Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/16/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu unserer ersten Sitzung im Jahr 2008 und wünsche Ihnen, Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Mitarbeitern der Fraktionen und der Bundestagsverwaltung ein erfolgreiches Jahr. ({0}) - Ich bedanke mich für die Wünsche. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Vierter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt. Bitte.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf mich den guten Wünschen für das neue Jahr anschließen. Das Kabinett hat heute den Vierten Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung beschlossen. Sie alle wissen, dass mit Einführung der Pflegeversicherung festgelegt wurde, dass die Bundesregierung dem Bundestag alle drei Jahre einen Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung, der Pflegeinfrastruktur und über andere damit zusammenhängende Fragestellungen vorlegt. Der Vierte Bericht enthält eine ausführliche Datenzusammenstellung, aus der die Entwicklung der im Zusammenhang mit der pflegerischen Versorgung maßgeblichen Daten hervorgeht. Der Bericht bietet einen Überblick über den Zeitraum 2004 bis 2006 sowie über neueste Entwicklungen. Die Daten geben detailliert Auskunft über die Anzahl der Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger, strukturiert nach Pflegestufen, Leistungsarten, Alter und Geschlecht. Die Daten geben ferner Auskunft über die finanzielle Situation der Pflegeversicherung, unterteilt nach Finanzentwicklung, Ausgabenstruktur und Perspektiven, über die Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, über die Vergütungen ambulanter und stationärer Pflegeleistungen, über die Auswirkungen der Pflegeversicherung im Bereich der Sozialhilfe, über die Entwicklung der Pflegeinfrastruktur, über die Entwicklung der Ausbildung in der Altenpflege sowie über die Qualitätssicherung in der Pflege und die demografische Entwicklung. Die wesentlichen Inhalte sind folgende: Derzeit erhalten jeden Monat rund 2,1 Millionen Menschen Leistungen der Pflegeversicherung. Rund 1,4 Millionen Menschen beziehen ambulante Pflegeleistungen und rund 700 000 Menschen stationäre Leistungen. Mithilfe der Pflegeversicherung ist es gelungen, einen großen Teil der Menschen, die pflegebedürftig geworden sind, von der Sozialhilfe unabhängig zu machen. Sie wissen, dass vor Einführung der Pflegeversicherung im stationären Bereich in Deutschland 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen waren. In den neuen Bundesländern waren es zu dem Zeitpunkt 100 Prozent. Heute stellen wir fest, dass im ambulanten Bereich weniger als 5 Prozent und im stationären Bereich rund 25 Prozent der Menschen auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die jährlichen Aufwendungen für Sozialhilfe als Ergänzung zu den Leistungen der Pflegeversicherung sind seit dem Jahr 1994 um rund 6 Milliarden Euro auf 3 Milliarden Euro - dieser Wert ist jetzt relativ stabil - gesunken. Seit 1995 sind im Bereich der Pflege rund 300 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Der Bericht gibt Auskunft über die gelungenen Investitionsprogramme in den neuen Bundesländern, wo im Bereich der Infrastruktur viel aufgebaut werden muss. Als Beispiel für die Projekte, die zusammen mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung im ambulanten Bereich erprobt werden, nenne ich das Projekt „Gemeindeschwester AGnES“. Redetext Die Pflegeversicherung hatte Ende des Jahres 2006 ein Finanzpolster in Höhe von 3,5 Milliarden Euro. Der Überschuss betrug 2006 450 Millionen Euro; er ist auf die Einmalleistungen, die 13. Monatsbeiträge, zurückzuführen. Ansonsten hatten wir in den letzten Jahren immer ein Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben. Ich muss aber hierzu sagen: Das hat nichts mit der demografischen Entwicklung oder den Ausgaben der Pflege zu tun, sondern ist ganz klar darauf zurückzuführen, dass wir seit vielen Jahren eine hohe Arbeitslosigkeit hatten und die Beiträge für die arbeitslosen Menschen gekürzt wurden, was zu direkten Einnahmeverlusten geführt hat. Der Bericht vernachlässigt auch nicht, dass es Handlungsbedarf gibt. Dieser Handlungsbedarf wird mit dem Gesetzentwurf zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung umgesetzt, der dem Bundestag vorliegt und über den Sie derzeit im Ausschuss diskutieren. Er macht vor allen Dingen deutlich, dass wir mehr tun müssen, um die Pflegeleistungen auszubauen und sie an den Bedürfnissen der Menschen zu orientieren, dass wir die wohnortnahen Versorgungsstrukturen aufbauen und den Schwerpunkt auf die häusliche Pflege setzen und diese voranbringen müssen. Stichworte hierfür sind: Vernetzung, Leistungsdynamisierung und Verbesserung der Leistungen für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz. Der Bericht wird Ihnen zugeleitet. Er ist nach der Kabinettssitzung sofort ins Internet gestellt worden und kann als ergänzende Grundlage für die Diskussion über die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung genutzt werden. Vielen Dank.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat der Kollege Ilja Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, ich verstehe ja, dass Sie zunächst einmal die positiven Aspekte besonders hervorheben, aber Sie verstehen vielleicht auch, dass mich und uns die kritischen Momente etwas mehr interessieren; denn diese müssen verändert werden. Was sagt denn der Bericht über die gravierenden Vorwürfe in Bezug auf gefährliche Pflege, auf Mängel in der Pflege aus? Wir haben ja den MDK-Bericht noch im Kopf, der aufzeigte, dass ungefähr ein Drittel der pflegebedürftigen Menschen nicht genügend zu essen und zu trinken bekommen und dass sie zu einem erheblichen Maße an Dekubitus und ähnlichen Dingen leiden. Wie soll dies abgeschafft werden? Da besteht - zumindest laut MDK-Bericht - erheblicher Handlungsbedarf. Was sagt der jetzt vorliegende Bericht dazu, und was will die

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Seifert, der Bericht greift auch das auf, was in den Berichten des MDK hervorgehoben wurde. Im zweiten Bericht des MDK wurde deutlich, dass sich trotz bestimmter Mängel die Situation der Pflegebedürftigen verbessert hat. Ich bitte bei der Diskussion über Missstände, die es gibt, immer zu beachten - auch das wurde klar -, dass bei 90 Prozent der Überprüfungen festgestellt wurde, dass die pflegebedürftigen Menschen eine gute und ausreichende Versorgung erhalten. Aber die verbleibenden 10 Prozent sind tatsächlich zu viel. Deswegen haben wir in dem Gesetzentwurf, der dem Bundestag vorliegt, dem Bereich der Qualitätssicherung eine ganz besondere Bedeutung zugemessen. Ich sehe vor allen Dingen in der Verkürzung der Zeiträume zwischen den Überprüfungen, also der Kontrollfunktionen, in der Vernetzung mit den Kontrollen der Heimaufsicht und vor allen Dingen in der Forderung, dass die Berichte veröffentlicht werden, und zwar Einrichtung für Einrichtung, sowohl im ambulanten wie im stationären Sektor, wesentliche Merkmale dafür, dass die durchgeführten Qualitätsprüfungen und die Anstrengungen zur Verbesserung der Qualität, die es in vielen Einrichtungen gibt, dazu führen, dass die Betroffenen und ihre Familien anhand der Ergebnisse die Qualität einer Einrichtung kontrollieren können. Wir hoffen, dass dann durch das Abstimmen mit den Füßen die Einrichtungen, die schlechte Ergebnisse haben, keinen Zulauf mehr bekommen, und die Einrichtungen, die bereits Anstrengungen unternommen haben, noch mehr Anstrengungen unternehmen, damit sie positiv bewertet werden. Wir wollen, dass Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität überprüft werden. Wir wollen, dass die einzelnen Menschen bei jeder Prüfung mehr im Mittelpunkt stehen. Zu unseren Vorschlägen gehört auch, dass wir Expertenstandards entwickeln wollen, um denen, die im Bereich der Pflege tätig sind, Hilfestellungen geben zu können, wie zum Beispiel ein Dekubitus vermieden oder eine ausreichende Nahrungszufuhr gesichert werden kann. Insofern - das habe ich bereits gesagt - wird in diesem Bericht auch aufgezeigt, wo Defizite bestehen. Mit diesem Gesetzentwurf, der dem Parlament vorliegt, haben wir im Rahmen der Diskussion über die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung Antworten gegeben, um diese Situation zu verbessern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke schön. - Die nächste Frage stellt die Kollegin Mattheis.

Hilde Mattheis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003588, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht. Ich habe eine Frage, die über den Aspekt der Qualität, der uns alle beschäftigt, hinausgeht. Es geht um die Pflegeinfrastruktur bzw. die Pflegestrukturen. Im Prinzip ist es der Auftrag der Länder, diese aufzubauen und zu erweitern. Meine Frage an Sie ist: Welche Möglichkeiten haben wir vonseiten des Bundes, um die Entwicklung der Pflegeinfrastruktur noch ein Stück weit zu unterstützen? Gibt es hier Möglichkeiten, und wie können wir sie nutzen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ich glaube, es ist erst einmal richtig, Frau Kollegin Mattheis, zu sagen, dass die Länder beim Aufbau der Infrastruktur eine originäre Verpflichtung haben, auch in den Kommunen. Ich erinnere daran, dass bei der Verabschiedung der Pflegeversicherung, die im Jahre 1995 in Kraft trat, davon ausgegangen wurde, dass die im Bereich der Sozialhilfe eingesparten Mittel in den Aufbau der Infrastruktur investiert werden. Heute besteht in Deutschland die Situation, dass es rund 21 000 Angebote gibt, wobei die Zahl ambulanter und stationärer Angebote relativ gleich verteilt ist; das sage ich, ohne dafür jetzt genaue Zahlen zu nennen. Was vor Ort aber oft fehlt, ist eine Vernetzung. Aus einer Reihe von Diskussionen weiß ich, dass vielen Menschen geholfen werden kann, wenn diejenigen, die vor Ort entscheiden - in der Pflege, der Altenhilfe, der Behindertenhilfe und vielen anderen Bereichen -, zumindest miteinander reden. Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf, der Ihnen vorliegt, zum Aufbau der Strukturen gesagt: Wir möchten gerne, dass die Menschen, die vor Ort entscheiden, für die Pflegebedürftigen arbeiten und den gesamten Fall kennen, miteinander reden und die Leistungen, die sie erbringen, miteinander abstimmen. Der Aufbau der Pflegestützpunkte, wie wir sie nennen, wird für den Bereich der Infrastruktur einen weiteren Fortschritt bedeuten. Dann könnte man den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen verschiedene Leistungen von der Beratung bis zur Entscheidung unter einem Dach anbieten. Aus vielen Gesprächen weiß ich: Die Mehrheit der Menschen, die zu Hause pflegt, beschwert sich nur selten über die Schwere der Pflege, und das, obwohl diese Arbeit sehr schwierig und mit großem Aufwand verbunden ist und die Familien sehr viel investieren müssen. Diese Menschen fragen sich vielmehr: Wenn ich das schon mache, warum muss ich dann immer meine Laufzettel abarbeiten? Warum muss ich immer von Pontius zu Pilatus laufen? Warum kann man nicht wenigstens das erleichtern? Deshalb sehe ich den Aufbau der Pflegestützpunkte als einen entscheidenden Fortschritt an.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Die nächste Frage stellt die Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, eine kurze Vorbemerkung: Ich habe mich gefreut, dass Sie das Modellprojekt „Gemeindeschwester AGnES“ erwähnt haben. Denn gemeinsam mit meiner Fraktion trete ich seit Jahren dafür ein, dass Gemeindeschwestern wieder wirken können. Das Modellprojekt „Gemeindeschwester AGnES“ haben viele in guter Erinnerung. Ich möchte an Ihren mündlich vorgetragenen Bericht anknüpfen. Sie erwähnten die Arbeitsbedingungen der Menschen, die in der Pflege tätig sind. Ich möchte gerne wissen, ob Sie einen Überblick darüber haben, welche Durchschnittslöhne im Pflegebereich erzielt werden und ob Sie mit mir übereinstimmen, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, die unsere Fraktion im Bundestag schon sehr oft gefordert hat, gerade für den Bereich der Pflege wichtig wäre. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ich kann Ihnen jetzt keine Zahlen zur Entwicklung der Durchschnittslöhne im Pflegebereich nennen. Ich kann nur eines deutlich machen: Die Entlohnung, die die Menschen, die in der Pflege tätig sind, erhalten, entspricht in vielen Einrichtungen nicht dem, was ihre Arbeit eigentlich wert ist; das muss einmal gesagt werden. Ich kenne viele, die nach sehr harter Arbeit mit 1 150 Euro, 1 200 Euro - manche verdienen bis zu 1 400 Euro - nach Hause gehen. Da muss die Gesellschaft diskutieren: Was ist uns die Humanität in der Pflege wert? ({0}) Wie wollen wir auf Dauer Menschen dafür gewinnen, in diesem Bereich tätig zu werden? Die Bundesregierung hat dies zu einem ihrer Aufgabenfelder gemacht. Wir haben in Meseberg beschlossen, eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung verschiedener Ministerien - Sozialministerium, Wirtschaftsministerium, Familienministerium, Gesundheitsministerium - einzurichten. Wir wollen uns zusammensetzen und darüber nachdenken: Wie können wir die Arbeit von Menschen an Menschen besser fördern? Was müssen wir tun, welche Strukturen müssen wir schaffen, damit die Menschen adäquat entlohnt werden können? Wie finden wir neue Wege, auch unter Einbeziehung steuerlicher Anreize? Wir sind mitten in der Diskussion und wollen im April, Mai unsere Vorschläge hier vorstellen. Ansonsten will ich sagen: Ich bin sehr dafür, auch im Bereich der Pflege über Mindestlöhne zu reden; die Gewerkschaften fordern ja Mindestlöhne für den Pflegebereich. Denn wir haben gerade im Bereich der Pflege, auch im ambulanten Bereich, große Konkurrenz, auch durch Anbieter aus den osteuropäischen Ländern, die oft Dumpinglöhne zahlen. Wir müssen, wie Österreich und andere Länder es getan haben, überlegen: Was können wir zur Legalisierung derjenigen beitragen, die in diesem Bereich arbeiten? Wie können wir dafür sorgen, dass die Menschen, die zu Hause arbeiten, abgesichert sind, entlastet werden, von ihren Löhnen leben können? Auch das ist ein Thema, über das die Bundesregierung in dieser ministerienübergreifenden Arbeitsgruppe beraten und zu dem sie Vorschläge unterbreiten wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Elisabeth Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, wie bewerten Sie die Forderung nach neutraler und unabhängiger Beratung und Begleitung der von Pflege Betroffenen, gerade in Bezug auf die Pflegestützpunkte, die in dem Referentenentwurf bzw. im Gesetzentwurf erwähnt sind? Wie werden Neutralität und Unabhängigkeit gewährleistet?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Sie werden auf jeden Fall gewährleistet - schon durch das geltende Recht. Wir wollen ja, dass die Pflegeberatung mit dem Fallmanagement verbunden wird. Oft wird behauptet, dass die Menschen, die die Beratung ausüben, deswegen nicht unabhängig seien, weil die Pflegekassen auch die Pflegeberatung finanzieren sollen. Doch wir haben eine Konstruktion, dass man nicht von einer einzelnen Pflegekasse bezahlt wird, sondern die Pflegekassen als Ganzes die Finanzierung der Pflegeberatung, das Fallmanagement, übernehmen. Die Menschen, die in den Pflegestützpunkten angesiedelt werden, sollen nicht nur beraten, sondern die gesamten Leistungen koordinieren, die Fallbegleitung machen, zum Beispiel das Entlassmanagement, wenn jemand vom Krankenhaus in die Pflege oder zur Rehabilitation kommt. Damit werden auch Prävention und Rehabilitation im Bereich der Pflege umfassend umgesetzt. Ich mache mir keine Sorgen über die Unabhängigkeit. Denn die Menschen, die dafür bezahlt werden, den Einzelnen zu begleiten, zu beraten und mit ihm zu entscheiden, sind in ihrem Beruf unabhängig. Insofern ist eine unabhängige Pflegeberatung gewährleistet, allemal mehr, als wenn nur die die Pflegeberatung machen würden, die auch die professionellen Dienste anbieten. Bei unserer Konstruktion ist man unabhängiger beraten, weil man von der Solidargemeinschaft bezahlt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Daniel Bahr.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Sie haben in dem Bericht, den Sie uns vorgetragen haben, auf die finanzielle Situation der Pflegeversicherung hingewiesen. Es war die FDP, die seinerzeit, als die Pflegeversicherung 1994 aufgebaut wurde, immer darauf hingewiesen hat, dass damit allenfalls eine kurzfristige Entlastung vieler sozialhilfebedürftiger Heimbewohner erreicht werden kann, wir aber, weil die Pflegeversicherung nicht nachhaltig finanziert ist, schon nach wenigen Jahren vor neuen Problemen stehen werden. Deswegen möchte ich zu den Zahlen nachfragen: Zum Ersten. Wie hat sich der Realwert der Leistungen, die Pflegebedürftige aus der Pflegeversicherung erhalten, in dem Zeitraum von 1994 bis heute entwickelt, und wie wird er sich in den nächsten Jahren entwickeln? Trifft es zu, dass die Pflegebedürftigen immer mehr Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen müssen, weil es keine Anpassung der Pflegeleistungen an die steigenden Kosten in der Pflege und insgesamt gab? Zum Zweiten. Sie haben die Bedarfe der Heimbewohner an zusätzlichen Transferzahlungen nur in der Situation vor Einführung der Pflegeversicherung und in der heutigen Situation verglichen. Wie hat sich denn diese Bedürftigkeit hinsichtlich zusätzlicher Leistungen aus dem Transferhaushalt entwickelt? Trifft es zu, dass mehr und mehr Heimbewohner auf eine zusätzliche finanzielle Unterstützung - beispielsweise aus der Sozialhilfe - angewiesen sind, weil sie nicht mehr mit dem auskommen, was die Pflegeversicherung leistet? Ich darf auch noch zur Finanzsituation kommen. Sie haben das Defizit angesprochen und nur den Einmaleffekt des 13. Sozialbeitrages dargestellt. Können Sie auch darstellen, wie der Effekt des Strafbeitrages für Kinderlose aussieht, ohne den das Defizit in der Pflegeversicherung meiner Einschätzung nach ja noch etwas höher sein müsste?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Das Letzte müssen Sie noch einmal näher erklären, Herr Kollege Bahr. Ich kenne keinen Strafbeitrag, der in der Sozialversicherung bezahlt wird. Vielleicht können Sie mir da einmal helfen. Ich weiß nicht, ob Sie am Ende das Urteil des Bundesverfassungsgerichts meinen.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kenne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es hat vorgesehen, dass ein Unterschied zwischen denjenigen, die Kinder erziehen, und den Kinderlosen gemacht werden soll, weil auch durch die Kindererziehung ein Beitrag dafür geleistet wird, die Pflegeversicherung insgesamt finanziell nachhaltig zu machen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber mitnichten vorgesehen, dass es einen höheren Beitragssatz für Kinderlose gibt. Genau das - nämlich 0,25 Prozentpunkte hat die rot-grüne Regierung damals aber beschlossen. Wie viel macht dieser erhöhte Beitragssatz für Kinderlose für die Pflegeversicherung aus?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich rege an, dass die Frau Ministerin die Fragen, die für sie jetzt erkennbar waren, beantwortet und dass der Kollege Bahr sich dann vielleicht noch ein zweites Mal meldet, wenn er noch eine Frage nachschieben möchte. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Zu dem Letzten, Herr Kollege Bahr. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass es im Bereich der Pflege zwei Arten von Leistungen gibt. Zum einen ist das die monetäre Leistung, zum anderen ist das die aktive Hilfe. Es gibt nur deshalb genügend Personen, die Menschen im Alter pflegen, weil viele Menschen Kinder haben, die nicht nur, wie das in anderen Zweigen des Sozialsystems der Fall ist, in die Pflegekasse einzahlen. All diejenigen, die keine Kinder haben, sind darauf angewiesen, dass die Kinder anderer - derjenigen, die Kinder in die Welt gesetzt und aufgezogen haben - den professionellen Beruf der Pflege ergreifen oder im Bereich des Ehrenamtes oder anderswo tätig werden. Es gab dann zwei Möglichkeiten. Man hätte den Beitrag für diejenigen, die Kinder haben, senken können. Das hätte aber nur sehr schlecht zu den finanziellen Entwicklungen der Pflegeversicherung gepasst. Man hätte auch die Steuergelder erhöhen können. Ich muss aber sagen, dass das insbesondere nicht zu den Anträgen der FDP gepasst hätte, die immer wieder sagt, dass wir in diesem Bereich im Haushalt alles Mögliche streichen. ({0}) Deshalb war es unser Vorschlag, dass diejenigen, die keine Kinder haben, 0,25 Prozentpunkte mehr an Beiträgen zahlen. Dieser Weg, den wir gegangen sind, wird auch akzeptiert. Auf kaum einer Veranstaltung - es mag sein, dass das auf FDP-Veranstaltungen noch anders ist wird dies noch diskutiert. Die Menschen akzeptieren es, dass die einen, die Kinder aufziehen und dadurch Kosten haben, weniger zahlen und dass die anderen mit ihren höheren Beiträgen auch die monetären Leistungen finanzieren, die eben nur so erbracht werden können. Zu den anderen Fragen. Wir haben einen leichten Anstieg zu verzeichnen. Es waren rund 700 Millionen Euro. Das ist in etwa gleich geblieben. Das Wachstum ist also nicht sehr groß. Es können auch 720 Millionen Euro gewesen sein. In den letzten Jahren gab es tendenziell wieder einen ganz leichten Anstieg der Zahl derjenigen, die auf zusätzliche Hilfe in der Sozialhilfe angewiesen sind. Wir liegen aber bei unter 25 Prozent. Ich sage noch einmal: Vor der Einführung der Pflegeversicherung lagen wir in Gesamtdeutschland bei 80 Prozent. Das ist ein Riesenunterschied. Das sind gerade die Gründe dafür, warum wir einen Gesetzentwurf zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vorgelegt haben, zu der auch Leistungsdynamisierungen gehören. Das war der Grund für die Bundesregierung und auch die Koalitionsfraktionen, dem Vorschlag vieler Wissenschaftler, zur Stärkung der häuslichen Pflege die Leistungen im ambulanten Sektor anzuheben und parallel dazu die Leistungen im stationären Bereich zu kürzen, um zu einer ausgewogenen Finanzierung zu kommen, nicht zu folgen. Denn wir glauben, dass auch die Finanzierung der Pflege in stationären Einrichtungen notwendig ist. Wir heben die Leistungen in der Pflegestufe III und bei den Schwerstpflegebedürftigen auch im Bereich der stationären Pflege an. Damit wir hier die Unabhängigkeit beibehalten und die gute Finanzierungssituation im stationären Bereich sicherstellen können, haben wir beschlossen, die Beiträge um 0,25 Prozentpunkte anzuheben, um die Leistungen durch zusätzliche Mittel statt durch Einsparungen an anderer Stelle zu finanzieren. Da die Leistungssätze seit fast zehn Jahren - abgesehen von kleinen Bewegungen - weitgehend unverändert geblieben sind, ist es im Übrigen klar, dass gemessen an der Preisentwicklung und den Ausgaben für Löhne und Investitionen eine negative Entwicklung zu verzeichnen ist. Deshalb haben wir vor, die Leistungssätze ab 1. Juli anzuheben und ab 2015 eine Dynamisierung der Leistungen einzuführen. Dabei ist eine regelmäßige Überprüfung der Anpassung vorgesehen, um zu verhindern, dass sich die Kosten stärker entwickeln als die Leistungen. Was Ihre Feststellung angeht, dass die Menschen mehr bezahlen müssen, lege ich sehr großen Wert darauf, dass wir an dem festhalten, was damals auch unter Ihrer Regierungsbeteiligung beschlossen und auf den Weg gebracht wurde, nämlich dass die Pflegeversicherung eine ergänzende Versicherung ist. Die Pflegeversicherung deckt nicht die Kosten der Pflege ab. Für die Pflege ist der Einzelne zuständig. Die Pflegeversicherung gibt dem Einzelnen einen Zuschuss; ihm wird ein entsprechend hoher Kostenanteil erstattet, damit er die pflegebedingt entstehenden Leistungen finanzieren kann. Das bezieht sich auf die reinen Pflegekosten. In stationären Einrichtungen entstehen noch weitere Kosten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Spielmann.

