Rentnerinnen und
Rentner auf die Grundsicherung angewiesen. Doch in
15 Jahren, wenn die jetzt 50-Jährigen im Ruhestand
sind, wird das ganz anders aussehen; sie werden von Altersarmut betroffen sein.
Wegen der erfreulichen Mehreinnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung ist es für Sie offensichtlich
nicht interessant, über diese Themen zu sprechen. Der
vielbeschworene Aufschwung ist an den Geringqualifizierten, an den Langzeitarbeitslosen vorbeigegangen.
Die Zahl der Geringverdienenden und der in Zeit- und
Leiharbeitsverhältnissen Beschäftigten hat zugenommen. Doch die Union weigert sich beharrlich, konsequente Schritte zur Eindämmung des Niedriglohnsektors
mitzutragen. Da sage ich Ihnen: Aus nichtexistenzsichernden Löhnen können auch keine Renten folgen, die
über der Grundsicherung liegen - da könnte jemand sogar 50 Jahre arbeiten und würde nicht auf Sozialhilfeniveau kommen. Darum brauchen wir endlich Mindestlöhne.
({4})
Auch durch die Halbierung der Rentenbeiträge für
Langzeitarbeitslose hat die Koalition dazu beigetragen,
dass die Zahl derer, die im Alter auf Grundsicherung anIrmingard Schewe-Gerigk
gewiesen sind, künftig ansteigen wird. Wer vermeiden
will, dass wir in 10 bis 20 Jahren Altersarmut haben,
muss heute die Weichen stellen. Ich erinnere an Arbeitsminister Müntefering, der gesagt hat: Wir brauchen die
Rente mit 67. Wir müssen den Menschen rechtzeitig sagen, worauf sie sich einzustellen haben. Wir können
doch nicht so tun, als wüssten wir nicht, was in 15 Jahren passiert. Wir haben die Zahlen, und wir müssen reagieren.
Wir Grünen wollen mit unserem Modell der Aufstockung kleiner Einkommen eine Möglichkeit schaffen,
dass entsprechende Renten gezahlt werden. Wir wollen
die Rentenbeiträge derer, die ein kleines Einkommen haben, hochwerten. Darüber hinaus wollen wir einen existenzsichernden Mindestlohn, um Altersarmut zu vermeiden.
({5})
- Wenn Sie zustimmen können, ist das prima.
Die Bundeskanzlerin nimmt es offensichtlich nicht
ernst, dass die Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden
ist, weil der Aufschwung an ihr vorbeigeht. Schauen Sie
sich an, wer die Gewinner und Gewinnerinnen sind: Das
ist der Fiskus, das sind die Vermögenden. Die Kanzlerin
baut darauf, dass die meisten bis zur nächsten Wahl vergessen haben, wie sehr ihnen die Regierung in die Tasche gegriffen hat. Für uns Grüne hat die Bekämpfung
der Armut höchste Priorität. Wir versprechen Ihnen,
meine Damen und Herren von der Großen Koalition:
Wir geben bei diesem Thema keine Ruhe.
Vielen Dank.
({6})
Stefan Müller hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gestatten Sie mir, dass auch ich eingangs etwas zu den
verheerenden und aus meiner Sicht unverantwortlichen
Berichten in sogenannten Nachrichtenmagazinen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sage, in denen ja der
Eindruck erweckt wurde, als würde sich eine private Altersabsicherung für Geringverdiener oder überhaupt für
all diejenigen, die privat etwas für sich tun wollen, nicht
lohnen. Ich will klar und deutlich zu verstehen geben,
dass sich eine private Altersvorsorge, eine private Absicherung für jeden lohnt, der später nicht auf staatliche
Transferleistungen angewiesen sein möchte.
({0})
Das gilt ausdrücklich für Geringverdiener.
In unserem Land gilt ja immer noch der Grundsatz,
dass jeder, der es kann, für seinen Lebensunterhalt selbst
zu sorgen hat. Nur in dem Fall, dass er es eben nicht
mehr kann, ist es Aufgabe der Solidargemeinschaft, ihm
zu helfen. Ich finde, man sollte diese Solidarität und
diese Solidargemeinschaft nicht dadurch aufs Spiel setzen, dass man zu einem Teil der Bevölkerung sagt: Tut
lieber nichts, die anderen werden euch schon finanzieren, wenn es nicht mehr reicht. - Das kann nicht der Anspruch sein, den wir an die Menschen in diesem Land
haben, und das kann auch nicht der Anspruch sein, den
die Menschen in diesem Land an sich selbst haben.
({1})
Nun geht es natürlich darum, dass die private Vorsorge attraktiv bleiben muss. Es geht darum, dass wir dafür auch die entsprechenden Spielräume schaffen. Heute
fiel ja schon mehrfach das Wort Altersarmut. Altersarmut ist aus meiner Sicht kein flächendeckendes Problem
der heute älteren Generation.
({2})
- Frau Schewe-Gerigk, ich gebe Ihnen recht, dass Altersarmut unter verschiedenen Umständen eine reale Bedrohung für die heute junge Generation werden kann.
({3})
Das wird ja überhaupt nicht in Abrede gestellt.
Altersarmut ist jedenfalls dann eine reale Bedrohung,
wenn nicht privat oder durch eine betriebliche Altersvorsorge zusätzlich vorgesorgt wird. Wir sagen der heute
jungen Generation: Ihr zahlt die höchsten Beiträge in der
Geschichte der Bundesrepublik, aber ihr habt das niedrigste Rentenniveau zu erwarten, also sorgt bitte für euch
vor. - Gleichzeitig sagen wir: Ihr müsst aber auch investieren, Häuser bauen und mindestens drei Kinder bekommen, damit unsere sozialen Sicherungssysteme auch
zukunftsfest bleiben. - So geht es natürlich nicht.
({4})
Das heißt also: Wenn wir von den jungen Leuten
heute erwarten, dass sie privat vorsorgen, dann müssen
wir auch dafür sorgen, dass es finanzielle Spielräume
gibt, damit sie für sich privat vorsorgen können.
({5})
- Herr Kollege Dr. Kolb, wenn man möchte, dass junge
Leute für sich privat vorsorgen, dann muss man auch
Anreize dafür schaffen, dass sie es tun, und dann darf
man die private Altersvorsorge in Deutschland nicht
auch noch in unverantwortlicher Weise schlechtreden.
Das tun Sie an dieser Stelle nämlich.
({6})
Sie sagen: Schafft doch diese finanziellen Spielräume! - Da Sie das immer wieder vergessen, will ich
Sie nur noch einmal daran erinnern - der Kollege Weiß
hat das ja angesprochen -: Wir haben den Beitrag zur
Arbeitslosenversicherung fast halbiert. Die Entlastung
beträgt 23 Milliarden Euro. Die Hälfte davon entfällt auf
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
({7})
Wir können die Debatte gerne weiterführen. Das haben
wir schon einmal getan. Sie mussten ja eingestehen, dass
Sie Unrecht hatten.
({8})
Es hat eine Entlastung gegeben. Genau durch diese Absenkung der Sozialabgaben werden gerade für die heute
junge Generation die finanziellen Spielräume geschaffen.
({9})
Erwecken Sie doch nicht den Eindruck, als hätten wir
neben der Schaffung von finanziellen Spielräumen
nichts getan, um die Anreize zu erhöhen. Wir haben zum
Beispiel die Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung fortgesetzt.
({10})
Dabei haben wir Ihre Nachhilfe im Übrigen nicht gebraucht, vielmehr haben wir selbst gesagt, dass das eine
Grundlage dafür ist, um für diejenigen, die heute anfangen, Beiträge zu bezahlen, in Zukunft Altersarmut zu
verhindern.
Liebe Kollegen von der FDP, nun tun Sie doch nicht
so, als hätte die gute finanzielle Entwicklung der Rentenkasse nicht auch etwas damit zu tun, dass die Konjunktur besser geworden ist. Natürlich ist eine solide Beschäftigungssituation in Deutschland die Grundlage für
stabile Rentenfinanzen.
({11})
Eine viertel Million sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse ist die Grundlage für stabile
Rentenfinanzen und dafür, dass es im letzten Jahr wieder
eine moderate Erhöhung der Renten hat geben können
und dass es vielleicht auch dieses Jahr eine moderate Erhöhung geben kann. Das ist das Signal, dass wir auch
von dieser Stelle aus geben müssen. Dazu war auch
diese Aktuelle Stunde gedacht.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden uns in
diesem Jahr, in 2008, auf eine Fortsetzung der guten
wirtschaftlichen Entwicklung einstellen können. Trotz
aller Risiken, die es zugegebenermaßen gibt - Ölpreisentwicklung, Dollarkurs, US-Immobilienkrise -, besteht
eine gute Chance, dass sich die positive wirtschaftliche
Entwicklung und die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt
fortsetzen werden.
Das sind die Signale, die dieses Haus geben muss, um
nicht für Verunsicherung in der Bevölkerung zu sorgen.
Alle Reden, die ich von den Oppositionskollegen gehört
habe, waren jedenfalls nur dazu angetan, Verunsicherung
zu stiften.
({13})
Jetzt spricht der Kollege Walter Riester für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt kein Thema, das sich so wenig eignet, Unsicherheit zu schüren, wie das der Rente; denn die Menschen
sind ohnehin völlig verunsichert. Uns schauen nicht nur
Rentenexperten und Sozialversicherungsexperten zu, es
schauen uns Menschen zu, die sich - das sage ich deutlich - durchaus berechtigte Sorgen machen.
Natürlich freue ich mich über die gute Konjunktur.
Ich freue mich auch über eine Rücklagenbildung in der
Rentenkasse in Höhe von 11 Milliarden Euro. Ich gebe
mich aber nicht der Illusion hin, dass dies die Wirklichkeit widerspiegelt, wenn wir uns fragen, wie sich die Altersvorsorge entwickelt. Ich freue mich, dass wir
40 Millionen Erwerbstätige haben. Aber ich gebe mich
nicht der Versuchung hin, diese Zahl nicht zu hinterfragen.
Ich möchte Ihnen jetzt einige Probleme aufzeigen, aber
auch versuchen, Antworten zu geben. Von den 40 Millionen Erwerbstätigen sind gerade einmal 27 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
({0})
Es gibt gegenwärtig 7 Millionen Menschen, die Leistungen nach Hartz IV beziehen, aus denen sich prinzipiell keine Rentenansprüche bilden. Ein Beitrag von
40 Euro im Monat entspricht einem späteren Rentenanspruch von 2,38 Euro monatlich.
({1})
- Geben Sie mir die Chance, dieses Problem vernünftig
aufzuzeigen. - Ferner gibt es 1,3 Millionen Menschen,
die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber mit den Einnahmen daraus nicht einmal den Grundbedarf abdecken
können. 400 000 Menschen davon sind vollzeitbeschäftigt und werden mit Steuermitteln alimentiert. Aus derartigen Tätigkeiten resultieren kaum Rentenbeiträge.
Es gibt insgesamt 7 Millionen Arbeitsverhältnisse auf
400-Euro-Basis. 3 Millionen der Betroffenen haben keine
weiteren Einkünfte als die 400 Euro. Daraus bilden sich
keine Rentenansprüche. Wenn man das weiß, muss man
sich berechtigte Gedanken darüber machen, wie sich zukünftig die Rentenansprüche entwickeln werden.
Das ist kein Problem der Rentenversicherung, kein
Problem des Rentenversicherungssystems und - Herr
Abgeordneter Lafontaine - auch kein Problem der Rentenformel. Vielmehr handelt es sich um eine grundlegende Veränderung des Arbeitsmarktes, der Entlohnung
und der daraus resultierenden Rentenanspruchsbildung.
Wenn man will, kann man aus meiner Sicht etwas daran ändern, indem man sagt, dass, wie bei den Sozialversicherungen, aus den Einkünften aus Erwerbsarbeit
zwingend Rücklagen für die Altersvorsorge zu bilden
sind. Man sollte nicht immer weitere Bereiche der Erwerbsarbeit aus der Versicherungspflicht herausnehmen.
({2})
- „Zwangs-Riester“: Das ist so albern, dass ich es nicht
kommentieren möchte.
Als Nächstes muss man darauf hinweisen, dass es immer mehr Menschen gibt, die als Selbstständige - teilweise sind das Menschen, die sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig gemacht haben - kaum oder
keine Rücklagen bilden. Am Arbeitsmarkt muss korrigiert werden. Denn ich bin der Auffassung, dass es ein
großer Fehler ist, immer zu sagen, all das solle später die
Rentenversicherung ausgleichen. Die Ursachen für diese
Schwierigkeiten liegen in den Entwicklungen, die ich Ihnen gerade aufgezeigt habe.
Wenn wir nicht die Stärke, die nötige Mehrheit oder
den Willen haben - das meine ich fraktionsübergreifend -,
den Skandal, dass man mit seiner Erwerbstätigkeit nicht
einmal mehr den Grundbedarf abdeckt, abzuwenden, und
dann zynischerweise hinzusetzen, die Tarifautonomie
und die Gewerkschaften sollen das richten, dann müssen
wir uns nicht wundern, wenn wir diese Versäumnisse anschließend mit Steuermitteln im Rahmen der Sozialhilfe
zu bezahlen haben.
({3})
Nicht wir, die wir hier sitzen, sondern die Steuerzahler,
die uns jetzt zuschauen, müssen das dann alimentieren.
Von den 4,5 Millionen Menschen, die selbstständig
und in einer vermeintlich komfortablen Situation sind,
befinden sich - da bin ich mir sicher - bestimmt 3 Millionen in einer hundsmiserablen Situation, beispielsweise Kleingewerbetreibende, die überhaupt keine
Rücklagen bilden. Wenn sie jedoch gut verdienen und
eine hohe Steuerprogression haben, können sie in der
Rürup-Rente Rücklagen bilden. 3 Millionen Menschen
haben aber nicht einmal die Chance, eine Riester-Rente
anzusparen, weil sie keine Unterstützung bekommen.
Das sollte korrigiert werden.
Ich habe mich mit einigen Vorschlägen befasst, die als
Schnellschuss eingebracht worden sind. Was das Prinzip
angeht, hilfebedürftige Menschen auch unabhängig von
der Verschuldungssituation zu unterstützen, um eine
Grundsicherung zu gewährleisten, sollte immer berücksichtigt werden, welche Eigenmittel vorhanden sind. In
diesem Punkt bin ich anderer Meinung als der Abgeordnete Lafontaine. Einnahmen aus der Riester-Rente sind
Eigenmittel, die den Betroffenen zustehen. Wenn wir
diese Eigenmittel nicht mehr berücksichtigen, dann haben mit einem Schlag mehr bedürftige Menschen Anspruch auf finanzielle Unterstützung.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Das ist zwar möglich, aber dann muss man den Menschen draußen im Lande auch sagen, dass sie das zu finanzieren haben. Insofern bin ich für Ehrlichkeit. Ich bin
dafür, das klar und deutlich zu sagen, ohne populistische
Verschärfungen. Die sind bei dem Thema auch gar nicht
nötig, weil die Menschen ohnehin verunsichert sind.
Herzlichen Dank.
({0})
Der Kollege Dr. Michael Fuchs hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Riester, wenn die Einführung von Mindestlöhnen
wirklich so einfach wäre, wie Sie es gerade geschildert
haben, dann hätten wir das Prinzip der kommunizierenden Röhren oder das Perpetuum mobile erfunden. Denn
das würde bedeuten, dass wir nur die Löhne erhöhen
müssten, ohne dass sonst etwas in der deutschen Wirtschaft passierte.
Ich frage mich, wofür wir einen Sachverständigenrat
und Wirtschaftsweise haben, wenn wir alle Warnungen
dieser Fachleute nicht zur Kenntnis nehmen.
({0})
Sparen wir uns doch die ganzen Gutachten, wenn wir
das nicht hören wollen!
Jeder weist darauf hin: Wenn ein Mindestlohn in der
von Ihnen geplanten Größenordnung eingeführt wird,
dann werden in diesem Land Menschen arbeitslos. Dann
hätten wir den gegenteiligen Effekt von dem, was wir erreichen wollen. Dann werden nämlich in Deutschland
Arbeitsplätze verloren gehen und die Kosten weiter steigen. Alle, die arbeitslos werden, zahlen nichts in die
Rentenversicherung ein. Dann tritt das Problem an dieser Stelle wieder auf.
({1})
Es ist doch eine Tatsache, dass gerade dadurch, dass
wir gemeinsam dazu beigetragen haben, dass die Unternehmen Arbeitsplätze geschaffen haben, die Situation
auch in den Sozialversicherungskassen besser geworden
ist. Dadurch waren wir in der Lage, die Beitragssenkungen in der Arbeitslosenversicherung vorzunehmen und
in der Rentenversicherung die Beitragssätze einigermaßen stabil zu halten. Ich erinnere daran, dass sie schon
einmal bei fast 21 Prozent gelegen haben. Diese Situation wollen wir nicht wieder herstellen.
Es ist immer dasselbe mit dem Kollegen Lafontaine.
Aus reinem Populismus fordert er Rentenerhöhungen
und Ähnliches. Woher soll aber das Geld dafür kommen?
({2})
Wir haben dieses Geld nicht, und es wird auch nicht vom
Himmel fallen.
Wir können heilfroh sein, dass wir dieses Jahr erstmals ausgeglichene Staatsfinanzen haben. Wir haben erreicht, dass wir kein Defizit mehr nach Brüssel melden
müssen.
({3})
Darauf müssen wir aufbauen. Als nächstes Ziel - darauf
müssen wir gemeinsam hinarbeiten - muss endlich unser
Bundeshaushalt ausgeglichen werden. Die Neuverschuldung liegt immer noch bei 12 Milliarden Euro. Dies
kann nicht so weitergehen. Das ist eine Politik nach dem
Motto „Kinder haften für ihre Eltern“. Denn letztendlich
zahlen die jungen Leute die Zinsen, Hypotheken etc. zurück. Es ist unsere Aufgabe, das endlich zu ändern.
Das ist aber nicht möglich, Herr Lafontaine, indem
wir weiter Staatsgeld für weitere Maßnahmen ausgeben,
das wir nicht haben. Es ist auch nicht über Steuererhöhungen möglich, weil es dann sofort zu einer Abwanderungswelle aus Deutschland käme. Wir haben bereits mit
diesem Problem zu tun. Ich habe eben versucht, Ihnen
das zu erklären.
Der Situation bei den Lohnnebenkosten können wir
nicht genug Bedeutung beimessen. Es ist uns gelungen - das
haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart -, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken. Wir müssen
aber auf diesem Weg weitergehen. Es ist nicht mit Forderungen nach weiteren Erhöhungen - diese müssen
schließlich irgendwie finanziert werden - getan. Ich finde
das, was der Kollege Riester zur Riester-Rente gesagt hat,
vollkommen richtig. Es kann doch nicht wahr sein, dass
wir die Menschen nun demotivieren und sie davon abhalten, in einer vernünftigen, zusätzlichen Säule anzusparen.
Jeder, der sich so populistisch, wie wir es gerade erlebt
haben, dazu äußert und verhindert, dass die Menschen
vernünftige Vorsorge treffen, sollte über eine Verhaltensänderung nachdenken.
({4})
Wir sollten zudem darauf achten, dass die öffentlichrechtlichen Anstalten nicht noch einmal eine solche
Volksverdummung betreiben, wie es am Montag geschehen ist. Hier sind die Fernsehräte gefordert, die Herren
Redakteure zur Rechenschaft zu ziehen. Anders geht es
nicht.
({5})
Wir sind auf einem guten Weg. Lassen Sie uns diesen
weitergehen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der
konjunkturelle Aufschwung, der gar nicht so ungefährdet ist, nicht kaputt gemacht wird. Alles hat sich dem unterzuordnen; denn nur wenn die Konjunktur so weiterläuft wie bisher, werden wir auch die Chance haben,
zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Dann sind automatisch sämtliche Sozialversicherungssysteme wetterfester als bislang; das ist unser Ziel. Daran sollten wir
gemeinsam weiterarbeiten.
({6})
Jetzt hat Martin Dörmann das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Rentenpolitik ist in der Tat ein besonders sensibles
Thema. Es kommt darauf an, zum einen die berechtigten
Sorgen der Menschen ernst zu nehmen, die Probleme zu
definieren und sie zu lösen und zum anderen Vertrauen
zu schaffen. Man darf das Vertrauen nicht zerstören.
({0})
Die drei Herausforderungen, vor denen wir stehen,
sind schnell genannt: Demografie, Altersarmut und hohe
Beschäftigung. Ich möchte auf diese drei Punkte näher
eingehen, weil sie in einem Zusammenhang stehen. Wer
die Zusammenhänge nicht versteht, wird die Gesamtproblematik nicht lösen können. Die demografische Entwicklung führt dazu, dass immer weniger Beitragszahlern immer mehr Rentenempfänger gegenüberstehen.
Hier geht es um Generationengerechtigkeit. Auch die
jungen Menschen sollen sich darauf verlassen können,
dass die Rente einigermaßen sicher ist, und in der Lage
sein, selber Vorsorge zu betreiben. Deshalb haben wir
den Nachhaltigkeitsfaktor und die Rente mit 67 eingeführt. Dieser Bereich ist von den Wirtschaftswissenschaftlern sehr positiv bewertet worden.
Darüber hinaus dürfen wir die Bedeutung des zweiten
Bereichs nicht verkennen: die Senkung des Rentenniveaus, hervorgerufen durch die demografische Entwicklung, und damit verbunden die Problematik der Altersarmut. Es gibt eine gesellschaftliche Veränderung. Die
Erwerbsbiografien sind heute anders als früher, als man
direkt nach der Lehre einen Vollzeitberuf ergriffen hat,
der einen ein Leben lang getragen hat. Heute sind die
meisten Erwerbsbiografien unterbrochen. Daher muss
Vorsorge betrieben werden. Es gibt zudem eine hohe
Zahl an Geringverdienern und Teilzeitbeschäftigten.
Dazu passen genau die Instrumente, die wir verstärkt
fördern, beispielsweise die Betriebsrente. Ende letzten
Jahres haben wir die Förderung der sozialversicherungsfreien Entgeltumwandlung fortgesetzt. Wir haben die
Riester-Rente eingeführt. Walter Riester hat zu Recht gesagt, dass sich die Riester-Rente gerade für Geringverdiener lohnt. Das dürfen wir uns nicht kaputt machen
lassen.
Nun komme ich zum dritten Bereich, der ebenfalls
nicht unter den Tisch fallen darf. Hier geht es um die
Konjunktur und die Beschäftigung. Es stimmt, selbst
wenn wir die beste Rentenformel und das beste System
bei der Riester-Rente hätten, könnten wir letztendlich
nur das verteilen, was erwirtschaftet wird. Auch hier stehen wir vor Herausforderungen; das ist gar keine Frage.
Wir müssen in bessere Köpfe investieren. Wir müssen
dafür sorgen, dass Deutschland weiter wettbewerbsfähig
bleibt, auch unter globalisierten Bedingungen. Hier haben wir einen guten Status, auf den wir aufbauen können. Aber wir müssen weitergehen. Die Zahlen sind vorhin genannt worden. Es gibt 40 Millionen Erwerbstätige,
davon sind 27 Millionen sozialversicherungspflichtig
beschäftigt, eine Rekordzahl. Aber Walter Riester hat
völlig recht: Wir müssen sehen, wie sich das weiter ausdehnen lässt; denn Teilzeit- und Geringfügigbeschäftigte
sind nicht in der Lage, eigene Vorsorge zu betreiben und
für die Rente anzusparen. Deshalb muss unser Augenmerk darauf gerichtet sein, die Menschen in gute Arbeit
zu bringen.
({1})
Wir brauchen mehr Beschäftigung, und diejenigen,
die in Beschäftigung sind, brauchen gute Arbeitsbedingungen, wozu natürlich auch ein guter Lohn gehört. Einerseits hat die Politik die Voraussetzungen für eine
positive Entwicklung geschaffen. Ich erinnere daran,
dass wir unter Rot-Grün entscheidende Reformen umgesetzt haben, angefangen mit der Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme über die Arbeitsmarktreform
bis hin zum Steuerrecht. Dies setzt jetzt die Große Koalition erfolgreich fort. Andererseits haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - neben den Unternehmen,
die gute Konzepte hatten - einen ganz gehörigen Anteil
an dieser Entwicklung, weil sie Lohnzurückhaltung geübt haben. Allerdings werden wir in Zukunft bei einer
schlechteren konjunkturellen Lage von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr die Bereitschaft
erwarten dürfen, diese Lohnzurückhaltung zu üben,
wenn wir heute bei einer guten Konjunktur nicht auch
dafür sorgen, dass der Aufschwung bei den Menschen
ankommt.
({2})
Deshalb ist dieses Jahr in zweierlei Hinsicht ein besonderes Jahr. Erstens gehe ich hinsichtlich der Tarifverhandlungen davon aus - ich halte dies auch für gut -,
dass die Abschlüsse über dem liegen werden, was in der
Vergangenheit vereinbart wurde. Dies wird dann auch
den Rentnerinnen und Rentnern zugutekommen, die ansonsten ebenfalls von der guten wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt würden, da die Höhe der Renten
an die Lohnentwicklung gekoppelt ist.
Zweitens geht es um das Thema Mindestlohn und Geringverdiener, das heute mehrmals zur Sprache kam. Wir
müssen dafür sorgen, dass die Menschen am Ende nicht
auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Dies ist
übrigens nicht nur eine Frage der sozialen Sicherheit,
sondern auch eine Frage des Selbstwertgefühls der Menschen; denn niemand möchte von vornherein auf staatliche Unterstützung angewiesen sein.
({3})
Deshalb müssen wir im Bereich des Mindestlohns etwas
tun. Die Große Koalition hat dazu einige Verabredungen
getroffen; hier müssen wir weiter vorangehen.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, den
ich gerade schon angedeutet habe, den Bereich Bildung
und Ausbildung, der am Ende ebenfalls mit der Rente
zusammenhängt. Gelingt es uns nicht, neben einer guten
wirtschaftlichen Entwicklung auch in die Köpfe zu investieren, wird es in zehn Jahren vielleicht keine gute
Konjunktur mehr geben, die wie jetzt dem Arbeitsmarkt
Impulse geben kann. In den letzten beiden Jahren haben
wir es geschafft, die Zahl der Arbeitslosen um
1,1 Millionen zu reduzieren.
Dies müssen wir angehen, und dafür brauchen wir zusätzliches Geld. Deswegen komme ich noch einmal auf
meinen ersten Punkt zurück: Diese Bereiche stehen in einem Zusammenhang. Man kann sich nicht wie die Fraktion Die Linke nur einen Bereich herausgreifen, Stimmung machen, die Menschen verunsichern, aber für die
Probleme keine Lösung bieten.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Deshalb mein Appell: Es war immer gute Tradition,
dass die Rentenpolitik von möglichst allen Fraktionen in
diesem Haus getragen wird. Es wäre schön, wenn wir im
Interesse der Menschen zu dieser guten Tradition irgendwann zurückkehren könnten.
Vielen Dank.
({0})
Maria Michalk hat jetzt das Wort für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine gute konjunkturelle Entwicklung ist die Basis für
eine sichere - wir sagen heute: nachhaltige - Finanzierung unserer gesetzlichen Rente. Dies ist und bleibt richtig - viele meiner Vorredner haben dies bekräftigt -,
auch wenn Sie, Herr Lafontaine, dies hier vor laufenden
Bildschirmen dreimal negieren und mit der Faust auf den
Tisch klopfen. Es ist und bleibt richtig: Unser gesetzliches Rentensystem ist so aufgebaut, dass es direkt im
Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung
steht. Diese These ist unstrittig.
Früher haben die Menschen das einfacher formuliert:
Wer Kinder hat, ist reich und braucht sich um seine Zukunft nicht zu sorgen. Diese Denkweise ist in unserer
Gesellschaft leider zunehmend verloren gegangen. Das
ist schade, und wir zahlen dafür einen sehr hohen Preis.
Jeder von uns - jedenfalls alle, die im mittleren Alter
sind - müsste normalerweise jeden Morgen in den Spiegel schauen und sich fragen: Was habe ich persönlich
dazu beigetragen, dass dieses solidarische, auf Generationengerechtigkeit und den Zusammenhalt der Generationen aufgebaute Rentensystem zukunftssicher bleiben
kann? Dass es funktioniert, haben die zurückliegenden
Jahrzehnte auf beeindruckende Weise gezeigt. Deshalb
ist es so wichtig, dass wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen. Aktuell geht es um die Analyse, wie es
früher gelaufen ist; aber diese Debatte ist auch in die Zukunft gerichtet. Deshalb ist diese Aktuelle Stunde nicht
einseitig und nur als Stückwerk zu betrachten, wie das
manche Redner vorher getan haben, sondern wir müssen
die Kraft haben, dies alles im Zusammenhang darzustellen.
Jeder Einzelne kennt aufgrund der jedes Jahr ins Haus
kommenden Renteninformation sehr genau die Höhe der
Rente, die er sich erarbeitet hat. Wir wissen viel über die
Verteilung des Vermögens in unserem Land. Wir wissen,
welche private Vorsorge die Menschen bisher betrieben
haben. Wir haben schon lange Kenntnis darüber, dass
der Grad der Qualifikation des Einzelnen direkt damit
zusammenhängt, ob er arbeitslos wird oder nicht. Unzählige Studien, Berichte, Statistiken - das hat heute
schon eine Rolle gespielt - liegen uns vor. Wir wissen
ganz genau, was Fakt ist. Es gibt zwei bekannte Größen,
die Vergangenheit und die Gegenwart. Aber wir haben
eine Unbekannte, und das ist Zukunft.
Wie werden sich die Menschen in Zukunft verhalten?
Wir können Prognosen aufstellen, aber wir wissen es
nicht. Bleibt es in der Regel bei der Ein-Kind-Familie,
oder wird die Lust auf Kinder wieder größer, wie man
heutigen Berichten entnehmen zu können glaubt? Aktuell gibt es dafür Gott sei Dank einige Signale. Welche
neuen Entwicklungen in der globalisierten Welt werden
unser wirtschaftliches Tun hier in Deutschland beeinflussen? Welchen Einflüssen sind wir ausgesetzt, und
wie werden die Menschen, die nach uns Politik machen,
darauf reagieren? Mit welchen Einkünften können die
Menschen in Zukunft rechnen? Werden sie mehr oder
weniger arbeiten müssen? Werden wir alle 90 oder
100 Jahre alt, oder bringt der Stress unserer Zeit eine
ganz andere Entwicklung mit sich? Angesichts unseres
Gesundheitssystems ist zu vermuten, dass wir alle älter
werden. Immer weniger Menschen müssen dafür Sorge
tragen, dass immer mehr Menschen von unserem hervorragenden und vorbildlichen sozialen Sicherungssystem
profitieren können. Ich meine, wir sollten unsere Erwartungen deshalb nicht nur an andere, sondern auch an uns
selber richten.
({0})
Man sollte sich nicht länger kollektiv komplett der
Zukunft verweigern, indem man Armut von Kindern
hinnimmt. Man sollte die Ideen aller Menschen in das
Ganze einbringen. Jeder hat etwas beizutragen. Wir sollten nicht müde werden und neugierig bleiben; denn das
ist das Fundament der Bildung. Dieser Aspekt hat heute
noch nicht die Rolle gespielt, die er spielen sollte. Jede
persönliche Aktivität - und sei sie noch so gering - wird
die Aussichten auf eine auskömmliche Alterssicherung
erhöhen. Auch Wolkenkratzer, so könnte man es formulieren, haben einmal als Keller angefangen. Wir müssen
beispielsweise in den neuen Bundesländern registrieren,
dass sich auf der einen Seite die Generation, die zu der
Zeit der friedlichen Revolution in Rente war oder ging,
auf der Grundlage von 45 und mehr Arbeitsjahren auf
eine auskömmliche Rente stützen kann, auf der anderen
Seite aber die nachwachsende Rentnergeneration durch
lückenhafte Arbeitsbiografien, niedrige Verdienste und
ohne die Chance, private Vorsorge zu betreiben, mit sehr
viel weniger Einkommen auskommen muss. Da teile ich
ausdrücklich die Analyse und die Fallbeispiele, die Herr
Riester dargestellt hat.
Es ist noch nicht lange her, da war es nicht selten,
dass Arbeitnehmer aus Anlass der 45-jährigen Zugehörigkeit zu einem Betrieb geehrt wurden. Heute kann man
sich vorstellen, dass jemand ausgezeichnet wird, weil er
oder sie auf 45 Jobs unterschiedlicher Arbeitgeber verweisen kann, was nach unserem heutigen Verständnis
ein Beweis unendlicher Flexibilität ist. Das, was ich
heute sagen will, ist: Wir brauchen auch in Zukunft beides, Kontinuität und Flexibilität.
Es ist nicht so, dass wir keine Hausaufgaben mehr zu
machen hätten. Die Große Koalition ist sehr wohl auf
dem Weg, Dinge weiterzuentwickeln und notfalls auch
zu korrigieren. Insgesamt dürfen wir unser Alterssicherungssystem nicht schlechtreden; denn sonst betreiben
die Leute keine private Vorsorge. Das wäre fatal.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Andrea Nahles hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die heutigen Arbeitnehmer finanzieren die
Renten der Alten aus ihrem heutigen Lohn. Das gilt für
die Sozialversicherungsrente, die beitragsfinanziert ist
- mittlerweile fließen außerdem 80 Milliarden Euro an
Steuermitteln in die Sozialversicherungsrente -, und im
Übrigen auch für die Riester-Rente. Auch sie setzt sich
aus zwei Komponenten zusammen: Die eine Komponente ist ein Anteil des Privatlohns, die andere eine steuerliche Subvention.
Der Kern der ganzen Debatte ist, dass die Lohnhöhe
für die heutige und die zukünftige Rentenentwicklung
entscheidend ist. Herr Rohde, es ist Unsinn, zu behaupAndrea Nahles
ten, dass die 2 Millionen Erwerbstätigen, die heute möglicherweise zu wenig verdienen, dies auch in den nächsten 30 Jahren tun werden. Aber wir können natürlich
sagen, unter welchen Bedingungen bestimmte Probleme
mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten.
Einige dieser Bedingungen kann ich Ihnen nennen:
Tarifflucht zum Beispiel führt dazu, dass die Lohnniveaus in ganzen Bereichen gesenkt werden.
Outsourcing: Der Stammbelegschaft wird gekündigt;
sie wird bei einem Leiharbeitgeber beschäftigt, der sie
am selben Arbeitsplatz wie zuvor einsetzt, allerdings für
20 bis 30 Prozent weniger Lohn. Das ist ein ebenso großer Angriff, übrigens ganz besonders auf Hochlohnbereiche.
Ich verweise auf Dumpinglöhne in Branchen, in denen es seit Jahren keinen Flächentarifvertrag mehr gibt,
zum Beispiel in der fleischverarbeitenden Industrie.
Wenn wir da nicht gegensteuern, dann sind die Probleme
der Zukunft schon jetzt absehbar. Wer heute nicht gegen
Dumpinglöhne kämpft, der tut auch nichts gegen Altersarmut.
({0})
Positiv gesprochen: Wir müssen heute aktiv für Mindestlöhne, für faire Arbeitsbedingungen, für Tarifbindung usw. eintreten. Mit anderen Worten: Recht und
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt und gute Löhne sind das
beste Rezept gegen Altersarmut, das wir anbieten können.
({1})
Ich nehme deswegen auch nicht auf die leichte Schulter, was heute bei Nokia passiert. Die Firmenleitung verweigert Verhandlungen. Sie hat erklärt, sie verhandele
nicht mehr über den Erhalt von Arbeitsplätzen. Es wird
eine Verlagerung in ein Billiglohnland betrieben. Nokia
hat am Standort Bochum eine Rendite von 15 Prozent
erzielt. Die Firmenleitung will aber eine Rendite von
20 Prozent erzielen. Das ist der Grund für die Verlagerung der Arbeitsplätze.
Bei diesem Wettlauf, bei dieser Entwicklung der
Löhne nach unten, können wir nicht mithalten. Wer
möchte, dass bei uns so niedrige Löhne wie in Rumänien
gezahlt werden, der nimmt in Kauf, dass es bei uns immer mehr Altersarmut gibt. Ich bin froh, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung, die Bundesregierung und andere für den Erhalt von gut bezahlten und
eine hohe Qualifikation voraussetzenden Arbeitsplätzen
kämpfen. Auch das ist ein Beitrag dazu, dass das Lohnniveau bei uns nicht so sehr schwankt, dass uns am Ende
nichts anderes übrig bleibt, als Armutsrenten aufzustocken. Das will ich nicht. Ich möchte gute Löhne und
hochqualifizierte Arbeitnehmer in Deutschland.
({2})
Ich möchte sehr deutlich sagen: Wir brauchen die Finanzreserve. Die Finanzreserve in der Rentenkasse ist
jetzt Gott sei Dank wieder etwas höher, 11,4 Milliarden
Euro. Warum versuchen wir, diese Finanzreserve zu erhöhen? Damit wir in der nächsten Periode konjunktureller Schwäche die Beiträge nicht anheben müssen.
({3})
Eine solche Anhebung wäre für die konjunkturelle Entwicklung nämlich kontraproduktiv. Jetzt, in einer Phase,
in der es konjunkturell besser läuft, müssen wir die
Schwankungsreserve - so hieß das früher - definitiv
wieder aufstocken. Unsere Politik ist richtig - lassen Sie
uns das hier einmal klar sagen -; alles andere wäre unverantwortlich.
({4})
Wir brauchen einen Dreiklang. Dazu gehört eine gute
Konjunktur, und wir können dafür etwas tun. Für dieses
Jahr ist eine höhere private Investitionstätigkeit zu erwarten. Diesbezüglich war das letzte Jahr für uns gut.
Auch die öffentlichen Investitionen sind höher. Dazu haben die Wirtschaftspolitiker ihren Beitrag geleistet.
Was den privaten Konsum angeht, müssen wir noch
ein bisschen mehr tun. Mehr privater Konsum kann
ebenfalls dazu beitragen, die Wirtschaft so zu stabilisieren, dass wir sagen können: Wir haben eine gute Konjunktur, wir haben ein gutes Wachstum, wir haben gute
Löhne, und daher haben wir auch stabile Renten. Dieser
Zusammenhang muss klar sein.
Wer die Leute verunsichert, der soll wissen: Auch wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sehen genau, dass sich gerade in Ostdeutschland eine Entwicklung abzeichnet - das wurde schon zum Ausdruck gebracht -, bei der die genannten Faktoren gebündelt
auftreten. In Ostdeutschland geht die Entwicklung tatsächlich dahin, dass die Leute weniger Vermögensrücklagen und kaum Wohneigentum haben. Oft haben sie Perioden von 10 oder 15 Jahren Arbeitslosigkeit oder
prekärer Arbeit. Wir sind bereit, dieses Problem rechtzeitig anzupacken. Es handelt sich aber nicht um eine
Frage, die in zwei Tagen beantwortet werden muss. Es
besteht keine Dringlichkeit, die morgen zu Schnellschüssen verleiten darf. Vielmehr sollten wir in aller
Ruhe dazu Vorschläge machen.
Wir haben zurzeit in Deutschland das Problem der
Kinderarmut. Das ist ein Punkt, den wir ganz schnell anpacken müssen. Perspektivisch zeichnen sich auch einzelne Phänomene von Altersarmut ab.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich komme sofort zum Ende. - Lassen Sie uns bitte
die Probleme in dieser Reihenfolge seriös behandeln.
Dann ist den Menschen in diesem Land gedient.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist
beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Nationalen
Normenkontrollrat
Jahresbericht 2007 des Nationalen Normenkontrollrates
Kostenbewusstsein stärken - Für eine bessere
Gesetzgebung
- Drucksache 16/6756 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Ich freue mich sehr, dass die Mitglieder des Nationalen Normenkontrollrates, der unter der Leitung von
Herrn Dr. Ludewig steht, auf der Ehrentribüne Platz genommen haben. Ich begrüße Sie herzlich hier im Haus.
({1})
Als Debattenzeit ist interfraktionell eine Dreiviertelstunde verabredet. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der
Staatsministerin Hildegard Müller.
({2})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Vor gut anderthalb Jahren haben wir
an dieser Stelle über Bürokratieabbau und den Entwurf
eines Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates debattiert. Heute sprechen wir über den
ersten Jahresbericht dieses unabhängigen Gremiums.
Lassen Sie mich gleich zu Beginn meiner Rede die Gelegenheit nutzen, den Mitgliedern des Normenkontrollrates an dieser Stelle für ihre Arbeit und ihre Anregungen
ganz herzlich zu danken.
({0})
Leider kann der Vorsitzende, Herr Dr. Ludewig, heute
nicht anwesend sein. Das hat aber einen positiven
Grund: Er nimmt heute in Brüssel an der ersten Sitzung
der hochrangigen Expertengruppe der EU-Kommission
zum Bürokratieabbau - auch als „Stoiber-Gruppe“ bekannt - teil. Diese Gruppe unterstützt die Kommission
beim EU-Aktionsprogramm zum Abbau von Bürokratie.
Die Berufung des deutschen NKR-Vorsitzenden in dieses Expertengremium zeigt, welch guten Ruf sich der
deutsche Bürokratie-TÜV bereits im ersten Jahr seiner
Arbeit erworben hat.
Dies freut mich umso mehr, als ich mich sehr gut daran erinnern kann, dass noch im Juni 2006 Vorbehalte
gegen dieses Gremium gehegt wurden. Bei der Einbringung des Entwurfes eines Gesetzes zur Einrichtung des
NKR durch die Koalitionsfraktionen gab es noch Skepsis.
Die Arbeit des Rates - dokumentiert durch den heute
vorliegenden Jahresbericht - macht deutlich, dass die
Befürchtungen nicht begründet waren, sondern dass das
Gegenteil eingetreten ist. Es hat sich erwiesen - ich
greife einige Formulierungen aus der Debatte vom
1. Juni 2006 auf -, dass durch den Normenkontrollrat
nicht die befürchtete „Expertokratie“ entstanden ist. Dieses Gremium hat auch keine Entparlamentarisierung hervorgerufen, im Gegenteil.
({1})
Der NKR ist vielmehr ein Gremium, das hart arbeitet,
um der Bundesregierung, aber auch dem Bundestag zu
helfen, Bürokratiekosten zu reduzieren.
({2})
Allein im vergangenen Jahr hat er - das wird im Bericht
zum Teil noch nicht erwähnt - 333 Initiativen für Änderungen von Rechtsetzungen oder für neue Rechtsetzungen daraufhin untersucht. Dadurch wurde übrigens eine
Nettoentlastung der Unternehmen um mehr als
700 Millionen Euro erreicht.
Mit dem Normenkontrollrat ist eine fachkundige
Gruppe entstanden, welche die Bürokratiekosten, die
sich aus der Umsetzung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung ergeben würden, bereits im Entstehungsprozess kritisch überprüft und Alternativen aufzeigt. Die
Kostenansätze sind fester Bestandteil der Regelungsentwürfe der Bundesregierung geworden. Dadurch entsteht
jetzt in den Ministerien eine neue Kultur und Sensibilität
für Kostentransparenz, gerade in Bezug auf Bürokratie.
Dies ist eine Entwicklung, die sicherlich noch weiter reifen muss. Aber sie ist eine Voraussetzung für einen erfolgreichen und vor allem auf Dauer angelegten Bürokratieabbau.
({3})
Parallel dazu ist die Bundesregierung im Prozess der
Messung von Bürokratiekosten bei vorhandenen Regelungen für die Wirtschaft und bei der Initiierung von
Vereinfachungsmaßnahmen bereits weit fortgeschritten.
Zur Information: Die Bundesministerien haben rund
11 000 Informationspflichten der Wirtschaft im Bundesund EU-Recht identifiziert. In einem Zwischenbericht
wurden Kosten der Wirtschaft von rund 27 Milliarden
Euro allein durch die Erfüllung von circa 2 100 Informationspflichten ermittelt.
Bereits im Messprozess haben die Ministerien und die
beteiligten Spitzenverbände der Wirtschaft VereinfaStaatsministerin Hildegard Müller
chungsvorschläge eingebracht, die bereits umgesetzt
wurden oder noch umgesetzt werden; ich darf hier an die
beiden Mittelstandsentlastungsgesetze erinnern, die der
Deutsche Bundestag auf den Weg gebracht hat.
({4})
Der NKR ist auch hierbei ein wichtiger Partner und
Mittler. Insgesamt haben wir also für die Umsetzung des
Programms „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ ein enges Geflecht aus Normenkontrollrat, Wirtschaftsvertretern und Sozialpartnern geschaffen. Diese
sind sowohl bei der Entstehung von Regelungsentwürfen
als auch bei der Bemessung von Bürokratiekosten wichtige Impulsgeber.
Im Einzelfall wurde - das sei hier offen gesagt - die
Abschätzung der Bundesregierung von NKR und Wirtschaft nicht immer geteilt. Diese Kritik ist willkommen
und deshalb Teil des Verfahrens. Wir nutzen sie dazu,
Kostenschätzungen und Messergebnisse auf ihre Verlässlichkeit zu überprüfen.
({5})
So hat es schon in vielen Fällen im Laufe einer Ressortabstimmung Anpassungen der Gesetzesinitiativen gegeben. Es sollte aber immer bedacht werden: Die erstmalige Ermittlung von Kosten bürokratischer Regelungen
ist Neuland, welches wir alle gemeinsam beschreiten.
Auf dem Weg zu einem effizienten Staat mit größerem Freiraum für unternehmerisches Handeln liefert das
Standardkostenverfahren wichtige Ansatzpunkte für politische Entscheidungen, die uns bislang fehlten. Der
Jahresbericht des Normenkontrollrates macht dies deutlich.
Inzwischen haben wir diesen Prozess auf Europa ausgeweitet. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch die
deutsche EU-Ratspräsidentschaft unter der Führung der
Bundeskanzlerin Angela Merkel Beschlüsse gefasst hat,
zum Beispiel den Beschluss, bis 2012 25 Prozent der
Bürokratiekosten abzubauen. Wir haben uns dieses ehrgeizige Ziel bereits für das Jahr 2011 gesetzt.
({6})
Ich verweise auf ähnliche Gremien in verschiedenen
Bundesländern. Als Beispiel möchte ich den Kontrollrat
des Saarlands oder das Normenprüfverfahren des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen erwähnen.
Für die nächste Zukunft haben wir uns vier wichtige
Themenbereiche vorgenommen:
Erstens haben wir die Reduzierung von Bürokratiekosten auch im europäischen Raum weiter im Blick.
({7})
Ich bin zuversichtlich, dass Slowenien im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft den Prozess ebenfalls unterstützen und weitere wichtige Impulse setzen wird.
Zweitens werden die Ministerien im Dialog mit Unternehmen und Verbänden zunächst einmal die rund
50 kostenträchtigsten Informationspflichten, die rund
80 Prozent der Kosten verursachen, auf Vereinfachungsmöglichkeiten hin überprüfen und Vereinfachungen umsetzen. Für mich ist dabei ganz wichtig, dass wir das
nicht nur auf der abstrakten Ebene tun. Vereinfachungen
müssen für jedes einzelne Unternehmen spürbar werden.
({8})
Drittens ist die Wahrnehmung vor allem bei den Bürgerinnen und Bürgern wichtig. Deshalb beginnen wir in
diesem Jahr mit der Messung der Bürokratiekostenbelastung, die primär die Bürgerinnen und Bürger betrifft.
({9})
Dies hat das Bundeskabinett in seiner Klausur in Meseberg im vergangenen Jahr verabredet. Auch hier wollen
wir weitere Vereinfachungen und Entlastungen durchsetzen. Die Prozesse in der Verwaltung werden wir uns natürlich ebenfalls vornehmen.
Viertens werden wir uns gemeinsam mit dem Normenkontrollrat zeitnah auch um den großen Bereich der
Selbstverwaltungsträger kümmern, also etwa um die
Krankenkassen oder die Rentenkassen; über Letztere haben wir ja eben diskutiert. Hierzu ist bereits für das
Frühjahr zu einem Treffen mit den maßgeblichen Entscheidungsträgern eingeladen.
Erlauben Sie mir zum Abschluss eine Bitte. Der Bundesregierung als Initiatorin und Umsetzerin vieler Rechtsetzungen obliegt es, den Prozess des messbaren Bürokratieabbaus konsequent fortzuführen. Aber es wäre zu
begrüßen, wenn das Parlament, das über die Rechtsetzung befindet, diesen Prozess ebenfalls weiter unterstützen würde, nicht nur dadurch, dass es die Expertise des
Normenkontrollrats nutzt, sondern auch dadurch, dass es
bei eigenen Initiativen die Bürokratiekosten bedenkt,
auch wenn es hierfür keine gesetzliche Bindung gibt. Ich
bin sicher: Der Normenkontrollrat steht gern zur Verfügung.
({10})
Vor diesem Hintergrund bin ich sehr dankbar, lieber Kollege Wend, dass Sie sich heute in der Rheinischen Post
für eine Stärkung der NKR-Rechte ausgesprochen haben.
Wir haben mit dem Normenkontrollrat ein engagiertes und vor allem unabhängiges Gremium zur Politikberatung. Lassen Sie es uns im Sinne einer Steigerung der
Effizienz weiter nutzen. Ich wünsche dem Normenkontrollrat eine erfolgreiche Fortführung der aufgenommenen Arbeit und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin froh, dass wir hier über den ersten Jahresbericht
des Normenkontrollrates diskutieren können, und füge
hinzu: dank der FDP.
({0})
Alle anderen Fraktionen des Deutschen Bundestages
wollten nicht an dieser Stelle über diesen Bericht diskutieren, sondern ihn direkt in die Nichtöffentlichkeit der
Ausschüsse überweisen. Das ist die Realität.
({1})
Der Bericht zeigt die Leistungen des Normenkontrollrates. Seine Einsetzung war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Normenkontrollrat ist kompetent besetzt und leistet gute Arbeit. Auch von unserer Seite
möchte ich dem Normenkontrollrat ein herzliches Dankeschön für seine Arbeit sagen.
({2})
Das Problem ist allerdings, dass die Kompetenzen,
die der Normenkontrollrat hat, völlig unzureichend sind:
Auf der einen Seite ist sein Arbeitsfeld auf die Informationspflichten begrenzt, auf der anderen Seite kann er
beispielsweise Fraktionsvorlagen nicht unter die Lupe
nehmen.
({3})
- Was heißt hier: „Kommt noch!“? Sie hätten es längst
machen können.
({4})
Der Normenkontrollrat kann im Moment nicht mehr erreichen, weil er nicht darf, weil Sie, liebe Koalitionäre,
ihn nicht lassen.
({5})
Hinzu kommt, dass Sie in entscheidenden Fragen
nicht auf den Normenkontrollrat hören. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede beim Weltwirtschaftsgipfel in
Davos am 25. Januar 2006 gesagt - ich zitiere -:
Ich habe dieses Thema für die Arbeit unserer Regierung zur Chefsache erklärt, weil ich glaube, dass
wir im Augenblick grandiose Kräfte in Deutschland
dadurch fesseln, dass wir uns in Regularien, die
scheinbare Sicherheit versprechen, verfangen haben.
Wie recht hat die Bundeskanzlerin! Aber nach der Hälfte
der Legislaturperiode, meine sehr verehrten Damen und
Herren von der Koalition, fragt man sich: Wo ist denn
die Entfesselung geblieben? Wo ist denn der Durchbruch
beim Bürokratieabbau? Wo gibt es mehr Freiheit für Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger in diesem
Land? Fehlanzeige, meine Damen und Herren!
({6})
Das Ergebnis ist ernüchternd, obwohl Frau Merkel
dieses Thema zur Chefsache erklärte. Der Normenkontrollrat wurde an die Kette gelegt.
({7})
Die sogenannten Mittelstandsentlastungsgesetze haben
keine erkennbare Wirkung.
({8})
Die Bundesregierung verliert sich stattdessen im Kleinklein von Rechtsbereinigungsgesetzen, mit denen Gesetze von anno Tobak abgeschafft werden, die eh keine
Anwendung mehr finden. Zugleich ächzen die betroffenen Betriebe weiterhin unter massiver Bürokratielast.
Das ist die Realität.
Jetzt, Frau Müller, brüsten Sie sich auch noch damit,
dass Einsparungen in Millionenhöhe dadurch erzielt
worden seien, dass Informationspflichten neuer Art verhindert wurden.
({9})
Überprüfbar ist das nicht.
({10})
Überprüfbar ist allerdings, dass die bestehenden Bürokratielasten, die jährlich mindestens Kosten von
46 Milliarden Euro verursachen, nicht weniger, sondern
eher mehr geworden sind. Ich verweise auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.
({11})
Deshalb hat der Normenkontrollrat auch deutlich gemacht, dass es nötig ist, das Abbauprogramm zügig zu
konkretisieren. Ich möchte vier Empfehlungen des Normenkontrollrates aufgreifen:
Die erste Empfehlung lautet: Präzisierung des 25-Prozent-Abbauziels als Nettoziel. Bisher hat sich die Bundesregierung schlicht geweigert. Bisher hat man gesagt,
man wolle 25 Prozent abbauen, sagt aber nicht klipp und
klar, wie dann zu verfahren ist, wenn neue Informationspflichten geschaffen werden. Dann müssen im gleichen
Zuge an anderer Stelle auch welche abgebaut werden;
sonst findet nämlich kein Abbau, sondern ein Zuwachs
statt. Da müssen Sie, meine Damen und Herren, endlich
klar Farbe bekennen.
({12})
Die zweite Empfehlung des Normenkontrollrates lautet: Festlegung von Zwischenzielen und ressortspezifiBirgit Homburger
schen Abbauzielen. In der Unterrichtung der Bundesregierung, die uns vorliegt, steht, man wolle jetzt einen
Dialog mit der Wirtschaft über den Abbau der 50 teuersten Informationspflichten führen.
({13})
Darüber müssen Sie keinen Dialog führen. Wenn Sie sie
identifiziert und uns vorgelegt haben, müssen Sie darangehen, diese Informationspflichten abzubauen; darüber
brauchen Sie nicht weiter zu reden.
