Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 12/13/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und eine - wie meistens - ebenso ernsthafte wie fröhliche Beratung. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich zwei Geburtstagsglückwünsche aussprechen. Der Kollege Heinz Riesenhuber hat am 1. Dezember seinen 72. Geburtstag gefeiert. ({0}) Man hält es kaum für möglich, aber die Recherchen bestätigen die Ernsthaftigkeit des vorgetragenen Befundes. Die Kollegin Ute Kumpf hat am 4. Dezember ihren 60. Geburtstag gefeiert. Auch ihr möchte ich herzlich im Namen des ganzen Hauses gratulieren und alles Gute wünschen. ({1}) Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zur Angemessenheit von Managereinkommen in Deutschland ({2}) ZP 2 Beratung des Zwischenberichts der EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ Kultur als Staatsziel - Drucksache 15/5560 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Fuchtel, Eckart von Klaeden, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erneuerbare Energien, wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasserkraft, für die Energieversorgung deutscher Einrichtungen im Ausland einsetzen - Für Klimaschutz und Nachhaltigkeit - Drucksache 16/7489 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({5}) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 326 zu Petitionen - Drucksache 16/7492 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 327 zu Petitionen - Drucksache 16/7493 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 328 zu Petitionen - Drucksache 16/7494 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 329 zu Petitionen - Drucksache 16/7495 - Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 330 zu Petitionen - Drucksache 16/7496 - f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 331 zu Petitionen - Drucksache 16/7497 - g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 332 zu Petitionen - Drucksache 16/7498 - h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 333 zu Petitionen - Drucksache 16/7499 - i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 334 zu Petitionen - Drucksache 16/7500 - j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 335 zu Petitionen - Drucksache 16/7501 - k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 336 zu Petitionen - Drucksache 16/7502 - ZP 5 Wahlen zu Gremien a) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl von Mitgliedern des Beirats bei der Bun- desbeauftragten für die Unterlagen des Staats- sicherheitsdienstes gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi- Unterlagen-Gesetzes - Drucksache 16/7474 - b) Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Kreditan- stalt für Wiederaufbau - Drucksache 16/7475 - c) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Wahl von Mitgliedern des Gemeinsamen Aus- schusses gemäß Artikel 53 a des Grundgeset- zes - Drucksache 16/7476 - d) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Wahl vom Deutschen Bundestag zu entsendender Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({17}) - Drucksache 16/7477 - e) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieds des Beirats für Fragen des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur ({18}) - Drucksache 16/7478 - f) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl eines Mitglieds des Stiftungsrates der „Stiftung CAESAR“ ({19}) - Drucksache 16/7479 - g) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl eines Mitglieds des Verwaltungsrates bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht - Drucksache 16/7480 - h) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl einer Schriftführerin gemäß § 3 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7481 ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsequenzen der Bundesregierung aus der Studie über erhöhte Krebsrisiken in der Umgebung von Atomanlagen ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck ({20}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU und AKP-Staaten entwicklungsfreundlich gestalten - Drucksache 16/7469 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({21}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({22}) Präsident Dr. Norbert Lammert - zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eine Chance für den Wettbewerb - Kein Monopolschutz für die Deutsche Post AG - zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Post braucht Wettbewerb - Wettbewerb braucht faire Bedingungen - Drucksachen 16/6432, 16/6631, 16/7510 Berichterstattung: Abgeordneter Klaus Barthel ZP 9 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Schneider ({23}), Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch ({24}) - Drucksache 16/7459 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({25}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Arbeit statt Frühverrentung fördern - Drucksache 16/7003 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({26}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr ({27}), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege - Drucksache 16/7491 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({28}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben stärken - Gesellschaftliche Teilhabe für alle ermöglichen - Drucksache 16/7471 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({29}) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 11 wird abgesetzt. In der Folge rücken die ungeraden Tagesordnungspunkte 13 bis 29 jeweils vor. Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam. Der in der 126. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({30}) zur Mitberatung überwiesen werden. Achter Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes - Drucksache 16/7077 überwiesen: Finanzausschuss ({31}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Der in der 106. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({32}) zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Mit Bioraffinerien in Deutschland die Biomasse effizienter nutzen und zusätzliche Ressourcen erschließen - Drucksache 16/5529 überwiesen: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({33}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Präsident Dr. Norbert Lammert Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatzpunkt 2 auf: 3 Beratung des Berichts der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ - Drucksache 16/7000 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 2 Beratung des Zwischenberichts der EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ Kultur als Staatsziel - Drucksache 15/5560 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute steht an prominenter Stelle im Zentrum der parlamentarischen Beratung des Bundestages ein Thema, das es nur selten auf diese prominenten Tagesordnungsplätze schafft, was sicher auch damit zusammenhängt, dass die Bedeutung dieses Themas nach wie vor in der Öffentlichkeit eher unterschätzt wird. ({34}) Tatsächlich sind für die Lebensverhältnisse einer Gesellschaft die kulturellen Bedingungen, die in einer solchen Gesellschaft gelten, nicht weniger wichtig als die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen. ({35}) Dies deutlich zu machen, ist sicher eine der ganz wesentlichen Aufgaben der Enquete-Kommission gewesen, deren Arbeit aus der letzten und dieser Legislaturperiode heute im Mittelpunkt unserer Beratungen steht. Deswegen nutze ich die Gelegenheit auch gerne, neben den an der Arbeit dieser Kommission in besonderer Weise beteiligten Kolleginnen und Kollegen die Sachverständigen zu begrüßen, die auf der Besuchertribüne Platz genommen haben. ({36}) Ich danke Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlich für Ihre verdienstvolle Mitarbeit in dieser Kommission. ({37}) Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Vorsitzenden dieser Kommission, der Kollegin Gitta Connemann. ({38})

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Sachverständigenmitglieder! Es ist vollbracht! Im Namen aller Mitglieder der EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ melde ich: Das Werk ist getan. Vor vier Jahren erhielten wir von Ihnen den Auftrag, erstens die Situation von Kunst und Kultur in Deutschland zu beschreiben und zweitens Vorschläge für gesetzgeberisches Handeln zu unterbreiten. Dieser Bericht ist das Ergebnis unserer Arbeit. Wir legen Ihnen damit die wohl umfassendste Untersuchung der Kulturlandschaft Deutschlands seit mehr als 30 Jahren vor. Im Bericht finden sich 465 Handlungsempfehlungen an Bund, Länder, Kommunen und andere Kulturadressaten, von den Hochschulen bis zum Rundfunk. Sie erhalten einen Kulturkompass, der richtungsweisend sein kann. Er widerlegt anfängliche Zweifel; denn auch wir fragten uns, ob es wirklich gelingen kann, die einzigartige Kulturlandschaft in Deutschland zu beschreiben. Unser Land bietet eine beispiellose kulturelle Vielfalt, um die wir in der Welt beneidet werden. Die Zahlen sprechen für sich: mehr als 150 Opernhäuser und Theater, mehr als 6 000 Museen, unzählige Bibliotheken, Musikschulen, ein Netz von Kunsthochschulen, viele Millionen Bürgerinnen und Bürger, die sich in Chören, Kulturvereinen und Musikkapellen vor Ort und in den Ländern engagieren. Ich sage bewusst: in den Ländern. Nicht nur deshalb wurde mehr als einmal die kritische Frage gestellt, warum sich eine Kommission des Deutschen Bundestages mit diesem Thema befasst. Denn immerhin wurde im Zuge der Föderalismusreform die ausschließliche Zuständigkeit der Länder auf diesem Gebiet bestätigt. Wir erkennen diese überwiegende Verantwortung für die staatliche Kulturförderung an. Aber wir erkennen auch eine Gesamtverantwortung. Nicht nur, weil der Bund als Gesetzgeber für viele Rechtsgebiete zuständig ist, die unmittelbar Kunst- und Kulturschaffende betreffen, vom Urheberrecht über das Vereinsrecht bis zum Sozialversicherungsrecht. Wir, die Mitglieder der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, skizzieren in diesem Bericht die Grundzüge einer nationalen Kulturpolitik, im Wissen und in der Verantwortung um die Bedeutung von Kultur für unsere Gesellschaft; denn Kultur ist mehr als lebenswert. Kultur gibt mehr als Identität. Kultur ist das, was von einer Gesellschaft bleibt. ({0}) Die Steuerdebatten dieser Tage werden in 50 Jahren vergessen sein, nicht aber die künstlerischen Leistungen dieser Zeit. Kultur ist deshalb nicht nur Ornament, sondern das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und auf dem sie aufbaut. ({1}) Die Pfeiler dieses Fundaments bedürfen jedoch der Stärkung, denn sie werden nicht nur durch kleinere Beben erschüttert wie die regelmäßig aufflackernde Debatte über die Erhöhung des Umsatzsteuersatzes für Kulturgüter, die wir ablehnen. Sondern sie werden auch durch Unterspülungen bedroht, die durch die Not der öffentlichen Haushalte in den letzten Jahren ausgelöst wurGitta Connemann den. Die Ausgaben für Kultur gingen deutlich zurück: 2001 beliefen sie sich noch auf 8,4 Milliarden Euro, 2005 nur noch auf 7,8 Milliarden Euro. Eine Ausnahme bildet übrigens nur der Bund. Auch dank des Einsatzes unseres Staatsministers Bernd Neumann ist es seit 2005 gelungen, in diesem Bereich die Haushaltsansätze zu erhöhen. Dafür gebührt ihm Dank. ({2}) Zwar verfügt Deutschland immer noch über eine beispielhafte Kulturförderung - dank des Bürgers. Denn dieser ist der größte Kulturfinanzierer in Deutschland, zunächst als Marktteilnehmer, dann als Spender und in dritter Linie als Steuerzahler. Diese Steuermittel fließen zwar jetzt wieder stärker, aber in den vergangenen Jahren sind viele Theater, Orchester, Bibliotheken und Musikschulen den Sparzwängen geopfert worden. Wir sagen: zu viele. Denn leider zählen die Ausgaben für Kultur zu den sogenannten freiwilligen Leistungen. Nur der Freistaat Sachsen bildet hier die rühmliche Ausnahme. In allen anderen Ländern sind diese Ausgaben auch zum Leidwesen vieler Kommunalpolitiker keine Pflichtaufgaben. Kann eine Kommune ihren Haushalt nicht ausgleichen, muss sie die Gemeindestraße weiter teeren, aber die Gemeindebibliothek schließen. Das ist aus unserer Sicht die vollkommen falsche Priorität. ({3}) Zu einer funktionsfähigen Infrastruktur gehören nämlich nicht nur Verkehrswege, sondern zwingend Kultur- und Bildungseinrichtungen. Die Ausgaben für Kultur sind keine Subventionen, sondern Investitionen. ({4}) Erst die Investition in kulturelle Infrastruktur eröffnet die Chance auf gleiche Teilhabe. ({5}) Es wäre allerdings ein Fehler, Kulturpolitik immer nur auf finanzielle Aspekte zu reduzieren; denn damit würden die Möglichkeiten verkannt, die der Gesetzgeber zum Schutz und zur Förderung von Kunst und Kultur hat, von der Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts bis zur Fortschreibung im Stiftungsrecht. Wir raten Bund und Ländern, insoweit die Weichenstellungen auf europäischer und internationaler Ebene nicht nur wachsam zu beobachten, sondern auf Rechtsakte wie etwa das GATS-Abkommen oder das europäische Vergaberecht sehr frühzeitig Einfluss zu nehmen. ({6}) Denn nur dort können und müssen Angriffe auf eine autonome nationale Kulturpolitik abgewendet werden. Deutschland darf sich hier nicht mit einer Zuschauerrolle begnügen. ({7}) Die Aufgabe der Kulturpolitik ist die Schaffung von Rahmenbedingungen zum Schutz von Kunst und Kultur. Ihre Aufgabe ist es nicht, selbst Kultur zu schaffen, sondern für die erforderlichen Rahmenbedingungen zu sorgen. Die Gestaltung von Kunst und Kultur überlässt sie besser den Künstlern. Unseren Handlungsempfehlungen gingen intensive Recherchen und sorgfältige Prüfungen voraus. Von den Kommissionsmitgliedern war ein beträchtliches Arbeitspensum zu leisten. Pro deo, pro bono. Deshalb gilt mein besonderer Dank den Sachverständigenmitgliedern der Kommission. Mit ihrem Einsatz, ihrem Wissen, ihrer praktischen Erfahrung haben sie erst deutlich gemacht, welche Themen wir behandeln müssen. Häufig haben sie die Themen aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Deshalb danke ich namentlich Susanne Binas-Preisendörfer, Helga Boldt, Gerd Harms, Dieter Kramer, HeinzRudolf Kunze, Bernhard Freiherr von Loeffelholz, Oliver Scheytt, Wolfgang Schneider, Thomas Sternberg, Dieter Swatek, Nike Wagner, Hans Zehetmair, Olaf Zimmermann. ({8}) Meine Damen und Herren Sachverständigen, Sie haben sich in bester Weise bürgerschaftlich für die Kultur engagiert. Gemeinsam haben wir außerhalb der Tagespolitik mehr als 50 Themenfelder behandelt. Es ging um Infrastruktur, Kompetenzen, rechtliche Rahmenbedingungen in Staat und Zivilgesellschaft, öffentliche und private Förderung, die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler, Kulturwirtschaft, den Kulturstandort Deutschland, kulturelle Bildung, Kultur in der Informations- und Mediengesellschaft, Kultur in Europa, Kultur im Kontext der Globalisierung, Kulturstatistik in Deutschland und der Europäischen Union. Jedes dieser Themen verdient eine öffentliche Debatte. Mit der Empfehlung, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, erregten wir sicherlich die meiste Aufmerksamkeit. Die Kommission ist der Ansicht, dass es eines solchen Bekenntnisses zur Verantwortung des Staates für Schutz und Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland bedarf. Dieses Staatsziel ist sozusagen der Überbau für alle staatlichen Ebenen. Die Verantwortung der Politik geht aber weiter. Deshalb dürfen die anderen Handlungsempfehlungen nicht übersehen werden. Sie betreffen die Rahmenbedingungen von Theatern, Kulturorchestern, Opern, Museen und Ausstellungshäusern sowie von Bibliotheken und soziokulturellen Zentren. Es werden Vorschläge für eine Stärkung der Kultur in ländlichen Regionen, betreffend die kulturelle Tätigkeit der Kirchen und die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in der Kultur gemacht. Auf die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler haben wir zu Recht ein besonderes Augenmerk gelegt; denn ohne sie gäbe es keine Kultur in Deutschland. ({9}) Deshalb unterbreiten wir allein 50 Vorschläge für eine verbesserte Aus- und Fortbildung, Änderungen im Tarifund Arbeitsrecht bis hin zu Fragen der Besteuerung und der Altersvorsorge. Hinzu kommen Aussagen zur Kreativ- und Kulturwirtschaft, ein Bereich, der sich inzwischen von einem Aschenbrödel zu einer durchaus ansehnlichen Braut entwickelt hat. Angesichts des Wertes jeder Handlungsempfehlung - es sind 465 - kann und will ich als Vorsitzende der EnqueteKommission keine einzelne hervorheben. Nur eine Ausnahme gestatte ich mir. Andere Einzelbewertungen überlasse ich in diesem Rahmen den nachfolgenden Kommissionsmitgliedern. Ich gestatte mir das Augenmerk auf die kulturelle Bildung zu richten; denn diese ist eine der besten Investitionen in die Zukunft des Landes. Der Wert der kulturellen Bildung scheint inzwischen glücklicherweise in der Öffentlichkeit erkannt zu sein. Unser Land darf sich nicht der Kreativität als unseres einzigen Rohstoffs für die Zukunftsfähigkeit begeben. Bildung darf nicht auf ein trostloses Lernen reduziert werden. ({10}) Bei der kulturellen Bildung geht es um den ganzen Menschen, um die Bildung seiner Persönlichkeit, um Emotionen und Kreativität. Ohne kulturelle Bildung - das ist meine feste Überzeugung - fehlt ein Schlüssel zu wahrer Teilhabe. Deshalb ist auf keinem Feld die Verantwortung des Staates auf all seinen Ebenen größer als in diesem Bereich. Dies hat auch etwas mit Teilhabe zu tun; denn Kunst und Kultur dürfen kein Luxusgut einiger weniger Privilegierter sein. Die Teilhabe aller an Kultur muss gewährleistet sein; denn sie bedeutet auch Teilhabe an unserer Gesellschaft. ({11}) Diese Teilhabe wird von einer Vielfalt von Trägern gewährleistet. Kulturpolitik und öffentliche Kulturförderung finden in Deutschland im Wechselspiel von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft statt. Sie gemeinsam stellen die kulturelle Infrastruktur zur Verfügung, von Vereinen über Kulturunternehmen, Kirchen, Glaubensgemeinschaften bis hin zu Rundfunkanstalten, Stiftungen, Sponsoren und den Künstlern selbst. Dieser Dreiklang aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ermöglicht ein kulturelles Leben, das keiner allein gewährleisten könnte, zuletzt der Staat. Es darf deshalb kein Unterschied zwischen staatlich geförderter, guter Kultur auf der einen Seite und der Kultur, die auf bürgerschaftliches Engagement gegründet wird, sowie privat veranstalteter Kultur auf der anderen Seite gemacht werden. ({12}) Eine solche Trennung sollte nach unserem Bericht der Vergangenheit angehören. Was bleibt? Es bleibt unser Bericht, ein leidenschaftliches Plädoyer für die Förderung von Kunst und Kultur in Deutschland als eine ebenso notwendige wie lohnenswerte Investition in die Zukunft. Die zurückliegende Arbeit war von einem Miteinander aller Beteiligten geprägt, und zwar immer über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. Das ist die Stärke der Kultur. ({13}) Es einte uns das Ziel, die einzigartige Kulturlandschaft und eine beispiellose kulturelle Vielfalt zu schützen und zu fördern, und das mit großem Gewinn für die Sache. Als Vorsitzende der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ danke ich deshalb allen Mitgliedern dieser Kommission für ihre Kompetenz, für ihren Arbeitswillen, für ihre Begeisterungsfähigkeit und für ihre Kreativität. Insbesondere danke ich den Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, die neben ihrem normalen Abgeordnetenpensum die Kärrnerarbeit einer EnqueteKommission auf sich genommen haben. Stellvertretend möchte ich diesen Dank an die Obleute der Fraktionen richten: an Wolfgang Börnsen, an Siegmund Ehrmann, der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender dieser Kommission war, an Hans-Joachim Otto, an Undine Kurth und an Lukrezia Jochimsen. Vielen Dank! ({14}) Nicht zuletzt gilt mein Dank den Mitstreitern und Mitstreiterinnen des Sekretariats, den Fraktionsreferenten, den Mitarbeitern der Kommissionsmitglieder. Ohne ihr Engagement hätte die Kommission ihr Arbeitspensum nicht leisten können. Die Bestandsaufnahme ist erfolgt. Die Handlungsempfehlungen liegen vor. Und nun? Jedem Ende wohnt auch ein Anfang inne. Mit der Vorlage unseres Berichtes beginnt eine neue Etappe. Dieser Bericht kann ein Kulturkompass sein, der richtungsweisend ist - wenn denn die Empfehlungen auch umgesetzt werden. Jetzt sind die Kulturpolitiker in allen Fraktionen, die Kulturschaffenden auf allen Ebenen gefragt, unsere Vorlage zum Wohle der Kultur zu nutzen. Ich sage noch einmal: Es ist vollbracht, das Werk ist getan, und nun beginnt die Arbeit. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Frau Connemann, ich will Ihnen noch einmal in aller Form ganz herzlich für Ihre Arbeit als Vorsitzende der Kommission danken. Dies war sicher nicht immer eine nur einfache Aufgabe; aber es war, denke ich, eine gleichzeitig nicht nur besonders wichtige, sondern auch durchaus dankbare Aufgabe. Jedenfalls schlägt sich das Ergebnis dieser Arbeit in einer auffälligeren Weise nieder, als das für manch andere Aktivitäten im Deutschen Bundestag gelegentlich zu beobachten ist. ({0}) Ich habe vorhin in der friedlichen, adventlichen Stimmung zu Beginn der Sitzung darauf verzichtet, Ihr förmliches Einvernehmen darüber herbeizuführen, dass diese Debatte insgesamt zwei Stunden dauern soll. Das möchte ich gerne nachholen. ({1}) Präsident Dr. Norbert Lammert Ich stelle hiermit fest, dass außer einem - nicht weiter konkretisierten - Zögern beim Vorsitzenden der FDPFraktion auch zu diesem Verfahrensvorschlag Einvernehmen besteht. Ich mache der guten Ordnung halber darauf aufmerksam, dass die gerade gehaltene Rede selbstverständlich in die Berechnung der Gesamtredezeit einzubeziehen ist. Ich sage das, um voreilige Spekulationen einzudämmen. Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Otto für die FDP-Fraktion. ({2})

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Insbesondere heute: Liebe Gäste auf der Tribüne! Nach vier Jahren Arbeit sehe ich mich in der Lage, es zu beurteilen: Das Amt der Vorsitzenden einer Enquete-Kommission ist wohl eines der komplexesten und der anstrengendsten Ämter, die ein Bundestag überhaupt vergeben kann. Deswegen liegt mir sehr daran - ich spreche sicherlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen -, dir, Gitta Connemann, für diese Arbeit ausdrücklich allerhöchsten Respekt und Dank auszusprechen. ({0}) Deine Konsequenz, gelegentlich deine Härte, deine bösen Blicke, die sind schon sprichwörtlich. Auch dein Charme und deine Zielstrebigkeit waren notwendig, um innerhalb der gesetzten Zeit dieses Werk vorzulegen. Du hast dir wirklich ganz hervorragende Verdienste darum erworben. Das soll auch an dieser Stelle gleich eingangs gesagt sein. Nach vier Jahren Arbeit ist dieser Tag ein Tag des Dankes. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen und vor allen Dingen den Sachverständigen meinen Dank, meinen Respekt, meine Hochachtung für dieses gemeinschaftliche Werk aussprechen. Sie nehmen es mir sicherlich nicht übel, wenn ich jemanden besonders hervorhebe, mit dem ich vier Jahre lang jeden Sitzungstag der Enquete-Kommission - ich hätte fast gesagt: mich herumgeschlagen habe; aber das ist nicht das richtige Wort - hart zusammengearbeitet habe. Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, möchte ich ganz herzlich Dank sagen, auch für die Zuarbeit, die wir vom Deutschen Kulturrat bekommen haben. Das war wirklich eine sehr große Hilfe. ({1}) Ein solches Werk ist schön, ein solches Werk macht stolz, aber jetzt geht es weiter. Von der Enquete-Kommission wird sozusagen das Staffelholz zur weiteren federführenden Behandlung an den Ausschuss für Kultur und Medien übergeben. Wir im Kulturausschuss wissen, welche Verantwortung wir haben. Wir wissen, dass es jetzt um die Umsetzung geht; sie muss noch in dieser Legislaturperiode in entscheidenden Teilen vorangebracht werden. Genau das ist für uns der Schwerpunkt der Arbeit in dieser Legislaturperiode. Wir müssen so viel wie möglich von den sinnvollen Forderungen und Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission durch Gesetzentwürfe in das parlamentarische Leben und in die politische Praxis umsetzen. Es sind aber nicht nur die Handlungsempfehlungen zu nennen, die sich im Übrigen nicht nur an den Bundestag, sondern in sehr großer Zahl auch an die Länder und die Kommunen richten; allein die Tatsache, dass der Bundestag zweimal, in der vergangenen Legislaturperiode und in dieser Legislaturperiode, eine solche EnqueteKommission eingesetzt hat, ist ein nicht zu unterschätzendes, ein wichtiges Signal des deutschen Parlaments zugunsten von Kultur, zugunsten von Künsten. ({2}) Die Notwendigkeit ist wirklich gegeben. Wir müssen in aller Deutlichkeit sagen: So löblich es ist, dass die Bundesregierung, namentlich der Staatsminister, bei den Haushaltsberatungen auf der Bundesebene einen großen Schritt nach vorn hat machen können, so klar müssen wir sehen, dass auf der kommunalen Ebene und auf der Länderebene noch einiges zu tun ist. Dort gibt es seit Jahren finanzielle Kürzungen, zum Teil sogar wirklich schmerzliche Verluste; Institutionen können nicht mehr fortbestehen usw. Meine Damen und Herren, insbesondere vor diesem Hintergrund auf der Landes- und auf der kommunalen Ebene brauchen wir in der Tat ein Staatsziel Kultur. ({3}) Das Staatsziel Kultur ist nicht alles - wir haben 460 Forderungen formuliert -, aber ohne ein Staatsziel Kultur ist alles entschieden schwieriger. Warum brauchen wir dieses Staatsziel? Wir brauchen ein verfassungsrechtlich eindeutiges Signal, das sagt, dass nicht nur, wie bisher, die natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel geschützt sind, sondern auch die andere Seite der Medaille, die geistigen Lebensgrundlagen. Wenn wir sie nicht gleichermaßen schützen, dann gibt es eine Unwucht, und diese Unwucht wirkt sich in konkreten Entscheidungen aus: in Gerichtsentscheidungen, aber natürlich auch in vielen Haushaltsentscheidungen. Kultur ist eine freiwillige Aufgabe. Wenn wir diese freiwillige Aufgabe, die so wichtig ist, nicht im Grundgesetz verankern, dann gibt es ständig Entscheidungen gegen die Kultur, und das müssen wir verhindern. ({4}) Deswegen müssen wir die Entscheidung über das Signal eines Staatsziels Kultur noch in dieser Legislaturperiode treffen. ({5}) Hans-Joachim Otto ({6}) Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, hier mitzuwirken. Ich muss allerdings auch ein kritisches Wort sagen. Die Tatsache, dass jetzt nicht nur das Staatsziel Kultur in der Diskussion ist, auf das wir uns seit Jahren vorbereitet haben - wir haben dazu Anhörungen durchgeführt; wir haben dazu Verfassungsexperten gehört -, sondern dass es eine Vielzahl weiterer Wünsche für Staatsziele gibt, ist nicht gerade hilfreich, wenn es darum geht, das Staatsziel Kultur durchzusetzen. ({7}) Mit Blick auch auf die Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion sage ich: Sicherlich, wir alle wollen Kinder schützen; aber ob wir Kinder dadurch schützen können, dass wir höchst wohlfeile Erklärungen ins Grundgesetz hineinschreiben, ({8}) werden wir noch an anderer Stelle klären müssen. Wir Kulturpolitiker jedenfalls sagen: Im Hinblick auf den Ausgleich „natürliche Lebensgrundlagen - geistige Lebensgrundlagen“ muss zuerst das Staatsziel Kultur verankert werden; dann reden wir über alle weiteren Staatsziele. Es darf da keine Inflation geben; da bin ich mir mit allen anderen einig. ({9}) Lassen Sie mich in der Kürze der Zeit noch ein Thema aufgreifen, das uns sehr wichtig ist: die Rolle der Zivilgesellschaft. Manche haben mich gefragt, warum ausgerechnet die Liberalen vorne sind, wenn es darum geht, das Staatsziel Kultur voranzubringen. Die Antwort ist einfach: Wir können die Zivilgesellschaft - Mäzene und Spender - nur dann aktivieren, wenn sich der Staat nicht gleichzeitig zurückzieht. Es kann nicht angehen, dass beispielsweise beim Deutschen Historischen Museum, aber auch bei vielen anderen Institutionen, jede Spende, die eingeworben wird, gleich vom Haushalt abgezogen wird und sozusagen zu einer Kürzung führt. Menschen, die sich für Kultur engagieren, die Geld und Zeit in Kultur investieren, möchten das Geld nicht bei Herrn Steinbrück abgeben; sie möchten, dass das Geld ungeschmälert der Kultur zugutekommt. ({10}) Deswegen müssen wir das Verhältnis von Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft stabilisieren. Dafür ist es notwendig, von staatlicher Seite durch ein Staatsziel Kultur, aber auch durch eine solide Grundfinanzierung ein Signal an die Zivilgesellschaft auszusenden, welches sie ermutigt, sich hier zu engagieren. Sie tut schon jetzt sehr viel; aber wir müssen das verstetigen und dafür sorgen, dass sich dort auch in Zukunft Menschen verantwortlich fühlen. Frau Connemann hat es schon gesagt: Der größte Kulturfinanzierer in Deutschland ist immer noch der Bürger. Er tut das meiste, als Marktteilnehmer, als Besucher von Kulturinstitutionen, als Spender nicht nur von Geld, sondern auch von Zeit, und - in dritter Linie - als Steuerzahler. Deswegen ist es so wichtig, dass wir hier ein solides Fundament schaffen. Ich möchte einen wichtigen Punkt hervorheben, bei dem wir uns ein bisschen von den anderen Fraktionen unterscheiden: Unser Verständnis von Kulturförderung entspricht nicht dem Leitbild eines - so heißt es im Schlussbericht -„aktivierenden Kulturstaates“. Vielmehr treten wir für einen ermöglichenden Staat ein. Plakativ ausgedrückt: Wir stehen nicht so sehr für den Slogan „Kultur für alle“, sondern wir wollen „Kultur von allen“. Wir wollen Menschen ermutigen, also Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich mehr Menschen aktiv beteiligen und aktiv kulturell betätigen. Wir wollen - es ist angesprochen worden - mehr kulturelle Bildung in den Schulen. Es ist sehr wichtig, dass sich hier Entscheidendes tut. Deswegen treten wir für den ermöglichenden Kulturstaat ein; der Begriff des aktivierenden Kulturstaates könnte eine Schlagseite haben und suggerieren, es gehe um passives Aufnehmen von Kultur, nicht um aktives Handeln. Es ist schwierig, vier Jahre Arbeit in zehn Minuten darzustellen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle nur noch eines hervorheben: Wir haben - ich schaue jetzt wirklich das gesamte Spektrum dieses Parlaments an 460 Handlungsempfehlungen verabschiedet. Weit über 95 Prozent aller Handlungsempfehlungen - ich habe es nicht ausgerechnet; vielleicht waren es 99 Prozent - sind im Einvernehmen aller Fraktionen dieses Hauses beschlossen worden. Davon geht ein ermutigendes Signal für die Kultur in Deutschland aus. Wenn dieses Haus es schafft, dass alle Fraktionen - von der Linksfraktion bis zur CDU/CSU, von der FDP bis zur SPD - hinter den Forderungen stehen - hinter zirka 99 Prozent von 460 Forderungen -, dann geht davon ein Signal aus, das überhaupt nicht unterschätzt werden kann. Dieses klare Signal des Deutschen Bundestages, das von der Arbeit der Enquete-Kommission ausgeht und zum Ausdruck bringt, dass wir Anwälte für Kunst und Kultur sind, dass wir uns für einen höheren Stellenwert von Kunst und Kultur in der Gesellschaft und im Staat einsetzen, gilt es jetzt in aller Konsequenz nach außen zu tragen. Wir müssen so allen Kulturschaffenden in Deutschland, allen Kulturinstitutionen und Kulturorganisierenden, klarmachen: Der Deutsche Bundestag ist ein Parlament, das sich für Kunst und Kultur ausspricht, heute und in Zukunft. Herzlichen Dank. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Siegmund Ehrmann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Mit dem heute vorgestellten Bericht der Enquete-Kommission legen wir das Ergebnis einer vierjährigen intensiven Arbeit - das wurde ja hier schon mehrfach angesprochen - vor. Was war der Hintergrund des Auftrages dieser Enquete-Kommission? Ich erlaube mir, in Erinnerung zu rufen, dass die Bundeskulturpolitik nach 1998 in der damaligen rot-grünen Koalition besonders akzentuiert wurde und es insbesondere dem Engagement von Antje Vollmer und Eckhardt Barthel zu verdanken ist, dass die Kernfragen, die uns damals bewegt haben, so zugespitzt wurden, dass letztendlich in der Koalitionsvereinbarung von 2002 die Verabredung getroffen wurde, diese Enquete-Kommission einzurichten. Deshalb noch einmal herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, die das seinerzeit auf den Weg gebracht haben. ({0}) Ich bin aber ebenso dankbar dafür, dass sich dann im Herbst 2003 alle Fraktionen dieses Hauses dem Einsetzungsbeschluss angeschlossen haben. Das war sicherlich auch prägend für den Geist, in dem diese Enquete-Kommission ihre Arbeit geleistet hat. Welche Fragen bewegten die Kulturpolitik damals, aber auch noch heute? Zum Beispiel die Fragen: Wie steht es um die öffentliche und private Kulturfinanzierung? Kann der Staat in dem Geflecht der Verantwortung der Künstlerinnen und Künstler, der Zivilgesellschaft, des Ehrenamtes und des Potenzials, das in den Märkten liegt, seiner eigentlichen Verantwortung, Kultur als öffentliches Gut zu fördern, tatsächlich gerecht werden? Wie lassen sich die Bedingungen für das Engagement der Zivilgesellschaft verbessern? Sind die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen, in denen die Arbeit der Kulturinstitutionen erfolgt, zeitgemäß? Welche Wirkungen haben Impulse, die aus der internationalen Politik, der GATS- oder WTO-Regime, aber auch der Prozesse im europäischen Sektor, auf unser Handeln einströmen? Wie - auch das ist eine wichtige Frage - ist es um die wirtschaftliche und soziale Situation der Künstlerinnen und Künstler bestellt, nachdem wir - das wurde schon erwähnt - 1975 mit der Kreierung des Künstlersozialrechtes einen wichtigen Impuls gesetzt haben? Das geschah ja damals aufgrund einer Analyse der wirtschaftlichen Situation der Künstlerinnen und Künstler. Wie ist der Status 30 Jahre danach? ({1}) Natürlich richten sich die Handlungsempfehlungen, die wir hier erarbeiten, vorrangig an den Bundesgesetzgeber. Ich persönlich bin allerdings sehr froh darüber, dass wir uns in der Enquete-Kommission einig waren, über Bande zu spielen, das heißt, Sachzusammenhänge zu denken, alle staatlichen Handlungsebenen in unsere Analysen einzubeziehen, aber und vor allem auch Impulse für die Debatte der Zivilgesellschaft zu geben. Deshalb geht von diesem Tag ein Angebot zu einer breiten Diskussion an alle Akteure aus, sich in der Öffentlichkeit mit unseren Handlungsempfehlungen auseinanderzusetzen. ({2}) Bevor ich auf einige Details eingehe, möchte auch ich Dank erstatten, nämlich Dank den Kolleginnen und Kollegen, die als Abgeordnete und als Sachverständige mitgewirkt haben, Dank allen Obleuten, aber auch Ihnen, Frau Connemann, meinen persönlichen Dank für die souveräne, hartnäckige und nachhaltige Verhandlungsführung. Herzlichen Dank. ({3}) Ich möchte aber auch die Arbeit derjenigen würdigen, die in der letzten Wahlperiode mitgewirkt haben und dann, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr an den Beratungen der Enquete-Kommission teilgenommen haben, weil vielleicht die Weisheit der Wähler oder eine persönliche Lebensentscheidung dazu geführt hat, dass sie kein Mandat mehr für diese verantwortliche Aufgabe hatten. Herzlichen Dank also auch an alle, die früher diese Arbeit geleistet haben. ({4}) Lassen Sie mich jetzt auf einige Inhalte zu sprechen kommen. Zunächst möchte ich einige grundsätzliche Anmerkungen zu den Rahmenbedingungen der Kulturpolitik machen. Dann möchte ich das Thema „Rechtliche und strukturelle Rahmenbedingungen der Kulturarbeit“ am Beispiel der öffentlichen Bibliotheken erläutern und einen Hinweis darauf geben, welche Weisheit in unseren Empfehlungen - da gibt es wahre Perlen enthalten ist. Schließlich geht es um Fragen im Zusammenhang mit dem Urhebervertragsrecht. Auch dazu erlaube ich mir ein paar Anmerkungen. Zur Struktur der Kulturpolitik und zu den Entscheidungsprozessen in der Kulturpolitik. Folgende Fragen sind vorrangig an uns selbst gerichtet, weil dies unser Kompetenzfeld ist: Wie soll und kann eine zeitgemäße Kulturpolitik definiert werden? Was kann sie leisten? Wie effektiv sind ihre Strukturen? Wie werden kulturpolitische Ziele erarbeitet und wirksam umgesetzt? Im weitesten Sinne geht es um das Themenfeld der Kulturverwaltungsreform oder -modernisierung. Dazu haben wir wichtige Hinweise auf unseren Delegationsreisen insbesondere in die Niederlande oder nach Großbritannien bekommen. Auch in der Kulturpolitik, so empfehlen wir, sollten wir uns moderneren, wirksameren Entscheidungsprozessen zuwenden. Ich will jetzt nicht zu technisch werden, aber wir plädieren dafür - das ist eine Handlungsempfehlung der Enquete-Kommission -, auch in der Kulturpolitik in gewissen Zeitabständen Schwerpunkte zu überprüfen und gegebenenfalls neue Ziele zu formulieren. Schließlich entwickelt sich in Kunst und Kultur permanent Neues. ({5}) Wenn es gelänge, in eine solche konzeptionelle Arbeit der Zielfindung einzutreten, könnten auf Basis solcher grundlegenden Entscheidungen auch Etatisierungen über mehrere Jahre planungsstabil gestaltet werden. ({6}) Ich möchte dies am Beispiel der Musikförderung erläutern. Im Haushalt des BKM werden in jedem Jahr etwa 18,9 Millionen Euro für den Bereich der Musikförderung zur Verfügung gestellt. Die Segmente der klassischen Musik binden etwa 15,2 Millionen Euro; Segmente der moderneren, improvisierten und populären Musik etwa 1,5 Millionen Euro. Das ist also deutlich weniger als für die klassische Musik. Ich möchte das eine nicht gegen das andere stellen. Aber manchmal habe ich den Verdacht: einmal etatisiert, immer etatisiert. So gewinnen wir keine Spielräume bei gegebener Etatlage, neue Akzente zu setzen. Deshalb ist die Reflexion über Förderentscheidungen und vor allen Dingen über Inhalte und Wirkungen, die wir damit anstreben, sehr wichtig. Es ist nicht nur ein technischer Begriff. Denn darin liegt die Chance gestaltender - Herr Otto, aktivierender - Kulturpolitik, die wir machen könnten. ({7}) Deshalb empfehlen wir dem Deutschen Bundestag - das ist ein Appell an uns -, dieses Vorgehen in bestimmten Handlungsfeldern der Kulturpolitik zu praktizieren. Wir Parlamentarier sind da vorrangig gefordert. Ich bin überzeugt, dass noch eine Menge Diskussionsstoff vor uns liegt. Aber wir müssen diesen Weg gehen. Lassen Sie mich noch ein weiteres Beispiel skizzieren. Da sehe ich die Handlungsfähigkeit des kooperativen Föderalismus gefordert. Die öffentlichen Bibliotheken sind eine ganz wichtige Institution an der Schnittstelle von Kultur- und Bildungsarbeit. ({8}) Gleichwohl ist ihre Etatsituation sehr fragil. Der Rechtscharakter dieser Institutionen und die Verpflichtung des Staates gegenüber ihnen sind schon angesprochen worden. Es sind freiwillige Aufgaben; deshalb ist die Lage sehr schwierig. Deshalb fallen gerade Bibliotheken in Finanzkrisen häufig dem Rotstift zum Opfer. Institutionen werden geschlossen, oder Etats für eine zeitgemäße Ausstattung mit Medien werden nicht entsprechend aufgestellt. Auch da empfehlen wir den Ländern, Bibliotheksgesetze zu erlassen, Standards zu definieren und über eine etwas staatsfernere Bibliotheksentwicklungsagentur Prozesse zu moderieren. Hier sollte man nicht nur auf andere zeigen. Denn wir selbst sind gefordert, gemeinsam mit den Ländern Diskussionsprozesse in Gang zu setzen und hoffentlich zu Ergebnissen zu kommen, damit wir in der Fläche besser werden. Andere Länder zeigen uns, was wir mithilfe aktiver Bibliotheksarbeit gestalten können. ({9}) Ein drittes Beispiel betrifft den Komplex der wirtschaftlichen und sozialen Situation der Künstlerinnen und Künstler. Wir haben uns mit der Novelle zum Urheberrechtsgesetz 2002 auseinandergesetzt und mussten feststellen, dass unser Anspruch, den Urhebern eine angemessene Vergütung zukommen zu lassen, in weiten Feldern nicht Wirklichkeit ist. Das anzugehen, empfehlen wir dringend. Wir haben an die Bundesregierung, aber auch an uns die Forderung gerichtet, diese Situation noch einmal sorgfältig zu analysieren und Abhilfe zu schaffen. Wenn fünf Jahre nach Inkraftsetzen einer Rechtsnovelle keine Wirkungen in der Fläche zu erzielen sind, ist das kein gutes Zeichen. Dort sind wir gefordert. ({10}) Abschließend noch eine Bemerkung zum Thema Staatsziel Kultur. In der Enquete-Kommission haben wir eine sehr wichtige, grundlegende Analyse vorgenommen; die diesbezüglich einstimmig verabschiedete Empfehlung ist angesprochen worden. Wir haben dazu bereits im Rahmen der Vorlage des Zwischenberichtes eine intensive Plenardebatte geführt. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, nicht nur die Lippen zu spitzen, sondern auch zu pfeifen. ({11}) Wir, die SPD-Fraktion, haben dazu einen Entscheidungsprozess hinter uns gebracht. Ich möchte jetzt nicht in die Debatte der Staatszielhierarchien einsteigen. ({12}) Unsere Entscheidung ist aber eindeutig: Wir fordern die Fixierung eines Staatsziels Kultur aus vielerlei Gründen; sie wurden hier schon genannt. Ich vermute, dass es nicht hilfreich ist, die Diskussion zuzuspitzen. Ich glaube, dass es jetzt wichtig ist, sich in dem Geist, in dem die Arbeit der Enquete-Kommission geleistet wurde, aufeinander zuzubewegen und zu sehen, was tatsächlich umsetzbar ist. Ich vermute, dass es Chancen gibt. An uns selbst, aber auch an den Koalitionspartner richte ich den Appell, gemeinsam zu Ergebnissen zu kommen. ({13}) Mit diesem Thema will ich die anderen Aspekte nicht relativieren; sie sind ungeheuer wichtig. Andere Kolleginnen und Kollegen werden gleich weitere Inhaltsschwerpunkte darstellen. Lassen Sie mich zum Schluss einen ganz besonderen Dank aussprechen. Er mag etwas ungewöhnlich erscheinen; aber dies ist mir ein großes Bedürfnis. Ich möchte mich neben dem Sekretariat der Enquete-Kommission bei allen Fraktionsreferentinnen und Fraktionsreferenten bedanken, ({14}) insbesondere bei Dr. Ingrun Drechsler und Astrid Boewen-Nitz. ({15}) Dies tue ich an dieser Stelle auch deshalb, weil ich mir persönlich ernsthaft gar nicht vorstellen kann, dass Ingrun Drechsler Ende Januar in den wohlverdienten Ruhestand geht. ({16}) Bei dem Elan, den sie hier an den Tag gelegt hat, und dem großen vermittelnden Geschick kann ich nur sagen: Chapeau! Jetzt liegt der Ball in unserem Spielfeld. Wir sind in den Ausschüssen gefordert, uns mit den Handlungsempfehlungen auseinanderzusetzen. Herzlichen Dank. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Was das Ausscheiden von Frau Drechsler betrifft, schließt sich der Präsident Ihrem begrenzten Vorstellungsvermögen ausdrücklich an. ({0}) Nun hat das Wort Frau Dr. Jochimsen für die Fraktion Die Linke. ({1})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Gäste! Liebe Kollegen Sachverständige! ({0}) Insbesondere lieber Professor Kramer als Mitstreiter! Ich kann mich dem Dank, den Herr Ehrmann gerade allen an der Arbeit der Enquete-Kommission beteiligten Bereichen ausgesprochen hat, nur anschließen, und möchte ihn auf unsere Fraktionsreferentin Frau Dr. Annette Mühlberg ausdehnen. Auch ich hätte nicht gewusst, wie ich als Späteinsteiger in diese Kommission die Arbeit überhaupt hätte bewältigen können, wenn es nicht die Möglichkeit eines fundierten Wissens und einer Zuarbeit gegeben hätte. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir Ihnen heute vorlegen, sind keine Botschaften aus dem Elfenbeinturm, sondern ist die Zustandsbeschreibung unseres reichen und vielfältigen Fundamentes Kultur, auf dem unsere Gesellschaft und gerade auch die Qualität unserer Demokratie beruhen. Ich finde, das dürfen wir nie aus den Augen verlieren. Diese Zustandsbeschreibung handelt von Glanz, aber gleichermaßen auch von Elend. Glanzvoll ist die Liste der Theater, Denkmäler, Bibliotheken, Museen, Orchester, Chöre, Tanzgruppen und der Tausenden Einrichtungen und Gruppierungen freien bürgerlichen Engagements in Sachen Kultur. Glanzvoll ist auch das Aufkommen des Wirtschaftszweiges Kultur, eines Beschäftigungssektors mit hohen Wachstumsraten und großer Zukunft. Lieber Herr Kollege Ehrmann, dass wir hier in Zukunft genauer hinschauen müssen, ist unbestritten. Elend sind hingegen die Einkommen der meisten Künstler und Kulturschaffenden in Deutschland. Im Durchschnitt verdienen sie gerade einmal 11 000 Euro pro Jahr, die Mehrheit verfügt über kein regelmäßiges Einkommen, und es ist ihnen kaum möglich, eine Alterssicherung aus ihren Einnahmen zu finanzieren. Das gilt nach wie vor, obwohl die Umsätze und Gewinne der Branche gestiegen sind und weiter steigen. Die Kreativen haben aber keinen Anteil daran. Von Leistungsgerechtigkeit keine Spur! ({2}) Aus unserer Sicht muss der Staat an dieser Stelle gegensteuern, und zwar mit einer Stärkung des Urheberrechts - das wurde bereits angesprochen -, damit die Einnahmen tatsächlich den Urhebern zugute kommen und die Zeit für künstlerische Arbeit in der Rentenversicherung flexibel angerechnet werden kann. ({3}) Zur elenden, ja jämmerlichen Seite der Zustandsbeschreibung der Kultur in Deutschland gehört zweitens, dass ihr Reichtum und ihre Vielfalt an etlichen Stellen bereits Spuren von Abbau und Rückbau aufzeigen. Ein trauriges Beispiel dafür sind die Theater in Thüringen. Das gilt aber nicht nur für sie. Deshalb ist es wichtig, dass die Förderung von Kunst und Kultur im Bericht als Pflichtaufgabe des Staates herausgestellt wird. Kultur muss als Staatsziel im Grundgesetz verankert werden. ({4}) Ich stehe auf der Seite all derer, die gesagt haben, dass es Zeit ist, nicht länger nur die Lippen zu spitzen, sondern auch zu pfeifen. Das rot-rote Berlin und das vormals rotrote Mecklenburg-Vorpommern sind übrigens die einzigen Bundesländer, die das bereits beschlossen haben. ({5}) Aus unserer Sicht muss die Kompetenz des Bundes für die Kultur weiter gestärkt werden, zum Beispiel um unsere Bibliotheken zu retten. Der Kollege Ehrmann hat das gerade vorgetragen. Der Bundespräsident hat dieses Elend in einer bewegenden Rede zur Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar genau benannt: Noch kann man sagen: Bibliotheken bilden in Deutschland ein flächendeckendes Netz. Er sagte aber auch: Auf dem Land ist das Netz öffentlicher Bibliotheken zum Teil ziemlich dünn - und in manchen Gegenden kann man von einem regelrechten Bibliothekssterben sprechen. Nur etwa 15 Prozent der Schulen - ich bitte Sie: 15 Prozent der Schulen in Deutschland verfügen über eine eigene Bibliothek … Sein Fazit lautet: In Deutschland fehlt „- im Gegensatz zu den erfolgreichen PISA-Ländern - die strategische Verankerung der Bibliotheken als Teil unserer Bildungsinfrastruktur.“ Er sagt, dass diese „heute weder auf Länderebene noch in der Politik des Bundes in ausreichendem Maße anzutreffen“ sind. „Bibliotheken gehören deshalb in Deutschland auf die politische Tagesordnung.“ ({6}) Die Enquete-Kommission sieht das genauso. Allerdings unternimmt sie nicht den aus unserer Sicht entscheidenden Schritt. Sie fordert kein Bundesbibliotheksgesetz, um den Bestand unserer Bibliotheken, die es noch gibt, zu retten. Zu einer Reform der Kompetenzverteilung gehört nach unserer Vorstellung auch - es wird Sie vielleicht wundern, dass die Linke das fordert - die Ernennung eines Bundeskulturministers mit eigenständigem Ministerium, damit Kultur im Kabinett und auf europäischer Ebene gleichberechtigt vertreten ist. ({7}) Die Kommission hat umfangreich, ausführlich, präzise und konkret gearbeitet und sich dabei auf vielerlei Sachverstand gestützt. Mir erscheint es aber als ein Elend, dass die Kommission nicht bereit war, sich angemessen mit den kulturellen Folgen der deutschen Teilung zu befassen. Die Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass Kultur in Deutschland 40 Jahre lang in zwei Gesellschaften geschaffen, gefördert, gefeiert, kritisiert, ja, auch unterdrückt wurde, dass es zwei Kulturen gab, und zwar nicht parallel nebeneinander, sondern ganz bewusst gegeneinander positioniert, und diese Tatsache Folgen hat, bis auf den heutigen Tag, und zwar ebenso im Bewusstsein der Menschen wie für unsere kulturelle Infrastruktur, wäre des Schweißes der Edlen wirklich wert gewesen. ({8}) Wir meinen, dass die bis heute festzustellenden mentalen Unterschiede zwischen Ost und West eine Herausforderung für die Kulturpolitik sind. Dabei geht es nicht darum, sie zu überwinden, sondern darum, sie als Chance zu nutzen. ({9}) Die Chance, die beiden Schulsysteme von DDR und Bundesrepublik in ihrer Unterschiedlichkeit zu nutzen, haben wir sträflich versäumt. Mit dem Erbe der beiden Kulturen sollten wir anders umgehen, auch und gerade nach der Veröffentlichung dieses Berichts. Insgesamt halten wir den Bericht für eine notwendige Grundlage unserer weiteren Arbeit für die Kultur. Er entstand nicht im Elfenbeinturm, und er handelt nicht von Luxus, Dekoration oder Überfluss, sondern von den Überlebensnotwendigkeiten unserer Gesellschaft. Ich danke Ihnen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Undine Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe, verehrte Gäste! Es ist schon eine Weile her, da haben die Grünen die Schaffung eines Kultusministeriums gefordert; dass daraus nichts geworden ist, wissen wir alle. Dann haben wir die Einsetzung einer Enquete-Kommission gefordert, die sich mit der Situation bzw. dem Zustand der Kultur in Deutschland befassen sollte; dass das erfolgreich vonstatten gegangen ist, sehen wir heute. Bei dieser Einsetzung herrschte in diesem Haus große Übereinstimmung, und sie wurde von allen Fraktionen getragen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Einsetzung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ ein echter Glücksfall für Kunst und Kultur in unserem Land war, ({0}) auch deshalb, weil sie von dem gemeinsamen Willen getragen war, zu Ergebnissen zu kommen und Ressort- und Fraktionsgrenzen zu überwinden. Diese ernsthafte und sehr engagierte Arbeit hat letztendlich dazu geführt, dass uns eine beeindruckende Bestandsaufnahme und eine ebenso beeindruckende Zahl von Handlungsempfehlungen vorliegen; davon ist hier schon mehrfach gesprochen worden. Deshalb glaube ich, dass dies die richtige Gelegenheit ist, all denen zu danken, die so engagiert an der Erstellung des Berichts der Enquete-Kommission mitgewirkt haben. Ich möchte für meine Fraktion vor allem diejenigen nennen, die in der letzten Legislaturperiode daran mitgearbeitet haben: Ursula Sowa und Antje Vollmer. Ihnen gilt unser herzlicher Dank. Denn ohne ihre Vorarbeit hätten wir nicht so gut weiterarbeiten können. Undine Kurth ({1}) ({2}) An vielen Stellen dieses Berichts wird immer wieder übereinstimmend betont - diese Übereinstimmung ist übrigens nicht das Ergebnis nichtkontroverser Debatten, sondern eher das Ergebnis einer sehr gründlichen Auseinandersetzung -, dass Kultur einen hohen Eigenwert hat, dass sie Orientierung gibt, dass sie identitätsbildend ist und dass sie das System von Werten und Normen, das unsere Gesellschaft trägt, bestimmt. Kultur lebt davon, dass sie von Generation zu Generation in Ausdrucksformen weitergegeben, aber auch immer wieder infrage gestellt und neu definiert wird. Kultur vermittelt Heimat, Identität und vor allem Respekt vor der eigenen kulturellen Leistung und damit die Souveränität, mit anderen Kulturen umgehen zu können. Es wird immer wieder betont und übereinstimmend festgestellt: Ohne Kultur ist unsere Gesellschaft nicht denkbar. Ebenso klar ist aber auch, dass die Politik nicht Kultur machen kann. Der Staat allein kann weder kulturelle Vielfalt noch kulturelles Leben organisieren. ({3}) Er kann aber Rahmenbedingungen setzen, damit Kultur gemacht werden kann, Rahmenbedingungen, die ermöglichen, dass es eine kulturelle Teilhabe für alle gibt. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das wirtschaftliche Potenzial von Kunst und Kultur fördern und die soziale Lage derer, die diese Vielfalt in unserem Land erarbeiten, besser im Auge hat. ({4}) Denn wer weiß, wie viel Schauspieler, Sänger, Maler und Grafiker verdienen, und wer bedenkt, dass die Gage oder das Honorar der Gegenwert bzw. die Anerkennung der Leistung ist, der muss sich schon fragen, welches Bild vom Wert der Arbeit von Schauspielern, Sängern, Malern und Grafikern wir in diesem Lande eigentlich haben. ({5}) Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist auch wichtig, immer wieder daran zu erinnern, dass uns Kultur befähigt, Demokratie zu leben, ({6}) Urteile zu fällen und abzuwägen. Deshalb sind Kultur und kulturelle Bildung - beides gehört zusammen; wir müssen Kultur und Bildung zusammen denken - eben nicht Arabeske bzw. schönes, schmückendes Beiwerk nach dem Motto: Es ist ganz nett, wenn man es hat, es ist aber auch nicht sehr dramatisch, wenn man es nicht hat. Kultur ist vielmehr das Trainingszentrum für unsere Sozialisation. Wenn wir Trainingszentren leer stehen lassen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere sie besetzen. ({7}) Deshalb glaube ich, dass wir sehr ernsthaft darangehen müssen, die Handlungsempfehlungen, die jetzt auf dem Tisch liegen, umzusetzen. Jede dieser Handlungsempfehlungen hat ihre Berechtigung und ist Ergebnis langer Debatten, fundierter Überlegungen und übrigens auch des Streits, der der Verständigung auf einen Kompromiss vorausgegangen ist. Es ist sicher auch richtig, eine Priorisierung vorzunehmen und festzulegen, welche dieser Handlungsempfehlungen wir zuerst umgesetzt sehen wollen und welche uns die wichtigsten sind. Ich möchte mich auf zwei konzentrieren, weil ich glaube, dass sie schlicht die Voraussetzung sind, alle anderen umsetzen zu können. Das ist zum einen die Aufforderung, dass die Förderung von Kunst und Kultur eine verpflichtende Aufgabe des Staates sein muss. Nur so können Vielfalt und Dichte des kulturellen Angebotes erhalten bleiben. Die zweite Aufforderung hebt darauf ab, dass Kunst- und Kulturpolitik anderen Politikfeldern gleichgestellt werden muss. Wir müssen anerkennen, dass es eine einzigartige Vielfalt von kulturellen Einrichtungen in unserem Land gibt. Die Theater, die Bibliotheken, die Konzerthäuser, die Museen, die Sammlungen und die soziokulturellen Zentren sind erwähnt worden. All das trägt zum kulturellen Leben, das so wichtig für uns ist, bei. Wie aber werden diese Einrichtungen erhalten? Wir müssen akzeptieren, dass die Gesellschaft, dass die Politik die verpflichtende Aufgabe hat, sich um sie zu kümmern. ({8}) Nur so kommen wir aus der Selbstrechtfertigung und den Debatten darüber, ob denn Kunst und Kultur überhaupt Geld kosten dürfen, heraus. Deshalb glaube ich auch, dass das Staatsziel Kultur ein so wichtiges Ziel ist. Wir wissen sehr wohl, dass das allein das Problem nicht lösen wird; aber es wird bei der Lösung des Problems sehr hilfreich sein. So sehr wir darin übereinstimmen, Herr Otto, dass wir ein solches Staatsziel brauchen, so wenig ist uns geholfen, wenn wir Staatsziele gegeneinander ausspielen. ({9}) Wenn das Staatsziel den Kindern nicht nützt, dann wird das Staatsziel auch der Kultur nicht nützen. ({10}) Deshalb, so glaube ich, sollten wir nicht sagen, dass das eine besser als das andere ist. Es liegen eine Menge Handlungsempfehlungen vor. Jetzt kann wieder das Argument kommen, dass das eine Beschreibung all der Dinge ist, die wir längst kennen. Undine Kurth ({11}) Erstens bin ich der festen Überzeugung, dass da viel beschrieben ist, was bisher nicht bekannt war. Die Bestandsaufnahmen haben durchaus vieles zutage gefördert, was bisher nicht in der öffentlichen Debatte war. Zweitens glaube ich, dass es sehr wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass Politik nicht automatisch immer nur dort stattfindet, wo man Geld vergeben kann und wo man die haushaltstechnische Zuständigkeit hat. Politik hat auch die Aufgabe, wichtige gesellschaftliche Probleme in den öffentlichen Diskurs zu bringen, sich mit dem Rang und der Wertigkeit von Problemstellungen auseinanderzusetzen. Wenn man sich dann darauf einigt, dass Kultur existenziell für uns ist und unsere Demokratie sichert, dann ist man sich sicher auch darüber einig, dass man dafür ebenso wie für andere politische Bereiche Geld ausgeben darf. ({12}) Wir erleben keine Debatte darüber, ob Infrastruktur finanziert werden muss, und wir erleben keine Debatte darüber, ob Wirtschaftsförderung wichtig ist. Warum soll Kulturförderung nicht ebenso wichtig sein? Deshalb glaube ich, dass es natürlich auch um das Argument Geld geht. Hier, Herr Staatsminister, unseren Respekt und unsere Anerkennung für die 400 Millionen Euro, die zusätzlich in den Haushalt für Kultur gekommen sind. ({13}) Wir werden erst dann ganz glücklich sein, wenn wir wissen, wofür dieses Geld ausgegeben wird. Trotz allem: Es ist ein ausgesprochen gutes Zeichen. ({14}) - Mit dem Parlament zusammen, jawohl. ({15}) Wenn man sich die Angaben des Statistischen Bundesamtes genau ansieht - übrigens ist auch Rechnen eine Kulturtechnik -, dann kann man sehen, dass in den Ländern genau das Gegenteil passiert. Prozentual steigen zwar die Ausgaben - zumindest in den meisten Ländern; nur Mecklenburg-Vorpommern hat das nicht geschafft -, aber sie bewegen sich im marginalen Bereich. Die Hürde von 2 Prozent des Gesamtvolumens zu überschreiten, schaffen gerade einmal vier Länder in dieser Republik. Nominell aber sinken die Ausgaben für Kultur drastisch. Zwischen den Jahren 2001 und 2007 sind in der Bundesrepublik Deutschland 600 Millionen Euro weniger für Kultur ausgegeben worden, weniger für die Vielfalt, weniger für die Leistung von Kultur, die wir alle brauchen und das vor dem Hintergrund steigender Preise. Man kann das wesentlich besser volkswirtschaftlich ausdrücken: Im Jahr 2001 haben wir noch 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Kultur ausgegeben, jetzt geben wir 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür aus. Deshalb lautet meine dringende Bitte an Sie, Herr Staatsminister: Sagen Sie Ihren Landeskollegen bei nächster Gelegenheit bitte, dass man auch mehr Geld für Kultur ausgeben kann! ({16}) Man darf sich nicht allein dafür feiern lassen, dass man die Etats nicht senkt. Genau das erleben wir aber gerade in den Ländern. Dort ist man schon darüber glücklich, dass die Etats der Theater, Orchester, Museen und soziokulturellen Zentren auf niedrigstem Level nicht noch weiter gekürzt werden. Eigentlich wäre das Gegenteil notwendig. Wenn wir uns hier einig sind, dass Kultur wichtig ist und unsere Gesellschaft trägt, dann sollten wir auch übereinstimmend der Meinung sein, dass wir dafür Geld in die Hand nehmen müssen. Sonst funktioniert das nämlich nicht. Wir sind - das ist schon mehrfach gesagt worden am Ende der Arbeit der Enquete angelangt. Das heißt aber auch, dass wir am Beginn der politischen Umsetzung stehen. Denn die beste Analyse, der beste Bericht einer Enquete-Kommission als eine Art Politikberatung wird in der Gesellschaft nicht viel verändern - gerade dafür wurde die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ aber eingesetzt -, wenn wir nicht die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Es sollte uns daran gelegen sein, die Handlungsempfehlungen der Kommission in reale politische Veränderungen umzusetzen. Wenn wir es mit der Verantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden für die Kultur ernst meinen, dann müssen wir beginnen, an all diesen Punkten Veränderungen in Gang zu setzen. Zum einen können wir das hier im eigenen Hause tun. Zum anderen sind aber natürlich auch die Länder gefragt. Diesbezüglich geht mein Appell vor allem an die Kollegen der Großen Koalition; denn Sie haben ja im Moment noch - ich denke, das wird sich ändern - die beste Ausgangsposition, um politische Veränderungen in den Ländern zu erreichen. Deshalb mein dringender Appell an Sie: Fangen Sie damit an; unsere Unterstützung haben Sie! Danke schön. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Sachverständige! Zunächst geht mein ganz herzlicher Dank an Sie, Herr Präsident, zum einen für Ihre Vorbemerkungen heute Morgen zu Beginn der Debatte, zum anderen für die Ermöglichung dieser Debatte in der Kernzeit. ({0}) Es ist sehr schön, eine Kulturdebatte erleben zu können, während es draußen noch hell ist. Das würden wir uns wesentlich öfter wünschen. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank! Ich möchte mich auch ganz herzlich bei allen Sachverständigen bedanken. Sie gestehen es mir sicherlich zu, wenn ich unserem CSU-Sachverständigen, Hans Zehetmair, besonders herzlich danke, der sich durch seine Kompetenz und seinen Sachverstand in den letzten vier Jahren über alle Fraktionsgrenzen hinweg in unser aller Herzen „hineinsachverständigt“ hat. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch einmal der Kommissionsvorsitzenden ganz herzlich danken. Liebe Gitta Connemann, Sie haben in den letzten Jahren eine Mammutaufgabe erfüllt. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass eine Enquete-Kommission über zwei Legislaturperioden besteht. Es war auch keine Selbstverständlichkeit, dass diese Enquete-Kommission in dieser Legislaturperiode so ohne Weiteres fortgeführt werden konnte. Sie haben nicht nur mit sehr vielen verschiedenen Persönlichkeiten aus den Fraktionen sowie mit den Sachverständigen zu kämpfen gehabt, sondern - das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen - hatten auch ganz neue Herausforderungen dadurch zu bewältigen, dass die Regierung gewechselt hat und es in dieser Legislaturperiode eine Fraktion mehr im Bundestag gibt als in der letzten. Diese Herausforderungen haben Sie ganz herausragend gemeistert. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank, und zwar nicht nur von unserer Gesamtfraktion, sondern insbesondere von der CSU. ({2}) Das positive Signal, das davon für uns alle ausgeht, ist, dass man Kultur nicht an Wahlterminen und Farbkonstellationen ausrichten kann. Vielmehr wurde in den letzten vier Jahren eine sehr kontinuierliche Arbeit geleistet. Ich denke, darauf können wir alle stolz sein. Ich möchte mich auch bei den Mitarbeitern des Sekretariats bedanken, ganz besonders bei allen, die an der Endredaktion beteiligt waren. Ich glaube, dass die Endredaktion mit die schwierigste Arbeit war, weil es galt, alles unter einen Hut zu bekommen. Die Bestandsaufnahme war wirklich ein Mammutprojekt. Der Bericht der Enquete-Kommission umfasst mehr als 500 Seiten. Ich denke, es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass man ihn mit Stolz unter den Weihnachtsbaum legen kann. Oder man kann ihn sich im Anschluss an diese Debatte von der Vorsitzenden signieren lassen und ihn verschenken. ({3}) Der Schlussbericht beschränkt sich nicht auf Feststellungen, sondern gibt auch Empfehlungen. Da wir in einem föderalen Staat leben, richten sich diese Empfehlungen an viele Adressaten, auch an uns. Natürlich müssen auch wir Bundestagsabgeordnete uns an die Empfehlungen, die wir geben, halten. Aber ebenso sind die Länder und die Kommunen angesprochen. Alle gesellschaftlichen Bereiche in diesem Land leisten unglaubliche Arbeit, um die Kultur in Deutschland lebendig zu halten, um sie für alle erlebbar und erfahrbar, aber natürlich auch erschwinglich zu machen. Ich möchte fünf Punkte aus dem Bericht der Enquete-Kommission herausgreifen: das Ehrenamt, die ländlichen Regionen, die Kinder - sie wurden heute leider Gottes schon in einem nicht so schönen Zusammenhang angesprochen, Herr Kollege Otto -, ({4}) die Bibliotheken und den Spracherwerb. Zunächst zum Ehrenamt. Ich glaube, das Ehrenamt ist für die Kultur in Deutschland die zentrale Stütze. Wenn wir uns umschauen - die meisten von uns arbeiten ja auch in ländlich geprägten Regionen -, müssen wir doch feststellen: Wenn wir das Ehrenamt, den unentgeltlichen, uneigennützigen Einsatz nicht hätten, wäre es nicht möglich, die kulturellen Angebote, die unsere Kulturlandschaft ausmachen, so am Leben zu erhalten. ({5}) Die ländlichen Regionen werden oft übergangen, wenn es um Kultur geht. Oft wird etwas spöttisch auf diese Regionen geschaut, wird gedacht, die Hochkultur gebe es nur in Großstädten. Doch das ist mitnichten der Fall. Die meisten Menschen leben in ländlichen Regionen. Ich komme selber aus einem sehr ländlich geprägten Bereich. Auch in meinem Heimatwahlkreis leben Künstler, die man dort nicht vermuten würde; ({6}) man denkt ja oft, die Künstler leben nur in Großstädten. In meinem Landkreis wohnt ein weltweit bekannter Künstler: Herman de Vries. Er schätzt besonders die ländliche Ruhe, die Idylle. Wenn Ausstellungen von ihm in Paris stattfinden, denkt man nicht, dass er aus einem Ort kommt, der nur ein paar Hundert Einwohner hat. An diesem Beispiel kann man sehen, was für Schätze bei uns in den Regionen versteckt sind. ({7}) Ein weiteres Ziel, das uns sehr wichtig ist, besteht darin, die Kinder für die Kultur zu gewinnen. ({8}) Wir haben dazu sehr viele Veranstaltungen durchgeführt. Wir haben nämlich festgestellt, dass Kinder gerade im kulturellen Bereich begeisterungsfähig und wissbegierig sind. Ich möchte noch ein Projekt aus meiner Heimat herausgreifen. Dort werden Kinder-Kultur-Abos verkauft zu einem Preis, der unter dem von vier Kinobesuchen liegt. Unsere Bundesministerin Ursula von der Leyen hat dieses inzwischen bayernweite Projekt bereits ausgezeichnet. Dass der Bericht der Enquete-Kommission der Bedeutung der Kinder Rechnung trägt, ist auch daran zu sehen, dass die Kinder 388-mal erwähnt werden. Auch dafür noch einmal ganz herzlichen Dank! ({9}) Wir haben ein besonderes Kapitel zum Thema Bibliotheken eingerichtet. Denn das Lesen gehört ja sehr stark zu unserer Kultur. Bücher vermitteln unsere Sprache, unsere Kultur. Bibliotheken sind der zentrale Ort, um möglichst viele Kinder und Jugendliche zu erreichen. Sie bieten Lesungen und Veranstaltungen an, die insbesondere die Kinder ansprechen sollen. Jetzt komme ich zu einem weiteren Schwerpunkt, der eines meiner Herzensanliegen in dieser EnqueteKommission war: Auch für Migrantenkinder sind Bibliotheken eine gute Anlaufstelle, um unsere Sprache zu erlernen. Wie wichtig der Spracherwerb ist, wurde insbesondere in meiner Berichterstattung zu Interkultur und Migrantenkultur deutlich. Sie können sich sicherlich vorstellen, dass es nicht selbstverständlich war, dass wir bei dem Thema „Interkultur und Migrantenkultur“ zu einem einstimmigen Votum kamen. Dafür, dass es dennoch gelungen ist, möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Mitgliedern meiner Berichterstattergruppe bedanken. Denn der Spracherwerb ist nun einmal zentral für eine gelungene Integration. ({10}) Daraus ergibt sich auch unsere Handlungsempfehlung, aus der ich kurz zitieren möchte: Die Enquete-Kommission empfiehlt … die Rahmenbedingungen für das Erlernen der deutschen Sprache, die zentral für eine Integration von Migranten ist, zu verbessern. Sprachförderung ab dem frühen Kindesalter muss deshalb auch in Zukunft verstärkt unterstützt werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass die ganze Familie die deutsche Sprache erlernen kann. Sie empfiehlt die Förderung situationsangemessener Formen des Sprachenerwerbs. Neben der Sprachförderung sollten auch die deutsche Verfassung mit ihren Grundrechten und die Grundregeln der Rechtsordnung vermittelt werden. Ich denke, wir konnten hier einen wirklichen Meilenstein erreichen. Deswegen bin ich sehr dankbar und froh, dass wir diese Handlungsempfehlungen und diesen Bericht zum Thema Sprachenerwerb interfraktionell, mit allen Fraktionen gemeinsam, so vorlegen konnten. ({11}) Zum Schluss bleibt zu sagen: Vielen herzlichen Dank für die vergangenen vier Jahre. Ich habe dem Vorsitzenden der Blasmusik versprochen, das Wort „Blasmusik“ hier zu erwähnen, damit es heute auch einmal genannt wurde. ({12}) Da freut sich auch der direkt gewählte Abgeordnete des Berchtesgadener Landes. Ich denke, in diesem Sinne haben wir noch sehr viel zu tun. Ich freue mich, dass wir unsere Kultur im Anschluss an diese Debatte noch gemeinsam feiern können. Nehmen Sie das Angebot an: Nehmen Sie den Schlussbericht mit, und lassen Sie ihn von der Vorsitzenden signieren! Dann haben Sie ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für zu Hause. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bei aller Begeisterung für die Blasmusik weise ich vorsichtshalber darauf hin, dass es auf Kosten der Redezeit geht, wenn jetzt Kompensationsbedarf besteht und sämtliche Orchestergruppen einzeln erwähnt werden müssen. ({0}) Der nächste Redner ist der Kollege Christoph Waitz für die FDP-Fraktion. ({1})

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre zu denjenigen, die erst seit dieser Legislaturperiode und somit die zweite Hälfte der Kommissionsarbeit begleiten durften. Für mich war es ein spannender und sehr bereichernder Schnellkurs in Sachen Kulturpolitik. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich jedem, der einen Einstieg in die Kulturpolitik und in die aktuellen Handlungsfelder finden möchte, diesen Schlussbericht zur Lektüre empfehlen; denn - dies gerät in unserer Debatte ein wenig in den Hintergrund - dieser Bericht enthält zu einem großen Teil die Bestandsaufnahme der Kultur in Deutschland sowie eine Problembeschreibung, auf deren Basis wir die Handlungsempfehlungen, die schon jetzt im Mittelpunkt unseres Interesses stehen, entwickelt haben. Für mich als sächsischen Bundestagsabgeordneten war es bei meinen Schwerpunktsetzungen für die Arbeit innerhalb der Enquete-Kommission ganz wichtig, herauszubekommen, welche kulturpolitischen Themen für den Freistaat Sachsen von besonderer Bedeutung sind. Sie wissen, dass Sachsen mit dem Sächsischen Kulturraumgesetz eine Art Kulturverfassung hat, die in vielerlei Hinsicht vorbildhaft für den Rest Deutschlands sein könnte. ({0}) Für Sachsen gilt aber, was letztlich auch für die gesamte Bundesrepublik gilt: Die Kultur- und die Kreativwirtschaft sowie der Kulturtourismus haben noch viel zu viel ungenutztes Potenzial. Nicht nur in Leipzig, das weit über die Grenzen Deutschlands hinaus als Bach-Stadt und Stadt der alten und neuen Leipziger Malerschule bekannt ist, ist die Kultur ein wichtiger Identitätsfaktor und ein zentrales Element der Stadt- und Wirtschaftsentwicklung. Welche tatsächlichen wirtschaftlichen Effekte die Kultur hat, wurde in diesem Jahr am Beispiel der Kulturförderung für die Wirtschaft der Stadt Dresden untersucht. Das Ergebnis dieser Studie hinsichtlich der wirtschaftlichen Effekte ist beeindruckend: Die Ausgaben der Besucher in Dresden für Hotels, Restaurants, Verkehr usw., was auch zu zusätzlichen Steuereinnahmen führt, betragen circa 144 Millionen Euro. Bei einer staatlichen Förderung von circa 40 Millionen Euro ist das eine Rendite, die ansonsten nur mit gewagten Finanzspekulationen erreichbar wäre, mit dem kleinen Unterschied, dass sich die Bedeutung der Semperoper zum Beispiel für die Identifikation der Stadt und des Landes als zusätzlicher wirtschaftlicher Effekt auswirkt. ({1}) Dieses Beispiel, Herr Tauss, lässt sich nicht auf jedes kleine Theater übertragen. Dadurch wird aber mit dem verbreiteten Vorurteil aufgeräumt, dass Kultur vor allem Geld kostet. Einmal abgesehen davon, dass wir es uns gar nicht leisten könnten, auf die Kultur zu verzichten, wäre eine Vernachlässigung auch unter dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt kontraproduktiv. ({2}) Dies unter Beweis zu stellen und für jeden politischen Entscheidungsträger nachlesbar aufzuschreiben, war sicher auch ein Anspruch der Kultur-Enquete. Neben diesen grundsätzlichen Maßnahmen zur Förderung der Kulturwirtschaft, die sich in einem fraktionsübergreifenden Antrag, den wir hier neulich verabschiedet haben, wiederfinden, halte ich es für zentral, dass insbesondere Länder und Kommunen Kultur in einem verstärkten Maße als Alleinstellungsmerkmal für ihr Tourismusmarketing einsetzen. Wir brauchen in diesem Punkt eine viel stärkere Vernetzung zwischen der Tourismus- und der Kulturbranche und den politischen Entscheidungsträgern. ({3}) Eine Maßnahme, die die Kultur-Enquete vorschlägt, um den Wettbewerb zwischen den Kulturstädten Deutschlands zu befördern, ist die Ausschreibung eines Wettbewerbs unter dem Titel „Kulturstadt Deutschland“. Nach den überaus positiven Erfahrungen, die wir mit dem Wettbewerb um die europäische Kulturhauptstadt - und zwar ausdrücklich nicht nur für die Gewinner, sondern für alle Beteiligten - gemacht haben, kann ein solcher nationaler Wettbewerb nur förderlich und für andere Kommunen im besten Sinne des Wortes beispielgebend sein. Einen weiteren Themenkomplex möchte ich noch ganz kurz anreißen, weil er einen wichtigen Bereich behandelt und weil es in ihm einige Empfehlungen der Enquete-Kommission gibt, die sicherlich gut gemeint, aber nicht wirklich förderlich sind. Es geht um das Kapitel „Kultur in Europa - Kultur im Kontext der Globalisierung“. Die europäische Perspektive unseres nationalen Handelns steht hier außer Frage und ist ohne Alternative. Das Zusammenwachsen Europas wird in zunehmendem Maße zu einer europäischen Identität führen, die die nationale Identität jedoch nicht ersetzt, sondern ergänzt und erweitert. Allerdings sind die Empfehlungen des Europakapitels nicht ausnahmslos geeignet, einen hilfreichen Beitrag dazu zu leisten. Ein Beispiel dafür ist die Methode der offenen Koordinierung, über die in der Enquete-Kommission mehrfach diskutiert wurde. Ich glaube nicht, dass das Instrument der offenen Koordinierung in der Kulturpolitik tatsächlich praktikabel ist. Die Methode der offenen Koordinierung ermöglicht keine ausreichend demokratisch legitimierte Diskussion über die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen. Dies ist gerade im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip, welches mit der Methode der offenen Koordinierung unterlaufen wird, von großer Bedeutung. Ein weiteres Problem sehen wir bei dem UNESCOAbkommen zum Schutz des immateriellen Kulturerbes. Wir teilen im Grundsatz die Ziele des Abkommens und erkennen die Bedeutung des immateriellen Kulturerbes und dessen Bewahrung ausdrücklich an. Die vorgeschlagenen Institutionen und Maßnahmen stellen aber eine unnötige Bürokratisierung und Konservierung des kulturellen Lebens dar, der wir eine lebendige Weiterentwicklung des immateriellen Kulturerbes vorziehen. Wir als FDP-Fraktion werden mit großem Engagement die Umsetzung der Handlungsempfehlungen forcieren. Aber die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause sind - noch - relativ klar verteilt. ({4}) - Na, wir werden schauen. Die nächsten Wahlen kommen bestimmt. - Wir konnten gestern im Kulturausschuss deutlich erleben, dass die Koalition einem Antrag auch dann nicht zustimmen kann, wenn er der Regierungsposition eins zu eins entspricht. Das bedeutet für Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Union und der SPD, dass es unter diesen Bedingungen Ihre Aufgabe ist, die Themenfelder vorzubereiten und auch die Mehrheiten für die Umsetzung der Ergebnisse der Enquete-Kommission durchzusetzen. ({5}) Ein Thema der Enquete-Kommission steht schon jetzt auf der Tagesordnung des Bundestages: das Staatsziel Kultur. Die FDP-Bundestagsfraktion hat dazu Anfang 2006 einen Gesetzentwurf eingebracht. Nach wie vor harren wir der Entscheidung. Die SPD hat dem Staatsziel Kultur kürzlich zugestimmt. Jetzt fehlen noch Ihre Stimmen von der CDU/CSU. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSUFraktion, zeigen Sie, dass Sie es ernst meinen mit der Kulturförderung, ({0}) und stimmen Sie dem Staatsziel Kultur zu! Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Lydia Westrich für die SPD-Fraktion. ({0})

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Finanzpolitikerin in eine Enquete-Kommission zu kommen, ist erst einmal ein Kulturschock, besonders wenn diese Kommission „Kultur in Deutschland“ heißt. Ich bin gewöhnt, an Paragrafen und Details zu feilen. Bei den Finanzpolitikern entscheidet im Endeffekt meistens nur ein kleines Wort in einem Halbsatz eines Absatzes irgendeines Paragrafen in einem einzigen Gesetz über das Wohlergehen der Bürger unseres Staates. Dann kam die Enquete-Kommission ({0}) mit Sachverständigen, die reden und reden, die nicht nur ein Mitspracherecht, sondern auch ein Stimmrecht haben. Sie haben Ideen, die in der Paragrafenwelt nicht fassbar sind. Wo aber bleiben bei den vielen Reden die Fakten? Kunst heißt, wie mir ein Künstlerfreund gesagt hat, loszulassen und sich hinzugeben, sich auf Unbekanntes einzulassen. Da ich keine Künstlerin bin, habe ich zumindest versucht, mich auf das Thema „Kultur in Deutschland“ einzulassen, das mich als Bundes- und Kommunalpolitikerin brennend interessiert. Kaum war die innere Bereitschaft da, zeigten sich die Fakten. Aus den Reden ergaben sich Streitgespräche, Anhörungen der Betroffenen und Gutachten über viele Teilbereiche der immensen Schatzkiste, die wir in Deutschland haben. Was fangen wir bei immer knapper werdenden Kassen mit diesem Schatz an? Das herauszufinden, war unsere Aufgabe. Der großen Herausforderung, den Schatz zu mehren und ihn für künftige Generationen weiterzuentwickeln, statt ihn auszugeben, haben wir uns - jeder in seinem Bereich - gestellt. Das hat Spaß gemacht. Mein Bereich war die wirtschaftliche und soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern. Für Eingeweihte wird es weniger erstaunlich sein als für mich, dass ich jenseits des roten Teppichs, des Glitzerns und des Glamours der Feste schnell in sehr ernüchternde Lebensbiografien vorgestoßen bin. So ist die Hauptdarstellerin einer Soap, die täglich durch die Wohnzimmer flimmert, als alleinerziehende Mutter arbeitslos geworden, und sie muss immer wieder um ihr Arbeitslosengeld II kämpfen, weil ein Sachbearbeiter die Wiederholung eines ihrer Auftritte im Fernsehen gesehen hat, für die sie jedoch kein Geld bekommt. Bis das Arbeitslosengeld II dann wieder fließt, vergeht einige Zeit, in der sie kein Einkommen hat. Vor allem darstellende Künstler - die im Filmbereich tätigen Kulturschaffenden, Kameraleute usw. - haben zunehmend mit der Existenzsicherung zu kämpfen. Aus Kostengründen beschränken die Unternehmen der Filmwirtschaft, aber auch die Theater die Produktionszeiten auf das unumgängliche Maß. Die Beschäftigungszeiten werden auf wenige Drehtage mit immensen Überstunden begrenzt. Die Arbeitgeber sparen dadurch Beiträge zur Sozialversicherung. Zunächst hat auch der Künstler kurzfristig Vorteile wegen seines Spitzenverdienstes in diesen wenigen Tagen, und er bemerkt zu spät, dass ihm Sozialversicherungstage fehlen. Durch die Verkürzung der Rahmenfrist in der Arbeitslosenversicherung von drei auf zwei Jahre, innerhalb derer zwölf Monate versicherungspflichtige Zeiten als Voraussetzung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erbracht werden müssen, können immer weniger Schauspieler, Kameraleute, Toningenieure und Produzenten diesem Anspruch gerecht werden. Deshalb verlangt die Enquete-Kommission, eine Lösung für die Betroffenen zu finden. ({1}) Wir sind sehr zuversichtlich, bald zu einer Lösung zu kommen, seit auch unser Finanzminister Peer Steinbrück und unser SPD-Bundesvorsitzender Kurt Beck dieses Problem aufgegriffen haben. ({2}) Der Druck der Enquete-Kommission hat schon mehrfach gegriffen, zum Beispiel beim Erhalt der ZBF, der zentralen Vermittlungsstelle für Bühnen- und Filmschaffende, die der Bundesagentur für Arbeit angegliedert ist. Der Bundesrechnungshof, der diese Stelle kritisiert hat, hat genauso wenig wie viele andere begriffen, dass sich die Situation von Künstlerinnen und Künstlern durch ihren Tätigkeitswechsel von selbstständiger zu nichtselbstständiger Tätigkeit und von unständiger zu kurzfristiger Beschäftigung von anderen in hohem Maße unterscheidet. ({3}) Versuchen Sie zum Beispiel einmal, einen Tänzer zu vermitteln: Er hat keinen anerkannten Ausbildungsberuf und ist mit 30 Jahren gesundheitlich ruiniert. Seine Ausbildung war lang und teuer. Nun bleibt an der Jobbörse nur das Repertoire der Hilfsarbeiten für ihn übrig. Die Mitglieder der Enquete-Kommission werden auch darauf drängen, den Tanz als Ausbildungsberuf einzustufen und die Gründung einer Tanzstiftung zu forcieren. ({4}) Die zentrale Vermittlungsstelle für die Künstlerinnen und Künstler bleibt aber trotz der Rüge des Rechnungshofs erhalten, da ihr Spezialwissen und ihre Verbindungen natürlich nicht in jeder Agentur für Arbeit vorgehalten werden können. Arbeitslosengeld II, Arbeitsgelegenheiten, keine Ausbildung - das sind Worte, auf die wir im Zusammenhang mit Künstlerinnen und Künstlern normalerweise nicht kommen. Aber ich habe gelernt, dass gerade im Kulturbereich die Einkommensentwicklung besorgniserregend ist. Da die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstler und Kulturschaffenden häufig von der wirtschaftlichen Situation des öffentlichen Kulturbetriebs abhängt, unterliegen sie in schwierigen Zeiten immer als erste dem öffentlichen Sparzwang. Das gilt für Theater, Opern, Orchester, Museen, Bibliotheken, Musikschulen, sozio-kulturelle Zentren, den Film- und Medienbereich und viele andere. Die oft projektbefristete Anstellung ist leider die Regel. Schlecht bezahlte Volontäre ersetzen Museumspädagogen oder Bibliotheksmitarbeiter. Musiklehrer in die Selbständigkeit zu entlassen, ist bei vielen Kommunen leider gang und gäbe. Die Künstlersozialversicherung errechnet für ihre selbständigen Mitglieder Durchschnittsjahreseinkommen von 11 000 Euro. Da könnten wir glatt in eine Mindestlohndebatte einsteigen. ({5}) Das Problem ist, dass Kunst und Finanzen häufig nicht zusammenhängend betrachtet werden, weder von den Schöpfern der Kunstwerke noch von uns. Umso wichtiger ist die Empfehlung der Enquete-Kommission, schon bei der Ausbildung die Vermittlung von betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten einzubinden. Existenzgründung und erfolgreiche Betriebsführung müssen selbstverständlicher Teil des Studiums sein wie alle anderen Fertigkeiten. Das ist der richtige Weg bei der Ausbildung. ({6}) Aber auch die Wirtschaftsförderung muss sich auf die Bedürfnisse der Kulturschaffenden besser einstellen. Mit den Mikrokrediten haben wir einen Anfang gemacht. Dennoch sind die Bedürfnisse der Künstler für die meisten Wirtschaftsförderungsgesellschaften Fremdland, obwohl die künstlerische Arbeit, wie es Frau Bär beschrieben hat, als weicher Standortfaktor gerne mit Prestigegewinnen vermarktet wird. Es ist von uns, von der Enquete-Kommission, nicht zu viel verlangt, dass sich diese Wirtschaftsförderungsgesellschaften für diese Klientel passgenau einsetzen. ({7}) Als Steuerpolitikerin war ich natürlich auch für die steuerrechtliche Behandlung der Künstler- und Kulturberufe zuständig. Hierüber könnte ich eine Menge erzählen. Unser allgemeines Steuerrecht enthält bereits Regelungen, die die besondere Situation von Künstlern berücksichtigt und die der Förderung von Kunst und Kultur dienen. Doch gibt es immer wieder Fortentwicklungen, die noch längst nicht Eingang in die Gesetzgebungsmaschinerie gefunden haben. Unser verstorbener Bundespräsident Johannes Rau hat die Kunst als Lebensmittel bezeichnet. Dementsprechend werden Kunstwerke wie Lebensmittel bei der Umsatzsteuer nur mit dem ermäßigten Steuersatz versehen. Das muss nach dem Willen der Enquete-Kommission trotz immer wieder aufkommender Debatten auch weiter so bleiben. ({8}) Zusätzlich wollen wir den Zweig der längst etablierten Kunstfotografie in den Katalog der ermäßigten Steuersätze mit aufnehmen. Frau Bundeskanzlerin Merkel und Herrn Finanzminister Steinbrück sei gesagt: Was den Bergbahnen billig ist, das ist der Kunstfotografie schon lange recht. Darauf werden wir drängen. ({9}) Zur Künstlersozialversicherung muss ich noch ein paar Worte sagen, Herr Präsident. Dieses von Sozialdemokraten initiierte Sozialversicherungssystem, das im künstlerischen Bereich die Lebensrisiken wie Krankheit, Alter und Pflege auffangen soll, ist weiterhin Gott sei Dank in voller Blüte. Der Drang in diese Versicherung ist ungebrochen. Wir Mitglieder der Enquete-Kommission werden uns dafür einsetzen, dass der Bundeszuschuss zur Künstlersozialversicherung weiterhin stabil gehalten wird ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und dass wir mehr Vertragsgesellschaften zu Einzahlungen heranziehen. Dieses Thema, Herr Präsident, ist unerschöpflich, meine Redezeit leider nicht. Eines ist klar: Ohne Künstlerinnen und Künstler, ohne Kulturschaffende bräuchten wir das Thema Kultur gar nicht anzugehen. Deshalb darf der Spar- und Optimierungszwang, den ich auf allen Ebenen gar nicht abstreite, nicht alleine auf dem Rücken der Kulturschaffenden ausgetragen werden. ({0}) Alleine für diese Erkenntnis hat sich für mich die Einsetzung der Enquete-Kommission gelohnt. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Roland Claus, Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich schätze die Weisheit des Berichtes als einen Kulturkompass, wie Sie es genannt haben, Frau Vorsitzende. Ich finde, das ist ein schönes Wort. Leider versagt das große Werk aber völlig, wo es um die Bewertung von 40 Jahren deutscher Teilung geht. ({0}) Der Ansatz, Kulturgeschichte in die Kategorien Diktatur einerseits und Widerstand andererseits einzuteilen, geht fehl. Sprache ist verräterisch. Sie nennen diesen Abschnitt Nachwirkungen der deutschen Teilung. Nachwirkungen! Warum tun Sie das, obwohl Sie wissen, dass Sie damit vor allem im Osten der Republik an Zustimmung verlieren? Auch Sie haben erkannt, dass die Ostdeutschen nach über zehn Jahren ihr Selbstbewusstsein wiedergewonnen haben und deutlich artikulieren. Sie erzählen ganz entspannt über ihre Biografien, über ihr Leben in der DDR. Ihre Antwort, die Antwort der hier dominierenden Politik, ist eine politisch-kulturelle Diskriminierung und Delegitimierung der DDR. Das muss hier so deutlich festgestellt werden. ({1}) Die deutsche Kulturgeschichte von 1949 bis 1989 ist aber ein Abschnitt gemeinsamer deutscher Geschichte, trotz oder gerade wegen der Gegensätze. Beide deutsche Staaten haben sich bekanntlich politisch-kulturell in erheblichem Maße über ihre jeweilige Gegensätzlichkeit definiert. Beide waren mit Blick auf den anderen der Geist, der stets verneint. Damit waren die Wechselwirkungen aufeinander immer riesengroß, und das selbst in den eisigsten Zeiten des Kalten Krieges.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Claus, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bär?