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, im Zusammenhang mit dem Bericht sind auch Fragen der demografischen Entwicklung und der Beitragssatzentwicklung von Interesse. Obwohl eine langfristige Finanzierungslösung leider noch nicht gefunden werden konnte, wie wir alle wissen, finde ich persönlich es gut, dass die drängenden strukturellen und auch leistungsrechtlichen Fragen der Pflege mit unserem Gesetzentwurf angegangen werden. Teilen Sie meine Auffassung? ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ja. Deshalb haben wir schließlich den Gesetzentwurf vorgelegt. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass wir zu Lösungen der langfristigen Finanzierung kommen, entscheidend ist aber, dass wir jetzt notwendige Strukturveränderungen auf den Weg bringen. Denn wir müssen die Pflege auch in 10, 15 oder 20 Jahren sicherstellen. Es müssen eine stärkere Vernetzung in der wohnortnahen Versorgung und eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden, um adäquate und niedrigschwellige Betreuungsangebote für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz - also demenziell Erkrankte, psychisch Kranke und geistig Behinderte - zu schaffen. Das alles muss beschlossen und umgesetzt werden. Mit der Entscheidung der Bundesregierung, die Beiträge ab 1. Juli um 0,25 Prozentpunkte anzuheben, können wir die Leistungen bis etwa 2014 oder 2015 finanzieren. Das hängt auch von der konjunkturellen Lage ab. Wenn sie sich weiterhin so gut entwickelt wie jetzt, wäre das sicherlich noch länger möglich. Trotzdem könnte die bei der Pflegeversicherung gesetzlich vorgeschriebene Mindestrücklage von 1,5 Monatsausgaben gesichert werden. Wir müssen nun alles für den Aufbau der notwendigen Strukturen tun. Wir müssen denjenigen helfen, die mehr Pflege und Betreuung bedürfen, und denjenigen, die zu Hause diese schwierige Aufgabe wahrnehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeit der professionellen Kräfte - hoffentlich - besser bewertet wird. In der nächsten Legislaturperiode werden wir sicherlich erneut über eine langfristige Finanzierung debattieren müssen. Aber wir kommen auf jeden Fall bis etwa 2015 mit einem Beitrag von 1,95 Prozent hin und können die gesetzlich vorgeschriebene und notwendige Rücklage - derzeit sind das rund 2,3 Milliarden Euro bilden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Sie haben vorhin einiges zu den Pflegestützpunkten gesagt und sind der Sorge entgegengetreten, die Berater könnten nicht unabhängig sein, weil sie für die Pflegekassen arbeiteten. Ich möchte gerne von Ihnen wissen, wie sich diese Aussage mit Ihrer Aussage in dem Schreiben an die Abgeordneten der Koalition verträgt. Ich zitiere aus dem vorletzten Absatz auf Seite 3: Auf jeden Fall entscheiden die jeweiligen Mitarbeiter der Kommunen und der Kassen jeweils getrennt für ihre Bereiche. Das heißt, es gibt mehrere Entscheidungsträger, wenn es um die Finanzierung geht. Wie verträgt sich dies wiederum mit der Aufforderung des Kollegen Zöller, Sie mögen überprüfen, ob der Gesetzentwurf nicht gegen das Verbot der Mischverwaltung verstößt, die das Bundesverfassungsgericht bei der Hartz-IV-Gesetzgebung moniert hat? In Ihrer Einbringungsrede am 14. Dezember 2007 haben Sie im Plenum gesagt: Ich bin sehr froh darüber, dass alle diese guten Ansätze auch vom Bundesrat so gesehen werden. Diese Ansätze … zu Pflegestützpunkten weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass Leistungen unter einem Dach und aus einer Hand angeboten werden, ist ein wichtiger Schritt voran. Ich fände es gut, wenn Sie nun aufklärten, wer was in diesen Pflegestützpunkten entscheiden soll. Wie viele Menschen von welchen Stellen sollen dort tätig werden? Das ist auch im Hinblick auf die Finanzierung interessant. Wie soll das im Hinblick auf die Kompetenzverteilung und das verfassungsgerichtliche Verbot der Mischverwaltung genau aussehen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Lanfermann, was Sie ansprechen, ist im Prinzip schon die Antwort auf den Vorwurf, der unter anderem von Ihrer Seite erhoben wird - er stimmt nicht -, dass wir mit den Pflegestützpunkten eine neue Bürokratie aufbauen. Heute entscheiden die Vertreter der Kommunen über die Leistungen der Altenhilfe. Zudem gibt es Entscheidungen über Leistungen der Behindertenhilfe, der Versorgungsämter, der Pflegekassen und der Krankenkassen. Ich habe das eben dargelegt. Wir haben vorgeschlagen, dass in jedem Wohnbezirk bzw. Quartier mit 20 000 Einwohnern - der Bundesrat will mehr Flexibilität; darüber müssen wir uns im Parlament verständigen und entscheiden; entscheidend ist dabei, was effektiv ist; in der Stadt kann man sicherlich eine größere Einwohnerzahl zugrunde legen als auf dem Land - ein Pflegestützpunkt eingerichtet wird. Wir möchten, dass derjenige, der die Nachricht bekommt, dass der Vater, die Mutter oder der Ehepartner wahrscheinlich pflegebedürftig ist, nur zu einer Stelle gehen muss, um vollständig beraten zu werden. Der Berater der Pflegekasse zum Beispiel kann darauf aufmerksam machen, dass man möglicherweise auch Anspruch auf Leistungen nach SGB IX hat und dass der Kollege, der für das Weitere zuständig ist, gleich daneben sitzt. Der Berater kann koordinieren und mit dem Betroffenen darüber reden, welches die besten Angebote für einen pflegebedürftigen Menschen sind, sodass die Pflegestufe möglichst niedrig ist und möglichst alle Maßnahmen der Rehabilitation und der Prävention umgesetzt werden. Der Pflegeberater bzw. der Fallmanager der Krankenkasse kann doch nicht entscheiden, was die Kommune finanzieren soll. Dann gäbe es eine Mischfinanzierung. Aber alle sitzen an einem Tisch und unter einem Dach. Derjenige, der eine Leistung in Anspruch nehmen will, weiß: Hier ist die Stelle, an die ich mich wenden muss; hier erhalte ich alles. In fortschrittlichen Kommunen wie zum Beispiel derjenigen, aus der ich komme, gibt es schon sehr lange ein Bürgerbüro. Die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, ob sie nun einen Pass, das Aufgebot für eine Hochzeit bestellen wollen oder einen Erbschein brauchen, gehen an eine Stelle, die das für sie organisiert. Sie müssen also nicht mehr von Amt zu Amt laufen und jedes Mal vor der Tür sitzen. Das ist die Idee der Pflegestützpunkte. Deswegen gibt es auch keine Mischverwaltung. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts mussten wir noch einmal prüfen - es war vorher bereits geprüft worden -, ob dieses Urteil etwas an der Aussage der beteiligten Verfassungsministerien ändert, dass die Idee der Pflegestützpunkte verfassungskonform sei. Das ist selbstverständlich geschehen. Die Aussage der beteiligten Ressorts ist ganz klar, dass das Urteil die hier in Rede stehenden Vorschläge nicht betrifft. Insofern werden wir daran weiterarbeiten. Die Vorschläge wurden heute in den Gesundheitsausschuss eingebracht, und wir werden in den nächsten Wochen über sie beraten; in der nächsten Woche werden dazu öffentliche Anhörungen stattfinden. Ich bin relativ sicher, dass diese verfassungsrechtliche Frage ganz überwiegend so gesehen wird. Ich habe zum Thema Pflegestützpunkte sehr viele Diskussionen geführt und Veranstaltungen besucht. Mir geht es persönlich nicht um einen bestimmten Verwaltungsaufbau, sondern um die Frage, wie ich für die Menschen, die bereit sind, viel Zeit in die Pflege ihrer Freunde und Angehörigen zu stecken, all das, was drum herum zu regeln ist, so erleichtern kann, dass sie sich wirklich darauf konzentrieren können, die Menschen zu betreuen und zu pflegen, und trotzdem noch etwas Zeit für sich selbst finden. Ich will der Belastung entgegenwirken, die dann auftritt, wenn jemand das Gefühl hat, das Amt schicke ihn zu immer weiteren Ämtern, wonach er wieder von vorne anfangen muss. Die Frage, die mir oft gestellt wird, lautet: Könnt ihr mir das nicht erlassen? Ich habe meinen Beruf aufgegeben, und ich leiste die Pflege gern. Aber bitte das nicht auch noch! Deswegen stellen die vorgesehenen Pflegestützpunkte eine positive Entwicklung dar, die auch mit unserer Verfassung vereinbar ist und etwas mit Humanität einer Gesellschaft zu tun hat. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegen noch drei Wortmeldungen zur Befragung der Bundesregierung vor, und ich beabsichtige auch, diese drei Fragen zuzulassen. Ich bitte aber die Fragesteller, bei ihrer Fragestellung die erforderliche Kürze zu beachten, sodass wir alsbald in die Fragestunde eintreten können. - Das Wort hat der Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, ich freue mich, dass Sie vorhin schon einmal die Wertefrage angesprochen haben: Wie viel ist das wert, und wie viel bekommen die Menschen, die die Arbeit leisten? Sagt denn der Bericht auch etwas über die grundsätzliche Diskussion aus, die wir einmal führen müssen, was Pflege eigentlich ist und was sie alles umfassen muss? Wird der Pflegebegriff in diesem Bericht überhaupt problematisiert und, wenn ja, in welche Richtung? Hat der Bericht einen Bezug dazu hergestellt, dass den Menschen, die Pflege oder Assistenz brauchen, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch unter den Bedingungen der Pflege- bzw. Assistenzbedürftigkeit ermöglicht werden kann?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Der Bericht benennt in vielen Bereichen die Probleme, die entstanden sind, und geht auch auf sie ein. Zu der Frage, wie die Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes aussieht, kann der Bericht allerdings noch nicht im Detail Stellung nehmen. Aus der Diskussion der Vergangenheit heraus haben wir als Bundesregierung eine Kommission eingesetzt. Die ersten Gutachten zu der Frage, ob man die Bedürfnisse der einzelnen Pflegebedürftigen stärker modulhaft erfüllen und dadurch besser auf sie eingehen kann, sind fertig. Wir werden in diesem Jahr in einer Region diese neue Art der Bewertung der Pflegebedürftigkeit in großem Umfang erproben. Niemand darf sich vorstellen, dass wir einen neuen Begriff erfinden und dann plötzlich alle glücklich sind. Vielmehr wollen wir, dass dies auch im Vergleich zu dem umgesetzt wird, was wir bisher haben, damit Schritt für Schritt Entwicklungen Platz greifen, die dem Einzelnen gerechter werden, auch wenn sie für andere natürlich Veränderungen mit sich bringen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Scharfenberg.

Elisabeth Scharfenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003835, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Frau Ministerin, Sie sprachen von Handlungsbedarf in einigen Bereichen. Handlungsbedarf ergibt sich, wenn Problemfelder erkannt, analysiert und im besten Fall dann auch beseitigt werden. Ich denke, ein solches Problemfeld ist die defizitäre Finanzentwicklung in der sozialen Pflegeversicherung. Das Problem wurde erkannt. Folgerichtig könnte es eigentlich mit einer nachhaltigen Finanzierung beseitigt werden. Es gab diesbezüglich im Koalitionsvertrag festgelegte Reformschritte. Warum wird dieses Problem nicht nachhaltig angegangen? Was ist ein Bericht wert, dessen Erkenntnisse nicht bis in letzter Instanz umgesetzt werden?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Wir hatten im Koalitionsvertrag zwei Vereinbarungen getroffen. Die eine war, dass mit der anstehenden Pflegereform mit dem Aufbau einer Demografiereserve begonnen werden soll. Die andere Vereinbarung und Bedingung für die Umsetzung der ersten war, dass es einen Ausgleich zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung geben soll, weil wir eine ungleiche Risikoverteilung haben. Das eine ist mit dem anderen eng verknüpft. Die Koalitionspartner konnten sich darauf nicht einigen. Deswegen werden beide Schritte nicht getan; denn um eine Demografiereserve aufzubauen, brauche ich das notwendige Geld. Über die Gerechtigkeit in der Finanzierung gibt es unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionsparteien. Deswegen muss man das in der nächsten Legislaturperiode angehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Ministerin. - Der Kollege Koppelin hat noch eine Frage zu den übrigen Themen der Kabinettssitzung. Bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe eine Frage an das Bundeskanzleramt. Den Medien war zu entnehmen, dass ein beamteter Staatssekretär im Verkehrsministerium in den Ruhestand versetzt worden ist. Darf ich fragen, ob das heute in der Kabinettssitzung bekanntgegeben wurde, und welche Gründe haben dafür gesprochen, diesen Staatssekretär im Verkehrsministerium in den Ruhestand zu versetzen?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter, dieser Punkt war nicht Gegenstand der Kabinettssitzung. Es ist also nicht darüber gesprochen worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine Nachfrage. Danach beenden wir die Befragung der Bundesregierung.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ist es in der Großen Koalition üblich, dass solche Vorgänge wie die Versetzung eines sehr hohen Beamten in den Ruhestand, der quasi vom Kabinett benannt werden muss, gar nicht im Kabinett bekanntgegeben werden, oder wie ist das Verfahren? Herr Staatsminister, Sie kennen auch frühere Kabinette. Da ist es sicher anders gelaufen.

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Soweit ich mich an meine Mitgliedschaft in früheren Kabinetten erinnern kann, an denen auch Ihre Partei beteiligt war, war es in der Regel nicht üblich, über Entlassungen und In-Ruhestand-Versetzungen einzelner, auch höherer Beamter im Kabinett ausführlich zu reden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Herr Staatsminister Neumann. - Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 16/7707 Ich rufe die Fragen auf der Drucksache 16/7707 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Bernd Neumann zur Verfügung. Die Frage 1 hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch gestellt: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass es für die deutsch-polnischen Beziehungen hilfreich ist, wenn der Staatsminister und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann, öffentlich erklärt, dass das Zentrum gegen Vertreibung auch ohne polnische Beteiligung beschlossen werden könnte, und trifft es zu, dass das Konzept für das „sichtbare Zeichen“ sehr ausgereift ist und demzufolge die polnische Seite diesem Konzept nur noch zustimmen kann oder ganz verzichten muss ({0})? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

In der angeführten Meldung der Berliner Zeitung wird in unzutreffender Weise aus einem Interview zitiert, das der Focus mit mir geführt und in seiner Ausgabe vom 31. Dezember 2007 veröffentlicht hat. Dort habe ich im Gegenteil darauf hingewiesen, dass wir der neuen polnischen Regierung angeboten haben, am „sichtbaren Zeichen“ mitzuwirken. Auf die weitere Frage: „Ziehen Sie das Projekt jetzt aber auch ohne polnische Beteiligung durch?“ habe ich wörtlich geantwortet: Das Konzept ist bereits sehr ausgereift und durchdacht, auf gar keinen Fall soll hier Geschichte umgedeutet werden. Deswegen glaube ich, dass wir eine Tolerierung des Projekts durch Polen erreichen können, eine Beteiligung und Mitarbeit wären aber sicher noch besser. Diesem Ziel dient die für den 5. Februar geplante Reise einer deutschen Delegation unter meiner Leitung, bei der die Planungen in Warschau erläutert und die Optionen deutsch-polnischen Zusammenwirkens eruiert werden sollen. Ihre Schlussfolgerungen, Frau Kollegin, dass die polnische Seite dem Konzept nur zustimmen kann oder ganz verzichten muss, ist unzutreffend. Richtig ist aber, dass das „sichtbare Zeichen“ als eine staatliche Aufgabe in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft durch mein Haus errichtet und umgesetzt werden soll. Dieses Vorgehen entspricht dem Auftrag, der im Koalitionsvertrag formuliert ist, und diesen Auftrag wollen wir erfüllen. So ist mein letzter Satz in dem besagten Focus-Interview zu verstehen. Dieser Satz lautet: In jedem Fall werden wir das im Koalitionsvertrag vereinbarte „sichtbare Zeichen“ in absehbarer Zeit im Kabinett beschließen. Um weiteren Irritationen vorzubeugen, möchte ich darauf hinweisen, dass der in Ihrer Anfrage gewählte Terminus „Zentrum gegen Vertreibung“ in diesem Zusammenhang nicht passt. Das geplante, in öffentlichrechtlicher Trägerschaft zu errichtende „sichtbare Zeichen“ gegen Flucht und Vertreibung ist mit der Stiftung Zentrum gegen Vertreibung nicht identisch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Frau Lötzsch, Sie haben die Möglichkeit zu zwei Nachfragen. Bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Augenscheinlich haben Sie meine Anfrage genutzt - das ist erfreulich -, um in der Sache präziser zu werden und nachzudenken. Das ist gut. Ich möchte gerne wissen, welche Reaktionen es von der polnischen, der tschechischen und der russischen Seite auf die bisherigen Planungen der Bundesregierung gibt und inwieweit Sie diese Reaktionen in Ihre Überlegungen schon einbezogen haben.

Not found (Gast)

Russische Reaktionen sind mir nicht bekannt; es liegen keine entsprechenden Meldungen vor. Wir haben aber unmittelbar nach Bildung der Regierung, ausgehend von der Zielsetzung, ein solches „sichtbares Zeichen“ zu errichten, Kontakte in verschiedene Richtungen aufgenommen. Sie wissen, dass in der Koalitionsvereinbarung auch auf das europäische Netzwerk Bezug genommen wird, dem zurzeit Polen, Ungarn, die Slowakei und wir angehören. Ich hatte eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung eines Konzeptes eingesetzt. Dieser Gruppe gehörten zwei verantwortliche Wissenschaftler aus Ungarn und Polen an. Ich habe im Laufe der Jahre 2006 und 2007 eine Reihe von Gesprächen, auch mit dem damaligen polnischen Kulturminister - er gehört der Regierung inzwischen nicht mehr an -, vorgenommen. Kürzlich, Anfang dieses Jahres - am 11. Januar -, fand in Warschau ein Symposium zu dem Thema „Erinnerungsorte in Ost- und Mitteleuropa“ statt. Schirmherren waren die Kulturminister der vier von mir genannten Länder. Auch auf diesem Forum hat der Kollege Markus Meckel die Gelegenheit ergriffen, über die Zielsetzung dieses „sichtbaren Zeichens“, so wie es die Koalition vereinbart hat, zu referieren. Das heißt, hier gibt es seit längerem umfangreiche Kontakte. Dass es prinzipielle Fragestellungen gibt, insbesondere im polnischen Bereich, ist bekannt. Gerade mit der neuen polnischen Regierung wollen wir versuchen, die Chance zu nutzen, diese Bedenken im positiven Sinne auszuräumen, zu zerstreuen. Das ist auch der Grund für meine Reise nach Polen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke. - Ihre zweite Nachfrage.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, Sie wurden in einem weiteren Presseorgan, in der Welt, Ende vergangenen Jahres zitiert, dass Sie, um Irritationen auszuräumen, Anfang 2008 zu einem wissenschaftlichen Symposium mit osteuropäischen Wissenschaftlern einladen möchten. Ich möchte gerne wissen, wann dieses Symposium stattfinden soll, welche Wissenschaftler aus welchen osteuropäischen Ländern Sie bereits eingeladen haben und ob Sie schon Zusagen erhalten haben.

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Im Augenblick befindet sich mein Entwurf, die Ausgangsbasis, für das „sichtbare Zeichen“ in der Kabinettsabstimmung. Es ist vorher im Rahmen der Koalition eine Einigung erfolgt, und jetzt nehmen die verschiedenen Ressorts Stellung. Ich gehe davon aus, dass es unter Einbeziehung des Besuches in Polen alsbald zu einem Kabinettsbeschluss kommt. Damit ist erst einmal der Grundstein gelegt, die Diskussionsgrundlage geschaffen. Wenn man ein Symposium durchführt, muss man ja wissen, worüber man redet. Es ist ernsthaft geplant, unmittelbar danach ein internationales Symposium durchzuführen, bei dem dieser Entwurf zur Diskussion steht. Daran sollen Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Ländern teilnehmen. Das Ganze ist in der Vorbereitung, insbesondere - wie soll ich sagen? - bei den zuständigen Einrichtungen, die Erfahrungen hierbei haben, wie dem Haus der Geschichte oder dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg. Das wird geschehen. Mir ist im Augenblick nicht bekannt, wer eingeladen wird. Hinweise von Ihnen zu Wissenschaftlern oder anderen Personen, die dazu profunde Kenntnisse haben, beziehen wir gern ein. Aber ich gehe davon aus, dass das in der Breite schon geschieht und dass wir nicht nur Vertreter aus Polen einladen, sondern auch Wissenschaftler aus anderen osteuropäischen Ländern.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke schön. Das Wort zu einer Zusatzfrage hat die Kollegin Angelica Schwall-Düren.

Dr. Angelica Schwall-Düren (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002795, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ich freue mich sehr, dass es Ende des Monats zu der Reise nach Warschau kommt. Ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, dass die Gesprächsbereitschaft der neuen polnischen Regierung auch genutzt werden müsste, um dort mehr zu tun, als nur das Konzept vorzustellen, nämlich tatsächlich ein echtes Gespräch zu führen, also wegzukommen von einem - so sage ich jetzt einmal - patriarchalischen Verhalten nach dem Motto: „Schaut doch mal: Wir können eure Bedenken zerstreuen. Jetzt stimmt doch zu!“ und dahin zu kommen, tatsächlich dem zuzuhören, was uns die Polen zu sagen haben, deren Ideen und Vorstellungen einzubeziehen, um in diesem Sinne auch der Formulierung des Koalitionsvertrages zu entsprechen, nach der im Zusammenhang mit dem Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“ dieses „sichtbare Zeichen“ errichtet werden soll. Damit ist ja gemeint, dass man auch die Vorstellungen der Partner, hier insbesondere Polens, einbindet.