({14})
Das Ziel, 25 Prozent der Informationspflichten bis 2011
abzubauen und die Hälfte davon bis 2009, reicht nicht
aus. Sie müssen ganz klare ressortspezifische Ziele festlegen. Der einzige Grund, warum Sie das bisher nicht
getan haben, ist schlicht und ergreifend, dass Sie sich
nicht trauen, weil Sie Angst davor haben, zu scheitern.
Der dritte Punkt, den ich aufgreifen möchte, ist die
Überprüfung der Abbaumaßnahmen auf ihre Wirkung
für Unternehmen. Nicht ohne Grund hat der Normenkontrollrat festgestellt, dass bei den Mittelständlern unter
Umständen überhaupt nichts ankommt, weil bestimmte
Bereiche angegangen werden, die den Mittelstand nicht
betreffen. Es gibt fünf große Kostenblöcke: das zu komplizierte Steuer- und Abgabenrecht, das zu komplizierte
Sozialversicherungsrecht, das zu komplizierte Arbeitsrecht, das zu komplizierte Umweltrecht und darüber hinaus zu viele Statistiken. Bei diesen fünf großen Kostenblöcken, meine sehr verehrten Damen und Herren der
Koalition, muss endlich etwas getan werden - und nicht
auf irgendwelchen Nebenkriegsschauplätzen.
({15})
Die FDP hatte das gefordert und darüber hinaus vorgeschlagen, dass mehr als nur Informationspflichten
überprüft werden. Sie haben das alles abgelehnt, als das
Gesetz gemacht wurde. Wir könnten heute weiter sein,
wenn Sie nur gewollt hätten.
({16})
Das zeigt: Der Bundesregierung fehlt nicht nur die Kraft,
sondern auch der Wille zum Bürokratieabbau. Deswegen
rate ich Ihnen: Hören Sie auf den Normenkontrollrat,
insbesondere bei der Kritik, die er geäußert hat, auch in
Bezug auf die Erbschaftsteuer!
({17})
Hören Sie auf den Normenkontrollrat, sonst werden Sie
scheitern!
Das Letzte, was ich Ihnen zum Thema Bürokratieabbau mit auf den Weg geben möchte, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition und von der
Bundesregierung: Sie sollen nicht reden, schon gar nicht
schönreden, sondern bitte endlich handeln!
Vielen Dank.
({18})
Dr. Rainer Wend hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich darf zunächst Sie, liebe Frau Müller, wieder sehr
herzlich in Ihrer Eigenschaft als Staatsministerin auf der
Regierungsbank begrüßen.
({0})
Wir freuen uns sehr, dass Sie nach der Elternzeit wieder
da sind,
({1})
und zwar aus zwei Gründen: Der erste Grund ist - das ist
keine Kritik an Ihrem Vertreter, der seine Arbeit sehr gut
gemacht hat; das will ich ausdrücklich sagen -, dass Sie
das Thema Bürokratieabbau seit Beginn Ihrer Tätigkeit
mit Herzblut begleiten. Sie haben es auf Ihre persönliche
Agenda gesetzt und werden jetzt gewiss wieder einen
Schub in diese Debatte bringen. Der zweite Grund ist:
Sie zeigen damit, dass die Vereinbarkeit von Kindererziehung mit einer verantwortlichen beruflichen und politischen Tätigkeit möglich ist. Dazu wünschen wir Ihnen
von Herzen alles Gute.
({2})
Ich möchte auch für die SPD-Fraktion sehr herzlich
die Mitglieder des Normenkontrollrates auf der Tribüne
des Bundestages begrüßen und mich für Ihre Arbeit bedanken. Angesichts der Tatsache, dass Sie mit Ketten gefesselt sein sollen, sehen Sie einigermaßen fröhlich aus.
Vielleicht ist es also nicht ganz schlimm, Frau
Homburger. Vielleicht hat der Normenkontrollrat politisch etwas mehr verstanden, als Sie es heute demonstriert haben. Sie haben neben vielen richtigen Bemerkungen, zu denen ich gleich etwas sagen möchte, zum
Schluss wieder einmal ausgeführt, die große Fessel, die
wir in Angriff nehmen müssten, seien das Arbeitsrecht
und das Umweltrecht.
({3})
Verstehen Sie bitte, dass es die Aufgabe des Normenkontrollrates ist, exakt das zu vermeiden: dass wir „Bürokratieabbau“ sagen, aber den Abbau der Rechte von
Arbeitnehmern meinen. Das wird in dieser Bürokratieabbaudebatte von der Großen Koalition deutlich voneinander getrennt.
({4})
Der Normenkontrollrat war, wie ich finde, auch in
den Ministerien erfolgreich, vor allem deshalb, weil er
darauf verzichtet hat, zu sehr über die Medien und die
Öffentlichkeit Druck auszuüben,
({5})
der nur Gegendruck erzeugt hätte. Er hat vielmehr durch
unglaublich viele beharrliche und seriöse Gespräche mit
den Beteiligten ein Klima erzeugt, bei dem sich alle mitgenommen fühlten. Ich glaube, dem Normenkontrollrat
ist beim Umgang mit den Ministerien etwas Gutes gelungen. Gleichwohl räume ich gerne ein, dass es das eine
oder andere Ministerium gibt, mit dem es noch besser
klappen könnte, als es in der Vergangenheit der Fall war.
({6})
Was haben wir bereits geschafft, und was liegt noch
vor uns? In Deutschland ist eine Bürokratiebelastung nur
durch Dokumentations- und Informationspflichten in einer Größenordnung von etwa 28,9 Milliarden Euro identifiziert worden. Dabei sind die Kosten der mittelbaren
Staatsverwaltung, also des Bereichs der Sozialversicherungen, noch gar nicht mitgerechnet. Dazu wird die Kollegin Bulmahn nachher noch etwas sagen.
Wir haben nach Bericht der Bundesregierung bisher
allerdings nur in einem verhältnismäßig geringen Umfang in Höhe von 2,6 Milliarden Euro einen Abbau von
bürokratischen Belastungen in diesem Bereich erreicht.
Man kann also sagen, dass wir mit dem Jahr 2007 das
Jahr der Identifikation von Maßnahmen hinter uns haben.
({7})
Wir müssen im Jahr 2008 und im Jahr 2009 zu einem realen Abbau der bürokratischen Belastungen kommen.
Das ist unsere Aufgabe.
({8})
Ich muss eines eingestehen - da hat Frau Homburger
nach meiner Wahrnehmung nicht unrecht -: Wenn ich in
mittelständischen Betrieben sage, dass wir beim Bürokratieabbau jetzt alles besser machen, dann bekomme
ich als Antwort: Es ist schön, dass Sie das vorhaben,
Herr Wend; aber davon haben wir noch nicht viel gemerkt. - Man muss sich schon ehrlich fragen, woran das
liegt. Vielleicht liegt ein Grund darin, dass es sich mit
Blick auf die volkswirtschaftliche Gesamtsumme um einen Riesenbetrag handelt, dass sich aber in einigen
Branchen die spürbare Wirkung des Bürokratieabbaus in
Grenzen hält, wenn man nur die allgemeinen Dokumentations- und Berichtspflichten sieht.
Beispielsweise handelt es sich bei der Chemieindustrie um eine Branche, die neben Dokumentations- und
Berichtspflichten von zusätzlichen bürokratischen Belastungen betroffen ist. Deswegen finde ich es gut, dass
der VCI, der Verband der Chemischen Industrie, eine
Studie in Auftrag gegeben hat, um Bürokratiekosten zu
ermitteln, die branchenspezifisch nur für die chemische
Industrie anfallen. Dies ist eine wertvolle Ergänzung und
Bereicherung der Arbeit des Normenkontrollrates.
({9})
Man kann am Beispiel einzelner Unternehmen zeigen,
was bürokratische Belastungen bedeuten können. Ich
nenne als Beispiel die DENIOS AG in Bad Oeynhausen.
Es ist ein umwelttechnisches Unternehmen mit etwa
600 Beschäftigten weltweit und 220 Mitarbeitern vor
Ort. Dieses Unternehmen hat, so ist ermittelt worden,
204 staatliche Informationspflichten zu erfüllen. Der
Zeitaufwand dafür beträgt etwa 5 100 Stunden im Jahr.
Damit entstehen Bürokratiekosten - wie gesagt, es geht
hier nur um Informations- und Berichtspflichten - in
Höhe von etwa 168 000 Euro - ohne Berücksichtigung
der mittelbaren Staatsverwaltung. Man kann am Beispiel
dieses mittelständischen Betriebes sehen, dass dieser Bereich nicht völlig zu vernachlässigen ist, sondern für die
betreffenden Unternehmen durchaus eine Bedeutung hat,
die man nicht unterschätzen sollte.
({10})
Was bleibt noch zu tun? Wir müssen es in einem weiteren Schritt schaffen, die Bürokratie nicht nur für die
Wirtschaft, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger
abzubauen.
({11})
Dazu hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie erstellt, in
der die Bürokratiekosten von Bürgerinnen und Bürgern
in besonderen Lebenslagen berechnet worden sind. Was
meine ich mit „besonderen Lebenslagen“? Jede Bürgerin
bzw. jeder Bürger muss eine Einkommensteuererklärung
machen und muss, wenn Kinder da sind, Kindergeld beantragen. Das meine ich aber nicht. Es geht beispielsweise um Menschen, die ihre älteren und pflegebedürftigen Angehörigen betreuen. Diese haben im Jahr - so ist
ermittelt worden - einen Zeitaufwand von 32 Stunden
allein für die Erfüllung von gesetzlichen administrativen
Anforderungen. Das heißt, wir als Staat lasten denjenigen Bürgerinnen und Bürgern, die ohnehin schon in einer besonderen Lebenssituation sind - hier: Pflege einer
älteren Person -, noch zusätzliche bürokratische Pflichten auf, die sie neben der Pflege erfüllen müssen. Ich
finde, wir haben diesen Menschen gegenüber eine besondere Verpflichtung. Wir müssen alles tun, um Entlastungen möglich zu machen. Es muss ihnen wenigstens
erspart bleiben, in dieser schwierigen Lebenssituation
unnötige bürokratische Leistungen zu erbringen.
({12})
Das ist durch einfache Dinge möglich. Durch eine Verlängerung der Gültigkeit von Rezepten zum Beispiel lassen
sich für Bürgerinnen und Bürger in besonderen Lebenssituationen nicht unerhebliche Verbesserungen erzielen.
Ich stimme der Kollegin Homburger ausdrücklich zu:
Wir müssen für die Entlastungen, die wir in nächster Zeit
bei den Ministerien herbeiführen wollen, ein Nettoziel
vereinbaren; denn es macht überhaupt keinen Sinn,
wenn wir auf der einen Seite bei älteren Gesetzen Bürokratie abbauen, auf der anderen Seite aber neue verabschieden, die Bürokratie aufbauen. Wir müssen das eine
und das andere auf einem Level zusammenbringen. Wir
müssen sagen: Netto brauchen wir eine Entlastung um
25 Prozent. Dafür steht die SPD-Fraktion.
({13})
Neben dem 25-Prozent-Ziel müssen wir Zwischenziele formulieren, weil über die Formulierung von Zwischenzielen - auch da hat der Normenkontrollrat recht eine zeitnähere Kontrollmöglichkeit gegeben ist. Schließlich müssen wir ressortspezifische Ziele formulieren und
Abbaupläne entwickeln, damit das Ergebnis bei den einzelnen Ministerien zielgenau überprüfbar ist.
Dank des Normenkontrollrates haben wir einiges getan, übrigens wesentlich mehr, als ich vor ein bis zwei
Jahren gedacht habe. Das kann uns aber nicht dazu veranlassen, uns auszuruhen, im Gegenteil: Das muss uns
anspornen, im Laufe dieser Legislaturperiode noch besser zu werden. Wir wollen das gemeinsam schaffen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({14})
Jetzt hat der Kollege Professor Herbert Schui das
Wort für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Normenkontrollrat empfiehlt, so der Jahresbericht, ein
25-Prozent-Abbauziel als Nettoziel zu definieren, und
das durch weniger gesetzliche Informationspflichten.
Wenn man sich die Sache durch den Kopf gehen lässt,
findet man heraus: So kann man es nicht anpacken; denn
wir wissen ja nicht, welche Informationen unter den
Tisch fallen, wenn dieses 25-Prozent-Nettoziel erreicht
wird. Der ganze Ansatz taugt von der Methode her also
nicht. Das Parlament und die Forschung, die auf die Erhebung solcher Daten angewiesen sind, müssen bestimmen, was sie benötigen, damit das Parlament zu ordentlichen, fundierten Beschlüssen und die Forschung zu
guten Forschungsergebnissen kommen können. Erst
wenn das festgelegt ist, kann man sagen, welche Daten
vernünftigerweise nicht mehr erhoben werden sollten.
So herum kann es funktionieren, andersherum kann es
nicht funktionieren.
Wir müssen stets rasch und genau wissen, wie hoch
die Beschäftigung ist, was mit dem Wirtschaftswachstum
ist, wie viele Leute sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, wie hoch die Rente, die auf dieser Grundlage
berechnet wird, sein wird usw. Das ist außerordentlich
notwendig. Bei der Reform muss diese Zuverlässigkeit
gewährleistet sein, damit das Parlament nicht in den
blauen Dunst hinein Gesetze macht. Das Parlament muss
sich über diese Dinge klar sein. Das Parlament kann das
festlegen. Forscher, die in diesem Bereich tätig sind, sind
ebenfalls aufgerufen, Vorschläge zu machen. Bei aller
Hochachtung gegenüber den Honoratioren im Rat habe
ich die Vermutung, dass sie von den Dingen, um die es
geht, viel zu wenig wissen.
({0})
Lässt man den Rat und die Regierung machen, dann
werden wir erst im nächsten Jahr wissen, was in diesem
Jahr tatsächlich los gewesen ist. Das Statistische Bundesamt spricht von einem Fehler von plus oder minus
0,5 Prozentpunkten bei statistischen Erhebungen. Das
liegt vor allen Dingen daran, dass die Berichtspflicht von
Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten stark
eingeschränkt worden ist.
Um ein Beispiel zu nennen: Im zweiten Quartal 2006
hat das Statistische Bundesamt Folgendes veröffentlicht:
Die Wirtschaft ist im ersten Quartal 2006 im Vergleich
zum ersten Quartal 2005 um 2,88 Prozent gewachsen.
Diesen Wert hat das Amt fünfmal korrigiert. Erst 18 Monate später konnte das Amt den exakten Wert angeben,
nämlich 3,41 Prozent.
Solche groben Ungenauigkeiten erschweren zutreffende Prognosen, und vor allen Dingen - das gilt für die
Fraktion der CDU/CSU und alle, die die Kanzlerin gewählt haben - ist wichtig, dass die zuerst veröffentlichten
Daten von der Öffentlichkeit besonders wahrgenommen
werden. Anders ausgedrückt: Um wie viel glanzvoller
hätte die Aufschwungkanzlerin dagestanden, wenn schon
im Sommer 2006 0,53 Prozent mehr Wachstum publiziert worden wäre?
({1})
- Ja, selbstverständlich. Ich hätte mich mit Ihnen gefreut, klar doch.
({2})
- Nein, ich glaube, Sie haben kein Verständnis für Ironie. Wir können uns darüber bei Gelegenheit bei einem
Kaffee unterhalten.
({3})
Im Ernst: Wenn das Parlament richtige Wirtschaftspolitik beschließen will, braucht es richtige Zahlen. Aber
nicht nur das: Wir brauchen eine effiziente und wirtschaftliche Verwaltung.
Ich nenne zwei Beispiele.
Erstes Beispiel: Die Finanzverwaltung arbeitet nicht
effizient. Die Steuerhinterziehung ist entschieden zu
hoch. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass sich daran im Rahmen der Föderalismusreform etwas ändern
wird.
Zweites Beispiel: Zum ALG II gibt es ellenlange Formulare, ewig langes Warten und schließlich falsche Bescheide, sodass die Klagen bei den Gerichten zunehmen.
Auch das ist keine effiziente Verwaltung. Kann die Ver14324
waltung den ALG-II-Empfängern nicht zumindest das
Wenige, das ihnen zusteht, richtig zahlen?
({4})
Was kostet eine schnelle Information? Diese
790 Millionen Euro, die eingespart wurden, bedeuten für
jedes Unternehmen - für die kleinen weniger, für die
großen mehr - 19 Euro im Monat. Das ist nicht viel.
Der Aufschwung - das ist meine letzte Bemerkung kommt ja unten an, aber nicht so, wie Sie meinen. Die
Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für dieses Jahr ein
Wirtschaftswachstum von eindreiviertel Prozent voraus.
Es ist außerordentlich wahrscheinlich, dass diese Prognose weiter nach unten revidiert werden muss. Dort
kommt der Aufschwung also an. Wenn ich die Bürokratie abgebaut und zu wenig Informationen habe, dann
macht mich nicht heiß, was ich nicht weiß.
Herr Schui, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja. - Das wird wahrscheinlich zum Ergebnis haben,
dass die Kanzlerin in der Aufschwungsonne noch glänzen will - die Informationen werden zu spät veröffentlicht -, wenn der Aufschwung längst vorbei ist.
({0})
- Ja.
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Hartmut Koschyk spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüße ich sehr, dass wir über den ersten Bericht des Normenkontrollrates heute so zeitnah im Parlament diskutieren. Ich möchte dem Normenkontrollrat für seine Arbeit
ausdrücklich danken. Er arbeitet engagiert, solide,
gründlich, und er ist erfolgreich.
({0})
Ich möchte daran erinnern, dass der Normenkontrollrat - vor allem das Gesetz zur Schaffung des Normenkontrollrates und das zugrunde liegende Bürokratiemessverfahren - ein Kind dieses Parlaments ist. Wir
haben bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes bewusst
darauf Wert gelegt, dass es eine Parlamentsinitiative und
keine Regierungsinitiative ist. Ich möchte namens unserer Fraktion demjenigen, der aus unserer Fraktion hier
sehr viel Vorarbeit geleistet hat, ausdrücklich danken,
nämlich unserem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Norbert Röttgen. Deshalb heißt der Normenkontrollrat bei uns auch Norbertkontrollrat.
({1})
Bereits 2003 hat die Weltbank festgestellt, dass es in
Deutschland im Vergleich zu anderen Industrieländern
eine viel höhere Belastung der Wirtschaft durch Bürokratiefolgelasten gibt. Deshalb war es höchste Zeit, dass
das Bürokratiemessverfahren entwickelt und der Normenkontrollrat ins Leben gerufen worden sind.
Frau Staatsministerin Müller, die den Bürokratieabbau innerhalb der Bundesregierung im Kanzleramt
federführend koordiniert, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass durch das Erste und Zweite Mittelstandsentlastungsgesetz bereits erste Maßnahmen auf den Weg
gebracht worden sind. Dies betrifft unter anderem den
Abbau von Statistik- und Nachweispflichten. Unsere
Wirtschaftspolitiker arbeiten bereits an einem dritten
Mittelstandsentlastungsgesetz.
Wir, der Deutsche Bundestag, wollen mit den Mitgliedern des Normenkontrollrates einen lebendigen Dialog.
Der Vorsitzende des Normenkontrollrates und sein Stellvertreter waren in einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Bundestages zu Gast. Ich bin der Meinung,
dass Mitglieder des Normenkontrollrates alle Ausschüsse des Deutschen Bundestages besuchen und über
ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den jeweiligen Ressorts berichten sollten. Denn was den Bürokratieabbau der Bundesregierung betrifft, ist noch nichts so
gut, als dass das Parlament, vor allem die hinter der Regierung stehenden Fraktionen, dies nicht nachhaltig unterstützen sollte.
Die Arbeit kommt jetzt erst richtig in Schwung. Wir,
das Parlament, warten genauso wie der Normenkontrollrat auf den Bericht des Staatssekretärsausschusses der
Bundesregierung.
({2})
Jetzt wird es darauf ankommen, dass uns die einzelnen
Ressorts ganz konkrete Vorschläge, die ihren eigenen
Bereich betreffen, zuleiten. Herr Wend, Sie haben zu
Recht gesagt: Das Jahr 2007 war das Jahr, in dem die
Bürokratielasten identifiziert wurden. - Es ist gut und
richtig, dass der Normenkontrollrat die neuen Gesetzesinitiativen der Bundesregierung geprüft, sie kräftig ausgedünnt bzw. eine nicht unerhebliche Zahl von Vorschriften kassiert und dadurch neue Kosten vermieden
hat. Das Entscheidende aber ist, dass der gesamte Normenbestand, für den der Normenkontrollrat Bürokratiefolgelasten in Höhe von 30 Milliarden Euro errechnet
hat, auf den Prüfstand kommt.
Liebe Frau Kollegin Homburger, wir, die CDU/CSU,
wollen und werden gemeinsam mit der SPD-Fraktion
dafür sorgen - diese Ankündigung von Herrn Wend
konnten Sie heute in einem Zeitungsinterview lesen -,
({3})
dass Gesetzesinitiativen des Parlaments in Zukunft vom
Normenkontrollrat überprüft werden. Ich finde, wir sollten den ersten Bericht des Normenkontrollrates zum
Anlass nehmen, um hier eine kleine Novellierung des
Gesetzes zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates vorzunehmen.
({4})
Ganz entscheidend ist - darauf ist von Herrn Wend
schon hingewiesen worden -: Wir dürfen nicht nur die
Bürokratiefolgelasten für die Wirtschaft im Blick haben,
sondern es geht auch darum, wie unsere Bürgerinnen
und Bürger durch Bürokratie - das Beispiel Pflege war
sehr eindringlich, Herr Kollege Wend - belastet werden.
Ich will noch einen Schritt weiter gehen. Wir müssen
besonders im Auge behalten, wie wir diejenigen Bürgerinnen und Bürger in unseren Land, die sich ehrenamtlich engagieren, bei der Ausübung ihrer Ehrenämter von
Bürokratie befreien können.
Im möchte im Namen des Parlaments eine Bitte an
den Normenkontrollrat richten, der bei seiner zukünftigen Arbeit auch die Bürger im Blick hat: Geben Sie uns,
dem Gesetzgeber, wertvolle Hinweise, und machen Sie
uns Beine, wie wir vor allem die Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrenamtlich engagieren, von überflüssiger
Bürokratie entlasten können!
({5})
Auf Bundesebene haben wir den Anfang gemacht.
Wir ruhen uns auf den ersten Erfolgen des Bürokratieabbaus in Deutschland aber nicht aus. Jetzt muss das
Ganze nach oben und nach unten fortgesetzt werden. Es
ist sicherlich ein guter Zufall, dass sich der Vorsitzende
des deutschen Normenkontrollrates heute in Brüssel aufhält. Denn über eines müssen wir uns im Klaren sein:
Vieles, was wir an Bürokratie in Deutschland beklagen,
wird uns durch die Normensetzung auf der europäischen
Ebene vorgegeben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass
wir bei der Umsetzung in Deutschland oftmals noch eins
draufsetzen.
Der Bürokratieabbau muss auch auf der Ebene der
Länder erfolgen. Es sind gute Beispiele aus den Ländern
genannt worden; ich will hier für Bayern die HenzlerKommission nennen. Der Bürokratieabbau muss auch
auf die kommunale Ebene heruntergebrochen werden,
und er darf vor den Sozialversicherungsträgern in
Deutschland nicht haltmachen. Denn auch da gibt es
viele Dinge, die vom Gesetzgeber oft gar nicht gewollt
sind, durch die aber im Vollzug, bei Erhebungen bzw. in
Formularen der Sozialversicherungsträger, zusätzliche
Bürokratie auf die Bürgerinnen und Bürger zukommt.
Der Anfang ist gemacht, aber wir müssen weitergehen. Ich bin sehr sicher, dass der Weg zum Bürokratieabbau in Deutschland jetzt, da er einmal eingeschlagen
worden ist, nie mehr verlassen werden kann. In diesem
Sinne herzlichen Dank und weiterhin viel Erfolg dem
Normenkontrollrat! Auf einen lebendigen Dialog mit
dem Parlament!
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Kerstin Andreae, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ein Jahr Normenkontrollrat ist auch für die
Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen ein Anlass, dem
Normenkontrollrat für seine Arbeit zu danken. Wir sind
uns sicher, dass die Arbeit, die Sie tun und die für uns
sehr hilfreich ist, sehr aufwendig ist. Deshalb herzlichen
Dank auch von unserer Seite!
({0})
Bevor ich auf den Bericht des Normenkontrollrates zu
sprechen komme, muss ich Ihnen, Frau Homburger, sagen: Heute scheint Wahlkampftag der FDP gegen die
Grünen zu sein. Ich weiß nicht, wie Sie dazu kommen,
zu sagen, wir hätten hier über den Bericht nicht diskutieren wollen.
({1})
Das weise ich für meine Fraktion zurück. Natürlich ist es
richtig, über diesen Bericht zu diskutieren; deswegen
sind wir heute hier. Es ist an der Zeit, kritisch Bilanz zu
ziehen.
Wir haben bei der Einsetzung des Normenkontrollrates Kritik geübt. Viele Punkte sind genannt worden. Ich
möchte im Einzelnen prüfen, ob wir mit unserer Kritik
recht hatten. Der erste Punkt war die Beschränkung auf
die Informationspflichten. Der Normenkontrollrat sagt
selbst, dass viele bürokratische Belastungen in die Messungen bisher gar nicht aufgenommen worden sind. Was
ist zum Beispiel mit den Gemeinkosten, die ja auch anfallen und im Standardkostenmodell anderer Länder mit
25 bis 30 Prozent hinzugerechnet werden? Was ist mit
Buchführungspflichten? Was ist mit Genehmigungspflichten? Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die wesentliche Bürokratiekosten nach sich ziehen, die hier
noch nicht berücksichtigt werden. Insofern habe ich mit
Interesse vernommen, dass sowohl der Kollege Wend als
auch der Kollege Koschyk angekündigt haben: Es gibt
eine Gesetzesnovellierung. - Eigentlich haben sie angekündigt, sie werden den Arbeitsauftrag des Normenkontrollrates erweitern, vor allem im Hinblick auf die Informationspflichten bzw. eine Ausweitung.
({2})
- Wenn Sie jetzt Nein sagen, lege ich Ihnen dringend
nahe: Weiten Sie den Arbeitsauftrag des Normenkontrollrates aus!
({3})
Es reicht nicht aus, dass nur im Hinblick auf die Informationspflichten geprüft wird.
({4})
Wenn wir sehen, dass ein Existenzgründer durchschnittlich 45 Tage braucht, um sein Unternehmen anzumelden
und beginnen zu können, dann müssen wir sagen: Das ist
zu lang; da kann dem einen oder anderen schon die Puste
ausgehen. Das läuft in anderen Ländern deutlich schneller. Es wäre ganz wichtig, dass Sie sich dieses Themenfeldes annehmen. Bei der Existenzgründung muss man
heute viel zu viele Ämtergänge machen, viel zu viele
Genehmigungen einholen. Dieser Baustelle sollten Sie
sich dringend widmen!
Das Ziel ist benannt: Bis 2011 sollen die Bürokratiekosten um 25 Prozent gesenkt werden. Auch der Normenkontrollrat fordert Zwischenziele. Jetzt bin ich gespannt, ob ich Sie an dieser Stelle richtig verstanden
habe. Ich habe Sie nämlich durchaus so verstanden, dass
Sie damit ein Nettoziel meinen.
({5})
Wenn Sie uns in den nächsten Wochen und Monaten
vorlegen, dass Sie die 25 Prozent netto erreichen wollen,
dann findet das unsere absolute Unterstützung. Ich bin
gespannt, ob Sie das bei Ihrer Fraktionsspitze durchsetzen können. Denn zumindest bei der Einsetzung des
Normenkontrollrates hatten wir hier ja Schwierigkeiten,
was die Kompetenzen insgesamt angeht.
Ein weiterer Kritikpunkt von uns war, dass die Gesetzentwürfe, die vom Normenkontrollrat überhaupt geprüft werden, ex ante geprüft werden.
Somit werden alle Änderungen, die im parlamentarischen Verfahren noch erfolgen und wodurch die Bürokratie zusätzlich erhöht wird, nicht mehr geprüft. Der berühmte Satz, dass ein Gesetz nicht so aus dem Parlament
herauskommt, wie es hineingegangen ist, ist an dieser
Stelle wirklich bedenkenswert; denn ein Gesetzentwurf,
der auf Bürokratie hin geprüft wurde, entspricht nicht
dem Gesetz, mit dem die Bürgerinnen und Bürger sowie
die Wirtschaft danach zu tun haben werden.
({6})
Das bedeutet auch, dass die vorherigen Empfehlungen
des Normenkontrollrats still und heimlich außer Acht
gelassen werden können.
Schauen Sie sich einmal das Beispiel Unternehmensteuerreform an. Bei der Unternehmensteuerreform haben Sie
schlussendlich zehnmal so viele Pflichten eingeführt wie
abgeschafft. Gesetze, die durch dieses Parlament gegangen sind, haben am Ende mehr Bürokratie nach sich gezogen, als Sie uns hier vormachen wollen. Noch einmal:
Bei der Unternehmensteuerreform haben Sie zehnmal
mehr neue Pflichten eingeführt als alte abgeschafft.
Die Beschränkungen beziehen sich aber nicht nur darauf, zu welchem Stadium geprüft wird, sondern es erfolgt auch eine Beschränkung auf Regierungsvorlagen.
Herr Koschyk und Herr Wend, ich wünsche mir, dass es
Ihnen, wie Sie gerade angedeutet haben, gelingt, die Regelungen zum Gesundheitsfonds, der 2009 eingeführt
werden soll, dem Normenkontrollrat frühzeitig vorzulegen und auf Bürokratie hin prüfen zu lassen. Wenn Sie
es mit dem Bürokratieabbau zugunsten der Bürgerinnen
und Bürger wirklich ernst meinen, dann müssen Sie
diese Regelungen durch den Normenkontrollrat prüfen
lassen.
({7})
- Der Normenkontrollrat ist kein Entscheidungsgremium. Er zeigt nur auf, was passiert. Welche politischen
Konsequenzen seitens der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen das hat, steht dann auf einem anderen
Blatt.
Es wäre sehr sinnvoll, wenn Sie die Regelungen zum
Gesundheitsfonds durch den Normenkontrollrat prüfen
und die dadurch entstehende Bürokratie messen lassen
würden. Dann könnten Sie tatsächlich sagen, dass Sie
sich die Lasten für die Bürgerinnen und Bürger sowie für
die Wirtschaft ansehen. Dann würden Sie Ihre Ankündigungen wirklich ernst nehmen. Ich muss leider sagen,
dass wir im Augenblick nicht den Eindruck haben, dass
Sie es so ernst meinen, wie Sie es hier sagen.
Vielen Dank.
({8})
Als letzte Rednerin zu diesem Debattenpunkt hat Kollegin Edelgard Bulmahn, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen!
Die europäischen Bürokraten sind das Produkt langer Entwicklung. Ihre Ausdehnung ist das einzig
Sichere in Bezug auf unsere Zukunft.
So der Innovationsforscher Joseph Schumpeter, den ich
sehr schätze. Wenn Sie jetzt allerdings glauben, ich
würde sagen, dass er auch hier recht hat, dann irren Sie.
Nein, hier irrte er. Der Bericht des Normenkontrollrats
zeigt, dass es gelingen kann, Bürokratie zu verringern
und Bürokratiekosten einzusparen. Die Ausdehnung der
Bürokratie ist also nicht die einzig sichere Konstante unserer Zukunft.
Dafür, dass dies erreicht würde, möchte ich ganz besonders den Mitgliedern des Normenkontrollrats danken.
({0})
Sie haben einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass es uns bei der Beratung der Gesetze gelungen
ist, kritisch zu prüfen und zu verhindern, dass neue Bürokratie geschaffen wurde. Dadurch konnten wir Bürokratiekosten vermeiden. Ich will mich ausdrücklich im
Namen des Wirtschaftsausschusses dafür bedanken, dass
Sie die Fragen, Anregungen und Bitten des Ausschusses
spontan aufgegriffen und uns wichtige Hinweise bei der
Gesetzberatung gegeben haben, die wir dann auch bei
Entscheidungen berücksichtigt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, - damit meine ich
besonders Sie, Herr Kollege Schui -: Ich habe großes
Vertrauen in die Mitglieder des Normenkontrollrates. Ich
finde, sie haben gezeigt, dass sie dieses Vertrauen auch
verdienen und ihm gerecht werden.
Bisher haben wir vor allen Dingen über unsere Anstrengungen auf der Bundesebene diskutiert. Bürokratie
ist aber nicht allein eine Sache der Bundesregierung oder
des Bundestages. Bürokratielasten und Bürokratiekosten
werden auch durch Landesregierungen, Länderparlamente, Kommunen und die Europäische Union verursacht. Deshalb ist es gut, dass wir die Anstrengungen,
Bürokratie zu verringern, auch in der Europäischen
Union unterstützen und vorantreiben.
Liebe Frau Kollegin Andreae, wir sollten nicht glauben, alles allein auf Bundesebene regeln zu können.
Wichtig ist, dass wir auf Bundesebene vorangehen sowie
beispielhaft und konsequent zeigen, wie wir Bürokratie
abbauen, und gleichzeitig aber alle anderen Ebenen auffordern, mitzuziehen. Der Normenkontrollrat tut das, indem er ausdrücklich auf die Verantwortung der anderen
politischen Ebenen hinweist. Wenn es um Genehmigungen und Unternehmensgründungen geht, sind natürlich
vor allem die Kommunen gefragt. Sie entscheiden in
ganz erheblichem Maße mit darüber, wie lange ein entsprechendes Verfahren dauert und wie aufwendig es ist.
Jede Ebene trägt ihre Verantwortung, der sie gerecht
werden muss. Genau das müssen wir sehr deutlich einfordern.
({1})
Ich will auf eine weitere Ebene eingehen. Ich habe gesagt, dass Bürokratieabbau nicht allein Sache der Bundesregierung oder des Bundestages ist. Eine wichtige
Frage, die viel zu wenig diskutiert wird, ist die, wie eine
Verwaltung agiert. Es geht nicht allein um Verordnungen
und Vorgaben, sondern auch darum, wie Verwaltungen,
Krankenkassen, Versicherungen, Selbstverwaltungseinrichtungen, Berufsgenossenschaften, Kammern, Innungen und natürlich auch die Unternehmen selber handeln.
Es ist wichtig, dass es uns gelingt, durch unser Handeln
und unsere Entscheidungen das Bewusstsein dafür zu
wecken, dass Bürokratie wirklich verringert werden
kann und kein Naturgesetz oder, wie Schumpeter gesagt
hat, die einzig sichere Konstante unserer Zukunft ist. Der
Normenkontrollrat ruft daher zu Recht auch die eben genannten Organisationen auf, ihre Verfahren und Abläufe
auf den Prüfstand zu stellen, um bürokratische Lasten
für Bürger und Wirtschaft zu reduzieren.
Zum Abschluss will ich noch ein Beispiel nennen, an
dem sehr deutlich wird, was man erreichen kann, ohne,
Herr Schui, wichtige Informationen aufzugeben und
ohne wichtige Rechte einzuschränken; denn das wollen
auch wir nicht. Das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass man
die Bürokratie trotzdem verringern kann. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales vereinheitlicht das
Melde- und Beitragsverfahren für die berufsständisch
Versicherten per Gesetz. Dazu wird zum 1. Januar 2009
eine zentrale Annahmestelle der berufsständischen Versorgungseinrichtungen geschaffen und eine voll automatisierte Datenübertragung eingeführt, was den laufenden
Bearbeitungsaufwand sowohl für die Arbeitgeber als
auch für die berufsständischen Versorgungseinrichtungen erheblich reduziert. Die damit verbundene Kosteneinsparung wird vom Ministerium auf circa 45 Millionen Euro geschätzt. Wir reden also über spürbare, nennenswerte Entlastungen, die wir durch einfache Veränderungen, ohne die Antastung materieller Rechte, erreichen
können. Das zeigt, dass man den richtigen Weg gegangen
ist.
Ich wünsche dem Normenkontrollrat weiterhin eine
so gute und erfolgreiche Arbeit, wie er sie im letzten
Jahr geleistet hat. Sie alle haben gehört, dass wir Ihre Arbeit sehr schätzen und brauchen. Ich wünsche Ihnen und
uns allen weiterhin Mut bei den Entscheidungen zur Verringerung der Bürokratie.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6756 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus
Riegert, Annette Widmann-Mauz, Peter
Albach, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dagmar Freitag, Dr. Peter Danckert, Martin
Gerster, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Sport und Bewegung in Deutschland umfas-
send fördern - Bewusstsein für gesunde Le-
bensweise stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
SPRINT-Studie des Deutschen Sportbundes
darf nicht folgenlos bleiben - Jetzt bundes-
weite Wende im Schulsport einleiten
- Drucksachen 16/1648, 16/392, 16/5339 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Katrin Kunert
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Schutz und Förderung des Sports ernst nehmen - Sportförderungsgesetz des Bundes
schaffen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
- Drucksache 16/7744 Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Eberhard
Gienger, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesundheitsministerium hat im Februar 2007 Zahlen veröffentlicht,
über die ich selbst erstaunt war. 55 Prozent der Frauen
und 65 Prozent der Männer sind übergewichtig. Darüber
hinaus klagt jeder Vierte über chronische Rückenbeschwerden. Offensichtlich führt der technologisch-gesellschaftliche Wandel dazu, dass wir unter Bewegungsmangel und an einseitigem Bewegungsverhalten leiden.
Diese Faktoren führen wiederum dazu, dass wir beispielsweise die Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und nicht zuletzt auch von Erkrankungen am
Muskel- und Skelettapparat zu beklagen haben. Meist
fällt es nicht vom Himmel. Es ist nicht schicksalhaft, sondern situations- und verhaltensbedingt. So sind zum Beispiel Übergewicht und Folgeerkrankungen nicht allein
auf die Lebensumstände oder organische Defizite zurückzuführen, sondern häufig das Ergebnis fehlender
körperlicher Aktivität.
Besonders problematisch ist das bei der Jugend. Viele
Kinder und Jugendliche sind übergewichtig, und - was
mich sehr überrascht hat - 30 Prozent der Kinder sind bei
der Einschulung offensichtlich nicht in der Lage, einfache Bewegungsabläufe zu vollziehen wie Bälle fangen,
rückwärts über eine umgelegte Schwebebank zu balancieren und dergleichen mehr. Das ist darauf zurückzuführen, dass Kinder zu lange - oft stundenlang - vor dem
Fernsehgerät oder dem Computer sitzen, statt sich auf
Sportplätzen, Spielplätzen oder in Sportvereinen zu bewegen und auszutoben. Diese Entwicklung ist dramatisch.
Mangelnde Bewegung wirkt sich auch auf die Lernfähigkeit der Kinder aus, nicht zuletzt auch auf den Spracherwerb; denn Kinder begreifen ihre Umwelt nicht mit
dem Intellekt, sondern mit den Händen und erfahren sie
mit dem Körper. Später - als Schülerinnen und Schüler weisen sie zunehmend mangelnde Konzentrationsfähigkeit und abnehmende Lernbereitschaft auf.
Ergebnisse des ersten für Deutschland repräsentativen
Kinder- und Jugendsurveys belegen, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien oder übergewichtiger Eltern
eine verstärkte Neigung zu Übergewicht aufweisen. Maßnahmen zugunsten ausreichender Bewegung und ausgewogener Ernährung könnten damit auch zu Chancengleichheit beitragen.
Durch eine gesündere Lebensweise insbesondere im
Bereich der Bewegung will die Union eine allgemeine
Verbesserung des Wohlbefindens und der Lebensqualität
in der Bevölkerung erzielen. Das hat langfristig auch den
interessanten Nebeneffekt, die finanzielle Entlastung des
Krankenversicherungssystems voranzubringen. Eine bekannte kanadische Studie belegt, dass für jeden Dollar,
der in die Förderung körperlicher Aktivitäten investiert
wird, eine Ersparnis zwischen 2 und 5 Dollar insbesondere im Arbeits- und Gesundheitsbereich erzielt werden
kann. Jeder gute Kaufmann würde hier sofort investieren.
({0})
Es liegt in unserer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, der Prävention mehr Bedeutung beizumessen.
Das Bewusstsein in unserer Gesellschaft für Sport, Bewegung und gesunde Ernährung als Instrument der Prävention muss nachhaltig gestärkt werden. Sport ist meiner
Meinung nach nach wie vor die preiswerteste Prävention.
Sie kann und soll durch bessere Nutzung vorhandener
Strukturen in Kindergärten, Schulen, Sportvereinen und
nicht zuletzt auch im Bereich des Betriebssports unbürokratisch gefördert werden. Auch die Krankenkassen sollten sich diesen Spielraum zunutze machen.
Auf allen Ebenen muss die Aufklärung über die Zusammenhänge von Bewegung und gesunder Ernährung
vorangebracht werden. Es geht um eine umfassende Förderung von Sport und Bewegung. Ich kann es nicht oft
genug wiederholen: Wir müssen mehr Sport treiben. Wir
sind zu bequem geworden. - Ich stelle immer wieder
fest, dass die schwierigste sportliche Übung das Umziehen von Zivil- in Sportkleidung ist. Wenn das erreicht
ist, dann ist der Rest kein Problem mehr. Wir müssen
auch darauf zielen, in den Städten und Gemeinden bewegungsfreundlichere Möglichkeiten sowohl für Kinder als
auch für Erwachsene zu schaffen.
Nun will uns die FDP klarmachen, lieber Detlef Parr
({1})
- doch -, dass die Sprint-Studie nicht folgenlos bleiben
darf. Aber ich denke, es ist nicht allein der Schulsport,
der hier ausschlaggebend ist. Es sind wesentlich mehr
Dinge, die zum Tragen kommen. Die Ursachen für die
Zunahme der Zahl der Übergewichtigen und der damit
zusammenhängenden Krankheitsbilder sind komplexer.
Neben Anlagen wie Erbfaktoren, Umwelt und Umfeld
hängt die Gesundheit des Menschen weitgehend von einer gesunden Lebensführung und damit von regelmäßiger Bewegung ab. Hier müssen wir ansetzen. Aber der
Antrag der FDP greift zu kurz. Deswegen werden wir
ihm nicht zustimmen.
Der Schulsport ist in diesem Zusammenhang zweifellos ein wichtiger Aspekt. Wir von der Union sind der
Meinung, dass er bundesweit gestärkt werden muss. Um
die Schüler in ihrer Entwicklung zu fördern, müssen wir
sie allerdings auch fordern. Deswegen darf meines Erachtens die Schulsportnote nicht zu einer kosmetischen
Beigabe degenerieren. Sie soll in erster Linie - für Schüler erkennbar - Leistung, Anstrengung und Lernfortschritt bewerten.
({2})
- Es stimmt, das steht zweifellos in eurem Antrag. Das
ist nicht ganz falsch, was dieses Thema angeht.
Der Schulsport ist jedoch Sache der Bundesländer.
Wir sollten ihn auch in der Zuständigkeit der Bundesländer belassen.
Den Antrag der Linken halten wir für unnötig. Frau
Kunert, auf die zwölf Punkte kann ich nicht im Einzelnen eingehen. Nur so viel: Es ist entweder bereits umgesetzt oder schon gängige Praxis. Ich darf daran erinnern,
dass wir im vergangenen Jahr 490 Millionen Euro zur
Förderung des Ehrenamtes zur Verfügung gestellt haben.
Das kommt auch den Vereinen und dem Sport zugute.
({3})
Unser Koalitionsantrag umfasst gesellschaftspolitische und sportpolitische Aspekte und schließt auch den
Schulsport ein. Wir setzen uns für eine Förderung ein,
die bereits im frühesten Kindesalter beginnt. Hier müssen wir die Eltern mitnehmen. Ich erinnere mich an die
Überschrift „Eltern joggen, Kinder hocken“. Den Eltern
ist offensichtlich bewusst, dass sie etwas für sich tun
müssen. Sie haben aber noch nicht erkannt, dass sie ihre
Kinder mitnehmen müssen. Je früher mit Sport und Bewegung begonnen wird, desto besser.
Unser Antrag sieht umfangreiche Maßnahmen vor.
Wir wollen die sportlichen Aktivitäten umfassend fördern und vor allem das Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung für eine gesunde Lebensweise stärken. Ich
schlage Ihnen vor, unserem Antrag zuzustimmen. Ich
darf Ihnen versprechen: Wenn Sie das tun, machen Sie
keinen Fehler.
({4})
Das Wort hat nun Kollege Detlef Parr, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei
Monaten sind die Handlungsempfehlungen der Kultusministerkonferenz und des Deutschen Olympischen
Sportbundes zur Weiterentwicklung des Schulsports der
Öffentlichkeit vorgestellt worden. Darin heißt es:
Nur gemeinsam kann es uns gelingen, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um für alle
Kinder und Jugendlichen den Schulsport nachhaltig
zu sichern und weiterzuentwickeln.
Folglich müssen auch wir Bundespolitiker unseren Beitrag in der aktuellen Debatte über Prävention und Gesundheitsförderung, in der Frage der Information und
Aufklärung sowie beim schulischen Wettkampfwesen
leisten, um nur drei Beispiele zu nennen. Deshalb nehmen Sport und Bewegung in Kindergärten und Schulen
im Antrag der Koalitionsfraktionen zu Recht breiten
Raum ein. Auf formale Zuständigkeiten will ich mich
aber nicht beschränken.
Konsequenzen aus der Sprint-Studie werden nur halbherzig gezogen. So greifen Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Union und SPD, die in unserem Antrag erwähnten erheblichen Defizite im schulischen Schwimmunterricht auf, ohne aber wie wir konkrete Forderungen
nach einer verbesserten Struktur zu stellen. So beschreiben Sie Defizite im Bereich der beruflichen Schulen,
ohne aber wie wir weitere Erkenntnisse durch eine Fortsetzung der Sprint-Studie einzufordern. So übersehen
Sie völlig - für die FDP absolut unverständlich - die Belange der Menschen mit Behinderung. Nicht ein einziges
Wort ist Ihnen im Gegensatz zu uns die Tatsache wert,
dass der Sport für die Integration der Behinderten von
besonderer Bedeutung ist und vorurteilsfreie und für den
Einzelnen sehr gewinnbringende Begegnungen ermöglicht.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unsere Anregung unterstreichen, gemeinsame Sportveranstaltungen
zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern
und Jugendlichen zu organisieren. Die Deutsche Behinderten-Sportjugend ist hier bei ihren Bemühungen um
gemeinsame Bundesjugendspiele vorbildlich. Damit
bauen wir Berührungsängste ab und gegenseitiges Verständnis auf. Ich sage Ihnen auch als Vizepräsident von
Special Olympics Deutschland, der sich um den Sport
der Menschen mit geistiger Behinderung kümmert: Über
den Sport werden Menschen mit Behinderungen in der
Gesellschaft positiv wahrgenommen; sie bestimmen so
ihr Bild mit. Wir dürfen nicht nur bei den Paralympics
oder den Weltspielen von Special Olympics international
Gesicht zeigen, solche Begegnungen müssen auch bei
uns in Deutschland zum Alltag werden.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Koalitionsantrag stellt die von Sportvereinen angebotenen gesundheitsorientierten Programme als hervorragend in den
Vordergrund. Dem stimme ich gerne zu. Daraus aber die
Notwendigkeit eines Präventionsgesetzes abzuleiten,
halte ich für grundlegend falsch.
({2})
Wir leben doch nicht in einem Präventionsniemandsland
oder einem Land mit Präventionsnotstand.
({3})
Neben dem organisierten Sport bietet eine große Reihe
von Akteuren ganz ohne gesetzlichen Zwang eine Vielzahl von Programmen an. Allein im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen haben 2006 - diese Zahlen
nennt der letzte Präventionsbericht - 5,7 Millionen Men14330
schen freiwillig an Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung teilgenommen,
({4})
ein Zuwachs von 1,9 Millionen gegenüber 2005.
232 Millionen Euro sind investiert worden - mit pro
Kopf 3,30 Euro mehr als das gesetzlich vorgegebene
Soll von 2,74 Euro. Besonders durch gesundheitsfördernde Maßnahmen in Kindergärten und Schulen werden Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten
erreicht: 1 083 Projekte in fast 20 000 Einrichtungen eine Steigerung von 26 Prozent für Bewegung, ausgewogene Ernährung und Stressbewältigung, und zwar ganz
ohne gesetzlichen Zwang.
({5})
Nach der Erfindung des unsäglichen Gesundheitsfonds - wir werden morgen in der Aktuellen Stunde darüber debattieren - sind Sie dabei, den nächsten großen
Fehler zu machen. Durch die gigantische Umverteilungsmaschinerie, die Sie durch ein Bundesgesetz in
Gang bringen wollen, besteht die große Gefahr, dass die
handelnden Akteure in ihren Aktionsmöglichkeiten beschnitten und bereits etablierte Präventionsaktivitäten
auch des Sports übergeordneten Kriterien zum Opfer fallen. Zudem können sich die öffentlichen Haushalte zulasten einzelner Sozialversicherungsträger aus der Finanzierung zurückziehen. Des Weiteren droht dem Sport
mit nur einer Stimme in dem riesigen Gremium Nationaler Präventionsrat schwindender Einfluss. Also: Hände
weg vom Präventionsgesetz! Deshalb kann Ihr Antrag
bei uns auch keine Zustimmung finden.
({6})
Vielmehr müssen wir die Zuständigkeit und Finanzverantwortlichkeit für die einzelnen Präventionsbereiche
klar definieren und bereits vorhandene Einrichtungen
auf Bundesebene, der Länder und Kommunen, der Sozialversicherungen, des Sports und der Heilberufe nutzen und weiterentwickeln. Dabei ist die Koordination
der Aktivitäten durch den für den jeweiligen Bereich zuständigen Träger auf der jeweils betroffenen Ebene von
besonderer Bedeutung. Beispiel für gelungene Koordinationen ist die enge Zusammenarbeit von Krankenkassen und Sportvereinen sowie Krankenkassen und Unfallversicherungen - ganz ohne gesetzliche Zwänge.
Zum Abschluss noch eine Bemerkung übergeordneter
Art: Wenn die Union gemeinsam mit der SPD in dem
Antrag feststellt, dass wohnortnahe Spiel-, Bolz- und
Sportplätze häufig von den Auflagen des Immissionsschutzes diskriminiert werden, dann sollte dies Anlass
sein, darüber nachzudenken, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, ob wir den Sport nicht doch ins Grundgesetz aufnehmen sollten. Der Sport gehört als Staatsziel
ins Grundgesetz. Er darf in gerichtlichen Auseinandersetzungen und Abwägungsprozessen nicht länger gegenüber dem Umweltschutz der Verlierer sein.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhold Hemker,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist natürlich klar, lieber Eberhard Gienger, dass der der
heutigen Debatte unter anderem zugrunde liegende Antrag von uns gemeinsam eingebracht worden ist und dass
alle Initiativen gemeinsam von Union und SPD getragen
werden. Betrachten wir das Ergebnis der Debatten: Im
Sportausschuss hat niemand gegen die damalige Beschlussempfehlung gestimmt, und es gab nur drei Enthaltungen. Das möchte ich in Richtung Detlef Parr sagen. In dem verbesserten Antrag sind im Übrigen an
zwei Stellen die Behinderten genannt, zum einen durch
den Hinweis auf Art. 1 der UNESCO-Charta,
({0})
zum anderen durch die Zielgruppenorientierung. Auch
dort werden die Behinderten genannt. Dadurch, dass in
dem Beschluss der Bundesregierung empfohlen wird,
kampagnenorientiert und zielgruppenorientiert zu arbeiten, finden wir noch einmal einen Bezug auf die Behinderten. Man sieht also, dass über die Grundlagen sehr
lange verhandelt worden ist und diese am 14. Mai in die
Beschlussempfehlung Eingang gefunden haben. Ich sage
noch einmal: FDP, Linke und Grüne haben nicht dagegen gestimmt, sondern sich enthalten, weil sie andere
Schwerpunkte und Orientierungen hatten.
Ich möchte auf eines hinweisen, und zwar mit Bezug
auf das, was Detlef Parr gesagt hat. Es gibt einen nicht
ganz unwichtigen Mann in der deutschen Sportorganisation. Das ist Ingo Weiss, der Vorsitzende der Deutschen
Sportjugend und Präsident des Deutschen Basketball
Bundes. Er hat vor einigen Jahren gesagt - lieber Detlef,
da komme ich dir durchaus entgegen -: Der Schulsport
ist krank, wir wissen aber nicht, ob es Schnupfen oder
Malaria ist. - Später, als wir über Gesundheitsprävention
nachgedacht haben, ist in einer Diskussion ergänzt worden: Vielleicht ist es auch Typhus oder Cholera. - Es ist
aber immer gesagt worden, dass wir uns nicht nur auf
den Schulsport konzentrieren dürfen, sondern dass wir
uns im Sinne dessen, was schon in dem alten Präventionsgesetz stand, über alle Lebenswelten unterhalten
müssen.
({1})
Wir müssen - dazu gehören wiederum auch die Behinderten - das Setting so organisieren und die Lebenswelten so miteinander vernetzen, dass wirklich effektive
Gesundheitsprävention betrieben werden kann.
Das muss unter zwei Gesichtspunkten geschehen. Es
ist natürlich klar, dass auch durch Prävention, wenn sie
sekundär oder tertiär angesetzt ist, Gesundheit wieder
hergestellt wird. Das Hauptanliegen aber ist, Krankheit
langfristig zu verhindern und eine positive Einstellung
zum Leben herbeizuführen. So stand es in der Präambel
des alten Gesetzes. Ich gehe davon aus, dass wir es in
den nächsten Monaten mit der Unterstützung aller Sportpolitiker schaffen, die Gesundheitspolitiker dazu zu bringen, dort anzuknüpfen. Deswegen zitiere ich, was in
dem alten Gesetz gestanden hat:
Zweck dieses Gesetzes ist es, Gesundheit, Lebensqualität, Selbstbestimmung und Beschäftigungsfähigkeit durch gesundheitliche Aufklärung und
Beratung sowie durch Leistungen zur gesundheitlichen Prävention altersgerecht zu erhalten und zu
stärken.
So haben wir das seinerzeit formuliert. Ich denke, da
sind wir d’accord.