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gerne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Frau Bär.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, finden Sie es gerechtfertigt, hier zu sprechen, obwohl Sie kein einziges Mal in der EnqueteKommission anwesend waren, geschweige denn sich jemals mit diesem Thema befasst haben? Finden Sie es gerechtfertigt, Ihre heutige Redezeit als kommunistische Plattform zu missbrauchen? ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich beantworte Ihre beiden Fragen jeweils mit Ja. Selbstverständlich finde ich es gerechtfertigt, dass ich mich mit Ihrem Bericht befasse. Sie sollten sich das auch wünschen. ({0}) Wenn sich Ihre Logik darin erschöpfte, dass nur diejenigen über den Schlussbericht der Enquete-Kommission reden dürften, die ihr auch angehörten, stellten Sie sich kulturell ein Armutszeugnis aus. ({1}) Was ich in der Sache darlegen und ausführen will, hat mit der Würdigung dessen zu tun, was an kulturellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden in 40 Jahren deutscher Teilung zu besprechen ist. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Die kleine, so subversive DDR hat es sogar geschafft, mehr Heinrich-Böll- und SiegfriedLenz-Bücher zu verkaufen als die Bundesrepublik Bücher von Stefan Heym und Christa Wolf. Ich glaube, das hatte auch etwas mit den Preisen zu tun. Sie müssen keine Sorge haben. Ich habe zu viele persönliche Freunde aus Kultur und Kunst an den Westen verloren, um mir die DDR schönzureden. Aber ich behaupte: Der kulturelle Lebensalltag in der DDR war dem kulturellen Lebensalltag Österreichs ähnlicher als dem kulturellen Lebensalltag Rumäniens. Die DDR hat 1990 kulturell vieles in die Einheit eingebracht - die Zahlen in Ihrem Bericht belegen das -, vor allem das Selbstverständnis, Kultur und Bildung sozial nicht zu teilen; sie sollen allen zugänglich sein. Ich finde, dass diese Osterfahrungen, insbesondere Erfahrungen aus der DDR, aber auch Erfahrungen mit gesellschaftlicher Transformation gegenwärtig brachliegen und nicht von dieser Gesellschaft genutzt werden. ({2}) Deutschsprachige Rockmusik war eher und mehr ost- als westdeutsch. Ich sage das trotz oder wegen großer Zuneigung zu Heinz Rudolf Kunze, Nena, Klaus Lage und anderen. Dass viele Ostrocker in den Westen gingen, lag nicht daran, dass sie den Westen so toll fanden, sondern daran, dass sie nicht aushalten konnten, wie wir in der DDR den Sozialismus vergeigt haben. Anna Seghers, Erwin Strittmatter, Willi Sitte, Konrad Wolf, Hermann Kant haben Millionen fasziniert. Ihre Verbundenheit mit der DDR genügt heute aber, sie kulturhistorisch zu verbannen. In Deutschland ist der Zugang zu Bildung und Kultur heute in zunehmendem Maße von sozialen Unterschieden beeinflusst. Das nenne ich kulturfeindlich. ({3}) Wo gesellschaftlicher Reichtum und - noch schneller die Kinderarmut größer werden, ist kultureller Notstand nicht weit. Noch immer sind Zeit und Chance zur Umkehr. Mit historischem Abstand wächst zuweilen die Souveränität, mit Geschichte umzugehen. Deshalb fordere ich noch einmal dazu auf, kulturelle, mentale Unterschiede zwischen Ost und West als Herausforderung für die Kulturpolitik zu begreifen und sie nicht schlechthin zu überwinden. Diese Unterschiede sollten wir als Chance begreifen. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jo Krummacher ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Johann Henrich Krummacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003793, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Zweifelsfrei ist Kultur eine jener elementaren Kohäsionskräfte, die gesellschaftliches Leben und ein Dasein im Miteinander überhaupt erst ermöglichen. Insofern ist Kultur wie das täglich Brot oder die Luft, die wir atmen. ({0}) Denn was wäre dieses Land ohne die Sprache der Lutherbibel, ohne Beethovens Neunte, ohne Schillers Räuber, ohne die Bilderwelt von Lucas Cranach oder Georg Baselitz? Was wäre es ohne die Berliner Museumsinsel oder ohne einen Film wie Das Leben der Anderen? Was ohne die Gedichte eines Friedrich Hölderlin oder eines Heinrich Heine? Was ohne die vielen Musikvereine und Theatergruppen? Was ohne das Engagement der Kirchen, vom Mittelalter über die Neuzeit bis hin zur Gegenwart? Nebenbei bemerkt: Die Enquete-Kommission konnte feststellen, dass die beiden großen christlichen Kirchen in unserem Land mehr für die Kulturförderung ausgeben als die öffentliche Hand. ({1}) Was also wäre dieses Land ohne seine kulturelle Vielfalt? Folgerichtig hat die Arbeit der Enquete-Kommission dazu beigetragen, den Reichtum unserer Kulturlandschaft zu erfassen. Aus der Mitte des Bundestages, unter Mitwirkung namhafter Sachverständiger und natürlich auch unter Einbeziehung der Länder ist eine umfassende Bestandsaufnahme gelungen, die die Kultur noch stärker in das Zentrum des politischen Bewusstseins rückt. Neben dieser umfassenden und deutlichen Bestandsaufnahme ist der Bericht der Enquete-Kommission aber auch mit konkreten Empfehlungen verbunden: mit klaren Aufforderungen an alle staatlichen und gesellschaftlichen Akteure, Kultur quasi immer mitzudenken und in das Alltagshandeln zu integrieren. Dabei fangen wir nicht bei null an. Mit Staatsminister Bernd Neumann haben wir auf Bundesebene einen engagierten Fürsprecher und Motor für kulturelle Belange. ({2}) Im Bundesministerium für Bildung und Forschung ist die Kultur ebenfalls präsent, von der Förderung der Geisteswissenschaften bis hin zur Grundlagenforschung. Auch sonst hat die Bundesregierung stets bewiesen, dass die Kultur bei ihr in guten Händen ist. Nein, wir fangen wirklich nicht bei null an. Aber gerade deswegen kommen wir gemeinsam und auf der Grundlage des Berichts der Enquete-Kommission noch viel weiter. Aus Sicht der Union war von Anfang an wichtig, der Breite des kulturellen Spektrums gerecht zu werden und gleichzeitig auf die entsprechende Schärfentiefe zu achten. Kulturelle Bildung muss insbesondere für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen eine Kernaufgabe sein. ({3}) Kultur macht nicht an Grenzpfählen halt, und darum betreffen die empfohlenen Weichenstellungen auch die europäische und die internationale Ebene. Genauso richtet sich der Blick auf die gesellschaftlichen und lokalen Wurzeln der Kultur. Alle kulturschaffenden, alle kulturfördernden und alle kulturtragenden Kräfte sollen sich möglichst frei entfalten können. ({4}) Bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement sind tragende Pfeiler der Kultur in Deutschland, und viele Empfehlungen setzen zu Recht genau hier an. Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und den Privaten - aber ebenso zwischen Bund, Ländern und Kommunen - sind geeignet, auch in Zukunft eine kulturelle Infrastruktur auf höchstem Niveau zu gewährleisten. ({5}) Kurz: Die Faktoren gegenwärtiger Kulturpolitik wurden präzise erfasst und die Perspektiven der zukünftigen Kulturpolitik ebenso plausibel wie vielversprechend skizziert. Jetzt haben wir eine klare Vorstellung, und gut vorbereitet gehen wir an die Umsetzung. Die Zahlen sind genannt worden, aber die Wiederholung des Bedeutsamen hilft der Wahrnehmung: vier Jahre Arbeit, über 400 Handlungsempfehlungen, eingebettet in 1 200 Seiten Bestandsaufnahme. Das ist der Bericht der Enquete-Kommission, mit dem sich auch der Bund als Akteur der Kulturpolitik zu Wort meldet, nicht als föderaler Besserwisser im bestehenden Gefüge, sondern als echter Partner. Insofern gleicht der Bericht der Enquete-Kommission einer Partitur, durch die das kulturelle Geschehen überschaubar wird. Das zu spielende Werk richtet sich nicht an einen Solisten, sondern zielt auf ein harmonisches Ineinandergreifen der verschiedenen Akteure. Wir haben die Chance auf ein neues, prosperierendes kulturelles Miteinander. Wenn wir alle die Bewahrung, Weitergabe und Förderung der Kultur weiterhin als etwas Essenzielles begreifen, dann wird sich auch der zukünftige Einsatz wirklich lohnen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Keskin ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit sehr viel Sachverstand und Engagement konnte die Enquete-Kommission zur Migrantenkultur/Interkultur eine sehr gelungene Arbeit leisten. Der Bericht wurde von allen Fraktionen gemeinsam beschlossen. Auch ich möchte mich ganz herzlich bei allen Beteiligten bedanken. Die kulturelle Vielfalt Deutschlands wird von der Kommission als eine Realität, als Fakt anerkannt, und zwar von allen Fraktionen, auch von der Union. Das ist ein Novum. Ich begrüße diesen Fortschritt. Bekanntlich haben wir über die Tatsache, dass Deutschland längst eine multikulturelle Gesellschaft geworden ist, jahrzehntelang kontrovers diskutiert. Nunmehr musste diese Erkenntnis als gemeinsame Position auch von der Union öffentlich mitgetragen werden. Die Kommission kommt einstimmig zu der Feststellung, dass die Kulturen der Migrantinnen und Migranten als Bestandteil der Kultur in Deutschland und als Bereicherung für Deutschland zu bewerten sind. Ausdrücklich wird diese kulturelle Vielfalt bejaht und begrüßt. Die Enquete-Kommission stellt weiterhin fest, dass es gerade die kulturelle Vielfalt ist, die den Reichtum der Kultur in Deutschland ausmacht. Es wird daher unterstrichen, dass die unterschiedlichen Kulturen in Deutschland gleichberechtigt gefördert werden müssen. Die Integration funktioniert nicht von selbst. Der Staat und die Mehrheitsgesellschaft sind hier gefordert, aktiv tätig zu werden. ({0}) Rechts- und Sozialstaat, Geschichte und Sprache müssen aktiv und wechselseitig vermittelt werden. Auch in der Bildungspolitik muss eine Kehrtwende vollzogen werden, damit die Menschen von den Chancen der kulturellen Vielfalt profitieren können: Interkulturelle Bildung und Erziehung müssen so ausgerichtet werden, dass die Ressourcen der Menschen in vielfältiger Weise zur Geltung kommen können. Selbstverständlich gehört neben dem Erlernen der deutschen Sprache auch das Erlernen der Muttersprache der Migrantenkinder zu diesen Bildungsansätzen. Wissenschaftlich wurde bewiesen: Wer seine Muttersprache gut beherrscht, kann auch die deutsche Sprache leichter erlernen. Aus dieser Tatsache müssen die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. ({1}) Der überparteiliche Konsens, der sich im Bereich der Kulturpolitik erfreulicherweise herstellen ließ, sollte Anreiz und Ermutigung auch für andere Politikbereiche sein. Es ist nicht nur im Hinblick auf die Integration erforderlich, sondern auch ein Gebot der Demokratie, Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben oder sogar hier geboren und aufgewachsen sind, die vollen bürgerlichen Rechte zu gewähren. ({2}) Daher fordert die Linke, dass der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft auch unter Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit erleichtert wird. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Simone Violka ist für die SPD-Fraktion die nächste Rednerin. ({0})

Simone Violka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003250, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren Sachverständige! Wenn wir über Kultur in Deutschland sprechen, dann dürfen wir die Auswirkungen des demografischen Wandels auch auf den kulturellen Bereich nicht außer Acht lassen. Deshalb stand für uns, die Mitglieder der Enquete-Kommission, nie zur Debatte, wie viel Kultur wir uns in Zukunft noch leisten können; vielmehr ging es um die Frage, welche Herausforderungen unsere Gesellschaft bewältigen muss, damit die Kulturlandschaft in Deutschland nicht nur erhalten wird, sondern sich auch weiterhin mannigfaltig entwickeln kann. Da sich der demografische Wandel in den Regionen unterschiedlich vollzieht, gibt es bisher noch keine flächendeckenden politischen Lösungsansätze für die perspektivische Lösung dieses Problems. Es gibt Regionen, viele davon im Osten Deutschlands, die sich schon seit Jahren in einem solch enormen Strukturwandel befinden, dass dort auf politischer Ebene und auf der Ebene der Kulturschaffenden bereits reagiert wird bzw. reagiert werden musste. Auf den dortigen Erkenntnissen kann man deutschlandweit aufbauen. Die neuen Länder haben eine alte, vielfältige Kulturlandschaft in das vereinigte Deutschland eingebracht. Ich würde mich freuen, wenn auch Dresden seiner Verantwortung gerecht würde und ein Weltkulturerbe nicht weniger schätzte als eine Brücke. ({0}) Die Erhaltung des Kulturguts und die Förderung kultureller Infrastruktur in den neuen Ländern liegen trotz unterschiedlicher gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in gesamtdeutscher Verantwortung. Da hierfür Geld benötigt wird, empfiehlt die Enquete-Kommission Bund und Ländern, die Verwendung von 2 Prozent der in Korb II bis 2019 als zweckgebundene Zuweisungen des Bundes zur Verfügung stehenden Mittel für die Kultur in den neuen Ländern verbindlich festzuschreiben. ({1}) Das sogenannte Leuchtturmprogramm hat sich als Erfolg erwiesen. Deshalb empfehlen wir, das in den neuen Ländern bewährte Programm auf den gesamten Staat auszudehnen. ({2}) Aufgrund der gesellschaftlichen Umstrukturierung sind vor allem ländliche Regionen einer enormen Bevölkerungsausdünnung ausgesetzt, die die Gefahr mit sich bringt, dass es dort kein flächendeckendes kulturelles Angebot mehr gibt. Das bedeutet für die Menschen, die dort leben, nicht nur lange Wege zur Kultur, sondern auch, dass ihre Regionen zunehmend an Attraktivität verlieren, was dann häufig noch mehr Ausdünnung nach sich zieht und damit ein immer geringeres Angebot an Arbeitsplätzen zur Folge hat. ({3}) Gleichzeitig müssen aber viele Steuergelder aufgewendet werden, um für die immer geringer werdende Zahl von Menschen lebensnotwendige Infrastrukturen zu erhalten. Nun könnte man ja auf den Gedanken kommen, dass, wenn es weniger Menschen gibt, auch weniger Kultur benötigt würde. Das ist meiner Meinung nach der falsche Ansatz; denn es ist festzustellen, dass sich nur ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung als Kulturkonsument sieht. Dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren fast gleich geblieben. Hier muss angesetzt werden; denn hier liegt ein enormes Potenzial für die Kultur brach. Das kann aber nur über ein ansprechendes und vor allem nahes kulturelles Angebot und - das darf in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen werden eine bessere kulturelle Bildung genutzt werden. Diese stellt nämlich eine Grundlage für wachsendes Interesse an Kultur dar. ({4}) Bei der Kultur im ländlichen Raum spielt das bürgerschaftliche Engagement eine besonders große Rolle. Es gibt bereits Regionen, in denen das kulturelle Angebot ausschließlich auf den Schultern von engagierten Bürgerinnen und Bürgern und dort lebenden Künstlerinnen und Künstlern liegt. Dabei sind auch Laienkultur und Brauchtum ein selbstverständlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Kulturlandschaft. Deutschland wäre ein kulturell armes Land ohne die Tausenden Orchester, Chöre, Theater- und Tanzgruppen und Kulturvereine. Deshalb ist es notwendig, die Rahmenbedingungen für diese Gruppe zu garantieren und auch zu verbessern. Dank eines ausgeprägten Engagements von Künstlerinnen und Künstlern, aber auch von Kunst- und Kulturinteressierten finden wir auch in ländlichen Regionen ein vielseitiges Kulturangebot vor. Dieses Angebot zu erhalten, ist eine Herausforderung in Zeiten, in denen die Gelder für kulturelle Angebote in den Haushalten immer knapper werden. Das größte Problem hierbei ist aber oft nicht zu wenig Geld, sondern eine zu unstete Förderung, die oftmals von Jahr zu Jahr völlig offenlässt, ob überhaupt weiter gefördert wird und, wenn ja, in welcher Höhe. Als Schirmherrin eines solchen Festivals, nämlich des von Wustrau, weiß ich, wovon ich rede. Trotz unglaublichen Engagements und - das ist in Kulturkreisen leider oft der Fall - einer unglaublichen Bereitschaft zur Selbstausbeutung bei den Künstlerinnen und Künstlern stehen wir leider Jahr für Jahr vor der Frage, wie lange wir das durchhalten. Das könnte durch eine langfristige Planung bei den einzelnen Engagements verhindert werden. Wenn dann gleichzeitig noch alle Ressourcen ausgeschöpft würden, könnte auch eine möglichst hohe finanzielle Unabhängigkeit erreicht werden. Einen Ausgleich über Sponsoring oder Mitgliedsbeiträge zu erreichen, ist vor allem in ländlichen Regionen kaum möglich, weil viele bereits in mehreren Vereinen engagiert und am Ende ihrer finanziellen Möglichkeiten sind. Für überregional agierende Firmen und Konzerne ist der ländliche Raum für Sponsoring meist unattraktiv, weil zu wenige erreicht werden und es kein überregionales mediales Interesse gibt. Um solche Lücken zu schließen, müssen öffentliche Gelder so effektiv wie möglich eingesetzt werden. Eine Lösung sehen wir in der Enquete-Kommission in der Schaffung einer Kulturentwicklungsplanung; dieser muss aber eine genaue Bedarfsanalyse vorausgehen, in der es an erster Stelle nicht um Mitteleinsparung, sondern um Erhalt durch Anpassung und Veränderung geht. Solch eine Kulturentwicklungsplanung kann aber auch nur dann ein wirklicher Erfolg werden, wenn kulturelle Institutionen stärker kommunen- und gegebenenfalls auch länderübergreifend genutzt werden. Auch der Zusammenschluss und die Mehrfachnutzung von spartenübergreifenden Kulturstätten kann eine Möglichkeit zur Lösung der anstehenden Probleme darstellen. ({5}) Doch das setzt voraus, dass zum Beispiel vorhandene Konkurrenzsituationen zwischen Städten und ländlichem Raum ebenso überwunden werden müssen wie die zwischen öffentlich finanzierten Einrichtungen und Programmen. ({6}) Deshalb sollte sich eine effektive Kulturentwicklungsplanung nicht nur an den Einrichtungen, sondern auch an den Nutzern ausrichten. Wichtig ist hierbei auch eine langfristige Sicht. Momentan gibt die ältere Generation, deren Anteil an der Gesamtgesellschaft immer größer wird, überdurchschnittlich viel Geld für Kultur aus. Doch es wäre kurzsichtig, nur darauf zu setzen. Denn wenn das so bleiben soll, muss auch die jüngere Generation sie ansprechende kulturelle Angebote erhalten. Wer als junger Mensch keinen Zugang zur Kultur findet, wird diesen im Alter nicht automatisch von selbst finden. ({7}) Dabei ist die Förderung der kulturellen Bildung unerlässlich, wobei allerdings keine Verteilungskonflikte zwischen den Generationen geschaffen werden sollten. Nur so bedeuten sinkende Bevölkerungszahlen nicht gleichzeitig auch eine geringere Nachfrage nach kulturellen Angeboten. Deshalb ist ein demografischer Wandel kein unwiderlegbares Argument für den Rückbau kultureller Infrastruktur, sondern stellt eine lösbare gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar, zu deren Bewältigung ich hiermit alle aufrufe. Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält der Kollege Wolfgang Börnsen für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei einer Parlamentsdebatte über Kultur ist es beruhigend, einen Parlamentspräsidenten im Nacken zu wissen, ({0}) der ein großes Herz für die Kultur hat. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bedanke mich sehr, weise aber darauf hin, dass dies die Redezeit nicht verlängert. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deutschland ist ein Kulturstaat; wir sind ein Kulturstaat. Unsere Kulturlandschaft gehört zu einer der vielfältigsten und einzigartigsten in der Welt. Wir sind reich an Kultur, und wir wollen das auch bleiben. Diese besondere Kulturqualität beruht auf der Kreativität, dem Einsatz, dem Ideenreichtum, dem Fleiß und der Mitverantwortung von Hunderttausenden von Kulturschaffenden, Künstlern, von Professionellen und Laien, von Vereinen und Verbänden, von den Kirchen und Tausenden von Bürgerinitiativen. Sie sind das Salz in unserem Kulturstaat. ({0}) Ich komme, wie auch du, Grietje, aus dem Wahlkreis 1, Flensburg-Schleswig, ganz oben im Norden der Republik, südlich von Kopenhagen. Am zweiten Adventssonntag nahm ich an einem Chorkonzert in meiner Heimatkirche teil. Allein an diesem Tag konnte ich zwischen 80 verschiedenen Angeboten auswählen: Da gab es Orgel- und Orchesterkonzerte, Rock, Pop, Jazz zum Advent und viel Chorgesang. Kulturverantwortliche gehen davon aus, dass pro Veranstaltung mit etwa 100 Besuchern zu rechnen ist. Das heißt, 8 000 Bürgerinnen und Bürger zwischen Schlei und Förde haben an diesem Sonntag Kultur genossen. So war es an diesem Tag auch in Görlitz, in Greifswald, in Goslar, in Rottweil-Tuttlingen, in Leer und in vielen anderen Teilen unserer Republik. ({1}) Hochgerechnet waren an diesem Sonntag bundesweit über 2 Millionen Menschen in unserem Land kulturaktiv.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne. Er ist auch ein Schleswig-Holsteiner. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Wolfgang Börnsen, du hast deinen Wahlkreis Flensburg-Schleswig und die vielen Veranstaltungen dort erwähnt. Das gibt mir Veranlassung, direkt hierzu eine Frage zu stellen: Kannst du mir erklären, warum es notwendig ist, dass dänische Künstler, wenn sie bei der dänischen Minderheit auftreten, in die Künstlersozialversicherung einzahlen müssen?

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gibt ein gemeinsames Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark, in dem das so festgelegt ist. Es wird aber zu einer Überarbeitung kommen. Das haben wir auch in den Enquete-Bericht aufgenommen. Denn wir glauben, dass wir in Europa grenzübergreifend zu einheitlichen und verbesserten Maßstäben kommen müssen, was die Künstlerförderung angeht. ({0}) Wolfgang Börnsen ({1}) Ich möchte mit meiner Rede fortfahren. Auch wenn Sport und Freizeit in unserem Land Spitzenplätze einnehmen, ist doch der aktive Kulturbezug in unserem Land unübersehbar. Keine Bundesliga hat bisher die Besucherrekorde in unseren Museen schlagen können. So soll es auch bleiben. Beides bereitet Vergnügen, wenn die Qualität stimmt. Ich bleibe beim Beispiel Musik. Um zu verdeutlichen, welche Kulturkraft es in unserem Land gibt, will ich darauf aufmerksam machen, dass über 5 Millionen Menschen in unserem Land aktiv Musik betreiben: in über 50 000 Chören, in 750 Sinfonie- und Staatsorchestern - nirgendwo in Europa gibt es mehr - und in fast 50 000 Rock-, Pop- und Jazzbands. Wir haben eine großartige Kulturszene in Deutschland. ({2}) Allein in diesem Bereich befinden wir uns in einem blühenden, lebendigen Kulturgarten, der aber gepflegt, gefördert und beachtet gehört. Dafür tragen alle staatlichen Ebenen eine Mitverantwortung, aber auch wir Bürger selbst. Deutschland ist ein Kulturstaat. Wer sich als solcher versteht, hat daraus Konsequenzen zu ziehen, mahnt die Enquete-Kommission und erinnert daran, 2 Prozent aller Ausgaben, wie im Freistaat Sachsen praktiziert, für die Kultur bereitzustellen. Überall in Deutschland sollte eine solche Selbstverpflichtung Schule machen. ({3}) Im Großraum Essen ist vorgesehen, dass jeder Jugendliche, jeder Schüler ein Instrument erhält. Auch das sollte bundesweit praktiziert werden. ({4}) Die kulturelle Bildung zur Kernaufgabe in den Schulen zu machen, ist selbstverständlich. Die soziale Lage der Künstler und Kulturschaffenden grundsätzlich zu verbessern, tut weiterhin not. ({5}) Der Laienkultur den gleichen Stellenwert einzuräumen wie der Spitzenkultur, ist richtig. Beide sind bedeutsam; beide gehören gefördert. ({6}) Die Kreativ- und Kulturwirtschaft - mit 800 000 Arbeitsplätzen ein Jobmotor in unserem Land - weiterhin zu forcieren, auch das ist notwendig. Und: Die Bedeutung und den Wert der deutschen Sprache mehr bewusst zu machen, auch das haben wir in Zukunft zu tun. ({7}) Nun wird eingewandt, diese und die weiteren 455 Empfehlungen der Enquete-Kommission könnten nur ernsthaft umgesetzt werden, wenn die Kultur zum Staatsziel erhoben wird - zu einem Ziel ohne rechtliche Konsequenzen. Derzeit konkurriert die Kultur mit weiteren Staatszielforderungen in Bezug auf den Sport, den Schutz der Kinder, die Generationengerechtigkeit, die Anerkennung autochthoner Minderheiten und viele Bereiche mehr. Unser Grundgesetz ist jedoch kein Warenhauskatalog. ({8}) Seine Qualität, seine Autorität, seine Zeitlosigkeit beruhen auf der Konzentration auf Kernaussagen. Eine Vervielfachung der Staatsziele lehnen wir ab. Kultur ja! Eine Alibifunktion der Kultur ist jedoch nicht vertretbar. ({9}) Mir ist eine Taube in der Hand lieber als ein Kulturspatz auf dem Dach. Gut 90 Prozent der Kulturverantwortung liegt bei den Ländern, Städten und Gemeinden. In 15 Landesverfassungen ist die Kultur eine fundamentale Aufgabe des Staates und hat den Anspruch, gefördert zu werden. Dies wird auch ganz deutlich umgesetzt. Wir selber im Deutschen Bundestag haben 1990 die Kultur zur Staatsaufgabe gemacht; daran muss erinnert werden. Das war an dem Tag, als das Parlament dem Einigungsvertrag zugestimmt hat. Dort heißt es in Art. 35 wörtlich: In den Jahren der Teilung waren Kunst und Kultur - trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten in Deutschland - eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation. Sie leisten im Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag. Es heißt weiter: Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands in der Welt hängen außer von seinem politischen Gewicht und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab. Dieser Dreiklang ist gemeint: Politik, Wirtschaft und Kultur. Kultur ist auf Augenhöhe zu sehen. Der Bezugspunkt für den Begriff „Kulturstaat“ ist in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. März 1974 festgelegt worden. Darin ist, ausgehend von Art. 5 des Grundgesetzes, die Freiheit der Kunst als normative Wertentscheidung ausgelegt worden. Im Hinblick auf den Begriff „Kulturstaat“ ist damit eine ungeschriebene Staatszielzuordnung vorgenommen worden. Die Mehrzahl der Rechtsexperten in unserem Land bestreitet die verfassungsähnliche Bedeutung des Einigungsvertrages trotz seiner Endlichkeit nicht. Die Kultur in Deutschland hat also eine eindeutige Rechtsgrundlage. Kulturstaat zu sein, schließt den Anspruch auf Förderung ein. Kulturstaat zu sein, bedeutet, dass der rechtliche Rahmen von uns entsprechend gesetzt werden muss. Das tun wir. Dieses Prinzip hat die Enquete-Kommission geleitet, als sie beschlossen hat, den Rechtsanspruch der Kultur herauszustellen. Für uns als Christdemokraten gelten weiterhin die vier Prinzipien Dezentralität, Subsidiarität, Pluralität und Wolfgang Börnsen ({10}) Partizipation. Wir sagen: Kultur und Kunst haben einen Anspruch auf Freiheit, aber auch einen Anspruch auf Förderung. Sie haben einen Anspruch darauf, dass wir als politisch Verantwortliche an ihrer Seite stehen. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, ich muss Sie im Sinne des Herrn Präsidenten nun doch mahnen, Ihre Redezeit einzuhalten.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. Wir alle haben eine Aufgabe. Wir wissen: Wer die Kultur fördert, fördert starke Persönlichkeiten, fördert Kritik, Courage und Selbstbewusstsein. Wer solche Persönlichkeiten fördert, fördert und stärkt die Demokratie. Das heißt, Kulturförderung ist auch Demokratieförderung. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Steffen Reiche, SPD-Fraktion. ({0})

Steffen Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In genau 20 Minuten unterschreiben die 27 Staats- und Regierungschefs in Lissabon den Reformvertrag. Europa schafft sich mit dem Vertrag von Lissabon eine neue, bessere Grundlage. Europa bewegt sich. Europa bleibt interessant. Deshalb bin ich dankbar, dass der Bericht der Enquete-Kommission ein eigenes Kapitel zur politischen Behandlung der Kultur in Europa enthält. Das ist eine wesentliche Entscheidung. Es ist mehr gelungen als erwartet. Für den europäischen Traum, für das europäische Projekt brauchen wir etwas, was die Herzen der Menschen bewegt. Kultur bewegt die Menschen. Wir haben eine europäische Kultur. Das Problem ist aber, dass wir sie oft nicht sehen, wenn wir in Deutschland oder Frankreich sind. Wim Wenders hat das neulich in Berlin auf eindrucksvolle Weise formuliert. Er hat gesagt: Hier, in Berlin, bin ich Deutscher, inzwischen von ganzem Herzen. Aber kaum ist man in Amerika, sagt man nicht mehr, man sei aus Deutschland, Frankreich oder woher auch immer. Man kommt aus „Europa“ oder kehrt dorthin zurück. Für die Amerikaner ist das der Inbegriff von Kultur … Das Einzige, was ihnen einen Minderwertigkeitskomplex einjagt. Und zwar einen permanenten. Und auch aus Asien oder gar anderen Teilen der Welt aus gesehen erscheint Europa wie eine Bastion von Menschheitsgeschichte, Würde und, ja, wieder dieses Wort: der Kultur. Europa hat eine Seele, oh ja, die muss man unserem Kontinent nicht erst geben. Die hat er schon. Das ist nicht seine Politik und nicht seine Wirtschaft. Das ist in erster Linie seine Kultur. ({0}) Wir können und wollen Europa mit der Kultur eine Seele geben. Es gibt ein wunderbares Bonmot von Jean Monnet. Er hat gesagt, wenn er Europa noch einmal begründen könnte, würde er mit der Kultur beginnen. Wir können das zwar nicht, aber wir können der Kultur bei der Weiterentwicklung Europas eine größere Bedeutung beimessen als bisher. Europa lebt von der Vielfalt der Kulturen. Europa lebt von seiner Kultur und durch seine Kultur. Europa ist räumlich winzig, aber kulturell ein Riese. Die europäische Kultur ist ein Quartett: Die lokale Ebene, die regionale Ebene, die nationale Ebene und die kontinentale Ebene haben etwas beizutragen. Die Gewichtung der einzelnen Ebenen ist zwar unterschiedlich, aber sie nehmen sich gegenseitig nichts weg. Bis vor kurzem wurde noch gesagt: Europäische Kulturpolitik kann es nicht geben. Weil es europäische Kultur gibt, kann, darf und muss es aber auch europäische Kulturpolitik geben. ({1}) Wir haben in den letzten Jahren das Wachsen einer nationalen Kulturpolitik erlebt. Das war zwar ein schwerer Kampf, aber den Ländern ist nichts genommen worden. Heute erleben wir das Entstehen einer europäischen Kulturpolitik. Sie nimmt den Nationen nichts, will nicht an die Stelle der Nationen treten, sondern will der Welt Europa zeigen und Europa erlebbar machen. Deshalb fordern wir: Deutschland muss aus dem Bremserhaus heraus, muss nach vorn, in die Lokomotive, und mitbestimmen, wie wir europäische Kulturpolitik definieren und was auf die europäische Kulturagenda gehört. ({2}) Deshalb, liebe Kollegen von der FDP - das sei aber auch den Ländern gesagt -, brauchen wir eine offene Koordinierung. Im Bildungsbereich haben wir doch gesehen, was dadurch gelungen ist. Es ist ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum geschaffen worden. Das ist gut für Europa, und das ist gut für die Nationen. ({3}) Insofern denke ich, dass wir die Bedenken des Bundesrates gemeinsam überwinden sollten. Traurig ist aber, dass die Länder, die die Kulturhoheit für sich beanspruchen, hier und heute nur durch zwei Mitarbeiter vertreten sind und dass die Kultusminister Steffen Reiche ({4}) bzw. die Ministerpräsidenten der Länder bei dieser wichtigen Debatte über die Kultur in Deutschland keine Präsenz zeigen und sich nicht daran beteiligen. ({5}) Wir brauchen mehr Mittel für die Kultur. Deshalb denke ich, dass in den künftigen europäischen Haushalten umgeschichtet werden muss: von der Agrikultur zur Kultur. ({6}) Unsere Geschichte, unsere Werte, unsere Erinnerungsarbeit und die Menschenrechtsbildung, die in Deutschland und in Europa gewachsen sind, sind für internationale Gespräche und für Begegnungen der Kulturen der Welt wichtig. Deshalb haben wir die große Bedeutung dessen, was in der DDR gewachsen ist, in unserem Abschlussbericht, der 1 200 Seiten umfasst, immer wieder betont nicht nur an einer Stelle, Herr Tauss, sondern querbeet. ({7}) Die DDR kommt dort nicht etwa zu kurz, sondern ihr kulturelles Erbe wird erwähnt und soll bewahrt werden. ({8}) Wir brauchen eine gemeinsame europäische Kulturpolitik, die die einzelnen Länder gemeinsam mit dem Kulturrat entwickeln wollen. Einen europäischen Filmpreis gibt es schon. Wir müssen aber auch regelmäßig - jährlich oder alle zwei Jahre - gemeinsam beschreiben: Was ist europäische Kunst: in der Literatur, in der Poesie, beim Theater, beim Tanz und an vielen anderen Stellen? Es gibt eine nationale Akademie der Künste. Wir fordern, dass die nationalen Akademien ein Netzwerk bilden, aus dem sich perspektivisch eine europäische Akademie entwickeln kann. ({9}) Wir wollen, dass Europa mit einer Stimme spricht; zurzeit herrscht ein Wettbewerb zwischen CNN, alDschasira, der Deutschen Welle, der BBC und dem französischen Sender. Die drei europäischen Länder haben zusammen aber einen kleineren Etat für ihren internationalen Rundfunk als CNN oder al-Dschasira allein. Europa braucht eine gemeinsame Stimme, und wir brauchen europäische Medien. Es gibt eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und eine gemeinsame Präsenz außerhalb Europas. Deshalb brauchen wir auch europäische Kulturinstitute unter einem Dach. In einem ERASMUS-Institut beispielsweise könnten wir künftig außerhalb Europas zeigen: Was ist europäische Kultur, und was sind europäische Werte? Den Franzosen ist es mit den Lieux de mémoire gelungen, zu zeigen: Was sind die Kultur und die Geschichte Frankreichs? Wir brauchen in und für Europa etwas Vergleichbares, damit man sehen kann, wie die europäische Kultur- und Geschichtslandschaft gewachsen ist. So kann man Europa verstehen. Deshalb brauchen wir im Grunde auch eine europäische Kulturstiftung. Europa ist unsere Antwort auf die Globalisierung. Deshalb müssen wir uns im Rahmen der Europäischen Union stärker in die Erarbeitung von UNESCO-Konventionen einbringen. Deutschland hat bisher drei Konventionen ratifiziert. Wir müssen aber auch die vier anderen möglichst bald ratifizieren. Aller guten Dinge sind zwar drei, Herr Neumann. Ich denke aber, nachdem wir bisher drei UNESCO-Konventionen ratifiziert haben, wäre es gut - das fordern wir zumindest -, auch die Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes zu ratifizieren. ({10}) Bildung ist die wichtigste Investition in die Zukunft. Die großen Untersuchungen wie PISA, IGLU und andere zeigen, wo wir stehen. In Deutschland wurde darauf reagiert, indem wir Anstrengungen unternommen haben. Aber mit der Kultur verhält es sich nach einem Diktum von Willy Brandt wie mit dem Frieden: Kultur ist nicht alles, aber ohne Kultur ist alles nichts. - Deshalb müssen wir kulturelle Bildung stärker als gesellschaftlichen Auftrag, die Ganztagsschulen als Chance für kulturelle Bildung begreifen. ({11}) Eine Bundeszentrale für kulturelle Bildung soll und muss gegründet werden, um dies besser zu koordinieren. Was wir dringend brauchen, sind, nachdem wir für Mathe, für Lesen, für Deutsch, für die erste Fremdsprache und für die Naturwissenschaften nationale Bildungsstandards definiert haben, solche Standards auch für die kulturelle Bildung. ({12}) Hier ist die KMK in der Pflicht, hier ist die Bundesbildungsministerin in der Pflicht, aber auch der Deutsche Kulturrat, die sich an einem solchen Gespräch beteiligen müssen. Wir verstehen Kultur als Lebensmittel, aber Kultur ist und bleibt auch Teil der Schülerspeisung. Deshalb brauchen wir engere Kooperationen von Theater und Schule. Medienkompetenz zu vermitteln, ist Auftrag der Schule. Schulunterricht mit Künstlern und Kultureinrichtungen muss in den Schulen auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Enquete-Kommission bittet deshalb die Länder um Kooperation, aber wir bieten auch Kooperation. Die Enquete-Kommission will nicht über Zuständigkeiten streiten, sondern mit allen Zuständigen die kulturelle Bildung in Deutschland stärken und die europäische Kultur durch die Vielfalt der Kulturen voranbringen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/5560 und 16/7000 an den Aus- schuss für Kultur und Medien vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 e auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Bleser, Wolfgang Zöller, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Botz, Waltraud Wolff ({0}), Ingrid ArndtBrauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Unsere Verantwortung für die ländlichen Räume - Drucksache 16/5956 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Kornelia Möller, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Arbeitgeberzusammenschlüsse zur Stärkung ländlicher Räume - Drucksache 16/4806 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Tourismus c) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit im Agrarbereich einführen - praxisuntaugliche Erntehelferregelung auslaufen lassen - Drucksache 16/6643 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fleischgesetzes - Drucksache 16/6964 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({4}) - Drucksache 16/7503 - Berichterstattung: Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Cornelia Behm e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({5}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarpolitischer Bericht 2007 der Bundesregierung - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Agrarpolitischer Bericht 2007 der Bundesregierung - Drucksachen 16/4289, 16/5599, 16/6864 Berichterstattung: Abgeordnete Peter Bleser Waltraud Wolff ({6}) Hans-Michael Goldmann Cornelia Behm Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. ({7}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gerne dem Herrn Minister Horst Seehofer das Wort geben. ({8}) Herr Minister, Sie haben das Wort.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren über einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Unsere Verantwortung für die ländlichen Räume“. Ich bin beiden Fraktionen sehr dankbar, dass dieses Thema noch in diesem Jahr in die öffentliche Debatte eingeführt wird; denn nach wie vor leben in den ländlichen Räumen Deutschlands die meisten Menschen. Die Umbrüche, die infolge der Globalisierung und des demografischen Wandels überall stattfinden, haben besondere Auswirkungen auf den ländlichen Raum, wie wir wissen. Ich denke, diese Debatte macht deutlich, dass die Politik die Menschen im ländlichen Raum nicht alleine lässt, sondern dass wir alles unternehmen, damit aus diesen Umbrüchen im ländlichen Raum ein Aufbruch für die Menschen im ländlichen Raum wird. ({0}) Die Bundesregierung hat seit über einem Jahr in ganz Deutschland Diskussionen zu allen Facetten und Problemen des ländlichen Raums durchgeführt. Wir werden das Ergebnis nicht nur in dieser Debatte, sondern auch auf der Grünen Woche im Januar des nächsten Jahres gebündelt vorstellen. Ich möchte für die Bundesregierung drei Schwerpunktbemerkungen machen, die als roter Faden, als Leitplanken für die weitere Diskussion zu diesem Thema geeignet sind. Der erste Punkt. Es gibt die sogenannte Berliner Studie, die für den Landtag in Brandenburg erstellt wurde. In den neuen Ländern sind die Auswirkungen des demografischen Wandels und der Globalisierung auf den ländlichen Raum schon heute zu registrieren. Diese Berliner Studie, die insgesamt sehr gut ist, hat als Reaktion auf die Veränderung im ländlichen Raum einen Vorschlag gemacht, nämlich ob man zur Vermeidung von Doppelinvestitionen nicht den Menschen, die in peripheren ländlichen Gebieten leben, eine Prämie dafür zahlen sollte, dass sie in städtische Gebiete umsiedeln. Denn damit würde man vermeiden, zweifach Infrastrukturmaßnahmen finanzieren zu müssen, die dann möglicherweise nicht ausgelastet sind. ({1}) Deshalb ist es mir wichtig, dass wir als Bundesregierung nicht für eine solche - wie wir sie nennen „Fluchtprämie“ sind, sondern am verfassungsrechtlichen Gebot einer gleichgewichtigen Entwicklung in Deutschland festhalten. Das heißt, dass wir für alle Teilräume in Deutschland Chancen eröffnen wollen, sodass die Menschen dort leben und arbeiten können, und Stadt und Land nicht gegeneinander ausspielen. ({2}) Es gilt für uns weiterhin das Gebot des Grundgesetzes, gleichgewichtige Chancen für alle Teilräume Deutschlands zu eröffnen. Der alte Satz aus dem Volksmund „Stadt und Land - Hand in Hand“ ist auch im Zeitalter der Globalisierung richtig. Das Schöne an der Diskussion der letzten Monate ist, dass niemand den Versuch unternommen hat, Stadt und Land gegeneinander auszuspielen, sondern dass es einen allgemeinen Konsens gibt, dass nur im vernünftigen Zusammenwirken von Städten und ländlichen Räumen für beide eine gute Entwicklung gewährleistet werden kann. ({3}) Der zweite Punkt. Naturgemäß ist die Landwirtschaft - nicht nur, aber vor allem - im ländlichen Raum zu Hause. Die Bedeutung des ländlichen Raums erschöpft sich natürlich nicht in der Landwirtschaft. Aber ich möchte festhalten, dass der ländliche Raum ohne eine positive, dynamische und innovative Entwicklung der deutschen Landwirtschaft keine Zukunftsperspektive hat. ({4}) Deshalb ist es die Politik der Bundesregierung, alles dazu beizutragen, dass die deutsche Landwirtschaft eine gute Zukunftsperspektive hat. Ohne dass wir uns zu sehr selbst loben wollen, denke ich, für die Koalition sagen zu können, dass uns das in den letzten 24 Monaten gelungen ist. Es gibt eine Aufbruch- und Investitionsstimmung in der Landwirtschaft. Wir befinden uns mitten in der zweiten „grünen Revolution“. Die Landwirte haben heute so viele Funktionen - man kann sogar von Multifunktion sprechen - zu erfüllen wie nie zuvor in der landwirtschaftlichen Geschichte. Diese reichen von der Nahrungsmittelproduktion über Dienstleistungen - ich denke, lieber Tourismusbeauftragter Ernst Hinsken, an Freizeit, Erholung, Tourismus und Urlaub auf dem Bauernhof - bis hin zur Funktion als Energie- und Rohstoffwirt. Diese Multifunktion zusammen mit dem Multitalent Landwirt beschreiben wir als zweite „grüne Revolution“. Als eine Maßnahme zur Stärkung des ländlichen Raums werden die Bundesregierung und die Koalition deshalb die Unterstützung der deutschen Landwirtschaft weiter betreiben. Gerade aufgrund der Erfahrungen der aktuellen Energiepolitik - dazu gehören Energiesicherheit, Energiepreise und Klimaschutzziele - sollten wir den Ehrgeiz entwickeln, uns nicht auch noch in der Nahrungsmittelproduktion in größerem Umfange von Importen abhängig zu machen. Wir sollten vielmehr dafür sorgen, dass die Landwirtschaft in Deutschland und Europa die Nahrungsmittelproduktion so gewährleistet, dass wir diesbezüglich nicht im gleichen Maße vom Ausland abhängig werden wie bei der Energieversorgung. ({5}) Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Punkt eingehen, der in der aktuellen Diskussion immer wieder angeführt wird: Ist es auf Dauer möglich, dass die Bauern auf unseren Ackerflächen nicht nur Nahrungsmittel produzieren, sondern auch Energie? Ich habe mir einmal die Zahlen heraussuchen lassen, wie viel Fläche wir in Deutschland außerhalb der Landwirtschaft täglich für Infrastrukturmaßnahmen und als ökologische Ausgleichsflächen für größere Infrastrukturmaßnahmen verbrauchen. Es sind das 110 Hektar täglich. Im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsinitiative haben wir als Bundesregierung das Ziel, diese 110 Hektar im Jahre 2020 auf 30 Hektar zu reduzieren. Ich nenne Ihnen diese Zahl aus folgendem Grund: Wenn wir über Flächenkonkurrenz in Deutschland diskutieren, dann sind wir meiner Meinung nach gut beraten, zuallererst diesen Flächenverbrauch von 110 Hektar zurückzudrängen und den Bauern nicht einzureden, dass unsere Flächen nicht für Nahrungsmittelproduktion und Energieproduktion ausreichen würden. ({6}) Die Zurückdrängung des Flächenverbrauchs ist daher eine viel größere Aufgabe für die weitere Politik. Der dritte Punkt - auch da ist die Studie des BerlinInstituts, das im Auftrag des Landtags Brandenburg die Folgen des demografischen Wandels untersucht hat, lesenswert -: Wir dürfen die Politik für den ländlichen Raum nicht auf eine sektorale Betrachtung reduzieren. Es wird das wunderschöne Beispiel angeführt, dass manche Kommunen geglaubt haben, eine Schule aus Kostengründen stilllegen zu müssen. Die Stilllegung der Schule hat jedoch dazu geführt, dass die Kinder über weite Strecken in die nächste Schule zu befördern waren, und früher oder später sind auch die Eltern aus dem ländlichen Raum weggezogen. Diese Stilllegung war also im Ergebnis kontraproduktiv für die Zukunft des ländlichen Raumes. Deshalb ist der bemerkenswerte Satz formuliert worden: Wer Bildungseinrichtungen aus dem ländlichen Raum abzieht, leitet den Tod der Fläche ein. ({7}) Jenseits aller Zuständigkeiten - die natürlich nicht alle bei unserem Ministerium liegen, oft nicht einmal beim Bund liegen - müssen wir auf ein integriertes Konzept für den ländlichen Raum hinwirken. Dieses Konzept darf nicht nur Landwirtschaft und Förderung des ländlichen Raumes beinhalten, es muss von der medizinischen Versorgung über die Bildungseinrichtungen bis hin zum bürgerschaftlichen Engagement alles umfassen. ({8}) Wir fördern - darauf werden meine Kolleginnen und Kollegen noch eingehen - in verstärktem Maße die Wertschöpfung im ländlichen Raum. Wir haben die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur“ erhöht. Aber auch die Energieleitungen im ländlichen Raum und der schnelle Internetanschluss sind wichtige Voraussetzungen, um dem ländlichen Raum Perspektiven zu eröffnen. ({9}) Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir uns entschlossen haben, ab Januar des nächsten Jahres auf jeder Grünen Woche in Berlin das Thema „ländlicher Raum“ im Rahmen einer ständigen Konferenz mit allen Beteiligten in Deutschland zu diskutieren und die Ansätze weiterzuentwickeln; diese Konferenz wird eine ständige Einrichtung werden. Die Reform der Forschungseinrichtungen in meinem Ressort, die ja Gott sei Dank mit Ihrer Unterstützung abgeschlossen ist, wird auch den Schwerpunkt haben, Entwicklungslinien für den ländlichen Raum aufzuzeigen. Ich denke, dass wir uns hier nicht auf Stimmungen und vage Gerüchte verlassen sollten, sondern die Zukunft des ländlichen Raums auf wissenschaftlicher Basis gestalten sollten. Ich bin sehr dankbar, dass die beiden Koalitionsfraktionen das Thema „ländlicher Raum“, das zwar nicht jeden Tag für Schlagzeilen gut ist, aber für die betroffenen Menschen von ungeheurer Bedeutung ist, in dieser Form in die öffentliche Debatte eingeführt haben. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, ich bedanke mich zunächst einmal, dass Sie, anders als bei der Haushaltsdebatte, bei diesem Tagesordnungspunkt als Erster gesprochen haben, sodass ich Ihnen antworten kann. Ich freue mich, dass Sie ein integriertes Konzept für den ländlichen Raum vorlegen wollen; ich warte gespannt darauf. Ich teile Ihre Auffassung, dass Bildung für den ländlichen Raum ein ganz wichtiges Thema ist. Ich darf aber auch sagen: Das ist Ländersache. Insofern würde ich meine Rede gerne auf die Themen fokussieren, die tatsächlich die Themen Ihres Hauses sind. ({0}) Die Produktion von Nahrungsmitteln, die Bereitstellung von Energie, die Pflege der Kulturlandschaft, der Klimaschutz, das sind vier Tätigkeitsfelder der Land- und Forstwirtschaft, die für unsere Gesellschaft absolut unverzichtbar sind. Verschiedene Regionen in Deutschland sind besonders durch die ländlichen Räume geprägt; das sind unsere Urlaubsregionen: Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und natürlich auch Bayern. ({1}) Wir können uns inzwischen - das wird vielfach erwähnt - über gerechtere Preise für landwirtschaftliche Produkte freuen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das monatliche Einkommen je Familienarbeitskraft in der Landwirtschaft im Schnitt noch immer unter dem Vergleichslohn in der gewerblichen Wirtschaft liegt. Auch das ist eine Schwäche der ländlichen Räume. Wir müssen daran arbeiten, dass dies besser wird. Starke landwirtschaftliche Unternehmen erwirtschaften zurzeit höhere Einkommen. Der weltweit gestiegenen Nachfrage sei es gedankt. Ich darf aber auch sagen: Ein insgesamt schwacher Minister fällt da nicht mehr weiter ins Gewicht. ({2}) Ein Sprichwort besagt: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. - Sie, Herr Minister, schaffen es, mit ganz wenig Licht jede Menge Schatten zu produzieren. Das ist Ihr Geheimrezept. ({3}) Durch die günstige Weltkonjunktur wird die schlechte Bilanz verschleiert. 75 Prozent der deutschen Landwirte erzielen ihr Einkommen über die Veredelung. 60 Prozent des Einkommens in der Landwirtschaft stammen aus der Veredelung. Kreise mit starker Veredelungswirtschaft haben Vollbeschäftigung. Das zeigt, dass die Veredelungswirtschaft die besondere Zuwendung einer dem ländlichen Raum verpflichteten Agrarpolitik braucht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der SPD, in Ihrem Antrag kommt das allerdings relativ wenig zur Geltung. ({4}) Die Agrarwirtschaft und insbesondere die Veredelungswirtschaft brauchen verlässliche politische Rahmenbedingungen. Dazu gehört die klare Festlegung, dass die Milchquote im Frühjahr 2015 ausläuft. ({5}) - Kollege Bleser, ich freue mich, dass du das weißt. Minister Seehofer scheint das aber nicht zu wissen. - Es ist verantwortungslos, ({6}) den Menschen das Wissen, dass die Quote ausläuft, zu verweigern. Es gibt in der EU keine Mehrheit für die Beibehaltung der Milchquote. Der Deutsche Bauernverband und der Milchindustrie-Verband haben sich für die Abschaffung der Quote ausgesprochen. Die Abschaffung ist überfällig, weil durch die Quote unternehmerische Entscheidungen behindert und die deutschen Landwirte vom wachsenden Weltmarkt abgeschnitten werden. Wir wollen, dass die Landwirte ihr Einkommen am Markt mit guten Preisen erwirtschaften. Herr Minister Seehofer, Sie haben in der FAZ vom 27. September 2006 gesagt: Ich beobachte in Bayern pausenlos, wie Gelder ohne Sinn und Verstand verteilt werden. Gleichzeitig wird in Punkt 4 des Antrages gefordert, ... sich auch zukünftig im Rahmen der Weiterentwicklung der bewährten EU-Förderpolitiken für die Stärkung der ländlichen Räume einzusetzen. Zur Veredelungswirtschaft sagen Sie allerdings kein Wort. Dort nehmen Sie den Landwirten ihre Möglichkeiten, sich ein Einkommen am Markt zu erwirtschaften. Das ist für den ländlichen Raum eine schlechte Politik. ({7}) Die Veredelungswirtschaft braucht eine aktive Politik für die Tiergesundheit. Das ist Voraussetzung für die Gewährleistung einer hohen Lebensmittelsicherheit. Die Erkrankungen an Zoonosen bedeuten ein sehr viel höheres Risiko als die in der Öffentlichkeit diskutierten und von bestimmten Verbänden immer wieder thematisierten gefühlten Risiken. Ich nenne Pflanzenschutzmittelrückstände und Grüne Gentechnik. Das Auftreten der Vogelgrippe Anfang des Monats in Polen - 4 000 Puten wurden getötet - zeigt, dass wir nahezu jederzeit mit dem Auftreten des Virus rechnen müssen. Die Tötungspolitik zur Eindämmung von Tierseuchen ist angesichts regional hoher Bestandsdichten eine Politik des vergangenen Jahrhunderts. Wir brauchen die Abkehr der EU von der Nichtimpfpolitik. Das dient dem Tierschutz. ({8}) Die Blauzungenkrankheit hat sich in Deutschland erschreckend schnell ausgebreitet. Die Einschätzung der Bundesregierung, durch den Winter würde das Problem beseitigt werden, war falsch. Es ist dadurch zu spät mit der Entwicklung eines Impfstoffes begonnen worden. In dem gestern im Ausschuss beratenen Fleischgesetz - das ist nur ein Beispiel - werden die Interessen der Produzenten, sprich: der Landwirte, nicht ausreichend berücksichtigt. Der Wert eines Schlachtkörpers muss mit geeichtem Gerät bestimmt werden. Jede Apothekerwaage ist geeicht. Warum nicht auch die Geräte für die Bestimmung des Schlachtkörpergewichtes? Weiter fehlt die Transparenz. Weitere Bürokratie und Wettbewerbsnachteile bringt der sogenannte Tierschutz-TÜV. Die Schweinehalter, die Sie durch die Schweinehaltungsverordnung schon über Gebühr mit Kosten belastet haben, sollen gleich zweimal bezahlen: zum einen aufgrund des Fleischgesetzes und zum anderen aufgrund des Tierschutz-TÜV. Das ist inakzeptabel. ({9}) Die steigenden Futtermittelpreise - der Sojapreis ist um fast 50 Prozent höher als im vergangenen Jahr - belasten die Veredelung und die Schweinehaltung. Es besteht regional eine Nutzungskonkurrenz. Herr Minister, ich stimme Ihnen zu, dass wir die Versiegelung von Flächen zurückdrängen müssen. Das hilft uns bei der Thematik Nutzungskonkurrenz aber nur wenig. Es ist gut, dass es inzwischen keine Flächenstilllegungen mehr gibt. Bei der Novellierung des EEG muss berücksichtigt werden, dass ein hoher Nawarobonus verhindert, dass Reststoffe aus der Ernährungsindustrie und der Landwirtschaft energetisch in Biogasanlagen genutzt werden. Dadurch verstärken Sie die Nutzungskonkurrenzen. Deswegen haben Sie mit dem EEG in der jetzt vorliegenden Fassung eine falsche Weichenstellung vorgenommen. Das ist agrar- und energiepolitisch falsch; denn es müssen energiereiche Substrate in der Biogasanlage landen. Das ist aber auch umweltpolitisch falsch; denn wir wollen, dass die Gülle in der Biogasanlage landet. ({10}) Die CDU/CSU hat den Kampf um die Aussetzung der nächsten Steuerstufe für den Biodiesel aufgegeben. Sie ist wieder einmal eingeknickt. Auf der Konferenz „Kraftstoffe der Zukunft 2007“ im November dieses Jahres klang das anders. ({11}) Die Aussage von Minister Seehofer vor drei Wochen, er werde für die Aussetzung der Steuererhöhung kämpfen, hat sich als Muster ohne Wert erwiesen. Die Politik der Großen Koalition ist nicht verlässlich. ({12}) Das Pflanzenschutzgesetz wäre noch anzusprechen. Auch da ist die CDU/CSU eingeknickt. Die Reform der Erbschaftsteuer wäre noch anzusprechen. Auch da haben sich die CDU/CSU-Minister mit einer Protokollnotiz begnügt; auch das war nichts. Ein weiteres Stichwort wäre das Gentechnikgesetz. ({13}) Ich bin mir ganz sicher: Für eine solche Politik der Unzuverlässigkeit, der Willkür und der Missachtung existenzieller Interessen der Landwirtschaft, wie sie die schwarz-rote Koalition hier an den Tag legt, wäre jede andere Koalition, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, in den schrillsten Tönen gegeißelt worden. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hinsken, ich konnte Ihre Zwischenfrage nicht mehr zulassen, weil die Kollegin ihre Redezeit schon überschritten hatte.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es tut mir leid, Herr Kollege, ich hätte Ihre Frage gern beantwortet. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber, SPDFraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde versuchen, nach der Schwarz-Weiß-Malerei von eben ein etwas differenzierteres Bild der Agrarpolitik in Deutschland zu zeichnen. Ich glaube auch, dass die Menschen die Rituale, zu sagen, der politische Gegner mache grundsätzlich alles falsch, leid sind, Frau Dr. Happach-Kasan. ({0}) Wenn wir über Verantwortung und Politik für die ländlichen Räume sprechen, müssen wir natürlich die Ziele definieren. Der ländliche Raum muss ein attraktiver Standort zum Leben und zum Arbeiten bleiben. ({1}) Es geht um die Umgebung und die Wirtschaftskraft vor Ort. Wir müssen bei all den Herausforderungen, die wir dort vorfinden, die örtliche Versorgung und die benötigte Infrastruktur stärken und erhalten. Letzter, aber nicht unwichtiger Punkt: Das, was der ländliche Raum an Heimat und Tradition beiträgt, muss gewährleistet und erhalten bleiben. Wir stoßen auf eine ganze Menge an Herausforderungen und Chancen für den ländlichen Raum. Ja, er ist durch den demografischen Wandel, durch den Verlust an Bevölkerung besonders betroffen. Das macht es teilweise noch schwieriger als in der Vergangenheit, die Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Wir treffen auf Probleme mit Schulen und Hochschulen; ich habe das gehört, Herr Minister. Auch ich glaube, dass der Rückzug der Schulen aus dem ländlichen Raum ein großer Fehler ist. Deshalb muss hier ein klarer Appell an die Landesregierungen erfolgen. Was in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen im Augenblick passiert, ist ein großer Fehler und bedeutet eine große Gefahr für den ländlichen Raum. ({2}) Wie gewährleisten wir in Zukunft die medizinische Versorgung, den öffentlichen Nahverkehr und die Versorgung mit modernen Medien? Genau das sind die Herausforderungen im ländlichen Raum, die besonders schwierig sind. Aber wir haben auch besondere Chancen. Wir haben dort eine attraktive Kulturlandschaft. Kollege Hinsken, die attraktive Kulturlandschaft ist natürlich die Nummer eins für den Tourismus in dieser Region. Ich bitte aber alle, diese Kulturlandschaft nicht immer wieder durch Widerstand in Sachen Naturschutz infrage zu stellen und, wie im Augenblick insbesondere Kollege Koch, mit dem Rücken zur Wand einen Wahlkampf gegen Naturschutz in Deutschland zu machen. Nur mit Naturschutz gibt es auch attraktive Kulturlandschaften in diesem Land. ({3}) Der breit aufgestellte Mittelstand ist ein weiteres Pfund, mit dem der ländliche Raum wuchern kann. Der Mittelstand gewährleistet mit den vielen Dienstleistungen der Zukunft verstärkte wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Stabilisierung der Landwirtschaft in den letzten Jahren, ausgelöst durch verschiedene Politikinitiativen und durch Veränderungen auf dem Weltmarkt, ist eine weitere Chance. Ein Beispiel dafür ist die Veränderung bei den nachwachsenden Rohstoffen. Der ländliche Raum wird als Ideenschmiede - nicht nur als Lieferant - für die Nutzung von erneuerbaren Energien und von nachwachsenden Rohstoffen in der stofflichen Verwertung gesehen. Damit sind neue Produkte und Dienstleistungen verbunden. Aus der Debatte entwickeln sich Beispiele dafür, wo Politik initiativ werden kann. Wir sind nicht allmächtig, wir können nicht alle globalen Trends aufhalten oder geUlrich Kelber stalten. Aber wir können versuchen, Beiträge zu liefern. Ein Beispiel ist das, was wir im Bereich der erneuerbaren Energien in den letzten sieben, acht Jahren erreicht haben. Das war der Auftakt zu einer verbesserten Einnahmesituation für die Bevölkerung im ländlichen Raum, insbesondere in der Landwirtschaft, ({4}) aber auch für diejenigen, die außerhalb der Landwirtschaft in der Nutzung erneuerbarer Energien und zunehmend auch erneuerbarer Rohstoffe tätig werden. Hier müssen wir weiter ansetzen und unsere Bemühungen verstärken. Wir müssen in der Tat dafür sorgen, mit neuen Modellen und Breitbandnutzung Infrastruktur zu ermöglichen. Beides bedingt sich. Deswegen muss die Politik einfordern, dass über die verschiedenen Modelle des Breitbandzugangs auch jede Privatperson wenigstens im Megabitbereich Zugang erhält, und zwar in beide Richtungen: Download und Upload. ({5}) Dies fordern wir dort ein, wo die Versorgung nicht über Kabel gewährleistet werden kann, sei es über Funk oder über Satellit. Darauf müssen dann auch bestimmte Entscheidungen ausgerichtet werden. Das heißt, wenn wir durch die Digitalisierung Rundfunkfrequenzen gewinnen, dann müssen wir uns darum bemühen, diese digitale Dividende dafür zu nutzen, im ländlichen Raum einen kostengünstigen Zugang zu Breitband zu schaffen; denn wir werden das - egal wie viel Geld wir einsetzen nicht über die normale Verkabelung schaffen. ({6}) Der Megabitbereich für den Privatanschluss ist das eine. Das andere ist die Frage, was die Dienstleister brauchen und was an Telemedizinversorgung notwendig ist, wenn wir Spezialisten im ländlichen Raum halten wollen. Was ist an Telelearning für eine gute Schul- und Hochschulversorgung an solchen Standorten notwendig? Dafür müssen wir in den zweistelligen Megabitbereich eintreten. Hierzu braucht es weitere Lösungen, die wir im Konsens mit der zur Verfügung stellenden Industrie erreichen müssen, weil wir in diesem Bereich sicherlich kein Staatsbreitband einführen wollen. Deswegen ist es richtig, dass wir mit den Geldern zuerst dafür sorgen, dass solche Modelle aufgebaut werden. Auf Dauer kann es nicht die Aufgabe des Staates sein, so etwas zu finanzieren und zu subventionieren. Ich nenne noch zwei weitere Beispiele. Wir müssen uns auf die Frage konzentrieren, wie wir den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft vorantreiben können. Wenn auf der gleichen Fläche durch Umstellung auf ökologische Landwirtschaft ein Drittel mehr Beschäftigung möglich ist und wenn selbst bei Produkten, die in unserem Land wachsen - ich spreche nicht von exotischen Früchten, die auch in Bioqualität nach Deutschland kommen -, mehr als die Hälfte des Bedarfs importiert werden muss, weil Deutschland die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft versäumt und die Länder die Umstellungshilfen radikal gekürzt haben, sodass heute ein Landwirt in Deutschland bei der Umstellung weniger Geld bekommt als in den osteuropäischen Niedriglohnländern, dann machen wir einen Fehler. Wir versäumen einen Milliardenmarkt, der vor allem den ländlichen Räumen zugute kommen könnte. Hier muss dringend umgesteuert werden. Es ist ein gutes Zeichen, dass auf Initiative der SPD zumindest im Bundeshaushalt entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. ({7}) Was die Einnahmesituation in der Landwirtschaft angeht, sind die Erzeugerpreise in der Tat in vielen Bereichen gestiegen. Wir wissen aber auch, dass die Landwirte an vielen Stellen - für Energie, Pestizide und Dünger - höhere Kosten zu tragen haben. Auch hier ist die Umstellung auf eine ökologische Landwirtschaft hilfreich, weil der Bedarf an den teurer werdenden Gütern sinkt. Insofern hat die Unterstützung bei den Kosten einen Doppeleffekt: Sie trägt zum Klimaschutz und gleichzeitig zur Nutzung eines Milliardenmarktes bei, der in Deutschland auch 2007 wieder um einen zweistelligen Prozentsatz wachsen wird. Ich freue mich über die Ankündigung von Minister Seehofer, die Konferenz über die Zukunft ländlicher Räume regelmäßig durchzuführen. Ich glaube trotzdem, dass wir ergänzend dazu den SPD-Vorschlag verwirklichen sollten, innerhalb der Bundesregierung einen Rat für ländliche Räume zu schaffen, in dem all die Ressorts, deren Arbeit die ländlichen Räume tangiert, ihre Politik aufeinander abstimmen, sodass in den Verordnungen und Gesetzentwürfen von vornherein die Bedürfnisse der Dörfer und Städte im ländlichen Raum berücksichtigt werden. ({8}) Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, nämlich die Frage der Finanzierung. Die Große Koalition hat gemeinsam einiges für die ländlichen Räume erreicht, und sie hat noch einiges vor. Wir müssen aber auch wissen: Wer der Politik mehr Aufgaben zuordnet, der braucht dafür auch mehr Geld. Es ist gut, dass die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe im Haushalt 2008 von 615 Millionen Euro auf 660 Millionen Euro anwachsen. Nach vielen Jahren gibt es endlich wieder einen Aufwuchs. Im Vergleich zu den Mitteln, die dem ländlichen Raum verloren gegangen sind, ist dies aber nicht ausreichend. Wir haben durch den 2005 von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgehandelten Kompromiss über die EU-Finanzierung in der sogenannten zweiten Säule der Agrarpolitik - in diesem Bereich werden die Maßnahmen zur Steigerung der Wertschöpfung im ländlichen Raum wie die Förderung der wirtschaftlichen Infrastruktur und Ähnliches finanziert - einen Verlust von durchschnittlich über 300 Millionen Euro im Jahr zu verzeichnen. Also müssen wir uns darüber unterhalten, wie man diesen Verlust ausgleicht in einem Bereich, dem sogar mehr Aufgaben zugeordnet werden als 2005. Denn es ist eine einfache Rechnung: Ein Verlust von 300 Millionen Euro kann nicht durch eine Aufstockung der Mittel in Höhe von 45 Millionen Euro ausgeglichen werden. Das ist der Grund - darüber werden wir uns in der Großen Koalition ausführlich unterhalten müssen -, warum wir gesagt haben, dass wir die Situation höherer Erzeugerpreise nutzen müssen, um bei den Direktzahlungen, also dem, was man im Volksmund „Agrarsubventionen“ nennt, Geld einzusammeln und es in die Förderung der ländlichen Räume zu investieren. Wir haben den Vorschlag unterbreitet, 8 Prozent davon zu nehmen; das wären weitere 375 Millionen Euro im Jahr. Damit wären die Verluste mehr als überkompensiert, und wir hätten die Chance, das Geld für die ländlichen Räume effektiv zu nutzen. ({9}) Wenn wir diese Chance nicht jetzt ergreifen, in einer Zeit, in der die Landwirtschaft boomt und die Europäische Union ähnliche Vorschläge macht, dann werden wir am Ende erleben, dass in Brüssel vor allem bei den Agrarsubventionen, also der ersten Säule, gekürzt wird und die Mittel nicht den Regionen zur Verfügung stehen, in denen wir sie einsetzen wollen, um die Wirtschaftskraft und die Attraktivität dieser Regionen zu steigern. Wir sollten also mit einer positiven Verhandlungseinstellung dort hineingehen und uns nicht auf den Status quo berufen. Das wäre der beste Rat, den man Deutschland an dieser Stelle geben kann. ({10}) Zudem müssen wir uns - hier treffen sich FDP- und SPD-Position - über den Inhalt der zweiten Säule und der Gemeinschaftsaufgabe unterhalten. In der Vergangenheit ist in vielen Bereichen Geld verplempert worden. Das muss geändert werden. Wenn wir dieses Geld besser ausgeben, dann habe ich um die Zukunft der ländlichen Räume keinerlei Angst. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Vor zwei Wochen sendete der Rundfunk Berlin-Brandenburg eine Dokumentation, die viel Staub aufgewirbelt hat: Einmal Westen und zurück. Sie wurde auch in der Prignitz gedreht, wo ich seit mehr als 20 Jahren in einem kleinen Dorf mit etwa 80 Einwohnern lebe. Ich weiß also, wie schwer das Leben in den Dörfern unterdessen geworden ist. Deswegen hat mich die rbb-Dokumentation nicht erschreckt. Ich kenne die Realität. Ja, man kann natürlich darüber streiten, ob die Situation wirklich so dramatisch ist, wie dort dargestellt. Aber wir sollten aufhören, diese Probleme kleinzureden. ({0}) In zweimal 45 Minuten war zu erleben, was die Worte „Die ländlichen Räume stehen auf der Kippe“ wirklich bedeuten. Das war nämlich in etwa die Aussage der Studie des Berlin-Instituts für den Brandenburger Landtag aus dem Sommer, die Minister Seehofer zitiert hat. Angesichts dieser Situation darf sich Agrarpolitik nicht auf Landwirtschaftspolitik reduzieren, sie muss Strukturpolitik für die ländlichen Räume sein. ({1}) Die Studie des Berlin-Instituts spricht von zwei Entscheidungsoptionen, die die Politik nach Ansicht der Wissenschaftler zeitnah hat. Erste Option, Herr Seehofer: sofortiges Umsteuern, kein Weitermachen. Im Gutachten werden Beispiele genannt, wie man vorgehen könnte. Es gibt zum Beispiel selbstverwaltete Zwergenschulen in Schweden, Polikliniken in Lappland - die gab es also nicht nur in der DDR -, selbstverwaltete Mikroregionen in Mexiko, Zukunftsräte in der Schweiz, Dorfmobil-Projekte in Österreich. Was diesen Projekten zugrunde liegt, ist ein völlig anderes Denken des ländlichen Raums. In Schweden ist es zum Beispiel politisches Ziel, die Besiedlung der Inseln vor Stockholm zu erhalten. Natürlich weiß auch die schwedische Regierung, dass dazu gehört, dass man dort die öffentliche Daseinsvorsorge sichert. So etwas geht, wenn man die Interessen der Menschen höher bewertet und nicht immer nur über Kosten diskutiert. Wenn in der Bundespolitik dieses Umdenken nicht endlich einsetzt, dann, so das Berlin-Institut weiter, bleibt nur eine zweite Option - diese hat Minister Seehofer schon genannt -, die gezielte Entsiedlung, zum Beispiel mit einer Wegzugsprämie. Die Brandenburger Landesregierung hat ähnlich wie Minister Seehofer aufs Schärfste protestiert. Das ist aber angesichts der tatsächlichen Politik der Bundes- und Landesregierung scheinheilig. ({2}) Warum ziehen denn die Menschen aus den ländlichen Regionen weg? - Sie tun es, weil sie meistens mit den Problemen alleine gelassen werden. Fatalerweise erfolgt der Wegzug eben nicht ganz allgemein, sondern sozialund geschlechtsselektiv. Es gehen vor allen Dingen junge, kluge Frauen, weil sich gerade ihre Lebensbedingungen in den Dörfern deutlich verschlechtern. Das zeigt auch die aktuelle Studie „Gleichstellung im ländlichen Raum“, die im Auftrag meiner Fraktion gerade erstellt wurde. Natürlich ist es gut, wenn die Jugend in die Welt hinauszieht; das hat noch niemandem geschadet. Schlimm ist nur, dass viele junge Leute selbst dann nicht zurückkommen können, wenn sie es wollen. Woran liegt das? Es fehlen Ausbildungsplätze, Bus- und Bahnverbindungen, Sparkassen- und Postfilialen, Fachärzte sowie soziale und kulturelle Bildungsangebote. Selbst Behördengänge werden zu Tagesreisen. Kurz: Die Organisation des Alltags ist in den ländlichen Räumen unterdessen sehr schwierig geworden, vor allen Dingen für Ältere und Alleinerziehende. Klar, die Finanzierung der öffentlichen Daseinsvorsorge überfordert die ohnehin überDr. Kirsten Tackmann schuldeten Haushalte in den ländlichen Gemeinden. Daher muss es aus meiner Sicht einen Solidarausgleich zwischen Stadt und Land geben. Das ist sozial gerecht; denn die Städter und Städterinnen nutzen den ländlichen Raum durchaus als Erholungsraum. Es bröckelt aber nicht nur die Infrastruktur. Am dringendsten fehlt in den ländlichen Räumen existenzsichernde, bezahlte Arbeit. Das hat auch mit politischen Fehlentscheidungen zu tun, auch auf Bundesebene. Wer das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide nutzen will, zerstört 15 000 bis 18 000 Arbeitsplätze in dieser Region und dazu alle Zukunftspotenziale, die sie hat. ({3}) Wer bei den kleinen Biokraftstofferzeugern mit Strafsteuern Gewinne abschöpfen will, die es gar nicht gibt, vernichtet Arbeitsplätze im ländlichen Raum. ({4}) Wer die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht, entzieht Kaufkraft, die zum Beispiel den regionalen Dienstleistungsanbietern fehlt. Im Landkreis Prignitz, in dem ich wohne, lag die Kaufkraft 2005 mit rund 6 000 Euro deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt von rund 8 500 Euro. Das war Platz 428 von bundesweit 439 Landkreisen. Wer Regionalisierungsmittel kürzt, ist mitverantwortlich für die Stilllegung von Bahnlinien. Wer eine Steuerpolitik im Interesse des Großkapitals und der Reichen macht, ist mitverantwortlich für die desolaten Kommunalhaushalte, also auch für den Ausfall der Kommunen als Arbeit- oder Auftraggeber. ({5}) Wer die Telekommunikation privatisiert, ist mitverantwortlich für die mangelnde Versorgung mit Breitbandanschlüssen. Gesellschaftliche Interessen und Gewinnmaximierung sind heute oft nicht miteinander zu vereinbaren. Dabei bleiben auch Einkommenschancen gerade für Frauen in den ländlichen Räumen auf der Strecke. Norwegen hat übrigens zum Jahresende eine flächendeckende Breitbandversorgung bis zum Polarkreis angekündigt. ({6}) Gerade weil es auch politische Gründe für die schwierige Situation in den Dörfern gibt, sagt die Linke: Das muss nicht so bleiben. Das darf auch nicht so bleiben. ({7}) Weder Bevölkerungsschwund noch Verarmungstendenzen sind Naturgesetze. Beides sind Folgen falscher Politik. Die Linke schlägt zum Beispiel seit Jahren eine Ausbildungsplatzabgabe vor. Gerade der Ausbildungsplatzmangel treibt junge Leute aus den ländlichen Räumen. Wir streiten für kluge Konzepte für einen bürgernahen und bezahlbaren öffentlichen Personennahverkehr. Wir wollen die Förderung einer dezentralen Biokraftstoffversorgung ohne Strafsteuer und Beimischungszwang. Busse und Bahnen sollten auf jeden Fall regional erzeugte Biokraftstoffe steuerfrei tanken können. ({8}) Wir brauchen öffentlich geförderte Beschäftigung. In Berlin schafft der rot-rote Senat damit gerade 10 000 Arbeitsplätze. Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,44 Euro. Auch das stärkt die regionale Nachfrage. ({9}) Es gibt zwei akute Bedrohungen für die ostdeutsche Landwirtschaft. Die erste Bedrohung ist die geplante Streichung von mehreren 100 Millionen Euro aus Brüssel. Betroffen wären mehr als 5 000 Agarbetriebe, davon über 90 Prozent in Ostdeutschland. Das muss verhindert werden. Die zweite Bedrohung sind Bodenspekulationen, auch durch die Verkaufspraxis der BVVG. Hier muss dringend eingegriffen werden, und zwar durch die konsequente Anwendung des Grundstückverkehrsgesetzes und durch Überprüfung der Vergabepraxis der BVVG. Alles das wären aus unserer Sicht erste wichtige Schritte hin zu Dörfern mit Zukunft. Meine Fraktion beteiligt sich an dem Kreativwettbewerb um die besten Ideen mit einem eigenen Antrag. Wir greifen darin ein sehr wichtiges Thema auf, nämlich die Tendenz, dass in den Dörfern immer häufiger Arbeit nur zeitweise oder saisonal verfügbar ist. Die Linke will, dass die Arbeit so organisiert wird, dass daraus existenzsichernde Arbeitsplätze werden. ({10}) Frankreich hat hier gute Vorarbeit geleistet. In sogenannten Arbeitgeberzusammenschlüssen bilden verschiedene Betriebe gemeinsame Pools an qualifizierten Arbeitskräften. Die Angestellten des Arbeitgeberzusammenschlusses wechseln dann je nach Bedarf von einem Betrieb zum nächsten. Das funktioniert ähnlich einem Maschinenring: Dort nutzen Bauern gemeinsam einen Traktor. Das geht auch beim Personal, wie das Beispiel Frankreich zeigt. Aktuell gibt es in Frankreich 4 100 Arbeitgeberzusammenschlüsse, in denen ungefähr 40 000 Menschen Lohn und Brot finden. Die Vorteile für die Mitgliedsbetriebe sind vielfältig: Sie können über ein flexibles, bedarfsorientiertes, erfahrenes und qualifiziertes Personal verfügen - das ist angesichts des drohenden Fachkräftemangels ein schwerwiegender Vorteil -; das professionelle Personalmanagement spart Geld; durch Aus- und Fortbildung sowie Qualifizierung können arbeitsarme Zeiten überbrückt werden. Auch das organisiert der Arbeitgeberzusammenschluss. Was haben die Beschäftigten davon? Ihre Vorteile sind auch ganz klar: Im Gegensatz zu Saisonarbeitskräften sind sie ganzjährig und vor allen Dingen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sie haben eine abwechslungsreiche Tätigkeit. Die integrierte Qualifizierung verbessert ihre Arbeitsplatzchancen, auch außerhalb des Arbeitgeberzusammenschlusses. Ein Arbeitgeberzusammenschluss sichert und verstetigt also unsichere Arbeitsverhältnisse. Das unterscheidet ihn ganz klar von der modernen Sklaverei in vielen Leiharbeitsfirmen. ({11}) Mehr noch: Er schafft sogar existenzsichernde Arbeitsplätze, zum Beispiel im Pilotprojekt der SpreewaldForum GmbH. Hier sollten mit Landesförderung die Übertragbarkeit der französischen Erfahrungen unter einheimischen Bedingungen geprüft und die Gründung eines ersten Arbeitgeberzusammenschlusses begleitet werden. Zunächst haben sich dort sieben Betriebe zusammengeschlossen, vor allen Dingen Landwirtschafts- und Landschaftsbaubetriebe, aber auch eine Autoverwertung. Unterdessen sind es 15 Mitgliedsbetriebe, und 20 Arbeitsplätze sind geschaffen worden. In Potsdam-Mittelmark wird gerade die Gründung eines weiteren Arbeitgeberzusammenschlusses für März vorbereitet. Hervorgegangen ist dieser übrigens - das ist ganz wichtig - aus einem erfolgreichen Potsdamer Betreuungsprojekt, Agrotime, für einheimische Erntehelfer. Unterdessen denken auch sie, dass ein Arbeitgeberzusammenschluss ein deutlich besserer Weg ist. Um eines klar zu sagen: Arbeitgeberzusammenschlüsse lösen keine arbeitsmarktpolitischen Probleme - zumindest nicht vordergründig -, sondern sie lösen Probleme kleiner Unternehmen. Auf jeden Fall sind sie ein sinnvollerer Beitrag als die FDP-Forderung nach billigen Saisonarbeitskräften. ({12}) Arbeitgeberzusammenschlüsse haben also viele Gewinner: die Betriebe, die Beschäftigten und die Gesellschaft; denn dadurch können Menschen aus der Arbeitslosigkeit oder aus der Perspektivlosigkeit herausgeholt werden. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch einfach einmal französisch denken. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Cornelia Behm, Bündnis 90/Die Grünen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zugeben, dass ich über die heutige zweite Debatte zum Agrarbericht 2007 ziemlich überrascht bin. Ich erinnere daran, dass die Koalitionsfraktionen hier vor genau fünf Wochen beschlossen haben, den jährlichen Agrarbericht abzuschaffen; Begründung: Abbau überflüssiger Bürokratie. Wir Grüne haben damals dagegengehalten - das machen wir noch heute - und darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass die Agrarpolitik alljährlich Bilanz zieht und dass man über diese Bilanz debattiert. Jetzt, genau fünf Wochen später, setzen Sie nun, zur besten Debattenzeit, eine anderthalbstündige Debatte zum Agrarbericht 2007 auf. ({0}) - Ja, klar. Schauen Sie in die Tagesordnung. - Dabei haben wir über denselben Agrarbericht bereits im Juni hier im Plenum debattiert. Offensichtlich glaubt die Große Koalition selbst nicht an die Argumente, die sie hier vor fünf Wochen zum Besten gegeben hat. Oder folgen Sie einfach dem Prinzip, dass man die größten Abschiedsfeiern vor allem denjenigen angedeihen lässt, die man sowieso schon immer loswerden wollte? ({1}) - Jetzt komme ich zur Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Preise für Agrarprodukte steigen in einem Maße, wie es sich bis vor kurzem niemand vorstellen konnte, und die Agrarkonjunktur zieht entsprechend an. Das ist eine positive Entwicklung, die wir Grüne begrüßen. Nicht zuletzt hat die Agrarpolitik der rot-grünen Regierung maßgeblich dazu beigetragen, diese Trendwende auf den Agrarmärkten herbeizuführen. ({2}) Ich nenne hier den Bioenergieboom, der durch die Biogas- und Biokraftstoffförderung der rot-grünen Bundesregierung einen starken Schub erfahren hat. ({3}) Ich nenne auch den Bioboom, den es ohne die rot-grüne Trendwende in der Agrarpolitik in Deutschland nicht gegeben hätte. ({4}) Aber natürlich spielen hier auch Faktoren eine Rolle, die mit deutscher Politik nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. ({5}) Die gesamte Entwicklung des Weltmarkts hat zu höheren Preisen für Agrarprodukte geführt, zum Teil aufgrund der steigenden Nachfrage nach veredelten Agrarprodukten aus den Schwellenländern, zum Teil aufgrund der weltweit gestiegenen Bioenergienachfrage, und dazu kommen schlechte Ernten in verschiedenen Ländern. Worin allerdings der Beitrag schwarz-roter Agrarpolitik zu dem Aufschwung besteht, den wir derzeit erleben, ({6}) wird wohl auf immer ein Geheimnis der Großen Koalition bleiben. Kollege Bleser ({7}) wird zwar nicht müde, bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor diesem Hohen Hause zu erklären, wie stolz er auf die Politik ist, ({8}) aber außer dem gebetsmühlenartig wiederholten Hinweis darauf, man habe für bessere Stimmung unter den Bauern gesorgt, weil wieder ein Konservativer Agrarminister ist, erfahren wir nichts. Die weltweit gute Agrarkonjunktur ist jedenfalls nicht das Werk schwarz-roter Agrarpolitik in Deutschland. ({9}) Wir Grüne freuen uns über die gute wirtschaftliche Lage der Bauern, und sie ist den Bauern auch von Herzen zu gönnen. Das hat nämlich viele Vorteile. Die Subventionsabhängigkeit der Landwirtschaft wird sinken, und das ist sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Steuerzahler eine gute Nachricht. Es ist ebenfalls eine gute Nachricht für die vielen Hundert Millionen Landwirte in den Entwicklungsländern. Aber man darf die Augen vor den Schattenseiten dieser Entwicklung nicht verschließen. Dazu gehören steigende Lebensmittelpreise, die die Inflation treiben und für viele ärmere Bevölkerungsschichten zum Problem werden - nicht nur hierzulande, sondern insbesondere in den Entwicklungsländern. Wir dürfen die Augen auch nicht davor verschließen, dass die gestiegene Nachfrage nach Agrarprodukten zu einer Intensivierung der Landwirtschaft führt, die viele ökologische Probleme mit sich bringt. Extensive Bewirtschaftungsformen und Vertragsnaturschutz, die für die Erhaltung vieler Biotope und bestimmter Arten so wichtig sind, werden unattraktiv, wenn die Natur- und Umweltleistungen nicht angemessen entgolten und die Mindereinnahmen nicht ausgeglichen werden. Deshalb ist es verheerend, dass die EU, der Bund und die Länder die Mittel für die Agrarumweltprogramme zusammengestrichen haben. Der Druck zur Beseitigung von Landschaftselementen wie Hecken und Feuchtgebieten steigt, um mehr Ackerfläche zu gewinnen. Das bedeutet aber auch ein Ende der vor allem touristisch so attraktiven Kulturlandschaften, die der Minister gegenüber Herrn Hinsken gerade so gelobt hat. In weiten Teilen des Landes wird immer mehr wertvolles Grünland umgebrochen. Zwischen 2003 und 2006 haben beispielsweise Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern 4 Prozent ihres Grünlands verloren. In diesem Jahr haben drei Bundesländer sogar die 5-ProzentHürde gerissen. Dieser Entwicklung muss die Politik dringend etwas entgegensetzen. Die bisherigen Vorgaben und Maßnahmen zur Erhaltung von extensiven Bewirtschaftungsformen, von Dauergrünland und von Landschaftselementen reichen ganz offensichtlich nicht aus. ({10}) Auch die Stilllegungspflicht wird bald völlig wegfallen - davon ist ganz fest auszugehen -; denn der ursprüngliche Anlass, die Verminderung von Agrarüberschüssen, besteht nicht mehr; im Gegenteil. Allerdings waren die Brachen aus der Flächenstilllegung ein Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft. Hierfür muss Ersatz geschaffen werden. Denkbar wäre ein Mindestanteil an Landschaftselementen auf den beihilfefähigen Flächen oder ein Mindestanteil an ökologischen Vorrangflächen. Die könnten zwar landwirtschaftlich genutzt werden, aber unter Beachtung bestimmter Naturschutzziele. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich Ihren Antrag mit dem Titel „Unsere Verantwortung für die ländlichen Räume“ in die Hand nahm, war ich zuerst überrascht: Wow! Er enthält viele Bekenntnisse zu den ländlichen Räumen. Das bin ich - abgesehen davon, dass Sie die Pressemitteilungen des Deutschen Bauernverbandes wiederholen - von Ihnen gar nicht gewohnt. Beim näheren Hinschauen zeigt sich aber, dass der Text seinen Höhepunkt schon überschritten hat, bevor der Teil mit den Forderungen überhaupt beginnt. Anders ausgedrückt: Auch hier bleibt es ein Geheimnis, woraus Ihre Politik für die ländlichen Räume konkret besteht. ({11}) Sie wollen die Rahmenbedingungen für die mittelständische Wirtschaft verbessern; das ist schön. Wir erfahren aber nicht, wie das geschehen soll. Sie wollen einwirken, unterstützen, klären und verfolgen, aber wollen Sie auch konkret etwas tun? Ja, Sie wollen weitere Straßen im ländlichen Raum bauen. Dabei haben wir gerade von Minister Seehofer gehört, dass die Flächenversiegelung unbedingt gestoppt werden soll. ({12}) Trotzdem habe ich in Ihrem Antrag gelesen, dass Straßen gebaut werden sollen. ({13}) Das nenne ich innovativ. Wie viele Arbeitsplätze sind denn in den vergangenen Jahren durch den Straßenbau im ländlichen Raum entstanden? Mittlerweile weiß wirklich jedes Kind, dass die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland durch Straßenbau nicht gefördert werden kann. ({14}) Jobmaschine Straßenbau: Sie glauben wohl immer noch daran. ({15}) Glauben Sie, dass das Versenken weiterer Millionen in Beton den ländlichen Räumen irgendetwas bringt? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. ({16}) Eine zukunftsfähige Politik für den ländlichen Raum sieht anders aus. Wir brauchen dafür erstens einen Um13900 bau der europäischen Agrarpolitik, weg von pauschaler Subventionsvergabe, hin zu einer Vergütung gesellschaftlicher Leistungen von Landwirten, die besonders umwelt- und klimaverträglich wirtschaften. Zweitens müssen wir die GAK endlich zu einer Gemeinschaftsaufgabe „Entwicklung des ländlichen Raums“ umbauen. Beides sucht man bei Ihnen allerdings vergeblich. Dabei liegen die Vorschläge auf dem Tisch. Wir brauchen einen Umbau der ersten Säule, hin zu mehr Klimaschutz und zur Ökologisierung der Landbewirtschaftung. ({17}) Die europäische Landwirtschaft hat auf dem Weltmarkt nur dann eine Chance, wenn sie auf Qualität und konsequenten Umweltschutz setzt. ({18}) Dafür müssen wir die zweite Säule deutlich stärken. Auch die zweite Säule - die Entwicklung des ländlichen Raums - braucht Verlässlichkeit und Planungssicherheit, also das, was Sie für die erste Säule - die Landwirtschaft immer fordern. Unsere Landwirte leben eben auch von der zweiten Säule. Wir Grüne wollen eine Agrarpolitik, die konsequent auf mehr Arbeitsplätze setzt; denn das Leben auf dem Land ist für die Menschen nur dann attraktiv, wenn sie dort auch ihr Brot verdienen können. ({19}) - Quatsch! - Wir wollen eine Verbesserung der Lebensmittelsicherheit und der Tierseuchenbekämpfung; denn das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Agrarprodukte aus Deutschland gewinnen wir nur, wenn wir gesündere und vor allem frischere Lebensmittel als unsere Nachbarn anbieten. ({20}) Schlussendlich wollen wir eine leistungsstarke bäuerliche Landwirtschaft; ({21}) denn sie erhält unsere gewachsene Natur- und Kulturlandschaft. Ich danke Ihnen für die sehr beredte Aufmerksamkeit. ({22})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Franz-Josef Holzenkamp, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme aus dem wunderschönen, wieder erfolgreichen Niedersachsen, einem Flächenland. ({0}) Ein Großteil des Landes ist ländlicher Raum. Heute sprechen wir über den ländlichen Raum. Niedersachsen ist ein Agrarland. Die Agrarwirtschaft ist nach der Automobilindustrie der zweitwichtigste Wirtschaftszweig. Ich persönlich komme aus dem Oldenburger Münsterland. Wer es nicht kennt, sollte wissen: Es ist immer eine Reise wert. Vor 50 Jahren war diese Region ein Armenhaus; heute ist sie die am stärksten boomende Region in ganz Niedersachsen. Liebe Kollegin Tackmann, mit planwirtschaftlichen Mitteln haben wir dies nicht erreicht. ({1}) Doch immer wieder, meine Damen und Herren, stehen Städte und Metropolen mit ihren Herausforderungen im Vordergrund der politischen Betrachtung, obwohl sich in den ländlichen Räumen ein Großteil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens abspielt. Deshalb freue ich mich heute über die überfällige Debatte zur Zukunft der ländlichen Räume. Ein paar Zahlen zur Verdeutlichung: Wir reden über etwa 65 Prozent unserer Bevölkerung. Wir reden über einen Großteil der Wirtschaftsbetriebe, da die meisten von ihnen im ländlichen Raum angesiedelt sind und dort produzieren. Wir reden über einen Großteil unserer öffentlichen Infrastruktur. Aber - das muss man auch sagen - ländlicher Raum ist nicht gleich ländlicher Raum. Ländlicher Raum ist vielfältig: Es gibt einerseits die Regionen, die nahe an Ballungszentren liegen, die sogenannten Speckgürtel. Sie glänzen mit attraktiver Wohnlage, mit gutem Zugang zu öffentlicher Infrastruktur und einer prosperierenden Wirtschaft. Andererseits gibt es - ich glaube, deshalb unterhalten wir uns auch heute über die ländlichen Räume - die Regionen, die in der Regel entfernt von den Ballungszentren liegen, eine dünnere Besiedlung, eine geringere Bevölkerungsdichte und eine unzureichende Infrastruktur - da sind wir gefragt! - aufweisen sowie durch fehlende bzw. immer häufiger in Zentren abwandernde Arbeitsplätze gekennzeichnet sind. Dieses wird durch die demografische Entwicklung verstärkt; das ist schon angeklungen. Um diese Abwärtsspirale zu durchbrechen, müssen wir den ländlichen Raum - da sind wir uns, wie ich denke, einig - wieder in den Fokus nehmen. An dieser Stelle möchte ich Minister Seehofer meinen persönlichen Dank aussprechen: Herr Minister Seehofer, Sie haben diese Ausgangslage und die erkennbaren Tendenzen zum Anlass genommen, einen Diskussionsprozess zu initiieren, der ja, wie Sie es dargestellt haben, schon läuft. Einen festen Platz hat er ja zum Beispiel Jahr für Jahr in einer öffentlichen Veranstaltung im Rahmen der Grünen Woche. Meine Damen und Herren, ländliche Räume dürfen nicht nur als grüne Oasen, als Erholungsraum gesehen werden, sie sind auch ein Wirtschaftsfaktor. In den Fällen, wo sie als Wirtschaftsfaktor keine Rolle spielen, können sie auch keine erfolgreiche Entwicklung aufweisen. Nur so geht es. ({2}) Dafür wollen wir mit unserem Antrag die richtigen Anstöße geben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir brauchen beides, Stadt und Land. Deshalb unterstützen wir auch keine „Fluchtprämien“. Es ist schon angeklungen: Die Agrarwirtschaft übernimmt im ländlichen Raum sowohl aus wirtschaftlicher Sicht als auch aus kulturprägender Sicht eine zentrale Rolle. Dieser Bundesregierung, Frau Behm, ist es gelungen, die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. Das war vorher nicht so. Dafür möchte ich Ihnen, Herr Minister, als Landwirt auch persönlich Dank sagen. ({3}) Landwirtschaft allein kann eine Region wirtschaftlich nicht tragen, aber eine erfolgreiche Landwirtschaft ist Voraussetzung für den Erfolg der vor- und nachgelagerten Bereiche. Sie finden sich im ländlichen Raum in einer Vielzahl an Ausprägungen: von Futtermittel- und Düngemittelproduzenten über den Anlagebau bis hin zur Ernährungswirtschaft. Diese Kette bezeichnet man im Fachjargon als Agribusiness. ({4}) Auch hier zur Verdeutlichung ein paar Zahlen: Wir sprechen über einen Umsatz in Höhe von 550 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist zum Beispiel doppelt so viel wie in der Automobilindustrie. Wir sprechen über etwas mehr als 4,5 Millionen Arbeitsplätze im ländlichen Raum - mit steigender Tendenz. Die Ernährungsbranche boomt; ihr Exportanteil beträgt mittlerweile 22 Prozent. Auch hier ist eine steigende Tendenz zu verzeichnen: Allein in diesem Jahr konnte sie ein Plus von 10 Prozent verzeichnen. ({5}) Meine Damen und Herren, ich habe zu Beginn aus gutem Grund über meine Heimat gesprochen. Ihr Erfolg hängt nämlich sehr stark mit dem Agribusiness zusammen. Wir haben bei uns einen sogenannten Cluster für Agrartechnologien entwickelt: von der Landwirtschaft als unverzichtbarem Primärsektor - das möchte ich betonen - bis hin zur Ernährungswirtschaft. Die Menschen bei uns haben Arbeit. Sie fühlen sich wohl, sie bleiben, sie investieren, und sie gründen auch Familien. In meiner Heimat befindet sich der geburtenstärkste Landkreis in unserer gesamten Republik. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel. ({6}) - Ja, ich habe vier Kinder. - Das Ergebnis: wachsende Bevölkerung und eine Arbeitslosenquote von gut 5 Prozent. Vor 25 Jahren lag sie im Schnitt noch bei 25 Prozent. Verbesserungen sind also möglich. Wie Sie sehen, ist die Agrarwirtschaft eine Wachstums- und Zukunftsbranche. Wenn man so will, findet augenblicklich die zweite grüne Revolution statt. Die Agrarwirtschaft ist innovativ, vielfältig und nachhaltig. Gott sei Dank gibt es eine Entwicklung von Überschussmärkten zu Nachfragemärkten. Die Agrarwirtschaft übernimmt zwei zentrale Aufgaben. Die erste Aufgabe ist die Nahrungsmittelversorgung für weltweit - das kann man nur global sehen 6,5 Milliarden Menschen; 2050 werden es schon etwa 9,5 Milliarden Menschen sein. Das ist eine große Herausforderung. Darin liegt aber auch ein riesiges Wertschöpfungspotenzial für den ländlichen Raum. ({7}) Die zweite Aufgabe ist die eines Energielieferanten. Hier stehen wir selbstverständlich erst am Anfang - aber mit von uns formulierten, sehr ambitionierten Zielen. Deswegen müssen die Rahmenbedingungen passen. Verschiedene Vorredner haben schon die EU-Agrarpolitik erwähnt. Wir haben gerade eine große Agrarreform hinter uns. Ich setze - die Bauern erwarten das auch auf Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Deshalb erwarten wir bis 2013 bei der ersten Säule keine Kürzung der Ausgleichszahlungen. ({8}) Bei diesen Diskussionen muss man auch den gesellschaftlichen Leistungen gerecht werden, die die Landwirtschaft tagtäglich in Deutschland und in Europa bei Einhaltung der höchsten Standards im Tierschutzbereich und im Umweltbereich und der Sozialstandards erbringt. Im Übrigen bewirken die Ausgleichzahlungen Kaufkraft, die im ländlichen Raum bleibt und nicht in irgendwelchen Gutachterbüros oder an anderen Orten verschwindet. ({9}) Auf nationaler Ebene sind Anpassungen notwendig. Herr Minister, ich bin sehr froh darüber, dass Sie den Flächenverbrauch - die Versiegelung beträgt etwa 100 Hektar pro Tag - angesprochen haben. Wir müssen darüber reden; das kann so nicht bleiben, auch wenn es eine Herkulesaufgabe wird, daran etwas zu ändern. In dem Zusammenhang ist auch der Naturschutz angesprochen worden. Naturschutz ist für die Menschen da. Wir von der CDU/CSU-Fraktion stehen zu dem, was schon jahrhundertelang gilt, nämlich „Schützen durch Nützen“ und nichts anderes. ({10}) Aber auch andere Dinge sind von elementarer Bedeutung für die Stabilität im ländlichen Raum. Ich nenne beispielsweise die Erbschaftsteuerreform. Frau HappachKasan, ich bin davon überzeugt, dass wir hier zu einem guten Ergebnis kommen werden. Ferner ist das Krisen13902 management von elementarer Bedeutung. Der Minister spricht es immer wieder an. Beim Bürokratieabbau haben wir einiges auf den Weg gebracht. Heute wird noch das Fleischgesetz verabschiedet. Wir haben ein 30 Jahre altes Gesetz endlich entrümpelt und einen akzeptablen Kompromiss für die betroffenen Landwirte erzielt. Unabhängig von den Bedingungen in den ländlichen Regionen gibt es überall das Problem, dass die Infrastruktur nur unzureichend entwickelt ist. Außerdem leidet der ländliche Raum besonders unter dem demografischen Wandel. Um diesen Raum zukunftssicher zu machen, stehen wir vor zusätzlichen Aufgaben. Wir müssen zukünftig mehr für die Verkehrsinfrastruktur tun. Die Lücken bei den Autobahnen müssen endlich geschlossen werden. Wir müssen mehr Geld in die Hand nehmen. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Breitband-Technologie. Man kann viel meckern. Aber man muss feststellen, dass die Bundesregierung beim Agrarhaushalt viel Geld in die Hand genommen hat. Wir sind uns alle einig, dass es im nächsten Jahr noch eine weitere Steigerung geben muss. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, die Frau Kollegin Maisch würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Würden Sie dies erlauben?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gerne.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Holzenkamp, Sie haben über den Flächenverbrauch im Kontext mit dem Naturschutz gesprochen. Sind Sie der Meinung, dass dem Naturschutz in Deutschland zu viele Flächen zur Verfügung stehen, oder wie darf ich Ihre Aussage verstehen, dass man im Zusammenhang mit der Minimierung des Flächenverbrauchs auch über den Naturschutz reden muss?