Not found (Gast)

Ja, ich glaube, dass die von Ihnen geschilderte Zielsetzung richtig ist. Ich wiederhole: Ich habe dieses Einbeziehen bereits mit Vertretern der vorangegangenen Regierung versucht. Ich denke, dass wir jetzt mit der neuen Regierung einen kooperativeren Partner haben. Das Ziel ist, wie auch der Kollege Markus Meckel aus Ihrer Fraktion auf der von mir geschilderten Tagung zum Ausdruck gebracht hat, das nicht nur vorzustellen, sondern auch dafür zu werben, später in Gremien - sagen wir einmal: in einem wissenschaftlichen Beirat - mitzuwirken. Mit dem Beschluss über das Rohkonzept sind wir noch nicht bei einem endgültigen Ergebnis. Das Rohkonzept ist im Grunde der erweiterte Text der Koalitionsvereinbarung, auch unter Hinweis darauf, dass wir hier Geschichte nicht verändern wollen, sondern schon wissen, welches die Ursachen von Flucht und Vertreibung waren, nämlich das nationalsozialistische Deutschland und dessen Terrorsystem. Dann kommt der nächste Schritt: das Konzept unter Einbeziehung von Diskussionen in einem Symposium zu verfeinern, um dann die eigentliche Dokumentationsstätte, die Ausstellung vorzubereiten. So ist das angelegt. Hier sind wir optimistisch im Hinblick auf das Ziel, nicht nur mitzuteilen, sondern auch zu motivieren, dabei mitzuwirken. Es soll nicht nur um Flucht und Vertreibung der Deutschen gehen, sondern wir wollen den europäischen Gedanken einbeziehen. Von Flucht und Vertreibung sind, aus unterschiedlichen Gründen, auch viele andere Völker betroffen. Das soll eine Dokumentationsstätte werden, die Flucht und Vertreibung generell, insbesondere in Europa, aufarbeitet. Wir fahren mit dem Ziel nach Polen, hierfür Partner zu gewinnen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Rainder Steenblock das Wort.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister, die Frage der Kollegin Lötzsch gibt der Bundesregierung die Gelegenheit - Sie haben das zum Teil ja auch genutzt -, diesen sehr unschönen Bericht aus der Berliner Zeitung richtigzustellen. Es wäre vielleicht noch besser gewesen, die Bundesregierung hätte das von sich aus getan, weil die Chancen, die, wie Sie ja zu Recht gesagt haben, in diesem Projekt liegen, durch so missverständliche Berichterstattung sehr schnell wieder reduziert werden können. Sie haben dann gesagt, die Bundesregierung würde der polnischen Regierung ein Angebot machen. Ich halte diese Begrifflichkeit auch für missverständlich, weil das so verstanden werden könnte: Wir sagen, wie ihr mitmachen könnt, und ihr könnt euch dann entscheiden, ob ihr das wollt. Herr Staatsminister, würden Sie mir zustimmen, dass es angesichts der neuen politischen Situation in Polen Aufgabe der Bundesregierung wäre, der neuen polnischen Regierung gegenüber zu sagen, wir wollen in einen Dialogprozess treten und haben ein großes Interesse daran, auch die Vorstellungen der polnischen Regierung in das Verfahren einzubeziehen, um zu verhindern, dass es wie in der Vergangenheit zu Irritationen kommt, die ja zum Teil auch von einer Ihrer Fraktionskolleginnen immer wieder neu geschürt wurden, also dass es jetzt um die Aufnahme eines Dialogs geht und nicht um die Annahme oder Ablehnung von Angeboten?

Not found (Gast)

Ich bilde mir ein, ich habe mit meinen vorherigen Bemerkungen Ihre Frage schon beantwortet, obwohl ich nicht wusste, dass Sie sie stellen würden. Ich kann aber meine Antwort gerne wiederholen: Richtig ist, dass die Bundesregierung und insbesondere die beiden sie tragenden Fraktionen das Thema „Flucht und Vertreibung“ im Rahmen einer Dokumentationsstätte als „sichtbares Zeichen“ hier in Berlin aufarbeiten wollen. Das ist unser gemeinsamer Wille. Das ist der Ausgangspunkt. Jetzt kommt das Wie; dabei kommt es auch auf die Partner an. Unter diesem Gesichtspunkt wollen wir natürlich von Anfang an einen gemeinsamen Dialog insbesondere mit den Exekutiven der vier von mir genannten Länder und von mir aus auch ihrer Parlamente herbeiführen. Der ganze Prozess ist ja als eine Art Dialogprozess angelegt. Wenn die Bundesregierung nun die Absichtserklärung, die in der Koalitionsvereinbarung steht, konkretisiert und ihre Pläne dann auf einem Symposium zur Diskussion stellt, zu dem wir insbesondere kompetente Vertreter aus den betroffenen Ländern einladen, dann impliziert das ja, dass man deren Meinung einbeziehen will. Wenn wir dazu einladen - wie jetzt jüngst vom Kollegen Meckel geschehen, aber auch von mir schon mehrfach getan -, an der Ausgestaltung dieses „sichtbaren Zeichens“ teilzunehmen, dann führen wir, wie ich finde, genau den Dialog, den Sie meinen. Das ist unsere Absicht. Die verkürzte Wiedergabe meines Interviews in der Berliner Zeitung war, wie gesagt, nicht hilfreich. Wenn man aber den Artikel des Focus liest, auf den da Bezug genommen wurde, dann wird klar, was gemeint ist. Insofern bin ich dankbar, dass ich hier noch einmal die Gelegenheit hatte, das zu interpretieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Da die Fragen 2 und 3 von mir gestellt wurden und ich im Moment erkennbar andere Verpflichtungen habe, muss die Bundesregierung diese Fragen schriftlich beantworten. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Kai Gehring werden aufgrund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet; das heißt, dass dieses Thema, weil es aktuell in dieser Sitzungswoche noch behandelt wird, heute nicht hier in der Fragestunde aufgerufen wird. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen zu diesem Geschäftsbereich sollen durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Gerd Müller beantwortet werden. Wir kommen damit zur Frage 6 der Kollegin Bärbel Höhn: Plant die Bundesregierung eine Verschiebung der Fristen zur Abschaffung der Batteriekäfighaltung von Legehennen nach § 33 Abs. 4 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung - 31. Dezember 2008 bzw. 31. Dezember 2009 -, und wird sie an der derzeitig gültigen Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung bezüglich des Käfigverbots auch dann festhalten, wenn auf europäischer Ebene die Aufhebung der zugrunde liegenden Richtlinie 1999/74/EC bzw. eine Verschiebung ihres Inkrafttretens beschlossen würde?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Ich danke der Kollegin Höhn für die präzise Frage, die ich kurz wiederhole: Plant die Bundesregierung eine Verschiebung der Fristen zur Abschaffung der Batteriekäfighaltung von Legehennen - Nein, ist die Antwort -, und wird sie an der derzeit gültigen Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung bezüglich des Käfigverbots auch dann festhalten, wenn auf europäischer Ebene die Aufhebung der zugrunde liegenden Richtlinie beschlossen würde? Ja, ist die Antwort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann habe ich keine Nachfrage. Okay.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wenn das so ist, dann danke ich dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Das war ein modellhaftes Beispiel dafür, wie man Fragestunden abwickeln könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann. Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Hat die Bundesregierung bei der Bewertung des industriepolitischen Nutzens der geplanten Transrapidverbindung in München auch vergleichend untersucht, welcher möglicherweise höhere industriepolitische Nutzen durch Investitionen in andere Bereiche als den Transrapid zu erzielen sind, und, wenn nein, warum nicht?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatssekretär.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Dr. Hofreiter, Sie fragen zum Transrapid. Meine Antwort: Das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten zum industriepolitischen Nutzen des Transrapid München berücksichtigt unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten, dass Gelder, die für dieses Vorhaben aufgewandt werden, für andere Bereiche nicht mehr zur Verfügung stehen. Das ist die sogenannte Opportunitätsbetrachtung. Detaillierte Angaben zu expansiven und kontraktiven Wirkungen können dem Gutachten, das Ihnen vorliegt, entnommen werden. Nicht weiter spezifizierte Investitionen in andere Bereiche können kein Gegenstand der Untersuchungen sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Kann der sehr geehrte Herr Staatssekretär die zweite Frage gleich im Anschluss an diese Frage beantworten, da beide Fragen in einem engen Sachzusammenhang stehen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich gleich die Frage 8 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter auf: Bei welchen anderen Investitionsentscheidungen des Bundes wurde ein industriepolitischer Nutzen unterstellt bzw. explizit beziffert berücksichtigt, oder stellt der Transrapid einen Einzelfall dar?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Darauf antworte ich sehr gerne sofort. - Bei Investitionsentscheidungen im Verkehrsbereich finden generell auch andere als rein verkehrliche Nutzen Berücksichtigung. Regelmäßig werden die Auswirkungen auf die Beschäftigung im regionalen Arbeitsmarkt zur Beurteilung von Projekten herangezogen. Beispiele sind der Bundesverkehrswegeplan und die Standardisierte Bewertung bei ÖPNV-Vorhaben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit haben Sie die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfragen. Bitte, Herr Dr. Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Zunächst zur zweiten Antwort: Das ist mir selbstverständlich bekannt, aber ich habe explizit danach gefragt, ob dieser Terminus des industriepolitischen Nutzens bei anderen verkehrlichen Projekten bereits einmal angewendet worden ist. In dem Gutachten von Herrn Professor Baum sind ja einige ganz spezielle Annahmen getroffen worden. Dass verkehrspolitische Effekte, Raumeffekte und all diese Dinge beim Bundesverkehrswegeplan selbstverständlich berücksichtigt worden sind, ist mir bekannt. Das war nicht die Frage. Die Frage war, ob ein industriepolitischer Nutzen in dieser Form bei anderen Verkehrsprojekten schon einmal berücksichtigt worden ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Der industriepolitische Nutzen ist definiert als ein Teil des volkswirtschaftlichen Nutzens, den wir immer untersuchen. Ich möchte darauf aufmerksam machen - Sie können sich vielleicht nicht daran erinnern, weil Sie damals dem Bundestag noch nicht angehörten -, dass aufgrund eines Hinweises des Bundesrechnungshofes die volkswirtschaftlichen Wirkungen noch einmal gesondert auf den industriepolitischen Nutzen hin untersucht worden sind. Das war eine spezifische Bitte des Bundesrechnungshofes, der die damalige rot-grüne Regierung gerne nachgekommen ist. Indirekt und teilweise auch direkt - das wissen Sie - spielen bei den volkswirtschaftlichen Betrachtungen auch industriepolische Aspekte immer eine Rolle.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dass indirekt industriepolitische Auswirkungen immer eine Rolle spielen, ist ganz klar. Wenn man zum Beispiel einen Fluss ausbaut, um den Transport von Eisenerz oder Steinkohle zu einem bestimmten Hafen zu ermöglichen, hat das selbstverständlich große industriepolitische Auswirkungen, weil unter Umständen ein bestimmter Industriebetrieb erst dadurch konkurrenzfähig ist. Das ist vollkommen klar. Aber habe ich Sie richtig verstanden, dass es durchaus eine Sondersituation war - auf wessen Wunsch auch immer das geschah -, dass hier explizit die direkten industriepolitischen Auswirkungen untersucht worden sind und nicht nur der indirekte volkswirtschaftliche Nutzen und dass Ihnen derartige Untersuchungen bei anderen verkehrspolitischen Projekten bis jetzt nicht bekannt sind?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Das ist jetzt eine unzutreffende Interpretation meiner Antworten. Ich habe gesagt, dass der industriepolitische Nutzen in der volkswirtschaftlichen Betrachtung immer eine Rolle spielt. Ihre Frage hat sich ja nicht nur auf den Verkehrssektor bezogen. Ich könnte auch Ausführungen zu den einzelnen Technologiebereichen machen, von Spin-offs bis zur Entwicklung von neuen Technologien. Im Grunde genommen ist die Magnetschwebebahntechnik eine neue Technologie mit großen Folgen innovativer Art für andere Industriebereiche. Speziell in diesem Falle ist die normale volkswirtschaftliche Betrachtung um eine feinere Untersuchung des industriepolitischen Nutzens ergänzt worden. Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal und kann von daher nicht so präzise einsortiert werden, wie Sie es getan haben. Diese Betrachtung erfolgt de facto auch bei ganz vielen anderen Entscheidungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre dritte Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zum industriepolitischen Nutzen. Sie haben das Gutachten sicherlich gelesen. Darin wird insbesondere hervorgehoben, dass der industriepolitische Nutzen dadurch entsteht, dass der deutsche Schiffsbau erheblich vom Transrapid profitiert. Ich kann mir das immer noch nicht erklären; aber es steht in dem Gutachten und wird dort nicht weiter ausgeführt. Weil das so exotisch ist, lautet meine Frage: Ist untersucht worden, ob, wenn man das Geld, das für den Transrapid aufgewendet wird, direkt in die Weiterentwicklung des deutschen Schiffsbaus stecken würde, nicht ein größerer Effekt für den deutschen Schiffsbau entstehen würde? Man glaubt es ja kaum; aber laut Gutachten und laut Nutzen-Kosten-Analyse, auf die sich die Bundesregierung stützt, entsteht ein erheblicher Teil des industriepolitischen Nutzens angeblich im Schiffsbau. Das ist nicht meine Idee!

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Nein; aber ich will Ihnen mit meiner Antwort zeigen, dass Sie außergewöhnlich verengend auf das Gutachten eingegangen sind. Sie haben davon gesprochen, dass Ihnen das Gutachten vorliegt. Aufgrund dessen könnten Sie sich eine Menge Antworten selber geben; aber es geht ja auch darum, dass wir das Parlament informieren. Ich will aus dem Gutachten zitieren, zunächst einmal was die Wirkungen betrifft; das ist das, was ich eben Opportunitätsbetrachtung genannt habe. Dort heißt es wörtlich - ich zitiere -: Den Produktions- und Beschäftigungssteigerungen stehen allerdings kontraktive Wirkungen gegenüber, die gegengerechnet werden müssen. Diese ergeben sich daraus, dass die finanziellen Mittel, die für den Bau der Transrapidstrecke gebunden sind, anderen alternativen Verwendungszwecken entzogen sind. Es wird angenommen, dass in Höhe der Investitionssumme die allgemeine Staatsnachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ({0}) gemindert wird. Dasselbe gilt - das fasse ich jetzt zusammen - natürlich auch für das Ausland. Wenn Sie in der Kurzfassung sehen, welchen industriepolitischen Nutzen der Gutachter aufgelistet hat, dann müssen Sie schon aus Gründen der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit feststellen, dass der von Ihnen genannte Aspekt nicht gerade im Vordergrund steht, sondern nur ein zusätzliches Detail ist. Im Gutachten heißt es - ich kann da nur den Gutachter zitieren -: Steigerung der Wertschöpfung, Einkommen und Beschäftigung aus einer Transrapidanwendung in Deutschland. Diese Wirkungen entstehen aus Herstellung, Instandhaltung und Betrieb des Transrapid. Exporterfolge der deutschen Transrapidindustrie im Ausland. Diese schlagen sich in Deutschland nieder in Steigerungen der Wertschöpfung und Beschäftigung für Herstellung und Instandhaltung des Transrapid. Stärkung der Systemkompetenz in der Transrapidtechnologie. Ohne Referenzstrecke in Deutschland würden Innovationen ausbleiben und die Systemkompetenz verloren gehen. Dann folgen Hinweise auf die „vielfältigen Dienstleistungen“, die damit zusammenhängen, und auf die Wirkungen, die aus den Forschungs- und Entwicklungsausgaben für den Transrapid entstehen: Sie fördern die Humankapitalbildung und steigern die Produktivität. Dann geht es um die Spin-off-Effekte des Transrapid, von denen andere Industrien profitieren können, also um die innovative Befruchtung anderer Technologien. Weiterhin geht es um die Wirkungen auf die sektorale und regionale Struktur der Wirtschaft usw. Das heißt, die zentralen Bedeutungen des industriepolitischen Nutzens liegen nicht in dem speziellen Punkt, den Sie in Ihrer Frage angesprochen haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre letzte Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In Kosten-Nutzen-Berechnungen gehen ja sowohl die Kosten als auch der Nutzen ein. Wenn die Kosten massiv nach oben gehen, dann sinkt automatisch der NutzenKosten-Quotient und damit der volkswirtschaftliche Nutzen. Berücksichtigt die Bundesregierung die Tatsache - intern geht man inzwischen davon aus -, dass der Transrapid nicht zu einem Preis von 1,85 Milliarden Euro gebaut werden kann? Die Bauindustrie selbst spricht davon, dass es sich um einen politischen Preis handelt, um das Projekt leichter durchsetzen zu können. Es gibt viele Gründe, warum der Bau des Transrapids teurer werden kann. Die Rohstoffpreise sind massiv gestiegen; die höhere Inflation muss eingerechnet werden. Werden diese Punkte bei den Schätzungen berücksichtigt? Inzwischen soll der Bundesanteil für dieses Projekt bei 925 Millionen Euro liegen.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Dr. Hofreiter, das letzte Mal haben Sie mich im Juli 2007, also vor der Sommerpause, zu den 1,85 Milliarden Euro gefragt. Ich habe vorhin Ihre damalige Frage und meine Antwort noch einmal nachgelesen. Sie werden auch heute keine andere Antwort von mir bekommen. Das Gutachten über den industriepolitischen Nutzen ist ein Teil der Entscheidungsfindung der Bundesregierung. Für den Fall, dass Sie diesbezüglich eine Erinnerungshilfe brauchen, habe ich die Koalitionsvereinbarung von 2002 mitgebracht. Sie wissen, dass wir inzwischen viel weiter sind. Das Parlament hat sich mit den Beschlüssen des Haushaltsausschusses hinter dieses Projekt gestellt. Die relative Angabe „bis zu 50 Prozent“ wurde mit 925 Millionen Euro konkretisiert. Der Bund hat mit Blick auf den industriepolitischen Nutzen des Projektes seine Hausaufgabe gemacht. Die Bayern machen ebenso ihre Hausaufgaben. Jetzt warten wir einmal ab, ob das Projekt in die Realisierungsphase eintritt. Alles, was ich bis jetzt in Bezug auf die mit der Industrie und auch mit der Bauindustrie geschlossenen Verträge weiß, deutet darauf hin, dass dieses Projekt machbar ist. Wir wissen, dass die finanziellen Risiken nach den konkreten Absprachen zwischen dem Bund und dem Freistaat Bayern auch von Bayern mitgetragen werden müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung. Ich rufe die Frage 9 der Kollegin Anja Hajduk auf: Wie bewertet die Bundesregierung die vom Hamburger Senat angeführten Gründe, den Antrag, für das Küstengebiet Wattenmeer in der Nordsee den UNESCO-Titel „Weltnaturerbe“ zu erhalten, nicht unterstützen zu wollen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Wenn Sie erlauben, würde ich gerne die Fragen 9 und 10 gemeinsam beantworten, da sich beide auf den Rückzug des Hamburger Senats aus dem Antrag auf Nominierung des Wattenmeers als UNESCO-Weltnaturerbe beziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Natürlich. Dann rufe ich auch noch die Frage 10 der Kollegin Anja Hajduk auf: An welche Bedingungen knüpft der Hamburger Senat seine Zustimmung zum Antrag zur Verleihung des UNESCOTitels „Weltnaturerbe“ für das Küstengebiet Wattenmeer in der Nordsee, und wie werden diese von der Bundesregierung bewertet?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Frau Kollegin Hajduk, ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Hamburg hat die Sorge, dass durch eine Ausweisung des Wattenmeers als Weltnaturerbe die Anbindung des Hamburger Hafens sowie Unterhaltung und Ausbau der Fahrrinne der Elbe behindert werden können. Da das im Antrag auf Ausweisung des Wattenmeers als Weltnaturerbe zugrunde liegende Gebiet innerhalb der Grenzen der bestehenden Nationalparks liegt, wird das Fahrwasser der Elbe ausgespart. Die Bundesregierung sieht daher keine zusätzlichen rechtlichen Hürden für Unterhaltungs- oder Ausbaumaßnahmen an der Unter- und Außenelbe, wenn das Wattenmeer den Status als Weltnaturerbe erhielte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage, bitte.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, in einer an Deutlichkeit kaum zu überbietenden Pressemitteilung hat der Umweltminister gestern zu der Entscheidung des Hamburger Senats Stellung bezogen. Er hat damit argumentiert, dass es in den Vorschriften zum Schutz des Nationalparks Wattenmeer eigentlich weiter gehende Bestimmungen als die UNESCO-Vorgaben für das Weltnaturerbe gebe. Wenn man diese Argumentation zu Ende denkt, könnte man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die bereits jetzt bestehenden Vorschriften zum Schutz des Nationalparks Wattenmeer eine weitere Elbvertiefung nicht decken würden. Können Sie diese Möglichkeit der Auslegung der Schutzvorschriften des Nationalparks Wattenmeer nachvollziehen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich habe eben ausgeführt, dass die Fahrrinne nicht Teil des Nationalparks ist und sie von dem Nominierungsantrag ausdrücklich ausgenommen ist und dass auf diese Situation im Nominierungsantrag hingewiesen wird. Deshalb können wir den Ausstieg des Hamburger Senats aus diesem gemeinsamen Projekt, auf das viele Jahre grenzüberschreitend hingearbeitet wurde, nicht nachvollziehen. Dies ist entweder ein Ausdruck fehlender Sachkenntnis, oder es handelt sich dabei um vorgeschobene Gründe und Motive; das haben wir gestern noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht. Durch die Nominierung und die - wie wir hoffen künftige Anerkennung des Wattenmeers als Weltnaturerbe ändert sich nichts an den naturschutzrechtlichen Vorgaben für die Elbe und die dort geplanten Projekte. Es gilt dort das nationale und das europäische Naturschutzrecht. Durch die Anerkennung als Weltnaturerbe ändert sich nichts. Was heute möglich ist, wird in Zukunft auch bei einer Anerkennung möglich sein. Was heute nicht möglich ist, wird in Zukunft auch dann nicht möglich sein, wenn, was wir alle nicht hoffen, die Pläne der Anerkennung als Weltnaturerbe durchkreuzt würden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Bitte.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es wurde immer wieder argumentiert, dass eine gemeinsame Antragstellung sehr wichtig sei, um erfolgreich zu sein. Deswegen möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung der Ansicht ist, dass die ablehnende Haltung des Hamburger Senats ein Scheitern des gesamten Antrags für das Wattenmeer wahrscheinlich macht.