Wir sprechen noch einmal beim Gesetzgebungsverfahren zum Präventionsgesetz über die Stiftung und über
die Länderzuständigkeit, zum Beispiel für den SettingBereich Schule, und wir reden dann natürlich auch über
andere Lebenswelten. Wir werden dann mit dem wichtigen und starken Deutschen Behindertensportverband
reden. Das ist, so glaube ich, klar. Nur - das ist jetzt
wichtig -, wenn wir darüber sprechen, dann muss eine
Bewusstseinsänderung - das Wort ist eben bei Eberhard
Gienger gefallen - in der Gesellschaft stattfinden, aber
nicht bei denen, die sich sowieso schon in Sportvereinen
oder bei den zahlreichen Initiativen, die wir haben, engagieren, sondern bei denen, die auch hier in diesem Saal
heute vertreten sind, zurzeit in ihren Büros arbeiten oder
sonst als Abgeordnete tätig sind.
Warum sage ich das? Ich habe von einigen Kolleginnen und Kollegen - nicht aus dem Sportbereich, sondern
aus anderen Bereichen - immer wieder den Bezug auf
Winston Churchill gehört - darüber müssen wir reden -,
der angeblich gesagt habe: No Sports! Sport ist Mord. Das stimmt einfach nicht.
({2})
Als er von einem Journalisten - da war Winston
Churchill schon über 70 Jahre alt - gefragt worden ist,
wie er so alt geworden sei, hat er eine völlig andere Aussage gemacht, die ich zitieren möchte, die im Internet zu
bekommen ist und die in vielen Sportlexika abgedruckt
ist. Trotzdem hält sich die alte Legende. Er sagte:
Keine Stunde, die man mit Sport verbringt, ist verloren.
({3})
Man muss noch auf etwas anderes hinweisen: Dieser
Mann war seit seiner Jugend ein aktiver Sportler. Ich
habe mir einmal Folgendes herausgeschrieben: Er war
ein guter Fechter, er war Schütze, er war Reiter, er war
Polospieler, und - auch wenn es lächerlich klingt und
von den Tierschützern abgelehnt wird - er war noch in
ganz hohem Alter Teilnehmer an Fuchsjagden, und zwar
nicht als Zuschauer, sondern als aktiv Beteiligter, nämlich als Reiter. Das war ohne Bewegung nun einmal
nicht möglich. Also: Ich bitte Sie alle, mit dieser Legende wirklich aufzuräumen, damit nicht mehr gegen
uns Sportpolitiker argumentiert wird. Ich glaube, das ist
eine ganz wichtige Sache.
Ich bitte insbesondere die Kolleginnen und Kollegen
der Unionsfraktion, uns allen, die beim Präventionsgesetz weiterkommen wollen, zu helfen. In der Presse,
sogar in Fachzeitschriften bin ich auf folgende Aussage
gestoßen: Die gesundheitspolitische Sprecherin der
Unionsfraktion hat im Hinblick auf das Präventionsgesetz von „Etikettenschwindel“ gesprochen.
({4})
- Jetzt nickt natürlich wieder Detlef Parr. - Ein ernsthafter Entwurf ist vorgelegt worden, Eckpunkte sind vorgelegt worden, und es sind auch Methoden auf der Grundlage der von mir benannten Ziele vorgelegt worden.
Bitte, diskutieren Sie darüber wirklich! Das als Etikettenschwindel zu bezeichnen, geht in die falsche Richtung. Dasselbe gilt, wenn man ständig das Argument
vorträgt, ein solches Gesetz sei der Weg in die Einheitskasse.
Ich gehe davon aus, dass wir mit einem möglichst einstimmigen Beschluss zu der Beschlussvorlage des Ausschusses ein gutes Signal setzen und dass wir damit im
Rahmen der Diskussion über das Präventionsgesetz einen weiteren Schritt in die richtige Richtung tun.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat nun Kollegin Katrin Kunert, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Reinhold Hemker, lassen wir das Zitat von Churchill!
Wir können es auch so sagen: „Jeder Mann an jedem Ort
- einmal in der Woche Sport.“
({0})
Den Namen desjenigen, der das einmal gesagt hat, nenne
ich nicht. Ich meine, Sie kennen ihn alle.
Alle Jahre wieder steht der Schulsport auf dem Stundenplan, alle Jahre wieder beklagen wir die Probleme im
Schulsport, und wir müssen auch alle Jahre wieder feststellen, dass wir eigentlich überhaupt nicht zuständig
sind. Ich finde, wir sind dem Namen der Studie zum
Schulsport in Deutschland, Sprint, überhaupt nicht gerecht geworden; denn Sprint bedeutet Schnelligkeit und
Entschlossenheit.
Angesichts der Zeit, die wir für die Behandlung des
Antrags der FDP gebraucht haben - bei aller Liebe zum
Detail -: Zwei Jahre sind selbst für einen Marathon zu
lang.
({1})
Die Linke stellt kritisch fest: Schulsport, Sport und
Bewegung, eine gesunde Lebensweise, sämtliche Förderprogramme für den Sport bis hin zur Gesundheitspolitik sind ein einziger Verschiebebahnhof für Zuständigkeiten und Schuldzuweisungen in Deutschland. Die
Länder bieten Schulsport, Schwimmunterricht, Bewegung in den Kindertagesstätten oder Sportangebote im
Freizeitbereich immer nur nach Kassenlage an, und die
Kleinstaaterei treibt weiter ihre Blüten.
Auch das Positionspapier der Kultusminister und des
Deutschen Olympischen Sportbundes zur Weiterentwicklung des Schulsports nach immerhin zwei Jahren ist
kein wirkliches Signal.
({2})
Denn was und vor allem wem nützen nette Worte in Debatten oder in Positionspapieren, wenn sie in kein Schulgesetz, in keinen Ausbildungsinhalt für Sportlehrerinnen
und Sportlehrer und nicht in Stundenpläne münden? Was
nützen immer wieder geführte Debatten, wenn junge
Sportlehrerinnen und Sportlehrer in der Warteschleife
geparkt werden und sich nicht um die Schüler kümmern
können?
({3})
Die Linke fordert eine konkrete Initiative zur Verbesserung und zur Feststellung der Standards für Bewegungserziehung vom Kleinkind bis in die Ausbildung. Diese
Standards müssen bundesweit gelten.
({4})
In Bayern ist man zum Beispiel stolz darauf, dass
Gymnasiasten heute in acht Jahren das lernen, was sie
früher in neun Jahren gelernt haben. Nur haben die
Gymnasiasten in Bayern heute vor lauter Lernen kaum
noch Zeit, Sport zu treiben.
In Hessen erkennt man nicht die Funktion von Sport
im Bereich der Prävention und vor allem der Integration.
Meiner Ansicht nach sollte der Ministerpräsident in ein
Trainingslager mit jugendlichen Migrantinnen und Migranten fahren, um endlich einmal zu begreifen, dass Integration durch Sport sehr gut funktionieren kann
({5})
und dass man Integration nur mit Migrantinnen und Migranten und nicht gegen sie vorantreiben kann.
({6})
Den Landesregierungen möchte ich sagen: Jeder Euro
für die Sportförderung, egal ob für den Schulsport oder
für den Vereinssport, spart eine Menge Kosten für Prozesse und für den Knast.
Ich weiß, dass die meisten von Ihnen Befürworterinnen und Befürworter der föderalen Strukturen sind. Wie
Sie alle wissen, geht es derzeit bei der Föderalismusreform II um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und
Ländern. Hier gibt es ein Hauen und Stechen, dass es nur
so kracht. Die Vertreter einer entscheidenden Ebene bei
dieser Angelegenheit, die Vertreter der Kommunen, sitzen am Katzentisch. Gute Sportpolitik muss sich wie ein
roter Faden durch alle Ebenen ziehen, vom Bund bis in
die Kommunen. Die Kommunen halten die Sportinfrastruktur vor; nur geht es ihnen im Moment finanziell
sehr schlecht.
({7})
Wenn die Kommunen kein Geld haben, schließen sie
Schwimmbäder oder privatisieren sie. Wenn sie kein
Geld haben, können Sporthallen oder Stadien nicht saniert, geschweige denn neu gebaut werden. Die Kommunen fördern, wie sie es können, die Sportvereine. Also
brauchen die Kommunen endlich mehr Geld. Dafür
müsste mit der Föderalismusreform II gesorgt werden.
({8})
Vor einigen Tagen war in der Volksstimme zu lesen,
dass die Thüringer in Deutschland am dicksten seien.
Die Frauen und Männer aus Sachsen-Anhalt - dem
Land, aus dem ich komme - sind die Zweit- bzw. Drittdicksten.
({9})
Für die Landesgruppe Sachsen-Anhalt muss ich sagen:
Uns hat man nicht in die Untersuchung einbezogen;
sonst hätten wir den Durchschnitt arg gedrückt. Diese
Studie verdeutlicht, dass 37 Millionen Erwachsene und
2 Millionen Kinder übergewichtig sind. Die Folgekosten
werden mit jährlich 70 Milliarden Euro beziffert.
Jetzt frage ich Sie: Was hat die Gesundheitsreform gebracht? Hat der Sport bei der Gesundheitsreform eine
ausreichende Rolle gespielt?
({10})
Welche Lobby haben die Sportvereine und der Schulsport im Gesundheitsministerium? Was ist uns der Sport
insgesamt wert? Wollen wir uns weiterhin hinter Zuständigkeitsfragen verstecken? Ich möchte Ihnen ehrlich sagen: Es ist den vielen ehrenamtlichen Sportlerinnen und
Sportlern, Funktionären und Übungsleitern ziemlich
egal, wer wofür zuständig ist; sie wollen einfach nur
Veränderungen in der Breite sehen.
({11})
Für die Linke steht fest - ich komme nun zu unserem
Antrag -: Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz für
den Sport. Deshalb sind wir für ein Sportfördergesetz
des Bundes.
({12})
Wir haben folgende Forderungen:
Erstens. Jedes Kind muss die Chance haben, im Verein Sport zu treiben. Mitgliedsbeiträge dürfen keine
Barriere sein. Es ist nicht hinzunehmen, dass sportlichen
Talenten aus Familien, die von Hartz IV leben müssen,
oder aus Familien, die trotz Arbeit arm sind, der Weg in
eine Sportschule oftmals verwehrt bleibt.
Zweitens. Wir sind für die Schaffung von öffentlich
geförderter Beschäftigung auch im Bereich des gemeinnützigen Sports. Die vielen 1-Euro-Jobs im Bereich der
Sportvereine belegen die Notwendigkeit.
Drittens. Der „Goldene Plan“ für die Sportstätten
- wir sagen das erneut - muss auf Gesamtdeutschland
ausgeweitet werden und nachhaltig aufgestockt werden.
Die Situation bei den Sportstätten ist nicht die beste.
Hier müssen wir nicht mehr zwischen Ost und West unterscheiden, sondern strukturschwache Regionen fördern.
({13})
Viertens. Es müssen endlich bundeseinheitliche Mindeststandards für den Schulsport festgelegt werden, damit wir in diesem Bereich vorankommen.
Ich danke Ihnen und bin gespannt auf die Diskussion
über unseren Antrag; denn er ist nicht überflüssig.
({14})
Das Wort hat nun Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kunert, ich wende mich direkt an Sie: Ich finde es
schon erstaunlich, dass Sie uns ankreiden, wir brauchten
zwei Jahre, um hier über Dinge zu diskutieren.
({0})
Wenn ich mich richtig erinnere, ist Ihr Antrag erst letzte
Woche bzw. in den vergangenen Tagen eingegangen. Sie
brauchten zwei Jahre, um einen Antrag zu formulieren.
({1})
Wir hätten noch viel länger warten müssen, um Ihnen die
Zeit einzuräumen, Ihre Gedanken zu Papier zu bringen.
Ich wäre vorsichtig, Zeitvorgaben zu machen, die man
selber nicht einhält.
({2})
Die Deutschen werden unbeweglicher und übergewichtiger: Das ist eine Feststellung, die wir immer wieder hören. Leider trifft sie zu. In unserer Gesellschaft ist
die Bedeutung von Sport, körperlicher Tätigkeit und damit auch von Bewegung geringer geworden. Bewegungsmangel, Fehlernährung und Umweltbedingungen
führen zu neuen Zivilisationskrankheiten, die fast schon
boomen. Männer wie Frauen leiden - etwas flapsig ausgedrückt - unter einem Bauchumfang, bei dem das Risiko von Infarkten und Diabetes steigt.
({3})
Es sollte uns besonders zu denken geben, dass sich
das nicht nur auf Erwachsene bezieht. Vor allen Dingen
Kinder und Jugendliche - so wird es in einem Bericht
der WHO deutlich - sind zunehmend von Fettleibigkeit
betroffen. Bei ihnen ist ein rapider Anstieg beim Übergewicht zu verzeichnen. Allein in Europa soll es 14 Millionen übergewichtige Kinder geben; in Deutschland sind
es 1,9 Millionen. Das sind Zahlen, die uns nicht glücklich stimmen und die uns nicht beruhigen können.
Wir müssen schauen, wie wir dies ändern können.
Wie bekommen wir es hin, dass wir nicht mit Spätfolgen
zu kämpfen haben, die nicht nur den Kindern zur Last
werden, sondern auch im Gesundheitssystem zu einem
Riesenberg an Kosten führen, da wir dies finanzieren
müssen? Warum schaffen wir es nicht, eine andere Mentalität und einen anderen Umgang mit Bewegung hinzubekommen?
Studien belegen - das ist eindeutig -, dass gerade
Sport und Bewegung positive Auswirkungen haben und
sich nicht nur auf die Gesundheit, sondern vor allen Dingen auch auf die Leistungs- und Lernfähigkeit der Menschen auswirken. Sport wirkt oft besser als teure Medikamente. Der Kollege Gienger hat dies mit Zahlen
belegt: Ein investierter Dollar - das sagt eine kanadische
Studie - bringt Ersparnisse von 2 bis 5 Dollar im Arbeits- und Gesundheitsbereich.
Frau Kunert, Sie haben diese Zahlen auch genannt.
Ich werde einmal nachlesen, was in Berlin gemacht
wurde, an welchen Stellen Sie investiert haben und ob es
sich rechnet. Ich bin auf die Zahlen gespannt. Da Sie
dies explizit angesprochen haben, werden es sicherlich
positive Zahlen sein.
({4})
Für uns ist es wichtig, dass wir präventiv tätig werden, dass wir stärker aufklären, dass wir deutlich machen, was bestimmte Verhaltensweisen mit sich bringen.
Die Frage ist, wie wir es schaffen, nachhaltig für Aufklärung und Veränderung zu sorgen. Nur wenn Kinder früh
genug Erfahrungen mit der Bedeutung von Bewegung
machen, sind sie in der Lage, ihr Leben umzugestalten
und nachhaltig für eine vernünftige Lebensweise zu sorgen, um Probleme gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Deshalb haben wir uns in unserem Antrag für zielgruppenorientierte Kampagnen ausgesprochen, die ganz
wichtig sind. Wir müssen schauen, wen wir ansprechen
und in welcher Form. Denn - auch das sagt die SprintStudie - Schülerinnen und Schüler sind eigentlich davon
überzeugt, dass Sport wichtig ist. Lediglich 13 Prozent
der Jugendlichen sagen: Sport ist unwichtig. - Wenn sie
das so sagen und thematisieren, dann müssen wir uns
fragen: Wo bleibt diese Sportbegeisterung, wenn es darum geht, sich im täglichen Leben zu bewegen und Sport
zu treiben?
Schülerinnen und Schüler sagen wiederum auch - das
belegt die Studie -: Der Sportunterricht ist zu langweilig. Wir werden gar nicht genug gefordert. Die Anforderungen sind zu gering. - Wenn wir dies hören, müssen
wir uns wirklich fragen - in diesem Punkt stehe ich hinter der FDP -: Was läuft eigentlich im Sportunterricht
vor Ort?
Aber, Herr Parr, Sie sagen wie Frau Kunert: Es interessiert uns nicht, wer zuständig ist.
({5})
- Sie haben wörtlich gesagt - ich habe es notiert -:
({6})
Zuständigkeiten interessieren mich nicht.
({7})
- Gut; Sie lassen sich nicht darauf ein.
({8})
Auf eines können wir uns aber einlassen - da sind wir
wieder d’accord; das Problem sollte uns ja auch einen
und nicht spalten -: Wie können wir es schaffen, bei den
Verantwortlichen vor Ort die Sensibilität dafür herbeizuführen, dass sie an dieser Stelle anders agieren und den
Sport und die Bewegung nach vorn bringen?
({9})
Deswegen appelliere ich an uns alle, an den Stellen
Einfluss zu nehmen, an denen wir es können, und auch
in den Kommunen deutlich zu machen: Es geht darum,
dass wir die Kinder motivieren, ihrem natürlichen Drang
nach Bewegung auch nachzukommen. Dazu gehört natürlich die Situation der Sportstätten. Dazu gehört natürlich auch die Frage: Gibt es Bolz-, Spiel- und Freizeitplätze? Haben die Kinder die Möglichkeit, sich zu
bewegen?
Meine Damen und Herren, ich wäre fast bereit, hier
eine Initiative auszurufen. Wir als Erwachsene sollten
die Vorbilder für die Kinder sein.
({10})
Das sollten wir bedenken, wenn wir abends die Pizza bestellen und uns nach Hause kommen lassen, wenn wir
das Auto auch für den kleinsten Weg zum Einkaufen
oder dafür nutzen, die Kinder zu irgendeinem Ort zu
transportieren.
({11})
Wir sind Vorbild, wir müssen Vorbild sein, und wir sollten auch Vorbild sein; denn nur das, was wir vorleben,
wird bei den Kindern als natürlich ankommen. Sie sind
dann auch schneller bereit, es nachzuahmen und sich
ebenfalls körperlich zu betätigen.
({12})
Einen Punkt würde ich gern noch kurz ansprechen,
dass nämlich der Sport nicht nur ein positives Lebensgefühl weckt. Eine Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit hat festgestellt, dass Jugendliche, die
regelmäßig Sport treiben, auch die besseren Bildungsabschlüsse erzielen. Besonders ausgeprägt - das sage ich
jetzt auch als Frau - sei dabei, so die Untersuchung, der
positive Effekt auf Frauen. Frauen würden, gerade wenn
sie sportlich aktiv sind, eher selbstbewusst sein und sich
dem Kampf des täglichen Lebens anders stellen und sich
in Auseinandersetzungen wie bei der Bewerbung um
Lehrstellen anders darstellen. Das ist, wie ich denke, ein
Gender-Aspekt, den man vielleicht nicht unter den Teppich kehren sollte.
({13})
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können einem Wort Manfred von Richthofens folgen, der einmal
gesagt hat:
Der Sport kann zwar kein Allheilmittel für alle gesellschaftlichen Krankheitsbilder und Persönlichkeitsdefizite sein. Aber er kann in großem Ausmaß
dazu beitragen, Probleme zu lösen oder sie gar
nicht erst entstehen zu lassen. Und diese Erkenntnis
muss im Bewusstsein der Öffentlichkeit dauerhaft
verankert werden.
Das können wir tun. Der beste Schritt, mit dem Sie belegen können, dass Sie das tun wollen, ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Antrag der Koalition zuzustimmen.
({14})
Das Wort hat nun Winfried Hermann, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Alle Rednerinnen und Redner haben darauf hingewiesen, dass es inzwischen sehr eindeutige
Daten auch aus wissenschaftlichen Untersuchungen gibt,
die belegen, dass es in Deutschland zu viele Menschen
gibt, die sich zu wenig bewegen, dass es zu viele übergewichtige Kinder und Erwachsene gibt und dass falsche
Ernährungsgewohnheiten verbreitet sind. Darüber besteht, wie ich glaube, Konsens.
Ich möchte einmal ein paar paradoxe Sachverhalte
ansprechen, die sozusagen gleichzeitig die andere Seite
der Wahrheit bilden: Es ist doch erstaunlich, dass es
noch nie so viele Mitglieder in Sportvereinen wie heute
gegeben hat. Es hat im Vergleich zu früher noch nie so
viele Sportplätze wie heute gegeben. Hier lässt sich ein
eindeutiger Trend zum Sport feststellen. Es hat noch nie
so viele Menschen gegeben, die sich sportiv kleiden und
auch im Alltag Turnschuhe und T-Shirts tragen. Das
heißt, wir haben neben den oben genannten negativen
Erscheinungen eindeutig einen Megatrend hin zum
Sportiven. Das Gleiche gilt für den Trend zum Gesunden: Es hat noch nie so viele Kochsendungen und Kochbücher wie heute gegeben und trotzdem so viel Fehlernährung.
Mit der Auflistung dieser paradoxen Sachverhalte
möchte ich darauf hinweisen, dass zwar viele von diesem Trend erfasst worden sind, aber zugleich eine große
Gruppe von Menschen nicht erfasst wird. Wir sollten
also einmal darüber reden, dass die ganzen Anstrengungen und Aufklärungsbemühungen sowie das Proklamieren von Bewegung als Präventivmaßnahme zumindest
an einem Teil der Bevölkerung vorbeigegangen sind.
Das lässt sich übrigens auch an verschiedenen Gruppen
festmachen. Ganz aktuell liegt die „Berliner Gesundheitsstudie“ vor, die im Auftrag des Berliner Senats erstellt worden ist. Sie belegt, dass vor allem sozial
Schwächere, weniger Gebildete und Migranten von all
diesen Anstößen und Informationskampagnen nicht erfasst werden. Sie sind also ganz eindeutig benachteiligt.
Wenn wir uns heute die Frage stellen, was zu tun ist,
sollten wir den folgenden Grundsatz beherzigen: Eine
allgemeine Kampagne, die dazu auffordert, mehr zu tun,
geht völlig ins Leere. Insofern ist mir ein Punkt im Koalitionsantrag ganz besonders wichtig, nämlich der, wo
darauf hingewiesen wird, dass, wenn wir etwas tun, dieses zielgruppenspezifisch, zum Beispiel bezogen auf bestimmte Migrantengruppen, und übrigens auch geschlechtsspezifisch gemacht werden muss. Es gibt viele
Vorschläge. Ich kann durchaus sagen, dass eine Reihe
von Vorschlägen, die im Koalitionsantrag stehen, vernünftig sind. Zum Teil sind sie allerdings auch ziemlich
vage und unverbindlich formuliert und haben sozusagen
Prüfcharakter. Wir brauchen nicht nur das Mantra „Wir
müssen endlich etwas tun“, sondern angezeigt ist jetzt
wirklich ein strategischer Ansatz.
({0})
Ein wichtiges Element eines strategischen Präventionsansatzes ist meines Erachtens das Präventionsgesetz.
Dies ist unabdingbar. Da wir uns während der rot-grünen
Koalition lange Jahre darum bemüht haben, ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen, wissen wir, wie
schwierig das ist. Am Ende ist es am Widerstand des
Bundesrates gescheitert. Jetzt hat die neue Koalition
wieder einen Anlauf unternommen, aber es liegt immer
noch in den Ministerien. Es gibt immer noch keinen Regierungsentwurf, der ins Parlament eingebracht werden
könnte.
({1})
Das wird aber höchste Zeit. In diesem Bereich gibt es,
Kollege Parr, aus unserer Sicht - diese teilen wahrscheinlich die meisten Fraktionen hier - tatsächlich ein
Handlungsdefizit: Es gibt nämlich im Bereich Prävention ein Defizit. Hier wird zu wenig getan. Es gibt zu
wenig Grundlagen.
({2})
Auch die Finanzierung fällt zu gering aus.
Deshalb schlagen wir in unserem Antrag zu einem
Präventionsgesetz vor, für eine umfassende Prävention
ein Startkapital von mindestens 500 Millionen Euro pro
Jahr bereitzustellen.
({3})
- Kollege Parr, was heißt „einfach ausgeben“? In dieser
Republik werden Jahr für Jahr 250 Milliarden Euro für
die Behandlung von Krankheiten ausgegeben. Dagegen
sind 500 Millionen Euro für Prävention und Gesundheitsvorsorge wirklich nicht zu viel, sondern eher zu wenig.
({4})
Ihr Einwand, Herr Kollege Parr, ist wirklich lächerlich.
Sie haben doch selber gesagt, man müsse in Gesundheit
investieren;
({5})
denn das rechne sich über viele Jahre gesehen, weil die
Folgekosten geringer ausfallen. Zur Stärkung der Prävention gehört aber eine entsprechende Finanzierung.
Weil Sie immer dazwischenrufen, will ich nebenbei
bemerken: Was Sie für den Sportunterricht fordern, ist
nicht kostenlos zu haben. Auch da muss man investieren.
Tun Sie also nicht so, als könne man Prävention zum
Nulltarif haben.
Zielgruppenorientiert arbeiten heißt für mich, Kinder
und Jugendliche speziell in Schulen, aber auch in der
Freizeit stärker anzusprechen. Wir brauchen vor allen
Dingen unterschichtbezogene Programme und geschlechtsspezifisch angelegte Angebote. Bezogen auf
Migranten müssen wir auch darüber nachdenken, wie
man zum Beispiel Mütter aus Migrantenfamilien in ihrer
Muttersprache ansprechen kann. Das Ganze funktioniert
nämlich nicht, wenn wir sagen, dass sie erst einmal
Deutsch lernen sollen. Wenn wir ein ernsthaftes Interesse an diesen Maßnahmen haben, müssen wir auch an
diesen Punkt denken.
({6})
Es werden Kampagnen vorgeschlagen. Richtig! Wir
brauchen Kampagnen. Aber wir brauchen keine Kampagnen, die nach dem Motto „3 000 Schritte mit Ulla
Schmidt und Du bist gesund“ nur auf öffentliche Aufmerksamkeit zielen. Diese Kampagne war mehr
Werbung für Ulla Schmidt als für das Gehen von
3 000 Schritten. Zu einer Kampagne gehören neben der
Öffentlichkeitsarbeit auch ein entsprechendes Umfeld,
Weiterbildung, Ausbildung, Konzepte und konkrete
Maßnahmen.
({7})
Kampagnen müssen darauf zielen, dass sich etwas
verändert, zum Beispiel in der Stadtpolitik und in der
Verkehrspolitik. Wenn wir heute über Bewegungsmangel und über die daraus resultierenden Probleme reden,
dann müssen wir auch feststellen, dass über Jahre, in der
Statistik nachweisbar, der Anteil des Fußgängerverkehrs
und des Radverkehrs stagniert, während es bei den energieintensiven Verkehren wie ÖPNV und dem motorisierten Individualverkehr Wachstumsraten gibt. Darin liegt
ein großes Problem. Wenn wir wollen, dass Menschen
gesünder leben, dann müssen wir dafür sorgen, dass die
Bewegung im Alltag hinzukommt.
({8})
Die fußgänger- und bewegungsfreundliche sowie die
spielfreundliche Stadt gehört als Leitbild ins Zentrum
der Kommunalpolitik. Die Kommunalpolitiker müssen
entsprechend handeln. Wir müssen grüne Netze für Fußgänger und Radfahrer entwickeln, damit sie sich gerne
und sicher zur Schule, zur Arbeit und auch zum Bundestag bewegen können. Das sollte nicht von vornherein einen gefährlichen Ritt darstellen, den man vermeiden
will.
Wir müssen in allen Bereichen etwas tun. Ich sage
ganz klar: Da sind alle politischen Ebenen gefragt. Es ist
eine Aufforderung an den Einzelnen wie auch an die Gesellschaft. Beide sind gefragt.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Peter Danckert, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Auf ganz leisen Sohlen setzt sich hier die Auffassung
durch, dass es bei diesem Thema einen großen Konsens
und wenig Widerspruch gibt, wobei ich die eine oder andere entgegengesetzte Bemerkung einmal beiseite lasse.
Trotzdem habe ich den Eindruck, dass nicht genug passiert. Dabei ist es so simpel: Sport, Bewegung und gesunde Ernährung sind die Überschriften.
({0})
- Das ist ja auch der Grund, weshalb der Koalitionsantrag vom 31. Mai 2006 erst heute behandelt wird. Denn
erst jetzt habe ich die Berechtigung, über dieses Thema
zu sprechen.
({1})
- 26 Kilogramm. Das ist schon eine ganze Menge.
({2})
Unabhängig von meiner persönlichen Erfahrung, die
selber zu machen ich dem einen oder anderen im Hause
und auf der Regierungsbank nur raten kann, möchte ich
sagen: Es tritt ein ganz erstaunlicher Effekt ein, wenn
man sich gesünder ernährt, sich mehr bewegt und sich
mehr dem Sport zuwendet.
({3})
Sich mehr zu bewegen, ist eigentlich die Voraussetzung
für das Amt des Vorsitzenden des Sportausschusses.
Diese habe ich nun erfüllt.
({4})
- Ich habe im letzten Jahr zweimal das Goldene Sportabzeichen gemacht.
({5})
Präsident Bach hat es mir persönlich überreicht, wie ihr
wisst.
Jetzt einmal jenseits dieser persönlichen Erfahrung:
Was bedeutet es für die Gesundheit, wenn man sich auf
diesem Weg bewegt? Ich will hier nicht ins Detail gehen,
sondern nur sagen: Ich habe vier verschiedene Medikamente einnehmen müssen, gegen Bluthochdruck und gegen anderes. Ich bin jetzt medikamentenfrei.
({6})
Die Gesundheitsexperten in diesem Haus wissen, dass
man nicht jedes Medikament durch Sport ersetzen kann.
Bei mir ist es aber der Fall gewesen, und ich bin überzeugt, dass das bei vielen anderen auch zum Erfolg führen würde.
({7})
Ich weiß nicht, wie viel die Medikamente im Monat gekostet haben. Wenn mehr Leute Sport machen würden,
wäre das aber eine große Entlastung für unser Gesundheitswesen. Das würde die Kosten, für die die Krankenkassen aufkommen müssen, senken.
({8})
Lassen Sie mich jetzt von dem Persönlichen wegkommen. Über dem Ganzen steht die Überschrift „Prävention“. Wir gebrauchen das Wort zwar immer wieder in
verschiedenen Zusammenhängen, sind aber nicht in der
Lage, die Forderung nach besserer Prävention wirklich
umzusetzen. Lieber Detlef Parr, du hast am Schluss deiner Rede den entscheidenden Satz gesagt: Sport ins
Grundgesetz! Deswegen kann ich dir eigentlich alles
verzeihen. Das Thema Prävention ist bei der FDP aber
noch nicht richtig angekommen. Was nutzt denn das
ganze Gerede über die Vorteile von Prävention, wenn es
nicht umgesetzt wird? Da wir über diese Dinge schon
seit Jahren reden, hilft am Ende des Tages möglicherweise nur ein Gesetz. Ich hoffe, dass wir das zustande
bringen.
({9})
- Ja, weil ich die Kraft gehabt habe, es selbst zu schaffen. Es gibt aber viele, denen man auf dem Weg helfen
muss.
Ich will einen anderen Zusammenhang herstellen;
dieses Thema ist auch sehr wichtig. Ich darf an Klaus
Kinkel, unseren geschätzten Kollegen im Sportausschuss, erinnern, der immer wieder das Thema Schulsport angesprochen hat. Klaus Riegert und andere, die
damals im Sportausschuss waren, werden sich daran erinnern, dass wir eine Anhörung dazu durchgeführt haben. Das Ergebnis ist mir heute noch so präsent wie damals. Wissenschaftliche Untersuchungen haben belegt,
dass die geistigen Fähigkeiten von Kindern signifikant,
messbar besser sind, wenn sie sich in der Schule mehr
bewegen. Ich erwähne das vor allen Dingen, um den Eltern, die immer auf den Unterrichtsausfall achten und sagen: Wenn eine Stunde ausfällt, soll es lieber Sport sein. Ich möchte diesen Eltern sagen, wie töricht diese Haltung ist, weil die tägliche Sportstunde in der Schule dazu
führen würde, dass die Kinder nicht nur gesünder wären,
sondern am Ende des Tages auch mehr in der Birne hätten.
({10})
Dadurch würde also ein positiver Effekt eintreten.
Von daher verstehe ich nicht, warum das Folgende
nicht über alle Zuständigkeiten hinweg endlich Allgemeingut wird: Sport hilft den Kindern im Kindergarten.
Hier können erste Ansätze der Dickleibigkeit und damit
Übergewicht bei Kindern vermieden werden. In der
Schule führt Sport zur Leistungssteigerung, und im Erwachsenenalter führt er unter Umständen zu einer Lebensverlängerung - das kann man nie ganz genau sagen -, zumindest aber zu einem besseren Lebensgefühl.
Ich frage mich, wie wir das zusammengebunden bekommen. Man kann nicht bestreiten, dass wir zur Genüge darüber reden. Wir müssen das jetzt aber auch einmal in den Griff bekommen, die Zuständigkeiten der
einzelnen Bereiche ohne ideologische Scheuklappen zusammenbinden und sagen: Das ist das, was wir der Öffentlichkeit dazu anbieten.
({11})
Ich habe wirklich das Bedürfnis, das hier einmal auszubreiten. Ich möchte sagen: Wir sind auf dem richtigen
Weg. Wir haben die Rezepte. Die Stichworte sind bekannt. Eberhard Gienger hat gesagt, welche Bedeutung
der Sport hat. Weil ich hin und wieder als Kritiker des
DOSB auftrete, will ich hier auch sagen: Die Programme
„Sport pro Reha“ und „Sport pro Gesundheit“ des DOSB
sind gute Programme. Sie müssten noch stärker verbreitet werden. Auch da sind wir auf einem guten Weg.
({12})
Das sind aber immer nur Einzelmaßnahmen.
Weil das Thema Sport in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinreicht, ist über die Forderung „Sport ins
Grundgesetz“ noch nicht zu Ende diskutiert.
Ich hoffe das jedenfalls. Ich bitte darum, dass wir da
weiter am Ball bleiben.
Das Programm „Soziale Stadt“ kommt auf die Tagesordnung, und man fragt sich, was das eigentlich mit
Sport zu tun hat. In dem Programm „Soziale Stadt“ wird
ein ganz wichtiger Akzent gesetzt, nämlich der Ausbau
von Sportstätten in einem sozialen Umfeld, in dem man
es normalerweise nicht erwarten kann oder wo das Angebot nicht groß genug ist.
({13})
Auch das ist ein wichtiger Punkt. Eberhard Gienger hat,
glaube ich, auf den Zusammenhang zwischen sozialen
Problemfeldern, Problemfamilien und Übergewichtigkeit verwiesen. Das ist leider statistisch nachgewiesen.
Wenn wir da über ein solches Programm wie „Soziale
Stadt“ Abhilfe schaffen können, ist das gut.
Hier wurde von verschiedenen Vorrednern erwähnt,
dass wir für den Ausbau von Sportstätten mehr tun müssen. Ob es nun der „Goldene Plan Ost“ ist oder ein gesamtdeutsches Sportstättenförderprogramm, wir leisten
damit einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit der
Menschen. Wir brauchen das Angebot. Wir müssen nicht
nur darüber reden, dass es gut ist, wenn man sich bewegt
und sportlich betätigt, sondern wir müssen auch ein entsprechendes Angebot auf den Tisch legen. Am Ende des
Tages ist das alles ein Unterfall von Prävention. Wenn
wir vorbeugend tätig werden und das Angebot erweitern,
haben wir für unseren Sport und für die Gesundheit etwas getan.
Ich würde gern - das würde jetzt wohl zu weit führen;
der Präsident würde mich dann sicherlich unterbrechen noch etwas zum Stichwort gesunde Ernährung sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, achten Sie einmal genau darauf, was Sie im Laufe eines Tages in der Hektik
oder auch nicht in der Hektik alles essen. Da kann man
einen Eigenbeitrag leisten.
In diesem Sinne, lieber Detlef Parr, lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass Sport in das Grundgesetz aufgenommen wird. Das ist ein gesamtgesellschaftliches
Thema. Dabei wollen wir eine breite Mehrheit in diesem
Hause haben. Meine Freunde von der Union - Frau
Fischbach, ich fand Ihre Rede wirklich toll; das sage ich
Ihnen ganz offen -, ich bitte auch Sie um Unterstützung
für dieses Anliegen.
Vielen Dank.
({14})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportausschusses auf Drucksache 16/5339. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache
16/1648 mit dem Titel „Sport und Bewegung in Deutschland umfassend fördern - Bewusstsein für gesunde Lebensweise stärken“ in der Ausschussfassung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Enthaltung der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/392
mit dem Titel „SPRINT-Studie des Deutschen Sportbundes darf nicht folgenlos bleiben - Jetzt bundesweite
Wende im Schulsport einleiten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen bei Enthal14338
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
tung der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 6 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7744 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kreditanstalt für Wiederaufbau neu ordnen
- Drucksache 16/6996 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Martin Zeil, FDP-Fraktion, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
besteht kein Zweifel: Die Kreditanstalt für Wiederaufbau leistet seit vielen Jahren einen unverzichtbaren Beitrag für die Förderung des deutschen Mittelstandes. Festzuhalten ist auch: Die riskanten Geschäfte, die die KfW
vermutlich mehr als 5 Milliarden Euro kosten werden,
hat nicht die KfW, sondern die IKB gemacht. Aber die
KfW ist mit einem Anteil von 38 Prozent an der IKB beteiligt. Da fragt man sich schon: Wo war denn die Risikoabteilung der KfW?
({0})
Wenn wir das Vertrauen in die KfW wiederherstellen
wollen, müssen diese Vorgänge erst einmal lückenlos
aufgeklärt und die Verantwortlichkeiten offengelegt werden.
({1})
Die bisherigen Erläuterungen seitens der KfW und vor
allen Dingen die schleppende und unpräzise Beantwortung unserer Anfragen an die Bundesregierung sind völlig ungenügend.
({2})
Ich sage sehr deutlich, meine Damen und Herren: Es ist
zu einfach, wenn die von KfW und Bundesregierung
entsandten Aufsichtsratsmitglieder so tun, als habe es
keine Auffälligkeiten gegeben. Die Finanzkrise ist ja
keineswegs so überraschend gekommen, wie heute manche tun.
Warum hat sich offenbar niemand dafür interessiert,
dass ein IKB-Vorstandsmitglied, das die IKB im
Jahr 2006 verlassen hat, vor den Gefahren der Hypothekenkredite gewarnt hat? Warum haben die in Tochtergesellschaften ausgelagerten Aktivitäten in zweistelliger
Milliardenhöhe zu keinem Zeitpunkt nachhaltige Fragen
auslöst? Warum haben die drei renommierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die im Auftrag der KfW
geprüft haben, nichts gehört und nichts gesehen? Wieso
haben die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat
nicht darauf gedrungen, dass bei Haftpflichtversicherungen ein Selbstbehalt für die Vorstände vereinbart wurde,
obwohl das den Empfehlungen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex entsprochen hätte?
({3})
Ist das im Juli 2007 gegen unseren Widerstand in die
KfW übertragene ERP-Vermögen wirklich dauerhaft gesichert? Wäre es nicht geboten gewesen, diese Übertragung nach Bekanntwerden der ersten Probleme unverzüglich zu stoppen?
({4})
Es gibt Fragen über Fragen, aber nur wenige überzeugende Antworten. Dennoch ist dieser Vorgang bezüglich
der IKB nur ein weiterer Anstoß, nicht der alleinige
Grund für unseren Antrag. Jetzt müssen wir parallel zur
Aufarbeitung der IKB-Probleme die nötigen Schritte zur
Neuordnung der KfW einleiten. Die KfW muss endlich
auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückgeführt werden.
Auch wenn die Übernahme der Beteiligung an der
IKB im November 2001 nachvollziehbar war, ist es
nicht Aufgabe einer staatlichen Förderbank, sich an privaten Banken zu beteiligen.
({5})
Ebenso wenig sollte eine staatliche Förderbank Finanzgeschäfte machen, von denen Wettbewerber deutscher
Unternehmen profitieren. Es ist deshalb höchste Zeit,
das 2003 abgeschaffte Subsidiaritätsprinzip wieder im
KfW-Gesetz zu verankern. Mit dem Förderauftrag hat es
nichts zu tun, dass der Finanzminister die KfW in den
letzten Jahren mehr und mehr als regierungseigene Bank
betrachtete und sie nutzte, um Aktienpakete eigentlich
privatisierter Staatsunternehmen hin- und herzuschieben
oder aktive Industriepolitik zu betreiben.
Der Finanzminister hat den Vorständen von Banken in
der ihm eigenen Arroganz vorgeworfen, sie seien „der
Komplexität dessen, was sie tun, nicht gewachsen.“
({6})
- Frau Kollegin, wer die eigenen Finanzaktivitäten trotz
unmittelbarer Aufsicht so wenig im Griff hat, der sollte
dies selbst beherzigen.
({7})
Deshalb müssen wir als Gesetzgeber dringend dafür sorgen, dass die KfW der Aufsicht der BaFin unterstellt
wird.
({8})
Wir müssen vor allem verhindern, dass der Mittelstand
die Zeche für diese nicht wahrgenommenen Verantwortlichkeiten zahlen muss.
Schon heute sind infolge dieser Krise eine Verknappung und Verteuerung der Firmenkredite zu spüren.
Ende Dezember letzten Jahres erklärten in einer Umfrage 20 Prozent der befragten Firmen, dass sie Neuinvestitionen aufgrund der restriktiven Kreditvergabe zurückstellen mussten. Das ist für unsere wirtschaftliche
Entwicklung kein gutes Omen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen besonderen
Hinweis zu der von der Bundesregierung losgetretenen
Diskussion über Managergehälter machen.
({9})
Die entlassenen IKB-Vorstände erhielten mit Zustimmung der Regierungsvertreter nicht nur bis zum Jahresende ihr volles Gehalt, sondern für das Geschäftsjahr
2006/2007 auch noch Boni in Millionenhöhe. Die Bundesregierung ist also - lässt sich hier zusammenfassend
sagen - mitverantwortlich dafür, dass Leute, die Milliarden aufs Spiel gesetzt haben, finanziell nicht nur nicht
zur Verantwortung gezogen werden können, sondern
auch noch belohnt werden.
So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit, meine Damen und
Herren. Machen Sie erst einmal in Ihrem eigenen Bereich reinen Tisch und folgen Sie unserem Antrag, bevor
Sie mit dem Finger auf andere zeigen!
({10})
Das Wort hat nun Kollege Leo Dautzenberg, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Zeil und meine Damen und Herren der FDP, ich
habe für Sie einmal einen Blick in den Duden geworfen
und eine Redewendung nachgeschlagen, die mir auf Ihren Antrag, über den wir heute beraten, zuzutreffen
scheint, nämlich „das Kind mit dem Bade ausschütten“.
Das heißt, so der Duden wörtlich, „zu radikal vorgehen“,
„übereilt“, im Übereifer „mit dem Schlechten zugleich
auch das Gute verwerfen“. Diesen Eindruck, meine Damen und Herren der FDP, kann man beim Lesen Ihres
Antrages in der Tat gewinnen.
Der Ausgangspunkt Ihres Antrages ist die aktuelle
Krise der Deutschen Industriebank und die damit verbundene Einstandspflicht der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die aus ihrer 38-prozentigen Beteiligung an der
IKB resultiert. Sie kritisieren diese Einstandspflicht für
ein privates Kreditinstitut und fordern, die KfW möge
sich von allen Beteiligungen an privaten Banken trennen. Bei dieser Forderung bleiben Sie nicht stehen, nein,
Sie schütten das Kind mit dem Bade aus und nutzen den
Anlass für eine Art Generalabrechnung mit der aktuellen
KfW-Politik. Sie fordern eine umfassende Reform sowohl der Organisationsstruktur als auch der Geschäftsmodelle der KfW.
Bevor ich zu Ihren Forderungen im Einzelnen inhaltlich Stellung nehme, sei mir am Rande eine Bemerkung
zur Form Ihres Antrages erlaubt: Wenn Sie die drei komplexen Sachverhalte in einem solchen Antrag auf, wenn
man von der Begründung einmal absieht, knapp einer
Seite zusammenfassen, dann ist das der Themenstellung
dieser drei zentralen Punkte in keiner Weise angemessen
und von daher fehlgehend.
({0})
Ihr Antrag umfasst, wie gesagt, zwei Seiten. Sie formulieren Forderungen zum Teil ohne spezifische Begründung. Dies ist der Sache nicht angemessen.
Ich möchte jetzt auf einige Punkte zu sprechen kommen. Ihnen dürfte bekannt sein, dass im Herbst letzten
Jahres auch der Vorstand der CDU/CSU-Fraktion die
Trennung von der IKB und insbesondere von der IPEXBank, die jetzt selber marktfähig geworden ist, gefordert
hat. Herr Kollege Zeil, Sie haben eben gesagt, dass es
nachvollziehbar war, dass die KfW damals sowohl die
Anteile der Münchener Rück als auch der Allianz übernommen hat, sind aber schuldig geblieben, warum das
nachvollziehbar war: nämlich weil der IKB sonst die
Zerschlagung gedroht hätte und es die Funktion einer
vom Bund dominierten Förderbank ist, in solchen Situationen einzuschreiten und das Phänomen, das drohte, zu
verhindern.
({1})
Dies - das muss man genauso kritisch sagen - ist
selbstverständlich noch keine Begründung für das lange
Festhalten. Die KfW hätte sich in der Tat rechtzeitig vor
dieser Krisensituation, nach der Umstrukturierung, von
dieser Beteiligung trennen können. Mittelfristig ist es
ordnungspolitisch vollkommen richtig, dass sich die
KfW von ihren Beteiligungen an IKB und IPEX-Bank
trennt; das hat, wie gesagt, auch unser Fraktionsvorstand
schon beschlossen.
In der aktuellen Situation von einem Verkauf der Anteile zu reden und dies auch zu fordern, ist nicht nur unverantwortlich, diese Forderung ist auch praktisch nicht
umsetzbar.
({2})
- Herr Kollege Zeil, wir alle wissen, dass der korrigierte
Jahresabschluss 2006/2007 der IKB sowie die Zahlen
zum dritten und vierten Quartal bedauerlicherweise immer noch nicht vorliegen. Solange diese Grundlagen für
die Due Diligence und all diese Prozesse, die man im
Anbieterverfahren vollziehen muss, nicht vorliegen, entbehrt Ihre Forderung wirklich jeder Realität.
({3})
Kommen wir zu Ihrer zweiten Forderung, nämlich die
KfW der Bankenaufsicht und damit dem KWG zu unterstellen, um, wie Sie sagen, eine bessere Kontrolle der
Tätigkeit sicherzustellen.
Auch innerhalb der Union gibt es Stimmen, die an der
Umsetzung einer solchen Forderung durchaus interessiert sind
({4})
und die die Effektivität der Aufsicht erhöhen wollen.
({5})
Allerdings ist es sehr fraglich, ob die Unterstellung unter
das Kreditwesengesetz dafür der richtige Weg ist. Damit
würde die KfW auch unter den Anwendungsbereich der
Großkredit- und Millionenkreditverordnung fallen, was
ihre Fördertätigkeit erheblich einschränken würde. Betroffen wären davon auch Globaldarlehen an Banken,
nämlich an die, mit denen sie angeblich im Wettbewerb
steht. Das kann nicht im Interesse unseres Staates sein.
Meine Damen und Herren der FDP, Ihr Interesse an
einer Unterstellung der KfW unter das KWG ist nicht
nachvollziehbar. Einerseits fordern Sie - das haben Sie
ja eben schon betont -, sie möge kein Geschäft betreiben, das ebenso gut von der Kreditwirtschaft wahrgenommen werden könnte, andererseits soll die KfW aufsichtsrechtlich aber genauso behandelt werden wie
Kreditinstitute. Das ist an sich schon ein Widerspruch.
({6})
In Ihrem allzu knappen Antrag versuchen Sie auch nicht,
diesen aufzulösen.
Sie sagen, dass keine banküblichen Geschäfte, wie sie
die Kreditwirtschaft tätigt, betrieben werden. Das ist gerade der Grund, warum die anderen unter der Aufsicht
der BaFin stehen. Wenn sie aber ein Spezialinstitut als
Förderinstitut ist, dann ist der Tatbestand der Unterstellung unter das KWG in keiner Weise gegeben.
Sie versuchen hier, den Eindruck zu erwecken, als
stünde die aktuelle KfW-Politik in sämtlichen Bereichen
im diametralen Gegensatz zu ordnungspolitischen Prinzipien.
({7})
Damit Sie mich nicht falsch verstehen, eines vorweg:
Die Union ist ebenfalls daran interessiert, dass die KfW
beim normalen Geschäft nicht in Konkurrenz zu den anderen Kreditinstituten tritt. Im Gegensatz zur FDP erkennen wir aber auch die ordnungspolitische Funktion
der KfW an. Diese Funktion besteht für uns vor allem
darin, Marktprozesse in Gang zu setzen, strukturpolitisch gewünschte Entwicklungen zu beschleunigen, Innovationspotenzial zu mobilisieren und sich in den Bereichen zu engagieren, in denen der Markt nicht die
gewünschten Ergebnisse erreicht - vor allem im Bereich
der Mittelstandsfinanzierung.
({8})
Diese Forderungen beinhalten ein Subsidiaritätsprinzip, sodass man das nicht noch einmal ausdrücklich betonen muss. Unter Berücksichtigung dieser Funktion der
KfW ist der Frontalangriff der FDP auf sämtliche Geschäftsaktivitäten der KfW nicht verständlich und zu
weitgehend.
({9})
Kommen wir zur letzten Forderung der FDP in ihrem
Antrag, nämlich der Forderung nach einer Reform der
Organisationsstruktur. Meine Damen und Herren der
FDP, Sie fordern in diesem Zusammenhang eine deutliche Verkleinerung des Verwaltungsrates, eine Besetzung
des Verwaltungsrates mit Personen von hoher Fachkompetenz und die Einrichtung eines Beirates, über den die
politische Interessenvertretung erfolgt.
Grundsätzlich sind wir in der Fraktion durchaus der
Ansicht, dass die Kontrolle des Verwaltungsrates über
die KfW verbesserungsfähig ist und effizienter gestaltet
werden könnte und sollte.
({10})
Wir stimmen darin überein, dass Verbesserungen vor allen Dingen durch organisatorische Veränderungen, wie
zum Beispiel die Verkleinerung des Verwaltungsrates, zu
erreichen sein dürften.
Allerdings sind wir auch der Auffassung, dass dieser
Punkt zu wichtig ist, um als ein Unterpunkt in einem Antrag abgehandelt zu werden.
Die Neuordnung des Verwaltungsrates sollte in Absprache mit den beteiligten Parlaments- und Ministeriumsmitgliedern erfolgen und nicht in Form von Tischvorlagen. Gerne kann auch der Vertreter der FDP im
Verwaltungsrat dazu beitragen, dass die Verkleinerung
effizienter gestaltet wird.
Unabhängig vom konkreten Umfang der Verkleinerung des Verwaltungsrates muss allerdings klar sein:
Grundsätzlich muss das Parlament weiterhin in angemessener Form beteiligt werden.
({11})
Dafür wird sich meine Fraktion einsetzen.
Abschließend komme ich noch einmal auf meine Eingangsbemerkung zurück: Wir möchten nicht durch eine
pauschale Ablehnung Ihres Antrags das Kind mit dem
Bade ausschütten, sondern ihn im Ausschuss in angemessener Form weiter beraten.
Vielen Dank.
({12})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Koppelin das Wort.
Herr Kollege Dautzenberg, ich bin über Ihren Beitrag
mehr als erstaunt. Über 1 Milliarde Euro wurden in den
Sand gesetzt, verpulvert, der Risikofonds der KfW ist
mit über 5 Milliarden Euro völlig ausgeschöpft, und die
KfW erhöht von heute auf morgen ihren Anteil an der
IKB durch eine Wandelschuldverschreibung von 38 Prozent auf 43 Prozent. Wir müssen alles daran setzen - das
ist eine Aussage des Bundesfinanzministers -, dass die
Krise der IKB nicht zu einer Krise der KfW wird. Das ist
alles nicht ganz unwichtig.
Sie aber nehmen nur den FDP-Antrag auseinander.
Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Mich hat aber erstaunt,
dass Sie als Mitglied einer so großen Regierungsfraktion
in der augenblicklichen Situation nicht eine Alternative
anbieten. Wo sind denn Ihre Vorschläge? Sie mögen ja
sagen, dass die Vorschläge der FDP Ihnen nicht reichen,
oder finden, dass sie nicht in Ordnung sind. Aber wo
sind Ihre Vorschläge? Mein Eindruck von Ihrem Redebeitrag ist gewesen, dass Sie nach dem Motto „Augen zu
und durch“ auf bessere Zeiten, in denen vielleicht alles
wieder gut wird, hoffen.
So geht es nicht. Der Bund ist mit 80 Prozent an der
KfW beteiligt. Darum ist es Aufgabe des Deutschen
Bundestages, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Deswegen haben wir diesen Antrag eingebracht. Wir
sind der Meinung, dass wir als Bundestag jetzt auch deshalb gefragt sind, weil die Bundesregierung in keiner
Weise gehandelt hat. Deshalb finde ich Ihren Redebeitrag - bei aller Wertschätzung für Sie selbst - sehr bedauerlich. Denn Sie wissen es eigentlich besser. Sie hätten heute eine andere Rede halten müssen, als nur den
FDP-Antrag auseinanderzunehmen. Kommen Sie bitte
mit Ihren eigenen Vorschlägen! Aber es kommen ja noch
Redner von Ihrer Fraktion, die das nachholen können.
Ich will keine Krise herbeireden, aber die Lage ist auch
für die KfW sehr ernst.
({0})
Kollege Dautzenberg.
Herr Kollege Kubicki,
({0})
- Entschuldigung: Herr Koppelin. Aber Schleswig-Holstein war schon die richtige Orientierung und auch Ihre
Spontaneität ist vergleichbar.
Wenn ich die Ausführungen Ihrer Kurzintervention
bewerte, muss ich feststellen, dass Sie bei meinem Redebeitrag nicht aufmerksam zugehört haben. Es ging nicht
um ein - wie Sie sagen - Abbügeln des FDP-Antrages.
Ich hoffe, dass ich konstruktiv auf einige Vorstellungen
eingegangen bin, denen ich etwas abgewinnen kann. Generell warne ich aber vor Schnellschüssen. Die Forderung nach Verkauf der IKB bringt in der jetzigen Situation nichts.
({1})
Vielmehr muss sie sich erst konsolidieren.