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe zunächst über den enormen Flächenbedarf gesprochen und darüber, wie wir mit dem immer knapper werdenden Gut Fläche umgehen. Ich habe von „Schützen durch Nützen“ gesprochen. ({0}) Ich habe nicht über die Zahl der Naturschutzflächen gesprochen, sondern darüber, welche Bedingungen vorherrschen und wie man damit umgeht und umgehen sollte. Die Naturschutzflächen sollen nicht, zugespitzt formuliert, für Menschen gesperrt werden, sondern für die Menschen da sein. Davon habe ich gesprochen. ({1}) Eine flächendeckende öffentliche Infrastruktur von Schulen über Hochschulen bis hin zur medizinischen Versorgung ist - das ist angeklungen - ein unverzichtbarer Standortfaktor. Wir wollen das Zusammenleben fördern, mehr tun für das Ehrenamt und für die Vereine als Garanten des sozialen Friedens im ländlichen Raum. Für dies alles brauchen wir ein integriertes Entwicklungskonzept; das ist angesprochen worden. Das werden wir auf den Weg bringen. In der Umsetzung aber bin ich, Herr Minister - ich glaube, da sind wir sehr beieinander -, für einen dezentralen Ansatz, für das sogenannte Prinzip der Subsidiarität, weil die Menschen vor Ort einfach besser wissen, wie man dort vorgehen kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Franz Josef Holzenkamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003775, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Wir wollen lebendige, pulsierende ländliche Räume. Dafür brauchen wir bessere Rahmenbedingungen, und deshalb bitte ich Sie alle, unseren Antrag zur Verantwortung für die ländlichen Räume und die dort lebenden Menschen zu unterstützen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Edmund Peter Geisen, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Seehofer! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geht es der Landwirtschaft gut, geht es den ländlichen Räumen gut. Dort stehen meines Erachtens die Stützen unserer Gesellschaft. Ich füge hinzu: Eine gute Landwirtschaft ist auch guter Klimaschutz. ({0}) Kaum gibt es positive Tendenzen im Agrarbereich, die durch den Weltmarkt hervorgerufen wurden, so hören die Damen und Herren von der Regierungskoalition nicht auf, zu frohlocken, wie gut es doch der heimischen Landwirtschaft geht. Minister Seehofer hört man nur noch über seine eigene Politik jubilieren - dies zum Ärger der Landwirte und der Landbevölkerung. ({1}) Denn die Fakten sind anders: Erstens. Die Landwirtschaft war jahrelang die Inflationsbremse in Deutschland. Die Einkünfte lagen am Existenzminimum, die Arbeit wurde nicht honoriert. Es entstand ein riesiger Investitionsstau. ({2}) Zweitens. Jetzt gibt es seit einigen Monaten eine Trendwende, und man vergisst, eine ehrliche Rechnung aufzumachen: Alle Produktionskosten, insbesondere die für Futter- und Betriebsmittel sowie die Energiekosten, sind enorm gestiegen. Der Großteil der Kostensteigerung ist hausgemacht: an erster Stelle durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte - eigentlich um 4 Prozentpunkte, rechnet man die Energiepreissteigerungen des letzten Jahres hinzu -, an zweiter Stelle durch die Steuersätze für Agrardiesel, die im Vergleich zu anderen EU-Ländern Mehrkosten von bis zu 100 Euro pro Hektar verursachen. Das macht für einen deutschen Durchschnittsbetrieb bis zu 8 000 Euro pro Jahr aus. Hier hatte die FDP-Fraktion gehofft, dass Sie, Herr Minister Seehofer, im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft aktiv geworden wären. Ich habe - sozusagen als Hilfestellung - einen Antrag zur Harmonisierung der Steuersätze für Agrardiesel in der EU eingebracht. Fehlanzeige! Meine Kolleginnen und Kollegen in der Großen Koalition haben diesen Antrag leider einstimmig abgelehnt. ({3}) Drittens. Ihre Erntehelferregelung führt zu höheren Bürokratie- und Arbeitskosten sowie zu Ertragsausfällen. Ich frage Sie, Herr Minister Seehofer: Warum hören Sie nicht auf Ihre eigenen Leute, auf die Länderminister und die Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Fraktion? Forderungen aus Ihren eigenen Reihen gibt es genug. Können oder wollen Sie sich nicht bei Ihrem Koalitionspartner durchsetzen? ({4}) Zur Erntehelferregelung liegt ebenfalls ein Antrag der FDP vor, der den Anliegen der Bauern vor Ort viel besser gerecht wird als Ihre nunmehr im dritten Jahr verkorkste Regelung. ({5}) Glauben Sie mir; ich weiß, wovon ich rede. Ich habe mit vielen Betroffenen vor Ort gesprochen. Es ist doch billiger Populismus, wenn man verkündet, dass auf den Obst- und Gemüsefeldern das Problem der Arbeitslosigkeit in Deutschland gelöst wird. Wie hat es der Chefredakteur einer landwirtschaftlichen Fachzeitung so schön formuliert? Der eigenen Klientel schaden, um in der Öffentlichkeit Punkte zu sammeln! Wir fordern, dass die Eckpunkteregelung nicht noch einmal verlängert wird und stattdessen die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gewährleistet wird. Wissen Sie eigentlich, dass in der ganzen EU neben uns nur Österreich die Grenzen bis 2009 dichtmacht? ({6}) Viertens. Auch das kürzlich verabschiedete, verkorkste Gesetz zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung wird schon bald zu Beitragserhöhungen und Kostensteigerungen für Landwirte führen. ({7}) Die landwirtschaftlichen Krankenkassen sind wiederum nicht an den Bundesmitteln, zum Beispiel hinsichtlich der kostenlosen Familienmitversicherung, beteiligt worden. Das führt zu großer Verunsicherung, aber auch zu Wut und Ärger bei den Betroffenen. ({8}) Bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung haben wir eine Umstellung des Systems gefordert. Der Bund und die BGs stecken stattdessen über 1 Milliarde Euro in eine nicht funktionierende Reform. Auch hier werden Beitragserhöhungen mit Sicherheit die Folge sein. Das sage ich Ihnen voraus. ({9}) Schönfärberei kann Murks auf Dauer nicht verdecken. ({10}) Vielen Landwirten geht es noch immer nicht gut. Die Strukturen der ländlichen Räume sind noch immer gefährdet. Sie sind nicht in Ordnung. Mit dieser Regierung gibt es keine Verlässlichkeit und keine Planungssicherheit für die Landwirte und die ländlichen Räume. Die Interessen der Landwirte werden beim parteipolitischen Machtpoker leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Gerhard Botz, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Gerhard Botz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Behm, ich möchte eine Vorbemerkung machen: Die Redezeit kann immer knapp werden; aber ich war sehr froh, als Ihre Redezeit zu Ende ging. Ich habe befürchtet, dass der eine oder andere Gast auf der Tribüne, der aus einem ländlichen Raum stammt, sich ängstlich in eine Zukunft verschlagen sieht, in der er sich mit einem Buschmesser zur nächsten Postdienststelle durchschlagen muss. ({0}) Ich komme zur Sache, also zu unserer Verantwortung für ländliche Räume. Wenn ich in meinem strukturschwachen Wahlkreis zu einer öffentlichen Veranstaltung zu diesem Thema einlade, dann führt das immer zu drei Fakten: Erstens. Der Saal ist voll. Zweitens. Selbstverständlich sitzen die Landwirte und die Vertreter der vor- und nachgelagerten Bereiche im Saal; sie gehören da auch hin. Drittens. Zur Überraschung dieser Vertreter stellen sie oft aber nicht die Mehrheit der Anwesenden. Uns als Experten überrascht das nicht. Ich zähle diese anderen einmal kurz auf: die Kommunalpolitiker, Vertreter der Krankenhäuser, der Katastrophenschutzorganisationen, der Naturschutzverbände und Vertreter der Organisationen, die die Kinderbetreuung und vieles mehr in den ländlichen Regionen in der Hand haben. Das macht Folgendes klar - das muss klar gesagt werden; das lenkt unser Handeln; das dürfen wir nicht vergessen -: Unsere Bürger in den ländlichen Räumen haben nicht nur bezogen auf die Landwirtschaft eine Erwartungshaltung. Wenn es aber um die strukturschwachen Räume geht - ich beziehe mich in meiner Rede heute etwas stärker auf diese Räume -, dann sind und bleiben Landwirtschaft und Forstwirtschaft entscheidende Teile der Wirtschaft. Diese Branchen bieten den Bürgern Erwerbsmöglichkeiten. Hier können sie ihr Einkommen erzielen. Sie sind der Grund für den Verbleib der Bürger in diesen ländlichen Räumen. Meiner Meinung nach muss das die entscheidende politische Zielstellung bleiben. ({1}) Die Erwartungen, die die Bürger, die in diesen Regionen leben, an uns haben, wachsen; das spüren wir doch alle. Dabei geht es aber nicht um irgendwelche überzogenen Horrorbilder oder Ähnliches. Vielmehr wird die Frage an uns gerichtet: Was könnt ihr konkret tun? Ich sage Ihnen eines: Ich bin sehr zufrieden und dankbar, Herr Bundesminister - das, was ich jetzt sage, richtet sich an die gesamte Bundesregierung -, dass das im Nationalen Strategieplan für die Entwicklung ländlicher Räume 2007 bis 2013 aufgegriffen wurde; denn es war höchste Zeit, dass das geschieht. Ich hoffe - Herr Minister, Sie wissen ja, wie das ist; denn Sie sind sehr erfahren -, dass dieser Plan nicht irgendwann irgendwo verstaubt, sondern dass er in jeder Abteilung Ihres Hauses immer ganz oben auf dem Tisch liegt. Da das für alle Häuser gilt, bin ich dankbar, dass auch Vertreter der anderen Ministerien hier anwesend sind. Es handelt sich nämlich um den Nationalen Strategieplan der Bundesregierung für die Jahre 2007 bis 2013. Dieser Plan ist ein Fortschritt, und dieser Fortschritt ist ein Verdienst der Großen Koalition. ({2}) Zum Schwerpunkt meines Beitrags. Herr Minister, in Punkt eins unseres Papiers, um das wir miteinander gerungen haben, ist die Verpflichtung zur Koordinierung aus Ihrem Haus heraus festgehalten. Wichtig ist, dass dann, wenn es um die Notwendigkeit von Veränderungen der Arbeiten oder um die Umgestaltung und Weiterentwicklung der GAK geht, die Stimme von außen - ich erinnere nur an den OECD-Prüfbericht vom März 2007 und die Stimme der Fachleute in unserem Land, zum Beispiel der Fachleute, die Ihrem Haus die Ergebnisse des Bundesprogramms „Regionen aktiv“ geliefert haben, fast identisch sind. Das, also die GAK, ist sicherlich nach wie vor ein wichtiges Werkzeug. Aber so, wie es derzeit ist, reicht es nicht mehr aus, um den Bedürfnissen des ländlichen Raumes gerecht zu werden. Werte Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen haben bereits das Thema Breitbandversorgung angesprochen. Ich habe großes Verständnis dafür, dass wir und vor allen Dingen die Medien immer ein Gipfelthema brauchen, an dem wir etwas fast symbolisch festmachen. Das ist nicht schlecht. Um nicht falsch verstanden zu werden, sage ich aber: Das ist nur ein Gipfelthema. Dahinter versteckt sich nicht nur der Wunsch, sondern auch die berechtigte Erwartung, dass auch die anderen Strukturelemente stabilisiert werden. Frau Behm, ich sage Ihnen: Nicht nur in dem Teil Deutschlands, aus dem ich komme, sondern auch in dem Teil, der den anderen seit inzwischen fast zwei Jahrzehnten maßgeblich unterstützt, werden in Zukunft Straßen gebaut werden müssen; auch das muss man in einem solchen Zusammenhang einmal sagen. ({3}) Ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch zwei Dinge sagen. Die Zeit geht wie immer zu schnell zu Ende. ({4}) Erstens. Ich bin nicht bereit - ich hoffe, Ihnen geht es genauso -, mir von Wissenschaftlern empfehlen zu lassen: Investiert die verbleibenden Fördermittel, die es mit hoher Wahrscheinlichkeit nur noch bis dann und dann gibt, in die Leuchttürme und die Ballungszentren. Dann geht in Wartehaltung, und hofft, dass das geschieht, was wir euch prophezeien, nämlich dass irgendwann die Ausstrahlungskraft dieser Mittel, wenn ihr Glück habt, ausreicht, den einen oder anderen ländlichen Raum zu erleuchten. - Das reicht den Menschen nicht. ({5}) Zweitens. Wir brauchen Netzwerke, minimale Knotenpunkte, in die Geld gehen muss. Verehrte Kollegen von der konservativen Seite, ({6}) auch deshalb ergibt es einen Sinn, rechtzeitig von der ersten Säule in die zweite Säule zu wechseln und, bevor sie uns endgültig verloren geht, das Geld in landwirtschaftsnah zu definierende Elemente zu investieren. ({7}) Abschließend muss ich sagen - da muss ich hier Verschiedene anschauen -: Ich bin enttäuscht. ({8}) Ich glaube, dass wir in der Mitte richtig liegen. ({9}) Wir sollten auch als Politiker - das mag als Schwäche definiert werden - ab und zu mit einem Schuss Emotion ({10}) - diese Freiheit habe ich mir heute genommen - die Menschen daran erinnern, dass Fördergelder richtig sind, dass sich die Menschen aber immer wieder in benachteiligten ({11}) ländlichen Gebieten auf sich selber besonnen haben, Selbstvertrauen und Kraft geschöpft haben, nach vorne geschaut ({12}) und gesagt haben: Hier ist eine Krise, aber diese Krise bietet auch Chancen. Wir packen es an, wir gehen da durch und erarbeiten uns eine gemeinsame vernünftige Zukunft. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus Hofbauer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, Frau Dr. Happach-Kasan, eine Bemerkung. Sie haben zu Beginn Kritik an unserem Minister geübt. Ich möchte Ihnen sagen, dass Sie mit dieser Kritik völlig danebengelegen haben. ({0}) Unser Minister Horst Seehofer leistet für die Landwirte und für den ländlichen Raum eine hervorragende Arbeit. Die Menschen des ländlichen Raums, insbesondere die Bauern, haben Vertrauen in die Politik von Horst Seehofer. ({1}) Liebe Frau Kollegin Behm, wir arbeiten im Unterausschuss Strukturfragen sehr eng zusammen, und ich schätze Ihre Arbeit. Erlauben Sie mir aber, eine Feststellung zu machen: Ich bin den Verantwortlichen der Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass dieses Thema zu einer solch guten Zeit diskutiert und beraten wird. Damit wird das Thema Landwirtschaft und ländlicher Raum wirklich einmal in den Mittelpunkt unserer Arbeit gestellt. Herzlichen Dank dafür, dass wir diese gute Zeit bekommen haben. ({2}) - Und unser Fraktionsvorsitzender ist da. Er verfolgt die Situation sehr genau, und er hat uns in der Fraktion ganz gewaltig bei der Erarbeitung dieses Antrags unterstützt. ({3}) - Darf ich, liebe Frau Kollegin Behm, noch eine zweite Bemerkung machen? Vielleicht können Sie diese in Ihre Zwischenfrage einbeziehen. Frau Kollegin Behm, Sie haben die Verkehrspolitik und die Infrastrukturpolitik hier negativ angesprochen. Es ist meine feste Überzeugung, dass eine intakte Infrastruktur die beste Förderung für den ländlichen Raum ist. Ohne eine intakte Infrastruktur gibt es keine Entwicklung des ländlichen Raums. Deswegen brauchen wir gute Straßen und eine insgesamt intakte Infrastruktur im ländlichen Raum. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Behm?

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. ({0})

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Geschätzter Kollege, ich muss jetzt doch einmal an unsere Reise nach Ostbayern erinnern. ({0}) - Nein, es war keineswegs eine private Reise, die wir da unternommen haben. Ich spreche von der Delegationsreise des Unterausschusses „Regionale Wirtschaftspolitik“. Wir besuchten drei Landkreise, und auf zwei davon möchte ich zu sprechen kommen: den Landkreis Cham und den Landkreis Hof. Wir haben gesehen, dass die Wirtschaftsentwicklung dort sehr unterschiedlich verläuft. Haben Sie sich einmal damit auseinandergesetzt, wie die Wirtschaftsentwicklung dieser beiden Kreise sich zu ihrer Infrastrukturausstattung verhält? Sollten Sie das noch nicht getan haben, kann ich Ihnen eine Untersuchung meines Kollegen Anton Hofreiter empfehlen, der sich dieses Problems angenommen hat. Haben Sie Interesse daran? Möchten Sie diese Studie vielleicht zugeleitet bekommen? ({1})

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich kenne diese Studie, weil der Kollege Hofreiter sie uns im Verkehrsausschuss zur Verfügung gestellt hat. Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich mit dieser Studie inhaltlich nicht ganz einverstanden bin, weil die Verkehrspolitik darin unserer Meinung nach völlig falsch dargestellt wird. Wir brauchen eine gute Infrastruktur, weil wir ansonsten insbesondere die strukturschwachen Gebiete und die ländlichen Räume nicht erschließen können. ({0}) Frau Kollegin Behm, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie meinen Heimatlandkreis Cham angesprochen haben. In diesem Landkreis, in dem ich früher einmal kommunaler Wirtschaftsreferent sein durfte, haben wir bereits vor 20 Jahren den „Aktionskreis Lebens- und Wirtschaftsraum“ gegründet. Darin haben wir Wirtschaft - einschließlich der Landwirtschaft -, Kultur, Schulen usw. einbezogen, um eine Region gemeinsam zu entwickeln. Die Entwicklung sieht folgendermaßen aus: Im Jahr 1983 hatten wir im damaligen Landkreis Kötzting, einem Teil meines Wahlkreises, im Winter eine Arbeitslosenquote von 48,3 Prozent. Jetzt haben wir eine Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent. ({1}) Das ist die Entwicklung aufgrund einer guten Infrastrukturpolitik. Meine Damen und Herren, mit dem gemeinsamen Antrag der beiden Koalitionsfraktionen wollten wir eines erreichen: Der ländliche Raum soll nicht zum Anhängsel der Ballungsräume - allein wichtig in den Bereichen Naturschutz und Erholung - degradiert werden. Vielmehr wollen wir mit diesem Antrag klarstellen, dass Ballungsräume und der ländliche Raum gleichwertige und gleichberechtigte Partner sind, die auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren müssen. ({2}) Mir ist es ein Anliegen - wie Sie, Herr Kollege Kelber, es bereits gemacht haben -, die Stärken des ländlichen Raumes zu unterstreichen. Als Vertreter des ländlichen Raumes sollten wir von dieser Jammertalmentalität wegkommen. Wir sollten die Stärken des ländlichen Raumes herausstellen und den ländlichen Raum selbstbewusst erläutern. Auf einer Veranstaltung des Kollegen Koschyk mit Kommunalpolitikern und der CSU-Landesgruppe ist kürzlich bei der Diskussion über den ländlichen Raum ein junger Mann aufgestanden und hat sehr selbstbewusst gesagt, dass wir als Bewohner des ländlichen Raums ganz anders auftreten sollten, weil es bei uns Qualitäten gibt ({3}) wie die, dass man sich ein Häuschen bauen kann, gute Arbeitsplätze findet, eine hohe Lebensqualität hat, die Natur vor der Haustür ist und es ein gutes kulturelles Angebot gibt. Diese Stärken des ländlichen Raumes sollten wir wieder herausstellen; denn das ist meiner Meinung nach die beste Werbung für den ländlichen Raum. ({4}) Das heißt aber nicht, dass wir die Probleme unter den Teppich kehren wollen. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir gemeinsam mit den Ministern Horst Seehofer und Michael Glos ministerienübergreifend integrierte nachhaltige Konzepte für den ländlichen Raum erarbeiten. Die Arbeit für den ländlichen Raum ist eine Querschnittsaufgabe. Wir müssen - da spielt auch die Kulturpolitik eine Rolle, auch wenn das Länderaufgabe ist die Verbände einbeziehen. Ich glaube, dies ist von entscheidender Bedeutung. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken für die Programme zur finanziellen Förderung der ländlichen Räume, zum Beispiel für die GAK, aber auch für die GA im Allgemeinen. Dies sind ganz wichtige Säulen für die strukturschwachen Gebiete. Herr Kelber, ich vertrete hier eine andere Auffassung als Sie: Wir wollen nicht, dass das, was unsere Landwirte an Mehreinnahmen haben, abgezogen und in andere Programme gesteckt wird. Seien wir froh, dass unsere Bäuerinnen und Bauern Mehreinnahmen haben! Das muss bei den Bauern bleiben. ({5}) Ich möchte nicht verhehlen, dass wir uns mit den Programmen intensiv auseinandersetzen müssen. Im Moment läuft auf europäischer Ebene die Finanzierungsperiode 2007 bis 2013. In dieser Periode sind die Weichen für den ländlichen Raum im Großen und Ganzen richtig gestellt. Jetzt müssen wir die Programme vor Ort mit sinnvollen Projekten umsetzen. Dafür brauchen wir regionale Organisationen. Es ist aber auch die Aufgabe des Parlaments, gemeinsam mit dem Minister bereits an die nächste Finanzierungsperiode zu denken. Die Weichen für die Finanzierungsperiode ab 2013 werden im Jahre 2008 gestellt; schon 2008 werden auf europäischer Ebene die ersten Punkte festgelegt. Es wird entscheidend darauf ankommen, dass wir diesen Prozess für die ländlichen Räume gestalten. Erlauben Sie mir, die Versorgung mit Breitbandanschlüssen anzusprechen. Herr Minister, wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich dieses Themas gemeinsam mit Michael Glos angenommen haben. Wir sind uns einig in der Auffassung, dass die Breitbandvernetzung keine Sache der nächsten 20 Jahre ist, sondern in den nächsten zwei, drei Jahren geregelt werden muss. ({6}) Ich bin davon überzeugt, dass schon heute viele Ansiedlungsentscheidungen - ob einer ein Haus bauen will; ob einer eine Existenz gründen will; ob einer einen mittelständischen Betrieb erweitern will - davon abhängen, ob Breitbandanschlüsse verfügbar sind. Deswegen ist es gut, dass unser Minister die Weichen gestellt hat, gemeinsam mit den Ländern entscheidende Schritte zu machen. ({7}) Auch die regenerativen Energien sind für den ländlichen Raum von entscheidender Bedeutung. Meine Forderung im Hinblick auf die regenerativen Energien ist, dass die Wertschöpfung bei den Bauern, im ländlichen Raum bleibt. ({8}) Es darf nicht sein, dass die Wertschöpfung bei den regenerativen Energien an Konzerne geht, die jetzt ganz groß in diesen Bereich einsteigen. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, dass die Wertschöpfung bei den Erzeugern bleibt. Die Produktion der Rohstoffe muss im Mittelpunkt stehen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie die Genossenschaftsidee, die im ländlichen Raum in den letzten Jahrzehnten von großer Bedeutung war, mit neuem Leben erfüllt werden kann. ({9}) Die Bauern müssen bei diesen Dingen als Unternehmer dabei sein; das halte ich für ganz zentral. - Lieber Herr Vorsitzender der Unionsfraktion, ich meine schon die richtige Genossenschaft. - Deswegen sind wir dankbar, dass sich die Ministerien von Horst Seehofer und Michael Glos des Themas Energie und insbesondere der Förderung von Wärme- und Biogasleitungen angenommen haben. Wir werden das jetzt umsetzen, weil wir insbesondere in der Diskussion über das EEG darauf achten müssen, dass die Effizienz gesteigert wird. Und die Effizienz im ländlichen Raum wird nur dann gesteigert, wenn auch die Wärme dieser Anlagen genutzt wird und man sie nicht entweichen lässt. Herzlichen Dank für diese Initiative! ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gäbe noch viele Aspekte anzusprechen: Verkehrsanbindung, öffentlicher Personennahverkehr, öffentliche Daseinsvorsorge, Tourismus. Der liebe Kollege Ernst Hinsken hat den Tourismus ja schon wiederholt angesprochen. Das sind wichtige Punkte. Mit unserem Antrag haben wir das Thema ländlicher Raum nicht neu erfunden, aber wir wollten gemeinsam mit den Ministerien einen Akzent setzen. Das Thema ländlicher Raum als Lebens-, Wirtschafts- und Kulturraum wird uns noch gewaltig beschäftigen. Hier liegen große Chancen. Nutzen wir gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern diese Chancen. Ich glaube nämlich, dass der ländliche Raum eine Zukunft hat. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Waltraud Wolff, SPD-Fraktion. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Unsere Verantwortung für die ländlichen Räume: Wo stehen wir dabei in Deutschland, und was ist zu tun? Lassen Sie mich einen Prüfbericht der OECD an den Anfang meiner Rede stellen. Die OECD hat die deutsche Politik für die ländlichen Räume geprüft. Wir müssen das hier so konstatieren: Das Ergebnis ist nicht gerade rühmlich. Sie zeigt nämlich auf, dass wir in Deutschland unsere Chancen und Möglichkeiten noch nicht genutzt haben. Die OECD kommt zu dem Ergebnis, dass unsere Politik für ländliche Räume im Wesentlichen aus der Ergänzung der EU-Agrarpolitik besteht und dass wir strukturell noch nicht neu aufgestellt sind. ({0}) Das betrifft auf der einen Seite die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ und auf der anderen Seite genauso die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, mit der in erster Linie die strukturellen Unterschiede kompensiert werden sollen. Ziel einer Politik für die ländlichen Räume ist die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit sowie der Erhalt und Ausbau von Wirtschaftskraft. Das hat die Debatte hier ganz eindeutig gezeigt. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebt nicht in Großstädten, sondern in ländlichen Regionen, die ganz unterschiedlich sind. Auf der einen Seite gibt es blühende Regionen, nämlich wenn sie sich in der Nähe von Ballungsgebieten befinden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Regionen mit schrumpfender Entwicklung. Ich komme aus Sachsen-Anhalt. Für den Norden von Sachsen-Anhalt muss man das so konstatieren. Durch unser Grundgesetz wird uns ein ganz klarer Auftrag gegeben. Herr Minister Seehofer hat das vorhin einleitend auch schon gesagt. Wir als Parlament sind nämlich dafür zuständig, dass es für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gleichwertige Lebensbedingungen gibt. Das ist eine Aufgabe, die wir annehmen und auch anpacken müssen. Meine Damen und Herren, im Haushalt 2008 haben wir die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ erhöht. Wir haben hier auch Projekte für die Breitbandförderung im ländlichen Raum aufgenommen. Jeder hat das hier wohlwollend getan und gesagt: Wir haben in der GAK etwas installiert, wofür unsere Förderung in der Zukunft weitergehen muss. ({1}) Herr Seehofer, Sie haben in Ihrer Halbzeitbilanz angekündigt, eine weitere Modernisierung und Stärkung Waltraud Wolff ({2}) der GAK anzustreben. Wir als SPD haben das gerne aufgenommen. Aufgrund der ELER-Verordnung, die wir aus der EU bekommen haben, gilt es, besonders für die Entwicklung der ländlichen Räume neue Wege zu beschreiten. Hier soll und muss es zu einer Öffnung kommen, sodass möglichst auch Kleinstunternehmen - ich sage das für die Zuschauerinnen und Zuschauer: Das sind Unternehmen, die weniger als zehn Beschäftigte haben - gefördert werden können. Diese Öffnung geht über die Landwirtschaft hinaus. Hier gilt es auch, die GAK in Deutschland zu ändern. Wir müssen ganz eindeutig neue Schritte gehen. Aus Sicht der SPD ist Ihnen hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wir unterstützen Sie, wenn es um eine Änderung der GAK geht. ({3}) Wir haben in der heutigen Debatte aber auch schon gehört, dass die Fraktion der CDU/CSU, unser Koalitionspartner, in dieser Diskussion noch nicht so weit fortgeschritten ist. Ich möchte Ihnen noch einmal versichern: Es ist gut, wenn wir unseren Koalitionspartner dabei auch auf der parlamentarischen Seite ins Boot bekommen. ({4}) - Sie müssen dann das Protokoll lesen. ({5}) Politik für die ländlichen Räume ist mehr als Agrarpolitik. Das ist sicherlich richtig. Aber genauso richtig ist, dass gerade die Landwirtschaft und die Veredelungswirtschaft viele ländliche Regionen prägen. Es freut mich, dass der Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes, der am Dienstag dieser Woche vorgestellt worden ist, diese positive Entwicklung aufnimmt. Die Landwirte können zuversichtlich sein - das sagen der Bauernverband und dessen Präsident, Herr Sonnleitner. Das kann ich von hier aus nur unterstützen. Die Einkommen steigen, die Investitionen steigen und die Zukunftserwartungen sind gut. Die steigenden Preise für Agrarprodukte kommen bei den Bauern an. Wenn wir uns noch einmal bezüglich des Milchmarktes erinnern: Vor zwei Jahren war nie die Rede davon, dass es einmal einen Literpreis von 40 Cent geben könnte. Den haben die Milchbauern immer gefordert. Heute ist er Realität geworden. Dieser Aufschwung kommt bei den Menschen an, weil er ganz deutlich zeigt: Die Agrargenossenschaften, die Betriebe vor Ort können ordentlich verdienen. ({6}) Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, hat bei der Vorstellung dieses Berichts das umfassende Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis auf der Habenseite der Großen Koalition verbucht. ({7}) Damit ist es uns ganz ernst: Lebensmittel dürfen nicht verramscht werden. Sie haben ihren Preis. Wenn jetzt kurz vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung die Butter fast billiger als die Milch verkauft wird, dann muss ich sagen: Das ist ein echter Affront. ({8}) Wir alle wollen gute Lebensmittel. Dafür sollen die Bauern anständige Preise verlangen dürfen. Jetzt muss ich ein wenig von meiner Rede weglassen, weil mir meine Redezeit davonläuft. ({9}) Ich habe es vorhin schon gesagt: Die Entwicklung der Landwirtschaft profitiert. Gleichzeitig wissen wir, dass wir die Förderung der ländlichen Räume deutlich verbessern müssen. Ein Schwerpunkt kann hier nur die integrierte ländliche Entwicklung sein. Das ist aufwendig, aber es lohnt sich. Wir haben die Ergebnisse des Wettbewerbs „Regionen aktiv“ vor Augen. Wir haben darüber diskutiert. Alle 18 Modellprojekte haben davon profitiert. Wichtig war, dass die einzelnen Regionen selber Träger gewesen sind. Die Region selbst konnte festlegen, konnte schauen, wo die Defizite sind, wo die bestehenden Potenziale sind und was genutzt werden kann. Das hat dieses Modellprojekt ausgezeichnet. Die Konsequenz kann doch jetzt nur sein, dass wir dafür sorgen, dass dieser Ansatz auch in der Regelförderung in der Zukunft möglich wird. ({10}) Die Politik für ländliche Räume muss deutlich gestärkt werden. Das muss sich auch im Haushalt widerspiegeln. Gerade in der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union ist die Stärkung der zweiten Säule unumgänglich. Modulation ja, Degression nein! ({11}) Es geht nicht darum, ob es große oder kleine Betriebe sind oder ob große oder kleine Betriebe besser sind. Es geht vielmehr darum, welche Leistungen ein Betrieb vollbringt. Es geht sehr viel mehr darum, wie viele Mitarbeiter in einem Unternehmen angestellt und welche Sozialstandards gewährleistet sind. ({12}) Die Kappung der Direktzahlung betrifft vor allem Betriebe in den neuen Bundesländern. Die diskutierten Kürzungssätze würden die deutsche Landwirtschaft mit insgesamt 300 Millionen Euro belasten. Damit würden wir knapp die Hälfte der Kürzungen in der gesamten EU tragen müssen. 96 Prozent von diesen 5 700 Betrieben sind in den neuen Bundesländern. Viele Arbeitsplätze in ohnehin strukturschwachen Gebieten wären gefährdet. Es kann doch nicht sein, dass wir gerade dort die Landwirtschaft schwächen, wo der größte Bedarf für die Stärkung der Entwicklung der ländlichen Räume besteht, was auch von der EU in den Programmen festgeschrieben ist. Da fragt man sich, wie man auf EU-Ebene so paradox vorgehen kann. Waltraud Wolff ({13}) ({14}) Dennoch ist das Ziel der Kommission richtig: weg von der Marktintervention hin zur Stärkung der ländlichen Räume. Landwirte wollen sich an den Märkten ausrichten. Sie wollen die Marktchancen ergreifen. Gleichzeitig müssen sie aber auch Herausforderungen wie den Klimawandel oder den Rückgang der Artenvielfalt bewältigen. Die Landwirtschaft - damit komme ich zum Schluss, Frau Präsidentin - trägt, wie wir wissen, zum Klimawandel bei. Gleichzeitig ist sie aber auch von den sich ändernden klimatischen Bedingungen stark betroffen. Sie kann darüber hinaus als Rohstoffproduzent von Energie aus Biomasse einen wichtigen Anteil für die Begrenzung der Folgen des Klimawandels leisten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Kommen Sie bitte zum Ende, Frau Kollegin.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende. - Auf der anderen Seite trägt eine nachhaltige und angepasste Landwirtschaft dazu bei, dass wir auch später gerne in den ländlichen Regionen leben wollen. Lassen Sie uns diese Vision in die Wirklichkeit umsetzen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Folgen Sie unserem Antrag! Lassen Sie uns prosperierende Wirtschaftsbereiche in den ländlichen Räumen etablieren. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5956, 16/4806 und 16/6643 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung auf- geführt sind, wobei die Vorlage auf Drucksache 16/4806 federführend im Ausschuss für Wirtschaft und Techno- logie und die Vorlage auf Drucksache 16/6643 feder- führend im Ausschuss für Arbeit und Soziales beraten werden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Fleisch- gesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/7503, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6964 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Koalition und die Linke und Gegenstimmen der FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- stimmen möchte, möge sich bitte erheben. - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf an- genommen bei gleichem Stimmverhältnis wie vorher. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Agrarpolitischen Bericht 2007 der Bundesregie- rung sowie dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu dem genannten Bericht. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6864, den Entschließungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5599 in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 16/4289 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthal- tungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenom- men gegen die Stimmen der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung des Hauses im Übrigen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 39 a bis 39 g sowie Zusatzpunkt 3 auf: 39 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität - Drucksache 16/7218 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 24. April 2007 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat über die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit des Luftraums bei Bedrohungen durch zivile Luftfahrzeuge - Drucksache 16/7219 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes - Drucksache 16/7250 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Grundstoffüberwachungsrechts - Drucksache 16/7414 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Innenausschuss Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung seeverkehrsrechtlicher, verkehrsrechtlicher und anderer Vorschriften mit Bezug zum Seerecht - Drucksache 16/7415 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Medizinische Verwendung von Cannabis erleichtern - Drucksache 16/7285 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({5}) Rechtsausschuss g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Den Ostseeraum zur Modellregion für regionale Kooperationen ausbauen und den Baltic Sea Action Plan zum Baustein einer Europäischen Meerespolitik weiterentwikkeln - Drucksache 16/7286 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Fuchtel, Eckart von Klaeden, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Lothar Mark, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Erneuerbare Energien, wie Solarenergie, Geothermie, Wind- und Wasserkraft, für die Energieversorgung deutscher Einrichtungen im Ausland einsetzen - Für Klimaschutz und Nachhaltigkeit - Drucksache 16/7489 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 o sowie Zusatzpunkte 4 a bis k auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 40 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Strahlenschutzvorsorgegesetzes - Drucksache 16/6232 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) - Drucksache 16/7509 Berichterstattung: Abgeordnete Ingbert Liebing Detlef Müller ({9}) Horst Meierhofer Sylvia Kotting-Uhl Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7509, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6232 in der Ausschussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, heben bitte ihre Hand. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die FDP ohne Gegenstimmen bei Enthaltung durch die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen sich bitte erheben. Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 40 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Organisation des Bundesausgleichsamtes Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt - Drucksache 16/7079 Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({10}) - Drucksache 16/7514 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Bernhard Brinkmann ({11}) Ulrike Flach Anja Hajduk Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7514, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7079 anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, mögen bitte die Hand heben. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, der möge sich bitte erheben. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Tagesordnungspunkt 40 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln für den grenzüberschreitenden Personenverkehr mit Kraftomnibussen ({13}) KOM ({14}) 264 endg.; Ratsdok. 10102/07 - Drucksachen 16/5806 Nr. 11, 16/7071 Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Die Enthaltungen! - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch Koalition, Bündnis 90/Die Grünen und Linke ohne Gegenstimmen bei Stimmenthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 40 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({15}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers KOM ({16}) 263 endg.; Ratsdok. 10114/07 - Drucksachen 16/5806 Nr. 12, 16/7072 Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! Die Enthaltungen! - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Koalition ohne Gegenstimmen bei Stimmenthaltung durch die Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 40 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Ein Aktionsplan für Kapazität, Effizienz und Sicherheit von Flughäfen in Europa ({18}) KOM ({19}) 819 endg.; Ratsdok. 5886/07 - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zu Flughafenentgelten ({20}) KOM ({21}) 820 endg.; Ratsdok. 5887/07 - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 96/67/EG des Rates vom 15. Oktober 1996 KOM ({22}) 821 endg.; Ratsdok. 5894/07 - Drucksachen 16/4501 Nr. 2.43, 16/4501 Nr. 2.44, 16/4501 Nr. 2.46, 16/7169 Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Schmitt ({23}) Rainer Fornahl Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Diese Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die Koalition im Großen und Ganzen bei Gegenstimmen durch die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen und bei Stimmenthaltung durch die FDP-Fraktion angenommen.

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Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat Organspende und -transplantation: Maßnahmen auf EU-Ebene ({1}) KOM ({2}) 275 endg.; Ratsdok 9834/07 - Drucksachen 16/6389 Nr. 1.10, 16/7192 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Konrad Schily Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 40 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 317 zu Petitionen - Drucksache 16/7349 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 40 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 318 zu Petitionen - Drucksache 16/7350 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 40 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 319 zu Petitionen - Drucksache 16/7351 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 40 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 320 zu Petitionen - Drucksache 16/7352 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und ohne Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 321 zu Petitionen - Drucksache 16/7353 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Linke und Bündnis 90/ Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion der FDP und ohne Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 322 zu Petitionen - Drucksache 16/7354 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und FDP und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linke und ohne Enthaltungen angenommen. Tagesordnungspunkt 40 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 323 zu Petitionen - Drucksache 16/7355 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen von FDP und Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 40 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 324 zu Petitionen - Drucksache 16/7356 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von CDU/CSU und SPD und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linke und Enthaltung der FDP angenommen.

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Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 325 zu Petitionen - Drucksache 16/7357 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der Koalition und Ablehnung der Opposition angenommen. Zusatzpunkt 4 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 326 zu Petitionen - Drucksache 16/7492 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 327 zu Petitionen - Drucksache 167493 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({3}) Sammelübersicht 328 zu Petitionen - Drucksache 167494 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung der Koalition und der FDP und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({4}) Sammelübersicht 329 zu Petitionen - Drucksache 167495 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 4 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({5}) Sammelübersicht 330 zu Petitionen - Drucksache 167496 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD, FDP und Linke und Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 331 zu Petitionen - Drucksache 167497 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und ohne Enthaltungen angenommen. Zusatzpunkt 4 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 332 zu Petitionen - Drucksache 16/7498 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD, Linke, Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen. Zusatzpunkt 4 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 333 zu Petitionen - Drucksache 16/7499 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch die CDU/CSU, SPD und FDP, bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Zusatzpunkt 4 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 334 zu Petitionen - Drucksache 16/7500 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP und bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Linken angenommen. Zusatzpunkt 4 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 335 zu Petitionen - Drucksache 16/7501 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt durch CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und bei Gegenstimmen von FDP und Linken angenommen. Zusatzpunkt 4 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 336 zu Petitionen - Drucksache 16/7502 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch CDU/CSU und SPD und bei Gegenstimmen von FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linksfraktion ange- nommen. Ich rufe jetzt die Zusatzpunkte 5 a bis 5 h auf: Wahlen zu Gremien a) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl von Mitgliedern des Beirats bei der Bun- desbeauftragten für die Unterlagen des Staats- sicherheitsdienstes gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi- Unterlagen-Gesetzes - Drucksache 16/7474 - b) Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahl von Mitgliedern des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Kreditan- stalt für Wiederaufbau - Drucksache 16/7475 - c) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Wahl von Mitgliedern des Gemeinsamen Aus- schusses gemäß Artikel 53 a des Grundgeset- zes - Drucksache 16/7476 - d) Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Wahl vom Deutschen Bundestag zu entsendender Mitglieder des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({12}) - Drucksache 16/7477 - e) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitglieds des Beirats für Fragen des Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur ({13}) - Drucksache 16/7478 - f) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl eines Mitglieds des Stiftungsrates der „Stiftung CAESAR“ ({14}) - Drucksache 16/7479 - g) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl eines Mitglieds des Verwaltungsrates bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht - Drucksache 16/7480 - h) Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU Wahl einer Schriftführerin gemäß § 3 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7481 Es handelt sich um Wahlvorschläge zur Nachbesetzung von Gremien. Sind Sie damit einverstanden, dass wir darüber im Block abstimmen? - Das ist der Fall. Wer stimmt für die Wahlvorschläge? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die Wahlvorschläge einstimmig angenommen. Jetzt rufe ich den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen der Bundesregierung aus der Studie über erhöhte Krebsrisiken in der Umgebung von Atomanlagen Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell für Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ärzte, die in der Umgebung von Kernreaktoren praktizieren, geben schon seit Jahrzehnten Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen Radioaktivität und Zunahmen von Erkrankungen geben könnte. Es ist andererseits eindeutige Erkenntnis der Wissenschaft, dass Radioaktivität bereits vorgeburtlich Missbildungen und Krebs auslösen kann, Letzteres auch im frühkindlichen Stadium. Seit Jahrzehnten streiten sich Wissenschaftler darüber, wie hoch die Gefahr für eine Erkrankung besonders im Bereich der niedrigen radioaktiven Strahlung ist. Tatsache ist, dass die radioaktive Belastung in der Umgebung von Kernreaktoren geringfügig höher ist als die natürliche radioaktive Strahlung. Zudem ist die Art der radioaktiven Strahlung, die aus den Schornsteinen der Kernreaktoren kommt, eine ganz andere als die der natürlichen. Aus Atomkraftwerken entweichen gasförmige Radionuklide. Darunter befinden sich auch die besonders gefährlichen Spaltprodukte aus der Kernspaltung und deren Zerfallsprodukte, die übrigens auch über Abwasserrohre in die Gewässer gelangen. Ich weiß genau, worüber ich hier spreche: Mir wurde dieser Sachverhalt innerhalb meines Physikstudiums und in meiner Ausbildung als Strahlenschutzexperte bei der Gesellschaft für Strahlenforschung in München gelehrt. ({0}) Mit jedem Regen werden diese aus den Schornsteinen der Atomkraftwerke kommenden Radionuklide als sogenannter Fallout ausgewaschen. Sie erhöhen damit die Strahlung in der Umgebung. Ich persönlich messe dies kontinuierlich mit meiner privaten Radioaktivitätsmessstation in der Nähe des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld. Über die Atmung und über die Nahrung werden die radioaktiven Partikel in den Körper aufgenommen, wo sie ihre gesundheitsgefährdende Wirkung entfalten können. Über den exakten Wirkungsmechanismus dieser inkorporierten, höchst unterschiedlichen radioaktiven Spaltprodukte weiß die Wissenschaft zu wenig. Kritische Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten, dass die krankmachenden Wirkungen wesentlich höher sind, als nach den radiologischen Lehrbüchern zu erwarten wäre. Nun hat die vorliegende Leukämiestudie erstmals zweifelsfrei nachgewiesen, dass für Kinder unter fünf Jahren, die in der Nähe von Kernreaktoren aufwachsen, das Risiko, an Leukämie zu erkranken, wesentlich höher ist als bisher angenommen. Die besondere und wissenschaftlich bisher einzigartige Qualität dieser Studie ist, dass alle anderen bekannten Leukämierisiken ausgeschlossen werden können. Diese nachgewiesenen Risiken sind nicht unerheblich. In einem Radius von bis zu 5 Kilometern um die Kernreaktoren gibt es 19 Leukämiefälle mehr, als im statistischen Mittel ohne Kernreaktoren zu erwarten gewesen wären. ({1}) Die Datenlage der Studie weist im 50-Kilometer-Radius sogar bis zu 275 zusätzliche Krebsneuerkrankungen aus Hunderte von Einzelschicksalen, die in jeder betroffenen Familie eine Tragödie auslösen. Falsch ist die Interpretation, es gebe keinen Zusammenhang zwischen kindlicher Leukämie und der Radioaktivität in der Umgebung von Kernreaktoren. Nur der Wirkungszusammenhang ist nicht ausreichend bekannt. ({2}) Genau dies muss aber nun Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Die Ergebnisse der Studie müssen zu Konsequenzen führen: Erstens. Der bisher in der Wissenschaft angenommene Wirkungszusammenhang zwischen niedriger radioaktiver Strahlung und Krebserkrankungen muss wissenschaftlich neu bewertet und an die Erkenntnisse dieser Studie angepasst werden. Zweitens. Hinweise von Medizinern und Wissenschaftlern zeigen, dass auch eine erhöhte Missbildungsrate sowie erhöhte Krebsgefahren bei Erwachsenen, die in der Umgebung von Kraftwerken leben, vorhanden sein dürften. Dies muss in neuen Studien genauer erforscht werden. Drittens. Ein vorsorgender Gesundheitsschutz erfordert auch entsprechendes Handeln. Die nachgewiesenen erhöhten Krebsraten in der Umgebung von Kernreaktoren müssen vorsorglich dazu führen, dass die Emission von Spaltprodukten und anderer Radioaktivität aus den laufenden Kernreaktoren beendet wird. ({3}) Wollen die Betreiber von Kernreaktoren diese weiterbetreiben, dann müssen sie Wege finden, die radioaktiven Emissionen aus den Schornsteinen ihrer Kernreaktoren vollständig zu stoppen. Viertens. Da die Atomenergie eine Fülle weiterer Gefahren wie erhöhte Terroranfälligkeit, Sicherheitsprobleme und anderes birgt, müssen zunächst die störanfälligen älteren Reaktoren stillgelegt werden. Fünftens. Im Sinne des Verursacherprinzips müssen die Reaktorbetreiber nachweisen, dass die nachgewiesene erhöhte Zahl von Krebsfällen nicht durch den laufenden Betrieb der Kernreaktoren verursacht wird. Sollten sie diesen Nachweis nicht erbringen, müssen sie aufgefordert werden, die Kernreaktoren stillzulegen; eine Stromversorgung aus erneuerbaren Energien - diese sind radioaktivitätsfrei - wird als Ersatz leicht möglich sein. ({4}) Die Gesundheit unserer Kinder sollte uns dies alles wirklich wert sein. Ich danke Ihnen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Jedes Kind, das an Krebs erkrankt, ist ein Kind zu viel. Niemand kann und darf darum ein Interesse haben, die Studie, über die wir hier diskutieren, zu relativieren; im Gegenteil: Offene Fragen sind zu klären. In der Tat liefert die Studie ein Ergebnis, aber, Herr Kollege Fell, keine Erklärung dazu. Das Ergebnis lautet - ich sage es jetzt präziser, als Sie als Physiklehrer das getan haben -: In einer 5-Kilometer-Zone um Kernkraftwerke erkranken pro Jahr bundesweit durchschnittlich 1,2 Kinder unter fünf Jahren mehr an Krebs als in einer zufällig ausgewählten Kontrollgruppe. Das ist das präzise statistische Ergebnis dieser Studie. ({0}) Die Einzelschicksale, die dahinterstehen - circa ein erkranktes Kind pro Jahr im Bundesgebiet -, halten mich davon ab, von statistischem Grundrauschen zu sprechen. Außerdem will ich, wie gesagt, nicht das Ergebnis relativieren. Die Studie ist hinsichtlich der Modellannahmen in keiner Weise statistisch in Zweifel zu ziehen. Das Ergebnis ist statistisch signifikant; das heißt, der Zusammenhang ist mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 5 Prozent richtig. Die Art und Weise, wie Herr Fell gerade die Debatte eröffnet hat, ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich viele mühen, politische Schlussfolgerungen aus dieser Studie zu ziehen. Das in seriöser Weise zu tun, ist zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Die Studie belegt nämlich - auch wenn Sie, Herr Fell, etwas anderes behaupten - überhaupt keine Ursachen. ({1}) Dazu die KiKK-Studie wörtlich: Obwohl frühere Ergebnisse mit der aktuellen Studie reproduziert werden konnten, kann aufgrund des aktuellen strahlenbiologischen und -epidemiologischen Wissens die von deutschen Kernkraftwerken im Normalbetrieb emittierte ionisierende Strahlung grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert werden. ({2}) Soweit die zusammenfassende Schlussfolgerung. Im nächsten Satz wird sogar darauf hingewiesen, dass Zufall bei dem beobachteten Abstandstrend eine Rolle spielen könnte. Das Deutsche Kinderkrebsregister verlautbart in einer Presseerklärung vom 12. Dezember 2007 entsprechend: So kommt nach dem heutigen Wissensstand Strahlung, die von Kernkraftwerken im Normalbetrieb ausgeht, als Ursache für die beobachtete Risikoerhöhung nicht in Betracht. Denkbar wäre, dass bis jetzt noch unbekannte Faktoren beteiligt sind oder dass es sich doch um Zufall handelt. So sieht das übrigens auch der zuständige Abteilungsleiter beim Bundesamt für Strahlenschutz, Thomas Jung, während sich sein Chef Wolfram König - er ist hier im Hause bekannt ({3}) alle Mühe gibt, einen anderen Eindruck zu erwecken. Er wird folgendermaßen zitiert: „Es gibt Hinweise, aber keine Beweise.“ Ich sage: Es gibt Forschungsbedarf, sonst gar nichts. Wie ich in meinen Gesprächen mit Experten erfahren habe, sollte man im Zusammenhang mit Leukämie Folgendes beachten: Erstens. Es gibt andere Leukämie-Cluster, das heißt regional-zeitliche Häufungen von Leukämien an Orten ohne Kernkraftwerke. Zweitens. In der Wissenschaft wird über demografische Einflussfaktoren geforscht. Drittens. Es soll immunologische Faktoren geben, die eine Rolle spielen. Viertens. Es könnte auch andere Zusammenhänge geben, die gerade an Kernkraftstandorten eine Rolle spielen und die man vielleicht anhand eines Vergleichs mit anderen Clustern identifizieren kann. Jedenfalls herrscht hier Klärungsbedarf. Darüber hinaus taugt der Zwischenbericht - Herr Fell, ich sage Ihnen das ausdrücklich - nicht für Politik. Ich sage das an die Adresse der Grünen und gehe dabei nicht einmal so weit wie Herr Jung vom Bundesamt für Strahlenschutz - ich habe ihn gerade zitiert -, der meint, im Straßenverkehr oder durch das Passivrauchen seien Kinder ungleich größeren Risiken ausgesetzt. ({4}) Die Union macht jedenfalls keine Politik mit den Ängsten von Eltern. ({5}) Deshalb kann ich mir eine Anmerkung an dieser Stelle - bei aller Sachlichkeit - beim besten Willen nicht verkneifen. Meine Damen und Herren von den Grünen, Sie waren sieben Jahre in der Regierung. Wenn Sie schon immer mehr als die Wissenschaft gewusst haben - Herr Fell hat gerade wieder gezeigt, dass er mehr als die Wissenschaft weiß -, wenn die Risiken aus Ihrer Sicht wirklich so enorm und so unverantwortbar sind, warum haben Sie dann in sieben Jahren Regierungszeit den immer propagierten sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie nicht durchgesetzt? ({6}) Warum haben Sie den Atomausstieg aufgegeben? Das sollte der nächste Redner aus Ihren Reihen einmal begründen. ({7}) Das ist nämlich für uns eine politisch hochspannende Frage. ({8}) Vielen herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Angelika Brunkhorst spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, dann ist das immer eine Katastrophe, für das Kind selbst, für die Familie, das Umfeld und die Freunde. Umso mehr freue ich mich, dass die Krebsforschung in Deutschland und weltweit sehr große wissenschaftliche Fortschritte gemacht hat und dass es insbesondere bei Leukämie bei Kindern mittlerweile sehr gute Heilungschancen gibt. Den Heilungschancen stehen natürlich die vielen offenen Fragen bei der Ursachenforschung gegenüber. Die britische Forscherin Claire Gilham veröffentlichte 2005 zu diesem Thema eine Studie, aus der hervorging, dass Kinder, die bereits in den ersten Lebensmonaten Kindertagesstätten besuchten oder häufig andere Kontakte sozialer Art hatten, seltener an Leukämie erkrankten. Andere Theorien gehen davon aus, dass genetische Ursachen für das Vorkommen von Leukämie mit eine Rolle spielen könnten, oder sie führen diese Erkrankungen auf virale Infektionen zurück. Immerhin ist es heute bei 85 Prozent der Fälle nicht möglich, die wirklichen Ursachen einer Leukämie festzustellen. So viel erst einmal vorab. Hingegen kommt - das haben die Verfasser der KiKK-Studie ganz deutlich gesagt - nach heutigem Wissensstand nicht allein die Strahlung von Kernkraftwerken im Normalbetrieb als Ursache für die beobachtete erhöhte Erkrankungszahl im 5-Kilometer-Umkreis infrage. ({0}) An Standorten, an denen man zum Beispiel Kernkraftwerke geplant, sie aber letztendlich doch nicht gebaut hat, gibt es genauso viele Erkrankungen wie an Standorten, an denen heute Kernkraftwerke in Betrieb sind. ({1}) Die Wissenschaftler, die am Deutschen Krebsregister tätig sind, rufen meinen großen Respekt hervor. Wir müssen ihnen ihre Arbeit hoch anrechnen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie bei der Erstellung dieser Studie mit gravierenden Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Zunächst einmal war die Bereitschaft von Familien, die innerhalb des 5-Kilometer-Umkreises von Kernkraftwerken wohnen, nicht besonders hoch, überhaupt die Fragebögen auszufüllen und Interviews zu führen. Also war die Fallzahl sehr gering. Dann mussten sich die Forscher bei der Erarbeitung der Studienkonzeption mit einem sogenannten Expertengremium des BfS auseinandersetzen, welches vorrangig mit Vertretern atomkritischer NGOs besetzt war. Für eine wissenschaftliche Studie ist das eine ungewöhnlich einseitige Konstellation. Das möchte ich hier auf jeden Fall einmal feststellen. ({2}) Schließlich möchte ich an dieser Stelle noch auf ein weiteres aktuelles Ereignis hinweisen. In der Berliner Morgenpost von heute steht, dass die Leiterin der Untersuchungskommission vom BfS noch nicht einmal eingeladen wurde, als die Studie veröffentlicht wurde. ({3}) Da gibt es scheinbar irgendwelche Dissonanzen. Ich kann es mir nicht anders erklären. Oder sind die Ergebnisse nicht so, wie man sie sich vorgestellt hat? Die Studie an sich weist also mehrere Schwierigkeiten auf: Die geringe Fallzahl hatte ich eben schon genannt. Die Autoren der KiKK-Studie sagen in Bezug darauf, dass die daraus überhaupt abzuleitenden Risikobewertungen mit sehr großen Unsicherheiten behaftet sind, und das nicht nur an einer Stelle; an vielen Stellen werden hierfür unterschiedlich hergeleitete Begründungen geliefert. Allein dann, wenn man die Zusammenfassung liest, fällt einem das auf. Jeder, der sich schon einmal mit empirischer Sozialforschung befasst hat, weiß, dass Studien mit einer relativ kleinen mathematischen Zahlenbasis immer sehr große Ungewissheiten hervorrufen. Es stellt sich zum einen die Frage, ob die Ergebnisse überhaupt auf kausale Zusammenhänge zurückzuführen sind, zum anderen, ob die wissenschaftlichen mathematischen Methoden nicht an ihre Grenzen stoßen, wenn man es mit ganz kleinen Fallzahlen zu tun hat. Ich glaube, bei allem, was die Studie ergeben hat oder auch nicht, ist es jetzt entscheidend, den Blick nach vorne zu werfen. Der Vorsitzende der Strahlenschutzkommission, Professor Dr. Wolfgang-Ulrich Müller, hat darauf hingewiesen, dass die dokumentierten Leukämiefälle sicherlich weitere Ursachen haben als nur die Strahlung. Man darf also nicht allein bei der Strahlung monokausal eine Erklärung für die Leukämiefälle suchen. Ich denke, wir müssen - das hat auch der Vorredner schon gesagt - anstreben, dass weitergehende Untersuchungen vorgenommen werden, die auch andere mögliche Umgebungsursachen in den Blick nehmen. Zum Schluss möchte ich an meine Kolleginnen und Kollegen von den Grünen appellieren: Sind Sie eigentlich im Bilde, dass diese Debatte - ich denke nur an Ihre Bestürzungsreaktionen, Herr Fell - so kurz vor Weihnachten bei vielen Familien ein starkes Unwohlsein hervorrufen wird? ({4}) - Frau Künast, seien Sie bitte einmal ganz ruhig! - Ich unterstelle Ihnen in der Tat, dass es Ihnen darum ging, die Atomdebatte möglichst lange am Kochen zu halten. In der Studie werden keine sofortigen Handlungen gefordert. ({5}) Darüber hätten wir mit der nötigen Sorgfalt gut und gerne auch im nächsten Jahr debattieren können. ({6}) Es wäre auf jeden Fall sozialverträglicher gewesen. Schönen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Christoph Pries spricht jetzt für die SPDFraktion. ({0})