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Wir haben klare Vorgaben, was die Fristen der UNESCO angeht. Deshalb ist es wichtig, dass wir zu den vorgegebenen Fristen, nämlich zum 1. Februar, den Antrag einreichen. Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben angekündigt, diesen Antrag auch ohne Hamburg weiterzuverfolgen. Das wird von uns ausdrücklich unterstützt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre dritte Nachfrage.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da Sie zu der Wahrscheinlichkeit des Scheiterns des Antrages nicht weiter Stellung genommen haben - Sie können dies gegebenenfalls in Ihre nächste Antwort einflechten -, möchte ich anders nachfragen: In Hamburg ist in Presseberichten darauf verwiesen worden, dass eine Nominierung als Weltnaturerbe möglicherweise auch noch später möglich sei. Teilt die Bundesregierung diese Auffassung, und würde die Bundesregierung gegebenenfalls mit einem zeitlichen Vorlauf rechnen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Wir teilen diese Auffassung nicht. Theoretisch wäre das zwar möglich; aber alle Beteiligten waren sich von Anfang an einig - das wurde auf einer Arbeitssitzung im Dezember von allen Beteiligten ausdrücklich bestätigt -, dass es, wenn wir diesen Antrag jetzt nicht stellen, mit einem Scheitern des Antrages gleichzusetzen wäre, weil die Verunsicherung im Hinblick auf das gesamte Projekt zum Beispiel auch bei unseren Partnern in den Niederlanden so groß wäre, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Projekt auch später zum Erfolg führen könnten, auf ein Minimum schrumpfen würde. Deshalb legen wir Wert darauf, dass der Antrag jetzt weiterverfolgt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Noch eine weitere Nachfrage? - Bitte.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Letzte Nachfrage: Wenn das mit der Frist so ist, wie es ist, teilen Sie dann meine Auffassung, dass die Entscheidung des Hamburger Senats die Anerkennung als Weltnaturerbe zwar vielleicht nicht vollständig ausgeschlossen hat, aber zumindest unwahrscheinlicher gemacht hat?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Diese Auffassung teile ich. Der Rückzug des Hamburger Senats aus diesem Antrag schadet dem Projekt, gefährdet das Projekt. Wir hoffen trotzdem, dass wir es noch zu einem erfolgreichen Abschluss bringen können. Aber dies ist dadurch nicht leichter geworden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Rainder Steenblock das Wort.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, in der Pressemitteilung, die Ihr Haus gestern verbreitet hat, steht ein Zitat des Umweltministers, das lautet: Diese Entscheidung entbehrt jeglicher sachlichen Grundlage. Damit entlarvt sich der selbsternannte Umweltschützer Ole von Beust und brüskiert die Bundeskanzlerin. Dieses wird als wörtliches Zitat des Bundesumweltministers in dieser Pressemitteilung so dargestellt. Meine Frage lautet jetzt: Ist das eine Privatmeinung des Umweltministers? Ist das eine Stellungnahme des fachlich zuständigen Ministers innerhalb der Bundesregierung zu der Bewertung, die die Bundeskanzlerin, die der CDU angehört, gegenüber dem Bürgermeister, der der CDU angehört, abgibt, oder ist es eine Stellungnahme der Bundesregierung, die zwischen dem Bundesumweltministerium und dem Bundeskanzleramt abgestimmt ist?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Dies ist die Bewertung des zuständigen Bundesumweltministers. Wir können die Motive und die Gründe, die der Hamburger Senat für seinen Rückzug angegeben hat, nicht nachvollziehen; ich habe eben erläutert, warum. Diese Entscheidung schadet dem Projekt. Es gab vielfache Versuche sowohl des Bundesumweltministeriums als auch des Bundeskanzleramtes, Hamburg von dieser Entscheidung abzuhalten. Dies ist am Ende leider nicht gelungen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Rainder Steenblock: Auf welche Erkenntnisse stützen sich die Einschätzungen von Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel - Hamburg, November 2007 -, und Staatssekretär Michael Müller - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dezember 2007 in Neuenkirchen/Schleswig-Holstein, Hamburg, Januar 2008 -, dass die geplante Elbvertiefung „überflüssig und unsinnig“ sei und „ganz neu überdacht“ und „ganz neu bewertet“ werden müsse, auch vor dem Hintergrund der Einwendung des Bundesamts für Naturschutz, das gravierende Bedenken geltend macht?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Wegen des inhaltlichen Zusammenhangs würde ich die Fragen 11 und 12 gerne gemeinsam beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich die Frage 12 des Kollegen Rainder Steenblock auf: Welche Schritte wird Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, unternehmen, um mit den Bedenken aus seinem Haus sowie den von Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee, geäußerten Bedenken Einfluss auf das weitere Verfahren zu nehmen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich beantworte die Fragen wie folgt: Das Bundesamt für Naturschutz hat im Planfeststellungsverfahren zu der geplanten Elbvertiefung eine Stellungnahme abgegeben, die sich auf die nicht vollständige Abarbeitung des besonderen naturschutzfachlichen Planungsauftrages bezieht, der mit Kabinettsbeschluss vom 15. September 2004 für die Fahrrinnenanpassung der Unter- und Außenelbe erteilt wurde. Die Abarbeitung des besonderen naturschutzfachlichen Planungsauftrages erfolgt im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung des Planfeststellungsverfahrens. Die seitens des BfN, aber auch seitens der zuständigen Landesbehörden geäußerten naturschutzfachlichen Bedenken werden derzeit vom Träger des Vorhabens bearbeitet. Durch das Planfeststellungsverfahren ist sichergestellt, dass die Belange des Gewässer- und Naturschutzes angemessen berücksichtigt werden. Sie werden entsprechend der Kompetenzordnung des Grundgesetzes von den zuständigen Landesbehörden wahrgenommen. Eine Einflussnahme seitens des BMU oder des BMVBS scheidet wegen der Unabhängigkeit der Planfeststellungsbehörde aus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. - Herr Steenblock, Sie haben die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfragen. Bitte.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, es ist erstaunlich, dass Sie sich in Ihrer Antwort auf die beiden Fragen nur auf einen winzigen Teil bezogen haben und den Kern der Fragen nicht berücksichtigt haben. Es geht um Äußerungen, die Ihr Minister und Ihr Kollege Herr Müller bei Besuchen in der Region gemacht haben. Die beiden haben wörtlich gesagt: Das ist ein gefährliches Unternehmen. Diese Sache ist unverantwortlich. Es muss völlig neu geplant werden. - Ich hätte schon gerne eine Antwort auf die Frage, ob diese Äußerungen der Spitze des Umweltministeriums, die in den Lokalzeitungen und im Hamburger Abendblatt nachzulesen waren - wir haben dem Ministerium entsprechende Unterlagen gegeben -, völlig aus der Luft gegriffen sind. Oder sind die Bedenken, die Herr Müller und der Umweltminister geäußert haben, als Stellungnahmen der jeweiligen Person zu verstehen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich glaube, ich habe eben deutlich gemacht, dass das Bundesumweltministerium in dem Verfahren keine aktive Rolle innehat. Sie haben ja auch gefragt, welchen Einfluss wir geltend machen können. Wir können im Verfahren keinen Einfluss geltend machen, weil die Landesbehörden Planfeststellungsbehörden sind. Sie sind die vor Ort Zuständigen. Wir haben natürlich kritische Fragen zu diesem Projekt: was den Naturschutz, den Hochwasserschutz, die FFH-Verträglichkeitsprüfung und Weiteres angeht. Diese Fragen stellen wir, und mit diesen Fragen setzen wir uns auseinander. Eine abschließende Bewertung dieses Projekts können wir aber erst vornehmen, wenn das Planfeststellungsverfahren beendet ist, wenn der naturschutzrechtliche Planungsauftrag abgearbeitet ist. Da das noch nicht der Fall ist, gibt es noch keine abschließende Bewertung, sondern nur kritische Fragen, die wir stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können eine zweite Nachfrage stellen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne. - Ich glaube, dass Sie aus dieser Klemme nicht herauskommen. Herr Müller hat öffentlich, auf dem Deich vor Seestermühe, erklärt: Ich persönlich lehne dieses Projekt ab. - Diese relativ klare Äußerung hat er als seine persönliche Meinung dargestellt. Dann hat er aber als Staatssekretär weitergesprochen und gesagt: Ich warne vor den Riesengefahren - diesen Begriff hat er gebraucht - des Projekts. Er hat ferner gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass zu dem gegebenen Zeitpunkt eine Entscheidung erfolgt. - Er hat auch noch vieles andere gesagt. Die Zeitungen bei uns in der Region titelten dann: Elbvertiefung vor dem Aus. - Die Men14228 schen vor Ort wollen, glaube ich, dass dieses Problem von der Bundesregierung gelöst wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Können Sie jetzt bitte die Frage formulieren, die vor Ort besteht?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sieht das Umweltministerium die Elbvertiefung tatsächlich vor dem Aus?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Ich glaube, ich habe eben deutlich gemacht, dass wir eine Bewertung des Projektes erst dann vornehmen können, wenn der naturschutzfachliche Planungsauftrag, die Umweltverträglichkeitsprüfung und die FFH-Verträglichkeitsprüfung abgeschlossen sind und die Ergebnisse vorliegen. Dann können Sie von uns eine Bewertung des Projektes erwarten. Ich weise noch einmal darauf hin, dass das Bundesumweltministerium kritische Fragen zu dem Projekt stellt, aber in dem Verfahren keine aktive Rolle innehat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie können eine weitere Frage stellen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das mache ich gerne. - Wie ist das Folgende mit Ihrer Aussage vereinbar: Der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung stellt sich in Cuxhaven vor die Bürger und sagt: Aufgrund dessen, was ich heute in der Diskussion gehört habe, muss die Elbvertiefung noch einmal auf den Prüfstand. - Dann sagt Herr Gabriel nördlich von Stade: Dieses Projekt ist eigentlich unverantwortlich. - Dann sagt Herr Müller im Kreis Pinneberg: Das ist ein Projekt, das ich persönlich ablehne; außerdem sind die Risiken so groß, dass es unverantwortlich wäre, das zu machen. - Habe ich richtig verstanden, dass diese Äußerungen von relevanten Mitgliedern der Bundesregierung nicht bedeuten, dass die Bundesregierung dieses Projekt bewertet? Können Sie verstehen, dass das in der Wahrnehmung der Menschen vor Ort ein Widerspruch ist und dass sie sich ein bisschen veralbert fühlen?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Nein, das ist kein Widerspruch. Denn zuständig für das Planfeststellungsverfahren, das derzeit stattfindet, sind die Planfeststellungsbehörden vor Ort in den Ländern. Die Bundesregierung stellt dazu Fragen, und natürlich steht das gesamte Projekt auf dem Prüfstand, nämlich im Planfeststellungsverfahren, in dessen Rahmen die notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden müssen. Wenn diese stattgefunden haben, können wir abschließend bewerten. Wir nehmen uns aber durchaus das Recht, während des Verfahrens kritische Fragen zu dem Projekt zu stellen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur vorerst letzten Nachfrage zu diesem Thema.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, das Bundesamt für Naturschutz hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die eingereichten Planfeststellungsunterlagen nicht ausreichen, um zu einer abgesicherten naturschutzfachlichen Bewertung zu kommen. Es schreibt: Aufgrund dieser Unterlagen können die gesetzten Ziele in diesem Verfahren nicht erreicht werden. - Hat das Bundesumweltministerium Versuche und Aktivitäten unternommen, um die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren auf das notwendige Niveau zu bringen, sodass das Bundesamt für Naturschutz sagen kann, dass sie einen Stand haben, auf dessen Grundlage man eine Entscheidung treffen kann?

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Auch hier muss ich, damit kein Missverständnis entsteht, noch einmal deutlich machen, dass das Bundesamt für Naturschutz im gesamten Planfeststellungsverfahren keine aktive Rolle hat. Es gibt keine rechtliche Beteiligung des Bundesamtes für Naturschutz am Planfeststellungsverfahren. Das ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Nichtsdestotrotz hat das Bundesamt für Naturschutz als Fachbehörde des Naturschutzes eine Stellungnahme abgegeben und darauf hingewiesen, dass noch nicht alle Fragen beantwortet sind und noch nicht alle notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfungen stattgefunden haben. Wir erwarten - wir haben unseren Einfluss dahin gehend geltend gemacht -, dass all diese Fragen im Planfeststellungsverfahren beantwortet werden. Dafür gibt es das Planfeststellungsverfahren. Wir werden uns, wenn es stattgefunden hat, dazu äußern, auch ohne dass wir eine aktive Rolle in dem Verfahren haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatssekretärin. Die Frage 13 des Kollegen Hans-Josef Fell wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Die Fragen 14 und 15 der Kollegin Hirsch werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Uwe Barth auf: Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich des Vorstoßes der rheinland-pfälzischen Regierung, der JohannesGutenberg-Universität Mainz und der Max-Planck-Gesellschaft, eine Graduiertenschule aus der Universität auszugliedern und sie als GmbH zu führen, welche zudem noch ein Promotionsrecht besitzen soll ({0}), und wird sie diesen Prozess unterstützen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Präsidentin, die Frage beantworte ich wie folgt: Auf der letzten Sitzung des Senats der Max-Planck-Gesellschaft am 23. November 2007, an der auch ein Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung teilgenommen hat, wurde über die beschriebene Graduiertenschule diskutiert. Zu einer Abstimmung kam es nicht. Die Bundesregierung unterstützt grundsätzlich Initiativen, die einer weiteren Vernetzung und Verstärkung der Kooperation von außeruniversitären und universitären Forschungseinrichtungen sowie deren Sichtbarkeit auch im internationalen Bereich dienen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielleicht können wir meine beiden Fragen zusammen behandeln?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wenn der Herr Staatssekretär das macht.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Sehr gerne, Frau Präsidentin, zumal die zweite Frage unmittelbar anschließt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich jetzt Frage 17 des Kollegen Barth auf: Wie bewertet die Bundesregierung die mögliche Ausweitung des Promotionsrechtes auf außeruniversitäre Einrichtungen im Allgemeinen?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Ich antworte wie folgt: Das Promotionsrecht ist ein konstituierender Bestandteil des Profils der Universitäten, das ihnen von den Ländern verliehen wird. Dieses Recht sollte in der Entscheidungshoheit der Universitäten verbleiben. Insgesamt ist es richtig und wichtig, bei der Ausbildung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses die besten Kräfte zu bündeln. Es ist daher zu begrüßen, wenn Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen hier kooperieren und neue Formen der Zusammenarbeit erproben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Sie haben jetzt die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfragen. - Bitte.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ob ich vier Nachfragen brauche, werden wir sehen. Zunächst meine erste Nachfrage: Herr Staatssekretär, ich habe Sie so verstanden, dass die Bundesregierung der Meinung ist, dass das Promotionsrecht bei den Universitäten verbleiben soll. Können Sie mir, da Sie mit diesem Thema ja des Öfteren befasst sind, zufällig sagen, ob diese Meinung der Bundesregierung auch die Meinung der Koalition ist?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Das ist die Auffassung der Bundesregierung, so wie ich sie vorgetragen habe.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Okay, vielen Dank. Dann habe ich keine weiteren Nachfragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke schön, Herr Staatssekretär. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Gernot Erler zur Verfügung. Die Fragen 18 und 19 der Kollegin Monika Knoche werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Dr. Diether Dehm auf: Sieht die Bundesregierung eine Verletzung grundlegender Menschenrechte in der praktischen Aushebelung des Besuchsrechts der Gefangenen durch die Verweigerung der Vergabe von Visa durch die Regierung der Vereinigten Staaten an die Ehefrauen der kubanischen Gefangenen R. G. und G. H. und an andere Familienangehörige im gesamten Jahr 2007 seit deren Inhaftierung vor zehn Jahren? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Dr. Dehm, meine Antwort lautet: Die Regelung des Reiseverkehrs zwischen Kuba und den USA einschließlich der Erteilung bzw. Versagung von Visa und Einreiseerlaubnissen ist eine bilaterale Angelegenheit dieser beiden Staaten. Die einseitige Verweigerung einer Einreise in die USA durch US-Behörden stellt keinen Verstoß gegen die Menschenrechte dar. Im Übrigen geht aus dem Bericht der Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen hervor, dass laut Angaben der US-Regierung mit Stand vom Mai 2005 bereits 60 US-Visa Familienangehörigen der Inhaftierten erteilt wurden. Der Bericht besagt weiter, dass die Gründe für die Ablehnung der Visaanträge der Ehefrauen nach Angaben der US-Regierung jeweils in der Person der Antragstellerinnen gelegen hätten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, dass mit der Ratifizierung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte seitens der Bundesrepublik die Verpflichtung zur universellen Einhaltung der darin ge14230 setzten Normen besteht, dass der Besuch von Angehörigen von Gefangenen somit internationales Recht darstellt und dass die Verweigerung der Besuche von Frauen und in einem Fall sogar des eigenen Kindes eine unnötige Strafverschärfung darstellt, die im Gegensatz zu den Standards der menschlichen Behandlung von Gefangenen und zur staatlichen Verpflichtung, das Familienleben zu schützen, steht?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Dehm, wir sehen keinen Verstoß gegen diese Vorschriften, wenn die Erteilung von Visa nur in Einzelfällen versagt und nicht generell das Besuchsrecht der Betroffenen infrage gestellt wird. Genau das ist hier der Fall. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass von der amerikanischen Seite geltend gemacht wird, dass die Versagung von Visa in diesen Einzelfällen auf die Personen bezogen ist und nicht auf eine Gesamtverweigerung der Besuchsrechte abzielt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage. - Bitte.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, danke.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie verzichten. Dann rufe ich die Frage 21 des Kollegen Dr. Diether Dehm auf: Hat die Bundesregierung der Regierung der Vereinigten Staaten ihre Besorgnis über die Umstände der Verhaftung, der Verurteilung und der Haft der genannten kubanischen Gefangenen vermittelt, oder beabsichtigt sie dies? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Dehm, meine Antwort lautet: Nein. Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse zu den genannten Fällen. Aufgrund der öffentlich zugänglichen Informationen sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, am rechtmäßigen Vorgehen der amerikanischen Justizbehörden zu zweifeln.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, dass Amnesty International die US-Behörden mehrfach aufgefordert hat, ihre Entscheidung, den zwei Ehefrauen der kubanischen Staatsbürger, welche lange Haftstrafen in den USA absitzen, die befristeten Visa, die sie benötigen, um ihre Ehemänner in den USA zu besuchen, zu verweigern, sorgfältig zu überprüfen? Es gibt nämlich keine vernünftigen, schlüssigen Gründe, die dagegen sprechen. Adriana Pérez wurde seit der Verhaftung ihres Ehemannes Gerardo Hernández 1998 nicht gestattet, ihn zu besuchen, und Olga Salanueva und ihre 8-jährige Tochter haben ihren Ehemann bzw. Vater René González seit Beginn seines Verfahrens im Jahr 2000 nicht mehr gesehen, weil die US-Regierung seit 2002 die Anträge der Frauen auf Ausstellung befristeter Visa aus verschiedenen Gründen abgelehnt hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Dehm, Sie sind noch einmal auf den Punkt zurückgekommen, den wir eben schon besprochen haben. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass der Bericht dieser Arbeitsgruppe darauf hinweist, dass in 60 Fällen in Bezug auf diese fünf Gefangenen Besuchserlaubnisse erteilt worden sind und lediglich in Einzelfällen - Sie haben diese beiden Ehefrauen angesprochen aus ganz spezifischen Gründen dieses versagt wird. Wir haben keine eigenen Erkenntnisse darüber, welches diese Gründe sind. Aber wir können nicht feststellen, dass die Versagung im Einzelfall rechtliche Vorschriften tangiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage. - Bitte.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wir kennen uns ja lange von anderen Bemühungen her, aus der Friedensbewegung. Können Sie sich vorstellen, dass Sie oder die Bundesregierung, wenn es sich nicht um Kuba handeln würde, sich damit abfinden würden, wenn ein autoritärer Staat, wie in diesem Falle die USA, derartig mit Gefangenen umgeht?

Not found (Gast)

Herr Kollege Dehm, ich glaube, dass die Bewertung, die Sie vorgenommen haben, insofern nicht akzeptiert werden kann, als es sich bei den Vereinigten Staaten zweifellos um einen Rechtsstaat handelt. Das kann man daran sehen, dass diese Verfahren schon durch mehrere Instanzen gelaufen und auch noch nicht abgeschlossen sind. Das heißt, es gibt keine Veranlassung, an den rechtlichen Möglichkeiten, die die Betroffenen haben, zu zweifeln.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 22 des Kollegen Wolfgang Gehrcke: Auf welche Weise wird sich die Bundesregierung gegenüber der Regierung der Vereinigten Staaten dafür einsetzen, dass die Ehefrauen und andere Familienangehörige der als „Miami Five“ bekannten kubanischen Gefangenen Visa zur Einreise in die USA und damit Besuchsmöglichkeit erhalten? Bitte, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, meine Antwort lautet wie folgt: Die Regelung des Reiseverkehrs zwischen Kuba und den USA einschließlich der Erteilung bzw. Versagung von Visa und Einreiseerlaubnissen ist eine bilaterale Angelegenheit dieser beiden Staaten. Die Bundesregierung kann sich aus diesem Grund nicht für eine Einreiseerlaubnis für die Ehefrauen und Familienangehörigen der Inhaftierten einsetzen. Sie kann lediglich feststellen, dass die einseitige Verweigerung einer Einreise durch die US-Behörden keinen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt. Im Übrigen geht, wie bereits erläutert, aus dem Bericht der Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen hervor, dass laut Angaben der US-Regierung mit Stand vom Mai 2005 bereits 60 US-Visa Familienangehörigen der Inhaftierten erteilt wurden. Die Gründe für die Ablehnung der Visaanträge lägen danach jeweils in der Person der Antragstellerinnen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, schon als ich die Frage gestellt habe, war mir klar: Die Bundesregierung wird antworten, dass das eine bilaterale Angelegenheit zwischen Kuba und den USA ist. Deswegen frage ich: Ist die Bundesregierung jenseits der rechtlichen Regelungen im Sinne von Humanität bereit, diese Angelegenheit bei Gesprächen mit den USA anzusprechen, nicht im Sinne einer Forderung, sondern um auf eine humanitäre Lösung hinzuwirken, das heißt, außerhalb der offiziellen Protokolle?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, es ist, ehrlich gesagt, nicht Aufgabe der Bundesregierung, sich in einem anderen Staat bei der Erteilung von Einreisevisa einzumischen, es sei denn, es geht um grundlegende Ziele und Prinzipien, die wir haben, zum Beispiel, wenn in einem Fall die Todesstrafe droht oder wenn es um Folter geht; in einem solchen Fall mischen wir uns in die Gesetzgebung oder administratives Verhalten anderer Staaten ein. Aber das ist hier eindeutig nicht der Fall. Deswegen kann man nicht erwarten, dass die Bundesregierung in solcher Weise tätig wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine zweite Nachfrage?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wie mir sind auch Ihnen sicherlich eine ganze Reihe von Fällen aus der Vergangenheit bekannt, in denen die Bundesregierung - zumindest in Gesprächen - bei anderen Staaten im Sinne der Humanität für die Freilassung oder für Hafterleichterungen von Gefangenen interveniert hat. Wir könnten eine ganze Liste anführen. Wäre es nicht möglich - ich frage das, um der Bundesregierung diesen Weg zu eröffnen -, dieses Problem einmal anzusprechen und zu fragen, ob es nicht auch zur Verbesserung der Zusammenarbeit der USA mit Kuba sinnvoll ist, dieses Problem anders zu lösen, als es bislang gelöst worden ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, Sie haben natürlich recht, dass es solche Fälle gibt. Die Verfasstheit bzw. die Rechtsstaatlichkeit der entsprechenden Staaten, in denen wir diese Einzelfälle ansprechen, ist aber eine andere. Ich muss noch einmal darauf verweisen, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist. Wir erwarten in der nächsten Zeit einen solchen Abschluss. Es ist nicht üblich und auch nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung in solchen Einzelfällen entsprechend vorgeht. Im Übrigen verweise ich darauf - das wissen Sie, Herr Kollege Gehrcke -, dass es im zivilgesellschaftlichen Bereich ganz andere Möglichkeiten gibt, so etwas zu tun. Das steht jedem offen. Wie Sie wissen, gibt es weltweit mehrere Hundert Initiativen, die sich mit den „Miami Five“ beschäftigen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 23 des Kollegen Wolfgang Gehrcke: Hat die Bundesregierung sich bezüglich des Falls der fünf kubanischen Gefangenen mit der kubanischen Botschaft in Verbindung gesetzt, oder beabsichtigt sie dies? Sie haben das Wort, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, Sie werden meine Antwort wahrscheinlich schon erwarten. Sie lautet: Nein. Wie ich bereits erläutert habe, sieht die Bundesregierung in dem vorliegenden Fall keine Grundlage für ein Tätigwerden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Möchten Sie eine Nachfrage stellen? - Bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatsminister, Sie haben in Ihren Antworten auf die Fragen meines Kollegen Dehm und auch auf meine Fragen mehrfach gesagt, dass der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vorliegen. Wäre es, wenn das der Fall ist, nicht sinnvoll, sich von der kubanischen Botschaft einmal über die kubanische Seite in dieser Angelegenheit gründlich informieren zu lassen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Gehrcke, diese Antwort bezog sich auf die an uns gerichtete Frage, wie die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe bewertet werden. Es ist schwierig, das Ergebnis eines solchen Panels zu bewerten, wenn man keine eigenen Erkenntnisse hat. Diese Auskunft bezog sich auf nichts anderes.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Haben Sie eine zweite Nachfrage?