Das könnte man auch so zum Ausdruck bringen. Aber
wenn man auf einer einzigen Seite versucht, drei zentrale Bereiche in einem Schnellschuss darzustellen, um
politisch gewisse Eindrücke zu erzeugen, ist das problematisch. Sie können davon ausgehen, dass wir in unserer
Fraktion die wichtigen Punkte in angemessener Form
beraten werden. Deshalb habe ich gesagt, dass wir uns
im Ausschuss damit beschäftigen werden.
Sie stellen manche Punkte so dar, als würden wir
nicht darauf eingehen. Ich sage Ihnen aber noch etwas zu
dem Widerspruch in Ihrem Antrag: Wenn Sie keinen
Wettbewerb zwischen der KfW und den Banken zulassen wollen, dann bleibt die KfW nach wie vor ein Spezialinstitut. Dann brauchen Sie sie auch nicht unter die
Aufsicht der BaFin zu stellen. Wenn Sie weiterhin Globaldarlehen wollen, wovon auch die Kreditwirtschaft
und alle anderen Institute profitieren, dann können Sie
die KfW nicht der BaFin unterstellen, weil sonst die
Großkreditverordnung gelten würde und damit solche
Darlehensformen nicht zulässig wären.
Platzhaltergeschäfte sind auch dann sinnvoll - darin
stimmen Sie mir hoffentlich zu -, wenn es zur Marktüberforderung kommt und Eigentum des Bundes am
Markt platziert werden soll. Man sollte das nicht in einem Schritt, sondern durchaus in Tranchen vollziehen,
um auch für den Bund Erträge zu erreichen. Solche
Platzhaltergeschäfte wären in der normalen Kreditwirtschaft nicht möglich, weil dabei Eigenkapital gebunden
würde, was wiederum aufsichtsrelevant wäre.
Insofern müssen Sie sich entscheiden, ob Sie die KfW
unter Aufsicht stellen wollen. Dann wären manche Geschäfte, die ihr jetzt als Bundesförderbank möglich sind,
nicht mehr möglich.
Mit diesen Widersprüchen können wir uns gerne im
Ausschuss beschäftigen. Ich warne davor, mit Schnellschüssen den Eindruck zu erwecken, dass man dadurch
die Situation in manchen Bereichen des Kredit- und
Finanzmarkts heilen kann. Dies ist nur durch konkrete
und richtige Beschlüsse und ein entsprechendes Vorgehen möglich. Darüber sollte man tunlichst nicht immer
in der Öffentlichkeit diskutieren, sondern in den zuständigen Gremien.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Herbert Schui, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen von Herrn Zeil sind völlig richtig gestellt. Ich könnte
sie noch um einige Punkte ergänzen. Wir brauchen eine
ordnungsgemäße Aufklärung über die jüngere Ge14342
schichte der IKB und vor allen Dingen der KfW. Das
steht völlig außer Frage.
({0})
Man muss aber auch fragen, was zu tun gewesen
wäre, wenn die IKB in die Pleite geraten würde. Kann
man das einfach laufen lassen? Wer legitimiert ist, Gewinn zu machen, ist schließlich auch verpflichtet, Verluste zu tragen. Solange nur ein einzelnes Unternehmen
über den Deister geht, ist das in Ordnung, aber für den
Fall, dass es eine Bankenkrise auslöst, muss man sich etwas einfallen lassen. Es reicht nicht aus, rigoros den Verkauf der IKB-Anteile zu fordern; man muss vielmehr
einen Plan haben, wie das Finanzministerium, die Zentralbank und die große öffentliche Bank KfW in Fällen
von allgemeinen Bankenkrisen tätig werden sollen. Das
ist wiederum ein Riesenproblem. Denn wenn man diesen
Plan veröffentlicht, nachdem man ihn geschmiedet hat,
dann hat das zur Folge, dass sich der private Bankensektor auf den Staat als denjenigen verlässt, der das Risiko
trägt, und noch waghalsigere Geschäfte eingeht. Darüber
muss sehr intensiv nachgedacht werden.
Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen,
nämlich das Subsidiaritätsprinzip, dessen Einführung die
FDP fordert. Das wäre ein Anlass, darüber zu philosophieren, woher der Subsidiaritätsgedanke stammt.
({1})
Thomas von Aquin hat sich in seiner Staatstheorie im
hohen Mittelalter mit diesem Begriff befasst, der nun für
das profane Bankgeschäft trivialisiert wird. Darauf gehe
ich aber jetzt nicht näher ein.
Ich bin gegen die Einführung des Subsidiaritätsprinzips in dem Sinne, dass im Falle eines Marktversagens
der öffentliche Bankensektor einspringen soll, und zwar
aus folgendem Grund: Wir brauchen bestimmte Bereiche, in denen ein öffentlicher Bankensektor in Wettbewerb zu den privaten Banken tritt. Das ist außerordentlich wichtig.
Ich will dazu ein Beispiel anführen. Frankreich und
Deutschland haben einen recht großen öffentlichen Bankensektor. In Deutschland gibt es die Sparkassen und die
Postsparkassen, in Frankreich die Caisse des Dépôts et
Consignations, die unserer KfW entspricht. Die Zinsspanne beträgt in Frankreich und Deutschland etwas
über 1 Prozentpunkt, in Großbritannien 1,75 und in den
USA 3,5 Prozentpunkte. Je kleiner der öffentliche Bankensektor ist, desto höher ist also die Zinsspanne. Die
Zahlen sind auf das Geschäftsvolumen bezogen.
({2})
- Ja, das ist mein Argument. Der öffentliche Sektor fördert den Wettbewerb. Dann kommt es zu einer niedrigeren Zinsspanne. Das ist wichtig für den gesamten realwirtschaftlichen Sektor, weil niedrige Kreditkosten im
Allgemeinen ein gutes struktur- und industriepolitisches
Instrument sind.
Mehr Wettbewerb führt darüber hinaus dazu, dass die
Gebühren für Konten und andere Dienste nicht zu hoch
sind. Es käme also darauf an, nicht nur die KfW neu zu
organisieren, sondern dem gesamten öffentlichen Bankensektor eine einheitliche Struktur zu geben, das heißt,
eine Verbindung zwischen der KfW, den Landesbanken
und den Sparkassen zu schaffen. Wie genau das geschehen soll, darüber muss intensiv nachgedacht werden.
Das lässt sich nicht in drei Worten umreißen. So viel
dazu.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, nicht nur für
mehr Wettbewerb im gesamten Bankenbereich zu sorgen.
Vielmehr muss der öffentliche Sektor ein konkretes Instrument in der Hand haben, das geeignet ist, Strukturpolitik zu betreiben. Bei einer Neustrukturierung muss man
darauf achten, dass der öffentliche Bankensektor nicht
Zugang zu allen Geschäften hat. Das richtet sich sicherlich gegen das Interesse so manchen Sparkassenleiters,
der meint, dass er den Marschallstab im Tornister hat, und
der sich gelegentlich Videos von Herrn Ackermann anschaut. Aber an solchen Leuten dürfen wir uns nicht orientieren.
Ich stimme der FDP in ihrer Forderung voll zu, den
Verwaltungsrat zu verkleinern. Bei der Auswahl der Personen muss man allerdings Acht geben. Es sollten Fachleute sein; so viel ist klar. Es darf kein zusammengewürfelter Verwaltungsrat sein. Es sollten aber keine
Fachleute aus dem privaten Bankensektor sein, die man
sich entliehen hat und die bereits sechs Aufsichtsratsposten gesammelt haben und nun den siebten anstreben. Sie
könnten beispielsweise von der Bundesbank kommen,
also aus einem Milieu, in dem sich Sachverstand mit einer gewissen Neutralität paart. Nur so kann man Förderpolitik betreiben.
Letzter Punkt. Ein Beirat für die politische Interessenvertretung ist die Lösung. Hier muss darüber debattiert
werden, wer für die Besetzung des Beirates zuständig ist.
Der Beirat sollte die Kompetenzen haben, die ihm das
Parlament überträgt, oder der Beirat sollte - unter Hinzuziehung weiterer Personen - unmittelbar aus dem Parlament entstammen; das halte ich für die bessere Lösung.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Jörg-Otto Spiller, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die FDP wirft Nebelkerzen. Jahrelang haben
uns die Kolleginnen und Kollegen der FDP-Bundestagsfraktion erklärt, alles Übel an wirtschaftlicher Fehlentwicklung habe nur eine Quelle, nämlich ein Übermaß an
staatlicher Regulierung.
({0})
- Herr Thiele, Sie haben uns immer gesagt, alles, was
gut sei, könne nur durch absolute Freiheit des Marktes
kommen. Das haben Sie immer gepredigt, Herr Thiele.
({1})
Von Ihnen habe ich nie etwas gehört, Herr Zeil. Verzeihen Sie, dass ich zumindest nichts in Erinnerung
habe.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Thiele?
Sehr gerne.
Herr Kollege Spiller, wir arbeiten schon länger im Finanzausschuss zusammen. Sie können in den Protokollen nachlesen, dass ich immer erklärt habe, dass der Finanzmarkt ein reguliertes Element ist. Dort gibt es nicht
nur freie Marktwirtschaft. Vielmehr brauchen wir im Interesse des Finanzplatzes Regulierung in der Finanzbranche. Dazu habe ich mich immer bekannt. Das halte
ich für notwendig. Es ist nur erstaunlich, dass Regulierung in diesem Fall gar nicht das Problem darstellt. Vielmehr sind die Probleme in den Unternehmen entstanden,
in denen die öffentliche Hand die Mehrheit hat. Das ist
aber etwas anderes als das, was Sie uns unterstellen;
denn die Regulierung ist da. Sie muss funktionieren. Dafür kämpfen wir und setzen wir uns weiter ein. Was Sie
uns unterstellen, haben wir aber nie gesagt. Deshalb
wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie selbst das korrigierten.
({0})
Herr Thiele, es freut mich sehr, dass Sie inzwischen
zu dieser Erkenntnis gekommen sind. Aber früher haben
Sie das anders dargestellt.
({0})
Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen zeigen, dass Sie sich
bei früheren Gelegenheiten im Finanzausschuss oder im
Plenum - das gilt auch für die Finanzmärkte - für weniger Regulierung und für ein höheres Maß an Freiheit
ausgesprochen haben.
({1})
Was Ihre Bemerkung angeht, es handele sich vor allem um Banken mit staatlicher Beteiligung oder um
reine Staatsbanken, die bei diesem Zocken vornan standen, sage ich Ihnen einmal, wer in Europa das größte
Spiel betrieben hat: Das war die größte Schweizer Bank,
die UBS,
({2})
die vor wenigen Wochen einen Abschreibungsbedarf
von 14,4 Milliarden Dollar angemeldet hat. Da ist sozusagen der liberale Geist voll zum Tragen gekommen.
({3})
Was sagt die FDP dazu? Haben Sie ein Wort über das
Entstehen dieser Finanzmarktkrise gesagt? Nichts!
({4})
Sie haben sich nur über die Institution ausgelassen, die
Schadensbegrenzung betrieben hat, nämlich die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
({5})
Es ist absolut unehrlich und absolut inadäquat, bei dieser
Finanzmarktkrise über die Feuerwehr zu reden, nicht
aber über diejenigen, die gezündelt haben.
({6})
Bei der Aufbereitung dieser Finanzmarktkrise müssen
wir uns auf die Frage konzentrieren, wie wir ein besseres
System von innerer Kontrolle in den Unternehmen erreichen können und wie wir die Bankenaufsicht, die von
der Deutschen Bundesbank und der BAFin ausgeübt
wird, stärken können. Aber es fängt bei den Unternehmen selbst an. Zu den Unternehmen selbst gehört auch
das Hilfsorgan des Aufsichtsrats, nämlich die Wirtschaftsprüfer.
Ich möchte Ihnen einmal einen Satz aus dem Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers der IKB vorlesen.
Die IKB hat ein vom Kalenderjahr abweichendes Geschäftsjahr, das am 31. März endet. Deswegen hat der
Wirtschaftsprüfer seinen Prüfungsvermerk Anfang Juni
vorgelegt. Der letzte Satz dieses Vermerks lautet wie
folgt:
Der Konzernlagebericht steht im Einklang mit dem
Konzernabschluss, vermittelt insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage des Konzerns und stellt
die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend dar.
Düsseldorf, den 4. Juni 2007
KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft
Dann folgen die Namen der beiden Wirtschaftsprüfer.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schick von den Grünen?
Ja, gerne.
Herr Spiller, Herr Zeil hat am Ende seiner Rede die
Frage aufgeworfen, wie zu bewerten sei, dass der Vertreter der Bundesregierung entsprechende Zahlungen an
den IKB-Vorstand, der abtreten musste, unterstützt hat.
Ich wäre dankbar, wenn Sie darauf noch eingehen könnten.
Ihre Frage knüpft nicht unmittelbar an das an, was ich
gerade sagte. Ich weiß nicht, ob Sie davon ablenken wollen. Ich will zu Ihrer Frage nachher gern etwas sagen.
({0})
Zuvor will ich auf das zurückkommen, von dem Sie jetzt
wohl ablenken wollten.
({1})
Die Wirtschaftsprüfer - nicht irgendwer, sondern
hochrenommierte Wirtschaftsprüfer - bescheinigen dem
Vorstand der Industriekreditbank, alle Risiken seien ordentlich erfasst und ausgewiesen worden. Daher stellt
sich natürlich schon die Frage, ob wir uns angesichts des
heute gegebenen rechtlichen Rahmens, was die Haftung
von Wirtschaftsprüfern und möglicherweise auch die Bilanzvorschriften angeht, einfach zurücklehnen und sagen
können, wir beschäftigen uns lieber mit Nebenkriegsschauplätzen, reden über die Institution, die den Schaden
begrenzt hat, und mäkeln an der Institution, die den
Schaden begrenzt hat, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, herum. Vielmehr müssen wir doch fragen, wie wir
die Risikokontrolle, das Risikomanagement in den Griff
bekommen. Sie haben hier eine verwirrende Debatte angestoßen. Wir werden Ihnen aber nicht erlauben, dass
wir die Debatte im Deutschen Bundestag nur darüber
führen.
Zu Ihrer konkreten Frage, Herr Kollege: Ich weiß
nicht, was die Ursache dafür war. Ich halte es nicht für
überzeugend, dass ein Manager, der so offenkundig versagt hat, unter so fürstlichen Bedingungen seinen Hut
nehmen kann. Ich fand das nicht in Ordnung, ich kenne
aber nicht die Verträge. Ich weiß nicht, welche Verträge
vorliegen. Ich finde das unbefriedigend.
({2})
Ich möchte gerne noch einige Bemerkungen zu dem
Antrag selbst machen. Mich überzeugt überhaupt nicht,
dass Sie jetzt so tun, als wäre die Nichtunterstellung der
Kreditanstalt für Wiederaufbau unter die Aufsicht der
BaFin ein Problem. Das verstehe ich überhaupt nicht.
Das hat mit der Finanzmarktkrise wirklich null zu tun.
({3})
- Warum schreiben Sie das denn hinein?
({4})
Sie taten so, als hätte der Antrag irgendeinen Anlass.
Wenn er keinen hat, dann war das nur ein Jux. Ich
möchte das doch etwas ernsthafter betrieben wissen.
({5})
Der Kollege Dautzenberg hat schon darauf hingewiesen, dass die Unterstellung unter die Aufsicht der BaFin
heißt, dass natürlich das Kreditwesengesetz voll angewendet werden muss. Dann können Sie sich allerdings
von dem größten Teil des Fördergeschäfts verabschieden. Es wird dann auch nicht mehr möglich sein, dass
die Kreditanstalt für Wiederaufbau in dem Maße und in
der Art wie bisher in der Entwicklungszusammenarbeit
die Funktion, die ihr das Parlament übertragen hat, ausfüllt. Das passt einfach nicht zusammen.
Natürlich muss man darüber nachdenken, in welchem
Umfang eine Beteiligung an privaten Banken erforderlich ist. Ich glaube, dass man diese Beteiligung an der
IKB nicht auf Dauer halten muss. Allerdings war es so:
Die KfW hat sich nicht danach gedrängt. Das hat Herr
Dautzenberg schon vorhin angedeutet. Im Übrigen ist
der Einstieg Mitte der 80er-Jahre erfolgt. Damals hat die
FDP den Bundeswirtschaftsminister gestellt. Die FDP
hat auch den Bundeswirtschaftsminister gestellt,
({6})
als die KfW im Rahmen der Privatisierung der Postnachfolgeunternehmen zunächst einmal einen großen Teil der
Aktien, die dem Bund gehörten, aufgenommen hat. Das
geschah mit Beteiligung des FDP-Bundeswirtschaftsministers. Da dürfen Sie sich nicht einfach davonstehlen.
Letzte Bemerkung: Über eines müssen wir sorgfältig
nachdenken. Sie sagen, die KfW soll nicht mehr kommerzielle Kreditfinanzierungen übernehmen. Diese Aktivitäten sind jetzt aus Wettbewerbsgründen ausgegliedert und in der IPEX zusammengefasst worden. Für
diese Kreditfinanzierungen gelten kommerzielle Konditionen. Das ist der einzige Zweig der Geschäftstätigkeit
der KfW, in dem die KfW Jahr für Jahr saubere Gewinne
erwirtschaftet.
({7})
- Nein, Herr Schäffler.
({8})
Die IPEX macht ihre Geschäfte insbesondere mit der
Exportfinanzierung, die von der KfW seit langem mit
sehr viel Erfolg und gewinnbringend betrieben wird.
Wenn sie das nicht mehr machen kann und sie keine Erträge mehr erwirtschaften kann, wird die Fördertätigkeit
bei der Mittelstandsfinanzierung entweder eingeschränkt
werden müssen oder der Deutsche Bundestag muss ihr
Mittel dafür bewilligen.
Das Kurze vom Langen ist: Ihr Antrag liegt völlig daneben.
({9})
Ich erteile das Wort nun Kollegen Gerhard Schick,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir die Eingangsbemerkung: Ich finde, das
ist eine ziemlich schräge Debatte.
({0})
Ich finde, dass weder die Finanzmarktkrise noch die
KfW eine solche schräge Debatte verdient haben. Die
KfW ist eine durchaus erfolgreiche Förderbank, zu großen Teilen im Besitz des Bundes. Wenn Sie einen Antrag
zur Zukunft der KfW stellen, dann sollten Sie die
schwierige Abwägung zwischen dem, was eine solche
öffentliche Förderbank im staatlichen Auftrag macht,
und dem, was man Privaten überlassen soll, wirklich begründen.
({1})
Ohne Begründung einfach so en passant zu fordern,
die IKB vollständig zu privatisieren - man leitet diese
Forderung sozusagen ideologisch ab -, und das nach einem Jahr, in dem die KfW eine erfolgreiche Förderpolitik und Mittelstandsfinanzierung in einem großen Ausmaß betrieben hat - Sie sagen immer wieder, man müsse
etwas für den Mittelstand tun -, das passt nicht. Auf die
Finanzmarktkrise, die natürlich auch private Banken und
damit die IKB erfasst hat, in dieser Form zu reagieren,
ist völlig zu kurz gegriffen.
Wir sollten uns die Sache separat vornehmen und mit
mehr Gründlichkeit vorgehen. Das, was Sie hier zusammengeschustert haben, gibt keine Antworten auf die verschiedenen Fragen. Ich finde es nicht zufriedenstellend.
Was ich gut fand, war die Kurzintervention des Kollegen Koppelin. Sie war ein Fingerzeig auf ein entscheidendes Defizit bei der Großen Koalition. Ich finde, das
sollte für unsere weiteren Debatten im Ausschuss wie
auch hier im Plenum eine Rolle spielen. Es gibt bisher
nämlich keine Reaktion der Großen Koalition auf die
Finanzmarktkrise, durch die klar würde, was wir jetzt
auf den verschiedenen Ebenen machen und wie das alles
zusammenpasst.
({2})
Nachdem diese Krise seit einigen Monaten in diesem
Land herrscht, ist es Zeit, dass diese Regierung einmal
eine Analyse vorlegt, aus der hervorgeht, was eigentlich
passiert ist, und in der dargestellt wird, wie wir reagieren, und zwar nicht nur international - auf dieser Ebene
gibt es durchaus ein paar gute Initiativen -, sondern auch
als nationaler Gesetzgeber, dem die Verwaltung untersteht. Das Einzige, was bisher vorliegt, ist der Entwurf
eines Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetzes, über
das Sie sich aber immer noch nicht verständigt haben.
Ansonsten gibt es keine Perspektive, wohin die Reise
geht.
Der FDP-Antrag enthält einen richtigen Punkt - Herr
Spiller hat ihn aufgegriffen -: Natürlich muss die Frage
beantwortet werden, wie das Controlling in öffentlichen
Unternehmen eigentlich aussieht. Wir müssen schon
feststellen: Die Fälle IKB und Sachsen LB müssen uns
ein Lehrstück sein. Gerade dann, wenn mit öffentlichem
Geld gewirtschaftet wird, muss das Controlling natürlich
optimal sein. Deswegen können wir mit dem Vorschlag,
den Verwaltungsrat zu verkleinern - muss im Verwaltungsrat wirklich jeder Verband vertreten sein? -, durchaus etwas anfangen.
Die zentrale Botschaft, die von dieser Debatte ausgehen sollte, ist: Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition, bitte, geschätzte Bundesregierung, legen Sie einmal eine Antwort vor. Dann werden
wir diese Vorschläge systematisch und nicht in so einer
schrägen Debatte, wie die, die die FDP heute ausgelöst
hat, bewerten. Ich glaube, das haben die Bürgerinnen
und Bürger, die einen Teil der Effekte dieser Krise zu
tragen haben,
({3})
und auch die Unternehmerinnen und Unternehmer, die
ebenfalls einen Teil dieser Effekte zu tragen haben, wirklich verdient.
Danke schön.
({4})
Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
hatten im Wirtschaftsausschuss im letzten Monat die Gelegenheit, mit der Vorstandsvorsitzenden der KfW ausführlich über die Situation, die sich aus der IKB-Krise
ergeben hat, zu diskutieren. Herr Zeil, wenn ich es nicht
besser gewusst hätte, würde ich sagen: Sie sind nicht dabei gewesen.
({0})
Denn all das, was Sie jetzt angesprochen haben, haben
Sie auch damals angesprochen.
({1})
Sie haben Äußerungen von Frau Matthäus-Maier gehört,
die eigentlich sehr überzeugend waren. Dennoch tragen
Sie wieder gebetsmühlenartig dasselbe wie damals vor.
Ich finde, jedenfalls am Ende der Sitzung war allen,
die gut zugehört hatten, klar: Die KfW ist nicht das Problem, sondern sie trägt ganz entscheidend zur Lösung
des Problems bei.
({2})
Gemeinsam mit den Verbänden der Kreditwirtschaft hat
sie mit insgesamt 4,8 Milliarden Euro die Vorsorge für
Risiken der IKB übernommen. Sie hat damit - unter den
gegebenen Umständen und zu dem kritischen Zeitpunkt,
also zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht viele Informationen zur Verfügung standen - ein gutes und schnelles Krisenmanagement betrieben.
({3})
Sie hat verhindert, dass der deutsche Mittelstand die
Rechnung für die riskanten Experimente abenteuerlustiger Bankvorstände zahlen muss.
({4})
Die Förderaktivitäten für den Mittelstand sind also
nicht gefährdet. Selbst der Bundesrechnungshof hat in
seinem jüngsten Bericht unterstrichen, dass er keine Anzeichen für eine Gefährdung sieht. Sie wissen ganz genau, dass sich der Bundesrechnungshof im ERP-Unterausschuss dadurch auszeichnet, dass er sehr kritische
Anmerkungen macht und Fragen stellt.
({5})
- Ich möchte jetzt weiterreden.
Meine Damen und Herren von der FDP, die KfW verausgabt nicht „Steuermittel in Milliardenhöhe“. Sie
bauen in Ihrem Antrag ein Bedrohungsszenario auf. Die
KfW hat die Vorsorge für die übernommenen Risiken in
Höhe von knapp 5 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln
gebildet; sie hat dafür einen Fonds eingerichtet.
Frau Berg, es machte eben den Eindruck, als wollten
Sie die Zwischenfrage nicht zulassen.
Herr Koppelin kann zum Schluss das Wort erhalten.
Ich bin gerade so schön im Schwung. Herr Koppelin, Sie
machen gerne Interventionen. Machen Sie sie doch zum
Schluss.
Noch einmal: Die KfW selbst ist nicht das Problem;
sie trägt zur Lösung bei. Das war auch im Jahr 2001 so,
als sich keine der privaten Banken für das Paket der
IKB-Aktien, das Allianz und Münchener Rück angeboten haben, erwärmen konnte. Damals haben nicht nur der
Vorstandsvorsitzende der IKB, sondern auch BDA und
BDI händeringend die KfW darum gebeten, das Aktienpaket zu übernehmen. Es ist absurd, nun die Krise der
IKB zu nutzen, um der KfW eins auszuwischen; schließlich hat sich die KfW erstens auf Drängen der Wirtschaft
beteiligt und ist zweitens selbst überhaupt nicht in den
Sog dieser Krise geraten.
Abschließend möchte ich betonen: Es ist irreführend
und auch unfair, die KfW immer in einem Atemzug mit
der aktuellen Bankenkrise zu nennen; denn die KfW hat
die Krise, wie gesagt, definitiv nicht ausgelöst und ist
nicht in ihren Sog geraten. Vielmehr hat die KfW da, wo
sie tangiert war, besonnen gehandelt.
Wir sollten uns lieber auf die umfangreichen Leistungen konzentrieren, die die KfW auch für die Wirtschaft,
besonders für den Mittelstand, erbringt. Sie gibt zinsgünstige Förderkredite. Sie hält innovative Programme
vor, mit denen das Eigenkapital der Unternehmen gestärkt wird. Sie berät kleine und mittelständische Unternehmen in allen Entwicklungsphasen. Sie investiert in
den Wohnungsbau, in Energiespartechniken, in die kommunale Infrastruktur. Sie leistet Beiträge zur Entwicklungshilfe. Das war nur ein kleiner Ausschnitt ihrer Aktivitäten.
({0})
Das Gesamtfördervolumen der KfW konnte zum
Ende des dritten Quartals 2007 im Vergleich zum Vorjahreswert um rund 16 Prozent gesteigert werden. 2007
war das beste Förderjahr der KfW überhaupt. Das Gesamtvolumen lag bei rund 60 Milliarden Euro. Ich
denke, diese Fakten überzeugen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Ja.
Die KfW hat sich immer als verlässliche Partnerin erwiesen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum man sie
jetzt auf die Anklagebank setzt und eine groß angelegte
Umstrukturierung fordert. Der Duktus Ihres Antrages
lautet: „Kreditanstalt für Wiederaufbau neu ordnen“. Da
machen wir selbstverständlich nicht mit. Bei Detailänderungen, bei einer Straffung des Entscheidungsgremiums
etc. - es ist alles schon angesprochen worden - machen
wir mit, aber nicht bei einer völligen Umstrukturierung.
({0})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Jürgen Koppelin das Wort.
Der Beitrag der Kollegin fordert mich richtig heraus;
denn das war mehr Gesundbeterei als ein sachlicher Beitrag zur Diskussion.
Es geht der FDP nicht darum - das können Sie uns
nicht unterstellen -, der KfW „eins auszuwischen“. Kollege Zeil hat in seinem Beitrag sehr richtig auch positive
Seiten der KfW genannt. Insofern trifft dieser Vorwurf
überhaupt nicht.
Sie haben die Gründe dafür, dass der Risikofonds der
KfW mit einem Volumen von gut 5 Milliarden Euro ausgeschöpft ist, völlig ausgeblendet. Das liegt nur an der
IKB. Der Risikofonds, der sonst für allgemeine Kredite
vorgesehen ist, ist völlig ausgeschöpft. Er muss jetzt neu
aufgefüllt werden. Die Situation bei der KfW ist nicht
so, wie Sie es dargestellt haben.
Ich habe vorhin den Bundesfinanzminister zitiert.
Wenn selbst er mit seinem SPD-Parteibuch erklärt - er
hat das öffentlich getan; das ist kein Geheimnis -, wir
müssten dringend aufpassen, dass die Krise der IKB
nicht zu einer Krise der KfW werde, dann können Sie
das doch nicht ausblenden, sondern müssen gerade als
Sozialdemokratin dazu Stellung nehmen.
Wenn Sie Frau Matthäus-Maier, die ich wirklich sehr
schätze und der ich mich fast freundschaftlich verbunden
fühle, so in Schutz nehmen und sich auch im Ausschuss
entsprechend äußern, dann muss ich ein Zitat von Frau
Mätthaus-Maier wiedergeben. Das Zitat von Frau
Matthäus-Maier ist noch nicht allzu alt, etwas über ein
halbes Jahr. In Bezug auf die KfW hat sie in einem Interview erklärt - es war in der Frankfurter Allgemeinen -:
„Die IKB ist unser Ohr am Markt, …“ Auch das ist ein
Zitat von Frau Matthäus-Maier. Das müssen Sie ebenfalls zur Kenntnis nehmen. Das haben Sie aber natürlich
ausgeblendet, und das kann ich gut verstehen.
Meine entscheidende Frage an Sie ist eine
andere - darauf sind Sie nicht eingegangen, Sie haben
alles schöngeredet -: Die KfW ist mit 38 Prozent an der
IKB beteiligt. Wieso ist dann nur die KfW verpflichtet,
das Risiko zu tragen? Andere Anteilseigner - Oppenheim
und wie sie alle heißen - haben sich nicht daran beteiligt,
dieses Risiko mit aufzufangen. Wieso ist da nur die KfW
tätig geworden und nicht die anderen Anteilseigner,
wenn sie nur einen Anteil von 38 Prozent hat?
Frau Berg.
Zunächst möchte ich kurz darauf eingehen, dass Sie
mir vorgeworfen haben, ich würde Frau Matthäus-Maier
zu sehr unterstützen. Sie hat das gar nicht nötig. Sie
macht ihre Sachen gut. Ich habe eben schon beschrieben,
dass sie in dieser Krise sehr überlegt und trotzdem
schnell gehandelt hat. Ich füge noch hinzu, dass sie von
sich aus ein Interesse daran hat, diesen großen, doch etwas schwerfälligen Verwaltungsrat umzustrukturieren
und ein kleineres Entscheidungsgremium zu schaffen.
Das finde ich durchaus sinnvoll und richtig.
Man kann an der Struktur der KfW natürlich noch einiges verbessern. Ich habe mich aber vor allem dagegen
gewandt, dass Sie die KfW quasi in den Fokus Ihrer Kritik gerückt haben und nicht die IKB. Die IKB ist im
Übrigen eine lupenreine Privatbank; das möchte ich
noch einmal unterstreichen, weil Sie ja sonst sehr stark
das Private unterstützen, fördern und in den Himmel heben. Die Fehler wurden ganz eindeutig dort gemacht.
Die KfW hat sich daran beteiligt, Schaden zu begrenzen.
Ich möchte noch etwas ansprechen. Sie haben gerade
gesagt, der Fonds sei völlig ausgeschöpft. Dieser Fonds
wurde für solche Fälle eingerichtet. Natürlich ist er für
Risiken da; es ist ein Risikofonds. Er wird natürlich genutzt, wenn ein Risiko besteht bzw. wenn eine schwierige Situation auftritt. Ich habe mich ein bisschen gegen
die Schwarz-Weiß-Malerei gewandt, die Sie gerade betrieben haben.
Zu Ihrer letzten Frage: Warum hat nur die KfW die
IKB aufgefangen? Sie wissen selber, dass man in den
Gremien eine Zweidrittelmehrheit braucht, um entscheiden zu können. Das war nicht anders hinzubekommen.
Dies kann man sicherlich bedauern.
Insgesamt ist Ihr Schuss gegen die KfW viel zu massiv gewesen. Ich finde, Herr Dautzenberg hat das Richtige gesagt: Sie haben eindeutig das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet.
({0})
Damit schließe ich die Aussprache.
Es ist verabredet, die Vorlage auf Drucksache 16/6996
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Sind Sie
auch damit einverstanden, dass die Vorlage federführend
im Finanzausschuss beraten werden soll? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 8 und den Zusatzpunkt 5 auf:
8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({0})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz
({1})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vierter Bericht der Bundesregierung über den
Anteil von Frauen in wesentlichen Gremien
im Einflussbereich des Bundes ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Eva
Möllring, Ursula Heinen, Rita Pawelski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Christel
Humme, Ingrid Arndt-Brauer, Sören Bartol,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Chancen für Frauen auf dem Ausbildungsund Arbeitsmarkt verbessern
- Drucksachen 16/3776, 16/4385, 16/4913 Nr. 1,
16/4558, 16/4737, 16/5689 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Markus Grübel
Renate Gradistanac
Ina Lenke
Diana Golze
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({3}),
Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleichstellung von Frauen und Männern in
den Gremien des Bundestages tatsächlich
durchsetzen
- Drucksache 16/7739 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Rechtsausschuss
Es ist vorgesehen, hierzu eine Dreiviertelstunde zu
debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
({5})
Bevor jetzt alle Männer fluchtartig den Plenarsaal
verlassen, eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort
der Kollegin Dr. Eva Möllring für die CDU/CSU-Fraktion.
({6})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sind Frauen einfach zu blöd, oder wie ist es
möglich, dass es immer noch nur so wenige Frauen in
Führungspositionen gibt, dass Frauen in Vollzeittätigkeit
nur 77 Prozent des Einkommens eines Mannes verdienen und dass wir über diese Fragen seit Jahren diskutieren müssen?
Aus dem Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz ergeben sich zwei Nachrichten, eine gute
Nachricht: Die Anzahl der Frauen steigt, und eine
schlechte Nachricht: Sie ist bei weitem noch nicht hoch
genug. In den obersten Bundesbehörden werden 15 Prozent der Abteilungen, 14,7 Prozent der Unterabteilungen
und 20 Prozent der Referate von Frauen geleitet. Auch
der Bundesgremienbericht weist aus: Nur knapp 20 Prozent der Mitglieder waren weiblich. Ich bin allerdings sicher, dass seit 2004, also in dieser Legislaturperiode,
eine Reihe von Frauen hinzugekommen ist. Ich nenne
nur einmal beispielhaft das Bundesinnenministerium
und das Auswärtige Amt, in denen jetzt endlich jeweils
eine Frau in die oberste Führungsschicht vorgestoßen ist.
({0})
Leider werden wir die genauen Zahlen erst 2010 erfahren.
Also, blöd sind Frauen natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Das Bildungsniveau und der berufliche Ehrgeiz
von Frauen haben sich in den letzten 20 bis 30 Jahren
Schritt für Schritt erheblich gesteigert. Damit haben sich
auch die Lebensentwürfe geändert. Ich nenne nur einmal
vier Fakten:
Erstens. Es gibt heute mehr Abiturientinnen als Abiturienten, nämlich 56 Prozent.
Zweitens. Der Anteil der Studentinnen betrug 1970
23 Prozent und beträgt heute mehr als 50 Prozent.
Drittens. Von den jungen Frauen zwischen 25 und
45 Jahren waren 1970 47 Prozent berufstätig. Heute
sind es fast 80 Prozent.
Viertens. 86 Prozent der Mütter mit kleinen Kindern
in den westlichen Bundesländern wollen berufstätig
sein. In den neuen Ländern sind es sogar 96 Prozent.
Frauen werden mit ihrem heutigen beruflichen Ehrgeiz zunehmend auch leitende Positionen erobern, aber
es geht zu langsam. Wir sollten sie besser unterstützen,
weil wir ihr Fachwissen, ihre Kompetenz und ihre Arbeitsweise in den Betrieben und in den Verwaltungen
brauchen.
({1})
Es gibt ja inzwischen zahlreiche internationale Studien,
die eindeutig belegen, dass Unternehmen erfolgreicher
sind, wenn sie von Männern und Frauen geleitet werden. An dieser Stelle hatte ich eigentlich Beifall erwartet.
({2})
- Ja, da muss man auch einmal klatschen.
Besonders im technischen Bereich brauchen wir jede
weibliche Nachwuchskraft, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können.
({3})
Deswegen begrüße ich es ausdrücklich, dass das Bildungsministerium jetzt mit der Qualifizierungsinitiative
Projekte fördert, damit Mädchen schon im Kindergarten
und in der Grundschule für Natur und Technik begeistert
werden.
({4})
Mit diesem Programm wird schon eine der Forderungen
erfüllt, die wir in dem Antrag stellen, über den heute abgestimmt wird. Darüber hinaus sollten wir darüber nachdenken, technische und naturwissenschaftliche Ausbildung sinnvoll mit Fremdsprachen und Kommunikation
zu kombinieren, und zwar weil das zukunftsträchtig ist
und weil auf diese Weise auch mehr Interesse bei den
Frauen dafür geweckt werden kann, diese Ausbildungsgänge zu ergreifen und eine erfolgreiche, profitable berufliche Karriere hinzulegen.
Vier Punkte sind für mich von zentraler Bedeutung:
Erstens: Passende flexible Kinderbetreuungsangebote,
({5})
damit Frauen, auch wenn sie Kinder erziehen, im Beruf
bleiben können.
({6})
Bislang kann etwa die Hälfte der Mütter ihre Berufswünsche nicht so umsetzen, wie sie es wünschen. Wir sind
mit der Familienministerin ein großes Stück vorangekommen; aber jetzt geht es darum, dass die Länder und
Kommunen vor Ort das umsetzen, was wir hier verabredet haben. Da liegt noch ein gewaltiges Stück Arbeit vor
uns. Das können wir also noch nicht abhaken.
Zweitens: Beratung und Hilfe auf kommunaler
Ebene. Ich wünsche mir, dass es für Mütter und Väter in
jeder Kommune eine Person gibt, die für Familien zur
Verfügung steht und konkret und unbürokratisch Auskunft gibt, wie man Hilfe bekommt.
({7})
- Ja, das gibt es schon in Einzelfällen, aber ich hätte
gerne, dass es so etwas in jeder Kommune gibt. Als wir
gemeinsam in Frankreich waren, haben wir erfahren,
dass Kommunen von jetzt auf gleich Kinderbetreuungsangebote zur Verfügung stellen, wenn man einen Job in
Aussicht hat. Das ist genau das, was Mütter und Väter
im Alltag brauchen, um den Kopf für eine Berufstätigkeit frei zu haben.
Drittens. Es gibt viele Unternehmen, die zum Beispiel
durch Zielvereinbarungen, Berichtspflichten und auch
durch Erfolgsvergütungen die Frauenquote deutlich gesteigert haben. Wir sollten mit einer entsprechenden Datenbank ein positives bundesweites Ranking einführen,
und zwar für Unternehmen und Behörden. Frauen in
Führungspositionen müssen ein Werbefaktor sein. Es
muss sich ein intensiver Wettbewerb in diesem Bereich
ergeben.
({8})
Deshalb ist es notwendig, die Vereinbarung mit den
Wirtschaftsverbänden gemeinsam zu evaluieren und
fortzuschreiben und die erfolgreichen Strategien zur Förderung von Frauen an kleine und mittlere Betriebe weiterzugeben.
Viertens. Der entscheidende Schlüssel für viele
Frauen ist die Weiterbildung. Viele Frauen in der Familienphase wünschen sich den weiteren Kontakt mit dem
Betrieb. Ihre Möglichkeiten steigen erheblich, wenn sie
die Familienphase nutzen, um sich weiterzuqualifizieren.
({9})
Deswegen sage ich ganz klar: Wir müssen Frauen, die
zugunsten der Familie auf Einkommen verzichten, finanziell unterstützen, damit sie Qualifizierungsangebote
wahrnehmen können. Es kann nicht sein, dass eine Frau,
die Kinder erzieht, auf das Einkommen des Ehemannes
angewiesen ist - falls er überhaupt ein ausreichendes
Einkommen hat -, um im Job wieder die gleichen Chancen zu haben. Auch Frauen, die jahrelang pausiert haben, müssen Weiterbildungsangebote bekommen, um
wieder den Anschluss an das Berufsleben zu finden.
({10})
Wir können es uns nicht leisten, dass eine Frau mit 40
oder 50 Jahren, die voll arbeitsfähig ist und noch viele
Jahre lang berufstätig sein kann, außen vor bleibt. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass gerade diese
Frauen für den Arbeitsmarkt qualifiziert werden, auch
wenn sie bislang keine finanziellen Leistungen von der
Bundesagentur erhalten.
Liebe Frau Kollegin Schewe-Gerigk, glauben Sie mir,
ich kann Ihren Wunsch nach 30 Prozent Frauen in allen
Gremien bestens verstehen. Aber allein die Quote würde
uns keinen Schritt weiterbringen.
({11})
Es würden einfach ein paar Plätze leer bleiben. Eine
Sanktion ist auch Ihnen nicht eingefallen.
({12})
Es hilft uns auch nichts, wenn wir einzelne Vorzeigefrauen haben, die von Gremium zu Gremium wandern.
Das Ziel muss vielmehr sein, auf allen mittleren und
oberen Ebenen viele Frauen zu haben, die dann auch für
hohe Positionen zur Verfügung stehen.
({13})
Ich möchte noch ein Wort zu den Kollegen aus den
anderen Fraktionen sagen. Ja, wir wissen, dass in
Deutschland zwei Drittel der Mütter Teilzeit arbeiten
wollen und auch viele Väter ihre Arbeitszeit gern reduzieren möchten. Aber es ist nicht die Aufgabe der Politik, diese Mütter und Väter in die Pflicht zu nehmen und
zu einer längeren Arbeitszeit zu zwingen. Wir müssen
ihre Lebensentscheidung und ihre Lebensentwürfe achten. Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Bedingungen stimmen und dass sie trotz einer geringeren
Arbeitszeit die Chance haben, eine verantwortungsvolle
Tätigkeit auszuüben.
({14})
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Das letzte Mal habe ich ein wenig kürzer geredet.
Aber das nützt mir jetzt anscheinend nichts. Ich komme
deshalb zum Schluss.
({0})
Frauen sind nicht blöd; Frauen sind spitze. Nur in
Führungspositionen sind sie immer noch einsame Spitze.
Das müssen wir ändern. Deswegen möchte ich Sie
freundlich bitten, unserem Antrag einfach zuzustimmen.
Danke schön.
({1})
Die Kollegin Ina Lenke hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau
Möllring, ich habe während Ihrer neunminütigen Rede
darauf gewartet, etwas zu den Ergebnissen der beiden
Berichte, die uns heute vorliegen, und nicht nur von Ihrem schönen Antrag mit den guten Wünschen zu hören.
({0})
- Frau Schewe-Gerigk gibt mir da recht.
Das Bundesgleichstellungsgesetz und das Bundesgremienbesetzungsgesetz haben das Ziel, das wir uns - unabhängig davon, ob wir den Gesetzen zugestimmt haben
oder nicht - vorgenommen haben, bisher nicht erreicht.
Der Anteil von Frauen in den Bundesministerien und in
den dazugehörigen Gremien - Frau Möllring, Sie haben
vergessen, diesen Punkt bei der Erwähnung der Statistiken anzusprechen - ist nicht einmal um 1 Prozent pro
Jahr gestiegen. Zudem hat dieser Anstieg mit den beiden
Gesetzen überhaupt nichts zu tun. Diese minimale Steigerung beruht nämlich auf einer ganz natürlichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt.
Sie haben auch gesagt: Wir haben qualifizierte, gute
Frauen. Wenn wir den Frauen die Möglichkeit geben, Familienarbeit und Beruf miteinander zu verbinden - das beginnt jetzt so langsam -, dann haben wir die Frauen sehr
gut unterstützt. Es gibt mehr qualifizierte Frauen. Das
Schlimme ist meines Erachtens, dass Frauen zunehmend
auf Kinder verzichten, wenn sie Karriere machen wollen. Das wollen wir doch alle nicht. Wir kämpfen
schließlich dafür, dass beides miteinander vereinbar ist.
({1})
Frau Möllring, beide Berichte der Bundesregierung
- Ihre Fraktion ist ja Regierungsfraktion - kommen zu
dem Ergebnis, dass erhebliche Defizite bei der Umsetzung bestehen. Positiv an beiden Berichten sind lediglich die Best-Practice-Beispiele. Zum Beispiel werden in
den Bundesministerien flexible Arbeitszeiten geschaffen
und Unterstützung bei der Organisation der Kinderbetreuung angeboten. Ich finde es gut, dass sich der Arbeitgeber auch um solche Dinge kümmert. In der Wirtschaft
und im öffentlichen Dienst kümmert er sich eigennützig
darum. Wenn ein Arbeitgeber eine gute Frau hat, die ein
Kind bekommt und Elternzeit nimmt, will er sie natürlich nicht für lange Zeit entbehren. Deswegen organisiert
er die Kinderbetreuung mit. Dass das, was in mittelständischen Betrieben üblich ist, jetzt auch im öffentlichen
Dienst ankommt, ist gut.
Wenn man sich den Antrag von SPD und CDU/CSU
anschaut - das ist schließlich nicht nur Ihr Antrag, sondern auch ein Antrag der SPD -, stellt man fest, dass Sie
nach der Hälfte dieser Legislaturperiode Defizite beklagen. Ich darf daran erinnern, dass die SPD seit neun Jahren in der Regierung ist. Da die SPD diesen Antrag, in
dem aufgeführt wird, was alles noch gemacht werden
soll, unterstützt, frage ich mich: Was haben Sie in diesen
neun Jahren eigentlich gemacht? So viel ist dabei ja
nicht herumgekommen.
({2})
Zudem möchte ich daran erinnern, dass auch die Grünen sieben Jahre lang an der Regierung beteiligt waren.
({3})
Diese drei Fraktionen sollten sehr selbstkritisch einräumen, dass sich viele Bedingungen im Arbeitsleben von
Frauen überhaupt nicht geändert haben.
Neben meinen Bemerkungen zu diesen beiden Berichten will ich darauf hinweisen, dass die Steuerklasse V weiterhin besteht. Sie haben die Abschaffung in
den Entwurf des Jahressteuergesetzes 2008 aufgenommen. Wir haben den Antrag auf Abschaffung dieser
Steuerklasse gestellt und damit die Vorlage geliefert.
Frau Hendricks vom Bundesfinanzministerium, die jetzt
nicht mehr dabei ist, hat das in den Entwurf des
Jahressteuergesetzes 2008 aufgenommen. Ein paar Tage
vor der Abstimmung im Bundestag haben Sie die Abschaffung der Steuerklasse V - die Ehefrauen wissen,
wovon ich rede - aber wieder aus dem Gesetz herausgenommen und sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.
({4})
Laut Ihrem Antrag wollen Sie das unternehmerische
Potenzial von Frauen besser erschließen. Na klar, das
wollen wir doch alle. Was machen Sie aber beim Elterngeld? Wenn eine selbstständige Frau ein Büro hat und
ihre Existenz während des ersten Jahres nach Geburt des
Kindes über Elterngeld sichern will, erhält sie, wenn sie
mehr als 30 Stunden in der Woche arbeitet, noch nicht
einmal den Mindestbetrag von 300 Euro. Was ist das eigentlich für eine Sicht auf Frauen, die selbstständig tätig
sind? Hartz-IV-Empfängerinnen bekommen, obwohl sie
nicht arbeiten, den Mindestsatz von 300 Euro Elterngeld. Frauen, die selbstständig sind, bekommen gar
nichts, obwohl Sie doch wollen, dass dieses Potenzial erschlossen wird. Über all diese Gesetze sollten Sie sich
einmal Gedanken machen.
Wenn Frau von der Leyen von Opa- und Omadiensten
bei minderjährigen Müttern spricht, soll sie, wenn sie
das Elterngeldgesetz ändert, diese Dinge bitte mitorganisieren. Wir wollen doch alle die Steuerklasse V abschaffen. Deshalb fordere ich Sie auf: Finden Sie mit den vielen Beamten im Finanzministerium endlich einmal eine
Regelung dafür!
({5})
Was ich Ihnen mit diesen wenigen Beispielen dargelegt habe, steht dem Ziel, die Gleichberechtigung von
Frauen und Männern in unserer Gesellschaft voranzutreiben, entgegen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat auch
aus der Opposition heraus immer wieder Vorschläge gemacht, die Sie, weil Sie sich in der Koalition einigen
müssen, allesamt abgelehnt haben. Trotzdem sind die
Abschaffung der Steuerklasse V, die bessere Berücksichtigung von Selbstständigen beim Elterngeld und die Einführung des Bruttolohnprinzips beim Elterngeld Dinge,
die Sie ein Jahr nach Einführung des Elterngeldes angehen können, ohne Ihr Gesicht zu verlieren. Sie können
ein Gesetz ändern, wenn Sie feststellen, dass viele Dinge
nicht enthalten sind.
Zum Bumerangeffekt beim Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit: Meine Fraktion unterstützt es grundsätzlich,
dass Frauen Zeit haben, Kinder zu erziehen; aber wir
müssen doch sehen, Frau Möllring, dass im Bericht festgestellt wurde, dass das Gesetz im öffentlichen Dienst
auf Bundesebene mit sicheren Arbeitsplätzen zur Folge
hatte, dass 91 Prozent der Frauen und nur 9 Prozent der
Männer in diesem Berichtszeitraum die Teilzeitregelung
in Anspruch genommen haben. In welcher Welt leben
wir eigentlich? Welche negativen statt positiven Auswirkungen, die wir mit diesen Gesetzen doch transportieren
wollen, haben solche Gesetze?
({6})
Ich komme jetzt zum Schluss. Insgesamt zeigen die
Berichte, dass - ich hoffe, dass die nächste Rednerin der
SPD selbstkritisch darauf eingehen wird - die rot-grüne
Koalition und die Große Koalition es bisher nicht geschafft haben, für mehr Gleichberechtigung von Frauen
und Männern im öffentlichen Dienst zu sorgen.
({7})
Caren Marks hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Die Lebensverhältnisse von Frauen von Männern haben sich in Deutschland seit Bestehen der Bundesrepublik enorm verändert.
Heute ist kaum vorstellbar, dass ein Ehemann noch bis in
die 50er-Jahre zum Arbeitgeber seiner Frau gehen und
ihr Arbeitsverhältnis fristlos kündigen konnte.
({0})
Derartige Vorrechte der Männer wurden 1957 durch die
Verabschiedung des Gleichberechtigungsgesetzes abgeschafft. Frauen haben seitdem viel erreicht, nicht nur
rechtlich. Sie leben selbstbestimmter und unabhängiger.
Sie wählen ihre Partner genauso frei wir ihr Lebensmodell: verheiratet oder nicht, mit Kindern oder ohne. Das
ist für junge Frauen heute selbstverständlich. Ihre Mütter
und auch ihre Großmütter haben dies hart erkämpft.
Die SPD hat die Gleichstellung von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft erfolgreich vorangebracht,
({1})
und zwar im Arbeitsleben wie im Privaten. Beispiele
sind das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Elterngeldgesetz, aber auch das Gewaltschutzgesetz. Dass
nur eine geschlechtergerechte Politik die Modernisierung unserer Gesellschaft ermöglicht, haben wir früher
erkannt als viele andere. Ausruhen auf dem Erreichten
können wir uns allerdings nicht.
({2})
Das bestätigt auch der erste Erfahrungsbericht zum
Bundesgleichstellungsgesetz. Dieses Gesetz für den öffentlichen Dienst des Bundes hat die Gleichstellung von
Frauen und Männern auf Bundesebene verbessert.
({3})
Eine geschlechtersensible Stellenausschreibung ist selbstverständlich geworden, und bei der Zahl der Einstellungen von Frauen in den Bundesdienst ist durchaus eine positive Entwicklung zu verzeichnen. Im höheren Dienst lag
die Einstellungsquote 2004 erstmals über 50 Prozent. Der
Frauenanteil stieg dadurch im höheren Dienst um 5,1 auf
nunmehr 18,6 Prozent. Das ist immer noch viel zu wenig,
aber es geht voran.
({4})
Die in dem Bericht vorliegenden Ergebnisse bekräftigen die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung
der Beschäftigungsverhältnisse. Im Allgemeinen gilt leider nach wie vor: je höher die Hierarchieebene, desto geringer der Frauenanteil.
({5})
Frauen sind auch zu einem viel höheren Anteil als Männer in geringer bezahlten Tätigkeitsbereichen beschäftigt. Zudem ist Teilzeitbeschäftigung nach wie vor überwiegend Frauensache.
({6})
Defizite bei der Gleichstellung zeigt auch der Vierte
Gremienbericht auf. Da bin ich durchaus bei meiner
Kollegin Ina Lenke. Seit 1990 ist nur eine jährliche Steigerung von unter 1 Prozentpunkt zu verzeichnen. Das ist
zu wenig. Der Frauenanteil in Bundesgremien liegt bei
nur knapp 20 Prozent und ist damit erschreckend niedrig. Es bedarf einer wirklich sehr sorgfältigen Analyse,
warum das seit 1994 geltende Bundesgremienbesetzungsgesetz bisher nicht so erfolgreich ist wie in vergleichbaren Ländern wie Norwegen oder auch Finnland,
die ähnliche Gesetze haben.
Frauen von heute sind besser qualifiziert und dadurch
auch selbstbewusster. Ihre Bereitschaft, Führungsaufgaben und Verantwortung zu übernehmen, ist deutlich gestiegen. Dennoch sind Frauen in den Chefetagen weiterhin unterrepräsentiert. Der Fortschritt ist eine Schnecke,
und so ist die Gleichstellungspolitik weder abgeschlossen noch überflüssig. Auch wenn ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft derzeit nicht durchsetzbar
ist, sind verbindliche Zielmarken für eine steigende Anzahl von Frauen in Führungspositionen unabdingbar.
Eine enge Verknüpfung von Personalmanagement und
Gleichstellungspolitik ist von zentraler Bedeutung, um
Frauen in den Betrieben zielführend fördern zu können.
({7})
Die stärkere Erwerbsorientierung von Frauen in unserem Land hat zur Folge, dass die traditionelle Lebensführung von Frauen und Männern überholt ist. Partnerschaftliche Lebensmodelle, die die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf ermöglichen, wollen wir politisch unterstützen.
Das von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
entwickelte Elterngeldgesetz, der durchgesetzte Rechtsanspruch auf einen Bildungs- und Betreuungsplatz für Kinder ab eins sowie das unter Rot-Grün reformierte Elternzeitgesetz sind nicht nur konsequente, sondern auch
richtige Schritte.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch hinsichtlich
familienfreundlicher Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen sind wir auf dem richtigen Weg. Durch die Initiativen „Allianz für die Familie“ und „Lokale Bündnisse
für Familie“ wurde ein positiver Bewusstseinswandel
eingeleitet.