Christoph Pries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003874, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Anlass der Aktuellen Stunde komme, möchte ich eine persönliche Anmerkung machen. Wir sprechen heute über Krebs - vor allem über Leukämie - bei Kleinkindern. Trotz deutlich verbesserter Heilungschancen ist diese Diagnose eine Horrorvorstellung für jeden, der selbst Kinder hat. Wir alle sollten dies in der Hitze der politischen Diskussion nicht vergessen. Das gebietet der Respekt vor den Betroffenen. ({0}) Als am vergangenen Samstag die ersten Informationen über die Studie „Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken“ bekannt wurden, waren die Reaktionen leicht vorhersehbar: Aufschrei bei den Grünen, Abwiegeln bei Union und FDP. Liebe Kollegin Brunkhorst, die Diskussion über die Ergebnisse einer soliden wissenschaftlichen Studie als irrational und schäbig zu bezeichnen, nur weil einem diese Ergebnisse nicht passen, halte ich für unangemessen. ({1}) „Schäbig“ wäre wahrscheinlich Ihre Wortwahl. Auch der Eindruck von Kollegin Reiche, die Untersuchung solle Antipathien gegen die Kernenergie schüren, halte ich für ziemlich deplatziert. ({2}) Ich habe bei der Durchsicht der Studie nicht einen Beleg für Ihre absurde Verschwörungstheorie gefunden. Kommen wir zu den Grünen. Der Kollege Fell titelte bereits vor der offiziellen Veröffentlichung der Studie: „Atomenergie gefährdet Kindergesundheit“. Weiter heißt es, Atomkraftwerke seien verantwortlich für das Leid vieler Kinder. Lieber Kollege Fell, hätten Sie diesen Satz im Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl geschrieben, würde ich Ihnen zustimmen. Aber im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie zu diesem Vokabular zu greifen, finde ich einfach abenteuerlich. Hysterie, Herr Fell, bringt uns keinen Millimeter weiter. ({3}) Was uns vorliegt, ist eine wissenschaftliche Untersuchung mit einem Ergebnis, aber ohne eine Erklärung. Wir haben ein statistisches Ergebnis. Es besagt, dass die Wahrscheinlichkeit von Krebserkrankungen bei Kleinkindern, die im Umkreis von 5 Kilometern von Atomkraftwerken leben, signifikant erhöht ist. Das ist besorgniserregend. Gleichzeitig wurde ein direkter Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Strahlenbelastung von den Autoren weder untersucht noch hergestellt. Einige Experten unterstützen die Meinung, es gebe keine Anzeichen für einen Zusammenhang, andere sind der Auffassung, dieser Zusammenhang könne nicht ausgeschlossen werden. Um dieses Dilemma aufzulösen, müssen wir auf der Grundlage der vorliegenden Studie weitere Untersuchungen durchführen. Wir sind deshalb der Auffassung, dass die Entscheidung von Bundesumweltminister Gabriel richtig ist, die Studie von der Strahlenschutzkommission umfassend bewerten zu lassen. Im Gegensatz dazu ist es wenig hilfreich, die Untersuchung als Steinbruch zu benutzen. Ein schönes Beispiel dafür war am Dienstag in der atomkraftfreundlichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen. Dort wurde in einem Artikel aus der Zusammenfassung der Studie zitiert: Die Häufung von Leukämiefällen in der Region um das Atomkraftwerk Krümmel, vom Autor als Zufall dargestellt, habe die Untersuchung am stärksten beeinflusst. Weggelassen hat der Redakteur allerdings, dass im zitierten Absatz von den Wissenschaftlern eindeutig klargestellt wird: Die Auslassung jeweils einer einzelnen Kernkraftwerksregion ergab keinen Hinweis darauf, dass das Ergebnis nur von einer einzelnen Region abhängig ist. Dieser kleine, aber entscheidende Unterschied muss dem Redakteur wohl entgangen sein. Ein Schelm, wer Böses vermutet. ({4}) Ich möchte abschließend zusammenfassen. Das Ergebnis der Studie gibt Anlass zur Sorge. Was wir jetzt brauchen, ist eine sachliche Bewertung - insbesondere mit Blick auf den möglichen Ursachenzusammenhang zwischen Wohnortnähe zum Atomkraftwerk und Krebsrisiko. Erst nach Abschluss dieser Prüfungen kann über das weitere Vorgehen entschieden werden. Die SPD-Bundestagsfraktion plädiert weiterhin für eine Übertragung von Reststrommengen von älteren auf neuere Atomkraftwerke. Die Gründe dafür sind bekannt: Ältere Atomkraftwerke sind störanfälliger. Ältere Atomkraftwerke bieten weniger Schutz bei Unfällen und Terroranschlägen. Ältere Atomkraftwerke sind nach unserer Auffassung trotz Nachrüstungen weniger sicher als neuere Anlagen. Die Versorgungssicherheit würde durch eine Abschaltung der Uraltmeiler nicht gefährdet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die SPD-Bundestagsfraktion ist die Atomenergie eine Risikotechnologie, die wir für nicht mehr zeitgemäß halten. ({5}) Die vorliegende Studie bestärkt uns in dieser Position. Der Atomausstieg ist und bleibt die richtige Entscheidung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Hans-Kurt Hill spricht jetzt für die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder, die in der Nähe von Atomkraftwerken leben, erkranken doppelt so häufig an Krebs wie Kinder im übrigen Bundesgebiet. Das ist das erschreckende Ergebnis einer Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz. Die Zahlen dieser Untersuchung sind außergewöhnlich gut belegt. Frau Brunkhorst und Herr Nüßlein, an dieser Erkenntnis ist nicht zu rütteln. Die Untersuchung zeigt zwar nicht direkt auf, warum das Leukämierisiko so hoch ist. Der Zusammenhang zwischen erhöhter Krebsgefahr für Kinder und der Nähe des Wohnortes zu einem Atomkraftwerk ist aber methodisch nachgewiesen. ({0}) Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen, Herr Nüßlein: Erstens. Dies ist ein Zufall - was wohl kaum anzunehmen ist. Zweitens. Das Wohnen in der Nähe von Atommeilern verursacht ein erhöhtes Krebsrisiko. ({1}) Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe, die Aufgabe verantwortlicher Politiker, umgehend Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen folgende Fragen neu bewerten: Sind die bisherigen gesetzlichen Grenzwerte noch haltbar? Welche Fakten in der Nähe von Atomkraftwerken müssen beachtet und bewertet werden? Welche Rolle spielen niedrige Strahlenwerte über einen längeren Zeitraum? ({2}) Wurden Faktoren beim Normalbetrieb von Atomkraftwerken übersehen? Welche Auswirkung haben die Erkenntnisse auf die Zwischenlagerung und die geplante Endlagerung hochradioaktiver Stoffe? ({3}) Ist unter diesen Umständen der Weiterbetrieb solcher Atomanlagen überhaupt noch zu verantworten? Ich warne an dieser Stelle allerdings vor zwei Dingen: Erstens. Die Leukämiekranken sind keine statistischen Opfer. Der Zusammenhang zwischen Atomkraft und Krebs ist bedrückend und real. Wer die Ergebnisse der Studie relativiert, nimmt die Leukämieopfer billigend in Kauf. ({4}) Zweitens. Das Unterschreiten gesetzlicher Grenzwerte kann die Gefahr nicht herabsetzen; denn die Erkenntnis der Studie ist: Wir wissen immer noch viel zu wenig über die Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung insbesondere aus spaltbaren Materialien. Geradezu unverantwortlich ist es, wenn jetzt behauptet wird, da die Grenzwerte nicht überschritten würden, gebe es keinen Zusammenhang zu den benachbarten Atomkraftwerken. Jetzt zu behaupten, die Studie liefere keine neuen Erkenntnisse, wie es Frau Kollegin Reiche von der CDU/CSU gleichlautend mit der Atomlobby behauptet, ist geradezu zynisch. ({5}) Unsere Aufgabe ist es, den Sachverhalt ernst zu nehmen, um jegliche Gefährdung von der Bevölkerung abzuwenden. ({6}) Dazu stellt die Linke drei Forderungen auf: Erstens. Der zuständige Umweltminister Gabriel wird gebeten, in der ersten Januarsitzung des Umweltausschusses eine umfassende Erklärung darüber abzugeben, welche Konsequenzen die Bundesregierung aus den Erkenntnissen ziehen wird und was die nächsten Schritte sind. Zweitens. Besorgte Anwohnerinnen und Anwohner von Atomanlagen müssen detailliert über die Situation informiert werden. ({7}) Sie müssen die Möglichkeit erhalten, Daten über ihren individuellen Strahlenwert zu bekommen. Es ist heute ohne Probleme möglich, Privatpersonen mit einem persönlichen Strahlenmessgerät auszustatten. ({8}) Für jede Person, die das möchte, könnte ein elektronisches Strahlenregister geführt werden. Herr Fell hat das eben schon ausgeführt. Drittens und letztens: Die Atomanlagen müssen ihren Betrieb in Deutschland schnellstmöglich einstellen. Das verlangen das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der Gefahrenabwehr. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Maria Flachsbarth spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Flachsbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003527, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Jahren wurde immer wieder der Verdacht geäußert, dass Kinder, die in der Nähe von Kernkraftwerken leben, häufiger an Krebs erkranken. Deshalb hat das Bundesumweltministerium über das Bundesamt für Strahlenschutz die sogenannte KiKK-Studie, die Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken, beim Deutschen Kinderkrebsregister an der Universität Mainz in Auftrag gegeben. Die Wissenschaftler verglichen Daten von an Krebs erkrankten Kindern unter fünf Jahren aus dem Zeitraum 1980 bis 2003, die zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung in einem Umkreis von maximal 5 Kilometern zu einem von 16 Kernkraftwerken lebten, mit den Daten ihrer gesunden Altersgenossen aus derselben Region. Die KiKK-Studie hat gezeigt, dass es zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Kernkraftwerk und der Häufigkeit, mit der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag an Krebs, insbesondere an Leukämie, erkranken, einen Zusammenhang gibt. Für den Untersuchungszeitraum wurde ermittelt, dass 37 Kinder neu an Leukämie erkrankt sind, obwohl statistisch nur 17 Neuerkrankungen zu erwarten gewesen wären. Die Forscher betonen allerdings, dass Strahlung von Kernkraftwerken im Normalbetrieb nach heutigem Wissen als Ursache für die beobachtete Risikoerhöhung nicht in Betracht kommt. Es handelt sich vielmehr um eine rein mathematisch-statistische Erhebung, die im Ergebnis leider keine Erkenntnisse über die Ursache der Krebserkrankung bei Kindern liefert. Diese Fragestellung ist im Forschungsauftrag des BMU, das damals unter der Leitung von Jürgen Trittin stand, nicht enthalten. ({0}) Die Direktorin des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik an der Universität Mainz, Professor Maria Blettner, stellt als Mitautorin der KiKKStudie fest - ich zitiere -: Leider erlaubt die KiKK-Studie keine Aussage darüber, wodurch sich die beobachtete Erhöhung der Anzahl von Kinderkrebsfällen in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke erklären lässt. Denkbar wäre, dass bis jetzt noch unbekannte Faktoren beteiligt sind oder dass es sich doch um einen Zufall handelt. Auch Bundesumweltminister Gabriel betont, dass die Strahlenbelastung der Bevölkerung in der Umgebung von Kernkraftwerken durch den Betrieb um mindestens das Tausendfache erhöht sein müsste, um strahlenbiologisch den Anstieg des Krebsrisikos erklären zu können. Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag unterstützt das Vorgehen des Bundesumweltministers, der die Strahlenschutzkommission, SSK, mit der Bewertung der Ergebnisse und der Behandlung der Frage eines möglichen Ursachenzusammenhangs beauftragt hat; denn Politik muss die Ängste der Bevölkerung, insbesondere der Eltern, ernst nehmen. Deshalb müssen wir die Ergebnisse dieser Studie fundiert beleuchten. ({1}) Der Hinweis von Professor Wolfgang-Ulrich Müller vom Institut für Medizinische Strahlenbiologie des Essener Universitätsklinikums, der zugleich Vorsitzender der SSK ist, dass auch noch andere Ursachen als die Strahlung vor dem Hintergrund der KiKK-Studie zu untersuchen sind, ist sicher richtig. Denn noch immer ist die Entstehung von Leukämie, die inzwischen Gott sei Dank in vielen Fällen heilbar ist, überhaupt noch nicht klar. Möglicherweise spielen neben einer genetischen Disposition auch noch andere Umweltbelastungen eine Rolle. Forschungen in dieser Richtung sind wichtig, um das Krebsrisiko von Kindern generell zu senken. Die Unionsfraktion begrüßt ferner, dass auch die Bundesländer, in denen Kernkraftwerke betrieben werden, wie mein Heimatland Niedersachsen, unmittelbar nach Bekanntgabe der Studie die sorgfältige Prüfung der Ergebnisse zugesagt haben. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt wird dabei vom Radiologischen Lagezentrum des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz unterstützt, das das Expertenwissen für Strahlenschutz mit einer gerade erst verbreiterten Personalbasis zusammenfasst. Herr Fell, dabei wird man auch auf Messergebnisse des Reaktorfernüberwachungssystems zurückgreifen können. Das ist ein wichtiges Instrument zur kontinuierlichen Kontrolle der Radioaktivität in der Umwelt. Unverantwortlich ist es aber, die Ängste der Menschen für eigene politische Zwecke zu missbrauchen. ({2}) Wenn sich der Spitzenkandidat der niedersächsischen SPD im Landtagswahlkampf die populistische Forderung der Linken, alle Kernkraftwerke in Deutschland sofort abzuschalten, zu eigen macht, dann ist das höchst verantwortungslos und zudem billigste Polemik. ({3}) Wer die Ergebnisse einer solchen Studie für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert, der geht zynisch mit der Angst von Eltern um und disqualifiziert sich selbst für jegliche höheren Ämter. Als ehemaliger Landesumweltminister weiß Herr Jüttner natürlich, was seine Forderung nach sofortiger Abschaltung aller Kernkraftwerke zur Folge hätte: Sein Parteifreund Sigmar Gabriel, der Bundesumweltminister, müsste umgehend die Betriebsgenehmigung aller Kernkraftwerke in Deutschland widerrufen. Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit tut Minister Gabriel das natürlich nicht, sondern er mahnt stattdessen zu Besonnenheit. Er hat zugesagt, das BMU werde nach Vorliegen der Ergebnisse der Prüfung der SSK über das weitere Vorgehen entscheiden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fordere Sie eindringlich auf, diese Haltung des Bundesumweltministers zu unterstützen und in dieser schwierigen Frage mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu agieren. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- Nein, lieber Herr Nüßlein. ({0}) Liebe Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ergebnis der Studie, über die wir heute reden, kann kurz zusammengefasst werden: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Nähe einer Wohnung zu einem AKW und dem Risiko von Kindern im Alter von bis zu fünf Jahren, an Krebs bzw. Leukämie zu erkranken. Warum das so ist, können die Autoren nicht sagen. Was heißt das für die Politik, die mit den Ergebnissen dieser Studie anders umgehen muss als die Wissenschaft, weil sie sich dazu verhalten muss? Es heißt ganz sicher nicht - das höre ich allerdings aus dieser Debatte und aus der Berichterstattung in der Presse zum Teil heraus -: In der Studie konnte zur Kausalität der Erkrankungen keine Aussage getroffen werden; also ist sie nicht aussagekräftig. Wir legen sie zur Seite und bedauern, dass wir für so viel Geld nur so wenige Ergebnisse bekommen haben. Diese Studie ist aussagekräftig. Ihre Aussage ist, dass es einen Zusammenhang zwischen der Nähe einer Wohnung zu einem AKW und dem Risiko eines Kindes, an Krebs zu erkranken, gibt ({1}) und dass dieses Risiko steigt, je größer die Nähe des Lebensraums des Kindes zum AKW ist. Meine Damen und Herren, das ist die dramatische Erkenntnis dieser Studie, auch wenn wir nicht wissen, warum dieser Zusammenhang besteht. Der Auftrag dieser Studie war im Übrigen nichts anderes, als diesen Zusammenhang, der im Rahmen der früheren Michaelis-Studie einmal signifikant und einmal nicht signifikant festgestellt wurde, endgültig zu belegen oder zu entkräften. Ihr Auftrag war nicht, die Ursachen zu erforschen. Das Ergebnis ist aber ganz offensichtlich beunruhigend genug, um zur Nebelkerzenwerferei zu verführen. Um vom Ergebnis und von der Frage nach möglichen Konsequenzen abzulenken, wird der Präsident des BfS diffamiert - dieses Spielchen hatten wir schon einmal -, und die Mitglieder des Expertengremiums, die diese Studie bewertet haben, werden kurzerhand zu Atomkraftgegnern erklärt, mit der Implikation, sie würden die Ergebnisse in eine gewünschte Richtung interpretieren. Der traurige Witz ist, dass es genau umgekehrt ist: Frau Blettner und andere interpretieren in diese Studie etwas hinein, was sie nicht besagt. Wie kann man erklären, die radioaktive Strahlung scheide als Ursache der höheren Krebsrate aus, weil die Kausalität nicht nachzuweisen sei? ({2}) Wenn Sie nicht wissen, warum die Bremsen Ihres Autos versagen, fahren Sie dann ruhig weiter? Wenn Sie nicht wissen, warum Ihr Haus brennt, bleiben Sie dann ruhig darin sitzen? Sie machen das Blinde-Kuh-Spiel zum Erkennungsprinzip! Wir wissen so gut wie nichts über die Wirkung der Niedrigstrahlung auf Kleinkinder. Wir wissen nicht, ob die Alphastrahlung im Hinblick auf das Ergebnis der Studie eine Rolle spielen könnte. Unser derzeitiger Wissensstand ist hier am Ende. Was ist das für eine Arroganz, unseren derzeitigen Wissensstand, mit dem wir ganz offensichtlich in Erklärungsnot geraten, als letzte Instanz zu setzen? ({3}) Damit sagen Sie: Das, was sich nach unserem Wissensstand nicht erklären lässt, kann nicht wahr sein. ({4}) Wer das ernst meint, der steckt in Zeiten, als der Widerstand noch sagen musste: „Und sie bewegt sich doch!“ Aufgabe der Politik und einer Gesellschaft, die es mit dem Schutz ihrer Mitglieder, vor allem ihrer schwächsten Mitglieder, ernst meint, ist sicherlich nicht, die Überbringer unangenehmer Wahrheiten mit Arrest oder Schlimmerem zu bestrafen oder sie wie heute zu diffamieren. Die Aufgabe ist, die Ursache für den eklatanten Zusammenhang von AKW-Nähe und Kinderkrebsrisiko zu erforschen. Diese Absicht unterstelle ich einmal hoffnungsvoll dem Schreiben des Bundesumweltministers. Aber was geschieht, wenn keine Antwort gefunden wird, wenn, wie so oft bei Umwelterkrankungen, weiterhin keine Kausalität nachgewiesen werden kann, weil die Faktoren, die als Auslöser infrage kommen, zu komplex sind und wir ihre Wirkungs- und Wechselmechanismen untereinander nicht entschlüsseln können? Auch dann muss gehandelt werden. Man kann es bei einer solchen Situation nicht einfach mit der Begründung bewenden lassen, man könne sie sich nun einmal nicht erklären. Der Komplex „Umwelt und Gesundheit“ leidet traditionell daran, dass sich Zusammenhänge zwischen Umweltrisiken und Erkrankungen nur selten - und wenn, dann nur in langwierigen Prozessen - beweisen lassen. Erinnern Sie sich an Asbest! Die Schädlichkeit war klar, aber die Kausalität war lange nicht zu beweisen, wobei die Worte „Umweltschädigung“ oder „Umwelterkrankung“ viel zu wenig klarmachen, dass es hier im Allgemeinen um nicht von der Natur, sondern von uns Menschen hervorgerufene Schädigungen geht. Ob Chemikalien oder Radioaktivität, es sind unsere Eingriffe, keine Naturgewalten, und wir haben die Macht, diese Eingriffe bei entsprechenden Hinweisen auf Gefährlichkeit zu überdenken und zu reduzieren. ({5}) Der Staat hat die Aufgabe, seine Bürger zu schützen, vor allem die Schutzbedürftigsten, die Kinder. Es scheint mir an der Zeit, der Erfüllung des Vorsorgeprinzips etwas näher zu kommen. Sich verdichtende Hinweise, ein starker Verdacht, das Fehlen einer anderen, mindestens genauso wahrscheinlichen Erklärung müssen als Handlungsauftrag an den Staat ausreichen. Hier kann es nicht länger nach dem Prinzip gehen: Im Zweifel für die Angeklagten. - Es muss heißen: Im Zweifel für die Opfer. ({6}) Wenn es nach weiteren Untersuchungen dabei bleibt, dass es keine nachweisbaren Gründe oder keine Erklärung für die Steigerung der Kinderkrebsraten gibt, dann müssen die deutlichen Hinweise auf den Zusammenhang mit der Nähe zu AKWs ausreichen. Dann ist es in der Tat an der Zeit, den Atomausstieg, so, wie er beschlossen ist, infrage zu stellen; aber umgekehrt, wie es heute hier so häufig passiert, nämlich mit der Forderung nach einer deutlichen Beschleunigung. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller für die Bundesregierung.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesamt für Strahlenschutz hat am Montag die Studie über Kinderkrebs im Umkreis von Kernkraftwerken ins Netz gestellt. Diese Studie hat eine intensive Diskussion ausgelöst, im Übrigen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im Ausland. Das sollten wir schon beachten. Diese Studie wird zu Recht als die bisher aufwendigste und sorgfältigste Studie über diesen Zusammenhang bezeichnet und hat deshalb in der Zwischenzeit auch in vielen anderen Ländern große Beachtung gefunden, weshalb die Debatte, die wir jetzt beginnen, nicht nur eine Debatte für die Bundesrepublik ist. Wir sollten das beachten. Sie hat auch international eine hohe Bedeutung. Die Fakten sind eindeutig. Im unmittelbaren Umkreis von Atomkraftwerken von bis zu 5 Kilometern ist bei Kindern unter 5 Jahren das Krebsrisiko 60 Prozent und speziell bei Leukämie etwa um 120 Prozent erhöht. Diese Fakten stehen fest, und wir sollten sie überhaupt nicht bezweifeln. Jetzt geht es darum, wie wir mit diesen Fakten umgehen. Das ist natürlich vor dem Hintergrund der aufgeladenen Debatte über die Atomkraft nicht so einfach, vor allem wenn man sieht, dass das eine kontroverse Debatte ist, die bereits über 30 Jahre anhält. Trotzdem will ich sagen: Frau Brunkhorst, wenn Sie hier Behauptungen aufstellen, dann sollten Sie sich vorher besser informieren. Das muss ich Ihnen schon sagen. Dafür ist die Debatte einfach zu wichtig. ({0}) Ich will das an zwei Punkten festmachen. Erstens. Frau Blettner war schriftlich zur Pressekonferenz eingeladen. Sie können gerne die Unterlage haben. Zweitens. Die Expertenkommission als einseitig atomkritisch zu bezeichnen, ist schlicht falsch. ({1}) Es ist gerade der qualitative Unterschied zu früher, dass wir eine plurale Zusammensetzung wollen. ({2}) Es ist eine gesellschaftliche Debatte, und die muss man mit allen Strömungen der Gesellschaft führen. Ich halte das für richtig; denn wir können in diesen Fragen nicht mit knappen Mehrheiten agieren. Wir brauchen große Mehrheiten, weil es hier um einen in der Tat fundamentalen Einschnitt geht. Genauso wenig kann man es akzeptieren, wenn diese Debatte als von den Atomkraftgegnern als hysterisch aufgeladen abgetan wird. Es mag die eine oder andere Übertreibung geben - übrigens auf beiden Seiten. Aber es geht hier darum, dass Kinder im Vorschulalter in großer Zahl Opfer sind. Mit diesem Tatbestand müssen wir sorgfältig und seriös umgehen. ({3}) Alles andere ist aus meiner Sicht schlicht falsch. Dafür ist das Thema zu ernst. Wir kommen einfach nicht an der Bewertung folgender Punkte vorbei: In dieser Studie hat man insgesamt 1 600 erkrankte Kinder mit der ungefähr dreifachen Zahl gesunder Kindern verglichen. Daraus ergeben sich die von der Kollegin Flachsbarth zitierten Zahlen. Diese Zahlen sind vom Deutschen Kinderkrebsregister an der Universität Mainz in 41 Landkreisen sehr sorgfältig erhoben worden. Das Fazit ist eindeutig: Es gibt deutlich mehr Krebserkrankungen in der Nähe von Atomkraftwerken. Soweit ist das eindeutig. Der Streit beginnt, weil die Kausalität nicht so einfach nachzuweisen ist. Das ist der entscheidende Punkt. Weil es nicht einfach ist, bei den biologischen Wirkungen von Strahlungen Kausalitäten zu benennen, müssen wir uns sowieso im Klaren darüber sein, dass wir es immer mit einer in hohem Maße wertorientierten Debatte und mit einer Vorsorgedebatte zu tun haben. ({4}) Ich will nur ein Beispiel nennen: Einer der größten Einschnitte in der Umweltdebatte war die Erfahrung von Rachel Carson aus dem Jahr 1968, dass man am Nordpol Dioxin gefunden hat. Das macht deutlich, dass die einfachen Ursache-Wirkung-Ketten, von denen wir sonst in der Regel ausgehen, in bestimmten Bereichen nicht vorhanden sind. Umso wichtiger ist es, eine ernsthafte und wertorientierte Bewertung vorzunehmen. Meiner Meinung nach sollten einfache Entweder-oder-Debatten diesbezüglich nicht stattfinden. Wir müssen uns darüber klar werden, ob wir vor dem Hintergrund der Gesundheitsgefährdung nicht sehr viel mehr in Richtung Vorsorge unternehmen müssen. Das ist der Punkt, um den es geht. ({5}) Zu den Stellen, an denen ich einen Widerspruch in den Aussagen der Studie sehe, möchte ich Folgendes sagen: Aus meiner Sicht hat Frau Professor Blettner im Rheinischen Merkur völlig zu Recht gesagt, dass es drei Möglichkeiten zur Erklärung des Tatbestandes gibt. Die erste ist, dass es in der Tat einen Zusammenhang zwischen der Strahlung und der Erkrankung gibt. Die zweite ist, dass es Zufall ist, dass gerade dieses Ergebnis herausgekommen ist. Daran glaube ich aber - wie übrigens auch Frau Blettner - am wenigsten. Denn wenn man die am meisten gefährdete, von Leukämie am stärksten bedrohte Region in der Elbmarsch bei der Studie außer Betracht lässt, ist das Ergebnis trotzdem nicht anders. Das ist ein interessanter Punkt. Das widerspricht der Annahme, dass das Ergebnis möglicherweise nur ein Zufall ist. Die dritte Möglichkeit ist - es ist völlig legitim, das zu sagen -, dass wir einfach viel zu wenig über die Wirkungen von niedrigsten Strahlenbelastungen wissen und viel genauer erforschen müssen, ob sie im Zusammenhang mit anderen Faktoren bestimmte Wirkungen insbesondere bei Kleinkindern hervorrufen. Das ist meiner Meinung nach eine völlig berechtigte Aussage. Für nicht berechtigt halte ich es, wenn man gleich sagt: Der Zusammenhang existiert nicht. ({6}) Das darf man gerade vor dem Hintergrund des Auftrags der Studie - denn sie sollte eine epidemiologische Erhebung, keine Ursachenerforschung sein - nicht sagen. Das ist aus meiner Sicht eine falsche Darstellung. Ich glaube, dass die Interpretation von Frau Blettner im Rheinischen Merkur die richtige ist. ({7}) Aus meiner Sicht muss man das auch vor dem Hintergrund anderer Aspekte sagen. Sie wissen, dass wir beispielsweise bei der Frage des Strahlenschutzes seit Jahren eine kritische Diskussion darüber haben, ob die alten Zahlen, die teilweise auf die 60er- und 50er-Jahre zurückgehen, heute noch zeitgemäß sind. Wir haben einen Grenzwert von 0,3 Millisievert für Abwasser und 0,3 Millisievert für die Luft. Viele sagen, schon das sei eine zu hohe Belastung. An dem Punkt kommen wir nicht vorbei. Es gibt auch andere Hinweise, die wir sehr ernst nehmen müssen, zum Beispiel ob das Zusammenwirken mehrerer Ursachen gerade bei Kleinkindern verstärkend wirkt. Darüber wissen wir nicht genug. Ein einheitlicher Wert ist damit möglicherweise nicht adäquat, um beispielsweise unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen damit zu bewerten oder Vorsorge für sie zu treffen. Meine Damen und Herren, es ist für uns ganz wichtig, dass wir Klarheit schaffen. Ich finde, wir müssen jetzt unsere Anstrengungen, die Zusammenhänge zu klären, verstärken. Wir müssen mehr Ursachenforschung betreiben. ({8}) Dazu will ich drei Punkte nennen: Erster Punkt. Wir haben der Strahlenschutzkommission den Auftrag erteilt, diese Studie zu bewerten und mögliche Schlussfolgerungen für die Politik zu benennen. Ich halte das für eine Arbeit, die in etwa sechs bis neun Monaten geleistet wird; dann müssen wir hier erneut darüber reden, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind und welche Schritte wir unternehmen. Zweiter Punkt. Wir müssen darüber reden, ob die Grenzwerte, die heute in der Strahlenschutzverordnung stehen, ausreichend sind. ({9}) Es gibt nämlich viele Hinweise, dass die Zusammenhänge so einfach, wie bisher angenommen wird, nicht sind. Dritter Punkt. Wir müssen mehr forschen, welche biologischen Wirkungen Strahlung hat; darüber wissen wir zu wenig. Eine persönliche Anmerkung dazu: Im Zweifelsfall muss der Vorsorge Vorrang gegeben werden, zumal wir Alternativen haben: Wir sind ja beispielsweise mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz auf einem guten Weg. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Katherina Reiche. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist das gute parlamentarische Recht der Opposition, eine Aktuelle Stunde zu beantragen. ({0}) Es hat sich allerdings schnell gezeigt, wie durchsichtig Ihr Vorhaben ist: dass es eigentlich um Ihre Unverbesserlichkeit in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie geht. Die am Samstag vorgelegte Studie zur Krebserkrankung von Kindern in der Umgebung von deutschen Atomkraftwerken, kurz KiKK-Studie genannt, hat bezüglich der Ursachen für die statistisch höhere Anzahl von Leukämiefällen keine Aussagekraft. In der KiKKStudie ging es - das ist schon ausführlich dargelegt worden - um den statistischen Zusammenhang zwischen dem Risiko eines Kindes, an Krebs zu erkranken, und der Entfernung zwischen seinem Wohnort und dem nächstgelegenen Kernkraftwerk. Zu den Ursachen erhöhter Krebsraten enthält die Studie keine Aussagen. Bundesminister Gabriel - das hat der Herr Staatssekretär eben gesagt - hat erklärt, dass nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand der beobachtete Anstieg der Anzahl der Erkrankungen nicht mit Strahlenbelastungen in der Umgebung eines Kernkraftwerkes erklärt werden kann. Trotzdem behauptet der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, das Gegenteil: dass Strahlung als Ursache für die erhöhte Krebsrate nicht auszuschließen ist. ({1}) Die Formulierung, die er gewählt hat, ist bewusst vorsichtig; doch er widerspricht seinem Minister und den Wissenschaftlern, die diese Studie zu verantworten haben. Man kann jetzt die Argumente hin und her wälzen, wir können jeder unsere eigene Interpretation machen. ({2}) Besser ist, die Interviews der Wissenschaftler selbst zu lesen. In dem Interview, das am 11. Dezember im Tagesspiegel erschienen ist, wurde Maria Blettner vorgehalten: Trotzdem sagt Wolfram König, Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, dass Strahlung als Ursache nicht auszuschließen ist. ({3}) Maria Blettners Antwort - ich bitte Sie, zuzuhören -: Wenn er darauf Hinweise hat, dann weiß er mehr als wir. Weiterhin sagt sie: Ja, es existieren ähnliche Untersuchungen, die stets zitiert werden. Sie meint damit: ähnlich kritische Untersuchungen in anderen Teilen der Welt. Blettner weiter: Das sind natürlich die auffälligen Studien. Doch es gibt natürlich genauso viele, die nicht auffällig sind. Auf die Frage, ob das Ergebnis Zufall sein könnte, antwortet sie: Es könnte auch Zufall sein. Deshalb glaube ich, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, dass wir aufpassen müssen, ({4}) dass wir in die Studie nichts hineininterpretieren, bei dem die Wissenschaftler selbst sehr zurückhaltend sind. ({5}) Ich habe das Gefühl, dass sich die Wissenschaftler derzeit hintergangen fühlen, zumindest aber fehlinterpretiert. ({6}) Katherina Reiche ({7}) Es muss der Frage nachgegangen werden, Frau Künast, wie die statistischen Abweichungen zustande kamen. Aber es muss in objektiver, in seriöser Weise geschehen. Es ist Grundlagenforschung notwendig. Wir erleben zurzeit das Gegenteil: altbewährte Stimmungsmache gegen die Kernkraft. Das erinnert mich an den bewährten Spruch: Komm mir bloß nicht mit Argumenten - ich fühle, dass es so ist! Wir haben im Bundesamt für Strahlenschutz angerufen, weil wir die Einzeldaten für jeden Standort haben wollten. Uns wurde gesagt, das könnten sie nicht herausgeben; denn sie hätten viel zu wenige Daten, diese seien nicht aussagekräftig. - Wenn der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz Eltern mit Halbwahrheiten in Panik versetzt, dann handelt er unverantwortlich. ({8}) Jedes Elternteil ist um die Kinder besorgt. Wer wäre das nicht? Jedes kranke Kind ist eines zu viel. Deshalb können wir froh sein, dass wir in Deutschland so viel in Forschung investieren und auch hier - gerade bei der Leukämie im Kindesalter - enorme Fortschritte erreichen konnten. ({9}) Frau Künast, die Wahrheit ist doch, dass interessierte Kreise die vermeintliche Sorge um die Gesundheit von Kindern bzw. das Schicksal und den Kummer betroffener Eltern in unverantwortlicher Weise politisch instrumentalisieren. Dagegen sprechen wir uns aus. ({10}) Wichtige Tatsachen, dass nämlich zum Beispiel die Ursachen für Krebs, darunter auch Leukämie, egal ob genetisch oder durch Umwelteinflüsse bedingt, bedauerlicherweise noch nicht ausreichend aufgeklärt sind und dass die Strahlung aus kerntechnischen Anlagen um das 1 000- bis 100 000-Fache geringer als die natürliche Strahlung ist, werden vernachlässigt. Nach Aussage der Leiterin der Untersuchung kann das Ergebnis - das habe ich zitiert - Zufall sein. So wurde geprüft, ob an anderen Standorten, an denen kerntechnische Anlagen geplant, aber nie gebaut wurden, ähnliche Effekte zu sehen sind. Dies war tatsächlich der Fall. Auf die Frage, was sie von der Reaktion einiger Politiker hält, die nun ein sofortiges Abschalten der Meiler fordern, antwortete die Autorin der Studie: Vielleicht sind wir ein bisschen selbst daran schuld, weil wir die Studie gemacht und veröffentlicht haben. Man darf jetzt aber keine Panik machen, vor allem bei den Eltern nicht, die in der Nähe eines Kernkraftwerkes wohnen. So tragisch die Leukämie für die Betroffenen ist: Wir sprechen über eine Krankheit, die fünf von 100 000 Kinder unter fünf Jahren betrifft und bei deren Therapie es enorme Fortschritte gegeben hat. ({11}) - Herr Kollege, ich zitiere die Wissenschaftlerin. ({12}) Also, keine Panik: Wir wissen nicht, ob die Kernkraftwerke tatsächlich die Verursacher sind. Wir reden nicht über die Kausalität, wir reden über eine statistische Korrelation.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Ich möchte mit einem Zitat aus der Information des Deutschen Kinderkrebsregisters enden: Kann man aus den Ergebnissen der KIKK-Studie schließen, dass aus Kernkraftwerken Strahlung entweicht und bei Kindern Krebs und speziell Leukämie verursacht? Kurz gesagt: nein. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Marlies Volkmer für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst einmal feststellen, worüber wir uns bei der Bewertung der Studie einig sind: Wir sind uns einig, dass ausgesagt wird, dass Kinder bis zu fünf Jahren, die in der Nähe von Kernkraftwerken leben, deutlich häufiger als ihre Altersgenossen an Krebs erkranken und dass es im Umkreis von fünf Kilometern um ein Kernkraftwerk mehr als doppelt so viele Fälle von Leukämie gibt, als nach dem statistischen Durchschnitt zu erwarten gewesen wäre. Entscheidend ist, dass das Atomkraftwerk in der Studie geradezu als Punktquelle ausgemacht wird und dass das Risiko, an Leukämie zu erkranken, mit zunehmendem Abstand abnimmt. Das ist in einer solchen Studie zum ersten Mal festgestellt worden. Das ist statistisch signifikant und kein Zufall. Weniger eindeutig ist tatsächlich die Erklärung der Ursache. Was ist die Ursache dafür? Was steckt dahinter? Das konnte durch die Studie nicht geklärt werden, weil sie auch gar nicht darauf angelegt war. ({0}) - Eben. Das sollte sie nicht. Es war eine epidemiologische Studie. Wir haben heute ja bereits mehrfach die Aussage der Autorin der Studie vernommen, wonach die Strahlenbelastung in der Umgebung der Reaktoren nicht ausreichend sei, um die erhöhte Zahl der Krebserkrankungen zu erklären. Dabei wird aber verschwiegen, dass die Autoren nur vor dem Hintergrund des aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens argumentieren. Wie ist es um dieses Wissen bestellt? Wie wirkt Strahlung, vor allem niedrig dosierte Strahlung, insbesondere auf den Organismus von kleinen Kindern? Welche Besonderheiten gibt es bei Heranwachsenden? Tatsächlich sind diese Punkte nicht abschließend geklärt. Vor diesem Hintergrund ist es mir unverständlich und ich finde es unverantwortlich, wie viele schon wieder die Interpretation parat haben, dass die Strahlenbelastung in der Umgebung der Kernkraftwerke keine Ursache für Krebserkrankungen sein kann. ({1}) Das erinnert mich an die ganz fatale Diskussion, die wir bezüglich der Klimaerwärmung hatten. Da war es auch so. Auch da gab es Wissenschaftler, die immer gesagt haben, das alles sei nicht bewiesen, das habe es alles schon gegeben, es habe schon Zeiten gegeben, in denen es so warm war. Bis zum letzten Beweis kann man manchmal nicht warten. Dann ist es nämlich zu spät. Jetzt redet jeder über die Klimakatastrophe. ({2}) Die Mitglieder der Expertenkommission, die die Studie von Anfang an wissenschaftlich begleitet haben, kommen zu dem Schluss: Aufgrund des besonders hohen Strahlenrisikos für Kleinkinder und des unzureichenden Wissens über die Wirkung der in den Körper aufgenommenen Strahlung könne die Strahlung keineswegs als Ursache ausgeschlossen werden. - Das schreibt der zwölfköpfige Expertenrat, der übrigens einstimmig zu dieser Aussage gekommen ist. Frau Brunkhorst und Frau Reiche, als Ärztin bin ich entsetzt über den Zynismus, mit dem Sie hier argumentieren. ({3}) Es kann einfach nicht sein, dass Sie die unbestrittenen Erfolge in der Krebstherapie und insbesondere in der Therapie der Leukämie hier quasi als Alibi benutzen, um nichts tun zu müssen. ({4}) - Ja, so kommt es aber an. ({5}) Wissen Sie, Leukämie ist keine Erkrankung wie Ringelröteln oder Husten und Schnupfen. Es ist immer eine langwierige Chemotherapie erforderlich, die entscheidend in das Leben der Familien eingreift. ({6}) Aus diesem Grund ist der Staat verpflichtet, diese Ergebnisse im Interesse des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere der Vorsorge der Bevölkerung ernst zu nehmen. Aus diesem Grund ist es auch notwendig, dass die Emissionen aus den Kraftwerken verhindert werden. Das ist Aufgabe der Betreiber. ({7}) Ich schließe mich meinen Vorrednern nun hinsichtlich der Forderung an, dass die Studie zügig und umfassend geprüft werden muss. Der Vorsitzende der Strahlenschutzkommission hat unter anderem darauf hingewiesen, dass einige Faktoren in der Untersuchung nicht berücksichtigt wurden, zum Beispiel die Dosis der Strahlung. Mindestens genauso wichtig ist es, Studien zu fördern, die das strahlenbiologische Wissen erweitern. Ich denke hier zum Beispiel an die Beteiligung des Landes Schleswig-Holstein an einem Projekt der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, das Leukämieentstehung im Kindesalter untersucht. Durch die Studie ist aber auch klargeworden, dass es keine Entwarnung vor den Risiken der Kernkraft geben kann und dass der schnelle Ausstieg aus dieser Hochtechnologie unbestritten richtig und wichtig ist. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Jens Koeppen für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist gar keine Frage: Krebs ist die Geißel der Menschheit. Oft findet die Medizin noch keine ausreichenden Antworten. Viele Menschen sind dem Schicksal hilflos ausgeliefert. Besonders wenn Kinder von der Krankheit betroffen sind, ist das so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann. Darin sind wir uns alle einig. Deswegen ist die Studie zu Krebsfällen bei Kindern im Umfeld von Kernkraftwerken ein zwingender Anlass, sich damit auseinanderzusetzen, und zwar auf der einen Seite ohne Verharmlosung, aber auf der anderen Seite auch ohne Hysterie. Man muss sich vielmehr mit AugenJens Koeppen maß, Sachverstand und der gebotenen Professionalität mit der Studie auseinandersetzen. ({0}) Denn angesichts der betroffenen Kinder und der unvorstellbaren Sorgen der Eltern verbieten sich praktisch jede Parteitaktik und jedes Wahlkampfgetöse. Wer jetzt bewusst mit den Ängsten der Menschen spielt, um ideologische und parteistrategische Vorteile zu erhaschen, Herr Kelber, und vermeintliche Siege davonzutragen, kann in dieser Debatte nicht ernst genommen werden. ({1}) Mit den Ängsten der Menschen zu spielen, ist höchst verwerflich. ({2}) - Erwartungsgemäß kommen nämlich die üblichen Reflexe von den Grünen, den Linken und von einigen NGOs, Frau Künast. ({3}) Es stimmen alle in den Chor ein: Als Erstes wird der sofortige Ausstieg aus der Kernenergie gefordert und als Zweites die gesamte Atomtechnologie verteufelt. ({4}) Ich finde das unglaubwürdig und zutiefst unseriös. ({5}) Ich hoffe nicht, dass das zutrifft, aber ich glaube manchmal, dass Ihnen ein Störfall im Kernkraftwerk gerade recht kommt. Mal ist es der Wechselrichtereffekt in Forsmark in Schweden, mal ein defekter Dübel in Deutschland. Mal ist es die eine Studie und dann wieder eine andere. Schon wird - wie gestern - im Ausschuss wieder der alte, verstaubte Antrag vorgelegt, in dem der sofortige Ausstieg gefordert wird. ({6}) Ich finde das unseriös; das ist nicht in Ordnung. ({7}) Sie schaffen schließlich auch nicht die Autos ab, weil 130 Kinder im Jahr im Straßenverkehr sterben. Sie schaffen auch nicht die Autos ab, weil 34 000 Kinder verletzt werden. Wenn Menschen durch Rußpartikel an Lungenkrebs erkranken, dann schaffen wir ebenfalls nicht die Autos ab, sondern bauen Rußpartikelfilter ein. Wir wollen keine Hysterie; wir wollen vielmehr Antworten geben. Wir wollen Lösungen statt Aktionismus. Das ist der richtige Weg. Ich hoffe, dass sich die Kollegen von der SPD jetzt nicht treiben lassen, sondern verantwortungsvoll an die Auswertung der Studie herangehen und diese ernst nehmen, wie es unser Umweltminister vorgeschlagen hat. Wir alle nehmen die Studie ernst. ({8}) Sie stellt einen Zusammenhang zwischen der Nähe zu einem Atommeiler und dem Risiko, an Leukämie zu erkranken, fest, der 0,8 Fällen pro Jahr entspricht. Das ist zwar ernst zu nehmen, aber die Studie trifft keine Aussagen über die Ursache. Die Strahlung müsste nach bisherigen Erkenntnissen 1 000- bis 10 000-fach höher sein, um diesen Effekt zu bewirken. An dieser Stelle muss angesetzt werden, Herr Hill, und zwar wissenschaftlich korrekt. Dafür ist entsprechende Forschung notwendig. Wenn die Ursachen wasserdicht erforscht sind und die Kausalität hergestellt ist, dann muss gehandelt werden - das ist völlig klar -, aber schnell, unbürokratisch und ohne Ideologie, Parteitaktik und vor allen Dingen ohne Schaum vor dem Mund. Vielen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Heinz Schmitt spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die sogenannte KiKK-Studie hat kurz vor Weihnachten für einen kräftigen Kick beim Pro und Kontra zur Atomkraft geführt. Die wichtigsten Ergebnisse wurden heute schon in zahlreichen Beiträgen genannt: Kinder unter fünf Jahre tragen ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken, je näher sie an einem Atomreaktor leben. Das ist das nüchternde Ergebnis der Untersuchung. Andere Schlussfolgerungen sind umstritten. Auch das wurde heute schon festgestellt. Bei so viel Unklarheit hat unser Umweltminister Sigmar Gabriel das einzig Vernünftige getan: Er hat mit der Strahlenkommission unabhängige Experten beauftragt, die Studie zu bewerten. Für andere Leser der Studie und auch für heutige Rednerinnen scheint das Ergebnis erstaunlich eindeutig zu sein. Frau Brunkhorst, Sie sagten, man dürfe die Studie nicht dazu nutzen, die Debatte über Atomkraft in schäbiger Weise anzuheizen. So habe ich es gelesen. Auch Frau Reiche - das hat sie heute wiederholt - hat den Eindruck, dass die Studie die Antipathien gegen Kernkraft schüren soll. Herr Nüßlein, Sie sagen: Es gibt Handlungsbedarf, sonst gar nichts. - Mir sind all diese Betrachtungen, die auch mit Zahlen, Statistiken, Wahrscheinlichkeiten unterlegt wer13928 Heinz Schmitt ({0}) den, ein Stück zu nüchtern, zu bürokratisch, zu technisch. Niemand kann - so war mein Eindruck von vielen Reden - sich in die Lage von Familien versetzen, die krebskranke Kinder, an Leukämie erkrankte Kinder haben. Mir fehlt bei dieser Debatte das Mitgefühl mit Menschen, die einen Kampf auf Leben und Tod führen müssen. ({1}) Das kommt mir in der Debatte viel zu kurz. Ich sage nicht: Wir müssen Atomkraftwerke sofort abschalten; wir müssen den sofortigen Ausstieg vollziehen. - Es gibt viele andere, triftigere Gründe, die dafür sprechen, dass wir den Atomausstieg weiter vorantreiben und uns an die beschlossenen Vereinbarungen halten. Für mich stellen Namen wie Sellafield, Harrisburg, auch Forsmark, Brunsbüttel und Krümmel, ebenso das Endlager Asse triftige Gründe dar, um deutlich zu machen, wie es um die Sicherheit von Kernkraftwerken bestellt ist. Wem diese Beispiele für die Unsicherheit von Atomkraftwerken nicht ausreichen, der kann heute, 21 Jahre nach der Havarie eines Reaktors in Tschernobyl, besichtigen, welch grausige Folgen ein einziger Unfall in einem Atomkraftwerk hat. Die Folgen der Reaktorkatastrophe für die Menschen in den betroffenen Gebieten sind immer noch erschütternd. Mit Überwachung, Bedrohung und staatlichen Repressalien werden Aufklärung und humanitäre Hilfe gar noch behindert. Meine Damen und Herren, Kernkraft war und ist nicht beherrschbar. Die endgültige Lagerung von strahlendem Müll ist und bleibt ungelöst. Atomkraft ist daher ein Auslaufmodell ohne Zukunft. Die große Mehrheit der Menschen in diesem Land lehnt die Atomkraft ab. Deshalb haben wir mit unserem früheren Koalitionspartner den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Wir haben auf sichere Alternativen gesetzt. Genau das steht in unserem jetzigen Koalitionsvertrag. ({2}) Auch die Kanzlerin hat ja in Meseberg die Alternativen zur Atomkraft, zum Beispiel die erneuerbaren Energien, schätzen gelernt. Deutschland hat eine neue Dimension beim Klimaschutz, bei der Energieeffizienz und bei erneuerbaren Energien erreicht. Wir haben weltweit eine Vorreiterfunktion, wie dies auch auf der Konferenz in Bali deutlich zutage tritt. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Die SPD wird beim Ausstieg aus der Atomkraft wie auch bei der Lösung der drängenden Aufgaben, die uns mit dem Klimawandel gestellt werden, Kurs halten. Es gibt keine Polemik, keine kurz entschlossenen Forderungen, sondern ein langfristiges Setzen auf sinnvolle, verträgliche Alternativen. Wir sollten die Bewertung dieser Studie abwarten und dann die richtigen Schlüsse ziehen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Monika Griefahn spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits Anfang der 90er-Jahre kam mein Landtagskollege Uwe Harden von der Bürgerinitiative aus der Elbmarsch bei Hamburg zu mir, um auf das Problem von leukämiekranken Kindern in der Region aufmerksam zu machen. Ich war damals Umweltministerin in Niedersachsen. Schon zum damaligen Zeitpunkt war die Zahl der erkrankten Kinder in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel und des GKSS-Forschungszentrums wesentlich höher als in anderen Gebieten. Wir, also die Landesregierung in Niedersachsen, setzten damals eine Expertenkommission ein, die über Jahre hinweg alle möglichen infrage kommenden Ursachen für diese auffällige Häufung von Leukämie bei Kindern suchte. Wir suchten im Staub, auf Dachböden, bei defekten Röntgengeräten. Die Expertenkommission untersuchte Bodenproben und einiges mehr, eben alles, was man sich als potenzielle Ursachenfaktoren vorstellen konnte. Aber so sehr alle suchten, später auch noch eine Kommission des Landes Schleswig-Holstein, sie konnten bis heute keine eindeutigen Ursachen finden. Heute gibt es 16 krebskranke Kinder und Jugendliche in der Region. Nach einem ZDF-Bericht ist das der höchste Leukämiecluster weltweit. Zu erwarten gewesen wären nach einem Berechnungsschlüssel ungefähr fünf Fälle. Diese Feststellungen geben Anlass zur Sorge, vor allem vor dem Hintergrund, dass wir dieses schon so lange wissen und es eben nicht ausschalten können. Dankenswerterweise hat Frau Klug, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesumweltminister, weitere Hilfen zugesagt, um die Ursachen für diesen Cluster zu finden. So soll bis Ende des Jahres vom Bundesamt für Strahlenschutz gemeinsam mit dem Land Niedersachsen ein Fragebogen erarbeitet werden, um weitere Fachgespräche über die Ursachen vorbereiten zu können. Das ist der aktuelle Stand der Dinge, was die Untersuchung in der Elbmarsch betrifft. In dieser Phase erscheint die KiKK-Studie insofern sehr verdienstvoll, als sie für die 16 deutschen Atomkraftwerke nachweist, dass die Zahl krebskranker Kinder steigt, je näher ihr Wohnort am AKW-Standort liegt. Da liegt doch eine gewisse Kausalität nahe, dass Atomkraftwerke auch im Normalbetrieb Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Die Wissenschaft mag sich zu dieser Aussage noch nicht hinreißen lassen. Daher möchte ich auf eine Studie verweisen, die schon etwas älter ist, die aber auch sehr überzeugende Hinweise gibt. Es ist die langjährige Untersuchung von Alice Stewart und Rosalie Bertell, die über 30 Jahre medizinische Fälle von Menschen begleitet und ausgewertet haben, die niedrigstrahliger Radioaktivität ausgesetzt waren. Sie wiesen Zusammenhänge mit den Erkrankungen der Menschen nach. Lange Zeit sind sie nicht ernst genommen worden. Aber schließlich hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass jede Strahlung bei bestimmten Isotopen ein Problem sein kann. So sagen uns Ärzte, dass auch das erste Isotop einer inkorporierten Alphastrahlung den Zellteilungsprozess verändern und somit Krebs fördern kann. Was wird denn an den AKWs gemessen? Bei der Umgebungsüberwachung am AKW Krümmel gibt es eine Messung der Emission im Abluftkamin. Dabei handelt es sich vorwiegend um Gammastrahlung. Es gibt dort drei Messpunkte für Immissionen für Alpha- und Betastrahlung. Drei Punkte sind zu wenig, um zu belastbaren Erkenntnissen zu kommen. Darüber hinaus orientieren sich die Grenzwerte in der Regel - darauf hat Herr Staatssekretär Müller dankenswerterweise hingewiesen - an MAK-Werten, also an der maximalen Arbeitsplatzkonzentration bei acht Stunden für einen 70 Kilogramm schweren Mann. Bei einem Kleinkind wird das mit dem Faktor 1,2 multipliziert. Unter dem Aspekt der Körpergröße und der völlig anders anzusetzenden Zeit - wenn jemand in der Nähe eines Atomkraftwerkes wohnt - ist das als Vergleichsmaßstab überhaupt nicht ausreichend, um daraus Grenzwerte abzuleiten. ({0}) Außerdem sind nicht nur der Kamin, sondern auch die Sicherheitsgefäße interessant. Dort aber gibt es keine Emissionsuntersuchungen. Es kann also sein, dass die Wissenschaft mit den Messungen, die gemacht werden, und den Berechnungsgrundlagen, die gelten, zu dem Schluss kommt, eine eindeutige Ursachenzuordnung nicht leisten zu können. Deswegen kann man aber die Ergebnisse der jetzigen KiKK-Studie nicht beiseiteschieben. Wir als Politiker mit Verantwortung für die Gesellschaft und die Gesundheit in dieser Gesellschaft können doch nicht sagen: Solange eine Kausalität von Atomkraftwerken und Leukämie nicht bewiesen ist, machen wir weiter wie bisher. Wir müssen doch sagen: Solange die Möglichkeit besteht, dass es da einen Zusammenhang gibt, müssen wir Vorsorge treffen und uns von dieser Technologie verabschieden. ({1}) Wenn dann noch nicht einmal ausgeschlossen werden kann, dass Risiken im ganz normalen Betrieb bestehen, dann ist es doch umso wichtiger, der Atomkraft ein Ende zu machen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen. Wir müssen über den Tellerrand hinausschauen. Mir macht es Sorge und Angst - das muss ich deutlich sagen -, wenn Herr Gaddafi mit einem Atomkraftwerk aus Paris nach Hause geht ({2}) und wenn China AKWs als Heilmittel für den Klimaschutz anpreist. Ich denke, das kann nicht die Zukunft sein. Wir müssen dort gleich andere Lösungen realisieren. Christopher Weeramantry vom Internationalen Gerichtshof, der in diesem Jahr den Alternativen Nobelpreis bekommen hat, hat bei seinem Besuch hier in Berlin besorgt darauf hingewiesen, dass, wer ein AKW hat, auch das Material besitzt, eine Bombe zu bauen. Vagabundierendes Material aus Atomkraftwerken gibt es genug auf der Welt. Viele weitere Gründe gegen den Einsatz der Atomkraft gibt es. Die Studie hat uns einen weiteren wichtigen aufgezeigt: Wir dürfen die Gesundheit der Bürger nicht leichtfertig gefährden. Lassen Sie uns also diesen Spuk möglichst schnell beenden und weitere Leukämiefälle verhindern! Danke schön. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Die Aktuelle Stunde ist hiermit beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({0}), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit starten - Drucksache 16/7465 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es ist verabredet, hierzu eine Stunde zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Priska Hinz für Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In den letzten Wochen gab es mit IGLU und PISA zwei Schulleistungsstudien, die uns wieder einmal deutlich gemacht haben, dass Deutschland spitze ist, nämlich im Vergeuden von Talenten. Sicher: Die Schülerinnen und Schüler sind in den Naturwissenschaften ein bisschen besser geworden. Aber machen wir uns nichts vor: Im Lesen und in der Mathematik sind die deutschen Schülerinnen und Schüler nach wie vor Mittelmaß. Unser größtes Problem ist und bleibt die Ungerechtigkeit im Bildungssystem. Es ist ein Skandal, dass in Deutschland Arbeiterkinder bei gleicher Leistung eine fast dreimal geringere Chance haben, ein Gymnasium zu besuchen, als Akademikerkinder. ({0}) Es ist ein Skandal, dass immer noch 20 Prozent der Jugendlichen die Schule als funktionale Analphabeten verlassen, und es ist ein Skandal, dass Migrantenkinder in ihren Leistungen um zweieinhalb Schuljahre gegen13930 Priska Hinz ({1}) über ihren deutschen Mitschülerinnen und Mitschülern zurückliegen. Deswegen fordern wir Grünen eine Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit. Wir wenden uns hier ausdrücklich an die Bundesregierung. Da darf sich der Bund nicht heraushalten - Föderalismus hin oder her -, weil es hierbei um die Chancen aller Kinder in Deutschland, um den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft und um die Entwicklung unserer Volkswirtschaft geht. ({2}) Gerade in der aktuellen Debatte über den Fachkräftemangel muss sich die Regierung fragen lassen: Wie wollen Sie dem eigentlich begegnen, wenn Sie weiter zulassen, dass so viele junge Menschen ihrer Chancen beraubt werden? Es ist eine unbequeme Tatsache, dass der Bildungserfolg in Deutschland quasi vererbt wird und dass dies eine direkte Folge unseres gegliederten Schulsystems ist, in dem die Kinder nach unten durchgereicht werden, anstatt ernsthaft und mit Ausdauer individuell gefördert zu werden. Der Vergleich der Ergebnisse von IGLU und PISA bestätigt genau das. In der Grundschule können die Kinder noch auf hohem Niveau gut lesen, ohne dass es eine große Spreizung gibt. Mit der Gliederung des Schulsystems ab Sekundarstufe I endet diese Förderung. Die Kinder werden einsortiert, und die Chancen werden ungleich verteilt, unabhängig davon, welche Talente die Kinder haben. Damit sich die Unterrichtskultur in Deutschland ändert, damit sich das Schulsystem verbessert, müssen wir auf Dauer die Schulstruktur verändern. Ich finde, dass sich die Bundesbildungsministerin in diese Debatte und nicht in die Debatte um das Zentralabitur einmischen sollte. Sich in diese Debatte einzumischen, ist nämlich bedeutend wichtiger. ({3}) Die Bundesregierung hat das Thema Schule mit der Föderalismusreform erst einmal beiseitegelegt; sie hat erklärt, sie sei dafür nicht mehr zuständig. ({4}) - Das hat diese Bundesregierung zusammen mit der Koalition aber leider aktiv betrieben. - Nach zwei Jahren hat die Bundesregierung mittlerweile aber gemerkt: Das Thema ist doch wichtig; die Bevölkerung verlangt Antworten, und das nicht nur von den Kultusministern der Länder. Deswegen gibt es jetzt eine nationale Qualifizierungsinitiative der Bundesbildungsministerin. Aber erarbeiten Sie bitte auch eine richtig gute Strategie für mehr Bildungsgerechtigkeit und speisen Sie uns nicht wieder mit ollen Kamellen oder mit heißer Luft ab! ({5}) Die Qualifizierungsinitiative sieht zum Beispiel vor, dass die Zahl der Schulabbrecher halbiert werden soll. Guten Morgen, meine Damen und Herren! Das hat die EU mit den Stimmen Deutschlands schon mehrfach beschlossen. Was fehlt, sind die Umsetzungsschritte; da ist bislang nichts passiert. Die Ministerin kündigt in dieser Haushaltsdebatte großspurig eine Qualifizierungsoffensive für Erzieherinnen an. Auf Nachfrage stellt sich heraus: Das wird ein Weiterbildungsportal im Internet. - Ja, bravo!, kann ich da nur sagen. Das ist eine echte Qualitätsrevolution im frühkindlichen Bereich. ({6}) Ein weiterer Schuss in den Ofen und äußerst kontraproduktiv ist das Betreuungsgeld. Es wird nicht nur von der OECD als desaströs bezeichnet. Wer hat denn den größten Anreiz, für 150 Euro zu Hause zu bleiben? Das sind gerade die Familien, deren Kinder die Förderung am nötigsten haben, nämlich solche, die bildungsfern sind und in einem sozial benachteiligten Umfeld leben. Das kann man doch wirklich nicht als Strategie einer Bundesregierung bezeichnen, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, beim Thema Fachkräftemangel vor allen Dingen die Ausbildung in den Vordergrund zu rücken. Das müssen Sie in Ihren Köpfen doch einmal irgendwie zusammenbringen, vor allen Dingen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU. ({7}) Aber auch in Sachen Ausbildung ist von Bildungsgerechtigkeit wenig zu sehen. Eine halbe Million Jugendliche - trotz positiver Zahlen bei den neuen Ausbildungsverträgen - befinden sich in Warteschleifen, die weder zu einem anerkannten Abschluss führen noch auf die nachfolgende Ausbildung anrechenbar sind. Anstatt hier Strukturen zu reformieren, experimentiert die Koalition mit fragwürdigen Qualifizierungs-Kombilöhnen. Bei der Weiterbildung hat die Regierung zwei Rote Karten bekommen: eine vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages - sie soll endlich eine Strategie vorlegen - sowie eine von der EU, die in ihrem Fortschrittsbericht analysiert hat, dass wir in Deutschland Qualifizierung zu wenig voranbringen. Wie viele Rote Karten brauchen Sie denn noch, um endlich eine Weiterbildungsstrategie vorzulegen und in Sachen Weiterbildung zu Potte zu kommen?, fragen wir uns. ({8}) Wir Grünen haben die Föderalismusreform immer schon als großen Fehler betrachtet. Es gibt zurzeit leider keine Mehrheit dafür, das zurückzudrehen. Aber es mehren sich die Stimmen, selbst bei der CDU/CSU, die sagen, dass man die Bildung zum nationalen Thema machen muss. Die Kanzlerin soll einen Bildungsgipfel veranstalten. Frau Schavan mischt sich zunehmend in Bildungsdebatten ein. Herr Röttgen hat auf einmal gefordert, „dass Bildung jenseits der föderalen Zuständigkeiten zu einem großen Projekt in der zweiten Halbzeit der Großen Koalition“ zu machen sei. Bitte tun Sie das! Sie haben unsere Unterstützung dafür. Wir fordern Sie auf: Legen Sie gemeinsam mit den Ländern eine Bildungsstrategie vor, die das Stückwerk der föderalen Zuständigkeiten überwindet - mit Prioritäten bei der frühkindlichen Förderung, bei der Bildung Priska Hinz ({9}) von Migranten, beim längeren gemeinsamen Lernen, bei der Lehrerausbildung und bei der zweiten Chance in Aus- und Weiterbildung! Wir nehmen auch gern den Bundesfinanzminister beim Wort, der gefordert hat, „vor allem in Bildung, Bildung, Bildung“ zu investieren. Auch das unterstützen wir.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der letzte Satz. Wenn bei der Föderalismusreform II etwas für die Bildung herumkommt, können wir die genannten Maßnahmen auch finanzieren und sind gemeinsam auf dem Weg, den Skandal der Bildungsbenachteiligung in Deutschland zu beseitigen. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Marcus Weinberg spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

Marcus Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003861, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Hinz, bei allem Respekt - ich habe Ihnen sieben Minuten zugehört, habe das nicht ganz so gern getan, aber sei’s drum -: ({0}) Dass Sie nach den IGLU- und PISA-Ergebnissen hier einen einzigen positiven Satz zustande bringen, um die deutschen Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrer einmal zu loben, ist, finde ich, einfach zu wenig. ({1}) Bei aller Kritik an den Ergebnissen sollte man bedenken: Als wir aus dem Bildungsbereich damals, nach den ersten PISA-Ergebnissen, zusammenkamen, wurden zwei Dinge gefordert. Erstens: Reformen im Bereich des Bildungssystems. Zweitens: Zeit. Es war und ist wichtig, den Schulen, Pädagogen und Schülern Zeit zu geben, sich zu verändern und die Reformen durchzuführen. Ich finde, dass die PISA-Ergebnisse gut sind. Im Bereich der Naturwissenschaften ist Deutschland auf Platz acht der OECD-Staaten. Das ist überdurchschnittlich. Entscheidend ist dabei die Verbesserung: von Platz 18 auf Platz 13. Das signalisiert, dass wir im deutschen Bildungssystem Reformen umgesetzt haben, allmählich, aber kontinuierlich. ({2}) Herr Tauss, wir beide wissen: Viel wichtiger ist es, dass wir es geschafft haben, ein halbes Schuljahr aufzuholen. Dieses Ergebnis ist wichtig für die Schülerinnen und Schüler. Frau Hinz, ich muss Ihnen widersprechen: Auch im Bereich der Lesekompetenz gab es Verbesserungen. ({3}) Sowohl Leistungsschwächere als auch Leistungsstärkere haben sich verbessert. Bei 13 von 24 OECD-Staaten stagnierten die Ergebnisse, bei sieben waren sie sogar schlechter als 2000; die deutschen Kinder haben sich verbessert. Im Übrigen wurde auch die Erkenntnis gewonnen, dass in Deutschland wieder mehr Kinder zum Vergnügen lesen. Das erachte ich als positiv. Die Abhängigkeit der Lesekompetenz von der sozialen Herkunft - sie ist nach wie vor viel zu hoch; da sind wir einer Meinung - ist zurückgegangen. Auch diese Entwicklung ist wichtig. Die Ergebnisse von PISA werden immer wieder relativiert. Ich möchte einige Sätze zu den Relativierungsbemühungen gewisser Wissenschaftler in den letzten Wochen und Monaten sagen. Ich finde es immer schlecht, wenn sich die Politik in die Wissenschaft einmischt, wenn sie versucht, Daten zu korrigieren, indem sie die methodische Herleitung bezweifelt. Das macht man nicht. Ich finde es aber auch schwierig, wenn Wissenschaftler versuchen, wissenschaftliche Daten rein politisch zu interpretieren, möglicherweise sogar ideologiebedingt. Das, was wir in den letzten Monaten zu den PISA-Ergebnissen gehört haben, auch von Verantwortlichen aufseiten der OECD, finde ich nicht akzeptabel. Ich finde es nicht akzeptabel, dass Professor Schleicher die besseren Ergebnisse - auch wenn sie nur leicht besser sind - zu relativieren versucht. Dazu zitiere ich Herrn Professor Prenzel: Die Ergebnisse von PISA 2006 sind sehr wohl mit denen von 2003 vergleichbar, da die Rahmenkonzeption für PISA 2006 die vorausgegangenen Konzeptionen aufgegriffen und fortentwickelt hat. Hinzu gekommen sind lediglich Einstellungsfragen, beispielsweise zum Verantwortungsgefühl für die Umwelt, die aber gerade nicht Gegenstand der Tests zur Wissensüberprüfung waren … Das heißt im Ergebnis: Wir sollten uns nicht in den Streit der Wissenschaft einmischen; aber ein paar mahnende Worte auch in die Richtung von Herrn Professor Schleicher sind angebracht. Wir sollten das Ergebnis, dass wir uns verbessert haben, optimistisch wahrnehmen und dementsprechend bewerten und nicht in der Bildungspolitik alles ins Negative wandeln. ({4}) Sie haben die Probleme angesprochen, und Sie haben angesprochen, was die Bundesregierung aus Ihrer Sicht alles nicht tut. Ich möchte drei Punkte herausgreifen. Völlig richtig ist: Es ist schlecht, dass die soziale Herkunft und der Migrationshintergrund den Bildungserfolg von Kindern definieren. ({5}) Das ist in Deutschland extrem. Deutschland ist aber nicht mit Kanada oder Finnland vergleichbar, weil die soziale, die kulturelle Entwicklung eine andere ist. Sie schauen jetzt so kritisch. Schauen Sie sich einmal das kanadische Zuwanderungssystem an! ({6}) - Frau Hinz, entschuldigen Sie. Ich glaube, Sie wissen nicht, welche Maßnahmen bei der Integration von Migranten in Kanada und Finnland ergriffen werden. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund ist bei uns viermal so hoch. Sie können nicht Südlappland mit Hamburg oder Dortmund vergleichen. ({7}) Sie müssen auch die kulturellen und sozialen Vorgänge in Ihre Bewertung einbeziehen. ({8}) Kanada definiert sich als Zuwanderungsland; aber die Zuwanderung ist wesentlich geringer als in Deutschland. Hätte damals die CDU/CSU jene Maßnahmen und Restriktionen gefordert, die dort ergriffen werden, dann hätten Sie aufgeschrien. Das ist die Realität in Kanada. Deswegen kommen dort solche Probleme nicht auf. Die Bundesregierung hat den Nationalen Integrationsplan beschlossen. Ich glaube, es ist gut, dass man erstmals die Maßnahmen und Möglichkeiten sowie den Bedarf im Bereich der Integration bündelt. Ich finde es richtig, dass die Kompetenzzuweisung die Federführung des Bundes vorsieht. Es geht hier um Fragen der Sprachförderung, der Integrationskurse und der Maßnahmen im beruflichen Bereich. Der Bund hat das richtigerweise zum ersten Mal in seiner Geschichte aufgegriffen. Ein weiterer Punkt, den Sie angesprochen haben, ist die Qualifizierungsoffensive. Ich stimme Ihnen zu, dass die Frage der Durchlässigkeit wichtig ist. Man muss fragen, wie es um die Bildungswege steht. In Ihrem Antrag sprechen Sie kritisch an: Erst zwei Jahre nachdem die Bundesregierung ins Amt gekommen sei, leite man die Qualifizierungsoffensive ein. ({9}) - Moment mal, Frau Hinz! Erst einmal kurz zuhören! Das haben Sie übrigens in Ihrem Antrag mit dem Defizit, das im Bereich „Soziale Herkunft - Bildungserfolg“ besteht, zusammengebracht. Sie sagen also: „Die Bundesregierung tut nichts“ ({10}) und werfen ihr vor, sie habe zwei Jahre abgewartet. Dazu kann ich nur sagen: Schauen Sie sich einmal die Biografie der heute 15-Jährigen an. Sie wurden 1997 eingeschult, sie sind in der Regel 2001 in die Sekundarstufe gekommen und überprüft wurden sie 2006. Man könnte auch sagen: Die gesamte Bildungsbiografie dieser Kinder bildet eine Zeit ab, in der Rot-Grün die Regierungsmehrheit stellte. Da frage ich mich: Was haben Sie denn damals gemacht? Sie haben gar nichts gemacht. Wir haben mittlerweile eine Qualifizierungsoffensive eingeleitet und den Nationalen Integrationsplan sowie weitere Lösungsansätze entwickelt. ({11}) - 4 Milliarden Euro für das Ganztagsschulprogramm, das ist richtig. Ich hätte mir gewünscht, dass es - das hat, wie ich glaube, auch der Kollege Schummer damals in seiner Rede gesagt - enger mit den Ländervertretern abgestimmt worden wäre. ({12}) Ich will nun auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen. Es geht - das geht uns auch nach der Föderalismusreform noch etwas an - um den wichtigen Bereich der Bildungsforschung. Für die empirische Bildungsforschung haben wir 120 Millionen Euro vorgesehen, davon 56 Millionen Euro für ein nationales Bildungspanel. Damit haben wir die Möglichkeit, endlich dauerhaft Biografien von Schülerinnen und Schülern zu verfolgen und festzustellen, wie welche Bildungsimplikationen wirken. ({13}) Dieses Programm zur Bildungsforschung wird in den nächsten Jahren eine tragende Stütze für die Reformen sein, die auf Länderebene, aber teilweise auch im Bund auf den Weg gebracht werden. ({14}) Über einen Punkt, Frau Hinz, müssen wir noch einmal sprechen. Ich möchte hierzu von Ihnen gerne noch einmal eine Antwort. Sie haben wieder einmal das gegliederte Schulsystem kritisiert. ({15}) Sie haben Gott sei Dank nicht den Vergleich mit Finnland gebracht, sonst müssten wir hier einmal einen Vergleich mit Frankreich oder Schweden anstellen. Diese haben nämlich bei PISA abgebaut, obwohl sie ein integriertes System haben. ({16}) Mir reicht es nicht, wenn Sie hier nur eine Kritik am gegliederten Schulsystem vortragen. Sie müssen auch einmal sagen, was Sie wollen. Wollen Sie die Einheitsschule? Wollen Sie die Gymnasien abschaffen? ({17}) Diesbezügliche Äußerungen habe ich von Ihnen noch nicht gehört. Bei der nächsten Ausschusssitzung hätten Sie die Gelegenheit, uns einmal vorzustellen, wie Ihr Konzept zu dieser Frage aussieht. ({18}) - Frau Sager, bei Ihnen weiß ich das nicht. Ich erlebe gerade in Hamburg, wie Ihre Partei die Einheitsschule der Bildungsvielfalt vorzieht. ({19}) Wir von der CDU/CSU haben in der Frage eine klare Position. Wir sagen, das, was in Thüringen, Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg gut ist, kann nicht schlecht sein. ({20}) Ob die Systeme zwei- oder dreigliedrig sind, ist eine Frage, die die Verantwortlichen auf Länderebene entscheiden sollen. Mir ist es nur wichtig, dass wir die Bildungsvielfalt behalten. Da haben wir von der CDU/CSU eine ganz klare Position: Bildungsvielfalt statt Einheitsschule. Wir könnten jetzt lange die Situation innerhalb Deutschlands und zwischen Deutschland und Europa vergleichen. Ich möchte nur von denjenigen, die heute das gegliederte Schulsystem im engeren Sinne kritisieren, wissen, welche Alternativen sie vorschlagen und ob sie die Einheitsschule wollen. ({21}) Das frage ich auch vor dem Hintergrund, dass die Abschaffung der Gymnasien 86 Prozent der Anhänger der Linken abgelehnt haben. ({22}) - Das ist Ihre Abteilung. - Bei der SPD waren es 88 Prozent. Insgesamt haben sich nur 29 Prozent für die Einführung einer Einheitsschule ausgesprochen. ({23}) Das ist eine zentrale Schlussfolgerung, die, wie ich glaube, auch aus den PISA-Studien gezogen werden kann. Bei Reformen in diesem Bereich müssen wir uns über Reformen bei der Lehrerausbildung, über Qualitätsentwicklung und über die Erhöhung der Autonomie der Schulen, sprich der Selbstständigkeit, unterhalten. Es geht um die Frage, was man mit Blick auf Bildung im frühkindlichen bzw. vorschulischen Bereich tun kann. In der Debatte geht es dann sicherlich auch um die Frage der Schulstruktur. Aber die Frage der Schulstruktur an die erste Stelle zu setzen, ist ein methodischer Fehler. Den haben Sie wiederum in Ihrem Antrag und in Ihrer Rede gemacht. Es reicht nicht aus, das gegliederte Schulsystem einfach nur zu kritisieren. Mit der Föderalismusreform haben wir den Ländern die Verantwortung zugewiesen, jeweils nach ihren Bedürfnissen zu reagieren. Wir in Hamburg wollen das zweigliedrige Schulsystem. In Bayern wird man das dreigliedrige Schulsystem noch länger behalten. Jedes Land soll hier selber entscheiden. Wichtig ist nur eines: Bildungsvielfalt. Das heißt keine Einheitsschule, keine Gleichmacherei auf niedrigem Niveau. Da müssen sich die Grünen und einige andere klar äußern. Wir werden diese Debatte wieder führen müssen. ({24}) Ich halte es für richtig - damit komme ich zum Schluss, Frau Hinz -, dass jeder für sich entscheidet, ob das Glas halbvoll oder halbleer war. Wichtig ist, festzuhalten: Die kleinschrittigen Reformen haben, auch wenn es sehr mühevolle Reformen waren, gewirkt. Das haben PISA und IGLU bewiesen. Wir müssen trotzdem weiterarbeiten. Jetzt geht es aber um die Fragen, die ich gerade angesprochen habe. Es erscheint mir wichtiger, über die Lehrerfortbildung zu diskutieren, als nur und allein über die Schulstruktur. Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und hoffe, dass die Ergebnisse aus der nächsten PISA-Studie, die wir in drei Jahren bekommen werden, das bezeugen werden. Insoweit freue ich mich auf weitere interessante Diskussionen, auch mit Ihnen. Von Ihnen möchte ich dann gerne hören, was Sie sich genau unter der Einheitsschule vorstellen und ob Sie tatsächlich die Bildungsvielfalt abschaffen wollen. In dem Sinne: Vielen Dank. ({25})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die große Bitte an alle Abgeordneten im Deutschen Bundestag, aber auch in den Landtagen, endlich die ideologi13934 schen Scheuklappen abzulegen, wenn wir über Bildungspolitik in Deutschland diskutieren. ({0}) Für die Liberalen ist die größte sozialpolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts, unseren Kindern und Jugendlichen eine gute Bildung zu ermöglichen. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat vor rund zehn Jahren in seiner berühmten „Ruck-Rede“ erklärt, Bildung müsse in unserem Land zu einem Megathema werden, wenn wir uns in der Wissensgesellschaft des nächsten Jahrhunderts behaupten wollen. Recht hat er gehabt. Zehn Jahre sind inzwischen ins Land gegangen, und wir sind ein Stück vorangekommen. Ich behaupte aber, das reicht noch nicht. Bildung muss das zentrale Zukunftsthema für Deutschland werden. ({1}) Unter diesem Gesichtspunkt stimme ich zumindest dem Titel des Antrages von Bündnis 90/Die Grünen „Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit starten“ zu. Die Frage ist nur, wie wir das in Deutschland umsetzen. ({2}) Aus der teilweise richtigen, aber nicht ganz vollständigen Analyse im Antrag zieht die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen aus meiner Sicht falsche, nämlich rein ideologische Schlussfolgerungen. ({3}) Ich will noch einmal die Fakten nennen. Nach den letzten internationalen Studien ist es so, dass Deutschland zu den elf IGLU-Teilnehmerstaaten gehört, in denen 2006 signifikant bessere Leseleistungen erzielt wurden als 2001. Deutschland liegt erstmals über dem OECD-Durchschnitt. Beim Schwerpunkt Naturwissenschaften erreicht Deutschland Platz 13 von 57 Nationen. Schauen Sie sich in diesem Zusammenhang einmal die Rangfolge der Bundesländer an: Auf Platz 1 liegt Bayern, auf Platz 2 Baden-Württemberg, auf Platz 3 Sachsen und auf Platz 4 Thüringen. Danach folgen Hessen und Sachsen-Anhalt. Soweit ich mich erinnere, regiert in keinem dieser Bundesländer Rot-Grün. ({4}) Man muss den Schwarz-Weiß-Diskussionen mit Vorsicht begegnen. Deswegen will ich sie nicht fortsetzen. Wir sehen keinen kausalen Zusammenhang zwischen sozialer Selektion, also den schlechteren Chancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten, und einem gegliederten Schulsystem. Nicht nur wir, sondern auch der Bildungsexperte Professor Dr. Prenzel meint: Wer nur die Schulstruktur ändert, wird auf die Nase fallen. Recht hat er. ({5}) Es geht aber um mehr. Wir haben noch weitere große Sorgen in diesem Land, was das Bildungssystem anbelangt. ({6}) Wir ignorieren nicht die rund 24 Prozent junger Menschen, die ihre Berufsausbildung abbrechen. Wir ignorieren nicht die 8 bis 9 Prozent Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang, die noch nicht einmal ihren Hauptschulabschluss schaffen. ({7}) Jedes Schicksal, jedes Kind ist uns wichtig. Alle Kinder, gerade die aus einkommensschwachen Elternhäusern, müssen eine Chance auf bessere Bildung bekommen. Deswegen meinen wir: Der Schlüssel zum Erfolg, was die chancengerechte Bildung angeht, ist mehr frühkindliche Bildung. ({8}) Diese frühkindliche Bildung muss eine intensive Sprachförderung beinhalten, gerade für Kinder mit Migrationshintergrund. Auch die Mütter dieser Kinder müssen bei der Förderung einbezogen werden. Wir brauchen bessere Bildungseinrichtungen und bessere Kindergärten, die auch Bildung vermitteln. Deswegen sind bundesweite Bildungsstandards, mit denen die Qualität von Kindergärten beschrieben werden kann, vonnöten. ({9}) Wir brauchen eine bessere Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern; da gebe ich den Grünen recht. Wir wollen, dass zumindest die Kindergartenleiterinnen einen Fachhochschulabschluss haben. Wir wollen mehr Qualität in der Bildung und eine individuellere Förderung von Kindern. Das ist der Schlüssel zu mehr Chancengerechtigkeit und zu mehr Qualität in unserem Bildungssystem. So werden wir im internationalen Wettbewerb besser bestehen können. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um es vorwegzusagen: Der Antrag der Grünen geht in die richtige Richtung. ({0}) Allerdings gibt es an dem Antrag etwas, was mich auf den ersten Blick gestört hat, nämlich der Titel. Die GrüSwen Schulz ({1}) nen wollen „mehr Chancengerechtigkeit“ und nicht Chancengleichheit. ({2}) Ich möchte zwar nicht kleinlich erscheinen, aber wir müssen bei den Begrifflichkeiten aufpassen. Gerechtigkeit ist eine Kategorie, mit der etwas, was ungleich ist, legitimiert wird. ({3}) - Hören Sie mir doch zu, Frau Hinz! - Der Grundsatz zum Beispiel, dass jemand, der mehr leistet, auch mehr bekommen soll, beschreibt dies. Doch um Gerechtigkeit zu organisieren, müssen die Chancen gleich sein. Unser Ziel für das Bildungswesen ist, Chancengleichheit zu erreichen. Das ist Voraussetzung für Gerechtigkeit. ({4}) Das muss von Anfang an organisiert werden. Viele Kinder haben aufgrund ihrer Herkunft, aufgrund ihrer sozialen oder familiären Situation schlechte Startbedingungen. Darum ist es so notwendig, dass wir die Krippen und Kitas als Bildungseinrichtungen begreifen, in denen die Kinder gefördert werden. ({5}) Es ist ein großer Schritt, wenn wir den Rechtsanspruch auf vorschulische Bildung und Betreuung ab dem ersten Geburtstag festschreiben, das Angebot ausbauen und die Qualität verbessern. Ich begrüße ausdrücklich, dass unser Koalitionspartner in dieser Hinsicht hinzugelernt hat ({6}) und inzwischen das, was Rot-Grün unter Familienministerin Renate Schmidt forciert hat, akzeptiert. Es ist aber nicht zu verschweigen, dass wir innerhalb der Koalition noch einen Konflikt haben. Teile der CDU/ CSU fordern die Einführung eines Erziehungsgeldes. Die Familien, die ihre Kinder nicht in die Krippe oder die Kita geben möchten, sollen vom Staat Geld erhalten - gewissermaßen als Ausgleich, weil sie die staatlich finanzierte Einrichtung nicht in Anspruch nehmen. ({7}) Ich habe die wirklich herzliche Bitte: Lassen Sie diese Idee in der Mottenkiste verschwinden. ({8}) Denn was würde in der Realität passieren? Familien, deren Kinder eine besondere Förderung benötigen, weil sich die Eltern nicht kümmern können oder wollen, werden ihre Kinder sehr häufig zu Hause behalten; denn das ist bares Geld für die Eltern. ({9}) Wird dieses Geld von den Eltern dafür genutzt, die Kinder auch tatsächlich zu fördern? ({10}) Werden pädagogisch sinnvolle Spiele gekauft und dann auch gemeinsam gespielt? ({11}) Werden Ausstellungen besucht, Ausflüge organisiert, Sprachförderung gemacht? ({12}) Es wird sicherlich die eine oder andere Familie aus diesem problematischen Bereich geben, die das macht. ({13}) Aber ich denke, in der Regel wird das nicht so sein. Wir brauchen alle Kraft und alle Mittel für die Einrichtungen, für deren Ausstattung und deren Personal sowie für die Gebührenfreiheit. Gehen Sie einmal in eine Kita und sprechen Sie dort mit den Erzieherinnen, die sich jeden Tag für die Kinder einsetzen, die Probleme beheben und die Integration fördern. Sprechen Sie einmal mit ihnen über das Erziehungsgeld. Ich glaube, da werden Sie nicht gut landen. Das ist ein wirklich falscher Weg. Bitte lassen Sie das sein! ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung braucht Zeit. Chancengleichheit kann es nicht geben, wenn die Schule mittags vorbei ist und die Kinder danach auf sich allein gestellt sind. Das Lernen ist ja mit dem Schulschluss nicht vorbei. Es müssen Hausaufgaben gemacht werden, oder es muss für die Arbeit am nächsten Tag gelernt werden. Es ist ganz offensichtlich: Kinder, die in der Familie unterstützt werden, haben dann gute Karten. Aber das ist nicht überall so. Besonders klar werden die Probleme, wenn man sich verdeutlicht, dass Nachhilfe inzwischen ein milliardenschwerer Markt ist. Das zeigt, wie ungleich die Chancen verteilt sind. Denn wer kann oder will sich das leisten und wer nicht? Wir müssen aber allen den gleichen Zugang zu Bildung ermöglichen, egal wie viel Geld die Eltern haben. ({15}) Darum ist es für die Förderung aller - übrigens auch für die der starken Schülerinnen und Schüler - so wichtig, dass wir flächendeckend Ganztagsschulen einrichten. ({16}) Auch das ist übrigens ein Punkt, den Rot-Grün mit Bildungsministerin Bulmahn forciert hat ({17}) Swen Schulz ({18}) und der inzwischen von der CDU/CSU unterstützt wird. Wir begrüßen das. ({19}) Die Einführung von Ganztagsschulen ist natürlich Aufgabe der Bundesländer. Ich sage das nicht, weil ich hier irgendetwas wegschieben will - ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Gerade die SPD hat sich im Deutschen Bundestag im Rahmen der Debatte um die Föderalismusreform I dafür eingesetzt, dass der Bund den Ländern im Bereich der Schulen helfen darf. ({20}) Die Länder haben aber darauf bestanden, dass sie ganz allein für die Schulen zuständig sind. ({21}) Ich bin mir nicht sicher, ob alle Ländervertreter begriffen haben, dass diese Kompetenz auch eine entsprechende Verantwortung nach sich zieht, der sie gerecht werden müssen. Im Rahmen der Diskussion über die Föderalismusreform II werden wir diesbezüglich wohl keine grundlegend neue Weichenstellung hinbekommen. In einem Punkt sollten wir aber Einigkeit herstellen können: Der alte Investitionsbegriff, der Ausgaben für Beton erleichtert und Ausgaben für Bildung erschwert, gehört raus aus den Verfassungen von Bund und Ländern. Das ist ein Relikt des Wiederaufbaus. Heute müssen wir vor allem in die Köpfe investieren. ({22}) Jetzt nähere ich mich dem Diskussionsthema, das von meinen Vorrednern schon genannt wurde. ({23}) Neulich erzählte mir ein Freund arabischer Herkunft, dass seine Brüder und er am Ende ihrer Grundschulzeit nicht etwa eine Gymnasial- oder Realschulempfehlung, sondern eine Hauptschulempfehlung bekommen haben, obwohl die Leistungen sehr gut waren. Sie hatten richtig ordentliche Noten. Heute sind sie Bauingenieur, Biochemiker und Herzchirurg. ({24}) Wie viele Eltern haben aus welchen Gründen auch immer nicht die Kraft wie diese Familie, das Beste für ihre Kinder durchzusetzen? Wie viele Talente haben wir schon „vergeudet“? ({25}) Herr Weinberg, die PISA-Studie hat sehr deutlich gezeigt, dass die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen und familiären Hintergrund eklatant ist. Kinder ausländischer Herkunft müssen wesentlich besser als andere sein, um eine Gymnasialempfehlung zu erhalten. Das ist nicht tragbar. Das muss anders laufen. ({26}) Ich bin sicher, dass die Einführung der Gemeinschaftsschule hierbei ein notwendiger Schritt ist. Natürlich weiß ich, dass das nicht das Allheilmittel ist. Das allein wird es nicht bringen. Es geht vor allem um die Inhalte, die Lehrerausbildung und die pädagogischen Konzepte. Es ist aber offensichtlich, dass das gegliederte Schulsystem, die frühe Aufteilung der Schüler auf verschiedene Schularten, ein großes Problem ist. ({27}) Grundidee des gegliederten Schulsystems ist, dass homogene Gruppen besser lernen. Ich kann die Befürchtung von Eltern verstehen, dass ihr talentiertes Kind im Schulalltag durch schwächere Schüler möglicherweise am Lernen gehindert wird. Es gibt auch Fälle, wo das heute so ist. Darum muss nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt der Schule besser werden. Es geht um eine Schule neuen, modernen Typs, wie sie in vielen Staaten erfolgreich ist, in denen die Starken und die Schwachen optimal gefördert werden. ({28}) Wenn die Logik des gegliederten Schulsystems stimmen würde, müssten unsere Abiturienten ja die besten der Welt sein. Das ist aber nicht der Fall. ({29}) Erst wenn eine moderne Pädagogik etabliert wird, werden alle Schüler besser. Finnland und Kanada zeigen, wie es geht. Herr Weinberg, ich bitte Sie, noch einmal genau in die PISA-Studie zu schauen. ({30}) Herr Weinberg, auch Ihnen muss es doch zu denken geben, dass die deutschen Grundschulen, die ja praktisch Gemeinschaftsschulen sind - dort lernen alle gemeinsam -, im internationalen Vergleich besser abschneiden als die Oberschulen. ({31}) Herr Weinberg, vielleicht überzeugt Sie die folgende Tatsache: Den deutschen Schulpreis 2007 hat eine Gesamtschule gewonnen. ({32}) Die weiteren Preisträger sind ein integriertes Förderzentrum, eine weitere integrierte Gesamtschule, eine Swen Schulz ({33}) Montessori-Gemeinschaftsschule und - immerhin - ein Gymnasium. Das ist übrigens eine bessere Quote als 2006. Damals war überhaupt kein Gymnasium unter den Preisträgern. ({34}) Herr Köhler hat vor wenigen Tagen gesagt: Schon heute ist zu beobachten, dass dort, wo die Schulinfrastruktur aufgrund sinkender Kinderzahlen ausdünnt, die Bereitschaft zu pragmatischen Lösungsansätzen wächst. Wo zugunsten der Kinder und damit der Zukunft gehandelt werden muss, sollten ideologische Vorbehalte - etwa über Schulstrukturen oder den jahrgangsübergreifenden Unterricht - an Bedeutung verlieren. ({35}) Der Bundespräsident hat recht. Ich kann nur alle auffordern, aus ihren ideologischen Schützengräben herauszuklettern. Das Bildungssystem bestimmt unsere Zukunft. Deswegen müssen wir es immer wieder auf den Prüfstand stellen. Das gegliederte Schulsystem stammt nun einmal aus der Kaiserzeit. Es ist von ständischem Denken geprägt. Es wird modernen Erfordernissen nicht mehr gerecht. ({36}) Wir dürfen niemanden zurücklassen, und wir wollen auf kein Talent verzichten. Darum brauchen wir die Gemeinschaftsschule. Ich setze darauf, dass diejenigen, die bei der vorschulischen Bildung und bei der Ganztagsschule hinzugelernt haben, dies auch in diesem Punkt tun. Herzlichen Dank. ({37})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der PISA-Schock aus dem Jahre 2001 war vor allen Dingen deshalb ein so großer Schock, weil damals ganz klar schwarz auf weiß festgestellt und endlich einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, was der große Skandal des deutschen Bildungssystems ist: dass diejenigen, die aus Familien mit wenig Geld kommen, herausgekickt werden und ohne Perspektive auf der Straße stehen bleiben. Dass das so ist, finden wir falsch. Wenn wir uns die Ergebnisse von IGLU und PISA, die in diesem Jahr ermittelt wurden, ansehen, dann müssen wir feststellen - Herr Weinberg, das gilt auch für Sie -, dass sich an diesem Skandal nicht das Geringste geändert hat, ({0}) dass sich die soziale Ungleichheit sogar weiter verschärft hat. ({1}) Genau diese Kritik wird im Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen aufgegriffen. Deshalb begrüßt ihn die Linke ausdrücklich. Wir halten es auch für richtig, dass dieser Antrag in den Bundestag eingebracht wurde. Wenn uns auch vonseiten der Bundesbildungsministerin immer wieder erzählt wird, man könne im Bildungsbereich eigentlich gar nichts machen, weil die Länder hierfür verantwortlich seien, stehen wir vor ganz konkreten Herausforderungen, die dringend angegangen werden müssen. Für die Linke möchte ich vier Punkte nennen, die wir in diese Debatte einbringen möchten. Der erste Punkt - er ist schon angesprochen worden betrifft den Föderalismus. Als Vernor Muñoz, der UNSonderberichterstatter, in seinem Bericht festgestellt hat, dass das Recht auf Bildung in Deutschland missachtet wird, hat uns die Bundesbildungsministerin sinngemäß gesagt, das täte ihr leid, sie würde es nicht gut finden, aber sie könne daran wenig ändern, da für den Bildungsbereich in diesem Land hauptsächlich die Länder zuständig seien. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts einer solchen Aussage müsste langsam wirklich allen Beteiligten klar werden, dass die derzeitige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern keinen Sinn macht und dass wir, nachdem Sie die Föderalismusreform I bereits vergeigt haben, dafür sorgen müssen, dass wir nicht auch noch die Föderalismusreform II vergeigen. ({3}) Obwohl es bei der Föderalismusreform I im Bildungsausschuss eine breite Mehrheit dafür gab, mehr Kompetenzen des Bundes im Bildungsbereich zu fordern, um auch in Zukunft Programme wie das Ganztagsschulprogramm initiieren zu können, hat sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan hier absolut beratungsresistent gezeigt und sogar noch Kompetenzen an die Länder abgegeben. Dieser Fehler darf im Rahmen der Föderalismusreform II nicht wiederholt werden. Die Linke hat Vorschläge vorgelegt, wie man beispielsweise die Bildungsfinanzierung zu einer Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern machen könnte; das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. ({4}) Ich lade Sie ganz herzlich ein, mit uns gemeinsam über weitere Schritte in diese Richtung zu diskutieren. Zweiter Punkt. Wenn wir die jetzige Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zugrunde legen und überlegen, was getan werden könnte, muss man feststellen, dass Sie noch nicht einmal die Möglichkeiten, die jetzt vorhanden sind, nutzen. Was hindert Sie beispielsweise daran, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gesetzlich zu verankern? ({5}) Das wäre ein richtiger Schritt. Dadurch könnte man dafür sorgen, dass auch Kinder aus Hartz-IV-Familien nicht ausgegrenzt werden, weil sie zu Hause bleiben, und von den Angeboten frühkindlicher Bildung profitieren. Was hindert Sie daran, eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage auf den Weg zu bringen, damit nicht jedes Jahr Tausende von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz auf der Straße stehen und noch während ihrer Schulzeit sagen müssen: Ich habe ohnehin keine Perspektive, ich kann nichts Sinnvolles machen? Was hindert Sie daran, das Thema Weiterbildung nicht so anzugehen, dass Sie auf das Bildungssparen setzen und somit diejenigen fördern, die ohnehin viel haben? Warum nehmen Sie nicht die Weiterbildung als eine der wichtigsten Herausforderungen in den Blick und versuchen nicht, diejenigen, die bisher aus dem Bildungssystem herausgekickt wurden, ganz gezielt zu fördern und zu unterstützen, um ihnen im Rahmen der Weiterbildung eine Perspektive zu geben, damit sie sich selbstbestimmt in die Gesellschaft einbringen können? ({6}) Niemand hindert Sie daran, das zu tun, nur Sie selbst. Es ist Ihre politische Entscheidung, solche Punkte nicht anzugehen. Die Linke hat hierzu Anträge eingebracht. Ich kann Sie nur dazu auffordern, die entscheidenden Schritte zu machen. Sie sind möglich, und sie wären wichtig für ein besseres Bildungssystem in diesem Land. ({7}) Dritter Punkt. Bildungspolitik ist natürlich kein isoliertes Themenfeld. Sie alle wissen - das ist bekannt und nachgewiesen -, dass in diesem Land laut offiziellen Angaben weit über 2 Millionen Kinder und Jugendliche in Armut leben. Das ist die offizielle Zahl, die Dunkelziffer liegt noch bedeutend höher. Aber selbst diese offizielle Zahl ist mehr als doppelt so hoch wie die vor der Einführung von Hartz IV. Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben diese Hartz-Gesetze beschlossen. Ihre Beschlüsse haben mit dazu geführt, dass es so viele Kinder und Jugendliche gibt, die in diesem reichen Land in Armut leben. ({8}) - Herr Tauss, das werden Sie sich schon anhören müssen. Auch Sie haben für diese Gesetze gestimmt. - Sie sind somit mit dafür verantwortlich, dass es Kinder und Jugendliche gibt, die kein Geld für Schulbücher, für das Mittagessen in der Schule oder für anständige Kleidung haben, weil sie das Geld sparen müssen, da es sonst nicht für die Fahrkarte zur Schule reicht. Dafür sind Sie hier alle mitverantwortlich. Mit Ihrer Sozialpolitik tragen Sie zu Bildungsarmut und Bildungsausgrenzung bei. Ich nenne noch zwei weitere Punkte. Erstens. Wenn Sie schockiert darüber sind, dass Migrantinnen und Migranten im Bildungssystem durchgereicht werden, dann müssen Sie sich auch die Frage stellen, wer die Gesetze macht, die dazu führen, dass immer noch nicht alle Menschen, die in diesem Land leben, die gleichen sozialen und politischen Rechte haben. Zweitens. Schauen Sie sich an, wie die Schulen und Hochschulen ausfinanziert sind. Auch da muss man sich die Frage stellen: Wer macht denn die Steuergesetze, die dafür verantwortlich sind, wie viel Geld in den öffentlichen Kassen vorhanden ist? Wenn durch die Steuer- und Finanzpolitik Gelder an diejenigen verteilt werden, die ohnehin schon viel haben, und die öffentlichen Kassen leer geräumt werden, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn man keine gute Bildung hat. Die Linke spricht sich für Umverteilung, und zwar von oben nach unten, und mehr Geld für die öffentlichen Kassen aus, damit man eine gute Bildung finanzieren kann. ({9}) Vierter Punkt. Herr Präsident, damit komme ich zum Schluss. Es muss Schluss sein mit der Tabuisierung der Schulstruktur. Die Linke fordert eine Schule für alle Kinder. Das können Sie, jedenfalls nach der aktuellen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, hier nicht beschließen, aber Sie könnten endlich damit aufhören, falsche Behauptungen aufzustellen, die es den Ländern erschweren, eine Schule für alle Kinder durchzusetzen. Besten Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile nun das Wort Kollegin Marion Seib, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, wir machen hier Bundespolitik. ({0}) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Durchlesen des Antrags der Grünen „Bildungsstrategie für mehr Chancengerechtigkeit starten“ habe ich richtig aufgeatmet, und zwar aus zwei Gründen. Erstens haben Sie sich nicht an die Grundorientierung Ihrer Politik in der Wissensgesellschaft gehalten. In Ihrem Grundsatzprogramm in dem Kapitel „Aufbruch in die Wissensgesellschaft“ haben Sie unter der Überschrift „Grundorientierung unserer Politik in der Wissensgesellschaft“ Folgendes festgehalten - das ist interessant -: In der Wissensgesellschaft wird experimentelles, risikoreiches, fehlerfreundliches Denken und Handeln zentrale Schlüsselqualifikation für die Bürgerinnen und Bürger. Ihre Chancen liegen darin, dass sie Verfahren entwickeln, aus Erfahrungen zu lernen. Sie gehen also offenbar davon aus, dass jeder bildungswillige Bürger jeden Tag das Rad neu erfinden muss. Aber gerade das Aufbauen auf vorhandenem Wissen ist der Schlüssel für Erfolg, und zwar für generationenübergreifenden Erfolg. Dies ist Ihnen offensichtlich suspekt. Das zweite Mal habe ich aufgeatmet, als ich Ihren Hilferuf nach Vorgaben durch die Bundesregierung für eine durchdachte Bildungspolitik gelesen habe. Offensichtlich sind Sie beratungsfähig; das beruhigt. Ihre Einschätzung der Lage erbringt allerdings den Beweis, dass Sie in Ihrer Fraktion und Partei Vorurteile gegenüber der föderalistischen Struktur unseres Landes regelrecht pflegen, immer nach dem Motto: Draußen hängt die Welt in Fetzen, lasst uns drinnen Speck ansetzen. - Nur ist es in diesem Fall ideologischer, zentralistischer Speck, der im Übrigen so veraltet ist, dass Sie sich garantiert den Magen daran verderben. Dabei haben Sie offensichtlich die Entwicklungen in den Ländern verschlafen. Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung, IGLU, ist Ihnen durch die Lappen gegangen. Sie beweist, dass unsere Grundschüler bei der Lesekompetenz heute im europäischen Spitzenfeld liegen. ({1}) Bei der internationalen Vergleichsstudie PISA 2006 wurde bei den Naturwissenschaften eine signifikante Leistungssteigerung erreicht. Bei der Lesekompetenz und in der Mathematik gibt es kontinuierliche Verbesserungen. So weit zu den Fakten. Wenn es aber ein unbezweifelbares Ergebnis aller internationalen Vergleichsstudien gibt, dann dieses: Aus ihnen ist keine allein selig machende Schulstruktur abzulesen. Die Fortschritte bei IGLU und PISA zeigen, dass sich der Bildungsföderalismus und die Bildungsvielfalt in Deutschland bewährt haben. ({2}) Deshalb können wir auch die Ergebnisse der Länderauswertung mit Spannung und vor allem mit Zuversicht erwarten. Aber ich sage Ihnen auch: Es muss ein Föderalismus im Rahmen bundesweiter Verbindlichkeiten und Vereinbarungen sein. Trotz allem gibt sich niemand mit dem zufrieden, was erreicht wurde. Deshalb setzen insbesondere die unionsregierten Länder auf folgende sechs Punkte. Erstens: Verstärkung der vorschulischen Förderung. Wir unterstützen die frühkindliche Bildung, indem wir 80 000 Erzieherinnen Weiterqualifizierungsmaßnahmen ermöglichen. ({3}) Zweitens investieren wir auch in den Ausbau von Ganztagsschulen. Die Zahl der Ganztagsschulen in Deutschland steigt, und zwar kontinuierlich. Sie schaffen Zeit und Raum für Bildung und Erziehung. Drittens: individuelle Förderung. In meinem Heimatland Bayern wurde Anfang November eine zweite Ausbildungsstätte für Förderlehrer eröffnet. Förderlehrer gibt es bisher nur in Bayern. ({4}) Viertens: Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Das Bundesbildungsministerium fördert Forschung zur Verbesserung von Sprachtests und unterstützt gemeinsam mit den Ländern die gezielte Sprachförderung von Migranten. Fünftens: Erhöhung der Durchlässigkeit des Schulwesens. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Nach unserem Verständnis soll es künftig keinen Abschluss ohne Anschluss geben. Dies ist ein enorm wichtiger Schritt in die Zukunft. Sechstens müssen wir die Schulen bei ihrer Erziehungsarbeit unterstützen. Dabei haben wir von der Union natürlich alle im Blick, nicht nur die Akademikerkinder, sondern auch die Arbeiterkinder, ({5}) die Kinder aus bürgerlichen Familien, Kinder von Handwerkern, Landwirten, Beamten, Geschäftsleuten, Händlern, Angestellten und Freiberuflern. Es muss einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden: Wir spielen weder die Kinder und Jugendlichen noch die Eltern gegeneinander aus. Wir wollen nicht - wie vorhin geschehen, Herr Kollege -, dass alle Eltern als erziehungsunfähig hingestellt werden. ({6}) Dagegen verwahren wir von der Union uns ganz energisch. Wir pflegen nicht die Unterschiede. Wir wollen alle Talente fördern. ({7}) Alle sollen ihr Potenzial ausschöpfen können. Deshalb gibt es bei uns keinen Einheitsbrei, sondern Vielfalt. Die 15 Einzelforderungen in Ihrem Antrag, Frau Kollegin, sind in weiten Teilen überholt oder von anderen abgekupfert. In den Ziffern eins bis sechs verteilen Sie weiße Salbe für Strukturveränderer. In Ziffer sieben be13940 stätigen Sie Ihre eigene Schlafmützigkeit; denn die Nationale Qualifizierungsinitiative liegt seit August 2007 vor. ({8}) Unter Ziffer 8 bis 10 verbreiten Sie ziemlich lauwarme Luft und schwülstige Wort- und Satzgebilde mit den Hauptinhalten: sollten, könnten, müssten. Schön, dass Sie sich wenigstens unter Ziffer 11 der Forderung nach der Durchsetzung des Bildungssparens anschließen; dies wird von den christlichen Arbeitnehmerverbänden CDA und CSA seit vielen Jahren gefordert. ({9}) Unter Ziffer 12 geben Sie immerhin zu, dass Ihnen die zahlreichen öffentlich finanzierten Projekte bekannt sind - um dann unter Ziffer 14 und Ziffer 15 anzudrohen, dass Sie sich gerne hinter irgendwelchen Gutachten verstecken würden, um Ihrer Verantwortung für die individuellen Bildungsbedürfnisse der Menschen zu entkommen. ({10}) In einem Punkt, der Ziffer 13 Ihres Forderungskatalogs, haben Sie in der Tat recht: Es ist unabdingbar, die Länder und Kommunen finanziell und organisatorisch in die Lage zu versetzen, den neuen und vielfältigen Bildungsaufgaben in Gegenwart und Zukunft nachzukommen. Lassen Sie uns alles tun, damit wir unser aller Ziel erreichen: die bestmögliche Förderung aller kindlichen, jugendlichen und auch erwachsenen Talente. ({11}) Ihr Antrag, verehrte Kollegen von den Grünen, ist dazu nicht die richtige Wahl. Besten Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Ernst Dieter Rossmann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil der Ausgangspunkt für die begrüßenswerte Vorlage der Grünen die PISA-Studien sind, möchte ich für die Sozialdemokratie noch einmal ausdrücklich sagen: Alle Kritik, die ja von verschiedenen Kultusministern am Institut PISA und an dem, was die OECD beispielhaft für viele Länder geäußert hat, geübt worden ist, weisen wir zurück. ({0}) Wir finden, PISA ist ein gutes Instrument, und es ist auch in Ordnung, wie mit diesem Instrument umgegangen worden ist. Es freut uns, dass das, was Frau Wolff oder Herr Rau oder Herr Busemann einmal gegen PISA sagen wollten, am Ende einer nüchternen und anerkennenden Betrachtung, bis ins konservative Lager hinein, gewichen ist. Frau Sommer und auch andere sagen, dass es gut ist, dass wir diesen Blick über die Grenzen unseres Landes hinaus haben. Wenn wir ihn nicht hätten, könnten wir jetzt keine objektive Bewertung vornehmen. Bei dieser Bewertung muss man einen Mittelweg gehen. Die Panik, die dabei war, als Sie, Frau Hirsch, die Ergebnisse von IGLU bis PISA angesprochen haben, ist nicht angebracht; aber es ist auch noch nicht an der Zeit, sich auf die Schulter zu klopfen. Wir haben bei IGLU tatsächlich gute Ergebnisse erreicht. Die kleine Bemerkung sei gestattet: Die Grundschule ist eine Gemeinschaftsschule. ({1}) Die Grundschule ist eine Einrichtung, in der alle Kinder, unabhängig von den sogenannten Begabungen und Voraussetzungen, die sie mitbringen, gemeinsam, im binnendifferenzierten Unterricht, in einer Klasse, unterrichtet werden. Grundschulpädagogen sind große Künstler, großartige Pädagogen, dass sie es schaffen, ein solches Leistungsvermögen, in der Breite, bei allen Kindern, aufzubauen. Die IGLU-Ergebnisse sind toll. Die PISA-Ergebnisse sind zwar besser geworden, aber noch nicht gut genug. Wenn die grüne Fraktion unseren Blick darauf lenkt, dass die Grundkritik, das Grunderschrecken, das wir bei PISA hatten und nach wie vor haben, zur Folge haben muss, dass wir PISA als Herausforderung begreifen, dann ist das richtig. Anders als andere Länder haben wir es noch nicht erreicht, dass bei uns alle - und nicht 20 Prozent nicht! - eine ausreichende Grundfertigkeit, Grundfähigkeit in Lesekompetenz, in mathematischem Verständnis, in naturwissenschaftlichem Verständnis haben. Anders als in anderen Ländern gibt es bei uns nach wie vor einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsverwirklichung. Andere Länder machen uns auch vor, wie man zugewanderte Kinder und Jugendliche besser fördern kann. ({2}) Wenn wir darin übereinstimmen, dann müssen wir auch darin übereinstimmen, dass die gemeinsame Herausforderung so auf den Punkt gebracht werden kann: Wir müssen uns in Deutschland nachhaltig mit dem Problem der Bildungsarmut auseinandersetzen. Dazu möchte ich drei Anmerkungen machen, mit denen ich vertiefen will, was Kollege Schulz schon angesprochen hat: eine Anmerkung zur Bewusstseinsfrage, eine Anmerkung zur Strukturfrage und eine zur Strategiefrage. Was die Bewusstseinsfrage angeht: Wir können immer alles von der Politik aus betrachten. Ich möchte aber einen anderen Blickwinkel wählen: den von Lehrern, von Eltern und von Schülern. Bei der Lektüre der IGLUStudie, bei der wir ja gute Ergebnisse erreicht haben, ist mir aufgefallen, dass ein Ergebnis höchst bedenklich ist: das Ergebnis, dass Lehrer, obwohl sie so gute Grundschullehrer sind, Kinder offensichtlich umso eher für eine weiterführende Bildungseinrichtung vorschlagen, je höher der Sozialstatus ist, den diese von den Eltern mitbringen. Es ist ein Problem, dass jemand 100 Punkte weniger haben muss, falls er aus einem Haushalt mit Höchstqualifizierten kommt, während jemand 100 Punkte mehr haben muss, wenn er aus einer Landarbeiterfamilie kommt. ({3}) Woher kommt dieses Problem? Kommt es daher, dass es dort noch eine gedankliche Assoziation gibt und dass man die Diagnostik und das Umgehen damit nicht gelernt hat? Kommt es vielleicht auch durch die stille und nicht ausgesprochene Erwartung hinsichtlich dessen, wie es einem solchen Kind in der weiterführenden Bildungseinrichtung im gegliederten Schulsystem ergehen würde, sodass man von daher schon glaubt, dass ein Kind aus diesem oder jenem Milieu mehr in diese oder jene Bildungseinrichtung passt? Neben der Lehrerseite gibt es auch noch die Seite der Eltern, wo es ähnlich ist. Auch hier wird uns durch die Ergebnisse gezeigt, dass Familien, die wir eher als bildungsfern beschreiben würden, ihre Kinder nur dann für weiterführende Schulen empfehlen, wenn die Kinder deutlich besser sind und ganz gewaltig gute Leistungen erbringen, sodass den Kindern die Normalchancen, die sie haben müssten, in diesen Familien nicht zugestanden werden. Das Bittere ist: Das, was Lehrer und Eltern hier realisieren, ist bei den Kindern schon so früh angekommen, dass es sich nur ein ganz geringer Prozentsatz der Arbeiterkinder vorstellen kann, jemals ein Abitur machen oder studieren zu können. Ein Akademikerkind kann sich dagegen natürlich fast in jedem Fall vorstellen, zu studieren und eine gute Bildungslaufbahn zu absolvieren. Angesichts dieses Ausgangspunkts der Analyse möchte ich jetzt noch einmal dafür werben, dass wir uns die Gemeinschaftsschule und das gegliederte Schulwesen nicht immer wieder strukturell um die Ohren hauen, sondern uns fragen, was die Chance eines längeren gemeinsamen Lernens sein könnte. Eine Chance könnte sein, dass die Lehrer von schwierigen und falschen Entscheidungen entlastet würden, weil sich das richtige Bild im Bildungsvollzug zeigt. Für die Familie könnte die Chance bestehen, dass sie sich in einer durchgängigen Bildungseinrichtung befindet und dort einen längeren gesicherten Bildungsweg beschreiten kann. Für die Kinder besteht die Chance, dass sie nicht mehr das Gefühl haben, dass sie ab einem bestimmten Punkt nicht mehr als Kind betrachtet werden, das Entwicklungsmöglichkeiten hat, sondern als Kind, das eine Sortierung durchlaufen muss. Dies müssen wir gemeinsam aufnehmen und auch verstehen. Dann wird man auch für ein gemeinsames längeres Lernen eintreten können. ({4}) Die einen haben hierbei die Vorstellung einer gemeinsamen Schule. Diese ist im Rahmen des Deutschen Schulpreises 2007 mit den besagten Gesamtschulen angesprochen worden. Bei diesem Wettbewerb ist aber auch ein Gymnasium ausgezeichnet worden, nämlich das Friedrich-Schiller-Gymnasium aus Marbach. Der Schulleiter hat in der Rückerinnerung gesagt: Wir machen in unserem Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach das, was gute Gesamtschulen schon immer getan haben. Wir fördern alle Kinder individuell. Wir fördern sie in einer gemeinschaftlichen Aktion, indem wir uns team- und lehrerübergreifend für sie einsetzen. Sie stellen immer die Rückfrage, was wir denn mit den Gymnasien machen. Die Schulstruktur kann doch nur das Vehikel sein, aus dem man die kulturelle Frage, also die Frage, wie die Schulkultur aussieht, entwickelt. ({5}) Auch Gymnasien können sich in Verantwortung für alle Schüler kulturell ganz anders entwickeln, als sie sich vielfach leider entwickelt haben. Ich wollte versuchen, Ihnen dies nahezubringen, Herrn Weinberg und anderen, weil die KMK zu Recht sechs, sieben Punkte angegangen ist, die gut sind: von der frühkindlichen Bildung bis zur Ganztagsschule. Sie werden uns erlauben, dass wir hinsichtlich der Ganztagsschule immer noch richtig stolz sind, ({6}) wenn wir uns daran erinnern, wie andere hier zu anderer Gelegenheit darüber gesprochen haben. Wenn es um die Strukturfrage geht, dann geht es nicht nur um die Schule, sondern auch um die frühkindliche Bildung, die Eltern-Kind-Zentren, die Ganztagsschulen bis hin zu einer Schulheimat, in die auch das Umfeld und der Stadtteil mit einbezogen werden, das längere gemeinsame Lernen - durchaus auch in Verschiedenheit -, die Ausbildung für alle und schließlich auch um das lebenslange und lebensbegleitende Lernen. Wenn es nicht möglich ist, dass alle im dualen System eine Ausbildung erhalten, dann muss man das duale System durch ein anderes System ergänzen, nämlich das der überbetrieblichen oder schulischen Ausbildung, damit alle eine Ausbildung erhalten. Wir sind dort nicht dogmatisch festgelegt. Wir sollten uns aber darauf festlegen, dass alle eine Ausbildung erhalten. ({7}) Eine Ergänzung möchte ich schon noch machen: Bei Förderungen von Kindern und Jugendlichen wird in Kategorien von Stipendien, Stiftungen und anderem gedacht. Wir glauben, dass das Bildungsrecht ein Recht ist, das man - auch bezüglich der Förderung - einklagen können muss. Deshalb waren wir im Unterschied zu an13942 deren beim BAföG so sehr dafür. Wir sind auch sehr für ein Bildungssparen und dafür, dass es beim Aufstiegsausbildungsförderungsgesetz Rechtsansprüche geben wird, die man erweitern kann, auch mit der Perspektive auf ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz. Es ist vielleicht die Zeit, zu sagen: Wir müssen über das Schüler-BAföG neu nachdenken. Die SPD will das jedenfalls tun, weil wir glauben, dass das Schüler-BAföG ein kritischer Punkt ist. ({8}) Denn manche verabschieden sich davon, alle Bil- dungschancen ihrer Kinder mitzurealisieren, weil sie eine materielle Ungleichheit und Unsicherheit für sich sehen. Nach den Strukturfragen jetzt zur Strategiefrage. Es ist gut, dass es jetzt einen Bildungsgipfel geben soll. Es ist gut, wenn wir dort viel Gemeinsamkeit haben. Aber es wirkt auch klärend, wenn wir uns den Streit nicht ersparen. Streit sollten wir uns nicht ersparen, weil aus der Differenz neue Ideen entstehen können. Wir Sozial- demokraten sehen in Bezug auf diesen Bildungsgipfel, dass die Bundesregierung die Stärkung der Alphabetisie- rung und Grundbildung aufgenommen hat. Das kann man ausbauen. Da ist sehr viel passiert. 80 000 Kindertagesstättenkräfte und ein Internetportal können noch nicht alles sein. Wir haben a) wesentlich mehr Erzieherinnen und Erzieher, und b) ist das Internetportal allein noch nicht die ganze Lösung. Da müssen Bund und Länder zusammenkommen. In Bezug auf Schulen müssen wir uns überlegen, wie wir die ureigenste Länderaufgabe, die Lehrerausbildung, endlich als den zentralen Punkt festlegen können. Das ist fast der Restant aus den sieben Punkten, die die Kultusministerkonferenz 2001 mitbeschlossen hat. Vielleicht kann der Bund mithelfen - von Bildungsforschung über strukturelle Unterstützung -, damit die Lehrerausbildung eine Einheitlichkeit, aber auch eine andere Qualität bekommt. Wir sehen sicherlich, dass wir auch in Bezug auf Fachkräfte eine wirkliche Bildungsoffensive starten müssen. Dabei gibt es für uns ein Anliegen: Es darf nicht nur ein Fachkräftegipfel, sondern muss ein Bildungsgipfel werden. ({9}) Das sind wir den Analysen von IGLU und PISA schuldig; denn das ist eine lebensbegleitende, sich aufbauende Struktur. Man kann es nicht reduzieren; denn dort müssen der humanistische und der bildungsökonomische Impuls zusammenkommen. Ich möchte gern noch einmal auf den Blickwinkel der Kinder zurückkommen. Wir in Deutschland sollten es schaffen, dass mehr Kinder in dem Bewusstsein leben: Ich habe alle Chancen, die will ich nutzen, und ich bekomme immer wieder Chancen, für die ich mich anstrengen will. Dieses Gefühl und seine Auswirkungen werden wir hoffentlich in späteren Studien im internationalen Vergleich wiederfinden. Damit es dazu kommt, gilt auch für Politiker, dass wir uns anstrengen müssen. Danke. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Uwe Barth, FDP-Fraktion. ({0})