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Darf ich Ihre Antwort, dass es nicht Angelegenheit der Bundesregierung, sondern Angelegenheit der Zivilgesellschaft ist - Sie haben auch darauf aufmerksam gemacht, dass es weltweit sehr viele solcher Komitees gibt; ich gehöre einem solchen an -, so bewerten, dass die Bundesregierung das Engagement der Zivilgesellschaft zur Freilassung dieser Gefangenen begrüßt oder zumindest als vernünftig beurteilt?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Die Bundesregierung begrüßt und unterstützt grundsätzlich alle Aktivitäten der Zivilgesellschaft, mit denen humanitäre Ziele verfolgt werden, und das wird auch so bleiben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze. Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Hans-Kurt Hill auf: Aus welchen Gründen unterstützt die Bundesregierung über die Deutsche Energie-Agentur, dena, die Werbekampagne „Bleib mir treu“ der vier großen Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall Europe und EnBW, bei der Stromkunden davon abgehalten werden sollen, zu einem anderen Anbieter zu wechseln, obwohl sowohl der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, als auch der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, öffentlich zum Wechsel des Stromanbieters aufrufen und sowohl diese Minister als auch der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, die Preispolitik der genannten Energieversorger öffentlich mehrfach kritisiert haben? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Kollege Hill, Ihrer Frage liegt offensichtlich ein Missverständnis zugrunde, da die angesprochene Informationskampagne ausschließlich der Steigerung der Energieeffizienz dient. Die Initiative Energie-Effizienz ist eine breit angelegte Informations- und Motivationskampagne, mit der man sich zum Ziel gesetzt hat, die Energieeffizienz auf der Verbraucherseite zu verbessern. Ein kleines Element dieser Kampagne sind sogenannte Free Cards mit verschiedenen Slogans zur Effizienzproblematik. Mit einem dieser verschiedenen Slogans auf den Free Cards - „Bleib mir treu“ -, die sowohl als elektronische Karten aus dem Netz heruntergeladen werden können als auch als gedruckte Postkarten in Gaststätten ausliegen, wird, wie auf der Postkarte erläutert, für Energiesparlampen und deren zehnmal längere Lebensdauer gegenüber herkömmlichen Glühlampen geworben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie geben mir sicherlich recht, dass gerade in einer Situation, in der ein Oligopol den Strommarkt beherrscht und auch Ihr Haus - wie das Bundesumweltministerium - dafür wirbt, insbesondere dann, wenn man mit dem Energieanbieter nicht zufrieden ist, den Anbieter zu wechseln, eine Karte mit der Aufschrift „Bleib mir treu!“ etwas ganz anderes suggeriert. Ich denke, dass man in diesem Fall eine solche Botschaft nicht unterstützen sollte. Deswegen frage ich Sie: Wurde geprüft, ob die Aktion dazu führt, dass man treu bleibt? Wurde dazu eine Nachfrage gestellt?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Herr Kollege Hill, der gesamte Text der Karte lautet - ich zitiere mit der Genehmigung der Präsidentin -: Entscheiden Sie sich beim nächsten Mal für was Längerfristiges! Moderne Energiesparlampen halten mindestens 10-mal so lange wie herkömmliche Glühlampen. Und das spart Strom und Geld. Die Stromsparmeisterschaften 2007 in Studentenwohnheimen haben gezeigt: Energieeffizienz lohnt sich. Die Teilnehmer reduzierten ihren Stromverbrauch um bis zu 24 Prozent. Weitere Informationen bei www.stromeffizienz.de. Die Botschaft dieses Kärtleins, das nur ein Element berücksichtigt - es gibt viele andere Karten mit Sprüchen, die auf ein anderes Effizienzverhalten abzielen -, ist, glaube ich, eindeutig. Inwieweit die Verteilung dieser Karte zu einem realen Einsparverhalten bei jungen Leuten geführt hat, kann ich Ihnen nicht sagen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage, bitte.

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die dena, die diese Karten verteilt, gehört zu 50 Prozent dem deutschen Staat. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die dena und die vier Oligopolteilnehmer EnBW, Vattenfall, RWE und Eon gleichrangig aufgeführt sind. Außerdem steht auf der Karte: „Bleib mir treu!“ Bei mir entsteht der Eindruck, dass hier suggeriert werden soll: Bleib bitte bei deinem Stromerzeuger!

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Sehr geehrter Herr Kollege, kein Mensch ist vor Fehleindrücken gefeit. Aber da ich die Karte mitgenommen habe - ich habe vermutet, dass Sie näher darauf eingehen -, kann ich Ihnen zeigen, dass das Symbol der Deutschen Energie-Agentur „dena“ groß abgebildet ist. Auf der Seite, auf der der Slogan genannt wird - auf jeder Karte steht ein anderer Slogan -, findet sich kein Hinweis auf irgendein anderes Unternehmen. Auf der Rückseite der Karte findet sich in einer Größe, die bei gutem Augenlicht mühsam zu lesen ist und ansonsten einer Lupe bedarf, ein Hinweis darauf, dass große Unternehmen die Aktion Energie-Effizienz mittragen. Als die Deutsche Energie-Agentur, dena, im Jahr 2000 gegründet wurde, ging es nämlich auch darum, zusätzliche Mittel zu mobilisieren. Der Hinweis auf die Glühlampen und der Text, den ich zitiert habe, sind, glaube ich, so eindeutig, dass es sich um ein höchst individuelles Missverständnis handelt, das ich zwar nicht ausschließen kann, wie Ihre Frage beweist, das aber sicherlich vom Adressatenkreis insgesamt nicht geteilt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Bärbel Höhn hat eine Zusatzfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, könnten Sie bei der dena nachfragen, wie der Spruch „Bleib mir treu!“ zur Energieeffizienz beitragen soll? Energieeffizienz spricht doch eher Leute an, die bisher noch keine Energiesparlampen verwendet haben. Wer Energiesparlampen nutzt, weiß, dass man damit Geld sparen kann. Deshalb macht der Spruch „Bleib mir treu!“ wenig Sinn; denn die Leute sind bereits überzeugt. Müsste es nicht eher heißen „Nimm mich!“ „Greif zu!“ oder Ähnliches? Der Slogan „Bleib mir treu!“ bei der Energieeffizienz ist im Zusammenhang mit den großen Energiekonzernen, die die Aktion bezahlen, ein seltsamer Spruch. Sollte die Bundesregierung nicht die Frage stellen, ob die Gelder an die dena für solche Aufklärungskampagnen gut angelegt sind?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, ich bin Ihnen dankbar für Ihren praktischen Vorschlag, eine Karte mit der Aufschrift „Nimm mich!“ zu verwenden. Diese Karte ist, wie viele andere Sprüche, bereits im Einsatz. Hier geht es um Kühlschränke der Stromsparklasse A++. Wie Sie uns in Ihrer Frage netterweise indirekt zugestanden haben, handelt es sich um Sprüche von Jugendlichen aus dem zwischenmenschlichen Zusammenleben, die etwas elegant daherkommen. Auch der von Ihnen spontan gefundene Spruch wurde von Werbetextern aufgegriffen, genauso wie eine Reihe anderer Sprüche. Ich will sie hier nicht alle vortragen. Wie Sie sehen, Frau Kollegin, ist Ihre Anregung von der dena kongenial aufgegriffen worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es steht mir nicht zu, die Inhalte von Fragen und Antworten zu bewerten. Aber ich finde, der Herr Staatssekretär hat sich auf das Veranschaulichen des Gegenstandes der Fragestunde sehr gut vorbereitet. ({0}) Die Frage 25 des Kollegen Hans-Josef Fell wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Entspricht die auf der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe vom 9. Januar 2008 beschlossene Forderung, die Energieversorger müssten ihre Kunden einmal im Jahr schriftlich über ihre Einkaufs-, Vertriebs- und Investitionskosten sowie die Gewinnmargen schriftlich informieren, der Haltung der Bundesregierung, und, wenn ja, welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um diese Forderung durchzusetzen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Verehrte Frau Kollegin Höhn, ich muss Ihnen sagen, dass der Prozess der Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung zu der am 9. Januar 2008 von der CSU-Landesgruppe beschlossenen Forderung noch nicht abgeschlossen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die rot-grüne Bundesregierung hatte den Vorschlag gemacht, wonach die Unternehmen ihre Gewinne entsprechend den jeweiligen Sparten - wie viel haben sie im Strom- und im Gasbereich verdient? - gegenüber den Verbrauchern transparent machen müssen. So sollte den Verbrauchern mehr Klarheit darüber verschafft werden, ob Preiserhöhungen gerechtfertigt sind. Dieser Vorschlag ist damals im Bundesrat gescheitert. Plant die Bundesregierung, die ja den vier großen Energiekonzernen auf die Füße treten will, um mehr Wettbewerb und eine stärkere Überprüfung der Kostensteigerungen zu erreichen, einen neuen Anlauf, um die Spartengewinne transparent zu machen?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Kollegin, die Bundesregierung setzt sich gerade bei den Strompreisen für mehr Transparenz gegenüber den Verbrauchern ein. Es findet deshalb morgen im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ein Gespräch statt, an dem sowohl Vertreter der Industrie, also der Stromversorger, wie Vertreter der Stromverbraucher teilnehmen, um darüber zu beraten, wie mehr Transparenz - auch für die Verbraucher - hergestellt werden kann. Einzelne Elemente sind noch nicht festgelegt worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, nachdem ich bei der Nachfrage zur dena-Effizienzkampagne bewiesen habe, dass ich in der Lage bin, auch spontan gute Ideen zu entwickeln, und Ihnen jetzt gerade einen sehr guten Vorschlag gemacht habe, wie man im Hinblick auf die vier großen Energiekonzerne stärker eingreifen kann - die Vorschläge der CSU-Landesgruppe auf ihrer Klausurtagung fand ich in dieser Hinsicht spannend; dort wurde auch auf die Verquickung der vier großen Energiekonzerne bei den Stadtwerken hingewiesen -, richte ich die Frage an Sie: Können Sie bestätigen, dass die drei Vorschläge, über die wir diskutieren, morgen auch Gegenstand der Runde mit den Vertretern der vier Unternehmen sein werden?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Ich kann Ihnen nicht zusagen, dass alle Vorschläge, die die CSU-Landesgruppe auf ihrer Klausurtagung gemacht hat, Gegenstand des morgigen Gesprächs sein werden, wohl aber, dass diese Vorschläge von der Bundesregierung mit Interesse und im Hinblick auf eine mögliche Umsetzung geprüft werden. Für uns sind die Vorschläge der CSU-Landesgruppe wichtig und prüfenswert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Frage 27 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird schriftlich beantwortet. Die Fragen 28 und 29 der Kollegin Birgitt Bender werden gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde ebenfalls schriftlich beantwortet. Das heißt, das Thema der Fragen steht in einem anderen Zusammenhang auf der Tagesordnung in dieser Sitzungswoche. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung des Bundestages bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.35 Uhr. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haltung der Bundesregierung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität hinsichtlich Prävention, Straffälligenhilfe und Ausstattung der Jugendgerichte Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Renate Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Thema muss man eines feststellen: Ja, wir haben ein Problem. ({0}) - Warten Sie einmal ab; Sie müssen jetzt nicht gleich in Aufregung verfallen. Ja, wir haben ein Problem; aber wir haben nicht das Problem, das die CDU/CSU-Fraktion oder dieser Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen, aus diesem Problem macht, meine Damen und Herren. Das ist es nicht. ({1}) Wir erleben gerade wieder, wie schon 1999, den Versuch, auf dem Rücken von Ausländerinnen und Ausländern und auch von Opfern von Gewaltdelikten Politik zu machen und vom rechten Rand Wählerstimmen abzuziehen. Das ist nicht die Lösung des Problems. ({2}) Wir müssen vielmehr beim Thema Jugendkriminalität endlich handeln, statt die Jugendlichen einfach sitzen zu lassen. ({3}) Ich muss an dieser Stelle sagen: Nachdem wir über Weihnachten viel Kritik an der Bundeskanzlerin gelesen haben, nämlich dass sie ständig nur moderiert und abwartet, war ich jetzt entgeistert, dass sie ihre ewige Moderiererei und Abwarterei an genau der falschen Stelle aufgegeben hat. Es war ein Fehler, Roland Koch zu folgen, weil er das Land spaltet, weil er hetzt und weil er keine einzige Straftat verhindert. ({4}) Das war genau die falsche Stelle. Schauen wir uns einmal an, wie Roland Koch die Bevölkerung in Hessen „schützt“. Unter der Ägide des Roland Koch haben wir in Hessen einen überproportional hohen Anstieg von Jugendkriminalität, nämlich seit 1999 um 35 Prozent; deutschlandweit betrug der Anstieg nur 13 Prozent. Das ist das Resultat der Politik eines Roland Koch. Was die Erledigungszahlen und das Tempo der Erledigung von Verfahren wegen Jugendkriminalität betrifft, trägt Hessen seit Roland Koch die rote Schlusslaterne. Sie können das hier doch nicht ernsthaft als Erfolg verkaufen und sagen, so werde man dieses Land sicherer machen. Sie sollten einmal in sich gehen und überlegen, ob es richtig ist, diese Kampagne auf dem Rücken der Opfer durchzuführen. ({5}) Es ist mittlerweile so, dass die eine Seite dieses Hauses die Gewerkschaft der Polizei, sämtliche Richter, die Jugendgerichtshilfe, Bewährungshelfer und Familienhelfer auf ihrer Seite hat, weil alle sagen: Unter Koch gibt es höchstens eine „Operation düstere Zukunft“, weil zum Beispiel die Arrestanstalten geschlossen worden sind. In Hessen werden mittlerweile verurteilte Jugendliche nach Hause geschickt. Es gibt Fälle, in denen noch nicht einmal nach einem Jahr der verhängte Arrest bei Jugendlichen vollstreckt worden ist und dieser erlassen wird, weil die Frist abgelaufen ist. Meine Damen und Herren, Sie sollten nachts nicht schlafen können aus Sorge darum, wo Sie tragfähige Konzepte finden. Ich sage Ihnen: Diese Konzepte gibt es. Sie müssten nur lernen, damit keinen Wahlkampf zu machen. Sie sollten endlich einmal auf Tausende von Fachleuten hören. ({6}) Wir sind mittlerweile so weit - die Verantwortung dafür müssen auch Sie sich zurechnen lassen -, dass wir eine richtige Islamophobie haben. Wir sehen, wie Herr Schirrmacher im Feuilleton der FAZ den Kulturkampf ausruft und so tut, als sei es der zentrale Kern der Religion des Islam, gegen Deutsche zu sein. ({7}) Stoppen Sie das! Wir dürfen nicht zulassen, dass das, was wir an Integration angefangen haben, was auch die Verbände angefangen haben, an dieser Stelle zu Hetze und zur Spaltung dieser Gesellschaft führt; denn das würde sich eines Tages für uns alle und für das ganze Volk rächen, weil die Kriminalität dann weiter ansteigt. ({8}) Soll ich Ihnen einmal sagen, was er gestern schrieb? ({9}) Zum Beispiel: Zur Klarheit … gehört auch, dass man ausspricht, dass die Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus potentiell das ist, was heute den tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt. ({10}) Das mit Nationalsozialismus und Stalinismus gleichzustellen, wird sich bitter rächen! Kommen Sie zurück zur Sache. ({11}) Wahr ist: Es gibt Fälle wie die, die auch Roland Koch funktionalisiert hat, zum Beispiel den in Hamburg. Aber wie hießen denn die drei Täter, die diesen alten Herrn lebensgefährlich zusammengeschlagen haben? Kevin, Kevin und Sascha! Dies sind keine Namen, die einen islamischen Hintergrund vermuten lassen. Kommen Sie also zurück zur Sache! Diese Jugendgewalt ist die Gewalt einer Jugend aus der Mitte dieser Gesellschaft. Sie ist unter den hiesigen Bedingungen aufgewachsen, ein guter Teil in bildungsfernen Schichten, bei den finanziell Schwachen. Sie lebt in einer Gesellschaft, in der Videospiele mit viel Gewalt und Privatfernsehen mit noch mehr Gewalt Alltag sind, und sie hat oft Eltern, die keine guten Vorbilder sind. Ich gebe zu: Besonders bei den Migrantinnen und Migranten fehlt da einiges. Was heißt das? Das heißt, dass wir an dieser Stelle lernen müssen: Wir intervenieren zu spät, wir handeln zu spät. Wir müssen lernen, dass die Jugendgerichtshilfe, die Jugendgerichte und die Familienhilfen das nötige Personal haben müssen. Früh anfangen ist hier die Antwort. ({12}) Ich sage Ihnen eines ganz klar: Früh anfangen gilt nicht nur dafür, dass man genug Personal im Repressionsbereich hat, sondern auch für den Präventionsbereich, und zwar vom Kleinkind an, wenn es um das Deutschlernen geht. Früh handeln heißt auch - das sage ich den Migrantenverbänden -, dass diese Verbände sich durch Roland Koch nicht irremachen lassen, sondern bei dem Ansatz bleiben, die Kinder tatsächlich zu fördern und Druck für Bildung und für das Erlernen von Sprache zu machen, damit diese Kinder hier in diesem Land mit uns allen zusammenleben wollen, und zwar ohne die Begehung von Straftaten. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Künast, kommen Sie bitte zum Schluss.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mein letzter Satz. - Von der heutigen Debatte sollte ein Signal ausgehen: dass wir wirklich ernsthaft gegen Jugendgewalt und -kriminalität arbeiten wollen, dass wir Opfer vermeiden wollen und dass es schäbig ist, mit diesem Thema Wahlkampf zu machen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Bosbach von der CDU/CSU.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zwei ganz kurze Bemerkungen zu Ihnen, Frau Künast. Erstens. Stichwort „Druck machen beim Erlernen der deutschen Sprache“: So etwas galt noch vor fünf Jahren als „Zwangsgermanisierung“ und „latenter Rassismus“. ({0}) - Doch, doch, doch! Als wir schon vor Jahren gesagt haben: „Das Erlernen der deutschen Sprache in Wort und Schrift ist der Schlüssel zu Integration“, da galt das noch als latenter Rassismus. ({1}) Zweitens. Wir machen keine Politik auf dem Rücken von Opfern. Wir wollen dafür sorgen, dass es in Deutschland weniger Opfer gibt. Das ist ein fundamentaler Unterschied. ({2}) Trotzdem danke schön für diese Aktuelle Stunde, die wir den Grünen verdanken. Sie gibt Anlass zu folgenden Klarstellungen. Erstens. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in Deutschland in den letzten Jahren ein Politiker derart massiv kritisiert und persönlich diffamiert wurde wie der hessische Ministerpräsident Roland Koch, ({3}) nicht etwa deshalb, weil er etwas Falsches gesagt hat, sondern weil er Dinge anspricht, die in den Augen der politischen Linken politisch nicht korrekt sind. Das ist das Vergehen von Roland Koch. ({4}) Er spricht offen und sachlich das Thema Jugendgewalt an. ({5}) Er spricht offen und sachlich an, dass wir einen überdurchschnittlich hohen Anteil von ausländischen Tätern haben, was Sie, Frau Künast, in Ihrer Rede dankenswerterweise gar nicht bestritten haben, und dass politischer Handlungsbedarf besteht. ({6}) Zweitens. Eine vernünftige Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Ich finde es gut, dass auch Sie sagen: Wir haben ein Problem. - Nur kommen wir zu unterschiedlichen politischen Schlussfolgerungen. Sehen wir uns einmal die Entwicklung an! ({7}) Das ist die Kriminalitätsentwicklung seit 1993 insgesamt. Beim Anteil der jungen Erwachsenen an den Tätern gibt es einen erheblichen Anstieg: plus 80 Prozent. Der Anstieg bei den Jugendlichen: 35 Prozent. Der Anstieg bei den Heranwachsenden: 48 Prozent. - Vor dieser Lebenswirklichkeit kann man natürlich die Augen verschließen. ({8}) Aber eine solche Politik können wir uns im Interesse des Landes nicht erlauben. Jetzt sehen Sie sich einmal die Entwicklung bei den Gewaltdelikten an! ({9}) Gefährliche und schwere Körperverletzung, Gewaltkriminalität im Durchschnitt und vorsätzliche Körperverletzung: Anstieg von 180 000 auf 370 000 Delikte in nur 14 Jahren. - Das darf man nicht nur thematisieren; das muss man thematisieren. In Wahlkämpfen spricht jedenfalls die Union über das, was für die Zukunft des Landes wichtig ist, und über die Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen; die innere Sicherheit gehört dazu. ({10}) Dritter Punkt. Wir brauchen uns nicht über die Dinge zu streiten, die völlig unstreitig sind. ({11}) Die beste Politik gegen Kriminalität ist Prävention. ({12}) Erziehung zu Gewaltlosigkeit und Toleranz sind für die Prävention ganz wichtig - ebenso wie die Vermittlung von Werten, das Erziehen von Kindern im besten Sinne des Wortes. Aber wir müssen auch über diejenigen reden, die Intensivtäter sind, die als junge Menschen 50, 70, 100 Straftaten begangen haben und bei denen auch das 98. Erziehungsgespräch keine Wirkung zeigt. Wir müssen über diejenigen sprechen, die zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sind und, wenn sie aus dem Gerichtssaal kommen, die Frage ihrer Kumpel: „Was hast du bekommen?“ mit „Nichts“ beantworten. Über die müssen wir reden! Es gibt leider und nicht bestreitbar Fälle, in denen auch jede Menge sozialtherapeutische Mühe nicht genügt; ({13}) die Betreffenden muss man leider hinter Schloss und Riegel bringen, und zwar deshalb, damit sie anderen Menschen nicht schweren Schaden zufügen können. Das ist der Punkt. ({14}) Vierter Punkt. Darf man in Wahlkämpfen darüber reden? Die politische Linke ist empört. ({15}) Nun schauen wir uns doch einmal an, was der große Staatsmann Schröder, der heutige Vertreter von Gasprom, zu diesem Thema gesagt hat! Gerhard Schröder vor zehn Jahren zum Thema Jugendkriminalität - er ist in diesem Haus ja wohl noch zitierfähig -: ({16}) Verbrechensbekämpfung kann man nicht Sozialarbeitern überlassen. Wir haben lange über die Ursachen von Kriminalität diskutiert und zu wenig über deren Bekämpfung. ({17}) Gerhard Schröder zur Ausländerkriminalität: Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell! Raus, und zwar schnell! ({18}) Jetzt will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Wenn Gerhard Schröder so plump über Jugendkriminalität spricht, dann meinen Sie, das sei ein wichtiger Beitrag zur inneren Sicherheit. Wenn Roland Koch sich differenziert äußert, ({19}) sagen Sie, das sei plumper Populismus. ({20}) Gerhard Schröder sagt, jeder Ausländer, der eine Straftat begeht, müsse raus. Wenn Roland Koch sagt: „Wir müssen die zu hohen Hürden für die Abschiebung ausländischer Straftäter senken“, dann meinen Sie, das sei Rassismus. Genau so geht es nicht! Sie diktieren uns nicht, worüber wir in Wahlkämpfen sprechen. ({21}) Schlussbemerkung. Die Linke sagt: Wir wissen besser als die Union, wie man Kriminalität bekämpft. ({22}) Frage: Warum tun Sie es dann nicht? ({23}) Warum verweigern Sie Ihren Landeskindern standhaft den Nachweis der politischen Kompetenz? Die sichersten Bundesländer sind - in dieser Reihenfolge -: Bayern, Baden-Württemberg, ({24}) Thüringen, Hessen, ({25}) allesamt unionsregiert. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bosbach, kommen Sie bitte zum Schluss.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Warum sind Sie in heller Aufregung? Erstens, weil Sie genau wissen, dass die Menschen wissen, dass die innere Sicherheit bei der Union in guten Händen ist, und zweitens, weil Sie die große Sorge haben, dass Sie mit Ihren Themen nicht ankommen, weil die Menschen wissen, was wichtig ist, und dass sie sich am 27. Januar auch entsprechend entscheiden werden. ({0}) Das ist Ihre Sorge. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Mechthild Dyckmans von der FDP-Fraktion. ({0})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Jugendkriminalität und Jugendgewalt“ bestimmt seit mehreren Wochen die Medien und die öffentliche Diskussion. Sachliche Diskussionen sind leider Vergangenheit. Populistische Forderungen, platte Wahlkampfparolen und gegenseitige Beleidigungen innerhalb der Berliner Koalition bestimmen die Tagesordnung. Mit verantwortungsvoller Politik hat das nichts mehr zu tun. ({0}) Dabei verdient das Thema „Jugendkriminalität und Jugendgewalt“ eine Debatte, die mit großem Ernst und Sachverstand geführt wird. ({1}) Es ist erfreulich, dass die Zahl der Delikte im Bereich Jugendkriminalität gefallen ist und stetig abnimmt. ({2}) Beunruhigend dagegen ist, dass gerade die Zahl der Gewaltdelikte zunimmt. Für die FDP ist völlig klar: Jede Form von Kriminalität muss entschieden bekämpft werden. Eine Verharmlosung von Kriminalität und eine Bagatellisierung von Straftaten darf es nicht geben. Jeder Straftäter in Deutschland muss wissen, dass sein kriminelles Verhalten nicht ohne Folgen bleiben wird. - Aber unsere Gerichte haben bereits heute ein ausreichendes und breites Instrumentarium an Rechtsfolgen zur Verfügung, um kriminelles Verhalten jugendlicher Täter zu sanktionieren. ({3}) Wir haben kein Problem mit dem geltenden Recht. Wir haben vielmehr ein Problem mit der Umsetzung des geltenden Rechts. ({4}) Gerade vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Bilanz in Hessen ist es unehrlich, wenn der hessische Ministerpräsident Roland Koch öffentlich neue Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität bis hin zum Kindergefängnis fordert. ({5}) Dankenswerterweise hat die Kanzlerin wenigstens dieser Forderung eine klare Absage erteilt. Wie sieht denn die Bilanz in Hessen aus? In Hessen fehlen 1 000 Stellen bei der Polizei. ({6}) Hessen liegt bundesweit bei der Dauer von Jugendstrafsachenverfahren an letzter Stelle, ({7}) und in Hessen gibt es keine Einrichtung für strafunmündige Intensivtäter. Wen wundert es da noch, dass in Hessen die Zahl der Gewaltstraftaten, die von jugendlichen Tätern begangen wurden, überproportional zugenommen hat? Es ist unverantwortlich, wenn man einerseits schärfere Sanktionen fordert, aber andererseits im eigenen Land nicht die geeigneten Voraussetzungen dafür schafft, dass diese Sanktionen durchgesetzt werden können. ({8}) Meine Damen und Herren, Kriminologen sind sich einig, dass sich jugendliche Gewalttäter von härteren Strafen kaum abschrecken lassen. Abschreckend wirkt allein die Gewissheit, nach vollendeter Tat von der Polizei geschnappt zu werden, von den Gerichten schnell verurteilt zu werden und die Strafe ableisten zu müssen. ({9}) Das Verhalten von jugendlichen Kriminellen wird sich nicht ändern, solange sie davon ausgehen können, dass sie nicht geschnappt werden und damit nicht verurteilt werden, dass sie sich also der Strafe entziehen können. Was brauchen wir also? Das Vollzugsdefizit muss abgebaut werden, Stellenstreichungen müssen zurückgenommen werden, und die Justiz muss so ausgestattet werden, dass insbesondere Jugendstrafverfahren zügig abgeschlossen werden können. Ich sage aber auch noch eines ganz klar: Wir brauchen auch Einrichtungen, in denen strafunmündige intensivkriminelle Kinder untergebracht werden können. ({10}) - Jawohl! - Wir alle wissen, dass es Kinder gibt, die sich der Erziehungsgewalt ihrer Eltern längst entzogen haben bzw. deren Eltern ihrer Erziehungsaufgabe nicht nachkommen. Hier zeigen auch die klassischen Instrumente der Jugendhilfe keine Wirkung. ({11}) Es muss als allerletztes Mittel die Möglichkeit bestehen, diese Kinder in geschlossene Heime einzuweisen. ({12}) Hier müssen erzieherische Förderung, Bildung und therapeutische Maßnahmen im Vordergrund stehen, um auf Auffälligkeiten und Defizite dieser Kinder im Einzelfall reagieren zu können. Kinder aus Hessen, auf die diese Voraussetzungen zutreffen, müssen derzeit in anderen Bundesländer untergebracht werden. Das kann so nicht bleiben. ({13}) Meine Damen und Herren, besonders wichtig ist für uns der Aspekt der Prävention. Wir haben es schon gehört: Kein Kind kommt kriminell auf die Welt. Es muss daher frühzeitig angesetzt werden, um Kinder auf den richtigen Weg zu bringen. Das Strafrecht kann weder gesellschaftliche noch soziale Defizite ausgleichen. Prävention und Repression sind zwei Seiten einer Medaille. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Ursachen der Kinder- und Jugendkriminalität frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. ({14}) Meine Damen und Herren, das alles zeigt, dass wir bereits heute nach dem geltenden Recht handeln können und handeln müssen. Wir brauchen keine neuen Gesetze. Es ist Zeit, dass wir miteinander statt übereinander reMechthild Dyckmans den, um geeignete Wege zum Abbau von Jugendgewalt und Jugendkriminalität zu finden. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen, weil wir hier sehr viele jugendliche Zuschauer haben: Der weit überwiegende Teil unserer Jugendlichen lebt friedlich miteinander. ({15}) Sie engagieren sich in Verbänden und Vereinen, bei „Jugend forscht“ und „Jugend musiziert“, in Umweltorganisationen, bei der Jugendfeuerwehr, beim Roten Kreuz und beim THW. Sie gehen ordentlich zur Schule und absolvieren ordentlich eine Lehre. Diese Jugendlichen sind unsere Zukunft. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie eine gute und gewaltfreie Zukunft haben. Danke schön. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regelungen im Jugendstrafrecht zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen in einem Wahlkampf zu machen, ist nach meiner Überzeugung wider jede politische Vernunft. ({0}) Es ist gegen jede politische Vernunft, weil die Probleme, die gelöst werden müssen, um im Jugendstrafrecht zu differenzierten Lösungen zu kommen, sehr sensibel sind und sich nicht dafür eignen, populistisch-demagogisch ausgetragen zu werden. Die Menschen im Land haben einen Anspruch darauf, dass wir Lösungen finden und nicht solche Debatten führen, wie wir sie heute Nachmittag hier begonnen haben. ({1}) Ich darf Ihnen dazu sagen, dass alle Forderungen, die jetzt gestellt worden sind, nicht neu sind. Diese Forderungen haben über Jahrzehnte den Deutschen Bundestag immer wieder beschäftigt, und aus guten Gründen haben Bundestag und Bundesrat, in welcher Konstellation auch immer, über Jahrzehnte diese Forderungen jeweils abgelehnt, weil man nach fachlicher Beratung immer zu dem Ergebnis gekommen ist: Die geforderten Regelungen bringen uns nicht weiter und helfen uns nicht weiter. Ich war bis zu meiner Wahl in den Deutschen Bundestag über zweieinhalb Jahrzehnte als Richter tätig, davon neun Jahre als Jugendrichter und Vorsitzender eines Jugendschöffengerichts. Lassen Sie mich drei Beispiele nennen, um das Problem zu verdeutlichen. Erstes Beispiel: Zwei 19-Jährige stehen vor dem Jugendschöffengericht. Sie hatten beide keinen Bock mehr auf die Schule. Die Eltern lebten jeweils getrennt. Ihnen reichte das alles. Die Eltern hatten viel Geld. Die Jugendlichen kamen auf die Idee: Wir nehmen Papas großen 7er BMW, fahren damit nach Arabien, verkaufen dort den BMW und kriegen viel Kohle dafür, und mit der Kohle machen wir eine Kneipe in der Karibik auf. ({2}) Das ist kein Zitat aus der Bild-Zeitung, sondern das ist in den 80er-Jahren tatsächlich so geschehen, meine Damen und Herren. Aber wie kamen die beiden an den Schlüssel? Papa wollte den Schlüssel nicht freiwillig herausgeben. Also haben sie den Vater, als er nach Hause kam, gefesselt und in den Heizungsraum gesperrt. Und weil er dann immer noch nicht sagen wollte, wo der Schlüssel war, haben sie ihm ein Messer vorgehalten. Erst dann hat der Vater gesagt: Da liegt der Schlüssel; nehmt ihn euch. Meine Damen und Herren, das waren Heranwachsende, 19 Jahre alt. Der Tatvorwurf lautete: schwere räuberische Erpressung mit Waffen, die wie Raub behandelt wird. Darauf steht eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren. Das Jugendschöffengericht hat gesagt: Wir müssen die geistige und sittliche Entwicklung dieser jungen Leute berücksichtigen. Sie stehen noch nicht einem Erwachsenen gleich, und das Delikt als solches ist auch wirklich ein jugendtypisches Delikt. ({3}) Denn sie kamen mit ihrem BMW bis in die Kasseler Berge, und dort landete der BMW am nächsten Brückenpfeiler. Nächstes Beispiel, Herr Kollege Bosbach, damit Sie sich wieder beruhigen können. ({4}) - Ja, ein richtiges Beispiel. - In den 80er-Jahren kamen die Doc Martens auf. Das waren die Schuhe, die vorne Stahlkappen hatten, Herr Kollege Bosbach. Mit diesen Schuhen hat ein nichtvorbestrafter 17-Jähriger auf der Straße zwei junge Schülerinnen und Schüler massiv zusammengetreten. Die erste Verhandlung vor dem Jugendgericht ergab zwei Jahre Jugendstrafe ohne Bewährung. Er ist aus der Verhandlung heraus verhaftet und nach Hameln-Tündern in Niedersachsen gebracht worden. Drittes Beispiel. Ich war im Wahlkreis unterwegs, als ein Mann auf mich zukam, Mitte 30, südländisch aussehend, würden einige sagen. Er sagte zu mir: „Du hast mich mal gerettet.“ Ich sagte: „Was? Ich habe dich mal gerettet?“ „Ja, als ich 18 war, war ich bei dir vorm Jugendgericht. Ich hatte schwere Diebstähle begangen, und du hast damals zu mir gesagt: Entweder du machst jetzt eine Lehre, eine Ausbildung, oder du gehst in den Knast. - Dann habt ihr mir eine Lehrstelle zugewiesen, und ich habe die Lehre gemacht.“ Dann ist der Mann in seine Wohnung hochgerannt und hat seinen Facharbeiterbrief geholt, den er bei Mercedes in Bremen erworben hatte. Herr Kollege Bosbach, was ich damit sagen will und was Sie offensichtlich nicht verstanden haben, ({5}) ist, dass es darum geht, dass es nach Prüfung der Persönlichkeit Möglichkeiten gibt, differenziert zu handeln. ({6}) Diese Möglichkeiten haben wir nach geltendem Recht. Wenn man so aufgeregt reagiert wie Sie, Herr Kollege Bosbach, dann sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr und kommt zu solchen Vorschlägen, wie Sie sie uns hier vorgelegt haben. ({7}) Das Problem, das Sie in diesen Wahlkampf hineingetragen haben, ist ausschließlich ein Vollzugsproblem der Länder. Liebe Kolleginnen und Kollegen und alle, die wir in der Rechtspolitik tätig sind, wir haben in den letzten Jahren wiederholt beklagt - und zwar alle; jeder, der sagt, das stimmt nicht, möge dabei in den Spiegel sehen; ich mache dabei auch keine Farbenlehre -, dass die Länder in den zurückliegenden Jahren an der Justiz gespart haben, dass sie die Justiz teilweise kaputtsaniert haben, dass sie zu weitgehend an der Polizei gespart haben, ({8}) dass sie an Präventionsmaßnahmen gespart haben. Genau diese Maßnahmen fehlen im Ergebnis mit Blick auf bestimmte jugendliche Straftäter. Deshalb die Aufforderung: Löst das Problem in den Landtagen; schickt es nicht nach Berlin mit der Behauptung, wir müssten das Jugendrecht ändern! ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke, ({0}) dem ich gleichzeitig zu seinem heutigen Geburtstag herzlich gratuliere. ({1})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über die Verschärfung des Jugendstrafrechts ist nicht neu; das ist schon gesagt worden. Immer wenn irgendwelche Straftaten gehäuft auftreten, kocht die Volksseele, und es kommt zu einer politischen Debatte, die im Ergebnis zu nichts führt, weil festgestellt wird, dass alle Argumente, die in dieser Debatte angeführt werden, nichts taugen. Genau so ist es jetzt wieder. Anlass zu dieser Debatte sind weniger die Taten als die bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. Es geht darum, Wahlkampfstimmen vom rechten Rand zu fischen, und nicht darum, Lösungsstrategien zu finden oder bei der Lösung der Probleme richtig anzusetzen. Die Lösung der Probleme besteht nicht in höheren Strafen, im sogenannten Warnschussarrest oder in Erziehungscamps, wie es jetzt gefordert wird. Die Amerikaner sind von den Erziehungscamps abgekommen. Nun heißt es auf der einen Seite, dass wir so etwas gar nicht wollen. Auf der anderen Seite sagt aber kein Mensch, wie diese Erziehungscamps aussehen sollen. Herr Stünker hat gerade schon gesagt, Vollzug ist Ländersache. Das heißt, jedes Bundesland kann seinen Jugendstrafvollzug so ausgestalten, dass der erzieherische Erfolg, wie er eigentlich auch vom JGG gefordert wird, am Ende des Vollzugs erreicht ist. Das bleibt doch jedem Bundesland selbst überlassen; da muss man keine Sondercamps fordern. ({0}) Zum Warnschussarrest in Kombination mit Jugendstrafe. Für all diejenigen, die von Jugendrecht vielleicht keine Ahnung haben - damit wende ich mich auch an die Zuschauer hier im Saal -: Es gibt Erziehungsmaßnahmen, Zuchtmittel und Jugendstrafe. Das kann miteinander kombiniert werden. Man kann sämtliche Maßnahmen kombinieren, vom Tellerwaschen über das Rasenmähen zu Hause, die Hilfe für den Opa, das Verbot des Zutritts zu bestimmten Kneipen und das Verbot des Kontakts zu bestimmten Leuten bis hin zum Arrest. Dann kommt die Jugendstrafe, die nur verhängt werden kann, wenn alle anderen Maßnahmen tatsächlich nicht ausreichen. Nun soll die Jugendstrafe mit einer Maßnahme, die eigentlich nicht mehr ausreicht, kombiniert werden. ({1}) Das ist überhaupt nicht nachzuvollziehen. Im Übrigen sind Arrest- und Jugendstrafen die Maßnahmen mit den höchsten Rückfallquoten, nämlich 60 bis 70 Prozent. Darüber brauchen wir nicht zu reden. Jetzt sollen zwei schlechte Maßnahmen kombiniert werJörn Wunderlich den, damit etwas Gutes dabei herauskommt. Was für ein Quatsch! Dass das immer wieder aufs Tapet kommt, regt mich auf. ({2}) Für erfolgreiche Maßnahmen wie Täter-Opfer-Ausgleich, Trainingskurse für soziales Verhalten und AntiAggressions-Kurse fehlen die Mittel. Ich weiß aus eigener Praxis, worüber ich rede. Ich war zwölf Jahre Jugendrichter, Jugendschöffenrichter und Vollstreckungsleiter einer JVA für Jugendliche. ({3}) Man muss zunächst bei einem freien Träger, beispielsweise bei der AWO, anrufen und fragen, wann für einen jugendlichen Täter ein Platz in einem Trainingskurs frei ist. Wenn es heißt „In acht Monaten!“, dann braucht eine solche Erziehungsmaßnahme erst gar nicht verhängt zu werden. Wenn die Jugendrichter aber nicht entsprechende Maßnahmen verhängen können, weil die Mittel und die Möglichkeiten fehlen - Herr Bosbach, es ist schade, dass Sie darüber lachen; das ist eigentlich zum Weinen -, ({4}) dann nützt eine Verschärfung des Strafrechts nichts. So ein Blödsinn! ({5}) Es hilft auch nichts, das allgemeine Strafrecht grundsätzlich auf Heranwachsende anzuwenden. ({6}) - Nein. ({7}) Es handelt sich um eine Einzelfallprüfung, Herr Bosbach. Lesen Sie einmal nach! ({8}) - Nein. ({9}) Es ist eine Einzelfallprüfung. Wenn Reifedefizite vorhanden sind, dann ist das Jugendrecht anzuwenden, ({10}) also nicht grundsätzlich. Es handelt sich weder um einen Grundsatz in der einen noch um einen Grundsatz in der anderen Richtung. Wichtiger als Strafe ist Prävention. Opferschutz heißt doch nicht, dass die Täter bei ihren Straftaten gefilmt werden. Opferschutz heißt vielmehr, Taten zu verhindern. Deshalb muss an dieser Stelle präventiv angesetzt werden, und zwar viel früher als erst mit dem 14. Lebensjahr, wenn die Strafmündigkeit erlangt wird. Schule, Ausbildung, Beruf und Elternhaus: Da muss angesetzt werden. In diesen Bereichen werden die Mittel aber ständig gestrichen. Mit ihren Äußerungen über die Gewalttätigkeit von Jugendlichen mit Migrationshintergrund lenkt die CDU von der sozialen Frage ab und macht sie zu einer nationalen Frage. Wenn Herr Koch sagt, wir hätten zu viele kriminelle ausländische Jugendliche, dann kann man nur fragen: Wie viele hätten Sie denn gerne? ({11}) Das soziale Umfeld ist entscheidend, Herr Bosbach. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat in einer Studie festgestellt, ({12}) dass bei gleichem sozialem Umfeld etwa 12 Prozent der Realschüler in der 9. Klasse, egal ob deutsch oder türkisch, gewalttätig sind. Bei den Wiederholungs- und Mehrfachtätern toppen die deutschen Realschüler sogar noch die türkischen. Das Verhältnis beträgt da 1,9 zu 1,7 Prozent. Man kann doch nicht, wie das Herr Koch in Hessen tut, über Jahre hinweg im präventiven Bereich und im Bereich der Justiz und der Polizei Stellen und Mittel kürzen und dann allen Ernstes jammern, dass nichts mehr funktioniert. ({13}) Koch hat in Hessen auf ganzer Linie versagt. Er hat vom Jugendrecht keine Ahnung und versucht nun, die Schuld seiner verfehlten Politik den Migranten zuzuschieben. Man unterstellt nicht nur, dass sie Arbeitsplätze wegnehmen und Sozialleistungen zu Unrecht beziehen. Nein, jetzt sind sie auch noch ein Problem für die innere Sicherheit. Ich glaube, ich spinne. ({14}) - Ja, die CDU glaubt diese Unterstellungen. Ich kann nur hoffen, dass von Hessen das Signal ausgeht, dass man mit solchen extremistischen Parolen, wie sie von Koch losgelassen werden, keine Wählerstimmen gewinnen kann. Danke schön. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Staatsminister des Bundeslandes Hessen, Volker Hoff. Volker Hoff, Staatsminister ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Abgeordnete Künast, ich möchte zunächst feststellen, dass wir nicht ein Problem, sondern zwei Probleme haben. Wir haben zum einen das Problem, dass es Jugendliche gibt, die schwere Gewalttaten begehen. Wir haben zum anderen das Problem, dass es zumindest auf der linken Seite dieses Hauses - das ist auch heute erkennbar - keine Bereitschaft gibt, sich mit diesem Thema sachlich auseinanderzusetzen. ({1}) - Frau Abgeordnete Künast, ich habe mich bemüht, Ihnen zuzuhören. Um den Zuschauerinnen und Zuschauern ein gutes Beispiel zu geben, wäre es gut, wenn wir versuchen würden, uns in dieser Debatte gegenseitig zuzuhören. ({2}) Ich erinnere an die Sendung „Hart aber fair“, die manche von Ihnen gesehen haben werden. Die Bundesjustizministerin antwortete auf die Frage, was sie denn einer alten Dame raten würde, die sich in der U-Bahn bedrängt fühlt: Ich empfehle dieser Dame, in einen anderen Waggon zu gehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist die Kapitulation des Rechtsstaates. ({3}) Die zweite Möglichkeit, Herr Kollege Reichenbach, ist, das zu tun, was der Vorsitzende der SPD-Fraktion gemacht hat, indem er mit verbalen Gewaltattacken auf den hessischen Ministerpräsidenten versucht hat, ({4}) dieses Thema zu besetzen. Vielleicht merken Sie gar nicht, wie Sie sich in dieser Debatte verhalten. Fest steht, dass Sie nichts zur Sache sagen. Frau Kollegin Künast, Sie haben in Ihrer Rede keinen Beitrag zur Lösung des Problems geleistet. ({5}) Man kann es auch so wie der Abgeordnete Stünker machen, der hier, wie ich finde, ein sehr schönes Beispiel gebracht hat, das sich sicherlich zur Verfilmung für irgendeine Soap im Privatfernsehen eignen würde. ({6}) Verehrter Herr Abgeordneter, dies hat aber leider mit der Realität, die wir jeden Tag erleben, nicht das Geringste zu tun. ({7}) Damit wir vielleicht einmal sehen, über was wir reden, möchte ich den stellvertretenden Polizeichef aus der Stadt Offenbach zitieren. ({8}) Der stellvertretende Polizeichef aus der Stadt Offenbach hat vor kurzem in einem Interview zu Protokoll gegeben: In der Stadt Offenbach gibt es 16 sogenannte Mehrfachintensivtäter. ({9}) Von diesen 16 Mehrfachintensivtätern haben 15 einen Migrationshintergrund. ({10}) Spitzenreiter ist ein 17-jähriger Afghane, der 32 Straftaten auf dem Kerbholz hat, darunter 16-mal Raub, 15-mal Körperverletzung und etliche Eigentumsdelikte. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Stünker, das sind die Beispiele, über die wir hier reden und nicht die malerischen Beispiele, die Sie aus Ihrer Berufspraxis feilbieten. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Minister, darf ich Sie einen Moment unterbrechen? - Ich bitte die Abgeordneten der Fraktion der Linken, diese Masken abzunehmen, und Frau Enkelmann, dafür zu sorgen, dass das sofort geschieht. ({0}) Anderenfalls bitte ich die Saaldiener, dafür zu sorgen, dass die Abgeordneten den Saal verlassen. ({1}) Herr Minister, fahren Sie bitte fort. ({2}) Volker Hoff, Staatsminister ({3}): Vielen Dank, Herr Präsident. - Angesichts der schweren Straftaten, über die wir hier reden, ist dies ein bedenkliches Beispiel dafür, wie gering die Bereitschaft auf der linken Seite ist, sich mit den konkreten Problemen auseinanderzusetzen. ({4}) Staatsminister Volker Hoff ({5}) Sie sind doch nur deshalb so aufgeregt, weil Sie heute erkennen, dass Sie im Grunde vor dem Scherbenhaufen Ihrer Multikulti-Kuschelpädagogik der letzten Jahre stehen. ({6}) Das ist doch der eigentliche Grund dafür, dass Sie sich an dieser Stelle so gerieren, wie Sie sich gerieren. Weil ständig die „schlechte Statistik“ des Landes Hessen zitiert wird, ({7}) erlaube ich mir - vielleicht hören Sie zumindest an dieser Stelle zu; ich weiß, die vertiefte Sachkenntnis verhindert eine fröhliche Diskussion; ({8}) aber nachdem Sie hier so viele Unwahrheiten in den Raum geworfen haben, würde ich Ihnen empfehlen, dass Sie wenigstens zuhören -, Ihnen mitzuteilen, wie die tatsächliche Bilanz in Hessen aussieht: ({9}) Erstens. Der Anteil jugendlicher Gewalttäter in Hessen liegt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. ({10}) - Da können Sie ruhig lachen; aber das ist die Statistik. Zweitens. Im Jahr 2006 war Hessen neben Mecklenburg-Vorpommern das einzige Land, das einen Rückgang der Zahl der Körperverletzungsdelikte zu verzeichnen hatte. ({11}) Drittens. In keinem anderen Land in Deutschland, verehrte Frau Kollegin Künast, ist die Aufklärungsquote so rasant gestiegen wie in Hessen. Als wir 1999 die Landesregierung übernommen haben, lag die Aufklärungsquote bei 45 Prozent. Sie liegt heute bei über 55 Prozent. ({12}) Ich hoffe, dass wir noch in diesen Tagen die Aufklärungsquote im Jahr 2007 veröffentlichen können, die ebenfalls gestiegen ist. ({13}) Entgegen allen Ihren Meldungen hat das Land Hessen heute mehr Staatsanwälte als im Jahr 1999. ({14}) Wir haben in Hessen, gemessen pro 100 000 Einwohner, mehr Richter als jedes andere Flächenland in der Bundesrepublik Deutschland. Die hessische Polizei ist im bundesweiten Vergleich die bestausgestattete, bestbezahlte und bestausgebildete. Fragen Sie einmal Ihren Kollegen Reichenbach, der früher Abgeordneter im Hessischen Landtag war, in welchem Zustand die hessische Polizei im Jahr 1999 war. Allein der Fuhrpark bestand zu 50 Prozent aus Fahrzeugen, die nicht mehr fahrfähig waren. ({15}) Wir haben in diesem Zeitraum 23 Millionen Euro in die Ausstattung der Polizei investiert. Heute sind - auch an dieser Zahl können Sie sich nicht vorbeidrücken 1 131 Polizeibeamte mehr auf der Straße als 1999. ({16}) Hessen war das erste Land - Frau Kollegin Künast, Sie haben das vorhin bestritten -, das nach 1999 sogenannte Deutschvorlaufkurse für Kinder mit Migrationshintergrund eingeführt hat. Ich schicke Ihnen gerne das Protokoll der Debatte, die im Hessischen Landtag darüber geführt wurde. Der Kollege Reichenbach war damals auch noch dabei. Die charmanteste Umschreibung war der Vorwurf, wir würden Zwangsgermanisierung betreiben. Und heute stellen Sie es so dar, als wären Sie die Erfinder dieser Maßnahmen gewesen. Sie haben das damals mit allen Mitteln abgelehnt. ({17}) Jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor: Seit 1999 ist der Anteil der Hauptschulabgänger ohne Schulabschluss in Hessen von 22,3 Prozent auf 14,4 Prozent gesunken. 14,4 Prozent sind zwar immer noch viel zu viel, aber das ist fast die Hälfte dessen, was die Bilanz der rot-grünen Regierung im Jahr 1999 ausgewiesen hat. ({18}) Weil hier immer davon gesprochen wird, dass überall abgebaut wird, will ich darauf verweisen, dass wir die Mittel für freiwillige Leistungen des Landes im Bereich Prävention und Integration allein in den letzten fünf Jahren von 31,5 auf 82,3 Millionen Euro erhöht und damit weit mehr als verdoppelt haben. ({19}) Die Zahl der Straßenüberfälle ist um 25 Prozent und die Zahl der Wohnungseinbrüche um 46 Prozent zurückgegangen. Ich könnte diese Liste endlos fortführen. ({20}) Wir brauchen aber auch eine Änderung des Strafrahmens. ({21}) Das Land Hessen hat in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005 gemeinsam mit anderen Ländern im Bundesrat entsprechende Vorschläge eingebracht. Meine Damen und Herren, um Sie zu beruhigen, sage ich: ({22}) Staatsminister Volker Hoff ({23}) Wir werden in den nächsten Wochen gemeinsam mit dem Freistaat Bayern erneut im Bundesrat aktiv, und wir werden die linke Seite dieses Hauses zwingen, die notwendigen gesetzlichen Veränderungen herbeizuführen, damit wir dem Problem gewalttätiger Jugendlicher entgegentreten können. ({24}) Eine letzte Bemerkung: Wir reden hier über ein Problem, das nicht nur ältere Menschen betrifft. Fragen Sie einmal die Schülerinnen und Schüler, die hier oben auf der Tribüne sitzen. Sie suchen bestimmte Diskotheken und Gaststätten nicht mehr auf, in den Schulen werden ihnen die Handys abgenommen, und sie sind nicht bereit, ihren Eltern zu sagen, dass die Handys geklaut wurden, weil sie genau wissen, dass sie, zwei Tage nachdem ihr Vater zur Schulleitung gegangen ist, von Jugendlichen vermöbelt werden. ({25}) Es ist an der Zeit, dass wir dagegen vorgehen. Wir werden Sie über den Bundesrat zwingen, Flagge zu bekennen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoff, Sie haben eingangs gesagt, man soll hart an der Realität argumentieren. Das, was Sie gerade erzählt haben, war nicht hart an der Realität, nicht entlang den Fakten; denn die Zahlen, die Sie hier vorgetragen haben, sind größtenteils falsch. Das ist nicht das, was in Hessen gemacht worden ist. ({0}) Es ist wichtig, bei einer solchen Debatte sachlich und bei der Wahrheit zu bleiben. Sie haben gesagt, es gebe einen dramatischen Anstieg bei der Jugendkriminalität und -gewalt. Das stimmt nicht, auch wenn Sie uns das immer wieder weismachen wollen. Die Zahlen sind regierungsamtlich. Schauen Sie sich den Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht, den Bericht der Bund-Länder-AG vom November 2007 oder die Resolution von tausend Expertinnen und Experten, von Juristen, Kriminalisten und Wissenschaftlern, an. Das sind die richtigen Daten und Fakten, die Sie ernst nehmen sollten. Wenn wir uns die politische Bilanz einerseits und die Parolen, die Herr Koch verzapft, andererseits anschauen, stellen wir fest, dass da ein eklatanter Widerspruch besteht. Wo ist die Jugendkriminalität in den letzten Jahren am stärksten gestiegen? In Hessen, unter Koch. ({1}) In welchem Bundesland dauern Jugendstrafverfahren am längsten? In Hessen. ({2}) Wo sind die Mittel für Präventions- und Resozialisierungsmaßnahmen besonders stark gekürzt worden? Richtig: Auch in Hessen. ({3}) Wer im Bereich Prävention bei der Polizei - in Ihrer Regierungszeit tausend Stellen weniger -, bei Justiz und Jugendhilfe mit dem Rotstift gewütet hat - das war Ihr Sparprogramm -, dann aber nach schärferen Gesetzen ruft, verhält sich scheinheilig und ist zutiefst unglaubwürdig. ({4}) Wir nehmen das Problem Jugendkriminalität und Jugendgewalt sehr ernst. ({5}) Aber mit Angstkampagnen à la Koch lassen sich solche Phänomene nicht wirksam bekämpfen und erst recht nicht mit dumpfen Parolen gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund. ({6}) Das, was Herr Koch hier veranstaltet, ist Rechtspopulismus pur. Da ist er - nach 1999 - leider Wiederholungstäter. ({7}) Um mit einem anderen Missverständnis aufzuräumen: Das Jugendstrafrecht ist nicht soft. Es ist hart, wirkt und erzieht. Das Instrumentarium ist nicht eng, sondern sehr breit. Es muss schnell und konsequent ausgeschöpft werden. Wir müssen früher ansetzen und schneller reagieren. Diese Lehre müssen wir aus den Zahlen, die uns vorliegen, ziehen. Früher heißt: Prävention für alle von Anfang an und frühzeitig intervenieren. Schneller reagieren heißt, dass junge Gewalttäter und straffällige Jugendliche zügig mit den Folgen ihrer Taten konfrontiert werden, zum Beispiel durch mehr Täter-Opfer-Ausgleich oder auch vor Gericht. Hieran wird das Hauptproblem des Jugendstrafrechts deutlich. Es sind die fehlenden Kapazitäten und die geringe finanzielle Ausstattung. In vielen Ländern ist in den vergangenen Jahren gespart worden. Wir haben zu wenig Jugendrichter; Sozialarbeiter und Polizisten fehKai Gehring len. In der Jugendgerichtshilfe fehlen Infrastruktur und Personal. ({8}) Es ist ein Problem, wenn Richter mancherorts keine Antigewalttrainings anordnen können, weil sie dort nicht angeboten werden. Das ist ein Skandal. Gerade in Hessen ist das so. Auch für Opfer muss mehr getan werden. Das sind Probleme in der Praxis. Ihre Verschärfungspläne, also der Koch-Katalog, nach dem Motto „repressiv statt präventiv“ sind dabei sicherlich völlig unbrauchbar. ({9}) Ich möchte mit einem weiteren Missverständnis aufräumen: Jugendgewalt und -kriminalität sind kein Ausländerproblem. Nicht die Hautfarbe oder die ethnische Herkunft sind entscheidend, sondern die Chancen- und Perspektivlosigkeit. Wir wissen doch: je weniger Bildungschancen, desto höher die Gewaltrisiken. Deshalb müssen wir Gewaltursachen rigoros bekämpfen. Wir wollen, dass es endlich eine konsequente und durchgängige Präventionspolitik gibt und dass sie im Bund, in den Ländern, vor Ort und im Stadtteil verfolgt wird. Das heißt für uns, dass Eltern ihre Kinder gut erziehen und dass sie bei Erziehungsdefiziten unterstützt werden, notfalls auch mit Druck. Das heißt hinsichtlich des Schutzes vor Vernachlässigung aber auch, dass die Union die Stärkung der Kinderrechte in der Verfassung nicht länger blockieren darf. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. ({10}) Wir brauchen mehr Frühwarnsysteme und Frühprävention in den Kitas. Wir brauchen bessere Bildungschancen. Das bedeutet: Niemanden zurücklassen, individuell fördern und auf Ganztagsschulen setzen. Ich weiß, dass die Union damit ein Riesenproblem hatte. Das bedeutet auch: Schule als gewaltfreier Ort, Lehrerfortbildung, Schulpsychologen, Sozialarbeiter, mehr Schülerbeteiligung, zum Beispiel durch Streitschlichterprogramme und durch Konfliktlotsen, aufsuchende Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit, eine bessere Kooperation zwischen Jugendhilfe, Behörden, Polizei und Justiz. All das machen Sie nicht, weil es viel Geld kostet. Aber das sind die wirklich wirksamen Mittel bei der Bekämpfung und bei der Prävention von Jugendgewalt und -kriminalität. ({11}) Einen Punkt will ich Ihnen noch sagen: Wir brauchen eine Kultur der Waffenfreiheit. Ich würde mir von der Union einen Vorschlag zur Verschärfung des Waffenrechtes wünschen. Wir sollten dies machen, da die Verwendung von Hieb- und Stichwaffen zunimmt. ({12}) Das wäre doch ein sinnvoller Verschärfungsvorschlag der Union. Aber Sie haben offensichtlich Angst vor der Waffenlobby. ({13}) Das alles könnten Sie machen. Dazu höre ich von der Union und von Nochministerpräsident Koch zu wenig. Stattdessen höre ich völlig abstruse Vorschläge à la Kinderstrafrecht. Wer diese Präventionspunkte nicht anpackt, wird in ein paar Jahren mehr Jugendgewalt und -kriminalität beklagen müssen. Kommen Sie daher endlich zur Vernunft. Hören Sie auf, Fakten zu dramatisieren und

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Gehring, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Ursachen zu ignorieren. Hören Sie auf die Fachwelt. Beenden Sie Ihre rechtspopulistische und schäbige Kampagne in Hessen und bundesweit! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Lambrecht von der SPD-Fraktion. ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie wird jetzt ein bisschen Licht in die Sache bringen. ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin schon seit zehn Jahren Mitglied des Bundestages. Als die aufgewärmte bzw. „aufgekochte“ Kampagne des Nochministerpräsidenten von Hessen vor ein paar Wochen aufkam, habe ich mir gedacht: Das sind schon wieder Vorschläge, die wir bereits zigmal abgelehnt haben. ({1}) - Noch freuen Sie sich. Ich glaube aber, gleich freuen Sie sich nicht mehr. Das letzte Mal wurden diese Vorschläge von der Bundeskanzlerin und einstimmig vom gesamten Bundeskabinett im März 2006 abgelehnt. ({2}) Im März 2006 hat die Bundesregierung - nachzulesen in einer Drucksache, die ich Ihnen gerne zur Verfügung stelle - zu genau diesen Vorschlägen, die jetzt wieder auf dem Tisch liegen, ({3}) in einer Stellungnahme geschrieben, dass sie sie für nicht unterstützungsfähig hält, weil die meisten Fachverbände und Fachleute sie für nicht geeignet, sondern eher für kontraproduktiv halten. Diese Stellungnahme trägt die Unterschriften von Angela Merkel für das gesamte Bundeskabinett. ({4}) Die Fachleute, die sich mit der Praxis auskennen - auch die Fachleute in Hessen -, stehen weiterhin zu dieser Einschätzung, nur die Bundeskanzlerin leider nicht mehr. Auf einmal hat sie eine andere Einstellung und lässt sich von Roland Koch in diesem Wahlkampf vor den Karren spannen. So etwas darf nicht sein. ({5}) Da kann man nur froh sein, dass sie ihn wenigstens dann in die Schranken gewiesen hat, als er solch absurde Vorschläge gemacht hat wie den, das Jugendstrafrecht auch auf Kinder anzuwenden. Was wäre denn als Nächstes gekommen? Der Drogentest im Kindergarten, oder was? ({6}) Das wäre doch die Konsequenz gewesen. ({7}) Ich will ganz deutlich sagen: Sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene in Hessen steht die SPD für eine konsequente Kriminalitätsbekämpfung und für einen konsequenten Strafvollzug. Schauen wir uns die Situation in Hessen einmal an. Herr Hoff, angesichts der Bilanz, die Sie vorgelegt haben, konnte ich mir nur die Augen reiben. ({8}) Man hatte den Eindruck, Hessen sei das sicherste aller Bundesländer. Wenn in Hessen alles so wunderbar ist, dann frage ich mich aber: Warum die ganze Aufregung? ({9}) Sie tragen in Hessen seit neun Jahren die Verantwortung. ({10}) Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich war etwas verwundert, dass jemand, der die Verantwortung für Polizei, innere Sicherheit und Justiz trägt, eine solch katastrophale Bilanz vorlegt. Noch nicht einmal wir, die Opposition, hätten uns das getraut. Dafür kann ich Ihnen nur herzlich danken. Sie haben in Hessen 1 200 Polizeistellen gestrichen. Was nützt es, dass der Strafrahmen auf 15 Jahre erhöht wird, wenn keine Polizisten da sind, die die entsprechenden Straftaten verfolgen können? ({11}) Was soll das? Sie haben bei der Staatsanwaltschaft Stellen gestrichen. Sie sollten sich einmal die Erklärungen von Staatsanwälten und Richtern anschauen und zur Kenntnis nehmen, was sie zu Ihrer Politik und zu der Bilanz, die Sie gezogen haben, sagen. Viele von ihnen sind ja mittlerweile auf den Barrikaden, und das will bei deutschen Staatsanwälten und Richtern wirklich etwas heißen. ({12}) Da Sie Stellen bei Staatsanwaltschaft und Gerichten gestrichen haben, frage ich Sie: Was nützt es mir, dass die Höchststrafe für Jugendliche 15 Jahre beträgt, wenn die Urteile nicht schnell genug gesprochen werden? In Hessen gibt es nur noch eine einzige Arrestanstalt, in der der Jugendarrest vollzogen werden kann. Man muss aber fünf bis sechs Monate warten, bis man dort einrücken darf, wenn es tatsächlich einmal zu einer Verurteilung gekommen ist. Was hat das denn noch für einen erzieherischen Effekt, wenn jemand warten muss, bis er seinen Arrest antreten darf? Da kann man sich doch nur die Augen reiben. ({13}) Herr Bosbach, jetzt möchte ich einen anderen Punkt ansprechen. Da Sie vorhin angemahnt haben, dass wir die Lebenswirklichkeit zur Kenntnis nehmen müssen, und da Sie die Situation der Menschen so schön beschrieben haben, will ich Ihnen erzählen, was in meiner Heimatstadt geschehen ist. In meiner Heimatstadt Viernheim, einer Stadt mit über 30 000 Einwohnern, hat die Hessische Landesregierung vor wenigen Monaten die Polizeistation geschlossen. Das glaubt man kaum. Die Menschen, die dort leben, werden jetzt von der Polizeistation einer Stadt, die ungefähr 17 Kilometer entfernt liegt, mit betreut. Wenn also jemand in der Stadt Viernheim überfallen und die Polizei gerufen wird, dann muss man unter Umständen 30 Minuten warten, bis die Polizei eintrifft. ({14}) Ich hoffe, der Täter hat Verständnis und wartet so lange, dass er verfolgt werden kann. ({15}) Das ist das, was die Menschen in ihrem Alltag erleben. Die Menschen haben tatsächlich Angst. Für sie ist die innere Sicherheit tatsächlich ein Thema, weil sie wissen, dass sie nicht entsprechend geschützt sind. Das ist Ihre Bilanz; darauf können Sie zurückschauen. Sie haben nach Lösungsmöglichkeiten gefragt. Wer will, dass Präventionsmaßnahmen in Hessen wieder möglich sind, nachdem Sie die Gelder für die Erziehungsberatung gestrichen haben, nachdem Sie die Gelder für die Suchtberatung gestrichen haben, nachdem Sie all das gestrichen haben, dem gebe ich gleich einen Ratschlag. Wer will, dass wieder Polizisten eingestellt werden, die die entsprechende Strafverfolgung möglich machen, dem gebe ich gleich einen Ratschlag. Wer will, dass wieder Staatsanwälte und Richter eingestellt werden, damit der Strafvollzug entsprechend laufen kann, dem gebe ich gleich einen Ratschlag. Er lautet: Am 27. Januar SPD und Andrea Ypsilanti wählen! Vielen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Mitherausgeber der FAZ, Herr Schirrmacher, titelte gestern: Die Debatte über ausländische Jugendkriminalität muss geführt werden - jetzt. Dazu muss er in Deutschland niemanden mehr überreden; in ganz Deutschland gibt es derzeit nur ein Thema: die wachsende Jugendkriminalität, insbesondere unter ausländischen Jugendlichen, insbesondere in den deutschen Großstädten. Ich habe mir Gedanken gemacht, wie diese Debatte, die ja übertragen wird, und zwar nicht nur die Redner, sondern auch, wie Sie, die vereinigte Linke hier, bei bestimmten Anlässen zusammen klatschen ({0}) - auch jetzt wieder Ihr Geplärre, Frau Künast -, auf die Menschen wirken mag, ({1}) die im Fernsehen immer wieder die unglaubliche Brutalität haben sehen können, mit der in der Münchener U-Bahn vor wenigen Tagen ein 76-jähriger Mann zusammengeschlagen, zusammengetreten worden ist. ({2}) Wie reagiert der Deutsche Bundestag, wie nimmt er sich des Themas an, wie geht er damit um? ({3}) Bemüht er sich um Lösungen, oder führt er dieses unsägliche Theater, das wir hier in diesem Bereich erleben können, weiter auf? ({4}) Meine Damen und Herren, es ist wirklich beschämend, ({5}) wenn aus dieser Debatte ein Thema des Wahlkämpfers Koch in Hessen gemacht wird, ({6}) wenn so getan wird, als ob es Roland Koch gelungen wäre, dass ganz Deutschland über dieses Thema redet. Das ist übrigens auch parteipolitisch in hohem Maße unklug, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie. Ich weiß nicht, wer Sie da berät. Dieses Thema ist ein Thema, das die Menschen in ganz Deutschland bewegt, ({7}) weil sie sehen: Da ist etwas tabuisiert worden, über viele Jahre, und jetzt wird darüber geredet, muss darüber geredet werden. Meine Damen und Herren, ich habe das Thema vor etwa zehn Jahren, als ich noch im Münchener Rathaus war, angesprochen. ({8}) Die Reden könnte ich unverändert wieder halten; es ist nur graduell schlimmer geworden. ({9}) Wir haben hier ein gewaltiges Problem, ein Großstadtproblem, und wir müssen Lösungen finden, ({10}) dürfen das nicht mehr totschweigen und mit irgendwelchen getürkten Statistiken ({11}) zerreden, beschönigen, euphemistisch beiseiteschieben. Wir werden uns auf dem Gebiet der Prävention, aber natürlich auch - da können Sie schreien, wie Sie wollen auf dem Gebiet der Repression bemühen müssen und überdenken müssen, ob unsere Lösungsansätze tauglich sind, ob sie tatangemessen sind, ob sie täterangemessen sind. Wir werden Einzelfallentscheidungen zu treffen haben. Wir werden keine Patentrezepte finden, wir werden für jeden Täter und jede Tat die passende Lösung erarbeiten müssen. ({12}) Da kann ein rasch nach der Tat verhängter Arrest ({13}) für den einen Täter sinnvoll sein, für den anderen wiederum nicht. ({14}) Das ist also kein Patentrezept. Es kann dann sinnvoll sein, dass bei einem ausländischen Serientäter, der schwer kriminell ist und alle Straftaten, die man sich nur denken kann, 20- und 30-fach begangen hat, die schärfste denkbare Strafe verhängt wird, nämlich eben nicht Haft, sondern Ausweisung und Abschiebung. ({15}) Diese Möglichkeit der Ausweisung und Abschiebung müssen wir uns in unserem Rechtssystem als Ultima Ratio und nicht als Patentrezept glaubwürdig vorbehalten. ({16}) Derzeit haben wir keine glaubwürdige Möglichkeit, weil wir wissen, dass ein Täter vergewaltigen, Raub begehen, mit Rauschgift handeln und andere zusammenschlagen kann - und das alles in Serie - und dafür bestimmt nicht das Strafmaß erhält, das man brauchen würde, um eine Regelausweisung verhängen zu können, nämlich drei Jahre ohne Bewährung. ({17}) Das heißt, die Menschen spüren, dass mit unseren Gesetzen etwas nicht stimmt. Deswegen werden wir die Gesetze nachbessern. ({18}) Wie es der Minister aus Hessen gesagt hat: Wir werden dies alles nach den Wahlen in aller Ruhe besprechen. Vom Land Hessen, vom Land Bayern und vom Land Baden-Württemberg gibt es schon Vorschläge. Frau Lambrecht, Sie haben eine unsäglich plumpe Art, Frau Merkel in Anspruch zu nehmen. ({19}) Wir werden all das auf den Tisch bringen und wieder vorlegen, was Ihre Justizministerin Zypries abgelehnt hat. Sie wissen doch ganz genau: Wenn in einer Koalition ein Minister Nein sagt, dann muss die Regierungschefin auch Nein sagen, ob sie will oder nicht. Nicht Frau Merkel, sondern Frau Zypries hat das abgelehnt. Das weiß doch jeder. ({20}) Sie hätten ganz gerne ein Redeverbot verhängt. Die Zeiten der Tabuisierung, die Sie jahrelang hier aufrechterhalten konnten, sind vorbei, Frau Künast. Da können Sie plärren, wie Sie wollen. Wir werden über das Thema reden und Lösungen dafür anbieten. Diese Lösungen werden wir vorstellen. Sie können dann dagegen sein, so lange Sie wollen. Auf Sie wird es nicht ankommen. ({21}) Ich baue sehr darauf, dass sich die andere große Volkspartei, die SPD, an ihre Wähler erinnert, die beim Thema der inneren Sicherheit in unseren Großstädten genau so denken wie unsere Wähler. Sie brauchen Sicherheit. Für die Menschen in unseren Großstädten, für die Menschen in unseren U-Bahnen und für die Menschen, die morgens zur Arbeit fahren, werden Sie Lösungen anbieten müssen. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Uhl, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie werden mit uns zusammen daran arbeiten müssen. Dazu werden wir Sie einladen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jürgen Kucharczyk von der SPD-Fraktion. ({0})

Jürgen Kucharczyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003794, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Uhl, das, was Sie hier geliefert haben, war schon ein starkes Stück. ({0}) Zum Fingerzeig, den Sie hier angebracht haben: Denken Sie daran, dass mindestens drei Finger immer auf Sie zurück zeigen. ({1}) Die gewalttätigen Übergriffe von Jugendlichen auf Bürgerinnen und Bürger in unserem Land machen uns alle sehr betroffen. Sie sind leider keine Einzelfälle. Deshalb dürfen wir die Augen nicht davor verschließen. Wir müssen genau hinsehen und schauen, wo die Ursachen liegen. Analysen und keine Schnellschüsse aus der Hüfte, weil gerade Wahlkampfzeiten sind, sind hier angesagt. ({2}) Oftmals erfahren Kinder und Jugendliche zu Hause, dass Konflikte nur mit Gewalt gelöst werden. Die Heranwachsenden sind dadurch massiv in ihrer Entwicklung gefährdet und benötigen frühzeitig unterstützende erzieherische Hilfen. Deshalb ist es wichtig, dass Sozialpädagogen und Jugendhilfe früh eingesetzt werden. Durch § 27 ff. SGB VIII werden uns hierfür die rechtlichen Grundlagen gegeben. Bei konsequenter Umsetzung ist dies ein Handwerksinstrument, welches einer schwierigen Resozialisierung vorzuziehen ist. Darauf ist hier letztendlich einzugehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen es nicht zulassen, dass Kinder und Jugendliche in unserem Land - egal ob deutscher oder ausländischer Herkunft - ohne Bildung und somit ohne Perspektive, ohne reelle Chance auf einen Schulabschluss, ohne eine vernünftige Ausbildung und damit ohne eine gesicherte Zukunft aufwachsen. Kinder können ihre vielfältigen Potenziale nur dann optimal ausbauen und ihre Kreativität entfalten, wenn sie früh und individuell gefördert werden. Was in den ersten Lebensjahren an Grundsteinlegung versäumt wird, ist später nur noch kostenintensiv auszugleichen. ({3}) Neben Investitionen in Bildung und Ausbildung sind Netzwerke aus Jugendhilfe, Schule, Sport und weiteren Institutionen vor Ort der richtige Ansatz. Sie schaffen die vielfältigen Perspektiven für Kinder und junge Menschen. Zustände wie Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz und die ständige Gewaltbereitschaft von Jugendlichen münden in die brutalen Taten, wie in den letzten Wochen zu sehen war. Ich sage aber deutlich: Ein einfaches Mehr an Polizei oder Wegsperren von Jugendlichen ist keine Lösung, die uns zufriedenstellen darf. ({4}) Der Ruf nach sogenannten Boot-Camps, wie es sie in den USA gibt, und die entwürdigende Idee der Schnupperknäste sind menschenunwürdig und der falsche Ansatz. Die Persönlichkeit eines jungen Menschen zu brechen halte ich für den falschen, ja sogar für einen gefährlichen Weg. ({5}) Wir sind uns darin einig, dass man keine Toleranz gegenüber Tätern zeigen darf. Um im Sinne der Kinder und Jugendlichen zu handeln und für eine Gesellschaft ohne Gewalt einzutreten, brauchen wir keine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Um die vorhandenen Missstände zu beheben, sind wir auf die Hilfe und Mitarbeit von öffentlichen und freien Trägern angewiesen. Die Vernetzung von Polizei, Justiz und Jugendhilfe muss dort, wo sie rechtlich möglich ist, genutzt und intensiviert werden. An dieser Stelle möchte ich ein erfolgreiches Beispiel aus meiner Heimatstadt Remscheid anführen. Dort wurde vor einigen Jahren das Projekt der Ordnungspartnerschaft installiert. Es hat als gutes Beispiel für eine funktionierende Zusammenarbeit von Polizei, Justiz, Jugendämtern und weiteren Institutionen Schule gemacht. Ziel der Maßnahme ist der kurze Weg der Information zwischen den Institutionen. Als Nächstes folgten die „Diversionstage“. Jugendliche müssen bei geringfügigen Delikten sofort nach der Tat bei der Polizei vorstellig werden, um eine direkte Bestrafung möglich zu machen. Bei schweren Delikten kommt es innerhalb weniger Wochen zu Jugendgerichtsverhandlungen. Ein straffer Zeitablauf zwischen Tat und Verurteilung ist für die Mehrzahl der Jugendlichen ein einschneidendes und nachhaltiges Erlebnis. Bei der überwiegenden Zahl der Jugendlichen, die zum ersten Mal beim Austesten ihrer Grenzen aufgefallen sind, ist das gerichtliche Verfahren allein heilsam genug. Ein weiterer Baustein bei Bewährungsstrafen als begleitende Maßnahme ist das Antiaggressionstraining. Das Projekt „Gelbe Karte“, wie die Ordnungspartnerschaft heute heißt, weist - ergänzt um das Projekt „Staatsanwalt vor Ort“ - große Erfolge auf. Die Rückfallquote liegt bei jugendlichen Straftätern seit Jahren bei rund 10 Prozent. Erfolgreich ist auch ein weiteres ehrgeiziges Projekt, in dem ehrenamtliche Betreuer verurteilte jugendliche Wiederholungstäter begleiten. Sie sollen sicherstellen, dass die Jugendlichen schulischen und beruflichen Halt und Hilfe finden. Wie Sie sehen, wird dabei deutlich auf Prävention gesetzt, um möglichst früh einzugreifen. Das muss die Lösung sein und nicht das, was wir zurzeit in der Diskussion in Hessen erleben. Wir sollten letztendlich insbesondere den Opfern von Gewalttätern beistehen. Hier hilft keine noch so harte Bestrafung des Täters. Den Opfern würde es nur helfen, wenn die Tat nie passiert wäre. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Daniela Raab von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Unbestreitbar ist, dass neun von zehn Minderjährigen während ihrer Kindheit und Jugend strafrechtlich nicht auffallen. Richtig ist aber auch - auch wenn Sie versuchen, die Statistiken, die Ihnen nicht passen, schönzureden -, dass seit den 90er-Jahren die Kriminalitätsrate unter Jugendlichen und Heranwachsenden stetig ansteigt. Dieses Problem lässt sich nicht wegreden. Nachweisbar ist auch die steigende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen. Das ist ebenfalls statistisch nachweisbar. Die Ursachen sind unterschiedlich - das wurde bereits angesprochen -: Sie reichen vom Werteverfall über familiäre Probleme bis hin zur Gewaltverherrlichung in den Medien. Auch das ist richtig. An dieser Stelle setzt in der Tat Prävention an, über die wir weiter sprechen müssen. Wir müssen sie noch verbessern und auch besser finanzieren. Nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte. Allerdings spreche ich aus bayerischer Sicht relativ locker darüber; denn Bayern ist in dieser Hinsicht Vorbild. ({0}) - Wir reden hier über Hessen, weil Sie Wahlkampf machen wollen. Aber ich rede über Bayern, weil Bayern vorbildlich ist. Ich zitiere Ihren sozialdemokratischen Kollegen Christian Pfeiffer, der immer so tut, als wäre er ein neutraler Experte, der aber erkennbar rote Wolle trägt. Er hat laut der heutigen Ausgabe der Abendzeitung gesagt: „Bayern steht ganz toll da. Ich muss meinen großen Respekt aussprechen. Das Land hat die tüchtigste Polizei, und es führt am schnellsten die Verfahren durch.“ Damit sind wir mitten im Thema. Wo endet Prävention, und wo ist Repression notwendig? Ihre Kuschelpädagogik hilft bei Intensivtätern nicht. ({1}) - Liebe Frau Lambrecht, regen Sie sich doch nicht künstlich auf. Es ist lächerlich, was Sie hier veranstalten. Wir können darüber relativ ruhig reden, weil wir die richtigen Konzepte haben. Baden-Württemberg hat bereits 2003 einen exzellenten Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht. ({2}) Dieser wurde aber mehrfach abgelehnt, auch im Kabinett - nicht weil Frau Merkel anderer Überzeugung ist, sondern weil Ihre Minister dagegen waren. Wenn der Koalitionspartner Nein sagt, müssen wir mitgehen, ob es uns passt oder nicht. Das ist schade. ({3}) - Je lauter Sie schreien, desto falscher wird es. Aber das scheint Sie nicht zu interessieren. Unsere Gesetze reichen an manchen Stellen aus. An manchen Stellen werden sie schlecht angewandt. ({4}) Laut § 105 JGG ist das Erwachsenenstrafrecht - das Lesen des Gesetzes erleichtert die Kenntnis der Materie bei Heranwachsenden von 18 bis 21 als Ausnahme anzuwenden. Unsere Richter sind leider zum Automatismus übergegangen, permanent Reifeverzögerung festzustellen. Es gibt offensichtlich nur 18- bis 21-jährige reifeverzögerte Straftäter, bei denen das Jugendstrafrecht angewendet wird. ({5}) Ganz offensichtlich brauchen wir hier eine gesetzgeberische Klarstellung; denn wer wählen kann, wer Kanzler werden kann und wer Auto fährt, muss sich wie ein Erwachsener verantworten, wenn er einem Rentner den Schädel einschlägt. So viel steht fest. ({6}) Es gibt nach wie vor gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Wir werden sicherlich - ich freue mich, dass der Bundesrat noch einmal die Initiative ergreift - über Verbesserungen nachdenken müssen. Unsere Unterstützung haben Sie. Wir werden hier mit bayerischer Erfahrung glänzen können. ({7}) - Haben Sie keine? Ich dachte, dass wir über Hessen reden. Der Vorfall war jedenfalls in Bayern. Er wird konsequent verfolgt. Aber solche Vorfälle gibt es bundesweit; darüber brauchen wir nicht zu reden. Wir haben in Bayern auf jeden Fall die schnellsten Verfahren, die höchste Aufklärungsquote und die beste Polizei. ({8}) Lassen Sie mich noch etwas Wichtiges feststellen: In der Münchener U-Bahn haben die Täter ihr hilfloses Opfer - Herr Präsident, ich darf zitieren - als „Scheißdeutscher“ bezeichnet. Wir lehnen Fremdenfeindlichkeit ab. Gleiches gilt aber auch für Rassismus von hier lebenden Ausländern gegenüber ihrem Gastland und seinen Mitbürgern. ({9}) Wir haben viel über die Täter gesprochen. In Zukunft sollten wir aber mehr über Opferschutz sprechen. Das geht insbesondere an Ihre Adresse. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Gerold Reichenbach von der SPD-Fraktion.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte muss Ihnen, verehrte Kollegen von der Koalition, das Wasser bis zum Hals stehen, wenn Sie zu solchen Tricks greifen. Herr Uhl, die Stellungnahme ist von der Bundeskanzlerin unterzeichnet. Dabei haben Sie gemeinsam mit uns noch vor kurzer Zeit - zu Recht - genau das abgelehnt, was Sie jetzt fordern. ({0}) Ich nenne ein Zweites: Es gibt den Sicherheitsbericht der Bundesregierung, erstellt von der Bundesjustizministerin und von dem Bundesinnenminister, der übrigens zurzeit auffällig zu Ihren Forderungen schweigt. Dort steht: Entgegen einer weit verbreiteten Allgemeinmeinung erscheint nach dem gegenwärtigen Stand der kriminologischen Forschung die Abschreckungswirkung von Strafen eher gering für den Bereich der leichten und mittelschweren Kriminalität. Jedenfalls gilt grundsätzlich, dass Höhe und Schwere der Strafe keine messbare Bedeutung haben. Lediglich das messbare Entdeckungsrisiko ist relevant. ({1}) Beschlossen im Kabinett und mitgetragen von Ihnen. Schauen wir uns einmal die Realität an! Genau derselbe Sicherheitsbericht formuliert an anderer Stelle: Durch die Anwendung bestehender rechtlicher Möglichkeiten ist mehr zu erwarten als durch gesetzgeberische Aktivitäten. ({2}) In ihm ist ferner formuliert: Diese Verbesserungsmöglichkeiten fallen vorwiegend in die Zuständigkeit der Länder. ({3}) Herr Hoff, dann schauen wir uns doch einmal die Realität in den Ländern an. Es ist ja schon peinlich, wenn Sie hier nach neun Jahren Verantwortung der CDU in Hessen für die Sicherheitspolitik mit Rot-Grün kommen. ({4}) Diejenigen, die heute als jugendliche Straftäter auffällig werden, waren im Kindergarten, als Koch Ministerpräsident in Hessen wurde. ({5}) Schauen wir uns die Realität an, was die Gesetze betrifft! Sie kommen damit, die Abschiebungsmöglichkeiten verbessern zu wollen. Wir haben sie verbessert. Unter Rot-Grün sind bereits die Abschiebungsmöglichkeiten verbessert worden; 2004 haben wir sie im Rahmen des Zuwanderungskompromisses verbessert und 2007 gemeinsam bei dem neuen Gesetz. Was nützt es denn, wenn ich die Möglichkeit für ein schnelleres Abschieben verbessere, in Hessen aber bei jugendlichen Straftätern oder Heranwachsenden im Durchschnitt acht Monate warten muss, bevor ich überhaupt ein Urteil bekomme? Da nützt es überhaupt nichts, zu verlangen, schneller abschieben zu können. ({6}) Natürlich ist richtig - weil man mit Statistiken sehr viel anfangen kann, gehen wir einmal in die Praxis -, dass Prävention und Strafe dann am wirksamsten sind, wenn die Strafe der Tat auf dem Fuß folgt. Bei mir im Wahlkreis in Rüsselsheim gab es das sogenannte Rüsselsheimer Modell, das 20 Jahre erfolgreich war. Da werden jugendliche Straftäter sofort in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft auf der Grundlage eines vorher festgelegten Katalogs dem Amtsrichter zugeführt, der sofort die entsprechende erzieherische Maßnahme verhängt, sodass sie spätestens zwei, drei Wochen nach der Tat ihre Strafe verbüßen. Meldung aus der Lokalzeitung in der letzten Woche: endgültig eingestellt, und zwar unter der Verantwortung des Ministerpräsidenten Koch in Hessen. So sieht die Realität aus; das ist das, was das Problem erzeugt. ({7}) In meinem Wahlkreis gab es das sogenannte FliednerHaus, das über 20 Jahre lang erfolgreich in der Rehabilitation wirkte. Hessen liegt bei der Rückfallquote mit 80 Prozent über dem Durchschnitt, das Fliedner-Haus hatte - akzeptiert im Umfeld und integriert ins Umfeld eine Rückfallquote von unter 50 Prozent. Im Jahre 2004 wurde es gegen den Widerstand aller Parteien vor Ort eingestellt. Verantwortlich: die hessische Landesregierung unter Roland Koch. Letzte Woche, passend zu Ihrer Kampagne, hieß es in meinem Wahlkreis, die Ausbildungseinrichtung für die Polizei wird geschlossen. ({8}) Verantwortlich dafür: die hessische Landesregierung unter Roland Koch. ({9}) Ich sage Ihnen: Nicht die Sprüche helfen den Bürgern, sondern die realen Maßnahmen. ({10}) Hier kommt mir Herr Koch wie ein Schüler vor, der in der Schule hundsmiserabel ist, weil er seine Hausaufgaben nicht macht, aber drei Tage vor dem Versetzungstermin laut nach mehr Hausaufgaben schreit. Das ist nicht die Sicherheitspolitik von Sozialdemokraten. Wir machen Hausaufgaben und nicht Sprüche. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat das Wort der Kollege Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSUFraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich zunächst gefreut, dass nach vielen Jahren über die Themen Strafrecht, Jugendgewalt und Jugendkriminalität zu einer so prominenten Zeit in diesem Hohen Hause debattiert wird. Inzwischen bedauere ich fast, dass das Fernsehen hat miterleben dürfen, welche Debattenkultur insbesondere auf der einen Seite dieses Hauses herrscht. Man kann kaum einen Satz ausreden, ohne dass man niedergebrüllt wird. ({0}) Auch ist bezeichnend, dass die Grünen den Oberbürgermeister meiner Heimatstadt Kassel in einem offenen Brief aufgefordert haben, den Ministerpräsidenten Roland Koch entgegen jahrzehntelanger Praxis von dem Neujahrsempfang auszuladen. Weil ich gerade bei Debattenkultur bin: Ich würde in einer Kernkraftdebatte nicht einmal Frau Roth unterstellen, dass sie sich von Herzen gewünscht hat, dass in Tschernobyl der Gau passiert ist, oder dass sie sich wünschte, dass ein solcher Gau in Biblis passieren würde. Das würde ich keinem anderen Politiker unterstellen. Aber eine vergleichbare Unterstellung ist hier gemacht worden. ({1}) - Es ging nicht um Tschernobyl. Ich habe extra ein anderes Beispiel gebracht, Frau Lambrecht. Das müssten sogar Sie verstehen. ({2}) Wie tief das Niveau gesunken ist, sieht man daran, dass der Kulturchef der Zeit sogar das Opfer zum Täter gemacht hat. Wie tief wollen wir bei diesem Thema eigentlich noch sinken? ({3}) Nachdem ich über Stil und Form der Debatte geredet habe, will ich in den wenigen Minuten, die mir verbleiben, noch einige Bemerkungen zu Prävention und Repression machen. Sie tun hier gerade so, als würden wir das gesamte Jugendstrafrecht in Bausch und Bogen wegen Untauglichkeit ablehnen. Weit gefehlt. Welchen kleinen Teil haben wir denn hier in den Fokus genommen? Wir haben eben von der Kollegin Dyckmans gehört - auch mit Rücksicht auf die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer und Zuschauerinnen und Zuschauer -, dass der überwiegende Teil der jungen Generation straffrei groß wird, dass diese Jugendlichen vielleicht einmal einen Ladendiebstahl begehen. Dann höre ich von Ihnen, Herr Stünker, dass die Tat von zwei 19-Jährigen, die ihren Vater fesseln und ihm ein Messer an den Hals setzen, ein jugendtypisches Delikt sein soll. Ich habe die Gesetzesmaterialien zu § 105 JGG gelesen. Darin steht, dass die typischen Verfehlungen der Altersgruppe der Heranwachsenden - übrigens nur aus einer Zeit heraus zu verstehen, in der die Volljährigkeit bei 21 Jahren lag - der Kohlenklau und das Frisieren von Mopeds waren, aber nicht das Zusammenschlagen von Rentnern, das Vergewaltigen von Frauen und sogar Tötungsdelikte. ({4}) Hier wird dauernd von der Fachwelt gesprochen. Welche Fachwelt? Sind das die Pfeiffers, sind das die Sonnens, ist das die alternative Richtervereinigung? ({5}) Allen anderen, die etwas sagen, wird wie dem Oberstaatsanwalt Reusch der Mund verboten. Gott sei Dank haben Sie Ihrem SPD-Bezirksbürgermeister aus BerlinNeukölln nicht den Mund verbieten können. ({6}) Der hat ganz trocken gesagt: Ein 20-Jähriger mit 40 Vorstrafen ist nicht wie ein Pubertierender zu behandeln. Das ist ein Erwachsener. - 18-Jährige würden es sich auf allen Rechtsgebieten verbitten, wie Jugendliche behandelt zu werden. Sie wollen wählen, sie wollen geDr. Jürgen Gehb wählt werden, sie wollen Auto fahren, und sie wollen alles machen, was auch Erwachsene machen können. Nur bei dem einfachsten Rechtsgebiet und der Frage, ob man jemanden töten darf oder nicht, soll der 19-Jährige wie der 14-Jährige Ladendieb behandelt werden. Das machen wir nicht mit. ({7}) Dieses Thema ist doch nicht nur ein landesspezifisches bzw. ein hessisches Thema. Wir hätten die Videobilder, deren Aufnahme lange insbesondere von den Grünen bekämpft worden ist, überhaupt nicht, wenn wir Ihrer Sicherheitsphilosophie gefolgt wären. ({8}) Die Straftaten sind nun einmal in der Wahlkampfzeit geschehen. Nicht nur, dass Roland Koch sich nicht klammheimlich über die Straftaten gefreut hat, er hat sie auch nicht bestellt. Der Justizsenator von Bremen hat gesagt, im Grunde genommen sei er eigentlich schon wie ein Täter. Wir wollen auch nicht, dass irgendwann gesagt wird: Die Videoaufnahmen waren so undeutlich; wahrscheinlich waren es Roland Koch und Volker Bouffier, die diese Tat begangen haben. ({9}) Es ist kurios, was Sie hier unterstellen! ({10}) Nur weil diese Phänomene in die Wahlkampfzeit gefallen sind, darf man sie doch nicht ausblenden. Wir sagen nicht: Darüber ist zu diskutieren, weil es in der Wahlkampfzeit stattgefunden hat. Man muss es aber auch thematisieren können, obwohl Wahlkampfzeit ist. ({11}) Ich höre, dieses Thema sei doch viel zu ernst, als dass man es im Wahlkampf thematisieren könne. Wollen wir uns denn über das Viehseuchengesetz oder über den Karneval unterhalten? ({12}) Wo und wann, wenn nicht im Wahlkampf, sollen ernste Themen mit gesellschaftsrechtlichen Kernfunktionen denn thematisiert werden? Das ist nicht Populismus, das ist Demokratie. Diese Begriffe werden in diesem Hohen Hause offensichtlich immer und immer wieder verwechselt. ({13}) Wir alle haben uns vorgenommen, weiterzuarbeiten. Wir wollen alle Zitate ein bisschen vergessen. Ich kann Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, versprechen: Wir werden der Aufforderung, jemanden „… zu können“, nicht folgen. Wir werden uns bemühen, mit Ihnen sachlich weiterzuarbeiten, aber ohne dabei Körperkontakt über Zunge und Gesäß herzustellen. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. ({0}) Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. Januar 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.