({9})
Das von der Union ins Spiel gebrachte Betreuungsgeld
hingegen wäre nicht nur bildungspolitisch, sondern auch
gleichstellungspolitisch kontraproduktiv.
({10})
Frauen brauchen kein Taschengeld, sondern echte Teilhabechancen auf dem Arbeitsmarkt.
({11})
Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf wird die Gleichstellung von Männern und Frauen
voranbringen. Zum einen entspricht das den Lebenswünschen der jüngeren Elterngeneration. Zum anderen kann
unser Land nicht auf das Potenzial von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt verzichten.
Die Erwerbstätigkeit von Frauen zu fördern, entspricht unserem sozialdemokratischen Grundverständnis
von Chancengleichheit und von Teilhabe- und Verwirklichungschancen beider Geschlechter. Wir wollen gleiche Einstellungs- und Karrierechancen für Frauen und
Männer, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und den
gleichberechtigten Zugang zu Führungspositionen,
({12})
egal ob in Unternehmen, Verwaltung, Wissenschaft, Forschung oder in Aufsichtsratsgremien.
({13})
Trotz erster Erfolge müssen wir konsequent weiter
daran arbeiten, gleiche Erwerbs- und Karrierechancen
für Frauen und Männer zu ermöglichen.
Das Ziel von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist und bleibt die Gleichstellung von Frauen und
Männern auf allen Ebenen.
Herzlichen Dank.
({14})
Die Kollegin Kirsten Tackmann spricht jetzt für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Vereinzelte Kollegen!
({0})
Sehr geehrte Gäste! Die Gleichstellung der Geschlechter
ist ein sehr weites Feld. Es reicht von dem gemeinsamen,
gleichen Zugang zu Bildung und Kultur über ein selbstbestimmtes Leben bis hin zur Gleichstellung bei der Erwerbsarbeit. Der Schlüssel zur Gleichstellung ist für die
Linke aber eine eigenständige Existenzsicherung für
Frauen. Daher lohnt es sich, sich die Erwerbsbedingungen von Frauen einmal näher anzusehen.
Liebe Koalition, mit Ihrem Antrag „Chancen von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken“ leisten Sie aus
meiner Sicht einen Offenbarungseid. Schon Ihre Bestandsaufnahme ist meiner Meinung nach ein rosarot gezeichnetes Bild der tatsächlichen Situation von Frauen.
Nehmen wir das Beispiel der Frauenerwerbsquote,
die einer der Indikatoren ist, mit denen man misst, ob
eine Gleichstellungssituation existiert oder nicht. Die Erwerbstätigenquote von Frauen ist im Zeitraum von 2001
bis 2005 von 58,7 Prozent auf 59,6 Prozent gestiegen;
sie liegt somit nahe der Lissabon-Vorgabe. Es stellt sich
die Frage: Ist das ein Erfolg? Die Zahl der von Frauen
geleisteten Erwerbsstunden ist im gleichen Zeitraum
nicht gestiegen. Was heißt denn das? Das heißt, dass der
Anstieg der Frauenerwerbsquote vor allem auf den Anstieg von Teilzeitarbeit zurückzuführen ist. Das Volumen
der Erwerbsarbeit wurde also nicht erweitert, sondern
auf mehr Frauen verteilt, indem Arbeitsplätze gestückelt
wurden. Einen Erfolg kann man das nicht nennen.
Warum verschweigt die Koalition in ihrem Antrag
ausgerechnet diese Tendenz? Dort schreibt sie, aus meiner Sicht verharmlosend:
Teilzeitarbeit ist also nach wie vor eine „weibliche
Domäne“.
Nein: Teilzeitarbeit ist mehr denn je eine Frauendomäne.
Die Umverteilung von Erwerbsarbeit möchte die
Linke auch, aber eben nicht über den Weg der Teilzeitarbeit, sondern durch eine Verkürzung der Regelarbeitszeit.
({1})
Das ist kein semantischer Unterschied, sondern ein realer Unterschied im Portemonnaie. Frauen bekommen
nämlich immer weniger Lohn. Die Frauengehälter sind
hierzulande - das ist schon angesprochen worden 21 Prozent geringer als die Männergehälter; das ist ein
skandalöser 21. Platz in der EU-25. Zweitens bedeutet
Teilzeitarbeit natürlich weniger Geld im Monat. Das
Geld fehlt den Frauen dann nicht nur im Alltag; Teilzeitarbeit führt oft auch zu Altersarmut, sie führt zu niedrigerem Arbeitslosengeld und auch zu weniger Elterngeld.
Aber nicht nur in der Privatwirtschaft ist Teilzeitbeschäftigung weiblich. Laut dem heute vorgelegten Ersten
Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz waren 2004 im Bundesdienst - die
Zahl ist schon genannt worden - 91 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Frauen. Das beweist doch, dass die Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf immer noch von den Frauen alleine gelöst werden müssen,
({2})
und zwar zum Nachteil ihrer sozialen Situation.
Deshalb stellt die Linke drei Grundforderungen: erstens Verkürzung der Vollzeitstandards statt Teilzeitarbeit,
({3})
zweitens Gleichstellung und Gleichverteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern
({4})
und drittens Sicherung von Mindeststandards der öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur; auch das gehört dazu.
({5})
Besonders der dramatische Anstieg der geringfügigen
Beschäftigung ist aus unserer Sicht ein sozialer Skandal.
Im März 2003 gab es knapp 5 Millionen Minijobber.
Drei Jahre später, im Juni 2006, war die Zahl der Minijobs auf fast 7 Millionen angestiegen.
({6})
67 Prozent dieser Minijobber sind Frauen.
Die fatalen gleichstellungspolitischen Folgen kann
man in der Evaluation der Umsetzung der Vorschläge
der Hartz-Kommission von 2006 nachlesen. Lassen Sie
mich zitieren:
Die Erweiterung der Minijobs im Zuge der Neuregelungen von Hartz II trägt damit in unterschiedlicher Form zu einer Verschlechterung der Situation
von ost- und westdeutschen Frauen … bei: Während sie in den neuen Bundesländern eine größere
Zahl von Frauen … in die Nähe der Armutsgrenze
bringt, ist sie für westdeutsche Frauen mit einer
Verstärkung der Abhängigkeitsbeziehungen von ihren Partnern verbunden.
Das ist das Ergebnis der Arbeit der rot-grünen Bundesregierung und der aktuellen Bundesregierung. Ich denke,
das kann man nun wirklich nicht als Förderung von
Gleichstellung und eigenständiger Existenzsicherung für
Frauen bezeichnen.
({7})
Die Abschaffung der Zumutbarkeitskriterien drängt
Frauen sogar massiv in die Minijobs, ohne dass es eine
Brücke zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gäbe.
Die Linke fordert deshalb erstens die Förderung von
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gerade für
Frauen und zweitens die sofortige Beendigung der Minijobpolitik.
({8})
Geringfügige Beschäftigung darf nicht auch noch staatlich subventioniert werden, weder bei Frauen noch bei
Männern.
({9})
Der Forderungskatalog der Koalition zur Gleichstellung zeugt vor allem von ihrem Mangel an politischem
Willen, die soziale Situation von Frauen tatsächlich zu
verbessern. Das Scheitern der freiwilligen Vereinbarung
der rot-grünen Bundesregierung mit der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2001 zur Förderung der Gleichstellung zeigt doch, dass wir dringend gesetzgeberische
Initiativen brauchen. Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.
({10})
Auch ein gesetzlicher Mindestlohn ist aus unserer
Sicht eine sehr wirksame Maßnahme zur Gleichstellung
von Frauen und zur Bekämpfung der Armut von Frauen.
Dafür gibt es eine Mehrheit im Bundestag. Es liegt im
Moment an der SPD, dass daraus auch ein Beschluss
wird.
({11})
Es gäbe also eine Menge von Schritten hin zu mehr
Gleichstellung von Frauen. Sie müssen endlich gegangen werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk hat jetzt das
Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Werter Herr Staatssekretär, schön, dass Sie jetzt auch da
sind.
({0})
- Wir haben ihn herbeitelefonieren müssen.
Jetzt aber zur Sache: Mit dieser Art Frauenpolitik, die
Sie von der Großen Koalition uns hier heute präsentie14354
ren, werden Sie im wahrsten Sinne des Wortes keine
Frau hinter dem Herd hervorlocken können.
({1})
Kanzlerin hin, Elterngeld her - die Frauen merken es:
Frauenpolitik ist für Sie kein Thema. Im Aussitzen der
notwendigen Reformen sind Sie in der Großen Koalition
wirklich groß.
({2})
Um das zu kaschieren, werfen Sie ab und zu ein paar
Brocken in Form von unverbindlichen Vorlagen ins Plenum, wie sie uns auch heute hier vorliegen. Deren Beratung ziehen Sie dann wie Kaugummi in die Länge. Nach
der zweiten Lesung werden Sie dann - mürbe zerkaut auf Nimmerwiedersehen ausgespuckt. Etwas von dem
umzusetzen, was gefordert wird, ist in Ihrer frauenpolitischen Inszenierung nicht vorgesehen.
Frau Möllring, Sie waren vorhin ja so freundlich zu
mir. Das fand ich sehr schön. Ich stimme den Analysen,
die Sie hier vorgetragen haben, auch ausdrücklich zu.
Was folgt aber daraus? Wir sitzen hier im Bundestag und
können Gesetze machen. Sie haben nicht gesagt, wie Sie
das ändern wollen. Ich bin mit Ihnen einer Meinung,
dass die Situation schwierig ist.
({3})
Ich komme zum Antrag der Großen Koalition zur
Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt. Bei so viel Unverbindlichkeit können sich Politik und Wirtschaft weiterhin schön zurücklehnen.
({4})
Es braucht natürlich seine Zeit, ein solches Alibischriftstück auszutüfteln. Wohl deshalb sind seit der Vorlage
unseres Antrages zur Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt bis zur heutigen Debatte zwei Jahre vergangen.
Den ersten Erfahrungsbericht zum Bundesgleichstellungsgesetz hat die Bundesregierung so lange liegen lassen, dass wir heute, im Januar 2008, über einen Bericht
diskutieren, dessen Berichtszeitraum bis zum Jahre 2004
reicht.
({5})
- Ja, aber wir haben ihn nicht liegen lassen.
({6})
Die Zeit hätten Sie besser nutzen können; denn durch
diesen Bericht wird klar gezeigt: Das Bundesgleichstellungsgesetz, das unter Rot-Grün beschlossen wurde, ist
ein Erfolg.
({7})
- Natürlich. Die Situation hat sich verbessert. Sie können sich ja einmal die Zahlen ansehen.
({8})
Durch den Bericht wird aber deutlich gemacht, welche weiteren Konsequenzen notwendig sind, dass nämlich dieses Gesetz auch in den nachgeordneten Behörden
endlich einmal angewendet wird und dass endlich eine
geschlechtergerechte Leistungsbewertung und Entlohnung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst verankert wird. Hier gibt es einen riesengroßen Nachholbedarf.
({9})
Zeitschinden ist auch das Motto der Bundesregierung
beim Vierten Bericht zum Bundesgremienbesetzungsgesetz - ein schönes Wortungetüm. Ziel dieses Gesetzes ist
eine paritätische Besetzung aller Bundesgremien. Durch
diesen Bericht wird deutlich gezeigt, dass das Gesetz so
nicht funktioniert; denn seit seiner Einführung im Jahre
1994 ist der Frauenanteil nicht einmal um 1 Prozent pro
Jahr gestiegen. 2005 war nicht einmal jedes fünfte Mitglied eine Frau.
Was macht die Bundesregierung jetzt? Vor einem Jahr
hat sie angekündigt, das Gesetz zu überprüfen. Wir können Ihnen sagen, was dabei herauskommen wird: In diesem Gesetz müssen wirkungsvolle Sanktionen und strengere Kontrollmöglichkeiten verankert werden. Frau
Möllring, ich sage Ihnen gleich auch, welche Sanktionen.
Um den bei Ihnen so zähen Prozess zu beschleunigen,
haben wir in unserem Antrag, der Ihnen hier vorliegt,
konkrete Vorschläge gemacht. Ich nenne einige:
Bei Gremien mit einem Anteil von weniger als
30 Prozent eines Geschlechts - Frau Möllring, wir wollen nicht nur 30 Prozent Frauen in den Gremien, aber das
ist die kritische Masse - muss ein neu zu besetzender
Sitz mit dem unterrepräsentierten Geschlecht besetzt
werden. Ansonsten bleibt der Sitz frei. In einigen Gremien wird es lustig werden. Wenn wir das aber nicht androhen, dann passiert auch nichts, Stichwort: einprozentige Steigerung pro Jahr.
({10})
Wird von der Doppelbenennung abgewichen, wie das
heute vielfach der Fall ist, dann muss die berufende
Stelle künftig unzureichende Begründungen zurückweisen. Ich glaube, das dürfte die Motivation der Verantwortlichen deutlich erhöhen, sich einmal gründlich nach
einer qualifizierten Kandidatin umzusehen. Wie das Beispiel Norwegen hinsichtlich der Aufsichtsräte zeigt, gibt
es genügend qualifizierte Kandidatinnen. Norwegen hat
dieses Erfolgsmodell vorgemacht. Frau Marks hat vorhin darauf verwiesen. Hier im Bundestag liegt ein Antrag der Grünen für eine 40-Prozent-Quote in den Aufsichtsräten vor. Sie brauchen unserem Antrag nur
zuzustimmen, dann können wir auch eine so gute Situation wie in Norwegen erreichen.
Wir fordern zusätzlich aber auch entsprechende Mechanismen für die Auswahl von Richterinnen und Richtern. Es ist eine frauenpolitische Bankrotterklärung, dass
es der SPD wieder nicht gelungen ist, wenigstens eine
Richterin für das Bundesverfassungsgericht zu benennen.
({11})
Das Bundesgremienbesetzungsgesetz sollte Ihnen ein
besonderes Anliegen sein. Erstens werden in den davon
erfassten Gremien wichtige Entscheidungen getroffen.
Zweitens hat der Bund eine Vorbildfunktion.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Und
nicht zuletzt dürfte auch die Kanzlerin ein Interesse daran haben, dass dieses Gesetz wirkt. Sie war es schließlich, die es 1994 als Frauenministerin eingebracht hat.
Frau Merkel braucht dieses Gesetz trotz seiner Makel
nicht als Jugendsünde zu verstecken.
Ich bin gespannt auf die Debatte im Ausschuss. Wir
werden unsere Forderungen mit Ihnen diskutieren. Sie
alle haben gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Wir
haben Vorschläge für Veränderungen gemacht. Im Übrigen, liebe Kolleginnen von der SPD, kommen die von
uns gemachten Vorschläge allesamt aus dem Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, allerdings unter einer anderen Ministerin. Aber ich glaube,
Sie können ihnen gut zustimmen.
Vielen Dank.
({0})
Die Kollegin Rita Pawelski hat jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen von den Grünen, der Berichtszeitraum des
Gremienberichts, den Sie gerade kritisiert haben, umfasst die Jahre 2001 bis 2004. Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie zu dieser Zeit in der Regierungsverantwortung.
({0})
Wenn Sie immer in der Opposition gewesen wären, hätte
ich manches an Ihrer Kritik verstanden. Aber Sie hatten
viele Jahre lang die Möglichkeit, das, was Sie jetzt gefordert haben, umzusetzen.
({1})
Aber auch bei Ihnen war die Frauenpolitik eine langsame Schnecke. Das müssen Sie selbstkritisch endlich
einmal zugeben.
({2})
Ohne Frauen ist kein Staat zu machen, und ohne
Frauen ist kein Unternehmen erfolgreich zu führen. Untersuchungen haben bewiesen, dass Frauen keine
schlechteren Chefs als ihre männlichen Kollegen sind.
Im Gegenteil, in mancher Hinsicht sind sie sogar besser.
Bei gleichen fachlichen Fähigkeiten verfügen sie oft
über eine höhere soziale Kompetenz als Männer. Frauen
sind kommunikativer und kreativer, sie sind pünktlicher
und zuverlässiger. Sie haben Teamgeist und können Mitarbeiter besser einschätzen, motivieren und inspirieren.
Und - man höre und staune - sie erwirtschaften sogar
höhere Gewinne.
({3})
Das habe nicht ich ermittelt, sondern eine US-Studie
aus dem letzten Jahr. Amerikanische Firmen mit überdurchschnittlich vielen Frauen in der Unternehmensführung arbeiten weitaus profitabler als Firmen mit besonders wenigen Frauen. So weisen die Konzerne mit den
meisten Frauen eine um 53 Prozent höhere Gesamtkapitalrendite als die Konzerne mit weniger weiblichen Führungskräften auf.
({4})
Bei der Umsatzrendite betrug der Vorteil 42 Prozent, bei
der Rendite auf das eingesetzte Kapital sogar 66 Prozent.
Wenn Frauen Chefs werden, dann ist das gut für das Unternehmen!
({5})
Wenn ich Aktien kaufen würde - ich kaufe keine -,
dann würde ich genau schauen, in welchen Unternehmen
Frauen in der Führungsspitze sind. Diesen Unternehmen
geht es besser, und damit steigen auch ihre Aktienkurse
stärker.
({6})
Das gute Ergebnis dieser Studie scheint sich aber
noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Frauen
gelten in bestimmten Hierarchien leider immer noch als
Fremdkörper. Meine Damen und Herren, wir besuchen
oft die parlamentarischen Abende und können sehen,
wer dazu einlädt. Sind es die Banken und großen Wirtschaftsunternehmen, befinden sich unter den Gastgebern
einige Frauen und zu ungefähr 90 Prozent Männer. Das
müsste sich ändern.
Gleichwohl weht mittlerweile ein zarter Frühlingshauch durch so manche Teppichetage. Seit 1995 hat sich
die Frauenquote im deutschen Management auf 15,4 Prozent verdoppelt. Das ist ein positives Signal; das muss
man deutlich sagen. Fakt ist aber leider auch, dass die
Chefsessel fest in männlicher Hand sind. In Großunternehmen liegt der Anteil von Frauen auf dieser Ebene bei
7,5 Prozent, im Mittelstand bei 9,4 Prozent und in Kleinunternehmen bei 11,9 Prozent.
Gar nicht zufrieden können wir damit sein, dass von
annähernd 10 000 Vorständen in deutschen Großunternehmen gerade mal 300 Frauen sind. Das ist eine sehr
magere Quote. Ganz zu schweigen von unseren DAXUnternehmen: Dort ist bisher nur eine einzige Frau im
Vorstand vertreten. Ein Blick auf die Gehaltslisten zeigt,
dass selbst in dieser Gehaltsgruppe Männer mehr verdienen, und zwar zwischen 27 und 33 Prozent. Sie verdienen mehr, obwohl sie die gleiche Arbeit machen.
Was ist zu tun? Notwendig ist ein tiefgreifender Bewusstseinswandel vor allem bei denen, die Karriere ermöglichen: Personalchefs, Personalvermittler und Vorstände.
({7})
Notwendig ist dieser Bewusstseinswandel auch bei Einstellungsgesprächen. Fragen wie „Kann sie das?“, „Ist
sie durchsetzungsfähig genug?“ oder „Will sie etwa Kinder?“, die unterschwellig Einstellungskriterien sind, beantworte ich eindeutig: Natürlich können Frauen das!
Natürlich sind sie durchsetzungsstark! Und natürlich
wollen Frauen auch Kinder! Wenn man sie nur lässt.
Das Beispiel Norwegen zeigt, wie es gehen kann.
Dort ist in Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften ein
Mindestanteil von 40 Prozent Frauen Pflicht.
({8})
Dafür wurden 500 Frauen qualifiziert. Sie paukten das
norwegische Aktienrecht, lernten Bilanzen zu lesen und
trainierten das nötige Selbstbewusstsein.
({9})
Ich frage mich, ob das Ganze nicht auch in Deutschland
möglich ist,
({10})
und zwar ohne Gesetze.
({11})
- Doch, es muss ohne Gesetze gehen. Es müssen nur
endlich konsequent die bestehenden Regelungen und
Vereinbarungen umgesetzt werden. Das gilt vor allem
für die freiwillige Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft. Freiwilligkeit heißt nicht zwingend, dass man
nichts tut.
Jede dritte Frau arbeitet heute in einem Betrieb, der
dieser Vereinbarung beigetreten ist. Der Anteil der weiblichen Führungskräfte in der Privatwirtschaft ist innerhalb von vier Jahren von 21 auf 23 Prozent gestiegen.
Das Pflänzchen blüht, aber es blüht sehr zaghaft.
Frauen wollen nicht nur Karriere machen, sondern
auch Zeit für Kinder und Familie haben.
({12})
Sie wollen ein Leben in Balance. Darum dürfen Kinder
kein Aufstiegshindernis sein. Im Gegenteil: Wir brauchen mehr Mütter in Toppositionen. Vier von fünf Managerinnen sind kinderlos, 80 Prozent haben keine Kinder. Ist es das, was wir wollen? Darum sage ich ehrlich:
Wir sind stolz darauf, dass unsere Bundeskanzlerin Signale gesetzt hat.
({13})
Wir haben eine Staatsministerin, die während ihrer
Amtszeit ein Baby bekommen hat und sogar ein Jahr Elternzeit in Anspruch genommen hat.
Frau Kollegin, es wird zwar jetzt sehr spannend, aber
trotzdem müssen Sie zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss. - Wir sind stolz darauf, dass
wir eine Familienministerin haben, die weiß, worüber sie
redet, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, weil sie es selbst praktiziert.
Wir brauchen mehr positive Beispiele. Wir haben bereits Zeichen gesetzt. Wenn andere es nachmachen, habe
ich keine Sorge. Dann brauchen wir keine Gesetze, sondern nur mehr Chefs mit viel Mut.
Vielen Dank.
({0})
Jetzt spricht Christel Humme für die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Diese Debatte
hat unisono bei allen Fraktionen eines gezeigt: Frauen
sind nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt.
Ich glaube, darin sind wir uns alle einig.
({0})
Ich will nicht auf all das eingehen, was richtigerweise
analysiert worden ist. Auch dabei können wir uns alle
die Hand reichen.
Ich möchte nur drei Punkte hervorheben, von denen
ich meine, dass wir sehr schnell zu Lösungen kommen
müssen, wenn es darum geht, wie die Chancen von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen sollen.
Die erste Frage, die wir beantworten müssen, ist: Wie
können wir die Frauenerwerbsquote erhöhen? Dafür
brauchen wir dringend Lösungen. Es kann nicht sein,
dass Deutschland europaweit so weit hinterherhinkt und
eine der geringsten Frauenerwerbsquote hat.
({1})
Die zweite Frage ist: Wie können wir den Frauen helfen, existenzsichernde Arbeitsplätze zu finden? Das ist
eine wichtige Frage; denn die Situation in Deutschland
ist nach wie vor dadurch gekennzeichnet, dass Männer
in der Regel Vollzeitarbeitsplätze haben, während
Frauen vorwiegend Teilzeitarbeitsplätze und Minijobs
haben und oft im Niedriglohnsektor beschäftigt sind.
Das heißt, die Arbeit ist zwischen Männern und Frauen
ungleich verteilt. Das ist in anderen europäischen Ländern völlig anders.
Die dritte Frage, die wir beantworten müssen, ist: Wie
können wir, wenn Frauen Vollzeitarbeitsstellen haben,
gewährleisten, dass sie für die gleiche Arbeit die gleiche
Bezahlung erhalten wie die Männer?
Das sind meiner Ansicht nach die drei zentralen Fragen, die in allen Reden gestellt wurden.
Frau Möllring, wir haben vor Weihnachten ein gutes
Fachgespräch mit verschiedenen Kolleginnen und Kollegen, mit Frauen, die Führungspositionen in Betrieben innehaben, mit Gewerkschafterinnen und mit Frauen aus
Wissenschaft und Forschung geführt. Ich fand es sehr erstaunlich und frappierend, dass alle Frauen ihr Statement
mit dem Hinweis auf ein und dasselbe Problem begonnen haben. Sie haben gesagt: Es ist egal, wie weit ich gekommen bin oder was ich mache, ich muss gegen die
Schere im Kopf, die Rollenzuweisung, kämpfen. - Wir
müssen also primär darüber nachdenken, wie sich die
Rollenzuweisung auflösen lässt. Wir haben auf unserem
Parteitag in Hamburg die gleichberechtigte und gerechte
Teilhabe von Frauen und Männern an existenzsichernder
Erwerbsarbeit gefordert. Das ist ganz wichtig; denn das
liegt im Interesse der Familien, im Interesse der Frauen
und letztlich auch im Interesse der Kinder.
({2})
Wir haben uns schon auf den Weg gemacht, diese
Schere aus den Köpfen zu verbannen. Da schon viel zum
Elterngeld gesagt wurde, will ich nicht alles wiederholen. Nur so viel: Wenn sich 10 Prozent der Väter nach einem Jahr Elterngeld beteiligen, wenn sich also die Zahl
der Väter im Vergleich zu früher verdreifacht hat, dann
ist das ein Erfolg. Das ist ein erster Schritt zur Rollenauflösung.
({3})
Ich bin froh, dass wir die Vätermonate durchgesetzt haben.
Herr Kues, ich bin fest davon überzeugt, dass wir in
diesem Jahr den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige gesetzlich festlegen werden.
Wir müssen es in diesem Jahr schaffen, damit es 2013
realisiert wird.
({4})
Gerade wurde das Unwort des Jahres gewählt. Dennoch möchte ich an dieser Stelle sagen: Auch wir sind
der Meinung, dass mit einem Betreuungsgeld gerade unter dem Aspekt, Rollenzuweisungen aufzubrechen, ein
völlig falsches Ziel verfolgt wird.
({5})
Ich bedauere - Sie dürfen mir ruhig glauben, dass ich
ehrlich betroffen bin -, dass die Frauen Union auf dem
CDU-Bundesparteitag ihr Ziel, das Betreuungsgeld abzulehnen, nicht erreicht hat, und das trotz einer Frau als
Kanzlerin und Parteivorsitzenden. Ich weiß nicht, wer
auf diesem Bundesparteitag Regie geführt hat. Aber ich
bin mehr auf der Seite unseres Bundestagspräsidenten
Norbert Lammert, der in der Presse verlautbart hat, dass
das Betreuungsgeld nicht der richtige Weg ist. Ich
glaube, er hat recht.
({6})
Denn das Betreuungsgeld ist nichts anderes als ein Taschengeld für Frauen und stellt für Männer überhaupt
keinen Anreiz dar, sich in irgendeiner Form an der Familienarbeit zu beteiligen. Das heißt, die heute bestehenden
Rollen würden noch stärker verfestigt.
({7})
Was Frauen überhaupt nicht brauchen, das ist ganz
klar, liebe Kollegen und Kolleginnen: Sie brauchen kein
Taschengeld, weder zu Hause noch im Job. Vielmehr
brauchen sie existenzsichernde Arbeitsplätze und existenzsichernde Löhne. Die Diskussion um die Mindestlöhne ist auch an dieser Stelle genau richtig.
({8})
Viele Frauen sind im Dienstleistungsbereich beschäftigt,
wo es oft keine gewerkschaftliche Organisation gibt.
Viele Frauen brauchen also unbedingt den gesetzlichen
allgemeinen Mindestlohn; denn er sichert erst ihre Existenzgrundlage.
({9})
Zuletzt noch ein Wort zu den Minijobs: Ich glaube,
das bin ich den Frauen in der SPD auch schuldig; denn
wir haben als Frauen immer eine warnende Hand erhoben. Ich möchte, dass bei den Minijobs wieder die
15-Stunden-Woche eingeführt wird. Wenn ich über den
Mindestlohn diskutiere, dann muss ich das auch bei den
Minijobs tun. Man kann sie nicht mit endlos vielen Stunden bestücken; man muss die 15-Stunden-Woche wieder
einführen.
({10})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, es wurde heute an
vielen Stellen erwähnt, dass sich die Regierung für eine
freiwillige Vereinbarung mit der Wirtschaft entschieden
hat, die zum Ziel hatte, Chancengleichheit sowie die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf in die Wirtschaft
hineinzutragen. Sieben Jahre ist diese freiwillige Vereinbarung jetzt alt. Ich sehe keine großen Fortschritte; das
sage ich ehrlich.
({11})
Ich glaube schon, es ist richtig - Frau Schewe-Gerigk
hat es gesagt -, dass unser Bundesgleichstellungsgesetz
damals ein Erfolg war. Es hat mehrere Schritte nach vorn
gebracht. Aber wir sollten überlegen, ob es nicht weitere
gesetzliche Regelungen geben muss. Ich bin auch der
Meinung, dass wir den Koalitionsvertrag beim Bundesgremienbesetzungsgesetz umsetzen müssen.
Frau Humme, kommen Sie bitte zum Ende.
20 Prozent Frauenbeteiligung in Gremien ist zu wenig. Frau Allmendinger hat gesagt: Wenn nur 20 Prozent
Frauen in den Gremien sind, dann machen sie sich kaputt. Sie müssen nämlich die Arbeit in den verschiedensten Gremien mit übernehmen und schaden sich dadurch
selbst. Ich fand diesen Hinweis sehr eindrucksvoll. Wir
brauchen mehr Frauen in den Gremien.
Frau Humme, ich kann Ihnen jetzt schon verraten,
dass Sie gleich noch Gelegenheit haben, nach einer Kurzintervention etwas Weiteres zu sagen. Deswegen meine
Bitte, zum Ende zu kommen.
Gern. Ich glaube, ich habe alles gesagt. - Wir sind auf
gutem Wege und müssen diesen Weg weitergehen, um
die Gleichstellung für die Frauen nach vorne zu bringen.
Schönen Dank.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt der Kollegin Möllring das Wort.
Frau Humme, Sie haben eben erklärt, die Frauen
Union habe beim CDU-Bundesparteitag gefordert, das
Betreuungsgeld abzuschaffen.
({0})
Deswegen muss ich Sie fragen, ob Ihnen der wahre Inhalt dieses Antrags bekannt ist. Die Frauen Union hat
nämlich gefordert, die Mütter oder auch Väter, die ihre
Kinder zu Hause erziehen, finanziell besser auszustatten
und zu unterstützen. Ist Ihnen der Antrag bekannt?
({1})
Soweit ich den Antrag der Presse entnehmen konnte,
wollten Sie es offenhalten, welche Art von finanzieller
Unterstützung bei Familien ankommen sollte. Aber Sie
wollten sich nicht auf das Betreuungsgeld festlegen, was
mich gefreut hat, Frau Möllring. Das wäre jedenfalls die
richtige Entscheidung gewesen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 16/5689 zu den Unterrichtungen durch die
Bundesregierung über den Ersten Erfahrungsbericht zum
Bundesgleichstellungsgesetz auf Drucksache 16/3776
sowie über den Bericht über den Anteil von Frauen in
wesentlichen Gremien im Einflussbereich des Bundes
auf Drucksache 16/4385 sowie zu weiteren Vorlagen.
Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss in Kenntnis der genannten Unterrichtun-
gen die Annahme des Antrags der Fraktionen von CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 16/4558 mit dem Titel
„Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt stärken“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
stimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken
sowie bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/4737 mit dem Titel „Chan-
cen für Frauen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
verbessern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Die Gegenprobe! - Die Enthaltungen? - Damit
ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Ko-
alition, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken gegen die Stimmen der FDP angenommen.
Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 16/7739 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansKurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Energiekosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen sofort wirksam senken
- Drucksache 16/7745 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Umstieg auf den öffentlichen Verkehr fördern
und Benzinpreisanstieg sozial abfedern
- Drucksache 16/7524 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Es ist vorgesehen, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die Fraktion der Linken fünf Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Kollegen
Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke das Wort.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Ich werde mich … für eine deutliche Verbesserung beim
Wohngeld einsetzen“. Mit diesen Worten wurde Bundesbauminister Tiefensee in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung zitiert. An die Adresse des Ministers:
Das hat die Linke bereits 2006 hier im Hause gefordert.
Wenn auch alle Parteien im Hohen Hause damals unseren Antrag ignoriert haben - unsere Unterstützung in der
Sache wird der Minister bekommen. Nur eines sagen
wir: Ankündigungen reichen nicht. Wir wissen aus Erfahrung: Bei Gesetzesvorschlägen der Großen Koalition
kommt meistens am Ende nichts heraus. Das ist eine bittere Erkenntnis, vor allem für die Bürgerinnen und Bürger, die seit Jahren massive Preiserhöhungen im Energiebereich akzeptieren müssen. Der Kollege Finanzminister
Steinbrück nimmt ebenfalls mit der Preistreiberei an den
Tankstellen über die Mehrwertsteuer Milliarden ein. Für
die gebeutelten Pendlerinnen und Pendler hat er aber
keinen Cent übrig. Das ist mit uns nicht zu machen.
({0})
Während SPD-Minister Gabriel immer wieder feststellt, dass Strom und Gas zu teuer sind, erhöhen die
Konzerne unbeeindruckt die Preise. CSU-Minister Glos
will Energiepreise und Netze besser kontrollieren, bittet
aber die gebeutelten Strom- und Gaskunden um einige
Jahre Geduld. Man müsse erst einmal sehen, ob die
neuen Paragrafen wirken. Ich sage ganz deutlich: Die
Leute haben es einfach satt, zu warten. Tun Sie etwas für
die Verbraucherinnen und Verbrauchen, und hören Sie
auf, die Eons, Vattenfalls, EnBWs und RWEs zu schonen!
({1})
Die Linke hat dazu fünf konkrete Vorschläge vorgelegt.
({2})
Erstens. Wir fordern die Wiedereinführung der Stromund Gaspreisaufsicht bei den Ländern. Verbraucherschützern muss im Interesse der Kundinnen und Kunden
ein Klagerecht eingeräumt werden, um Missbrauch
wirksam zu bekämpfen.
Zweitens. Wir fordern deutlich günstigere Tarife bei
Strom und Gas für Haushalte mit geringem Einkommen,
und wir fordern ein Verbot von Stromsperren.
({3})
Wichtig ist natürlich, dass diese Sozialtarife an eine
verpflichtende Energiesparberatung gekoppelt werden.
Es ist ein schlechter Witz, wenn Umweltminister Gabriel
heute Morgen an dieser Stelle die Monopolisten für sogenannte Sozialtarife auch noch lobt. Vorne ein wenig
Imagepflege, und hinten herum schaltet Eon armen
Haushalten gleichzeitig den Strom ab, weil sie bei der
Preistreiberei einfach nicht mehr mithalten können. Sozialtarife sind Aufgabe des Gesetzgebers. Wer Sozialtarife allein in die Hände profitgieriger Konzerne gibt, hat
die betroffenen Menschen im Land doch schon längst
aufgegeben.
({4})
Drittens. Wir fordern, das Wohngeld zu erhöhen und
die Warmmiete als Maßstab heranzuziehen. Eines muss
uns doch klar sein. Seit der letzten Wohngeldanhebung
sind die Energiepreise um rund 50 Prozent gestiegen.
Das heißt, selbst eine Anhebung um 15 Prozent, wie es
der Mieterbund fordert, kann nur die größte Not lindern.
Was auch beim Wohngeld bisher fehlt, ist eine brauchbare Energieberatung. Das lohnt sich für beide Seiten.
Im Übrigen ist die beste Hilfe die Einführung des
Mindestlohns.
({5})
Wer von seinem Einkommen leben kann, Herr Pfeiffer,
braucht kein Wohngeld.
({6})
Viertens. Wir fordern die Stärkung der Bus- und
Bahnverkehre. Mehrwertsteuereinnahmen dank überteuerter Spritpreise müssen in den öffentlichen Personennahverkehr fließen.
({7})
Im Bahnfernverkehr muss der Mehrwertsteuersatz von
19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt werden.
({8})
Letzter Punkt. Wir fordern die Entlastung von Pendlerinnen und Pendlern mit geringem Einkommen. Der
Weg zur Arbeit muss bezahlbar sein. Gerade in Ostdeutschland, wo die Flächenbahn mit Billigung der
Bundesregierung systematisch abgeschafft wird und
wo von den Leuten auch noch verlangt wird, weite Anfahrten in Kauf zu nehmen, muss für die Betroffenen
ein finanzieller Ausgleich her.
({9})
Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unseren Anträgen zu, wenn Sie es ernst meinen mit sozialer Gerechtigkeit.
Vielen Dank.
({10})
Der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es ist richtig - es wurde dieser Tage auch vom
Statistischen Bundesamt festgestellt -: Die Energiepreise sind im vergangenen Jahr so stark gestiegen wie
seit 13 Jahren nicht mehr. Inflationstreibend wirkt vor allem der Anstieg der Energie- und der Lebensmittelpreise. Die gesamten Energiekosten der Verbraucher
sind im vergangenen Jahr im Durchschnitt um 4 Prozent
gestiegen. Der Strom verteuerte sich gar um 7 Prozent.
Auch an der Zapfsäule musste der Autofahrer deutlich
mehr, 4 Prozent, als im Jahr 2006 zahlen.
Wenn man zurückblickt und einmal die letzten acht
bis zehn Jahre betrachtet, dann stellt man fest: Die Preise
im Energiebereich sind in der Tat vor allem nach oben
gegangen. Man darf es sich allerdings nicht zu einfach
machen und sollte schon analysieren, was die Gründe
dafür sind und wer verantwortlich ist. Falsch ist der Ruf
nach dem Staat: Der Staat soll es regeln, am besten durch
die Festlegung von Tarifen, durch die Festlegung für einzelne Gruppen oder durch irgendwelche anderen Festlegungen. Das führt sicher in die falsche Richtung.
Preiserhöhungen und auch Preissenkungen sind in einer Marktwirtschaft ein normales Mittel, das dann funktioniert, wenn der Wettbewerb funktioniert. Da müssen
wir in der Tat ansetzen: Der Wettbewerb im Energiebereich funktioniert noch nicht in ausreichendem Umfang.
In diesem Hause gibt es in dieser Hinsicht in der Tat
grundlegende Unterschiede, zumindest zwischen der
Union und einigen anderen. Wir sagen: Wenn der Wettbewerb noch nicht richtig funktioniert, dann sollte man
darauf nicht in der Form reagieren, dass man den Wettbewerb wieder abschafft und durch staatliche Reglementierungen ersetzt, sondern indem man den Wettbewerb
funktionsfähig macht.
({0})
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa hat
man bereits vor zehn Jahren den Weg des Wettbewerbs
beschritten. Wenn man jetzt einmal analysiert, wo man
steht, dann stellt man fest: Es gibt Bereiche, die sich sehr
gut entwickelt haben, auch im vergangenen Jahr, trotz
der Anstiege. Was macht denn den Energiepreisanstieg
aus? Dafür gibt es natürlich weltwirtschaftliche Gründe:
Die Importabhängigkeit Deutschlands und Europas
nimmt weiter zu. Auch die globalen Energiemärkte kennen nur einen Weg, nämlich den des Preisanstiegs, und
das hat Rückwirkungen auf Deutschland und Europa.
Die Gründe dafür liegen aber auch in Strukturen, die
wir beeinflussen können. In der Tat gibt es im Bereich
des Wettbewerbsmarktes, im Bereich der Erzeugung von
Strom, aber auch in anderen Bereichen oligopolistische
Strukturen; der Wettbewerb funktioniert dort noch nicht
richtig. Es gibt auch Monopolstrukturen, nämlich im
Netzbereich. Hier sind wir den Weg des regulierten
Netzzuganges gegangen. Die Netzkosten hatten den
größten Anteil an den Preisanstiegen der vergangenen
zehn Jahre. Die Ex-ante- und die Anreizregulierung, die
2005 eingeführt wurden, stellen einen Paradigmenwechsel dar. Damit wurde auch im Netzbereich, in dem es ein
natürliches Monopol gibt, klar der Pfad der wettbewerblichen Orientierung betreten. Das ist zukunftsweisend
und trägt nun erste Früchte.
Die Bundesnetzagentur hat es im Dezember dargelegt:
Erstmalig sind die Netznutzungsentgelte nicht nur auf
gleichem Niveau geblieben, sondern gesunken. Die Netznutzungsentgelte für normale Haushaltskunden sind im
letzten Jahr um 1 Cent pro Kilowattstunde - von 7,7 Cent
auf 6,7 Cent - gesunken. Der Anteil der Netznutzungsentgelte an den Stromkosten ist von über 38 Prozent auf
32 Prozent gesunken. Dies ist uns mit unserer Politik und
unseren Maßnahmen, die im vergangenen Jahr Wirkung
gezeitigt haben, gelungen, und zwar unter den schwierigen Bedingungen global ansteigender Preise, von denen
wir uns nicht abkoppeln können.
Mit der Einführung der Anreizregulierung haben wir
die Schienen dafür gelegt, dass die Netznutzungsentgelte
in den nächsten Jahren um 20 bis 30 Prozent zurückgehen werden. Das heißt, in den nächsten fünf bis sieben
Jahren werden die Netznutzungsentgelte, die sich heute
in einer Größenordnung von 22 Milliarden Euro bewegen, auf rund 18 Milliarden Euro sinken. Es müssen also
4 Milliarden Euro weniger Entgelte gezahlt werden;
diese Summe kommt letztlich als Ersparnis bei den Kunden an. Im Bereich der Netze zeigt unsere Politik Wirkung. Wir sind dort auf dem richtigen Weg.
({1})
In einem anderen Bereich des Wettbewerbs funktionieren die Dinge noch nicht im notwendigen Umfang.
({2})
Die Oligopolunternehmen haben in vielen Bereichen genügend Marktmacht, um etwa niedrigere Preise für
Emissionszertifikate durchzusetzen,
({3})
während andere, zum Beispiel im Stahlbereich, das nicht
können und höhere Preise zahlen müssen. Insofern ist
noch Handlungsbedarf gegeben. Mit den jetzt angekündigten Maßnahmen und mit den am 1. Januar in Kraft
getretenen Änderungen des GWB haben wir Instrumente
geschaffen, die zu einer Verbesserung führen können.
Wir sind also in einem zweiten wichtigen Bereich in die
richtige Richtung unterwegs.
Wir müssen uns an die eigene Nase fassen, wenn es
um einen dritten Bereich, die staatlichen Abgaben, geht.
Ihr Anteil an den Energiepreisen beträgt noch immer
40 Prozent. Wenn man auf der einen Seite die staatlichen
Abgaben erhöht, indem man ständig neue Instrumente
erfindet und die Schraube nach oben dreht, und auf der
anderen Seite, weil das zu weit geht, für eine Entlastung
durch den Staat sorgt, dann ist man wirklich in der DDR.
Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Wir müssen klar sagen, dass wir bei der Erhöhung der staatlichen
Abgaben am Ende angekommen sind.
Der Klimaschutz ist in aller Munde und wird von allen entsprechend unterstützt. Wir müssen auch sagen,
dass der Klimaschutz aufgrund steigender Zertifikatspreise, der Förderung der erneuerbaren Energien und anderer Dinge kurzfristig Kosten verursacht. Auch hierbei
handelt es sich letztlich um staatliche Instrumente. Auch
die willkürlich gekürzten Laufzeiten der Kernkraftwerke
wirken für den Verbraucher nicht kostensenkend. Wenn
wir diese beibehalten würden, hätten wir eine Chance,
hier etwas Positives zu erreichen.
Was müssen wir tun? Wir müssen einen breiten Energiemix haben. Ich lehne staatliche Eingriffe ganz klar ab.
({4})
Es geht darum - das hat die Bundeskanzlerin in dieser
Woche noch einmal bestätigt -, mehr Wettbewerb durch
einen breiten Energiemix zu erreichen. In diesem Wettbewerb ist auch der Verbraucher gefordert. Der Verbraucher muss seine Souveränität ausüben.
({5})
Schauen wir einmal, wie sich die Wechselbereitschaft
entwickelt hat. Im Telekommunikationsbereich ist es
heute selbstverständlich, dass sich die Leute an den Tarifen orientieren und die Inanspruchnahme optimieren. Im
Strombereich ist es immer noch so, dass 80 bis 90 Prozent
der Kunden den Anbieter nicht wechseln, auch wenn sich
im letzten Jahr da einiges getan hat. Von 1998 bis 2007
haben gerade einmal 2 Millionen Menschen den Anbieter
gewechselt. Im Laufe des Jahres 2007 waren es insgesamt
4,5 Millionen. Hier kommt eine Dynamik in Gang. Der
Konsument ist ein wichtiger Player.
Betrachten wir einmal eine Großfamilie in Ulm. Die
könnte heute, wenn sie den Anbieter wechselt, je nach
Tarif bis zu 600 Euro pro Jahr sparen. Das ist nicht nur in
Ulm so; das ist in der ganzen Republik so. Es gibt hier
auch eine Verantwortung des einzelnen Konsumenten; er
muss etwas tun.
Wenn jetzt nach Sozialtarifen oder Sonstigem gerufen
wird, dürfen wir nicht vergessen, dass diese Tarife subventioniert werden müssten. Wer müsste das bezahlen?
Das wären diejenigen, die gerade knapp über der Grenze
liegen, wenn es darum geht, ob sie einen Sozialtarif in
Anspruch nehmen können. Diese sind häufig eh schon
zu sehr belastet.
Insofern ist der richtige Weg der, dass die Unternehmen im Wettbewerb etwas tun; das haben sie auch angekündigt. Wir werden das im Auge behalten. Es ist mit Sicherheit falsch, weiter staatliche Eingriffe vorzunehmen.
Der beste Verbraucherschutz und das Beste für den Verbraucher ist ein funktionierender Wettbewerb. Deshalb
müssen wir den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und die Wettbewerbselemente stärken. Nur
dann werden wir im Ergebnis für den Verbraucher, und
zwar für den schwachen genauso wie für den starken, etwas erreichen, und nur so bekommen wir das Thema
Energiepreise in den Griff. Lassen Sie uns in diesem
Sinne weiterarbeiten und nicht mit Planwirtschaft und
Sozialismus den Weg ins Gestern antreten.
({6})
Der Kollege Hill möchte eine Kurzintervention machen, zu der ich ihm das Wort erteile.
Herr Kollege Pfeiffer, ich habe eigentlich nur eine
Frage an Sie: Wenn unser Bundesbauminister jetzt wirklich eine Erhöhung des Wohngeldes plant und in diesem
Zusammenhang insbesondere mit den erhöhten Energiepreisen argumentiert, werden Sie ihn dann dabei unterstützen?
Darüber werden wir diskutieren.
({0})
Ich gebe das Wort der Kollegin Gudrun Kopp für die
FDP.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Ich glaube, die Debatte läuft in eine falsche Richtung.
Wir brauchen bei den zweifellos sehr hohen Energiekosten in erster Linie mehr netto für die Bürger und mehr
Wettbewerb. Wir brauchen nicht mehr Staat, Zwangsregelungen, staatlich verordnete Sozialtarife und Erstattungsorgien bei geringen Einkünften, wobei man natürlich - das sage ich an die Adresse der Antragsteller, der
Linken - definieren müsste, was eigentlich geringe Einkünfte sind. Wo sind Ihrer Meinung nach die Grenzen?
({0})
Sie sagen, dass Sie Pendlern, die Geringverdiener
sind, die Spritkosten ab einem bestimmten Satz erstatten
möchten. Sie nennen bei Benzin einen Preis von
1,20 Euro pro Liter und bei Diesel von 1,10 Euro pro Liter. Da frage ich Sie: Setzen Sie solche Preise selber
fest? Sagen Sie, dass die Spritkosten bis dahin akzeptabel sind? Das ist doch absurd.
Ich kann nur sagen, dass die beiden Anträge, die Sie
vorgelegt haben, eine Verstaatlichung bedeuten. Es ist
bereits heute Morgen bei der Klimadebatte sehr deutlich
geworden, dass Sie auf mehr Staat setzen, auf weniger
Freiheit und natürlich auch darauf, dass die Bürger immer weniger mündig sein sollen. Das ist nicht unser
Weg.
({1})
Wir Liberale erinnern sehr ausdrücklich daran, dass
auch diese Bundesregierung, lieber Kollege Pfeiffer,
längst nicht alle Hausaufgaben gemacht hat. Natürlich
brauchen wir mehr Wettbewerb - darauf gehe ich gleich
noch einmal ein -, aber es ist doch zugleich völlig klar,
dass wir dringend eine Strategie zur Steuer- und Abgabenentlastung brauchen.
({2})
Sie können nicht einfach so tun, als hätten Sie damit
nichts zu tun. Die Energiesteuern und die Abgaben auf
Energie steigen doch immer weiter. Das ist nicht in Ordnung. Ein Anteil von 40 Prozent an den Strompreisen ist
staatlich verursacht, und der Steueranteil bei den Spritpreisen beträgt über 70 Prozent. Dass sich der Staat hier
in erster Linie selber bedient und einen Teil des Problems darstellt, das sollten wir hier doch nicht verschweigen.
({3})
Wir brauchen selbstverständlich auch mehr Wettbewerb. Gerade im Bereich der Stromerzeugung gibt es
eine starke Marktkonzentration. Unser aller Bemühen
muss dahin gehen, diese Marktkonzentration aufzubrechen.
({4})
Dazu gibt es verschiedene Gesetze und Initiativen, die
wir auf den Weg gebracht haben, zum Teil auch gemeinsam. Auch die Regulierung der Netze zeigt ihre Wirkung. Das alles ist richtig und auch gut, aber es reicht bei
weitem nicht aus.
Auf der einen Seite haben wir das Problem der staatlichen Lasten, auf der anderen Seite haben wir - das sage
ich ausdrücklich an die Adresse der Union - das Problem des mangelnden Energiemixes. Dies wird uns einholen; denn unser Blick ist in dieser Frage verengt. So
muss ich leider feststellen, dass bei dem Dreiklang von
Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit, dessen Bewahrung eigentlich die Hauptgrundlage unserer Energiepolitik bilden sollte, der Punkt Versorgungssicherheit in letzter Zeit völlig außer Acht
gelassen wurde. Das hat auch ganz stark mit der Frage
des Energiemixes zu tun. An der Produktion von Strom
führt ja kein Weg vorbei. Zugleich brauchen wir eine
möglichst CO2-arme und kostengünstige Stromproduktion,
({5})
wenn wir unsere Klimaschutzziele auch nur annähernd
erreichen wollen. Dazu benötigen wir natürlich auch die
Kernenergie. Leider müssen wir feststellen, dass Sie sich
damit abgefunden haben, dass man nicht mehr auf dem
breiten Energiemix, der nötig wäre, aufbaut.
({6})
So stellt sich nun die Frage, wie wir uns zum Kraftwerkszubau verhalten. Wir brauchen dringend neue
Kraftwerke. Aber die Pläne zum bundesweiten Ausbau
und Neubau von Kohlekraftwerken sind stark zurückgefahren worden, weil an den vorgesehenen Standorten
häufig die Akzeptanz fehlte. Das Beispiel aus dem Saarland haben wir ja schon gehört. Aber auch in DissenBad Rothenfelde soll ein Kraftwerk gebaut werden. Ich
war dort vor kurzem und habe mit der Bürgerinitiative
gesprochen, die sich vehement dagegen ausspricht, dass
dort ein Kraftwerk entsteht. Auch andernorts gibt es riesige Probleme. Dies gilt auch für den dringend nötigen
Ausbau der Netze. Es stellt sich also wirklich die Frage,
wie wir Versorgungssicherheit gewährleisten wollen.
Das neueste Gutachten des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstituts besagt, dass, wenn es bei dem Ausstieg aus der Kernenergie bleibt, es bis 2020 zu einer
Versorgungslücke bei der Stromproduktion in Höhe von
16 Prozent des benötigten Stroms kommen wird.
({7})
Das darf uns nicht kaltlassen. Nur mithilfe der erneuerbaren Energien schaffen wir es nicht, diese Lücke zu
schließen.
({8})
Auch wir wollen deren Ausbau, aber insbesondere zur
Wärmeproduktion; denn so produzierter Strom ist zumeist sehr teuer, und wir müssen auch auf die Kosten
achten; das ist ja neben Klimaschutz und Versorgungssicherheit der dritte Punkt im Dreiklang.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
Letzter Satz. - Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, wir dürfen es uns also nicht zu einfach machen und
dem Sozialismus und dem Populismus das Wort reden.
({0})
Zugleich darf die Bundesregierung wichtige Entscheidungen, die sie zum Beispiel hinsichtlich des Energiemixes und anderer Fragen fällen müsste, nicht einfach
hintanstellen. Vielmehr brauchen wir den Mut, reale
Energiepolitik zu machen. Da kann ich Ihnen nur empfehlen: Folgen Sie den Anträgen, die die FDP-Bundestagsfraktion hierzu eingebracht hat.
Vielen Dank.
({1})
Jetzt spricht der Kollege Rolf Hempelmann für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren über zwei Anträge der Linken, zum
einen über einen Antrag zum Thema Energiekosten und
zum anderen über einen Antrag zum Thema Abfederung
des Benzinpreisanstiegs. Es ist in der Tat richtig, dass
wir in den letzten Jahren - das gilt für einen etwas längeren Zeitraum - mit steigenden Energiepreisen konfrontiert waren. Unbestritten ist auch, dass die Energiekosten
für viele Haushalte mittlerweile eine grenzwertige Belastung darstellen. Deswegen haben wir über dieses
Thema auch in diesem Hause mehrfach diskutiert.
Die Vorschläge der Linken - das ist für diese Fraktion
typisch; Herr Dr. Pfeiffer hat es dementsprechend kommentiert - greifen zu kurz. Sie rufen wie immer nach
mehr Staat. Genau diesen Weg wollen wir nicht gehen.
Wir wollen ihn unter anderem deswegen nicht gehen,
weil es sich hier um eine Placebopolitik handelt. Die
Forderung nach einer Wiedereinführung der staatlichen
Preisaufsicht etwa führt die Öffentlichkeit in die Irre.
Damit wird nämlich unterstellt, dass die Verbraucher auf
diese Weise vor Preiserhöhungen geschützt werden
könnten. Die Erfahrung mit der Preisaufsicht, die sich
nur mit einem Teil der Energiepreise auseinandersetzen
konnte, nämlich mit den Vertriebskosten, hat gezeigt,
dass sie eher wie ein staatliches Gütesiegel für Preiserhöhungen wirkt. Dahin wollen wir nicht zurück.