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist um die zwar wenigen, aber immerhin vorhandenen positiven Ansätze in dem Antrag sehr schade, weil sie unter einem ganzen Berg von falschen Behauptungen, selektiv und tendenziell verwendeten Fakten und falschen Schlussfolgerungen verschüttet sind. ({0}) Jawohl, unser Bildungssystem wirkt leider immer noch selektiv. Jawohl, das ist nicht gut, das müssen wir ändern. Jawohl, dazu muss auch Politik beitragen. Aber nein, es ist nicht allein Aufgabe von Politik. Nein, das ist nicht die Folge von quasi böswilligen Handlungen von Politikern oder gar irgendwelchen Lehrern. Nein, es ist keine zwangsläufige Folge von Strukturen. ({1}) Nein, liebe Kollegen von den Grünen, Gleichmacherei ist kein hehrer Grundsatz, sondern ein grundfalscher Ansatz. ({2}) Soziale Selektivität ist ein Phänomen, zu dem viele unterschiedliche Faktoren beitragen. Ich will ein paar nennen, die in dem Antrag völlig verschwiegen werden. ({3}) Die Erkenntnis, dass Bildung einen Wert an sich hat und dass sie Voraussetzungen für das ganze Leben schafft, ist in unserer Gesellschaft nicht gleichmäßig verteilt. Der Satz, den auch meine Oma mir immer wieder gesagt hat: „Lerne ordentlich, damit später einmal etwas aus dir wird“, wird in bildungsnahen und bildungsfernen Elternhäusern sicherlich ganz unterschiedlich weitergegeben. Schauen wir, wo unter den Weihnachtsbäumen Bücher liegen und in welchen Elternhäusern Kinder dazu angehalten werden, diese Bücher zu lesen. Schließlich stellt sich die Frage, welche Eltern es sind, die durch Druck auf die Lehrer dafür sorgen, dass ihre Kinder eine Gymnasialempfehlung bekommen, obwohl sie von ihren Leistungen her nicht geeignet sind, ({4}) und welchen Elternhäusern das eher egal ist. Wir alle kennen die Antworten. All dies trägt mit dazu bei, dass sich die soziale Selektion als objektiv wahrnehmbare Realität in den Statistiken niederschlägt. Die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und Gymnasialempfehlung hat übrigens entgegen den Behauptungen in Ihrem Antrag in den letzten Jahren deutlich abgenommen. Zugegeben, das ist kein Grund zum Ausruhen, aber es ist immerhin ein Fakt, den man auch zur Kenntnis nehmen muss. ({5}) Wir wissen zwar, dass es Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund im Bildungssystem nicht leicht haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass beispielsweise Kinder von Migranten aus Vietnam ihre deutschen Mitschüler bei den Noten in den Schatten stellen. ({6}) Das hat möglicherweise mit der Wertschätzung der Bildung zu tun, die in der jeweiligen Kultur bzw. in den Elternhäusern vermittelt wird. Eine Folge oder gar der Beweis einer gezielten Benachteiligung ist dies bestimmt nicht. ({7}) Die Strukturdebatte, die Sie beginnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist weder zweckdienlich noch in irgendeiner Form begründet. Als Rot-Grün in NordrheinWestfalen regiert hat, gehörten die nordrhein-westfälischen Kinder im bundesweiten Bildungsvergleich zu den Verlierern. ({8}) Die Bildungsdurchlässigkeit ist im strikt dreigliedrigen System Baden-Württembergs besonders hoch, und die Lebensperspektiven für Kinder aus sozial benachteiligten Elternhäusern stellen sich in Bayern am günstigsten dar. Zwar ist auch dort nicht alles Gold, was glänzt, aber IGLU und PISA zeigen, dass es Lichtblicke gibt. Deutsche Kinder sind besser geworden. Die Konzepte der individuellen Förderung, der schulischen Eigenständigkeit und eines neuen Bewusstseins unter den Pädagogen beginnen zu greifen. Es gibt noch mehr, was die Politik tun kann, damit sich unser Bildungssystem weiter verbessert. Dazu gehören die Voraussetzungen für eine bessere vorschulische Bildung, mehr Eigenständigkeit für die Schulen, die verbesserte Überprüfung der schulischen Bildungsleistungen und die Verbesserung der Lehreraus- und -weiterbildung. Es geht auch darum, von den Besten zu lernen, und vor allem um eines, nämlich die Anerkennung von erbrachten Leistungen und erzielten Verbesserungen. ({9}) Das nämlich motiviert Menschen, und Motivation ist eine der wichtigsten Triebfedern, die alle am Bildungssystem Beteiligten für ihren persönlichen Erfolg brauchen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7465 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Antje Blumenthal, Thomas Bareiß, Thomas Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marlene Rupprecht ({1}), Ingrid Arndt-Brauer, Clemens Bollen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Gesundes Aufwachsen ermöglichen - Kinder besser schützen - Risikofamilien helfen - zu dem Antrag der Abgeordneten Miriam Gruß, Ina Lenke, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schutz und Chancen für die Kinder in Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinder entschlossen vor Vernachlässigung schützen - Drucksachen 16/4604, 16/4415, 16/3024, 16/5695 Berichterstattung: Abgeordnete Antje Blumenthal Marlene Rupprecht ({2}) Diana Golze Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({3})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fürchterliche Tragödien um vernachlässigte, misshandelte und getötete Kinder haben in den vergangenen Tagen und Wochen die Menschen in Deutschland erschüttert. Ich denke dabei an den Mord an fünf Kindern in Darry durch eine offensichtlich psychisch gestörte Mutter. In Plauen fanden Polizisten die Leichen von drei Kindern. In den letzten Monaten vergingen kaum vier Wochen, in denen nicht grauenvolle Schicksale von Kindern bekannt wurden. Als einen besonders abscheulichen Fall beschreibt das Magazin Focus die Misshandlung des kleinen Simon, ein Jahr und neun Monate alt: Simon verstummte mit einem Schlag. Eine gezielte Gerade vom Freund der Mutter. Das Kind fiel ins Koma. Zu Hause war endlich Ruhe. Als der Täter von der Polizei vernommen wurde, erklärte er: Vom Gefühl her hänge ich mehr an meinem Hund. Das sind völlig unterschiedliche Sachverhalte, aber es gibt stets ein Opfer: die Kinder. Deshalb hat eine Politik die Bringschuld, alles zu tun und nichts zu unterlassen, um die Schwächsten, die Kleinsten, die Hilflosesten, die Unschuldigsten in unserem Land zu schützen. ({0}) Kompetenzgerangel und unterschiedliche Zuständigkeiten dürfen keinesfalls wichtiger sein als der Schutz unserer Kinder. Wir haben in den vergangenen Monaten in der Großen Koalition ein 37-Punkte-Programm erarbeitet mit der Überschrift „Gesundes Aufwachsen ermöglichen - Kinder besser schützen - Risikofamilien helfen“, das durch die schlimmen Ereignisse der letzten Tage eine traurige Aktualität erhalten hat. Ziel ist es, zum Schutz der Kinder ein Netz mit einem ganz klaren Grundkonzept zu weben: Prävention, Vorbeugung, Früherkennung. Aber lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines ganz klar feststellen: Wir wollen nicht Eltern und Familien unter Generalverdacht stellen. Die allermeisten Eltern in Deutschland kümmern sich liebevoll um ihre Kinder und tun alles für sie. ({1}) Diese Familien haben unseren Dank, unseren Respekt und auch unsere Unterstützung verdient. Starke und intakte Familien ({2}) sind die beste Voraussetzung für ein glückliches Aufwachsen von Kindern. ({3}) Überforderte Familien in finanziellen Notlagen, Familien, bei denen der innere Zusammenhalt nicht mehr gegeben ist, brauchen Einzelunterstützung, aber auch die richtigen Rahmenbedingungen. Deshalb sieht unser Maßnahmenkatalog unter anderem vor: Maßnahmen zur Stärkung der Elternkompetenz, passgenaue Hilfen für Familien in besonderen Belastungssituationen, eine frühzeitige, verlässliche und genau abgestimmte vernetzte Unterstützung der Familien durch Kinderärzte, Krankenhäuser, Erzieherinnen, Kindergärten, Polizei, Gesundheits- und Jugendämter. Die Vorsorgeuntersuchungen wollen wir zu einem maßgeschneiderten Konzept der Früherkennung ausbauen, und zwar durch eine Überarbeitung der Untersuchungsverfahren, um zielgenau Kindesvernachlässigungen frühzeitig zu erkennen, durch eine Verdichtung der Intervalle bei den Vorsorgeuntersuchungen und durch Bonusprogramme, Anreize, um möglichst alle Eltern zu überzeugen, ihre Kinder an den kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen zu lassen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass das geplante Betreuungsgeld nur dann vollständig ausgezahlt wird, wenn die Eltern einen lückenlosen Nachweis der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen vorlegen. ({4}) Ich freue mich, dass eine ganze Reihe von Bundesländern die Verpflichtungen und Anreizsysteme bereits kombinieren, zum Beispiel Bayern. Mein Dank gilt an dieser Stelle der Bundeskanzlerin dafür, dass sie in der kommenden Woche im Gespräch mit den Ministerpräsidenten den Kinderschutz zur Chefsache erklären und die Abstimmung mit den Ländern durchführen wird. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Ehrlichkeit und Wahrheit gehört aber auch, dass bei allen beschlossenen Maßnahmen und Programmen kein Garantiezertifikat ausgestellt werden kann, das besagt, dass es in Zukunft in Deutschland keinen einzigen Fall mehr von Kindesmisshandlung oder gar Kindestötung gibt. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang bezüglich der Diskussion um die Frage Kinderrechte, Kinderschutz in die Verfassung klar sagen: Die Erfahrung zeigt leider, dass die Eltern, die uns in der Vergangenheit mit ihrem Verhalten besonders erschüttert haben, nicht ins Grundgesetz geschaut haben. ({6}) Ich bitte deshalb, diesem Antrag mit einer sehr umfangreichen Konzeption, mit einem dicht geknüpften Netz für mehr Kinderschutz zuzustimmen, weil wir damit das politisch Mögliche auf den Weg bringen. ({7}) Ich füge an dieser Stelle hinzu: Neben allen Programmen, Paragraphen und Gesetzesbestimmungen, die wir noch formen werden, brauchen wir in Deutschland vor allem ein Klima der Kinderfreundlichkeit. Dazu kann es dienen, wenn sich gelegentlich der eine oder andere Erwachsene auf die Augenhöhe von Kindern, also auf 80 Zentimeter, hinabbewegt. Das muss nicht zur Verzwergung - auch nicht in der Politik - führen, sondern kann ein neuer Schritt hin zu mehr Menschlichkeit sein. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Miriam Gruß, FDP-Fraktion. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte über den heutigen Tagesordnungspunkt haben wir im März dieses Jahres zum ersten Mal geführt. Das Traurige ist: Wir sind heute keinen Schritt weiter. Damals erschütterte uns der Fall Kevin und der eines Mädchens, das aus dem zehnten Stock geworfen wurde. Heute sind es der Fall Lea-Sophie und die Vorkommnisse in Darry oder Plauen. Für all diese Kinder kommt die heutige Diskussion in diesem Plenum viel zu spät. Jeden Tag, jede Stunde, vielleicht gerade in dieser Minute, gibt es zig Kinder in unserem Land, die unsere Hilfe bräuchten, die von uns aus dem Bundestag, aus der Politik von Bund, Ländern und Kommunen, aber natürlich auch aus der Gesellschaft, von Nachbarn und Menschen in der Umgebung, in der Nähe. Wir alle, Politik und Gesellschaft, müssen uns heute eingestehen: Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf. Erhebungen des Bundeskriminalamtes zeigen zwar, dass die Zahl der Kindstötungen nicht steigt. Aber ganz ehrlich: Wer weiß schon, wie hoch die Dunkelziffer ist? Jedes vernachlässigte, misshandelte oder tote Kind, egal ob von einer Statistik erfasst oder nicht, ist eine Niederlage. ({0}) Wir müssen jetzt endlich anfangen, aus unseren Fehlern zu lernen. Erstens. Betrachten wir die Kinder- und Jugendhilfe. Schon hier fehlt es an allen Ecken und Enden. Wir brauchen mehr Personal. Wenn ein Mitarbeiter des Jugendamtes 200 Fälle zu betreuen hat, wie soll er dann Zeit haben, ein Kind in Augenschein zu nehmen und zu erkennen, wie es dem Kind geht? Den Jugendämtern müssen als Schnittstelle zu den Familien verlässliche personelle und sachliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Ebenso muss in die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter der Jugendämter investiert werden, damit deren Diagnosekompetenz gestärkt wird. Zweitens, was die Familien betrifft: Wir brauchen ein breitgefächertes Angebot der aufsuchenden Hilfe, die bereits während der Schwangerschaft einsetzt. Wir brauchen ein Nationales Zentrum „Frühe Hilfen“, das diesen Namen auch verdient und nicht mit vier Mitarbeitern in einem Baucontainer arbeiten muss. ({1}) Wir brauchen eine frühe Identifikation und eine engmaschige Betreuung, um Überforderungssituationen in den Griff zu bekommen. Die aufsuchende Hilfe muss durch besonders qualifizierte Familienhebammen, Familienfürsorgerinnen und Kinderkrankenschwestern verstärkt werden. Früher kannten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Leute. Die Bürgerinnen und Bürger konnten sich ohne Scham an sie wenden. Die Hürde, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist groß. Jeder hier im Raum und alle, die uns zusehen, dürften wissen, wie schwer es ist, fremde Hilfe anzunehmen. Das ist vom faden Beigeschmack des Scheiterns und des Versagens begleitet. Doch wer selbst Hilfe aufsucht, hat den größten Teil der Arbeit schon erledigt. Die Diagnose, selber nicht zurechtzukommen, ist bereits erfolgt. Deshalb brauchen wir verstärkt niedrigschwellige aufsuchende Angebote. Wir brauchen darüber hinaus Erwachsenenbildungskonzepte und Angebote, die die Elternkompetenz stärken. Nur wenn wir starke Eltern haben, haben wir starke Kinder. ({2}) Drittens. Betrachten wir den Haushalt, das Geld. Ohne Mehrausgaben und eine Neustrukturierung unserer Ausgaben werden wir nicht weit kommen. Die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe stagnieren in diesem Jahr. 21 Milliarden Euro sind zwar vermeintlich viel Geld. Aber dieses Geld kommt in struktureller Hinsicht offenbar nicht an. Allein die Stagnation dieser Ausgaben zeigt, welchen Stellenwert Kinder und Familien in unserer Gesellschaft momentan haben. Erschreckend in diesem Zusammenhang sind Pressemeldungen aus Halle oder Bayern - ich will das nur kurz erwähnen, weil es mich besonders erschüttert hat -, wonach Kinder aus Heimen in ihre Familien zurückgeführt werden sollen. In Halle geht es um 314 Kinder. In Bayern ist sogar von allen Kindern die Rede, die auf lange Sicht nicht mehr in Heimen untergebracht werden sollen. Der Grund ist klar: Eine Heimunterbringung kostet pro Kind rund 80 000 Euro im Jahr. Hier gilt wohl: Lieber ist der Haushalt gesichert als das Wohl des Kindes. Das darf nicht sein. Nehmen wir die Diskussion um die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz: Natürlich müssen wir zusätzlich konkrete Hilfen anbieten. Papier allein schützt kein Leben. Die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz würde aber Signale setzen. Wir würden damit zeigen, welchen Wert unsere Kinder in dieser Gesellschaft haben. Das Kindeswohl und damit die Kinder würden an oberster Stelle stehen, und wir würden dadurch eine Kettenreaktion auslösen, die bis jetzt noch nicht vorhanden ist. ({3}) Ich kann Ihnen sagen: Aus der FDP kommen positive Signale. Die SPD, die Linke und die Grünen sprechen sich bereits dafür aus. Jetzt ist es an Ihnen, der Union, den hohen Stellenwert, den Sie Kindern in diesem Land einräumen, unter Beweis zu stellen und nicht zum Verweigerer der Kinderrechte zu werden. ({4}) Herr Singhammer, stattdessen verwirren Sie uns heute in Pressemitteilungen mit der Forderung nach verpflichtenden Pflichtvorsorgeuntersuchungen und verbindlichen Untersuchungen zur Pflichtvorsorge. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, was genau Sie damit gemeint haben, haben Sie uns noch nicht erklärt, wie die Ärzte das konkret leisten sollen. Sie wissen selbst: Es gibt hier noch keine einheitlichen Standards. Es darf auch nicht sein, dass es Unterschiede in der Behandlung eines Kindes in Berchtesgaden und in Bremen gibt. Außerdem haben Sie heute so schön formuliert, es sei wichtig, dass wir die Eltern ertüchtigen. Abgesehen davon, dass das Wort „ertüchtigen“ von anno dazumal ist: Sie glauben doch nicht wirklich, dass Sie die Probleme hiermit lösen. Last, but not least verkaufen Sie uns heute ein 37-Punkte-Programm, das nichts anderes enthält als Ihr alter Antrag - alter Wein in neuen Schläuchen. Es hilft trotzdem nichts. Ich fasse zusammen: Was wir wirklich brauchen, ist eine umfassende Vernetzung aller am Aufwachsen Beteiligten, einen regen Erfahrungsaustausch und einheitliche Qualitätsstandards. Wir müssen die Prozesse evaluieren und ständig nach dem Prinzip leben: Lieber verbessern als verharren. Kinder werden bei uns leider immer erst dann vermisst, wenn sie tot sind; so steht es heute sehr aufrüttelnd in der Zeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir Erwachsenen in der Politik und in der Gesellschaft sind es, die für unsere Kinder verantwortlich sind. Wir dürfen uns in 20 Jahren nicht vorwerfen lassen, die Kinder im Stich gelassen zu haben. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Marlene Rupprecht, SPD-Fraktion. ({0})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will hier keine Fälle schildern. Ich glaube, dieses Thema sitzt genügend in unseren Emotionen. Was uns in vielem, was wir sagen, anheizt, ist eigentlich unsere Hilflosigkeit: Wir müssen Fällen begegnen, in denen wir nicht gehandelt haben oder nicht handeln konnten und in denen alle Mechanismen versagt haben, die wir haben. Gerade weil wir emotional so stark angesprochen sind, sollten wir dringend etwas beachten. Ein Arzt, der einen Schwerverletzten oder einen Unfallverletzten ambulant zu behandeln hat, kann nicht anfangen, zu weinen, sondern muss eine Diagnose stellen, und dann handelt er. Egal wie betroffen er ist: Er versucht, analytisch vorzugehen. Genau so sollten wir an diese Thematik herangehen. Es geht um die Analyse: Was ist die Ursache? Was hat nicht funktioniert? Es geht um die Handlungsebene: Was kann der Bundestag tun? Was müssen andere Ebenen tun? Ich glaube, eine Behandlung dieses Themas ist erst dann zielführend, wenn diese Fragen beantwortet sind. Alles andere ist Aktionismus. Er beruhigt unser schlechtes Gewissen. Wenn es schwierig ist, neigen wir dazu, nach dem Reiz-Reaktion-System „Oben tut man etwas hinein, und unten kommt eine Lösung heraus“ zu verfahren. Im Leben haben Probleme meistens nicht nur eine Ursache. Deshalb würde ich gern auf einige Aspekte eingehen. Tödliche Verletzungen von Kindern gehen zu über 50 Prozent auf Unfälle durch Stürze zurück. Die Mehrzahl der tödlichen Verletzungen von Kindern unter einem Jahr lässt sich auf Misshandlungen durch Schütteln zurückführen. Schauen wir uns an, welche anderen Formen von Misshandlungen es noch gibt: Vernachlässigung, seelische und emotionale Misshandlung - sie ist äußerlich vielleicht nicht sichtbar - und sexueller Missbrauch. Ich glaube, wir brauchen dringend eine klare Unterscheidung. Wenn wir uns dies sowie die Anzahl der Todesfälle und der Misshandlungen anschauen, kommen wir zu folgendem Schluss: Wir müssen dort ansetzen, wo Kinder leben, nämlich in ihrer Lebenswelt das ist vor Ort in den Kommunen. Dort muss gehandelt werden, und dort wird gehandelt. ({0}) Ich will an dieser Stelle für diejenigen sprechen, die tagtäglich in den Jugendämtern gute Arbeit leisten. ({1}) Man muss sich die Zahlen einmal anschauen: 30 Sorgerechtsentzüge pro Tag, 725 Inobhutnahmen. Das sind massive Eingriffe. Da müssen die Beschäftigten entscheiden: Breche ich die Tür auf? Befindet sich dahinter ein misshandeltes Kind? Ist die Familie einfach in den Urlaub gefahren, obwohl Schulzeit ist? - Immer in Grenzregionen zu arbeiten, erfordert ein hohes Maß an Professionalität und Unterstützung. Das sollte man hier einmal aussprechen. ({2}) Ich möchte nicht Beschäftigte in einem Jugendamt sein und ständig hören müssen, ich hätte zu früh eingegriffen und hätte Kinder zu früh aus der Familie genommen, oder ich hätte zu spät eingegriffen. ({3}) Eine Untersuchung in Bayern, die die Fachhochschule Coburg erst jetzt veröffentlicht hat, befasste sich mit unserer letzten Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, des KJHGs. Die Antworten der Jugendämter in Bayern - ich achte diese Ämter sehr, ich arbeite mit ihnen und weiß, dass dort Profis sitzen - haben eindeutig ergeben: Wir können nicht immer nur Personal abbauen und Finanzen reduzieren. Wir brauchen gut ausgebildete Kräfte, und zwar eine ausreichende Zahl an Kräften. Marlene Rupprecht ({4}) ({5}) Was kann man tun, außer zu lamentieren? Die Jugendämter sagen: Wir haben keine standardisierten Verfahren. Jeder macht, so gut er kann, aber niemand sagt einmal, wie es eigentlich richtig geht. - Deshalb brauchen wir die Landesjugendämter dringend weiter und eben nicht den Abbau der Landesjugendämter, der durch die Verfassungsreform ermöglicht wurde. ({6}) Dort können standardisierte Verfahren entwickelt werden. Dabei geht es um Fragen der Art: Wie erkenne ich eine Kindeswohlgefährdung? Wie greife ich ein? Wie viel Personal brauche ich dazu? - Die Bandbreite schwankte von zwei Fachkräften bis zu fünf oder sechs Fachkräften, die an einem Fall beteiligt sind. Auch da brauchen sie Unterstützung. Ein weiterer Mangel. Zwei Drittel sagen: Wir kooperieren bereits vor Ort, aber nicht in allen Bundesländern gibt es standardisierte Verfahren für die Kooperation. Unter anderem geht es darum: Meldet das Gericht, wenn jemand vorbestraft ist? Bei mir vor Ort gab es zum Beispiel den Fall, dass der Freund einer Mutter wegen Gewalttaten und Körperverletzung vorbestraft war, das Gericht das aber nicht gemeldet hat. Da kann die Gesundheitsbehörde wunderbare Verträge mit dem Jugendamt und der Polizei gemacht haben - wenn vom Gericht die Meldung nicht kommt, nützt das alles nichts. Das heißt, alle Beteiligten müssen melden und Informationen zusammenführen. Dafür ist ein gut ausgestattetes Jugendamt vor Ort notwendig. Noch etwas Wichtiges haben die Jugendämter herausgefunden. Sie müssen mit den Gerichten und Staatsanwälten viel früher kooperieren. Auch wenn ein Sorgerechtsentzug - das ist ein starker Eingriff in ein Verfassungsrecht - abgelehnt wird, müssen sie kooperieren. Wenn das Gericht der Ansicht ist, es sei noch nicht so weit gewesen, einen solchen Eingriff vorzunehmen, muss langfristig beobachtet werden: Verschlechtert sich die Situation? Diese Forderungen der Jugendämter würde ich gern hier hineintransportieren und an die Kanzlerin weitergeben. Wenn sie mit den Ministerpräsidenten redet, sollte sie wirklich mit Bedacht an die Aufgabe herangehen, nicht mit großen Forderungen und einer Lösung kommen, so wie das im Moment in den Medien geschieht. Ich komme zu der einen Lösung, die immer wieder gefordert wird. Ich finde es vernünftig, wenn Eltern ihre Kinder untersuchen lassen. Ich halte es für richtig und wichtig, dafür zu sorgen, dass Kinder gesund aufwachsen. Ich möchte aber dem Parlament sagen: Wir sind der Gesetzgeber; wir müssen wissen, wofür wir zuständig sind und wofür nicht. ({7}) Wir sind auf Bundesebene für ein Leistungsrecht zuständig, das in sich keinen Zwang kennt. Wir kennen nach der Verfassung nur einen Fall, in dem wir Zwang anwenden dürfen: bei akuter Seuchengefahr. Ansonsten ist kein Eingriff möglich, schon gar nicht über ein Leistungsgesetz, das solidarisch finanziert wird. Das öffentliche Gesundheitswesen ist nach der Verfassung auf Länderebene angesiedelt. Deshalb begrüße ich, wenn sich die Länder eine gemeinsame Antwort auf die Frage überlegen - damit wir keinen Flickenteppich aus 16 verschiedenen Länderregelungen bekommen -, wie man die Eltern dazu motivieren kann - manche Krankenkassen tun das -, ihre Kinder regelmäßiger dem Arzt vorzustellen. Das halte ich für wichtig. Insgesamt ist es wichtig, das Aufwachsen der Kinder genauer zu betrachten. Ich möchte kein totes Kind gegen ein anderes ausspielen; aber 10 Prozent der Todesfälle von Kindern ereignen sich infolge von Verletzungen und Unfällen, während sich knapp 2 Prozent infolge von Misshandlungen ereignen. Wir sollten deshalb die Frage in den Blick nehmen, was wir tun können, um Verletzungen und Unfälle zu vermeiden, zum Beispiel durch die Installation von Rauchmeldern - dafür sind die Länder zuständig - oder durch die Einführung einer Helmpflicht für Radfahrer - der Verkehrsminister ist heute nicht da -, um schwere Kopfverletzungen zu verhindern. Wir sollten solche Maßnahmen genau unter die Lupe nehmen. Wenn uns - unabhängig von öffentlichen Diskussionen - wirklich wichtig ist, was aus Kindern wird, dann müssen wir Aktionismus vermeiden und das Problem in seiner Gesamtheit betrachten, dann müssen wir endlich kapieren, dass man in der Kinder- und Jugendpolitik nicht nur Schlaglöcher ausbessern darf - ich vergleiche das immer mit den Maßnahmen bei der Verkehrsinfrastruktur -, sondern Verkehrswege planen muss. Für die Kinder- und Jugendhilfepolitik heißt das: Wir brauchen einen Strukturplan, der dafür sorgt, dass Kinder gut aufwachsen. ({8}) Ich sage Ihnen noch etwas - Herr Präsident, ich bemühe mich, ganz schnell zu sein -: Der Verkehrsminister baut nicht für Herrn Grübel eine Extrastraße, wenn er irgendwo hinfahren möchte. Er nimmt an, dass Herr Grübel durch Mobilität teilhaben möchte. Deswegen ist von vornherein eine Straße vorhanden. Anders verhält es sich mit einem Schwertransport: Dann gibt es eine Sonderbehandlung; in außerordentlichen Fällen, wenn ein besonders großes Schwergewicht transportiert werden soll, wird eine Brücke verstärkt. Ich wünsche mir, dass dieses Vorgehen der Verkehrspolitik bei der Verkehrswegeplanung auf die Jugend- und Sozialpolitik vor Ort übertragen wird: vorausschauend planen. Das hilft allen, ohne dass der Staat eingreift. Wir sind nicht die besseren Erzieher. Wir alle können teilhaben, und zwar in Freiheit. Diese Teilhabe wünsche ich mir. Ich möchte keinen Aktionismus. ({9}) Mein großer Wunsch ist - ich danke dafür, dass die Kinderkommission in diesem Punkt zusammensteht -, dass wir dies zum Ausdruck bringen, indem wir sagen: Kin13948 Marlene Rupprecht ({10}) der sind natürlich Menschen - das Bundesverfassungsgericht hat 1968 Rechte der Kinder anerkannt -, aber sie sind Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Ansprüchen. Deshalb sollten wir die Kinder als Subjekte erkennbar in die Verfassung aufnehmen, um ihnen besonderen Schutz, besondere Förderung und kindgerechte Lebensverhältnisse zu garantieren. ({11}) Wir haben mit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtsresolution den Kindern besondere Rechte zugestanden. Ich bitte Sie, das anzunehmen, was die Kinderkommission für sich in Anspruch nimmt - ich bin dankbar dafür, dass es diese Kommission gibt -: Kinder müssen ernst genommen, als Rechtssubjekte und als eigenständige Persönlichkeiten gesehen werden. Ich hoffe, dass Sie mit uns gemeinsam marschieren und Ihr Nein zur Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung noch einmal überdenken. Die Grundgesetzänderung ist dringend notwendig. Es wäre ein Highlight, wenn wir die Bedeutung der Kinder für die Gesellschaft in der Verfassung zum Ausdruck bringen würden. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Diana Golze, Fraktion Die Linke. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, man muss nicht betonen, dass das Thema dieser Debatte uns alle betroffen macht. Jeder Fall von Kindesmissbrauch ist ein Fall zu viel. Wir alle hoffen, dass wir geeignete Maßnahmen treffen, um die Zahl der Fälle zu beschränken. Wir alle wissen aber auch, dass wir nie absolute Sicherheit werden erreichen können. Neben den aktuellen Fällen macht es mich betroffen, wie die Diskussion darüber geführt wird: sehr aktionistisch, sehr überstürzt, stark beeinflusst von dem Druck, den die Medien auch auf uns, die Bundespolitiker, ausüben. Viel zu leicht kommt man in die Versuchung, sich von diesem Druck beeinflussen zu lassen und Schnellschüsse zu machen, bei denen sich dann herausstellt, dass sie doch nicht dem Wohl der Kinder dienen. Deshalb bin ich froh über die Diskussion, die wir heute hier zum wiederholten Male führen. Ich möchte nun einige Ausführungen zu den Anträgen machen, die dazu vorliegen. Zum Antrag der Koalitionsfraktionen. Ich habe mich sehr darüber gefreut - das habe ich auch schon im Ausschuss gesagt -, dass er nicht auf Aspekte abhebt, die in den letzten Monaten im Raum standen. Ich denke da zum Beispiel an die Forderung nach Kindergeldkürzungen für die Eltern, die mit ihren Kindern nicht an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Hier stellt sich wirklich die Frage, nach welchem Motto verfahren werden soll. Den Kindern würde es ja auf keinen Fall besser gehen. Dass diese Forderung nun nicht mehr erhoben wurde, darüber freue ich mich sehr. In diesem Antrag sind aber auch Punkte enthalten, die ich nicht ganz teilen kann. Ich habe zum Beispiel ein Problem mit dem in Ihrem Antrag vorgeschlagenen Austausch von sensiblen Daten. Da werden ganz viele Stellen aufgezählt, die diese Daten untereinander abgleichen sollen. Aus meiner Erfahrung als Sozialpädagogin befürchte ich, dass hierdurch das Vertrauensverhältnis zwischen den Sozialarbeitern des Jugendamtes und den Familien zerstört würde. Wir müssen aufpassen, dass das nicht geschieht. ({0}) Das bedeutet auch, dass die Jugendamtsmitarbeiter die Hauptbezugspersonen für die entsprechenden Familien sein müssen. Da dürfen nicht zu viele ins Handwerk pfuschen. Es darf nicht plötzlich die Polizei als Erste vor der Tür stehen, vielmehr müssen das die Mitarbeiter des Jugendamtes sein. Ihrer Forderung, dass wir die Kinder- und Jugendhilfelandschaft stärken müssen, stimme ich voll und ganz zu. Dies ist aber nicht nur Aufgabe der Länder und Kommunen, auch der Bund trägt hierfür Verantwortung. Ich hoffe, dass wir diese Verantwortung auch im Zusammenhang mit der Föderalismusreform II wahrnehmen und dem Vorschlag des Bundesrechnungshofes, den Kinder- und Jugendhilfeplan des Bundes einzusparen, nicht Folge leisten. Das stellt keine Lösung dar; das dürfen wir nicht mittragen. ({1}) Auch an die Adresse der Union möchte ich ein Wort richten. Herr Singhammer, die Begründung, die Sie gegen die Aufnahme von Kinderrechten in das Grundgesetz angeführt haben, könnte man auch dazu verwenden, das gesamte Strafgesetzbuch abzuschaffen. Kein Dieb und kein Gewalttäter schaut vorher in das Strafgesetzbuch und überlegt sich dann, ob er die Tat begeht oder nicht. Das, was Sie gesagt haben, ist für mich also kein Grund gegen die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Herr Singhammer, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wer Kinderschutz ernst nimmt, der muss auch die Rechte der Kinder ernst nehmen. Sie sollten da festgeschrieben werden, wohin sie gehören, nämlich ins Grundgesetz. ({2}) Ich bitte aber auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD, einmal darüber nachzudenken, dass Kinderschutz kein Thema ist, um sich persönlich zu profilieren. Ein solcher Profilierungsversuch scheint mir die in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung erhobene Forderung des Parteivorsitzenden Beck zu sein, Kinderrechte als „Staatsziel“ in das Grundgesetz aufzunehmen. Entweder handelt es sich um Grundrechte, dann sollte man sie auch so nennen, oder es sind eben keine Grundrechte. Falls Sie es auch so sehen, dass es sich um Grundrechte handelt, bitte ich doch darum, gemeinsam mit uns Sorge dafür zu tragen, dass wir hier im Hause eine Zweidrittelmehrheit erreichen, statt im Alleingang solche Vorschläge wie den ebengenannten zu unterbreiten. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Griese?

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Natürlich. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Golze, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die FAZ in diesem Falle geirrt hat und den Vorsitzenden der SPD falsch zitiert hat? Er hat in der Tat den gleichen Vorschlag gemacht, den auch schon die SPD-Bundestagsfraktion unterbreitet hat, nämlich die Kinderrechte in Art. 6 des Grundgesetzes aufzunehmen. Das Zitat mit dem Begriff „Staatsziel“ in der FAZ von heute ist falsch. Die SPD-Bundestagsfraktion und der SPD-Parteivorstand sind mit dem SPD-Vorsitzenden einer Meinung in dem Punkt, dass wir die Kinderrechte in Art. 6 ins Grundgesetz aufnehmen wollen. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin sehr gerne bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, wenn es der Wirklichkeit entspricht. Ich hätte mich natürlich noch mehr gefreut, wenn er gesagt hätte, die SPD unterstützt den Vorschlag der Kinderkommission, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. ({0}) Kurz zum Antrag der FDP. Hier kommt mir zu stark der Zusammenhang zwischen armen Kindern, Risikofamilien und Kindesvernachlässigung zum Ausdruck. Ich habe damit ein Problem, weil ich glaube, dass wir auf diese Weise den Blick zu sehr auf eine bestimmte Gruppe beschränken. Kindesvernachlässigung gibt es aber quer durch alle Bevölkerungsgruppen. ({1}) Den Antrag der Grünen unterstützen wir, weil in ihm viele Forderungen enthalten sind, die wir teilen. Er enthält viele Appelle, aber ich finde es schade, dass er konkrete Fragen zum Beispiel der Finanzierung außen vor lässt. Bei den letzten Haushaltsberatungen haben wir einen Sonderfonds Jugend vorgeschlagen, um die Einsparungen bei der Kinder- und Jugendhilfe, die in den letzten Jahren vorgenommen wurden, auszugleichen. Wir müssen dafür sorgen, dass Mitarbeiter von Jugendämtern in der Lage sind, in die Familien zu gehen und für sie auf verlässliche Weise da zu sein. Der sich daraus ergebende finanzielle Bedarf kann von den Ländern und Kommunen alleine nicht getragen werden. ({2}) Ich freue mich, dass die Kanzlerin den Kinderschutz zur Chefsache erklärt hat. Im Namen meiner Fraktion fordere ich Sie, Frau Bundeskanzlerin, auf, im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz am 19. Dezember darauf hinzuwirken, dass diese Verantwortung von allen politischen Ebenen wahrgenommen wird: von Bund, Ländern und Kommunen. Ich fordere Sie auf, Ihre Fraktion davon zu überzeugen, nicht der Blockierer der Kinderrechte im Grundgesetz zu sein. Wer Kinderschutz wirklich will, darf sich Kinderrechten nicht verweigern. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht ist die Aufregung angesichts erneut schockierender Fälle von Kindesvernachlässigung und Kindestötung groß. Besonders erschütternd dabei ist, dass die Opfer als Kinder am allermeisten schutzbedürftig und von ihren Eltern komplett abhängig sind. Dennoch - oder gerade deswegen - ist an diesem Punkt Besonnenheit besonders wichtig. Wir dürfen hier nicht in Aktionismus verfallen. Wir müssen vielmehr zu einem effizienten Handeln im Sinne des Kinderschutzes kommen. Das Schutznetzwerk, über das wir hier reden, ist im Prinzip vorhanden. Es muss darum gehen, dass es bessere Strukturen und bessere Koordinierungsmöglichkeiten erhält und dass es enger geknüpft wird. Aber es ist nicht so, dass es nichts geben würde. Das muss man einmal festhalten. Ein weiterer Punkt. In den vergangenen Tagen und Wochen ist die Jugendhilfe teilweise stark angegriffen worden. Ich finde diese Kritik nicht richtig und sehr überzogen; denn gerade die Jugendhilfe in diesem Land leistet in vielen Fällen unter schwierigsten Bedingungen gute Arbeit. ({0}) Das soll keine Schönfärberei sein. Natürlich müssen wir jeden einzelnen Fall untersuchen, aufklären und analysieren; wir müssen erkennen, was grundsätzlich besser werden muss. Die Kräfte, die in der Jugendhilfe tätig sind, haben ein offenes Ohr für die Probleme der Betroffenen. Sie wären die letzten, die nicht bereit wären, die Strukturen zu verbessern. Im Gegenteil: Sie sind bereit, alles dafür zu tun. Wir dürfen ihnen an diesem Punkt kein Unrecht tun. ({1}) Erfolgreicher Kinderschutz setzt natürlich die Kenntnis von Risikolagen voraus. Der Anteil der gefährdeten Kinder beträgt 3 bis 4 Prozent, bei weiterer Definition vielleicht 10 Prozent. Diese Fälle können durch Vorsorgeuntersuchungen aufgedeckt werden. Aber diese Vorsorgeuntersuchungen sind nur ein Baustein unter vielen anderen - nicht mehr und nicht weniger. ({2}) Herr Singhammer, Sie reden von Sanktionen. Wir Grünen lehnen Sanktionen wie Kindergeldkürzungen oder Führerscheinentzug ab. Wenn Sie polemisch sagen, diese Menschen würden nicht in die Verfassung schauen, dann muss ich Ihnen entgegnen, dass Eltern, die in der Gefahr stehen, ihre Kinder zu vernachlässigen und im schlimmsten Fall sogar umzubringen, Probleme haben und unter Störungen leiden. Glauben Sie, dass Menschen sich von einem Führerscheinentzug oder von einer Kürzung des Kindergeldes um 50 oder 100 Euro beeindrucken lassen und sich davon abbringen lassen, schwere Delikte zu begehen? ({3}) Glauben Sie wirklich, dass Sie mit diesen Strafen irgendetwas erreichen können? Das ist zu kurz gesprungen. Solche Maßnahmen greifen nicht. Und zu was führt denn eine zwangsweise Vorführung beim Kinderarzt, die auch vorgeschlagen wird? Sie führt dazu, dass das Vertrauen zu den Ärzten verloren geht. Davor warnen die Kinderärzte selber. Wir brauchen ein verbindliches Einladungswesen. Da gebe ich der Bundesfamilienministerin recht. Wir brauchen ferner ein Screening nach Risikofällen. Ein unterlassener Besuch beim Arzt kann - muss aber nicht - ein Hinweis sein. Die Jugendhilfe und Gesundheitsdienste müssen dann in der Lage sein, einzugreifen, den richtigen Weg zu finden und eine Klärung Schritt für Schritt herbeizuführen. Gerade im Hinblick auf die Säuglinge möchte ich die Bedeutung der Familienhebammen ganz besonders betonen. ({4}) Familienhebammen leisten eine richtig gute Arbeit. Es ist an uns, ihre Arbeit zu stärken, damit ein Zugang zu jungen Familien möglich ist. Geld ist kein Allheilmittel; aber es ist eine unersetzliche Grundlage für die Arbeit in Bezug auf den Kinderschutz. Es ist die Grundlage der Kinder- und Jugendhilfe, der Gesundheits- und Sozialdienste. Wir müssen die ganze Breite der Arbeit der Jugend- und Sozialdienste sehen. Sie fängt bei der Bildung an und reicht von der Betreuung, der Elternbildung, den Jugendprogrammen und Erziehungshilfen bis hin zur Abwehr von massiven Kindeswohlgefährdungen. Wenn wir dies auch in Zukunft gewährleistet wissen wollen, müssen wir dafür Geld und Personal bereitstellen. Schaut man sich die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre 2006 an, sieht man, dass die Mittel gerade für diesen Bereich bedauerlicherweise nicht gleich geblieben sind - das wäre angesichts der verschärften Problemlagen an sich schon eine Kürzung -, sondern dass sie um bis zu 900 Millionen Euro gekürzt wurden. Wenn Sie uns Grüne fragen, woher wir die Mittel nehmen, dann kann ich nur sagen: Schauen Sie sich die Beschlüsse des Parteitags von Nürnberg an. In unserem Leitantrag haben wir vonseiten der Grünen sehr wohl Vorschläge gemacht, wie man Mittel einsparen und sie im Rahmen einer sinnvollen Infrastruktur umleiten kann. Eine Umsetzung dieser Vorschläge ist möglich. Eine letzte Anmerkung zur Stärkung der Kinderrechte und der Aufnahme dieses Prinzips in das Grundgesetz. Polemik bringt uns hier nichts. Die Argumente, die Sie dagegen vorbringen, zählen nicht. Sie haben keinen Inhalt. Hören Sie endlich mit der Blockadehaltung im Bundestag auf! ({5}) Die Kanzlerin ist für eine Stärkung der Kinderrechte, die Ministerin ist für eine Stärkung der Kinderrechte, Herr Herzog ist für eine Stärkung der Kinderrechte. Nur Sie weigern sich immer noch, dieser Tatsache ins Gesicht zu schauen. Wir müssen an diesem Punkt Signale setzen. ({6}) Wir müssen uns dazu bekennen. Es darf nicht sein, dass Kinderrechte unsere Sonntagsreden schmücken und dass wir dann, wenn es darum geht, dass dieser Bundestag endlich handelt, sagen: Wir sind dafür nicht zuständig. Das sind wir alle sehr wohl. Daran ändern auch die besten Wörter nichts. Lassen Sie uns endlich handeln! ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Katharina Landgraf für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Katharina Landgraf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001278, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Eltern tragen allein die volle Verantwortung für das Aufwachsen ihrer Kinder. Die Gesellschaft, wir alle müssen sie dabei unterstützen. Die Eltern sollen und dürfen nicht aus der Pflicht entlassen werden. Die Gesellschaft, die Politik und der Staat sollen für sie Partner sein. Denn wir dürfen nicht vergessen - Kollege Singhammer sagte es schon -: 90 Prozent der Eltern meistern ihre Aufgaben gut, ja hervorragend. ({0}) Sie kümmern sich engagiert um ihren Nachwuchs. Also gibt es überhaupt keinen Anlass, Eltern verstärkt mit einem grundlegenden Misstrauen zu begegnen. Tun wir das aber, geraten sie unter einen ständigen Rechtfertigungsdruck. Stattdessen muss die elterliche Erziehungsleistung noch besser als bisher anerkannt und unterstützt werden. ({1}) Das sollte zum Beispiel durch kostenlose Eltern- und Familienbildung geschehen. Auf diese Weise ist eine Teilnahme wirklich allen Familien möglich. Das wäre ein erster Pfeiler einer Brücke zum Kindeswohl. Es ist natürlich nicht so, dass es Vernachlässigung nur in armen Familien gibt. Es ist aber traurige Realität, dass in Deutschland über 2 Millionen Kinder und deren Eltern in materieller Armut leben. Armutsbekämpfung kommt den Schutzbefohlenen zugute. Das ist ein weiterer Pfeiler der Brücke zum Kindeswohl. Darin sehe ich ein wichtiges Ziel unseres Handelns. In den Fällen, in denen Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, muss schnell und unbürokratisch gehandelt werden. Es geht vor allem darum, rechtzeitig zu erkennen, in welchen Familien die Kinder nicht ausreichend versorgt oder gar misshandelt werden. Dazu haben in den vergangenen Monaten zahlreiche Bundesländer ordentlich Fahrt aufgenommen. Das geschieht beispielsweise mit verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen oder Netzwerken für einen besseren Kinderschutz. Bei Nichtteilnahme und fehlender Reaktion auf Mahnungen der Kinderärzte kommen Mitarbeiter des Jugendamtes in die Familie. ({2}) Das finde ich gut. Von den meisten Eltern werden die Vorsorgeuntersuchungen übrigens nicht als Kontrolle oder Überwachung, sondern als Bestätigung und Bestärkung ihrer guten Betreuungsleistung gesehen. ({3}) Das ist gerade in den ersten Lebensmonaten des Kindes eine wichtige Hilfe und somit ein weiterer Pfeiler meiner Brücke zum Kindeswohl. Ein dichtes Netz von Hilfen für Familien in schwierigen Problemsituationen sollte die Vorsorgeuntersuchungen ergänzen, und zwar von Geburt an. Die Akteure in meinem Wahlkreis praktizieren eine enge Kooperation zwischen Jugendämtern, Polizei und Gesundheitshilfe. ({4}) Dieser Aufwand lohnt sich immer, wenn wir Kindern dadurch helfen und sie schützen können. Zudem muss es regelmäßige Kontakte und einen Datenabgleich bezüglich schwieriger Familien geben. ({5}) Dafür brauchen wir keine neuen Regelungen. ({6}) - Hören Sie mir bitte zu, Frau Lenke. - Gemäß § 8 a SGB VIII sind die einzelnen Behörden zur Zusammenarbeit angehalten. Das muss nur konsequent und vor allen Dingen mit qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt werden. An dieser Stelle setzt das kürzlich ins Leben gerufene Nationale Zentrum Frühe Hilfen an. Es hat die Aufgabe, regionale und kommunale Netzwerke, in denen die Arbeit von Ärzten und Hebammen auf der einen Seite und der Kinder- und Jugendhilfe auf der anderen Seite verknüpft wird, zu fördern. Dazu gibt es in fast allen Bundesländern Modellprojekte. Von Geburt an gehen Familienhebammen regelmäßig in die Familien. In meinem Wahlkreis, im Muldentalkreis, gibt es zum Beispiel das Projekt „Netzwerke für Kinderschutz in Sachsen“. Es hat eine doppelte Aufgabenstellung: Unterstützung der Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung und Sicherstellung des Kinderschutzes in Risikosituationen durch klare Hilfe- und Kontrollstrategien. Das andere Modellprojekt „Pro Kind“ ist ein Hausbesuchsprogramm für erstgebärende Schwangere in schwierigen Lebenslagen. Die Begleitung der Frauen beginnt bereits in der Schwangerschaft und wird bis acht Wochen nach der Geburt durch eine Hebamme geleistet. Danach erfolgen die Hausbesuche bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes durch eine Sozialpädagogin. Das ist das sogenannte Tandemmodell. Die Themen und Inhalte der Hausbesuche sind den Phasen der Schwangerschaft bzw. der kindlichen Entwicklung angepasst. Sie umfassen Bereiche wie gesunde Ernährung für Mutter und Kind, Gesundheitsvorsorge und psychosoziale Entwicklung. Dadurch wird Eltern und Kind ein positiver Start ins Familienleben ermöglicht. Es sollte für Eltern selbstverständlich sein, in der Zeit nach der Geburt regelmäßig besucht und informiert zu werden. Das ist kein Zeichen für Schwäche oder mangelnde Kompetenz. Ich will mich klar ausdrücken: Das Gesundheitssystem bildet einen weiteren Brückenpfeiler eines effektiven Kinderschutzes. Eines möchte ich hier noch anmerken: Neugeborene und ihre Eltern stecken von der ersten Sekunde ihres neuen Status im Dschungel der deutschen Bürokratie. Allein die Prozedur der Anmeldung von Babys ist echt nervig für die jungen Eltern. Unsere geschätzte Kollegin Marie-Luise Dött hat dazu ein Beweispapier vorgelegt. Am Schluss wird darauf verwiesen, dass man das in Irland ganz anders macht: Dort kommt ein Staatsbeamter in die Klinik, nimmt die Daten auf und kümmert sich um den Gesamtprozess. Das ist letztlich auch eine Vernetzung und eine Erleichterung für Mütter und Familien. Wir wollen die Behörden vor Ort, also in den Städten und Gemeinden, zur rechtsstaatlichen Kooperation im Interesse des gesunden Aufwachsens der Kinder ermutigen und gewinnen. In dieser Woche erreichte mich eine dringende Bitte aus einem Jugendamt in meinem Wahlkreis. Wir sollten junge Leute bereits im Schulalter langfristig auf ihre spätere Elternschaft vorbereiten, also eine Art Führerschein für Eltern einführen. Auf diese Weise könnten neue Elternbiografien entstehen, in denen Gewalt und Vernachlässigung keine Rolle mehr spielen. Das wäre der Schlussstein meiner Brücke für einen wirksameren Kinderschutz. So könnten wir ein gesundes Aufwachsen der Kinder ermöglichen. Am Potsdamer Platz steht ein großes Plakat mit der Aufschrift „Nichts ist erledigt“. Wir haben angefangen, wir müssen aber weiter daran arbeiten. Nichts ist für unsere Kinder erledigt, mit den Modellprojekten haben wir aber einen ersten, guten Schritt unternommen. Dafür möchte ich dem Ministerium danken. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Dieter Steinecke, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dieter Steinecke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003885, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will jetzt nicht all das wiederholen, was schon gesagt worden ist; das schaffe ich in meinen fünf Minuten Redezeit auch nicht. Einiges möchte ich aber aufgreifen. Ich greife den Redebeitrag meiner Fraktionskollegin Marlene Rupprecht auf und stelle erneut klar: Die Rechte der Kinder in unserem Land müssen im Grundgesetz verankert werden. ({0}) Es kann doch nicht angehen, dass unsere Verfassung die berechtigten Interessen der Tiere schützt, dass wir in diesem Hause aber immer noch darüber diskutieren, ob die Kinderrechte in die Verfassung gehören. ({1}) Dabei möchte ich Folgendes klarstellen: Es geht mir nicht darum, die Eltern in unserem Land unter einen Generalverdacht zu stellen und sie in ihren verfassungsmäßigen Rechten einzuschränken. Fast alle von ihnen sind in der Lage, ihre Kinder angemessen zu versorgen und ihnen liebevolle Zuwendung zu geben. In den Fällen, in denen sie das nicht können, bedarf es aber der staatlichen Gewährleistung der Rechte der Kinder. Bislang sind diese auf der Ebene des Grundgesetzes nur Objekte bzw. Gegenstände der Erziehung. Es muss unmissverständlich klargestellt werden, dass Kinder Menschen mit eigenen Rechten sind. Allgemein und abstrakt formuliert: Kinder haben das Recht, im Wohlergehen aufzuwachsen, und Staat und Gesellschaft müssen dies gewährleisten. Es geht nicht darum, in die Familien hineinzuregieren. Die bestehenden und noch zu schaffenden Hilfsund Beratungsangebote sollen gerade jene erreichen, die sie brauchen. Daher halte ich übrigens auch nichts von dem Gedanken, Eltern, die ihre Rolle nicht ausfüllen können, mit Leistungsentzug wie einer Kürzung des Kindergeldes oder des Betreuungsgeldes zu bestrafen. Das schadet mehr, als es nutzt. ({2}) So schockierend sie auch sein mögen, es sind nicht allein die aus den Medien bekannten Gewaltexzesse gegen Kinder, denen unser Augenmerk gelten muss; wir können nicht all diese Taten auf legislativem Wege verhindern, so sehr wir das auch bedauern. Es ist nämlich auch ein zunehmender Trend zur Verwahrlosung zu verzeichnen, dem die Gesellschaft und damit auch die Politik begegnen müssen. Die Verwahrlosung, von der ich spreche, ist übrigens kein Phänomen, das sich am Rande unserer Gesellschaft abspielt. Wir finden sie mittlerweile in allen Schichten vor - wenn wir sie denn finden. Genau hier liegt nach meinem Ermessen das größte Problem: Nach dem SGB VIII müssen Jugendämter tätig werden, wenn ihnen - ich zitiere gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden. Doch leider bleiben viele, viel zu viele Fälle unentdeckt. Kindern, die im Verborgenen leiden, und Familien, die sich ihre Überforderung nicht eingestehen oder aus Scham nicht um Rat und Hilfe bitten, kann nicht geholfen werden. Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen; darüber ist heute schon oft gesprochen worden. Eine Schlüsselrolle kommt in diesem Zusammenhang meiner Ansicht nach dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zu. Durch regelmäßige und verbindliche Untersuchungen in den Schulen könnten wir fast alle Kinder erreichen. So könnten Anzeichen von Verwahrlosung, Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch festgestellt werden - sicherlich nicht alle, aber auf jeden Fall mehr als heute. Die Kinder im Vorschulalter sind nicht so einfach zu erreichen. Gerade diejenigen, die in schwierigen familiären Verhältnissen leben und unsere besondere Fürsorge brauchen, besuchen häufig keine Krippe oder Tagesstätte, in der sie regelmäßig untersucht werden könnten. Diesem Problem ist man in einigen Bundesländern, wie ich finde, vorbildlich begegnet - im Saarland ist das bereits Realität, und in Hessen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz wird es ab dem kommenden Jahr so sein -: Dort gibt es ein umfassendes Einladungs- und Meldewesen für die krankengesetzlich verankerten Früherkennungsuntersuchungen. Eltern erhalten für jede Vorsorgeuntersuchung eine Einladung. Wenn man zu den Untersuchungen trotz Erinnerung nicht erscheint, werden die Behörden tätig, suchen die betroffenen Haushalte auf und machen, wo dies nötig und sinnvoll ist, auf Beratungs- und Hilfsangebote aufmerksam. Es ist anzustreben, dass es solche oder vergleichbare verpflichtende Regelungen möglichst bald in ganz Deutschland gibt. ({3}) Notfalls muss die Verpflichtung zur aufsuchenden Jugendhilfe nach dem SGB VIII verstärkt werden. Denn es darf nicht sein, dass ein Kind Glück hat, wenn es in St. Ingbert, Marburg, Lübeck oder Worms aufwächst, aber Pech hat, wenn es in meinem Heimatland Niedersachsen lebt. Dort nämlich hat die demnächst zur Abwahl stehende Landesregierung beim Kinder- und Jugendschutz unverantwortliche Kürzungen vorgenommen und bewährte Institutionen wie das Landesjugendamt zerschlagen. ({4}) Ich sage es noch einmal deutlich: Wir brauchen bundesweit einheitlich hohe Standards für die jüngste Generation. Wenn es um das Wohl der Kinder und um eines ihrer elementaren Rechte geht, darf sich niemand ins föderale Unterholz schlagen. Deshalb bekräftige ich unsere Forderung: Kinderrechte müssen in die Verfassung. Gleichzeitig geht der Auftrag an alle, an Bund, Länder und Kommunen, diese Rechte durch Handeln zu gewährleisten. ({5}) Mit großer Freude habe ich vernommen, dass sich auch die Bundesfamilienministerin dafür ausspricht, die Rechte der Kinder ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern. Oder muss ich schon sagen: ausgesprochen hat? Sehr enttäuscht bin ich hingegen von der Kanzlerin, die in dieser Hinsicht innerhalb ihrer Partei und ihrer Bundestagsfraktion noch nicht aktiv geworden ist oder sich noch nicht wirkungsvoll Gehör verschaffen konnte. Daher appelliere ich an Frau Merkel: Machen Sie den Kinderschutz zur Chefinsache! Lassen Sie den Worten bitte Taten folgen, für unsere Kinder, für unsere Zukunft! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/5695. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An- trags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/4604 mit dem Titel „Gesundes Aufwach- sen ermöglichen - Kinder besser schützen - Risikofami- lien helfen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen bei Enthaltung der Oppositions- fraktionen angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4415 mit dem Titel „Schutz und Chancen für die Kinder in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom- men. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/3024 mit dem Titel „Kinder entschlossen vor Vernachlässigung schützen“. Hierzu liegt eine persönli- che Erklärung des Abgeordneten Jörn Wunderlich1) vor. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der FDP und des Kollegen Wunderlich angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({0}) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten Jahresbericht 2006 ({1}) - Drucksachen 16/4700, 16/6700 Berichterstattung: Abgeordnete Anita Schäfer ({2}) Elke Hoff Paul Schäfer ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Be- vor ich dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundesta- ges, Reinhold Robbe, das Wort erteile, bitte ich die Kol- legen, entweder den Saal zu verlassen oder Platz zu nehmen, damit die Debatte in aller Ruhe fortgeführt wer- den kann. Nun hat Reinhold Robbe, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, das Wort. Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Lieber Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser letzten Sitzungswoche vor dem Weihnachtsfest liegt dem Deutschen Bundestag mein Jahresbericht 2006, also der aus dem letzten Jahr, zur ab- schließenden Beratung vor. Bevor ich gleich darauf ein- gehe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, schon von die- ser Stelle aus einen Gruß an alle deutschen Soldatinnen und Soldaten überall in ihren Einsatzgebieten zu richten. 1) Anlage 3 Wehrbeauftragter Reinhold Robbe Natürlich grüße ich damit auch alle Soldatinnen und Soldaten in den Heimatstandorten. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten ihren anspruchsvollen, gefährlichen Dienst für die Sicherheit und Freiheit unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland. Dafür gebührt ihnen - ich glaube, ich darf das im Namen aller Anwesenden hier im Hohen Haus sagen - unser aller Dank und unsere volle Anerkennung. ({4}) Ich hoffe und wünsche, dass auch sie trotz aller Gefahren vor Ort ein ruhiges und friedvolles Weihnachtsfest verbringen können und dass sie vor allem sicher und wohlbehalten am Ende des Einsatzes oder am Ende des Kontingents zu ihren Lieben, zu ihren Familien zurückkehren können. Gerade in den vergangenen Wochen und Monaten ist mehr denn je darum gerungen worden, ob und wie Deutschland sich an internationalen Einsätzen beteiligt. Ich erinnere nur an die Diskussionen und die Debatten über den Einsatz deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan, die Verlängerung der Mandate OEF und ISAF oder auch im Zusammenhang mit dem Einzelplan 14 während der Haushaltsdebatte. Nicht nur die Medien, sondern gerade auch die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr verfolgen diese Debatten mit allergrößtem Interesse. Denn dabei wird deutlich, welche außen- und sicherheitspolitischen Ziele die Regierung entwickelt und wie sich die Opposition zu diesen einzelnen Themen positioniert. Unabhängig davon bleiben Regierung und Parlament aufgefordert, der Bundeswehr die finanziellen und materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die vor allem zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten sowie zur Erfüllung ihres Auftrages erforderlich sind. Woran es in diesem Zusammenhang fehlt, ist in meinem Bericht, denke ich, ausführlich dargestellt worden. Im Fokus des Berichtes für das Jahr 2006 standen aber nicht nur die Einsätze. Besonders das Thema Infrastruktur - also der seit Jahren aus meiner Sicht unbefriedigende, ja teilweise katastrophale Zustand vor allem westdeutscher Kasernen - war ein Schwerpunkt. Meine Kritik fand sehr große Resonanz und erhielt zustimmende Reaktionen innerhalb, aber gerade auch außerhalb des Bundestages. Als ich diesen Kernpunkt bei der Vorstellung meines Jahresberichts im März 2007 aufgriff, habe ich, ehrlich gesagt, auf eine solche Resonanz gehofft. Denn die Bedingungen, unter denen unsere Soldatinnen und Soldaten in vielen Kasernen heute leben und arbeiten müssen, sind in der Tat zumindest teilweise unbeschreiblich. Ich glaube, viele von Ihnen haben das in den eigenen Wahlkreisen nachvollziehen können, wenn Sie Kasernen besucht haben und sich die Soldatenstuben, die Mannschaftsunterkünfte sowie die Sanitärbereiche vor Ort angeschaut haben. Ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn ich das trotz der mir nachgesagten zurückhaltenden norddeutschen Art so deutlich dargestellt habe. An diesem Zustand hat sich bis heute noch nicht sehr viel geändert. Wie könnte es auch anders sein? - Denn zwischen der Vorstellung meines Berichts und heute liegt nur knapp ein dreiviertel Jahr. Allerdings sind nicht zuletzt aufgrund meines Berichtes erste wichtige Maßnahmen eingeleitet worden. Ich bin - das will ich hier ausdrücklich feststellen - dem Bundesverteidigungsminister, aber auch der zuständigen Abteilungsleiterin, Alice Greyer-Wieninger, außerordentlich dankbar, weil dieses Problem jetzt offensichtlich zur Chefsache erklärt wurde. Das in diesem Zusammenhang neu aufgelegte Sonderprogramm „Sanierung Kasernen West“ stellt für die Jahre 2008 bis 2011 über den bisherigen Haushaltsansatz hinaus zusätzliche 645 Millionen Euro zur Verbesserung der Kaserneninfrastruktur in den alten Bundesländern zur Verfügung. ({5}) Dieses Programm kann allerdings erst ab 2009 zu einer signifikanten Erhöhung der bereitgestellten Mittel führen. Doch insgesamt wird auch das leider nicht ausreichen. Der seit langem auf das lediglich unbedingt erforderliche Maß beschränkte Bauunterhalt hat zu einem derartigen Investitionsstau geführt, dass hier, kurzfristig wie langfristig, noch weit mehr Finanzmittel erforderlich sind. Angesichts der Dringlichkeit dieses Problems habe ich Anfang November mit Fachleuten aus dem Verteidigungsministerium und der Wehrbereichsverwaltung den Sanierungsbedarf sowie Möglichkeiten zur Beschleunigung der Verfahrensabläufe erörtert. Dabei zeichneten sich zwei Problemfelder aus, die in einer zweiten Unterredung im Grunde bestätigt wurden, die im Ministerium selber stattfand: Im Zuge der Umsetzung des neuen Stationierungskonzeptes wurde die Belegung in den verbliebenen Kasernen so weit verdichtet, dass es an Ausweichmöglichkeiten fehlt, wenn Unterkunftsgebäude wegen der notwendigen Grundsanierung für längere Zeit geräumt werden müssen. Hier entsteht eine weitere Schwierigkeit: In der derzeitigen Belegungsplanung werden nur die unterkunftspflichtigen Soldaten bis zum 25. Lebensjahr berücksichtigt. Alle anderen müssen ihre Unterkünfte in den Kasernen wegen anderweitigen Bedarfs räumen. Das trifft vor allem die große Zahl der Pendler, die unter der Woche auf eine kostengünstige dienstnahe Unterbringung in der Kaserne angewiesen sind. Betroffen sind insbesondere Unteroffiziere, die sich mit Blick auf ihre Besoldung die Anmietung einer zusätzlichen Wohnung am Dienstort in der Regel nicht leisten können. Wie ich bereits in früheren Jahresberichten gefordert habe, muss der Dienstherr dieser geänderten Lebenswirklichkeit Rechnung tragen und bald nach Möglichkeiten zur Unterstützung der betroffenen Soldatinnen und Soldaten suchen. Somit ist es gut, dass im Zuge der Erarbeitung eines neuen Betreuungskonzeptes auch der Gesichtspunkt „Unterkünfte für Pendler“ berücksichtigt werden soll. Wehrbeauftragter Reinhold Robbe Der Ansatz, hierbei privatwirtschaftliche Erfahrungen und Kapital für die Bundeswehr im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft nutzbar zu machen, erscheint mir persönlich außerordentlich sinnvoll. Entsprechende Maßnahmen dürfen aber nicht Jahre auf sich warten lassen; sie müssen unverzüglich und unbürokratisch kommen, wenn sie in der von mir beschriebenen Situation wirksam werden sollen. ({6}) Bei meinen Truppenbesuchen habe ich immer wieder festgestellt, dass im Zuge der Sanierung der Liegenschaften die Unterbringungsstandards deutlich verbessert werden müssen. Es fehlt an Gemeinschaftsräumen. Viele Unterkünfte sind nicht einmal mit Fernseh- oder mit Internetanschlüssen ausgestattet. Darüber hinaus herrscht akuter Platzmangel in den Unterkunfts- und Arbeitsbereichen. Oftmals wird die vorgesehene Stubenbelegung deutlich überschritten: Vier-Mann-Stuben sind nicht nur bei Mannschaften, sondern häufig auch bei Unteroffizieren mit sechs oder sogar acht Soldaten belegt. Darüber hinaus fehlen Funktions- und Betreuungsräume in den Gebäuden. Angesichts dieses Befundes zeichnet sich aus meiner Sicht nicht nur ein Sanierungs-, sondern auch ein Flächenmehrbedarf ab, der bei den geplanten Maßnahmen unbedingt einfließen muss. Das zweite grundsätzliche Problem im Zusammenhang mit der Sanierung der Kasernenanlagen liegt meines Erachtens in den Verfahrensabläufen. Sie müssen deutlich gestrafft, entbürokratisiert und beschleunigt werden. Dies gilt sowohl für die Bedarfsfeststellung und Bauplanung als auch für die Bauausführung und Bauüberwachung, insbesondere im Hinblick auf die erforderliche enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesbauverwaltungen; das ist also nicht nur eine Sache des Bundes und der jeweils tangierten Ministerien, sondern auch der Bundesländer. Das ist keine einfache Aufgabe; darüber bin ich mir im Klaren. Denn auch die Wehrverwaltung wird derzeit, wie Sie wissen, umstrukturiert. Allein im Bereich der Liegenschaftsverwaltung ist ein Personalabbau von 40 Prozent vorgesehen, und das in einer Zeit, in der die Arbeit deutlich zugenommen hat. Hinzu kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Nach derzeitigem Planungsstand sollen alle Liegenschaften der Bundeswehr bis zum Jahre 2012 in das Eigentum und die Verwaltung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergehen. Zurzeit gelten für die Bundeswehr noch entsprechende Sonderregelungen. Diese drohen dann verlorenzugehen. Auch darüber muss schnell nachgedacht werden. Es gibt im wahrsten Sinne des Wortes viele offene Baustellen. Somit wird das Thema Kasernensanierung auch in Zukunft sicher ein Schwerpunkt meiner Arbeit bleiben. Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluss. Ich bitte Sie, mir noch eine Minute einzuräumen. Ein ganz anderes, aber mindestens ebenso wichtiges Thema im vergangenen Jahr waren einmal mehr die Defizite im Führungsverhalten. Das war ein äußerst wichtiger Punkt. Sie können sich vorstellen, dass mich das sehr beschäftigt. Darunter befanden sich auch Vorgänge, über die in den Medien ausführlich berichtet wurde. Ich nenne nur die Stichworte Coesfeld, Bückeburg, Zweibrücken und Wittmund. All diese Standorte stehen für ein derartiges Fehlverhalten. In all diesen Fällen haben Vorgesetzte im Kernbereich ihrer Verantwortung für die ihnen unterstellten Soldaten eklatant versagt. Wir haben es hier nahezu ausnahmslos mit einem mangelnden Wertebewusstsein und mit Defiziten in der Menschenführung zu tun. Den Ursachen muss über die Bewertung des Einzelfalles hinaus dringend nachgegangen werden. Es geht aber nicht nur um diese spektakulären Fälle. Unter den Gesichtspunkten Vorbildfunktion, Vertrauensverlust und Schwächung in der Ausübung der Disziplinarbefugnis habe ich versucht, generelle Mängel und Defizite im Führungsverhalten aufzuzeigen. Diesen muss meines Erachtens im Rahmen von Ausbildung und Dienstaufsicht stärker entgegengewirkt werden. Im kommenden Jahresbericht werde ich darauf leider erneut eingehen müssen. Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein Thema ansprechen, das für die Zukunft der Bundeswehr eine grundsätzliche Bedeutung hat. Ich meine die Attraktivität des Soldatenberufes. In meinem letzten Bericht habe ich an vielen Beispielen deutlich gemacht, wie die Einkommensstruktur der Bundeswehrangehörigen aussieht. Zwei Drittel der Soldatinnen und Soldaten gehören nämlich zu den unteren Einkommensgruppen in unserer Gesellschaft. Das weiß in unserer Gesellschaft kaum jemand. Unabhängig davon sind aber gerade auch die Spezialisten unterbezahlt, die durch die Einsätze besonders belastet sind. Beispielhaft nenne ich die Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte. Aber auch die Ärzte im Sanitätsdienst, die Soldaten beim fliegenden Personal, im Fernmeldebereich und auch bei den Pionieren sind im Vergleich zur zivilen Wirtschaft deutlich unterbezahlt. Die Notwendigkeit der Attraktivitätssteigerung wird im Grunde genommen von niemandem bestritten. Wenn es aber darum geht, Geld für unsere Soldatinnen und Soldaten bereitzustellen, dann bleibt es oftmals bei Lippenbekenntnissen. Zum Schluss - jetzt kommt wirklich der Schluss richte ich meinen Dank für das ausgezeichnete Zusammenwirken eigentlich an das gesamte Parlament. Insbesondere - das mag man mir nachsehen - richte ich ihn aber selbstverständlich an alle Mitglieder des Verteidigungsausschusses und auch an diejenigen, die im Haushaltsausschuss Verantwortung haben. Ich richte meinen Dank natürlich auch an das gesamte Präsidium des Deutschen Bundestages, und zwar nicht nur dafür, dass der Wehrbeauftragte hier zwei Minuten überziehen durfte, ({7}) Wehrbeauftragter Reinhold Robbe sondern - ganz im Ernst - insbesondere auch für das gute Zusammenwirken. Ich bin in meiner Funktion Hilfsorgan des Deutschen Bundestages. Dabei ist es wichtig, dass auch das Verhältnis zur Spitze - auch zum Bundestagspräsidenten Dr. Lammert - in Ordnung ist. Das kann ich in jeder Hinsicht nur feststellen. Das gilt ebenso für das Verhältnis zur Verwaltung. Ich danke aber auch der Bundesregierung - insbesondere dem Bundesminister der Verteidigung - sowie natürlich der gesamten Spitze des Hauses und den nachgeordneten Dienststellen. Recht herzlich danke ich auch allen Vertrauensleuten in der Bundeswehr für deren wichtige Arbeit. Das sind für mich wichtige Ansprechpartner. Schließlich - das mag man mir nachsehen - danke ich selbstverständlich auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die tolle Unterstützung. ({8}) - Ich höre gerade eine entsprechende Resonanz aus dem Parlament. Das kann nur gut sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihnen wünsche ich auf jeden Fall ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest, alles Gute für das neue Jahr - Gesundheit vorneweg - und das, was wir uns am allermeisten wünschen, nämlich Frieden in der Welt und Gottes Segen. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Lieber Herr Wehrbeauftragter, wenn Sie ein Minister wären, dann hätte ich Ihnen schon längst das Wort entzogen; denn Sie haben fünf Minuten überzogen. ({0}) Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Christian Schmidt das Wort, der nicht so viel überziehen darf. ({1})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Wehrbeauftragter, ich danke Ihnen nicht fürs Überziehen Ihrer Redezeit, sondern für die deutliche Darstellung, den Hinweis auf Schwierigkeiten und vor allem für Ihren beharrlichen Einsatz für die Bundeswehr im Dienst des Deutschen Bundestages. Ihr Amt bringt es mit sich, dass in Ihrem Bericht vor allem die Sorgen geschildert werden und die Grundhaltung des Berichts eher kritisch ist. Wir nehmen diese Kritik ernst. Natürlich dürfen wir bei aller berechtigten Kritik nicht übersehen, dass die Herausforderungen an die Bundeswehr unbestritten hoch und seit Jahren durch die Gleichzeitigkeit von Einsätzen und Transformation gekennzeichnet sind. Der Dienst in der Bundeswehr ist fordernd - in den Auslandseinsätzen, aber genauso bei uns zu Hause. Der Einsatz, der Leistungswille und die Leistungen unserer Soldaten sind vorbildlich. Es sei mir gestattet, dass ich dem Wehrbeauftragten auch für seine freundlichen und guten Worte für unsere Soldatinnen und Soldaten sehr herzlich danke und mich ihnen anschließe. Einen ganz entscheidenden Anteil an dieser Leistungsbereitschaft hat auch die Innere Führung, zu deren Erfolg der Wehrbeauftragte beiträgt. Er gehört zum Modell der Inneren Führung. Sie ist ein zentrales Element für den inneren Zusammenhalt der Streitkräfte und trägt ganz entscheidend dazu bei, Missständen vorzubeugen. Übrigens, Missständen vorzubeugen heißt, sie zu reduzieren; man kann sie natürlich nie hundertprozentig ausschließen. In dem Zusammenhang war ich sehr dankbar, als ich vor einiger Zeit in einer Diskussion von einem Wissenschaftler den Hinweis bekommen habe, dass die sogenannte Drop-out-Rate, also die Rate derer, die auffällig werden, eine sehr gute ist, wie man beispielsweise beim Vergleich der über 200 000 Soldatinnen und Soldaten, die im Auslandseinsatz sind, mit Betrieben in der freien Wirtschaft feststellt. Es gibt nur wenige Fälle, über die manchmal nach meiner Ansicht in der Relation nicht passend berichtet wird; ich will sie aber nicht kleinreden. Die Bundeswehr ist gut aufgestellt, und die Soldatinnen und Soldaten lassen solche Missstände im weit überwiegenden Maße gar nicht entstehen. ({0}) Dass die Innere Führung eine dynamische Konzeption ist, die sich mit den Veränderungen auseinandersetzen muss, wissen wir spätestens seit den Auslandseinsätzen. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang auch für die Begleitung des Deutschen Bundestages und des Verteidigungsausschusses, der sich mit diesen Fragen seit Jahren konsequent auseinandersetzt; wenn ich mich recht entsinne, Herr Wehrbeauftragter, sogar unter Ihrer Führung, als Sie dem Deutschen Bundestag angehört und Vorsitzender des Ausschusses waren. Es ist konsequent, dass wir deswegen die Zentrale Dienstvorschrift zur Inneren Führung erneut an die Herausforderungen unserer Zeit anpassen. Wir werden nach gegenwärtigem Stand die - für Kenner - ZDv 10/1 in der ersten Sitzung des Verteidigungsausschusses im neuen Jahr parlamentarisch behandeln; anschließend wird sie durch den Bundesminister der Verteidigung schlussgezeichnet. Mithilfe der neugefassten Dienstvorschrift kann die Bundeswehr ihre menschenorientierte, moderne Führungskultur gestalten und dem fortlaufenden Verbesserungs- und Nachsteuerungsbedarf in diesem Bereich gerecht werden. Wir nehmen das sehr ernst. Dies gilt auch für einen weiteren Punkt, nämlich die Transformation. Wir müssen die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte weiter verbessern. Da ist bereits sehr viel passiert. Die Zahl der geschützten Fahrzeuge zeigt, dass die Weisung des Ministers, dass sich niemand dort, wo Gefahren bestehen, in ungeschützten Fahrzeugen im Einsatz bewegen muss, heute faktisch umgesetzt ist. Wir konnten die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr verbessern. Wir bedanken uns dafür auch beim Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Im Haushalt 2008 sind erste deutliche Erfolge sichtbar. Es ist schwer, die Infrastrukturprobleme besonders im Westen der Bundesrepublik Deutschland, auf die der Wehrbeauftragte zu Recht hingewiesen hat, kurzfristig zu beheben. Wir sprechen jetzt über den Jahresbericht 2006. Gerade wurde ich gefragt, ob wir damit nicht etwas hinterherhinken. Das trifft aber nicht zu. Der Jahresbericht 2007 - der Wehrbeauftragte hat es angekündigt - zeichnet sich bereits ab. Wir müssen allerdings festhalten, dass die Ursachen für die Schwierigkeiten, über die wir reden, noch weiter zurückliegen als 2006. Man kann eine jahrelange Vernachlässigung nicht in einem Jahr korrigieren. Ich bin sehr dankbar: Als unser Minister Ende 2005 erstmals eine Truppe in der Kaserne besucht hat - ich entsinne mich noch sehr gut -, hat er uns gesagt, dass er nicht bereit sei, die sanitären Bedingungen und die Unterbringungssituation zu akzeptieren, und uns angespornt, alles dafür zu tun, um gemeinsam mit dem Parlament Lösungen zu finden. Zur Verbesserung der Truppenunterkünfte in westdeutschen Kasernen können wir nun - ich bedanke mich in diesem Zusammenhang sehr für die deutliche Unterstützung durch den Wehrbeauftragten - das Programm des Bundesministers der Verteidigung „Sanierung Kasernen West“ umsetzen. Wir werden dieses Programm absolut vorrangig vorantreiben. Wir haben über 800 investive Baumaßnahmen mit einem Gesamtvolumen von circa 1,1 Milliarden Euro identifiziert. Das Ergebnis der Erfassung bildete die Grundlage für die mittelfristige Bauplanung. Das wurde bereits angesprochen. Wir haben im Jahr 2007 bereits 124 laufende investive Maßnahmen mit einem Volumen von über 50 Millionen Euro auf den Weg gebracht. Für die Jahre 2008 bis 2011 sind über 645 Millionen Euro in diesem Bereich vorgesehen. Kasernen und Ausrüstung sind ein sehr wichtiger Teil der Fürsorgepflicht. Der Einsatz darf nicht von der materiellen Ausstattung abhängen. Die gute materielle Ausstattung, die wir den Soldatinnen und Soldaten als Handwerkszeug mitgeben, zeigt, dass das kreative Zusammenwirken - ich sage das bewusst - der kritischen Betrachtung durch den Wehrbeauftragten und der Aufnahme dieser Hinweise durch den Deutschen Bundestag bzw. den Verteidigungsausschuss unseren Soldatinnen und Soldaten das Gefühl gibt, durch das Bundesministerium der Verteidigung in der richtigen Weise unterstützt zu werden. Wenn Sie so wollen, ist der Wehrbeauftragte eine Art natürlicher Verbündeter des Bundesministers der Verteidigung. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Hoff von der FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, auch ich darf Ihnen im Namen der FDP-Fraktion vorab herzlich für Ihre Arbeit und die Arbeit Ihrer ausgezeichneten Mitarbeiter danken. Sie haben mit Ihrer Bilanz, die Sie heute in längerer Fassung vorgelegt haben, bewiesen, dass das, was Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern erarbeiten, tatsächlich Früchte tragen kann. Dafür ein herzliches Dankeschön! ({0}) Ich möchte auch den Soldatinnen und Soldaten, die überall, ob zu Hause oder vor Ort, im Einsatz sind, herzlich danken. Ich hoffe, dass sich diejenigen, die das Weihnachtsfest nicht zu Hause verbringen können, bewusst sind, dass wir in Gedanken bei unseren Soldatinnen und Soldaten vor Ort sind und auch in Zukunft gemeinsam alles versuchen werden, um zu ermöglichen, dass sie ihren Dienst weiterhin in einem sicheren und gut ausgestatteten Umfeld leisten können. ({1}) Der Wehrbeauftragte hat im Jahresbericht 2006 klare Schwerpunkte gesetzt und den Zustand der Kasernen, die Missstände im Sanitätsdienst und die Ausrüstungsund Ausbildungsdefizite in den Mittelpunkt seines Berichtes gestellt. Das hat für große Aufmerksamkeit gesorgt und zumindest für die sanierungsbedürftigen Kasernen zu spürbaren Ergebnissen geführt. Der Wehrbeauftragte hat eben darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, PPP-Projekte auf den Weg zu bringen. Ich habe mit großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass gerade die Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition Beifall gespendet haben. Wir hätten uns diese Zustimmung gewünscht, als wir vonseiten der FDP-Fraktion im Ausschuss Anträge vorgelegt haben, in denen wir genau das gefordert haben - nämlich verstärkt in diesem Bereich tätig zu werden -, um damit Zeit zu gewinnen. Leider Gottes sind diese Anträge abgelehnt worden. Es ist, meine lieben Kollegen, ein Widerspruch in dem Verhalten. ({2}) Wir konnten durch den großen parlamentarischen Druck immerhin erreichen, dass das Sonderprogramm allein bis 2011 Baumaßnahmen mit einem Volumen von 645 Millionen Euro umsetzt; denn die Schaffung menschenwürdiger Unterkünfte ist eine Daueraufgabe für die Zukunft. Eine ähnliche Lösung der Probleme liegt für den Sanitätsdienst sowie die Ausrüstungs- und Ausbildungsdefizite der Bundeswehr leider immer noch in weiter Ferne. Die Probleme im Sanitätsdienst werden in den Berichten der Bundesregierung schöngefärbt. In den Berichten werden Worte wie „Antrittsstärke“ bewusst gemieden, weil sonst klar würde, dass nur etwas über die Hälfte der Sanitätsoffiziere für ihre eigentliche Aufgabe zur Verfügung stehen können. Der Unmut über die Dienstbedingungen im Sanitätsbereich ist zu Recht sehr hoch. Dies gilt auch für andere Bereiche der Bundeswehr. Ohne attraktivere Rahmenbedingungen und strukturelle Reformen wird die Bundeswehr die demografischen Herausforderungen in den nächsten Jahren nicht bewältigen können. Die Bundeswehr der Zukunft muss in einem Maße attraktiv werden, dass sich gerade die leistungsstarken jungen Menschen in ausreichender Zahl freiwillig für den Dienst in den Streitkräften entscheiden können. Dazu bedarf es eines Besoldungsrechtes, das eine spürbare Verbesserung für die Soldaten bedeutet. Aber Attraktivität wird man nicht alleine durch eine bessere Bezahlung erreichen können. Bessere Arbeitsbedingungen wie Unterkünfte, moderne Ausrüstung, qualitative Ausbildung und ein nachvollziehbarer Auftrag sind die Grundvoraussetzungen. Hier fehlt es bis heute leider an einem weitsichtigen Zukunftskonzept der Bundesregierung. Sie haben es bis heute nicht geschafft, die Bundeswehr für die Erfordernisse im Auslandseinsatz angemessen auszustatten und auszubilden. Obwohl ISAF noch über Jahre hinweg die wichtigste und anspruchsvollste Auslandsmission der Bundeswehr sein wird, ist nicht erkennbar, dass eine Anpassung der Rüstungsplanung an die Einsatzrealitäten erfolgt. Jeder, der in der Bundeswehr mit Ausrüstungs- und Einsatzplanung beschäftigt ist, weiß, dass die Bundeswehr in Afghanistan neben einer effektiven Schutzausrüstung vor allem moderne Aufklärungs- und Lufttransportkapazitäten benötigt. Warum dann aber gerade diese Vorhaben immer wieder zusammengestrichen und gestreckt werden, versteht kein Mensch. Viele direkt Betroffene in der Bundeswehr fragen sich zu Recht: Wieso wird keine Triebwerksanpassung für den alten CH-53 vorgenommen, obwohl ein Nachfolgemodell noch lange nicht in Sicht ist? Wieso wird ein Selbstschutzsystem für den A400M erst ab dem Jahre 2014 eingeführt? Wieso wird die Beschaffung von Feldlagerschutzsystemen für Einsatzkontingente derart gestreckt und verzögert? Wie kann es sein, dass sich im Jahre 2007 weniger geschützte Fahrzeuge im Einsatz befinden als im vergangenen Jahr? ({3}) Herr Minister, je länger und häufiger sich unsere Soldatinnen und Soldaten solche Fragen stellen müssen, desto mehr leidet die Motivation darunter. Sie können diese Zahlen in unserer Kleinen Anfrage, die wir an die Bundesregierung gestellt haben, nachvollziehen. Sie wissen, dass in den nächsten Monaten weitere Aufgaben auf uns zukommen können, die eine neue Qualität haben werden. Ich hoffe für unsere Soldatinnen und Soldaten, dass die politische Führung des Ministeriums die notwendige Vorsorge für diese Herausforderungen treffen wird. Herr Minister, damit meine ich nicht nur die notwendige Ausbildung und Ausrüstung, sondern insbesondere die Schaffung belastbarer rechtlicher Rahmenbedingungen für unsere Soldaten im Einsatz. Der Soldat, der im Einsatz seinen Auftrag erfüllt, muss sich darauf verlassen können, dass die gesamte Bundesregierung dies für rechtmäßig hält und er sich nicht der Gefahr der Strafbarkeit aussetzt. Statt weitere Zerrbilder von unseren Auslandseinsätzen zu zeichnen, sollten wir alle gemeinsam und die Bundesregierung an erster Stelle lieber um die Unterstützung dafür werben, indem sie die Bevölkerung, die Bundeswehr und den Deutschen Bundestag vom Sinn und Zweck der eingegangenen Verpflichtungen überzeugt und die notwendigen Konsequenzen daraus zieht. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe meine Rede mit dem Dank an den Wehrbeauftragten und seine Mitarbeiter begonnen. An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des Verteidigungsausschusses für die gute und kollegiale Zusammenarbeit bedanken. Ich freue mich auf eine Fortsetzung mit Ihnen im neuen Jahr. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Hedi Wegener von der SPD-Fraktion.