({0})
Patentrezepte gibt es nicht. Sie gibt es vor allem deswegen nicht, weil wir es hier mit einer ausgesprochen
komplexen Thematik zu tun haben. Deswegen war es
richtig, dass Kollege Pfeiffer betont hat, dass wir den
Leuten nicht vormachen dürfen, wir könnten politisch
dafür sorgen, dass die Energiepreise in den nächsten Jahren radikal und dauerhaft sinken. Es gibt zu viele Faktoren, die genau in die andere Richtung weisen. Ich nenne
beispielsweise die steigenden Primärenergiepreise, also
die Preise für Gas, Kohle und Öl.
({1})
Zu erwähnen sind auch die dynamisch anwachsende
Nachfrage und die gigantischen Investitionen, vor denen
dieser Sektor steht. Daran kann man die Tendenz erkennen, dass Energie teurer werden wird. Das heißt aber
nicht, dass die Politik nicht gefordert ist, alles das zu tun,
was ihr möglich ist, um diesen Preisanstieg zu dämpfen
und andere Akzente zu setzen. In der Vergangenheit haben wir schon einiges in diesem Bereich getan. Ich will
jetzt nicht all das wiederholen, was Herr Dr. Pfeiffer
schon angesprochen hat.
Klar ist jedenfalls, dass wir in den letzten Jahren eine
ganze Menge getan haben, gerade was das Thema Wettbewerbspolitik angeht. Die Bundesnetzagentur, die wir
eingerichtet haben, arbeitet - ich denke, das ist das Urteil
des gesamten Hauses - ausgesprochen erfolgreich. Sie
hat dafür gesorgt, dass es für den Durchschnittshaushalt
- ich will einmal diese Zahl nennen - eine Kostenersparnis von bis zu 50 Euro pro Jahr gab. Ich denke, das ist
durchaus erwähnens- und lobenswert.
({2})
Auch die Anreizregulierung, die noch nicht läuft, sondern zurzeit noch vorbereitet wird, verspricht, dass wir
auf diesem Weg zu weiteren Preissenkungen kommen
werden. Die Strategie für mehr Wettbewerb wird uns
mittel- und langfristig in die Lage versetzen, das, was an
Preissenkung und Preisdämpfung möglich ist, auch tatsächlich durchzusetzen.
Trotzdem ist es sicherlich richtig, dass wir für die besonders stark betroffenen Verbraucher Regelungen brauchen, um besondere Härten abzufedern. Der Bundesbauminister hat in diesem Zusammenhang den Vorschlag
gemacht, das Wohngeld zu erhöhen und es künftig an die
Warmmiete zu koppeln. Man wird sich diesen Vorschlag
sehr genau anschauen müssen. Wenn wir in diesem Bereich handeln, wollen wir natürlich keine Schleichwege
eröffnen, auf denen das, was gut gemeint ist, möglicherweise zu anderen Zwecken missbraucht wird. Aber beim
Wohngeld anzusetzen, ist genau richtig. Wir werden - das
ist gerade gesagt worden - über diesen Vorschlag konstruktiv miteinander diskutieren.
Gleichzeitig ist es sicherlich so - auch das ist angesprochen worden -, dass wir mehr und mehr darauf setzen müssen, dass Verbraucher die Dinge selbst in die
Hand nehmen. Das soll die Politik nicht entlasten. Aber
mit den Rahmensetzungen, die wir in der Vergangenheit
vorgenommen haben, haben wir es geschafft, dass im
letzten Jahr immerhin circa 1,5 Millionen Stromkunden
ihren Anbieter gewechselt haben. Sie sind von einem
teureren zu einem preiswerteren, einem billigeren Anbieter gegangen. Das ist möglich geworden, weil wir die
entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt haben. Ich
glaube, dass dies ein weites Feld für Energieberatung ist.
Noch mehr Menschen müssen darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie die Chance haben, sich selbst
von entsprechenden Kosten zu entlasten.
Auch das wird sicherlich nicht ausreichen. Ich habe
gerade gesagt, dass der Staat hier eine Verantwortung
hat. Deswegen müssen wir auf die Energieversorgungsunternehmen Druck ausüben, damit sie ihrerseits Sozialtarife anbieten. Das muss der erste Schritt sein. Wir haben bereits in der Vergangenheit Druck ausgeübt. Diese
Aufforderung zeigt durchaus Wirkung. Es gibt eine
ganze Reihe von Unternehmen, die auf diesem Sektor
aktiv geworden sind und Sozialtarife für besonders betroffene Kundengruppen anbieten.
Im Übrigen ist das auch ein europäisches Thema. Die
Europäische Kommission hat sich dieses Themas schon
bemächtigt und hierzu Richtlinien veröffentlicht. Die
Politik besitzt also einen Hebel, um auf die Unternehmen Druck auszuüben. Es muss in der Tat klar sein:
Wenn keine überzeugenden Angebote unterbreitet werden, wird der Gesetzgeber das Thema selbst in die Hand
nehmen müssen.
Sie haben wahrscheinlich in den letzten Wochen verfolgt, dass Gesprächsangebote aus den Reihen der großen Versorgungsunternehmen vorliegen. Es ist uns ge14364
genüber sogar gesagt worden, man habe eingesehen, dass
man in der Vergangenheit Fehler gemacht habe, nicht nur
allgemein im Bereich der Kommunikation, sondern insbesondere hinsichtlich der Preisbildung und der Preishöhe. Auf diesem Feld erwarten wir von den Unternehmen Vorschläge, die über das hinausgehen, was in den
letzten Wochen vorgelegt worden ist.
Es ist interessant zu beobachten, dass sich mittlerweile
nicht mehr nur Energieunternehmen dieses Feldes annehmen. Ladenketten haben dieses Thema entdeckt und machen ihren Kunden günstige Angebote. Ich denke, das ist
ein Bereich, den wir sehr genau beobachten müssen.
Möglicherweise ist das ein Weg, um motivierend auf die
Energiebranche einzuwirken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Lidl und Aldi dieses Thema überlassen will.
Ich sage aber noch einmal ganz ausdrücklich: Sollte es in
absehbarer Zeit keine entsprechenden Angebote geben,
wird sich der Gesetzgeber dieses Themas bemächtigen.
Noch eine kurze Anmerkung zum Thema Benzinpreise. Das Kartellamt hat dieses Thema entdeckt und
will den Mineralölmarkt genau unter die Lupe nehmen.
Klar ist aber auch - wir haben in der Vergangenheit unsere Erfahrungen damit gemacht -, dass eine Senkung
der Mineralölsteuer nicht automatisch zu sinkenden
Benzinpreisen führt, sondern eher zu einer Veränderung
der Preisanteile zwischen Staat und Mineralölunternehmen. Deswegen wird dieser Vorschlag mittlerweile
kaum noch gemacht.
Es geht aber auch darum, dass wir weiterhin Druck
auf die Automobilindustrie ausüben, insbesondere hinsichtlich der Herstellung verbrauchsarmer Kraftfahrzeuge. Wir müssen aber auch alles tun - dieser Hinweis
ist sicherlich richtig -, um den ÖPNV so attraktiv wie
möglich zu erhalten. Ich denke, die Verabschiedung des
Regionalisierungsgesetzes, das die Finanzgrundlage des
ÖPNV abgesichert hat, ist ein Schritt in die richtige
Richtung.
({3})
Wir haben also deutlich gemacht, dass wir uns dieses
Themas schon vor längerer Zeit angenommen haben und
auf sehr vielfältige Art und Weise versuchen, nicht nur
ein kurzes Strohfeuer zu entfachen, sondern langfristig
Wirkung zu erzielen. Machen Sie bei den Diskussionen
in den Ausschüssen und der anschließenden Diskussion
im Plenum des Deutschen Bundestages mit. Argumentieren Sie dabei aber bitte nicht in Richtung mehr Staat,
sondern in Richtung Marktwirtschaft, die von einer Gesetzgebung begleitet wird, die die Dinge dann, wenn der
Markt es alleine nicht regelt, in die richtige Richtung
schiebt.
Vielen Dank.
({4})
Eine Kurzintervention des Kollegen Hill.
({0})
Ich werde mich kurzfassen, liebe Kolleginnen und
Kollegen. - Herr Hempelmann, wenn ich Sie richtig verstanden habe, fällt das, was der Bundesbauminister vorgeschlagen hat, bei Ihnen auf fruchtbaren Boden. Allerdings wird es in der Koalition noch - ich nenne es
einmal so - diverse Abstimmungen dazu geben. Dann
muss man einmal schauen, was am Ende dabei herauskommt. Ich gehe davon aus, dass es so ist.
Die Frage geht in eine andere Richtung. Wohngeldempfänger und Haushalte mit geringem Einkommen haben natürlich ein Problem, in dem Markt, in dem wir uns
jetzt befinden, mit ihrem Geld auszukommen. Das bedeutet letztendlich: Wenn die Sozialtarife, die eventuell
von den Stromkonzernen angeboten werden, immer
noch eine Höhe haben, die sich diese Kunden nicht leisten können - wie gehen wir dann damit um, wenn der
Strom abgeschaltet wird? Ich bin der Meinung, dass der
Staat da handeln muss.
Sie möchten antworten? - Bitte schön.
Zunächst einmal habe ich, glaube ich, eben deutlich
gesagt, dass wir in der Tat den Vorschlag des Bundesbauministers in seiner Ausrichtung unterstützen. Es ist
aber so, dass man sich solche Vorschläge im Einzelnen
ansehen muss. Vielleicht fällt uns noch manches zur instrumentellen Ausgestaltung eines solchen Vorschlages
und zur Vermeidung unerwünschter Nebenwirkungen
ein. Das habe ich ja eben angedeutet.
Hinsichtlich der Vorschläge von Unternehmen sind
wir alle, glaube ich, im Moment in einer Sammelphase.
Es hat sich in den letzten Wochen ja sehr viel entwickelt.
Ich denke, es empfiehlt sich, einen Dialog gerade mit
den Verbraucherschützern zu führen, um herauszufinden, welche dieser Modelle tatsächlich tauglich sind und
welche nicht. Heute schon vorherzusagen, welche Größenordungen und Modelle man wählen müsste, würde
insinuieren, dass wir die Diskussion überhaupt nicht
brauchen. Den Fehler werde ich mit Sicherheit nicht machen. Wir erwarten Vorschläge und Modelle, die bei den
betroffenen Haushalten tatsächlich entlastende Wirkung
erzielen.
Ich würde mir vor allen Dingen Modelle wünschen,
die zwei Dinge zugleich schaffen: auf der einen Seite
eine finanzielle Entlastung der besonders Betroffenen,
auf der anderen Seite einen Anreiz zum Energiesparen.
Dies müssen wir intelligent zusammenführen. Damit
gibt es im Ausland Erfahrungen. Diese wollen wir in unsere Diskussion einbeziehen.
({0})
Jetzt hat Nicole Maisch das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Linke hat in ihren Anträgen ein relevantes
Problem erkannt und schlägt die falschen Maßnahmen
zur Lösung vor.
({0})
- Das werde ich gleich ausführen.
Ich denke, unstrittig ist, dass die Energiekosten in einem dramatischen Maß angestiegen sind. Allein im
Strombereich verzeichnen wir in den vergangenen Jahren für Haushaltskunden um 50 Prozent und für Industriekunden um 77 Prozent steigende Strompreise.
Gleichzeitig steigen die Gewinne der großen vier Energiekonzerne um 12 Milliarden Euro. Ich empfehle Ihnen
als Lektüre dazu eine Studie der grünen Bundestagsfraktion. Das heißt auf der einen Seite steigende Preise, die
sich nicht allein mit den steigenden Rohstoffpreisen
rechtfertigen lassen, und auf der anderen Seite steigende
Gewinne.
({1})
Insbesondere für einkommensschwache Familien und
Haushalte besteht hier ein reales soziales Problem, auf
das vor allem die Bundesregierung reagieren muss.
({2})
Es besteht dringender Handlungsbedarf, allerdings nicht
in der Richtung, die die Linke vorschlägt. Die Linke
möchte einen nicht funktionierenden Energiemarkt, der
schlimme Regulierungsdefizite aufweist, nicht strukturell verändern, so wie wir es wollen, sondern mehr Geld
in ein System pumpen, das so nicht funktioniert. Erlauben Sie mir die Bemerkung, dass ich von einer Linken,
die sich gerne als sehr revolutionär geriert, ein bisschen
mehr Mut bei den Forderungen erwartet hätte.
({3})
Sie möchten einen nicht funktionierenden Energiemarkt
in der Struktur erhalten und die Abzocke der Energieversorger alimentieren.
({4})
- Ich kenne Ihre Papiere.
({5})
Statt auf Sozialtransfers sollten Sie lieber auf die Schaffung eines echten und fairen ökologischen Energiemarktes setzen.
Ich möchte mich jetzt im Einzelnen mit Ihren Forderungen auseinandersetzen. Die Wiedereinführung der
Strom- und Gaspreisaufsicht halten wir für den falschen
Weg. Die Strom- und Gaspreisaufsicht der Länder hat
nie wirklich funktioniert. Mit dem, was wir im Moment
haben, nämlich eine unabhängige Netzagentur und ein
Kartellamt, sind wir weiter. Natürlich ist die Senkung
der Netznutzungsgebühren eine grüne Forderung. Wir
finden es gut, dass sie erreicht wurde. Es wäre schön
- das fordern wir -, wenn das bei den Endverbrauchern
ankommen würde.
Ich denke, es ist unstrittig, dass die Regelsätze des
Arbeitslosengeldes II den steigenden Lebenshaltungskosten angepasst werden müssen. Unstrittig ist auch,
dass bei Transferleistungen ökologische Komponenten,
die auch Sie vorschlagen, sinnvoll und gut sind. Falsch
ist aber, günstige Preise per Gesetz vorzuschreiben. Außerhalb einer Planwirtschaft muss man sich da fragen:
Wer bekommt diese günstigen Preise? Wer zahlt sie? Ist
das rechtlich überhaupt so möglich, wie Sie es behaupten? Wir brauchen keine Gewinnabschöpfungssteuer.
Wir brauchen einen echten Handel mit CO2-Zertifikaten
statt einer Schenkung von Zertifikaten an bestimmte Unternehmen.
({6})
Was wir brauchen - das ist eine der grünen Forderungen -, ist eine eigentumsrechtliche Trennung von Stromnetzen und Stromerzeugern. Damit setzt man bei der
Struktur an und pumpt nicht Geld in ein System, das so
nicht funktioniert - so wie Sie es vorhaben. Wir brauchen eine kartellrechtliche Entflechtung der marktbeherrschenden Unternehmen. Sogar die Monopolkommission hat gesagt, dass wir es mit duopolistischen
Strukturen zu tun haben, die keinen echten Wettbewerb
ermöglichen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Wir
brauchen eine konsequente Umstellung auf erneuerbare
Energieträger. Angesichts sich immer weiter verknappender Ressourcen ist es unumgänglich, auf Wind,
Sonne und Biogas zu setzen. Wir haben vorhin gehört,
die Atomkraft sei ein günstiges Mittel, um unsere Energiekrise zu lösen. Lassen Sie mich dazu sagen: Die
Atomkraft ist nicht billig, sondern kommt uns alle teuer
zu stehen.
({7})
Wind und Sonne steigen nicht im Preis. Hier gehen die
Preise sogar nach unten, weil diese Technologien besser
sind. Durch diese Technologien wurde Deutschland in
diesem Bereich zum Exportweltmeister. Ich denke, die
Lösungen liegen auf der Hand. Dabei geht es insbesondere um die Investition in erneuerbare Energien. Das,
was Sie vorschlagen, findet leider nicht unsere Zustimmung.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, die
Vorlagen auf Drucksachen 16/7745 und 16/7524 an die
Ausschüsse zu überweisen, die in der Tagesordnung aufgeführt sind. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 25 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sibylle
Pfeiffer, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Walter Riester,
Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt
beim Aufbau und bei Reformen von sozialen
Sicherungssystemen unterstützen und soziale
Sicherung als Schwerpunkt der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit implementieren
- Drucksache 16/7747 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir
das so tun.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Kollegen Walter Riester für die SPD-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beginnen mit diesem Antrag eine parlamentarische Debatte, die dann, wenn wir zur Beschlussfassung
bzw. zu einer entsprechend veränderten Praxis kommen,
eine deutliche Schärfung des Profils unserer Entwicklungspolitik zur Folge haben und darüber hinaus auch
Chancen eröffnen wird, über die ich sprechen möchte.
Zu diesem Thema haben wir eine Anhörung durchgeführt. Alle, ob internationale oder nationale Experten,
waren sich in einem Punkt einig: dass eine nachhaltige
Armutsbekämpfung ohne den Aufbau sozialer Sicherungssysteme kaum möglich scheint. Dem müssen natürlich Konsequenzen folgen. Ich habe mich gefreut,
dass in die Regierungserklärung zum Gipfel von Heiligendamm exakt dieser Punkt aufgenommen und aus einer anderen Sicht heraus gesagt wurde: Investitionen in
die soziale Sicherung sind die notwendige Voraussetzung für Investitionen in wirtschaftliche Entwicklung
und effiziente Armutsbekämpfung.
Eine Chance haben allerdings auch diejenigen, die
Prozesse in den Entwicklungs- und Schwellenländern
unterstützen, nämlich die Chance, für sich ein Umdenken einzuleiten. Ich möchte kurz skizzieren, warum ich
der festen Überzeugung bin, dass eine einfache Übertragung unserer Erfahrungen schlechterdings nicht möglich
ist. Wir haben es in den Entwicklungs- und Schwellenländern mit Herausforderungen zu tun, die angegangen
werden müssen, die aber auch in ihrer Vielfältigkeit erkannt werden müssen. Wir selbst haben in unserem Land
soziale Sicherungssysteme entwickelt, aus der Erfahrung
der Industrialisierung, aus den Erfahrungen mit einem
stabilen, formellen Arbeitsmarkt. In den Entwicklungsländern gehen 70 oder 80 oder gar 90 Prozent der Menschen überwiegend informellen Tätigkeiten nach. Allerdings hat auch dieser informelle Arbeitsmarkt
Strukturen, wie man erkennen kann, wenn man näher
hinschaut.
Die Stärke der Mikrofinanzierung liegt nicht nur in
der Zurverfügungstellung kleiner Geldbeträge, um
selbstständige Arbeit zu entwickeln, sondern auch in der
Organisation von sozialen Prozessen derer, die mit der
Mikrofinanzierung gemeinsam Wege beschreiten und
gemeinsam über wirtschaftliche Sicherung soziale Sicherung aufbauen. Dort wären Ansätze.
Ich mache einmal einen Sprung zu einer ganz anderen
Herausforderung. Wir sprechen viel über die Entwicklung in den Schwellenländern Indien und China und
diskutieren häufig darüber, wo die Notwendigkeit des
entwicklungspolitischen Ansatzes liegt. Nehmen wir
einmal die Herausforderungen, vor denen China steht:
zum einen die Unterschiedlichkeit der Entwicklung, zum
anderen die besondere Altersentwicklung, die durch familienpolitische Einschnitte entstanden ist. Ein Land, in
dem soziale Probleme traditionell in der Familie gelöst
werden, hat durch die Ein-Kind-Politik eine Bevölkerungsentwicklung hervorgerufen, bei der das kaum mehr
möglich ist, vor allem deswegen, weil 150 bis
200 Millionen Chinesen aus Zentralchina - das sind die
Jungen, die Starken - als Wanderarbeiter nach Ostchina
gehen. Soziale Sicherungssysteme gibt es nicht. So entwickeln sich entsprechende Spannungen. Das ist eine
riesige Herausforderung, auch für uns, nicht nur sozialpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch.
Ich bedauere - ich habe das hier im Haus schon einmal angesprochen -, dass die Ausschreibung, die die EU
für die Unterstützung Chinas in diesen Fragen durchgeführt hat, nicht von Deutschen, sondern von Briten gewonnen worden ist. Es ist zwar eine deutsche Consultingfirma beteiligt; aber ich hätte mir gewünscht, dass
die GTZ und die GVG diesen Auftrag bekommen hätten.
({0})
Dort sind riesige Herausforderungen, Herausforderungen, die möglicherweise das bisherige Verständnis von
Entwicklungspolitik überschreiten.
Oder betrachten wir Südafrika als das in SubsaharaAfrika wirtschaftlich mit Abstand stärkste Land. Doch
auch in Südafrika gibt es in Fragen sozialer Sicherungssysteme ein Spannungsverhältnis. Wie sich die Älteren
von uns erinnern können, ist die erste Herztransplantation in Südafrika durchgeführt worden. Es gibt dort
kleine, hocheffiziente Entwicklungszentren für finanziell
gut dastehende Menschen; doch für die breite Masse der
Menschen gibt es keine Gesundheitsversorgung.
Die Frage der epidemischen Belastung des afrikanischen Kontinents mit Malaria, Tuberkulose und HIV/
Aids ist mit noch so viel finanziellen Mitteln nicht zu lösen, wenn die personellen und strukturellen Voraussetzungen für die Bewältigung von Epidemien nicht da
sind.
Mit all dem möchte ich Ihnen aufzeigen, welche Herausforderungen, aber auch welche Chancen für die
Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern
da sind, wenn wir solche Schwerpunkte in der Entwicklungspolitik setzen.
Nun möchte ich über den Antrag hinaus den Wunsch
nach einer Chance für uns ansprechen. Ich sehe das nicht
als eine Aufgabe, die ressortmäßig einzig beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung angesiedelt wäre. Wir haben auch im Arbeits- und Sozialministerium und im Gesundheitsministerium enorme Kapazitäten und viel Erfahrung. Ich hätte
die Bitte und den Wunsch, den Begriff der Kohärenz, der
hier immer wieder fällt, einmal umzusetzen, in der Erkenntnis, dass wir deutsche Gesundheitspolitik in Entwicklungs- und Schwellenländer nicht einfach exportieren können.
({1})
Aber wir können die Kapazitäten, die wir haben, für einen Prozess nutzen, in den wir uns als Entwicklungspolitiker, weil wir um die Bedingungen in diesen Ländern
wissen, möglicherweise besser als die Experten im Gesundheitsministerium einbringen können.
({2})
Wir haben enorme Kapazitäten in einem - das sage
ich aus Erfahrung - sehr gut arbeitenden Arbeits- und
Sozialministerium, das aber nur wenig Erfahrung mit informellen Arbeitsmärkten hat.
({3})
Welche politischen Chancen hätten wir, durch die Zusammenfassung dieser Kapazitäten Kohärenz in der Politik
zu entwickeln und einen Schwerpunkt der Entwicklungspolitik zu setzen, indem wir die Qualifikation deutscher
Hilfskräfte einbringen und die Nachhaltigkeit stärken,
eine Nachhaltigkeit, die uns eine wesentlich effizientere
Armutsbekämpfung erlauben würde? Ich glaube, hier
liegt eine große Chance.
Nun kommt es allerdings darauf an - ich bin davon
überzeugt, dass wir uns in der Zielsetzung über alle Parteien hinweg sehr einig sein werden -, dass wir nach der
Beschlussfassung mit der gleichen Hartnäckigkeit darauf
drängen, das, was wir jetzt diskutieren und beschließen,
auch konkret umzusetzen. Darum möchte ich bitten.
Herzlichen Dank.
({4})
Der Kollege Dr. Karl Addicks hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
({0})
Danke. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Ich freue mich wirklich, dass dieses wichtige
Thema heute hier im Bundestag auf der Tagesordnung
steht. Wir haben die soziale Sicherung und den Aufbau
der sozialen Sicherungssysteme in Entwicklungs- und
Schwellenländern lange genug vernachlässigt. Ich denke,
die Reihenfolge im Titel wäre umgekehrt besser gewesen: erst die Schwellenländer, dann die Entwicklungsländer.
Sie haben es angesprochen, Herr Kollege Riester: Einige der Schwellenländer sind heute tatsächlich reif dafür, langsam damit anzufangen, solche sozialen Sicherungssysteme aufzubauen. Natürlich ist das gerade für
Sie eine Herzensangelegenheit, Herr Riester. Ich denke,
wenn es zur Ausführung kommt, werden wir Sie an einigen Stellen unterstützen können. Das Thema ist ganz besonders vor dem Hintergrund von Aids, Malaria, TBC
und anderen Geißeln in den Tropen wichtig, wie Sie es
gesagt haben. Dabei unterstütze ich Sie.
({0})
Natürlich stellt diese Angelegenheit ein sehr dickes
Brett dar, das wir uns vorgenommen haben, zu bohren.
Darüber dürfen wir uns überhaupt keine Illusionen machen.
({1})
Die erste Bohrung in dieses Brett, die Sie mit diesem
Antrag heute angebracht haben - um im Bild zu bleiben -,
ist ein bisschen oberflächlich. Die Überschrift ist sehr
vielversprechend. Sie reden gleich von Implementierung. Ich denke, wir sollten uns erst einmal vornehmen,
das Thema zu installieren und dann kontinuierlich daran
zu arbeiten.
Ich teile die Analyse zur Situation in den Entwicklungsländern, wie sie in Ihrem Antrag vorgenommen
wird, zum allergrößten Teil. Sie ist richtig. Hinsichtlich
der Lösungsvorschläge bleiben Sie mit Ihrem Antrag
aber leider ein bisschen diffus. Ich hätte mir hier etwas
mehr erwartet. Auch die Forderungen, mit denen Sie
sich an den Bundestag wenden, sind unkonkret. Das
müssen wir nachbessern - am besten alle zusammen.
Wir hoffen, dass die konkreten Vorschläge und Maßnahmen sowie Angaben dazu, wie das im Einzelnen
gehen soll, noch benannt werden. Mit diesem Antrag
werden sie jedenfalls nicht geliefert - weder im Feststellungsteil noch im Forderungsteil. Ich befürchte aber,
dass in der laufenden Legislaturperiode dazu nicht mehr
viel kommen wird.
({2})
Ich weiß nicht, ob das der kleinste gemeinsame Nenner
ist, auf den Sie sich gerade noch einigen konnten.
An eines muss ich in dem Zusammenhang auch noch
erinnern: Dieser Antrag passt überhaupt nicht zu der
Entscheidung, die die Große Koalition getroffen hat, als
wir im letzten Sommer die Einrichtung eines Unterausschusses zur Gesundheit in Entwicklungsländern angesprochen haben. Herr Riester, ich weiß, dass Sie und
viele andere Kollegen das unterstützt haben. Von den
Parlamentarischen Geschäftsführern Röttgen und Scholz
ist dieser Vorschlag aus sachfremden Erwägungen aber
leider einfach so abgelehnt worden. Ich thematisiere das
hier noch einmal, weil ich glaube, dass die Einrichtung
eines solchen Unterausschusses wirklich ein sehr guter
erster Schritt gewesen wäre, um dieses Thema mit der
Intensität zu bearbeiten, die notwendig ist.
({3})
Denn die entscheidenden Fragen werden in Ihrem
Antrag aufgeworfen - aber das wurden sie auch schon
vorher. Nur leider ist es nie zur Einsetzung dieses Unterausschusses gekommen. Aber man kann sich ja jederzeit
eines Besseren besinnen und doch noch einen solchen
Unterausschuss fordern, der die konkrete Sacharbeit
leisten könnte, die erforderlich ist, um das Notwendige
umsetzen und implementieren zu können.
Eines möchte ich allerdings - so wie Sie, Herr
Riester, es im Grunde auch getan haben - sagen: Es darf
in den Schwellenländern und Entwicklungsländern keine
Kopie des deutschen Systems geben. Das wäre das Ende
noch vor dem Anfang. Wir müssen mit kleinen Schritten
anfangen.
({4})
Wir müssen uns auch ganz genau überlegen, ob wir
gleichzeitig mit allen Versicherungssparten von der Unfallversicherung über die Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung bis hin zur Rentenversicherung
beginnen wollen. Es muss ja nicht gleich mit der RiesterRente anfangen. Man sollte lieber mit kleinen Schritten
anfangen und sehen, welche Reaktionen es darauf gibt.
Dem Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern
entsprechend kann man das System dann anpassen und
zu immer größeren Einheiten kommen. Ein deutsches
Kurwesen und all die anderen entsprechenden Leistungen, die es bei unserer Krankenversicherung gibt, brauchen wir dort nicht.
({5})
Wir brauchen auch nicht - ({6})
- Nein, mit Placebos haben wir überhaupt nicht gearbeitet.
({7})
- Wie bitte?
({8})
- Ich spreche mich auch ein wenig gegen den Antrag
aus. Ich hätte mir mehr gewünscht, Herr Riester. Das
habe ich Ihnen am Anfang ja gesagt.
({9})
Am Ende meiner Redezeit will ich Ihnen aber anbieten, dieses wichtige Thema gemeinsam fraktionsübergreifend zu bearbeiten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Kollegin Sibylle Pfeiffer spricht jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Karl Addicks, du weißt sehr wohl, wie sehr wir
alle für diesen Unterausschuss zur Gesundheit in Entwicklungsländern gekämpft haben.
({0})
Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Mir erschließt
sich überhaupt nicht, warum du das jetzt in diesem konkreten Zusammenhang vorbringst.
({1})
Ich gehe davon aus, dass du seit etlichen Wochen
nach einer Möglichkeit suchst, dieses Thema endlich
wieder einmal ins Plenum zu bringen.
({2})
Wenn das der Fall ist, dann ist es dir hiermit gelungen.
Aber den Zusammenhang verstehe ich bei aller Wertschätzung nicht. Natürlich sind wir alle der Meinung,
dass wir diesen Unterausschuss brauchen. Du hast das
jetzt noch einmal angebracht, und ich finde es okay,
wenn wir das so machen.
Du beklagst unseren Antrag von vornherein als unzureichend und als in den Einzelheiten nicht konkret genug. Einen so hohen Anspruch hatten wir aber gar nicht,
worin Herr Riester mir wohl zustimmen wird. Es geht
vielmehr darum, etwas in Gang zu setzen, was Entwicklungspolitiker in Deutschland bisher versäumt haben.
({3})
Ich will dir und den anderen von den Reaktionen erzählen, die ich von den Kolleginnen und Kollegen erhalten habe, denen ich diesen Antrag in die Hand gedrückt
habe: Du willst doch nicht allen Ernstes unser marodes
soziales Sicherungssystem in die Entwicklungsländer
exportieren?
({4})
Um Gottes willen, sollen wir das jetzt auch noch bezahlen?
({5})
Darum geht es aber nicht.
Die Antwort ist ganz einfach. Wir müssen einfach
einmal schauen, wie die Situation bei uns Ende des
19. Jahrhunderts war und warum bei uns soziale Sicherungssysteme eingeführt wurden. Es gab Hunger, Armut
und politische Instabilität. Ähnlich ist die Situation in
den Entwicklungsländern. Auch dort finden wir Armut
und Hunger. Die Menschen vor Ort befinden sich in einem fürchterlichen Kreislauf. Sie sind arm und werden
krank, und wenn sie krank sind, werden sie noch ärmer.
Aus diesem Kreislauf kommen sie nicht heraus.
Wir wissen aber auch - das können wir aus deutscher
Sicht wunderbar nachvollziehen -, wie wichtig soziale
Sicherungssysteme sind. Wir haben die soziale Marktwirtschaft darauf aufgebaut. Wir haben einen ganzen
Wirtschaftssektor, der sich um unsere sozialen Sicherungssysteme herum gebildet hat und sich zum Beispiel
mit Gesundheit befasst, und wir haben einen entsprechenden Arbeitsmarkt. Auch diese Chance dürfen wir
nicht unterschätzen, wenn es darum geht, welche sozialen Sicherungssysteme in den einzelnen Ländern vorhanden sind - Walter Riester hat es bereits angesprochen - und
wie diese Länder solche Systeme aufbauen könnten.
Denn unsere sozialen Sicherungssysteme werden
schlechtergeredet, als sie sind. Im Gegenteil, sie sind sogar sehr gut.
({6})
Dass wir im Laufe der Jahrzehnte aus dem einen oder
anderen - ich gestehe zu: auch politischen - Grund versäumt haben, nachzuarbeiten und nachzujustieren, und
bestimmte Zeichen nicht rechtzeitig erkannt haben, die
es notwendig gemacht hätten, die sozialen Sicherungssysteme auch für die Zukunft sicher zu machen, ist eine
der Erkenntnisse, die wir in Verhandlungen und Unterstützungsgesprächen mit einbringen und berücksichtigen
können. Wenn es um den Aufbau solcher Systeme geht,
bringen wir all das mit ein, was wir in diesem Zusammenhang gelernt haben.
Ich glaube, dass wir unsere sozialen Sicherungssysteme - ob Krankenversicherung, Rentenversicherung
oder Ähnliches - sehr wohl als einen entwicklungspolitischen Exportschlager bezeichnen können. Es muss nur
richtig gemacht werden. Das soll nicht heißen - um auf
mein Eingangsstatement zurückzukommen -, dass wir
unsere Gelder verteilen und sagen sollten: Liebe
Freunde, macht mal! - Jedes Land ist gesondert zu betrachten. Schwellenländer unterscheiden sich von Entwicklungsländern. China, Indien und Südafrika sind anders als zum Beispiel die Länder in Subsahara-Afrika zu
betrachten.
Jedes Land weist aber etwas einem Sicherungssystem
Ähnliches auf. Das gilt für Südafrika. Aber auch Malawi
- das haben wir gehört - hat eine Art soziales Sicherungssystem, das vielleicht langfristig nachhaltig werden kann.
Die Systeme müssen je nach den kulturellen Gegebenheiten und der vorhandenen Infrastruktur aufgebaut werden.
Dafür muss erfasst werden, wo das System bereits funktioniert, wo nachzujustieren ist und wo was gemacht werden kann. Es geht nicht darum, unsere Entwicklungshilfegelder dort hineinzupumpen und sozusagen das
deutsche Mäntelchen darüber auszubreiten. Es geht vielmehr darum, für die Menschen alles zukunftssicher zu
machen.
Das Wichtige an sozialen Sicherungssystemen ist, zunächst die Schwächsten der Gesellschaft zu erreichen.
Das sind an erster Stelle immer die Frauen, die in vielen
Gesellschaften unterdrückt sind, keinerlei Eigenleben
führen, unter Krankheiten leiden und beim Tod ihres
Ehemannes nicht erben, weil das Erbe an dessen Familie
geht. Mit einem sozialen Sicherungssystem können wir
die Frauen in der Gesellschaft stärken. Uns Politikern
muss ich nicht erklären, wie wichtig starke Frauen für
diese Länder sind.
Die zweite Gruppe sind die Alten. Auch in den Entwicklungsländern wird es in absehbarer Zeit zu einer
Überalterung kommen. Aber die Alten in diesen Ländern haben keine soziale Absicherung, weder für sich
selber, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und sich
Medikamente zu kaufen, geschweige denn, um sich um
ihre Enkelkinder zu kümmern, wenn diese zu Aidswaisen werden. Auch für diese Gruppe ist keine soziale Absicherung vorhanden. Ich glaube, dass wir auch in diesem Punkt der Gesellschaft etwas Gutes tun.
Die dritte Gruppe sind die Kinder. Die meisten Kinder, die in den Entwicklungsländern sterben, würden in
den Industrieländern überleben.
All diese Maßnahmen dienen dem Zweck, politische
Stabilität in diesen Ländern zu erreichen. Politische
Stabilität erreichen wir, indem wir die Gesellschaft an
sich stärken. Eine Gesellschaft stärkt sich über soziale
Sicherungssysteme. Irgendwann muss aber auch eine
Eigenfinanzierung über den Aufbau der sozialen
Sicherungssysteme in den betreffenden Ländern erfolgen. Wir müssen zusehen, dass parallel zum wirtschaftlichen Wachstum Sicherungssysteme entwickelt werden,
damit es keine große Schere zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes und der Lage der Menschen gibt. Wir dürfen die Menschen nicht außen vor
lassen. Das würde anderenfalls nicht gut gehen und sozialen Sprengstoff bergen. Sozialer Sprengstoff in den
Entwicklungsländern ist etwas, was wir auf keinen Fall
haben wollen.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege
Hüseyin-Kenan Aydin.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Meine Damen und Herren! Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich an der Stärkung der sozialen Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern orientieren;
das habe ich hier schon mehrmals gesagt. Das sagt die
Linke im Bundestag bereits seit zwei Jahren; denn wir
brauchen keine teuren Wirtschaftsberater für die Entwicklungsländer, sondern Schulen und Abwassersysteme in Afrika als Hilfe zur Selbsthilfe. Die Menschen in
den Entwicklungsländern brauchen selbstverständlich
soziale Sicherheit, das heißt finanzielle Absicherung gegen Arbeitslosigkeit, Unterstützung öffentlicher Rentensysteme, kostenlose Hilfe bei Krankheit. Es kann deshalb nicht angehen - das habe ich bereits in der
Haushaltsdebatte gesagt -, dass 2008 trotz steigender
Etatmittel des Entwicklungsministeriums beispielsweise
die Zusagen für die Grundbildung stagnieren. Es kann
nicht angehen, dass die Mittelzusagen bei Wasser sinken, dass aber der Zusagerahmen für Wirtschaftsreformen und Marktwirtschaft - jetzt wird sich die FDP
freuen - auf 423 Millionen Euro verdoppelt wird.
({0})
Das sind 423 Millionen Euro, die den Armen nicht viel
bringen.
Unsere seit zwei Jahren beharrlich vorgetragene Kritik an dieser Fehlorientierung stößt bei der Bundesregierung auf taube Ohren. Umso erstaunter bin ich, dass die
Regierungsfraktionen einen durchaus begrüßenswerten
Antrag vorgelegt haben; denn im Gegensatz zu dem unverbindlichen Gerede, mit dem Sie uns regelmäßig in
entwicklungspolitischen Debatten gelangweilt haben,
wird hier Tacheles gesprochen. Ja, Sie haben recht: In
den letzten Jahren wurden die sozialen Aspekte in der
Entwicklungszusammenarbeit vernachlässigt. Ja, Sie haben recht, wenn Sie feststellen, dass sich kein Trickledown-Effekt eingestellt hat. Das heißt, die Förderung
großer Wirtschaftsunternehmen durch die Instrumente
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist nicht automatisch den Armen zugute gekommen. Ganz im Gegenteil: Die privatisierungsfreundliche Orientierung der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit torpediert das
wichtigste Ziel: die Armutsbekämpfung.
Die Koalitionsfraktionen fordern im vorliegenden
Antrag deshalb völlig zu Recht neue Prioritäten und die
Abkehr von alten Denkansätzen. Dieser - das betone ich durchaus gute Antrag ist aber auch eine schallende Ohrfeige für die einseitige wirtschaftsfreundliche Orientierung der Bundesregierung.
({1})
Besonders möchte ich die richtige Feststellung hervorheben, dass die enorm gewachsene Zahl unsicherer Beschäftigungsverhältnisse eines der größten Probleme
darstellt; das hat Walter Riester bereits erwähnt.
({2})
Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation
arbeiten mittlerweile bis zu 80 Prozent der Menschen in
Asien und Afrika in der Schattenwirtschaft.
Bei dieser Gelegenheit erinnere ich Sie daran: Vor einem Jahr hat die Linke einen Antrag zur Ratifizierung
des IAO-Übereinkommens zur Heimarbeit vorgelegt.
Den haben Sie abgelehnt. Dabei wäre das doch ein wichtiger Beitrag zur Schaffung sozialer Sicherheit in den
Entwicklungsländern gewesen,
({3})
damit auch Heimarbeiterinnen in Afrika endlich Mutterschutz bekommen. Ich erwarte, dass Sie hier endlich
handeln und das Übereinkommen ratifizieren.
({4})
Dennoch bleibe ich dabei: Die Regierungsfraktionen
haben einen guten Antrag vorgelegt, der von ihrer eigenen Regierung eine neue soziale Orientierung in der Entwicklungszusammenarbeit einfordert. Doch Papier ist
geduldig; Taten müssen folgen. Wir werden wie auch
viele andere in den kommenden Monaten und Jahren genau beobachten, ob sich die Regierung in puncto Entwicklungspolitik der Mehrheit des Bundestages verpflichtet fühlt. Wie bereits angekündigt, wird die Linke
gute, richtige Ansätze unterstützen, aber Fehlorientierungen immer ganz klar und deutlich kritisieren.
({5})
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({6})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Ute Koczy für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Soziale Sicherung tut not, nicht nur in
Deutschland, sondern auch und besonders in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Das können wir hier
sicherlich gemeinsam festhalten; das ist ein guter Ausgangspunkt.
Der Koalitionsantrag greift viele richtige und wichtige Aspekte auf. Ich bin dem Kollegen Riester dankbar,
dass er die Initiative gestartet hat, unseren Blick in diesem Bereich zu schärfen.
({0})
Aber ein bisschen Wasser in den Wein darf ich gießen:
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den inhaltlichen
Ausführungen sind Sie vage geblieben. Das kann ich
auch verstehen. Trotzdem muss man hier nacharbeiten.
Darauf, dass dem so ist, hat Kollegin Pfeiffer bereits hingewiesen. Insofern ist es nicht ganz unrichtig, was die
Opposition dazu zu sagen hat.
Wer arm ist, ist anfällig. Wer dann noch krank wird,
wird zumeist auch noch arbeitslos. Dann fällt man vollkommen heraus und hat noch weniger Chancen als zuvor, der Armut zu entrinnen. Deswegen halte ich es für
richtig, dem Management sozialer Risiken gerade in den
Entwicklungsländern, den ärmsten Ländern, mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Soziale Sicherung - dieses Thema wird gerade in der
internationalen Entwicklungszusammenarbeit zunehmend erkannt - kann für eine erfolgreiche und nachhaltige Armutsbekämpfung entscheidend sein. Konzepte einer sozialen Sicherung müssen aber auch in eine
kohärente Entwicklungs- und Armutsbekämpfungsstrategie eingebettet sein. Das ist das berühmte Brett, das zu
bohren ist: Man muss tatsächlich in Kohärenz arbeiten
und das vorhandene Know-how nutzen. Außerdem
- Herr Riester, ich greife es auf - darf sich die Bürokratie nicht gegenseitig bekämpfen. Ihr Appell ist korrekt.
Hier müssen wir zusammenarbeiten; es gibt hier viel zu
tun.
Ein ganz wichtiger Aspekt bei diesem Kampf um soziale Sicherung ist es, die Frauen in den Mittelpunkt zu
rücken. Insbesondere die Frauen sind in der Armutshierarchie unten, vor allem sie haben die meiste Last. Aus
den Berichten aus anderen Ländern erfahren wir aber
auch, dass es wiederum die Frauen sind, die sehr daran
interessiert sind, soziale Sicherungen zu erhalten, und
die bereit sind, sich die finanziellen Mittel für sich und
ihre Kinder vom Mund abzusparen. Meine Forderung ist
- dies fehlt meiner Meinung nach in diesem Antrag -,
bei künftigen Konzepten der sozialen Sicherung ganz
besonders die Frauen in den Mittelpunkt zu stellen.
Ich erinnere an Mirai Chatterjee, Vertreterin eines
Frauenverbandes, die immerhin 800 000 Frauen in Indien vertritt. Bei unserer Anhörung sagte sie etwas ganz
Entscheidendes:
Nach unserer Erfahrung ist ein ganzheitlicher Ansatz bei dem Versuch, die Armen zu beschäftigen
oder die Armut zu überwinden, wichtig. Die Arbeitssicherheit und die soziale Sicherheit müssen
die Grundlagen von allen Armutsbekämpfungsstrategien sein.
Sie sagte aber auch:
Wenn die Bedingungen nicht fair sind, dann werden
wir nicht überleben können, ganz egal, ob wir soziale Sicherungssysteme haben.
Damit schlug sie den Bogen zu den WTO-Verhandlungen und gerechten Wirtschaftsstrukturen sowie zu unserer Verantwortung im Wirtschaftsbereich. Diesen wichtigen Zusammenhang will ich hier nicht unerwähnt lassen.
Ich komme auf den Antrag zurück. Sie erwähnen,
dass sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bei
der sozialen Sicherheit auf Krankenversicherungen und
auf die Grund- und Alterssicherung konzentrieren wird.
Wenn Sie das als Analyse darstellen, stelle ich die Frage:
Haben Sie noch weitere Bereiche im Sinn und, wenn ja,
welche? Eine Ihrer Forderungen bezieht sich auf Grundsicherung und soziale Sicherung. Mir ist nicht klar, wie
Sie da weitergehen wollen. Ist es die Pflege-, Unfalloder Arbeitslosenversicherung? Auch das ist nicht klar.
Hier bleibt der Antrag schwammig, aber das ist auch
klar, da wir hier Neuland betreten. Wir werden diskutieren müssen, wie die Entwicklung neuer Lösungsstrategien aussieht. Soziale Sicherungssysteme in Entwicklungsländern haben nur dann eine Chance, wenn sie
langfristig finanziert werden. Da bin ich sehr d’accord.
Aber wie wäre es denn mit ein paar konkreten Vorschlägen zur Finanzierung? Ich bin gespannt auf Ihre Vorschläge. Vielleicht kann man hier gerade an rohstoffreichere Entwicklungsländer neue Anforderungen stellen.
Diesen Vorschlag können wir gut einbringen.
({1})
Summa summarum: Soziale Sicherungssysteme sind
ein wichtiges Standbein bei der Armutsbekämpfung. Ja,
sie können zur Entwicklung beitragen. Ihr Antrag geht in
eine gute Richtung. Wir diskutieren gerne weiter. Ich
denke, wir werden zu guten Ergebnissen kommen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7747 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 sowie den
Zusatzpunkt 6 auf:
11 Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Cornelia
Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutz durch den Einsatz von CO2-Abscheidung und -Lagerung
- Drucksachen 16/5164, 16/7264 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Horst Meierhofer, Gudrun Kopp, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Potenziale der Abtrennung und Ablagerung
von CO2 für den Klimaschutz nutzen
- Drucksache 16/5131 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden
wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin Klug! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit der
Jahreszahl 2020 beginnen, die für den Klimaschutz eine
immense Bedeutung hat. 2020 ist das Etappenziel im
Kampf gegen den Klimawandel, sozusagen das Beweisjahr, ob unsere Strategien zielführend sind. 2020 ist auch
das Jahr, an dem wir nach allen Prognosen der Befürworter frühestens mit dem Einsatz von CCS rechnen
können.
Damit sind wir beim ersten Problem dieser hoffnungsvollen Technologie. Selbst wenn sie kommt, sie
kommt zu spät. Wir erleben derzeit eine Renaissance der
Kohle, die beim ungehemmten Begehr auf Genehmigungen für neue Kohlekraftwerke anfängt und bei der Wiederbelebung der Uralttechnologie Kohleverflüssigung
als Strategie „Weg vom Öl!“ für die Chemie aufhört - alles auf Basis des wahrscheinlich uneinlösbaren Versprechens: Das rüsten wir dann mit CCS nach.
Ich will einmal die ganzen noch nicht gelösten und
vielleicht auch nicht lösbaren Fragen in den drei Problemkreisen Abscheidung, Transport und Speicherung
außer Acht lassen und mich nur auf den vorhandenen
Glauben konzentrieren, dass wir 2020 CCS haben werden. Was heißt das für unsere Klimaschutzstrategie und
für Deutschlands Rolle bei dieser globalen Mammutaufgabe? Das heißt, dass wir 2020 keine 40 Prozent CO2Emissionen eingespart haben werden.
({0})
Das hält uns nicht nur Greenpeace vor, das war auch die
erste Botschaft des neuen UN-Klimasekretärs de Boer an
Deutschland. Mit dem Neubau von bis zu 25 Kohlekraftwerken geht diese Rechnung einfach nicht auf.
({1})
Unsere Aufgabe, die selbst gewählte und inzwischen
weltweit anerkannte, die Rolle des Klimaschutzvorreiters zu erfüllen, heißt aber, zeigen, wie es geht. Wenn
uns das nicht gelingt, dann werden wir, wird die EU kein
Schwellenland, kein Entwicklungsland und nicht die
USA davon überzeugen können, dass Klimaschutz,
Wirtschaft und gesellschaftlicher Wohlstand zusammengehen. Zeigen, dass es geht, müssen wir spätestens 2020.
Zeigen, wie es geht, müssen wir heute, nicht mit Luftbuchungen und dem Schwafeln von noch nicht vorhandenen Technologien, sondern mit berechenbaren, nachhaltigen Technologien, die auch ein Angebot für die
Entwicklungsländer darstellen.
Eine Studie zum Vergleich „Fossile Kraftwerke mit
CO2-Abscheidung und erneuerbare Energien“ hat das
BMU im März 2007 mit „Neue BMU-Studie zeigt Chancen für saubere Kohle“ bekannt gegeben. Das Wuppertal-Institut, das diese Studie im Auftrag des BMU durchführte, überschrieb seine Nachricht mit: „Endbericht
zeigt: CCS - kein Königsweg für den Klimaschutz“. Ist
das eine unterschiedliche Einschätzung, oder will da jemand einfach etwas nicht wahrhaben? So heißt es zum
Beispiel, was Öko- und CO2-Bilanzen anbetrifft:
Im Vergleich zu CCS-Kraftwerken schneiden vergleichbare Großanlagen aus dem Bereich Erneuerbare Energien deutlich besser ab.
Zum ökonomischen Vergleich ein weiteres Zitat:
Schon im Jahre 2020, dem Jahr der voraussichtlich
frühesten kommerziellen Verfügbarkeit der CCSTechnologie, dürfte eine Reihe von ErneuerbareEnergien-Technologien zu vergleichbaren oder günstigeren Konditionen Strom anbieten können … Längerfristig ist zu erwarten, dass erneuerbare Energien
wegen der Unabhängigkeit von BrennstoffpreisSchwankungen erhebliche Vorteile haben.
({2})
So weit die Studie des BMU.
Lassen Sie mich noch das Argument der Effizienz ansprechen. Nicht nur, dass ein Kraftwerk mit CCS höchst
ineffizient arbeitet - was passiert wohl gesellschaftlich
mit dem Willen zum Einsparen unter der Botschaft, das
CO2 könne man auch verbuddeln? Das ist doch, als würden wir zur Lösung des Problems, dass unsere Kinder zu
dick sind, auf Fettabsaugen setzen anstatt auf bessere Ernährung und Bewegung.
({3})
In ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage rechnet
uns die Bundesregierung vor, dass die ins Auge gefassten Endlagerstätten bei uns theoretisch das CO2 einer
Kraftwerksgeneration aufnehmen können; aber in anderen Teilen der Welt könnten größere Speicherpotenziale
bestehen. Besonders betont wird der norwegische Offshorebereich. Sie alle haben in den letzten Tagen zur
Kenntnis genommen, dass die norwegischen Pilotprojekte zur CO2-Speicherung auf Eis gelegt wurden. Während vor einem Jahr Ministerpräsident Stoltenberg noch
vom „Mondlandungsprojekt“ sprach, heißt es heute, dass
es unmöglich sei, ein solches Kraftwerk wirtschaftlich
zu betreiben. Tatsächlich rechnet sich das wohl höchstens bei einem extrem hohen Preis für Emissionszertifikate. Die Konzerne, vor allem Vattenfall, müssen also
bitten, ihnen die Zertifikate nicht mehr zu schenken, sonSylvia Kotting-Uhl
dern sie möglichst schnell ordentlich teuer zu machen.
Falls der Herr Minister diesem Wunsch nachgeben will,
würden wir ihn da eventuell unterstützen.
Dann, Frau Klug und Minister Gabriel, ziehen Sie
bitte auch noch die richtige Konsequenz. Im Umweltausschuss hat Herr Gabriel seine Klimaschutzstrategie früh
so auf die Punkte gebracht - in dieser Reihenfolge -: Effizienz, CCS, erneuerbare Energien. Zeigen Sie im BMU
sich lernfähig! Streichen Sie den mittleren Punkt! Ersparen Sie Gesellschaft und Wirtschaft weitere Endlagerproblematiken! Verwenden Sie Forschungsgelder für
Technologien, die nicht für eine Kraftwerksgeneration,
sondern für eine lange, energiesichere Zukunft entwickelt werden! Vertrauen Sie dem Wachstum der erneuerbaren Energien! Über alle gesteckten Ziele hinaus sind
sie bereits bei 14,3 Prozent. Setzen Sie anders auf Effizienz, als der Minister das bei seinem letzten EU-Auftritt gemacht hat - Stichwort: Automobilindustrie -, und
lassen Sie sich von den Konzernen nicht weiter einreden,
es gehe nur mit Kohle oder Atomstrom!
Frau Kollegin, Sie müssen an Ihre Redezeit denken.
Ich komme zum Schluss. - Falls Sie das selbst glauben: Werfen Sie einen Blick in das grüne Energiekonzept 2.0. Da steht, wie es geht.
Danke schön.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Petzold für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kotting-Uhl, eine Opposition ist immer schlecht
beraten, wenn sie eine Strategie verfolgt, die darauf
setzt, den Menschen Angst vor Neuem einzuflößen. Spätestens wenn sie wieder einmal in Verantwortung kommen will, muss sie den Menschen erläutern, wie sie es
selbst auf die Reihe bringen will.
({0})
Genau diese Strategie, das Schüren von Angst und
Sorge, wird jedoch mit der vorliegenden Großen Anfrage der Grünen verfolgt, indem die CO2-Abscheidungs- und -Speicherungstechnologie als „Großexperiment“ mit „unbestreitbaren Risiken“ und einer „Vielzahl
offener Fragen“ bewusst diffamierend hinterfragt wird.
({1})
Mit dem Ergebnis der öffentlichen Anhörung unseres
Ausschusses vom März 2007, mit der Antwort der Bundesregierung auf die fast wortgleiche Kleine Anfrage der
Grünenfraktion vom April 2007 und dem gemeinsamen
Bericht des BMWi, des BMU und des BMF vom
September 2007 sind die in der Großen Anfrage teilweise polemisch gestellten Fragen längst beantwortet.
Wenn man ehrlich ist, muss man sagen, dass es bei der
Anfrage gar nicht darum geht, ob man CCS möchte oder
nicht. Vielmehr geht es um die grundsätzliche Frage der
Kohleverstromung unter den Bedingungen des Klimaschutzes.
Eine nur nationale Betrachtung ist beim Klimaschutz
unsinnig und würde von den Menschen nicht akzeptiert.