Hedi Wegener (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Tag, Herr Präsident! Meine Herren und Damen Kollegen! Liebe Besucher, vor allen Dingen liebe Jugendliche auf der Tribüne! Auch von mir, Herr Robbe, recht herzlichen Dank für den vorliegenden Bericht und vor allem für die Arbeit. Vor ein paar Tagen haben wir einen Bericht des Sozialwissenschaftlichen Instituts, SOWI, über die interessanten Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung in Deutschland 2007 in unseren Fächern vorgefunden. Danach ist das Vertrauen in die Bundeswehr 2007 ungebrochen. Obwohl nur wenige Bundesbürger über ein detailliertes sicherheits- und verteidigungspolitisches Wissen verfügen, ist das Bild von den Auslandseinsätzen positiv. Humanitäre Einsätze werden uneingeschränkt, militärische Einsätze eher vorsichtig befürwortet, heißt es dort. Die Artikel, die wir in der Presse über Afghanistan lesen, lassen uns allerdings erschauern. Sie berichten über Anschläge sowie über tote und verletzte Deutsche und Afghanen, ISAFund OEF-Soldaten. Das Thema Auslandseinsätze nimmt auch im Jahresbericht des Wehrbeauftragten einen breiten Raum ein. Fragen nach Sinn und Zweck der Einsätze, der Ausrüstung und der eigenen Führung überwiegen. Diese Fragen sind berechtigt. Ich begrüße, dass wir verstärkt auf das sogenannte afghanische Gesicht der Einsätze achten. Es ist essenziell, dass der afghanischen Bevölkerung auch faktisch klar wird, dass die ausländischen Truppen und Helfer dazu da sind, sie selbst in die Lage zu versetzen, für Frieden und Sicherheit zu sorgen. Dieser Ansatz ist für die SPD nicht neu. Wir hatten eine Taskforce zu Afghanistan. So begrüße ich es ausdrücklich, dass wir die Mittel für Ausbau und Ausbildung der afghanischen Polizei in den Bereinigungsgesprächen über den Bundeshaushalt auf 35,7 Millionen Euro erhöhen konnten. Wir hatten gestern im Ausschuss eine neue Vorlage dazu. Aber wir wollen keine Cowboys ausbilden. Davon gibt es genug auf der Welt. Wir wollen Polizisten, die etwas von ihrem Beruf verstehen. Aus diesem Grunde weise ich die Kritik des amerikanischen Verteidigungsministers zurück. Wir haben unser Konzept für Afghanistan der Situation angepasst. Das muss auch Auswirkungen auf die dort stationierten Soldaten haben. ({0}) Durch die negativen Berichte aus Afghanistan verstärkt sich das Unwohlsein der Soldatinnen und Soldaten vor einem Einsatz in Afghanistan. Es wäre daher wünschenswert, dass die zum Teil großen Erfolge beim Wiederaufbau in den Vordergrund rücken; denn der Eindruck, dass nichts vorangeht, ist falsch. Wenn dieser Eindruck schon in den Medien nicht korrigiert wird, wäre es motivierend, wenn die Vorgesetzten regelmäßig ihre Soldatinnen und Soldaten darüber in Kenntnis setzten. Die neue Zentrale Dienstvorschrift, gestern im Ausschuss vorgestellt, enthält in 577 Leitsätzen viel Wichtiges, unter anderem für Vorgesetzte und zur Menschenführung: Wer Menschen führen will, muss Menschen mögen. Vorgesetzte müssen Zeit für die ihnen Anvertrauten haben. Vorgesetzte beeinflussen entscheidend das zwischenmenschliche Klima und damit Zufriedenheit und Einsatzbereitschaft. ({1}) Wohl wahr! Alles theoretisch, alles bekannt, alles selbstverständlich. Woran liegt es also, dass das oft nicht funktioniert? Zum Beispiel an der Vor- und Nachbereitung der Auslandseinsätze, sagen die Soldaten. Das ist ein weiteres Thema des Berichtes des Wehrbeauftragten. Hier wird bemängelt, dass die politische Bildung aus unterschiedlichsten Gründen fast ein Fremdwort ist. Die neue Zentrale Dienstvorschrift 12/1 „Politische Bildung in der Bundeswehr“ verspricht hier deutliche Verbesserungen. So liest man, dass politische Bildung eine wesentliche Voraussetzung für die Einsatzbereitschaft ist. Daher lautet mein dringender Appell an die Führung der Bundeswehr: Setzen Sie diesen Gedanken auch um! Apropos Auslandseinsatz: Herr Minister, ich hoffe, es geht nicht nach der Devise „Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis“. Ab 1. Juli 2008 soll es in Berlin einen Einsatzführungsstab für Auslandseinsätze geben, dem Generalinspekteur direkt unterstellt, mit erst 90 und dann 340 Dienstposten. Es soll effektiver ausgeplant werden. - So haben Sie uns das gestern im Ausschuss vorgestellt. Das Einsatzführungskommando in Potsdam bleibt natürlich erhalten. Da kann ich nur sagen: Wir sind einmal gespannt, ob dabei wirklich etwas herauskommt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Verantwortlichen in der Bundeswehr und im BMVg manchmal die Haare raufen ob der Vorfälle und Beschwerden in der Truppe. In der Dienstvorschrift gibt es einen klugen und wahren Satz: Die Menschen der Bundeswehr sind Teil der Gesellschaft mit ihrer Vielfalt und ihren Konflikten. Um es einmal ganz milde auszudrücken: Es gibt wirklich wunderliche Soldaten. Die neueste Meldung berichtet vom Stabsoffizier mit der Peitsche. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass das ein krasser Ausreißer ist, durch den die vielen Vorgesetzten, die wirklich ordentlich führen und sich um ihre Soldaten kümmern, in Verruf geraten. Solche Vorfälle werfen aber erneut Fragen auf: Wird das richtige Führungspersonal ausgewählt? Ist das ein Anzeichen für psychische Überforderung im Auslandseinsatz? Warum ist das eigentlich erst jetzt bekannt geworden? Wurde Druck ausgeübt? Oder ist der Vorfall gar nicht so ernst zu nehmen? Die vielen Tausend Eingaben an den Wehrbeauftragten in diesem Jahr zeigen, dass er großes Vertrauen in der Truppe genießt. Um ein uneingeschränktes Bild von der Realität zu bekommen, hat sich der Wehrbeauftragte entschlossen, so weit wie möglich unangemeldet aufzutauchen. Herzlichen Glückwunsch dazu! Das ist tatsächlich eine gute Methode, um einen ungeschönten Eindruck zu bekommen. Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, wie wertvoll ungeschminkte Eindrücke auch für uns Abgeordnete sind. Unsere Gesprächspartner sind in der Regel ausgesucht, sie sind fit und der Bundeswehr gegenüber äußerst loyal. Ein Thema will ich nicht vertiefen, obwohl es sehr wichtig ist. Vor kurzem sagte ein Kollege - ich glaube, Herr Stinner, Sie waren es -, die Bundeswehr möge das Wort „Bürokratieabbau“ nie mehr in den Mund nehmen. Mir sagte kürzlich eine Soldatin, dass sie sich von der Politik eine bessere Einsatzausstattung wünsche - nicht jede Batterie müsse olivgrün sein; so dauere es unter Umständen Wochen, bis man sie bekomme. Herr Staatssekretär Kossendey hat auf eine Frage von Frau Homburger zu diesem Thema sehr ausführlich geantwortet. Meine Herren und Damen, das spricht ein zweifaches Problem an: Erstens. Klar, wir sind für das Budget der Bundeswehr verantwortlich. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir auch den Bundeswehretat erhöht. Das zweite Problem liegt im Internen von Bundeswehr und Verteidigungsministerium: Muss es wirklich immer eine olivgrüne Batterie sein? Im Bericht des Wehrbeauftragten werden solche Absurditäten, die das alltägliche Leben im Einsatz deutlich erschweren, angesprochen. Ich bin der Ansicht, dass dies ein ausgezeichneter Ansatz für gelebten Bürokratieabbau sein könnte. Im Bericht des Bundesrechnungshofs gibt es immer wieder Hinweise darauf, wo wir eigentlich Geld einsparen könnten. Das gehört dazu. Ich bin es eigentlich leid, für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, für die wir Politiker wirklich nicht verantwortlich sind. In jedem Fall gibt es viele Dinge im Bericht des Wehrbeauftragten, die auch für uns eine Menge Hausaufgaben beinhalten. Dies betrifft aber auch das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr. Zum Schluss möchte ich Ihnen, Herr Robbe, und auch Ihren sehr zahlreich erschienenen Mitarbeitern - daran erkennt man die große Solidarität mit Ihrem Amt - ganz herzlich danksagen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest. Vor allem den Soldaten wünsche ich ein friedliches Weihnachtsfest. Sie mögen ganz fröhlich ins neue Jahr kommen, auch Sie, Herr Minister, die Staatssekretäre und meine Kollegen. Alles Gute und weiterhin eine gute Zusammenarbeit im Ausschuss! Danke. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist an dieser Stelle schon oft gesagt worden: Der Wehrbeauftragte versieht ein sehr wichtiges Amt im Auftrag des Parlaments, und der Kollege Robbe tut dies sehr engagiert. Deshalb möchte ich auch im Namen meiner Fraktion Ihnen, lieber Kollege Robbe, und Ihren Mitarbeitern für Ihre Arbeit herzlichen Dank sagen. Sie haben zu Recht an die Spitze Ihres Berichts gestellt, dass Sie es waren, der auf den maroden Zustand vieler Kasernen in den alten Bundesländern aufmerksam gemacht hat. Sie haben an der Stelle tatsächlich etwas in Bewegung gesetzt. Ob die Ausstattung des Sonderprogramms ausreicht, werden wir sehen. Aber immerhin: Sie haben etwas bewegt, auch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten. Sie schreiben sich in Ihrem Bericht die Rolle des Sorgenonkels, des Kummerkastens, des Sprachrohrs der Soldaten zu und sagen: Diese Sprachrohrfunktion wird eine immer größere Rolle spielen. - In der Tat ist das die Rolle, die Ihnen, dem Wehrbeauftragten, im Laufe der Jahre zugewachsen ist. Ich will das gar nicht kritisieren, schon gar nicht pauschal. Ich will nur die Gelegenheit nutzen, auf zwei Probleme hinzuweisen: Erstens. Sie sagen, die Soldaten wendeten sich gerne an Sie, weil Sie nicht in militärische Abhängigkeiten eingebunden seien. Darin steckt aber ein Problem: Wenn sich die Soldaten immer an den Wehrbeauftragten wenden, obwohl wir innerhalb der militärischen Strukturen Interessenvertretungen und Vertrauensleute haben, die bestimmte Mitbestimmungs- und Mitspracherechte haben, dann ist zumindest die Frage zu stellen - der müssen wir nachgehen -, ob diese Mitbestimmungs- und Mitspracherechte adäquat angenommen werden, ausgeübt werden und ob die Soldatinnen und Soldaten sich ausreichend Gehör verschaffen können, wenn sie ihre Interessen und Belange vertreten. Das ist ein kritischer Hinweis in Ihrem Bericht, dem wir nachgehen sollten: Was ist mit den Mitbestimmungsrechten der Soldatinnen und Soldaten? Werden sie in der Truppe ausreichend und gebührend berücksichtigt? Zweitens. Wir müssen einfach auf die Grundlagen zurückgehen. Der Wehrbeauftragte ist vom Grundgesetz zum Schutz der Grundrechte eingesetzt. Das ist so auch in § 1 des Gesetzes niedergelegt. Sie sagen selbst, dass das die Grundlage für Ihre Truppenbesuche ist; es geht darum, die Lage in der Truppe kritisch zu untersuchen. Es entspricht durchaus unserem Grundverständnis, soziale Grundrechte und politische Grundrechte zusammen zu denken. Deshalb ist es auch richtig, dass Sie alles, vom Auslandsverwendungszuschlag bis zur Unterbringung in Kasernen, auf Ihre Agenda nehmen. Der Punkt „politische Grundrechte und Freiheiten“ ist für mich der entscheidende. Mit Blick auf die Vorfälle in Coesfeld oder in Zweibrücken - neue Vorwürfe stehen in Afghanistan im Raum; sie müssen genauer untersucht werden - sagen Sie in Ihrem Bericht selbst - das finde ich sehr wichtig -: Wir müssen den Blick verstärkt auch wieder auf den Kernbereich der Inneren Führung, den Schutz der Rechte der Soldaten und eine zeitgemäße Menschenführung richten. Das darf bei der Vielzahl von Aufgaben, die Sie haben, die Sie sich selbst zuschreiben, nicht ins Hintertreffen geraten, weil das der Punkt ist, der uns Sorgen machen muss, nicht nur deshalb, weil es die Vorfälle gibt, sondern auch deshalb, weil sie oft erst durch Zufall ans Tageslicht kommen, verspätet gemeldet werden und bei vielen überhaupt kein Unrechtsbewusstsein vorhanden zu sein scheint. Da ist natürlich die Frage: Wie ist das Klima innerhalb der Bundeswehr, und was wird über Vorgesetzte an Bewusstsein von Menschenwürde und Rechten der Soldaten vermittelt, wenn es solche Verhältnisse gibt? Ich finde es gut, dass Sie mit unangemeldeten Truppenbesuchen versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen. Es kann für uns keine Lösung sein, solche Dinge immer nur im Nachhinein zu bearbeiten. Wir müssen alles tun, um solche Fälle auf ein Minimum zu reduzieren. Dabei geht es um Ausbildung, um politische Bildung - das ist schon gesagt worden -, um Personalauswahl, also Beurteilungskriterien und Beförderungskriterien, sowie um die Ausgestaltung des soldatischen Alltags. ({0}) Uns liegt inzwischen eine neue Fassung der Zentralen Dienstvorschrift zur Inneren Führung vor. Sie enthält viel Richtiges. Auch insofern haben Sie recht: Mit der Vorschrift allein ist es nicht getan; auf die Umsetzung kommt es an. Hier sind wir am Zug. Ich will am Schluss nur noch einen Punkt ansprechen. Sie haben an mehreren Stellen gezeigt, dass Sie den Dingen auch sehr unkonventionell auf den Grund gehen und Paul Schäfer ({1}) sich für die Soldatinnen und Soldaten einsetzen. Das war im Fall der Sanitätssoldatin Zettl so. Ich will aber noch einen anderen Punkt ansprechen. Auch darum haben Sie sich gekümmert. Es gibt einen aktuellen Fall von Totalverweigerung: Moritz Kagelmann. Er hat fast 60 Tage in Einzelhaft gesessen. Sein Kontakt zur Außenwelt wurde erheblich eingeschränkt. Obwohl den Totalverweigerern ein ordentliches Gerichtsverfahren droht, scheinen es Disziplinarvorgesetzte immer wieder darauf anzulegen, durch Abschreckung ein Exempel zu statuieren. Abgesehen davon, dass ich es nicht für rechtskonform halte: Es ergibt doch überhaupt keinen Sinn, solche jungen Leute brechen zu wollen. ({2}) Meine Bitte: Schauen Sie sich solche Fälle genauer an. Wir müssen uns überlegen, wie man künftig mit Totalverweigerung umgeht. Ich halte einen solchen Umgang mit jungen Menschen für völlig unadäquat. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Schäfer, kommen Sie bitte zum Schluss.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Jawohl. - Ich möchte mich an dieser Stelle bedanken, zum einen nochmals bei Ihnen, Herr Robbe, zum anderen bei Ihnen allen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, lieber Reinhold Robbe! Der Wehrbeauftragte kontrolliert im Auftrag des Bundestages die Einhaltung der Grundrechte und die Umsetzung der Inneren Führung in der Bundeswehr. Vor drei Jahren schlugen bestimmte Vorfälle in der Bundeswehr erhebliche Wellen. Es wurden Vorkommnisse aus einer Ausbildungskompanie im westfälischen Coesfeld bekannt. Zur Erinnerung: Damals kam es bei vier Geländeübungen, an denen über 160 Rekruten beteiligt waren, zu entwürdigenden Vorkommnissen und zu Misshandlung. Besonders irritierend war, dass den meisten Beteiligten - den Ausbildern, aber auch sehr vielen betroffenen Rekruten - dabei nicht klar war, dass die Grenzen der Menschenwürde durch die Art und Weise der Übungen eindeutig überschritten wurden. Die strafrechtliche Aufarbeitung findet seit vielen Monaten vor dem Landgericht Münster statt. Von 18 Angeklagten stehen zurzeit noch zehn vor Gericht; zwei wurden inzwischen freigesprochen, drei wurden verurteilt, zwei Verfahren wurden eingestellt. Was kaum bekannt wurde - wir haben es im Ausschuss erfahren -: Die militärische Führung hat sehr schnell und sehr umfassend auf diese Vorfälle reagiert. Man hat also offensichtlich erkannt, dass es hier zwar Gott sei Dank nicht um die Spitze eines Eisbergs ging - das war auch unsere Auffassung -, es aber auch nicht als Einzelfall abgetan werden konnte, der sowieso nie ganz zu verhindern ist. Nein, es handelte sich um ein Gruppenphänomen von erheblicher Bedeutung. Deswegen wurde eine Fülle von Maßnahmen auf verschiedenen Führungsebenen sehr schnell auf die Wege gebracht, um die Innere Führung in der Ausbildung und vor Ort zu stärken. Inzwischen hat der Unterausschuss „Weiterentwicklung der Inneren Führung“ des Verteidigungsausschusses einen Bericht vorgelegt, der in Kürze hier im Plenum debattiert wird. Außerdem wurde nun - das ist schon mehrfach angesprochen worden - der Entwurf einer Zentralen Dienstvorschrift „Innere Führung“ vom Ministerium vorgelegt. Innere Führung soll - so ist es auch dieser Zentralen Dienstvorschrift zu entnehmen - ein Höchstmaß an militärischer Leistungsfähigkeit mit einem Höchstmaß an Freiheit und Rechten der Soldatinnen und Soldaten miteinander verbinden, also beides garantieren. Wenn man sich die Zentrale Dienstvorschrift anschaut, erkennt man: Sie enthält enorme Anforderungen. Ich wüsste keinen anderen Beruf, bei dem solche Anforderungen gestellt werden. Die Umsetzung ist angesichts der enormen Regelungs- und Auftragsdichte in der Bundeswehr schon schwer genug; sie darf nicht zusätzlich erschwert werden, die Betroffenen dürfen nicht entmutigt werden. Ich nenne ein Beispiel aus dem Bereich der politischen Bildung, bei der es sich heutzutage nicht um einen Nebenaspekt handelt, sondern die im Zusammenhang mit multinationalen Friedenseinsätzen von besonderer Bedeutung ist. Es kam über die Süddeutsche Zeitung im Juli dieses Jahres an die Öffentlichkeit. Peter Blechschmidt berichtete, was dem Chefredakteur von aktuell - Zeitung für die Bundeswehr passiert war. Nachdem dieser einmal in einem Kommentar etwas Kritisches in Richtung Katholische Kirche gesagt hat, indem er bestimmte offene Fragen angesprochen hatte, hat es offensichtlich im Auftrag des bekannten Militärbischofs Mixa eine Intervention gegeben. Am Ende der ganzen Geschichte fand sich dieser Chefredakteur in Mecklenburg-Vorpommern wieder. ({0}) Ich meine, wenn so mit einer - in Anführungsstrichen etwas anstößigen Meinung umgegangen wird, dann geht davon ein ausgesprochen schlechtes Signal aus. So etwas fördert Meinungskonformismus in der Bundeswehr. ({1}) Bundespräsident Köhler sagte in seiner Rede anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Führungsakademie der Bundeswehr zum Führen von Bürgern in Uniform: Die Soldatinnen und Soldaten erwarten von ihren militärischen Führern auch Klartext nach „oben“ und „außen“: hin zu den außen- und verteidigungspolitisch Verantwortlichen, hin zur Öffentlichkeit. Nach meiner Erfahrung habe ich keine Befürchtung, dass die Offiziere bzw. die Generale der Bundeswehr den Primat der zivilen Politik missachten würden. Nach meiner Erfahrung kann ich das allerdings um die Aussage ergänzen: Es wäre gar nicht schlecht, wenn von dieser Ebene der militärischen Führung der Bundeswehr ab und zu auch etwas mehr an Zivilcourage zu erleben wäre. Diesen Wunsch möchte ich ihnen mit ins neue Jahr geben. ({2}) Herr Kollege Robbe, Ihre Vorgängerin Claire Marienfeld hat einmal vor einigen Jahren in ihrem Jahresbericht einen Extraabschnitt zur Zivilcourage in der Bundeswehr aufgenommen. Vielleicht wäre es eine Anregung für den kommenden Jahresbericht, einige Punkte auch einmal unter diesem Aspekt zu beleuchten. Das wäre für die Umsetzung des Prinzips der Inneren Führung in der Bundeswehr, für die Umsetzung der Grundrechte von entscheidender Bedeutung. Ansonsten schließe ich mich allen Dankesworten an. Ich möchte sie nicht wiederholen. Ich ergänze sie aber um ein weiteres Dankeswort: Neben dem völlig berechtigten Dank an alle Soldatinnen und Soldaten sollten wir insbesondere diejenigen nicht vergessen, die zurzeit für den Friedensauftrag des Grundgesetzes im Ausland für uns tätig sind. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Anita Schäfer von der CDU/CSU-Fraktion.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, dem Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeitern auch im Namen der CDU/CSU-Fraktion noch einmal ganz herzlich für ihre Arbeit zu danken. ({0}) Lieber Herr Robbe, als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages erfüllen Sie eine wichtige, eine unverzichtbare Funktion. Sie übermitteln ein ungefiltertes Bild von der Stimmung unter den Soldaten, von ihren Sorgen und Problemen. Bei unseren Entscheidungen über die Ausrichtung, die Ausstattung und die Einsätze der Truppe sind wir auf diese Rückkopplung angewiesen. Wir müssen wissen, wie sich unsere Entscheidungen auf die Soldaten auswirken, und wir müssen wissen, wo Handlungsbedarf besteht. Schließlich ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee. So sollte es auch bleiben. Ich möchte allerdings noch einmal darauf hinweisen, dass Sie Ihre Berichte und Erfahrungen aus den Truppenbesuchen zunächst an uns, die Parlamentarier des Deutschen Bundestages, übermitteln sollten. Erst danach sollte dann die Öffentlichkeit dieses Bild aus der Truppe erhalten. Das ist ebenfalls wichtig; denn die Bundeswehr ist eine Armee, die fest in unsere Gesellschaftsordnung eingebunden ist. Unsere Soldaten sind Staatsbürger in Uniform. Dafür steht unter anderem die Wehrpflicht, die wir zielstrebig für die sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit weiterentwickeln müssen. Für eine umfassende Sicherheitsvorsorge bleibt sie auch in Zukunft notwendig. Deswegen war es ein gutes Signal, dass das Kabinett am Dienstag die Erhöhung des Wehrsolds zum 1. Januar 2008 gebilligt hat. Meine Damen und Herren, wir alle sind uns bewusst, dass der Bericht des Wehrbeauftragten immer nur die negative Seite zeigt. Nur die klare Benennung von Problemen schafft die Voraussetzung zu ihrer Beseitigung. Ich erinnere als Beispiel an die Klagen über den baulichen Zustand von Bundeswehrkasernen besonders in den alten Bundesländern im Jahresbericht 2006. Ich bin sehr froh, Herr Minister Jung, dass Ihr Haus hier schnell reagiert hat und nochmals über 60 Millionen Euro zusätzlich für die Sanierung von West-Kasernen in den Verteidigungshaushalt für 2008 eingestellt hat. Allerdings ist klar, dass die Behebung aller Mängel einen längeren Atem erfordern wird. Es ist angekündigt, die notwendigen Baumaßnahmen bis zum Jahr 2014 umzusetzen. Wir werden dies als Abgeordnete aufmerksam verfolgen und - wo immer notwendig - auch aktiv unterstützen. Ein wichtiger Bereich, dem wir ebenfalls weiterhin unsere Aufmerksamkeit widmen müssen, ist der Sanitätsdienst. Unsere Soldaten haben Anspruch auf die bestmögliche medizinische Versorgung - in den Auslandseinsätzen wie im Inland. Der Bericht des Wehrbeauftragten hat hier auf Probleme bei der Personallage an den Bundeswehrkrankenhäusern und in der truppenärztlichen Versorgung hingewiesen. Das Sanitätspersonal gehört zu den durch Auslandseinsätze besonders stark belasteten Truppengattungen. Das Verteidigungsministerium hat erklärt, auch hier durch angepasste Personalstrukturen langfristig Abhilfe schaffen zu wollen. Für die umfassende Ausbildung des Sanitätspersonals müssen zudem alle notwendigen Mittel zur Verfügung stehen. Hier werden wir die Bemühungen ebenfalls mit aktivem Interesse begleiten, wie wir das gestern im Verteidigungsausschuss vereinbart haben. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Der Bericht des Wehrbeauftragten für das Jahr 2006 hat wieder eingehend auf die besonderen Belastungen hingewiesen, denen unsere Soldaten in den Auslandseinsätzen unterliegen. Sie leisten einen häufig gefährlichen Dienst für die Bewahrung des Friedens in Afghanistan, in BosnienAnita Schäfer ({1}) Herzegowina und im Kosovo. Die Menschen in diesen Ländern wissen die Arbeit unserer Soldaten zu schätzen, wie etwa gerade wieder in Afghanistan landesweite Umfragen gezeigt haben. Unsere Marine ist zudem am Horn von Afrika und im Mittelmeerraum engagiert. Auch im Südsudan, an der Grenze zwischen Äthiopien und Eritrea und in Georgien sind Angehörige der Bundeswehr im Einsatz. An all diesen Orten erfüllen sie ihren Auftrag zur Sicherung des internationalen Friedens. Das bedeutet sowohl Sicherheit für die Menschen vor Ort als auch Sicherheit für uns. Sie erfüllen diese Aufgabe gut. Für diesen Dienst brauchen unsere Soldaten die notwendige Ausrüstung und Ausbildung. Der Bericht des Wehrbeauftragten hat wieder Beispiele für Defizite genannt. In einigen Fällen - beispielsweise bei der Ausstattung mit geschützten Fahrzeugen - können wir eine fortlaufende Verbesserung feststellen. Dagegen ist die Situation bei den Lufttransportkapazitäten nach wie vor sehr angespannt. Insbesondere werden wir uns weiterhin genau mit der Material- und Personallage bei den Heeresfliegern befassen müssen. Keinesfalls wiederholen dürfen sich Zustände wie bei der Unterbringung der EUFOR-Truppen während der Kongo-Mission. Das Ausgliedern von Dienstleistungen an zivile Anbieter darf sich nicht nachteilig auf die Truppe auswirken, wie dies bei den Feldlagern im Kongo und in Gabun der Fall war. Hier fordern wir die Bundesregierung auf, die Aufrechterhaltung nationaler Standards bei künftigen EU-Missionen so weit wie möglich sicherzustellen. Unsere Soldaten brauchen den Rückhalt des Parlaments, das die Mandate für ihre Einsätze erteilt. Vor allem aber brauchen sie Anerkennung. Als Gesellschaft befassen wir uns immer noch zu wenig mit der alltäglichen Situation unserer Soldaten in den Einsätzen. Die Männer und Frauen der Bundeswehr sind unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger. So wichtig der Bericht des Wehrbeauftragten ist: Als Mitbürger sollten unsere Soldaten es uns wert sein, uns mehr als einmal im Jahr ein Bild von ihnen zu machen. Eine Gruppe, die sich ständig mit der Lage in der Bundeswehr befassen muss, sind die Angehörigen der Soldaten, insbesondere derjenigen im Einsatz. Tausende von Soldaten werden Weihnachten und das Neujahrsfest fern von zu Hause in den Einsatzgebieten verbringen. Ihre Familien werden ohne den Vater oder die Mutter feiern müssen. Der Bericht des Wehrbeauftragten hat dankenswerterweise wiederum lobend auf die Soldatenund Familienbetreuung durch die Bundeswehr sowie die Katholische und Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung hingewiesen. Gerade jetzt am Jahresende wird hier unverzichtbare Arbeit geleistet, um die Trennung wenigstens ein kleines bisschen leichter zu machen. Vielleicht denken wir als Mitbürger, wenn wir den Weihnachtsgottesdienst besuchen oder uns ein frohes neues Jahr wünschen, einmal kurz an die Männer und Frauen im Einsatz und ihre Familien. Ich wünsche allen Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Mitarbeitern und ihren Angehörigen im Namen der Unionsfraktion bereits jetzt eine gesegnete Weihnacht und einen guten Start ins neue Jahr. Insbesondere wünsche ich ihnen Glück und eine gesunde Heimkehr. Danke. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort der Kollege Maik Reichel von der SPD-Fraktion. ({0})

Maik Reichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Im 48. Bericht des Wehrbeauftragten werden wieder viele Problemfelder in unserer Bundeswehr aufgezeigt. Nicht wenige davon werden zum wiederholten Male angesprochen. Am Beispiel des Sanitätsdienstes lässt sich das erkennen. Neben manchen Einzelproblemen, die hoffentlich eine Ausnahme bleiben werden, werden im Bericht die Personalengpässe im Bereich der Bundeswehrkrankenhäuser, die Defizite bei der truppenärztlichen Versorgung und die schon angesprochene, sicherlich nicht zufriedenstellende Tagesantrittsstärke genannt. Diese Punkte sind teilweise durchaus als bedenklich anzusehen. Dennoch kann der Frage - ich zitiere aus Ihrem Bericht -, „wie unter diesen Bedingungen die sanitätsdienstliche Versorgung langfristig gesichert und die Attraktivität des Sanitätsdienstes auf Dauer erhalten werden kann“, mehreres entgegengehalten werden. Ich will es gleich vorweg sagen: Der Sanitätsdienst ist besser als sein Ruf. ({0}) Das haben einzelne, interne Befragungen belegt. Ich muss hier nicht detailliert auf die hervorragende ärztliche Versorgung in den Einsatzgebieten verweisen. Der Anspruch an die Soldaten ist sehr hoch. Eine hervorragende Versorgung soll gewährleistet sein. Wir leisten dort Vorbildliches. An dieser Stelle gilt mein herzlicher Dank den Soldatinnen und Soldaten im Sanitätsdienst, aber auch allen anderen, die jetzt im Einsatz sind, sowie allen, die ihren Dienst schon geleistet haben oder noch leisten werden. ({1}) Natürlich hat das Auswirkungen auf das Inland. Auf den Sanitätsdienst, der den sehr hohen Anforderungen, die an ihn gestellt werden, gerecht wird und seine Aufgaben erfüllt, werden natürlich zusätzliche Aufgaben zukommen. Im letzten Jahr - Herr Wehrbeauftragter, Sie haben das erwähnt - haben wir die Fußballweltmeisterschaft ausgerichtet. Der Sanitätsdienst war aber auch an der Bekämpfung der Vogelgrippe beteiligt. Herr Wehr13964 beauftragter, Sie halten Ihren Finger richtigerweise in die Wunde. Auch wenn durch die Umsetzung von Personal aus aufzulösenden Bundeswehrkrankenhäusern nicht alle Personalengpässe ausgeglichen werden konnten, ist die Umstrukturierung in diesem Bereich auf einem guten, wenn auch sicher nicht immer befriedigenden Weg. Die Krankenhäuser in Hamburg, Berlin und Ulm sind in die jeweilige Landesbettenplanung aufgenommen. Koblenz wird sicherlich bald folgen. 1 811 Betten werden dann in Bundeswehrkrankenhäusern zur Verfügung stehen. Gestern haben wir vom Inspekteur des Sanitätsdienstes Aktuelles dazu gehört. Die immer wieder angesprochenen posttraumatischen Belastungsstörungen werden nicht nur von uns Parlamentariern, sondern auch vom Sanitätsdienst sehr ernst genommen. 10 Prozent der erwähnten Betten werden für psychiatrische Behandlungen vorgehalten. 200 neue Dienstposten wurden dem Sanitätsdienst zugeordnet. Das wird sicherlich nicht für eine optimale Versorgung in allen Bereichen ausreichen. Die Tagesantrittsstärke, die von Kollegin Hoff angesprochen wurde, liegt derzeit bei über 60 Prozent, Tendenz steigend. In den letzten Jahren gab es hier eine Verbesserung. Eine Quote von 75 Prozent werden wir bis 2010 erreicht haben. Wir haben einen hohen Anspruch. Wir haben im Sanitätsdienst einen hohen Frauenanteil. 40 Prozent sind es derzeit, 50 Prozent sollen es werden. Der Anteil der Frauen ist im Sanitätsdienst also deutlich höher als in der Bundeswehr insgesamt. Das bringt sicherlich auch einige Probleme mit sich. Wir sind aber froh über jedes Kind, das geboren wird, auch wenn das die Konsequenz hat, dass ein Dienstposten zeitweise nicht besetzt werden kann. Dieser Situation müssen wir begegnen, um die truppenärztliche Versorgung auch im Inland - das ist ganz wichtig - weiterhin zu gewährleisten. Die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung darf darunter nicht leiden. Die Aspekte, die ich jetzt angesprochen habe, sind mir natürlich nicht erst bekannt, seitdem ich vor wenigen Wochen Mitglied des Verteidigungsausschusses wurde. Ich komme aus einem Wahlkreis, in dem sich ein Sanitätsstandort befindet, nämlich aus Weißenfels. Seitdem er vor sechs Jahren aufgebaut wurde, war ich dort sehr häufig zugegen, nicht in meiner Funktion als Mitglied dieses Hauses, sondern als jemand, der sich dort mit dem Kommandeur, dem stellvertretenden Kommandeur und der Truppe engagiert. Ich denke, dass der Ruf des Sanitätsdienstes besser ist, als manche glauben. Meine Bewertung fällt positiver aus, als das, was wir auch hier manchmal hören, vermuten lässt. Ich hoffe, dass Probleme in Einzelfällen, die leider teilweise zu beklagen sind, durch pragmatisches Handeln vor Ort gelöst werden können, ohne dass wir eingreifen müssen. Lassen Sie mich zum Schluss - leider ist meine Redezeit schon zu Ende - noch eines ansprechen: Ich freue mich, dass im nächsten Jahr die Angleichung der Höhe der Ostbesoldung an das Westniveau bis zur Besoldungsgruppe A 9 stattfindet und dass im darauffolgenden Jahr auch in den höheren Besoldungsgruppen eine Angleichung erfolgen wird. Herr Wehrbeauftragter, Sie haben angesprochen - ich weiß, dass Ihnen dieses Thema sehr am Herzen liegt -, dass der Wehrsold im nächsten Jahr um 2 Euro erhöht wird. Dem werden wir alle zustimmen; denn das ist eine Initiative aus diesem Haus. Ich denke, das ist im Sinne aller. Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, und vor allen Dingen bei Ihrem Hause. Ich hoffe, dass die Soldatinnen und Soldaten weiterhin Gebrauch davon machen, Sie als Ansprechpartner zu nutzen. Sie sollten dabei nicht zögern. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht 2006 des Wehrbeauftragten, Drucksachen 16/4700 und 16/6700. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. ({0}) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, Dr. Karl Addicks, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Einmalzahlung für Versorgungsempfänger im Jahr 2007 ({1}) - Drucksache 16/5250 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 16/5925 Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Dr. Max Stadler Silke Stokar von Neuforn Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Günter Baumann von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({3})

Günter Baumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003035, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenwärtig werden im Beamten- und Versorgungsrecht größere Veränderungen vorgenommen. Mit der Kompetenzverlagerung im Zuge der Föderalismusreform haben wir einige Bereiche des Besoldungsund Versorgungsrechts auf die Länder übertragen. Diese Forderung der Bundesländer haben wir als Innenpolitiker des Bundes nicht immer positiv gesehen. Da die Länder aber darauf bestanden haben, haben wir das so vollzogen. Die Entwicklungen in den Ländern in Fragen, die die Beamten betreffen, sind als Folge sehr unterschiedlich. Gegenwärtig stellen wir dies an verschiedenen Punkten fest. So lässt zum Beispiel der Freistaat Sachsen seinen Beamten für das Jahr 2007 eine Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro zukommen, während das Land Berlin angekündigt hat, in den nächsten Jahren gar keine Einmalzahlung vornehmen zu können. ({0}) - Das habe ich aber nicht gesagt. Gegenwärtig modernisieren wir das gesamte öffentliche Dienstrecht. Das ist ein Entwicklungsprozess, der in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Eckpunktepapier „Neue Wege im öffentlichen Dienst“ begann. Mit dem Dienstrechtsneuordnungsgesetz gewährleisten wir die Leistungsbezogenheit des Dienstrechts, einen flexiblen Personaleinsatz und ein individuelles Besoldungsrecht. Letztlich soll das Beamtenversorgungsgesetz dem Anspruch an eine wirkungsgleiche Übertragung der Maßnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung Rechnung tragen. Mit dem Beamtenstatusgesetz, das wir noch heute Abend in zweiter und dritter Lesung beschließen werden, werden die Statusrechte und -pflichten der Angehörigen des öffentlichen Dienstes der Länder, der Gemeinden und anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts einheitlich geregelt. Dieser Gesetzentwurf nutzt die durch die Föderalismusreform gewonnene Kompetenz des Bundes und regelt die Statusrechte einheitlich. Nun zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion. Der Gesetzentwurf fordert, den Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfängern des Bundes eine Einmalzahlung für 2007 zu gewähren. In Anlehnung an das Tarifergebnis vom 9. Februar 2005 für den öffentlichen Dienst haben wir im März dieses Jahres ein Gesetz verabschiedet, das den Empfängerinnen und Empfängern von Dienstund Amtsbezügen des Bundes für die Jahre 2005, 2006 und 2007 Einmalzahlungen in Höhe von jeweils 300 Euro gewährleistet. In diese Regelung sind die Versorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger im Bereich des Bundes nicht einbezogen. Dies fordert nun gerade die FDP mit ihrem Gesetzentwurf. Zunächst ist festzustellen, dass uns diese Entscheidung natürlich nicht leichtgefallen ist. Auch wir wissen, dass es eine große Zumutung für die Betroffenen ist, dass wir diese Regelung nicht übernommen haben. Im Sinne einer nachhaltigen und strukturellen Haushaltskonsolidierung sind jedoch bestimmte Einsparungen in unterschiedlichen Bereichen nicht vermeidbar. ({1}) Alle vorgetragenen Aspekte haben wir ausführlich beraten und abzuwägen versucht. Der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion, diese Regelung für 2007 für die Pensionäre des Bundes, der Post und der Bahn zu übernehmen, würde 150 Millionen Euro kosten und somit den Haushalt belasten. Dies kann nicht im Sinne einer ausgewogenen Haushaltskonsolidierung sein. Im Gegenteil: Damit wäre der Beitrag, den der öffentliche Dienst des Bundes zur Sanierung des Haushalts zu leisten hat, wesentlich geschmälert. Wir haben bereits mit der Erhöhung der Wochenarbeitszeit für aktive Beamte von 40 auf 41 Stunden ohne Besoldungsausgleich und mit der Halbierung des Weihnachtsgeldes von diesen einen bestimmten Beitrag gefordert und damit zur Konsolidierung des Haushalts beigetragen. Mit der im März beschlossenen Einmalzahlung sind wir davon in gewisser Weise abgewichen, was wir aber vertreten können. Auch die Regelungen zur Rente mit 67 werden stufenweise auf Beamte übertragen. Hier wird konsequent das nachgezeichnet, was wir für die gesetzliche Rentenversicherung beschlossen haben. Mit der Sanierung der öffentlichen Haushalte kann die Altersversorgung der Bundesbeamten auf eine sichere Grundlage gestellt werden. Diese Maßnahmen sind unabwendbar, um die verschiedenen Alterssicherungssysteme unseres Landes an die Herausforderungen, die wir heute haben, entsprechend anzupassen. ({2}) Immer weniger Beitrags- und Steuerzahler müssen die Mittel, die wir für Renten und Pensionen brauchen, aufbringen. Das ist für den Bund, aber auch für die Länder und Kommunen auf Dauer nicht finanzierbar, meines Erachtens auch nicht gerecht gegenüber den nachfolgenden Generationen. Der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst sah keine Einmalzahlung für Rentnerinnen und Rentner vor. Bei Wirkungsgleichheit für Beamtinnen und Beamte des Bundes können für Versorgungsempfänger keine anderen Regelungen getroffen werden. Auch gehören Einmalzahlungen rein rechtlich gesehen nicht zur Besoldung und wirken sich somit auch nicht auf die Versorgungsbezüge aus. Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht derzeit nicht möglich, die Versorgungsempfänger in die Regelung zur Einmalzahlung für das Jahr 2007 einzubeziehen. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Maßnahmen zur Gewährleistung einer stabilen und nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung eingeleitet. Dazu gehören, wie wir alle wissen, zum großen Teil die Reformen im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Rentnerinnen und Rentner haben wegen der allgemeinen Lohnentwicklung und des demografischen Wandels mehrere Jahre keine Rentenerhöhung erhalten. Erst am 1. Juli 2007 haben wir nach drei Nullrunden eine Erhöhung in Höhe von 0,54 Prozent erreicht. Diese positive Entwicklung im Rentenbereich wird bei künftigen Entscheidungen zur allgemeinen Anpassung der Versorgungsbezüge natürlich zu berücksichtigen sein. Es gilt, das Ziel umzusetzen, die Beamtenversorgung und die Rentenversicherung künftig wirkungsgleich zu entwickeln und dabei die Systemunterschiede zu berücksichtigen. Um die Versorgungsempfänger nicht besser, aber auch nicht schlechter zu stellen als die Rentner, strebt die Große Koalition gegenwärtig an, im Versorgungsrecht eine Evaluierungsklausel einzuführen, mit der die jeweilige Entwicklung in der Rentenversicherung besser nachgezeichnet werden kann. Mit der Nichtberücksichtigung leisten die Pensionäre und Hinterbliebenen - das möchte ich ausdrücklich hier betonen - einen weiteren wichtigen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen. Ich möchte ausdrücklich hervorheben und anerkennen, dass dies ein wichtiger Beitrag ist. ({3}) Angesichts der angespannten Lage der Haushalte gibt es gegenwärtig leider keinen anderen Weg. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, auf fast allen Gebieten durchaus berechtigte finanzielle Forderungen für unsere Bürgerinnen und Bürger aufzustellen, ist populistisch und kommt bei den Bürgern gut an. ({4}) Aber wir müssen eine realistische Politik für unser Land im Blick haben und die Grundsatzfrage für die Zukunft - die Handlungsfähigkeit im Hinblick auf den Bundeshaushalt - in den Mittelpunkt stellen. Aus dem Grund können wir Ihrem Antrag gegenwärtig leider nicht zustimmen. Danke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ernst Burgbacher von der FDP-Fraktion. ({0})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Lieber Herr Kollege Baumann, Populismus ist etwas völlig anderes. Es geht hier um eine falsche beamtenpolitische Weichenstellung, und Sie haben in dieser Sitzung kurz vor Weihnachten noch die Gelegenheit, diese zu korrigieren. Teilweise haben Sie die Begründung, warum unser Gesetzentwurf richtig ist, gerade selbst geliefert. ({0}) Deshalb wende ich mich an die Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition: Sie sollten den Mut haben, das tatsächlich zu korrigieren; denn es war eine falsche Entscheidung, die Sie da getroffen haben. ({1}) Es geht nicht um die Verteilung von Wohltaten, und es geht auch nicht um Weihnachtsgeschenke. Vielmehr geht es schlicht und einfach um einen Akt politischer Fairness. Es ist einfach nicht in Ordnung, dem Tarifpersonal, den aktiven Beamtinnen und Beamten Einmalzahlungen zuzugestehen, die Pensionäre aber gleichzeitig vollkommen leer ausgehen zu lassen. Das ist nicht in Ordnung, und ich glaube, das wissen Sie auch. ({2}) Nach dem Beamtenversorgungsgesetz haben auch Versorgungsempfänger einen Anspruch auf Teilhabe an der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse. So entsprach es in der Vergangenheit immer guter Übung, diesen Personenkreis an Einmalzahlungen zu beteiligen. Diese Tradition sollte fortgesetzt werden, und hierzu laden wir mit unserem Gesetzentwurf ein. Der Gesetzentwurf selbst ist sehr maßvoll abgefasst. Er sieht eine Beteiligung der Versorgungsempfänger lediglich für das Jahr 2007 und auch nur in Höhe des individuell maßgebenden Ruhegehaltssatzes vor. ({3}) Er enthält also bereits einen Kompromiss, der eigentlich auch Ihnen, Herr Kollege Binninger, die Zustimmung möglich machen sollte. Wir haben ja bewusst etwas gefordert, von dem wir der festen Überzeugung sind, dass es die Zustimmung aller finden könne. Auch die dadurch entstehenden Mehrkosten halten sich in Grenzen. Sie gefährden, lieber Kollege Baumann, das Ziel der Haushaltskonsolidierung überhaupt nicht. Auch da sollte man jetzt keinen Popanz aufbauen. ({4}) Für den einzelnen Versorgungsempfänger allerdings geht es schon um mehr. Seine Versorgungsbezüge liegen heute nach mehreren Minusrunden unter dem Betrag des Jahres 2002. Das unterscheidet die Pensionäre übrigens auch von den Rentnern. Sie haben ja selbst über die Erhöhung der Renten gesprochen. Das Ganze hat auch einen sozialpolitischen Aspekt; denn beim Bund werden von der Einmalzahlung insbesondere Angehörige des einfachen und mittleren Dienstes profitieren. In diesen Laufbahngruppen sind die meisten Versorgungsempfänger zu finden. Hinzu kommt, dass die Versorgungsempfänger die Einmalzahlung unabhängig von ihrer Besoldungsgruppe erhalten sollen. Hierin steckt ein zusätzliches soziales Moment, weil dadurch Pensionäre mit geringerer Versorgung relativ stärker begünstigt werden. ({5}) Warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU/CSU, die Sie das Schild des Sozialen im Augenblick derart vor sich hertragen, gerade diesen Personenkreis im Stich lassen, leuchtet uns wirklich nicht ein. Eine Erklärung dafür haben Sie bis zum heutigen Tage auch nicht wirklich geliefert. Im Innenausschuss haben Sie sich auf - ich zitiere wörtlich - „komplexe Abwägungsprozesse“ berufen, ({6}) die Grundlage der Beschlussfassung über die Einmalzahlung gewesen sein sollen. Dass Abwägungen nicht immer einfach sind, ist das Wesen der Politik; sich damit herauszureden, ist schon schwach. ({7}) Ich bitte deshalb die Innenpolitiker der Großen Koalition, sich in dieser Frage gegen die Haushälter durchzusetzen. Denn wir wissen ja, dass die Innenpolitiker das eigentlich wollten, sich aber nicht durchsetzen konnten. Sie sollten sich das wirklich noch einmal überlegen! Es wäre ja nicht schlecht, die Innenpolitik der Großen Koalition hätte einmal einen Erfolg vorzuweisen. Hier hätten Sie eine Gelegenheit dazu. ({8}) Ich fordere Sie auf: Packen wir das endlich an! Machen wir es Ländern wie Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen nach! Machen wir gemeinsam den Weg frei, damit die Pensionäre des Bundes nicht noch weiter von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden! Ich fordere die Innenpolitiker der Großen Koalition - die hier anwesend sind - auf: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Siegmund Ehrmann von der SPD-Fraktion. ({0})

Siegmund Ehrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003521, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Abwägungsprozesse haben in der Tat Komplexitäten, Herr Burgbacher. Deshalb sollten wir die Kraft aufbringen, die Argumente anzuhören, damit sich uns die Zusammenhänge erschließen. Das, was Sie mit Ihrer Gesetzesinitiative fordern, ist uns ja vor nicht allzu langer Zeit schon einmal begegnet. Sie fordern, die Einmalzahlung des Bundes für das Jahr 2007 auch den Versorgungsempfängern zukommen zu lassen. Das war schon bei der Verabschiedung des Gesetzes über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 Bestandteil Ihrer Forderungen. Ich rufe in diesem Zusammenhang in Erinnerung, dass für den beschriebenen Zeitraum die Tarifparteien für die Tarifbeschäftigten des Bundes anstelle einer prozentualen Erhöhung der Vergütung jährliche Einmalzahlungen von 300 Euro vereinbart haben. Um dieses Tarifergebnis auf die Beamtinnen und Beamten zu übertragen, wurde zusätzlich zu dem Entwurf des Gesetzes über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 noch im Frühjahr 2005 der Entwurf eines Versorgungsnachhaltigkeitsgesetzes auf den Weg gebracht. Im Juli 2005 erhielten die Bundesbeamten im Vorgriff auf die gesetzliche Regelung einen ersten Teilbetrag, gewissermaßen als Abschlag, in Höhe von 100 Euro. Nachdem der Gesetzentwurf aufgrund der damaligen politischen Mehrheitsverhältnisse insbesondere auf Intervention unseres heutigen Koalitionspartners nicht vor der Sommerpause 2005 im Bundestag verabschiedet werden konnte, ging er - Stichwort Diskontinuität - mit der Neuwahl des Bundestages unter. ({0}) - Nein, die geht nicht auf Ihre Kappe. In der laufenden Wahlperiode war zunächst geplant, die Einmalzahlungen erst im Zusammenhang mit der strukturellen Besoldungsreform zu regeln, weil im Tarifbereich ebenso verfahren worden war. Um den Bundesbeamten allerdings die Einmalzahlung nicht länger vorzuenthalten, hat die Bundesregierung auf Drängen der Koalitionsfraktionen Anfang November 2006 den seinerzeitigen Entwurf im Wesentlichen inhaltsgleich in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Dementsprechend sind weitere 500 Euro ausgezahlt worden. Die restlichen 300 Euro wurden in Teilbeträgen von jeweils 150 Euro in den Monaten April und Juli 2007 ausgezahlt. Nun zum Punkt. Wie bei den früheren Einmalzahlungen konnten die Versorgungsempfänger nicht berücksichtigt werden. Schon bei der ursprünglichen Einbringung des Gesetzentwurfes, im Jahre 2005, war davon auszugehen, dass auch den Rentnerinnen und Rentnern keine Rentenerhöhung zugebilligt werden konnte. Dies hat sich bestätigt; die seinerzeitige Prognose ist eingetreten. Allerdings haben die Versorgungsempfänger hinnehmen müssen, dass die jährliche Sonderzahlung, das sogenannte Weihnachtsgeld, für die Jahre 2006 bis 2010 gekürzt und das Jahreseinkommen vorübergehend um circa 2 Prozent vermindert wird. Dies wiederum war unvermeidlich, weil die Versorgung an die Besoldung anknüpft, die sogar um 2,5 Prozent ermäßigt worden ist. Dabei ist nicht berücksichtigt - auch darauf hat Herr Kollege Baumann schon hingewiesen -, dass die Arbeitszeit der aktiven Bundesbeamten ohne finanziellen Ausgleich um circa 6,5 Prozent erhöht wurde. In diesem Zusammenhang eine Anmerkung, die in der Diskussion auch schon eine Rolle spielte: Um die Versorgungsempfänger nicht besser, aber auch nicht schlechter zu stellen - ich sage in Parenthese: Die Debatte darüber, inwieweit sich das in den Systemen sorgfältig nachzeichnen lässt, verfolgt uns ja schon eine geraume Zeit - und das objektiver und nachvollziehbarer zu gestalten, wird im Dienstrechtsreformgesetz eine sogenannte Evaluationsklausel im Bereich des Versorgungsrechts eingeführt, damit die jeweilige Entwicklung in der Rentenversicherung sorgfältiger und genauer nachgezeichnet werden kann. Damit werden wir den Ansatz weiterverfolgen, dass die Veränderungen in der Rentenversicherung - tatsächlich und deutlicher nachvollziehbar - wirkungsgleich übertragen werden; denn es muss ausgeschlossen werden, dass die Regelungsmechanismen, die strukturbedingt unterschiedlich sind, zu einem Auseinanderlaufen der Entwicklungen in beiden Altersversicherungssystemen führen. Nicht zuletzt war bei der Abwägung zu berücksichtigen: Es gibt auf der einen Seite das Alimentationsprinzip und das Prinzip, Strukturen, die bei den aktiven und auch bei den passiven Beschäftigten gegeben sind, zu übertragen. Ich habe gerade versucht, diesen Aspekt, der unsere Überlegungen geleitet hat, zu verdeutlichen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich die finanzwirtschaftlichen Belastungen. Wenn wir das seinerzeit für den Dreijahreszeitraum 2005 bis 2007 gemacht hätten, hätten wir eine Haushaltsbelastung von etwa 400 Millionen Euro zu verzeichnen gehabt. Jetzt ist das naturgemäß ein deutlich geringerer Betrag, nämlich etwa 140 bis 150 Millionen Euro, weil sich das nur auf ein Jahr bezieht. Diesen Aspekt können wir nicht negieren. Das Leitmotiv unserer Koalitionspolitik heißt ja: Reformieren, Sanieren, Konsolidieren. ({1}) - „Abkassieren“ ist Ihre Formulierung, der ich natürlich nicht zustimmen kann. Ich weise sie sogar mit Abscheu zurück. Nun aber zur Zukunft. Wie sieht es aus? Wie geht es weiter? Ich gehe davon aus, dass im kommenden Jahr auf der Bundesebene natürlich auch im Bereich der Besoldung und Versorgung günstigere Entwicklungen zu verzeichnen sein werden. Ein Parameter ist das, was sich im Tarifbereich auf der Bundesebene abzeichnet. Dort ist zu erwarten, dass die Tarifsteigerungen bei 2,9 Prozent liegen werden. Natürlich wird sich das auch im Bereich der Besoldung und Versorgung widerspiegeln, sodass sich die Dinge im Bereich der Beamtenversorgung so weiterentwickeln, wie das im Rentensektor zu verzeichnen ist, was deutlich gerechtfertigt ist. Im Ergebnis stelle ich für meine Fraktion und auch für unseren Koalitionspartner fest, dass wir auch mit den Interessen der Versorgungsempfängerinnen und -empfänger sehr sorgfältig umgegangen sind. Das ist kein angenehmes Geschäft, sondern eine schwierige Diskussion, der wir uns stellen. Folglich werden wir Ihrem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Schönen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es kurz machen: Aktive Beamtinnen und Beamte erhalten eine Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro. Das hat der Bundestag am 23. Februar dieses Jahres beschlossen. Von diesem Beschluss ausgenommen waren die nicht mehr aktiven Beamtinnen und Beamten, also die Versorgungsempfängerinnen und -empfänger. Begründet wurde diese Ausnahme - wir haben es heute wieder gehört - mit dem Verweis auf die allgemeine Entwicklung der Renten. Die Linke hielt das schon damals für falsch. Kollege Ehrmann, Kollege Burgbacher hat Ihnen erklärt, wie sich die Versorgungsbezüge entwickelt haben bzw. dass sie gleich geblieben sind und dass man das eine mit dem anderen nicht eins zu eins vergleichen kann. Nunmehr sollen auf Antrag der FDP auch die Versorgungsempfängerinnen und -empfänger einmalig eine Zahlung erhalten. Dem stimmt die Linke selbstverständlich zu. Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn von Bündnis 90/Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass Bundesinnenminister a. D. Otto Schily dieser Debatte über Pensionäre beiwohnt. Vielleicht ist das ein Zeichen für das Jahr 2008. ({0}) Ansonsten habe auch ich nicht vor, nachdem hier wortreich die Feinheiten des Beamtenrechtes erläutert worden sind, eine lange Rede zu halten. Es ist - in einfachen Worten - deutlich geworden: Die Große Koalition verzichtet in diesem Jahr gänzlich auf Weihnachtsgeschenke, obwohl, wie wir hier in Reden gehört haben, der Steuersack voll ist, die eigenen Taschen gefüllt wurden und der Aufschwung offensichtlich da ist. Vom Weihnachtsengel Angie wurde verkündet: Wir haben eine gute Zeit. Der Aufschwung ist da. - Aber für die Pensionäre wird es nichts geben. Bei den Armen wird nichts ankommen. Das ist die Botschaft der Großen Koalition. ({1}) Wir sind der Meinung, dass der Antrag der FDP ein feines, gerechtes und auch finanzierbares Weihnachtsgeschenk ist. Wir wollen diese gute Tat hier gemeinsam mit der FDP beschließen. Ein letzter Appell an die Große Koalition: Überlegen Sie es sich noch einmal! Es wäre ein faires und gerechtes Zeichen, nachdem wir die Einmalzahlung für die BeamSilke Stokar von Neuforn tinnen und Beamten beschlossen haben, diese Einmalzahlung auch den Pensionären für ein Jahr zuzugestehen. Ich denke, das wird den Bundeshaushalt nicht sprengen. ({2}) Ich habe noch einen kleinen Vorschlag für die Finanzierung. Wir könnten ja die zu zahlenden Strafgelder für die Nichtveröffentlichung von Nebeneinkünften als Grundstock der Finanzierung für die Einmalzahlung der Pensionäre nehmen. ({3}) Dann wäre es für alle nicht so schwer. Geben Sie sich also einen Ruck! Setzen Sie ein vorweihnachtliches Zeichen und stimmen Sie dem Antrag zu! Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion der FDP über eine Einmalzahlung für Versorgungsempfänger im Jahre 2007. Der Innenaus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5925, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5250 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abge- lehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Eckart von Klaeden, Anke Eymer ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Gert Weisskirchen ({2}), Niels Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Im- pulse für konventionelle Abrüstung und Rüs- tungskontrolle in Europa beenden - Drucksachen 16/6603, 16/7505 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Jürgen Trittin b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Dr. Karl Addicks, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Deutschland muss rüstungskontrollpolitische Glaubwürdigkeit beweisen - angepassten KSE- Vertrag dem Deutschen Bundestag zur Abstim- mung vorlegen - Drucksachen 16/6431, 16/7505 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Jürgen Trittin c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Angepassten Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa ratifizieren - Drucksachen 16/6605, 16/7505 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Jürgen Trittin Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch ist nicht zu sehen. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Staatsminister Gernot Erler.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der spanische Außenminister und OSZE-Vorsitzende Miguel Ángel Moratinos hat heute erklärt, dass der KSE-Vertrag seit 15 Jahren ein Eckpfeiler der Sicherheit in Europa sei und dies auch bleiben solle. Er hat wörtlich hinzugefügt: Der KSE-Vertrag hat Europa ein nie zuvor gekanntes Maß an Transparenz, Stabilität und Sicherheit garantiert und für einen bedeutenden Abbau konventioneller Waffen gesorgt. Diese Auffassung teilt auch die Bundesregierung. Außenminister Steinmeier hat sich in der Vergangenheit immer wieder bemüht, zu zeigen, dass wir eher mehr Bedarf an Rüstungskontrolle und Abrüstung haben als weniger. Seit gestern ist nun leider der KSE-Vertrag durch die russische Seite ausgesetzt. Die Bundesregierung bedauert das ausdrücklich. Damit hat Russland seine Ankündigung wahrgemacht, dieses zum 12. Dezember zu vollziehen, mit der Begründung, dass der angepasste KSE13970 Vertrag von der westlichen Staatengruppe nicht ratifiziert wurde. Wir alle kennen den inhaltlichen Kontext: Es sind die sogenannten Istanbul-Verpflichtungen zum Abzug von russischen bewaffneten Kräften aus Georgien und Transnistrien mitsamt der Munition. Dass dies noch nicht erfolgt ist, ist Hintergrund der Nichtratifizierung. ({0}) Wie ist die Lage jetzt? Wir haben es nach russischen Aussagen mit einer Aussetzung des Inspektions-, Informations- und Begrenzungsregimes des KSE-Vertrages zu tun. Nach jetzigem Stand werden auf russischem Territorium keine KSE-Inspektionen zugelassen. Auch Russland selber wird keine mehr durchführen und seinen Verpflichtungen, was Informationsaustausch über Bestände an schweren Waffen und deren Änderung angeht, nicht mehr nachkommen. Dagegen beabsichtigt die Russische Föderation nicht - so lauten jedenfalls die aktuellen Aussagen aus Moskau -, den Umfang der KSE-relevanten Waffensysteme zu erhöhen. Für die Bundesregierung ist das ein Anlass, unsere Bemühungen aus der Vergangenheit fortzusetzen, um den Erhalt des KSE-Regimes und eine schnelle Ratifizierung des angepassten KSE-Vertrages zu erreichen. Wir haben das schon 2006 im Kontext der Dritten KSEÜberprüfungskonferenz und bei der außerordentlichen KSE-Konferenz, die Russland einberufen hat, versucht, und wir halten auch jetzt noch eine Lösung auf einer Kompromissbasis für möglich. Unser Engagement ist auch bei dem informellen KSE-Treffen in Bad Saarow im Oktober sichtbar geworden. Das hat im November in Paris und auch am Rande des OSZE-Ministerrates in Madrid auf eine deutsch-spanische Initiative hin seine Fortsetzung gefunden. Die inhaltlichen Grundlagen für unser Bemühen kann man als Parallelansatz bezeichnen. Wir glauben, dass man Zug um Zug mit der Ratifizierung des KSE-Anpassungsabkommens auf der einen Seite parallel zur Umsetzung der Istanbul-Verpflichtungen auf der anderen Seite vorankommen kann. Das ist auch Inhalt des sogenannten Parallel Action Plan der Vereinigten Staaten. Wir setzen - damit komme ich zum Schluss - auf Nachrichten aus Moskau darüber, dass die Tür zum KSE-Vertrag nicht endgültig geschlossen wurde. Wir hoffen auf eine flexible Haltung in Moskau. Was Deutschland angeht, versichern wir, dass wir unsere Verpflichtungen aus dem KSE-Vertrag auch gegenüber der Russischen Föderation bis auf Weiteres erfüllen werden. Wir stehen zu der Inkraftsetzung des angepassten KSE-Abkommens und glauben, dass dieser Vertrag unverzichtbar ist. Zusammengefasst kann man feststellen: Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr KSE. ({1}) Dafür werden wir uns auch weiterhin einsetzen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff von der FDPFraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich, dass es uns gelungen ist, schon heute, also einen Tag nachdem der KSE-Vertrag ausgesetzt worden ist, die Debatte im Deutschen Bundestag zu führen. Weniger erfreulich ist es, dass es uns nicht gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag zu diesem wichtigen Thema zu formulieren. Aber so ist die Welt. ({0}) Es wäre vor allen Dingen auch gut gewesen, weil das, was eben Herr Staatssekretär Erler vorgetragen hat, sich in wesentlichen Ansätzen im Antrag der FDP-Fraktion wiederfindet. Ich werde versuchen, dies in meinen Ausführungen zu verdeutlichen. Wir wissen, dass seit gestern die russische Aussetzung des Vertrages über die konventionellen Streitkräfte in Europa, eines der wichtigsten Abkommen der internationalen Rüstungskontrolle, wirksam ist. Ich bedaure dies sehr; denn der KSE-Vertrag ist einer der wichtigsten Eckpfeiler der europäischen Sicherheitsarchitektur. Er ist ein Symbol der Vertrauensbildung nach dem Kalten Krieg. Aber spätestens seit Inkrafttreten von Putins Moratorium wankt dieser tragende Pfeiler. Für Deutschland und die anderen NATO-Staaten muss die Rettung des KSE-Regimes deswegen oberste Priorität haben. In Zeiten neuerlich wachsenden Misstrauens und politischer Meinungsverschiedenheiten mit dem Kreml sind die vertrauensbildenden Strukturen des KSE-Vertrages unverzichtbar. ({1}) Ich hätte mir deshalb von der Bundesregierung im Vorfeld mehr Initiative und rüstungskontrollpolitische Glaubwürdigkeit gewünscht. Der Beginn des Ratifizierungsprozesses für das Anpassungsabkommen des KSEVertrages innerhalb der NATO-Staaten hätte diese tiefe Krise der konventionellen Rüstungskontrolle vielleicht doch noch abwenden und ein belastbares und vertrauensbildendes Signal sein können. ({2}) Die nun im Antrag der Regierungsfraktionen beabsichtigte und in den Verhandlungen mit Russland angebotene Schritt-für-Schritt-Ratifizierung hat nach unserer Auffassung nie richtig funktioniert und wird es auch in Zukunft nicht tun. Dafür hat sich Russland auch selbst schon zu weit vom KSE-Konsens entfernt. Wladimir Putin hat bei seiner Entscheidung zur Aussetzung des KSE-Vertrages mehrfach auf die andauernde Debatte um die Stationierung des US-Raketenabwehrsystems auf europäischem Boden verwiesen. Die russische Kritik an der US-Raketenabwehr ist in diesem Fall aber nur ein willkommener Anlass für den Kreml, um ein weiteres Instrument der internationalen Rüstungskontrolle infrage zu stellen sowie den Umbau und die Modernisierung der eigenen Streitkräfte voranzutreiben. ({3}) Eine solche Vermischung ist unredlich. Der KSE-Vertrag wird so zu einem Spielball der nationalen Interessen Moskaus. Das ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel. Die russische Aussetzung der Verifikations- und Informationspflichten des KSE-Vertrages droht nun das gesamte KSE-Regime aufs Spiel zu setzen. Ein endgültiger Zusammenbruch würde aber den sicherheitspolitischen Interessen keines einzigen Mitgliedstaates dienen, auch nicht den russischen. Der ehemalige russische Außenminister Iwanow hat dies auf der letzten Sicherheitskonferenz in München noch einmal sehr deutlich betont. Ziel aller Vertragsparteien sollte es deshalb sein, doch noch eine Lösung zur Bewältigung dieser Krise bei der konventionellen Rüstungskontrolle zu finden. Hierfür müssen aber alle Seiten Positionen überprüfen und Beweglichkeit zeigen. Dann besteht noch ein gewisser Anlass zur Hoffnung, dass eine Rettung des KSE-Regimes möglich ist. Denn die russische Aussetzung des KSEVertrages ist ausdrücklich keine endgültige Kündigung. Der russische Präsident hat erst in der vergangenen Woche betont, dass eine Rückkehr seines Landes in den Vertrag durchaus möglich sei. Zuvor werden aber auch die NATO-Staaten deutlich machen müssen, dass sie immer noch am KSE-Vertrag festhalten, ohne den russischen Muskelspielen dabei allerdings zu sehr entgegenzukommen. Russland hat die Istanbuler Verpflichtungen noch nicht gänzlich erfüllt. Der Abzug der letzten russischen Truppen aus Georgien im vergangenen Monat hat immerhin ein ganzes Jahr vor dem geplanten Abzug stattgefunden. Dies nährt auf unserer Seite die Hoffnung, dass sich Moskau an seine Verpflichtungen gebunden fühlt. Vor diesem Hintergrund wäre aus unserer Sicht richtig, dass die NATO-Staaten mit dem Ratifizierungsprozess beginnen. Die Ratifizierungsurkunden sollten aber erst dann endgültig hinterlegt und Verhandlungen über eine Reform des KSE-Vertrages in Aussicht gestellt werden, wenn dies alles gesichert ist. Denn eine solche Ratifizierung des KSE-Vertrages durch die NATO-Staaten, wie sie im Antrag der Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagen ist, ist mit dem Inkrafttreten des russischen Moratoriums nach unserer Auffassung ein falsches Signal. Deutschland und die NATO-Staaten müssen mit einer weitestgehenden Vorbereitung der Ratifizierung einen nachhaltigen Anreiz setzen, um den Kreml zu einer Wiederaufnahme der Erfüllung seiner Vertragspflichten zu bewegen. Man darf Moskau jetzt nicht durch eine Hals-über-Kopf-Ratifizierung bedingungslos in die Hände spielen. ({4}) Die Forderung der FDP-Bundestagsfraktion berücksichtigt und bewahrt zum einen den NATO-Kompromiss und sendet zum anderen ein weiterreichendes Signal an die Moskauer Führung, als es der Koalitionsantrag selber vorschlägt. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung deshalb auf, schnellstmöglich den Ratifizierungsprozess einzuleiten, das Anpassungsübereinkommen für den KSE-Vertrag dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorzulegen und innerhalb der NATO-Staaten für ein solches Vorgehen zu werben. Es ist vielleicht die letzte Chance zur Rettung des KSE-Vertrages. Sie muss im sicherheitspolitischen Interesse aller Mitglieder nachhaltig genutzt werden. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Raidel von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Raidel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001768, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte und unserem fraktionsübergreifenden Antrag ermuntern und bitten wir die Bundesregierung, durch neue Impulse die konventionelle Abrüstung in Europa zu stärken. Verehrte Frau Kollegin Hoff und verehrte Kollegen von den Grünen, Sie hätten nur bei uns mitmachen müssen. ({0}) Dann hätten wir einen gemeinsamen Antrag formulieren können. Aber Sie haben sich ein bisschen außerhalb des Themas gestellt. Nun beklagen Sie Ihre eigene Unfähigkeit, kompromissbereit zu sein. Der Verbund aller internationalen Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge und -abkommen bildet ein sicherheitspolitisches Netzwerk. Jeder gescheiterte oder nicht implementierte Vertrag ist eine Lücke in diesem Regime und kann somit zu einer Gefährdung der internationalen Sicherheit führen; darüber sind wir uns alle einig. Man geht beim KSE-Vertrag davon aus, dass es eine Reduzierung der Verteidigungsfähigkeit auf möglichst niedrigem Niveau geben soll. Dabei sind nicht nur die KSE, sondern alle abrüstungspolitischen Regime zu berücksichtigen. Wir alle sind uns darüber einig, dass das eine gewaltige, immer fortbestehende Aufgabe ist. Nun müssen wir feststellen: Deutschland ist Partner, aber nicht Key-Player. Das sind die USA und Russland. Unsere Aufgabe besteht darin, positiv zu beeinflussen, damit die Abrüstungsregime weiter in unserem Sinne vervollständigt werden können. ({1}) Der KSE-Vertrag einschließlich des Wiener Dokumentes und Open Skies hat eine Vorbildfunktion. Es ist gelungen, praktische Abrüstungsschritte, zum Beispiel Obergrenzen bei Material und Personal, zu fördern. Wir alle sind uns darüber einig, dass dieser Vertrag einen grundlegenden Beitrag zu einem sicheren Europa leistet und ein zentrales Instrument der konventionellen Rüstungskontrolle ist. Nun hat Russland diesen Vertrag infrage gestellt. Nichtanwendung, Aussetzung und Annullierung sind die Schlagworte. Die Russen begründen das damit, dass sie sich durch die NATO, insbesondere durch die USA, eingekreist fühlen. Insbesondere die Raketenabwehrfrage ist ihnen ein Dorn im Auge. Sie wollen respektiert werden. Die verbale Kraftmeierei treibt hier - das wurde bereits richtig beschrieben - erstaunliche Blüten. Ich persönlich gehe davon aus, dass erst nach der Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2008 ein bisschen Normalität einkehren wird und dass dann wieder über Modalitäten ordentlich geredet und der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden kann. ({2}) - Ich persönlich glaube nicht daran; denn nach wie vor bestehen Arbeitsgruppen, in denen vernünftig über praktische Fragen geredet wird. Ich glaube, dass die Einsicht in den Nutzen des Vertrages obsiegen wird. Ich bin ganz sicher, dass die Russen eher an der Fortsetzung des Vertrages als an seiner Annullierung interessiert sind. Allerdings besteht die Gefahr - das will niemand ausschließen - nach wie vor. Wir dürfen selbstverständlich nicht zulassen, dass die europäische Sicherheitsarchitektur geschwächt wird, dass das Sicherheitshaus Europa negativ verändert wird. Darüber sind wir uns alle selbstverständlich einig. Wir müssen aber auch die Kehrseite berücksichtigen. Ich stelle nicht nur die russische Position infrage. Ich glaube, wir sollten durchaus auch unseren amerikanischen Freunden ab und zu sagen, dass sie bei der Wahrung berechtigter Sicherheitsinteressen der USA, der NATO, Europas - letztlich geht es um den Weltfrieden - an Akzeptanz und Durchsetzungskraft verlieren, wenn sie sich im verminten Feld der Diplomatie mit russischen Problemen, Ängsten und Nöten manchmal etwas unbekümmert auseinandersetzen. Auch das muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Jeder weiß, dass wir alle in einem Boot sitzen und dass wir gemeinsam sehr viel tun können, wenn wir uns einig sind. Wir vertreten die Auffassung, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern, mit der NATO und mit allen Interessierten alles tun müssen, damit dieses Thema aktuell bleibt und der KSE-Vertrag nicht von der Tagesordnung verschwindet. Herr Minister, dieses Thema muss zur richtigen Zeit wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die anstehende Sicherheitskonferenz in München kann hier erste Hinweise liefern. Ich persönlich bin der Meinung, dass der KSE-Vertrag auf der NATO-Konferenz in Bukarest im Februar 2008 angesprochen werden könnte und sollte. Dort sollen weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausgelotet werden. Soweit ich weiß, steht dieses Thema auf der Tagesordnung. Ich bin der Auffassung, dass gerade Deutschland ein großer Nutznießer des KSE-Vertrags war und ist. Erinnern wir uns: Ohne die Arbeit innerhalb dieses Vertragsregimes wäre die Wiedervereinigung in dieser Form wohl nicht möglich gewesen. ({3}) Ich glaube, dass wir davon in besonderer Weise profitiert haben. Deswegen müssen wir weiter dafür werben, dass nicht nur dieser Vertrag bestehen bleibt, sondern dass auch alle anderen abrüstungspolitischen Regime im positivsten Sinne aufrechterhalten werden und dass vor allem Vertragskündigungen - von welcher Seite auch immer - überprüft und zurückgenommen werden. Technische Anpassungen sollten ausschließlich sachbezogen behandelt werden. Nach meiner Auffassung muss die europäische Karte verstärkt ins Spiel gebracht werden. Die europäische Abrüstung und die europäische Rüstungskontrolle müssen eigentlich eine Säule unserer Sicherheitspolitik werden. Derzeit gibt es in Europa noch keine arbeitsfähigen Rüstungskontrollelemente, durch die genau diese Fragen in höherem Maße europäisiert werden könnten, als dies durch die Erklärung von 2003 geschehen ist. Vorhin ist die deutsche Politik ein bisschen kritisiert worden. Ich möchte feststellen, dass gerade unsere Abrüstungspolitik immer sehr zielführend und auch erfolgreich war. Viele Fortschritte in den einzelnen Regimen basieren auf deutschen Ideen und auf deutschen Vorschlägen. Wir haben in Begleitung mancher Länder hier gute Schrittmacherdienste geleistet. Ich bin der Meinung - da stimmen Sie mir sicherlich alle zu -, dass wir in der Abrüstungspolitik weiterhin Motor sein sollten. Wir alle wissen: Das bedeutet das Bohren dicker Bretter, und es bedarf eines langen Atems. Deswegen möchte ich mich bei Ihnen, Herr Minister, und vor allem bei Ihren Mitarbeitern, allen voran bei Botschafter Gröning, der in unserem Namen eine ausgezeichnete Arbeit geleistet hat, sehr herzlich bedanken. ({4}) Wir sollten diese Arbeit parlamentarisch nach Kräften fördern. Ich bin sicher, dass der Anlass dieser Debatte uns alle beflügeln sollte, zu versuchen, dass wir vielleicht in einem Jahr etwas mehr Licht im Dunkel haben. Wir wissen, dass der KSE-Vertrag im Moment etwas in Schwierigkeiten - manche sagen sogar: ins Zwielicht - gebracht worden ist, aber gemeinsam können wir diesen Zug wieder aufs richtige Gleis setzen. Im Sinne unserer Sicherheit wünschen wir uns das alle. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spätestens jetzt wissen wir: Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa befinden sich in der Krise. Die einseitige Aussetzung des KSE-Vertrages durch Russland ist nicht positiv zu bewerten. Es ist eine bedauerliche Reaktion, die auch aus veraltetem militärischem Gleichgewichtsdenken gespeist ist; aber es ist eine nachvollziehbare Reaktion. Wenn jetzt die NATO diesen Schritt beklagt und verurteilt, dann gehört dazu eine gehörige Portion Chuzpe und Scheinheiligkeit; ({0}) denn die NATO-Mitgliedstaaten haben sich bis heute geweigert, den KSE-Vertrag zu ratifizieren. Dies hat unter anderem die Konsequenz, dass die neuen NATO-Mitgliedstaaten im Baltikum keinerlei Beschränkungen unterworfen sind. Russland hat ratifiziert. Sie verweisen auf die Istanbul-Verpflichtung Russlands. Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, was die damalige Bundesregierung im Jahresabrüstungsbericht 2002 geschrieben hat. Ich zitiere: Einige Staaten beharren aber auf der Erfüllung auch dieser nicht KSE-relevanten Verpflichtungen aus der Schlussakte von Istanbul durch Russland. Damit würde die Ratifikation des Anpassungsübereinkommens von der Lösung eher untergeordneter Fragen abhängig gemacht, und es bestünde die Gefahr, dass das Inkrafttreten des für die Sicherheit und Stabilität des gesamten europäischen Kontinents so elementaren Rüstungskontrollabkommens auf die lange Bank geschoben oder gar unmöglich wird. Das hat die damalige Bundesregierung gesagt. ({1}) Das war eine sehr saubere und gute Begründung dafür, dass es dieses Junktim nicht geben darf. Nur, gemacht hat man nichts, sondern im NATO-Schlepptau hat man die Sache eben auf die lange Bank geschoben. Aber es geht nicht nur um die Nichtratifizierung des angepassten KSE-Vertrags. Wir reden hier über eine ganz Palette von Maßnahmen, die Russland herausgefordert haben und die zugleich das Gegenteil von Vertrauensbildung sind. Wir reden über die geplante Stationierung von US-Raketenabwehrsystemen in Tschechien und Polen, wir reden über die bisherigen NATO-Erweiterungsrunden und die geplanten neuen Erweiterungsrunden mit Georgien sowie der Ukraine, und wir reden über die geplante Einrichtung von US-Stützpunkten in Bulgarien und Rumänien. Das ist genau der Grund dafür, dass wir sagen: Jetzt gilt es, innezuhalten. ({2}) Jetzt muss verhindert werden, dass wir sozusagen in einen neuen Aufrüstungskreislauf und in eine Spirale wechselseitiger Drohpolitiken kommen. Das heißt, Deutschland muss alles tun, was notwendig ist, um sich an den bestehenden KSE-Vertrag zu halten. Die Regierung muss dem Bundestag den angepassten KSE-Vertrag zuleiten und gegenüber den USA darauf hinwirken, dass die US-Pläne für ein Raketenabwehrsystem zumindest auf Eis gelegt werden. ({3}) Der KSE-Vertrag schafft in der Tat weltweit einmalige Transparenz, und er sichert eine ganze Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen. Deshalb ist es wichtig, dass der Schalter wieder umgelegt wird. Aber der Vertrag sollte auch nicht mystifiziert werden. Die seinerzeit vereinbarten Waffenobergrenzen sind längst obsolet geworden. Die damalige Flankenregelung greift nicht mehr. Daher brauchen wir jetzt dringend ein Startsignal für neue Verhandlungen über konventionelle Abrüstung im OSZE-Rahmen. Das heißt, wir müssen weit darüber hinausgehen. Das ist jetzt die Aufgabe. Ohne die Einleitung neuer Abrüstungsschritte wird der KSE-Vertrag nach meiner Überzeugung rasant an Bedeutung verlieren. Die jetzige Krise muss als Chance genutzt werden, um die Debatte darüber einzuleiten, wie man die immer noch völlig überdimensionierten Streitkräfte in Europa jetzt reduzieren kann. Im ersten Schritt sollte es zum Beispiel darum gehen, den Iststand als Höchstgrenze festzulegen. Zum Zweiten könnte man über eine Reduzierung der Waffenarsenale im OSZE-Rahmen um ein Drittel reden. Das würde immer noch bedeuten, dass in diesem Raum über 66 000 schwere Waffensysteme und weit über 2 Millionen Soldaten stationiert sind. Ich könnte Ihnen jetzt im Einzelnen vorrechnen, was das für die Waffenkategorien bedeutet. Wenn wir die Waffenarsenale nur um ein Drittel reduzierten, dann reichten die restlichen Waffenarsenale allemal, um allen Sicherheitsbelangen gerecht zu werden. Drittens brauchen wir einen neuen, tragfähigen Ansatz in der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik, der die qualitative Dimension berücksichtigt. Das heißt, bei neuen Rüstungstechnologien und -entwicklungen müsste über Moratorien gesprochen werden. Zum Schluss. Wir reden in diesen Tagen viel von Frieden auf Erden. Nach meiner Überzeugung können wir das nur erreichen, wenn wir uns dafür einsetzen, dass es weniger Waffen und weniger Soldaten in Europa geben wird. In diesem Sinne darf ich uns allen ein frohes Fest und einen guten Start ins Jahr 2008 wünschen. Danke. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei vom Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach mehreren Warnungen hat Russland gestern, am 12. Dezember, den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa außer Kraft gesetzt. Nach dem heutigen Medienecho könnte man meinen: keine besonderen Vorkommnisse. Das ist allerdings eine große Täuschung. Zur Erinnerung: Der KSE-Vertrag, der 1992 in Kraft trat, setzte nicht nur den Rahmen für eine beispiellose friedliche Abrüstung von mehr als 60 000 Großwaffensystemen, sondern unterband darüber hinaus auch die vorherige Fähigkeit beider Seiten - vor allem der östlichen Seite -, raumgreifende Offensiven oder Überraschungsangriffe zu starten. Diese Fähigkeit wurde mit dem KSE-Vertrag beseitigt. Der Vertrag trug dadurch handfest zur Überwindung des Kalten Krieges und zur friedlichen Transformation mitteleuropäischer Staaten bei. Vielleicht meint man: Wozu braucht man Informationsaustausch und Inspektionen vor Ort? Dahinter steht folgender Grundsatz: Sicherheit soll durch Vertrauensbildung und Offenheit geschaffen werden, nicht durch Misstrauen, Konkurrenz und Geheimhaltung. Das ist ein ganz anderes Prinzip. 1999 wurde der KSE-Vertrag an die Struktur nach Auflösung des Ostblocks anpasst und später nur von wenigen Staaten - Russland, Weißrussland, Ukraine usw. ratifiziert. Damals waren - das wurde hier mehrfach angesprochen - die Istanbul-Verpflichtungen, der Abzug aus Georgien und Moldawien, ein Ratifizierungshindernis. Was damals berechtigt war, ist unserer Auffassung nach heute nicht mehr berechtigt. Das Ratifizierungshindernis ist hinfällig, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil die Istanbul-Verpflichtungen weitestgehend umgesetzt sind - es sind nur noch Reste übrig -, und zweitens, weil sich das Kräfteverhältnis - es gibt immer noch militärische Kräfteverhältnisse, und zwar, was die Potenziale angeht - mit der weiteren NATO-Osterweiterung im Jahr 2004 nochmals deutlich zugunsten der NATO verändert hat. Das sind die entscheidenden Gründe dafür, dass wir meinen: Die Ratifizierungshindernisse waren früher berechtigt, heute aber sind sie hinfällig. Wir müssen uns darüber im Klaren sein - das haben eigentlich alle gesagt -: Der KSE-Vertrag ist ein Eckpfeiler kooperativer Sicherheit in Europa; aber nicht nur das. Er ist zugleich ein Modell für andere Regionen der Welt, um dort endlich zu Rüstungskontrolle und Abrüstung zu kommen. Hieran hat jede Bundesregierung seit den frühen 90er-Jahren ein erhebliches Interesse gehabt. Gerade die Bundesregierungen - ich sage das ausdrücklich im Plural - haben sich in diesem Bereich immer besonders eingesetzt. Wir haben keinen Zweifel daran, dass auch diese Bundesregierung ein ehrliches Interesse daran hat. Nach der russischen Suspendierung - sie ist ohne Zweifel deutlich zu kritisieren - geht es um nicht weniger als die Rettung dieses Vertragssystems. Deshalb sollte man den angepassten KSE-Vertrag ohne weiteres Hin und Her so schnell wie möglich ratifizieren. ({0}) Ich glaube, der Vorschlag, das Zug um Zug zu machen, kommt zu spät. Man muss jetzt einen deutlichen Schritt machen. Es gelten die Worte des internationalen Appells, der ja auch von erfahrenen und bewährten KSE-Diplomaten unterzeichnet wurde. Hier heißt es: Alle Staaten und Völker Europas werden verlieren, wenn das KSE-Regime, ein beispielloses Instrument für die Bewahrung des Friedens und von höchster Bedeutung für die Zukunft Europas, jetzt zerstört werden sollte. Gerade an diesem Ort, der sich ja in der Nähe der früheren Mauer befindet, sollten wir uns bewusst sein, wie enorm wertvoll dieses KSE-Regime war und weiterhin ist. Deshalb sollten Sie sich von den Koalitionsfraktionen, auch wenn Sie die Oppositionsanträge ablehnen - das werden Sie natürlich jetzt tun -, entsprechend anders verhalten. Ich vertraue da vor allem auf die bewährten Abrüstungspolitiker, die ich in den Reihen der Koalition sehe, nämlich Gernot Erler, Uta Zapf und Rolf Mützenich. Ich hoffe, lieber Rolf, die Rede, die du gleich halten wirst, geht auch in diese Richtung. Danke. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Aber zunächst hat der Kollege Gert Winkelmeier das Wort.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liest man den Koalitionsantrag, dann könnte es einem so erscheinen, als ob sich der KSE-Vertrag deshalb in der Krise befindet, weil Russlands Präsident vor zehn Monaten anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz ankündigte, den Vertrag auszusetzen. Dies hat er per Dekret am 14. Juli mit einer Frist von 150 Tagen auch getan; seit gestern ist der KSE-Vertrag aus russischer Sicht nicht mehr bindend. Die Koalition verwechselt aber in ihrem Antrag Ursache mit Wirkung. Anlass der russischen Reaktion war die Ankündigung der USA, neue Raketen in Polen zu stationieren und eine Radaranlage in Tschechien aufzubauen. Von beidem fühlt sich Russland bedroht. Die Ursache für die Krise des angepassten KSE-Vertrages liegt aber wohl darin, dass die NATO-Staaten nie wirklich vorhatten, den angepassten Vertrag von 1999 zu ratifizieren. Zeugnis dafür ist, dass sie im Jahre 2000 in Florenz neue Ratifizierungsbedingungen nachgeschoben haben. Das nenne ich vorsätzlich unfaires Verhandeln. Überhaupt muss man der deutschen Außenpolitik in dieser Sache vorwerfen, in den letzten acht Jahren keine eigenständigen Initiativen für die Ratifizierung ergriffen zu haben. Sie hätten doch den Prozess längst einleiten können. Das wäre der deutschen Außenpolitik angemessen gewesen. Für die Aufrechterhaltung der von den Bundesregierungen vielbeschworenen strategischen Partnerschaft mit Russland reicht es eben nicht, nur der amerikanischen Politik hinterherzulaufen. Welche Signale hat Russland denn durch die Politik der USA und der NATO empfangen? Die einseitige Kündigung des ABM-Vertrages im Jahre 2002 durch die USA, die Dauerblockade gegen eine multilaterale Kontrolle der Biowaffenkonvention durch die USA, die Raketenabwehrstationierungspläne und nicht zuletzt die zweimalige NATOOsterweiterung. Also beklagen Sie als Bundesregierung doch nicht die Krise der Rüstungskontrolle, die Sie selbst mit herbeigeführt haben. Deutschland hat mehr als alle anderen europäischen Staaten vom KSZE-Prozess und den Abrüstungs- und Rüstungskontrollmaßnahmen profitiert. Daraus ist aber auch eine Verpflichtung entstanden, nämlich die Verpflichtung, sich für weitere Abrüstung einzusetzen. Dieser Verpflichtung kommen die Bundesregierungen seit Jahren immer weniger nach. Ihnen ist die Hochrüstung der Bundeswehr für die globale Machtprojektion offensichtlich wichtiger. Gegen Ende des Kalten Krieges hatten alle Beteiligten eine wichtige Lektion gelernt: Sicherheit ist nur miteinander, nicht aber gegeneinander zu haben. Das scheint in Teilen der politischen Klasse unseres Landes in Vergessenheit geraten zu sein. Die Ratifizierung des AKSE-Vertrages liegt zutiefst im europäischen und im deutschen Interesse, allerdings weniger wegen der vereinbarten Obergrenzen; denn diese werden inzwischen durch neue strategische Konzeptionen unterlaufen, siehe zum Beispiel die US-Stationierungsabkommen mit Bulgarien und Rumänien. Vielmehr käme mit der Ratifizierung neuer Schwung in die Abrüstungsbemühungen, weil verlorenes Vertrauen wiedergewonnen würde. Dieser Schwung muss dann auch gegen den Widerstand wichtiger Bündnispartner genutzt werden, damit dem Thema Rüstungskontrolle wieder der ihm gebührende Platz bei der Friedenserhaltung zugewiesen werden kann. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Mützenich von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war kein guter Tag für die Rüstungskontrolle. Wir bedauern dies und hoffen, dass das Jahr 2008 größere Fortschritte bringt. Die Suspendierung des KSEVertrages durch Russland hat die Krise der Rüstungskontrolle nur noch verstärkt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Kündigung des ABM-Vertrages vonseiten der USA und an die Erosion des Atomwaffensperrvertrages. Dadurch haben sich Fehlentwicklungen in diesem Bereich leider verstetigt. Die Rüstungskontrolle als Instrument für Stabilität und Kooperation gerät in Gefahr: in Europa und insbesondere in den Regionen, die Abrüstung und Rüstungskontrolle brauchen. Weil die betreffenden Länder eigentlich von Europa lernen könnten, ist dies gestern kein gutes Signal gewesen. Hier ist schon daran erinnert worden, dass es mit dem KSE-Vertrag möglich wurde, 60 000 konventionelle Großwaffensysteme zu beseitigen. In diesem Vertrag wurde eigentlich eine Utopie der 70er-Jahre, insbesondere verbreitet von Egon Bahr, aufgenommen, nämlich die Herstellung der Angriffsunfähigkeit in Europa, sodass man zu einer Offensive nicht mehr in der Lage ist. Deswegen war und ist dieser Vertrag so wichtig. Man muss sagen, dass die Suspendierung des Vertrages durch Russland falsch war; es war ein falsches Signal zur falschen Zeit. ({0}) Man muss dies an dieser Stelle so deutlich sagen, weil dadurch die Bemühungen der Bundesregierung erschwert werden. Es war nämlich die Bundesregierung, die in Bad Saarow die ersten Gespräche innerhalb des NATO-Rahmens mit anderen Partnern geführt hat. Leider muss ich sagen, dass auch mein Besuch vor 14 Tagen in Moskau, bei dem ich ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses, Kossatschow, geführt habe, nicht das Ergebnis gebracht hat, das ich mir gewünscht habe, nämlich dass die Suspendierung noch einmal überdacht wird. Das Problem hat - ich glaube, es ist von den Vorrednerinnen und Vorrednern richtig beschrieben worden zwei Seiten einer Medaille. Es steht für mich außer Frage, dass russische Interessen missachtet oder zumindest gering geschätzt worden sind. Wir müssen uns dieser Einschätzung vorurteilsfrei stellen. Der entscheidende Punkt an dieser Stelle ist, dass Russland mit der Suspendierung den KSE-Vertrag instrumentalisiert hat, was sich irgendwann gegen das Land selbst richten wird. Dieses Problem müssen wir den russischen Akteuren deutlich machen. ({1}) Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass der russische Präsident - möglicherweise der neue russische Präsident ohne die Duma die Möglichkeit hat, diesen Vertrag wieder in Kraft zu setzen. Dies wäre ein wichtiges Signal. Wir müssen die dann möglicherweise neue politische Führung in Moskau davon überzeugen, von diesem Instrument Gebrauch zu machen. ({2}) Wir Sozialdemokraten sind bereit zu einer Ratifizierung des AKSE; dies haben wir immer deutlich gesagt. Ich möchte daran erinnern, dass wir bereits 2005 das da13976 mals unter einer anderen Führung stehende Auswärtige Amt gebeten haben, den Prozess einer vorläufigen Ratifizierung einzuleiten. Mit Verweis auf Probleme bei den notwendigen Verfahrensschritten ist dieses Anliegen zurückgewiesen worden. Dennoch bitten wir die Bundesregierung, erneut zu prüfen, ob mit den entsprechenden Kommunikationsmöglichkeiten, die der Staatsminister angedeutet hat, dieses Verfahren durchzuführen ist. Im britischen Unterhaus ist dieses Verfahren gewählt worden, ebenso in anderen Parlamenten. Ich glaube, wir täten gut daran, wenn wir entsprechende Schritte zumindest prüfen würden. ({3}) Außerdem ist es notwendig, dass wir eine Debatte darüber beginnen, ob ein weiterer Vertrag über die konventionelle Abrüstung in Europa möglich ist. Dieses Ziel wird man wahrscheinlich nicht vor der endgültigen Ratifizierung des AKSE umsetzen können. Auf jeden Fall sollten Vorgespräche laufen. Ich glaube schon, dass das, was in Bad Saarow und in Paris diskutiert wurde und zukünftig an anderer Stelle diskutiert wird, Anhaltspunkte dafür liefern wird, wie wir möglicherweise zu einem KSE-3-Vertrag kommen können. Der gestrige Tag war ein schlechter Tag für die Rüstungskontrolle. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass heute der 40. Jahrestag der Vorlage des Harmel-Berichts ist. Der Harmel-Bericht bedeutete einen wichtigen Fortschritt sowohl für die NATO als auch für Europa. In diesem Bericht wurde auf der einen Seite für Stabilität plädiert, auf der anderen Seite aber auch für Rüstungskontrolle. Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar dafür, dass Frank-Walter Steinmeier zusammen mit dem norwegischen Außenminister eine Initiative gestartet hat, die auf Abrüstung innerhalb der NATO abzielt. Das ist unser Auftrag für 2008. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen zur Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/7505. Tagesordnungspunkt 9 a. Abstimmung über den An- trag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Die Krise des KSE-Vertrages durch neue Impulse für konventionelle Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa beenden“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/6603 an- zunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen gegen die Stimmen der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 9 b. Unter Nr. 2 seiner Beschluss- empfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6431 mit dem Titel „Deutschland muss rüstungskontrollpoliti- sche Glaubwürdigkeit beweisen - angepassten KSE-Ver- trag dem Deutschen Bundestag zur Abstimmung vorle- gen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist gegen die Beschlussempfehlung? - Enthaltun- gen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion der FDP und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- nommen. Tagesordnungspunkt 9 c. Unter Nr. 3 seiner Beschluss- empfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/6605 mit dem Titel „Angepassten Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa ratifizieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dage- gen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist da- mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion der FDP angenom- men. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: 10 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Anrechnung von Sachleistungen auf die Regel- leistung des SGB II bei stationärem Aufent- halt ausschließen - Drucksache 16/7467 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einführung einer Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieherinnen und Grundsicherungsbezieher - Drucksachen 16/7041, 16/7511 Berichterstattung: Abgeordneter Gabriele Hiller-Ohm Ich weise darauf hin, dass wir über den Antrag zur Anrechnung von Sachleistungen später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Katja Kipping von der Fraktion Die Linke. ({1})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat eine Verordnung verabschiedet, die vorsieht, dass Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die länger als 21 Tage in ein Krankenhaus müssen, ab dem 1. Januar des nächsten Jahres einen um 35 Prozent gekürzten Hartz-IV-Regelsatz erhalten - und das, obwohl der Regelsatz ohnehin schon viel zu niedrig ist. ({0}) Das kann unter anderem Folgendes bedeuten: Ein Arbeitslosengeld-II-Bezieher, bei dem Krebs diagnostiziert wird, muss zu einer Chemotherapie. Eine solche Behandlung dauert in der Regel länger als 21 Tage. Damit hat er die Bagatellgrenze überschritten. Das heißt, nach einigen Wochen wird diesem Menschen das ohnehin niedrige Arbeitslosengeld II gekürzt, und zwar um 121 Euro. In einer Situation, in der es diesem Menschen schon richtig dreckig geht, wird also noch eins obendrauf gesetzt. Ich finde, diese Verordnung muss gestoppt werden. ({1}) - Frau Nahles, da Sie mich gerade fragen, wie ich auf 121 Euro komme, empfehle ich Ihnen, nachzulesen, welche Aussagen von Mitgliedern Ihrer Regierung, zum Beispiel von Klaus Brandner, getroffen wurden. ({2}) Diese Verordnung ist eines der ersten Produkte des unter neuer Führung stehenden Sozialministeriums. Herr Staatssekretär Brandner und Herr Minister Scholz, ich muss Ihnen sagen: Sie starten mit einer grandiosen Fehlleistung, und zwar in dreifacher Hinsicht: Erstens. Diese Verordnung ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. ({3}) Die Bundesregierung begründet ihren Schritt wie folgt - ich zitiere -: Andernfalls würde es durch einen Aufenthalt im Krankenhaus zur Einkommensverbesserung kommen. ({4}) Glauben Sie denn wirklich, die Arbeitslosengeld-II-Bezieher stürmen jetzt haufenweise in das Krankenhaus, nur weil sie dort verpflegt werden? ({5}) So gut ist das Krankenhausessen für Kassenpatienten wahrlich nicht. Außerdem müsste auch Ihnen bekannt sein, dass ein Aufenthalt im Krankenhaus mit zusätzlichen Kosten einhergeht. So ist zum Beispiel das Telefonieren im Krankenhaus wesentlich teurer. Nach einer schweren OP ist man geschwächt, kann nicht mit dem Fahrrad fahren und muss womöglich Geld für ein Taxi bezahlen. Im Übrigen ist es sehr wahrscheinlich, dass nach einer schweren Erkrankung oder nach einer schweren Operation höhere Kosten anfallen, zum Beispiel deshalb, weil Heilmittel oder gesündere Lebensmittel erworben werden müssen. Ich meine, Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die gerade eine schwere Krankheit durchgemacht oder eine schwere Operation hinter sich haben, sollten nicht auch noch dadurch schikaniert werden, dass der Regelsatz des ALG II um 35 Prozent gekürzt wird. ({6}) Zweitens ist Ihre Verordnung vor allen Dingen eines: ein Bürokratievermehrungsprogramm. Herr Alt von der Bundesagentur für Arbeit hat es gestern im Sozialausschuss auf den Punkt gebracht, indem er sagte - ich zitiere erneut -: Der dadurch entstehende Aufwand ist für alle Beteiligten ärgerlich. Drittens. Diese Verordnung ist ein Schlag ins Gesicht des Parlaments. Der Petitionsausschuss hat einstimmig beschlossen, dass das Arbeitslosengeld II eine pauschalierte Leistung ist und dass das Krankenhausessen deswegen kein Grund für eine Rückforderung sein kann. ({7}) Wir alle haben dies am 25. Oktober dieses Jahres einstimmig bestätigt. Die Bundesregierung aber ignoriert dieses Votum des Parlaments und verabschiedet diese Verordnung einfach. Ich finde, jeder Abgeordnete, der noch einen Funken parlamentarischer Ehre im Leib hat, darf sich das nicht gefallen lassen. ({8}) Wir alle sollten jetzt klar sagen: Stopp mit dieser Verordnung! ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, zeigen Sie, dass Sie mehr sind als die Westentaschenreserve der Regierung! Sorgen Sie dafür, dass ein Krankenhausaufenthalt für Arbeitslosengeld-II-Bezieher nicht zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II führt! ({10}) Im zweiten Antrag, den die Fraktion Die Linke zur Abstimmung stellt, ist eine Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 40 Euro für Asylsuchende und Arbeitslosengeld-IIBeziehende vorgesehen. ({11}) - Sie haben sich ja wiederholt echauffiert, dass sich ausgerechnet die Linke für Weihnachten einsetzt. ({12}) - Da Sie gerade „Ja, klar!“ rufen: Der Umgang mit Weihnachten war in der DDR nicht gerade unverkrampft; das kann man so sagen. ({13}) Das hat zum Glück aber nichts daran geändert, dass Weihnachten auch für die meisten konfessionslosen Menschen eine wichtige Familientradition ist. Im Übrigen finde ich, dass das, was Sie hier starten, ein ganz erbärmliches Ablenkungsmanöver ist. ({14}) Im Sozialausschuss hat sich eine Vierparteienkoalition gebildet - von der FDP über die CDU/CSU und die SPD bis hin zu den Grünen -, die sich in der Ablehnung der Einführung einer Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 40 Euro einig ist. Hier muss ich insbesondere an die Adresse der Christdemokraten und der Sozialdemokraten sagen: Die Ablehnung einer so bescheidenen Weihnachtsbeihilfe von gerade einmal 40 Euro ist beschämend, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der sehr unbescheidenen Diätenerhöhung, die hier vor kurzem beschlossen wurde. ({15}) Ich bin der Meinung, dass auch die Menschen, die auf den Bezug des Arbeitslosengeldes II oder auf die Gewährung von Asyl angewiesen sind, das Recht auf ein schönes Weihnachtsfest haben. ({16}) Deswegen stellen wir heute die Einführung einer Weihnachtsbeihilfe zur Abstimmung. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über zwei Anträge haben wir heute zu befinden. Es ist richtig, dass der Petitionsausschuss und am 25. Oktober 2007 der Deutsche Bundestag beschlossen haben, dem Ministerium für Arbeit und Soziales eine Petition mit dem Anliegen, auf die Verrechnung der Regelleistungen im SGB II bei einem stationären Aufenthalt zu verzichten, zur Erwägung zu überweisen, auch weil eine Rechtsgrundlage dafür fehlte. Grundsätzlich ist jedoch die Bundesregierung, der eine Petition zur Erwägung überwiesen wurde, nicht verpflichtet, das, was der Bundestag beschlossen hat - selbst wenn er das einstimmig getan hat -, zu übernehmen und das Petitum sofort umzusetzen. ({0}) Allerdings gestehe ich zu, dass es bei der Verabschiedung der Petition hier im Bundestag und der Erarbeitung der Verordnung durch das Ministerium eine Zeitüberschneidung gegeben hat. Die Bundesregierung hat nämlich am 5. Dezember 2007 eine Rechtsverordnung beschlossen und damit das getan, was in der Petition gefordert wurde: eine rechtliche Grundlage zu schaffen. ({1}) Damit ist geregelt, dass bis zu einer bestimmten Bagatellgrenze keine Verrechnungen erfolgen. Die Bagatellgrenze ist so gesetzt, dass bei einem stationären Aufenthalt von drei Wochen keine Verrechnung erfolgt. ({2}) Bei Aufenthalten, die darüber hinausgehen und bis zu sechs Monaten dauern, soll eine entsprechende Verrechnung erfolgen. Zurzeit kann jedoch niemand sagen, wie viele Bezieher von SGB II davon betroffen sind oder betroffen sein werden. ({3}) Ich gehe davon aus, dass sich die allermeisten Betroffenen nicht länger als drei Wochen einem Krankenhausaufenthalt unterziehen müssen. Das wäre ihnen auch sehr zu wünschen. ({4}) Sollte sich dann in den nächsten Monaten herausstellen, dass die durch die Rechtsverordnung entstehenden Verwaltungsaufwendungen zu hoch sind und in keinem Verhältnis zu dem möglichen Erfolg stehen, halte ich es für richtig, die Rechtsverordnung im Sinne von Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung noch einmal zu überdenken und dem Anliegen des Petitionsausschusses zu entsprechen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spieth?

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. ({0}) Daher lehnen wir den Antrag der Linken ab. Höhepunkt der zahlreichen Anträge, die die Linken uns in diesem Jahr im Deutschen Bundestag beschert haben, ist aber der Antrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung ansteht: die Einführung eines Weihnachtsgeldes für alle Grundsicherungsempfänger in Höhe von 40 Euro. ({1}) Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden die einzelnen Leistungen pauschaliert. Daher ist der Regelsatz im SGB II auch höher als der Regelsatz nach dem alten Bundessozialhilfegesetz. Darin eingeschlossen sind auch sogenannte Weihnachtsbeihilfen. ({2}) - Herr Trittin, auch Ihre Fraktion ist dagegen. Ich wäre an Ihrer Stelle vorsichtig. Nun erleben wir, dass zu jeder Gelegenheit zusätzliche Leistungen des Staates an die Empfänger von Grundsicherung gefordert werden. Während die einmalige Leistung für besonderen Aufwand - das sage ich sehr offen - bei der Einschulung von Kindern oder bei einer möglichen Mittagsversorgung an den Schulen für mich durchaus nachvollziehbare Sachleistungen wären, und zwar für die Kinder, die auf Sozialgeld angewiesen sind, kann ich weitere Zuwendungen, die über die jetzt pauschalierten Sätze hinausgehen, nicht nachvollziehen. Ich will Ihnen einen weiteren Gesichtspunkt nennen. Nach den Regeln des SGB II hat jede Bedarfsgemeinschaft die Möglichkeit, zu dieser Grundsicherung 100 Euro im Monat ohne Abzug hinzuzuverdienen. Legt man von diesen 100 Euro jeden Monat 3,50 Euro zurück, kommt man auf 42 Euro, die man gut für Weihnachten, so wie Sie es gewünscht haben, einsetzen kann. ({3}) Ich bin sogar skeptisch, ob zusätzliche Barleistungen dort wirklich ankommen. ({4}) Was die betroffenen Menschen brauchen - und jetzt hören Sie bitte genau zu; vielleicht können Sie das ja auch -, ({5}) ist unmittelbare, direkte Hilfe, um aus dem Leistungsbezug nach SGB II herauszukommen. ({6}) Das ist insbesondere für diejenigen Kinder notwendig, die Sozialgeld beziehen und auf Unterstützung und Förderung angewiesen sind, damit sie nicht auf Dauer - anders als ihre Eltern - von Sozialleistungen abhängig werden. ({7}) Alle Anträge der Linken zielen aber darauf ab, die Geldleistungen zu erhöhen. Nicht ein einziger Antrag der Linken beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie Menschen aus dem Leistungsbezug herausgeholt werden können, und zwar außerhalb staatlicher Arbeitsmarktprogramme. ({8}) Kurz vor Weihnachten geht es Ihnen weder um Weihnachten noch um die Menschen. Es geht Ihnen ausschließlich darum, pünktlich zu Weihnachten Forderungen zu erheben, die ans Gemüt gehen, mit dem Ziel, hier im deutschen Parlament alle Parteien vorzuführen, die gegen diese Forderungen sind und sie ablehnen. ({9}) Sie wissen genau, dass alle anderen Parteien Ihren Antrag ablehnen werden. Rechtzeitig zum christlichen Weihnachtsfest wollen Sie gute Taten organisieren und die Mitglieder aller anderen Fraktionen in diesem Hohen Haus als böse Menschen hinstellen, weil sie Ihren Antrag ablehnen. ({10}) Dies tun sie unter anderem deswegen, weil alles vom Steuerzahler finanziert werden muss. ({11}) Dieses Verhalten, das Sie an den Tag legen, ist - ich sage Ihnen das in aller Deutlichkeit - heuchlerisch. Ich bleibe dabei: Ihnen geht es nicht um die Menschen. In Marzahn-Hellersdorf hat der von Ihnen gestellte Bezirksbürgermeister die finanzielle Förderung der Arche - das ist eine christliche Einrichtung, in der vielen Kindern, die Sozialgeld bekommen, geholfen wird - systematisch abgeschafft. ({12}) Die Arche hat die jungen Menschen gefördert und ihnen Perspektiven gegeben. Das passte Ihnen nicht. Deswegen haben Sie der Arche Ihre Unterstützung entzogen. ({13}) Die Arche zeigt Perspektiven auf, wie Kinder auf Dauer ohne Sozialgeld auskommen können. Sie lehnen das ab. Dort, wo Sie regieren, haben Sie ein großes Interesse daran, dass die Menschen weiter unzufrieden bleiben. Denn unzufriedene Menschen bilden Ihr Wählerpotenzial. ({14}) Dieses Wählerpotenzial instrumentalisieren Sie für Ihre parteipolitischen Zwecke. ({15}) Sie verwenden in Ihrem Antrag - das will ich Ihnen nicht verwehren - das Wort „Weihnachtsfest“. Dann sagen Sie doch aber bitte in Ihrer eigentlichen Diktion, dass es Ihnen nicht um ein Weihnachtsgeld geht, sondern um eine „geflügelte Jahresendzeitprämie“. ({16}) Ihre eigentliche Wertschätzung für die christliche Botschaft des Weihnachtsfestes wird daran deutlich, wie Sie mit christlichen Initiativen umgehen. Meine Damen und Herren, ich sage in aller Deutlichkeit: Ich halte Ihre Argumentation hier im Parlament im Hinblick auf Ihr Verhalten dort, wo Sie regieren, für doppelzüngig und doppelbödig. Sie zeigen Ihr wahres Gesicht außerhalb des Parlaments! ({17}) Ich würde Ihnen dringend raten, den Menschen ein anderes Geschenk zu machen. Das größte Geschenk, das Sie den Betroffenen machen könnten - auch den 177 000 Kindern, die in Marzahn-Hellersdorf in Bedarfsgemeinschaften wohnen -, wäre es, mit aller Kraft mitzuhelfen, dass diese Menschen einen Job bekommen, um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft verdienen zu können. ({18}) Instrumentalisieren Sie nicht auch noch das Weihnachtsfest - das nach Ostern höchste Fest der Christen für Ihre Interessen. Wie wollen Sie eigentlich erklären, dass diejenigen, die nur wenig mehr Geld verdienen, als ALG-II-Empfänger bekommen, keinen staatlichen Zuschuss erhalten, obwohl sie die Steuern aufbringen, mit denen das Weihnachtsgeld finanziert werden soll? ({19}) Was sagen Sie den Rentnern, deren Renten nur etwas höher sind als die Grundsicherung im Alter? Wir lehnen Ihren Antrag ab. Ich bitte Sie herzlich, den Ausschuss und das Parlament mit weiteren Anträgen zu verschonen, ({20}) mit denen Sie nur nachforschen wollen, wie Sie an Geld kommen können, mit denen Sie aber nicht aufzeigen, wie Menschen neue Perspektiven für ihr Leben gewinnen können. Ich danke Ihnen. ({21})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich nun dem nächsten Redner das Wort erteile, will ich darauf hinweisen, dass der Kollege Leutert bei den Ausführungen des Kollegen Schiewerling gerade zugerufen hat: „Der spinnt doch!“ ({0}) Herr Kollege Leutert, das ist nicht der Umgangston, der in diesem Hause gepflegt wird. Ich erteile Ihnen eine Rüge. ({1}) Nun hat das Wort zu einer Kurzintervention der Kollege Spieth.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kollege Schiewerling, sind Sie erstens bereit, zuzugeben, dass jeder Patient, der in ein Krankenhaus muss, 28 Tage in einem Kalenderjahr Krankenhaustagegeld, und zwar täglich 10 Euro, zahlen muss? Sind Sie zweitens bereit, zuzugeben, dass das Krankenhaustagegeld, das die Patienten zahlen müssen, von Norbert Blüm, dem damaligen Minister der CDU/CSU, mit der Begründung eingeführt wurde, dass die Patienten damit einen Teil der „Hotelleistungen“ des Krankenhauses - so wurde das genannt - finanzieren sollen, das heißt, dass sie beispielsweise für Verpflegungsleistungen zahlen sollen? Sind Sie drittens bereit, zuzugeben, dass man Arbeitslosengeld-II-Empfänger, wenn man ihnen dieses Krankenhaustagegeld abverlangt und ihnen gleichzeitig Mittel durch eine pauschale Kürzung entzieht, doppelt zur Kasse bittet, hier also, verglichen damit, wie andere Patienten behandelt werden, eine Ungleichbehandlung vorliegt? Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass dies sozial unzulässig ist und dem entschieden zu widersprechen ist? ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Schiewerling, bitte.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin bereit, zuzugeben, dass Empfänger von SGB-IILeistungen nach den derzeitigen Entwürfen der Bundesregierung in den 21 Tagen, in denen sie im Krankenhaus sind, keine Abzüge von ihren SGB-II-Leistungen bekommen sollen; das ist die Regel. Ich bin gerne bereit, zuzugeben, dass sich die Verordnung, um die es geht, in den nächsten Monaten in der Praxis bewähren muss; dann wird noch einmal eine Prüfung erfolgen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Haustein für die FDPFraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Oh du fröhliche, oh du selige Weihnachtszeit“, so schallt es in den Kirchen und Stuben zu Weihnachten in ganz Deutschland und fast in aller Welt. ({0}) Weihnachten ist ein schönes Fest. Die Christen gedenken der Geburt Jesu. In einem anderen Lied heißt es: „Gottes Sohn ist Mensch geworden“. Das gibt den Menschen Halt, innere Kraft und einen Sinn in ihrem Leben. Deshalb ist es nicht in Ordnung, ist es scheinheilig, wenn die Linken die religiöse Bedeutung des Weihnachtsfestes nutzen und einen Antrag auf Einführung der Zahlung eines Weihnachtsgeldes stellen. Das ist Populismus! ({1}) Sie sind die Nachfolgerin der DDR-Partei SED, die mit dem Weihnachtsfest doch nun wirklich nichts am Hut hatte: Man durfte nicht „Engel“ sagen; dies war tatsächlich eine Jahresendfigur mit Flügeln. Sie müssen sich vorstellen: Das Wort „Christfest“ war nicht erwünscht - es wurde gemobbt -; man musste stattdessen „Weihnachtsfest“ sagen. Auf den Weihnachtspyramiden durfte nicht Christi Geburt dargestellt werden; stattdessen wurde der Sandmann dargestellt. Und Sie stellen hier rein polemische Anträge!

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping? ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege, Sie haben uns mit Verweis auf unseren Antrag Scheinheiligkeit vorgeworfen. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Scheinheiligkeit gibt es bei Ihnen; das stimmt.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Deshalb möchte ich erstens fragen, ob es nicht scheinheilig ist, wenn Sie die Weihnachtsbeihilfe, die wir vorschlagen, ablehnen und das mit Ausführungen über die Geschichte von vor mehr als 17 Jahren begründen, ({0}) anstatt zu sagen, welche aktuellen Argumente Sie für die Ablehnung der Weihnachtsbeihilfe haben. Zweitens möchte ich Sie fragen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Partei Die Linke sehr wohl kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt hat, ({1}) dass sich in unseren Reihen viele Menschen verschiedener Konfessionen befinden, dass - auch wenn das vielleicht nicht in Ihr oder in das Weltbild der CDU/CSU passt - auch Menschen, die sich eher dem Atheismus oder dem Laizismus verpflichtet fühlen, Weihnachten als eine wichtige Familientradition anerkennen und praktizieren ({2}) und dass insofern Menschen, egal ob sie einer Konfession angehören oder konfessionslos sind, das Recht auf ein schönes Weihnachtsfest haben? ({3})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Kipping, ich freue mich über jeden Menschen, der Weihnachten feiert, wenn er es denn ehrlich meint. Sie sagen, es sei unehrlich, dass wir die Weihnachtsbeihilfe von 40 Euro ablehnen. Dazu sage ich Ihnen: Es gibt viele Menschen, die von früh bis spät arbeiten und noch weniger als ein ALG-II-Empfänger haben. Diese würden diese Weihnachtsbeihilfe nicht erhalten. ({0}) Das haut also nicht hin. Wenn Sie sich mit Ihrer Vergangenheit kritisch auseinandersetzen wollen, dann sollten Sie das offen und ehrlich tun und Tabula rasa machen. Ich habe nämlich den Eindruck, dass das in Ihrer Partei nicht der Fall ist. ({1}) Wir geben in unserem Land alles in allem 686 Milliarden Euro für Soziales aus. Das ist eine unvorstellbare Summe. Wir geben allein 42 000-mal 1 Million Euro für das ALG-II - sprich: Hartz IV - aus. Trotzdem fühlen sich Menschen ungerecht behandelt. Das ist so nicht in Ordnung. Darüber, dass das natürlich ausgenutzt wird und dass wir ihnen damit den Ball zuspielen, sollten wir einmal genau nachdenken. Wir müssen Hartz IV, so wie es jetzt vorliegt, so verändern, dass man es schnell abschaffen könnte. Wir brauchen ein liberales Bürgergeld, das den Menschen eine Grundsicherung bietet, ({2}) und nicht diese Bürokratie und die vielen einzelnen Leistungen bei Hartz IV. Wir haben nämlich noch ein Problem: Bei den vielen Anträgen, die die Linken hier einbringen, geht es nicht nur um eine Kürzung des Regelsatzes um 35 Prozent für das Krankenhausessen oder um ein Weihnachtsgeld von 40 Euro. Es geht auch darum, dass von der linken Seite des Hauses - das meine ich ernst - immer wieder versucht wird, den sozialen Frieden in diesem Land zu torpedieren und zu unterwandern. Liebe Demokraten, das muss uns Sorge bereiten. Wir müssen uns einmal überlegen, was wir hier zu tun haben; ({3}) denn es ist nicht gut, dass in diesen Anträgen, die hier vorgelegt werden, alles so dargestellt wird, als seien wir den Menschen gegenüber unsozial, unchristlich und unfair. ({4}) Das ist nämlich nicht so. Bei dem Geld, das wir in diesem Land für den sozialen Bereich ausgeben, kann man von mehr als von sozialer Gerechtigkeit sprechen. Eine hundertprozentige Gerechtigkeit aber werden Sie auf der Welt nicht finden. Weil das Weihnachtsfest vor der Tür steht, schenke ich Ihnen allen etwas, und zwar eine Minute meiner Redezeit und damit eine Minute Ihrer Lebenszeit. Ich wünsche Ihnen ein herzliches Glückauf aus dem Erzgebirge. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, damit haben Sie sicher vielen eine Freude bereitet. Ich erteile nun das Wort der Kollegin Gabriele HillerOhm für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte eigentlich erwartet, dass die Linksfraktion ihren Antrag zur Einführung der Weihnachtsbeihilfe spätestens heute zurückzieht; denn er ist irreführend, unsystematisch und überflüssig. ({0}) Die Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieher ist keineswegs ersatzlos weggefallen, wie das durch den Titel des Antrages unterstellt wird. Richtig ist, dass alle Beihilfen im Zuge der Sozialreformen 2003 bis 2005 in einen erhöhten pauschalierten Regelsatz eingeflossen sind. ({1}) Probleme gab es allerdings bei Sozialhilfeempfängern, die in Heimen leben. Nicht alle Länder und Kommunen hatten die Weihnachtsbeihilfe nach der Reform an die Betroffenen weitergegeben. Diese Schlechterstellung haben wir im letzten Jahr per Gesetz beseitigt. Seit 2006 erhalten also alle Grundsicherungsbezieher wieder Weihnachtsbeihilfe. ({2}) Übrigens, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Sie haben unsere Initiative für die Heimbewohner nicht unterstützt. ({3}) Weihnachten steht vor der Tür. Da macht es sich gut, etwas zu fordern, was es schon gibt. So kann man Politik machen, muss man aber nicht. Wir haben uns unter RotGrün ganz bewusst von den vielen Beihilfen verabschiedet und mit der Pauschalierung dieser Leistungen einen längst überfälligen Systemwechsel in der Sozialhilfe durchgeführt. ({4}) Die Linksfraktion will nun zurück zu den alten Praktiken. Oder ist das nur eine Politik der Beliebigkeit? Betrachtet man den zweiten heute vorliegenden Antrag der Linksfraktion, so zeigt sich ein deutlicher Widerspruch. Wird die Pauschalierung im Hinblick auf die Weihnachtsbeihilfe infrage gestellt, so wird sie bei der Anrechnung von Verpflegungsleistungen vehement verteidigt. ({5}) Die Pauschalierung ist sicher kein Allheilmittel. Auch sie hat Schwächen, weil sie in Einzelfällen zu unflexibel ist. Sie war damals eine Forderung der Sozialhilfepraktiker, die die Pauschalierung über Jahre in landesspezifischen Modellprojekten erprobt hatten. Es gibt gute Gründe für die Pauschalierung der Leistung. Erstens wurde damit die Verwaltung vereinfacht. Vor der Reform mussten Küchengeräte, Bekleidung oder Möbel einzeln beantragt werden. Dies war nicht nur äußerst bürokratisch, sondern bedeutete für viele Menschen eine wiederkehrende Demütigung. ({6}) Für jede Sonderleistung mussten sie zum Amt und waren auf das Wohlwollen ihres Sachbearbeiters angewiesen. ({7}) Das zweite Ziel der Pauschalierung war deshalb die Schaffung einer größeren wirtschaftlichen Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. ({8}) Die Sicherung des Existenzminimums ist zu wichtig, um je nach Jahreszeit neue populistische Forderungen aufzustellen, die wenig durchdacht sind. ({9}) Die SPD will substanzielle Verbesserungen für Sozialhilfe- und Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Wir wollen ein Gesamtkonzept aus überarbeiteter Regelsatzbemessung, Sonderbedarfen für Kinder sowie Verbesserungen der sozialen Infrastruktur. ({10}) Ich habe es in meiner Rede zur ersten Lesung des Antrages der Linksfraktion bereits gesagt, aber ich wiederhole es gern: Es muss in erster Linie unser Ziel sein, dass kein Mensch auf Weihnachtsbeihilfe oder sonstige Zuwendungen angewiesen ist. ({11}) Wir müssen deshalb neben angemessenen finanziellen Sozialtransfers vor allem in aktivierende Maßnahmen investieren. Dazu gehört, Arbeitsplätze zu schaffen. Hier haben wir sehr viel erreicht. Innerhalb von zwei Jahren wurde die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland um über 1 Million Menschen gesenkt. ({12}) Mindestlöhne einführen! Der beste Schutz gegen Armut und Sozialleistungsbezug sind vernünftige Löhne. ({13}) Für Briefdienstleistungen werden wir morgen einen guten Mindestlohn auf den Weg bringen. Weitere Branchen werden folgen. ({14}) Beschäftigungsalternativen bieten! Für diejenigen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Beschäftigung finden, haben wir Alternativen geschaffen. Der QualiKombi für junge Arbeitsuchende und das Programm Jobperspektive für Langzeitarbeitslose sind angelaufen. Soziale Infrastruktur stärken! Wir brauchen insbesondere für unsere Kinder vernünftige Infrastrukturen, die für angemessene Schulbildung, Verpflegung, Gesundheit und Schutz sorgen. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung haben wir hier bereits einen großen Schritt getan. ({15}) Ich komme zum zweiten Antrag. Mit drastischen Worten verkündet der Vorsitzende der Linksfraktion Oskar Lafontaine jüngst in einer Pressemitteilung, die Regierung kürze Arbeitslosengeld-II-Empfängern bei Krankenhausaufenthalten den Regelsatz. Dies ist - wie beim ersten Antrag - wieder eine effektheischende Dramatisierung. Das ist ganz klar. Richtig ist, dass das Bundesministerium per Verordnung eine Klarstellung des Sachverhalts vorgenommen hat. Die Verordnung legt unter anderem fest, wie zukünftig mit dem Anteil für Verpflegung im Regelsatz von Arbeitslosengeld-II-Beziehern im Fall eines Krankenhausaufenthaltes umgegangen werden soll. ({16}) An dieser Stelle ist eine Klarstellung dringend nötig. Bis heute bestimmen nämlich die Sozialgerichte darüber, ob - und wenn ja, um wie viel - der monatliche Betrag gekürzt werden darf, wenn die Essensversorgung anderweitig gesichert ist. Die Sozialgerichte haben diese Frage sehr unterschiedlich mit den entsprechenden Folgen für die Betroffenen beurteilt. Während beispielsweise ein ALG-II-Bezieher in Schleswig seinen vollen Regelsatz behalten durfte, sah es das Sozialgericht Karlsruhe als statthaft an, sogar mehr als den Essensanteil von rund 35 Prozent des Regelsatzes zu kürzen. Um diese Ungleichbehandlung zu beenden, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Regelung entworfen, die vorsieht, dass der bei einem Krankenhausaufenthalt gesparte Essensanteil am Regelsatz - also 35 Prozent - prinzipiell gegengerechnet werden darf. Allerdings - dies unterschlagen die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion - wurde eine Bagatellgrenze von rund 83 Euro eingezogen. Diese Bagatellgrenze wird die meisten Menschen vor einer Kürzung ihrer Regelleistung schützen. Selbst nach 20 Tagen stationärer Behandlung würden sie noch ihren vollen Regelsatz erhalten. ({17}) Die Verwaltungsverordnung wird den derzeitigen sehr unbefriedigenden Zustand deutlich verbessern und Rechtssicherheit für die Betroffenen schaffen. Aber auch wir sehen Probleme. Erstens. Das Justizministerium hat zwar grünes Licht für die Verordnung gegeben, der Petitionsausschuss des Bundestages schätzt die Gesetzeslage jedoch einstimmig anders ein. Er meint, dass in diesem Punkt eine Verordnung nicht ausreicht und wir eine gesetzliche Regelung brauchen. Dieser Widerspruch muss geklärt werden. Zweitens frage ich mich, ob die Regelung tatsächlich Einsparungen erbringt. Man muss hierbei auch anfallende Verwaltungskosten gegenrechnen. Drittens müssen wir uns die Frage stellen, ob im Falle eines Krankenhausaufenthaltes für die betroffenen Menschen Mehrkosten anfallen. Sie sparen das Geld für Verpflegung, aber möglicherweise müssen entsprechende Kleidung oder Hygieneartikel besorgt werden, die dann nicht über den Regelsatz abgedeckt sind. ({18}) Eine Anrechnung der Verpflegung könnte somit dem Pauschalierungsgrundsatz widersprechen, der gerade darin besteht, dass Besonderheiten des Einzelfalles auszublenden sind. Auch auf unserer Seite gibt es also noch offene Fragen, die geklärt werden müssen. Wir lehnen den Antrag der Linksfraktion ab, weil wir im Frühjahr die Regelsätze generell auf den Prüfstand stellen werden. In diesem Zusammenhang werden wir dann auch die Verwaltungsverordnung gründlich unter die Lupe nehmen. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, die Gespräche noch ein paar Minuten einzustellen und dem letzten Redner in der Debatte Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Es spricht der Kollege Markus Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0}): Jetzt sind wir aber sehr gespannt!)

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hiller-Ohm, ich habe Ihr Plädoyer für die Pauschalierung und die Argumentation, mit der Sie die Weihnachtsbeihilfe abgelehnt haben, sehr genau verfolgt. Wenn Sie aber keine zusätzlichen Leistungen wollen, dann können Sie das Prinzip nicht nach Gutdünken durchbrechen, wo es Ihnen zum Zweck der Kürzung passt. ({0}) Mit dem gleichen Argument könnten wir mit einer Rechtsverordnung den Obdachlosen den Regelsatz um den Stromkostenanteil kürzen und das damit begründen, dass sie schließlich keinen Wasserkocher, keinen Toaster, keine Waschmaschine und dergleichen brauchen. Ich finde, man muss sich diese Verordnung grundsätzlich unter dem Aspekt der Bürokratieproduktion noch einmal genauer anschauen. Die Zahl der Sozialgerichtsverfahren 2006 belief sich auf rund 100 000. Im ersten Halbjahr 2007 gab es eine Steigerung um 38 Prozent. Alleine in Berlin sind im Monat Oktober 2 000 Klagen eingegangen. Ein Drittel dieser Klagen war erfolgreich. Was müsste also eine Bundesregierung sinnvollerweise in dieser Situation tun, wenn sie eine Rechtsverordnung zu einem derart beklagten und umstrittenen Gesetz erlässt? Ganz einfach: Sie müsste die Rechtsanwendung vereinfachen und die Vorschriften zur Durchführung verständlich machen. Mit dieser neuen Arbeitslosengeld-II-Verordnung wird jedoch genau das Gegenteil gemacht. Ich möchte das einmal an einem Beispiel, das hier noch nicht zur Sprache gekommen ist, nämlich am Beispiel der Selbstständigen, anschaulich machen. Selbstständige, die zeitweise auf Arbeitslosengeld-II-Leistungen angewiesen sind, sollen nach dieser Verordnung in Zukunft nur noch solche Ausgaben geltend machen können, die den Lebensumständen eines Arbeitslosengeld-IIBeziehers angemessen sind. Was soll das heißen? Darf sich dann ein Existenzgründer noch einen neuen Laptop leisten, oder tut es auch ein gebrauchter? Oder ist der geleaste Mittelklassewagen, mit dem ein Versicherungsvertreter versucht, sich selbstständig zu machen, noch angemessen, oder sagt man: „Du brauchst nur einen gebrauchten Kleinwagen“? Fragen über Fragen! Meine Damen und Herren von der Koalition, was ist der Sinn einer Rechtsverordnung? Fragen Sie sich das einmal ganz grundsätzlich. Eine Rechtsverordnung soll unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz konkretisieren. Sie machen genau das Gegenteil. Sie schaffen unbestimmte Rechtsbegriffe, wo das Gesetz eindeutig ist. Das ist absurd. Das ist ein Fall für den Normenkontrollrat. ({1}) Hat denn der Nationale Normenkontrollrat Ihre Verordnung gesehen? Der Vorstand der Bundesagentur hat gestern im Ausschuss auf meine Nachfrage hin deutlich gemacht, dass die Verwaltungsaufwendungen, die mit dieser Verordnung verbunden sind, die Einsparungen des Arbeitslosengeldes II, die dort eventuell erzielt werden, übersteigen. Das kann man doch keinem normalen Menschen außerhalb dieses Hauses mehr vermitteln. ({2}) Meine Damen und Herren, abgesehen von der rechtlich und sozialpolitisch fragwürdigen Anrechnung von Krankenhausverpflegung als Einkommen - es gibt ja auch anderslautende Gerichtsurteile als die, die eben hier zitiert wurden - ist das ein Musterbeispiel für Bürokratieproduktion. Ich erinnere daran: Wenn die Gerichte nicht mehr mit dem Ansturm an Verfahren zurechtkommen, dann denken Sie nicht etwa daran, das Recht und die Anwendung des Rechts zu vereinfachen, sondern Sie wollen im nächsten Jahr das Sozialgerichtsgesetz ändern. Offensichtlich denken Sie daran, das Beschreiten des Rechtswegs zu erschweren. Es ist die hehre Aufgabe der Opposition, diesen Mechanismus offenzulegen und der Öffentlichkeit zuzuführen. Warten Sie nicht, Herr Schiewerling, bis zum nächsten Jahr, um die Verwaltungsaufwände zu analysieren. Das ist bereits jetzt ganz klar absehbar. Wir werden dem Antrag der Linken zustimmen, uns aber dieser komischen Arbeitslosengeld-IIVerordnung noch einmal eingehend widmen. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst stimmen wir unter Tagesordnungspunkt 10 a über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7467 mit dem Titel „Anrechnung von Sachleistungen auf die Regelleistung des SGB II bei stationärem Aufenthalt ausschließen“ ab. Anders als in der Tagesordnung angekündigt, soll über diesen Antrag heute abgestimmt werden. Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass wir anschließend noch andere Abstimmungen haben. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Stimmen auszuzählen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Abstimmungen fort. Damit ich eine bessere Übersicht habe, bitte ich Sie, Platz zu nehmen. Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 10 b. Dabei geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einführung einer Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieherinnen und Grundsicherungsbezieher“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7511, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7041 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft - Drucksache 16/3291 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 16/7506 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb Klaus Uwe Benneter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jörn Wunderlich Jerzy Montag Die Kolleginnen und Kollegen Ute Granold, Klaus Uwe Benneter, Mechthild Dyckmans, Jörn Wunderlich und Irmingard Schewe-Gerigk sowie der Parlamenta- rische Staatssekretär Alfred Hartenbach haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben.1) Wir stimmen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft ab. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7506, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/3291 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({1}), Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein schärferes Waffengesetz - Drucksache 16/6961 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten 1) Anlage 6 Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort die Kollegin Silke Stokar von Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen Antrag auf Verschärfung des Waffengesetzes eingebracht, weil uns der Entwurf der Bundesregierung, des ansonsten eher als Hardliner auftretenden Bundesinnenministers, nicht weit genug geht. ({0}) Vielleicht haben einige von Ihnen die Nachrichten von heute und der letzten Tage verfolgt: Die Stadt Hamburg hat die Reeperbahn, also die Hamburger Rotlichtmeile, mit großen Schildern umstellt. Sie hat die Reeperbahn zu einem gefährlichen Ort erklärt. Auf diesen großen Schildern steht, dass an diesem Ort das Tragen von gefährlichen Messern verboten ist. Als diese Öffnungsklausel beschlossen worden ist, habe ich bereits sehr deutlich gemacht: Uns geht dieser Ansatz nicht weit genug. Was wollen Sie eigentlich den Eltern von Jugendlichen sagen, die, vielleicht fünf Wohnblocks von der Reeperbahn entfernt, vor einer Diskothek niedergestochen werden? Ganz gleich, in welche Großstadt man schaut: Die Meldungen der letzten Monate über schwere Körperverletzungen durch gefährliche Messer, oft mit Todesfolge, dürfen uns nicht handlungsunfähig machen. Ich finde, die Initiative des Berliner Senators Körting ist genau der richtige Ansatz: Das Verbot dieser gefährlichen Messer muss ins Waffengesetz - hier hat der Bund die Zuständigkeit - aufgenommen werden. Ich kann die Haltung des Bundesinnenministers überhaupt nicht nachvollziehen. Sonst fabuliert er gern über innere Sicherheit und darüber, dass der Rechtsstaat keine hinreichenden Instrumente hat, um mit den Sicherheitsrisiken fertig zu werden. Aber an den ganz praktischen Punkten, wo er handeln könnte - dort geht es ganz konkret um die Sicherheit in unseren Stadtteilen und um das Leben von jungen Menschen -, handelt er nicht; dort, in seinem Zuständigkeitsbereich, verweigert er, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, die die Polizei braucht, um diese gefährlichen Messer tatsächlich einziehen zu können. ({1}) Das Waffengesetz - wir werden im Innenausschuss eine umfangreiche Debatte darüber führen - hat weitere sehr komplizierte Bereiche. Ich möchte nur zwei ansprechen. Für Sie vielleicht überraschend verweise ich auf die schon oft erhobene Forderung nach einem nationalen Waffenregister. Ich sage ganz klar und deutlich: Waffen haben kein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Einerseits werden in einer unendlichen Datensammelwut alle möglichen Daten von Bürgerinnen und Bürgern erfasst; andererseits weigert sich der Bundesinnenminister - dazu besteht überhaupt kein Grund -, zu erfassen, welche Waffen es in Deutschland gibt. Hier brauchen wir Europa, um zu einer Erfassung von gefährlichen Waffen zu kommen. Auch hier verstehe ich die Verweigerung des Handelns nicht. Wir sind - das sage ich klar und deutlich - für ein nationales Waffenregister. ({2}) Der zweite Punkt, den ich hier ansprechen möchte und der schon oft vorgetragen wurde, zum Beispiel von der Gewerkschaft der Polizei - auch dort handeln Sie nur halbherzig -, betrifft die sogenannten Anscheinswaffen. Es ist doch nicht zu verkennen, dass wir eine Lücke im Waffengesetz haben. Zunehmend werden Überfälle mit Waffen begangen, die täuschend echt aussehen, also wie richtige, schussbereite Waffen. Immer wieder passiert es, dass Polizisten, die meinen, sie seien in einer Notwehrsituation, selbst die Waffe ziehen, weil ihr Gegenüber mit einer sogenannten Anscheinswaffe bewaffnet ist. Es gab heute im Düsseldorfer Landtag in NRW genau zu diesem Punkt eine Debatte. Dort hat die SPD-Vertreterin aus der Opposition heraus klar gefordert, dass Anscheinswaffen in dieser Form nicht mehr auf den Markt kommen dürfen und dass sie farblich gekennzeichnet sein müssen. Wir sind für diese Kennzeichnung, wir sind zum Teil aber auch für ein Verbot der Herstellung dieser Anscheinswaffen. Was Sie im Düsseldorfer Landtag in der Opposition fordern, sollten Sie hier im Bundestag mittragen. ({3}) Außer einem verschärften Waffengesetz brauchen wir so etwas wie eine Kampagne oder Initiative mit dem Motto: Wir wollen im öffentlichen Raum Waffenfreiheit. Wir wollen nicht, dass eine Alltagskultur entsteht, in der junge Männer meinen, es gehöre sozusagen zur Alltagskultur dieses Landes, dass man mit einem Messer in der Tasche herumläuft und die eigene Ehre oder den eigenen Stolz eventuell verteidigt, indem man dieses Messer aus nichtigem Anlass zieht. Wir brauchen an dieser Stelle gemeinsam mit den Städten, gemeinsam mit den Kommunen, gemeinsam mit den Schulen und Jugendeinrichtungen ein Konzept, das deutlich macht, dass es eben nicht Normalität ist, mit einem Butterflymesser durch die Straßen zu laufen. Das Konzept brauchen wir neben den polizeilichen Konzepten. Aber damit solche Konzepte überhaupt greifen können, bedarf es eines Verbots dieser gefährlichen Gegenstände im Waffengesetz; sonst wird es nicht möglich sein, den Jugendlichen solche Messer auch präventiv wegzunehmen, sie ihnen also wegzunehmen, bevor damit Körperverletzungen passieren. Meine Damen und Herren, ich wünsche mir eine spannende Debatte im Innenausschuss. Wir werden eine Anhörung zu diesen Themen beantragen. Es wäre schön, wenn Sie an diesem Punkt, an dem Sie handeln können, Gesetze tatsächlich einmal so scharf fassen, dass sie präventiv wirken. Danke schön. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem Ausgangspunkt Ihres Antrags, Frau Stokar, ist durchaus zuzustimmen. ({0}) Auch ich sage: Der Bundestag ist über die Zunahme von Gewaltdelikten in unserer Gesellschaft besorgt. ({1}) Richtig ist ebenfalls, dass bei Straftaten immer schneller zu Waffen gegriffen wird. Verbrechen in Deutschland werden brutaler. Alles das weisen die Kriminalitätsstatistiken aus. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte, wir springen bei weitem zu kurz, wenn wir glauben, dieses Problem allein mit einem schärferen Waffengesetz lösen zu können. ({2}) Die Koalition - Sie haben es angesprochen - berät gerade in diesen Wochen eine Verbesserung des Waffenrechts. Aber ich will deutlich machen, dass zunehmender Brutalität gerade auch bei jüngeren Straftätern mit einer Vielzahl von Maßnahmen begegnet werden muss, auch solchen, die die Grünen in der Vergangenheit immer abgelehnt haben. Nehmen wir als Beispiel nur das Jugendstrafrecht. Es widerspricht dem Erziehungsgedanken meines Erachtens überhaupt nicht, wenn wir schon bei der ersten Straftat mit einer deutlichen Sanktion des Staates reagieren. Wer als Jugendlicher mit Waffen hantiert, gewalttätig wird und andere verletzt, muss eben mit einer Kurzzeitarreststrafe belegt werden. ({3}) Die Strafe muss tatangemessen sein. Eine klare Reaktion des Staates, sozusagen ein Schuss vor den Bug, kann dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts durchaus entsprechen. ({4}) Frau Stokar, reden wir nicht drum herum - es ist wahr -: Leider ist auch bei Verdächtigen mit Migrationshintergrund eine massive Brutalisierung bei der Begehung von Straftaten festzustellen. Es gehört deshalb auch zur Generalprävention, den Ausländern bei uns klarzumachen, dass es zum Ende des Aufenthalts führt und sie abgeschoben werden, wenn sie mit Waffen Straftaten begehen. ({5}) Die Große Koalition hat auch für diese Fälle - für ein härteres Vorgehen gegen jugendliche Intensivtäter - die Weichen gestellt. ({6}) Auch das ist eine Notwendigkeit, um brutaleren Verbrechen in Deutschland entgegenzutreten. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Stokar, beim Kampf gegen Waffen auf unseren Straßen und Plätzen müssen wir für praktikable Maßnahmen sorgen. Sie haben die Gesetzesinitiative des Landes Berlin angesprochen; sie wird auch im Antrag der Grünen erwähnt. Darin wird ein Verbot des Führens von Messern gefordert. Dabei haben eine Reihe von Ländern und das BKA erhebliche Bedenken, weil sie davon ausgehen, dass es zu Abgrenzungsproblemen kommt: Was ist mit Messern von Weinrebenschneidern, Gärtnern, Jagdgehilfen und Tauchern, was ist mit Küchenmessern usw.? Etwas Entscheidendes haben Sie nicht erwähnt - das muss man deutlich sagen -: Viele Messer, Hieb- und Stichwaffen, Butterfly- und Springmesser, auch die von Ihnen angesprochenen szenetypischen Waffen, die vor Diskotheken verwendet wurden, sind bereits heute verboten. Hier gibt es keine Defizite. ({8}) Deshalb sind die Maßnahmen, die Sie vom Bundesinnenminister einfordern, unnötig. Dagegen ist es in der Tat entscheidend - Sie haben es angesprochen -, dass wir hier im Bundestag vor kurzem mit einer vorgezogenen Änderung des Waffengesetzes den Ländern die Möglichkeit eröffnet haben, bestimmte Orte zur waffenfreien Zone zu erklären. In der Tat hat Hamburg im Bereich der Reeperbahn davon Gebrauch gemacht. Da frage ich mich natürlich: Warum macht das Berlin nicht auch? ({9}) Berlin fordert Scheinlösungen. Da, wo Berlin etwas machen könnte, handelt es nicht. Das ist widersprüchlich und keine gute Sicherheitspolitik. ({10}) Ich möchte deutlich machen: Das Waffenrecht kann als flankierende Maßnahme die Eindämmung von Gewaltdelikten unterstützen, aber nicht die in Ihrem Antrag angesprochenen Vollzugsdefizite beseitigen. Zudem hat das Waffenrecht nicht die Aufgabe, das Gewaltmonopol des Staates zu sichern. Beim Waffenrecht geht es um einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen den anerkannten Interessen derer, die Waffen legal besitzen, einerseits - Jäger, Schützen und Sammler historischer Waffen - und dem Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung andererseits. Deshalb gelten schon heute sehr strenge Regelungen für den Erwerb und den Besitz von Waffen, die mit dem neuen Waffenrecht - Kollegin Fograscher, da sind wir uns einig - nicht geändert werden sollen. Beispielsweise haben wir schon in der Vergangenheit richtige Entscheidungen getroffen, indem wir das öffentliche Führen von Gas-, Schreckschuss- und Signalwaffen waffenscheinpflichtig gemacht haben. Das hat zu einer Reduzierung der Verkaufszahlen um rund 90 Prozent geführt. Damit hat es sich unter Sicherheitsgesichtspunkten bewährt. Insofern hat das Waffenrecht einen Beitrag zur Bekämpfung der Gewaltkriminalität geleistet. Lassen Sie mich mit Blick auf die Diskussion im Sommer eine Anmerkung zur Frage einer Altersgrenze für den Waffenerwerb machen - Sie sprechen das in Ihrem Antrag an -: Sie wissen ganz genau, dass der Bundesinnenminister entschieden hat, dass wir, die Koalition, die Altersgrenzen für den Erwerb von Waffen nicht ändern. Das ist klar. Gleichwohl möchte ich, auch mit Blick auf die Debatte, die dazu geführt worden ist, festhalten: Ich finde es ungerecht und in der Sache nicht gerechtfertigt, Schützen und Schützenvereine unter eine Art Generalverdacht zu stellen. Um das klar zu sagen: Das ist nicht in Ordnung. ({11}) Ihre Forderung verträgt sich nicht mit den wohlfeilen Reden, die auch viele Ihrer Kollegen halten, wenn sie zu den Schützenvereinen und zu den Kreisschützenverbandstagen gehen und dort zu Recht auf die Bedeutung der Schützenvereine für das kulturelle Leben im Dorf und für die Jugendarbeit hinweisen. Ich erlebe die Schützenvereine in meinem Wahlkreis - ich möchte das vor dem Forum des Deutschen Bundestages einmal sagen als besonnene, umsichtige und die Sicherheit wahrende Institutionen. Sie sorgen insbesondere dafür, dass gerade Jugendliche beim Umgang mit der Waffe Vorsicht, Konzentration und Respekt lernen und dann auch walten lassen. Das ist wesentlich besser, als irgendwo mit Softairwaffen herumzuballern. ({12}) Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch darauf hinweisen, dass 97 Prozent aller Straftaten, bei denen Waffen eine Rolle spielen, mit illegalen Waffen verübt werden. Insofern hat das Waffenrecht an dieser Stelle nur eine begrenzte Wirkungsmöglichkeit. Richtig ist, Frau Stokar - da stimme ich Ihnen zu -, wenn in dem Antrag die Problematik der Anscheinswaffen angesprochen wird: Von diesen Anscheinswaffen geht ein Drohpotenzial aus, weil sie zu kriminellen Zwecken eingesetzt werden können. Hinzu kommt, dass die Polizeibeamten die täuschend echt wirkenden Nachbildungen im Einsatz mit echten Schusswaffen verwechseln und dann in einer vermeintlichen Notwehrsituation von der Dienstwaffe Gebrauch machen könnten - mit verheerenden Folgen. Deswegen sage ich Ihnen: Die Koalition wird mit der Änderung des Waffenrechts alles rechtsstaatlich Vertretbare beschließen, damit künftig keinerlei Gefahr von Anscheins- und Softairwaffen ausgeht. Diese Waffen sind kein Spielzeug; sie sind gefährlich. Wir wollen, dass sie möglichst aus dem öffentlichen Straßenbild verschwinden. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Details Ihres Antrags werden wir in der Tat - Sie haben das angesprochen - im Rahmen der Waffenrechtsänderung behandeln. Nehmen Sie als Beispiel die Regelungen für Erbwaffen. Was Sie hierfür vorschlagen, ist schlicht verfassungswidrig und bringt auch keine Sicherheit. ({14}) Wir werden dafür sorgen, dass diese Waffen mit Blockiersystemen versehen werden. Das ist die gebotene Lösung, wie man dem Problem begegnen kann. Ein letzter Gedanke zur auch von Ihnen angesprochenen waffenrechtlichen Einstufung von Metallrohren, Baseballschlägern und Motorradketten: Das Problem der missbräuchlichen Verwendung von Alltagsgegenständen löst man nicht mit dem Waffenrecht. Entscheidend ist etwas völlig anderes. Hinter jeder Waffe steckt ein Mensch, der sie einsetzt. Das ist das entscheidende Problem. Da müssen wir ansetzen. Mit Erziehung, mit Bildung, mit Förderung einer Kultur des Hinsehens und - ja, auch das fordere ich - einem starken Staat, der entschlossen handelt. Darauf kommt es an. Herzlichen Dank. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 10 a und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7467 mit dem Titel „Anrechnung von Sachleistungen auf die Regelleistung des SGB II bei stationärem Aufenthalt ausschließen“ bekannt: Es wurden 532 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 96, mit Nein haben gestimmt 436. Damit ist der Antrag abgelehnt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 531; davon ja: 96 nein: 435 enthalten: 0 Ja SPD Wolfgang Spanier DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Hans-Kurt Hill Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({0}) Volker Schneider ({1}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({2}) Volker Beck ({3}) Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({4}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Renate Künast Undine Kurth ({5}) Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({6}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({7}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Ernst-Reinhard Beck ({8}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert ({9}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({10}) Ilse Falk Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({11}) Dirk Fischer ({12}) Axel E. Fischer ({13}) Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({14}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({15}) Eckart von Klaeden Julia Klöckner Kristina Köhler ({16}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({17}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({18}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({19}) Maria Michalk Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({20}) Stefan Müller ({21}) Bernward Müller ({22}) Bernd Neumann ({23}) Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({24}) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({25}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({26}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({27}) Andreas Schmidt ({28}) Ingo Schmitt ({29}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({30}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Peter Weiß ({31}) Gerald Weiß ({32}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({33}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({34}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sabine Bätzing Dirk Becker Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Lothar Binding ({35}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({36}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Renate Gradistanac Angelika Graf ({37}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({38}) Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Petra Hinz ({39}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({40}) Frank Hofmann ({41}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({42}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({43}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({44}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({45}) Michael Müller ({46}) Gesine Multhaupt Andrea Nahles Thomas Oppermann Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({47}) Ortwin Runde ({48}) Axel Schäfer ({49}) Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({50}) Silvia Schmidt ({51}) Heinz Schmitt ({52}) Carsten Schneider ({53}) Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({54}) Swen Schulz ({55}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rita Schwarzelühr-Sutter Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Jörg Vogelsänger Hedi Wegener Andreas Weigel Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({56}) Dr. Rainer Wend Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg ({57}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({58}) Angelika Brunkhorst Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({59}) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Joachim Günther ({60}) Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Patrick Meinhardt Jan Mücke Dirk Niebel ({61}) Detlef Parr Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({62}) Martin Zeil Nun fahren wir in der Debatte fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartfrid Wolff von der FDP-Fraktion. ({63})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Stokar hat einige bedauerliche Fälle genannt. Ich stimme aber Herrn Grindel ausdrücklich zu: Das Waffenrecht ist nicht das Instrument, um diesen zu begegnen. Das geltende deutsche Waffenrecht zählt zu den strengsten der Welt. Wenn die Frage gestellt wird, ob das bisherige Waffengesetz überhaupt geändert werden muss, dann lautet nach Meinung der FDP die Antwort primär folgendermaßen: Ein triftiger Grund hierfür wäre, dass das geltende Waffenrecht vereinfacht und verständlicher wird. ({0}) An der Notwendigkeit, diese Forderung zu erheben, hat sich leider auch nach der letzten Waffenrechtsreform durch die rot-grüne Koalition nichts geändert. Im Gegenteil: Von Vereinfachung, Rücknahme der Regelungsdichte, Übersichtlichkeit und Lesbarkeit kann man im Hinblick darauf wirklich nicht sprechen. ({1}) Darüber hinaus war der ursprüngliche Inhalt des Gesetzentwurfs eindeutig gegen die berechtigten Interessen von Personen, die Waffen legal besitzen, insbesondere von Jägern, Sportschützen und Sammlern antiquarischer Waffen, gerichtet. ({2}) Leider knüpfen die Grünen mit ihrem vorliegenden Antrag in mancher Hinsicht an diese unerfreuliche Tradition an. Um es klar zu sagen: Die FDP ist bereit, ernsthaft darüber zu reden, wie die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich verbessert werden kann. Gewaltkriminalität muss wirksam begegnet werden. Auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass nur 2 bis 3 Prozent aller im Zusammenhang mit Straftaten sichergestellten Schusswaffen aus legalem Besitz stammen. Das führt die Aussage der Grünen ad absurdum, dass die Verschärfung des Waffenrechts erheblich zu einer Stärkung der öffentlichen Sicherheit beitragen könne. Wenn 97 oder 98 Prozent der Straftaten mit Schusswaffen bereits am Waffengesetz vorbei begangen werden, ist das Herumdoktern am Waffengesetz nichts anderes als Aktionismus, also eine reine Alibihandlung. ({3}) Um die Sicherheit kann es den Grünen nachvollziehbarerweise also nicht gehen. Problemlösungen im Bereich der Kriminalität müssen nicht primär das Waffenrecht, sondern den Zusammenhang zwischen Straftat und Strafe und das vernachlässigte Feld von Kriminalprävention in den Blick nehmen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Stokar von Neuforn?

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Herr Kollege Wolff, ist Ihnen bekannt - ich will nur eine Zahl nennen -, dass in den letzten Jahren allein in Berlin 800 Körperverletzungen, zum Teil mit Todesfolge, mit Messern verübt wurden ({0}) und dass in den Großstädten die Anzahl der Straftaten, die mit Messern begangen wurden - das ist der Hauptansatzpunkt unseres Antrages im Bereich des Waffenrechts -, um 25 Prozent zugenommen hat? Insbesondere die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sehen erheblichen Handlungsbedarf des Bundesgesetzgebers mit Blick auf das Waffengesetz.

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Stokar, es ist wirklich bedauerlich, dass eine ganze Reihe von Straftaten mit diesen Waffen verübt wurden. Aber ich glaube wirklich nicht, dass Sie dieses Problem mit einer Verschärfung des Waffenrechts lösen können. Denn viele der Straftaten - auch das besagt die Statistik - werden mit Küchenmessern - zum Teil auch in der Küche - begangen. Hartfrid Wolff ({0}) ({1}) Das Problem ist aber - da muss ich dem Kollegen Grindel recht geben -, dass Sie Messer nicht generell verbieten können. Denn was sollen dann Metzger und diejenigen, die Holzschnitzereien als Hobby betreiben, machen? ({2}) Die gefährlichen Messer - da hat der Kollege Grindel recht - sind bereits verboten und bleiben verboten. Aber beispielsweise Küchenmesser und ähnliche Messer fallen aus meiner Sicht zu Recht nicht unter dieses Verbot. Man kann an dieser Stelle nicht nach Gegenständen differenzieren. Sie müssen sich um die Täter kümmern. Das ist der richtige Ansatz. ({3}) Was Sie in Ihrem Antrag darstellen, ist meines Erachtens ein Sammelsurium von bürokratieverliebten Forderungen. Das haben Sie auch gerade wieder gezeigt. Die geforderte Verlängerung von Aufbewahrungsfristen für Waffenbücher - damit komme ich zu der Bürokratie, die Sie vorschlagen - oder eine weitgehende Buchführungsund Kennzeichnungspflicht ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Bürokraten. Ein Sicherheitsgewinn ist dadurch tatsächlich nicht zu erwarten. ({4}) Forderungen wie „Konzepte zu entwickeln“, wie Waffenverbote durchgesetzt werden können, sind aus meiner Sicht wohlfeil. Einen konkreten Vorschlag unterbreiten Sie nicht. Die Forderung der Grünen nach einer wirksamen Verbotsregelung, die „verbesserte Eingriffsmöglichkeiten gegen öffentlich getragene Baseballschläger, … Motorradketten und andere gefährliche Gegenstände“ schafft, wirft schon Fragen auf: Soll eine legitime Tätigkeit wie etwa das Baseballspielen und das Motorradfahren verboten oder mit einem unerträglichen Bürokratiewust überzogen werden, um Straftäter von der missbräuchlichen Verwendung beispielsweise von Motorradketten abzuhalten? Ist damit zu rechnen, dass diese sich an das Verbot halten? Ein großer Teil der Gewaltstraftaten werden zu Hause - zum Beispiel, wie ich schon sagte, mit Küchenmessern - begangen. Zurück zum Thema Motorradketten. Ich stelle mir Herrn Struck vor, wie er abends von einer Motorradtour heimkommt. ({5}) Er nimmt dann die Motorradkette herunter, schließt sie über Nacht im Panzerschrank des Schützenvereins ein. Nachträglich kennzeichnet er jedes Kettenglied. Über den Ersatz eines jeden Kettengliedes führt er genau Buch. Das schlagen Sie vor. Ich glaube, das ist wirklich zu viel. Es muss doch klar sein, dass es nicht darum gehen kann, Alltagsgegenstände allesamt zu verbieten, nur weil sie, falsch eingesetzt, gefährlich missbraucht werden können. Dieser falsche Einsatz ist bereits strafbar. Schauen Sie mal in § 224 StGB nach. Den Grünen geht es, wenn sie Begriffe wie „verfehlte männliche Machokultur“ nutzen oder von der „Entwaffnung gerade von jungen Männern“ sprechen, schlicht um Klientelpflege. ({6}) Einen grünen Pranger für legale Waffenbesitzer, für Jäger, Sportschützen und Sammler, lehnt die FDP eindeutig ab. ({7}) Die FDP erwartet von der Bundesregierung umgehend ein plausibles Konzept, wie sie den unübersichtlichen Wust des deutschen Waffenrechts klären will. ({8}) Die Antwort auf zunehmende Gewaltkriminalität, die der Rechtsstaat geben muss, muss weit über eine waffenrechtliche Problemstellung hinausgehen. In diesem Sinne wird die FDP die weiteren Beratungen der bevorstehenden Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung zum Waffenrecht genau beobachten und kritisch begleiten. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Fograscher für die SPD-Fraktion.

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen brauchen keine Aufforderung der Grünen, um Verschärfungen oder Verbesserungen des bestehenden Waffenrechts durchzusetzen. ({0}) Ich finde, wir sollten zu dem stehen, was wir in der letzten Legislaturperiode gemacht haben. Das Waffenrecht ist damals neu geregelt worden. Die Systematik und die Struktur sind verbessert worden, und das Gesetz ist im Interesse einer besseren Vollziehbarkeit in einigen Teilen verschärft worden. Das hat zur Stärkung der inneren Sicherheit geführt. ({1}) Tragisch war allerdings, dass der Amoklauf an der Erfurter Schule an dem Tag stattfand, an dem wir im BundesGabriele Fograscher tag dieses Gesetz beraten haben. Über den Bundesrat sind dann nochmals Verschärfungen des Gesetzes vorgenommen worden. Solch brutale Amokläufe und andere Gewalttaten - da stimme ich Ihnen zu - sind immer wieder Anlass, um Verschärfungen des Waffenrechts zu fordern. Ich stimme den Antragstellern dahin gehend zu - das gilt im Übrigen für alle hier -, dass alles getan werden muss, um die Zunahme von Gewaltdelikten wie „Messerattacken mit tödlichem Ausgang oder schwere Körperverletzungen“ einzudämmen. Dazu bedarf es vielfältiger Anstrengungen in den Kommunen, in den Ländern, beim Bund, aber auch in der Zivilgesellschaft. Die Forderung nach einer Verschärfung des Waffengesetzes kann das Problem allein nicht lösen. ({2}) Verbote bzw. schärfere Gesetze müssen auch vollzogen, durchgesetzt und kontrolliert werden. Daran fehlt es oft. In Ihrem Antrag fordern Sie - das ist schon angesprochen worden -, das Tragen von Waffen, Messern, Baseballschlägern, Metallrohren, Motorradketten und anderen gefährlichen Gegenständen in der Öffentlichkeit grundsätzlich zu verbieten. Dieser Aufzählung müsste man zahllose Gegenstände des Alltags, die als Waffe benutzt werden können, hinzufügen. Die Polizei kann bereits heute zur Gefahrenabwehr einschreiten. Für Demonstrationen, Sportstadien, Schulen und Orte mit besonderem Gefahrenpotenzial können Verbote erlassen werden. Das geschieht ja auch. In diesem Jahr haben wir eine Regelung verabschiedet, die das Tragen von Waffen an Brennpunkten gewaltbereiter Szenen verbietet. Hamburg hat in dieser Woche als erstes Bundesland von dieser Regelung Gebrauch gemacht. Ich finde, man muss jetzt erst einmal abwarten, welche Erfahrungen mit dieser Regelung gemacht werden. Aufgrund dieser Erfahrungen kann man dann weiter gehende Regelungen beschließen. ({3}) Das gilt im Übrigen auch für Ihre Forderung nach Einführung eines Waffenscheins für Gas- und Schreckschusswaffen. Auch dieses Thema ist schon genannt worden. Die Regelung, die wir mit dem Waffengesetz 2003 beschlossen haben, der sogenannte kleine Waffenschein, hat dazu geführt, dass der Verkauf dieser Waffen um 90 Prozent zurückgegangen ist. Ich finde, auch diese Regelung hat sich bewährt. ({4}) Regelungsbedarf sehen wir bei den Anscheinswaffen und dem sogenannten Erbenprivileg. Bei den Anscheinswaffen weist das geltende Recht eine Lücke auf, die aus Gründen der inneren Sicherheit beseitigt werden muss. Das Führen von Anscheinswaffen soll grundsätzlich verboten werden; denn von diesen Waffen geht ein erhebliches Drohpotenzial aus, das zu kriminellen Zwecken benutzt werden kann. Die Polizei kann diese täuschend echt wirkenden Nachbildungen im Einsatz nicht von echten Schusswaffen unterscheiden, was in Notwehrsituationen verheerende Folgen haben kann. Diese Gefahr geht auch von Anscheinswaffen aus, die zum Beispiel in einem Holster getragen werden. Deshalb werden wir auch das verdeckte Führen dieser Waffen verbieten. ({5}) Notwendig ist auch eine Neufassung des sogenannten Erbenprivilegs. Kann der Erbe einer Schusswaffe ein Bedürfnis nachweisen, ist er zuverlässig und persönlich geeignet, so wird diese Waffe entsprechend jeder käuflich erworbenen Waffe behandelt. Kann der Erbe dieses Bedürfnis nicht nachweisen, muss er dafür sorgen, dass die Waffe schussunfähig gemacht wird. Dazu wird die Waffe künftig nicht mehr unumkehrbar zerstört werden müssen, sondern sie wird mithilfe eines Blockiersystems, das inzwischen von der Industrie entwickelt worden ist, schussunfähig gemacht. Damit wird die Waffe nicht mehr zerstört, sondern ihr Wert bleibt erhalten. Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird, wie von Ihnen gefordert, auch das Schusswaffenprotokoll der Vereinten Nationen umgesetzt; dabei geht es zum Beispiel um die Markierung und Nachverfolgung von Schusswaffen. Weitere Forderungen Ihres Antrags werden bzw. sind schon umgesetzt. So sind bestimmte Messertypen - auch dies wurde hier schon angesprochen und - im Antrag der Grünen fehlt das; wir werden das regeln - sogenannte Taser, also Distanzelektroimpulsgeräte, verboten worden. Ich bin sehr für ein strenges und restriktives Waffengesetz und befürworte die Ächtungskampagne, die im Übrigen schon seit März 2005 läuft. Ich bin aber gegen immer neue Auflagen für den legalen Waffenbesitz. Die große Mehrheit der Personen, die Waffen besitzt, geht mit ihnen verantwortungsvoll und zuverlässig um. Das Problem sind in den meisten Fällen von Kriminalität nicht die Waffen, die legal erworben wurden und für den Jagd- und Schießsport benutzt werden. Sorgen machen uns die illegal erworbenen Waffen - hier ist die Dunkelziffer extrem hoch -, die sich in den Händen von Kriminellen befinden. Diese Waffen werden wir auch durch noch so strenge Regelungen im Waffenrecht nicht erfassen können. In allen Diskussionen über Waffenverbote und über mehr Sicherheit für die Bevölkerung sollten wir darauf achten, dass der legale Waffenbesitz nicht kriminalisiert wird. Wir sollten uns nicht immer neue Vorschriften ausdenken, die in der Realität nicht umsetzbar und nicht kontrollierbar sind. Solche überzogenen, unrealistischen Forderungen finden sich im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Ein solcher Vorschlag ist, Waffen zentral in Schützenheimen aufzubewahren. Dieser Vorschlag ist einfach untauglich. Die Aufbewahrung von Schusswaffen in den Waffenschränken der Besitzer ist sicherer als die Aufbewahrung im massenhaft bestückten Waffendepot eines Schützenvereins in einem Dorf. Wir lehnen Ihren Antrag ab, laden Sie aber ein, sich an den anstehenden Beratungen konstruktiv und pragmatisch zu beteiligen. Danke schön. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Kollegin Petra Pau hat ihre Rede zu Protokoll ge- geben. Damit kann ich die Aussprache schließen.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6961 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern ({0}) - Drucksachen 16/4027, 16/4038 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 16/7508 - Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Dr. Max Stadler Silke Stokar von Neuforn Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Die Kolleginnen und Kollegen Ralf Göbel, Siegmund Ehrmann, Dr. Max Stadler, Petra Pau und Silke Stokar von Neuforn haben ihre Reden zu Protokoll gegeben2). Damit erübrigt sich eine Aussprache, und wir können gleich über die Vorlagen abstimmen. Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7508, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- sachen 16/4027 und 16/4038 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz- entwurf zustimmen wollen, bitte ich, sich zu erheben. - 1) Anlage 7 2) Anlage 8 Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7554. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann, Hartfrid Wolff ({3}), Daniel Bahr ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Dem Beruf des Rettungsassistenten eine Zukunftsperspektive geben - Das Rettungsassistentengesetz novellieren - Drucksachen 16/3343, 16/6798 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Hans Georg Faust Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Hans Georg Faust für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Gutachten 2007 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen befasst sich mit der Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe. In diesen Zusammenhang sind auch die Überlegungen zur modernen Entwicklung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe zu stellen. Dies geschieht zurzeit im Pflegeweiterentwicklungsgesetz. So gesehen greift auch der FDP-Antrag ein Problem auf, das grundsätzlich diskutiert und einer Lösung zugeführt werden muss. Der Rettungsassistent wird heute in zwei Aufgabenbereichen tätig. Er leistet Erste Hilfe am Notfallort, er muss lebensrettende Sofortmaßnahmen durchführen - hier ist er im Wesentlichen eigenverantwortlich tätig -, und er assistiert dem Notarzt und wird damit in einer unterstützenden Funktion tätig. Besonders in der erstgenannten Funktion tragen Rettungsassistenten gegenüber ihren Patienten eine große Verantwortung, da sie auf sich alleine gestellt sind. Sie müssen entscheiden, welche Maßnahmen bei Patienten mit Schock, mit starken Schmerzzuständen oder mit Atemstörungen getroffen werden müssen. Häufig müssen sie auch entscheiden, ob der Notarzt zugezogen wird. Aus meiner Erfahrung als Arzt im Rettungsdienst schätze ich das sehr hoch ein und möchte den im Rettungsdienst tätigen Mitarbeiterinnen und MitDr. Hans Georg Faust arbeitern meine Anerkennung für die hervorragenden Leistungen aussprechen. ({0}) Trotz des richtigen Ansatzes, das seit 1989 geltende Rettungsassistentengesetz zu novellieren, wird die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion heute dem Antrag nicht zustimmen können. ({1}) Es ist unstreitig, dass das alte Gesetz den heutigen Ansprüchen an eine fach- und sachgerechte Versorgung nicht mehr genügt. Aber bei der anstehenden Novellierung geht es nicht nur darum, den Zugang zur Ausbildung oder die Dauer der Ausbildung zu regeln, sondern auch darum, die medizinischen Fortschritte bei der Versorgung von Notfall- und schwerkranken Patienten zu berücksichtigen. Aber auch die sich verändernde Krankenhauslandschaft mit sich verändernden Versorgungsstrukturen, die aus zunehmenden Entfernungen zwischen den Krankenhäusern resultieren, muss eine besondere Beachtung finden. Das drückt sich dann auch in der Frage aus, was der neue Rettungsassistent oder wie immer er heißen wird, können und dürfen soll: Wie ist es um seine Kompetenz bestellt, und wie ordnet sich diese in einen gesundheitspolitischen Gesamtrahmen ein? Ich möchte auf drei Punkte näher eingehen, und zwar zunächst auf die Übertragung von ärztlichen Kompetenzen auf nichtärztliches Personal. Bisher kann das nichtärztliche Personal im Rahmen der von der Ärztekammer definierten sogenannten Notkompetenz ärztliche Maßnahmen dann vornehmen, wenn ein Arzt nicht oder nicht rechtzeitig am Einsatzort sein kann. Vereinfacht gesagt, ist jeder Mensch und der Rettungsassistent besonders dazu verpflichtet, das zur Rettung von Leben zu tun, was im Rahmen seiner Kenntnisse und seiner Möglichkeiten liegt. Es gibt hier also keinen rechtsfreien Raum, auch wenn der Antrag das sagt. Aber natürlich gibt es die Situation, dass sich schwerkranke Menschen in einem bedrohlichen Zustand befinden, der durch rasches Handeln abgewendet werden könnte. Häufig sind dies aber Situationen, in denen die Notkompetenz noch nicht rechtlich einwandfrei vorhanden ist. Soll der Rettungsassistent jetzt tätig werden dürfen, besonders wenn es sich im Notfall um ärztliche Tätigkeiten handeln würde? Hier stellt sich die Frage - die stellt sich auch das Sachverständigengutachten - zur Substitution und Delegation von Leistungen. Substitution bedeutet die Übergabe von bestimmten Tätigkeitsinhalten von einer Berufsgruppe an eine andere. Diese Überlegung mag hier zurückstehen, da es in der Regel bei den Rettungsassistenten um Delegation von Leistungen aus dem ärztlichen Bereich geht. Hier muss geregelt werden, welche Leistungen grundsätzlich delegationsfähig und welche Leistungen im Einzelfall delegationsfähig sind. Die Delegationsfähigkeit wird ferner von der Persönlichkeit des Mitarbeiters bestimmt. Durch die Einführung des „Ärztlichen Leiters Rettungsdienst“ in den meisten Bundesländern ist ein Qualitätssicherungsmerkmal eingeführt worden, das eine direkte Beurteilung der Fähigkeiten und Erfahrungen des einzelnen Rettungsassistenten im Hinblick auf die Durchführung ärztlicher Maßnahmen ermöglicht und damit eine qualifizierte Zuordnung von Aufgaben zulässt. Des Weiteren möchte ich etwas zu der im Antrag geforderten Anerkennung als Heilberuf sagen. Nach gegenwärtiger Gesetzeslage dürfen nur Ärzte, Zahnärzte und in begrenztem Maße Heilpraktiker die Heilkunde ausüben. Davon ist aber unberührt, dass der Begriff der Heilberufe - im Gutachten wird der ältere, traditionelle Begriff „Gesundheitsberuf“ benutzt - viel weiter zu fassen ist. Diesbezüglich hat die öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss am 4. Juli 2007 deutlich gemacht, dass der Rettungsassistent schon heute zu den Fachberufen im Gesundheitswesen und damit zum Kreis der Gesundheitsberufe zählt. ({2}) Ein weiterer wichtiger Punkt im Antrag betrifft die Finanzierung. Nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen vom 30. September 2005 steht dem im Rettungsdienst Tätigen ein einklagbarer Anspruch auf eine Ausbildungsvergütung zu. In der Anhörung haben wir im Interesse der Rettungsassistenten hinterfragt, wie die tatsächliche Situation bei der Zahlung von Ausbildungsvergütungen ist. Wir haben von allen Vertretern der Leistungserbringer gehört, dass jeder Auszubildende eine entsprechende Ausbildungsvergütung bekommt. Wir wissen aber durch Nachfrage bei den Rettungsassistenten, dass in der Realität ein großes Fragezeichen hinter diese Aussage zu setzen ist und ein Ausbildungsplatz insbesondere dann schwer zu bekommen ist, wenn die Befürchtung besteht, dass der Bewerber im Nachhinein Ansprüche stellen wird. Aus meiner Sicht ist es ein unhaltbarer Zustand, dass junge, motivierte Menschen, die später schon nur sparsam bezahlt werden, auch noch die volle Last der Ausbildungskosten tragen müssen. ({3}) Diesbezüglich werden wir in einem neuen Gesetz deutliche Veränderungen vornehmen müssen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Kollege Ackermann, die Ausbildung des zukünftigen Rettungsassistenten soll den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rettungsdienst die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln, die zur Erstversorgung lebensbedrohlich verletzter und erkrankter Patienten bis zur Übernahme durch den Arzt erforderlich sind, einschließlich des sach- und fachgerechten Transports dieser Personen. Darüber hinaus soll die Ausbildung dazu befähigen, mit anderen im Rettungsdienst tätigen Personen sowie Angehörigen anderer an rettungsdienstlichen Einsätzen beteiligter Berufsgruppen - insbesondere mit den Ärzten, aber auch mit der Feuerwehr und der Polizei - zusammenzuarbeiten und - das muss heutzutage sein - diejenigen Verwaltungsaufgaben zu erledigen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Aufgaben im Rettungsdienst stehen. ({4}) Weil sich die Notfallmedizin im stetigen Wandel befindet und als dynamischer Prozess angesehen werden muss, ist es unserer Auffassung nach nicht sinnvoll, Kompetenzen im Rettungsassistentengesetz detailliert festzuschreiben. Stattdessen erachten wir es als besser, eine fachlich kompetente Institution mit der Zuweisung der Aufgaben und Befugnisse der im Rettungsdienst tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beauftragen. Damit diese fachlichen Aufgaben übernommen werden können, wollen wir gemeinsam mit dem Bundesministerium für Gesundheit nach sachgerechten und nachhaltigen Lösungen suchen, welche dann im Einvernehmen mit den Beteiligten umgesetzt werden. ({5}) Ich bin zuversichtlich, dass wir das Rettungsassistentengesetz gemeinsam so gestalten werden, dass bei der Ausbildung der Rettungsassistenten die medizinischen Fortschritte bei der Versorgung von Notfall- sowie schwerkranken Patienten adäquat berücksichtigt werden können ({6}) und somit die Zukunftsfähigkeit dieses wichtigen Berufes im Gesundheitswesen dauerhaft sichergestellt ist. Vielen Dank fürs Zuhören. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Jens Ackermann für die FDP-Fraktion. ({0})