Was nutzt eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in
Deutschland um 40 oder 80 Prozent, wenn gleichzeitig
in Asien bei steigendem Pro-Kopf-Bedarf der Strom in
Kohlekraftwerken mit einem Wirkungsgrad von unter
30 Prozent produziert wird?
({2})
Erinnern Sie sich bitte an die Aussagen der Mitglieder
des Energieausschusses der russischen Duma bei uns im
Umweltausschuss. Da wurde gesagt, Russland sei jederzeit bereit, Deutschland das gewünschte Erdgas zu liefern; wir Deutsche sollten uns dann aber bitte nicht einmischen, wenn in Russland weiter Kohle verstromt wird.
({3})
Was macht es für einen Sinn, in Deutschland russisches
Erdgas zur Stromerzeugung einzusetzen und dafür in
Russland Kohle in Kraftwerken mit deutlich geringerem
Wirkungsgrad als hierzulande zu verstromen?
({4})
Was macht es für einen Sinn, wenn man singulär sowohl
aus der Kohleverstromung als auch aus der CCS-Technologie aussteigt, obwohl man Technologieführer ist?
Übrigens: Auch bei der Verstromung von Gas wäre es
wichtig, die CCS-Technologie einzusetzen;
({5})
denn es gibt kein gutes CO2 aus der Verbrennung von
Gas oder Biomasse und böses CO2 aus der Verbrennung
von Kohle.
({6})
Wenn man überzeugt ist, dass anthropogen erzeugtes
CO2 einen wesentlichen Anteil an der derzeitigen Klimaveränderung hat und wir auch nach 2020 alle Anstrengungen unternehmen müssen, um den CO2-Ausstoß zu
reduzieren, muss man Ja zur CCS-Technologie sagen.
({7})
Es ist allerdings schon sehr grenzwertig, wie Sie sich
in der vorliegenden Anfrage zur CCS-Technologie positionieren. Da werden Zweifel an der Technologie geschürt, indem sie als PR-Instrument verunglimpft wird.
Da wird die Wirtschaftlichkeit mehr als kritisch hinterfragt. Da werden Ängste vor Umweltschäden bei Transport und Lagerung geschürt. Da wird Furcht vor Gesundheitsrisiken infolge von Leckagen eingeflößt. In der
Überbetonung der Risiken und der Negation der Chancen der CCS-Technologie liegt die große Gefahr, dass
die notwendige gesellschaftliche Diskussion verunsachlicht wird.
({8})
Für eine sachliche Diskussion ist es erforderlich, die drei
Rechts- und Sachbereiche, die Sie schon erwähnt haben
- Abscheidung, Transport und Speicherung -, säuberlich
zu trennen und zu analysieren,
({9})
wie weit wir gekommen sind und welche Schritte noch
notwendig sind, um auf einen ausreichenden Erkenntnisstand zu kommen.
Bei der CO2-Abscheidung stehen mit der Rauchgaswäsche, der Vorvergasung und der Oxyfuel-Technologie
zurzeit drei Technologien mit unterschiedlichem Anarbeitungsstand zur Verfügung.
({10})
Für die Erkenntnisgewinnung bei der Oxyfuel-Technologie steht uns zum Beispiel die 0,5-MW-Testanlage des
BMWi-Forschungsverbundprojektes in Jänschwalde zur
Verfügung. Eine größere Erprobungsanlage geht in diesem Sommer in Schwarze Pumpe in Betrieb.
({11})
- Das sind Erprobungen. Sie sollten zwischen Forschung
und Erprobung unterscheiden. So viel Technologiekenntnis sollten Sie schon mitbringen.
RWE Power engagiert sich bei der Vergasungs- bzw.
IGCC-Technologie, bei der auch andere Brennstoffe wie
Biomasse, Abfälle oder Klärschwemme eingesetzt werden können; im Jahr 2014 soll ein Kraftwerk mit dieser
Technologie in Betrieb genommen werden. Die
Rauchgaswäsche, wiederum eine Abscheidungstechnologie - Sie kennen sie -, kann in bestehenden Kraftwerken nachgerüstet werden. Wir wissen wohl, dass dafür Platz benötigt wird. Die Technik kann aber schon
genutzt werden und wird zurzeit verbessert.
({12})
Selbstverständlich finden Erprobungen dieser Technologien nicht nur in Deutschland statt. Die Forschung
an diesen Technologien wird, wie aus den eingangs genannten Unterlagen zu ersehen ist, von der Europäischen
Union gefördert. Es ist dann die Frage, ob wir uns mit
unserem Wissensvorsprung aus dieser Technologie und
der Forschungsförderung ausklinken wollen.
Der Transport des abgeschiedenen CO2 von den Abscheidungsorten zu den möglichen Lagerstätten ist
grundsätzlich technisch gelöst. Bereits jetzt existieren
CO2-Fernleitungen, und es geht rein technisch gesehen
um das Problem der Dimensionierung dieser Leitungen.
({13})
Allerdings müssen wir rechtliche Fragen beantworten. Es sollte für jeweils eine Fernleitung nur eine Genehmigungsstelle und für alle betroffenen Bundesländer
nur ein vorlaufendes Raumordnungsverfahren geben.
({14})
Das wäre sehr wichtig.
Genauso sollten wir uns dringend überlegen, ob wir
das Genehmigungsverfahren durch eine Regelung entsprechend Ziffer 19.2 Anlage 1 zum UVPG ergänzen
und beschleunigen.
({15})
Grundsätzlich sollten auch CO2-Fernleitungen unter die
Rohrfernleitungsverordnung fallen.
Zur Frage der Lagerung von CO2 gibt es wohl den
höchsten Bedarf an Erkenntniszuwachs. Es dürfte aber
jedem bekannt sein, dass Millionen Jahre alte natürliche
CO2-Lagerstätten existieren, ohne dass sie uns gefährden.
({16})
Auch die Möglichkeit der CO2-Ablagerung in ausgebeuteten Erdgas- und Erdölfeldern bzw. zur Steigerung der
Förderung ist Stand der Technik. Doch die weitaus
größte Speicherkapazität liegt in Deutschland in den salinaren Aquiferen, nach oben dichten, porösen Gesteinsschichten, in denen sich salzhaltiges Wasser angesammelt hat. Hierzu sind noch umfangreiche Erkundungsund Forschungsaktivitäten notwendig.
({17})
Auch an dieser Stelle sind rechtliche Klarstellungen
erforderlich. Der nun seit gestern vorliegende, allerdings
noch unabgestimmte CCS-Richtlinienentwurf der EU
befasst sich nicht mit den eigentumsrechtlichen Fragestellungen der Lagerstätten. Deshalb stehen nach § 905
Satz 1 BGB in Verbindung mit § 3 Bundesberggesetz geologische Aquifere im Eigentum des Eigentümers der Bodenoberfläche. So könnte der Eigentümer nach Satz 2
des § 905 BGB die CO2-Einlagerung untersagen, wenn
er daran kein Interesse hat. Schon die Erkundung und
Erforschung einer solchen Lagerstätte könnte dadurch
auf unüberwindliche Hindernisse stoßen. Wir müssen
deshalb meiner Auffassung nach umgehend ein in Anlehnung an das Bergrecht entwickeltes ErkundungsgeUlrich Petzold
setz beschließen, um eine sichere Forschungsbasis zu
haben.
({18})
Genauso steht ein Untergrundraumordnungsgesetz
aus, nach dem gegenläufige Interessen am Untergrund
gegeneinander abzuwägen wären. Dazu gibt es einen
klaren Fingerzeig in dem uns vorliegenden Entwurf der
CCS-Richtlinie, die Sie wahrscheinlich auch schon gelesen haben.
Lassen Sie uns nicht mit emotionalen Schnellschüssen und Angstkampagnen, sondern mit Forschung, sachlicher Diskussion und Information auf die neue CCSTechnologie reagieren!
Danke schön.
({19})
Das Wort hat nun der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
gedacht, zu später Stunde würden wir heute hier eine
Fachdiskussion führen. Aber das, was Sie, Frau KottingUhl, abgeliefert haben, war so was von unterirdisch, dass
man es fast schon einlagern müsste.
({0})
- Nach Bergrecht, genau. ({1})
Der Weggang von Herrn Loske führt offensichtlich dazu
- das merkt man sehr deutlich -, dass die grüne Umweltpolitik sich von Argumenten verabschiedet und sich ideologisch nach links verschiebt. Was hier heute von Ihnen
geboten wurde, ist zumindest nach meiner Kenntnis die
Linie von Herrn Fell, und die hat auf Ihrer Bundesdelegiertenkonferenz damals keine Mehrheit gefunden.
({2})
Aber das müssen Sie vielleicht innerparteilich klären.
Auf jeden Fall ist das, was Sie hier von sich gegeben
haben, so, dass Sie lange in der Opposition bleiben sollten, meine Damen und Herren. Sie wollen gleichzeitig
aus der Kernenergie und der Kohle aussteigen, und beim
vorletzten Tagesordnungspunkt hat Ihre Kollegin beklagt, dass die Energiepreise so steigen. Das passt leider
überhaupt nicht zusammen.
({3})
Die Internationale Energie-Agentur hat in ihrer Technologiestudie sehr deutlich gemacht, dass wir nur dann,
wenn wir tatsächlich alle derzeit verfügbaren Technologien global nutzen, die CO2-Emissionen, bezogen auf
ein Szenario bis zum Jahre 2050, in etwa auf dem Stand
von heute halten, wenn wir also ansonsten keine Fortschritte bei den Technologien, die wir heute haben, machen würden. Das bedeutet, wir müssen unsere Politik
ganz klar auf das Jahr 2050 ausrichten. In der Phase von
heute bis zum Jahre 2050 entscheidet sich also, was klimatisch auf unsere Urenkel zukommen wird. Sie können
nicht wie das Kaninchen vor der Schlange erstarren und
nur auf das Jahr 2020 schauen.
({4})
Wenn Sie Ihre Politik nur auf das Jahr 2020 ausrichten,
machen Sie keine nachhaltige Politik für dieses Jahrhundert. Deshalb sollte man nicht das Argument vorbringen,
bis 2020 sei CCS nicht einsatzreif. Nein, das wird es
nicht sein, aber auch das solare Zeitalter wird bis 2020
nicht angebrochen sein.
({5})
Das solare Zeitalter wird vielleicht im Jahre 2050 anbrechen. Deshalb ist das Gebot der Stunde, auf einen entsprechenden Energiemix zu setzen, und zwar über 2020
hinaus.
({6})
Selbst wenn wir es in Deutschland schaffen würden,
ohne Kohleverstromung und damit ohne CCS auszukommen - ({7})
- Ja, jetzt kommt China. Dort und auch in anderen Ländern gibt es noch sehr große Kohlevorkommen.
({8})
Auch wenn die deutschen Grünen meinen, die Kohle
sollte in der Erde gelassen werden, werden die Chinesen
das nicht tun.
({9})
Wir sagen: Es ist besser, beim Verbrennen dieser Kohle
mit CO2-Abscheidungen zu arbeiten als ohne; denn das
CO2 aus China belastet Ihr Klima genauso wie das der
Chinesen.
({10})
Deswegen sollten wir uns mit den Grünen oder den
Linken nicht mehr groß darüber unterhalten, ob wir uns
mit CCS beschäftigen, sondern wir sollten das tun, was
international Stand der Diskussion ist, nämlich in CCS
einsteigen und CCS zumindest für die nächsten 40,
50 Jahre als Übergangstechnologie nutzen. Das bedeutet,
dass wir jetzt die notwendigen Schritte einleiten, die Errichtung von Erprobungskraftwerken auf den Weg bringen und die offenen Forschungsfragen klären müssen sowie die staatlichen Ebenen ihre Hausaufgaben bei den
Genehmigungsverfahren machen müssen, damit diese
möglichst einfach über die Bühne gehen. Schließlich
müssen wir - insbesondere die Diskussion, die wir hier
heute führen, zeigt, wie dringlich das ist - eine Informationskampagne mit sachlicher Aufklärung über CCS
starten; denn Ihre Aussage, wir hätten ein neues Endlagerproblem, wird - ich sehe es schon kommen - sich in
folgender Form auf Plakaten der Grünen wiederfinden:
Kein Klimagift unter meinem Haus!
({11})
- Frau Bulling-Schröter, dass Sie dieses Niveau noch unterschreiten, darauf hätte ich gewettet. - Es ist jedenfalls
so, dass wir jeden Tag CO2 einatmen und in Getränken
Kohlensäure zu uns nehmen. Was da unter unseren Häusern liegt, ist also kein Klimagift.
({12})
Wenn Sie auf diese Weise diese Technologie verteufeln, dann schaden Sie dem Klimaschutz, dann verringern Sie unsere Wettbewerbsfähigkeit und machen unser
Land noch abhängiger - herzlichen Glückwunsch dazu
den Grünen - von den Lieferungen des Herrn Putin.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Für die Bundesregierung hat nun das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erfolgreicher Klimaschutz braucht technologische
Innovationen,
({0})
vor allem, Frau Kotting-Uhl, bei neuen und erneuerbaren
Energien, vor allem für mehr Energieeffizienz, vor allem
für wirksamere Energieeinspartechnologien.
({1})
Deutschland nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. Wir
brauchen aber auch technologische Innovationen bei den
traditionellen, den fossilen Energieträgern. Denn ganz
unabhängig davon, wie wir uns in Zukunft in Deutschland entscheiden, werden diese fossilen Energieträger
weltweit noch lange genutzt werden, ob wir wollen oder
nicht.
({2})
Weil Klimaschutz keinen Aufschub duldet, müssen auch
diese Technologien in Zukunft klimafreundlicher werden.
Jede technologische Innovation beginnt mit einer Idee
und ihrer Erforschung, ohne zu wissen, ob sie am Ende
umsetzbar, ob sie realistisch, ob sie bezahlbar, und auch,
ob sie verantwortbar ist. Aber ohne den Mut und ohne
die Kraft, in die Forschung zu investieren, um genau das
herauszufinden, wären viele große Erfindungen, auch
Erfindungen, auf die Sie wie wir alle zu Recht stolz sind,
nicht zustande gekommen.
({3})
Deshalb brauchen wir diese Debatte.
Am Anfang der Diskussion über neue Technologien
stehen meistens Übertreibungen. Das konnten wir auch
in dieser Debatte erleben. Auf der einen Seite gibt es
übertriebenen Optimismus, der nur die Chancen sieht
und die Risiken ausblendet. Auf der anderen Seite bestehen übertriebene Ängste und Sorgen, die bewirken, dass
nur die Risiken gesehen werden, was den Blick auf die
Chancen verstellt. Wir brauchen bei dieser Thematik
aber eine sachlich fundierte Diskussion. Ich will drei
Punkte besonders hervorheben:
Erstens. CCS ist im Rahmen einer Gesamtklimaschutzstrategie eine technologische Option - nicht mehr,
aber auch nicht weniger.
({4})
CCS kann, muss aber nicht, die langfristige Nutzung von
Kohle mit den Erfordernissen des Klimaschutzes versöhnen. Deswegen müssen wir in Forschung und Erprobung
der CCS-Technologie investieren, gerade auch angesichts der weltweit existierenden Kohlevorräte.
Gleichzeitig ist aber auch klar, dass noch lange nicht
erwiesen ist, ob diese Option tatsächlich alle Hoffnungen erfüllt und zu welchen Preisen. Die Bundesregierung verfolgt daher eine No-Regret-Strategie „CCS vorantreiben“ und wird gleichzeitig alle schon jetzt
verfügbaren Möglichkeiten zur Emissionsminderung
durch erneuerbare Energien und durch erhöhte Energieeffizienz massiv ausbauen. Es geht also nicht um ein
Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.
({5})
Zweitens. CCS in Deutschland kann eine Brückentechnologie in das Zeitalter der Vollversorgung aus erneuerbaren Energien sein. Die Potenziale für CO2-Speicher in Deutschland sind groß, aber sie sind nicht
unendlich. Konservative Schätzungen gehen davon aus,
dass die in Deutschland verfügbaren Speicherpotenziale
für etwa - Sie haben es selbst gesagt - eine Kraftwerksgeneration des bestehenden deutschen Kraftwerksparks
ausreichen. Das bedeutet: Selbst wenn diese Technik
funktioniert, ist sie keine Lösung für die Ewigkeit. CCS
kann aber die Brückentechnologie für die Zeit zwischen
2020 und 2050 sein, in der Deutschland keine Atomkraft
mehr nutzt, aber auch noch nicht in der Lage sein wird,
eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien sicherzustellen.
Drittens. Wir brauchen einen rechtlichen Rahmen für
die CCS-Technologie. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Noch steht die Diskussion über CCS in der Öffentlichkeit ganz am Anfang. Sie wird aber an Dynamik gewinnen, wenn wir, wie jetzt geplant, in der Altmark erste
CO2-Ablagerungen durchführen. Wir müssen durch
kluge und rechtzeitige Rechtsetzung den Menschen klarmachen, dass Sicherheit hier die allerhöchste Priorität
hat.
Sie wissen, dass die EU-Kommission in wenigen Tagen den Entwurf einer CCS-Richtlinie vorlegen wird.
Wir werden dann den Entwurf für ein nationales CCSGesetz erarbeiten. Es ist auch die Aufgabe des Parlamentes, dabei mitzuhelfen, dass bei der Arbeit an dieser
Rechtsetzung und bei der Vorbereitung weiterer Schritte
dieses Thema sachlich und nicht nur aus dem Bauch heraus und emotional diskutiert wird. Wir sollten sehr wohl
die Risiken betrachten und bewerten. Aber wir müssen
auch die Chancen sehen, die darin liegen.
Erst wenn wir diese Debatte geführt haben und wenn
die ersten Erprobungen stattgefunden haben, werden wir
in einigen Jahren wissen, ob, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis CCS ein Beitrag für die deutsche und die internationale Klimaschutzpolitik sowie für
die zukünftige Nutzung der Kohle sein kann. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Endlich reden wir einmal ausführlicher über
CCS, also über die Abscheidung, die Verflüssigung und
die unterirdische Verpressung von Kohlendioxid aus
Kraftwerksemissionen. Ich sage es gleich zu Anfang:
Das Technologieversprechen CCS ist unserer Meinung
nach ein unlauterer Versuch der Energiewirtschaft, die
Ära der Kohleverstromung noch weitere 50 Jahre zu verlängern.
({0})
Es geht eben nicht um Klimaschutz. Es geht vielmehr
darum, einen tatsächlichen Wandel in der Energiewirtschaft zu verhindern, indem man den Leuten weismacht,
das Fehlen fossiler Energien sei in Kürze kein Problem
mehr. „CO2-freies Kraftwerk“, „Clean Coal“ usw. lauten
die verlogenen Slogans der Branche. Sie tun so, als
würde sich das Kohlendioxid wie durch geheimnisvollen
Zauber in Nichts auflösen.
({1})
Dabei sollen Milliarden Tonnen des Klimakillers
schlicht dahin verfrachtet werden, wo sie unserer Meinung nach überhaupt nichts zu suchen haben, nämlich
unter die Erde. Bis heute weiß aber niemand, ob wir uns
mit dem verflüssigten CO2 nicht ein neues, gigantisches
Endlagerproblem unter die Schuhsohlen pressen.
({2})
Über die Jahre sollen Milliarden Tonnen in Salzwasserschichten und Kavernen verschwinden.
Dass es hierbei um gewisse Fehlinformationen geht,
sieht auch das Berliner Landgericht. Es hat Vattenfall
Europe gerade per einstweiliger Verfügung untersagt,
mit dem Begriff „CO2-frei“ für sein CCS-Pilotprojekt in
der Lausitz zu werben. Das ist doch interessant, oder?
Nun, uns verwundert es nicht, dass Energieversorger wie
RWE oder Vattenfall nach Strohhalmen greifen bzw.
diese erst erfinden. Die Konzerne stehen schließlich unter extremem Druck. Der Klimawandel ist kein von
Ökos an die Wand gemaltes Gespenst, sondern mittlerweile bittere Realität. Hauptursache ist Kohlendioxid
aus Kohlekraftwerken, und deshalb ist der politische
Druck zum Ausstieg aus den fossilen Energien enorm
gewachsen. Die Bevölkerung weiß inzwischen, dass es
vernünftige, umweltfreundliche Alternativen gibt, nämlich den Ausbau erneuerbarer Energien. Dieser Bereich
wächst rasant, und die Preise für Energie aus erneuerbaren Rohstoffen fallen.
({3})
Auch die Energieeinsparung wird schrittweise Programm.
In dieser Klemme steckend, steht die Energiewirtschaft zumindest in Deutschland vor der Aufgabe, bis
2020 knapp die Hälfte des Kraftwerksparks in Deutschland zu erneuern. Was also tun? Die Kohlekraftwerksbranche sitzt ziemlich im Schlamassel. Ich kann mir vorstellen, wie man mit schwitzenden Händen und
dampfenden Köpfen darüber gebrütet hat, wie zu retten
ist, was nicht mehr zu retten ist.
({4})
Die Stromversorger versprechen nun das Blaue vom
Himmel. Fest steht aber, dass die Abscheidetechnik,
wenn es sie überhaupt geben wird, frühestens 2020 zur
Verfügung stehen wird. Dann sind aber schon rund
40 Prozent des Kraftwerksparks erneuert worden. Ob für
den neuen Block 6 des Staudinger Kraftwerks in Hessen
oder die geplanten Kohlekraftwerke Klingenberg in Berlin-Lichtenberg und Moorburg in Hamburg CCS-Technik nachträglich tatsächlich eingesetzt werden kann,
steht in den Sternen. Deshalb kämpft die Linke gemeinsam mit Bürgerinitiativen gegen diese Projekte.
({5})
Zudem wird der Spuk extrem teuer. Die mühsam
hochgetriebenen Wirkungsgrade der Anlagen sinken mit
CCS-Technik wieder um ein Drittel. Das wissen Sie.
Warum, so frage ich, nutzen wir nicht die Gelder und
bauen damit einen internationalen Stromverbund für erneuerbare Energien? Warum forschen wir nicht mit den
Milliarden, um die Effizienz der Nutzung von Biomasse
zu erhöhen?
Zum Abschluss möchte ich Ihnen zur Kenntnis geben,
dass in Norwegen gerade zwei CCS-Pilotvorhaben gestoppt wurden, die die norwegische Regierung noch vor
einem Jahr großspurig als „Mondlandeprojekte“ verkauft hat. Begründung: Es sei unmöglich, die teure Reinigungs- und Lagertechnik wirtschaftlich zu betreiben.
Herr Kauch, zu dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit sollten Sie einmal Stellung nehmen.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Dirk Becker für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, es zeugt von Fehleinschätzung der Sachlage,
wenn man sich hier hinstellt und sagt: Die Energiewirtschaft befindet sich in einer Zwickmühle. - Das ist eine
Falle. Ich glaube, wir sollten fairerweise sagen, dass sich
die Politik und gewissermaßen die gesamte Gesellschaft
in einer Zwickmühle befinden, weil sie über einen langen Zeitraum auf fossile Energien gesetzt haben und nun
in einem relativ kleinen Zeitraum die Kurve kriegen
müssen.
({0})
Es ist in der Tat angezeigt - dafür danke ich der Frau
Staatssekretärin ausdrücklich -, heute nicht so zu tun, als
wüssten wir schon die Antworten. Heute sollte es darum
gehen, eine ehrliche Bestandsaufnahme vorzunehmen.
So habe ich Ihre Anfrage verstanden. Sie haben ja berechtigte Fragen formuliert, die wir uns stellen müssen.
({1})
Ich möchte kurz den Hintergrund ansprechen; Herr
Kauch und andere haben darauf hingewiesen. Wir haben
2020 unsere Ziele ja noch nicht erreicht. Wir werden von
2020 an etwa 30 Jahre Zeit haben, um noch einmal eine
vergleichbare Leistung an CO2-Reduktion in Deutschland und international zu erreichen. Da stellt sich die
Frage, mit welchen Instrumenten wir das tun.
Wir Sozialdemokraten haben immer ganz klar gesagt,
dass wir eine Effizienzstrategie und eine Strategie mit einem noch massiveren Ausbau der erneuerbaren Energien
brauchen. Das sind zwei wichtige Faktoren. Wir wollen
so wenig fossile Energie wie möglich, aber wir müssen
auch die Frage beantworten, wie der restliche Anteil fossiler Energien so effizient und schadstoffarm wie möglich erzeugt werden kann.
Da ist folgende Frage nicht von der Hand zu weisen:
Kann CCS einen Beitrag leisten? Kann es Teil der Lösung sein? Die Antwort darauf - das will ich ganz deutlich sagen - kennen wir heute nicht. Wir diskutieren
auch in der eigenen Fraktion über diese Frage offen und
kontrovers. Wir haben einen enormen Forschungsbedarf.
Wir Sozialdemokraten wollen eine verantwortungsvolle
Entscheidung und keine Schwarz-Weiß-Malerei. Wir
wollen heute noch keine Festlegung, da noch reichlich
Daten und Wissen fehlen. Lassen Sie uns die Diskussion
bitte auf einer fundierten Datenbasis führen. Lassen Sie
uns die Zeit nehmen, die uns bleibt. Lassen Sie uns in
Forschung und Entwicklung das investieren, was wir
brauchen. Denn möglicherweise ist CCS unentbehrlich.
Gleichermaßen kann man die Frage, die die Opposition formuliert hat, nicht von der Hand weisen. Wir wissen heute noch nicht, ob die Einlagerung ökologisch so
unproblematisch sein wird, wie das einige heute annehmen. Es gibt Erfahrungsprojekte, die aber erst etwa zehn
Jahre auf dem Buckel haben. Wir wissen nicht, ob das
Ganze ökologisch vertretbar ist. Die Fragen nach der
wirtschaftlichen Vertretbarkeit, der Effizienz und des
Wirkungsgrades müssen beantwortet werden. Das werden und wollen wir beantworten, aber nicht kurzfristig
und emotional, um auf irgendwelchen Stimmungen zu
reiten. Wir treffen vielmehr Entscheidungen, die letztlich
einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Beitrag
zum Umbau der Energiegesellschaft leisten, für die wir
Sozialdemokraten stehen.
({2})
Ich möchte eines sehr deutlich machen: Wir müssen
die Frage stellen, was wäre, wenn CCS tatsächlich scheitert. Diese Frage muss man gleichzeitig, also parallel,
bearbeiten. Ich sage sehr deutlich: Ich höre dazu vorschnelle Aussagen. Die einen sagen: Eine stärkere Erdgasstrategie, wie einige, auch einige Verbände, sie vorschlagen, würde die Abhängigkeit Deutschlands nicht
mindern. Es gibt andere, die sagen: Na ja, da gibt es
Ausgleichspotenziale.
Ich habe einfach nur die Bitte, dass wir nicht schon
heute Vorfestlegungen hinter vorgehaltener Hand vornehmen. Wir müssen Parallelszenarien entwickeln.
({3})
Das betrifft die Frage einer stärkeren Gasstrategie. Das
betrifft die Frage, wie wir mit Kombikraftwerken und
auch mit virtuellen Kraftwerken neue Technologien, die
bisher eher ein Nischendasein fristen, wesentlich offensiver und stärker in das Gesamtpaket einbeziehen, um
die fossilen Brennstoffe insgesamt so stark und so
schnell wie möglich zu reduzieren. Das müsste gemeinsames Ziel aller Fraktionen im Deutschen Bundestag
sein.
({4})
Letzter Punkt mit Blick auf China. Ich weiß um die
Argumente. Man sagt, dass in China pro Woche Pi mal
Daumen ein neues Kohlekraftwerk ans Netz geht. Das
heißt, bis CCS zur Verfügung stünde - man kann das
jetzt nicht mathematisch hochrechnen; irgendwann ist
ein Stand erreicht, wo Versorgungssicherheit vorliegt -,
sollten wir uns dringend überlegen, was das bedeutet.
Es gibt zwei Schlussfolgerungen: Erstens könnte man
schon heute versuchen, zu erreichen, dass in China künftig nur noch Kraftwerke ans Netz gehen, die zumindest
technisch die Option einer Nachrüstung zulassen; das
müsste in unserem eigenen Interesse sein. Zweitens
könnte man auch schon heute in den Schwellen- und
Entwicklungsländern noch stärker die Strategie fahren,
weniger auf fossile Kraftwerke und noch massiver auf
Effizienz und erneuerbare Energien zu setzen.
({5})
Ich glaube, wenn wir versuchen, dieses Problem gemeinschaftlich und sachlich einer Lösung zuzuführen,
können wir diesen Umbau in ein neues Energiezeitalter,
wie wir ihn uns vorstellen, positiv schaffen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Zu Zusatzpunkt 6 wird interfraktionell die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/5131 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe ({0})
- zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD
Die Rechte der Roma in Europa stärken
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Volker Beck ({1}), Marieluise Beck ({2}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zu der Beratung der Großen Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck ({3}),
Marieluise Beck ({4}), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Situation von Roma in der Europäischen Union, in den EU-Beitrittsländern und
im Kosovo
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Volker Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zu der Beratung der Großen Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck ({7}),
Marieluise Beck ({8}), Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Situation von Roma in der Europäischen Union, in den EU-Beitrittsländern und
im Kosovo
- Drucksachen 16/5736, 16/918, 16/5784, 16/5785,
16/7768 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Angelika Graf ({9})
Burkhardt Müller-Sönksen
Ute Koczy
Zur Beschlussempfehlung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Stärkung der
Rechte der Roma in Europa liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion
das Wort.
({10})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zum Einstieg ein paar nüchterne Zahlen: Vor
allen Dingen im 11. und 12. Jahrhundert kamen die Vorfahren der heutigen Sinti und Roma aus Indien nach Europa. Etwa 10 Millionen der derzeit insgesamt
493 Millionen Einwohner der EU werden ihrer ethnischen Gruppe zugerechnet. In Deutschland sind Sinti
und Roma seit etwa 600 Jahren beheimatet. Zwischen
1933 und 1945 wurden mindestens 500 000 Sinti und
Roma in den Gaskammern der Nazis ermordet. Derzeit
leben circa 70 000 Sinti und Roma als anerkannte ethnische Minderheit in Deutschland.
Trotz ihrer europäischen Identität, der immer noch
andauernden Aufarbeitung der Verbrechen während der
Nazizeit und vielfältiger Maßnahmen auf europäischer
und nationaler Ebene zu ihrer Integration sind Sinti und
Roma auch heute noch, wie wir wissen, starken Diskriminierungen und rassistischen Vorurteilen ausgesetzt.
Jiri Cunek zum Beispiel, der Vorsitzende der tschechischen Christdemokraten, erklärte in der letzten Woche auf einer Parteiveranstaltung zum Umgang mit
Roma in seinem Land - Zitat -:
Alles muss darauf ausgerichtet sein, die Strukturen
dieser Gemeinschaft zu ändern.
Angelika Graf ({0})
Er behauptet, die Roma-Kultur sei unvereinbar mit den
grundlegenden Prinzipien der Organisation der Mehrheitsgesellschaft. Damit tritt er all diejenigen Roma mit
Füßen, die sich längst ihren Platz in unserer Gesellschaft
gesucht und ihn gefunden haben. Er fordert, dass Sozialleistungen an Roma nur noch gegen gemeinnützige Arbeit gezahlt werden. Wer dazu nicht bereit ist, dessen
Kinder sollen in Heime verbracht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts des hohen Ausmaßes an Menschenverachtung und Geschichtslosigkeit, das in diesen Äußerungen deutlich wird, bin
ich sprachlos.
({1})
Zur Integration von Minderheiten gehört nach meinem
Verständnis immer auch, dass die Mehrheitsgesellschaft
auf die Minderheitsgesellschaft zugeht. Ich denke, hier
hat Tschechien in den letzten Jahren kläglich versagt. Zu
diesem Ergebnis kommt man vor allem dann, wenn man
an die Prostitution insbesondere von Roma-Frauen an
der deutsch-tschechischen Grenze denkt.
Aussagen wie die des Herrn Cunek machen in den
Medien in regelmäßigen Abständen die Runde. Man
kann feststellen: Sinti und Roma sind in Europa nie eine
geliebte Minderheit gewesen. Vorurteile, Rassismus und
Diskriminierungen gibt es seit Jahrhunderten. Sie sind
für die Sinti und Roma in Europa harte Realität.
Auch heute gibt es in den Bereichen Bildungs- und
Arbeitsintegration, Wohnsituation und Gesundheitsversorgung so eklatante Ausschlüsse aus der Mehrheitsgesellschaft, dass dies in einem Teufelskreis von Armut
von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.
Dieser Rassismus in Europa geht ebenso von den Menschen bzw. der Gesellschaft wie von den Behörden aus.
Es wird mit Vorurteilen Politik gemacht. Ich denke,
manch einem kommt ein Verbrechen eines Roma sicherlich gerade recht, um im Wahlkampf Stimmen am rechten Rand einzusammeln.
Als mein Kollege Johannes Jung im Juni des vergangenen Jahres in der ersten Lesung des heute vorliegenden Antrags der Koalitionsfraktionen gesprochen hat,
hat er darauf hingewiesen: Wie in anderen europäischen
Staaten gibt es auch in Deutschland die Diskriminierung
von Mitbürgern, die den Gruppen der Roma und Sinti
angehören. Die Wohnsituation und insbesondere die Beschulung von Roma-Kindern liegen nach wie vor im Argen. Kinder aus Roma-Familien sind sicherlich nicht
dümmer als Kinder aus anderen ethnischen Gruppen;
trotzdem ist die Anzahl der Roma-Kinder in deutschen
Förderschulen unangemessen hoch, wobei man sich sicherlich damit auseinandersetzen muss, wie Roma-Familien mit der Schulpflicht ihrer Kinder umgehen.
Es hätte der Koalition sicherlich gut angestanden, auf
die Situation in Deutschland ausdrücklich einzugehen
und auf Punkte hinzuweisen, bei denen vielleicht Handlungsbedarf besteht. Dies ist - das hat Johannes Jung
schon bei der ersten Lesung deutlich gemacht - bei der
Erarbeitung des Antrags schwierig gewesen und an den
Einsprüchen der Innenpolitiker unseres Koalitionspartners gescheitert. Deswegen konnten wir dem Ansinnen
der Grünen, nach der ersten Lesung einen gemeinsamen,
fraktionsübergreifenden Antrag zu entwickeln, in den
die nun als Änderungsanträge vorliegenden Punkte einfließen, leider nicht entsprechen. Wir werden deshalb
den diesbezüglichen Änderungsantrag der Grünen zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses ebenso wie die
vorliegenden Anträge der Grünen ablehnen.
Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass die im
Entschließungsantrag der Grünen niedergelegte Aufforderung an die Bundesregierung, gemeinsam mit den
Partnern in der EU und mit dem Europarat Programme
zu entwickeln, die den Zugang dieser Menschen zu Arbeitsmarkt, Schulbildung, Gesundheitswesen, Leistungen der sozialen Sicherheit und angemessenem Wohnraum sowie ihre Teilnahme an Wahlen etc. pp. zum Ziel
haben, auch für uns selbst gilt? Ich denke, da sind der
Kreativität von Bund, Ländern und Kommunen keine
Grenzen gesetzt.
({2})
Fest steht: Die Lebenswirklichkeit der Sinti und
Roma in Deutschland und in der EU ist sehr vielfältig.
Es gibt - ich sagte das schon - viele Sinti und Roma, die
in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind,
ohne dass sie ihre Kultur abgelegt hätten. Es ist sicher
ein Problem für viele, ihr Erbe mit dem Zeitgemäßen zu
verbinden, es verbinden zu müssen. Hier leisten die Räte
und Selbstorganisationen hervorragende Arbeit, für die
wir ihnen herzlich danken, zumal diese Arbeit vor dem
Hintergrund des in der Vergangenheit erlittenen Leides
sicher oft nicht einfach ist.
Lange Diskussionen haben wir geführt über die bereits 1982 beschlossene, überfällige Errichtung des
Denkmals für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma. Ich freue mich deshalb, dass dies endlich in trockenen Tüchern zu sein
scheint. Der Bund hat 2 Millionen Euro für die Finanzierung bereitgestellt. Das Land Berlin stellt ein Grundstück im Tiergarten zur Verfügung. Der Bundesrat hat
vor dem Hintergrund des 65. Jahrestages des AuschwitzErlasses am 20. Dezember letzten Jahres auf Initiative
des Landes Rheinland-Pfalz ein schnelles Vorgehen beschlossen.
({3})
Staatsminister Neumann hat diesen Beschluss ausdrücklich begrüßt. Am 23. Januar wird dieses Konzept dem
Kulturausschuss des Deutschen Bundestages vorgestellt.
Auch die schwierige Einigung der Opferverbände auf
den Text für das Mahnmal steht anscheinend kurz bevor.
Wir sehen deshalb keinen Anlass für den diesbezüglichen Antrag der Grünen zur Änderung der Beschlussempfehlung. Mit den von der Koalition vorgeschlagenen
Änderungen des ursprünglichen Antragstextes wollen
wir noch einmal auf den wieder in Bewegung gekommenen europäischen Verfassungsprozess und die daraus folgende Rechtsverbindlichkeit der Charta der Grundrechte
hinweisen, in deren Art. 21 ein Verbot von Diskriminierungen, insbesondere aufgrund der ethnischen Herkunft
Angelika Graf ({4})
oder der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit,
ausgesprochen wird. Trotz aller Gegensätze im Detail
sind wir uns, denke ich, im Grundsatz einig: Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung in Bezug auf
Sinti und Roma in Deutschland und in Europa müssen
entschieden bekämpft werden.
({5})
Weil mir der Kampf gegen Rassismus so sehr am Herzen liegt, appelliere ich von dieser Stelle aus an das Bundesministerium des Innern - ich nehme damit eine Diskussion aus dem Menschenrechtsausschuss auf -, die
Kritik an dem Arbeitsentwurf zum Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus ernst zu nehmen. Wir brauchen,
auch für unsere internationale Glaubwürdigkeit, einen
Aktionsplan, der unserer Selbstverpflichtung, die wir
2001 in Durban eingegangen sind, entspricht. Tun Sie im
Innenministerium etwas dafür, damit wir da im internationalen Vergleich gut aufgehoben sind!
({6})
Nächster Redner ist nun der Kollege Florian Toncar
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es wird der Bedeutung des Themas
gerecht, dass wir diese Debatte heute Abend noch führen.
Die Gruppe der Roma ist die größte ethnische Minderheit Europas. Wenn wir fragen, wer eigentlich zu dieser Gruppe gehört und wie groß sie eigentlich ist, dann
gehen die Schätzungen sehr weit auseinander. Die Koalition spricht von 10 Millionen Menschen, die EU-Kommission schätzt 4 Millionen Menschen. Ich glaube, allein schon diese Divergenz zeigt, dass das eine
ausgesprochen komplexe Frage ist und dass wir heute
über eine ausgesprochen heterogene Gruppe sprechen.
In Deutschland sind die Roma eine anerkannte Minderheit. Trotz allem stellen wir fest, dass im Alltagsleben
immer noch viele Vorurteile gegen diese Gruppe vorhanden sind. Oft fehlt es schlichtweg an Wissen über die
Kultur und über die Lebensweise der Roma. Ich glaube,
dass dies eine Aufgabe ist, der sich der Schulunterricht,
aber auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen durchaus
widmen könnten. Dies gilt aber sicherlich auch für uns
alle. Ich komme nachher noch einmal dazu.
Es müssen Angebote vorgelegt werden. Das betrifft
insbesondere die Bereiche Bildung, Integration und Kultur. Ich glaube, dass eine gute Kommunalpolitik der
Schlüssel dazu ist; denn gerade die Integrationsprobleme
sind auf der örtlichen Ebene natürlich sehr unterschiedlich ausgeprägt. Diese Angebote müssen allerdings auch
aktiv wahrgenommen werden. Das ist ein Appell an die
Gruppe der Roma.
Es mag sein, dass die Bildungschancen ausgesprochen ungleich verteilt sind und dass der Zugang zum
Gymnasium für diese Gruppe ausgesprochen schwer ist.
Dort, wo das möglich ist, sollten die Eltern dann aber
auch Berührungsängste verlieren und ihren Kindern die
bestmögliche Ausbildung nahelegen.
({0})
In Europa - vor allem in einigen Staaten Osteuropas haben wir größere Probleme. Das Zitat von Herrn Čunek
ist bereits angesprochen worden. Wie er sagt, will er die
Roma-Kultur und das Wertesystem in dieser Form nicht
mehr haben, sondern verändern. Manchmal hat man den
Eindruck, dass er Parabeln aus dem Bereich Krankheit
und Therapie benutzt, mit denen er auf diese Kultur anspielt. Ich möchte dazu sagen, dass ich das, was dieser
Mensch dazu gesagt hat, erschreckend respektlos und
ganz und gar uneuropäisch finde.
({1})
Wir haben im europäischen Raum vielfältige Probleme. Es gibt Staaten, in denen 75 Prozent der RomaKinder auf Sonderschulen gehen. Beim Zugang zur jeweiligen Staatsangehörigkeit gibt es zum Teil Diskriminierungen. Insbesondere hinsichtlich der Wohnsituation
- beim Thema Wasser und Hygiene - und beim Zugang
zu Gesundheitsdienstleistungen gibt es Probleme. Das
sind Dinge, die für das Europa des 21. Jahrhunderts einfach unfassbar sind und die wir so auch nicht stehen lassen können.
Vor diesem Hintergrund hätte ich mich gefreut, wenn
wir einen gemeinsamen Antrag hinbekommen hätten.
Das war immer der Wille der FDP-Fraktion. Ich glaube
auch, dass die Anträge, die vorgelegt worden sind, nicht
so grundlegend unterschiedlich sind, dass das nicht möglich gewesen wäre. Vor dem Hintergrund, dass ein gemeinsamer Antrag angekündigt und geplant war, haben
wir darauf verzichtet, selbst noch einen vorzulegen. Das
möchte ich an dieser Stelle auch betonen. Das ist nämlich der Grund dafür.
Kurz vor Weihnachten hat insbesondere die Seite der
Union unter Hinweis auf die Innenpolitiker der Union
dann für uns alle mehr oder weniger überraschend gesagt: Wir reden eigentlich über gar nichts. Wir können
den Antrag nur so beschließen, wie wir ihn vorgelegt haben. - Das ist eigentlich keine Gesprächsgrundlage.
({2})
Wenn man gemeinsame Anträge stellen möchte, dann
muss man auch ernsthaft bereit sein, über bestimmte
Dinge zu sprechen, die eine andere Fraktion einbringen
möchte.
Die Analyse der Geschichte der Roma und der Situation der Roma in Europa in dem Antrag, den die Koalition jetzt vorlegt, ist fundiert. Er enthält eine ausgewogene Betrachtung, aber es ist in großen Teilen eine
Beschreibung des bestehenden Zustandes.
Es ist richtig, dass Aktivitäten auf europäischer Ebene
gefordert werden. Es ist auch richtig, dass die Länder gefordert werden. Dazwischen gibt es aber eine Ebene, die
auch einiges tun könnte. Der Bund könnte beispielsweise das 12. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention ratifizieren. Das wäre eine Maßnahme, die wir hier treffen könnten - auch um den
Minderheitenschutz in Deutschland zu verbessern. Insofern ist gerade das, was die hiesige Ebene betrifft, die
Bundesebene, leider etwas nebulös. Weil der Antrag in
weiten Teilen gute Ansätze enthält, werden wir uns
trotzdem lediglich enthalten.
Die Grünen verfolgen mit ihren Anträgen ein berechtigtes Anliegen, das uns auch eint und das wir teilen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
haben viel vorgelegt. Dabei sind auch einige Mittel, die
wir für falsch halten. Insbesondere wird davon gesprochen, dass Angehörige der Roma bevorzugt Zugang zum
öffentlichen Dienst erhalten und Lehrerstellen besetzen
sollen. Das ist nicht unser Ansatz; denn im Grundgesetz
steht als Zugangsvoraussetzung für den öffentlichen
Dienst: Eignung, Befähigung und fachliche Leistung. Ich denke, dabei sollte es bleiben.
({3})
Wenn wir feststellen, dass eine Gruppe nicht angemessen repräsentiert ist, dann müssen wir uns überlegen,
wie wir diese Gruppe befähigen, diese drei Kriterien
- Eignung, Befähigung und fachliche Leistung - zu erfüllen. Dass aber die ethnische Herkunft bei der Vergabe
von Stellen im öffentlichen Dienst eine Rolle spielen
soll, halten wir als FDP jedenfalls nicht für richtig.
({4})
Das Gleiche gilt übrigens für den Zugang zu Stipendienprogrammen.
Der andere Grünen-Antrag ist, was die europäische
Ebene betrifft, sicherlich in vielen Punkten richtig. Aber
auch da gibt es Punkte, die uns im Detail stören, beispielsweise die Einrichtung neuer institutioneller Mechanismen auf europäischer Ebene. All das wäre im
Rahmen eines gemeinsamen Antrags zu bereinigen gewesen. Aber in der jetzigen Form kann der Antrag nicht
die Zustimmung der FDP finden.
Mein letztes Wort gilt dem Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma: Wir werden den Änderungsantrag
der Grünen unterstützen, weil wir diese Forderung immer für richtig gehalten haben. Der Bundesrat, in dem
alle Parteien, die in Deutschland Verantwortung tragen,
vertreten sind, hat kurz vor Weihnachten einstimmig beschlossen, die Realisierung des Denkmals zu unterstützen. Insofern kann ich überhaupt nicht verstehen, dass
die SPD- und die CDU/CSU-Fraktion bei diesem einen
Punkt, in dem es keinen parteipolitischen Dissens gibt,
nicht über ihren Schatten springen können. Es handelt
sich um eine Forderung, deren Realisierung gerade in
der jetzigen Phase in die Landschaft passt, weil eine Einigung vielleicht unmittelbar bevorsteht.
({5})
Wenn der Bundesrat das ein paar Wochen bevor wir
hier darüber diskutieren einstimmig billigt, weiß ich
nicht, warum das heute falsch sein soll.
({6})
Wir werden dem zustimmen, auch deshalb, weil gerade ein solches Denkmal dazu beitragen kann, dass das
Wissen in Deutschland über die Roma-Kultur verbessert
wird und damit Vorurteile abgebaut werden.
({7})
Nun hat der Kollege Holger Haibach für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Offensichtlich
ist von allen Fraktionen dieses Hauses beschlossen worden, der CDU/CSU-Fraktion heute Abend die Buhmannrolle zuzuteilen. Ich glaube nicht, dass das berechtigt ist,
und bin nicht bereit, diese Rolle zu spielen. Ich werde
Ihnen gerne zeigen, warum der Antrag, so wie wir ihn
vorgelegt haben und wie er heute zur Abstimmung steht,
durchaus geeignet ist, die Zustimmung des gesamten
Hauses zu finden, und warum es gute Gründe gibt, die
Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen an vielen Stellen zu kritisieren. Die Frage, ob man da zusammenkommt, kann man so oder so beantworten. Ich glaube, es
ist richtig, bei dem Antragstext zu bleiben, den wir letzten Endes verabschiedet haben.
Wir sollten auch nicht so tun, als gäbe es die einen,
die sich für Sinti und Roma einsetzen, und die anderen,
die das nicht tun. Das Bekenntnis zu unserer besonderen
Verantwortung für Sinti und Roma reicht unter anderem
bis zu einem gemeinsamen Bundestagsbeschluss aus
dem Jahr 1986 zurück. Im Jahr 1986 waren - bis auf die
Fraktion Die Linke - alle Fraktionen, deren Mitglieder
heute hier anwesend sind und reden, im Bundestag vertreten. Das gilt auch für die CDU/CSU-Fraktion, an deren Haltung gegenüber Sinti und Roma und an deren Bekenntnis zu der besonderen Verantwortung für die Sinti
und Roma sich nichts geändert hat. Das kann ich an dieser Stelle mit Fug und Recht feststellen.
({0})
Ich glaube, dass der Antrag der Koalition ausgewogen
ist. Ich halte ihn an vielen Stellen für weitergehend als den
von Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Antrag. Das betrifft zum einen die Thematik. Die Probleme der Sinti und
Roma in Deutschland, aber auch in Europa - deswegen
haben wir auch einen Antrag vorgelegt, der sich mit der
Situation der Sinti und Roma in Europa beschäftigt - sind
in dem Antrag der Koalition zutreffend beschrieben, und
es wird klar gemacht, auf welchen Handlungsfeldern wir
tätig werden müssen.
Erstens geht es um die Stigmatisierung; Angelika
Graf hat darauf hingewiesen. Zweitens geht es um DisHolger Haibach
kriminierung und Benachteiligung. Das dritte Handlungsfeld betrifft all die Probleme, die daraus resultieren,
wie zum Beispiel fehlender Zugang zu Schulbildung und
Berufen, nicht vorhandene soziale Integration und natürlich auch viele andere Punkte.
Herr Čunek hat gesagt, er habe sich wie ein Arzt gefühlt, der ein Krebsgeschwür ausmerzen solle, als er
Sinti und Roma in der Nähe von Müllcontainern und
Schuttplätzen angesiedelt habe. Das findet nicht nur die
Missbilligung sämtlicher Fraktionen dieses Hauses, sondern es findet die Missbilligung sämtlicher Menschen,
die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
({1})
Über die reine Zustandsbeschreibung hinaus glaube
ich, dass der Antrag der Koalition die Ursachen richtig
gewichtet. Denn es gibt - darauf haben die Kollegen
Florian Toncar und Angelika Graf bereits hingewiesen eine Verantwortung der Mehrheitsgesellschaft, auf die
Minderheit zuzugehen. Das steht nicht zur Diskussion.
Wenn wir Integration wollen, dann tragen wir selbstverständlich auch Verantwortung. Dazu gehört aber auch
der Wille derjenigen, die sich in eine Gesellschaft integrieren wollen, bis zu einem gewissen Grade integrationsfähig zu werden.
Das bedeutet mit anderen Worten: Wenn Frauen in
weiten Teilen von Sinti- und Roma-Gemeinschaften
nicht die gleichen Rechte haben wie Männer und ihr Zugang zur Schulbildung nicht unterstützt wird, dann müssen wir das genauso benennen wie die Notwendigkeit,
dass die Mehrheitsgesellschaft eine Integrationsleistung
zu vollbringen hat, wenn wir eine ehrliche Debatte führen wollen.
Da wir das im Gegensatz zum Bündnis 90/Die Grünen in unseren Antrag aufgenommen haben, ist das,
denke ich, ein klarer Vorteil unseres Antrages. Denn
diese Debatte müssen wir offen und ehrlich führen, damit sie Erfolg hat.
({2})
Ein weiterer Punkt erscheint mir in besonderem Maße
beachtenswert Unser Antrag trägt den Titel „Die Rechte
der Roma in Europa stärken“. Der Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen trägt die Überschrift „Zur Situation von
Roma in der Europäischen Union, in den EU-Beitrittsländern und im Kosovo“. Wenn Sie sich mit unserem
Antrag befassen, werden Sie feststellen, dass wir uns mit
der innenpolitischen Situation in Deutschland, der Situation in der Europäischen Union und darüber hinaus beschäftigen. Sie werden feststellen, dass wir auf viele andere Dokumente rekurrieren, die den Europarat und die
OSZE betreffen, die gerade in Osteuropa und darüber hinaus Wichtiges leistet. Diese Leistung kann man auch an
dieser Stelle nicht genug würdigen. Wir weisen auch
darauf hin, dass es viele Länder gibt, in denen gerade der
Zugang zu Schulbildung - das betrifft sicherlich auch
Deutschland, aber noch wesentlich mehr zum Beispiel
die EU-Beitrittsländer Rumänien und Bulgarien, wo der
Anteil der Sinti-Kinder, die in die Schule gehen, bei 16
bzw. 17 Prozent liegt - nicht selbstverständlich ist. Wir
beschäftigen uns aber auch mit der Situation in Deutschland.
Wenn der Antrag der Grünen den Titel „Zur Situation
von Roma in der Europäischen Union, in den EU-Beitrittsländern und im Kosovo“ trägt, dann hätte ich mehr
zum Thema Europa, Europäische Union und Kosovo erwartet. Denn in dem im Antrag enthaltenen Forderungskatalog geht es zum Beispiel um eine nationale Strategie
zur Verbesserung der Situation der Sinti und Roma in
Deutschland, um einen von der Bundesregierung unterschriebenen „Action Plan“, um Empfehlungen, die die
Bundesregierung umsetzen soll, eine deutsche Antidiskriminierungsstelle und das deutsche Bildungswesen.
Leider beschäftigt sich keine einzige Forderung mit etwas anderem als der Situation in Deutschland. Das halte
ich zwar für gerechtfertigt, aber ich finde, dann darf ein
Antrag nicht diesen Titel tragen, weil er ihm nicht gerecht wird. Ich finde, dass auch hier der Antrag der Koalition den richtigen Schwerpunkt gesetzt hat.
Ein letzter Kritikpunkt: Ich verhehle nicht, dass ich
mich einigen Forderungen in dem Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen annähern könnte. Aber wir müssen die
Adressaten im Blick behalten. Wenn wir von der Bundesregierung verlangen, bestimmte Änderungen zum
Beispiel im Bildungssystem durchzuführen, dann wissen
wir alle, dass solche Änderungen gemeinsam mit den
Ländern erfolgen müssen. Dieses Thema betrifft den gesamten bundesstaatlichen Rahmen.
Wenn wir über Integrationspolitik reden, dann wissen
wir doch, dass gute Integration vor Ort beginnt. Der
Bund muss, kann und soll den Rahmen setzen, aber es
muss vor Ort geschehen. Deswegen ist die breite Einbindung sämtlicher staatlicher Institutionen notwendig.
Man kann diese Aufgabe nicht auf den Bund fokussieren, wie es mir zumindest zum Teil im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen der Fall zu sein scheint.
Insgesamt glaube ich, dass sich die Bundesregierung
der Aufgabe stellt. Das wird in unserem Antrag auch
deutlich. Sicherlich gibt es noch viel zu tun - das ist
keine Frage -, aber Integration ist kein abgeschlossener
Prozess; sie ist gerade in den letzten Jahren sehr häufig
diskutiert worden. Ich finde es richtig, dass wir versuchen, diese Debatte offen und ehrlich zu führen.
Wenn wir uns mit der außenpolitischen Situation beschäftigen, dann müssen wir unsere Partner in Europa
und darüber hinaus anhalten, sich an das zu halten, was
sie international zugesagt haben. Wenn wir in Deutschland die Diskussion führen wollen, brauchen wir nicht
eine Fokussierung auf die Bundesebene, sondern einen
ganzheitlichen Ansatz, der nachhaltig auf alle staatlichen
Institutionen wirkt.
Noch einen Satz zum Thema Denkmal: Wir haben
uns diesem Thema nicht genähert, nicht etwa weil wir
das Ziel für nicht unterstützenswert halten. Ich finde,
Angelika Graf hat deutlich gemacht, dass es dazu keine
Notwendigkeit gibt. Die Sache ist auf dem Weg. Wir alle
sollten das begrüßen und für alle Bemühungen dankbar
sein, die hier unternommen werden.
Alle sollten den Antrag der Koalition begrüßen; denn
er ist geografisch und thematisch ausgewogen und setzt
die richtigen Akzente. Deswegen glaube ich nicht, dass
es einer Erweiterung durch die Anträge von Bündnis 90/
Die Grünen bedarf. Ich kann Sie alle nur herzlich einladen, sich unserem Antrag anzuschließen.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich sehr, dass zu so später Stunde der Vorsitzende des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma,
Romani Rose, auf der Gästetribüne Platz genommen hat
und dieser Debatte folgt.
({0})
Die Linke begrüßt außerordentlich, dass wir uns innerhalb eines halben Jahres zum zweiten Mal mit der
Verbesserung der Lebenssituation der Sinti und Roma in
unserem Land befassen. Allerdings finde ich es schade
und traurig, dass wir in diesem wichtigen Punkt keinen
fraktionsübergreifenden Antrag zustande gebracht haben
und dass sich somit die Situation wie im Juni letzten Jahres darstellt. So kann ich meine Argumente einfach wiederholen; das werde ich gern tun.
Erstens. CDU/CSU und SPD sprechen in ihrem Antrag davon, dass es starke Vorurteile und Ressentiments
speziell gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe gibt. Es
wird sogar davor gewarnt:
Eine fehlende oder undifferenzierte Berichterstattung der Medien kann dagegen zur Verbreitung negativer Stereotypen führen.
Aber Sie selbst tragen dazu bei, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben:
Bei den Bemühungen, die soziale Situation von
Roma zu verbessern, müssen auch Hürden in der
Roma-Gemeinschaft überwunden werden. In vielen
Familien bestehen Vorbehalte gegen den Schulbesuch ihrer Kinder. Bildung wird nicht als Chance
verstanden,
- das ist das Wichtige obwohl sie eines der wichtigsten Instrumente darstellt …
Weiter heißt es in Ihrem Antrag:
Häusliche Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel sind Verbrechen, die Roma-Frauen
häufig treffen … Das Recht auf Selbstbestimmung
von Roma-Frauen wird insbesondere in traditionell
geprägten Familienverbänden durch patriarchalische Traditionen verletzt, die eine Gleichstellung
der Geschlechter behindern.
Das Problem dieser Argumentation ist, dass dies keine
Spezifika der Roma- und Sinti-Gesellschaft sind. Vielmehr treffen wir das in allen Gesellschaften an. Wer die
Medien in Deutschland aufmerksam verfolgt, weiß, dass
häusliche Gewalt und alles andere auch in unserer Gesellschaft vorkommen. Diese angeblichen Spezifika sind
zum Teil Folge jahrhundertelanger Diskriminierung und
Verfolgung der Sinti und Roma. Mit dieser Argumentation nähert man sich meines Erachtens gefährlich diskriminierenden Denkstrukturen. Auch wenn es anders gemeint ist, geht der Duktus eindeutig in diese Richtung.
Das kritisieren wir ganz klar.
({1})
Sicherlich müssen Integrationshemmnisse identifiziert
und überwunden werden, aber auf gleicher Augenhöhe
und gemeinsam und nicht in einem belehrenden Ton: Ihr
müsst erst einmal tun; bitte versteht es.
Zweitens. In allen Anträgen wird darauf hingewiesen,
dass wir als Deutsche aufgrund der brutalen Vernichtung
während des deutschen Faschismus eine ganz besondere
Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma haben.
Das heißt aber letztendlich, dass wir nicht nur eine Verpflichtung gegenüber den in Deutschland lebenden schätzungsweise 70 000 Sinti und Roma mit deutschem Pass
haben, sondern dass wir auch den über 30 000 Sinti und
Roma verpflichtet sind, die überwiegend Bürgerkriegsflüchtlinge vom Balkan sind. Diese Gruppe der Sinti und
Roma ist dreifach diskriminiert: erstens allgemein als
Ausländer, zweitens aufgrund ganz spezifischer Vorurteile - darüber haben wir eben gesprochen - und drittens
als Flüchtlinge, weil sie unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Das bedeutet Residenzpflicht, kein Zugang
zum Arbeitsmarkt, kein ordentlicher Zugang zur Bildung
und ein schlechter Zugang zu medizinischer Betreuung.
Die Linke hat schon früher vorgeschlagen: Wenn es darum geht, aus historischer Verantwortung etwas für die
Verbesserung der Lebenssituation der Sinti und Roma zu
tun, dann sollte man ihnen ein Aufenthaltsrecht, ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland gewähren.
Es gibt auch ein historisches Beispiel dafür, dass dies
möglich ist - auch das habe ich damals angeführt -: Aus
dem gleichen Grund hat die letzte DDR-Regierung
1990, 1991 verlängert von der Innenministerkonferenz
und der Bundesregierung, eine großzügige Aufnahmeregelung für jüdische Flüchtlinge aus der Sowjetunion geschaffen. Damals ging es um Aufnahme; heute geht es
nur um das Bleiberecht für 30 000 Flüchtlinge. So wie
sich die CDU mit Frau Steinbach an der Spitze immer
massiv gegen Vertreibung einsetzt, müsste sie uns in diesem Punkt entgegenkommen und zustimmen. Solange
dies nicht geschieht, können wir diesen Anträgen nicht
zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Nun hat das Wort die Kollegin Marieluise Beck für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich mache zwei Vorbemerkungen: Zum Ersten vertrete ich hier den Kollegen Beck, der heute Abend
verhindert ist.
Zum Zweiten begrüße auch ich den Präsidenten des
Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose.
({0})
Ich erinnere mich an unsere erste Begegnung, die jetzt
fast 25 Jahre her ist. Seinerzeit suchte er den Kontakt zu
uns als junger grüner Fraktion noch im Hotel „Tulpenfeld“ in Bonn. Damals stand unsere deutsche Gesellschaft ganz am Anfang, sich überhaupt dessen bewusst
zu werden, dass es, ausgehend vom deutschen Faschismus, neben der Vernichtung des jüdischen Volkes auch
eine Vernichtung der Sinti und Roma gegeben hat. - Damals waren Sie derjenige, der in sehr zäher und mühevoller Arbeit dieses Thema in die gesellschaftliche Debatte in Deutschland eingeführt hat.
({1})
Am 22. Juni 2007 haben wir im Deutschen Bundestag
seit Jahren zum ersten Mal wieder eine Debatte zur Lebenssituation von Roma und Sinti in Deutschland und in
Europa geführt. Die Anträge, auf die hier jetzt eingegangen worden ist, sind eine Folge davon. Zu der Frage, ob
man dem grünen Antrag zustimmen sollte oder nicht
- offensichtlich hätte die SPD gern zugestimmt; das ist
gar nicht verborgen geblieben -, sage ich, dass wir uns
natürlich darüber im Klaren sein müssen, dass eine
starke, meinungsbildende Rolle innerhalb der Europäischen Union nur dann möglich ist, wenn man bereit ist,
vor der eigenen Türe zu kehren. Dass wir auch hier in
Deutschland Probleme mit der Diskriminierung dieser
Minderheit haben, der in unserem Land Chancen vorenthalten werden, hat uns UNICEF in einem Bericht deutlich ins Stammbuch geschrieben. Insofern wären wir gut
beraten, zunächst einmal unsere nationale Aufgabe zu
beschreiben und dann mit dieser Willenserklärung auf
die europäische Ebene zu gehen und zu sagen, dies sei
als verbindliche Stoßrichtung für die Politik der Europäischen Union im Hinblick auf diese Minderheit insgesamt anzusehen.
({2})
Dass wir noch viel zu lernen haben, zeigt ein solches
Wortungetüm wie „Mehrheitsgesellschaft“, bei dem man
sich fragt, wie sie sich definiert und wer dann draußen
ist. Auch die Tatsache, dass jetzt von einem wahlkämpfenden Ministerpräsidenten gesagt worden ist, wer hier
lebe, müsse sich den deutschen Sitten und Gebräuchen
anpassen, zeigt, dass wir noch sehr viel gesellschaftliche
Verständigung darüber vor uns haben, wie viel Differenz
wir in unserer Gesellschaft zulassen und akzeptieren
wollen. Es gibt also auch hier noch viel zu tun.
({3})
Wir wissen, dass die Diskriminierungen überall eine
ähnliche Struktur haben: der fehlende Zugang zu Bildung und der daraus resultierende fehlende Zugang zum
Arbeitsmarkt, aber auch die große Schwierigkeit, angemessenen Wohnraum zu finden. Mein Kollege Beck ist
in der Tschechischen Republik und in der Slowakei gewesen. Es ist schon ungeheuerlich, dass dort tatsächlich
von staatlicher Seite in segregierte Siedlungen ohne
Wasser und Strom umgesiedelt wird, 300 in der Tschechischen Republik und 600 in der Slowakei. Das sind
Slums mitten in Europa. Das sollten wir uns klarmachen,
und das sollte uns auch sehr beschämen. Diese Form von
Aussiedlung gehört nicht in eine Europäische Union,
({4})
die immer wieder ihre Werte betont. Sie wissen, dass ich
in einer harten Auseinandersetzung mit Russland stehe
und immer sage: Wir sind eine Europäische Union der
Werte. Wenn wir es zulassen, dass mit Minderheiten in
dieser offensichtlich diskriminierenden, eigentlich ausstoßenden Form umgegangen wird, dann hat auch dieses
Europa mit seinen Werten noch einen langen Weg vor
sich.
Was den Baubeginn des Denkmals betrifft, so kann
ich nur hoffen, dass Sie recht haben, liebe Frau Kollegin.
Aber auch dann könnte es nur hilfreich sein, wenn jetzt
das Parlament beschließt, dass es den baldigen Baubeginn sehen möchte. Ich habe das Gefühl, dass Sie sich
auch da wegdrücken. Das kennzeichnet offenbar bei dieser Thematik die Situation der Koalition.
Schönen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe auf
Drucksache 16/7768. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5736 mit dem Titel „Die Rechte der Roma in
Europa stärken“ in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir nun zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/7773? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/7774? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist auch dieser Änderungsantrag mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt.
Wer stimmt nun für die Beschlussempfehlung, also
für die Annahme des Antrags auf Drucksache 16/5736 in
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
der Ausschussfassung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der FDP
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5784 zu ihrer
Großen Anfrage auf Drucksache 16/918 mit dem Titel
„Zur Situation von Roma in der Europäischen Union, in
den EU-Beitrittsländern und im Kosovo“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung eines weiteren Entschließungsantrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5785 zu der
soeben genannten Großen Anfrage. Wer stimmt für die
Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 13:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke
Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schutzsystem gegen Sprengfallen unverzüglich beschaffen
- Drucksache 16/6999 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({0})
Haushaltsausschuss
Dazu ist vereinbart, dass die Reden der folgenden
Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Ernst-Reinhard Beck, Gerd Höfer, Elke Hoff, Inge
Höger und Alexander Bonde1). Eine Aussprache erübrigt
sich damit.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6999 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({1}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Ra-
tes zur Änderung des Rahmenbeschlusses
2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung
1) Anlage 2
({2})
KOM ({3}) 650 endg.; Ratsdok. 14960/07
- Drucksachen 16/7393 Nr. A.34, 16/7769 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({4})
Dr. Carl-Christian Dressel
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
Auch hier wurden sämtliche Reden zu Protokoll gegeben. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Siegfried Kauder ({5}), Dr. Carl-Christian Dressel, Jörg van
Essen, Wolfgang Nešković und Jerzy Montag.2)
Damit kommen wir zur Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 16/7769 zu der
Unterrichtung durch die Bundesregierung über einen
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Über diese
Beschlussempfehlung müssen wir nun abstimmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
damit angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({6}), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Solidarausgleich in der Rente für Versicherte
mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und
geringen Einkommen stärken
- Drucksache 16/7038 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({7})
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Volker Schneider für die
Fraktion Die Linke.
({8})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die gesetzliche Rentenversicherung war
2) Anlage 3
Volker Schneider ({0})
lange Zeit ein erfolgreiches Modell zur Bekämpfung von
Altersarmut und zur Sicherung des Lebensstandards im
Alter. Lassen Sie mich gleich einleitend feststellen: Es
ist eine Schande, wie Sie dieses System an die Wand
fahren. Es ist eine Schande, wie Sie das Vertrauen der
Bevölkerung in dieses System zunehmend erschüttern.
Kommen Sie mir nicht damit, wie ich das heute in der
Aktuellen Stunde gehört habe, das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung sei erschüttert, weil meine
Fraktion dieses System schlechtrede.
({1})
Das Vertrauen zerstört nicht der, der die Fakten benennt.
Das Vertrauen zerstört derjenige, der die Fakten schafft,
und das ist immer noch Ihr Part, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Großen Koalition,
({2})
und das war der Part der rot-grünen Koalition in gründlicher Vorarbeit.
Sicher, Sie können sich aktuell noch zurücklehnen
und sagen: Die Rentner sind die von Einkommensarmut
am wenigsten betroffene Bevölkerungsgruppe.
({3})
Gerade einmal 2,5 Prozent der über 65-Jährigen beziehen zum Jahresende 2006 die Grundsicherung im Alter.
Allerdings ist diese Zahl seit Einführung der Altersgrundsicherung und dem ersten Erhebungszeitpunkt
Ende 2003 um sage und schreibe 44 Prozent angestiegen. Altersarmut wird ohne massive Korrekturen weiter
stark zunehmen; denn Ihre zerstörerischen Eingriffe in
die Rentenformel bei gleichzeitiger und absehbarer Zunahme „gebrochener“ Erwerbsbiografien wirken sich direkt auf das zukünftige Rentenniveau aus.
({4})
Zeiten der Arbeitslosigkeit, Beschäftigung in Miniund Midijobs, Beschäftigung zu Niedrigstlöhnen, dies
alles ist Gift für eine armutsfeste Rente. Wenn Sie weiter
so selbstzufrieden darüber schwadronieren, was für ein
tolles, von drei Säulen getragenes Rentensystem Sie geschaffen haben, statt sich einmal offen und mit kritischen
Augen mit Ihrem Reformmurks auseinanderzusetzen,
dann werden Sie noch ein böses Erwachen erleben.
({5})
Die Löcher, die Sie heute reißen, werden Sie morgen
nicht mit einem Federstrich beseitigen können. Das wird
Jahre dauern, Jahre, in denen zu viele Menschen in diesem Land von einer Rente werden leben müssen, die
kein Leben in Würde ermöglicht.
Dazu ein paar Fakten: Das Sicherungsniveau vor
Steuern wird - ausweislich des Rentenversicherungsberichts 2007 der Bundesregierung - von aktuell 51 Prozent bereits bis 2021 auf 46,1 Prozent absinken. Allein
das wäre für die Rentenhöhe ein Minus von 9,6 Prozent.
Der Eckrentner, also derjenige, der 45 Jahre lang ein
Durchschnittsgehalt - für 2007 lag dieses bei 2 450 Euro bezogen hat, erhielte nach dem heutigen Sicherungsniveau im Westen eine Nettorente vor Steuern von rund
1 062 Euro. 2021 werden es über 100 Euro weniger sein,
nämlich 960 Euro.
Dabei unterstellt die Bundesregierung noch immer
eine Zahl von 45 Versicherungsjahren. Auch hier wollen
Sie die Realitäten einfach nicht zur Kenntnis nehmen.
Im letzten Jahr lag die durchschnittliche Anzahl von Versicherungsjahren bei gerade einmal 37 Jahren. Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Der Eckrentner, mit dem Sie so
gerne argumentieren - bei ihm werden 45 Versicherungsjahre unterstellt -, ist schlichtweg ein Phantom.
Selbst wenn man unterstellte, dass die Zahl der Versicherungsjahre wieder auf durchschnittlich 40 ansteigt, läge
die Nettorente 2021 bei 855 Euro; sie wäre also über
200 Euro geringer. Wir reden hier von Durchschnittsrentnern.
Das ist nur die nominale Einbuße, die Rentner verkraften müssen. Angesichts der aktuellen Inflationsrate
bei gleichzeitigen Nullrunden oder allenfalls bescheidenen Erhöhungen der Rente und angesichts des Damoklesschwerts Nachholfaktor müssen Sie eigentlich Albträume hinsichtlich des zu erwartenden Realwerts
künftiger Renten haben. Der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnet Ihnen mit teilweise optimistischen Vorannahmen vor, dass 2020 rund 10 Prozent der über 65-Jährigen - das sind rund 2 Millionen Personen in
Deutschland - in Armut leben werden.
Was fällt Ihnen dazu ein? Sie legen die Studie „Altersvorsorge in Deutschland“ vor, in der Sie die Versorgungslage in der Zukunft mit den Zahlen von heute auf
Basis der Gesetzeslage von gestern, also ohne Einrechnung der Dämpfungsfaktoren - was längst beschlossen
worden ist -, berechnen lassen. Das ist ein bisschen so,
als würde ich meine Benzinkosten im Jahr 2020 heute
mit den Benzinpreisen von 2001 berechnen. Trotz solcher Schönfärberei kommt die Studie zu dem Ergebnis,
dass das Niveau der Altersvorsorge selbst bei denjenigen, die private und betriebliche Altersvorsorge betreiben, unter dem heutigen Rentenniveau liegen wird.
Hören Sie endlich auf, die Probleme schönzureden!
Bauen Sie die gesetzliche Rentenversicherung zur Erwerbstätigenversicherung aus, in die alle, auch Abgeordnete, einzahlen! Heben Sie die Beitragsbemessungsgrenze schrittweise an und perspektivisch auf! Wenn Sie
die Rentensteigerungen, die aus diesen zusätzlichen Beträgen resultieren, zunehmend geringer ausfallen lassen,
erhalten Sie einen finanziellen Spielraum für einen Solidarausgleich, mit dem typische Lücken in den Rentenbiografien geschlossen werden könnten.
Wir fordern konkret eine Ausweitung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten, von Zeiten der ehrenamtlichen Pflege Angehöriger und von Ausbildungszeiten, höhere Beiträge für Bezieher von ALG II und
insbesondere eine Wiederbelebung des Systems der
Mindestentgeltpunkte.
Vielen Dank.
({6})
Nun hat der Kollege Peter Weiß für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Etwas mehr als 2 Prozent der Rentnerinnen und
Rentner in Deutschland haben ein so geringes Alterseinkommen,
({0})
dass sie zusätzliche staatliche Unterstützung beantragen
müssen. Vor über 50 Jahren, also bevor die dynamische
Rente in Deutschland eingeführt wurde, mussten
70 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in unserem
Land zusätzliche staatliche Hilfe, nämlich Sozialhilfe,
beantragen, damit sie ihr Leben finanziell einigermaßen
auskömmlich gestalten konnten. Diese Zahlen - 70 Prozent sozialhilfeabhängige Rentnerinnen und Rentner vor
über 50 Jahren, nur knapp über 2 Prozent heute - zeigen,
dass die Rentenversicherung in Deutschland die Menschen aus der Altersarmut geführt hat und dass die Rente
weiterhin der Armutsvermeidung dient, allen Panikmachern zum Trotz.
({1})
Das, was wir geschafft haben, steht allerdings in Zukunft vor großen Herausforderungen. Offensichtlich
weiß die Linke nichts von diesen Herausforderungen
oder verdummt die Bevölkerung bewusst. Die Veränderung im Altersaufbau der Gesellschaft zwingt uns nämlich zu einer Veränderung bei der Altersvorsorge der
Zukunft. Wer das nicht angeht bzw. wer diese Herausforderung leugnet, der betrügt bewusst entweder die eine
oder die andere Generation, wahrscheinlich sogar beide
Generationen. Damit ist Betrug der eigentliche Inhalt
des Antrags, den wir heute beraten.
({2})
Wir bekommen hier im Plenum in jeder Sitzungswoche - so auch heute - einen Antrag einer bestimmten
Fraktion vorgelegt, in dem die Veränderungen der Gesellschaft in der Zukunft schlichtweg nicht zur Kenntnis
genommen werden und mit dem die notwendigen Maßnahmen bekämpft werden. Für die Linke scheint der Begriff der Generationengerechtigkeit überhaupt nicht zu
existieren. Wenn ich lese, was Sie uns hier vorgelegt haben, frage ich mich: Hat die Linke überhaupt einen Sinn
für Gerechtigkeit?
({3})
Die Idee eines gerechten Ausgleichs zwischen den
Generationen - zwischen den Älteren, die heute arbeiten
gehen, und den Jüngeren, die in Zukunft arbeiten gehen
und Beiträge zahlen müssen - war Leitmotiv der Rentenreformen, die dafür sorgen, dass der Rentenversicherungsbeitrag für die Jüngeren nicht in astronomische Höhen steigt und dass folglich das Niveau der gesetzlichen
Rente für künftige Rentnerinnen und Rentner nicht mehr
die Höhe von heute erreicht.
({4})
Ich bin überzeugt: Zu diesem solidarischen Ausgleich
in einer umlagefinanzierten gesetzlichen Rente gibt es
keine Alternative. Wer etwas anderes behauptet, belügt
schlichtweg die Menschen in unserem Land.
({5})
Richtig ist, dass wir uns um all diejenigen Sorgen machen müssen, die bei einem sinkenden Niveau der gesetzlichen Rente in der Zukunft aufgrund eines niedrigen
Erwerbseinkommens oder längerer Ausfallzeiten eventuell doch zusätzlich auf die Grundsicherung als staatliche Hilfe angewiesen sind.
({6})
Um dies zu vermeiden, werden in der Öffentlichkeit verschiedene Modelle diskutiert: eine aus allen Einkommensarten finanzierte Sockelrente oder eine steuerfinanzierte Grundrente,
({7})
eine Rente nach Mindesteinkommen mit Anhebung der
Entgeltpunkte und, und, und.
({8})
All diese Vorschläge muss man unter dem Gesichtspunkt prüfen, ob sie die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wirklich stärken, etwas für die
Alterssicherung zu tun. Wer nämlich das sogenannte
Äquivalenzprinzip, also das Prinzip, dass die Höhe der
Rentenversicherungsbeiträge auch etwas damit zu tun
hat, was man später als Rente erhält, beschädigt, wird erreichen, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land generell von diesem System
abwenden. Leistung muss sich lohnen, auch und gerade
in der Altersvorsorge; sonst wird niemand mehr bereit
sein, die Altersvorsorge, die wir den Bürgerinnen und
Bürgern vorschreiben, anzunehmen.
({9})
Die schrittweise An- bzw. längerfristige Aufhebung
der Beitragsbemessungsgrenze bei gleichzeitiger Abflachung der damit verbundenen Rentenanwartschaften,
wie es im Antrag der Linken gefordert wird - wir haben
heute von Herrn Lafontaine gehört, dass das Botschaften
sind, die die Bevölkerung versteht; ich frage mich, wer
das verstehen soll -, das heißt nichts anderes, als dass
Peter Weiß ({10})
das Äquivalenzprinzip - dem, was ich in die Rentenversicherung einzahle, entspricht später einmal das, was ich
aus der Rentenversicherung herausbekomme - aufgehoben wird.
({11})
Warum sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in unserem Land dann, wenn sich Leistung nicht mehr
lohnt, zum Beispiel noch etwas für eine zusätzliche Altersvorsorge tun? Es ist der grundfalsche Weg - er führt
letztlich auch in die Altersarmut -, wenn wir die Bürger
entmündigen, ihnen die Chance zur eigenen Vorsorge
nehmen und dann noch die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nivellieren.
Die Alternative zum sinkenden Rentenniveau haben
wir mit den Rentenreformen - Begründung des Dreisäulenmodells - aufgezeigt und fest verankert. Jeder Arbeitnehmer in unserem Land hat die Chance, durch die vom
Staat geförderten Formen der betrieblichen Altersvorsorge und der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge
das notwendige zweite und dritte Standbein der Alterssicherung aufzubauen. Jeder hat damit die Chance, durch
die zweite und dritte Säule das sinkende Niveau der gesetzlichen Rente in Zukunft für sich persönlich auszugleichen.
Das Jahr 2008 ist ein Jahr, in dem wir die Förderbedingungen noch einmal deutlich verbessern. Wir haben
die steuer- und sozialabgabenfreie Entgeltumwandlung
für eine Altersvorsorge unbefristet verlängert. Wir haben
die Förderung für eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge - sprich: Riester-Rente - noch einmal deutlich
verbessert, indem wir zum Beispiel den Förderbetrag pro
Kind auf 300 Euro jährlich angehoben haben.
({12})
Geringverdienerinnen und -verdiener erhalten für eine
Riester-Rente eine staatliche Förderung bis zu 90 Prozent. Das ist doch ein Wort; aber das verschweigen bestimmte Leute gerne.
({13})
Meine Damen und Herren, das Dreisäulenmodell der
Alterssicherung ist nachhaltig, es ist generationengerecht, weil die Lasten nicht einseitig auf die eine oder die
andere Generation verteilt werden, und es ist zukunftssicher. Deshalb sollten wir dieses Dreisäulenmodell weiter
stärken und für diejenigen, die bisher nicht mitmachen,
noch attraktiver ausgestalten. Wer selbst mit vorsorgt,
wer die Chancen der betrieblichen Altersvorsorge nutzt,
wer die Möglichkeiten der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge, sprich der Riester-Rente, nutzt, der weiß,
dass er im Alter eigenes Einkommen bezieht, das ihn
über das Grundsicherungsniveau hebt, sodass er im Alter
keine Grundsicherung beim Staat beantragen muss. Das
ist die zentrale Botschaft des Dreisäulenmodells, wenn
man es konsequent anwendet und die Möglichkeiten, die
hierfür gegeben werden, nutzt.
Deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sollten
wir, wenn wir über die Alterssicherung, die Rente reden,
den Bürgerinnen und Bürgern die richtige Botschaft mitteilen, damit sie für ein Leben in Sicherheit im Alter die
richtigen Entscheidungen treffen, indem sie nämlich
nicht die Hände in den Schoß legen, sondern für sich die
zweite und dritte Säule der Altersvorsorge konsequent
aufbauen. Das ist die beste Absicherung gegen Altersarmut, die es gibt. Dafür gibt es die entsprechenden Instrumente. Wir sollten uns um ihre Weiterentwicklung kümmern und die Bürger ermuntern, sie zu nutzen.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Rohde für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Irren ist menschlich, lautet ein gängiges
deutsches Sprichwort. Herr Weiß, ich rede da nicht von
Betrug, sondern von einem großen Irrtum, dem die
Linksfraktion aufgesessen ist.
Schon in der vierten Zeile des Antrages der Linksfraktion steht, dass sich die gesetzliche Rentenversicherung in ihrer heutigen Form der Umlagefinanzierung bewährt habe. In Ihrer Rede, Herr Schneider, klang das
eben anders an. Aber damit liegt die Linksfraktion einfach falsch. Vor einigen Jahren mag das richtig gewesen
sein, aber aus heutiger Sicht gilt dieser Satz eben nicht
mehr. Die in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlten Beiträge reichen schon lange nicht mehr, um den
bestehenden Rentenansprüchen nachzukommen. Wir
werden immer älter, bekommen immer weniger Kinder
und müssen uns eingestehen: Der Generationenvertrag
geht nicht mehr auf. Die Generation der Beitragszahler
kann die Ansprüche der Rentenempfänger nicht mehr in
vollem Umfang befriedigen. Vor diesem Hintergrund
stimme ich dem zu, was Herr Weiß in seinem Schlussappell gesagt hat: Deshalb müssen die Bürger vorsorgen.
Angesichts der Situation, die wir heute haben, fordert
die Linksfraktion auch noch, Rentenanwartschaften aufzubauen, die nicht durch Beitragszahlungen an die Rentenversicherung gedeckt sind. Das ist unverantwortlich.
({0})
Sie wollen die Wüste aus einer Oase bewässern, die
schon längst im Austrocknen begriffen ist. Das kann
nicht funktionieren.
Damit Sie von der Linken uns nicht falsch verstehen:
Auch die FDP tritt dafür ein, dass am Ende des Erwerbslebens möglichst jeder eine existenzsichernde Rente bezieht. Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir von der FDP
aber, dass die Rentenzahlungen von zuvor eingezahlten
Versicherungsbeiträgen gedeckt sind. Wir wollen weg
von einer immer mehr steuerfinanzierten Rente, und wir
wollen weg von immer höheren Rentenversicherungsbeiträgen. Diese bewirken vor allem eines, nämlich dass
Arbeit in Deutschland immer teurer wird und damit immer mehr Arbeitsplätze abwandern.
Der beste Schutz vor Altersarmut, meine Damen und
Herren von den Linken, ist immer noch eine gute berufliche Qualifikation, durchgehende Erwerbstätigkeit und
vernünftige Nettoeinkommen.
({1})
Wenn wir das erreichen, wird der Solidarausgleich in
den sozialen Sicherungssystemen wieder die Aufgabe
wahrnehmen können, die ihm einmal zugedacht war,
nämlich die Absicherung derer, die aus vielfältigen
Gründen nicht für sich selbst sorgen können.
Was Sie von den Linken in Wahrheit fordern, ist eine
magere Grundrente für jeden. Wohl wissend schreiben
Sie in Ihrem Antrag nicht, was Sie genau unter dem Begriff „oberhalb des Grundsicherungsniveaus“ verstehen,
nämlich eine sozialistisch finanzierte Einheitsrente für
alle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen im
Deutschen Bundestag, gerne lege ich Ihnen noch einmal
dar, wie eine generationengerechte und demografiefeste
Rente der Zukunft aus Sicht der FDP aussieht: Erstens.
Das Renteneintrittsalter wird bei entsprechenden Zubzw. Abschlägen flexibilisiert. Zweitens. Die Zuverdienstgrenzen für Frührentner entfallen. Drittens. Die
Lebensstandardabsicherung erfolgt mittel- und langfristig nicht mehr allein über die gesetzliche Rentenversicherung, sondern zu jeweils gleichen Anteilen aus
gesetzlicher sowie betrieblicher und privater Altersvorsorge. Das sind die drei Säulen, die auch Peter Weiß
eben erwähnt hat.
Auf diese Weise würden wir erreichen, dass die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung das Existenzminimum absichert, während die kapitalgedeckte
betriebliche und private Altersvorsorge den bisherigen
Lebensstandard absichert. Mehr kann die gesetzliche
Rente angesichts der demografischen Entwicklung in
Deutschland leider nicht gewährleisten. Umso wichtiger
ist es deshalb, dass der Gesetzgeber die kapitalgedeckte
Altersvorsorge konsequent stärkt.
({2})
Die FDP hat ausdrücklich die Einführung einer kapitalgedeckten Rente begrüßt, wenngleich wir uns eine unbürokratischere Variante der Riester-Rente gewünscht
hätten. Unverzeihlich ist aber, dass diese bis heute noch
nicht allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung
steht, sondern nur denen, die bereits über gesetzliche
Renten- und Pensionsansprüche verfügen, nämlich Angestellten und Beamten. Die FDP spricht sich dafür aus,
dass alle Menschen in den Genuss der staatlichen Förderung privater Altersvorsorge kommen. Hier muss die sogenannte Riester-Rente ausgebaut werden. Es hat mich
gefreut, dass der Namensgeber heute ebenfalls dazu Stellung genommen hat.
Gestatten Sie mir an diesem Punkt, auch auf die aktuelle Debatte über die Riester-Rente einzugehen. Es ist
doch völlig absurd, dass die eine Hand des Staates erst
den Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge
massiv unterstützt, um sie später durch eine Anrechnung
auf die Grundsicherung mit der anderen Hand wieder
aus der Tasche des gering verdienenden Sparers zu ziehen.
(Beifall der Abg. Birgit Homburger ({3})
Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union und
der SPD, warum sollte ein Geringverdiener heute noch
in einen Riester-Vertrag einzahlen, wenn er denn befürchten muss, komplett für den Staat zu sparen? Seien
Sie doch ehrlich. Wer bislang nicht viel verdient hat oder
längere Zeit nicht gearbeitet hat und keine Perspektive
für eine grundlegende Änderung dieser Situation besitzt,
kann sich ausrechnen, dass seine Rente nicht über
Grundsicherungsniveau liegt.
({4})
Er wäre, gelinde gesagt, „schön blöd“ - es gibt entsprechende Werbesprüche -, von seinen niedrigen Einkünften auch noch etwas zu sparen, wenn es ihm ohnehin
später vom Sozialamt komplett wieder abgeknöpft wird.
Diese Politik, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank und in den Reihen der Koalition, konterkariert die Intention von Walter Riester. Denn erklärtes Ziel
der Riester-Rente war: Wer freiwillig etwas für die Altersvorsorge tut, soll im Alter mehr haben als diejenigen,
die nicht freiwillig vorsorgen.
({5})
Die FDP hat deshalb schon im November einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der morgen beraten
wird. Wir wollen einen Freibetrag für grundsicherungsbeziehende Riester-Rentner. 100 Euro bleiben komplett
anrechnungsfrei. Alles, was darüber hinausgeht, wird
nur zu 80 Prozent auf die Grundsicherung angerechnet.
({6})
Wir fordern den Bundesarbeitsminister Olaf Scholz
und die Koalition auf: Stellen Sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Riester-Rente wieder her!
Stellen Sie sicher, dass jeder, der sich die Beiträge vom
Mund abgespart hat, später uneingeschränkt in den Genuss einer Zusatzrente kommt! Es ist ganz einfach: Wir
legen Ihnen einen entsprechenden Antrag vor, Sie müssen dann nur noch zustimmen.
Vielen Dank.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Anton Schaaf für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch zu
fortgeschrittener Stunde habe ich das Bedürfnis, sachlich
zu diskutieren. Was bisher gesagt worden ist, ist mit
Ausnahme der Äußerungen des Kollegen Peter Weiß relativ absurd.
Es ist hochspannend, wie sich die FDP in Sachen
Riester-Rente verhält. Bei der vereinigten Linken dieser
Republik habe ich diesbezüglich weniger Sorge, was den
populistischen Umgang mit diesem Thema betrifft. Aber
was Sie, Herr Rohde, gerade zur Riester-Rente gesagt
haben, ist schon ein starkes Stück. Ich will das direkt
aufgreifen.
Sie sagen, die Leute und auch Sie von der FDP würden es nicht verstehen, dass jemand, der privat spart,
({0})
staatlich massiv unterstützt, später im Falle der Bedürftigkeit - und nur dann - das Gesparte einsetzen muss,
um der Bedürftigkeit zu entkommen. Das sei ordnungspolitischer Unfug.
({1})
Ihr Vorwurf ist angesichts der Tatsache, dass Sie immer nur auf die private Verantwortung setzen, wirklich
absurd. Das ist Populismus pur, den Sie da betreiben. Sie
sind auf diese Monitor-Nummer vom Montag aufgesprungen.
({2})
Getoppt wurde das heute Mittag nur von Lafontaine.
Der war ja noch schlimmer als Monitor, und Monitor
war schon an der Grenze des Erträglichen. Lafontaine
hat es heute Mittag tatsächlich hinbekommen, die
Grenze des Erträglichen noch zu sprengen.
Herr Schneider, das haben Sie nicht ganz geschafft,
weil Sie die dafür notwendige Qualität nicht mitbringen,
zumindest nicht die rhetorische.
({3})
Inhaltlichen Unfug können Sie aber auch erzählen, und
den haben Sie auch erzählt. Ich gehe aber auf Ihren Antrag ein. Ich meine, Sie haben ein Recht darauf, dass wir
auf den Antrag, den Sie in den Deutschen Bundestag
eingebracht haben, eingehen. Mir fällt das allerdings
wirklich schwer.
Ich will versuchen, meine Meinung zu einem Punkt
sehr deutlich zu formulieren. Sie wollen, dass die Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben wird.
({4})
Man kann ja darüber diskutieren, wo sie liegen soll oder
ob man sie eventuell aufheben soll. Dann aber, wenn alle
einzahlen, auch die Bezieher hoher Gehälter, weil die
Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben wurde, wollen
Sie die Ansprüche abflachen. Der Generalsekretär der
vereinigten Linken hat in Bezug auf Riester und Grundsicherung heute Mittag behauptet, wir würden die Menschen betrügen, was ich für absoluten Unfug halte. Wenn
Sie das Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung
aufheben, also Menschen Beiträge zahlen lassen - Stichwort: Eigentumsvorbehalt -, ihnen die Ansprüche daraus
aber nicht gewähren, dann ist das genauso ein Betrug
wie bei der Riester-Rente. Nichts anderes ist das.
({5})
Genau so muss man das formulieren. Wenn man über
diesen Weg umverteilt, enteignet man Eigentum. Man
kann über Umverteilung immer diskutieren, mit mir allemal. Der entscheidende Punkt ist aber, dass eine Umverteilung über Beiträge schlichtweg Enteignung ist. Die
Rechtsprechung, zumindest die derzeit gültige, sagt genau das.
({6})
Schauen wir uns Ihre konkreten Vorschläge, zum Beispiel zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten, an.
Sie wollen, dass auch für die vor 1992 geborenen Kinder
drei Jahre Erziehungszeit angerechnet werden. Allein
die Erfüllung dieser Forderung würde 9 Milliarden Euro
kosten. An dieser Stelle sind Sie übrigens auch nicht gerecht; denn die Bestandsrentnerinnen würden davon
nicht profitieren. Wenn Sie das verändern, haben Sie immer noch eine Gerechtigkeitslücke. Wir müssten aber
9 Milliarden Euro zusätzlich in die Hand nehmen. Sie
sagen, dass Sie über Beiträge umverteilen wollen. Über
Beiträge würden Sie aber gar nichts umverteilen. Letzten
Endes müssten wir den Steuerzuschuss, der jetzt schon
78 Milliarden Euro beträgt, deutlich erhöhen, um das finanzieren zu können. Das ist der entscheidende Punkt.
Ein anderer Punkt, den ich gerne noch ansprechen
möchte, ist die ehrenamtliche Pflege. Wir können feststellen, dass darüber schon jetzt Rentenanwartschaften
erworben werden. Die Frage war, wie weit man geht. Ich
plädiere dafür, Menschen, die Pflegebedürftige unterstützen, professionell zu helfen, damit sie in der Lage
sind, durch Erwerbstätigkeit eigene Rentenanwartschaften zu erwerben. Das ist mein Petitum. Ich bin nicht dafür, das auszuweiten und auf diesem Gebiet noch viel
mehr zu machen.
Interessant fand ich die Frage der Anerkennung von
Schul-, Ausbildungs- und insbesondere von Studienzeiten. Da wurde es höchst spannend. Da kommt die vereinigte Linke daher und sagt, die Studienzeiten müssten
bei der Berechnung der Rente wieder vernünftig angerechnet werden. Ich sage Ihnen, was das ist: eine knüppelharte Umverteilung von unten nach oben, sonst
nichts. Sie nehmen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die eine Ausbildung gemacht haben, die jahrelang gearbeitet haben und in dieser Zeit Steuern und Beiträge gezahlt haben, real Geld weg, wenn Sie das so
machen.
({7})
Das ist eine Umverteilung von den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern auf die Akademikerinnen und Akademiker, die nach Abschluss ihres Studiums in ausreichendem Maße Ansprüche erwerben können. Das ist
eine Umverteilung von unten nach oben. Deswegen haben wir damals an der Stelle einen Riegel vorgeschoben.
Ich finde es völlig richtig, dass wir das so gemacht haben.
Ich will die Riester-Rente, über die wir heute Mittag
diskutiert haben, gerne noch einmal aufgreifen. Herr
Rohde, über das Nachrangigkeitsprinzip sind wir uns
doch völlig einig, hoffe ich jedenfalls. Sie wollen es an
dieser Stelle aber außer Kraft setzen. Sie wollen, dass
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Grundsicherung durch die Steuern, die sie zahlen, gewährleisten.
Gleichzeitig bringen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Steuergelder auf, damit die Riester-Rente gefördert werden kann; auch das tun sie.Dann sagen Sie: Im
Falle der Bedürftigkeit, in dem die Grundsicherung gezahlt wird, machen wir bei denen, die Grundsicherung
bekommen, eine Ausnahme. Bei denen wird dann das,
was sie sich selber erarbeitet haben, nicht angerechnet;
bei allen anderen ja, aber in diesem Fall nicht. Ich halte
es für fatal und völlig falsch, das so zu machen. Sie setzen damit ein Grundprinzip unseres Sozialstaates, nämlich die Nachrangigkeit, außer Kraft.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rohde?
Aber sicher, gern.
Vielen Dank, Herr Kollege Schaaf. - Ich möchte Ihnen gern eine Frage stellen. Wir liegen in unseren Ausführungen nicht so weit auseinander, wie Sie es dargestellt haben. Nachrangigkeit ist richtig; aber ich möchte
fragen, ob Sie mit mir in folgendem Grundsatz übereinstimmen: Wer in einem Riester-Sparvertrag spart, soll
mehr haben als der, der nicht in einem Riester-Sparvertrag spart. Wenn jemand trotz gesetzlicher Rente und
Riester-Sparvertrag nicht genug hat, um die Grundsicherung im Alter abzudecken, bekommt er genauso viel wie
jemand, der nicht spart. Das empfinde ich als hochgradig
ungerecht. Diese Ungerechtigkeit ist die Intention.
Bei der Gelegenheit möchte ich noch sagen: Wir waren zwei Monate vor der Monitor-Sendung aktiv. Auch
wir haben uns gewundert, dass der Aufschrei so spät
kam.
Danke, Herr Rohde. Selbstverständlich beantworte
ich Ihnen die Frage sehr gerne. Ich beantworte sie mit einer Gegenfrage: Wenn Sie die Riester-Rente, zumindest
zum Teil, anrechnungsfrei stellen wollen, warum dann
nicht auch die Betriebsrente?
({0})
Warum nicht die selbsterworbenen Rentenansprüche?
Warum nicht kapitalgedeckte Lebensversicherungen, die
ausschließlich als Rente ausgezahlt werden? Sie müssten
dann schlichtweg all diese Faktoren aufgrund des
Gleichbehandlungsgrundsatzes von der Anrechnung
ausnehmen,
({1})
und zwar nur in diesem besonderen Fall. Wir tun es in
keinem anderen Fall; aber in diesem wollen wir es machen. Das kann man in dieser Form nicht. Das funktioniert nicht. Wir würden damit unser Sozialstaatsprinzip,
das im Wesentlichen auf Nachrangigkeit beruht, infrage
stellen.
Ich kann mir das nur unter einer einzigen Konstellation vorstellen, die ich nicht will: Wenn man Grundsicherung im Alter fordert, dann müsste man die Unterhaltspflicht tatsächlich wieder einführen. Dann könnte
ich mir vorstellen, dass man auch etwas anrechnungsfrei
stellt. Aber wenn man den Staat in Anspruch nehmen
muss - das will ja niemand -, dann muss man zunächst
einmal die eigene Leistungsfähigkeit mit in die Waagschale werfen. Nachrangig folgt dann die Leistung der
Solidargemeinschaft.
Meine Redezeit läuft jetzt, glaube ich, weiter. Ich will
den Feierabend nicht weiter aufhalten, aber an einer
Stelle muss ich noch eingreifen. Wir haben heute Mittag
ja schon sehr deutlich miteinander über dieses Thema
diskutiert. Ich habe gesagt: Die beste Prävention gegen
Altersarmut ist, dass die Menschen in Arbeit sind, und
zwar in guter Arbeit, in auskömmlicher Arbeit.
({2})
Das ist für mich die beste Prävention, die wir machen
können. Wir waren bei der Senkung der Arbeitslosigkeit
relativ erfolgreich. Wir waren allerdings an vielen Stellen nicht erfolgreich, was gute Arbeit angeht, Arbeit, für
die Menschen anständig entlohnt werden.
Ich glaube, die beste Prävention ist tatsächlich das,
was zurzeit in der öffentlichen Debatte ist: Die Menschen brauchen einen Mindestlohn, sie brauchen eine
Mindestabsicherung nach unten. Die Menschen brauchen in den jetzt anstehenden Tarifrunden vernünftige
Lohnerhöhungen. Denn die wirken nicht nur positiv auf
die sozialen Sicherungssysteme, sondern auch für den
Einzelnen sind sie selbstverständlich ein Gewinn, was
die individuellen Anwartschaften angeht.
Deswegen kann ich nur noch einmal das wiederholen,
was ich heute Mittag gesagt habe: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Menschen für gute Arbeit anständig entlohnt werden. Wenn sie anständig entlohnt werden für anständige Arbeit, haben sie im Alter
auch anständige Ansprüche.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen guten
Abend.
({3})
Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir führen heute und morgen drei Rentendebatten mit
sehr unterschiedlichen Titeln; aber immer wieder wird
alles durcheinandergemischt. Allen ist egal, welchen
Titel welche Debatte hat. Jeder redet über Riester und
über irgendwelche anderen Themen.
Ich möchte jetzt einmal zum Antrag der Linksfraktion
sprechen, in dem der Solidarausgleich in der Rente gefordert wird. Dazu kann ich nur sagen: Wie weit die gesellschaftliche Debatte über das Thema Altersarmut vorangeschritten ist, zeigt ein Blick in die Suchmaschine
Google. Ich habe dort 161 000 Dokumente aus dem
deutschsprachigen Raum zu diesem Thema gefunden.
Mit Ausnahme der Regierungskoalition sind sich die
Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen politischen Lagern mittlerweile darin einig, dass hier eine
Zeitbombe schlummert. In den nächsten 15 bis 20 Jahren
wird, wenn wir nicht gegensteuern, die Altersarmut ein
Massenphänomen; darauf müssen wir politisch reagieren.
({0})
Das Armutsrisiko wird für künftige Rentnerinnen und
Rentner steigen. Heute sind es 2,2 Prozent von ihnen, die
die Grundsicherung beanspruchen. Künftig wird die
Zahl ein Vielfaches davon betragen.
Es besteht Konsens darüber, welche Ursachen die
wachsende Armut im Alter hat. Die Geister scheiden
sich, wenn es um Lösungen zur Vermeidung dieser Armut geht. Wir dürfen es aber nicht zulassen, dass Armut
im Alter solche Dimensionen annimmt, wie ich sie gerade angesprochen habe. Forschungsergebnisse besagen:
Im Jahre 2022 werden 2 Millionen Rentner und Rentnerinnen vom Armutsrisiko betroffen sein.
Die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen seit
Beginn der 90er-Jahre zu gebrochenen Erwerbsbiografien und zu niedrigen Einkommen. Die Nettolöhne sind
in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, vor allen Dingen die der Geringqualifizierten nicht. Eine Anpassung
der Rentenpolitik an die veränderten Erwerbsverläufe
und Familienformen ist also absolut notwendig.
({1})
Die vorhandene Grundsicherung im Alter, auf die
stets verwiesen wird, ist für uns keine Lösung. Wer seine
Arbeitskraft ein Leben lang zur Verfügung gestellt hat,
muss ein Einkommen oberhalb der Bedürftigkeitsgrenze
erhalten. Anton, ich glaube, hier sind wir uns einig.
({2})
Ähnlich wie wir will die Linke eine Aufwertung der
Entgelte für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie
schlägt dazu eine Entfristung der Rente nach Mindestentgeltpunkten vor. Allerdings war diese Rente für langjährig Beschäftigte mit mindestens 35 Beitragsjahren
vorgesehen. Zumindest für viele Frauen aus den alten
Bundesländern, die zu den Jahrgängen bis 1961 gehören,
bietet dieses Instrument keinen Schutz vor Armut. Denn
in der letzten AVID-Studie kam man zu dem Ergebnis,
dass Frauen auf maximal 33 Beitragsjahre kommen. Sie
hätten davon also gar nichts.
Meine Damen und Herren, die Linke schlägt außerdem die Wiedereinführung von rentenrechtlichen Anrechnungszeiten für die Schul- und Hochschulbildung
vor. Wir finden die Wiederbelebung der vollen Anrechnungszeiten nicht sinnvoll. Damit begünstigen Sie diejenigen, die das Privileg einer langen Schul- und Hochschulbildung haben, ein weiteres Mal; das ist gerade
schon vom Kollegen Schaaf gesagt worden. Bei einem
umlagefinanzierten Verfahren, wie wir es haben, müssten dafür alle Versicherten höhere Beiträge entrichten,
auch dann, wenn sie die Vorteile einer Hochschulausbildung nicht nutzen können.
Sehr aufschlussreich ist allerdings der Vorschlag der
Linken, wie die Ausweitung der solidarischen Elemente
in der gesetzlichen Rentenversicherung gegenfinanziert
werden soll. Sie schlagen eine Anhebung und eine
schrittweise Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze
vor. Den höheren Beiträgen sollen aber keine entsprechenden Rentenleistungen folgen. Wenn Sie von der
Linken irgendwann einmal in der Regierungsverantwortung wären,
({3})
würden Sie sich wundern, wie schnell Sie mit dieser Position vor einem Gericht scheitern würden. Denn der Eigentumsschutz bei der Rente ist aufgrund mehrerer
höchstrichterlicher Entscheidungen für das deutsche
Rentenrecht prägend.
Sie bezeichnen diesen Schritt als Weiterentwicklung
der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung. Auch wir wollen eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen. Ich habe mich
aber gefragt, warum Sie den Solidarausgleich nicht über
Steuern finanzieren wollen. Denn dann würden Sie nicht
nur die Pflichtversicherten an der Finanzierung beteiligen, sondern auch Bevölkerungsgruppen, die nicht rentenversicherungspflichtig sind.
Wir können Ihrem Antrag nicht zustimmen. Es gibt
einige Punkte, die in die richtige Richtung gehen; andere
bedeuten aber eine Rückkehr zur alten Politik à la Blüm
und Kohl.
({4})
Diese Punkte können wir nicht mittragen. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.
({5})
Ich schließe nun die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7038 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich höre dazu kei14394
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
nen Widerspruch. Sie sind damit einverstanden. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen ({1}),
Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Jörg Tauss, Martin Dörmann, Christoph Pries,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weiterentwicklung des Adressraums im Internet
- Drucksachen 16/4564, 16/6342 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Jörg Tauss
Hans-Joachim Otto ({2})
Dr. Lukrezia Jochimsen
Grietje Bettin
Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kol-
leginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Dorothee Bär, Jörg Tauss, Christoph Pries, Christoph
Waitz, Lothar Bisky und Grietje Bettin.1) Damit erübrigt
sich eine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/6342, den Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4564
anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? -
Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf:
28 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck ({3}), Marieluise Beck ({4}),
Alexander Bonde, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung
- Drucksache 16/7134 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({6}), Jerzy Montag, Wolfgang Wieland,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Völkerstrafgesetzbuch wirksam anwenden
- Drucksache 16/7137 -
1) Anlage 4
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({7})
Rechtsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Karl
Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Für eine verbesserte Zusammenarbeit deutscher Behörden bei der Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch
- Drucksache 16/7734 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Hier haben folgende Kolleginnen und Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben: Siegfried Kauder,
Christoph Strässer, Florian Toncar, Wolfgang Nešković
und Thilo Hoppe.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/7134, 16/7137 und 16/7734 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage auf Drucksache 16/7134 federführend beim Rechtsausschuss und die Vorlage auf
Drucksache 16/7137 federführend beim Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe beraten werden
soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes
- Drucksache 16/7716 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Hier haben die Kolleginnen und Kollegen Paul
Lehrieder, Anette Kramme, Heinz-Peter Haustein, Katja
Kipping, Jerzy Montag und der Parlamentarische Staats-
sekretär Klaus Brandner ihre Reden zu Protokoll3) gegeben.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/7716 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
sind diese Überweisungsvorschläge so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heike
Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Dr. Lothar Bisky,
2) Anlage 5
3) Anlage 6
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Eintreten für die Beendigung der von den USA
auferlegten Wirtschafts-, Handels- und Fi-
nanzblockade gegen Kuba
- Drucksachen 16/5115, 16/5675 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Lothar Mark
Marina Schuster
Wolfgang Gehrcke
Jürgen Trittin
Hier ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kol-
leginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Erich G. Fritz, Lothar Mark, Marina Schuster, Heike
Hänsel und Dr. Uschi Eid.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/5675, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/5115 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen FDP
und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gesundheitscheck der europäischen Agrarpolitik - Mit Klimabonus zu Klimaschutz, guter
Ernährung und nachhaltiger Entwicklung
- Drucksache 16/7709 Überweisungsvorschlag:
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für. die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Hier geben die folgenden Kolleginnen und Kollegen
ihre Reden zu Protokoll: Marlene Mortler, Dr. Peter Jahr,
Waltraud Wolff, Hans-Michael Goldmann, Dr. Kirsten
Tackmann und Ulrike Höfken.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/7709 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b
auf:
17 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter,
1) Anlage 7
2) Anlage 8
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr ergreifen
- Drucksache 16/5967 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Klima- und umweltpolitische Herausforderungen der Hochseeschifffahrt
- Drucksache 16/6790 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben: Dr. Andreas Scheuer,
Christian Carstensen, Dr. Margrit Wetzel, Jan Mücke,
Eva Bulling-Schröter und Winfried Hermann.3)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/5967 und 16/6790 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({14}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Winfried
Hermann, Anna Lührmann, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Erhaltungsrückstand bei Bundesfernstraßen
beenden
- Drucksachen 16/3141, 16/4629 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Blank
Folgende Kolleginnen und Kollegen haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben: Renate Blank, Jörg
Vogelsänger, Patrick Döring, Dorothée Menzner und
Dr. Anton Hofreiter. 4)
3) Anlage 9
4) Anlage 10
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/4629, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3141 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 18. Januar 2008,
9 Uhr, ein.
Für den restlichen Abend wünsche ich noch einige
angenehme Stunden.
Ich schließe die Sitzung.