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Zeit ist relativ - das wusste schon Albert Einstein. Fünf Minuten Redezeit sind relativ wenig, um Ihnen zu erläutern, warum es notwendig ist, das Rettungsassistentengesetz zu novellieren. In einem Notfall sind fünf Minuten eine Ewigkeit. Stellen Sie sich vor, Sie müssten bei einem Herzinfarkt oder bei einem Verkehrsunfall Erste Hilfe leisten. Jeder von uns ist froh, wenn die Profis vom Rettungsdienst vor Ort sind. Diese Profis, diese Rettungssanitäter und Rettungsassistenten, sind sehr gut ausgebildet. Sie sind geschult in Diagnose und Therapie, und ihnen steht eine Ausrüstung zur Verfügung, die sich europaweit sehen lassen kann; jeder, der schon einmal in einen Rettungswagen geschaut hat, weiß das. Das Dilemma besteht darin, dass die Rettungsassistenten im Notfall ihr staatlich geprüftes Wissen und Können nicht komplett anwenden dürfen. Um Leben zu retten, berufen sie sich auf eine Notkompetenz. Sie handeln im Interesse der Patienten, ohne rechtlich abgesichert zu sein. In einer physisch und psychisch belastenden Situation die Handelnden dadurch zusätzlichem Stress auszusetzen, ist unhaltbar. ({0}) Die Kompetenzen müssen klar geregelt werden. Die FDP bekennt sich zum Notarztsystem; Notärzte sind ein unverzichtbarer Teil des Systems. Die Nichtbesetzung von Notarztstandorten bzw. die Aushöhlung der Krankenhauslandschaft - Kollege Faust hat darauf hingewiesen - sehen wir zunehmend als Problem. In Zukunft wird es noch länger dauern, bis ein Arzt am Unfallort eintrifft. Die Notärzte sind im Interesse einer bestmöglichen Versorgung der Patienten bereit, Kompetenzen an die Rettungsassistenten abzugeben. Eine Anhörung im Gesundheitsausschuss hat dies bestätigt, und in der Praxis funktioniert es auch so. Machen wir doch aus der Not eine Tugend! Durch eine Zentralisierung der Notarztstandorte kann, wenn gleichzeitig das geschulte und unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle stehende Rettungsfachpersonal geregelte Kompetenzen übernimmt, die präklinische Notfallversorgung optimiert und Geld eingespart werden. ({1}) Die frei werdenden finanziellen Ressourcen können zur Finanzierung einer dreijährigen Ausbildung eingesetzt werden. Eine klassische dreijährige Berufsausbildung stellt eine Vergleichbarkeit mit anderen Medizinalfachberufen her. Hier können Synergien in der Ausbildung zu einer Kostenreduktion führen. Außerdem erhalten Rettungsassistenten so die Möglichkeit, ihren Berufsweg individuell zu gestalten. Der Beruf ist nämlich so anstrengend, dass er selten bis zur Rente ausgeübt wird. Schon in der Ausbildung muss daher der Grundstein dafür gelegt werden, dass später in andere Berufe gewechselt werden kann. ({2}) Ein Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen beweist, dass das machbar ist: Die Malteser bilden seit einigen Jahren dreijährig aus und haben gute Erfahrungen gesammelt. Wir haben unseren Antrag an den Vorschlägen der Ständigen Konferenz für den Rettungsdienst orientiert, in der alle Akteure des Rettungswesens vertreten sind. Die Ständige Konferenz hat uns eine gute Vorlage gegeben. Was liegt näher, als die Praktiker vor Ort anzuhören? Ich fordere die Bundesregierung auf: Schieben Sie die Novellierung des Rettungsassistentengesetzes nicht auf die lange Bank! ({3}) Es geht um eine bessere Versorgung von Menschen in Not. Im ersten Halbjahr 2008 soll eine Expertenkommission eingesetzt werden, die im zweiten Halbjahr 2008 Vorschläge unterbreitet. Leider, so teilte mir Staatssekretär Schwanitz mit, ist es nicht vorgesehen, dass auch ParJens Ackermann lamentarier dieser Expertengruppe angehören. Ich bedaure das sehr; denn letztendlich müssen wir im Plenum einer Novellierung des Rettungsassistentengesetzes zustimmen. Ich bitte Sie, Herr Staatssekretär: Beteiligen Sie auch die Parlamentarier, um zu einem guten Rettungsassistentengesetz zu kommen! ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Dr. Margrit Spielmann für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag der FDP werden Probleme im Bereich des Rettungsdienstes dargestellt, die sich unter anderem aus der derzeitigen Regelung der Ausbildung zum Rettungsassistenten ergeben. Zutreffend in Ihrem Antrag, Herr Ackermann, ist, dass die derzeitige Ausbildung überholt werden muss. Zutreffend ist auch, dass das Rettungsassistentengesetz dringend einer Novellierung bedarf. Wir wissen: Von der Arbeit der Rettungsassistenten hängen oft Menschenleben ab. Sie übernehmen insbesondere in Flächenländern die erste Versorgung am Unfallort bis zum Eintreffen des Notarztes. Rettungsassistenten sind zunehmend gefordert, längere Anfahrtszeiten von Notärzten zu überbrücken. Sie assistieren dem Notarzt, sind gleichzeitig Vorgesetzte von Rettungssanitätern und Rettungshelfern und sind rund um die Uhr im Einsatz. Wer sich für diesen Beruf entscheidet, muss ständig mit Extremsituationen wie Verletzungen, Schmerzen und Tod umgehen und bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb müssen die Rettungsassistenten mit verbessert definierten Kompetenzen ausgestattet werden, durch die es ihnen gestattet wird, entsprechend zu handeln. Es ist erfreulich, dass die Novellierung des Gesetzes von allen Beteiligten, dem Bund, den Ländern und vor allen Dingen den Fachverbänden, mehrheitlich für notwendig erachtet wird. Das hat unter anderem - wir erinnern uns alle - die Anhörung im Juli dieses Jahres deutlich gemacht. Bei bestimmten Punkten gibt es sogar mehrheitliche Meinungen der Experten, zum Beispiel hinsichtlich der Verlängerung der Ausbildung, bei der Forderung klarer Kompetenzen und bei den Übergangsvorschriften. Allerdings sind für viele Fragen - Herr Dr. Faust hat diese eben aus ärztlicher Sicht sehr detailliert dargestellt - noch keine Antworten im Detail in Sicht. Die Lösung von Detailproblemen ist für die Formulierung von konkreten gesetzlichen Vorschriften aber unabdingbar, Herr Ackermann. Das Ministerium ist deshalb dabei, diese schwierigen Detailfragen gemeinsam mit einer Expertengruppe, die aus Vertretern der Fachverbände in den Ländern besteht, zu beantworten und einen entsprechenden Entwurf vorzulegen. Wir lehnen den Antrag der FDP heute auch deshalb ab, weil genau auf diese schwierigen Detailfragen, die noch beantwortet werden müssen, keine Antworten gegeben werden. Zu diesen Fragen gehören zum Beispiel auch die Gestaltung der Ausbildung - Herr Dr. Faust hat das schon genannt - und die Struktur der Ausbildung. Das Verhältnis von Unterricht und praktischer Ausbildung hängt unter anderem ganz wesentlich von der Ausgestaltung der fachlichen Kompetenzen ab. Eine Ausbildung, durch die zum Beispiel die eigenständige Notfallversorgung am Unfallort ermöglicht werden soll, bedarf eines vergleichsweise umfangreichen Ausbildungsanteils in den intensivmedizinischen Bereichen des Krankenhauses, damit die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sicher erlernt werden können. Die Verteilung muss sich deshalb auf der Grundlage der Ausbildungsinhalte und der daraus erwachsenden Ansprüche an dem Umfang des Unterrichts und der praktischen Ausbildung orientieren und sorgfältig geklärt werden. Genauso müssen die Konsequenzen einer Ausbildungsverlängerung für den Bereich der Feuerwehren und ihre Beteiligung am Rettungsdienst unbedingt mit den Ländern geklärt werden. Auch dies war ein wichtiges Thema in der Anhörung. Herr Ackermann, darauf wird in Ihrem Antrag nicht eingegangen. Wir sind der Meinung, dass genau diese Problematik durch die Experten im nächsten Jahr geklärt werden muss. Umstritten waren in der Anhörung auch die Zugangsvoraussetzungen für den Beruf. Die Experten äußerten zwar einhellig, dass als Zugangsvoraussetzung ein mittlerer Schulabschluss gelten solle, meinten aber gleichzeitig, dass man hierüber erst dann endgültig entscheiden könne, wenn aufgrund der inhaltlichen Ausgestaltung der Ausbildung die Anforderungen an die Ausbildungsbewerber feststünden. Es bestand Einigkeit darin, dass man mit 18 Jahren in die Ausbildung gehen solle. Offen bleibt dabei aber zum Beispiel, wie die Zeit zwischen dem Schulabschluss und der Vollendung des 18. Lebensjahres überbrückt werden soll. All diese Fragen werden in Ihrem Antrag übrigens nicht angesprochen. Sie müssen von der Expertengruppe ebenfalls sorgfältig beantwortet werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie sagen auch nichts dazu, wie die Kompetenzen verteilt werden sollten. Bezüglich der Kompetenzverteilung zwischen Notarzt und Rettungsassistenten haben sich die Berufsverbände der Rettungsassistenten und der Ärzte in der Anhörung übrigens gleichermaßen gegen eine Regelung zur Übertragung heilkundlicher Befugnisse ausgesprochen. Aber die Situation im ländlichen Raum - längere Anfahrtszeiten bei Einsätzen mit mehreren Verletzten und gleichzeitig die schwierige Verfügbarkeit des Notarztes stellen diese Auffassung meiner Ansicht nach infrage. Hier ist zu klären, ob eine Übertragung heilkundlicher Kompetenzen nicht doch sinnvoll wäre. In diesem Kontext ist auch zu bedenken, dass mit der Pflegereform - Herr Dr. Faust hat es schon angesprochen - entsprechende Modellklauseln zur Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten in das Krankenpflege- und das Altenpflegegesetz aufgenommen werden sollen. In der Anhörung wurde auch gefordert, die Durchlässigkeit für den Rettungsassistentenberuf zu verbessern und zu gestalten. Die Expertengruppe, auf die ich schon verwiesen habe, wird sich auch sehr intensiv damit beschäftigen müssen, ob die angestrebte Novellierung der Ausbildung eine zusätzliche Nachqualifikation, zum Beispiel der bisherigen Rettungsassistenten, erforderlich machen würde, ob und wie die Anrechnung - das ist eine ganz schwierige Frage - der bisherigen Ausbildung auf die neugeregelte Ausbildung aussehen kann. Also, meine Damen und Herren, liebe Kollegen der FDP, vor uns liegen ganz viele Fragen, die geklärt werden müssen. Deshalb sind wir gespannt, welche Ergebnisse uns die Expertengruppe vorlegen wird. Ich hoffe, wir alle sind im nächsten Jahr bei der ersten Lesung des Entwurfs eines neuen Rettungsassistentengesetzes dabei. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Frank Spieth für die Fraktion Die Linke. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, Sie sind unterwegs in Morbach, einem Ort mit 11 000 Einwohnern im Hunsrück in RheinlandPfalz. Sie haben dort einen Autounfall und brauchen medizinische Hilfe. Der Rettungswagen mit dem Rettungsassistenten ist innerhalb weniger Minuten vor Ort. Der Notarzt braucht aber länger, bis er aus Bernkastel-Kues, Idar-Oberstein oder Hermeskeil angekommen ist. Er braucht nicht 10, nicht 15, sondern 25 und zum Teil bis 35 Minuten bis nach Morbach; bei schlechtem Wetter auch einmal länger. Ich bin mir ganz sicher: Sie würden froh sein, wenn der Rettungsassistent, der so lange allein für Sie verantwortlich ist, Sie medizinisch versorgen kann. Morbach ist kein Einzelfall. Die Verhältnisse treffen auf immer mehr Regionen im ländlichen Raum zu. Die Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes hat sich in nur vier Jahren um 2,2 Minuten verlängert. Umso schwerer wiegt, dass gesetzlich nicht klar geregelt ist, was der Rettungsassistent in dieser Zeit darf und was nicht. Der Rettungsassistent kann sich nur auf die sogenannte Notkompetenz berufen. Er geht dabei aber auf dünnem Eis. Wenn irgendetwas schiefgeht, ist er dran. Deshalb überlegt er oft zwei- oder dreimal, ob er beispielsweise ein Medikament spritzen soll. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Die Rettungsassistenten müssen genau wissen, was sie tun dürfen. Darum müssen sie ordentlich ausgebildet werden. Es kann nicht sein, dass der Patient an Luftnot oder Schmerzen leidet und der Rettungsassistent sich nur dann korrekt verhält, wenn er nach den Basismaßnahmen 5, 10 oder 20 Minuten danebensteht und nichts tut. Die notwendigen - eigentlich ärztlichen - Maßnahmen müssen verbindlicher Teil der Ausbildung sein. Im Moment dauert die Ausbildung zum Rettungsassistenten nur zwei Jahre. Bei allen anderen Ausbildungsberufen dauert sie drei Jahre. Drei Jahre benötigt man auch in der EU. Wo liegt der tiefere Sinn, wenn ein Krankenpfleger eine dreijährige Ausbildung macht, der Rettungsassistent aber nur eine zweijährige? Die zweijährige Ausbildung ist überholt. Das sahen auch nahezu alle Experten in der Anhörung so. ({0}) Völlig inakzeptabel findet die Linke, dass die Begeisterung der Auszubildenden für ihren Beruf oft ausgenutzt wird. Die angehenden Rettungsassistenten bekommen meist keine Ausbildungsvergütung, obwohl ein von Verdi erstrittenes Urteil zeigt, dass die Ausbildungsvergütung unbedingt ins Gesetz gehört; sonst müsste jeder Einzelne klagen. Das ist aber nicht alles: Die Schüler müssen für ihre Ausbildung obendrein noch Schulgeld bezahlen. Damit muss endlich Schluss sein. ({1}) Auch die Arbeitsbedingungen sind oft katastrophal: 24-Stunden-Schichten sind keine Seltenheit; 50-Stunden-Wochen sind die Regel. Das widerspricht Tarifverträgen, dem Arbeitszeitgesetz und der EU-Arbeitszeitrichtlinie. Zurzeit ist der Arbeitgeber im Nachteil, der seine Angestellten und Auszubildenden gut und fair behandelt. Auch das muss sich ändern. Alle Arbeitgeber - ob Rotes Kreuz, kirchliche, öffentliche oder private Anbieter - brauchen faire Regeln, an die sich alle halten müssen und die auch kontrolliert werden, damit die Ehrlichen nicht die Dummen sind. ({2}) Nirgendwo in der EU werden die Rettungsassistenten so verschlissen wie in Deutschland. Unsere Rettungsassistenten haben das geringste Durchschnittsalter. In Deutschland kann man in diesem Beruf nicht alt werden. Die Bundesregierung hat im Gesundheitsausschuss versprochen, dass im ersten Halbjahr 2008 eine Expertengruppe gebildet und im zweiten Halbjahr ein erster Gesetzentwurf eingebracht wird. Die Linke erwartet, dass diese Zusage eingehalten wird und dass dieses Thema nicht in dem dann beginnenden Wahlkampf untergeht. Wir sprechen uns für den Antrag aus, damit dem Rettungsdienst eine Zukunftsperspektive geboten wird und die Bundesregierung vom Parlament einen eindeutigen Handlungsauftrag erhält. Schönen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist fast ein Jahr her, seit der Antrag eingebracht worden ist. Bisher hat eine Anhörung stattgefunden; darüber hinaus ist in dem Jahr nicht viel passiert. Wir sind uns, glaube ich, über Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass eine zeitgemäße Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Rettungsassistenten notwendig ist. Auch meine Fraktion begrüßt grundsätzlich die Initiative der FDP. Allerdings steckt der Teufel wie immer im Detail. Ich glaube, das hat die Anhörung im Gesundheitsausschuss deutlich gemacht. Das Rettungswesen hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt. So sind die fachlichen Anforderungen gestiegen. Auch steht uns das Problem der demografischen Veränderungen ins Haus, was auch enorme Herausforderungen für das Rettungswesen der Zukunft bedeutet. Daher ist es richtig, dass die Ausbildung der Rettungsassistenten grundlegend reformiert und verbessert werden muss. Das betrifft sowohl die Finanzierung, die Struktur und die Dauer der Ausbildung als auch die Ausbildungsinhalte. Lassen Sie mich in Kenntnis der Anhörung einige Fragen problematisieren. Erstens muss das Gesetzgebungsverfahren die Frage klären, welche Kompetenzen den Rettungsassistenten künftig konkret übertragen werden sollen. Rettungsassistenten sind keine Taxifahrer im Krankentransport. Sie tragen schon heute vielfach große Verantwortung. Das muss bereits bei ihrer Ausbildung berücksichtigt werden. Sie sollten künftig rechtlich und fachlich abgesichert das tun dürfen, was sie ohnehin in der Praxis häufig tun: Basisuntersuchungen, Diagnostik der vitalen Funktionen und die Durchführung lebensrettender Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen des Notarztes. Allerdings möchte ich davor warnen, die Kompetenzabgrenzung vor allem unter dem Gesichtspunkt der Kostensenkung zu betrachten und deswegen Notärzte und Rettungsassistenten in dieser Frage gegeneinander auszuspielen ({0}) oder gar ganz auf Notärzte verzichten zu wollen. Maßstab der Notfallversorgung muss in erster Linie die Qualität sein. Wer beim Rettungsdienst zulasten der Qualität sparen will - ob bei den Rettungsassistenten, den Notärzten oder anderem Rettungspersonal -, der gefährdet die Gesundheit, ja das Leben der Patientinnen und Patienten. Rettungsdienst ist deutlich mehr als der möglichst schnelle und billige Transport von Notfallpatienten und Notfallpatientinnen in das nächste Krankenhaus. ({1}) Fachliche Kompetenz verlangt eine solide Ausbildung, sodass sich zweitens die Frage stellt, welcher Schulabschluss als Eingangsvoraussetzung notwendig ist. Eng damit verbunden ist die Klärung von Übergangsregelungen und Anerkennungsmodalitäten bisheriger Abschlüsse. Ich plädiere für allgemein verbindliche Ausbildungsinhalte und die bundesweite Gleichwertigkeit der zukünftigen Abschlüsse. Die Vertreterinnen und Vertreter der Großen Koalition haben zu Beginn der Beratungen angekündigt, eine baldige Novellierung des Rettungsassistentengesetzes vorzunehmen. Ich würde mir wünschen, dass es dazu in dieser Legislaturperiode kommt, und die heutigen Redebeiträge interpretiere ich auch in dieser Richtung. Ich hoffe, dass dann die offenen Fragen zur Regelkompetenz ebenso geklärt werden wie zum Beispiel die nicht ganz unerhebliche Frage, wer künftig die Kosten der Rettungsassistentenausbildung und der Ausbildungsvergütung tragen wird. Eine einseitige Kostenbelastung der Auszubildenden ist sicher der falsche Weg. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Guten Abend. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- trag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Dem Beruf des Rettungsassistenten eine Zukunftsperspektive geben - Das Rettungsassistentengesetz novellieren“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6798, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3343 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstim- men der Fraktionen der FDP und der Linken und bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- nommen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Fischer ({0}), Renate Blank, Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Petra Weis, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Klaas Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wiedererrichtung des Berliner Schlosses - Bau des Humboldt-Forums im Schlossareal Berlin - Rekonstruktion der historischen Fas- saden sicherstellen - Drucksache 16/7488 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Humboldt-Forum statt Fassadenschloss Schlossplatz mit Zukunftsorientierung - Drucksachen 16/5922, 16/7366 Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Renate Blank für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({2})

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu vor etwa drei Wochen, als die FDP hier die Debatte zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses angestoßen hat, ist heute die Zeit für die Diskussion im Parlament reif. Allerdings muss ich hinzufügen: Für dieses nationale Projekt wäre - das ist eine Bitte an die Geschäftsführer - eine bessere Beratungszeit angemessen. ({0}) Das gilt vor allem, nachdem in diesem Bereich die Journalisten jeden Tag etwas über das Pro und Kontra des Berliner Schlosses, der Kuppel und des Kellers schreiben. Kolleginnen und Kollegen, der Beschluss zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist nach langjähriger Diskussion endlich zustande gekommen. Ich erinnere an unsere Anträge aus den Jahren 2000, 2003 und 2004; nun liegt ein weiterer Antrag vor. Die Entscheidung zur Rekonstruktion haben wir uns alle nicht leichtgemacht, vor allen Dingen im Hinblick auf die Nachbarschaft zur Museumsinsel, einem Weltkulturerbe. Vor dem Hintergrund ist es sehr wichtig, dass mit dem Wiederaufbau sehr sensibel umgegangen wird. Meine Damen und Herren, es wurde immer kritisiert, dass wir unseren Architekten nicht zutrauen, etwas Neues auf diesem Platz in der Mitte Berlins zu bauen. Hierzu kann ich nur sagen: Es ist kein Thema, dass wir den Architekten nichts Neues zutrauen. Aber es gibt in jeder Stadt Negativbeispiele, wo jedes Gebäude an sich sehr gut ist, wo aber das Ensemble insgesamt nicht mehr wirkt. Im Hinblick darauf ist nach jahrelanger Diskussion der Beschluss gefallen, das Berliner Schloss wieder aufzubauen. Es gab natürlich eine Diskussion über den Abriss des Palastes der Republik. Wenn ich dort vorbeifahre, freue ich mich jedes Mal, dass der Abriss voranschreitet. Ich hoffe, dass dieses Thema bald erledigt sein wird. Auf dem Gelände des zukünftigen Berliner Schlosses ist „White Cube“ als kulturelle Zwischennutzung vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass diese Zwischennutzung zu Beginn des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses beendet ist. Diese Zwischennutzung darf keine Eigendynamik entwickeln. In den letzten Jahren ist immer vom Stadtschloss oder, wie von der Linken präferiert, vom Humboldt-Forum die Rede. Richtigerweise muss es heißen: Wiedererrichtung des Berliner Schlosses - Bau des Humboldt-Forums im Schlossareal Berlin. ({1}) Das ist ein kleiner Hinweis an die Bundesregierung. Während der Haushaltsberatungen haben wir das Ganze in die richtige Reihenfolge gebracht: zuerst die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses, dann der Bau des Humboldt-Forums. Wir wollen mit unserem vorliegenden Antrag die Bundesregierung unterstützen und weisen dabei deutlich darauf hin, dass wir am Wiederaufbau keine Abstriche machen und dass sich das Parlament das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lässt. Die zuständigen Ausschüsse sind damit zu befassen. Es gibt Personen, die meinen, dass dieser Antrag unnötig sei. Wir brauchen diesen Antrag aber deshalb, weil morgen der Auslobungstext international bekannt gegeben wird. Es gibt eine Änderung: Wir kommen von einem international offenen Wettbewerb hin zu einer Auslobung als begrenzt offener, anonymer Realisierungswettbewerb in zwei Bearbeitungsphasen. Das heißt, dass im Rahmen eines offenen Bewerberauswahlverfahrens 150 Bewerber von einem von der Jury des Wettbewerbs unabhängigen Auswahlgremium anhand vorab festgelegter und öffentlich bekannt gemachter Mindestanforderungen und Auswahlkriterien ausgewählt werden. In der ersten Phase sind von den Teilnehmern grundsätzliche Lösungsansätze für die Wettbewerbsaufgabe zu entwickeln. Aus den eingereichten Beiträgen wählt das Preisgericht circa 30 bis 40 Teilnehmer für eine konkrete Bearbeitung der zweiten Phase aus. Ich möchte meine ganz persönliche Meinung zu der Änderung sagen. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass wir bei einem international offenen Wettbewerb bleiben. Aber man beugt sich im Grunde Erkenntnissen. Ich gehe davon aus, dass sich auch junge Architekturbüros bewerben. Aufgrund der zwei Bearbeitungsphasen kommt dem unabhängigen Auswahlgremium eine große Bedeutung zu. Wir haben dafür gesorgt, dass bekannte und anerkannte Experten in diesem Auswahlgremium vertreten sind. Die Zusammenarbeit mit Berlin hat sich zu einer konstruktiven Mitarbeit entwickelt. Deswegen verwundert mich Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Linkspartei. Ich würde an Ihrer Stelle Abstand nehmen, da sich Berlin eindeutig für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses entschieden hat und nicht für Ihren Lösungsansatz, der das Humboldt-Forum und einen Neubau vorsieht. Der Auslobungstext ist nun fertig. Es gab umfangreiche Diskussionen. Die Anforderungen für die Teilnahme - Büroumsatz, Zahl der Mitarbeiter, der Nachweis eines Projektes mit vergleichbarer Komplexität und Multifunktionalität - sind etwas zurückgeschraubt worden. Ich betone ganz deutlich: Auch junge Architekten können sich beteiligen, zum Beispiel wenn sie sich zu Bürogemeinschaften zusammenschließen. Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist von nationaler Bedeutung. ({2}) Das kulturelle Nutzungskonzept passt sich an die erfolgreiche Entwicklung des Areals der Museumsinsel an und berücksichtigt auch die geforderte kommunikativ-gesellschaftliche Nutzung. Mit der Wiedererrichtung des Berliner Schlosses und damit dem Bau des Humboldt-Forums werden die Weltkulturen in das Zentrum der deutschen Hauptstadt geholt. Auch den Dialog mit den europäischen Kulturen auf der Museumsinsel bringen wir voran. Ich komme auf die öffentliche Aufmerksamkeit, auch für Kuppel und Keller, zu sprechen. Die Kuppel ist im Auslobungstext zwingend vorgesehen. Was den Keller angeht, ist zunächst geplant, dass Ausgrabungen als archäologisches Fenster in das Gebäude einbezogen werden können. Ich möchte dem Förderverein, insbesondere Herrn von Boddien, dessen Traum jetzt, nach 15 Jahren, verwirklicht werden wird, für das große Engagement ganz herzlich danken. Wir werden das Einwerben von Spenden unterstützen - das steht auch in unserem Antrag -: mit einer Sondermünze, eventuell mit einer Schlosslotterie, mit Briefmarken usw. Dazu, wie die Zusammenarbeit zwischen Preußen und den Bayern, sprich: München, funktioniert, kann ich nur sagen, dass sich in München ebenfalls ein Förderverein zur Unterstützung des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses gegründet hat. Ich hoffe, dass uns dieser Wiederaufbau, der eine einmalige Chance ist, in hervorragender Weise gelingen wird. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir unterhalten uns hier einerseits über ein wirklich wichtiges Thema, über ein Thema von nationaler Bedeutung - die Kollegin Blank hat das hier eben angesprochen -, und wir unterhalten uns andererseits über einen Antrag der Linken, mit dem versucht wird, den eingeleiteten Prozess aufzuhalten. Dazu muss man feststellen - es ist wirklich bedauerlich -: Die Linke kneift; sie gibt ihren Redebeitrag zu Protokoll und verteidigt ihren eigenen Antrag nicht. ({0}) Erst seit ganz kurzer Zeit - mittlerweile sind hier zwei Fraktionsmitglieder anwesend - ist sie unter den Abgeordneten genauso stark wie im Präsidium vertreten. Das finde ich, offen gesagt, der Sache nicht angemessen. Überhaupt finde ich den Antrag, den Sie gestellt haben, nicht angemessen. ({1}) Sie versuchen hier schon wieder, etwas zu blockieren, was längst entschieden ist. Es geht uns heute nicht nur um die Sache, sondern auch um uns, um das Parlament, um unser Selbstverständnis. Wir müssen doch glaubwürdig bleiben. Wir dürfen unsere einmal gefassten Beschlüsse doch nicht immer wieder durchkauen. Wie oft sollen wir denn noch beschließen, dass wir das Berliner Schloss aufbauen wollen, und zwar am Platz des Stadtschlosses, in der Kubatur des Stadtschlosses und mit den drei barocken Fassaden? ({2}) Auch als Opposition muss man der Bundesregierung in diesem Zusammenhang einmal dafür danken, dass sie die Beschlüsse des Bundestages nun endlich realisiert. Mein Dank geht natürlich auch an den Finanzminister, ohne dessen - bekanntermaßen großzügige - Unterstützung das nicht ginge. Alles hat trotzdem viel zu lang gedauert. Wir wurden hier immer wieder mit irgendwelchen Scheinargumenten aufgehalten, und es wurden Hürden aufgestellt. Wie immer, wenn es um die historische und die bauliche Identität der Hauptstadt ging, waren der Senat und der Regierende Bürgermeister leider keine Hilfe. Ganz im Gegenteil: Sie waren Teil des Problems; sie haben Probleme bereitet und haben aufgehalten. ({3}) Wir haben immer Probleme mit dem Bauminister; aber an diesem Punkt wollen wir ihm hier wirklich einmal dazu gratulieren, dass er tatsächlich vollendete Tatsachen geschaffen und entschlossen gehandelt hat. ({4}) Umso schlimmer ist allerdings, dass es in seinem Haus offenbar einen Staatssekretär gibt, der über das Ausschreibungsverfahren versucht, unsere Beschlüsse hier zu unterlaufen. Deshalb ist hier noch einmal festzuhalten: Das, was hier beschlossen worden ist, ist ernst gemeint. Noch einmal: Es ist ernst gemeint - was immer der Herr Staatssekretär davon zu halten gedenkt und was immer sonst jemand zu dieser Frage sagen sollte. ({5}) Moderne Architektursprache hat natürlich ihre Berechtigung, fast überall, aber nicht an diesem Platz, dem Ursprung unserer Hauptstadt und letzten Endes auch einem Kristallisationspunkt unserer Nation. ({6}) Dort brauchen wir ein Gebäude, das diesem Anspruch auch gerecht wird. Dort können wir nicht experimentie14002 ren. Wir wissen, dass so etwas oftmals, gerade bei moderner Architektur, nach mehreren Jahren im Rückblick wie ein Experimentieren wirkt. Wir wissen es nicht sicher, aber wir können es nicht ausschließen. Wir haben es aber vor allem anders beschlossen. Deshalb muss das Stadtschloss so, wie es geplant ist, auch gebaut werden. ({7}) Die Linke will mit ihrem Antrag einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen, den fahrenden Zug noch aufzuhalten. Sie wird damit scheitern. Gott sei Dank wird sie damit scheitern. Meine Damen und Herren, es ist doch wirklich kleinkrämerisch, wenn gerade Sie, die Linken, dem Förderverein, der sich aus bürgerschaftlichem Engagement heraus bereitgefunden hat, dafür zu sorgen, dass das Geld für die Fassade aufgebracht wird - auch das wäre eigentlich eine nationale Aufgabe, die wir zu finanzieren hätten -, vorwerfen, er habe erst 10 Prozent aufgebracht. Mein Gott im Himmel, was glauben Sie denn? Das ist doch anzuerkennen. 10 Prozent nach einem solchen Hickhack, ({8}) bei dem bis zuletzt immer wieder infrage stand, ob überhaupt etwas daraus wird - machen Sie das erst einmal nach, bevor Sie hier solche Reden halten! ({9}) Immer wieder finden sich engagierte Bürger in diesem Land, die versuchen, bauliche Sünden der Vergangenheit zu bereinigen, insbesondere auch solche, bei denen Gebäude, die durch Kriegseinwirkung beschädigt, aber wiederaufbaufähig waren, abgerissen wurden. Sie setzen sich dafür ein, dass solche Gebäude wiederaufgebaut werden, damit eine städtebauliche Identifikation wieder möglich ist. In Dresden, in Potsdam und auch in Berlin gibt es solche Leute. Nie war die Linke auf der Seite derer, die mit bürgerschaftlichen Engagement etwas bewirken wollen. Sie war immer dagegen. Ich will Ihnen nicht vorwerfen, dass die Kommunisten in Potsdam und Berlin die Stadtschlösser, die zum Teil noch standen, zum Teil auch noch benutzt wurden, ohne Not abgerissen haben. Sie haben dort Aufmarschplätze gebaut, um Jubelparaden abzuhalten. ({10}) Sie waren noch nicht dabei. Deshalb werfe ich Ihnen das nicht vor. Ich werfe Ihnen aber schon vor, dass Sie diesen Geist heute noch weitertragen, dass Sie aus diesem Geist heraus hier so agieren und ausgerechnet die Kosten als Argument heranziehen. Wäre diese Barbarei damals nicht gewesen, müssten wir uns heute nicht über solche Kosten unterhalten. Es wäre viel billiger, und im Übrigen wäre das Bauwerk schon längst fertig. ({11}) Willy Brandt hat einst gesagt: Berlin wird leben, und die Mauer wird fallen. Heute in dieser Diskussion würde er sagen: Und die Stadt wird mit dem Stadtschloss ihre historische Mitte wiederbekommen. Danke schön. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth. ({0})

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorausschauenden Beschlüsse des Bundestages aus den Jahren 2002 und 2003 zur Wiedererrichtung des Schlosses und zum Bau des Humboldt-Forums können jetzt umgesetzt werden. Die längst überfällige stadträumliche Reparatur dieses zentralen Ortes der Hauptstadt Deutschlands ist wirklich ein gutes Stück näher gerückt. Natürlich - das ist gar keine Frage - freuen wir uns alle, dass es jetzt so weit ist, dass unsere Beschlüsse wirklich umgesetzt werden können. Die Bundesregierung hatte im Jahr 2005 Möglichkeiten zur Beteiligung privater Investoren und eine damit verbundene Ausweitung der Nutzungsmöglichkeiten im Humboldt-Forum untersucht. Diese Erweiterung hätte uns mehr finanzielle Risiken als Sicherheiten gebracht. Deshalb hat sich der Minister dafür entschieden, sich konsequent auf das öffentliche kulturelle Programm zu konzentrieren. Ich glaube, diese Entscheidung war die Voraussetzung dafür, dass wir heute so weit sind, wie wir sind. Wir haben klargemacht: Wir konzentrieren uns, und wir machen das Machbare möglich - ein Konzept, das am 4. Juli dieses Jahres von der Bundesregierung beschlossen wurde. ({0}) Ich denke, das ist im Sinne all derjenigen, die für dieses Projekt gestimmt und sich dafür eingesetzt haben. Anfang November hat der Haushaltsausschuss eine verbindliche Obergrenze der Kosten für den Bau und die Ausstattung des Projektes in Höhe von 552 Millionen Euro festgelegt. Der heute vorliegende nunmehr dritte Antrag der Koalition zum Schloss und zum HumboldtForum - wir haben uns schon mehrmals mit diesem Projekt beschäftigt - definiert entscheidende Anforderungen und Ziele im Zusammenhang mit dem für die Hauptstadt und die deutsche Kulturlandschaft so wichtigen Projekt. Frau Kollegin Blank, Sie haben schon darauf hingewiesen: Vieles von dem, was im Antrag steht, ist schon auf den Weg gebracht worden. Vor allem enthält der Antrag konkrete Aufträge und nimmt damit die Bundesregierung in die Pflicht. Dieser Pflicht kommen wir natürlich gerne nach. Gerne gehe ich in gebotener Kürze auf die Anforderungen ein. Wir werden noch im Dezember Architekten und Architektinnen aus aller Welt öffentlich einladen, sich um die Teilnahme am internationalen Realisierungswettbewerb zu bewerben. Der anschließende Realisierungswettbewerb ist - Sie haben darauf hingewiesen - in zwei Bearbeitungsphasen unterteilt. In der ersten Phase sollen ungefähr 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Ideen skizzieren. Davon kommen 30 bis 40 Architektinnen und Architekten in die engere Auswahl. Sie können in der zweiten Phase ihre Vorstellungen detaillierter darlegen. Die circa 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ersten Phase werden in einem international offenen Bewerbungsverfahren ausgewählt. Das ist in diesem konkreten Fall der beste Weg. Frau Blank, wir haben zwar lange überlegt, ob es der richtige Weg ist, aber am Ende waren wir uns darüber einig. Nur durch die Präqualifikation - circa 150 Büros werden ausgewählt - ist nämlich sichergestellt, dass alle teilnehmenden Architekten die Aufgabe fachlich bewältigen können. Darauf kommt es, wenn auch nicht ausschließlich, letztlich an. Für die Umsetzung einer so komplexen, anspruchsvollen Entwurfsund Bauaufgabe braucht man, glaube ich, Büros, die Erfahrung mit größeren Projekten mit einem Umfang von mindestens 5 Millionen Euro haben und deren Schwerpunkt bei Kulturbauten und beim Bauen im historischen Kontext liegt. Das ist aus unserer Sicht unabdingbar. Die quantitativen Mindestanforderungen sehen vor, dass die Bewerber einen Jahresumsatz von mindestens 300 000 Euro erwirtschaften oder es mindestens vier Büroinhaber bzw. Mitarbeiter gibt. Darüber hinaus müssen die Büros ein Projekt mit einem Umfang von mindestens 5 Millionen Euro entweder realisiert oder in einem Architektenwettbewerb platziert haben. Diese Anforderungen sind durchaus im Rahmen. Somit ist sichergestellt, dass diejenigen, die sich bewerben, das Projekt stemmen können. Ich bin mit Frau Blank einig, dass es natürlich auch darauf ankommt, die kreativen jungen Leute aufzufordern, mitzumachen. Das, was wir formuliert haben, ist dafür kein Hindernis. Die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird ausschließlich auf rein qualitativen Kriterien der gestalterischen Qualität und der Erfahrung mit Kulturbauten sowie mit dem Bauen im Bestand und im Rahmen des Denkmalschutzes beruhen. Bei einer Beschränkung auf circa 150 Wettbewerbsarbeiten ist sichergestellt, dass die Jury keine Qualitäten der Arbeiten übersieht. Es gibt nämlich keinen Zeitdruck. So können die Leistungen der Büros angemessen gewürdigt werden. Der Grad der Umsetzung der Auslobungsziele in den Arbeiten kann ausreichend und auch ausgiebig diskutiert werden. Es gehört zu den zentralen Anforderungen des Wettbewerbs - darüber haben Sie gesprochen -, dass die Rekonstruktion der historischen Außenfassaden im Süden, Westen und Norden und der drei historischen Barockfassaden des Schlüterhofes sowie die Errichtung einer Kuppel im Bereich des ehemaligen Hauptportals in die Pläne einbezogen werden. ({1}) Das, was Sie angemahnt haben, ist damit schon festgeschrieben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Staatssekretärin, Sie können natürlich die gesamte Redezeit Ihrer Fraktion verbrauchen. Ich mache nur Sie darauf aufmerksam, dass Sie schon Ihrer Kollegin die Zeit wegnehmen. Das Blinken bedeutet, dass die angezeigte Minuszeit ernst gemeint ist.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Dieser Hinweis ist sehr freundlich, Frau Präsidentin. Ich komme deshalb zum Schluss. Ich freue mich sehr, dass bei der Sitzung des Preisgerichts am Montag dieser Woche alles einvernehmlich geregelt worden ist und dass im Preisgericht die Kollegen Wolfgang Thierse und Dirk Fischer sowie die Kolleginnen Renate Blank und Petra Weis darauf achten werden, dass alles, was im Rahmen dieses Wettbewerbs geschieht, mit rechten Dingen zugeht und auch die Anforderungen des Bundestages erfüllt werden. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Beitrag der Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat der Kollege Peter Hettlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie auch heute fängt jede Diskussion über das Berliner Schloss mit der Frage an: Wie hältst du es damit? - Ich will an der Stelle ganz klar sagen: Ich hielt und halte die Idee, das Schloss mit den barocken Fassaden wiederaufzubauen, für eine rückwärtsgewandte, altertümliche Idee. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne den berühmten Architekt Daniel Libeskind zitieren, der gesagt hat: Ich glaube nicht, dass man Architektur und Geschichte einfach zurückspulen und so tun kann, als sei nichts geschehen ({0}) Nicht nur ich, sondern auch viele meiner Kollegen hät- ten sich, selbst 2002, lieber eine zeitgenössische archi- tektonische Lösung gewünscht. Als ich mir die Beschlüsse noch einmal anschaute, fiel mir auf, dass im Beschluss über die Wiedererrich- tung eines Gebäudes auf dem Schlossareal vor allen Din- gen der Begriff der Stereometrie im Vordergrund stand und dass dieser Beschluss mit großer Mehrheit in diesem 1) Anlage 9 Hause gefasst wurde. Der Beschluss über die Wiedererrichtung der historischen Fassaden und des Schlüterhofes wurde dagegen hier im Jahre 2002 - da war ich noch nicht im Bundestag - nur sehr knapp gefasst. Insofern plädiere ich ausdrücklich dafür, dass wir diese Diskussion etwas differenzierter führen. ({1}) - Es war eine knappe Entscheidung, lieber Kollege Königshaus. Ich finde, wenn wir jetzt den Architektenwettbewerb durchführen, sollten wir ein bisschen mehr Offenheit für mögliche Ergebnisse aus dem Architektenwettbewerb zeigen. So viel Souveränität sollte das Parlament doch haben. ({2}) Nun zum Antrag der Linkspartei. Wir Grünen verfahren nicht nach dem Prinzip: rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Der Beschluss des Bundestages steht für uns. Wir halten uns auch daran, trotz meiner kritischen Haltung, die ich eben vorweg dargelegt habe. Damit ist auch klar, dass wir den Antrag der Linkspartei ablehnen. ({3}) - Aber jetzt kommt es, Kollege Königshaus: Vielem von dem, was Sie eben gesagt haben, kann ich nicht zustimmen. Die Abwatscherei der Linken war an dieser Stelle völlig ungerechtfertigt. Man muss sich nur einmal anschauen, was in meiner Heimatstadt Köln nach dem Krieg geschehen ist. Das Verbrechen, was dem zugrunde lag, war übrigens der Zweite Weltkrieg. Dieser wurde von den Nationalsozialisten begonnen. Die infolge dieses Krieges passierten Zerstörungen waren die Barbarei. Die Frage, ob beispielsweise die Kölner Oper hätte gerettet werden können oder auch viele andere Gebäude, kann man an anderer Stelle diskutieren. Der historisierende Wiederaufbau der Stadt Hildesheim jedoch, bei dem vor Stahlbetonkonstruktionen irgendwelche historisierenden Fachwerkfassaden gehängt wurden, entspricht nicht meinem Verständnis von Denkmalschutz. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Hettlich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Königshaus?

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne, bitte. Das verlängert meine Redezeit.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dass Sie für den Beschluss einstehen, weiß ich zu schätzen. Stimmen Sie mir zu, dass es eine ganze Reihe von Bauwerken gerade im süddeutschen Raum gab, die sich nach dem Krieg genauso wie das Schloss darstellten, nämlich als eine vielleicht zum Teil oder gar nicht mehr nutzbare, aber jedenfalls in den Außenfassaden erhaltene Ruine, die wiederaufgebaut wurden, und zwar relativ schnell in schöner Form - ich erinnere beispielsweise an Bauwerke in Mannheim und Karlsruhe -, und dass das in Berlin auch möglich gewesen wäre? Stimmen Sie mir zu auch, dass insbesondere Architektur nicht von dem lebt, was irgendein Handwerker irgendwann einmal aufeinander geschichtet hat, sondern von dem Geist des Architekten? ({0}) Der Geist hinter dieser Architektur war der Geist von Herrn Schlüter. Stimmen Sie, verehrter Herr Kollege, mir zu, dass es uns darum geht, im Geist von Herrn Schlüter das Stadtschloss wieder aufzubauen?

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Königshaus, ich stimme Ihnen durchaus zu, dass es eine ganze Menge Gebäude gibt, bei denen man sich trefflich darüber streiten könnte. Ich als Kölner, der 1990 nach Sachsen gezogen ist, habe beispielsweise die Diskussion um den Wiederaufbau der Frauenkirche sehr aufmerksam verfolgt. Ich weiß auch, dass wir Intellektuelle zunächst eine ganz andere Herangehensweise hatten, dann aber erleben mussten, wie sich die Diskussion in der Stadt emotionalisierte. In meiner Geburtsstadt Köln sind ja die romanischen Kirchen, die das Stadtbild geprägt haben, nach dem Krieg auch wiederaufgebaut worden. ({0}) Deshalb plädiere ich immer für eine differenzierte Sichtweise und spreche mich gegen Schwarz-Weiß-Denken aus. Zum Berliner Stadtschloss habe ich meine persönliche Meinung, auch wenn die Planungen für den Wiederaufbau schon sehr weit fortgeschritten sind. Mit einem Wiederaufbau, der sich an der Stereometrie orientiert, also einem entsprechenden Kubus an der Stelle, hätte ich mich sehr gut anfreunden können. Ich sage aber zugleich: Diese Debatte ist für uns gegessen, und wir sollten sie heute Abend nicht wieder aufleben lassen. Entscheidend ist, dass wir jetzt nach vorne schauen. ({1}) Wir werden in den nächsten Jahren noch einige Diskussionen über das Berliner Schloss im Deutschen Bundestag haben. Das kann ich Ihnen garantieren. Denn der Teufel steckt noch im Detail. Wir von den anderen Fraktionen werden wie die Kolleginnen Renate Blank und Petra Weis das Verfahren hinsichtlich des Wettbewerbs sehr aufmerksam verfolgen. Wahrscheinlich können wir als Gäste die entsprechenden Ausführungen im Preisgericht verfolgen. Wir werden die Entwicklung genau im Auge behalten. Ich habe schon dem Staatssekretär Lütke Daldrup und der Kollegin Karin Roth gesagt, dass ich, weil ich von Hause aus Projektleiter bin, auch auf die Kosten schauen werde. An diesem Punkt will ich den Finger in die Wunde legen. Wenn es heißt, der Kostenrahmen von 552 Millionen Euro wird überschritten - ich sage Ihnen ganz ehrlich, bei Projekten dieser Größenordnung kann das schnell passieren - und Sie daraufhin sagen, Sie wollen einsparen, dann müssen Sie mir erklären, an welcher Stelle Sie das tun wollen. Möglicherweise werden Sie genau an den Stellen einsparen wollen, die für Sie jetzt besonders wichtig sind, die Sie wie ein Mantra vor sich hertragen, wie zum Beispiel die Kuppel und die Schlüterhöfe. Das ist genau der Knackpunkt. Wenn wir alle der Meinung sind, dass es so gemacht werden soll, dann halte ich eine Vorfestlegung auf eine bestimmte Summe für sehr riskant. Wenn der Deutsche Bundestag sagt, aufgrund eines Kostenvoranschlags wird der Wiederaufbau garantiert nicht mehr als 600 Millionen Euro kosten, dann halte ich das für falsch. Ich bin zwar keiner, der will, dass das Geld zum Fenster herausgeschmissen wird. Aber ich bin der Meinung, dass man sich erst einmal das Ergebnis dieses Wettbewerbs anschauen, es bewerten und die Kosten berechnen sollte, bevor man eine Entscheidung trifft. Im Zweifelsfall muss man dann mit den Haushältern in die Bütt gehen. Dieses Verfahren halte ich für sinnvoll. Insofern plädiere ich für eine größere Offenheit. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns noch einen schönen Abend. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Petra Weis für die SPDFraktion. ({0})

Petra Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003657, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt muss ich aus einem zeitlichen Minus ein inhaltliches Plus machen. ({0}) Ich hoffe, dass mir das in den nächsten 3 Minuten und 55 Sekunden gelingt. Noch zu Beginn dieses Jahres konnte man viele skeptische Stimmen vernehmen, die den Wiederaufbau des Berliner Schlosses und damit zugleich den Bau des Humboldt-Forums in weite Ferne gerückt sahen. Siehe da, da legte Bundesminister Wolfgang Tiefensee im März dieses Jahres den sogenannten konzentrierten Entwurf mit dem Fokus auf die kulturelle Nutzung samt Finanzierungsvorschlag vor. Dieser Entwurf kam geradezu einer Initialzündung für das Projekt gleich. Denn dann ging auf einmal alles ganz schnell. Innerhalb kürzester Zeit hat das Kabinett den Entwurf verabschiedet. Mit dem Land Berlin wurde bereits eine Vereinbarung geschlossen. Bereits in dieser Woche - darauf ist schon hingewiesen worden - haben die Preisrichterinnen und Preisrichter für den in Kürze startenden Architektenwettbewerb ihre Arbeit aufgenommen. 2010 soll der erste Spatenstich erfolgen. Womöglich können wir bereits 2013 Eröffnung feiern. Wer von uns hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass ein solch atemberaubendes Tempo bei einem doch so ambitionierten Projekt möglich ist? Das Humboldt-Forum - Frau Kollegin Blank hat das schon ausgeführt - ist das mit Abstand bedeutendste kulturelle Bauvorhaben in Deutschland. Es wird nicht nur zur städtebaulichen Neugestaltung der Mitte Berlins beitragen. Mit seinem kulturellen Angebot wird es vor allem den Dialog von Kunst und Wissenschaft an einem zentralen Ort befördern. Ich möchte, sicherlich auch im Namen meiner Fraktion und hoffentlich im Namen vieler in diesem Hause, Minister Wolfgang Tiefensee ganz herzlich danken und ihm dafür Anerkennung zollen, dass er in der Frage der Realisierung dieses Projektes die alles entscheidende Initiative ergriffen hat. Er hat damit der Vision, die manche von Ihnen vielleicht für eine Utopie gehalten haben, eine realistische Perspektive gegeben. ({1}) Der Antrag der beiden Koalitionsfraktionen signalisiert unmissverständlich eine Unterstützung des Weges, den die Bundesregierung jetzt eingeschlagen hat. Aber er bedeutet auch eine Aufforderung an sie, das Parlament regelmäßig über den jeweils aktuellen Zwischenstand zu informieren. Das gilt insbesondere für den Abschluss des Realisierungswettbewerbs und die dort erzielten Ergebnisse. Kollege Hettlich hat schon darauf hingewiesen: So oder so wird uns das Projekt in den nächsten Jahren noch weiter beschäftigen. Natürlich ist auch mir nicht verborgen geblieben, dass es nach wie vor Zweifel gibt, ob die Aufgabe im Zuge der jetzt vereinbarten Rahmenbedingungen überhaupt zu erfüllen ist. Es gibt Stimmen unserer Kolleginnen und Kollegen von den Linken - aber auch Kollege Hettlich hat es vorhin eingeworfen -, die die Bundestagsbeschlüsse vor allem in ihrer Festlegung auf die Wiedererrichtung der historischen Fassaden am liebsten ungeschehen machen möchten. Gestatten Sie mir eine persönliche Anmerkung. Nicht nur als Anwohnerin des Schlossareals, die das jetzige und das zukünftige Bauwerk jeden Tag in Augenschein nehmen kann, habe ich mich natürlich gefragt, ob mich nicht auch mögliche zeitgenössische Lösungen überzeugt hätten. Allein, ich kenne eine solche Alternative nicht. Dass Andreas Schlüter gegebenenfalls alternativlos ist, halte ich nicht für eine Katastrophe, im Gegenteil. Das muss niemanden frustrieren. ({2}) Wenn wir das Schloss als Ort der Weltkultur wieder errichten lassen, dann können alle Bedenken in den Hintergrund treten, die von der Erwartung gespeist wurden, dass es sich bei unseren Beschlüssen um pure Absichtserklärungen oder reine Symbolik handelt. Es ist die inhaltliche Lösung, die mich zutiefst überzeugt. Sie ist so überzeugend, dass ich glaube, dass es fahrlässig wäre, wenn wir die Chance, die wir jetzt haben, ungenutzt verstreichen lassen würden. Ich glaube, wir sollten diese Chance beherzt nutzen und auf die Vorschläge der Architektinnen und Architekten gespannt sein. Wir sollten darauf achten, dass der später auszuwählende Entwurf eine überzeugende Lösung für die wahrhaft große Aufgabe anbietet, die wir den Architektinnen und Architekten, aber auch uns selbst gestellt haben. Das Humboldt-Forum und die Museumsinsel sind der sinnfällige Ausdruck einer Gesellschaft wie der unsrigen, die nicht nur Bildung und Kultur, sondern auch der Kultur des Bauens einen hohen Stellenwert einräumt. Ich würde mir wünschen, dass wir dieses Projekt im Zuge der noch folgenden Beschäftigungen mit ihm als das ansehen, was es tatsächlich ist: ein nationales und damit, wenn möglich, auch ein parteiübergreifendes Projekt. Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/7488 mit dem Titel „Wiedererrichtung des Berliner Schlosses - Bau des Humboldt-Forums im Schlossareal Berlin - Rekonstruktion der historischen Fassaden sicherstellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist damit angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „HumboldtForum statt Fassadenschloss - Schlossplatz mit Zukunftsorientierung“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7366, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5922 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksache 16/7375 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Es handelt sich um einen Gesetzentwurf zur Ände- rung des Grundgesetzes zur Einführung eines Volksent- scheids über die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zur Neufassung oder Änderung der vertrag- lichen Grundlagen der Europäischen Union. Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Ingo Wellenreuther für die Unionsfraktion, des Kollegen Michael Roth für die SPD-Fraktion, des Kollegen Florian Toncar für die FDP-Fraktion, des Kollegen Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen zu Protokoll1). Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/7375 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei der Gesetzentwurf abweichend von der Tagesordnung feder- führend beim Innenausschuss beraten werden soll. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL-Gesetzes - Drucksache 16/6736 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL-Gesetzes - Drucksache 16/6386 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) - Drucksache 16/7507 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Abgeordnete Gustav Herzog Dr. Kirsten Tackmann b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Bleser, Julia Klöckner, Uda Carmen Freia Heller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gustav Herzog, Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Schutz vor Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln verstärken - Drucksache 16/6958 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 1) Anlage 10 Vizepräsidentin Petra Pau Auch hierzu nehmen wir die Debattenbeiträge zu Pro- tokoll. Das betrifft die Beiträge des Kollegen Dr. Peter Jahr für die Unionsfraktion, des Kollegen Gustav Herzog für die SPD-Fraktion, der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen1). Mir liegen außerdem Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vom Kollegen Schindler und vom Kollegen Göbel vor2). Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL- Gesetzes. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7507, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6736 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und gegen eine Stimme aus der Unionsfraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes und des BVL- Gesetzes auf Drucksache 16/6386 für erledigt zu erklä- ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss- empfehlung ist angenommen. Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 19 b. In- terfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Druck- sache 16/6958 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Hilfe für irakische Flüchtlinge ausweiten - Im Irak, in Nachbarländern und in Deutschland - Drucksache 16/7468 - 1) Anlage 11 2) Anlagen 4 und 5 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Irakische Flüchtlinge in die EU aufnehmen In Deutschland lebende Irakerinnen und Iraker vor Abschiebung schützen - zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz für irakische Flüchtlinge gewährleisten - Drucksachen 16/5248, 16/5414, 16/6763 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Grindel Rüdiger Veit Hartfrid Wolff ({7}) Ulla Jelpke Josef Philip Winkler Auch hier nehmen wir die Debattenbeiträge zu Protokoll. Das betrifft die Beiträge des Kollegen Reinhard Grindel für die Unionsfraktion, des Kollegen Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion, des Kollegen Hartfrid Wolff ({8}) für die FDP-Fraktion, der Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Josef Philip Winkler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen3). Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7468 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überwei- sung so beschlossen. Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des In- nenausschusses auf Drucksache 16/6763. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5248 mit dem Titel „Irakische Flücht- linge in die EU aufnehmen - In Deutschland lebende Ira- kerinnen und Iraker vor Abschiebung schützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der FDP und der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5414 mit dem Titel „Schutz für irakische 3) Anlage 12 Vizepräsidentin Petra Pau Flüchtlinge gewährleisten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({9}) zu der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung „Demographischer Wandel und nachhaltige Infrastrukturplanung“ - Drucksachen 16/4900, 16/7367 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Andreas Scheuer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ernst Kranz für die SPD-Fraktion. ({10})

Ernst Kranz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003571, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein erstes Thema des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung in dieser Legislaturperiode war: „Demographischer Wandel und nachhaltige Infrastrukturplanung“. Der Beirat hat hier eine Expertenanhörung durchgeführt und nach anschließender Beratung und Auswertung am 25. Mai hier in diesem Plenum einen Bericht vorgelegt, der besprochen wurde. Inzwischen ist die Beratung in den Ausschüssen abgeschlossen. Der Beirat hat daraufhin eine Entschließung formuliert, die uns heute vorliegt. Diese wurde im federführenden Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung angenommen, und zwar einstimmig, also von allen Fraktionen. Das ist wichtig; denn konsensuales Vorgehen ist dem Beirat für Nachhaltigkeit sehr wichtig. Legislaturperioden sind kurz, Nachhaltigkeit aber beinhaltet vorausschauende und damit langfristige Vorgehensweisen. Es ist für den Nachhaltigkeitsbeirat deshalb von besonderer Bedeutung, Beschlüsse möglichst konsensual zu fassen. Dadurch wird der hohen Bedeutung der Themen für die gesamte Gesellschaft Rechnung getragen, und die Arbeit des Beirats nachfolgender Bundestage wird dadurch erleichtert, und zwar unabhängig davon, ob die Mitglieder in der Regierung oder in der Opposition sind. Das kann ja wechseln. Nicht zuletzt hat sich dieses Prinzip für eine effektive und wirksame Arbeit in diesem Beirat bisher bewährt. Der Beirat erkennt in seinem Bericht die Leistung der Bundesregierung an. Der „Städtebauliche Bericht 2004“ und der „Raumordnungsbericht 2005“ zeigen, dass die Regierung den richtigen Weg eingeschlagen hat, und zwar weg vom Wachstum und hin zur Berücksichtigung des Bevölkerungsrückgangs und des zunehmenden Anteils älterer Menschen in unserer Gesellschaft. Der Begriff Infrastruktur umfasst alle staatlichen und privaten Einrichtungen, die für eine ausreichende Daseinsvorsorge und wirtschaftliche Entwicklung erforderlich sind. Eine ausreichend vorhandene, gut organisierte und gut funktionierende Infrastruktur ist Grundvoraussetzung für alle Akteure in der Volkswirtschaft. Infrastruktur ist hierzulande selbstverständlich geworden, zu selbstverständlich, wie ich finde. Man merkt erst dann, wie wichtig Infrastruktur ist, wenn sie nicht ausreichend vorhanden ist und ihre Aufgabe nicht mehr erfüllt. Infrastruktur lässt sich in technische Infrastruktur - das sind Einrichtungen der Verkehrs- und Nachrichtenübermittlung, der Energie- und Wasserversorgung sowie der Entsorgung - und soziale Infrastruktur - das sind Schulen, Krankenhäuser, Sport- und Freizeitanlagen, Einkaufsstätten sowie kulturelle Einrichtungen - unterteilen. Wir haben uns erst einmal schwerpunktmäßig mit der technischen Infrastruktur befasst. Die soziale Infrastruktur wird in einem nachfolgenden Bericht erörtert werden. Die Planung, Erstellung und Instandhaltung einer Infrastruktur ist im Normalfall die Aufgabe des Staates oder ihm verbundener Organe wie öffentlich-rechtlicher Einrichtungen oder öffentlicher Unternehmen. Im Zuge der Privatisierung von kommunalen und staatlichen Betrieben und öffentlichen Aufgaben werden insbesondere Erstellung und Instandhaltung der Infrastruktur vermehrt von privaten und privatrechtlich organisierten Firmen übernommen. Diese Entwicklung sollte man kritisch verfolgen. Die herausragende Bedeutung des Infrastrukturrechts beruht auf der großen Bedeutung staatlicher und kommunaler Infrastruktur. Die Zuständigkeiten greifen wie Zahnräder ineinander. Gerade im verabschiedeten Bundeshaushalt 2008 stellt der Einzelplan 12 als Haushalt für technische Infrastruktur mit rund 13 Milliarden Euro den größten Investitionshaushalt dar. Technische Infrastruktur ist hochkomplex, und die investierten Mittel sind langfristig angelegt. Aus diesem Grund ist eine intensive Vorbereitung von Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels müssen diese Investitionen in technische Infrastruktur mehr denn je auch künftige Generationen und deren Belange berücksichtigen. Das ist notwendig, weil die technische Infrastruktur gepflegt und unterhalten werden muss. Nicht ausgelastete Kapazitäten der Infrastruktur bedeuten erhöhte Kosten für die Nutzer. Damit wir diese Aufgabe bewältigen können, ist eine verstärkte Zusammenarbeit auf allen Ebenen, das heißt auf denen des Bundes, der Länder und der Kommunen, erforderlich. Hierzu heißt es im „Städtebaulichen Bericht 2004“ der Bundesregierung: Die Schaffung und Sicherung eines stadtverträglichen Verkehrs mit seinen positiven Folgen für die städtische Umwelt und die Sicherung preiswerten Wohnraums stellen zentrale Aufgaben der Stadtentwicklung dar. Die demografischen Wandlungsprozesse erfordern zudem Weitblick und rechtzeitige Anpassung auf allen Feldern der Stadtentwicklung. Vor allem vor dem Hintergrund des vorhandenen hohen Investitionsbedarfs ist der Bund gefordert, die Städte und Gemeinden zu unterstützen. Insbesondere unter dem Stichwort „Bündelung“ kann es nicht nur die alleinige Aufgabe der Städte und Gemeinden sein, die Probleme zu bewältigen. Daher wird die Bundesregierung einen noch stärker integrativen Ansatz ihrer für die Stadtentwicklung relevanten Instrumente prüfen. Wer die Literatur verfolgt, wird festgestellt haben, dass es gerade in dieser Woche einige sehr interessante genau dieses Thema aufgreifende Berichte gab. So war es bisher üblich, dass wir Bauwerke vor allem aufgrund ihrer Statik und des Kostenfaktors beurteilt haben. Auch an dieser Stelle müssen wir umdenken. Nicht nur sicherheitsrelevante, funktionale und ästhetische Aspekte, sondern die Gesamtheit eines Bauwerks ist zu betrachten. Dazu gab es einige interessante Ausführungen im Dezemberheft des Deutschen Ingenieur-Blatts unter dem Titel „Nachdenken über Nachhaltigkeit“. Darin wurde auf integrierte, nachhaltige Planung eingegangen und hervorgehoben, dass über die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit des Bauens nachgedacht werden muss. In einer Broschüre der Bauindustrie wurde im Dezember ein Artikel unter dem Titel „Ganzheitliches Bauen - Baukompetenz nutzen, Klimaprobleme lösen“ veröffentlicht. Neben den Planern betrifft das jetzt zunehmend auch die Ingenieure und Architekten. Die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen wurde initiiert. Schwerpunkte ihrer Arbeit sollen umweltfreundliches Bauen, Gesundheit und Bauen, Ressourcenschonung und die Wirtschaftlichkeit beim Bauen insgesamt sein. Es gibt im Hinblick auf die Nachhaltigkeit einen immer größeren Bedarf an Beratung und Planung. Wir erhoffen uns, dass damit Marktanteile in Deutschland errungen werden können und dieses Wissen in Form von Planungsund Beratungsbeiträgen exportiert werden kann. ({0}) Es muss eine ganzheitliche Betrachtung von Planung, Bauausführung, dem Betrieb von Gebäuden bis hin zum Rückbau von Gebäuden sowie der Wiederverwendung von Baustoffen und Bauteilen geben. Man geht davon aus, dass sich der Energieaufwand beim Bau und Betrieb von Gebäuden durch integriertes Bauen gegenüber den herkömmlichen Konzepten um bis zu 60 Prozent senken lässt. Die Planungs- und Baukosten dafür sind nur unwesentlich höher. Wer nachdenkt, erkennt, dass diese sich bereits innerhalb weniger Jahre amortisieren. Nicht nur die Umwelt und die Energieressourcen haben etwas davon; vielmehr sparen Eigentümer und Betreiber auch Geld. Wenn wir den Wohnungsbau betrachten, sehen wir, dass wir damit ein Mittel in der Hand haben, um die Betriebskosten in den Griff zu bekommen. Auf diese Weise können wir das Ansteigen der Mieten verhindern und dafür sorgen, dass Wohnungen bezahlbar bleiben. Abschließend möchte ich kurz darauf hinweisen, dass am Dienstag zu genau diesem Thema ein Kongress des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hier in Berlin stattgefunden hat. „Nachhaltiges Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden“ war die Überschrift zu diesem Kongress. Ich glaube, mit diesen Beispielen konnte ich gut belegen, dass Nachhaltigkeit auch in unserem Ministerium ihren Niederschlag findet und wir sie schon zu weiten Teilen in der Praxis umgesetzt haben. Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Döring das Wort.

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben weite Teile dieser Diskussion im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung in wirklich angenehmer, freundschaftlicher Atmosphäre erlebt. Es fällt auf, dass wir über viele Jahre ausschließlich darauf fokussiert waren, welche Auswirkungen die demografische Entwicklung auf die sozialen Sicherungssysteme hat. Daher habe ich mir spaßeshalber noch einmal den Bericht der Enquete-Kommission von Anfang der 90er-Jahre - ich glaube, das war die Wahlperiode, die von 1994 bis 1998 ging - angeschaut, in dem es um die Folgen des demografischen Wandels ging. Damals wurde der Aspekt, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf unsere Infrastruktur hat, nur ganz am Rande beleuchtet; man hat sich seinerzeit zu Recht darauf konzentriert, welche Auswirkungen die demografische Entwicklung auf die Rentenversicherungssysteme und die Krankenversicherungssysteme hat. Wir haben dann insbesondere im Zusammenhang mit den baupolitischen Diskussionen angesichts der Entwicklung der neuen Länder auch darüber sprechen müssen, wie wir mit sich entleerenden Räumen umgehen können. Letztendlich muss man klar sagen: An der demografischen Entwicklung kann man das Prinzip der Nachhaltigkeit am anschaulichsten verdeutlichen. Wir haben in Deutschland seit Mitte der 70er-Jahre sinkende Geburtenraten. Das wirkt jetzt doppelt hart; denn die in den 70er-Jahren nicht geborenen Mädchen können heute keine Kinder bekommen, und die Frauen, die da sind, bekommen auch noch weniger Kinder als die Frauen in den 70er-Jahren. Die Spirale geht somit weiter nach unten. ({0}) - Die bekommen nun einmal keine Kinder. Ich sehe vielleicht so aus, Frau Kollegin, aber ich habe nicht sechs Monate Querlage. Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir mit der Infrastruktur in Deutschland umgehen, in sich entleerenden Räumen, aber auch in stark wachsenden Räumen. Ich bin dem Kollegen Kranz dankbar, dass er es geschafft hat, ein paar Widersprüche oder Dissense aufzuzeigen. Denn natürlich brauchen wir eher mehr Markt und eher mehr Wettbewerb und eher mehr Marktteilnehmer in diesem Bereich als mehr Staat. Es gibt flexible Instrumente, ich sage als Stichworte nur: rollende Supermärkte, rollende Buchläden, rollende Sparkassen. ({1}) - Rollende Bibliotheken, genau. - Damit kann man darauf reagieren, dass wir in ländlichen Räumen die Infrastruktur nicht mehr so zur Verfügung stellen können. Wir sehen dabei, dass Private solche Leistungen oft schneller und besser anbieten, als das die öffentliche Hand kann. Von daher darf man ihnen keine Steine in den Weg legen. ({2}) Ich bin deshalb dankbar, dass der Bundesrat in seiner letzten Sitzung dafür gesorgt hat, dass die fahrpersonalrechtlichen Vorschriften, die zum Beispiel für Fernfahrer gelten, nicht auf die ausgedehnt werden, die überwiegend in den Fahrzeugen sitzen, um Bücher oder Waren des täglichen Bedarfs auszufahren. Mit so etwas fängt es nämlich an! Ich will ein weiteres Beispiel nennen, bei dem die Koalition den Pfad, den wir hier gemeinsam beschreiten, verlassen hat: Das war bei der Körperschaftsteuerreform. Es ist natürlich falsch, einerseits Sonderprogramme für die Innenstadtentwicklung zu beschließen und andererseits bei der Körperschaftsteuerreform dafür zu sorgen, dass Einzelhandelsbetriebe, die mehr als 8 000 Euro Miete im Monat zahlen, das, was über diese 8 000 Euro im Monat hinausgeht, nicht mehr als Betriebsausgaben absetzen und damit ihre Steuerschuld mindern können, also letztendlich substanzbesteuert werden. Das trifft nämlich die mittelständischen Facheinzelhandelsbetriebe in innerstädtischen Lagen, die wir mit den anderen Programmen gerade erhalten und fördern wollen. Das passt nicht zusammen. ({3}) Darum macht man ja Parlament: damit diejenigen, die sich einem Thema von unterschiedlichen Aspekten aus nähern, hier im Plenum versuchen, ihre Handlungen zu synchronisieren. Das ist bei den beiden genannten Beispielen nicht gelungen. Wir sollten uns als Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung auch bei Gesetzesverfahren, bei denen wir vielleicht nicht auf den ersten Blick zuständig sind, auf den zweiten aber wohl, frühzeitig einbringen und solche Widersprüche aufdecken. ({4}) In den 80er-Jahren war der Nachhaltigkeitsbegriff ein politischer Kampfbegriff. Eigentlich ist er viel älter und enthält, wie ich meine, sehr liberale Ansätze. Wir haben es geschafft, diesen Gedanken im Bereich Raumordnung, im Bereich Infrastrukturplanung einzufügen. Jetzt müssen wir gemeinsam darauf achten, dass sich auch die Programme des Bundes - das, was wir hier beeinflussen können - daran orientieren. In diesem Sinne sollten wir weiter arbeiten. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Andreas Scheuer das Wort. ({0})

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil einige Punkte von meinen Vorrednern schon angesprochen wurden, möchte ich noch einmal grundsätzlicher sagen, dass auch der Parlamentarische Beirat die Nachhaltigkeit im Bereich des Verkehrs und der Infrastruktur nicht mehr nur unter rein umweltpolitischen Gesichtspunkten sieht. Wir haben die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Punkte mit den anderen Themen verzahnt, wie zum Beispiel der Infrastrukturplanung, dem Bau und dem Bereich der Demografie. Ich glaube nämlich, dass Nachhaltigkeit nicht ausschließlich mit Umweltthemen verzahnt werden darf. Unsere Bundeskanzlerin Dr. Merkel hat die Nachhaltigkeit in ihrer Haushaltsrede zum Leitprinzip der deutschen Politik erklärt. Ich glaube, wir haben hier als Parlamentarischer Beirat auch eine riesige Chance. Diese Punkte werden der Politik immer negativ angelastet, weil in der Öffentlichkeit immer gesagt wird, wir Politiker würden nur bis zum nächsten Wahltag denken. Die kollegiale und freundschaftliche Zusammenarbeit bei diesem Thema, über das wir hier debattieren, ist ein Beispiel dafür, dass wir ein Zukunftsausschuss sind und über den nächsten Wahltag hinaus denken. Ich glaube, das ist auch das Wesens- und Leitprinzip, das wir als Parlamentarischer Beirat haben. Natürlich gibt es an der einen oder anderen Stelle für jede Fraktion heilige Kühe, also Dinge, bei denen es schwierig ist, dazu überfraktionell Beschlüsse zu fassen. Trotzdem denke ich, dass wir hier ein Signal dafür gesetzt haben, dass Politik über die nächsten Wahltage hinausschaut. ({0}) Der drastische Rückgang der Einwohnerzahlen und die umfangreichen Wanderungsbewegungen, die auf einer Powerpoint-Präsentation dargestellt wurden, haben mich schon sehr umgetrieben, weil ich denke, dass es ein zentrales Thema werden muss, wie wir mit Wirtschaftsansiedlungen und einer Infrastrukturpolitik sich entleerende Räume strukturpolitisch wieder aufwerten können. Ich denke, das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat hier auch eine Bringschuld. Es muss für die Themen, die wir in unserer Entschließung angesprochen haben, einen Handlungs- und AktionsrahDr. Andreas Scheuer men vorgeben - beispielsweise für die technische und soziale Infrastruktur. Hier geht es wirklich um wesentliche Punkte der infrastrukturellen Daseinsvorsorge. Meine Kollegen Vorredner haben diesen Bereich der Raumordnungsplanung ja schon angesprochen. Die Fakten der Bevölkerungsentwicklung sind klar. Ich möchte aber noch ein strukturpolitisches Thema ansprechen, das vor allem im Bereich der Kommunikationstechnik angesiedelt ist. Ich glaube, der Parlamentarische Beirat hat Anstöße dazu gegeben, über die Anträge hinaus nachzudenken, die wir heute Vormittag zum ländlichen Raum debattiert haben, und darauf hingewiesen, dass die technische Infrastruktur sehr wichtig ist. Hier ist nicht nur an Teer oder Beton zu denken, sondern natürlich auch an das, was unter der Oberfläche liegt, nämlich die Kabel und Sender - WiMAX-Systeme -, die als schnelle Datenleitungen eingebaut werden und die wir als Chance für den ländlichen Raum brauchen. Vielleicht müssen wir gerade auch bei der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung ein wenig dezentraler denken. Das hat die Anhörung ja ergeben. Auch wenn ich weiß, dass vor allem die Kommunen und die Länder dafür zuständig sind, sage ich als Bundespolitiker ganz bewusst: An ganz kleinen Beispielen sieht man, dass wir die interkommunale Zusammenarbeit - ich erwähne nur Räumdienste oder Ähnliches - unbedingt ausbauen müssen. Wir als Bundespolitiker können gerade bei der Förderung lenkend darauf hinwirken, dass die ländlichen Räume im Vergleich zu den Städten und Metropolregionen ihre Infrastruktur bewahren. Das geht aber nur durch Zusammenarbeit. ({1}) Kollege Ernst Kranz hat es bereits angesprochen: Die Arbeit im Beirat ist fraktionsübergreifend. Wir haben diese Entschließung als parlamentarisches Meisterstück - so will ich einmal sagen - hinbekommen. Wir haben uns hier geeinigt und auch strittige Themen kollegial besprochen. Von der Zielrichtung her waren wir uns grundsätzlich einig, und wir wollen hier gemeinsam auftreten. Wir wollen das ganze Parlament abbilden und die Themen, die wir über die nächsten Wahlen hinaus zu behandeln haben, manifest machen und ansprechen. Ich möchte in dieser vorweihnachtlichen Stimmung gerne mit einem Zitat von Saint Exupéry schließen - vielleicht ist dies ein Vorsatz für 2008 -: Was die Zukunft anbelangt, so haben wir nicht die Aufgabe, sie vorherzusehen, sondern sie zu ermöglichen. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Lutz Heilmann für die Fraktion Die Linke. ({0})

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Scheuer, ein kritischer Seitenhieb muss heute sein. ({0}) Die Kanzlerin vergisst bei der Nachhaltigkeitsdebatte leider immer die soziale Dimension der nachhaltigen Entwicklung. Sonst würde sie nicht so um den Mindestlohn und andere soziale Themen feilschen und keine Umverteilungspolitik betreiben, die wenig nachhaltig ist. ({1}) Ich finde es richtig, dass es heute die zweite Debatte über den Bericht gibt und dass damit das zuständige Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung noch einmal die Möglichkeit erhält, den vorgelegten Bericht intensiv zu prüfen und bei seiner Arbeit zu berücksichtigen. Diese Bereitschaft war bislang nicht so deutlich erkennbar. Deswegen haben wir uns im Beirat auf den gemeinsamen Entschließungsantrag geeinigt. Wir haben uns zusammengerauft. Ich finde es beeindruckend, dass sich alle Fraktionen geeinigt haben. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich möchte mich bei den Kollegen der Koalitionsfraktionen für die gute Zusammenarbeit ausdrücklich bedanken. ({2}) Was bedeutet der demografische Wandel? Erstens altert die Bevölkerung. Dass die Menschen immer älter werden, ist natürlich kein Problem. Im Gegenteil: Ich freue mich, dass meine Großmutter 86 Jahre alt ist und sich bester Gesundheit erfreut. Zweitens geht die Bevölkerungszahl zurück, weil immer weniger Kinder geboren werden. Das ist ein Problem, wobei ich vor allem an die vielen Menschen denke, die keinen Job haben und sich nur mühsam über Wasser halten können. Andere wursteln sich mit Praktika und prekären Beschäftigungen durch. Wenn diese Menschen über Familienplanung nachdenken, dann überlegen sie sich genau, ob sie Kinder bekommen. Drittens gibt es eine Bevölkerungswanderung. Was das heißt, können Sie in Ostdeutschland sehen. 20, 30 oder sogar noch mehr Prozent der Bevölkerung sind seit der Wende aus vielen Regionen dort abgewandert. Besonders problematisch ist, dass vor allem junge Menschen, insbesondere junge Frauen, abwandern. Warum? Sie sehen dort keine Perspektive für sich. Das ist das große Versäumnis der Nachwendepolitik. Darauf werden wir, Die Linke, Sie immer wieder hinweisen, auch wenn Sie es nicht mehr hören wollen. Wir werden erst dann damit aufhören, wenn sich die Perspektiven in Ostdeutschland deutlich verbessert haben. ({3}) Was bedeutet ein Rückgang der Bevölkerung für die Infrastrukturen? Lassen Sie mich dazu die Bundesverkehrswege als Beispiel herausgreifen. Der Beirat schreibt: Infrastrukturvorhaben, die absehbar nicht ausgelastet sein werden und nicht Teil eines regional abgestimmten demographiewirksamen Entwicklungsplans sind, müssen in ihrer Planung dem tatsächlichen Bedarf angepasst werden, … Für nicht ausgelastete Straßen gibt es genügend Beispiele. Ich lade Sie einmal herzlich ein, die A 20 östlich von Rostock zu befahren. Dort sieht man zwar blühende Landschaften, insbesondere Wildwiesen auf erschlossenen Gewerbegebieten, aber wenig Fahrzeuge auf der Autobahn. Natürlich kann die Konsequenz nicht sein, den Bau und Ausbau von Verkehrswegen im Osten einzustellen. Wir können aber auch nicht einfach die Landschaft weiter mit Autobahnen zupflastern. Wo wenige Menschen wohnen, reichen gut ausgebaute Bundesstraßen völlig aus. Auch angesichts der Geldknappheit ist es sinnvoller, das Netz der Bundesstraßen auszubauen. Das verbessert die Mobilität von wesentlich mehr Menschen, als wenn nur Autobahnen gebaut werden. Dass Autobahnen die Wirtschaft ankurbeln, ist nichts als ein Märchen. Andererseits geht es nicht nur um den Straßenverkehr. Es geht vielmehr darum, endlich eine verkehrsträgerübergreifende Planung hinzubekommen. Allen Beteuerungen der Regierung zum Trotz ist die sogenannte Bundesverkehrswegeplanung dieses eben nicht. Sie prüft einfach die Meldungen für Straßen, Schienen und Wasserstraßen, und diese bekommen dann den Stempel, der besagt, ob sie notwendig oder nicht notwendig sind. Das führte dazu, dass bisher alle Bundesverkehrswegepläne unterfinanziert waren und sind und dass nebeneinander Straßen, Schienen und Wasserstraßen gebaut werden. Das hat auch dazu geführt, dass der aktuelle Bundesverkehrswegeplan offiziell angibt, dass die Kohlendioxidemissionen, die durch den Verkehr entstehen, um 11 Prozent ansteigen. Das alles geschieht in Zeiten des Klimawandels. Zurzeit finden auf Bali Klimaverhandlungen statt. Deutschland muss sich dort dazu verpflichten, seine Kohlendioxidemissionen erheblich zu reduzieren. Dazu passt kein Bundesverkehrswegeplan, der bis 2015 11 Prozent mehr CO2-Emissionen zulässt. So weit müssten auch die Rechenkünste im Verkehrsministerium reichen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Heilmann, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich komme zum Schluss. - Das Ministerium muss handeln. Es müssen Umweltziele und Mobilitätsziele definiert werden. Deshalb brauchen wir eine Bundesmobilitätsplanung. Nehmen Sie sich den Bericht des Beirats zu Herzen und berücksichtigen Sie ihn in der nächsten Bundesverkehrswegeplanung! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Winfried Hermann das Wort. ({0})

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht nur die Freude, hier zu sprechen, sondern die schwierige Aufgabe, die eine oder andere Kollegin wachzurütteln, die schon einzuschlafen droht. ({0}) Aber im Ernst: Einer meiner Vorredner hat darauf hingewiesen, dass wir uns schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten mit dem demografischen Wandel befassen. Dem muss ich entgegenhalten, dass sich die Politik lange auf den demografischen Wandel konzentriert hat, als es darum ging, was das für die sozialen Sicherungssysteme bedeutet, aber nicht bezogen auf die Frage, wie wir die technische Infrastruktur entwickeln sollen. Insofern hat der Parlamentarische Beirat das völlig verdrängte und vernachlässigte Problem des demografischen Wandels zu Recht aufgegriffen; im Bericht wird, wie ich finde, sehr differenziert und an manchen Stellen auch durchaus anstößig darauf eingegangen, ob wir so weitermachen können. ({1}) Wir haben im interfraktionellen Konsens manches schriftlich formuliert, was in manchen Fachausschüssen noch nicht möglich wäre. Ich will das am Beispiel des Bundesverkehrswegeplans deutlich machen; der Kollege Heilmann hat es bereits angesprochen. Bei dieser Planung wird selbstverständlich eine Prognose erstellt, die aber zum Beispiel in Bezug auf den Verkehr und die demografische Entwicklung bei der jetzigen Planung maximal bis 2015 reicht. Die Daten stammen in der Regel aus den 90er-Jahren; gedacht wird im Geiste der Jahrzehnte davor. Im Wesentlichen glauben wir an diese Wachstumssprognosen, weil es immer so war. Die Gesellschaft und der Verkehr haben sich entsprechend entwickelt; alles ist so weitergegangen. Die Prognosen enden maximal im Jahr 2015. Wir bauen aber Straßen, Brücken und Tunnels, die mindestens bis 2050, 2070 oder 2080 halten werden, betrieben werden müssen und Kosten verursachen. All das haben wir bisher zweifellos zu wenig berücksichtigt, und zwar nicht nur der Bund als für den Straßenbau zuständige Instanz, sondern auch die Länder und Kommunen. Man baut sozusagen, als ginge alles immer so weiter wie bisher. Man hat in die Kosten nie wirklich die über die Jahrzehnte folgenden Betriebskosten miteinbezogen. Ich glaube, dass es für die Kommunen ziemlich hart werden wird, wenn sich herausstellt, was die Infrastrukturen kosten. Insofern haben wir im Beirat festgestellt, dass es höchste Zeit ist, umzudenken und das stärker mit ins Kalkül zu nehmen. Man muss bei jeder Infrastrukturentscheidung - sei es eine Baugebietsausweisung, eine Umgehungsstraße oder ein Tunnel - ernsthaft und gründlich fragen, ob wir uns das auch noch in 20 Jahren leisten können, ob wir es in 30 Jahren noch brauchen und wie dann die Gesellschaft aussieht. Man muss auch fragen, was für Menschen dann die Verkehrsinfrastruktur nutzen werden. Wollen sie alle Porsche fahren, wenn sie älter sind, oder können sie zum Beispiel die klein beschrifteten Automaten im öffentlichen Verkehr nutzen? Die gesamte Infrastruktur im Verkehrssektor ist gar nicht auf älter werdende Menschen ausgerichtet. Heißt das nicht, dass man viel mehr über die Gestaltung und Nutzung der vorhandenen Infrastruktur und die Optimierung des Vorhandenen nachdenken muss? ({2}) Das sind die Fragen, die wir aufgeworfen haben. Wir bitten herzlich darum, hier im Parlament, aber auch in allen anderen Parlamenten, auf allen anderen politischen Ebenen ernsthaft der Frage nachzugehen, wie verkehrliche Infrastruktur so gebaut, angepasst und weiterentwickelt werden kann, dass sie zukunftsfest und demografiefest ist in dem Sinne, dass sie auch noch in 20 und 30 Jahren tauglich und bezahlbar ist. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Günter Krings das Wort. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als Vorsitzender des Parlamentarischen Beirats zu Beginn würdigend darauf hinweisen, dass um diese Zeit noch so viele Kollegen im Plenum sind, ich hoffe, einige auch wegen des Themas. Es sind auch viele Kollegen hier, die nicht dem Parlamentarischen Beirat angehören. ({0}) Ich finde das auch richtig, weil wir hier ein Querschnittsthema diskutieren, das alle Fachausschüsse betrifft. Es hat nicht nur lange gedauert, Herr Kollege Hermann, bis wir in Deutschland das Thema „Demografie und Infrastruktur“ aufgegriffen haben, es hat auch Jahrzehnte gedauert, bis wir das Thema Demografie überhaupt aufgegriffen haben, viel zu lange. Alle Anstrengungen im Bereich der Familienpolitik, die gut voranschreiten, und der Integrationspolitik werden uns nicht davor bewahren, dass es ungefähr im Jahre 2050 etwa 10 Millionen Menschen weniger in Deutschland gibt. Allein diese Zahl zeigt, dass auf die Infrastruktur andere Herausforderungen zukommen. Abstrakt ist die Erkenntnis da. Wenn es jedoch konkret wird, dann will jeder Bürgermeister doch noch das letzte Neubaugebiet in seiner Region, seiner Heimatstadt planen und bewirtschaften, damit er neue Einwohner bekommt. Das gilt allerdings auch - diese Bemerkung gestatten Sie mir bitte für Politikbereiche, über die wir hier in Berlin entscheiden. Ich sage es aus meiner persönlichen Sicht: Natürlich wissen wir abstrakt, wie sich der Bevölkerungsaufbau darstellt, aber wir sind nicht bereit, im Bereich der Pflegeversicherung konkrete Finanzierungsalternativen zu diskutieren und zu beschließen. Beim Thema Infrastruktur geht es um sehr langfristige Entscheidungen, weil Infrastruktur, wie Sie, Herr Kollege Hermann, zu Recht gesagt haben, für Jahrzehnte, zum Teil für Jahrhunderte gebaut wird. Wir bewegen uns heute auf Straßen, deren Trassen zum großen Teil aus napoleonischer Zeit stammen. Auch die Eisenbahntrassen sind vor über 100 Jahren gebaut worden. Und wie lange Flughafenplanung dauert, muss ich in Berlin sicherlich niemandem erklären. Bei Entscheidungen, die langfristige Tragweiten haben, ist Politik immer ziemlich schlecht, und zwar in allen Bereichen: Bund, Länder und Gemeinden. Da sind wir wirklich nicht gut, weil wir oft in sehr kurzfristigen Zeiträumen denken. Von daher ist es gut, dass der Parlamentarische Beirat versucht, hier eine Langfristperspektive einzubringen. Wir versuchen das im Konsens, bisher meistens erfolgreich. Wir merken, dass es bei den Themen Finanzen und Soziales schwieriger wird. Ich habe die Hoffnung, dass wir in weiten Teilen des Beirats bei möglichst vielen Themen auch in Zukunft beieinander bleiben. Aber wir müssen ehrlich sein: Wenn wir zum Beispiel beim Thema Infrastruktur über Konsequenzen sprechen, dann bedeuten „gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland“ nicht zwingend „überall gleiche Lebensverhältnisse“. Das heißt für mich: nicht weniger Infrastruktur in dünnbesiedelten Räumen, sondern zum Teil eine andere Infrastruktur. Letztlich müssen wir aufpassen, dass das Thema demografischer Wandel nicht nur mit negativen Begriffen besetzt wird. Es gibt auch Chancen, die damit verbunden sind. Beispielsweise können wir den Flächenverbrauch mindern. Schauen wir uns einmal das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung an! Es gibt kein Ziel dieser Strategie, das so krass verfehlt wird wie das Thema Flächenverbrauch. ({1}) Statt bei 30 Hektar pro Tag bewegen wir uns bei ungefähr 100 Hektar. Dieses Problem müssen wir auch im politischen Handeln stärker aufgreifen. Ich meine schon, dass die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, dass wir den demografischen Wandel in Deutschland nicht reaktiv betrachten, sondern gestaltend damit umgehen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten in Deutschland nicht weniger, sondern mehr Lebensqualität erreichen. Voraussetzung ist allerdings, dass wir diese Nachhaltigkeitsstrategie auch in ihrer Steuerungswirkung ernst nehmen. Das heißt, eine Nachhaltigkeitsstrategie, die nur neben der Ressortpolitik herläuft und nicht in einigen Bereichen zu Politikänderungen führt, kann nur wenig bringen. Die Zeit, die man sich mit ihr beschäftigen würde, wäre zu schade. Das heißt, eine Nachhaltigkeitsstrategie muss zumindest in Teilbereichen zum Umdenken und letztlich zu Politikänderungen führen. Das Bild des guten Vorsatzes für 2008, das der Kollege Scheuer gemalt hat, will ich gerne aufgreifen. Ich finde, nicht nur die Mitglieder des Parlamentarischen Beirates, sondern alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollten sich als guten Vorsatz für das neue Jahr vornehmen, unserer Nachhaltigkeitsstrategie in Teilbereichen zu mehr Biss und Durchschlagskraft zu verhelfen; das ist sicherlich ein schwieriges Unterfangen. Der Parlamentarische Beirat will dazu einen Beitrag leisten. Wir warten mit Spannung auf die im Fortschrittsbericht 2008 angekündigten Projekte und Maßnahmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Krings, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letzter Satz, solange ein Vertreter der Bundesregierung da ist. - Noch spannender wird es sein, zu sehen, ob die Schlussfolgerungen des Fortschrittsberichts 2008 in konkretes Regierungshandeln umgesetzt werden. Wenn die Bundesregierung das heute nicht mitbekommt, dann werden wir, der Parlamentarische Beirat, dafür sorgen, dass sie es dann im nächsten Jahr durch unsere Äußerungen mitbekommen wird. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Bericht des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung mit dem Titel „Demographischer Wandel und nachhaltige Infrastrukturplanung“. Das sind die Drucksachen 16/4900 und 16/7367. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Birgit Homburger, Markus Löning, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP Bürokratie abbauen - Zeitumstellung abschaf- fen und Sommerzeit permanent einführen - Drucksachen 16/4773, 16/6699 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Werner Kammer Dr. Max Stadler Silke Stokar von Neuforn Der Kollege Hans-Werner Kammer für die Unions- fraktion, der Kollege Maik Reichel für die SPD-Frak- tion, die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion, die Kollegin Silke Stokar von Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Petra Pau geben ihre Reden zu Protokoll.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Bürokratie abbauen - Zeitumstellung abschaffen und Sommerzeit permanent einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/6699, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4773 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b so- wie den Zusatzpunkt 7 auf: 23 a) Beratung des Antrages der Abgeordneten Anette Hübinger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaften zwischen der EU und den AKP-Staaten - Chance für politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität - Drucksache 16/7487 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({1}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 1) Anlage 13 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspolitik statt Freihandelsdiktat - Drucksache 16/7473 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU und AKPStaaten entwicklungsfreundlich gestalten - Drucksache 16/7469 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({4}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Kollegin Anette Hübinger für die Unionsfraktion, der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion, der Kollege Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion, die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke und der Kollege Thilo Hoppe für die Bündnis 90/Die Grünen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/7487, 16/7473 und 16/7469 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine neue effektive und an den Bedürfnissen der Hungernden ausgerichtete Nahrungsmittelkonvention - Drucksache 16/7470 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({5}) Auswärtiger Ausschuss 1) Anlage 14 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Die Kollegin Sibylle Pfeiffer hat für die Unionsfrak- tion ihren Beitrag zu Protokoll gegeben, der Kollege Dr. Sascha Raabe für die SPD-Fraktion, der Kollege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion, der Kollege Hüseyin-Kenan Aydin für die Fraktion Die Linke und der Kollege Thilo Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7470 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken ({6}) - Drucksache 16/7438 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Hier nehmen wir die Beiträge des Kollegen Leo Dautzenberg für die Unionsfraktion, der Kollegin Nina Hauer und des Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger für die SPD-Fraktion, des Kollegen Frank Schäffler für die FDP-Fraktion, des Kollegen Dr. Axel Troost für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro- tokoll.3) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/7438 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse und zusätzlich an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist auch diese Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8}) zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Christian Ahrendt, Hans-Michael Goldmann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP Zukunftschancen des Ostseeraums - Wirt- schaft, Ökologie, Kultur und Tourismus - Drucksachen 16/5251, 16/7048 - Berichterstattung: Abgeordneter Eckhardt Rehberg 2) Anlage 15 3) Anlage 16 Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das betrifft den Beitrag des Kollegen Eckhardt Rehberg für die Unionsfraktion, der Kollegin Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion, der Kollegin Dr. Christel Happach- Kasan für die FDP-Fraktion, des Kollegen Lutz Heilmann für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Bettina Herlitzius für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen.1) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Zukunftschancen des Ostseeraums - Wirtschaft, Ökolo- gie, Kultur und Tourismus“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7048, den Antrag der FDP auf Drucksache 16/5251 abzuleh- nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist damit gegen die Stimmen der FDP-Fraktion von den übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 d auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts - Drucksache 16/7461 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({9}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes - Drucksache 16/7462 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({10}) Rechtsausschuss c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes - Drucksache 16/7463 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({11}) Innenausschuss Rechtsausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch, Petra Pau, Ulla Jelpke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wahlmanipulationen wirksam verhindern - Drucksache 16/5810 - 1) Anlage 17 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({12}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das betrifft die Beiträge des Kollegen Stephan Mayer ({13}) für die Unionsfraktion, des Kollegen Klaus Uwe Benneter für die SPD-Fraktion, der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Fraktion, des Kollegen Jan Korte für die Fraktion Die Linke, der Kollegin Silke Stokar von Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des fraktionslosen Kollegen Gert Winkelmeier.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/7461, 16/7462, 16/7463 und 16/5810 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bodenprivatisierung neu ausrichten - Drucksache 16/7135 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({14}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das betrifft den Beitrag des Kollegen Dr. Peter Jahr für die Unionsfraktion, des Kollegen Dr. Gerhard Botz für die SPD-Fraktion, des Kollegen Dr. Edmund Peter Geisen für die FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7135 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({15}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller ({16}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulla 2) Anlage 18 3) Anlage 19 Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({17}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({18}), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksachen 16/6945, 16/5811, 16/5968, 16/7504 Berichterstattung: Abgeordnete Marcus Weinberg Ulla Burchardt Dr. Petra Sitte Priska Hinz ({19}) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksache 16/7262 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion. ({20})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie werden sich vielleicht wundern, dass ich zu diesem Thema als Einzige, soweit mir das bekannt ist, spreche, nämlich als Vertreterin der FDP-Fraktion aus dem zuständigen Ausschuss für Bildung und Forschung. Aber das hat auch seinen Grund. Es ist eigentlich kein Thema, bei dem es sich lohnt, sich politisch und ideologisch auseinanderzusetzen. Als wir in diesem Jahr die Vorbereitungen für die Reise der Bundeskanzlerin und von Frau Schavan nach Indien im Februar dieses Jahres getroffen haben, war uns allen klar, dass das eine gute Maßnahme ist. Es war wichtig, dass im Februar 2007 während der EU-Ratspräsidentschaft auf Initiative Deutschlands eine Wissenschaftskonferenz stattgefunden hat, weil Indien als größte Demokratie in Südostasien eine wichtige strategische Rolle im Friedensprozess spielt. ({0}) Uns ist klar: Bildung, Wissenschaft und Forschung tragen maßgeblich dazu bei, dass die Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten vertieft wird. Wenn man weiß, dass Indien eine rasant wachsende Wissenschafts- und Forschungslandschaft hat, dass das Wirtschaftswachstum mit 10 bis 12 Prozent enorm ist und Indien viel schneller wächst als europäische Staaten, weil alle Anstrengungen unternommen werden, um gerade in Bildung und Forschung zu investieren, ist es wichtig, ein solches Programm vorzulegen, ein Regierungsprogramm in der Zusammenarbeit auch zu ergänzen und gerade im Jahr der Geisteswissenschaften Akzente auf die Geisteswissenschaften zu setzen. ({1}) So gut das auch ist: Ich stehe heute nicht hier, weil ich über die Richtigkeit des Inhalts reden will, was uns allen klar ist. Ich stehe heute hier, weil ich als Abgeordnete des Ausschusses wirklich empört darüber bin, wie mit einer guten Idee interfraktionell verfahren worden ist. ({2}) Heute liegt eine Beschlussempfehlung des Ausschusses vor, die sich auch auf einen Antrag der Regierungskoalitionen bezieht, den ich eigentlich mit verfasst habe, den ich unterstütze und den auch meine Fraktion unterstützt. Deswegen werden wir für die Beschlussempfehlung des Ausschusses und damit für den Antrag der Regierungskoalition stimmen. Die Regierungskoalition war aber nicht in der Lage, einen interfraktionellen Antrag auf den Weg zu bringen, aus unterschiedlichen Gründen. Die Unionsfraktionen haben gesagt: Mit uns gibt es das nicht. Die Linke erscheint bei uns nicht als Antragsteller. ({3}) Nach einem entsprechenden Vorschlag an die FDP sagte die SPD: Wenn die FDP mit als Antragsteller erscheint, müssen auch die Grünen dort erscheinen. ({4}) Uns ging es immer um die Sache und nicht um eine ideologische Debatte in dieser Frage. ({5}) Diese Art und Weise des Umgangs mit sachlichen Anträgen, die auch eine außenpolitische Tragweite haben, die überhaupt keinen Streit in einer fachlichen oder sachlichen Frage hervorbringen, ist für mich unverständlich. Unverständlich ist, dass man sich in dieser Frage nicht geeinigt hat. ({6}) Wir haben deshalb einen eigenen Antrag gestellt, der den Wortlaut des Antrags der Regierungskoalition hat. Es ist der gleiche Antrag. Meine Fraktion ist nun wirklich gespannt, wie sich die Regierungskoalition in der Frage verhalten wird. Ich fände es einfach absurd, wenn Sie vielleicht aus rein machtstrategischen Gründen einen Antrag niederstimmten, der den gleichen Inhalt hat wie der Antrag der Regierungskoalition. ({7}) Ich werbe an dieser Stelle noch einmal - das ist mir die Sache wert - für den Antrag der FDP. Wir haben versucht, das in diesem Hause interfraktionell auf den Weg zu bringen, weil es wichtig ist, dass wir nach außen, egal ob es um die europäische Politik oder um die Zusammenarbeit mit Indien geht, ein gemeinsames Programm verkünden und geschlossen auftreten. Ich sage zur Regierungskoalition einfach: Beenden Sie endlich diese ideologischen Debatten in dem Zusammenhang! Wir wollen eine Politik der Vernunft, und diese Politik der Vernunft können Sie unter Beweis stellen, indem Sie auch dem Antrag der FDP zustimmen. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Marcus Weinberg für die Unionsfraktion, der Kollegin Ulla Burchardt für die SPD-Fraktion, der Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Priska Hinz ({0}) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.1) Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung auf Drucksache 16/7504 zu mehreren An- trägen zum indisch-deutschen Studierenden- und Wis- senschaftleraustausch. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des An- trags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/6945. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal- tungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5811. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Frak- tion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. 1) Anlage 20 Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5968. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7262 zum indisch-deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abgelehnt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Defizite bei der Umsetzung der Europa-Vereinbarung abstellen - Drucksache 16/7139 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt nehmen wir zu Protokoll. Das betrifft die Beiträge des Kollegen Michael Stübgen für die Unionsfraktion, des Kollegen Michael Roth ({2}) für die SPD-Fraktion, des Kollegen Michael Link ({3}) für die FDP- Fraktion, des Kollegen Alexander Ulrich für die Frak- tion Die Linke und des Kollegen Rainder Steenblock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.2) 2) Anlage 21 Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7139 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 14. Dezember 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen.