Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen; ich begrüße Sie alle herzlich.
Ich mache Sie auf die Zusatzpunktliste aufmerksam,
die interfraktionell vereinbart worden ist:
ZP 1 Wahlvorschlag der Fraktion der SPD
Wahl eines Mitgliedes des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes
Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitgliedes des Ausschusses nach
Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({0})
Wahl eines Mitgliedes des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4
des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des
Bundes ({1})
- Drucksache 16/7287 ({2})
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Nanotechnologie für die Gesellschaft nutzen - Risiken vermeiden
- Drucksache 16/7276 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje
Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Hochwertige Computerspiele fördern und bewahren
- Drucksache 16/7282 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Sind Sie mit der Aufsetzung der dort aufgeführten
Punkte einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt II - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2008 ({6})
- Drucksachen 16/6000, 16/6002 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011
- Drucksachen 16/6001, 16/6002, 16/6426 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider ({8})
Dr. Gesine Lötzsch
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Dazu rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt II.13 auf:
Einzelplan 11
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- Drucksachen 16/6411, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Zum Einzelplan 11 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor,
über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung
abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Dr. Claudia Winterstein für die FDP-Fraktion.
({9})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Konrad Adenauer hat einmal gesagt: In der Politik ist es nie zu spät; es ist immer Zeit für einen Neuanfang. Ich begrüße den neuen Arbeitsminister, für den die
Haushaltsberatung heute eine Premiere ist. Herr Scholz,
Sie übernehmen den größten Einzeletat des Bundes in
Höhe von 124 Milliarden Euro. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute und einen klaren Blick; denn Sie übernehmen damit eine große Verantwortung.
({0})
Ein personeller Neuanfang bedeutet ja auch immer die
Chance einer inhaltlichen Neuausrichtung. Auf diese
hoffe ich natürlich sehr, weil ich sie für notwendig halte.
Zwei Probleme kennzeichnen diesen Haushalt:
Erstens. Die Bundesagentur für Arbeit wird immer
mehr zum Selbstbedienungsladen für den Bundeshaushalt.
({1})
Den Aussteuerungsbetrag schafft die Koalition zwar
ab, weil er verfassungswidrig ist und außerdem nur noch
eine geringe Summe erbringt; zugleich aber greift die
Regierung dem Beitragszahler noch unverschämter in
die Tasche als je zuvor.
Die Beschlüsse zur Arbeitsmarktpolitik - das betrifft
den Eingliederungsbeitrag, den Beitragssatz und das Arbeitslosengeld I - bilden sich im Haushalt des Arbeitsministers recht einseitig ab. Im Haushalt des Arbeitsministers findet eine Entlastung statt, im Haushalt der
Bundesagentur für Arbeit eine Belastung. Mit dem Eingliederungsbeitrag bereichert sich der Arbeitsminister
mit über 5 Milliarden Euro aus den Taschen der Beitragszahler. Es zahlt die Bundesagentur für Arbeit. Der
Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung wird gesenkt.
Es zahlt die Bundesagentur für Arbeit. Das
Arbeitslosengeld I wird verlängert. Es zahlt die Bundesagentur für Arbeit.
({2})
Die Koalition verübt auch beim Arbeitslosengeld I
Betrug am Beitragszahler.
({3})
Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I sollte nämlich kostenneutral erfolgen. Stattdessen gibt der Bund lediglich 270 Millionen Euro zu den insgesamt mindestens
800 Millionen Euro Mehrkosten hinzu.
Zur Kritik an dem politischen Vorhaben selbst will
ich nur die Bundesbank zitieren. Sie nennt die längere
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I einen „Rückschlag im Bemühen um günstigere Rahmenbedingungen
für mehr Beschäftigung“.
({4})
Kurzum: Sie treffen die falschen Beschlüsse, Sie richten
Schaden statt Nutzen an, und Sie bezahlen das mit dem
Geld der Beitragszahler.
Zweitens. Die Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik werden erhöht, aber die nötigen Schlussfolgerungen aus der Evaluierung werden nicht gezogen. In der
Koalitionsvereinbarung 2005 hieß es:
Die Vielzahl unterschiedlicher Förder-Instrumente
ist für die Menschen kaum noch überschaubar. Vieles deutet darauf hin, dass einzelne Maßnahmen
und die damit verbundenen, teilweise umfangreichen Mittel der Arbeitslosenversicherung zielgenauer, sparsamer und effizienter eingesetzt werden
können.
({5})
Die Erkenntnis war richtig. Geschehen ist bisher jedoch
so gut wie nichts. Es wird also nach wie vor Geld verschwendet.
Der bisherige Arbeitsminister hat sich jetzt mit der
Zusage verabschiedet, dass der Bericht zu den Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik in diesem Herbst vorgelegt wird. Das hat er im letzten Jahr auch schon versprochen. Herr Scholz, ich hoffe, dass Sie dieses
Versprechen jetzt tatsächlich einlösen.
({6})
Im Haushalt 2008 wird der Maßnahmendschungel
nicht gelichtet. Im Gegenteil: Es kommen immer weitere
neue Arbeitsmarktinstrumente hinzu. Die Koalition hanDr. Claudia Winterstein
delt nach dem Motto „Viel hilft viel“. Das ist, wie die
Untersuchungen gezeigt haben, völlig falsch.
Das Geldausgeben fällt Ihnen umso leichter, weil alle
Wohltaten zur Hälfte von der Bundesagentur für Arbeit
mitfinanziert werden, und zwar ohne dass diese in irgendeiner Form ein Mitspracherecht hätte. Es ist leicht,
das Geld anderer Leute zu verschwenden. Das ist das
Motto der Koalition.
({7})
Wir haben im liberalen Sparbuch vorgeschlagen,
diesen finanziellen Verschiebebahnhof endlich zu beenden. Der Vorschlag lautet: Die Bundesagentur für Arbeit
zahlt keinen Eingliederungsbeitrag an den Bund, und der
Bund überträgt auch keinen Mehrwertsteuerpunkt an die
Bundesagentur für Arbeit. Mit dem Verschieben von
Milliarden zwischen den beiden Stellen muss endlich
Schluss sein. Wir brauchen eine klare und saubere Trennung. Die Bundesagentur würde - das wurde in den
Haushaltsberatungen sehr deutlich - einen solchen
Schritt begrüßen.
Wir haben außerdem gefordert, der Bundesagentur
keine neuen Lasten aufzubürden; denn dadurch wäre es
möglich, den Beitragssatz auf 3 Prozent zu senken. Das
halten wir für sehr richtig.
({8})
Zum Schluss will ich eine Personalangelegenheit
ansprechen. Die Stelle des dritten Staatssekretärs, der
zum neuen Vizekanzler ins Außenministerium wandert,
({9})
wurde im Stellenplan des Arbeitsministeriums übrigens
nicht gestrichen,
({10})
sondern nur gesperrt. Als neuer Arbeitsminister könnten
Sie, Herr Scholz, ein Signal setzen: Verzichten Sie doch
auf die Besetzung dieser Stelle! Das wäre ein erster guter
Schritt.
Auf die weiteren Schritte bin ich gespannt. Wir helfen
mit unserem Sparbuch gerne weiter, damit diese Schritte
in die richtige Richtung gehen.
Danke.
({11})
Das Wort erhält nun der Bundesminister für Arbeit
und Soziales, Olaf Scholz.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei den Berichterstattern und den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
für die gute Zusammenarbeit mit dem Ministerium in
den vergangenen Wochen bedanken. Ich war - das muss
nicht geheimnisvoll verborgen werden - die meiste Zeit
nicht als Arbeits- und Sozialminister dabei, aber ich
habe mir von meinen Mitarbeitern berichten lassen, dass
die Kooperation gewohnt gut verlaufen ist. Deshalb
hoffe ich auf gute Zusammenarbeit auch in der Zukunft.
({0})
Der Bereich Arbeit und Soziales ist entscheidend für
den Erfolg der Bundesregierung, für die wirtschaftliche
Prosperität und für die Entwicklung des Zusammenhaltes in unserer Gesellschaft. Franz Müntefering hat das
Ressort mit großer Umsicht geleitet und viele bedeutende Weichen gestellt. Auch an dieser Stelle geht mein
großer Dank an Franz Müntefering für seine Arbeit als
Minister.
({1})
Ich kann nahtlos dort fortfahren, wo Franz
Müntefering aufgehört hat. Es geht in dem Ressort nicht
um abstrakte Politik, sondern um Einzelschicksale, um
individuelle Chancen, um Teilhabe und um Selbstbestimmung. Da kommen wir voran.
Ein Beispiel sind die Arbeitsmarktzahlen, die die
Bundesagentur für Arbeit heute präsentiert: die niedrigsten in einem November seit 1992. Wir haben derzeit
3,38 Millionen Arbeitslose, über 600 000 weniger als
vor einem Jahr, über 1 Million weniger als vor zwei Jahren. 40 Millionen Menschen sind in Arbeit, über
27 Millionen davon in sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigung,
({2})
und - das darf nicht vergessen werden - es gibt knapp
1 Million Stellen, die zum Teil sofort besetzt werden
können - eine gute Hoffnung für die Menschen, die Arbeit suchen. Das sind Erfolge, auf die wir alle stolz sein
können und die für die Menschen natürlich wichtig sind,
weil es nicht nur um Zahlen geht, sondern auch um
Möglichkeiten, sein Leben zu verbessern.
Wachstum ist die entscheidende Voraussetzung dafür,
dass wir diese Entwicklung verstetigen können. Das
brauchen wir, damit neue Arbeit entsteht und mehr Menschen die Chance auf Arbeit haben. Denen, die geringere
Aussichten und Chancen auf einen Arbeitsplatz haben,
wollen wir gezielt mit Programmen helfen. Das sind vor
allem Jüngere, Ältere, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderungen. Wir haben ein paar Ziele, die
man ganz klar verfolgen muss: Kein junger Mensch soll
von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit geraten. Die
Chancen „50 plus“ müssen weiter wachsen. Die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen liegt derzeit bei
52 Prozent. Das ist viel zu wenig. Wir wollen das ändern.
({3})
Mehr Chancen auf Arbeit, das ist auch der Maßstab
für die Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Der Instrumentenkasten muss kleiner werden,
({4})
um arbeitsuchende Bürgerinnen und Bürger besser und
zielgerichteter zu unterstützen. Ich kann Ihnen versichern - Sie haben nachgefragt -: In wenigen Wochen
werden Ihnen die Vorschläge des Ministers und der Koalitionsparteien dazu vorliegen.
({5})
Vor allem aber will ich dafür sorgen, dass die
Arbeitsvermittlung in Deutschland die leistungsfähigste Institution wird, denn die Menschen in diesem
Land sind darauf angewiesen. Es darf keine Behörde,
keine öffentliche Einrichtung in Deutschland geben, die
leistungsfähiger ist als die Bundesagentur für Arbeit und
die Arbeitsgemeinschaften.
({6})
Niemand auf der Welt soll uns berichten können, dass er
es besser organisiert hat, als es in diesem Land der Fall
ist. Das ist eine große und ständige Aufgabe.
Ich glaube, dass wir mit den Reformen der letzten
Jahre gute Fortschritte gemacht haben, aber ich bin auch
ganz sicher, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben
- praktische Arbeit und nicht immer nur Gesetzgebungsarbeit -, damit die Menschen, die arbeitslos werden oder
die nach der Schule das erste Mal einen Arbeitsplatz suchen, sagen können: Ich weiß, da wird mir mit allen
Möglichkeiten geholfen. Die Leute haben Verständnis
für meine Probleme, und sie werden alles tun, damit ich
so schnell wie möglich Arbeit finde.
({7})
Arbeit ist die Grundlage dafür, dass der Sozialstaat
auch in Zukunft soziale Sicherung durch die Sozialversicherungen gewährleisten kann. Dieses Modell der organisierten Solidarität, in dem Menschen für Menschen
einstehen, hat in über 100 Jahren bewiesen, dass es krisenfest und leistungsstark ist. Ich will an dieser Stelle
ausdrücklich sagen: Das wird auch in Zukunft im Mittelpunkt der sozialen Sicherheit der Menschen in diesem
Land stehen.
({8})
Da wir schon bei Traditionen sind: Zu den Erfolgsbedingungen unserer Wirtschaftsverfassung gehört für
mich auch die Sozialpartnerschaft. Es gibt Leute, die
diese Tradition verachten und die Suche nach Konsens
zwischen den Parteien des Arbeitslebens eher beklagen.
Ganze Leitartikel sind zu diesem Thema geschrieben
worden. Aber Deutschland ist gut damit gefahren, dass
Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ihre Interessen zum Ausgleich bringen. Ich will an diese Erfahrung
anknüpfen und die Sozialpartnerschaft wieder stärker
mit Leben füllen. Gleiche Augenhöhe zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern - das ist eine Errungenschaft,
auf die wir in Deutschland stolz sein können.
({9})
Wir wollen, dass Arbeit gute Arbeit ist und eben
keine Arbeit, die erst mit Sozialtransfers erträglich wird.
Mehr Chancen auf gute Arbeit, darum geht es uns.
({10})
Die gute Entwicklung in der Wirtschaft und auf dem
Arbeitsmarkt ist auch ein Ergebnis der politischen Anstrengungen der letzten Jahre. Wir sind im Jahre 2003
auf einen Reformkurs gegangen, der vielen einiges abverlangt hat, der sich aber jetzt auszahlt. Das war eine
Notoperation. Ein weiterer Aufschub war damals nicht
möglich. Es ging darum, die Systeme zu stabilisieren,
damit sie für die Zukunft funktionsfähig bleiben. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das am 14. März 2003
ganz richtig begründet:
Entweder wir modernisieren, und zwar als soziale
Marktwirtschaft, oder wir werden modernisiert, und
zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes,
die das Soziale beiseite drängen würden.
Meine Damen und Herren, das bleibt nach wie vor richtig.
({11})
Es gab in unserem Land viel aufzuarbeiten - bis in die
Zeit der Großen Koalition. Aber daraus ist Gutes erwachsen, obwohl ich die schmerzlichen Einschnitte, die
damit verbunden waren, keineswegs kleinreden will.
Das war nicht leicht. Am leichtesten war es für die Politik. Aber es war natürlich für viele Menschen schwierig,
die mit diesen Reformen unmittelbar konfrontiert waren.
Heute aber sind sie wirksam geworden, und wir können
sagen: Wir waren erfolgreich.
({12})
Natürlich sind Reformen eine konstante Aufgabe für
die Politik, wie Willy Brandt das gesagt hat:
Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen.
({13})
- Man darf nicht bei einer Meinung, die man 1970 schon
einmal hatte, stehen bleiben, Herr Niebel. - Die Welt
dreht sich weiter. Die Dinge verändern sich. Globalisierung, demografischer Wandel und die technologische
Entwicklung stellen uns vor große Herausforderungen.
Aber Reformen - das gilt genauso - dürfen nicht zum
Selbstzweck werden. Reformen sind Schritte hin zu einem Ziel. Es geht darum, etwas zu erreichen. Wer das
außer Acht lässt und die schmerzhafte Reform zur Attitüde des Regierens werden lässt, wer glaubt, dass Forderungen nach immer härteren und tieferen Einschnitten
nötig sind, der leistet der Modernisierung unserer Gesellschaft einen Bärendienst, weil er das nötige Vertrauen in den Sinn von Veränderungen zerstört, statt Vertrauen aufzubauen.
({14})
Beispiel sind die jüngsten Forderungen nach einer
Rente mit 70 oder 77. Alle Experten - von Rürup bis
Raffelhüschen - sagen uns, dass wir mit der Rente mit 67
unsere Hausaufgaben gemacht haben. Wir halten damit
bis 2030 die gesetzlichen Beitragssatz- und Niveausicherungsziele ein. Wir sorgen für eine generationengerechte
Verteilung.
Das macht ein Vergleich der Beitragsjahre mit der
Rentenbezugszeit deutlich. Der Vorsitzende des Sozialbeirats für die Rentenversicherung, Bert Rürup, hat es
jetzt vorgerechnet: Wer 1970 aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist, bezog danach im Schnitt noch mehr als
elf Jahre Rente. Das entsprach rechnerisch 25 Prozent
der Zeit, in der er zuvor eingezahlt hatte. Heute beträgt
die Rentenbezugsdauer annähernd 40 Prozent der Lebensarbeits- und Beitragszeit. Durch die allmähliche Anhebung des Renteneintrittsalters drücken wir diese Relation wieder auf 35 Prozent im Jahre 2030. Wir liegen
auch in 2050 noch unter den 40 Prozent von heute. Das
heißt, die Kosten der steigenden Lebenserwartung werden nachhaltig generationengerecht verteilt. Wir stabilisieren die Statik des Rentensystems nicht nur, wir verbessern sie sogar.
({15})
Statt also Ängste mit neuen Forderungen zu schüren,
sollte man besser sagen: Auftrag ausgeführt! Wir haben
unser Ziel erreicht. Das Rentensystem steht wieder auf
stabileren Füßen.
Natürlich gibt es noch Felder und Aufgaben, die wir
beackern müssen. Da geht es vor allem um die altersund alternsgerechte Arbeit. Das ist die große Aufgabe
der Zukunft. Da werden viele Vorschläge zu erörtern
sein, zum Beispiel, wie man Altersteilzeit und Teilrente
gut miteinander verzahnen kann. Dazu gehört auch, dass
wir - darüber haben sich die Koalitionsfraktionen jetzt
verständigt - eine vernünftige Anschlussregelung für die
sogenannte 58er-Regelung finden. Auch das ist ein guter, leise und vernünftig diskutierter Fortschritt.
({16})
Aber die wichtigste Aufgabe jetzt ist es, das Vertrauen
in die Rentenversicherung zu stärken. Die Beitragszahler
müssen wissen, dass ihre Beiträge zu der erwarteten
Rente führen. Diese Ankündigung muss wieder an Plausibilität gewinnen. Das wird Zeit brauchen; denn die
Bürgerinnen und Bürger haben in Sachen Rente zu viele
hohle Versprechungen gehört. Deshalb sollte niemand
erwarten, dass das in einem oder zwei Jahren alles wieder anders sein wird. Wenn man viele Jahre enttäuscht
war, dann braucht man auch viele Jahre, um das Vertrauen zurückzugewinnen.
Aber eins ist auch völlig klar: Wir werden nie neues
Vertrauen gewinnen, wenn wir nach der Reform schon
wieder das Werkzeug auspacken und die nächste Renovierung angehen wollen, bloß um damit Geschäftigkeit
beweisen zu können.
({17})
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Teilhabe
am Aufschwung und am Wohlstand für alle möglich ist.
Die Reformen zahlen sich aus, und ich finde, davon sollen alle etwas haben. Ich will ein paar Beispiele nennen,
wie das in nächster Zeit geschieht:
Erstens. Wir senken zum 1. Januar des nächsten Jahres den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf
3,3 Prozent. Das ist, verglichen mit den 6,5 Prozent im
Jahr 2005, fast eine Halbierung.
({18})
Wer 2 000 Euro brutto im Monat verdient, hat künftig
384 Euro im Jahr mehr in der Tasche als 2005. Das ist
ein Fortschritt für alle Menschen.
({19})
Zweitens. Wir haben mit den Arbeitsmarktreformen
viel erreicht: mehr Menschen in Arbeit, mehr Chancen
auf Arbeit durch ein gerechteres System des Förderns
und Forderns, weniger Frühverrentung. Weil das so ist,
können wir den Gerechtigkeitsvorstellungen unserer
Bürgerinnen und Bürger entsprechen und einen längeren
Bezug des Arbeitslosengeldes ermöglichen: 15 Monate
für über 50-Jährige, 18 Monate für über 55-Jährige,
24 Monate für über 58-Jährige. Das ist ein guter Fortschritt.
({20})
Drittens. Wir setzen uns für Mindestlöhne ein,
({21})
immer noch im Bereich der Briefdienste, wo wir dringend eine soziale Flankierung für den Fall des Briefmonopols brauchen. Ich sage voller Optimismus allen
Skeptikern hier im Haus: Das werden die Koalitionsparteien noch miteinander hinbekommen.
({22})
Aber wir werden Mindestlöhne nicht nur in diesem
Bereich einführen müssen. Wir haben vereinbart, dass es
branchenspezifische Mindestlöhne über die Ausweitung
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und über die Aktualisierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes geben
soll. Das werden die Gesetzesvorhaben der nächsten Zeit
sein; daran arbeiten wir. Der Grund dafür liegt übrigens,
liebe Freunde und Freundinnen von der FDP, auf der
Hand:
({23})
Wettbewerb darf nicht über Dumpinglöhne stattfinden.
({24})
Noch eine Ergänzung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer können mehr. Sie können auch Wettbewerb über
besseres Management, intelligente Erfindungen und bessere Dienstleistung für ihre Kunden.
({25})
Wer hart arbeitet, der muss dafür auch einen anständigen
Lohn bekommen. 3,18 Euro pro Stunde sind keine Basis
für Teilhabe am Wohlstand.
({26})
Die Ordnung der sozialen Marktwirtschaft verlangt es:
Der Mindestlohn kommt!
({27})
Viertens. Wir haben den Auftrag, die staatlichen Unterstützungen für Geringverdiener neu zu durchdenken.
Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag und der geplante
Erwerbstätigenzuschuss stehen nebeneinander. Zwischen diesen Instrumenten gibt es viele Zusammenhänge. Deshalb macht es Sinn, dass wir über ein Gesamtkonzept diskutieren. Das ist kompliziert. Wer für
Schnellschüsse ist, berät alle falsch.
({28})
Deshalb brauchen wir - und nehmen sie uns auch Zeit bis in das Frühjahr, um ein vernünftiges Gesamtkonzept zu entwickeln, in dem all diese einzelnen Instrumente zusammenpassen. Aber eines ist dabei ganz klar,
nämlich das Ziel, um das es geht: Wir wollen Arbeit attraktiver machen und sicherstellen, dass kein Mensch,
der arbeitet, auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist; jeder soll mithilfe dieser zusätzlichen Instrumente gut zurechtkommen. Das hat auch etwas mit dem Stolz unserer
Bürgerinnen und Bürger zu tun.
({29})
Fünftens. Wir wollen die Beteiligung der Mitarbeiter
am Betrieb verbessern. Erwin Huber und ich bereiten in
einer Koalitionsarbeitsgruppe ein entsprechendes Konzept vor. Wir haben von SPD-Seite aus einen Deutschlandsfonds vorgeschlagen. Auch im Konzept der Union
gibt es eine Fondslösung. Deshalb bin ich ziemlich sicher, dass wir Anfang des nächsten Jahres eine gemeinsame Lösung finden werden. Es wäre ein guter Fortschritt, wenn in Deutschland in Zukunft nicht mehr so
wenige Menschen an ihren Betrieben beteiligt wären,
wie das heute der Fall ist. Da gibt es internationale Vorbilder, denen wir nachstreben können.
({30})
Sechstens. Wir fördern die betriebliche und private
Altersvorsorge. Bis zum Jahresende werden wir weit
mehr als 10 Millionen Riester-Verträge haben. Auch die
Betriebsrenten boomen. Das ist ein ganz toller Erfolg.
Wir sollten jetzt alles dafür tun, um diese Dynamik aufrechtzuerhalten. Deshalb ist es gut, dass die Entgeltumwandlung von Sozialabgaben befreit bleibt.
({31})
Deshalb ist es gut, dass jedem ab Januar 2008 geborenen
Kind 300 Euro Riester-Zuschlag zustehen.
({32})
Deshalb ist es gut, dass die Eckpunkte für ein WohnRiester-Modell stehen.
Und ich finde den Vorschlag immer noch gut, dafür
zu sorgen, dass es einen Riester-Bonus für Berufseinsteiger gibt, damit sie sich am Anfang ihres Berufslebens
daran gewöhnen, dass eine Zusatzvorsorge notwendig
ist.
({33})
Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert beantworten?
Ja.
Herr Minister, Sie haben die ganze Zeit eine programmatische Rede gehalten. Sagen Sie doch bitte einmal
ganz konkret: Was wollen Sie am Ende des europäischen
Jahres der Chancengleichheit, in dem wir die Chancengleichheit nicht hergestellt haben, tun, damit im nächsten
Jahr wenigstens diejenigen, die es schwerer haben, also
Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund und andere, tatsächlich in Arbeit kommen? Bisher
sehe ich die Programme nicht.
Dass Sie die Programme nicht sehen, finde ich etwas
verwunderlich; denn es gibt eine große Menge einzelner
Programme, die die Bundesagentur für Arbeit und die
Arbeitsgemeinschaften umsetzen, um insbesondere denen, die es besonders schwer haben, einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Ich glaube, dass
wir gute Ausgangsbedingungen geschaffen haben. Sie
wissen, dass ich mit dafür gesorgt habe, dass Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz auf gutem Niveau
hat, auf das sich die Menschen berufen können. Sie wissen, dass es schon jetzt ein paar Fortschritte gibt.
Damit komme ich zum siebten und abschließenden
Punkt; er passt zu der Beantwortung Ihrer Frage. Ab
dem nächsten Jahr wird das persönliche Budget für
Menschen mit Behinderungen flächendeckend eingeführt. Das ist aus meiner Sicht ein ganz großer Fortschritt, weil die Leistungsempfänger dann selbst entscheiden können, wen sie einstellen wollen. Sie können
als Arbeitgeber ihrer Unterstützer auftreten. Das ist etwas, was mit Selbstachtung und Würde zu tun hat. Es ist
gut, dass wir hier eine Veränderung hingekriegt haben:
weg vom Fürsorgestaat und hin zu einem Staat, der auf
die Selbstaktivierung der Bürgerinnen und Bürger setzt.
({0})
Ich komme zum Schluss. Wir haben einen großen
Fortschritt gemacht auf dem Weg, das zu realisieren, was
die Parteien dieser Koalition sich im Koalitionsvertrag
vorgenommen haben, nämlich das Vertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit des Landes zu stärken.
Ich sehe meine Aufgabe darin, mich darum zu kümmern,
dass dieses Vertrauen ständig weiter wächst. Voraussetzung dafür ist, dass die Koalition eine Politik macht, die
gerecht und solidarisch ist, eine Politik, in der wirtschaftliche Dynamik und soziale Vernunft gleichrangig
nebeneinander stehen. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geht es nicht um Luftschlösser, sondern um Verbesserungen auf dem harten Boden der Realität. Für
diese Verbesserungen möchte ich gerne mit Ihnen zusammen arbeiten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Kornelia Möller ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Scholz, ich gratuliere Ihnen herzlich zur Berufung in dieses schöne Amt und hoffe, dass den wundervollen Worten, die wir gerade gehört haben, wirklich
gute Taten folgen werden; denn die haben wir alle nötig.
({0})
Erinnern Sie sich eigentlich noch daran, was Sie,
meine Damen und Herren von der Koalition, den Menschen versprochen haben?
({1})
Der von Ihnen im November 2005 geschlossene Koalitionsvertrag hat den schönen Titel „Mit Mut und
Menschlichkeit“. Mut und Menschlichkeit - das klingt
heute für viele wie Hohn.
Ja, es ist wahr, meine Damen und Herren Koalitionäre, Sie brauchen viel Mut, wenn Sie den Bürgerinnen
und Bürgern Ihre Mär von einem Aufschwung erzählen.
Denn dieser Aufschwung kommt bei den meisten Menschen in diesem Land nicht an. Von Menschlichkeit kann
bei Ihrer Politik für Millionen von Menschen gar keine
Rede sein: Sei es bei der ungenügenden Höhe des Regelsatzes, sei es bei der Weigerung, einen flächendeckenden
gesetzlichen Mindestlohn einzuführen - ich habe jetzt
wieder schöne Worte von der SPD gehört; schauen wir,
was dabei herauskommt - oder beim Festhalten an und
Verschärfen von Hartz IV.
Die Folgen Ihrer Politik haben für die Menschen verheerende Auswirkungen. So ist in Neumarkt-Sankt Veit
eine Frau verbrannt. Am 20. November dieses Jahres
hieß es in der Münchner AZ: Hartz-IV-Empfängerin stirbt
bei Großbrand, Kein Geld für Strom, Sie beleuchtete ihr
Haus mit Kerzen. - Warum das Ganze? Wegen Stromschulden in Höhe von 600 Euro. Ein Mensch musste sterben, weil Hartz IV nicht zum Leben reicht. Das ist nicht
nur ein Skandal, das ist einfach grauenhaft.
Haben Sie schon einmal über die vielfach würdelosen
Verhältnisse für die Betroffenen von Erwerbslosigkeit,
Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung nachgedacht?
Im Alltag bedeutet das: Mehrere Jobs zu Dumpingpreisen, die trotz alledem nicht zum Überleben reichen, oder
als Leiharbeiterin oder Leiharbeiter ausgebeutet zu werden und rechtlos zu sein und dann zur Arge gehen und
alle persönlichen Verhältnisse offenlegen zu müssen.
Hartz IV, prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne zerstören gesellschaftliche und familiäre Beziehungen. Sie
machen Menschen krank.
Die Linke sagt: Das ist eine Schande für ein reiches
Land wie die Bundesrepublik.
({2})
Wir könnten uns wirklich gute Arbeit leisten, wenn Sie,
meine Damen und Herren, das auch wollten. Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang: Lesen Sie unser
Manifest für gute Arbeit. Darin können Sie wichtige Anregungen finden.
({3})
Statt endlich aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben,
veranstalten Sie hier Rechenspiele auf dem Rücken erwerbsloser Menschen. Sie wollen die Bezugsdauer des
ALG I für ältere Erwerbslose verlängern, was an sich ein
guter Ansatz wäre, wenn Sie sich an unsere Vorgaben
gehalten hätten. Aber bei Ihnen verkommt dieser gute
Ansatz zur Sozialkosmetik. Sie gestalten die Kriterien
für ältere Erwerbslose so, dass vermutlich nur sehr wenige Menschen im Westen und kaum Menschen im Osten in den Genuss dieser Verlängerung kommen.
Vor dem, was Sie noch in dieses Paket geschnürt haben, warnen nicht nur der Sachverständigenrat und der
DGB, vor Ihrem Paket graust es auch jeden halbwegs vernünftigen Menschen. Sie senken den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent, obgleich Fachleute Ihnen versichern, dass Sie die BA damit in die roten
Zahlen führen. Dann schließen Sie auch noch einen Zuschuss des Bundes bis 2011 aus. Das bedeutet im Klartext: Steuergeschenke in Höhe von 3,8 Milliarden Euro
an die Unternehmen - denn so viel bringt die Beitragssatzsenkung den Unternehmen - stehen nun einer Arbeitsmarktpolitik nach Kassenlage gegenüber. Die Erwerbslosen müssen die Zeche zahlen, wenn das Geld für
sie und ihre arbeitsmarktpolitischen Bedürfnisse nicht
mehr reicht.
({4})
Haben Sie eigentlich schon einmal etwas vom Fachkräftemangel in diesem Land gehört? Das scheint nicht
der Fall zu sein. Denn sonst müssten auch Sie begreifen,
dass das Geld für Aus- und Weiterbildung sowie für die
Schaffung von öffentlich finanzierter Beschäftigung verwendet werden muss. Meine Fraktion, Die Linke, spricht
sich nicht nur gegen die Beitragssatzsenkung aus, sondern sie hat Ihnen auch immer wieder aufzeigt, wo Geld
für diese Gesellschaft und für die Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft nutzbringend eingesetzt werden muss.
Ich verweise auf unseren Änderungsantrag zum
Haushalt 2008. Die Linke fordert die Erhöhung der Regelsätze auf 435 Euro, die Beibehaltung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft mindestens in
der Höhe von 2007, die Deckungsfähigkeit von passiven
zu aktiven Leistungen, damit Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert werden kann, und die Streichung des Eingliederungsbeitrags der BA, damit das Geld für die aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung steht.
({5})
Wenn es Ihnen wirklich ernst ist mit Mut und Menschlichkeit und Sie den Haushalt 2008 entlasten wollen,
dann schlage ich Ihnen vor, endlich in den von uns geforderten flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von
8,44 Euro einzuwilligen. Vielen Menschen bliebe erspart, zu Hungerlöhnen zu arbeiten und daneben auch
noch ergänzend ALG II beantragen zu müssen. Der Bund
könnte rund 8,5 Milliarden Euro sparen; denn so viel
kostet die Lohndrückerei der Unternehmen die Steuerzahler.
Meine Kollegin Gesine Lötzsch hat Sie am Dienstag
zu Recht als Lohndrückerkoalition bezeichnet. Denn Sie
unterstützen mit Ihrer Weigerung, angemessene Lohnuntergrenzen festzulegen, die Gier vieler Unternehmer.
Mut und Menschlichkeit - meine Damen und Herren der
Koalition, handeln Sie endlich entsprechend!
Ich danke Ihnen.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Joachim
Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir
zunächst eine angenehme Aufgabe, namens der Unionsfraktion dem neuen Bundesarbeitsminister zu seiner Ernennung zu gratulieren. Ich darf Ihnen, Herr Bundesminister, sagen: Sie werden in der größten Fraktion dieses
Hauses umso mehr Rückhalt haben, je mehr Sie die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zur Richtschnur
Ihrer Politik machen.
({0})
Ich möchte es nicht versäumen, auch dem bisherigen
Bundesarbeitsminister von dieser Stelle aus im Namen
der Unionsfraktion zu danken. Da jetzt auch der langgediente Staatssekretär Gerd Andres a. D. ist,
({1})
möchte ich ihn in diesen Dank einbeziehen. Er ist ein
sehr erfahrener Politiker. Er hat es ohne Probleme geschafft, von der rot-grünen Koalition in unsere Koalition
zu wechseln,
({2})
und er hat dabei eine gute Figur gemacht. Herzlichen
Dank für das kollegiale Miteinander! Das muss an dieser
Stelle einmal gesagt werden.
({3})
In den letzten zwei Jahren, also seitdem die Union an
der Regierung ist, hat sich sehr vieles zum Positiven gewandelt; das ist schon gesagt worden. Ich möchte an die
Situation der Rentenkasse erinnern. Als wir die Regierung übernommen haben, war dort Ebbe. Die Rücklage
betrug nur noch 0,02 Monatsausgaben, und das Tafelsilber war verkauft. Jetzt beträgt die Rücklage immerhin
schon wieder 0,7 Monatsausgaben, und wir streben 1,5
an. Wenn wir das erreicht haben, werden wir den Beitragssatz zur Rentenversicherung senken.
Die Große Koalition hat mit ihrer Reformbereitschaft
eine verlässliche Linie eingeschlagen. Wir haben verstanden, dass strukturelle Probleme durch strukturelle
Veränderungen beseitigt werden müssen und nicht hinter
einer Verbesserung der konjunkturellen Situation versteckt werden dürfen. Das haben wir erreicht. Das ist
wichtig für unsere Verlässlichkeit.
({4})
Die gesetzliche Krankenversicherung erzielt in diesem Jahr Überschüsse. Die Arbeitslosenversicherung
braucht mittlerweile keinen Zuschuss mehr. In den letzten Jahren war es üblich, dass wir in diese Versicherung
jedes Jahr einen Zuschuss von 10 bis 20 Milliarden Euro
hineinbuttern mussten. Auch hier haben wir nun einen
Nullstand erreicht. Das ist sehr wichtig. Denn das hat zur
Folge, dass es keine Zukunftsbelastungen durch neue
Schulden und Zinsen mehr gibt. Damit sorgen wir für
mehr Flexibilität.
Insgesamt kann man also sagen: Die Lohnzusatzkosten sinken. Dies ist für unsere soziale Marktwirtschaft
sehr wichtig. Es ist auch sehr wichtig, dass dadurch mehr
Verlässlichkeit in die Politik einkehrt. Die Koalition
schafft mehr Vertrauen in die Politik. Das gilt für die
Bürgerinnen und Bürger, und das gilt insbesondere für
die Unternehmen. Ein wichtiges Indiz ist die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen. Wie wir heute gehört haben, wird die Zahl der Arbeitslosen im Monat November
nochmals leicht sinken. Das ist ein sehr gutes Zeichen,
mit dem wir ins neue Jahr starten können.
({5})
Wir haben immer gesagt: Es ist eine große Leistung,
dass die Zahl der Arbeitslosen in zwei Jahren um
1,1 Millionen gesunken ist. Ich habe allerdings manchmal das Gefühl, als würde ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen zu mehr Diskussionen über Armut führen.
Das kann doch nicht wahr sein! Wenn 1 Million mehr
Menschen in Arbeit gekommen sind,
({6})
dann ist die Arbeitslosigkeit gesunken, und, ob Sie das
hören wollen oder nicht, dann ist die Relevanz des Themas Armut geringer. Diesen Zusammenhang können
Sie nicht wegdiskutieren.
({7})
- Ich lebe wie Sie in Deutschland. Ich schreie bloß nicht
so laut, und ich mache vor allem eines nicht: Ich verspreche den Menschen nicht irgendetwas Großartiges, das
wir in diesem Land und mit diesem Haushalt im Augenblick nicht leisten können.
({8})
Wir müssen jetzt einmal an diejenigen denken, die
das Ganze erwirtschaften: die 27 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen.
({9})
Gerichtet an die Adresse dieser linken Partei, der
Nachfolgepartei der PDS, deren Vorgängerin die SED
war, sage ich:
({10})
Eine Politik auf Pump führt in die Armut; das wäre das
volkswirtschaftliche Ergebnis! Deswegen sind Ihre Vorschläge für die aktuelle Politik überhaupt nicht brauchbar.
({11})
Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, und zwar nicht in Mikroschritten, sondern in einem Makroschritt, von immerhin 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent, also eine Senkung um die Hälfte, hätte man der
Großen Koalition nicht zugetraut. Aber nur so kommt
auch etwas im Geldbeutel des Einzelnen an.
({12})
- Sie hätten ihr das schon gar nicht zugetraut. Aber es ist
gelungen, und ich darf in aller Bescheidenheit sagen:
Dies trägt die Handschrift der Union in diesem Haushalt.
({13})
Meine Damen und Herren, immerhin sind es rund
400 Euro, die, wie wir vorhin gehört haben, beim Einzelnen in der Tasche bleiben. Es ist richtig - statt immer nur
zu verwalten -, den Menschen selber entscheiden zu lassen. Das muss weitergeführt werden.
({14})
Wenn es neue Spielräume gibt, werden wir die Beiträge
auch weiter senken, um den Menschen noch mehr Geld
in den Taschen zu lassen. Darauf ist die Politik ausgerichtet.
({15})
Ein Zweites ist wichtig, dabei unterscheiden wir uns
etwas von der FDP. Zwar können wir bei der Bundesagentur für Arbeit und beim Bundeshaushalt noch mehr
sparen.
({16})
Das ist keine Frage. Aber es stellt sich die Frage, wie wir
die Sockelarbeitslosigkeit aufknacken können und wie
es uns gelingen kann, noch mehr Leute in Arbeit zu bringen. Es ist keine Lösung, die Zahl von 3,4 Millionen Arbeitslosen zu kultivieren, sodass jeder von diesen Menschen sehen muss, wo er bleibt, und auf der anderen
Seite Leute aus dem Ausland zum Arbeiten ins Land zu
holen.
({17})
Nein, meine Damen und Herren, die Potenziale in
Deutschland müssen ausgeschöpft werden, und es muss
auch Geld dafür eingesetzt werden, dass dies gelingt.
({18})
- Der Unterschied liegt darin, dass Sie vorhin gesagt haben, man müsse überall noch mehr sparen und die Programme einfach abschaffen.
({19})
- Dann ist das ja umso schöner. Dann stimmen Sie unserm Haushalt doch zu, und lehnen Sie ihn nicht ab! Das
wäre doch die Konsequenz.
({20})
- Ich kann mich nicht auf einen Dialog mit Ihnen einlassen, sonst verschwende ich meine ganze Redezeit auf
solche Diskussionen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch deutlich
machen - es ist sehr wichtig, das einmal zu sagen -, dass
keine Regierung bisher so viele treffsichere Instrumente
zur Bekämpfung der Sockelarbeitslosigkeit entwickelt
hat, wie die große Koalition es in diesem Haushaltsplan
getan hat.
({21})
- Ich kann Ihnen da eine ganze Reihe nennen, zum Beispiel die Initiative „50 plus“.
({22})
- Ja, das ist Ihre Meinung, aber nur, weil das bei Ihnen
im Kopf vielleicht nicht funktioniert hat.
({23})
Die Initiative „50 plus“ hat immerhin dazu geführt, dass
wir in zwei Jahren über 20 000 ältere Langzeitarbeitslose in den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln konnten. Davon wurden rund 81 Prozent in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und mehr als
57 Prozent in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse
integriert. Noch Fragen dazu, lieber Herr Niebel?
({24})
- Wenn Sie noch mehr hören wollen, dann stehen Sie auf
und stellen Sie mir Fragen. Dann beantworte ich sie
gerne. Sonst geht mir zu viel Zeit dafür verloren.
({25})
- Bitte schön, Herr Niebel.
Ganz so einfach geht das nicht. Bilaterale Vereinbarungen vor, während und nach den Plenardebatten sind
in unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Ich lasse
das jetzt ausnahmsweise einmal zu, weise aber darauf
hin, dass wir daraus keine ständige Übung machen werden.
Bitte schön, Herr Kollege Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Fuchtel, ich
komme Ihrer Anregung gerne nach und stelle Ihnen die
nächste Frage: Nennen Sie mir bitte ein weiteres von
dieser Regierung entwickeltes arbeitsmarktpolitisches
Instrument, das positiv gewirkt hat.
Ich nenne Ihnen den Qualifizierungs-Kombi für Jüngere, womit wir auch gute Ergebnisse erzielt haben.
({0})
Ich nenne Ihnen den Beschäftigungszuschuss für Langzeitarbeitslose. Ich nenne Ihnen die Maßnahmen der
Eingliederungshilfe, die dazu führen, dass vermehrt
Leute von ALG II direkt in den ersten Arbeitsmarkt
kommen.
({1})
Das hat immerhin eine Verschiebung von 51 000 Fällen
ergeben; das ist ein sehr positives Beispiel. Damit beende ich die Aufzählung, weil ich weiß, dass auch die
Redner nach mir ihre Redezeit benötigen.
Ich möchte noch etwas zu einem Thema sagen, das in
der Vergangenheit zu vielen Briefen an uns Abgeordnete
geführt hat. Das ist die Deckelung der Eingliederungszuschüsse und Eingliederungshilfen, die im letzten
Jahr galt. Dieses Jahr haben wir uns dafür entschieden,
das in die Verantwortung der Beteiligten zu geben. Wir
haben den gesamten Betrag - immerhin 6,4 Milliarden
Euro - freigegeben, damit die Leute planen können. Ich
sage den Beteiligten aber auch, dass sie mit diesem Geld
auskommen müssen; auch das ist das erklärte Ziel dieser
Koalition. Es ist ein großer Betrag, der hier zur Verfügung steht, um den Leuten zu helfen, aus Arbeitslosigkeit in Arbeit zu kommen. Es kann nämlich nicht darum
gehen, die Leute in der Arbeitslosigkeit zu kultivieren,
Subkulturen zu schaffen, Leute, die mit dem Geld irgendwie zurechtkommen. Die Aufgabe, die wir haben,
ist vielmehr, zu erreichen, dass die Menschen eine Zukunft haben, dass sie eine Arbeit haben, in der sie Erfüllung finden und mit der sie am gesellschaftlichen Leben
beteiligt sind. Darauf ist unsere Politik ausgerichtet.
Auf zwei Themen möchte ich abschließend hinweisen. Erstens. Für die Unionsfraktion ist noch ganz wichtig, Herr Bundesarbeitsminister, dass wir bei der Mitarbeiterbeteiligung weiterkommen. Dieses Ei muss die
Große Koalition noch legen. Es wird von immenser Bedeutung dafür sein, dass es gelingt, mehr Menschen an
der Vermögensentwicklung und an unternehmerischen
Entwicklungen in Deutschland verstärkt zu beteiligen.
Das muss der Sinn einer freiheitlichen Gesellschaft sein:
den Einzelnen an diesen Entwicklungen teilhaben zu lassen.
({2})
Zweitens, der Privathaushalt als Arbeitgeber. Das
haben Sie erfreulicherweise auch angesprochen. Insoweit hoffen wir, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, die ein großer Wurf wird. Hier sind nämlich Potenziale vorhanden, die wir im Interesse aller Beteiligten
schöpfen können und schöpfen müssen. Dieses Ziel
müssen wir erreichen. So werden viele Leute, die anders
nicht in den ersten Arbeitsmarkt kommen, eine sinnvolle
Arbeit aufnehmen können. Auf diese Weise können wir
unsere familienpolitischen Konzeptionen ergänzen. In
diesem Zusammenhang muss man das Ganze sehen; deshalb lohnt sich das mit Sicherheit.
Damit sind die wesentlichen Punkte umschrieben. Ich
kann Ihnen zusichern, dass sich der Haushaltsausschuss
mit diesen Fragen des Sozialen intensiv befasst hat, und
will allen danken, die uns zugearbeitet haben. Es war
manchmal nicht ganz stressfrei; aber wir haben ein gutes
Ergebnis erzielt, mit dem wir in die Zukunft schauen
können.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Dagmar
Enkelmann das Wort.
({0})
Herr Kollege Fuchtel, in der Bundesrepublik ist inzwischen über 1 Billion Euro an Schulden angehäuft
worden. 15 Prozent der Gesamtausgaben dieses Haushaltes, den wir gerade beraten, gehen allein für Zinsen
drauf, mit steigender Tendenz. Wer lebt hier eigentlich
auf Pump, wer lebt hier eigentlich auf Kosten der künftigen Generationen?
Ein Zweites. Altersarmut ist eine Tatsache. Eine Tatsache ist auch, dass in diesem reichen Land 2,6 Millionen Kinder in Armut leben. Es ist eine Schande, dass
diese Regierung nichts dagegen tut, und es ist eine
Schande, dass Sie in Ihrer Rede diese Tatsachen ignorieren.
({0})
Zur Erwiderung Herr Fuchtel.
Ich bekomme von meinen Kollegen gerade viele Vorschläge, was ich antworten sollte.
Die meisten können Sie wegen der begrenzten Zeit
nicht aufgreifen.
Allein dass ganze 2 Prozent der Rentner in Deutschland von der Grundsicherung Gebrauch machen müssen,
sollte doch zeigen, dass man die Probleme - die sicherlich vorhanden sind - nicht dramatisieren sollte. Man
muss das Gesamte sehen.
({0})
Nun erhält die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Arbeitsminister Olaf Scholz, es freut mich, dass Sie gesagt
haben, Sie könnten nahtlos - ich unterstelle einmal, dass
Sie das auch wollen - an die Arbeit Ihres Vorgängers
Franz Müntefering anknüpfen.
Ich kann Ihnen sagen: Wir von den Grünen wünschen
uns, dass Sie auch ebenso kraftvoll dagegenstehen, wenn
die Große Koalition anfängt, Unsinn zu machen oder die
Reformen wieder zurückzudrehen. Uns hat an Franz
Müntefering imponiert, wie er gegen die Verlängerung
der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I eingetreten ist.
({0})
Wenn Sie diese Widerständigkeit und Kraft aufbringen,
dann werden Sie auch von uns ab und zu einmal gelobt
werden.
({1})
Außerdem möchte ich bemerken, dass in dieser Haushaltswoche auffällt, dass der Großen Koalition die analytische Kraft fehlt, einzuschätzen, warum es dem Haushalt und dem Arbeitsmarkt besser geht. Man lobt sich
immer für die guten Zahlen; die Politik sei zwar vielleicht nicht allein, aber auch dafür verantwortlich. Es ist
offenkundig, dass aufgrund der guten Konjunktur unglaublich hohe Steuermittel fließen und der Arbeitsmarkt belebt wird und dass es deswegen, lieber HansJoachim Fuchtel, den Rentenkassen besser geht.
({2})
Strukturell haben Sie den Haushalt und auch die Sozialversicherungen eher belastet. Das will ich Ihnen jetzt
einmal erklären. Deswegen: Bringen Sie einmal mehr
Selbstkritik auf und sonnen Sie sich nicht immer nur in
der Konjunktur. Weder mit Blick auf den Haushalt noch
mit Blick auf den Arbeitsmarkt haben Sie eine vorbeugende Politik zustande gebracht. Das will ich Ihnen jetzt
auch einmal begründen.
({3})
Sie machen Folgendes: Sie verschieben wiederholt
- das gilt gerade auch hinsichtlich der Bundesagentur für
Arbeit - Milliarden an Kosten in die Sozialversicherungen, um den Haushalt zu entlasten.
({4})
Das haben Sie bei der Rente getan - da waren es
2 Milliarden Euro -, und das machen Sie jetzt beim Arbeitsmarkt - vom Haushalt des Bundesarbeitsministers
in die Bundesagentur für Arbeit - in einer noch größeren
Dimension.
Zum Beispiel die jüngste Änderung beim
Arbeitslosengeld I. In der jetzigen guten konjunkturellen Lage kalkulieren Sie hier mit Kosten von 1 Milliarde
Euro. Jeder weiß: Wenn die Konjunktur wieder etwas
schwächer wird, betragen die Kosten bis zu 3 Milliarden
Euro.
({5})
- Diese Zahlen wurden von der BA und nicht von uns allein gerechnet. - Das wissen Sie auch. Wenn Sie behaupten, dass Sie das sauber gegenfinanziert haben, weil Sie
für diese passive Leistung die Integrationsmittel in ähnlicher Höhe kürzen, dann kann ich die Sozialdemokraten
nur fragen: Wo sind Sie eigentlich gelandet? Wollen Sie
wieder passive Mittel ausgeben, statt in die aktive Förderung und Aktivierung zu investieren? Das, was Sie da
entschieden haben, ist doch arbeitsmarktpolitischer Unsinn. Herr Minister, ich bedauere es sehr, dass Sie darauf
so positiv Bezug genommen haben.
({6})
Wir können aber noch weitergehen: Als Sie diesen
Kompromiss hinsichtlich des Arbeitslosengeldes I geschmiedet haben, haben Sie entschieden, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent zu
senken. Ich finde es peinlich, dass die SPD, die das nicht
wollte, das hier heute feiert. Das ist nicht glaubwürdig.
Sie wissen, dass die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf vielleicht 3,5 bis 3,7 Prozent solide
finanziert wäre. Die 3,3 Prozent waren sozusagen ein
Geschenk an die CDU/CSU.
({7})
Der Sachverständigenrat hat Ihnen erklärt, dass das
nicht nachhaltig ist. Das bringt die Bundesagentur für
Arbeit bei der nächsten konjunkturellen Delle in den
Zugzwang, im Abschwung die Beiträge erhöhen zu müssen. Das ist wirtschaftlich eine falsche Politik. Wie gesagt: Der Sachverständigenrat hat Ihnen das auch klipp
und klar gesagt.
({8})
Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?
Ja.
Frau Kollegin Hajduk, Sie haben soeben in Ihrer Rede
versucht, den Eindruck zu vermitteln, dass die von der
Großen Koalition beschlossene Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere und langjährig versicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
zulasten der Eingliederungstitel, also der Mittel ginge,
die für die Aktivierung von Arbeitslosen zur Verfügung
stehen.
({0})
- Nein.
Laut dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit sind
für Eingliederungsmaßnahmen in diesem Jahr rund
2,7 Milliarden Euro verausgabt worden und stehen im
nächsten Jahr 3,4 Milliarden Euro zur Verfügung.
Also trifft doch eher das Gegenteil dessen zu, was Sie
vorgetragen haben. Wir verlängern das Arbeitslosengeld I und stellen gleichzeitig mehr Mittel zur Verfügung, um Arbeitslose durch aktivierende Maßnahmen
der Arbeitsmarktpolitik wieder in Arbeit zu bringen.
Sehr geehrter Herr Kollege, dass Sie im letzten Jahr
und vielleicht auch in diesem Jahr zu wenig Mittel für
die Integration in Arbeit verausgabt haben, ist leider
wahr.
({0})
Das macht die Zahlen aber nicht besser.
Allerdings müssen Sie in Verbindung mit dem Ziel,
das Sie sich setzen, die Bundesagentur für Arbeit im
nächsten Jahr in den Stand zu versetzen, das
Arbeitslosengeld I zu bezahlen, diese Finanzierungssumme von den Integrationsmitteln abziehen. - Das entspricht der Antwort des ehemaligen Bundesarbeitsministers Müntefering im Haushaltsausschuss. Es tut mir leid;
so ist aber die Faktenlage.
({1})
Ich setze jetzt meine Ausführungen zum Punkt „Bundesagentur für Arbeit“ fort. Insgesamt belasten Sie die
Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr netto mit
10,8 Milliarden Euro. Das ist ungefähr ein Viertel des
Haushalts der BA. Deswegen sage ich Ihnen: Das ist
eine riskante Wette auf die Konjunktur. Wie ich schon
deutlich gemacht habe, steht die Befürchtung an, dass
Sie ihre Beitragssätze im Abschwung wieder erhöhen
müssen.
Für die Grünen erkläre ich ganz eindeutig: Das Senken von Lohnnebenkosten fanden und finden wir richtig.
Jetzt ist es aber an der Zeit, den Schwerpunkt insbesondere dort zu setzen, wo die Probleme am größten sind,
nämlich im Niedriglohnsektor, um die Langzeitarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.
Deswegen schlagen wir vor, dann, wenn man schon
milliardenschwere Mittel in die Hand nimmt, diese in einem sogenannten Progressivmodell für den Niedriglohnbereich einzusetzen, sodass die Sozialversicherungsbeiträge bei Einkünften bis zu 2 000 Euro erst
langsam und stufenlos steigen. Das macht Sinn. So etwas wäre eine intelligente Politik. Dazu haben Sie aber
leider nicht die Kraft.
({2})
Nun komme ich zu der von Herrn Weise im Ausschuss vorgestellten Kalkulation zu der Frage: Gehen
diese widersprüchlichen Entscheidungen der Großen
Koalition eigentlich für die Bundesagentur für Arbeit gut
aus? - Es ist deutlich geworden, dass es ein Problem ist,
weil er im nächsten Jahr natürlich ein Defizit hinnehmen
muss. Aber er hat ja hohe Rücklagen. Herr Weise und
auch der ehemalige Bundesarbeitsminister haben deutlich gemacht, dass die Beschlüsse der Großen Koalition
dazu führen, dass die finanzielle Ausstattung der Bundesagentur für Arbeit für die gesamte Finanzplanperiode
auf Kante genäht ist; sie habe zwar Rücklagen gebildet,
aber bei großen Ausschlägen werde es riskant.
Dabei ist eines aber noch gar nicht berücksichtigt. Sie
planen ja, im nächsten Jahr einen Erwerbstätigenzuschuss für Empfänger von geringen Löhnen einzuführen, der aus Sozialversicherungsbeiträgen finanziert
werden soll. Das soll auch ein milliardenschweres Paket
werden. Insgesamt geht das doch gar nicht mehr auf.
Deswegen sage ich Ihnen: Sie haben Ihre Hausaufgaben
nicht gemacht. Sie überstrapazieren die Bundesagentur
für Arbeit. Vor allen Dingen aber hängen Sie einer falschen Idee nach.
Wir haben mit Blick auf die vielen Menschen, die ihr
zu geringes Einkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, schon quasi einen Kombilohn mit Steuermitteln. Wenn Sie jetzt den Erwerbstätigenzuschuss einführen - so wünschenswert es ist, dass die Menschen
nicht Transferleistungen beziehen müssen -, macht es
doch keinen Sinn, diesen zweiten Kombilohn mit Sozialversicherungsbeiträgen einzurichten.
({3})
Dass Sie zu diesen Kombilöhnen mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen greifen müssen, liegt nur daran, dass Sie eine entscheidende Blockade in der Großen
Koalition nicht aufbrechen können und nicht eine wirklich neue Reform schaffen, die da heißen soll: statt milliardenschwerer Lohnsubventionen endlich einmal ein
Mindestlohn. Dieser Aufgabe wollen Sie sich ja stellen,
Herr Scholz. Aber dass Sie dieses Ziel nicht erreichen,
kostet die Steuerzahler - das sind auch Zahlen aus Ihrem
Hause - mindestens 1,5 Milliarden Euro.
Deswegen möchte ich aus einem ordnungspolitischen
Verständnis heraus zum Thema Mindestlohn auch in
Richtung von FDP und CDU/CSU, die da ja mehr als
skeptisch sind, fragen: Was ist denn daran richtig, dass
der Staat jemandem, der voll arbeiten geht, den Lohn so
aufstockt, damit er das Existenzminimum erreicht?
({4})
Da müssen Sie sich doch einmal bewegen! Das kann
doch keine Frage der Ideologie sein. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf viele Nachbarländer, insbesondere auf die angelsächsischen, die sicherlich nicht berühmt dafür sind, einen ausufernden Sozialstaat zu
haben oder zu starke staatliche Regulierungen vorzunehmen.
({5})
Herr Westerwelle hat in seiner gestrigen Rede hier gesagt, er wolle keinen Wettlauf der politischen Parteien
um die richtige Höhe des Mindestlohns. Damit hat er
sicherlich recht. Aber das will auch niemand. Vorgeschlagen ist, eine unabhängige Kommission mit Arbeitnehmervertretern, Arbeitgebervertretern und anderen Experten einzurichten. Diese sollen sich auf einen
Mindestlohn einigen, der dann gesetzlich verankert wird.
Ich kann Sie von der Union nur auffordern: Zeigen Sie
sich an dieser Stelle beweglicher! Dann erzielt die Große
Koalition vielleicht einen Erfolg. Das muss die Grünen
nicht unbedingt scheren. Wenn es aber der Gesellschaft
nutzt, dann ist das ein richtiges und wichtiges Ziel. Dafür
würden wir Ihnen sogar Beifall zollen.
({6})
Ein gesetzlicher Mindestlohn sorgt nicht nur für mehr
Gerechtigkeit, sondern auch für eine deutliche Entlastung im Bundeshaushalt; denn es gibt schon 1 Million
Menschen, die Arbeitslosengeld II als aufstockende
Hilfe benötigen, obwohl sie arbeiten. Die Hälfte davon
sind Menschen, die Vollzeit arbeiten. Daran sieht man
schon, wie notwendig es ist, dass wir hier vorankommen. Das würde, wie gesagt, auch den Bundeshaushalt
um einen Milliardenbetrag entlasten.
({7})
In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen anderen wichtigen Punkt hinweisen. Ich bin überzeugt: Es ist
richtig, dass wir uns der Aufgabe stellen, die Hartz-IVRegelsätze zu erhöhen.
({8})
Wir sind zu Beginn dieser Woche für unseren Parteitagsbeschluss sehr gescholten worden. Es ist in der Tat
manchmal schwierig, Parteitagsbeschlüsse zu verstehen.
({9})
- Dass gerade die Sozialdemokraten am lautesten lachen, zeigt die Irritation. - Lesen Sie doch einmal den
Artikel „Weniger Armut ist möglich“ von Franz
Müntefering in der Frankfurter Rundschau vom
20. September! Ich kann fast sagen: Das ist die Grundlage, auf der man die Beschlüsse der Grünen am besten
verstehen kann. In diesem Artikel macht Herr
Müntefering ganz deutlich, dass fehlende Bildungschancen und fehlende Infrastruktur Kinder am meisten gefährden. Von den 60 Milliarden Euro für das auf mehrere
Jahre angelegte Programm für Bund, Länder und Gemeinden müssten mindestens 35 Milliarden Euro in die
Verbesserung der von Herrn Müntefering angesprochenen Bereiche fließen. Ich erwarte, dass die Sozialdemokraten hier mitmachen. Sie wissen, dass das Ihre Aufgabe wäre.
({10})
Zweitens. Herr Poß, der hier - wahrscheinlich aus
Ahnungslosigkeit - so geschimpft hat, sollte sich einmal
klarmachen, dass die Erhöhung der Regelsätze nicht nur
eine Angelegenheit der Linken - sie haben sich schon
lange klar positioniert - und der Grünen ist, sondern dass
darüber mindestens seit August in der Großen Koalition
diskutiert wird. Herr Seehofer hat bereits im Sommer
darauf hingewiesen, dass die Regelsätze angepasst werden müssen, wenn es die Inflation notwendig macht.
Herr Althaus fordert ebenfalls einen regelmäßigen Inflationsausgleich, genauso wie Herr Stoiber. Auch Herr
Pofalla hat sich noch am 11. August offen gezeigt und
gesagt, dass man bereit sei, die Regelsätze zu erhöhen,
wenn entsprechende Erkenntnisse vorlägen.
({11})
Für uns war es daher eine Enttäuschung, dass Sie
quasi nur auf der Verfahrensebene gesagt haben: Wir
sind dabei, das zu überprüfen, und wollen die Einkommens- und Verbraucherstichprobe im nächsten Jahr abwarten. Erst dann können wir aufgrund neuer Erkenntnisse über eine Anpassung der Regelsätze entscheiden,
die wahrscheinlich ab 2010 greift. - Wenn Sie dies bis
2010 auf die lange Bank schieben, ist das unsozial.
({12})
Das sage ich nicht nur mit Blick darauf, dass wir Grüne
mit einer Erhöhung auf 420 Euro wahrscheinlich, was
die Zahl angeht, völlig richtig liegen. Wir haben uns an
den Erkenntnissen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes orientiert. Ich sage Ihnen: Ein reiner Inflationsausgleich auf der Basis des Jahres 2003 macht schon heute
einen Regelsatz von 380 Euro erforderlich. Dass Sie hier
gar nichts tun, ist ein Armutszeugnis. Dass Sie leugnen,
dass das wichtig ist, ist unehrlich.
Wir Grüne schlagen einen Dreiklang für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik vor. Staatliche Leistungen
sollen nachrangig sein. Dafür ist ein Mindestlohn notwendig. Ein Progressivmodell für die Sozialversicherung und eine Erhöhung der Regelsätze sind ebenfalls
sinnvoll. Ich hoffe, dass Sie diesen Ideen irgendwann
nähertreten und mit einer Sache nächste Woche Schluss
machen.
Frau Kollegin.
Herr Präsident, ich komme wirklich zum Schluss. Ich
danke Ihnen für Ihre Rücksichtnahme.
({0})
Die Zwangsverrentung von Langzeitarbeitslosen
muss nächste Woche vom Tisch, sonst machen Sie nicht
nur den nächsten arbeitsmarktpolitischen Unsinn, sondern Sie begehen auch die nächste sozialpolitische Ungerechtigkeit.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich erlaube mir für die nachfolgenden Redner die
kleine Anregung, dass das, was man auf jeden Fall sagen
wollte, besser nicht für den Schluss, sondern gleich für
den Anfang vorgesehen wird. Dann kann es nämlich sicher vorgetragen werden.
({0})
Nun hat die Kollegin Nahles für die SPD-Fraktion das
Wort.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dann fange ich direkt einmal damit an: Ich erlaube mir, auch im Namen meiner Fraktion, dem neuen
Arbeitsminister eine gute Zusammenarbeit anzubieten.
Im Gegensatz zu den Vorrednern sind wir uns sicher,
dass Olaf Scholz auf der Basis der sozialen Marktwirtschaft für mehr sozialdemokratische Politik und vor allem soziale Gerechtigkeit kämpft.
({0})
Wir loben auch aktive SPD-Minister, nicht nur nicht aktive SPD-Minister. Das sage ich an die Adresse der Grünenfraktion.
({1})
Auf gute Zusammenarbeit und viel Erfolg! Das wünsche
ich gerade deswegen, weil das Thema, das wir hier behandeln, ein Kernthema für viele Menschen in diesem
Land ist. Wenn wir bei diesem Thema erfolgreich sind,
dann ist das positiv für eine ganze Reihe von Menschen
im Land.
Die gute Finanzsituation ist für die Opposition natürlich ein hartes Brot. Die BA hatte im letzten Jahr Überschüsse in Höhe von 11,2 Milliarden Euro, dieses Jahr
werden es 6,5 Milliarden Euro sein.
({2})
Wir haben den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von
6,5 Prozent auf 3,3 Prozent senken können. Die Aufwendungen für das Arbeitslosengeld II vermindern sich
um 3,7 Milliarden Euro. Frau Hajduk, ich kann Ihnen
nur sagen: Es ist einfach falsch, zu behaupten, dass die
Handlungsspielräume beim Eingliederungstitel geringer
geworden sind. Denn wir haben 6,5 Milliarden Euro
ohne Sperrvermerk im Eingliederungstitel, und zwar für
weniger Betroffene, um das einmal sehr deutlich zu sagen. Somit können wir im Rahmen der aktiven Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik sehr viel mehr auf den
Weg bringen.
({3})
Das haben Sie unterschlagen.
Es ist schlicht und ergreifend so, dass zur guten Finanzlage hinzukommt - deswegen versucht die Opposition den ganzen Vormittag, ein Haar in der Suppe zu finden -,
({4})
dass wir bei der Vermittlung erfolgreich waren. Wir haben tatsächlich 600 000 sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse mehr. Wir haben 268 000
Langzeitarbeitslose weniger.
({5})
Das sind klare Erfolge unserer Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.
({6})
Ja, das hat auch mit der guten Konjunktur zu tun. Wer ist
für die gute Konjunktur denn verantwortlich? Daran haben wir unseren Anteil. Den beanspruche ich ganz
selbstbewusst.
({7})
Darüber hinaus nehmen wir uns vor, weiter daran zu
arbeiten. Wir werden in diesem Haushalt Programme
wie die Initiative „50 plus“ um drei Jahre verlängern.
Wir werden die „Job-Perspektive“ weiter finanzieren,
die ab 1. Oktober dieses Jahres für 100 000 schwer verAndrea Nahles
mittelbare Langzeitarbeitslose eine echte Perspektive
darstellt. Wir werden mit einem Kommunal-Kombi in
Regionen mit einem hohen Prozentsatz von Langzeitarbeitslosen - das betrifft weiß Gott nicht nur Regionen in
Ostdeutschland - kommunale Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zur Verfügung stellen.
({8})
Wir haben aus meiner Sicht noch eine Anstrengung
bei der Ausbildung und bei der Beschäftigung von jugendlichen Arbeitslosen zu unternehmen. Wir haben
eine Verdoppelung der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze auf 93 000 Plätze erreicht. Dafür tragen wir die
Verantwortung. Die Lage wird aber nur dann gut, wenn
die Unternehmer in diesem Land beim Übernehmen von
Verantwortung Schritt halten.
({9})
Wir müssen leider feststellen, dass wir bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen einen Tiefststand haben.
Mittlerweile bilden nur noch 21 Prozent der Betriebe in
Deutschland überhaupt aus. Das kann und darf nicht so
bleiben.
({10})
Wir werden uns deshalb im nächsten Jahr auf einen
Bonus für Ausbildung verständigen, um Betrieben, die
über ihren eigenen Bedarf hinaus ausbilden, eine starke
Unterstützung zu geben, weil die Jugendlichen mit einem betrieblichen Ausbildungsplatz mehr anfangen können als mit allem, was der Staat leisten kann.
({11})
In diesem Sinne lautet mein Appell an die Unternehmen: Der Ausbildungspakt ist schön und gut, aber man
kann sich nicht darauf ausruhen.
({12})
Darüber hinaus ist es aus unserer Sicht wichtig, im
nächsten Jahr auch die Weiterbildungsanstrengungen zu
erhöhen. Die Tendenz zur Weiterbildung ist leider sinkend. Insgesamt nur 6 Prozent der Geringqualifizierten
bekommen überhaupt ein Weiterbildungsangebot. Auch
hier ist eine gemeinsame Anstrengung nötig.
({13})
Wir wollen gute Arbeit unterstützen. Sie haben es gehört: Bei dem Mindestlohn für Postbedienstete gibt es
Bewegung, die vor allem aufseiten der Tarifpartner zu
beobachten ist. Es braucht aber auch eine klare politische Unterstützung dieser tariflichen Vereinbarungen.
Die 200 000 Postbotinnen und Postboten in Deutschland
machen jeden Tag bei Wind und Wetter einen guten Job.
Für diesen guten Job verdienen sie auch einen guten
Lohn. Deswegen setzen wir uns ganz klar für einen Mindestlohn in der Postdienstleistungsbranche ein.
({14})
Ich will hinzufügen, dass aus meiner Sicht auch bei
der Zwangsverrentung die Empörungswellen wieder
langsam abebben können. Wir werden Ihnen dazu eine
Regelung vorlegen.
({15})
Ich bin ganz sicher, dass Sie mit uns an dieser Stelle ein
bisschen zufrieden sein werden.
({16})
Eine letzte Bemerkung von meiner Seite. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir uns hier ganz eindeutig
dazu äußern und den Leuten - auch was diese Frage angeht - signalisieren: Jeder, der arbeiten will, muss, auch
wenn er älter ist, von unserer Seite aus alle Möglichkeiten der Aktivierung und Integration in den Arbeitsmarkt
erhalten. Die Rente kann wirklich nur die zweitbeste Lösung sein; das ist uns wohl bewusst. Deshalb wird es hier
eine Lösung geben.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem wir mit Andrea und Olaf heute Morgen hier
sozusagen das A und O des demokratischen Sozialismus
erleben durften,
({0})
haben wir eine Idee von der Richtung bekommen, in die
die SPD die Koalition ziehen möchte, nämlich hin zu
mehr Staat, mehr Intervention, weniger Wettbewerb,
mehr sozialen Wohltaten. Herr Minister Scholz, das
stimmt mich sehr besorgt.
({1})
Das Wichtige soll man am Anfang bringen. Deshalb
möchte ich es nicht versäumen, Ihnen viel Erfolg für Ihr
neues Amt zu wünschen. Es ist ein wichtiges Amt. Sie
tragen die Verantwortung für den mit 124 Milliarden
Euro größten Einzelplan des Bundeshaushalts. Daher
kommt es schon darauf an, dass die Dinge in die richtige
Richtung bewegt werden. Zunächst einmal möchte ich jedoch etwas feststellen - dafür können Sie noch nichts -:
Der Einzelplan 11 ist trotz der immer wieder betonten
Erfolge am Arbeitsmarkt - auch die Vertreter der Großen
Koalition haben dies regelmäßig gesagt -, was die Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit anbelangt,
praktisch unverändert. Es werden weiterhin 42,6 Milliarden Euro bereitgestellt, obwohl die Langzeitarbeitslosigkeit um 10 Prozent - um 268 000 Betroffene - zurückge13646
gangen ist. Eine Erklärung dafür ist sicher, dass ein sehr
ineffizientes arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium
auch für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser genutzt
wird.
Sie sehen: Ein Handeln der Koalition ist hier mehr als
überfällig. Seit zwei Jahren warten wir auf Ihre Vorschläge. Herr Minister Scholz, Sie haben zu unserem
großen Erstaunen gesagt, dass jetzt alles sehr schnell gehen werde; das sei in wenigen Wochen auf dem Tisch.
Ich frage mich: Warum so plötzlich? Wer hat eigentlich
die ganze Zeit die Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen blockiert? Wie auch immer: Es
ist höchste Zeit, dass hier etwas passiert. Beitragsgelder
dürfen nicht weiter verschleudert werden.
({2})
Herr Minister Scholz, Sie haben in einem Interview
mit der Süddeutschen Zeitung vom gestrigen Tage auf
die Frage, was Ihre ersten Vorhaben im neuen Amt seien,
geantwortet:
Wir müssen zu einer Lösung beim Post-Mindestlohn kommen.
Das war einer der sechs Punkte, die Sie heute hier vorgestellt haben. Einige Sätze später haben Sie hinzugefügt:
… was man politisch fordert, sollte man in dem
Glauben fordern, dass es zu einer Verbesserung
führt.
Der Minister hat gerade leider nicht die Zeit, zuzuhören; man möge es ihm berichten.
({3})
Herr Minister Scholz, unabhängig von der Frage, ob
der Postmindestlohn wirklich das drängendste sozialpolitische Problem dieses Landes ist, möchte ich Sie
bösgläubig machen und auf Folgendes hinweisen: Die
Einführung von Mindestlöhnen ist, volkswirtschaftlich
gesehen, ein ähnlich kapitaler Fehler wie die Einführung
der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich vor etwas mehr als 20 Jahren.
({4})
Wir erinnern uns: Die damaligen Rationalisierungen in
den Betrieben haben dazu geführt, dass viele Arbeitsplätze für einfache Beschäftigungen dauerhaft weggefallen sind und die Sockelarbeitslosigkeit angestiegen ist.
Herr Minister, ich sage Ihnen voraus: Auch die Einführung von Mindestlöhnen wird den betroffenen Menschen nicht helfen, sondern dazu führen, dass ganze Arbeitnehmergruppen - nämlich die Arbeitnehmer mit
geringerer Qualifikation oder Leistungsfähigkeit - auf
Dauer aus dem ersten Arbeitsmarkt herausgedrängt werden.
({5})
Speziell für den Bereich der Postdienstleistungen gilt,
dass der Mindestlohn zu weniger Wettbewerb und - die
Anhörung im federführenden Ausschuss hat das gezeigt zu einem Wegfall von mindestens 20 000 Arbeitsplätzen
führt. Herr Minister Scholz, wenn Sie es mir nicht glauben, dann hören Sie, was der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Gutachten in unmissverständlicher Deutlichkeit dazu gesagt hat - Zitat -:
Besonders eklatant sticht die Absicht ins Auge, mit
einem Mindestlohn die Deutsche Post AG und ihre
Töchter von lästigem Konkurrenzdruck zu
befreien. ... Letztlich soll damit das Anfang 2008
entfallende Briefmonopol der Deutschen Post AG
durch die Hintertür wieder eingeführt werden …
Daher rät der Sachverständigenrat dringend davon
ab, die Pläne zur Einführung dieses Mindestlohns
weiter zu verfolgen.
Angesichts dessen habe ich - das muss ich auch an
die Adresse der Kollegen von der Union sagen - kein
Verständnis dafür, dass die Bundeskanzlerin gestern an
diesem Pult erklärt hat:
Bei der Post sehe ich nach wie vor Möglichkeiten,
zu einer Einigung zu kommen.
({6})
Wir hatten wirklich gehofft, dass dieser Spuk nach der
Koalitionsrunde am letzten Montag ein Ende findet.
Bundeskanzlerin Merkel hat aber gestern auch gesagt:
Dafür gibt es für uns in dieser Bundesregierung einen zentralen Maßstab: Wir beschließen Maßnahmen, mit denen weitere Arbeitsplätze geschaffen
werden, und unterlassen alles, was Arbeitsplätze
gefährdet.
Wenn das ernst gemeint war - das will ich hier klipp und
klar sagen -, dann darf der Mindestlohn bei den Postdienstleistungen nicht kommen.
({7})
Der Mindestlohn führt ohnehin nur im Ministerium
selbst zu mehr Arbeitsplätzen: Insgesamt zehn Planstellen werden für den Bereich Arbeitnehmer-Entsendegesetz/Mindestarbeitsbedingungengesetz neu ausgewiesen.
So weit zu Theorie und Praxis.
Zur Rente. Ich beurteile die Entwicklung der Rentenfinanzen zurückhaltender, als es der Rentenversicherungsbericht tut. Trotz sprudelnder Beitragsquellen beträgt der Überschuss in diesem Jahr gerade einmal
1,2 Milliarden Euro. Wir lesen und staunen, dass sich die
Überschüsse in der Zukunft prächtig entwickeln werden;
je weiter der Zeitpunkt in der Zukunft liegt, desto günstiger - das kennen wir schon - sind die Prognosen. Das
soll jetzt aber nicht mein Punkt sein.
Ich will für meine Fraktion sehr deutlich sagen: Wir
tragen den Aufbau einer Nachhaltigkeitsrücklage mit,
die der Rentenversicherung wieder eine größere Unabhängigkeit verschafft. Da allerdings in der Koalition
schon wieder Vorschläge laut werden, welche Wohltaten
man mit dem vielen Geld in der Kasse finanzieren
könnte - Stichwörter: Erleichterung des Zugangs zu
EM-Renten, Aufwertung der Beitragszahlungen von
über 60-Jährigen -, sage ich deutlich: Beitragssenkung
geht vor Leistungsausweitung. Wenn es Spielräume in
der Rentenkasse gibt, dann sollten wir die gesetzlichen
Voraussetzungen dafür schaffen, auch schon vor 2011
eine Beitragssenkung zu ermöglichen und die Beitragszahler in der Rentenversicherung von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren zu lassen.
({8})
Ich beurteile es sehr skeptisch, dass der Sozialbeirat
jetzt fordert, man möge Selbstständige in die Rentenversicherung einbeziehen. Das würde nämlich kurzfristig
die Überschüsse weiter steigern und zu noch mehr Begehrlichkeiten führen. Das kann nicht die Leitlinie sein.
Nein, Herr Minister Scholz, Sie sollten wirklich das tun
- das muss erste Priorität haben -, was den konjunkturellen Aufschwung verstetigt und Rückenwind für die
Schaffung neuer Arbeitsplätze bringt. Wir brauchen
keine zusätzlichen sozialen Wohltaten, sondern eine Absenkung von Beschäftigungsschwellen am Arbeitsmarkt.
Nur so werden wir weiter vorankommen. Hierfür - aber
auch wirklich nur hierfür - wünsche ich Ihnen eine
glückliche Hand.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Ilse Falk.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister, ich sage auch meinerseits
von dieser Stelle aus einen herzlichen Glückwunsch zu
Ihrem neuen Amt. Herzlich willkommen an Bord! Die
Rede, die Sie eben gehalten haben, ist eine gute Basis für
eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der zweiten Hälfte
der Legislaturperiode.
Mit dem Einzelplan 11, Bundesarbeitsministerium,
steht der Haushalt in zweiter Lesung zur Debatte, der mit
129,5 Milliarden Euro nicht nur der größte ist, sondern
auch derjenige, der besonders viele Menschen betrifft.
Zugleich handelt es sich um den Haushalt, an dem besonders deutlich wird, dass sich Reformen auszahlen.
Wenn dann auch noch Wachstum und Aufschwung die
Konjunktur beflügeln, können wir mit Recht eine gute
Zwischenbilanz ziehen.
({0})
Sie können sich vorstellen, dass dabei immer wieder
die guten Arbeitsmarktzahlen im Vordergrund stehen.
Ich will sie hier gar nicht in allen Einzelheiten wiederholen - sie sind in den letzten beiden Tagen schon oft genug genannt worden -; trotzdem muss immer wieder
deutlich gemacht werden, wie wichtig und erfreulich es
ist, dass zum Beispiel Jugendliche unter 25 Jahren, ältere
Arbeitslose über 55 Jahre und viele Langzeitarbeitslose
wieder den Weg in Arbeit gefunden haben. Dies macht
besonders Hoffnung.
({1})
Diese Zahlen sind natürlich auch das Ergebnis erfolgreicher Vermittlungstätigkeit der Jobcenter.
Die Zahl der Erwerbstätigen ist ebenfalls deutlich gestiegen. Auch dies bedeutet Hoffnung für die Zukunft.
Die vielen offenen Stellen geben denen Aussicht auf Arbeit, die bis jetzt noch keinen Arbeitsplatz gefunden haben.
Jetzt gilt es, Kurs zu halten, damit noch viel mehr
Menschen in unserem Land eine Chance auf Beschäftigung haben. Denn auch 3,36 Millionen Arbeitslose - das
ist die Zahl, die gerade eben veröffentlicht worden ist sind immer noch 3,36 Millionen Arbeitslose zu viel.
Eines darf man nicht vergessen: Hohe Arbeitslosigkeit gefährdet das System der solidarischen Versicherung, wie wir in den vergangenen Jahren leidvoll erfahren mussten. Beiträge und damit die Lohnzusatzkosten
steigen, Leistungen sinken, Menschen weichen in
Schwarzarbeit und unsichere Beschäftigungsverhältnisse
aus, was natürlich auch auf deren Versicherungsansprüche Auswirkungen hat. Sinkende Arbeitslosigkeit und
steigende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
bedeuten mehr Geld in den Sozialkassen und damit mehr
Sicherheit, mehr Leistungen und mehr Solidarität mit
denjenigen, die unserer Hilfe bedürfen, weil sie sich
nicht selber helfen können. Also profitieren auch sie von
mehr Beschäftigung.
Ein ganz wichtiger Punkt ist deshalb für uns die Verbesserung der Einstellungsbedingungen durch Senkung
der Lohnzusatzkosten; das hat weiterhin oberste Priorität. Deswegen ist es so gut, dass es gelungen ist, bei der
Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von ursprünglich 6,5 Prozent auf nunmehr
3,3 Prozent eine Einigung zu erzielen.
({2})
Dies gibt den Arbeitgebern Handlungsoptionen, und die
Arbeitnehmer haben dadurch eine größere Verfügungsmasse.
Das Volumen des Einzelplans Arbeit und Soziales ist
nicht nur von der Entwicklung des Arbeitsmarktes, sondern in besonderer Weise auch von den gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig. Deshalb kann man ihn
nicht isoliert betrachten. Ich denke da vor allem an die
Schnittstelle zwischen Familien- und Sozialpolitik und
an die Kosten, die von denjenigen ausgelöst werden, die
in zweiter oder gar dritter Generation in Abhängigkeit
von Sozialleistungen leben und sich irgendwie darin eingerichtet haben. Zahlreiche Faktoren wie fehlende oder
mangelhafte Bildung, versagende Familien, denen es an
jeglicher Lebens- und Alltagskompetenz fehlt, Suchtverhalten und vieles mehr führen zu Ausgrenzung und Passivität. Hier ist der Ruf nach Erhöhung der Transferleistungen schlicht realitätsfern.
({3})
Aufsuchende Hilfen und umfassende Präventionen sind
gefragt, um den Teufelskreis, in dem sich manche befinden, zu durchbrechen.
Diese Menschen sind glücklicherweise eine Minderheit in unserer Gesellschaft. Wir sollten alles tun, um ihnen zu helfen; aber wir sollten nicht zulassen, dass sie
die mediale und politische Diskussion in einer Weise dominieren, als gäbe es nicht auch die große Mehrheit der
Leistungserbringer, die das Geld erarbeiten, das solidarisches Handeln erst möglich macht.
({4})
Ihnen gegenüber stehen wir in der Verantwortung. Sie
erwarten von uns zu Recht, dass wir alles tun, um das
zur Verfügung stehende Geld klug zu verwenden.
Darüber sollten vielleicht auch die Linken nachdenken, die immer meinen, sie seien die Einzigen, die den
Schlüssel für eine soziale und gerechte Politik hätten.
Wollen Sie wirklich, dass die Menschen noch mehr Steuern zahlen? Dann sagen Sie ihnen auch deutlich, dass die
von Ihnen bisher geforderten Leistungen, die sich auf
150 Milliarden Euro summieren, eine Erhöhung der
Mehrwertsteuer um 20 Prozentpunkte auf 39 Prozent
nach sich ziehen würden.
({5})
Käme noch der von Ihnen geforderte Rentenbeitrag
von 28 Prozent hinzu, dann könnten wir in der Tat gleich
zum Sozialismus zurückkehren.
({6})
- Das muss aber ab und zu auch deutlich gesagt werden.
In diesen Tagen war viel von der sogenannten
Zwangsverrentung die Rede. Es werden Horrorszenarien von Arbeitslosen entwickelt, die in Zukunft mit
60 einen Rentenantrag stellen und lebenslänglich auf
0,3 Prozent Rente pro Monat - auf fünf Jahre bezogen
sind das 18 Prozent - verzichten müssten.
({7})
An einer Stelle gibt es tatsächlich eine Schieflage, und
zwar bei den Frauen - noch für einige wenige Jahre - und
bei den Schwerbehinderten.
({8})
Über diese Schieflage wird es in diesen Tagen eine Verständigung zwischen den Koalitionspartnern dahin gehend geben, dass keiner und keine vor dem
63. Lebensjahr auf die Rente verwiesen werden darf.
Das bedeutet, dass kein Arbeitsloser mit Abschlägen von
mehr als 7,2 Prozent rechnen muss, sofern nach Unbilligkeitsgesichtspunkten ein solcher Schritt überhaupt
vollzogen wird.
({9})
Die Vereinbarung erhält noch einige weitere Punkte
zum Verfahren und wird im Einzelnen zu diskutieren
sein. Ich denke aber, dass wir insgesamt zu einer guten
Entscheidung kommen werden, durch die erneute Frühverrentungsanreize vermieden werden.
Unsere Sozialpolitik muss darauf ausgerichtet bleiben, dass möglichst viele Menschen Teil der arbeitenden
Mehrheit in unserer Bevölkerung sein können. Wir brauchen daher für die Gruppe der Arbeitsuchenden Wege
in die Arbeit. Dazu gehören in erster Linie Bildungsund Qualifizierungsangebote, wo fehlende oder unvollständige Ausbildung Einstellungschancen mindern. Notwendig ist aber auch die individuelle Begleitung, insbesondere von Langzeitarbeitslosen, die über rein
verwaltungstechnische Vermittlungsarbeit hinausgeht.
Diese Begleitung sollte fördern, aber auch fordern.
Bei knapp 1 Million offener Stellen muss auch die
Mobilität Arbeitsuchender stärker in den Blick genommen werden. Was von der arbeitenden Mehrheit erwartet
wird, muss grundsätzlich auch für Arbeitsuchende gelten. Wenn es um die Verbesserung von Beschäftigungschancen geht, darf es keine Tabuthemen geben.
Wir brauchen in Deutschland soziale Sicherheit, aber
auch Flexibilität. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass viele Arbeitnehmer erst über die Zeitarbeit
wieder in die Arbeitswelt und in eine Festanstellung zurückfinden. Auch für die Wirtschaft ist die sogenannte
atmende Beschäftigung sehr hilfreich. Deshalb darf Zeitarbeit nicht wieder abgewürgt werden.
({10})
Für uns gilt auch: Wer Vollzeit arbeitet, muss mehr
haben als jemand, der nicht arbeitet. Er soll selbstverständlich davon leben können. Wo dies nicht erarbeitet
werden kann, greift die Mindesteinkommensicherung
des Staates. Das ist gut so. Wer aber Unternehmen zwingen will, einen Lohn zu zahlen, der nicht zu erwirtschaften ist, der sorgt im Ergebnis dafür, dass viele Menschen
gar keinen Lohn mehr bekommen und sich die Chancen
gerade der Schwächeren verschlechtern. Für staatlich
verordnete Mindestlöhne, die Arbeitsplätze vernichten
und Wettbewerb aushebeln, können wir im Interesse der
Menschen daher nicht die Hand reichen.
({11})
Wenn die angelsächsischen Länder immer wieder als
Beispiel herangezogen werden, muss die Frage erlaubt
sein, zum Beispiel an Frau Hajduk, ob das auch für andere arbeitsrechtliche Regelungen wie den Kündigungsschutz gilt.
({12})
Auch wenn das Ziel, Menschen in Beschäftigung zu
bringen bzw. zu halten, oberste Priorität hat, so dürfen
wir die Arbeitsbedingungen für die Mehrheit der
40 Millionen Erwerbstätigen nicht außer Acht lassen.
Hier geht es neben der erwähnten Senkung der Lohnzusatzkosten um die weitere Teilhabe am wirtschaftlichen
Aufschwung. Deswegen ist ein zentrales Thema der
politischen Agenda der Großen Koalition die Mitarbeiterbeteiligung. Die Politik kann die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Unternehmer mehr als bisher
die Möglichkeit erhalten, ihre Mitarbeiter an den Ergebnissen ihrer Arbeit teilhaben zu lassen.
({13})
Neben finanziellen Aspekten geht es auch um eine
humane Arbeitswelt. Der Erhalt von physischer und
psychischer Gesundheit sowie Fitness der arbeitenden
Menschen sind von fundamentaler Bedeutung. Hier geht
es nicht um ein paar Yogakurse, sondern es geht um
frühzeitige und kontinuierliche Gesundheitsprogramme.
({14})
Die demografische Entwicklung und die längere Lebensarbeitszeit führen zwangsläufig dazu, dass wir uns
intensiver mit der Frage nach altersgerechten Arbeitsplätzen beschäftigen müssen und werden. Ein Land wie
Deutschland, das von seinem Wissen lebt, kann es sich
gar nicht leisten, auf die Erfahrung älterer Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen zu verzichten.
Genauso wichtig ist auch, dass wir die familiengerechte Ausgestaltung von Arbeitsplätzen als zentrale
Herausforderung für Wirtschaft und Politik begreifen,
damit Väter und Mütter, wenn sie es wünschen, erwerbstätig sein und trotzdem Familie leben können. „Haushalt
als Arbeitgeber“ ist da ein Stichwort. Weil das schon angesprochen worden ist, will ich mit meinen Ausführungen nun zum Ende gekommen; der Präsident mahnt
schon.
Zum Abschluss will ich einen hoffnungsvollen Ausblick geben. Ziel der Arbeits- und Sozialpolitik kann eigentlich nur sein - das muss unser wichtigstes Anliegen
sein -, diesen großen Haushalt herunterzufahren, zu versuchen, von den hohen Kosten herunterzukommen; denn
das wäre der beste Ausdruck einer guten Arbeits- und
Sozialpolitik.
Vielen Dank.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Seit fast drei Jahren ist das menschenunwürdige Hartz-IV-Gesetz in Kraft und wird an lebenden Personen ausprobiert. Es wurde von SPD und
Grünen euphorisch eingeführt, durch CDU/CSU und
SPD massiv verschärft; wenn die FDP könnte, würde sie
die Daumenschrauben für die Erwerbslosen noch fester
anziehen.
({0})
Was hat es den Menschen gebracht, dieses tolle Gesetz?
Genau das, wovor Linke, Sozialverbände, Gewerkschaften, Erwerbslose und die Montagsdemos Sie eindringlich gewarnt haben: Lohndrückerei, Arbeit zum Hungerlohn, Ausgrenzung und Armut.
Schon in der vergangenen Sitzungswoche hat es
meine Fraktion, Die Linke, gewagt, unter anderem wegen der enormen Preissteigerungen wenigstens eine Anhebung der sogenannten Grundsicherung von 347 Euro
auf 435 Euro zu fordern. Fast durchgängig reagierten Sie
mit Beleidigungen, mit unerträglicher Überheblichkeit
oder Ignoranz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung der Regelsätze fordert nicht nur die Linke. Auch
Sozialverbände, Gewerkschaften und soziale Bewegungen verlangen umgehend eine Erhöhung.
({1})
Selbst die Grünen als Mitverursacher dieser Verarmungswelle haben wohl begriffen, dass menschenwürdige Existenz viel mehr ist als rein körperliches Überleben.
({2})
Ja, die Anhebung der Regelsätze kostet Geld, aber das
Geld ist sogar da. Verzichten Sie einfach auf Ihre üppigen Steuergeschenke ab 2008! Sorgen Sie dafür, dass
Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz mit Leben erfüllt wird! Darin heißt es nämlich: „Eigentum verpflichtet“.
({3})
Wir haben über 2,5 Millionen arme Kinder in
Deutschland. Aber Sie tun nichts. Sie sind nicht bereit,
die Regelsätze anzuheben, um Armut zu lindern. Ja, Sie
wollen einmal prüfen, ob da vielleicht etwas geht, so ab
Frühjahr 2008 oder 2009. Aber die Erhöhung der Diäten von uns Abgeordneten halten Sie in dieser Situation
für angemessen. Ohne Bedarfsprüfung haben Sie diese
von einer Woche auf die andere durchgedrückt. Mit
350 Euro haben wir ab 2008 circa so viel zusätzlich, wie
Sie einer Einpersonenbedarfsgemeinschaft im Monat
zum Überleben zugeteilt haben. Ich finde, das ist unverschämt und an Zynismus nicht zu überbieten.
({4})
Nicht mal zu einer Weihnachtspauschale von 40 Euro für
Hartz-IV-Betroffene konnten Sie sich durchringen.
({5})
Herr Straubinger, Sie erzählten uns in Ihrer Rede am
15. November, dass mit der momentanen Regelsatzhöhe
ein menschenwürdiges Leben möglich sei und dass die
Koalition die Chancen der Menschen großartig verbessert habe. Wenn es so wäre, wie kommt es dann, dass
sich die Zahl der armen Kinder seit Einführung von
Hartz IV verdoppelt hat, dass Suppenküchen und Wärmestuben aus den Nähten platzen, dass Tafeln und Kleiderkammern Hochkonjunktur haben und die Wohnungslosigkeit zunimmt?
Und Sie, Herr Haustein, Sie plappern hier wiederholt
von Sonderbedarfen wie Kühlschrank oder Waschma13650
schine, die einfach so auf Antrag verteilt werden. Das ist
absoluter Blödsinn! Seit Hartz IV sind die einmaligen
Beihilfen Geschichte. 1,39 Euro pro Monat sieht der Regelsatz für einen Kühlschrank vor. Das heißt, man muss
acht Jahre sparen, um sich einen Kühlschrank für
135 Euro leisten zu können. Sie sollten Ihr Supergesetz
endlich einmal lesen.
({6})
Diese Empfehlung richte ich auch an einige Angestellte
der Bundesagentur für Arbeit. Es wird immer wieder
deutlich, wie wichtig es ist, unabhängige Sozialberatungsstellen zu unterstützen.
({7})
Noch ein Vorschlag: Besuchen Sie statt des x-ten parlamentarischen Abends von Wirtschaftslobbyisten doch
einfach einmal Selbsthilfevereine der Erwerbslosen.
Letzte Woche haben mich die Erwerbslosen in Merseburg, Sachsen-Anhalt, gebeten, Sie dazu einzuladen.
Liebe Hartz-IV-Gutfinder im Saal, versuchen Sie, sich
das einmal vorzustellen: Ihr Kind hat nach über
100 Versuchen einen Ausbildungsplatz ergattert, und Sie
müssen von der Ausbildungsvergütung, die Ihr Kind erhält, mit durchgefüttert werden. - Ich glaube, das übersteigt Ihre Vorstellungskraft.
Viele Betroffene meinen auch, Abgeordnete sollten
einmal ein Jahr von Hartz IV leben müssen, um zu begreifen, was es heißt, überflüssig zu sein: Offenbarungseid, Sanktionen, Existenzangst, Sozialschnüffler in der
Wohnung, Verzweiflung, Resignation, traurige Kinderaugen, Armut, Hunger und Krankheit.
({8})
Nein, meine Damen und Herren, auch Ihnen wünsche
ich ein solches Leben nicht.
Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich etwas! Ihre Politik geht auf Dauer nicht gut. Sie gefährden mehr und
mehr den sozialen Frieden im Land. Dass Sie Ähnliches
befürchten, zeigte unter anderem die Reaktion von Frau
Connemann auf unseren Antrag, das Recht auf politischen Streik in das Grundgesetz aufzunehmen. Ich zitiere aus der Rede von Frau Connemann:
Ein Druck - durch wen auch immer - darf nicht auf
uns ausgeübt werden.
Wovor fürchten Sie sich? Haben Sie Angst vor dem eigenen Volk?
Vielen Dank.
({9})
Ich bitte diejenigen Kollegen, die jetzt für die nach
dem übernächsten Redner stattfindende namentliche Abstimmung in den Plenarsaal kommen, Platz zu nehmen
und einen ruhigen Abschluss dieser Debatte zu ermöglichen.
Wolfgang Grotthaus ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 5,2 Millionen Arbeitslose, die Beschäftigungsquote
Älterer über 50 Jahre knapp über 40 Prozent, die Ausbildung junger Menschen mehr als miserabel - das war Anfang 2005.
({0})
Das war vor dem Inkrafttreten des ach so miserablen
Hartz-IV-Gesetzes.
Wie sieht es nach dem Inkrafttreten, knapp drei Jahre
später, aus? Die Arbeitslosenzahlen haben sich auf circa
3,4 Millionen reduziert. Die Beschäftigungsquote der
über 50-Jährigen ist auf 52 Prozent angewachsen. Der
Ausbildungspakt greift; mehr junge Menschen kommen
in Arbeit. Die Erwerbstätigenzahl bewegt sich auf einem
Rekordniveau von über 40 Millionen Menschen.
Stolze Zahlen, finde ich. Trotzdem gilt es, die Hände
nicht in den Schoß zu legen und sich auszuruhen. Vielmehr müssen für die jungen Menschen, die noch keinen
Ausbildungsplatz haben, für jeden Menschen ohne Arbeit, für alle, die mit körperlichen Handicaps ins Berufsleben einsteigen wollen, die Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass ihre Situation erleichtert wird und
dass sie ihrem Wunsch folgen können, einen Beruf zu erlernen oder in einen Job zu kommen. Sie wollen Teilhabe: Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe an der Möglichkeit, das Geld für die eigene Familie selber zu
verdienen. Teilhabe an finanziellen Leistungen des Staates wollen sie nur - das sage ich insbesondere an die
Adresse der Linken -, wenn sie tatsächlich nicht die
Chance haben, ins Berufsleben einzutreten. Entscheidend ist also Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt und nicht so sehr an finanzieller Unterstützung und Alimentierung durch den Staat.
({1})
Ins Berufsleben zurückzufinden, trägt auch zur Selbstverwirklichung bei. Selbstverwirklichung findet nicht
statt, wenn man auf Almosen seitens des Staates angewiesen ist.
Mit dem Haushalt senden wir hierzu wichtige
Signale. Dies gilt vor allem für den Bereich „Arbeit und
Soziales“. Insgesamt 124 Milliarden Euro stellen wir im
nächsten Jahr für diesen Bereich zur Verfügung. Die
gute Nachricht für den Arbeitsmarkt ist: Die Arbeitsmarktpolitik wird trotz Entlastung auf dem Niveau der
letzten Jahre weitergeführt und in Schwerpunktbereichen sogar verstärkt. Senken können wir die Ausgaben
für das Arbeitslosengeld II. Bei den ins Berufsleben Eintretenden kommt inzwischen die Hälfte aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug; noch vor einem Jahr war es ungefähr ein Drittel.
Auch bei der Rentenversicherung gibt es gute Nachrichten. Deshalb können die staatlichen Zuschüsse für
die Rentenversicherung um 400 Millionen Euro abgesenkt werden.
Ausgabensenkung ist jedoch nur die eine Seite der
Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir die
Ausgaben in Schwerpunktbereichen verstärken, um den
Abbau der Arbeitslosigkeit weiter zu unterstützen. Dadurch wird der Bundeshaushalt mittelfristig entlastet.
Wir haben das Bundesprogramm „KommunalKombi“ neu in den Haushalt eingestellt. So können ungefähr 50 000 Menschen mit entsprechenden Komplementärmitteln aus den Kommunen im nächsten Jahr in
Arbeit gebracht werden. Wird dieses Programm von den
Kommunen angenommen, wird diese Maßnahme auch
in 2009 weitergeführt. Dann werden wir mit den entsprechenden Mitteln dafür sorgen können, dass 100 000
Menschen eine bessere Zukunft bekommen.
Ähnliches gilt für die Förderung der Beschäftigung
Älterer. Die Entscheidung von Franz Müntefering, einen
Schwerpunkt auf die Integration von Menschen über
50 Jahren zu setzen, ist richtig und war bisher außerordentlich erfolgreich. Die Arbeitslosenquote bei den über
50-Jährigen ist gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent
gesenkt worden. Ein erfolgreiches Programm, so meinen
wir, das auch in den nächsten drei Jahren fortgesetzt
wird. Außerdem werden wir für ältere Empfänger von
Arbeitslosengeld I Eingliederungsgutscheine einführen,
wodurch noch mehr Menschen über 50 Jahre in Beschäftigung kommen sollen.
({2})
Auf eine weitere Entscheidung möchte ich hier deutlich hinweisen: Wir haben den Eingliederungstitel nicht
gekürzt. Damit steht bei weniger Arbeitslosen, aber gleichen finanziellen Aufwendungen für den einzelnen Arbeitslosen mehr Geld zur Eingliederung zur Verfügung.
({3})
Wer hier also behauptet, es werde gekürzt und weniger
Geld zur Verfügung gestellt, der beherrscht die vier
Grundrechenarten nicht. Dem würde ich auch nicht empfehlen, beim PISA-Test mitzumachen; denn das würde
das negative Ergebnis noch verstärken. Von daher würde
ich all die Abgeordneten, die hier solche Rechnungen
aufmachen, bitten, sich zumindest Grundschulkenntnisse
im Rechnen anzueignen.
({4})
Eines muss hier auch deutlich gesagt werden: Wir erwarten, dass die Mittel, die für den Eingliederungstitel
zur Verfügung gestellt werden, im nächsten Jahr auch
vollständig ausgeschöpft werden, dass vor Ort die Vermittlung, die Eingliederung noch stärker forciert wird.
Hier müssen sich die Träger der Grundsicherung im
nächsten Jahr noch mehr einsetzen. Kein Arbeitsloser
darf das Gefühl haben, dass vor Ort auf seine Kosten gespart wird. Die Bundesregierung hat an dieser Stelle ihre
Hausaufgaben gemacht.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz zu der
Kollegin Hajduk sagen. Die Kollegin Hajduk hat behauptet, dass wir nicht richtig analysiert haben. Sie hat
gefragt, wodurch die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen tatsächlich zustande gekommen ist. Ich habe das
zwar schon einmal gesagt, ich will es aber wiederholen:
Ja, durch die Konjunkturverbesserung. - Von der Kollegin Hajduk hätte ich aber erwartet, dass sie zumindest
die zurückhaltende Lohnpolitik der Gewerkschaften, der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Republik, erwähnt. Ich füge hinzu: Auch die Agenda 2010,
zu der Sie damals Ihre Zustimmung gegeben haben, hat
zu einem großen Teil dazu beigetragen. Seien Sie nicht
so zurückhaltend! Bekennen Sie sich zu den Erfolgen,
auch wenn sie erst jetzt oder später zum Tragen kommen!
({5})
Wir sind auf einem guten Weg. Wir werden diesen
Weg unbeirrt weitergehen. Wir werden uns nicht treiben
lassen. Von daher werden Sie, ähnlich wie bei der
Zwangsverrentung, die eine oder andere Überraschung
mit uns erleben. Sie werden sagen können: Aha, in der
Großen Koalition bewegt sich doch etwas. - Wir hoffen,
dass Sie uns dann auch zustimmen werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich bitte die inzwischen eingetroffenen Kollegen,
Platz zu nehmen. Die namentliche Abstimmung findet
nicht anstelle der Debatte statt, sondern nach der Debatte, sicher nicht vorher.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, nachdem wir heute die aktuellen Arbeitsmarktdaten haben zur Kenntnis nehmen dürfen, können wir
sagen: Das ist ein guter Tag für Deutschland. Das ist vor
allem ein guter Tag für diejenigen, die bisher arbeitslos
waren. Die Zahl der Arbeitslosen ist gegenüber dem November des vergangenen Jahres um über 600 000 zurückgegangen. An dieser Stelle darf ich sagen: Wir
freuen uns mit all denjenigen, die letztes Jahr noch auf
staatliche Fürsorge angewiesen waren und in diesem
Jahr wieder von ihrer eigenen Arbeit leben können.
({0})
Wir entscheiden heute über nicht weniger als über die
Verteilung von 124 Milliarden Euro, über den Haushalt
des Bundesarbeitsministeriums. Ich nenne diese Zahl
ganz bewusst, weil man angesichts der Debatten in diesem Hause und angesichts von Parteitagsbeschlüssen in
den letzten Wochen den Eindruck gewinnen konnte, dass
Stefan Müller ({1})
es neben diesen 124 Milliarden Euro noch weitere Mittel
zu verteilen gäbe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auf
Ihrem Parteitag in Nürnberg haben Sie es nicht nur geschafft, Ihren kompetentesten Finanzfachmann aus dem
Weg zu räumen, sondern Sie haben es auch geschafft,
sich mit Ihren Beschlüssen von seriöser Sozialpolitik,
von seriöser Politik insgesamt zu verabschieden.
({2})
Die Tatsache, dass Sie den Bürgern 60 Milliarden Euro
für soziale Wohltaten versprechen, zeigt, dass Sie in
höchstem Maße an Realitätsverlust leiden.
({3})
Vor diesem Hintergrund erscheint es außerordentlich
skurril, wenn Sie uns in Ihrem Entschließungsantrag zu
diesem Einzelplan vorwerfen, wir wären der Meinung,
wir hätten ein haushaltspolitisches Schlaraffenland. Das
Gegenteil ist richtig: Das Schlaraffenland versprechen
Sie den Menschen und nicht wir.
In Ihrem Entschließungsantrag kritisieren Sie außerdem die Lastenverschiebung zwischen Bundeshaushalt
und Bundesagentur. Dieser Meinung kann man durchaus sein; das ist Ihr gutes Recht. In Ihrem Antrag rechnen Sie uns vor, wodurch die Bundesagentur zusätzlich
belastet wird. Sie kommen auf 10,8 Milliarden Euro. Sie
fordern, dass diese zusätzlichen Belastungen nicht mehr
durch die BA gegenfinanziert werden. Im Gegenzug soll
die BA die Einnahmen aus einem Mehrwertsteuerpunkt
nicht mehr erhalten. Da gibt es aber einen kleinen Rechenfehler, der mir aufgefallen ist: Nach Ihrer Meinung
wird die Bundesagentur mit 10,8 Milliarden Euro zusätzlich belastet. Die Einnahmen aus dem Mehrwertsteuerpunkt betragen aber nur 7,5 Milliarden Euro. Sie beantworten nicht die Frage, woher die weiteren über
2 Milliarden Euro kommen sollen. Mir jedenfalls ist
nicht bekannt, dass Sie einen entsprechenden Antrag im
Haushaltsausschuss gestellt haben.
Zu einem weiteren Thema in Ihrem Entschließungsantrag. Sie schreiben, die BA müsse von ihren Reserven
zehren. Da muss ich Ihnen leider widersprechen. Die BA
muss nicht von ihren Reserven zehren, sie muss auch
keine Rücklagen aufbrauchen. Richtig ist, dass von dem,
was in den letzten Jahren an Überschüssen durch zusätzliche Beitragseinnahmen eingenommen wurde, in den
nächsten Jahren etwas weggenommen wird. Es gibt
keine zusätzlichen Belastungen, weil wir erstens die Beiträge gesenkt haben
({4})
und weil wir zweitens Rücklagen gebildet haben. Ich
sage ausdrücklich: Dieser Weg ist richtig. Die BA bildet
zum ersten Mal eine Rücklage für ihre Pensionäre, damit
künftige Beitragszahler davon nicht mehr belastet werden.
({5})
Es ist auch richtig, dass überhaupt eine Liquiditätsrücklage gebildet werden soll. Das ist ein Beitrag dazu, um
die Lohnzusatzkosten in der Zukunft nicht weiter zu erhöhen. Wir stehen für niedrige Lohnnebenkosten, für
niedrige Sozialabgaben, damit den Menschen mehr übrig bleibt.
({6})
Wir, die Regierungsfraktionen, wollen den Sozialstaat
erhalten und sichern. Wir wollen aber nicht mehr versprechen als das, was gehalten werden kann. Wir sind
dafür, dass Leistungsträger nicht überfordert werden und
dass Schwache, die sich selbst nicht helfen können, unterstützt werden. Das heißt: Oberstes Ziel in der Innenpolitik der nächsten Jahre muss weiterhin sein, dass Arbeitslose in den Arbeitsmarkt integriert werden, dass die
Arbeitslosigkeit abgebaut und zusätzliche Beschäftigung geschaffen wird. Wir wollen gerade diejenigen unterstützen, die von diesem Aufschwung noch nicht profitiert haben, nämlich Langzeitarbeitslose, jüngere und
auch ältere. Mit diesem Haushalt setzen wir - mit Ihnen,
Herr Bundesarbeitsminister - die entsprechenden Akzente dafür.
({7})
Wir wollen eine solide Sozialpolitik, die über Jahre
Bestand hat. Dazu müssen wir die Interessen der Generationen verbinden. Das gilt insbesondere für die Rentenversicherung, die auch in diesem Jahr einen hohen
Zuschuss in Höhe von fast 80 Milliarden Euro bekommt.
Der Generationenvertrag war über Jahrzehnte Garant für
Stabilität und Solidarität der Generationen. Das soll auch
in Zukunft so sein. Aber wir müssen den Veränderungen
in unserer Gesellschaft Rechnung tragen und die Frage
beantworten: Wie schaffen wir es, dass sich die Generationen nicht gegenseitig überfordern? Wir haben auf der
einen Seite die Älteren, die um erworbene Ansprüche
fürchten, und auf der anderen Seite die Jüngeren, die
sich als Verlierer des Systems fühlen. All denen müssen
wir sagen: Eure Befürchtungen sind unberechtigt. Wir
tun alles, um das Rentensystem zu stabilisieren. - Deswegen ist der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung
gerechtfertigt, und deswegen war auch die Rente ab 67
ein wichtiger Schritt.
({8})
In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem von klugen Wissenschaftlern immer wieder vorgebrachten Vorschlag „Rente ab 70“. Ich halte von dieser Diskussion
- da bin ich mir mit meinen Kollegen und Kolleginnen
aus der Union einig - überhaupt nichts. Es macht keinen
Sinn, das Renteneintrittsalter zu erhöhen und sofort eine
Diskussion über eine weitere Erhöhung anzuzetteln. Der
Schritt „Rente ab 67“ war richtig. Wir haben ihn getan;
das stabilisiert das System.
({9})
Wir führen gelegentlich Debatten über unseren Sozialstaat. Er steht angesichts seiner konkreten Ausgestaltung und seines Leistungsvolumens oftmals in der Kritik. Dennoch stellen wir fest, dass er sich einer hohen
und stabilen Wertschätzung in der Bevölkerung erfreut.
Stefan Müller ({10})
Erfolgreiche Sozialpolitik ist die Voraussetzung für innenpolitische Stabilität. Sie ist die Voraussetzung für sozialen Frieden. Wir leisten mit diesem Bundeshaushalt
einen entscheidenden Beitrag, um den sozialen Frieden
in Deutschland zu gewährleisten.
({11})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales - in der
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7317 vor, über den
wir zuerst abstimmen. Die Fraktion Die Linke hat hierzu
namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mir zu signalisieren, ob
alle Plätze besetzt sind. - Das ist offenkundig der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist offenkundig
nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen.
Nach Neubesetzung der Matadore werden wir die
Aussprache fortsetzen und uns die Ergebnisse der Abstimmung nach dem bewährten Verfahren während der
Debatte mitteilen lassen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall.
Ich bin gerade darauf aufmerksam gemacht worden,
dass wir die Debatte nicht sofort fortsetzen können, weil
wir die Abstimmung über diesen Einzeletat formal korrekt erst dann durchführen können, wenn über den Änderungsantrag abgestimmt worden ist. Die Abstimmung
hat zwar gerade stattgefunden, und wir ahnen das Ergebnis, aber wir kennen es noch nicht. Deswegen unterbreche ich die Sitzung, bis das Ergebnis vorliegt. Sobald das
der Fall ist, fahren wir mit den Beratungen fort.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten
Katja Kipping, anderer und der Fraktion Die Linke zu
dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des
Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008, hier:
Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Drucksachen 16/6000,
16/6002, 16/6411, 16/6423 und 16/7317, bekannt: Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 50, mit
Nein haben gestimmt 521, keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 571;
davon
ja: 50
nein: 521
enthalten: 0
Ja
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Monika Knoche
Katrin Kunert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Volker Schneider
({0})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({1})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({3})
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({8})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({21})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
({28})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({29})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({32})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({40})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({41})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Heinz Schmitt ({44})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({47})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({48})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({49})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({50})
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({51})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({52})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({53})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({54})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({55})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({56})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({57})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({58})
fraktionslos
Henry Nitzsche
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den
Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 11 ist dann mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen
angenommen.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt II.14 auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
- Drucksachen 16/6406, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn
Norbert Barthle
Jürgen Koppelin
Alexander Bonde
Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor. Außerdem liegen je ein Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Max Stadler von der
FPD-Fraktion.
({59})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon nach zwei Jahres ihres Bestehens ist die
Große Koalition in der Innenpolitik praktisch handlungsunfähig.
({0})
- Doch. Der Tagesspiegel hat am Samstag unter der
Überschrift „Koalition des Misstrauens“ zu Recht geschrieben:
Die Innenpolitiker von SPD und Union misstrauen
sich von Herzen … Es ist hier gut zu beobachten,
wie aus Partnern Opponenten geworden sind …
({1})
Das ist eigentlich ein verheerender Befund über den Zustand dieser Regierung.
Aber Politik ist manchmal paradox: Man muss geradezu froh sein, dass sich Union und SPD nicht mehr auf
neue Gesetze einigen können.
({2})
Denn was die Koalition in den bisherigen zwei Jahren in
der Gesetzgebung gemacht hat, war ja nichts anderes als
eine Kaskade von Einschnitten in die Grundrechte. Mit
ihrer bürgerrechtsunfreundlichen Politik hat diese
Koalition nahtlos die Politik der rot-grünen Vorgängerregierung fortgesetzt.
({3})
Die innere Zerrissenheit der Koalition zeigt sich im
Großen wie im Kleinen. Sie streiten ja nicht nur über
zentrale Themen wie die heimliche Onlinedurchsuchung, sondern wir haben hier im Plenum auch oft die
Spannungen in dieser Koalition live miterlebt, wenn sich
die Kontrahenten aus Union und SPD beispielsweise
über das Ausländerrecht coram publico gestritten haben. Sie sind nicht in der Lage, eine wirkliche Modernisierung des öffentlichen Dienstes auf den Weg zu bringen, und greifen die Vorschläge und Eckpunkte, die Otto
Schily zusammen mit dem Deutschen Beamtenbund und
mit Verdi vereinbart hat, eben gerade nicht auf. Sie versuchen, die Organisation der Bundespolizei neu zu regeln. Das hat bisher hauptsächlich zu Unruhe bei den
Polizeibeamten geführt, aber nicht mehr Sicherheit produziert. Jetzt zeigt sich, wie der Spiegel am Montag geschrieben hat, Herr Körper:
Nach monatelangem Stillhalten torpediert die SPD
- der eigene Koalitionspartner! nun die Reform der Bundespolizei.
({4})
Ein letztes Beispiel würde man vielleicht eher als eine
Begebenheit am Rande einstufen; es wirft aber ein bezeichnendes Schlaglicht auf den Zustand dieser Koalition. Sie wissen, dass in der Vorgängerregierung durch
eine Verfügung des damaligen Staatssekretärs Lutz
Diwell heimliche Onlinedurchsuchungen erlaubt worden sind. Wir haben im Innenausschuss den Wunsch,
dass Herr Diwell uns dies persönlich erklärt; denn er hat
nachher öffentlich gesagt, ihm sei gar nicht bewusst gewesen, was er da unterschrieben hat. Das scheint mir bei
einem solchen Grundrechtseingriff doch ein sehr beachtlicher Vorgang. Daher haben wir Auskunft von Herrn
Diwell im Innenausschuss erbeten.
({5})
Die CDU/CSU hat unserem Ansinnen vernünftigerweise
zugestimmt - sehr zum Missfallen der SPD.
({6})
Das ist nur eine Begebenheit am Rande, die aber, wie ich
glaube, doch zeigt, wie es um den Zustand dieser Koalition bestellt ist.
({7})
Meine Damen und Herren, kommen wir jetzt aber zur
zentralen Kritik der FDP an der Innenpolitik dieser Koalition, kommen wir zum alles entscheidenden Thema in
der Innenpolitik, nämlich dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit.
Ich möchte durchaus feststellen, dass es um die
innere Sicherheit in Deutschland alles in allem befriedigend steht ({8})
dank der guten Arbeit der Sicherheitsbehörden.
({9})
Beispielsweise hat die Verhaftung von drei Verdächtigen, die offenbar einen Bombenanschlag geplant hatten,
gezeigt, dass unsere Polizeibehörden eine gute Arbeit
leisten,
({10})
und zwar auf der Basis der bestehenden Gesetze und
ohne heimliche Onlinedurchsuchungen.
({11})
Um die innere Sicherheit mache ich mir daher keine
so großen Sorgen, um die innere Liberalität in diesem
Land aber schon.
({12})
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, dies zum wiederholten
Male festzustellen: Der Schutz der Grundrechte ist bei
Ihnen nicht in den besten Händen. Ich nenne Ihnen beispielhaft ein Zitat, das Ihnen doch zu denken geben
müsste. Der renommierte Staatsrechtler und Verfassungsrichter Professor Udo di Fabio hat Ihnen ins
Stammbuch geschrieben - ich zitiere wörtlich aus der
Süddeutschen Zeitung, was er gesagt hat -:
Ich halte es für eine Krankheit, dass ständig unser
System in Frage gestellt wird.
Das war an die Adresse dieser Großen Koalition gerichtet, und das müsste Ihnen doch endlich zu denken geben;
denn Professor di Fabio hat recht.
Das erkennen wir an dem jüngsten Beispiel, nämlich
der Vorratsdatenspeicherung. In der Debatte hier vor
knapp zwei Wochen - am 16. November 2007 - war eines wirklich nicht nachvollziehbar: Die Redner der Großen Koalition haben entweder nicht verstanden oder
nicht verstehen wollen, dass mit der Vorratsdatenspeicherung jetzt eine neue Qualität der Überwachung gesetzlich eingeführt worden ist; denn Sie sind damit von
einem wichtigen Grundsatz abgewichen. Dieser Grundsatz lautet: Eingriffe in Bürgerrechte sind dann gerechtfertigt, wenn es konkrete Verdachtsmomente gegen konkrete Beschuldigte oder Verdächtige gibt. Das ist die
notwendige Begrenzung, damit nicht uferlos und schrankenlos in die Grundrechte eingegriffen wird.
Wenn jemand konkret in Verdacht steht, eine
schlimme Straftat zu planen, dann mag es richtig sein,
sein Telefon zu überwachen oder die Telefonverbindungsdaten zu speichern. Es ist aber etwas fundamental
Neues und anderes, die Daten von Millionen unverdächtigen Bürgerinnen und Bürgern zu speichern.
({13})
Das ist der Systemwechsel, den Udo di Fabio Ihnen vorwirft.
({14})
Herr Minister Schäuble, deswegen sind wir auch bei
Ihren zahlreichen Interviewäußerungen misstrauisch. Ich
nehme eine heraus, die öffentlich vielleicht wenig bemerkt worden ist, mir aber sehr verdächtig erscheint.
Nur Sie selber wissen, was Sie gemeint haben - mir ist
das nicht ganz klar -, als Sie am 9. Juli 2007 im Spiegel
erklärt haben:
Wir sollten versuchen, … Rechtsgrundlagen zu
schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf
gegen den Terrorismus bieten.
Was soll das eigentlich heißen? Haben wir denn die nötigen Rechtsgrundlagen nicht?
({15})
Der Rechtsstaat ist wehrhaft. Er kann sich auf der Basis
der geltenden Gesetze zur Wehr setzen.
Wenn ich mir noch einmal das Stakkato, wie der Bundespräsident es bezeichnet hat, Ihrer Interviewäußerungen vor Augen führe, in denen Sie über Inhaftierung auf
Verdacht, gezielte Tötungen - targeted killing - und anderes gesprochen und die Unschuldsvermutung relativiert haben, muss ich Ihnen sagen: Ein solcher Satz,
mit dem Sie Freiheiten bei der Terrorismusbekämpfung
beanspruchen, weckt in uns Liberalen den Verdacht, dort
solle einem neuen Feindstrafrecht das Wort geredet werden, wie es manche in der strafrechtlichen Literatur verlangen.
({16})
Auch dagegen hat sich Udo di Fabio in seinem Beitrag
in der Welt massiv verwahrt.
({17})
Meine Damen und Herren, wir wollen keinen Systemwechsel. Wir wollen, dass der Rechtsstaat sich so bewährt, wie er von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes gestaltet worden ist.
In dem eingangs zitierten Artikel des Tagesspiegel
hieß es am Schluss, mit der FDP in einer Regierung wäre
es in der Innenpolitik auch schwierig. Meine Damen und
Herren, das nehmen wir erstens als Kompliment; denn
wenn es darum geht, die Grundrechte zu bewahren, muss
man sperrig sein. Zweitens sage ich Ihnen Folgendes:
Mit uns ist einfach zusammenzuarbeiten, mit der FDP ist
einfach zu regieren, wenn eine Politik betrieben wird,
die sich strikt an den Grundrechten orientiert.
({18})
Ihre Politik tut dies leider nicht.
({19})
Jetzt hat der Kollege Dr. Michael Luther von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Stadler, in einem Punkt irren Sie. Die
Große Koalition ist im Bereich der Innenpolitik handlungsfähig. Das zeigt dieser Haushalt.
({0})
Zum ersten Mal übersteigt der Innenhaushalt die 5-Milliarden-Euro-Grenze. Das ist eine ganz gewaltige Steigerung um 13 Prozent. Dies zeigt, dass die innere Sicherheit von der Großen Koalition ernst genommen wird.
An dieser Stelle will ich allerdings darauf aufmerksam machen, dass ein Teil der Steigerung technischer
Natur ist. 2010 sollen alle bundeseigenen Immobilien
von der sogenannten BImA übernommen werden. Die
Nutzer von Immobilien werden dann zu Mietern. Langfristig bietet das für uns fiskalische Vorteile, weil dann
jedes Bundesministerium im Interesse der eigenen Sparsamkeit darauf achten wird, dass es seinen Raumbedarf
optimiert.
2008 beginnt das Innenministerium mit der Bundespolizei, diese Strukturveränderung durchzuführen.
Technisch notwendig ist dann allerdings - und zwar
für den Bundeshaushalt insgesamt ausgabenneutral -,
dass eine Anfangsmiete etatisiert wird. Das macht immerhin eine Steigerung von 108 Millionen Euro aus, die
jetzt für Mietzahlungen etatisiert sind.
Eine weitere deutliche Ausgabensteigerung erfahren
wir wegen der bedarfsgerechten Etatisierung des BOSDigitalfunks. Die in der bisherigen mittelfristigen
Finanzplanung vorgesehenen Mittel beruhten auf einer
Schätzung, die eine andere Datengrundlage hatte. Wir
wussten seit längerem, dass dies nicht mehr stimmig ist.
Natürlich konnten wir aber erst dann Zahlen einstellen,
als das Konzept etatreif war.
Uns als Haushaltsberichterstattern war es auch wichtig, dass dieses wichtige Investitionsprojekt gemeinsam
mit dem Bundesrechnungshof durchgeführt wird.
({1})
Er muss und soll das Konzept akzeptieren. Deshalb
konnten wir erst jetzt am Ende der Haushaltsberatungen
die entsprechenden Barmittel und Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten 15 Jahre - insgesamt
macht dieses Projekt immerhin 2,5 Milliarden Euro aus einstellen.
({2})
Wir werden dieses wichtige Investitionsprojekt des
Bundes auch weiterhin aktiv begleiten. Ich will, dass
dieser wichtige Modernisierungsschritt schnell kommt,
weil sich damit die Kommunikation unserer Sicherheitskräfte bei ihrer Arbeit wesentlich verbessert.
Ein weiteres Thema ist der ergänzende Katastrophenschutz. Es hat in den Haushaltsberatungen eine
wichtige Rolle gespielt.
({3})
Jahrzehntelang geübte Staatspraxis ist es, dass sich der
Bund im Rahmen des ergänzenden Katastrophenschutzes an der Finanzierung der entsprechend benötigten
Feuerwehrfahrzeuge beteiligt. Diese Feuerwehrfahrzeuge stehen dann ja vor Ort, zum Beispiel bei den freiwilligen Feuerwehren.
Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, dass diese Finanzierung aufgrund der föderalen Struktur eigentlich
den Bundesländern obliegt, es also an einer gesetzlichen
Grundlage fehle. Gleichwohl sage ich für die CDU/
CSU-Fraktion ganz klar: Wir wissen, dass sich der Bund
nicht heraushalten kann, wenn der Katastrophenschutz
leistungsfähig und einheitlich sein soll. Ich will an dieser
Stelle zwei Beispiele nennen: das Hochwasser 2002 und
den tagelangen Stromausfall im Winter 2005, von dem
insbesondere Nordrhein-Westfalen betroffen war.
Der Bürger fragt in solchen Situationen nicht, wer zuständig ist. Er will, dass der Katastrophenschutz gut organisiert wird, und zwar im Zusammenwirken von Kommune, Land und Bund. Deshalb haben sich Bund,
Länder und Kommunen auf ein neues Katastrophenschutzkonzept verständigt,
({4})
für dessen Umsetzung der Bund in den nächsten zehn
Jahren 260 Millionen Euro zusätzlich bereitstellt.
({5})
Mit diesem Konzept wird ein wesentlicher und nachhaltiger Schritt in Richtung der notwendigen Verbesserung
des Katastrophenschutzes in Deutschland gegangen.
Nächstes Jahr stehen 26 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Das ist das Signal seitens des Bundes, dass wir an
einem Erfolg des Konzepts interessiert sind. Allerdings
ist klar - ich verweise noch einmal auf den Bundesrechnungshof -: Ein Konzept allein reicht nicht aus. Wir
brauchen eine verlässliche gesetzliche Grundlage. Ich
hoffe, dass diese im nächsten Jahr geschaffen wird. Der
Haushaltsausschuss fordert dies ein.
({6})
Eine für den Katastrophenschutz wichtige Organisation ist das Technische Hilfswerk. Wenn es das Technische Hilfswerk nicht gäbe, müsste man es erfinden. Die
Arbeit des THW wird nicht nur in Deutschland, sondern
auch im Ausland hoch geschätzt.
({7})
Das THW lebt vom Ehrenamt. 80 000 Freiwillige sind
eine beeindruckende Zahl.
({8})
- Stimmt. - Allerdings ist klar: Man braucht eine funktionierende hauptamtliche Struktur, um diese 80 000 ehrenamtlichen Helfer zu führen.
({9})
Zurzeit kommen etwa 100 Ehrenamtliche auf einen
Hauptamtlichen, es gibt also ein Verhältnis von 100 : 1.
Nun das Problem: Seit Jahren reduzieren wir pauschal
die Zahl der Beschäftigten des Bundes; das ist richtig.
Aber das betrifft auch das THW. Gingen wir diesen Weg
des Stellenabbaus weiter, müssten wir im Rahmen einer
kegelgerechten Personalstruktur auch die Zahl der ehrenamtlichen Helfer reduzieren. Das darf nicht sein;
denn wir brauchen die 80 000 Ehrenamtlichen. Das Verhältnis von 100 : 1 muss in etwa erhalten bleiben.
({10})
Wir haben es geschafft, mit diesem Haushalt entsprechende Schritte zu gehen.
({11})
Zum einen gibt es einen Beschluss des Haushaltsausschusses, der keine weiteren Stelleneinsparungen beim
THW vorsieht. Zum anderen haben wir 30,5 bestehende
kw-Vermerke aufgehoben. Damit kann in etwa die Personalstruktur erhalten werden.
({12})
Des Weiteren stärken wir die Mittel für die THW-Jugend. Das THW weckt mit seiner Jugendarbeit Interesse für gesellschaftliche Verantwortung, ermöglicht
eine sinnvolle Freizeitgestaltung und wirbt für das Ehrenamt. Eine Vielzahl von Maßnahmen, zum Beispiel
Jugendcamps, wird durchgeführt. Ich finde, damit wird
auch ein wichtiger, nachhaltiger Beitrag zur Bekämpfung des politischen Extremismus geleistet.
({13})
Der Haushaltsausschuss hat in personeller Hinsicht
auch den Weg für eine Bundespolizeireform frei gemacht. Noch ist der entsprechende Gesetzentwurf in der
Fachberatung. Wenn das Gesetz aber im Laufe des
nächsten Jahres in Kraft tritt, wird sich die neue Struktur
auch im Personaltableau widerspiegeln müssen. Das hat
uns im Haushaltsausschuss vor eine besondere Schwierigkeit gestellt: Obwohl es noch keine gesetzliche
Grundlage gab, mussten wir uns vorbereiten, um entsprechend reagieren zu können, wenn das Gesetz in
Kraft tritt. Das ist nun möglich. Wir können die benötigten Stellen freischalten, wenn es so weit ist, und im Gegenzug die nicht benötigten Stellen wegfallen lassen.
({14})
Zur Bundespolizei will ich noch einen anderen Gedanken äußern. Er betrifft die bevorstehende Erweiterung des Schengen-Raums. Gerade die Menschen in
den Grenzregionen zu Polen und Tschechien machen
sich Sorgen, dass sich die Sicherheitslage verschlechtern
würde.
({15})
Ich will Folgendes feststellen: Wer grenzüberschreitend kriminell sein will, nutzt wenn möglich nicht den
kontrollierten Grenzübergang,
({16})
sondern er organisiert seine Aktivität über die grüne
Grenze. Aus diesem Grunde ist es viel wichtiger, im
Hinterland zu kontrollieren und dazu das entsprechende
Personal zur Verfügung zu stellen.
({17})
Damit gibt es nach dem Wegfall der Grenzkontrollen für
die Bundespolizei eigentlich mehr Möglichkeiten, diese
Aufgabe im Rückraum zu erfüllen.
({18})
Das ist Teil der Bundespolizeireform. Ich habe mich in
Sachsen und Brandenburg informiert. Es wird genau
diese Absicht verfolgt. Ich glaube, Sie, Herr Schäuble,
sind hier auf einem richtigen Weg. Ich darf Sie an dieser
Stelle bitten, besonders die Sicherheitsinteressen der
Bürger im grenznahen Raum ernst zu nehmen und
durch Öffentlichkeitsarbeit darauf hinzuwirken, dass die
Menschen das Gespür bekommen, dass von unserer
Seite tatsächlich alles für die Sicherheit getan wird.
({19})
Ich will dazu folgendes Bild anführen: Die Lage an den
Grenzen der neuen Schengen-Staaten ist nicht mit der
Situation an den Grenzen zu anderen Staaten vergleichbar. Denn westlich von Frankreich ist der Atlantik. Zwischen Polen und dem Pazifik liegt aber noch ein „kleines“ Stück.
Lassen Sie mich einige Gedanken zum Sport ausführen. Der Sportförderetat steigt um gut 15 Prozent oder
um 19 Millionen Euro. Allein die Gelder für den Spitzensport werden um über 14 Millionen Euro erhöht. Dieses Geld kommt der Traineroffensive des DOSB und der
Förderung der Sportverbände zur Vorbereitung auf die
Olympischen Spiele 2010 in Vancouver und 2012 in
London zugute. Der Behindertensport wird im Hinblick
auf die Paralympics mit 1,4 Millionen Euro gefördert.
Wir sichern die Arbeit der NADA, also der Nationalen
Anti-Doping-Agentur,
({20})
mit einer Erhöhung des Stiftungskapitals um 4 Millionen
Euro.
({21})
Auch die Stiftung Deutsche Sporthilfe stärken wir erstmalig mit 1 Million Euro, weil die Einnahmen aus der
Glücksspirale und dem Verkauf von Sonderbriefmarken
zurückgehen. Ich denke, gerade im Bereich des Sports
lässt sich das Paket, das ich Ihnen eben vorgestellt habe,
sehen.
({22})
Auf die anderen Themen kann ich leider aus Zeitgründen nicht weiter eingehen. Deswegen möchte ich
zum Schluss kommen. Ich möchte mich beim Ministerium und bei dem Haushaltsreferat, das mit uns diese
Haushaltsberatungen - die waren nicht einfach - durchgeführt hat, bedanken. Das Ministerium muss wissen:
Uns Haushälter sollte man ernst nehmen. Das Parlament
bestimmt, wofür die Bundesregierung Geld ausgeben
darf. Das Budget für 2008 steht fest. Herr Bundesminister, gehen Sie mit dem Geld des Steuerzahlers verantwortlich um!
({23})
Recht herzlichen Dank.
({24})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute den Haushalt des Bundesministeriums
des Innern. Er steigt um fast 400 Millionen Euro.
({0})
Das erfreut Sie. Uns macht das große Sorge, weil es in
die völlig falsche Richtung geht, wie Innenpolitik in der
Großen Koalition gemacht wird.
({1})
Sie wird vor allem mit Angst - die ist das Schmiermittel betrieben, um bestimmte Maßnahmen durchzusetzen.
Dafür bereiten Sie sich heute die finanzielle Grundlage.
Ich will das an einigen Beispielen illustrieren. Die geplante Onlinedurchsuchung - ein altes Thema mittlerweile -, die Sie mit Vehemenz möglichst schnell durchzudrücken versuchen, ohne sich die Zeit zu nehmen,
anstehende Gerichtsurteile abzuwarten, und ohne darüber zu diskutieren, inwieweit die Verhältnismäßigkeit
gewahrt wird, ist schon angesprochen worden. Die
Vorratsdatenspeicherung wurde in der letzten Sitzungswoche durchgepeitscht.
Man kann es nicht oft genug sagen: Bei der Onlinedurchsuchung geht es um einen wirklich enormen Eingriff in die bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte, weil
es hier um intimste Lebensbereiche geht, auf die Sie Zugriff haben wollen und in denen Sie herumschnüffeln
wollen.
Deswegen fordern wir auch an dieser Stelle der Haushaltsberatungen: Stoppen Sie endlich Ihre Planungen für
die Onlinedurchsuchung, stoppen Sie die Entwicklung
des Bundestrojaners, denn all dies bringt weniger Freiheit und nicht mehr Sicherheit!
({2})
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: Wir bekommen hier im Wochenrhythmus neue Maßnahmen
vorgestellt, was wir alles tun müssten, um größtmögliche
Sicherheit zu erhalten. Hinzu kommt, dass hier ein
Sicherheitsversprechen gegeben wird, das nicht einhaltbar ist. Sie gehen sogar noch darüber hinaus, indem
Sie Maßnahmen vorschlagen, die mehr Sicherheit bringen sollen, in der Realität aber zu weniger Sicherheit
führen. Ich will das am Beispiel des biometrischen Passes deutlich machen. BKA-Präsident Ziercke - das Bundeskriminalamt steht nicht im Verdacht, eine Vorfeldorganisation der Linken zu sein - sagt auf unsere
mehrfache Nachfrage hin - wir haben ungefähr 28-mal
nachgefragt, warum wir die biometrischen Merkmale in
den Pässen brauchen -, das sei notwendig, weil damit
Schindluder getrieben werde und es enorm viele Fälschungen gebe. Die Bundesregierung sagt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, die
deutschen Pässe - übrigens sowohl Personalausweis als
auch Reisepass - seien die sichersten Pässe, die es auf
der ganzen Welt gibt. Sie sind sozusagen ein Spitzenprodukt. Deshalb bringen biometrische Merkmale gar
nichts. Das Gegenteil ist richtig. Sie bringen weniger
Sicherheit, weil die Experten - übrigens auch vom BKA gesagt haben, die Gefahr von Verfälschungen bei biometrischen Merkmalen sei eklatant größer als bei dem derzeitigen Reisepass. Auch deshalb fordern wir Sie auf:
Stoppen Sie die Mittelbereitstellung für weitere biometrische Experimente, die weniger und nicht mehr Sicherheit bringen und ein Eingriff in die Bürgerrechte sind.
({3})
Mit einem Anteil von 11 Prozent machen die Mittel
für die Umstrukturierung des Bundeskriminalamts den
größten Posten in diesem Einzelplan aus. Was soll politisch erreicht werden? Sie haben sowohl in Interviews
als auch bei der Vorlage für das BKA-Gesetz erkennen
lassen, dass es Ihr Traum ist, das BKA in ein deutsches
FBI umzuwandeln, also eine Vergeheimdienstlichung
der Polizei, eine Zentralisierung der Polizeiarbeit und
insgesamt der Sicherheitsbehörden vorzunehmen. Man
muss einmal deutlich sagen, warum das politisch so verheerend ist. Es ist so verheerend, weil wir aus der Geschichte heraus die Erfahrung haben, dass die Verquickung von Polizei und Geheimdiensten zu katastrophalen
Folgen führt und nicht mehr kontrollierbar ist. Deshalb
muss es eine strikte Trennung von Polizeiarbeit und GeJan Korte
heimdienstarbeit geben. Diese muss dezentral sein. Sie
machen genau das Gegenteil. Übrigens sind auch Föderalismusreformen völlig überflüssig, wenn Sie in der aktuellen Politik das Gegenteil machen.
({4})
Was aber tun? Das ist eine altbekannte Frage. Wir fordern statt Aktionismus und unhaltbaren Sicherheitsversprechen sowie immer weiteren Eingriffen in die Grundrechte eine wirkliche Überprüfung der Maßnahmen
dahin gehend, ob sie wirklich mehr Sicherheit bringen
und ob sie im Verhältnis zu der Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten stehen. Weiterhin müssen wir
darüber nachdenken, dass die Menschen in diesem Land
keine tägliche Angst vor irgendeinem abstrakten Terrorismus haben, sondern ganz konkret Angst haben, wenn
sie nachts auf der Straße unterwegs sind. Sie haben
Angst vor Überfällen usw. Da muss man sich doch fragen, ob die Steuerpolitik der Bundesregierung richtig ist,
wenn in der Folge bis 2009 in den Ländern über 10 000
Polizeibeamte abgebaut werden, die vor Ort ganz konkret ansprechbar sind. Die Kontaktbereichsbeamten, die
für die Menschen draußen ansprechbar sind, sind die ersten, die gestrichen werden. Diese Beamten kürzen Sie
mit Ihrer verfehlten Politik weg. Hier sollte man auf
Menschen statt auf Technik setzen. Das ist unsere Position.
({5})
Ich komme zu einem letzten Vorschlag, über den wir
einmal nachdenken müssten, weil er wirklich mehr Sicherheit bringt. Es wurden durch die Bundespolizei diverse Kontrollen der Fluggastkontrollen an deutschen
Flughäfen durchgeführt. Dort kam eine Fehlerquote von
30 bis 50 Prozent zutage. Man konnte durch die Fluggastkontrollen offensichtlich halbe Waffensysteme
schleusen. Warum ist das so? Das liegt daran, dass die
Fluggastkontrollen privatisiert worden sind und dort
Dumpinglöhne gezahlt werden. Deshalb gibt es hier ein
wirkliches Sicherheitsproblem. Wir fordern Sie daher
auf, die Fluggastkontrollen wieder zu verstaatlichen. Das
wäre sinnvoll. Im Übrigen hat dies auch die Gewerkschaft der Polizei richtigerweise gefordert. Das würde
mehr Sicherheit bringen.
({6})
Zum Schluss. Es ist wichtig, heute über das, was in
den letzten zwei Jahren passiert ist, Bilanz zu ziehen. Ich
denke an die Vorratsdatenspeicherung, die Antiterrordatei und vieles anderes. Nun wäre es wirklich einmal an
der Zeit - übrigens auch für die SPD, die auf ihrem
Hamburger Parteitag beschlossen hat, wieder Bürgerrechtspartei zu sein -, eine Umkehr der völlig verfehlten
Innenpolitik vorzunehmen. Lassen Sie den Worten Taten
folgen und wagen Sie mehr Freiheit - das haben Sie angekündigt - und nicht weniger. Da würden wir Linken
glatt mitmachen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn von der
SPD-Fraktion.
({0})
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr erleichtert - das nehmen mir sicherlich
alle Mitglieder des Haushaltsausschusses sofort ab -,
dass wir heute den Haushalt des Innenministeriums abschließend beraten; denn die letzten zwei Monate waren
- wir wollen das gar nicht unter den Teppich kehren von schwierigen Debatten zu etlichen Konfliktfeldern
gekennzeichnet. Das Entscheidende ist aber, dass wir sie
heute zu einem erfolgreichen Ende bringen.
({0})
Wir haben den Etat mit einem Gesamtvolumen von
über 5 Milliarden Euro - mein Kollege Michael Luther
hat schon darauf hingewiesen - gegenüber dem Regierungsentwurf um 215 Millionen Euro aufwachsen lassen. In fünf zusätzlichen Berichterstattergesprächen haben wir bis ins Detail geklärt, ob die Höhe der
vorgesehenen Ausgaben des Innenministeriums gerechtfertigt ist und wo es wirklich Engpässe gibt. Wir haben
es uns also wirklich nicht leicht gemacht.
Wir haben die Prüfbemerkungen des Bundesrechnungshofs, die hier bei der Debatte im September, bei
der Einbringung des Haushalts, von vielen Rednern angesprochen worden sind, solide abgearbeitet, haben Ansätze gekürzt und Mittel auf neue Schwerpunkte verlagert. Wir haben wohl fast 100 Berichte angefordert.
Dabei wurden wir von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums, des Finanzministeriums
und des Bundesrechnungshofs hervorragend informiert
und unterstützt. Dafür möchte ich mich im Namen aller
fünf Berichterstatter ganz herzlich und aufrichtig bedanken.
({1})
Der Hauptgrund für den notwendigen Aufwuchs beim
Innenministerium liegt in der nun endlich unmittelbar
bevorstehenden bundesweiten Einführung des Digitalfunks. Der Bund stellt zusätzlich knapp 190 Millionen
Euro bereit und verdoppelt damit in etwa seine Ansätze
für 2008. Das ist eine gute Botschaft für alle, die in
Bund, Ländern und Kommunen im Sicherheitsbereich,
im Katastrophen- und Brandschutz haupt- und ehrenamtlich tätig sind. Viele, die sich bisher Tag und Nacht bei
Feuerwehr, Sanitäts- und Rettungsdiensten, bei THW
und Polizei mit den Tücken der veralteten Analogtechnik quälen müssen, sehen jetzt endlich Licht am Ende
des Tunnels.
({2})
Jetzt liegt ein sehr ehrgeiziger Roll-out-Plan vor, der
für jeden Zipfel der Republik detailliert festlegt, in welchen Etappen der Digitalfunk von 2008 bis 2010 aufgebaut wird. Um diesen ehrgeizigen Zeitplan einzuhalten,
stellt der Bund für 2008 insgesamt knapp 390 Millionen
Euro bereit. Außerdem haben wir für die Folgejahre die
Verpflichtungsermächtigungen um circa 400 Millionen
Euro auf 819 Millionen Euro erhöht. Davon sind allerdings 560 Millionen Euro gesperrt, sodass auch künftig
eine enge parlamentarische Begleitung dieses Mammutprojekts gerade im Haushaltsausschuss sichergestellt ist.
({3})
Ich hoffe sehr, dass auch alle Bundesländer und Kommunen solide Haushaltsvorsorge für die von ihnen zugesicherten Leistungen getroffen haben, damit der Digitalfunk schon bald die Arbeit der Sicherheits- und
Rettungskräfte bis hin zur Feuerwehr optimal unterstützen kann.
Der größte Brocken im Haushalt des Innenministeriums ist aber zweifelsohne die Bundespolizei mit einem Etat von 2,2 Milliarden Euro; das ist immerhin
knapp die Hälfte des kompletten Haushalts des Innenministeriums.
({4})
Für die circa 40 000 Polizeivollzugs- und Verwaltungsbeamten sowie die Angestellten sind Personalausgaben
von 1,4 Milliarden Euro veranschlagt. Darin sind die
Mittel für die Fortsetzung des Attraktivitätsprogramms
zur Hebung von 635 Stellen enthalten.
({5})
Bei den Beratungen der letzten Wochen stand dieser Bereich vor allem deshalb im Zentrum vieler Debatten,
weil der Innenminister Ende April eine große Bundespolizeireform angekündigt hat, die zwar im Parlament noch
nicht abschließend beraten ist, aber dennoch bereits ihre
Schatten auf den Haushalt wirft.
Herr Minister, Sie reagieren mit dieser Reform zu
Recht auf die Herausforderungen, die nach dem Wegfall
der Grenze zu Polen innerhalb eines zusammenwachsenden Europas einerseits und angesichts der Zunahme der
Brennpunkte gerade auf den großen Flughäfen und
Bahnhöfen andererseits auf die Bundespolizei zukommen.
({6})
Diese veränderte Situation bedeutet eine notwendige
Schwerpunktverlagerung der Bundespolizei von Ost
nach West, die für viele Beamte und Angestellte sowie
ihre Familien mit einem Verlust ihres bisherigen Arbeitsund Lebensumfeldes verbunden sein wird. Dass dies
verständlicherweise für Unruhe sorgt, dürfte allen klar
sein. Deshalb ist es der SPD sehr wichtig, dass die geplanten Umstrukturierungen transparent verlaufen und
auf das dienstlich und fachlich notwendige Maß begrenzt werden.
({7})
Dies sage ich, Herr Minister, nicht nur mit Rücksicht
auf die Mitarbeiter und ihre Familien, sondern auch mit
Blick auf den Haushalt. Sie kündigten an, diese Reform
weitestgehend haushaltsneutral umsetzen zu wollen. Da
stockte mir als Haushälterin ein bisschen der Atem, als
ich in einem Bericht Ihres Hauses vor kurzem lesen
musste, dass bis 2010 mit zusätzlichen Kosten in Höhe
von 97,3 Millionen Euro allein für Reise- und Umzugskosten sowie Trennungsgeld gerechnet werden müsse.
Im Hinterkopf habe ich des Weiteren den dezenten Hinweis des Ministeriums, dass „künftige Forderungen nach
bedarfsgerechter Unterbringung der Dienststellen … in
den nächsten Jahren umfangreiche finanzielle Mittel erfordern werden“. Ich denke hier zum Beispiel an das Polizeipräsidium in Potsdam, von dem immer die Rede ist,
obwohl es keinen Standort, keine Beschlüsse und auch
keine Haushaltsvorsorge gibt. Mit Verlaub, Herr Minister, das sind keine Peanuts. Für eine Reform, die eigentlich zum Ziel hat, die Behörde effektiver zu machen, und
die weitestgehend haushaltsneutral umgesetzt werden
sollte, ist dies doch sehr viel zusätzliches Geld.
Herr Minister, Sie haben für Ihre Reform das Ziel formuliert, dass die Verwaltung verschlankt
({8})
und die Organisation gestrafft werden sollen, um mehr
Mitarbeiter „in die Fläche“ zu bringen, im Einsatz „nah
bei den Menschen“ im operativen Dienst. Diesem Ziel
kann nicht nur ich, sondern können sicherlich wir alle
hier im Parlament zustimmen.
({9})
Dies vorangestellt, werden wir Abgeordneten uns allerdings sehr genau anschauen müssen, ob dieses Ziel auch
auf dem von Ihnen vorgeschlagenen Weg erreicht werden kann.
({10})
Die von Ihnen vorgesehene Aufstockung in der B-Besoldung bei der Bundespolizei um mehr als das Doppelte passt jedenfalls auf den ersten Blick nicht zu diesem Ziel, zumal Sie diese Stellenaufstockung mit
wegfallenden Stellen bei der Bundespolizei gegenfinanzieren wollen. Man könnte auch sagen: weniger Indianer
für mehr Häuptlinge.
({11})
Der Haushaltsausschuss hat diesen Stellenaufwuchs vorläufig qualifiziert gesperrt. Wir werden darüber zu beraten haben, wie wir das bewerten. Ich bin gespannt, mit
welchem Ergebnis sich die Fachpolitiker damit befassen
werden und wie ihr mit dem Bundesrechnungshof abgestimmter Bericht an den Haushaltsausschuss zu diesem
Thema aussehen wird.
Bei der Bundespolizei haben wir in den parlamentarischen Beratungen aber auch einen sehr erfreulichen
Schwerpunkt setzen können, und zwar beim 2004 etablierten Maritimen Schulungs- und Trainingszentrum
an der Ostseeküste, das 2005 mit ersten Lehrgangsteilnehmern gestartet ist. Dort wird nicht nur die gesamte
maritime Aus- und Fortbildung der Bundespolizei gebündelt, sondern dort werden auch Schiffsbesatzungen
anderer Bundes- und Länderbehörden trainiert, zum Beispiel die Mitarbeiter von Zoll und Wasserschutzpolizei.
Dieses Zentrum haben wir jetzt mit zusätzlichen Sachmitteln und Personalmitteln ausgestattet, was einen Qualitätssprung für die Ausbildung und eine Kapazitätserweiterung ermöglicht. Angesichts der stark wachsenden
Schiffsverkehre auf Nord- und Ostsee mit ihrem hohen
Gefährdungspotenzial ist die verbesserte Ausbildung
und Qualifizierung in diesem Zentrum eine wichtige und
zukunftsweisende Aufgabe.
({12})
Der Gewinner im Haushalt 2008 ist zweifelsohne der
Spitzensport mit einem dicken Plus von 19 Millionen
Euro. Da meine Kollegin Dagmar Freitag darauf nachher
noch detailliert eingehen wird, will ich nur darauf hinweisen, dass ich ganz besonders froh darüber bin, dass
die Mittel für die Dopingbekämpfung um 1,8 Millionen
Euro erhöht werden konnten und dass zusätzlich
1 Million Euro in den Topf der Nationalen AntidopingAgentur eingezahlt werden, nachdem wir Haushälter bereits vor einem Jahr dafür gesorgt haben, dass 2 Millionen Euro außerplanmäßig in diesen Topf hineinkamen.
Allerdings halte ich es schon ein Stück weit für einen
Skandal, dass die im Stiftungsvermögen der NADA vorhandenen Mittel zu 82 Prozent vom Bund aufgebracht
worden sind, obwohl sich alle Beteiligten bei Einrichtung der NADA einig waren, dass die Mittel vom Bund,
von den Ländern und von der Wirtschaft zu gleichen Teilen aufgebracht werden sollen. Ich denke, daran sieht
man ganz deutlich, dass diejenigen, die sich in Schaufensterreden gegen Doping aussprechen, mehr reden als
handeln. Viel glaubwürdiger wäre das Engagement gerade vonseiten der Wirtschaft und auch der Länder, wenn
sie sich finanziell am Stiftungsvermögen beteiligen würden. Das ist mein Appell.
({13})
Mein Kollege Michael Luther hat schon darauf hingewiesen, dass der ergänzende Katastrophenschutz in
den Etatberatungen eine wichtige Rolle gespielt hat,
Herr Minister.
({14})
Das ist vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung,
dass der aktuelle Bundesrechnungshofbericht nicht von
Pappe ist, der sich mit der Bund-Länder-Finanzierung
beschäftigt, die auch in der Föderalismuskommission
eine entscheidende Rolle spielt. Der Bundesrechnungshof hat zu der vorgesehenen Etataufstockung um
30 Millionen Euro pro Jahr auf zehn Jahre festgestellt:
Die bisherigen, derzeitigen und vorgesehenen Ausgaben für den „Bevölkerungsschutz“ sind sachlich
nicht begründet und ohne rechtliche Legitimation.
({15})
Dieses Zitat kann man als Haushälter unabhängig von
der Parteizugehörigkeit nicht auf die leichte Schulter
nehmen.
Ich weise daher darauf hin, dass wir in den Haushaltsberatungen einen Entschluss gefasst haben, der Ihnen
auf der einen Seite die Mittel, die Sie, Herr Minister, in
der Innenministerkonferenz ausgehandelt haben, für
2008 zur Verfügung stellt; auf der anderen Seite legt er
eine hohe Messlatte an Ihr für 2008 vorgesehenes Bevölkerungsschutzgesetz an. Denn es gibt die klare Erwartungshaltung, dass mit diesem Gesetz die rechtliche
Grundlage dafür geschaffen wird, um diese Mittel in den
nächsten Jahren verfassungskonform im Haushalt zur
Verfügung zu stellen.
Der entscheidende Punkt dabei ist, dass es zu einer
zentralen Steuerung des Bundes kommen muss, um
diese Mittel zu rechtfertigen. Denn nicht nur die Oderflut hat gezeigt, dass auch bei uns klimabedingte Umweltkatastrophen zunehmen und man sich in solchen
Situationen im Interesse der Menschen in Deutschland
kein Kompetenzgerangel unter 16 Bundesländern leisten
kann. In ähnlichen Fällen muss einer sozusagen den Hut
aufhaben und im nationalen Interesse entscheiden können. Diese zentrale Steuerungskompetenz haben die
Länder dem Bund bisher verweigert. Das ist nicht im Interesse der Menschen, und es liegt uns Sozialdemokraten
sehr am Herzen.
Wenn diese Länderblockade bliebe - was ich im
Sinne der Menschen nicht hoffe -, dann dürfte der Bund
nach Gesetzeslage und Haushaltsrecht diese Finanzspritze eigentlich nicht gewähren. Darum haben wir im
Haushaltsausschuss einen Beschluss gefasst, der Ihnen
in den Verhandlungen den Rücken stärken soll. Denn wir
wünschen uns, dass Bund und Länder den Bevölkerungsschutz künftig als gemeinsame Aufgabe begreifen.
({16})
Gemeinsam heißt allerdings auch, dass sich die Länder
daran messen lassen müssen, welche Anstrengungen sie
selbst beim Bevölkerungsschutz unternehmen. Sie müssen auch Transparenz in die Bereitstellung der zur Verfügung gestellten Mittel bringen und sich etwas aktiver beteiligen als bisher. Denn es darf nicht passieren, dass die
Länder die Finanzspritze des Bundes vor allem als willkommene Gelegenheit auffassen, eigene Finanzmittel zu
sparen. Dann wäre für den Bevölkerungsschutz nichts
gewonnen.
Die herausragende Rolle, die das THW in unseren
Beratungen gespielt hat, hat mein Kollege Luther schon
dargestellt. Dem kann ich mich nur anschließen. Ich bin
froh, dass wir bei den 800 hauptamtlichen Mitarbeitern
bleiben, um die 80 000 Ehrenamtlichen auch in Zukunft
gut zu organisieren.
({17})
Ich bin auch froh, dass es parteiübergreifend gelungen
ist, die Mittel für das Bündnis für Demokratie und Toleranz wie schon im Vorjahr zu erhöhen, und zwar um
43 Prozent auf 1 Million Euro. Ich erwarte jetzt allerdings, Herr Minister,
({18})
dass Sie diesem Votum des Parlaments Rechnung tragen
und im nächsten Regierungsentwurf 2009 das Geld nicht
wieder kürzen.
({19})
Das gilt im Übrigen auch für die Bundeszentrale für
politische Bildung, deren Titel wir in diesen Haushaltsberatungen um 1 Million Euro stärken konnten. Je
500 000 Euro sind für die 340 Träger, die bildungspolitische Aufgaben in der gesamten Bundesrepublik
wahrnehmen, und für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen und darin speziell für diejenigen in bildungsfernen Schichten vorgesehen. Ich freue mich besonders,
dass es gelingen wird, 2008 die bewährte Ecopolicyade
bundesweit einzuführen, weil sie sich gerade in der Arbeit von Hauptschulen und anderen Schularten sehr bewährt hat.
Ich bin auch glücklich, dass es uns gelungen ist, den
Zuschuss für das Abraham-Geiger-Kolleg auf
200 000 Euro aufzustocken, und vor allen Dingen, dass
uns endlich der Kraftakt gelungen ist, diese wunderbare
Einrichtung institutionell zu fördern. Das gibt dem
Abraham-Geiger-Kolleg Planungssicherheit, und das ist
ein wunderbares Zeichen in der heutigen Zeit.
({20})
Als Schleswig-Holsteinerin freue ich natürlich darüber, dass es gelungen ist - auch das in parteiübergreifendem Konsens -, die Mittel für den Bund der Nordschleswiger um 100 000 Euro zu verstärken und damit eine
Kürzung rückgängig zu machen. Das war ein einstimmiges Votum des Haushaltsausschusses. Herr Minister,
nehmen Sie diese Aufstockung im Haushaltsentwurf
2009 bitte nicht wieder zurück!
({21})
Abschließend möchte ich mich bei meinen vier Mitberichterstattern für die insgesamt sehr sachlichen Haushaltsberatungen bedanken.
({22})
In den Beratungen haben wir eine Fülle an Informationen gemeinsam verantwortungsvoll abgearbeitet. Naturgemäß konnten wir nicht immer einer Auffassung sein,
aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Herr Minister,
machen Sie das Beste daraus!
({23})
Alles Gute für den Haushalt!
({24})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland von
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Lieber Kollege Bürsch, ich nehme das auf. „Die Koalition ist am Ende“, sagen Sie. Die ist so am Ende, dass
es Leichenschändung wäre, im Bereich der inneren Sicherheit noch auf sie einzuprügeln.
({0})
Das kann man in jeder Zeitung lesen. Kollege Gunkel
macht zur Reform der Bundespolizei nur Trickserei und
Täuscherei beim Innenminister aus.
({1})
Also, das Beschimpfen überlassen wir euch untereinander.
Ich halte mich an Kurt Tucholsky: „Wo bleibt das
Positive?“ und knüpfe zunächst einmal an das Positive
an, das uns die Kollegin Hagedorn hier geschildert hat.
({2})
- „Sehr gut“, sagen Sie. Eben. Es wird auch richtig gut.
Noch vor einem Jahr haben wir hier eine Debatte
über Antiterrordatei und Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz geführt. Das war eine Debatte sozusagen unter Fachleuten. Heute haben wir die Situation,
dass Zehntausende auf die Straßen gehen, hier in Berlin, in Frankfurt am Main, in anderen Orten,
({3})
mit Transparenten „Meine Daten gehören mir“ und insbesondere auch gegen Sie demonstrieren, Herr Kollege
Wiefelspütz.
({4})
- Auch gegen Sie, Herr Kollege Wiefelspütz.
({5})
Die Parolen der 80er-Jahre von Orwell und vom
Überwachungsstaat gehen um. Wir hatten sie beinahe
vergessen. Der Stern titelt wieder: „SOS - Freiheit in
Deutschland“. Eine ganze Generation erklärt ihren Laptop per Aufkleber zur schäublefreien Zone. Deswegen,
Kompliment, Herr Bundesinnenminister! Das haben Sie
beinahe als Solist geschafft.
({6})
- Sie haben sich auch Mühe gegeben, aber Schäuble war
noch besser, Herr Wiefelspütz. Glauben Sie es doch endlich!
({7})
Wir begrüßen diese Bürgerrechtsbewegung ganz außerordentlich. Sie hat so recht: Es ist die Gier nach Daten im Handy oder im Internet, auf biometrische Daten,
die die Angst vor dem Überwachungsstaat virulent
macht.
Es geht aber weiter. Der Bundesinnenminister will
nicht nur überwachen. Er hat eine völlig andere Sicherheitsphilosophie und will eine völlig andere Sicherheitsarchitektur, als wir sie haben.
({8})
„Meister der asymmetrischen Wortkriegsführung“, so
hat ihn nicht etwa die taz genannt; so hat ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung genannt. Was meint sie denn
damit? Sie meint damit, dass dieser Innenminister mobilmacht gegen jede Trennung von äußerer Sicherheit
und innerer Sicherheit, gegen die Trennung von Polizei
und Militär, gegen den Unterschied zwischen Krieg und
Frieden und gegen den Unterschied zwischen ziviler
Rechtsordnung und Kriegsrecht
({9})
und folgerichtig bei der Frage der Liquidierung von Terrorverdächtigen landet.
({10})
Ich wiederhole hier, gerade weil es die CDU/CSU so
aufgeregt hat: Einen solchen Müll: „In den Metropolen
herrscht Krieg“, „Wir sind Kriegsgefangene“ habe ich in
diesem Land das letzte Mal von Andreas Baader gehört.
Das war aber ein Terrorist, der das aus seiner Gefängniszelle heraus sagte.
({11})
Hier redet der Verfassungsminister,
({12})
und der hat die Menschenwürde auch des terroristischen
Straftäters zu garantieren, er hat ihn nicht zu liquidieren.
({13})
Wo kommen wir denn hin, wenn so etwas gesellschaftsfähig wird? Er hat doch keine Narrenfreiheit.
({14})
- Ich denke nicht daran. Ich habe ihn nicht gleichgesetzt,
sondern gesagt: Solche Äußerungen und solche Töne haben wir in der Zwischenzeit nicht gehört.
Nicht umsonst empfiehlt er das Buch Selbstbehauptung des Rechtsstaates von Otto Depenheuer als seine
Lieblingslektüre. Ich bin dieser Lektüreempfehlung gefolgt. Unentwegt wird Carl Schmitt, der Theoretiker des
Ausnahmezustandes, zitiert, den viele aus guten Gründen für einen geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus gehalten haben.
({15})
- Das ist völlig unbestritten bei Carl Schmitt.
({16})
- Ich rede über eine Buchempfehlung, die er gegeben
hat. Dies ist ein Buch, das ich mit Schaudern gelesen
habe und das ich deswegen jedem empfehle, damit er
weiß, welcher Geist dort inzwischen umgeht.
Es wird nicht nur Carl Schmitt, sondern auch Ernst
Jünger zitiert:
Das tiefste Glück des Menschen besteht darin, dass
er geopfert wird, und die höchste Befehlskunst darin, Ziele zu zeigen, die des Opfers würdig sind.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Nun sagt Depenheuer nicht, das sei ein für alle Mal
richtig.
({17})
Er sagt vielmehr: Das war falsch und wurde zu verbrecherischen Zwecken eingesetzt. Aber heute gibt es ja das
Bürgeropfer zu guten Zwecken, zur Terrorabwehr.
({18})
- Sie regen sich auf, weil ich darlege, welches Denken
hier verbreitet wird.
({19})
Es ist das Denken nach dem Motto: Not kennt kein Gebot. Es ist das Denken, dass der Zweck jedes Mittel
rechtfertigt.
({20})
Das hat mit unserer Verfassung nichts zu tun.
Dieser Autor hat eine richtige Kampfschrift gegen das
Bundesverfassungsgericht geschrieben, dem er - man
höre und staune - Verfassungsautismus vorwirft. Dies ist
eine Kampfschrift des Konservatismus, die grauenhaft
ist.
({21})
Entsprechend geht man inzwischen gegen unsere
obersten Richter vor. Man lässt sie nicht nur in Büchern
beschimpfen. Ein Beispiel ist der Vorsitzende Richter
des 3. Strafsenats des BGH. Er hat gerade gestern die
Entscheidung gefällt, wonach die nächtlichen Brandstifter der „militanten gruppe“ als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung und nicht als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung verfolgt werden müssen. Er hat die
Unterscheidung, die der Gesetzgeber gemacht hat, nachvollzogen, verstanden und in einen Beschluss gefasst.
Dieser Richter hat sich bei Ihnen offenbar sehr unbeliebt
gemacht. Der Spiegel schreibt, dass dieser Richter nach
Ansicht der Union zu wenig konziliant sei und deswegen
nicht als Präsident des BGH infrage komme. Dazu sage
ich: Wenn Sie hier in Richtung amerikanische Verhältnisse gehen,
({22})
wenn Sie Richter für Entscheidungen, die sie gefällt haben, karrieremäßig bestrafen wollen, dann versündigen
Sie sich an der Unabhängigkeit unserer Justiz. Darüber
sollten Sie einmal nachdenken.
({23})
Gleichzeitig geht diese Bundesregierung, insbesondere dieser Innenminister - die SPD hält teilweise dagegen -, den Weg der Zentralisierung. Es gibt das BKAGesetz. Das BKA soll tatsächlich zu einem deutschen
FBI mit vollen geheimdienstlichen Kompetenzen ausgebaut werden. Darin ist alles enthalten, was schön teuer
und schrecklich ist: IMSI-Catcher, Rasterfahndung,
Schleierfahndung, verdeckte Ermittler, V-Leute. Es fehlt
wirklich nichts aus dem Warenhauskatalog.
Man streitet sich offenbar - zu Recht - nur noch um
die Onlinedurchsuchung. Aber auch was sonst noch darin steht, muss beachtet werden. Vor allem muss doch
gesehen werden, dass die Länder völlig außen vor bleiben.
({24})
Sie dürfen nur noch Hilfsdienste und Amtshilfe leisten.
({25})
Durch die Vorverlegung in den präventiven Bereich
bleibt die Generalbundesanwaltschaft außen vor; sie
muss noch nicht einmal mehr informiert werden, wenn
ermittelt wird.
Das alles steht in diesem Gesetz. Es führt unsere Architektur, in der Polizei im Grundsatz Ländersache ist,
ad absurdum, gerade in diesem Bereich, und das vor dem
Hintergrund, dass die Erfolge, zum Beispiel die Festnahme im Sauerland, auf ein konzertiertes Nebeneinander
({26})
von Bund und Ländern zurückzuführen waren. Das sehen Sie nicht. Sie tun so, als ob alles vom grünen Tisch
in Wiesbaden aus zu regeln und zu lösen wäre. Das ist
ein Irrweg.
({27})
- Jetzt regt ihr euch auf.
Das gilt natürlich auch für die Bundespolizei. Die Polizisten, die in Frankfurt ({28}) demonstriert haben, haben doch nicht nur demonstriert, weil sie gerne dort
wohnen bleiben möchten, aus eigensüchtigen Interessen,
wie Sie hier unterstellt haben. Sie haben auch demonstriert, weil sie zum Ausdruck bringen wollten, dass das
Doppelsignal - die Grenze fällt, was natürlich begrüßt
wird und gewollt ist, und die Polizei geht - sinnlos ist.
Das ist ein kriminalgeografischer Raum. Da muss man
erst einmal sehen, ob und wie sich Kriminalität dort entwickelt. Das gehört doch zum kleinen Einmaleins.
({29})
Ich verstehe nicht, dass ausgerechnet ein Grüner das sagen muss. Aber er muss es offenbar sagen.
Erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung erfolgt vor
Ort, in dezentralen Einheiten und nicht in gigantischen
Apparaten, die diesem Innenminister vorschweben und
die er Schritt für Schritt umsetzt. Auch dazu hätte ich
gerne etwas von Ihnen gehört, Herr Dr. Luther; aber da
kam wenig.
({30})
- Das ist alles zum Haushalt. Dafür werden die Gelder
bereitgestellt. Genau dafür haben wir diesen Aufwuchs
im Haushalt.
An anderer Stelle ist der Aufwuchs zu gering. Auch
dazu will ich Ihnen etwas sagen. Ein Plus von 14 Millionen Euro ist bei dem Lieblingsthema Ihres Nachbarn zu
verzeichnen, nämlich bei den Integrationskursen. Man
könnte natürlich sagen: Tolle Sache, 14 Millionen mehr! Die Mittel wurden aber zunächst zwei Jahre lang um
67 Millionen Euro gekürzt.
({31})
Das ist nicht ausgeglichen worden. Bei diesen Kursen
besteht nach wie vor ein Mangel. Noch nicht einmal die
Hälfte der Teilnehmer durchläuft die Kurse erfolgreich.
Nur 45 Prozent bekommen am Ende das Zertifikat. Das
wollten wir verbessern.
({32})
Dazu braucht man mehr Geld; das ist völlig klar. Es
langt nicht, Integrationsgipfel zu veranstalten und
Showveranstaltungen für die Kameras zu machen, sondern man muss wirklich etwas für die Integration tun.
({33})
Das hat die Umsetzung der Novelle des Zuwanderungsgesetzes nicht erreicht. Das haben wir hier gehört. Es ist
beeindruckend, dass der Kollege Edathy gesagt hat, er
stimme einem Gesetz zu in der Hoffnung, dass Karlsruhe eine wesentliche Entscheidung kippt, nämlich dass
die Ehepartner im Heimatland Deutsch lernen müssen.
Das ist eine besondere Dialektik.
Ja, ich komme zum Ende, Herr Präsident.
({0})
- Ja, das tut Ihnen weh, wenn jemand Ihre Politik einmal
richtig charakterisiert.
({1})
Dieser Haushalt gießt die falsche Politik der Zentralisierung und des Überwachungsstaats in Zahlen. Wir lehnen ihn vollständig ab.
({2})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Wolfgang
Schäuble.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wieland, da Sie meine Literaturempfehlungen so aufmerksam aufgreifen, gebe ich Ihnen
gleich wieder eine.
({0})
Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat das wunderbare Buch Die Vermessung der Welt geschrieben. Dafür
hat er den Welt-Literaturpreis bekommen. Bei der Preisverleihung hat er, wie es sich gehört, eine Dankesrede
gehalten. In dieser hat er über das Verhältnis von Fakt
und Fiktion gesprochen. Ihre Rede hat mich gerade sehr
daran erinnert.
({1})
Erlauben Sie mir ein kurzes Zitat aus seiner Rede.
Daniel Kehlmann sagte:
Und dann druckt in einer renommierten Monatsschrift für Kultur jemand einen gediegenen Artikel
über deutsches Bildungsgut ab und beschreibt ganz
nebenher, wie Daniel Kehlmann in Wiesbaden einen Vortrag gehalten habe, angetan mit Anzug,
Weste und wohlgebundener Fliege und brüsk alle
berechtigten Fragen des Publikums nach dem Verhältnis von Fakten und Fiktionen in seinem Werk
von sich gewiesen habe. Was für ein unangenehmer
Mensch, denkt man, und dann erst fällt einem auf,
dass man es ja selbst ist, und erinnert sich: Ja, man
war allerdings in Wiesbaden, aber man hielt einen
Vortrag über eben dies Verhältnis von Fakt und Fiktion, zu dem man laut Bericht die Auskunft verweigert habe, man hatte Jeans an, man besitzt keine
Weste und hat schon deshalb noch nie eine Fliege
getragen, weil man sie gar nicht zu binden wüsste;
und es wird einem klar, dass jener Schreiber vielleicht gar nicht lügen wollte,
- sehen Sie, so milde bin ich zu Ihnen sondern statt den Dingen, wie sie nun mal sind in
der Welt …, das Zerrbild einer Reputation gesehen
hat.
Daran haben Sie mich eben erinnert.
({2})
Anknüpfend an das, was der Kollege Stadler zu Beginn ausgeführt hat, will ich sagen: Es ist wahr, die
Sicherheit in unserem Lande ist gut. Mit diesem Haushalt wird haushalterisch dafür Vorgesorge geleistet, dass
das auch im kommenden Jahr so sein wird. Ich bedanke
mich beim Haushaltsausschuss, insbesondere bei den
Berichterstattern, für eine intensive Arbeit. Da das
Ganze vielfältig, zum Teil auch unterschiedlich, debattiert worden ist, will ich die folgende Bemerkung machen: Dass die Sicherheit in unserem Lande so gut ist,
hat vor allen Dingen mit der bewährten Sicherheitsarchitektur unseres Grundgesetzes zu tun,
({3})
wonach die Länder die vorrangige Zuständigkeit haben
und der Bund eine ergänzende. Wir machen das miteinander.
Es ist merkwürdig: Auf der einen Seite wird kritisiert
und gesagt, wir würden überhaupt nichts hinbekommen,
und auf der anderen Seite wird gesagt, wir würden viel
zu viel machen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie
immer in der Mitte.
Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gerade im
Zusammenwirken von Bund und Ländern eine
Menge schwierigster Punkte, die jahrelang nicht lösbar
erschienen, vorangebracht. Das spiegelt sich im Haushalt wider. Dass wir bei der Einführung des Digitalfunks
für die Behörden bezüglich der öffentlichen Sicherheit
endlich vorankommen, ist ein Erfolg im Zusammenwirken von Bund und Ländern. Das Ganze war zwar
schwierig, aber es ist gelungen.
({4})
Dass wir die Antiterrordatei haben, ist ein Erfolg. Dass
wir das Gemeinsame Antiterrorzentrum haben, ist ein
Erfolg der gemeinsamen Arbeit der Sicherheitsbehörden
von Bund und Ländern. Wir werden auf diesem Weg
weiter voranschreiten.
Die meisten Menschen in unserem Land und in der
Welt haben uns nicht zugetraut, mit den unglaublichen
Herausforderungen, die sich uns im vergangenen Jahr im
Zusammenhang mit der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft gestellt haben - denken Sie an das Public
Viewing -, fertig zu werden.
({5})
Wir haben das hervorragend gemacht. Dass das ein Sommermärchen geworden ist, hat nicht zuletzt damit zu tun.
Ohne das Zusammenwirken von Bund und Ländern im
Rahmen der föderalen Struktur wäre das nicht möglich
gewesen.
({6})
- Wenn Sie den großen Beitrag, den die Soldatinnen und
Soldaten der Bundeswehr in diesem Verbund geleistet
haben, richtig würdigen, gehen Sie mit ihnen fair um.
({7})
- Darum geht es doch gar nicht. Ich rede von dem Sicherheitsverbund.
Ich möchte gerne dafür werben, dass wir im Zusammenwirken von Ländern und Bund beim Bevölkerungsund Katastrophenschutz genau diese guten Erfahrungen beherzigen. Der Bund ist nicht der Befehlsgeber der
Länder. Das würde schiefgehen; das entspricht nicht der
Architektur des Grundgesetzes. Der Bund hat eine ergänzende Funktion. Diese Aufgabe nehmen wir mit den
Mitteln wahr, die wir für den Bevölkerungsschutz zur
Verfügung stellen. Wir haben mit den Ländern darüber
gesprochen, dass der Bund im Rahmen des Katastrophenschutzes neue Schwerpunkte wahrnehmen muss. Es
gibt eine gemeinsame Verantwortung von Bund und
Ländern. Ich bedanke mich sehr, dass Sie auch unter den
schwierigen Voraussetzungen - der Rechnungshofbericht wurde erwähnt - in diesem Haushalt die Voraussetzungen dafür geschaffen haben.
Nächste Woche tagt die Innenministerkonferenz. Wir
werden in der gemeinsamen Verhandlung alles daransetzen, zu einem Zusammenwirken zu kommen, aber in
dem Verständnis - dafür werbe ich in diesem Hohen
Haus -, dass gemäß der richtigen Grundentscheidung
unseres Grundgesetzes die prioritäre Zuständigkeit bei
den Ländern ist und verbleibt und dass es so auch richtig
ist. Von diesem Verständnis aus erreichen wir die großen
Erfolge für die Sicherheit in unserem Lande.
Zweite Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang
dann auch machen möchte: Natürlich müssen wir versuchen, mit den vorhandenen, immer begrenzten Mitteln
- natürlich sind sie begrenzt - möglichst viel zu erreichen und durch entsprechende Anpassungen, die den
Menschen Veränderungen zumuten, auf neue Aufgaben
die richtigen Antworten zu finden.
Ich finde es großartig - das sollte man mit positivem
Unterton sagen -, dass wir am Ende des Jahres 2007 in
einem Deutschland mitten in Europa leben, in dem wir
mit all unseren Nachbarn solch gute Verhältnisse haben,
dass wir an den Grenzen unseres Landes keine stationären Grenzkontrollen mehr durchführen müssen. Das ist
ein großartiger Erfolg.
({8})
Ich bin in einer Grenzregion - sie liegt an der
deutsch-französischen Grenze - zu Hause. Wir waren
lange Zeit benachteiligt. Das wissen die Jüngeren heute
gar nicht mehr; Kollege Göbel, wir wissen, wovon wir
reden. Ich weiß noch, dass Grenzregionen wegen ihrer
Randlage generell benachteiligt waren.
({9})
Wenn Grenzen nicht mehr trennen, dann bekommen die
Grenzregionen ganz neue Chancen. Das wird jetzt für
die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und auch Bayern der Fall sein.
Im Übrigen ist es so: Die Art von Kriminalität, die
uns heute bedroht und die weitgehend grenzüberschreitend ist, wird durch die Grenzkontrollen, die wir heute
haben - Kollege Michael Luther hat es sehr richtig gesagt -, überhaupt nicht behindert. Deswegen brauchen
wir neue Formen polizeilicher Zusammenarbeit in
Europa über die Grenzen hinweg. Da haben wir große
Fortschritte erzielt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die
Menschen in der Nachbarschaft zu Polen und Tschechien können darauf vertrauen, dass die Erweiterung des
Schengen-Raums nicht weniger Sicherheit, sondern
mehr Freiheit und mehr Sicherheit zugleich bedeuten
wird. Deswegen freuen wir uns darauf, dass wir diesen
Schritt am Ende des Jahres in Europa gehen.
({10})
Wir haben eine hervorragende Zusammenarbeit mit
den Polizeien der neuen Schengen-Vertragsstaaten, insbesondere mit Polen und Tschechien. Dafür will ich
mich hier bedanken. Wir werden ab dem 17. Dezember
dieses Jahres, also schon vor dem Wegfall der Grenzkontrollen, die gemeinsamen Zentren der polnischen, tschechischen und deutschen Polizei mit den jeweiligen Landespolizeien aus den vier Grenzländern in Betrieb
nehmen, und zwar im 24-Stunden-Betrieb, sieben Tage
in der Woche. Wir werden den Grenzraum gemeinsam
intensiver bestreifen: polnische, tschechische, bayerische, sächsische, brandenburgische, mecklenburgische
und Bundespolizei gemeinsam. Wir werden weniger
Präsenz der Polizei an den Kontrollhäuschen, aber mehr
Präsenz in der Region haben. Deswegen ist es ein Mehr
an Sicherheit.
Dazu ist es notwendig - Frau Hagedorn hat es richtig
gesagt -, dass wir die Bundespolizei umorganisieren.
Das ist keine reine Freude für die Bundespolizei und für
die Mitarbeiter. Deswegen haben wir gesagt: Wir machen es so, dass wir uns auf die neuen Aufgabenschwerpunkte konzentrieren. Wir machen es für das Personal so
schonend wie möglich. Das Konzept wird in drei Jahren
umgesetzt. Es ist, wie im Bundespolizeigesetz vorgesehen, mit allen Landesregierungen abgestimmt. Es macht
die Ost-West-Verlagerung so erträglich wie möglich. Es
führt übrigens dazu, dass wir bei der gegebenen Stärke
der Bundespolizei rund 1 000 Polizeibeamte mehr aus
den Städten heraus in den Vollzug bringen. Das ist ein
Effizienzgewinn. Es stärkt die Leistungsfähigkeit der
Bundespolizei und dient der inneren Sicherheit unseres
Landes.
({11})
Ich will trotz der gebotenen Kürze dieser Aussprache
eine weitere Bemerkung machen. Es ist interessant: Vor
einem Jahr war das große Thema, dass die Mittel für die
Integrationskurse angeblich nicht ausreichen. Wir haben sie aufgestockt. Sie haben aber auch im vergangenen
Jahr ausgereicht. Wir sind in dieser Regierung insgesamt
auf einem guten Weg. Wir haben es am Beginn der
Legislaturperiode gemeinsam zu einem Schwerpunkt
unserer Politik gemacht, vorhandene Defizite in der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund abzuarbeiten und zu bekämpfen. Wir kommen auf diesem
Weg voran und stellen für den Haushalt 2008 die entsprechenden Mittel zur Verfügung.
Es ist bereits gesagt worden - darauf werden die Kollegin Freitag und andere noch zu sprechen kommen -,
dass wir im Haushalt die Mittel für die Sportförderung
und für die Dopingbekämpfung erhöht haben; auch dafür bedanke ich mich. Ich füge hinzu: Wir haben die
große Sorge, dass das ungeheuer Attraktive, das der
Sport in all seinen Erscheinungsformen für unser Land,
für die Bevölkerung und für die Gesellschaft bedeutet,
durch Übermaß bzw. Übertreibung zerstört wird. Auch
die Auswirkungen der überzogenen Professionalisierung
bis hin zum Missbrauch bei den Sportwetten, den es zu
bekämpfen gilt - vom Doping ganz zu schweigen -, bereiten uns große Sorgen.
Wir müssen deshalb am richtigen Verständnis von
Subsidiarität festhalten. Wir müssen die Eigenverantwortung der Sportorganisationen einfordern und stärken
und vonseiten des Staates, der Politik und des Gesetzgebers, subsidiäre Unterstützung leisten. Wir dürfen aber
nicht glauben, dass dann, wenn wir die Freiheit der Sportorganisationen durch staatliche Reglementierung ersetzen würden, irgendetwas besser würde. Dadurch würde
die Situation nur schlechter.
({12})
Meine letzte Bemerkung. Auch wenn Deutschland ein
sicheres Land ist, haben sich die Bedrohungen unserer
Sicherheit verändert. Die Welt verändert sich fort und
fort, und die technologischen Entwicklungen schreiten
immer weiter voran. Das ist in jeder fachlich einigermaßen ernsthaft geführten Diskussion Konsens.
Herr Kollege Stadler hat richtig beschrieben, was im
Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien in der vergangenen Legislaturperiode geschehen ist. Nun, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hat, müssen wir regeln, wie die
Sicherheitsbehörden auf technologische Entwicklungen
reagieren.
Als das Auto noch nicht erfunden war, brauchte die
Polizei keine Kraftfahrzeuge; das ist wahr. Als das Auto
aber erfunden war, brauchte die Polizei Kraftfahrzeuge.
Wenn Kommunikation nicht mehr nur über das Telefon
erfolgt, sondern in anderer Weise, dann müssen die Sicherheitsbehörden die Möglichkeit haben, unter Beachtung der gleichen engen Voraussetzungen - eine klare
rechtliche Grundlage, die Entscheidung einer unabhängigen Stelle bzw. eines Richters im Einzelfall und dergleichen mehr - mit der technischen Ausstattung derjenigen, die unsere Sicherheit bedrohen, Schritt zu halten.
Der Staat ist ein Rechtsstaat nur so lange, wie er in der
Lage ist, das Recht durchzusetzen. Die Gesetzlosigkeit
sichert nicht Freiheit und Grundrechte.
({13})
Das ist kein Widerspruch, sondern ein notwendiger
Schritt. Hier haben wir eine Verantwortung.
Wir haben gesagt: Dafür schaffen wir eine rechtliche
Grundlage. - Deswegen: Kritisieren Sie nicht zu schnell
diejenigen, die versuchen, für das, was als Folge der
technischen Entwicklung notwendig ist, eine rechtliche
Grundlage zu schaffen. Mein Verständnis vom Verfassungsstaat ist - hier lasse ich mich von niemandem beirren -, dass wir nur im Rahmen der Verfassung, auf der
Grundlage klarer rechtlicher Regelungen, begrenzt auf
Ausnahmefälle, mit Transparenz und unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Vorschriften, den Sicherheitsbehörden die rechtlichen Instrumente an die Hand
geben dürfen, die sie brauchen, um nicht in Grauzonen
handeln zu müssen.
({14})
Bei allem Respekt: Ich halte nichts, aber auch gar
nichts davon, dass uns Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts raten, wir sollten uns im Zweifel nicht an
die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts halten. Das entspricht nicht meinem Verständnis. Ich
möchte, dass wir im Rahmen von Verfassung und Gesetz, und zwar nur im Rahmen von Verfassung und Gesetz, handeln. Hier müssen der Gesetzgeber und die politisch Verantwortlichen ihre Verantwortung übernehmen.
Wir dürfen nicht einfach nur hoffen, dass sich im Zweifel irgendjemand bei der Polizei oder bei der Bundeswehr nicht an Verfassung und Gesetz hält. Das ist nicht
unser Verständnis.
Wir dienen dem Rechtsstaat mehr, wenn wir offen,
transparent und sachlich über die Frage diskutieren: Unter welchen Voraussetzungen muss wer in welcher Lage
eine Entscheidung treffen, um Schaden von unserem
Land zu wenden? Darum geht es - um nicht mehr und
nicht weniger.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kritik an
der Bundesregierung ist nötig. Ich glaube aber, dass Sie,
Herr Kollege Wieland, sich eben vergaloppiert haben.
({0})
Die Stichpunkte, die Sie genannt haben, und die Vergleiche, die Sie gezogen haben, waren nicht erforderlich,
({1})
um die existierenden Widersprüche in der Regierungspolitik deutlich zu machen.
Herr Innenminister Schäuble, Sie sagten gerade, dass
Sie sich an das Gesetz - vor allem an das Grundgesetz halten möchten. Interessant ist dabei, dass einige Personen - nicht nur Verfassungsrechtler - erhebliche Schwierigkeiten bei den Initiativen sehen, die Sie bisher vorgelegt haben. Die Vorratsdatenspeicherung harrt noch der
Überprüfung. Ich habe aber große Zweifel, ob Sie an
dieser Stelle Ihrem eigenen Ziel gerecht werden können.
({2})
Die Widersprüche sind deutlich. Einerseits haben Sie
neue Forderungen wie die Onlinedurchsuchung - übrigens gibt es auch da verfassungsrechtliche Bedenken -,
die Videoüberwachung und Abhörmaßnahmen. Andererseits wird die Einsatzfähigkeit und Motivation der
Polizei durch Umstrukturierungen, Personalabbau sowie schlechte Bezahlung und Versorgung auf breiter
Ebene konsequent reduziert.
Die Furcht vor Terroranschlägen wird von Bundesminister Schäuble mit seiner Panikmache verstärkt. Das
Ziel ist, die Öffentlichkeit für Verschärfungen der Sicherheitsgesetze geneigt zu machen, die eigentlich nicht
notwendig sind. Das fördert eine Angststimmung und
schadet einer freiheitlichen Gesellschaft.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, organisatorischer
Aktionismus hilft nicht. Ein besonders unerfreuliches
Kapitel ist dabei tatsächlich die Bundespolizeireform.
Ohne Beteiligung der Betroffenen wurden vollendete
Tatsachen geschaffen. Leider wird das vorgegebene Ziel,
den operativen Bereich der Bundespolizei zu stärken,
nicht erreicht werden, indem die Zahl der Inspektionen
und Verantwortlichen vor Ort nahezu halbiert wurde.
- Herr Körper nickt zu Recht. - Stattdessen wird in Potsdam ein gigantischer Wasserkopf geschaffen. Die Kosten der Reform in Höhe von mehr als 100 Millionen
Euro, die die Bundesregierung auf Anfrage der FDP
schon zugegeben hat, sind kein Pappenstiel. Insofern
danke ich Ihnen, Frau Hagedorn, für Ihren Hinweis.
Ich frage Sie, Herr Schäuble: Warum legen Sie schon
seit Jahren keinen Bericht zur Bundespolizei mehr vor?
Wo ist zum Beispiel Ihre Definition der Leitlinien über
die Ziele der Bundespolizei nach der Schengen-Erweiterung? Brauchen wir wirklich mehr hochdotierte Posten
in der neuen Zentrale? Sie schaffen mit dem neuen Bundespolizeipräsidium in Potsdam Parallelstrukturen. Das
BKA und die Bundespolizei müssen zusammenarbeiten,
statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen.
Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität
fehlt die Abstimmung. Der Zoll hat leider - ich sage
ganz bewusst „leider“ - keine Erkenntnisse darüber, ob
sich die organisierte Kriminalität zum Beispiel über den
Zigarettenschmuggel ausweitet. Andererseits fordert das
Innenministerium immer neue Gesetze zur Bekämpfung
derselben. Das ist unabgestimmt, chaotisch, und, Herr
Minister, Ihre Sicherheitsarchitektur gleicht einer Bruchbude.
Auch an vielen anderen Baustellen im Innenressort
fehlt der Architekt. Beim Waffenrecht wusste das Ministerium nicht, was es tut. 2006 forderten Sie die Entwicklung des Instruments der Onlinedurchsuchung und haben im Haushaltsausschuss extra Mittel dafür beantragt,
obwohl Ihre Geheimdienste dieses bereits seit 2005
rechtswidrig angewandt haben.
Meine Damen und Herren, die innere Sicherheit
Deutschlands benötigt keine panischen Gesetzgebungsattacken, sondern eine ruhige, entschlossene und überlegte politische Führung.
({4})
Für die FDP gilt: Sicherheit ist nicht gegen, sondern
nur in Zusammenarbeit mit den Bürgern zu erreichen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hartmann von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Minister, ich bin Ihnen sehr dankbar
für die maßvolle und abgewogene Rede, die Sie gehalten
haben.
({0})
Sie zeugt davon, dass manches Gespräch, das wir in den
letzten Wochen in vielleicht etwas härterem Ton führen
mussten, doch etwas genutzt hat. Vielen Dank, so können wir gut weitermachen, Herr Minister Schäuble.
({1})
Wir haben in dieser Wahlperiode allen Unkenrufen
zum Trotz allein im Bereich der inneren Sicherheit bereits 13 Gesetze verabschiedet. Es handelte sich um Gesetze, die nicht skandalträchtig waren, die uns aber in der
Tat weitergebracht haben.
Lieber Herr Wolff, ich kann Ihnen das nicht ersparen:
Es ist schon eine pikante und unangenehme Situation für
einen Abgeordneten der FDP, wenn er hier zur inneren
Sicherheit spricht. Denn es gibt ja ein Landesgesetz aus
Nordrhein-Westfalen, das sich auf den Verfassungsschutz bezieht, mit dem Tür und Tor geöffnet werden,
ohne dass bürgerliche Freiheitsrechte respektiert werden.
Dieses Gesetz ist unter der Federführung eines FDPMinisters entstanden. Gehen Sie da in sich! Wir machen
gründlichere und gute Gesetze.
({2})
Warten Sie es ab: Das NRW-Gesetz wird in Karlsruhe
tragisch scheitern.
({3})
Die Gesetzgebung im Bereich der inneren Sicherheit
ist auch deshalb eine gute, lieber Herr Kollege Wieland,
weil wir hier in einer Kontinuität stehen. Ich möchte
jetzt gar nicht darauf hinweisen, dass das Luftsicherheitsgesetz, das vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist, auch mit den Stimmen der Grünen verabschiedet wurde.
({4})
Tun Sie also nicht so, als seien Sie bei all diesen Dingen
nicht dabei gewesen, als hätten Sie schon immer Alarm
gerufen, wenn vermeintlich Bürgerrechte angegriffen
sind!
Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Wir sind derzeit dabei - ganz in der Tradition von Rot-Grün und aufbauend auf dem, was an guter und solider Politik von
Otto Schily und seinem Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper und vielen anderen vorbereitet wurde -,
({5})
beispielsweise über eine Visawarndatei zu verhandeln.
Die wird es geben; wir werden da gut vorankommen.
Wir werden die innere Sicherheit dadurch stärken. Wir
werden außerdem den elektronischen Personalausweis
auf den Weg bringen - auch einst ein rot-grünes Projekt -,
und zwar nicht nur unter dem Aspekt der Sicherheit,
sondern auch der Bürgerfreundlichkeit und der Serviceorientierung. Auch da sind wir in den Verhandlungen auf
einem guten Weg. Das ist gute, solide Politik, und so
werden wir weitermachen, lieber Herr Kollege Wieland.
({6})
Wenn wir über die große Herausforderung des Terrorismus reden, die begründetermaßen im Vordergrund
von innenpolitischen Debatten steht, wird immer wieder
zu Recht das Argument wiederholt: Die Bedrohungen
sind asymmetrisch geworden, Staaten sind implodiert,
die Situation ist nicht mehr wie einst, und wir müssen
uns darauf einstellen. - Sehr richtig: Innen und außen
haben nicht mehr die gleiche Bedeutung wie einst. Dennoch ist die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus eine Bedrohung durch Verbrecher, und Verbrechern legt man das Handwerk mit den Mitteln der
Polizei.
({7})
Deshalb sagen wir Nein zu einer Militarisierung der Polizei und zu einer Verpolizeilichung des Militärs.
Übrigens macht innere Sicherheit im subjektiven Sicherheitsgefühl der Menschen und in der objektiven Sicherheitslage mehr aus als nur den Kampf gegen den
Terror. Denken Sie an die großen, dramatischen und tragischen Herausforderungen durch die organisierte Kriminalität, ob das nun das ekelhafte Feld der Kinderpornografie ist, ob wir über Datenklau in Firmen - eine
Bedrohung für die Wirtschaft - oder Datenklau bei Privatpersonen - eine Bedrohung für jeden, der eine
Scheckkarte besitzt - reden oder ob wir - Sie erinnern
sich - an die schrecklichen Mafiamorde denken. Wir haben hier ein großes Feld, dessen wir uns annehmen müssen. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht nach vorne
gegen al-Qaida kämpfen, während im Rücken die organisierte Kriminalität tobt. Wir müssen in Zukunft genauso viel Energie auf diesen Bereich verwenden.
({8})
Auch bei diesen Tat- und Deliktfeldern ist das Internet - Herr Minister, auch darin stimmen wir weitgehend
überein - ein wichtiges Medium zur Vorbereitung und
Durchführung der Taten. Doch gleichzeitig geben wir als
Privatpersonen leichtfertig oder unvorsichtig eine
Menge von Daten im Internet preis: Bei jedem Kauf eröffnen wir der gewerblichen Wirtschaft unsere privatesten Neigungen und Interessen, oder wir legen unsere
Finanzströme dar und vieles andere mehr. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir auch bei dem, was da geschieht und was wir alle leichtfertig zulassen - eine Entwicklung, die nicht aufhaltbar sein wird und auch ihr
Michael Hartmann ({9})
Positives hat -, viel mehr aufpassen müssen. Deshalb
wollen wir uns als SPD gemeinsam mit unserem Koalitionspartner der Frage annehmen, ob wir einen Raum der
Freiheit und der Sicherheit im Internet nicht genauso
brauchen wie anderswo. Das scheint mir dringend geboten und ein Projekt zu sein, das wir gemeinsam vielleicht
noch in dieser Wahlperiode stemmen können. Wenn der
Staat nur ein Achtel so viel Daten erfassen würde, wie
wir leichtfertig im Internet preisgeben, gäbe es Demonstrationen durchs Brandenburger Tor. Deshalb müssen
wir im Umgang mit der gewerblichen Wirtschaft viel
stärker auf den Datenschutz achten.
({10})
Bei aller Unterschiedlichkeit und bei allem - übrigens
notwendigen - Ringen um den richtigen Standpunkt in
der inneren Sicherheit bleibt eines klar: Kernaufgabe des
Staates, des neuzeitlichen Verfassungsstaates, ist die
Stiftung und Gewährleistung des innergesellschaftlichen Friedens in Freiheit. Diesem Ziel sind wir gemeinsam verpflichtet. Deshalb wird es immer gute Ergebnisse geben, auch wenn dafür manchmal länger
diskutiert werden muss.
Vielen Dank.
({11})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Detlef Parr das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eingangs
der Debatte hat der Kollege Luther etwas zur Finanzierung des Sports gesagt und die Unterstützung der Deutschen Sporthilfe mit 1 Million Euro noch einmal herausgestellt. Ein Grund dafür, dass dort 1 Million Euro an
Steuermitteln hineinfließen sollen, ist, dass unter anderem die Einnahmen der Glücksspirale weggebrochen
sind. Auch der Herr Minister hat über den Wettbereich
geredet und die Missbräuche angesprochen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal betonen, dass Deutschland im Moment im Jackpot-Fieber ist
und wir vor der Frage stehen, ob sich dieses Fieber noch
häufiger wiederholen wird oder ob es das letzte Mal ist,
dass es hierzu kommt. Wir als Politiker sind nämlich dabei, den Menschen den Spaß am Spiel zu nehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in Sachen Sportwetten ein Urteil gesprochen und dabei die Suchtbekämpfung als Voraussetzung für die Beibehaltung des
Glücksspielmonopols herausgearbeitet.
({0})
Werbeverbote, Verbote entsprechender Angebote im Internet und eine Begrenzung des Wettangebotes werden
die Folge sein. Damit wird man bei der Finanzierung des
Sports, der Kultur und anderer Gemeinwohlbelange in
ganz große Probleme geraten.
({1})
- Ich weiß, dass Sie bei diesem Thema, das ich hier anspreche, sehr unruhig werden, weil es ganz unangenehm
ist.
({2})
Wir wissen, dass der Staatsvertrag europarechtlich nicht
haltbar ist.
({3})
Wenn Sie gestern das Spiel Werder Bremen gegen Real
Madrid gesehen haben, dann konnten Sie feststellen,
dass Real Madrid mit Trikots mit der Aufschrift „bwin“
aufgelaufen ist. Dies ist bei uns verboten.
({4})
Ob wir mit dem Glücksspielstaatsvertrag gut fahren, ist
also die Frage.
({5})
Deswegen fordere ich Sie noch einmal auf bzw. bitte
Sie, noch einmal darüber nachzudenken, dass der Bund
hier in Verantwortung ist. Wir dürfen nicht abwarten, bis
die Länder hier vor die Wand fahren, sondern wir müssen selber tätig werden.
({6})
Wir müssen den Sportwettenbereich aus dem Staatsvertrag herauslösen und dafür Sorge tragen, dass der Bund
Konzessionsmodelle oder eine gewerberechtliche Lösung anbietet. Nur so werden wir die Sportförderung auf
Dauer sichern können. Ansonsten werden wir alle die
Verantwortung dafür tragen, dass die Sportförderung auf
ganz schwache Füße gerät. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal anmerken.
Ich danke fürs Zuhören.
({7})
Herr Kollege Luther, wollen Sie erwidern? - Herr
Bundesminister Schäuble, wollen Sie erwidern? - Nein,
das ist nicht der Fall.
({0})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
- Herr Hartmann, Sie waren nicht angesprochen. Herr
Luther und Herr Bundesminister Schäuble waren angesprochen.
({1})
Jetzt hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die
Linke das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Körper, Ihrem Wunsch kann ich nicht entsprechen. Ich muss über den Inhalt der Kurzintervention
noch einen Moment nachdenken. Dann können wir das
klären.
({0})
Mein erstes Thema ist ein anderes, nämlich der
Rechtsextremismus und der Kampf dagegen. Er ist
nach wie vor ein gesellschaftliches Problem - in Ost und
West. In einigen Regionen verfestigt er sich - und das im
Osten und im Westen der Republik. Er ist eine permanente Gefahr, häufig auch für Leib und Leben, und er
lässt sich nicht auf die Frage reduzieren, ob die NPD nun
verboten werden soll oder nicht.
Die Zahlen bleiben alarmierend: Im bundesdeutschen
Schnitt werden jede Stunde zweieinhalb rechtsextrem
motivierte Straftaten registriert. Täglich werden im statistischen Schnitt zweieinhalb rechtsextrem motivierte
Gewalttaten ausgewiesen. Mit den offiziellen Zahlen
wird tiefgestapelt, auch deshalb, weil das Ausmaß
rechtsextremer Gewalt noch immer verharmlost wird.
Sachsen-Anhalt liefert dafür ein aktuelles Beispiel. Dadurch wird das Problem verschärft; denn wenn die Analyse nicht stimmt, dann kann auch die Lösung dagegen
nicht stimmig sein. Deshalb fordert die Linke heute in
einem Antrag eine unabhängige Beobachtungsstelle für
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus
nach EU-Vorbild. Ich bitte alle Fraktionen, denen die
Demokratie am Herzen liegt, diesem Antrag zuzustimmen.
({1})
Mein zweites Thema ist die Reform der Bundespolizei. Sie ist aus dem Bundesgrenzschutz hervorgegangen.
Sie steht mit dem Beitritt weiterer Nachbarländer zur
EU vor einer Sinnfrage. Diese wiederum soll mit einer
großen Reform beantwortet werden. Das Bundesinnenministerium arbeitet eifrig daran - allerdings im Verborgenen -: Dienststellen werden aufgelöst und umorganisiert; neue Dienststellen werden geschaffen. Polizistinnen
und Polizisten werden versetzt, ohne dass sie erfahren,
warum und wozu. Die Gewerkschaften werden übergangen ({2})
und nicht nur sie. Auch der Bundestag erhält bestenfalls
spärliche Informationen, obwohl er als Gesetzgeber zuständig ist. Zugleich werden Tatsachen geschaffen.
Ich weiß, dass der Kollege Bürsch mir gleich antworten wird: Wir führen dazu am 14. Januar eine Anhörung
durch. Eine Anhörung erst im Jahre 2008 - jetzt wird
aber die Bundespolizei umstrukturiert; jetzt werden Fakten geschaffen.
({3})
Das halte ich für illegal und für eine grobe Missachtung
der Beschäftigten der Bundespolizei, aber auch für eine
grobe Missachtung des Bundestages.
({4})
Ich finde, diese Praxis darf keine Schule machen; denn
sie dient mitnichten der Sicherheit. Im Gegenteil: Sie
schafft Unsicherheit, und sie beschädigt die Demokratie.
Mein drittes Thema ist der Umgang mit der Verfassung, mit dem Grundgesetz. Der Bundesinnenminister
wähnt sich dabei aus dem Schneider. Er hat im Frühsommer sinngemäß verkündet, dass das Grundgesetz mit seinen Bürger- und Grundrechten ein historisches Relikt
und im Kampf gegen den Terrorismus oft ein Hemmnis
ist. Das war, wie ich fand, ein starkes Stück. Für den
Bürger Schäuble fällt eine solche Äußerung in die Kategorie Meinungsfreiheit, für den Verfassungsminister, der
seinen Diensteid auf das Grundgesetz geschworen hat,
allerdings nicht.
({5})
Ob Vorratsdatenspeicherung, ob Onlineuntersuchung, ob Abschuss entführter Passagierflugzeuge - ich
halte das alles für verfassungswidrig.
({6})
Ich kann nur dringend an die SPD appellieren, den Begehren der Union nicht weiter nachzugeben. Sie sind seinerzeit schon Otto Schily zu weit gefolgt - übrigens gemeinsam mit den Grünen. Ich finde, wir sollten
verbriefte Bürgerrechte gemeinsam besser schützen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch zu einem anderen
Thema kommen, nämlich der Integration. Es ist unstrittig, dass Menschen, die in der Bundesrepublik leben und
mitwirken wollen, der deutschen Sprache mächtig sein
müssen. Aber allein die Aufstockung der Mittel für Integrationskurse reicht hier nicht aus. Der Kollege Wieland
hat den Taschenspielertrick gerade schon aufgedeckt.
Es ist auch unstrittig, dass Menschen, die hier leben,
das Grundgesetz achten und sich daran halten sollen. Allerdings ist Integration eben keine Einbahnstraße - und
übrigens auch nicht nur eine Frage des Innenressorts. Integration heißt auch Ermöglichung von Teilhabe: von sozialer und demokratischer Teilhabe. Deshalb finde ich es
sehr bedauerlich, dass wir noch immer kein kommunales
Wahlrecht für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger haben
und dass Sie unserem Antrag nicht zugestimmt haben.
Danke.
({7})
Das Wort hat Herr Kollege Alois Karl von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister! Der Gesamthaushalt steigt um 4 Prozent, der
Haushalt des Innenministers um 13 Prozent. Das ist für
uns eine gute Nachricht. Auch wenn andere das anders sehen wollen - Ihr Beitrag hat das bewiesen, Herr Korte -:
Diese Steigerung bedeutet auch ein Mehr an Sicherheit
in unserem Lande. Das wollen wir. Dafür stehen wir.
Herr Stadler, Sie haben zu Recht angesprochen, dass
Sicherheitspolitik mit der Ausübung von Freiheitsrechten kollidiert. Beides gehört aber zusammen. Die Menschen wollen frei in unserem Lande leben, und sie wollen sicher in unserem Lande leben. Der Haushalt bringt
beides zum Ausdruck.
2007 war ein gutes Jahr. Wir haben keine großen Terroranschläge zu beklagen gehabt. Wir wissen, dass Sicherheit nicht wie ein Lichtschalter ein- oder auszuknipsen ist. Vielmehr liegt das daran, dass unsere Politik
richtig war. So wissen wir, dass es der Einsatzbereitschaft vieler Sicherheitsbehörden zu verdanken ist, dass
heuer Terroranschläge vermieden werden konnten. Hierfür bedanken wir uns herzlich.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen,
dass die Bedrohung oft nicht gesehen wird. Wir wissen,
dass eine latente, eine labile Sorglosigkeit herrscht, gerade weil Terroranschläge in den letzten Jahren bei uns
Gott sei Dank vermieden worden sind. Deshalb müssen
wir heute die richtigen Entscheidungen treffen, damit
wir auch in Zukunft in unserem Land sicher leben können.
Wenn ich die Ausführungen der Kollegen der Opposition richtig verstanden habe, dann war die Quintessenz,
dass die Bilanz nach zwei Jahren Große Koalition ernüchternd ist.
({1})
In der Tat ist die Bilanz ernüchternd für jene, die
Deutschland als ein schwächelndes Land ausmachen
wollten, ernüchternd für jene, die in Deutschland den
Terrorismus mit seinen internationalen Verflechtungen
festsetzen wollten. Für uns ist die Bilanz glänzend:
Deutschland ist heute sicherer als vor zwei Jahren; das
ist die gute Nachricht. Darüber freuen wir uns. Dafür
danken wir Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, sehr herzlich.
({2})
Das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum arbeitet
perfekt. Die Antiterrordatei ist ins Werk gesetzt. Für den
BOS-Digitalfunk werden 190 Millionen Euro zusätzlich
vorgesehen. Allerdings gibt es noch kein neues BKAGesetz. Hier hat die Koalition noch Arbeit vor sich.
Sehr gut hat mir gefallen, was der Vorsitzende der
SPD-Fraktion, Herr Struck,
({3})
gestern gesagt hat: Onlinedurchsuchungen dürfe es nur
unter engen Voraussetzungen geben. Ebenso sagte er, die
Freiheit des Einzelnen sei ein hohes Gut, das vom Staat
geschützt werden müsse. Das unterstützen wir. Ich
denke, dass wir auf diesem Weg gut vorankommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist schon
eine Schande, wie im Rahmen dieser Diskussion der
Bundesinnenminister in den letzten Wochen und Monaten attackiert wurde. Lieber Herr Kollege Wieland, Ihre
heutige Rede war schlimm.
({4})
Es war völlig unerträglich, zu erleben, wie Sie Bundesinnenminister Schäuble rhetorisch in die Nähe von
Andreas Baader gerückt haben.
({5})
Es war eine verworrene Argumentation, die Ihrer eigentlich nicht würdig ist, lieber Herr Kollege Wieland.
({6})
Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, auch wenn
manche meinen, kübelweise Spott und Hohn über Sie
ausschütten zu müssen, darf ich Ihnen für die Unionsfraktion versichern: Wir stehen in dieser Sache auf jeden
Fall auf Ihrer Seite. Wir haben Sie als starken Innenminister kennengelernt und wissen, dass den neuen Herausforderungen in der Tat mit entsprechenden Mitteln begegnet werden muss.
Die Polizeipräsenz in der Nähe der Grenzen zu Polen
und zur Tschechischen Republik wird nicht verringert,
sondern verstärkt. Wir wissen, dass schon bislang vieles
an den Schlagbäumen vorbei geschmuggelt wurde und
viele ungebetene Gäste in unser Land gekommen sind.
Die Bundespolizei wird ihre Aufgaben in Bayern und in
anderen grenznahen Bundesländern sicherlich erfüllen.
Ein Wort zur Situierung der neuen Polizeidirektion in
Bayern, worüber wir schon viel gesprochen haben, lieber
Herr Bundesinnenminister: Die Bayern fordern gemeinschaftlich, die geplante Polizeidirektion nicht in München, sondern in der Nähe der tschechischen Grenze zu
errichten. Ich bitte Sie, das in Ihre Erwägungen einzubeziehen; denn alle Bayern gemeinschaftlich können nicht
irren, Herr Bundesinnenminister. Darüber sollten Sie
noch einmal nachdenken.
({7})
Herr Kollege Karl, bitte kommen Sie zum Schluss.
Meine Redezeit wurde etwas gekürzt.
Ein letztes Wort. Der Bundesinnenminister ist ja auch
Sportminister. Wir freuen uns über die Erhöhung der Ansätze für den Sport. Es wurde bislang nur kurz erwähnt,
dass wir 2,8 Millionen Euro mehr für die Dopingbekämpfung ausgeben. Wir dürfen nicht vergessen: Das
Geld, das wir ausgeben, ist uns anvertraut.
Herr Kollege Karl, Ihre Redezeit ist gekürzt worden,
weil der Herr Bundesminister länger geredet hat. Das ist
aber kein Grund, dass Sie sich jetzt die Zeit zurückholen.
Das geht nicht.
({0})
Ich komme zum vorletzten Satz, lieber Herr Präsident.
Wir wollen mit jenen Sportlern, Betreuern und Funktionären nichts zu tun haben, deren oberstes Ziel offensichtlich die Befriedigung ihrer Gier ist. Wer dopt, ist ein
Betrüger. Mit Betrügern wollen wir nichts zu tun haben.
({0})
Betrüger subventionieren wir nicht. Das können wir uns
nicht leisten.
Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, für Ihr Engagement.
Herr Kollege Karl, es reicht jetzt wirklich. Bitte kommen Sie zum Schluss.
Herr Bundesinnenminister, ich hätte Sie noch mehr
gelobt, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte.
Vielen herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Michael Bürsch von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich kehre an den Anfang zurück. Herr Kollege Stadler,
diese Koalition ist handlungsfähig. Sie arbeitet nach dem
Prinzip: Das Bessere ist der Feind des Guten. - Das ist
etwas, worüber man manchmal streiten muss. Wie es der
Zufall will, ist die SPD diejenige Partei und Fraktion, die
überwiegend das Bessere vorschlägt
({0})
und sich am Ende auch in dieser Koalition gerne durchsetzt.
({1})
Das Beispiel, an dem ich das belegen will, ist die
Integration. Zunächst einmal das Lob: Die Mittel werden um 15 Millionen Euro angehoben. Das kommt der
Integration und den Kursen zugute.
({2})
Aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.
Ich werde das beweisen. Es bleiben noch Dinge zu tun.
Auch da gilt: Einiges können wir noch besser machen.
Gut ist jedenfalls, dass wir an der Stelle die Kurse differenzieren, dass wir zum Beispiel an einigen Stellen statt
600 Stunden 900 Stunden anbieten können,
({3})
dass wir Kurse für Analphabeten anbieten und dass wir
etwas mehr Gebühren für die Kurse zahlen.
Eines, was die SPD weiter fordern und wobei sie
nicht zurückstecken wird, ist noch nicht ganz gelungen.
Die Einführung der Migrationserstberatung ist durchaus
ein Erfolg gewesen. Die wollen wir fördern. Die Gruppe
der etwa 50 000 benachteiligten Jugendlichen ohne
Hauptschulabschluss müssen wir auch etwas differenzierter betrachten. Man kann für diese Gruppe keine allgemeine Lösung finden. Da bedarf es der individuellen
Betreuung.
({4})
Dazu erwähne ich zwei Beispiele aus Deutschland,
die mir sehr imponiert haben.
In Köln gibt es mit der Initiative „Coach e. V.“ des
Pädagogen Mustafa Bayram eine Initiative zur Bildung
und Integration junger Migranten. Dieser betreut ungefähr 200 Jugendliche, die es sehr schwer haben, ohne
eine entsprechende Ausbildung einen Ausbildungsplatz
oder einen Beruf zu finden. Diese Initiative braucht Unterstützung und ein Stück weit auch öffentliche Förderung.
Das zweite Beispiel ist eine Initiative, die gestern
Abend ausgezeichnet wurde. Sie nennt sich „Work and
box“. Ein Unternehmer aus München, der Schreiner
Rupert Voß,
({5})
nimmt jedes Jahr 20 Jugendliche mit einer kriminellen
Karriere, um die sich sonst kein Mensch kümmerte, auf.
Zu diesem Zweck hat er sogar das Boxen gelernt, weil
das zunächst die einzige Sprache war, die diese Jugendlichen überhaupt verstanden haben. Von diesen 20 Jugendlichen pro Jahr hat er 18, manchmal auch 19, in eine
Ausbildung gebracht. Das kostet Geld, und auch solche
Initiativen müssen wir unterstützen. Das ist nämlich eine
sehr sinnvolle Initiative. Wenn diese jungen Menschen
im Gefängnis wären, dann müsste man mit Kosten von
30 000 Euro pro Jahr rechnen. Das bedeutet im Zeitraum
einer dreijährigen Ausbildung Kosten von rund 100 000
Euro. Wenn man sich vor Augen hält, dass diese Initiativen eine nur geringe Unterstützung erfordern, dann müssen wir in die Lage versetzt werden, diese Unterstützung
zu geben.
Es gibt also noch einiges zu tun, insbesondere was Individualisierung und Differenzierung betrifft. Das sind
die Beispiele dafür, was ich meine, wenn ich sage, dass
das Bessere der Feind des Guten ist. Insofern wird uns
Integration weiter beschäftigen, und wir von der SPD
werden an diesem Thema mit besonderem Interesse weiterarbeiten.
({6})
Ich sage noch ein letztes Stichwort. Wir haben hier
mehrfach über Zuwanderung und die Möglichkeit, die
Zuwanderung zu steuern, geredet. Ich habe mit großer
Freude gesehen, dass die Bundesregierung in Meseberg
beschlossen hat, ein Konzept für eine Zuwanderung zu
entwickeln,
({7})
das - so heißt es -:
den Interessen unseres Landes auch in der nächsten
Dekade Rechnung trägt. Bei der Erarbeitung des
Konzeptes sollen quantitative und qualitative Instrumente geprüft und die Erfahrungen anderer
Länder bei der arbeitsmarktbezogenen Steuerung
von Zuwanderung einbezogen werden.
({8})
Da rufe ich meinen Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU zu: Bitte lassen Sie einmal weg, dass offenbar das Wort „Punkteregelung“ inzwischen ein Unwort
geworden ist bzw. dass Sie damit etwas verbinden, was
Ihnen nicht ins Konzept passt. Wir können das auch anders nennen; wir können das beispielsweise Auswahlverfahren nennen. Es ist aber von allen Experten einhellig gesagt worden, dass wir zwischen 2010 und 2020
einen Bedarf an 3 Millionen qualifizierter Facharbeiter
haben werden. Diesen können wir nicht decken,
({9})
indem wir diese Menschen allein auf dem Binnenarbeitsmarkt aus- und fortbilden.
({10})
Das wird nicht reichen. Es ist entscheidend, dass wir
nach dem Prinzip „Sowohl-als-auch“ vorgehen und nicht
ein Entweder-oder postulieren.
({11})
Das heißt, wir werden gut daran tun, auch Menschen mit
Qualifikationen zu uns zu holen. Daneben sollten wir
nicht vernachlässigen, alle, die es verdienen und können,
hier in Deutschland weiterzubilden.
Herr Kollege Bürsch, bitte!
Auch hier richte ich den Appell an die Union: Denken
Sie mit uns über die Einrichtung eines Auswahlverfahrens nach.
({0})
Das wird Deutschland zugutekommen.
({1})
Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat die Kollegin Dagmar Freitag von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem eben etwas unerwartet der Werbeblock der
FDP zum Sporthaushalt über uns hereingebrochen ist,
möchte ich gern wieder zu unserem eigentlichen Thema
zurückkommen, nämlich zu einem deutlich aufgestockten Haushalt für den Sport.
Vorab möchte ich sagen: Für die konstruktiven Beratungen gilt mein Dank den Sportpolitikern der Koalition
sowie den Herren Ministern Schäuble und Steinbrück.
Insbesondere gilt er aber den beiden zuständigen Berichterstattern der Koalition, dem Kollegen Norbert
Barthle und meiner Fraktionskollegin Bettina Hagedorn.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist heute bereits
erwähnt worden: Erstmalig wird der Bund die Stiftung
Deutsche Sporthilfe mit einer Summe von 1 Million
Euro unterstützen.
({1})
Dies tun wir aus der festen Überzeugung heraus, dass
diese Summe gut angelegtes Geld ist, das den Sportlerinnen und Sportlern unmittelbar zugutekommt. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe verdient und benötigt unsere
Unterstützung; Koalition und Regierung stehen dazu.
({2})
Wir stärken einmal mehr die Nationale Anti-DopingAgentur. Die Betonung liegt an dieser Stelle auf dem
Wort „wir“. Es ist der Bund, der einmal mehr seiner Verantwortung gerecht wird und den berechtigten Forderungen an die Arbeit der NADA Taten folgen lässt. Es sind
darüber hinaus die Mitglieder des Sportausschusses, die
sich in Gesprächen mit der Wirtschaft um zusätzliche
Gelder bemühen.
({3})
Der Deutsche Olympische Sportbund, kurz DOSB,
hatte die Bundesländer im Laufe des Jahres aufgefordert,
sich ebenfalls an der Finanzierung der NADA zu beteiligen. Soweit mir bekannt ist, haben sich die Sportminister
der Länder bislang nicht auf eine Zusage verständigen
können. Das ist möglicherweise auch kein Wunder, da
der Deutsche Olympische Sportbund im selben Atemzug
seine eigene Finanzierung für 2008 flugs wieder halbiert
hat. Das ist vielleicht ein schlechtes Signal, wenn man
von anderen Geld eintreiben will.
Es stellt sich also wirklich die Frage: Sind immer nur
die anderen für die Finanzierung des Anti-DopingKampfes zuständig?
({4})
Unsere Antwort ist eindeutig. Sie heißt Nein. Statt sich
dieser Aufgabe endlich in aller Konsequenz zu stellen,
lamentieren Spitzensportfunktionäre öffentlich über die
Kosten für den Kampf gegen Doping. Nationales
Schiedsgericht? Zu teuer. Nationaler Testpool? Zu teuer.
Mehr und intelligente statt der bisherigen Zufallskontrollen? Zu teuer.
Da wird von Spitzensportfunktionären allen Ernstes
als Gegenargument die Frage in den Raum gestellt: Wie
sage ich es meinen Breitensportlern? Das kann doch
wohl nicht wahr sein! Haben solche Funktionäre immer
noch nicht verstanden, dass jeder neue Dopingfall das
Image und damit auch die Basis des Sports insgesamt
zerstört
({5})
und dass Spitzen- und Breitensport letztlich in einem
Boot sitzen? Ein von Dopingskandalen durchsetzter
Sport wird in letzter Konsequenz dazu führen, dass sich
die Menschen vom Sport abwenden und dass es sich Eltern dreimal überlegen werden, ob sie ihre Kinder noch
in die Sportvereine schicken können.
({6})
Dass ein halbherziger Kampf gegen Doping den Sport in
seinen Grundfesten gefährdet und erschüttert, das kann
man den Breitensportlern in den Verbänden sehr wohl
erklären. Man muss es nur wollen.
({7})
Erste Sponsoren ziehen die Reißleine. Ausbleibende
Zahlungen, aber auch harte Strafen für überführte Doper
und ihr Umfeld sind eine klare Ansage: Das ist eine
Sprache, die die Leute aus der Szene verstehen. Frankreich wird nach meinen Informationen sein Antidopinggesetz überarbeiten. Wir werden die dortige Entwicklung mit größtem Interesse beobachten.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der von uns entwickelte Sporthaushalt bietet dem Sport beste Voraussetzungen für eine gezielte Vorbereitung der Athletinnen
und Athleten auf die Großereignisse der kommenden
Jahre. An die Bundeszuweisungen knüpfen wir allerdings eine klare Bedingung: staatliches Geld nur für einen sauberen, glaubwürdigen Sport.
({9})
Das Bundesinnenministerium ist gefordert, die Einhaltung dieser Bedingung konsequent zu kontrollieren und
die Gelder bei Verstoß ohne Wenn und Aber zurückzufordern. Ansonsten gilt: Sponsoren können sich zurückziehen. Das sollten sich alle vor Augen führen, die die
Spitzensportförderung durch den Bund für eine schlichte
Selbstverständlichkeit halten.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der
Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsan-
träge vor, über die wir zuerst abstimmen.
Wer für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/7320 stimmt, den bitte ich um das
Handzeichen! - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei
Zustimmung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen.1)
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/7321? - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustim-
mung der Fraktion Die Linke abgelehnt mit den Stim-
men aller übrigen Fraktionen.2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist ange-
nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte V a und b sowie
die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:
V a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Anpassung statistischer Rechtsvorschriften
- Drucksache 16/7248 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
1) Anlage 2
2) Anlage 3
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick
Döring, Horst Friedrich ({1}), Joachim
Günther ({2}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Rollende Supermärkte von fahrpersonalrechtlichen Vorschriften ausnehmen
- Drucksache 16/6639 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Nanotechnologie für die Gesellschaft nutzen Risiken vermeiden
- Drucksache 16/7276 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje
Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Hochwertige Computerspiele fördern und bewahren
- Drucksache 16/7282 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten VI a
bis j. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt VI a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6})
Sammelübersicht 307 zu Petitionen
- Drucksache 16/7123 Wer stimmt dafür? - Die Linke auch? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 307 ist
einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VI b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7})
Sammelübersicht 308 zu Petitionen
- Drucksache 16/7124 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 308 ist angenommen mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Tagesordnungspunkt VI c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8})
Sammelübersicht 309 zu Petitionen
- Drucksache 16/7125 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 309 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen.
Tagesordnungspunkt VI d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9})
Sammelübersicht 310 zu Petitionen
- Drucksache 16/7126 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 310 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt VI e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10})
Sammelübersicht 311 zu Petitionen
- Drucksache 16/7127 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 311 ist gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller
übrigen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt VI f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11})
Sammelübersicht 312 zu Petitionen
- Drucksache 16/7128 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 312 ist gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Tagesordnungspunkt VI g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12})
Sammelübersicht 313 zu Petitionen
- Drucksache 16/7129 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 313 ist gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen
angenommen.
Tagesordnungspunkt VI h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13})
Sammelübersicht 314 zu Petitionen
- Drucksache 16/7130 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 314 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt VI i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14})
Sammelübersicht 315 zu Petitionen
- Drucksache 16/7131 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 315 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt VI j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15})
Sammelübersicht 316 zu Petitionen
- Drucksache 16/7132 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 316 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.15 auf:
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 16/6423, 16/6424 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Petra Hinz ({16})
Michael Leutert
Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der
FDP sowie Änderungsanträge der Fraktion Die Linke
vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor,
über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es
dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion das
Wort.
({17})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Etat
des Bundesumweltministeriums spiegelt die mediale Bedeutung der Klimapolitik wider. Werden die Pläne des
Umweltministers Realität, verdoppelt sich sein Etat im
Programmteil gegenüber 2007 auf rund 1,2 Milliarden
Euro. Damit unterstreicht der Bundesumweltminister
seine Ambitionen, oberster Klimaschützer der Nation zu
werden - ein Anspruch, der aus Sicht der FDP zurzeit allerdings nur als virtuell bezeichnet werden kann.
Lieber Herr Gabriel, Ihr Haushalt ist nach wie vor
eine Blackbox. Sie arbeiten mit viel Geld, das Sie noch
nicht haben, und mit Programmen, deren Details Sie sicherlich noch entwerfen müssen.
({0})
Die Haushälter der Großen Koalition haben zu Recht
ziemlich kühl auf die Vorlage dieses Programms reagiert
und erst einmal 75 Prozent der 400 Millionen Euro, die
Sie 2008 aus der Versteigerung von CO2-Zertifikaten
einsetzen wollen, qualifiziert gesperrt. Damit werden
Sie, was Ihnen sicherlich als sehr ungewöhnlich vorkommt, Herr Gabriel, doch an recht kurzer Leine geführt, und das ist gut so.
({1})
Dies wird den Kollegen der Koalition und uns Haushältern insgesamt die Möglichkeit geben, vor der Freigabe
der Gelder einen kritischen Blick auf die Klimainitiative zu werfen.
Weder die Unterstützung von Offshore-Windparks
noch die Schulung von Handwerkern und Architekten
im Hinblick auf energieeffizientes Bauen noch der Versuch, den Föderalismus zugunsten der Unterstützung
von Kommunen zu umgehen und dort klimaschützend
Bundesgeld anzulegen, macht einen sehr durchdachten
Eindruck. Ich frage mich, warum Milliardenbeträge verdienende Energieunternehmen bei ihren ureigenen Aufgaben mithilfe von Herrn Gabriel auch noch finanziell
vom Staat unterstützt werden müssen.
({2})
Hier haben die Haushälter der Koalition - das muss ich
ihnen ins Stammbuch schreiben - dem Herrn Minister
deutlich den Wind aus den Segeln genommen.
({3})
Die FDP hält dies für vernünftig, aber leider nicht für
ausreichend.
({4})
Wir hätten gerne gesehen, wenn Sie als Haushälter ein
deutlicheres Stoppsignal gesetzt hätten und die zu erwartenden Erlöse dorthin leiten würden, wohin sie gehören,
nämlich in den allgemeinen Haushalt statt in Programme, die mit heißer Nadel gestrickt wurden. Im allgemeinen Haushalt können sie unserer Meinung nach
am besten eingesetzt werden, nämlich zur Absenkung
der Stromsteuer, um die Bürger in diesem Lande zu entlasten, die derzeit weiß Gott genug Lasten zu tragen haben.
({5})
Die Stromsteuer macht immerhin 12 Prozent des
Strompreises aus. Sie bringt jährlich rund 6,5 Milliarden
Euro ein. Hier hätten Sie wirken können und durch den
Einsatz der Zertifikatserlöse eine notwendige Entlastung
für die Bürger erreichen können, die seit Wochen und
Monaten unter hohen Strompreisen ächzen.
Im Übrigen teilen wir absolut die Meinung von Frau
Merkel, die gestern festgestellt hat, dass der Strom nicht
zu billig sei. Aber dann erwarte ich von der Kanzlerin,
dass sie sich entsprechend einsetzt. Wir erwarten übrigens auch von der CDU/CSU-Fraktion, an dieser Stelle
etwas Kante zu zeigen; denn es gibt unter Ihnen eine
ganze Reihe von Finanzpolitikern, die genau das wollten, was wir jetzt vorgeschlagen haben.
({6})
An dieser Stelle haben Sie den ordnungspolitischen Weg
eindeutig verlassen und sich offensichtlich von Ihrem roten Koalitionspartner einfangen lassen.
Wir bezweifeln definitiv, dass Sie mit dieser Initiative
Ihr Ziel erreichen werden, Herr Minister. Das Interessante ist, dass nicht nur wir das bezweifeln. Im Spiegel,
den auch Sie wahrscheinlich lesen, hat Greenpeace
kürzlich deutlich gemacht, dass die Gesamtergebnisse
der 29 Maßnahmen der Klimaschutzinitiative absolut
geschönt sind. Statt der Reduzierung der CO2-Emissionen um 270 Millionen Tonnen könnten bis 2020 nur
160 Millionen Tonnen eingespart werden. Ich zitiere:
So seien insbesondere bei der Kraft-Wärme-Kopplung und den Stromsparmaßnahmen in der Industrie
„deutlich zu hohe“ oder „optimistische“ Werte angesetzt worden, die selbst von internen Berechnungen des Umweltbundesamtes abweichen.
({7})
Das hört sich nicht gut an, Herr Gabriel. Darüber werden
die Haushälter in den nächsten Monaten sicherlich noch
ihr Urteil zu fällen haben.
Unterm Strich passt die Haushaltsblackbox zu der uns
schon lange bekannten Gabriel’schen Quadratur des
Kreises: Ausstieg aus der Kernkraft, extreme Skepsis gegenüber neuen, technisch besseren Kohlekraftwerken
mit CO2-Abscheideverfahren und höheren Wirkungsgraden, kein Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, keine
Fusionsforschung. Das alles wollen Sie nicht, aber Sie
erhöhen damit kontinuierlich die Abhängigkeit vom
Ausland.
({8})
Unser Weg zu mehr Klimaschutz ist ein anderer. Wir
brauchen international eine technische Revolution in
China und in den afrikanischen Ländern, die bisher zu
stark auf fossile Energien setzen, und wir brauchen dort
einen massiven Einstieg in die erneuerbaren Energien.
({9})
Wir wollen mehr Markt im Emissionshandel, national
durch die Einbeziehung beispielsweise des Verkehrs und
international durch die Instrumente des Kioto-Protokolls. Wir wollen mehr CDM-Projekte, um Treibhausgase da zu verringern, wo dies zu den geringsten Kosten
möglich ist.
({10})
Ihr Weg, Herr Gabriel, ist der nationale Weg der Verteuerung und der Abhängigkeit. Unser Weg ist der internationale Weg des Marktes und des Wettbewerbs.
({11})
Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege
Andreas Weigel.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Frau Flach, die Haushälter
der Koalition haben nicht kühl auf die Vorschläge des
Ministeriums reagiert; vielmehr haben wir mit Herzblut
dafür gekämpft. Das Verhältnis zum Minister ist warmherzig. Das will ich an dieser Stelle klar und deutlich
zum Ausdruck bringen.
({0})
Was der Haushalt 2008 für das Ministerium und für
uns bedeutet, kann man durchaus mit dem Begriff „richtungweisend“ charakterisieren. Die Arbeit und die Aufgaben des Ministeriums werden sich weitaus aktiver in
Richtung Programmpolitik bewegen, als das bisher der
Fall war. Zusammen mit den zusätzlichen 400 Millionen
Euro aus dem Klimaschutzprogramm erhöht sich das
Volumen des Haushalts des Umweltministeriums um
fast 50 Prozent; das muss man an dieser Stelle deutlich
sagen.
({1})
Daraus ergeben sich ganz neue Handlungsoptionen
für unsere Klimaschutzinitiative, eine Initiative, die ihren Ansprüchen nur dann gerecht werden kann, wenn sie
aus einer Hand koordiniert wird, wenn sie in ständigem
Austausch mit der Klimaforschung steht, wenn sie nach
innen und außen politisch von einer starken Stimme getragen wird und wenn sie konzeptionell an einem Ort
verankert wird. Dieser Ort kann nur das Umweltministerium sein.
Wenn, wie es beim Klimaschutzprogramm der Fall
ist, zusätzlich Geld in den Bundeshaushalt fließt, gibt es
natürlich den einen oder anderen Minister, der darauf
Anspruch erheben möchte.
({2})
Dennoch hat das Bundeskabinett eine richtige Entscheidung getroffen. Es hat entschieden, dass ein Großteil der
Erlöse aus dem Zertifikatehandel dem Umwelthaushalt
zuzuschreiben ist.
({3})
Diese Entscheidung ist zwar von dem einen oder anderen Ministerium hinterfragt worden;
({4})
doch dank der Standfestigkeit unseres Umweltministers
und einer überzeugenden Konzeption für das Klimaprogramm durch sein Haus haben wir jetzt Planungssicherheit für das Haushaltsjahr 2008 und darüber hinaus.
({5})
Mit dem vorliegenden Haushalt wird das Umweltministerium zum handelnden Akteur mit einem deutlich
gestärkten programmatischen Anteil. Die Fäden des Klimaschutzprogramms werden hier zusammenlaufen. Das
ist deshalb so wichtig und richtig, weil im Umweltministerium mit seinen untergeordneten Behörden die Expertise für eine effektive Klimapolitik vorhanden ist. Bei einer Aufteilung der Erlöse auf verschiedene Ressorts
würden die Wirksamkeit und die Abstimmung der verschiedenen Programme für den Klimaschutz verloren
gehen. Natürlich ist es verständlich und nachvollziehbar,
dass jeder Minister für seinen Bereich am Topf des Klimaschutzprogramms teilhaben will; aber wir brauchen
ein Klimaschutzprogramm aus einer Hand mit einem koordinierten Konzept und keine Gießkannenpolitik.
({6})
Durch das Klimaschutzprogramm steigt das Volumen
des Programmhaushalts des BMU im Vergleich zu 2005
von 415 Millionen Euro auf jetzt 857 Millionen Euro.
Das ist mehr als eine Verdoppelung.
({7})
Nun muss das Umweltministerium für die neuen Aufgaben passgenau aufgestellt werden. Die Grundlage dafür
bildet der Haushalt 2008.
Ein Beispiel ist unter anderem die Personalsituation.
Im Einzelplan 16 gibt es prozentual den höchsten Personalaufwuchs im gesamten Bundeshaushalt, und zwar ein
Stellensaldo von 90 Stellen. Damit wird die Arbeitsfähigkeit des Ministeriums auch für die neuen Anforderungen gewährleistet.
Wir haben im Personalhaushalt ebenfalls strukturelle
Änderungen vollzogen. Das BMU hat in den letzten Jahren Lücken in der Personalkapazität mit Zeitverträgen
und kurzfristigen Maßnahmen gefüllt. Das geht zulasten
der Beschäftigten und mindert die Arbeitseffizienz. Es
war und ist uns ein ursozialdemokratisches Anliegen,
dass diese Praxis ein Ende findet.
Es entstehen aber auch Personalstellen in anderen
Projekten. Ich erinnere beispielsweise an den Koalitionsvertrag, wonach das Umweltrecht vereinfacht und ein
Umweltgesetzbuch geschaffen werden soll. Allein für
diesen Bereich wird es im Haushalt 2008 drei neue Stellen geben. Das Umweltgesetzbuch wird kommen.
({8})
Ich möchte noch einmal zum Klimaschutzprogramm
zurückkommen. Das Umweltministerium wird 400 Millionen Euro aus dem Verkauf der Emissionszertifikate
erhalten und davon 280 Millionen Euro in nationale Klimaschutzinitiativen und 120 Millionen Euro in internationale Klimaschutzinitiativen investieren. National wird es
unter anderem eine Aufstockung der Mittel und neue
Fördertatbestände für das Marktanreizprogramm geben. Innovative Technologien im Bereich Wärme sollen
vorangebracht werden. Bis zu 349 Millionen Euro stehen hierfür zur Verfügung.
Darüber hinaus werden wir in Zukunftstechnologien,
insbesondere in eine nachhaltige Energieversorgung, investieren: in netzgekoppelte Windkraft, in Geothermie,
in Projekte wie das Turmkraftwerk für Solarenergie in
Spanien - das sei hier auch erwähnt -; Deponiegas und
Biogas leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag. Das
Biomasse-Forschungszentrum in Leipzig wird seine Arbeit aufnehmen, was mich als sächsischen Abgeordneten
natürlich ganz besonders freut.
Ich will noch auf die Haushaltssperre eingehen. Aus
unserer Sicht ist es gut und richtig, dass die Haushaltssperre verhängt wird.
({9})
Es gibt gute Gründe dafür, Frau Flach.
({10})
Ein Grund ist zum Beispiel, dass die Einnahmen aus
dem Verkauf der CO2-Zertifikate erst im kommenden
Jahr realisiert werden.
({11})
Das bedeutet, dass wir im kommenden Jahr die Mittel
Zug um Zug freigeben, so wie die Erlöse kommen. Was
wir derzeit darüber wissen, stimmt uns außerordentlich
positiv; denn der Handel mit CO2-Zertifikaten wird offensichtlich noch mehr Geld einbringen, als das bisher
der Fall ist. Es ist verantwortungsvolle Politik, an dieser
Stelle eine Sperre zu verhängen. Im Übrigen werden die
Mittel nicht komplett gesperrt. 25 Prozent der Mittel geben wir frei, damit das Ministerium mit seiner Arbeit sofort beginnen kann.
({12})
Darüber hinaus fordern wir das Ministerium auf, Förderrichtlinien zu erarbeiten, die mit dem Haushaltsausschuss und mit den Fachausschüssen abgestimmt werden
sollen. Das ist übrigens ein Beitrag zur Transparenz. Ihre
Vorstellung vom Ministerium als einer Blackbox trifft
nicht zu. Wir wollen die parlamentarische Beteiligung an
diesem Programm. Wir werden das Ministerium in seiner Arbeit unterstützen und überhaupt nicht blockieren.
({13})
Wir sind der Auffassung, dass mit dieser Klimaschutzinitiative im kommenden Jahr im Umweltministerium
eine gute Politik gemacht werden kann. Wir leisten Unterstützung und wünschen dem Minister und seinen Mitarbeitern alles Gute.
Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit mit den
Berichterstattern im Haushaltsausschuss und für die mit
dem Ministerium gut abgestimmte Arbeit.
({14})
Nächster Redner ist nun der Kollege Hans-Kurt Hill
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Klimaschutz nach Kassenlage“ und „Naturschutz fristet
ein Nischendasein“, so präsentiert sich der vorliegende
Haushalt für das Umweltministerium.
Ich sehe aber auch gute und wichtige Ansätze in diesem Haushalt, so im Bereich Klimaschutz: Die Mittel für
das Marktanreizprogramm zum Ausbau erneuerbarer
Energien sollen verdoppelt werden; das ist gut so. Das
hat die Linke bereits im vergangenen Jahr gefordert. Damals fanden Sie, Herr Minister, die Höhe unserer Forderungen noch populistisch. Schön, dass Sie jetzt unseren
Vorschlägen folgen, denn konsequenter Klimaschutz ist
gefordert.
({0})
Herr Kelber, wir wissen: Erstens. Die Anreize im Bereich der erneuerbaren Energien lösen zusätzliche Investitionen in der Wirtschaft aus. Zweitens. Sie schaffen Arbeitsplätze. Drittens. Sie senken die Kosten, die durch
Umweltschäden entstehen.
Wir brauchen aber mehr Mittel für Forschung und
Entwicklung der Zukunftsenergien. Hier ist eine deutliche Aufstockung ausgeblieben. Wir brauchen jedoch gerade in diesem Bereich zügig neue Erkenntnisse: zu den
weiteren Entwicklungen der Grundlastfähigkeit der erneuerbaren Energien und zu Speichertechnologien, um
nur zwei Beispiele zu nennen. Insgesamt fordert die
Linke deshalb eine Verdoppelung der Mittel für erneuerbare Energien auf 520 Millionen Euro; das ist finanzierbar. Leider trägt der BMU-Haushalt die Handschrift von
Finanzminister Steinbrück und nicht die des Umweltministers Gabriel. Das kennen wir schon aus anderen Bereichen. Ich erinnere hier an das leidige Thema Energiesteuergesetz.
Die Bundesregierung - und das ist gut - hat sich im
Emissionshandel dazu durchgerungen, 9 Prozent der
CO2-Zertifikate zu versteigern, anstatt sie, wie bisher, zu
verschenken. Natürlich - ich verstehe das - möchte der
Bundesfinanzminister mit den Einnahmen den Haushalt
sanieren. Aber, Herr Finanzminister, das ist Diebstahl.
Das Geld gehört in den Klimaschutz und sonst nirgendwohin.
({1})
Nicht einmal die Hälfte der Einnahmen von mindestens 880 Millionen Euro findet sich im BMU-Haushalt
wieder, und da sind sie, wie eben angesprochen, weitgehend gesperrt, weil die Herren Haushälter noch kein Vertrauen in den Handel mit den Verschmutzungsrechten
haben. Aber da hoffen wir einmal das Beste.
({2})
Die Energiekonzerne tun das jedenfalls. Erneute Manipulation mit Zertifikatspreisen - wie bei den Strompreisen - durch RWE und Co. ist nicht unbedingt ausgeschlossen.
Die Konzerne machen auf jeden Fall mächtig Kasse
mit dem Emissionshandel, natürlich zulasten der Stromkunden. Noch immer werden über 90 Prozent der CO2Scheine an die Strombosse verschenkt. Diese preisen sie
dann wieder zu einem hohen Marktwert in die Stromrechnung ein. Bei dem Wert der versteigerten Zertifikate
- man kann mit immerhin 880 Millionen Euro rechnen darf man eines nicht vergessen: Die Energieriesen werden durch die Einpreisung zwischen 7 und 10 Milliarden
Euro an geschenkten Gewinnen einstreichen. Kein Wunder, dass sich klimaschädliche Kohlekraftwerke noch
immer lohnen.
({3})
Aber, Herr Nüßlein, die kleine Gemeinde Ensdorf hat
beispielhaft gezeigt, dass die Menschen den Klimaschutz ernst nehmen und dass man Konzernen wie RWE
und Co. einen Riegel vorschieben kann.
({4})
Da, wo die Politik versagt, muss man eben selber ran. So
war die Meinung dort, und man war entsprechend erfolgreich.
Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, endlich
in die klimaschädliche Kraftwerksplanung des Energiekartells einzugreifen. Herr Minister Gabriel, vielleicht
sagen Sie dem Parlament heute einmal, wo die geplanten Kraftwerke - Sie sprechen immer von 9, auf anderen Listen sind es 25, auf manchen sogar 40 - und vom
wem sie gebaut werden sollen.
Eine weitere Forderung: Besteuern Sie endlich die
ungerechtfertigten Gewinne aus dem Emissionshandel.
Ich sehe sie als unfair an. Damit wäre dann auf jeden
Fall eine konsequente Förderung erneuerbarer Energien
zu machen. Ich weiß, Sie werden behaupten, das gehe
nicht, da die Steuer zu weiteren Preiserhöhungen führen
würde. Ich sage Ihnen: Wenn Ihre Kartellrechtsnovelle
so gut ist, wie es behauptet wird, dann dürfte das Abschöpfen dieser Profite kein Problem sein. Das Geld gehört nämlich den Stromkunden, und da muss es auch
hinfließen.
({5})
Noch ein Wort zum Naturschutz im Umwelthaushalt. Wir begrüßen die Ausrichtung der UN-Konferenz
für Artenvielfalt im kommenden Jahr. Dass dafür aber
die Mittel für den Naturschutz vor der eigenen Haustür
zusammengestrichen werden, ist meines Erachtens nicht
hinnehmbar. Ohnehin steht der Naturschutz unter der jetzigen BMU-Führung ein wenig im Schatten. Es ist klar:
Mit diesem Thema kann man sich nicht so gut profilieren wie mit anderen Themen. Aber man sollte wenigstens die Mittel für die ehrenamtlichen Naturschützer in
den Umweltverbänden anständig aufstocken. Deren Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt in Deutschland kann
gar nicht hoch genug bemessen werden.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Bernhard SchulteDrüggelte für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den Beratungen über den Einzelplan 16 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit haben wir uns auf die Klimaschutzinitiative
konzentriert. Es wurde gesagt, dass der Bundeshaushalt
2008 vorsieht, dass bis zu 400 Millionen Euro der Erlöse
aus der Veräußerung von Emissionsrechten in nationale
und - was ich auch richtig finde - internationale Projekte
investiert werden. Dieser Haushalt, der normalerweise
nur eine geringe Steigerung zu verzeichnen hat, erhöht
sich dadurch - Herr Weigel hat es gerade gesagt - um
fast 50 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro. Ich finde, das ist
ein deutliches Zeichen. Es zeigt, dass uns Klimaschutz
wichtig ist und dass wir den Worten auch Taten folgen
lassen.
({0})
In den zurückliegenden Wochen haben wir darüber
ausführliche Gespräche geführt, um die Blackbox ein
wenig aufzuhellen. Ich darf Herrn Minister Gabriel und
seinen Mitarbeitern danken, die, wie immer, aufgeschlossene und kompetente Gesprächspartner waren. An
dieser Stelle sage ich: Herzlichen Dank dafür.
Ich möchte das neue Instrument Klimaschutzinitiative ansprechen. Wir haben uns vorgenommen, im Haushaltsausschuss genauso intensiv wie im Fachausschuss
darüber zu beraten und die Entwicklung zu begleiten.
({1})
Da uns bewusst ist, dass die Zeitspanne zwischen den
Meseberger Beschlüssen und der Verabschiedung dieses
Haushaltes sehr kurz war, Frau Flach, wollen wir dem
Bundesministerium Zeit geben, mit großer Sorgfalt Konzepte zu erarbeiten.
({2})
- Natürlich. - Ich will deutlich sagen: Wir wollen keine
schnelle Antwort, wir wollen die richtige Antwort.
({3})
Deshalb hat der Haushaltsausschuss einige Titel gesperrt; auch um das parlamentarische Budgetrecht zu
wahren. Darauf sollten wir Wert legen.
Die Grünen haben einen Entschließungsantrag formuliert, in dem etwas von „heißer Luft“ steht. Ich möchte
deutlich sagen, dass dieses Konzept die solide Basis für
eine konkrete und nachhaltige Klimapolitik ist.
({4})
Ich bin zuversichtlich, dass der Umweltminister Anfang
des nächsten Jahres die richtige Antwort gibt und darüber im Fachausschuss, also im Umweltausschuss, und
im Haushaltsausschuss entsprechend diskutiert wird.
Alle Programme, die wir vorlegen, sollen verlässlich
und in den nächsten Jahren nachhaltig sein. Aus diesem
Grunde wurden die entsprechenden Titel mit Verpflichtungsermächtigungen versehen.
({5})
Ein Beispiel für die Verlässlichkeit ist die Verstärkung
und Verstetigung des Marktanreizprogrammes. 350 Mil13684
lionen Euro sind für die nächsten Jahre vorgesehen. Das
sind 137 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.
({6})
Herr Hill, ich will niemanden kritisieren, aber das ist auf
jeden Fall keine Verdoppelung. Ich würde sagen, das ist
knapp unter 40 Prozent. Das nur als Hinweis.
({7})
Mit dem Rechnen ist es sowieso nicht so einfach.
Die Union steht für den Dreiklang aus Sanieren, Investieren und Reformieren. Wir haben bei der Beratung
der anderen Einzelpläne deutlich gesehen, welche Erfolge daraus hervorgegangen sind. Ein Erfolg ist, dass
der Bund für die Klimapolitik insgesamt 2,6 Milliarden
Euro ausgibt. Das ist eine beachtliche Leistung.
({8})
Das sind - um es deutlich zu sagen - 1,8 Milliarden Euro
mehr als im Haushalt 2005. Das ist eine Steigerung um
200 Prozent. Vielleicht hören die Grünen das nicht so
gerne, aber die Leistung der Großen Koalition in diesem
Bereich war außerordentlich.
({9})
Wir werden mehr einsparen als investieren. Das Geld ist
gut angelegt.
({10})
Dieser Einzelplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist ein gutes
Signal für die Konferenz in Bali in der nächsten Woche.
Die Koalitionsfraktionen haben zu dieser UNO-Konferenz einen Antrag vorgelegt. Wir stellen uns hinter die
Forderungen der Bundeskanzlerin: Wir müssen uns
mehr anstrengen; wir müssen mehr CO2-Emissionen einsparen; Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen, damit andere Staaten folgen können.
({11})
Es ist völlig klar, dass der Klimaschutz eine globale
Herausforderung ist. Nationale Anstrengungen allein
reichen nicht. Deshalb ist es richtig, dass im Rahmen der
Klimaschutzinitiative 120 Millionen Euro für internationale Projekte vorgesehen sind.
Es ist aber auch wichtig, die Menschen vor Ort zu
motivieren.
({12})
- Einen Moment! - Ich möchte ein Beispiel geben: In
der kleinen Gemeinde Möhnesee gibt es einen Kindergarten, in dem den Kindern spielerisch die Energiegewinnung gezeigt werden soll. Aus diesem Grunde wurde
eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach des Kindergartens
errichtet, die seit einigen Tagen Strom produziert. Der
Erlös aus dieser Stromproduktion - das zeigt den internationalen Ansatz - wird der Partnerdiözese Kasama im
afrikanischen Sambia gespendet. Wer die entwicklungspolitische Debatte in den letzten Tagen verfolgt hat, erkennt, wo Verantwortlichkeiten liegen. Ich finde, das ist
ein beeindruckendes und gutes Beispiel dafür, dass jeder
seinen Beitrag leisten kann.
({13})
Wir werden die anderen Bereiche des Umwelthaushaltes nicht vernachlässigen. Ich erwähne die atomare
Endlagerung, den Verlauf der Arbeiten am Schacht
Konrad und die Perspektiven für Gorleben. Ich habe in
der ersten Lesung auch das Endlager Morsleben angesprochen. Der Planfeststellungsbeschluss war einst für
2007 versprochen worden. Im vorliegenden Regierungsentwurf heißt es 2011. Jetzt wird er auf 2012 verschoben. Ich darf in diesem Fall im Besonderen, aber vielleicht auch im Allgemeinen die Frage stellen: Muss das
denn alles so lange dauern? - Hoffentlich nicht.
({14})
Ich darf mich zum Schluss bei allen Mitarbeitern und
Mitberichterstatten für die gute Zusammenarbeit bedanken. Mein besonderer Dank - wenn ich das sagen darf gilt dem neuen Berichterstatterkollegen von der SPD,
Andreas Weigel.
({15})
Herzlichen Dank.
({16})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Anna
Lührmann für die Fraktion Bündnis 90/Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Trotz vollmundiger Ankündigungen in Meseberg haben die Koalitionsfraktionen bei den Haushaltsberatungen keinen zusätzlichen Cent für Klimaschutz
bereitgestellt. Im Gegenteil: In der Bereinigungssitzung
- wir haben es gerade gehört - wurden 75 Prozent des
400-Millionen-Euro-Klimaschutzprogramms, ohne konkrete Bedingungen anzugeben, gesperrt. Dabei geht es
nicht, wie es eben Kollege Weigel formuliert hat, nur um
die Frage, ob die Einnahmen aus dem Emissionshandel
kommen. Das stimmt nicht. Denn Sie haben sowieso
schon festgelegt, dass die Ausgaben nur dann geleistet
werden dürfen, wenn die Einnahmen aus dem Emissionshandel kommen.
({0})
Sie haben das Geld jetzt gesperrt; das geht mit dem
haushaltsrechtlichen Instrument ganz einfach. Dadurch
wird es für Herrn Gabriel viel schwieriger, das Geld für
nachhaltige Projekte sinnvoll auszugeben,
({1})
weil er erst im Laufe des nächsten Jahres weiß, ob Sie so
gnädig sind, ihm die Gelder freizugeben. Vielleicht geben Sie die Gelder ja gar nicht frei, wenn sich Herr Glos
in der CDU/CSU wieder einmal durchsetzen kann.
({2})
Ernstgemeinter Klimaschutz sieht anders aus.
({3})
Außerdem wird die Koalition nur weniger als die
Hälfte der erwarteten Einnahmen aus dem Emissionshandel für Klimaschutz ausgeben. Sie haben die zusätzlichen möglichen Ausgaben für Klimaschutz auf 400 Millionen Euro begrenzt, obwohl das Umweltministerium
selber von Einnahmen in Höhe von 880 Millionen Euro
ausgeht. Herr Weigel, Sie haben gerade selber gesagt,
dass auch Sie von höheren Einnahmen ausgehen. Das
kann man ganz klar nachrechnen; Ihre Basis sind die
Preise, die momentan schon an der Börse gezahlt werden. Finanzielle Möglichkeiten für mehr Klimaschutz
lassen Sie also einfach verstreichen. Damit wird deutlich,
dass die Klimaschutzpolitik der Regierung aus viel heißer Luft besteht.
({4})
Herr Schulte-Drüggelte, Sie haben gerade damit angegeben, dass die Regierung 2,6 Milliarden Euro für Klimaschutz ausgibt.
({5})
Unter einer solchen Summe kann sich der Otto Normalverbraucher nicht besonders viel vorstellen. Ich setze Ihnen das einmal in eine Relation. 2,6 Milliarden Euro entsprechen ungefähr der Summe, die in Deutschland für
die Subventionierung der Steinkohle ausgegeben wird.
Ernstgemeinter Klimaschutz sieht anders aus.
({6})
Wir haben Ihnen in den Haushaltsberatungen ganz
konkret gezeigt, wie substanzieller Klimaschutz aussehen kann. Wir haben einen Klimaschutzhaushalt mit zusätzlich 2,9 Milliarden Euro aufgestellt. Damit verdoppeln wir die Ausgaben für Klimaschutz.
({7})
Alles ist solide gegenfinanziert, und zwar durch Kürzungen bei umweltschädlichen Subventionen von allein
im nächsten Jahr 5,3 Milliarden Euro. Die Koalition hingegen gibt nicht nur zu wenig Geld für Klimaschutz aus,
sondern sie gibt sogar noch Geld für Klimaverschmutzung aus.
({8})
Denn an die ökologisch schädlichen Subventionen wagt
sich die Regierung nicht heran. Wir haben im Haushaltsausschuss ganz konkrete Anträge für den Abbau umweltschädlicher Subventionen gestellt. Sie wurden alle
abgelehnt.
({9})
Drei Beispiele:
Erstens. Wir wollen die Ausnahmen bei der Ökosteuer abschaffen. Die Koalition verheizt weiterhin
knapp 5 Milliarden Euro.
Zweitens. Wir wollen, dass die steigenden Weltmarktpreise für Steinkohle dem Klimaschutz zugutekommen.
Die Koalition schenkt Werner Müller 711 Millionen Euro.
({10})
Drittens. Wir wollen die Luftfahrtindustrie genauso
behandeln wie alle anderen Verkehrsträger. Die Koalition subventioniert den Klimakiller Flugzeug mit knapp
900 Millionen Euro im Jahr. Von wegen, es sei kein Geld
für mehr Klimaschutz da! Ihnen fehlt nur der Mut, wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz durchzuführen.
({11})
Wir wollen die dadurch eingesparten Gelder zum
größten Teil für Investitionen in den Klimaschutz ausgeben. So sollen unter anderem ein 1-Millarde-EuroStromsparfonds, eine Klimaforschungsinitiative, klimafreundliche Mobilität sowie mehr internationale Zusammenarbeit beim Klimaschutz finanziert werden; all diese
konkreten Maßnahmen können Sie in unserem heute
vorliegenden Antrag nachlesen. Die Klimaschutzausgaben der Regierung könnten wir so mehr als verdoppeln.
Mit diesem Maßnahmenpaket könnte man ab 2011 jährlich mindestens 34 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
({12})
Das wäre ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur
Erfüllung der Kioto-Verpflichtungen. Mit Ihren zögerlichen Maßnahmen werden Sie die international vereinbarten Ziele jedoch nicht erreichen;
({13})
das hat Ihnen Greenpeace gerade erst bestätigt.
({14})
Herr Gabriel, Sie beschwören ja immer, Deutschland
sei beim Klimaschutz Vorreiter. Das mag heute noch
stimmen. Mit Ihrer Zaghaftigkeit tun Sie gerade aber al13686
les dafür, dass Deutschland diese Spitzenstellung verliert.
({15})
Ihnen fehlt der Mut für substanziellen Klimaschutz. Andere Länder sind hier viel weiter, zum Beispiel Neuseeland. Die neuseeländische Premierministerin Helen
Clark hat angekündigt, dass Neuseeland das erste klimaneutrale Land der Welt wird. Bundeskanzlerin Merkel
hingegen zeigt lieber mit dem Finger auf andere, statt
selber die Ärmel hochzukrempeln.
({16})
Das hat Methode. Am Mittwoch dieser Woche erklärte Kanzlerin Merkel an diesem Pult - ich zitiere -:
Das Klimathema … entscheidet sich nicht an der
Frage, ob in Saarbrücken oder in Lubmin ein Kohlekraftwerk steht …, sondern daran, dass wir international … zu Reduktionen kommen …
({17})
Darauf möchte ich mit einem Zitat von Petra Kelly
antworten, die heute 60 Jahre alt geworden wäre:
Beginne dort, wo du bist, warte nicht auf bessere
Umstände. Sie kommen automatisch, in dem Moment, wo du beginnst.
Vielen Dank.
({18})
Nun hat der Kollege Marco Bülow für die SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Diese Debatte ist typisch. Sie begann damit, dass die
FDP sagte, wir würden im Umwelthaushalt viel zu viel
Geld einplanen,
({0})
und wir sollten dieses Geld lieber für andere Dinge ausgeben und die Mittel am besten gar nicht erhöhen. Die
Grünen hingegen kritisierten, eine 50-prozentige Erhöhung sei viel zu wenig. Es wurde aber mit keinem Wort
erwähnt, dass unser Haushaltsansatz gut ist.
Die Realität sieht so aus, dass wir einen Riesenschritt
getan haben, indem wir diesen Haushalt um 50 Prozent
aufgestockt haben, um mehr Geld für sinnvolle Maßnahmen ausgeben zu können. Natürlich kann man immer
noch mehr tun. Diesen richtigen und wichtigen Schritt,
den wir im Hinblick auf diesen Haushalt machen mussten, werden wir in den nächsten Jahren weitergehen.
({1})
Die Haushaltsdebatte ist traditionell die Debatte, in
der man auf grundsätzliche Punkte hinweisen kann, die
natürlich auch mit dem Haushalt zu tun haben. Dies
möchte ich tun. Anfangen möchte ich mit dem Thema
Biodiversität bzw., wie ich es lieber nenne, Lebensvielfalt. Ich möchte auf die nationale Strategie und auf die
Kampagne zu diesem Thema eingehen, die der Minister
vor ein paar Wochen, am 7. November dieses Jahres,
vorgestellt hat.
Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Schritt, der zeigt,
dass wir neben dem Klimaschutz auch andere bedeutende Schwerpunkte setzen. Der Minister hat deutlich
machen können, wie wichtig der Schutz der Artenvielfalt ist: einerseits um ihrer selbst willen - das steht an
vorderster Stelle -, andererseits aufgrund des Nutzens
für die Menschen.
An diesem Beispiel kann man lernen, wie man mit der
Natur und mit dem Thema Umwelt umgehen muss.
Wenn man schnellen Profit erzielen will, kann man die
Natur natürlich ausbeuten und langfristig zerstören; einige hätten davon sicherlich auch kurzfristig Vorteile.
Man kann aber auch einen Gewinn erzielen, indem man
die natürlichen Ressourcen sanft und kontinuierlich
nutzt; so erzielt man einen langfristigen Nutzen, von
dem viele Generationen etwas haben.
Der jährliche Marktwert der genetischen Ressourcen und der daraus entstehenden Produkte beträgt 500
bis 800 Milliarden Dollar; auch das hat der Minister
deutlich gemacht. Das beträgt er in Zukunft aber auch
nur, wenn wir diesen Bereich weiter stützen. Deswegen
gibt es von unserer Seite große Unterstützung für diese
Kampagne und für die nationale Strategie. Ich denke, es
wird eine sehr gute Weltkonferenz im nächsten Jahr werden.
({2})
Als zweiten Punkt möchte ich gerne auf das nationale Klimaschutzprogramm eingehen, mit dem unsere
nationale Klimaschutzstrategie in vielen Punkten umgesetzt werden wird. Wir können stolz darauf sein, damit
einen riesigen Schritt vorwärts zu machen, und wir werden unserem Ziel, 40 Prozent Emissionen einzusparen,
deutlich näher kommen.
Natürlich kann man immer noch weitergehende Vorstellungen vorbringen. Auch die SPD hat solche formuliert und wird sie auch in Zukunft immer wieder einbringen. Das wird immer wieder ein Thema sein. Wir dürfen
nicht nachlassen, noch mehr Klimaschutz zu fordern.
Aber ich glaube, dass wir mit diesem Programm auf dem
richtigen Weg sind.
Die Bereitstellung von 400 Millionen Euro vor allen
Dingen für Klimaschutzmaßnahmen ergänzt dieses ProMarco Bülow
gramm sehr gut. Insgesamt wird damit das Bestreben der
Koalition unterstützt, den Klimaschutz ernst zu nehmen
und auch ernst zu nehmende Maßnahmen einzuführen.
Dann kommt, wie immer, die FDP und behauptet, das
sei alles unausgewogen und unkonkret. Wenn wir in bestimmten Bereichen Anreize setzen, heißt es, es würde
Geld verschleudert. Führen wir auf der anderen Seite
ordnungspolitische Maßnahmen ein, heißt es, die Menschen würden gegängelt. Dazu muss man sagen: In den
letzten neun Jahren wurden zig Klimaschutzmaßnahmen
hier im Bundestag vorgestellt. Die FDP hat alle - jede
einzelne - abgelehnt. Deshalb möchte ich gerne wissen,
wie denn Ihre Vorstellungen zum Klimaschutz aussehen.
({3})
Eine Antwort kann ich vorwegnehmen: Bei den erneuerbaren Energien zum Beispiel werden Sie, wie immer, sagen, dass Sie nicht das Förderprogramm wollen,
das die Deutschen aufgelegt haben, sondern ein anderes
Programm, das in einigen Ländern ausprobiert wird. In
den Ländern, die das Programm eingeführt haben, welches Sie fordern, hat das dazu geführt, dass zum Beispiel
die Preise für Windenergie nicht zurückgegangen sind
und der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht so vonstatten gegangen ist, wie es in Deutschland der Fall gewesen ist. Unser EEG - unser Erneuerbare-Energien-Gesetz - hat mit dafür gesorgt, dass wir jetzt 15 Prozent des
Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen, dass wir
250 000 Arbeitsplätze geschaffen haben und dass wir
100 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Deswegen ist es
das richtige Programm, nicht aber Ihre Vorschläge, die
verpuffen und zu höheren Kosten führen.
({4})
Zum Schluss möchte ich auf die Weltklimakonferenz zu sprechen kommen, zu der wir noch einen Antrag
eingebracht haben. Es ist wichtig, mit einem abgestimmten Konzept nach Bali zu fahren. Über die Grundlage
brauche ich, glaube ich, nicht viel zu sagen. Es ist klar,
dass wir uns alle bemühen müssen, weltweit das ZweiGrad-Ziel zu erreichen, und dass wir die dafür erforderlichen Maßnahmen auf den Tisch legen müssen. Darüber
hinaus muss es das Ziel sein, die USA mit ins Boot zu
holen. Australien wird jetzt Gott sei Dank ins Boot kommen. Nach dem Wahlsieg der Labor Party wird auch
Australien das Kioto-Protokoll unterstützen. Wir müssen
aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer und
natürlich Länder wie China dazu bewegen, mitzumachen.
Deswegen unterstützen wir den von der Kanzlerin
aufgegriffenen, schon länger existierenden Vorschlag,
dass weltweit pro Kopf und Jahr nur noch 2 Tonnen CO2
verursacht werden dürfen. Dahin müssen wir kommen.
Das bedeutet auf der einen Seite natürlich einen Sinkflug
für die Industrieländer; teilweise ist eine Reduktion von
80 Prozent notwendig. Auf der anderen Seite bedeutet es
einen gebremsten Zuwachs und eine darauf folgende
Stagnation für die Länder, die vielleicht noch ein wenig
mehr verursachen können.
Das ist aber auch die einzige Möglichkeit, den Klimawandel insgesamt bewältigen und Klimaschutz verwirklichen zu können. Wer glaubt denn wirklich, dass China
oder andere Länder darauf verzichten werden, unseren
Weg nachzuahmen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir müssen deutlich machen, dass es gelingen kann,
auf der einen Seite Wohlstand zu sichern, auf der anderen Seite aber auf erneuerbare Energien und effiziente
Technologien umzusteigen und damit die CO2-Emissionen zu reduzieren.
Wenn es uns gelingt, das vorzumachen, werden andere Länder unserem Beispiel folgen. Dann werden wir
eine Chance haben, den Klimaschutz ernst zu nehmen
und weltweit zu gestalten.
Vielen Dank.
({5})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael
Kauch das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
finde es schön, dass sich der Kollege Bülow so intensiv
Gedanken über die Politik der FDP macht; denn das
zeigt, dass die SPD die FDP inzwischen auch im Umweltschutz als Wettbewerber in diesem Parlament erkannt hat.
({0})
Herr Bülow, ich kann Ihnen ganz klar sagen, worauf wir
setzen. Wir setzen nicht auf Subventionshuberei, wir
glauben nicht, dass mehr Geld automatisch besserer Umweltschutz ist, und wir glauben auch nicht daran, dass
die Gängelung der Bürger der richtige Weg ist. Wir brauchen vielmehr einen ordnungspolitischen Rahmen für einen marktwirtschaftlichen Klimaschutz. Wir müssen
Mengenziele vorgeben und es dem Markt überlassen,
wie er diese Ziele erreicht. Das ist liberale Umweltpolitik.
({1})
Klimaschutz wird letztendlich nur dann erfolgreich
sein, wenn nicht nur Deutschland Verpflichtungen eingeht, sondern wenn sich alle Länder auf dieser Welt - zumindest die großen Emittenten - auf eine gemeinsame
Strategie verpflichten. Angesichts unseres Anteils von
3 Prozent der Emissionen werden wir auch mit optimalem Klimaschutz das Klima nicht retten. Wir müssen die
USA, wir müssen China, wir müssen Indien mit ins Boot
holen. Und - das sollten wir nicht vergessen, auch wenn
das immer unter den Tisch fallen gelassen wird - wir
müssen auch an die Länder denken, in denen die großen
Wälder, die großen CO2-Speicher, stehen: Wir müssen
Brasilien, den Kongo und Indonesien auf den internationalen Konferenzen endlich als gleichwertige Partner annehmen, so auch jetzt auf Bali.
({2})
Wir brauchen auf Bali ein Ergebnis für Verhandlungen unter dem Dach der Klimarahmenkonvention. Wir
brauchen verpflichtende Ziele, damit wir die Erderwärmung auf 2 Grad begrenzen. Wir brauchen klare Ziele.
Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass die Koalition in ihrem Entschließungsantrag die Halbierung der
CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 vorsieht. Ich persönlich halte es für einen richtigen Schritt, dass wir uns für
das Jahr 2050 die 2 Tonnen CO2 pro Kopf und pro Jahr
vornehmen. Denn nur dann werden wir es schaffen, dass
die großen Schwellenländer bei den Bemühungen, das
Klima zu schützen, mitmachen.
({3})
In diesem Sinne ist der Entschließungsantrag, der mit
dem Haushalt zur Abstimmung steht, eine gute Grundlage, und wir finden den Inhalt mit Ausnahme des letzten Punktes ziemlich gut. Ich finde es deshalb bedauerlich, dass es der schwarz-roten Koalition nicht gelungen
ist, auf die Opposition zuzugehen, um für die Verhandlungslinie für Bali einen fraktionsübergreifenden Beschluss dieses Parlaments zu bekommen. Es geht hier
um unsere nationalen Interessen. Da finde ich es ausgesprochen schade, dass man nicht einmal den Versuch unternommen hat, einen einstimmigen Beschluss dieses
Parlaments zu bekommen.
({4})
Wir sind uns in den Grundlinien für die internationalen Verhandlungen einig. Aber wir sind ganz anderer
Meinung im Hinblick auf das, was diese Koalition mit
den Bürgern vorhat: den Klimaschutz durch das Verteilen von Staatsgeldern und durch die Gängelung der Bürger umzusetzen. Herr Gabriel legt das vor, und Herr
Glos schaut zu. Der Umweltminister wird demnächst die
Ökopolizei losschicken in jedes Haus, um nachzuschauen, ob die erneuerbare Wärme auch zum richtigen
Prozentsatz genutzt wird. Mit einem ErneuerbareWärme-Gesetz sollen die Hausbesitzer verpflichtet werden, hier etwas zu tun, koste es, was es wolle, das heißt,
unabhängig davon, ob das effizient ist. Effizienz ist für
diese Koalition ein Fremdwort.
({5})
Durch die Härtefallregelungen, die Herr Glos eingebaut
hat, wird die ökologische Wirkung aufgeweicht. Jede
Behörde wird mal so und mal so entscheiden, ob die
Maßnahmen noch wirtschaftlich sind oder ob ein Härtefall vorliegt. Da kann ich nur fragen: Was ist mit einer
Rentnerin, die ein Mehrfamilienhaus, das vielleicht
schon 50 Jahre alt ist, als Altersvorsorge hat? Diese Frau
muss sich fragen, ob sich diese Investitionen in ihrer Lebenszeit noch lohnen. Das ist eine ausgesprochen unsoziale Politik, die hier von der Koalition gefahren wird.
({6})
Der eigentliche Hammer des Gesetzentwurfes steht in
den Schlussbestimmungen: Die Gemeinden werden ermächtigt, nicht nur für Neubauten, sondern auch für den
Gebäudebestand Anschluss- und Benutzungszwänge für
Fernwärme zu erlassen. Das ist der Einstieg in eine sozialistische Planwirtschaft bei der Energieversorgung.
({7})
Das bedeutet: Versorgungsmonopole statt Wettbewerb
der Lösungen. Warum denn ein Zwang? Wir können
Neubauten heute schon so bauen, dass sie ohne externe
Wärmezufuhr auskommen. Warum dann noch einen
Fernwärmeanschluss?
Ansonsten muss man auch einmal beachten, dass
KWK-Kraftwerke auch CO2 emittieren und dass es keinen Sinn macht, eine Anlage für erneuerbare Wärme, die
schon eingebaut ist, durch einen Fernwärmeanschluss
wieder verdrängen zu wollen.
({8})
Auch das ist ein Geburtsfehler dieses Gesetzentwurfs.
Man muss sich schon einmal an die CDU/CSU-Fraktion wenden, deren Kanzlerin mit dem Ausspruch „Mehr
Freiheit wagen“ angetreten ist, während nun mehr
Staatswirtschaft kommt. Sie haben noch eine Woche Zeit
zur Umkehr. Nutzen Sie diese Zeit, um dieses Gesetz
noch zu verhindern.
({9})
Ein weiteres Beispiel für die Regelungsorgie sind die
Nachtspeicherheizungen. Warum lassen Sie die Frage,
ob sich diese Heizungen in Zukunft noch rechnen werden, nicht den Strompreis, der ohnehin steigt, beantworten? Ich glaube, dieses Thema wird sich sehr bald erledigen.
Es ist eben ein Problem, dass diese Regierung dirigistisch sagt, dass diese Technologie ganz schlimm ist und
dass andere - Ölheizungen oder so - nur ein bisschen
schlimm sind, weshalb sie weiterlaufen dürfen. Auch
hier sind Härtefalllösungen wieder keine Hilfe. Es handelt sich um Kann-Bestimmungen, auf die sich die Bürger nicht verlassen können und aufgrund derer sie keine
Rechtssicherheit haben.
({10})
Auf unsere Kleine Anfrage hin, was das Ganze denn
kostet, hat die Große Koalition das nicht einmal beziffern können. Das macht den ganzen Blindflug deutlich,
mit dem Sie bei diesem Gesetzespaket arbeiten. Ich kann
nur noch einmal betonen: Die CDU/CSU-Fraktion ist
aufgerufen, diesen Dirigismus, diese Subventionen und
diese Bürokratie zu beenden und endlich einen marktwirtschaftlichen Klimaschutz mit auf den Weg zu bringen.
Vielen Dank.
({11})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Marie-Luise
Dött für die CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Umwelthaushalt 2008 stellen wir die Weichen für
mehr Klimaschutz. Mit 400 Millionen Euro mehr für
den Klimaschutz im Umwelthaushalt setzen wir ein Zeichen dafür, dass wir zu unseren anspruchsvollen Klimaschutzzielen stehen und diese auch erreichen werden.
Jetzt kommt es aber darauf an, dieses Geld möglichst
effizient zu nutzen. Um den Klimaschutz wirklich voranzubringen, muss durch diese Mittel vor allem eines
erreicht werden: Innovationsprozesse müssen in der
Breite angeregt werden.
({0})
Wir wollen, dass Deutschland im internationalen Innovationswettlauf um Klimaschutzeffizienztechnologien mit dabei ist. Klimatechnologien Made in Germany
müssen weltweit zu einem Synonym für technologische
Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Klimaeffizienz
werden. Davon werden der globale Klimaschutz, aber
auch das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung in Deutschland gleichermaßen profitieren. Die Bereitstellung der zusätzlichen Mittel für den Umwelthaushalt wird somit zum Innovationsmodell für den
Wirtschaftsstandort Deutschland.
Meine Damen und Herren, heute und auch zukünftig
benötigen wir alle verfügbaren Energieträger und alle
Energietechnologien, um die Versorgungssicherheit,
Preiswürdigkeit und Umweltverträglichkeit der Energieversorgung in unserem Land jederzeit sicherzustellen.
Angesichts stetig steigender Energiepreise, die die Bürger und Unternehmen zunehmend belasten, müssen wir
beim Klimaschutz darauf achten, was er kostet. Mit anderen Worten: Klimaschutz ist eine zentrale Herausforderung, die wir annehmen. Er ist aber keine Legitimation, den Bürgern ungehemmt in die Tasche zu greifen.
Technologieoffenheit ist die Voraussetzung für Innovationsdynamik und Kosteneffizienz.
({1})
Sich von grundlastfähigen Energietechnologien wie
der Kernenergie oder hocheffizienten Kohlekraftwerken
aus ideologischen Gründen zu trennen, halte ich daher
nicht für sinnvoll;
({2})
denn dies geht zulasten der CO2-Minderung, der Versorgungssicherheit und der Energiekosten.
({3})
Professor Schellnhuber, einer der anerkanntesten Klimaforscher weltweit, hat es am Montag dieser Woche
auf dem Klimakongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion deutlich gesagt: Kernenergie und moderne CO2freie Kohletechnologien müssen Bestandteil einer modernen Energieversorgung sein - gerade auch, um Klimaschutzziele zu erreichen.
({4})
Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, wenn Sie die CO2-freien Kohletechnologien heute
bereits als - ich zitiere - „Scharlatanerie“ abqualifizieren, dann ist das nicht nur voreilig, sondern auch innovationsfeindlich.
({5})
Technologievorverurteilungen sind für mich die eigentliche Scharlatanerie. Nicht gegen moderne Technologie,
sondern mit ihr werden wir Klimaschutz, Versorgungssicherheit und sozial verträgliche Energiepreise sichern.
Es ist auch sozial völlig inakzeptabel, wenn Sie aufgrund Ihrer Technikvorverurteilung jeden vernünftigen
Energiemix ablehnen und stattdessen mit Ihren Lieblingstechnologien Wind- und Solarenergie den Bürgern
über die Einspeisevergütung weiterhin das Geld aus der
Tasche ziehen wollen.
({6})
Damit ich hier nicht verdächtigt werde: Natürlich
gehören in einen modernen, klimaverträglichen Energiemix auch die erneuerbaren Energien. Es ist aber unvernünftig, für Wind- und Solarenergie subventionspolitische Totalreservate zu schaffen, die den technologischen
Fortschritt bremsen und die Verbraucher dauerhaft finanziell belasten.
({7})
Deshalb werden wir die Einstiegsvergütungen und die
Degression der Vergütungssätze der erneuerbaren Energien bei den Beratungen zur Novelle des ErneuerbareEnergien-Gesetzes sehr genau prüfen.
({8})
Mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln
werden wir in den nächsten Jahren eine breite technologische Offensive für neue Produkte und Verfahren, aber
auch Dienstleistungen unterstützen, die dem Klimaschutz nützen, und gleichzeitig unsere Führungsposition
als internationale Umwelt- und Effizienztechnologieschmiede ausbauen.
Die vordringlichste Aufgabe beim Klimaschutz ist
heute die Umsetzung der Beschlüsse der Bundesregierung zum integrierten Energie- und Klimaprogramm.
Mit der Arbeit an den ganz konkreten Maßnahmen des
Meseberg-Programms wird jetzt zunehmend deutlich,
welche Wirkungen die einzelnen Maßnahmevorschläge
auf die Bürger und die Unternehmen haben werden.
Umso wichtiger ist es, sehr genau das Kosten-NutzenVerhältnis der einzelnen Maßnahmevorschläge und ihre
sozialen Wirkungen zu prüfen.
Mittelumverteilungen zulasten der Bürger und der
Unternehmen werden wir uns vor dem Hintergrund von
Aktienkursgewinnen zum Beispiel bei den Solarherstellern, deren Kurse sich binnen zweier Jahre verzwanzigfacht haben, ganz genau ansehen und prüfen, ob einige
Technologien nicht eher Subventionsstaubsauger als
Energiequellen sind.
({9})
Überförderung und Überforderung müssen gleichermaßen vermieden werden. Das ist das Spannungsfeld
der Diskussion - auch bei der Umsetzung der MesebergBeschlüsse.
Vorreiter im Klimaschutz können und wollen wir
sein. Alle Maßnahmen müssen aber im Zieldreieck von
ökologischer Effizienz, wirtschaftlicher Verträglichkeit
und sozialer Gerechtigkeit liegen. Umwelt- und Klimaschutz auf Kosten wirtschaftlicher Entwicklung und mit
sozialer Schieflage würde die gerade gewonnene breite
gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz gefährden.
Die Arbeit an der Umsetzung der Meseberg-Beschlüsse wird die deutsche Delegation in die Lage versetzen, bei der Weltklimakonferenz auf Bali mit einem
anspruchsvollen nationalen Klimaschutzpaket aufzuwarten. Wir haben mit dem Programm von Meseberg das
ehrgeizigste und anspruchsvollste Klimaschutzpaket, das
es in Deutschland jemals gegeben hat. Unser Umweltminister kann mit diesem Paket glaubwürdig in die Verhandlungen auf Bali gehen.
({10})
Wir geben das deutliche Signal an die internationale
Staatengemeinschaft, dass Deutschland mit dem Klimaschutz Ernst macht, und das nicht nur national.
({11})
Mit der zusätzlichen Bereitstellung von 120 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz beinhaltet
der Haushalt 2008 auch ein konkretes Angebot an die
Entwicklungs- und Schwellenländer zum Ausbau der
Zusammenarbeit. Herr Minister Gabriel, Ihr Koffer für
Bali ist gut gefüllt: Erstens mit dem Umsetzungspaket
der Meseberg-Beschlüsse, zweitens mit dem Umwelthaushalt 2008, und drittens mit unserem Entschließungsantrag zu Bali sind Sie für die Verhandlungen dort gut
gerüstet. Wir wünschen Ihnen jedenfalls Erfolg.
({12})
Nun hat das Wort der Kollege Michael Leutert für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Kern geht es um 400 Millionen Euro Mehreinnahmen aus dem Emissionshandel. Wir haben in den letzten
Wochen darüber diskutiert und gestritten, wie diese
400 Millionen Euro verwendet werden sollen. Das Spektrum der Vorschläge war breit. Die FDP wollte - nebulös dieses Geld für Steuersenkungen einsetzen.
({0})
- Zu den möglichen Auswirkungen dieses Vorschlags
komme ich noch.
Die CDU/CSU hat den glorreichen Vorschlag gemacht, dieses Geld wieder in den Atomenergiesektor zu
stecken.
({1})
Ich empfehle Ihnen, die neue Studie des IfG Leipzig zu
lesen, wonach zum Beispiel das Endlager Asse nicht
sicher ist. Darüber können Sie gerne einmal mit Herrn
König, dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, diskutieren.
Die vernünftige, eigentliche Mehrheit in diesem Haus
- von der Linken über die SPD bis zu den Grünen -, die
sich durchgesetzt hat, hat gesagt: Die Einnahmen müssen verwendet werden, wofür sie vorgesehen sind, nämlich für den Klimaschutz.
({2})
Die Kollegin Lührmann hat vorhin Vergleiche angestellt, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, worum
es hier geht. Genau das möchte ich auch machen. Es
wird gefeiert, dass nun 400 Millionen Euro mehr da
sind. Aber allein 600 Millionen Euro geben wir jedes
Jahr - es wird niemanden verwundern, dass ich diesen
Vergleich ziehe - für den Afghanistan-Einsatz aus.
1 Milliarde Euro im Wehretat geben wir auch dieses Jahr
für die militärische Forschung aus. Selbst wenn wir das
Umweltministerium komplett abschafften, hätten wir
noch nicht einmal so viel Geld zur Verfügung, um die
nächste Rate für den Eurofighter zu zahlen. In diesem
Hause muss sich endlich die Einsicht durchsetzen, dass
die ökologische Sicherheit mittlerweile eine viel wichtigere Herausforderung ist.
({3})
- Dass Sie das nicht gerne hören, ist mir völlig klar.
Wenn Sie mir aber nicht glauben, dass die ökologische Sicherheit mittlerweile eine größere Herausforderung ist als die militärische, dann glauben Sie bitte Ihrem
Minister. Im Vorwort des UN-Weltklimareports, den Sie
auch in der Parlamentsbuchhandlung erhalten können,
sagt der Minister: In Afrika gibt es mittlerweile mehr
Flüchtlinge aufgrund der Klimakatastrophe als aufgrund
von Krieg und Bürgerkrieg.
({4})
Dieser Vergleich sollte uns zu denken geben und uns
veranlassen, die Verteilung der Haushaltsmittel für Projekte anders zu gestalten.
({5})
- Es ist natürlich Ansichtssache, ob das ein falsches
Buch ist. Sie können einen Gegenvorschlag machen.
({6})
Da Sie mit unseren Deckungsvorschlägen offensichtlich nicht einverstanden sind, sollten wir uns einmal die
Einnahmeseite anschauen. Dort sieht es nicht viel besser aus. Wir leben in einem Land - das ist absurd -, in
dem sich diejenigen, die einen hohen CO2-Ausstoß zu
verantworten haben, eine goldene Nase verdienen, während wir versuchen, den angerichteten Schaden mit
400 Millionen Euro zu beheben. Lesen Sie die heutige
Ausgabe von Spiegel Online! Ein Beispiel aus der Automobilindustrie: Porsche hat seinen Gewinn von knapp
2 Milliarden Euro im letzten Jahr auf nun fast
6 Milliarden Euro verdreifacht.
({7})
- Nein, es geht um die Einnahmeseite, darum, woher wir
Geld bekommen können.
Die sechs Topmanager von Porsche, die im letzten
Jahr noch 45 Millionen Euro erhalten haben, verdienen
nun 117 Millionen Euro.
({8})
Wenn Ihnen diese Vergleiche nicht passen, dann schauen
wir einmal auf die Stromkonzerne. Ich freue mich, dass
die FDP mittlerweile auf unserer Seite ist und gegen die
Stromkonzerne mit ins Feld zieht.
({9})
Allein Vattenfall hat durch die Unternehmensteuerreform der Koalition einen Gewinn von 300 Millionen
Euro in diesem Jahr. Das sind 300 Millionen Euro, die
jetzt im Haushalt fehlen. Wir aber sagen: Über den
Emissionshandel nehmen wir 400 Millionen Euro mehr
ein, und dieses Geld reicht für ein tolles, großes Programm.
Wenn wir nicht verstehen, dass der Klimawandel derzeit die wichtigste Herausforderung ist, vor der wir stehen, dass wir die gesellschaftlichen Kräfte bündeln und
tatsächlich Geld in einer relevanten Größenordnung in
die Hand nehmen müssen, um diesen Prozess aufzuhalten, dann wird in den nächsten Jahren vielleicht ein Buch
auf dem Markt sein, dessen Untertitel nicht wie der des
UN-Weltklimareports „Bericht über eine aufhaltsame
Katastrophe“ lautet, sondern „Bericht über eine unaufhaltsame Katastrophe“.
Vielen Dank.
({10})
Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort
Herrn Bundesminister Sigmar Gabriel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Leutert, nur drei Bemerkungen zu dem Versuch, aus der
Klimaschutzdebatte eine Neiddebatte zu machen.
({0})
Erstens. Ich finde, es gilt immer noch: Es kann gar
nicht genug Millionäre geben - wir wären selber gerne
welche -: Hauptsache, sie zahlen Steuern.
({1})
- Das tun sie auch. - Wir senken die Unternehmensteuern, nicht die Steuern von Leuten, die viel Geld verdienen. Wenn die Leute einen Porsche kaufen, werden wir
dafür sorgen, dass sie dafür mehr bezahlen müssen, weil
der Porsche einen hohen CO2-Ausstoß hat. Diese Gelder
setzen wir dann für den Klimaschutz ein. Dagegen kann
man wenig sagen.
({2})
Zweitens. Ich als Umweltminister will nicht in die
Situation kommen - wenn ich dafür plädieren würde,
den Wehretat zusammenzustreichen, damit wir mehr
Geld für Umweltschutz haben -, dass im Norden Afghanistans Lehrer, die Mädchen unterrichten, geköpft werden, Frauen gesteinigt werden und Leute nicht zur
Schule gehen dürfen. Dazu führt diese Forderung nämlich, und das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Deswegen
bin ich der Ansicht: Das eine hat mit dem anderen nichts
zu tun.
({3})
Drittens. Zur Kohledebatte, die Sie führen - darauf
habe ich schon einmal hingewiesen; Ihr Kollege sitzt
hier -, sage ich Folgendes: Immer dann, wenn es bei Ihnen zu Hause um die Braunkohle geht, treten Ihre Abgeordneten für mehr Verschmutzungsrechte ein. Hier im
Bundestag halten Sie Brandreden gegen die Kohle. Ich
habe gehört - das scheint wohl zu stimmen -, dass Ihr
Parteivorsitzender Oskar Lafontaine ins Saarland gefahren ist und eine Brandrede gegen den Bau des Kohlekraftwerks in Ensdorf gehalten hat. Die Begründung war
interessant: Er soll gesagt haben, es sei deshalb ein
schlechtes Kohlekraftwerk, weil dann Auslandskohle zu
uns komme. Das macht noch einmal deutlich, worum es
ihm eigentlich geht.
({4})
Im Zweifel wäre es ihm recht, wenn CO2 in die Atmosphäre käme, wenn heimische Steinkohle verwendet
würde. Was er will, ist: mit neonationalistischen Sprüchen Populismus betreiben und die Leute aufhetzen. Das
haben auch Sie eben hier versucht. Das ist der Punkt, in
dem man Ihnen entgegentreten muss.
({5})
Der Haushalt ist in Zahlen geronnene Politik. Er zeigt
- darauf haben die meisten Redner hingewiesen -, dass
Klimaschutz im kommenden Bundeshaushalt eine weitaus größere Bedeutung haben wird als in der Vergangenheit. Wir steigern die Mittel im Bundeshaushalt von
875 Millionen Euro im Jahr 2005 auf jetzt 2,6 Milliarden
Euro - Herr Schulte-Drüggelte hat darauf hingewiesen -:
Das ist eine Steigerung um rund 200 Prozent. Der Programmhaushalt des Bundesumweltministeriums, mit
dem wir fördern können, steigt um fast 100 Prozent. Der
Haushalt des Bundesumweltministeriums insgesamt
steigt um 50 Prozent.
Ich bin den Haushaltspolitikern der Koalition und den
Fachpolitikern dankbar, dass das möglich ist; denn wir
leben immer noch in Zeiten der Notwendigkeit der
Haushaltskonsolidierung. Dass entgegen der Notwendigkeit, zu sparen, in diesem Bereich investiert worden
ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich danke insbesondere den Parlamentariern, aber auch dem Finanzminister.
Zum Thema „Kritik am Finanzminister“: Nur wenn
man Konsolidierungspolitik betreibt, muss man am Ende
nicht das ganze Geld, das Steuerzahler einbringen, für
den Zinsendienst und die Schuldentilgung ausgeben;
vielmehr hat man nach der Konsolidierung wieder Geld,
um in Kinder, in Familien, in Bildung, aber eben auch in
Klimaschutz zu investieren. Das ist das Ergebnis der
Finanzpolitik dieser Regierung.
({6})
Frau Kollegin Flach, zur Frage, ob kalt oder warm,
sage ich Ihnen: Kühler Kopf und warmes Herz - das ist
im Zweifel das Beste.
Ich finde, es ist absolut selbstverständlich, dass die
Parlamentarier - ich selbst bin auch einer - dann, wenn
es aufgrund dieser 400 Millionen Euro eine Verdoppelung des Haushalts des Bundesumweltministeriums geben soll, sagen: Wir wollen einmal sehen, was das für
konkrete Richtlinien sind. Wir wollen hier mitbestimmen. Schließlich haben wir die Verantwortung gegenüber dem Volk für eine korrekte Mittelausgabe. - Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Wenn Sie fair gewesen
wären, dann hätten Sie darüber berichtet, dass ich im
Haushaltsausschuss gesagt habe, dass ich das verstehe,
dass ich das für notwendig halte und dass ich darum
bitte, dass wir hier korrekt zusammenarbeiten, damit wir
gute Richtlinien erarbeiten, um möglichst frühzeitig zu
einer Freigabe der Mittel zu kommen.
({7})
Wir werden schon Anfang des Jahres mit Vorschlägen
kommen.
Machen Sie keine Scheindebatten! Sagen Sie einfach,
was Sie eigentlich meinen! Sie wollen nicht, dass das
Geld für den Klimaschutz ausgegeben wird. Wir wollen
es. Deshalb machen wir eine bessere Klimaschutzpolitik
als die FDP. So einfach ist das.
({8})
Für erneuerbare Energien geben wir zusätzlich
180 Millionen Euro aus, insbesondere im Bereich des
Marktanreizprogramms: Die Mittel für dieses Programm
steigen damit auf 350 Millionen Euro für jedes Jahr. Wir
sind im Jahr 2005 mit real 130 Millionen Euro gestartet,
die verausgabt wurden. Jetzt haben wir 350 Millionen
Euro pro Jahr vorgesehen, und zwar bis 2012.
Wir wollen den Klimaschutz vor allem auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen fördern. Dafür
sind im Klimaschutzprogramm 50 Millionen Euro enthalten.
Es geht übrigens nicht darum, Dinge zu fördern, die
die Großen machen. Ich will Ihnen eines sagen: Aus
Deutschland ist die Batterieforschung leider abgewandert. Sie ist jetzt in Japan und Korea. Mit diesem Programm fördern wir unter dem Aspekt „Elektrotraktion
und Elektromobilität“ unter anderem Bestrebungen, die
Batterieforschung zurückzuholen, weil wir hier einen
Markt entwickeln wollen, um mit Elektrofahrzeugen
Klimaschutz betreiben und Fahrzeuge produzieren zu
können, die wir weltweit vermarkten. Mit dem Programm fördern wir, dass Batterieproduktion und -forschung zurück nach Deutschland kommen. Frau Kollegin Flach, das machen wir mit dem Programm, nichts
anderes.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Zuruf der Abg. Ulrike Flach ({9})
Ich will auf die anderen Programmteile nicht ausdrücklich hinweisen. Sie kennen die Vorlagen. Wir werden dafür jetzt Richtlinien erarbeiten.
Diese Steigerung im Bundeshaushalt und im Haushalt
des Umweltministeriums bedeutet, dass wir die finanzielle Grundlage legen, und zwar unter anderem für das
Klimapaket, das die Bundesregierung am 5. Dezember
verabschieden und dann ins parlamentarische Verfahren
geben wird. Frau Kollegin Lührmann, wir haben gesagt,
wir wollen bis 2020 eine Reduzierung der CO2-Emission
von 40 Prozent erreichen. Mit dem Klimapaket schaffen
wir eine Reduzierung von 35 Prozent, also etwa 90 Prozent unseres Ziels. Nun kommt Greenpeace und sagt:
Nein, das glauben wir nicht. Das sind nur 30 Prozent. Ich empfinde das als ein Riesenkompliment. Wenn selbst
Greenpeace sagt, dass wir mit dem Programm mindestens 30 Prozent abdecken, dann muss das, was wir da gemacht haben, richtig gut sein. Wenn wir uns nur noch um
5 Prozent streiten - einverstanden! Diese Debatte halten
wir gern aus.
({10})
Ich sage Ihnen einmal, was ich an Ihrer Debatte nicht
verstehe. Sie haben in dieser Debatte seit vielen Jahren
die Vorreiterrolle inne. Das bestreitet niemand. Jetzt, da
die internationale Diskussion eine andere geworden ist
und da die Wirtschaft - auch die amerikanische - merkt,
dass es hier um Märkte und um ökonomische Fragen
geht und dass man mit dem Klimawandel viel Geld verlieren und mit dem Klimaschutz viel Geld verdienen
kann, gewinnt das Ganze an Fahrt. Jetzt machen wir
mehr, als Sie damals haben durchsetzen können. Reden
Sie das doch nicht ständig klein! Sie reden doch Ihre eiBundesminister Sigmar Gabriel
gene Politik damit noch viel kleiner. Sie sind doch Teil
dieses Erfolges. Deshalb ist das, was Sie hier machen,
albern.
({11})
Wenn Sie auf internationale Konferenzen fahren und
den Eindruck vermitteln, Deutschland würde seine Ziele
nicht erreichen, obwohl Sie wissen, dass 75 Prozent der
Emissionsminderungen in Europa ausschließlich aus
diesem Land kommen, dann dürfen Sie nicht erwarten,
dass Sie international Freunde finden, die sagen: Wir folgen den deutschen Vorschlägen. - Sie können doch nicht
ständig das, was wir anbieten, im eigenen Land diskreditieren und darauf hoffen, dass andere uns dabei folgen.
Das ist eine abenteuerliche Strategie, die Sie hier verfolgen. Das geht doch nicht.
({12})
Ich will mich gern mit Ihnen darüber streiten, ob man
nicht noch mehr machen könnte. Die Debatte über
Kohle, zu der ich gleich komme, ist notwendig; ihr kann
man nicht aus dem Weg gehen. Wir haben übrigens nicht
von 270 Millionen Tonnen gesprochen. Vielmehr sparen
wir mit dem Programm gut 220 Millionen Tonnen ein.
Den Rest müssen wir in den nächsten Jahren noch erbringen.
({13})
- Frau Flach, ich kenne übrigens keinen Politiker, wahrscheinlich außer solchen von der FDP, der es sich zutraut, 12 Jahre im Voraus eine Punktlandung bei der
Frage zu machen, wie viele Tonnen CO2 er einsparen
will.
({14})
Deswegen müssen wir das alle zwei Jahre überprüfen
und gegebenenfalls nachsteuern. Das ist, glaube ich, vernünftig.
Wenn Greenpeace sagt, dass wir eine Reduzierung
um nur 160 Millionen Tonnen erreichen werden, dann
antworte ich: Wenn das stimmte - wir glauben das nicht;
wir glauben, wir schaffen mehr -, dann änderte das
nichts daran, dass das Programm weltweit das einzige
ist, das konkrete Instrumente und Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele enthält. Bisher hat noch
kein anderes Land in der Welt - auch nicht Neuseeland etwas Vergleichbares aufgesetzt. Die Briten wollen zwar
in sechs Monaten etwas vorlegen; Deutschland ist heute
aber das einzige Land in der Welt, das präzise sagt, wie
es seine Klimaschutzziele konkret erreichen will. Außerdem sind wir das einzige Land, das neben einem solchen
Programm auch noch Geld für die internationale Klimaschutzpolitik nach Bali mitbringt. Kein anderes Land auf
der Erde tut das.
Wenn Sie wollen, dass uns die anderen folgen, dann
müssen Sie sagen: Das sollen uns andere erst einmal
nachmachen. - Frau Lührmann, dann werden wir in Bali
und international Erfolg haben. Das ist die Realität der
internationalen Klimaschutzpolitik.
({15})
Deswegen hat die Bundeskanzlerin recht, wenn sie
sagt: Wir werden keinen Erfolg haben, wenn andere in
Europa ihre Versprechen nicht genauso einhalten wie
Deutschland. Dieser Hinweis ist bitternötig. Wir sind sicher, dass wir unsere Versprechen einhalten. Etwa die
Hälfte unserer Klimaschutzerfolge haben wir ja durch
den Zusammenbruch der Industrie in der ehemaligen
DDR nach der deutschen Einheit erzielt.
({16})
Den Rest werden wir auch noch schaffen.
Zur Kohledebatte möchte ich den Grünen sagen: Die
Realität, die Sie selber geschaffen haben, sollten Sie
nicht einfach aus Ihrem Bewusstsein streichen. Wir werden in Deutschland bis 2012 sicher neun neue Kohlekraftwerke bekommen. Man versucht, nachzuweisen,
dass mehr Kohlekraftwerke gebaut werden - Greenpeace tut das -, indem man aufzählt, wie viele Genehmigungsanträge vorliegen. Dabei sollte man der deutschen
Öffentlichkeit nicht verheimlichen, dass manche dieser
Genehmigungsanträge zehn Jahre alt sind, mit dem Bau
aber nie begonnen wurde. Die Unternehmen warten
nämlich ab, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln. Außerdem wollen sie sich Baumöglichkeiten sichern.
Jetzt sage ich Ihnen, inwiefern Sie Ihre eigene Geschichte, Ihre eigenen Erfolge vergessen. Der Emissionshandel begrenzt die Möglichkeit, CO2 in die Atmosphäre auszustoßen. Es ist mir, um es offen zu sagen,
piepegal, welche Planungen die Unternehmen im Hinblick auf die verschiedenen Energietechnologien haben;
ich trage nur eine einzige Verantwortung - Sie auch -:
dass am Ende nicht mehr CO2 ausgestoßen wird, als wir
international vereinbart haben. Das ist der Erfolg des europäischen Emissionshandels, den Sie von den Grünen
gemeinsam mit der SPD in der letzten Legislaturperiode
geschaffen haben. Alle Energieerzeuger in Deutschland
könnten im Extremfall nur noch Braunkohlekraftwerke
bauen, wenn sie das wollten; die Konsequenz wäre aber,
dass sie pleitegehen, weil sie die Kraftwerke gar nicht in
Betrieb nehmen dürften; denn sie verfügen nicht über
ausreichende Emissionsberechtigungen. Das ist die Logik des Emissionshandels.
Sie müssen sich entscheiden. Wenn Sie bei einem
marktwirtschaftlichen Instrument bleiben wollen, dann
greift der Staat nicht in die Detailfragen der Technik ein,
sondern regelt nur, wie viel CO2 insgesamt ausgestoßen
werden darf.
({17})
Wenn Sie Ordnungsrecht anwenden und den Staat beauftragen wollen, im Detail zu sagen, welche Technik an
welchem Standort angewandt werden darf, dann kann
ich nur gute Besserung wünschen; das wird nicht funktionieren.
({18})
Wir wollen dafür Sorge tragen, dass der Emissionshandel besser funktioniert. Wir werden dafür Sorge tra13694
gen, dass in der dritten Handelsperiode bis zu 100 Prozent auktioniert werden. Die Europäische Kommission
wird das übrigens am 23. Januar selbst vorschlagen. Wir
werden das unterstützen. Wir werden die Emissionsbudgets weiter heruntersetzen. Es wird bei uns keine riesigen Kohlekraftwerke geben können, weil sie sich gar
nicht rechnen. Man kann den vier großen Stromerzeugern einiges unterstellen, aber eines nicht: dass sie nicht
rechnen können.
Ich bin sicher, dass uns der Emissionshandel am Ende
recht geben wird: Es ist so wie bei einem Glas Wasser:
Wir legen fest, wie viele Zertifikate und Emissionsberechtigungen zugelassen werden. Darüber hinaus darf
nichts ausgestoßen werden. Damit regulieren wir auch
den Einsatz von Kohle.
Völlig auf Kohle zu verzichten - Sie wollen das -, bedeutet bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie,
dass Sie bei einem Anteil der regenerativen Energien
von 30 Prozent im Jahr 2020 den Rest mit Gas erreichen
wollen. Es gibt so viel Gas; man kann es besorgen. Erklären Sie aber einmal den Leuten, wie sie dann die
Preise für Gas bezahlen sollen!
({19})
Sie drücken sich vor der Beantwortung dieser Frage, wir
nicht.
Es geht hier um eine interessante Debatte, die aber
nicht so populistisch geführt werden darf: Kohle raus,
Kernenergie raus, alles mit Gas und erneuerbaren Energien. Das wird am Ende nicht funktionieren. Wir machen
das von Ihnen mitentwickelte Instrument funktionsfähig.
Damit verhindern wir, dass zu viel Kohle eingesetzt
wird, und erreichen unsere Emissionsziele.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({20})
Herr Kollege Hill hat sich zu einer Kurzintervention
gemeldet.
({0})
Herr Minister Gabriel, erlauben Sie mir, kurz auf Ihre
einleitenden Worte einzugehen, insbesondere auf das,
was im Saarland geschehen ist.
Erstens dürfte Ihnen bekannt sein, dass unsere Fraktion eine Kohleposition verabschiedet hat, die sie geschlossen vertritt und der sich auch einzelne Landesverbände angeschlossen haben, insbesondere solche, die mit
Bergbau zu tun haben. Ich erinnere nur daran, dass sich
die Linkspartei in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg
an den entsprechenden Bürgerinitiativen beteiligt, um
die gewünschten Ergebnisse zu erzielen.
Zweitens komme ich auf das zu sprechen, was Oskar
Lafontaine in Ensdorf gesagt haben soll, wie Sie es
selbst ausgedrückt haben.
({0})
Ich bitte Sie, Ihre Quellen zu überprüfen. Das, was Sie
hier vorgetragen haben, hat er nämlich nicht gesagt. Ich
war auf dieser Veranstaltung anwesend und habe dort
ebenfalls eine Rede gehalten, und zwar über die Arroganz des RWE-Konzerns im Umgang mit der Bevölkerung.
({1})
Ich habe darüber gesprochen, wie RWE damit umgegangen ist, die Bevölkerung dazu zu zwingen, ein solches
Kraftwerk zu akzeptieren. Was Oskar Lafontaine gesagt
hat, kann ich natürlich nicht mehr wörtlich wiedergeben.
({2})
- Ich weiß nicht, ob Sie immer alles aufschreiben. - Er
hat Folgendes gesagt: Selbst wenn wir wollten, wären
wir nicht in der Lage, mit der Kohle, die im Saarland
produziert wird, ein solches Kraftwerk zu betreiben, und
es ist nicht vorgesehen, in diesem Kraftwerk überhaupt
saarländische Kohle zu verbrennen. Er hat hinzugefügt,
dass wir ein Kraftwerk wollen, das in die Energielandschaft des Saarlandes passt, und darauf abgestellt, dass
wir für eine dezentrale Versorgungsstruktur und gegen
eine zentralistische fossile Energiepolitik sind.
({3})
Er hat von der ausländischen Kohle nichts in der Form
gesagt, wie es hier dargestellt wurde.
({4})
Herr Minister, wollen Sie darauf antworten?
({0})
Dann erteile ich nun der Kollegin Bärbel Höhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Minister Gabriel, dass Sie ein guter Selbstdarsteller sind,
wissen wir. Aber die entscheidende Frage ist nicht, ob
Sie ein guter Selbstdarsteller sind, sondern, ob Sie auch
ein guter Umweltpolitiker sind.
({0})
Darauf sage ich Nein. Dies kann man auch an mehreren
Punkten begründen.
({1})
Als Beispiel nenne ich den Klimaschutz und die
Kohlepolitik, und zwar nicht nur Ihre, sondern auch die
Kohlepolitik der SPD insgesamt. Sie argumentieren hier
ja sehr offensiv; aber de facto sind Sie bei diesem Thema
absolut in der Defensive. Dass sich der Kollege Hill mit
seiner Kurzintervention noch mehr in die Bredouille gebracht hat, haben wir alle erlebt. Aber Sie sind nicht besser, Herr Gabriel. Was war denn die Position der SPD in
Ensdorf? Zuerst war die SPD total für dieses große Kohlekraftwerk. Als dann der Druck zu groß wurde, hat sie
gesagt: Lieber nur die Hälfte, danach nur ein kleines
Kohlekraftwerk. Sie hat ihre Position am Ende immer
weiter heruntergefahren. Als die Stimmen der Bevölkerung sich gegen die SPD richteten, war auch sie plötzlich
gegen die Kohle. Aber eigentlich ist die SPD der Kohle
und damit dem Klimakiller Nummer eins verhaftet. Das
ist das Problem der SPD in der Klimapolitik.
({2})
Sagen Sie doch einmal, wie Sie es mit diesen neuen
Kohlekraftwerken halten wollen! Sie sagen: Nur noch
neun Kohlekraftwerke. - Was werden Sie eigentlich machen, wenn ein weiteres zur Genehmigung ansteht? Wollen Sie dann persönlich dorthin gehen und sagen: „RWE,
das gibt es nicht“? Andersherum wird ein Schuh daraus:
Wenn die SPD vor Ort endlich einmal eine vernünftige
Position gefunden hat, wie es in Krefeld der Fall war, als
die SPD mit der CDU im Rat gegen das Kohlekraftwerk
gestimmt hat, dann holt die Bezirks-SPD den Minister
Gabriel, der in einer Brandrede die SPD umdrehen muss,
damit sie für die Kohle ist. Das, meine Damen und Herren, ist die Politik des Umweltministers. Er streitet für
die Klimakillerkohle. Aber das will er sich gar nicht anhören, weshalb er gerade in komische Briefumschläge
hineinguckt.
({3})
Stellen Sie sich doch der Realität, Herr Gabriel!
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fricke?
Ja, klar.
Frau Kollegin Höhn, Sie haben das geplante Steinkohlekraftwerk in meinem Wahlkreis Krefeld angesprochen. Ich finde es zwar nett, dass Sie versuchen, die
Stärke dieses Umweltministers hervorzuheben. Aber war
es nicht vielmehr so - auch nach Ihrer Erinnerung und
nach dem, was Ihnen Ihre Freunde berichtet haben -,
dass in Krefeld das Umdenken eingesetzt hat, nachdem
man das gesamte Tableau betrachtet hat und die Frage
aufkam, wie im industriellen Kern noch Menschen beschäftigt werden sollen? War es nicht auch so, dass in
der Bevölkerung in Krefeld ein erhebliches Umdenken
eingesetzt hat, als es um die Frage der Alternativen ging
und Ihre Freunde vor Ort leider auch keine Alternativen
einbringen konnten?
Das ist falsch. Ich war vor Ort und kenne den Fall
sehr gut. De facto haben die Initiativen vor Ort - darunter eine starke Ärzteinitiative mit über 130 Ärzten, die
auch auf die gesundheitlichen Gefahren hingewiesen haben - wesentlich zu diesem Beschluss im Rat beigetragen. Die Grünen haben genauso wie die Bürgerinitiative
gesagt: Wir brauchen ein Kraftwerk, weil hier ein großer
Chemiestandort ist und wir dafür Energie benötigen.
Aber wir wollen kein Kohlekraftwerk, sondern ein Gaskraftwerk. - Es stimmt nicht, Herr Kollege, dass sie
keine Alternativen vorgelegt haben.
({0})
Wir sind nicht gegen Gaskraftwerke. Das sage ich sehr
deutlich.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Ideologie, Frau Dött. Ich finde es spannend, dass Sie gerade im
Zusammenhang mit CCS den Grünen Ideologie vorwerfen. Was sagt eigentlich Herr Tacke dazu? Herr Tacke
meint, dass sich Kohlekraftwerke mit CCS nicht rechnen, weil Windkraft leistungsstärker und wirtschaftlich
günstiger ist als Kohlekraftwerke. Werden Sie auch
Herrn Tacke Ideologie vorwerfen, Frau Dött?
({1})
Ideologisch handeln Ihre Kollegen von der CDU und
der FDP in Nordrhein-Westfalen, die jede Windkraftanlage und damit jede Alternative verhindern. Das ist Ideologie.
({2})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kauch?
Klar.
({0})
- Ich erlaube alles, was die Redezeit verlängert. Das ist
doch logisch. - Bitte schön.
Frau Kollegin, ich finde es sehr interessant, dass Sie
in Richtung der Union auf das Thema CCS eingegangen
sind. Kann ich daraus herauslesen, dass Sie jetzt die Position der Linken zur CO2-Abscheidung übernehmen?
Bisher hatte ich immer den Eindruck, dass die Grünen
die CO2-Abscheidung durchaus als technologische Option sehen. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn das
Unternehmen STEAG bzw. Evonik, wie es jetzt heißt,
davon ausgeht, dass sich diese Technologie nicht rechnen wird, dann ist es doch seine marktwirtschaftliche
Entscheidung, darauf zu verzichten. Es stellt sich aber
die Frage, ob wir anderen Unternehmen wie Vattenfall,
die zu anderen Berechnungen kommen, diese Option
verwehren sollen. Die entscheidende Frage ist, ob wir
eine Technologieoption offenhalten oder ausschließen
wollen. Wie ist die klare Position der Grünen dazu?
Herr Kauch, wir haben eine klare Position dazu, und
zwar meinen wir aus sehr vielen Gründen, dass in der
Tat weitere Forschung notwendig ist. Wir sehen aber die
CO2-Abscheidung durchaus kritisch, und zwar aus mehreren Gründen. Es ist immer noch nicht geklärt, wohin
das CO2 wirklich verbracht werden soll. Es soll vor allen
Dingen nach Norddeutschland verbracht werden, und
zwar in unterirdische Bereiche, die 40 mal 40 Kilometer
groß sind. Sowohl was die Pipeline als auch was die
Planfeststellung für dieses Gebiet angeht, wünsche ich
viel Erfolg. Das wird noch extrem schwierig. Wir wissen, dass CO2 unter Tage sehr aggressiv ist. Es ist noch
nicht geklärt, ob das CO2 wieder an die Oberfläche steigt
und später wieder massive Probleme erzeugt.
Wir sprechen uns also aus vielen Gründen für weitere
Forschung aus; aber wir sehen bei dieser Technologie
enorme Probleme, die erst einmal ausgeräumt werden
müssen. Anderenfalls sind wir nicht dafür.
({0})
Ich komme zu einem weiteren Bereich, Herr Gabriel,
dem Naturschutz. Es gibt zwei Punkte, die aus meiner
Sicht in den letzten Monaten für Furore gesorgt haben.
Das ist zum einen die Neunte Vertragsstaatenkonferenz
Biodiversität, die im Mai 2008 in Bonn stattfinden soll.
Auf dieser Konferenz wollen Sie glänzen. Der zweite
Punkt ist Ihre Patenschaft für den Eisbären Knut. Zwischen diesen beiden Punkten gibt es einen Widerspruch.
Die Konferenz in Bonn nächstes Jahr wird 11,3 Millionen Euro kosten. Sie wollen dort damit glänzen, dass Sie
etwas für die Biodiversität tun. Aber woher nehmen Sie
diese 11,3 Millionen Euro? Die entnehmen Sie Naturschutzgroßprojekten und Titeln für internationale Programme. Das heißt, Sie gehen auf diese Konferenz, verkünden, was Sie für die Biodiversität tun, und nehmen
das Geld bei den Programmen weg, mit denen Sie eigentlich die Artenvielfalt schützen wollen. Zulasten der
Artenvielfalt wollen Sie große Worte schwingen. Große
Worte verkünden und gleichzeitig Programmen zum
Schutz der Artenvielfalt das Geld streichen, das darf
nicht gehen.
({1})
Zu Knut muss ich sagen: Machen Sie das, knuddeln
Sie den Eisbären Knut! Aber sagen Sie dabei vielleicht
auch, warum Sie das jetzt nicht mehr tun, wenn die Nase
länger wird und er kein kleines Baby mehr ist. Sagen Sie
vielleicht auch einmal, dass es besser wäre, Geld für den
Schutz der wild lebenden Artgenossen von Knut zur Verfügung zu stellen, als mit possierlichen Bildern eines Zootieres für den Artenschutz Karriere machen zu wollen.
Das ist gegen die Biodiversität.
({2})
Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, sind die
Rußfilter. Ich finde, das ist wirklich das Frechste, was
man sich leisten kann. Sie haben ein Riesenproblem, gehen auf eine Pressekonferenz und stellen sich als Problemlöser hin. De facto sind Sie der Problembär, weil
Sie dieses Problem verschuldet haben.
({3})
Ihr Ministerium hat von diesem Problem 18 Monate lang
gewusst. Sie haben es zugelassen, dass in die Autos der
Verbraucherinnen und Verbraucher falsche Filter eingebaut wurden.
({4})
Jetzt stellen Sie eine Kulanzlösung in Aussicht. Dazu
sage ich: Das geht nicht. Vielleicht 5 Prozent der Betroffenen werden die Filter austauschen. Die anderen werden mit diesen unbrauchbaren Filtern weiter in die Innenstädte fahren. Sie werden die grüne Plakette weiter
behalten und weiter von der Steuerbefreiung profitieren.
Wie sollen die Bürgermeister vor Ort eigentlich erklären,
dass andere viel Geld investieren müssen, um in die Innenstädte zu kommen, während Sie bei 95 Prozent dieser
Stinker sagen: „Das interessiert uns nicht; die können
weiter so fahren, wie sie wollen“? Herr Gabriel, das ist
kein Umweltschutz. Da geht es nicht um die Reduktion
von Feinstaub, sondern einfach nur darum, dass Sie Ihre
Fehler wegwischen wollen. Das werden wir Ihnen nicht
durchgehen lassen.
({5})
Meine Damen und Herren,
Frau Kollegin, ich dachte, Sie sind am Ende. Ich habe
Sie bisher nicht unterbrochen, aber Ihre Redezeit ist zu
Ende.
- ich komme zum Schluss -, wir wünschen Ihnen viel
Erfolg für die Bali-Konferenz, auch im Sinne des Klimaschutzes. Ein Erfolg wird Ihnen allerdings nicht gelingen, wenn Sie so wie in Heiligendamm aufgestellt sind.
Sie müssen die Schwellenländer überzeugen. Das geht
nur mit konkretem Klimaschutz vor Ort. Daran fehlt es.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Georg Nüßlein für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Hochverehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen! Meine Herren! Was wir von den Grünen in dieser Debatte gehört haben, ist unglaublich. Ich meine
nicht einmal so sehr Sie, Frau Höhn. Wir wissen, dass
Sie ohne Punkt und Komma reden und nie eine Antwort
darauf geben, woher, wenn Sie im Hinblick auf die erneuerbaren Energien von einem Anteil von 30 Prozent
sprechen, die anderen 70 Prozent unseres Stroms letztendlich kommen sollen.
({0})
Ich beziehe mich auf das, was Frau Lührmann, Ihre
Haushälterin, heute vorgetragen hat. Es ist unglaublich,
dass man sagt: Die Regierung wartet ab, bis die Einnahmen da sind, um dann Ausgaben zu tätigen. - Frau
Lührmann, genauso funktioniert doch Haushalt, so funktioniert doch Wirtschaften. Was gibt es denn da zu kritisieren?
Ich muss Sie auch fragen, ob Sie Äsops Fabel vom
Fuchs und den Trauben kennen. So hat nämlich Ihre
Rede geklungen. Die Trauben, die Früchte, die man seinerzeit nicht selber ernten konnte - man hat sie nicht
einmal anständig ausgesät -, redet man jetzt schlecht
und sagt, sie seien sauer. Das, was sich im Klimaschutz
tut, ist anzuerkennen. Ich erwarte, dass das auch die Grünen tun.
({1})
Das, was wir hier machen, ist eine Chance für die
Umwelt. Aber es muss auch eine Chance für die deutsche Wirtschaft sein. Es ist kein unkalkulierbares Risiko,
sondern eine Chance für die Wirtschaft, wenn wir mit
den vorgesehenen 2,6 Milliarden Euro einen Hightechklimaschutz als Querschnittsaufgabe befördern.
({2})
Wir müssen das Umwelttechnologiezentrum der Welt
sein. Dass die Grünen das nicht einsehen wollen, ist mir
klar,
({3})
weil sie nicht von ihrem Rückschrittsumweltschutz wegkommen und sich nicht in diese Richtung bewegen wollen.
Frau Lührmann, weil Sie dazwischenrufen: Sie haben
bei der letzten Debatte hier von den Chefdreckschleudern gesprochen. Es ist ein Skandal, in einem Autobauerland wie Deutschland so etwas überhaupt in den Mund
zu nehmen.
({4})
Ich möchte, dass unsere Autos - Mercedes, BMW, Audi,
Opel - weltweit gefahren werden. Ich möchte aber, dass
sie auf hohem technischem Niveau sind. Man darf sie
nicht einfach wegdiskutieren nach dem Motto: Wir brauchen sie nicht. - Davon leben wir, meine Damen und
Herren!
({5})
Am 5. Dezember werden im Kabinett einige Meilensteine diskutiert. Ich räume ein, dass es im Hinblick auf
Bali einen gewissen Erfolgsdruck gibt, der auch zu Zeitdruck führt. Ich meine, dass es Handlungsbedarf bei
EEG und KWK sowie beim Erneuerbaren-Wärme-Gesetz gibt. Da ist einiges, was das Parlament noch regeln
muss. Es kommt die Stunde des Parlaments. Darauf sollten wir uns schon jetzt vorbereiten.
Heute ist schon einiges zum Erneuerbare-EnergienGesetz gesagt worden. Ich möchte eines klarstellen: Es
gibt Einzelne, die momentan den Eindruck erwecken, als
würde die Union an der Stelle einen Systemwechsel vorbereiten. Das ist nicht der Fall. Es ist auch nicht die Zeit
dafür. Wir wollen keinen Systemwechsel. Wir haben klare
Ausbauziele: von 13 Prozent auf 25 Prozent bzw. 30 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien im Jahr 2020. Wir
werden zwischendurch nicht das Pferd EEG wechseln;
denn es ist ein gutes Pferd.
({6})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kauch?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Nüßlein, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie sagen: Wir beschließen am 5. Dezember dieses Jahres im Kabinett etwas, und dann gucken
wir als Koalition hier im Parlament, was dabei herauskommt.
So habe ich es nicht gesagt.
Natürlich gilt das Struck’sche Gesetz - das kennen
wir -: Jedes Gesetz wird im Parlament noch verändert. Wenn Sie allerdings meinen, dass das Ganze schon jetzt
korrekturbedürftig ist: Könnten Sie als Abgeordneter der
CSU mir erklären, welchen Anteil der Wirtschaftsminister, den Ihre Partei stellt, an diesem Paket hat?
Zunächst einmal ist bei diesem Thema, wie Sie wissen, der Bundesumweltminister federführend.
({0})
Er verfolgt eine klare Linie. Er hat einen guten Vorschlag geliefert, welcher sich in der Ressortabstimmung
befindet. Dabei wird der Wirtschaftsminister entsprechenden Einfluss nehmen. Wenn es dann am Schluss
noch etwas gibt, von dem wir meinen, es gemeinschaftlich in der Großen Koalition anpassen zu müssen - ich
bin überzeugt, dass etwas übrig bleiben wird -, dann
werden wir das in der geeigneten Weise tun. Ich habe
großes Verständnis dafür, wenn die FDP es nicht gut findet, dass sie an dieser Stelle nicht mitreden darf. Das
wird sich aber nicht ändern, auch wenn Sie es gern hätten.
({1})
Nun noch einmal zum Thema EEG. Es ist ein Regulierungsinstrument. Kleine Produzenten stehen einer
großen Marktmacht gegenüber. Deshalb brauchen wir es
zum Zwecke der Regulierung. Es ist auch ein Teil der
Mittelstandspolitik, und es ist Technologieförderung;
denn Technik, die im Inland nicht läuft, kann man letztendlich auch im Ausland nicht verkaufen.
({2})
Es gibt noch das eine oder andere Technologiefeld,
das hier zu nennen wäre. Ich erinnere an die Geothermie, bei der wir noch ganz am Anfang stehen. Das ist
ein Thema, Herr Kauch, über dessen Zukunft wir einmal
reden müssen. Es geht nicht immer nur um Förderung,
sondern es geht auch darum, das eine oder andere entsprechend zu gestalten.
Bei der Windenergie geht es um die Frage der Nabenhöhe. Das haben wir als Bund leider nicht in der
Hand.
Beim Thema Wasser geht es darum, unnötige Verknüpfungen mit dem Wasserhaushaltsgesetz zu vermeiden. Es darf nicht sein, dass wir vorhandene Potenziale
nicht mehr nutzen können oder dass wir in Altrechte eingreifen; ich erinnere an all das, was wir am Anfang diskutiert haben. Das muss schon in der Ressortabstimmung herausgenommen werden, damit nicht nachher das
Parlament nachbessern muss, Herr Kauch.
({3})
Zum Erneuerbare-Wärme-Gesetz sage ich ganz offen: Die Union ist nicht mit dem zufrieden, was momentan auf dem Tisch liegt.
({4})
Ich gehöre zu denen, die das Thema immer verteidigt haben, weil ich meine: Mit diesem Eingriff kann man in
ordnungspolitisch schlanker und einfacher Weise dafür
sorgen, dass in unseren Haushalten erneuerbare Wärme
zum Heizen genutzt wird; davon bin ich nach wie vor
überzeugt. An den Eckpunkten dieses Gesetzes müssen
wir noch das eine oder andere tun, sodass es am Ende
tatsächlich schlank und vor allem technologieoffen ist.
Da ist Baden-Württemberg ein Vorbild, an dem wir uns
orientieren sollten.
({5})
Lassen Sie mich auch noch etwas zu den Biokraftstoffen sagen. Ich meine, dass wir, getrieben von einzelnen Finanzinteressen und von den Interessen der Mineralölindustrie, vor einer Weile einen Fehler gemacht
haben
({6})
- das haben wir von Anfang an gesagt -, den wir, aus
meiner Sicht jedenfalls, sinnvoll korrigieren müssen im
Interesse derjenigen, die in diesen Bereich investiert haben. Es kann doch nicht sein, dass man diejenigen, die
sich darauf verlassen, dass es eine Linie gibt und der
Klimaschutz vorangetrieben wird, und deshalb investieren - im Übrigen mit einem hohen Anteil öffentlicher
Mittel -, komplett hängen lässt.
({7})
Deshalb müssen wir darüber reden, wie wir, wenn wir
schon steuerlich nichts machen wollen, am Ende zumindest eine Quotenerhöhung auf 7 Prozent hinbekommen.
Das ist wichtig;
({8})
denn eines braucht die Branche der erneuerbaren Energien, eine junge Branche, unbedingt: Verlässlichkeit.
Und niemand steht mehr für Verlässlichkeit als die
Union.
Vielen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In der nächsten Woche beginnt die Klimaschutzkonferenz in Bali. Zwei Ereignisse der letzten Tage haben zumindest mich diesbezüglich hoffnungsfroh gestimmt: erstens dass Konservative und Liberale in
Australien abgewählt wurden, auch wegen ihrer Haltung zum Klimaschutz,
({0})
und mit der Labor Party jetzt ein Partner für Klimaschutz
an der Regierung ist, wo bisher die Bremser gesessen haben.
Der zweite Punkt bezieht sich auf etwas, was ich selber in der letzten Woche auf einer der Vorbereitungskonferenzen in Indien hören konnte. Da hat nämlich einer
der indischen Partner die deutsche Haltung eingeschätzt.
Er hat gesagt: Ihr habt die richtigen Ziele für 2020 und
2050 benannt, nämlich die, die die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler empfehlen. Ihr erfüllt eure Zusage
für 2012. Ihr legt als einziges Land ein Programm vor,
wie ihr die Ziele für 2020 erreichen wollt. Ihr kommt mit
einem fairen Vorschlag für die Entwicklungsländer und
die Schwellenländer, nämlich einer gleichen Emissionsobergrenze für alle. Außerdem bringt ihr noch Geld mit,
um diese Ziele zu erreichen und die Adaptionsmaßnahmen zu unterstützen. ({1})
Deutschland wird nach indischer Einschätzung die
Schlüsselrolle für den Erfolg oder Nichterfolg in Bali
spielen, weil wir das einzige Industrieland sind, dem sie
glauben, dass wir es ernst meinen und nicht nur Grenzen
für die Entwicklungs- und Schwellenländer vorsehen
wollen.
({2})
Ich wollte heute eigentlich in großkoalitionärer Eintracht sprechen. Aber da meine beiden Vorredner von
der konservativen Seite etwas anders vorgegangen sind,
vielleicht eine kleine Ergänzung. Ich empfehle jedem,
zwei Dinge nebeneinanderzulegen: zum einen das Protokoll der heutigen Reden von Frau Dött und dem Kollegen Nüßlein und zum anderen das Protokoll der Reden
vom Montag auf dem Klimaschutzkongress der CDU.
Diese Reden passen nicht zusammen.
({3})
Sie dürfen nicht nur klatschen, wenn Ihre Kanzlerin redet, sondern Sie müssen auch so handeln, wie Ihre Kanzlerin redet.
({4})
Das heißt, Sie dürfen nicht immer dann, wenn wir uns
über die Gesetze unterhalten, sagen: Das ist aber zu viel,
das machen wir nicht mit. - Sie müssen die Instrumente
so umsetzen, wie wir es vorher gemeinsam beschließen.
({5})
Gott sei Dank habe ich ein internetfähiges Handy,
Frau Dött. Deswegen habe ich mir das letzte Interview
mit Herrn Schellnhuber, den Sie hier für Ihre Atomkraft
in Beschlag nehmen,
({6})
noch einmal wörtlich aus dem Internet geholt. Zitat
Schellnhuber auf die Frage „Soll man die Atomenergie
verwenden für den Klimaschutz?“:
Man müsste gigantische Summen ins Spiel bringen …
Und weiter:
Die Uranvorräte aber sind begrenzt, und die Plutoniumtechnologie birgt zu hohe Sicherheitsrisiken.
Günstiger ist es, erneuerbare Energien auszubauen …
Das ist original Schellnhuber und nicht das, was Sie
heute als seine Worte vorgetragen haben.
({7})
Mit Ausnahme von Frau Höhn war die Behandlung
dieses Themas vonseiten der Opposition eine müde
Pflichterfüllung; bei Frau Höhn war es wenigstens eine
aufgeregte Pflichterfüllung. Ich gehe einmal auf drei
Punkte ein.
Erster Punkt ist die Behauptung, Biodiversität und
Naturschutz fänden im Ministerium und dessen Haushalt
nicht statt. Sie hätten schon lesen sollen, wie die Umwelt- und Naturschutzverbände die nationale Biodiversitätsstrategie begrüßt haben, die die Bundesregierung
gerade im Entwurf vorgelegt hat. Dafür hat es von allen
Organisationen ein eindeutiges Lob gegeben.
Der zweite Punkt geht an die Adresse der FDP. Ich
finde es schon richtig, dass man als letzter Redner seiner
Partei auf die Vorredner eingeht, statt, egal was passiert
ist, vorgefertigte Reden vorzulesen. Sie haben zwei
wichtige Dinge getan. Erstens haben Sie gesagt, die FDP
möchte die 400 Millionen Euro in die Senkung der
Stromsteuer investieren. Sie haben zwei Zahlen genannt, bei denen ich nicht so schnell prüfen konnte, ob
sie stimmen. Deswegen nehme ich sie einmal als gegeben an. Sie sagen, die Stromsteuer mache 12 Prozent des
Strompreises aus; das sind 6,5 Milliarden Euro. Dann
haben Sie gerade vorgeschlagen, den Strompreis durch
einen hohen Mitteleinsatz um 0,7 Prozent zu senken.
Glauben Sie wirklich, dass Eon und RWE diese Senkung
an die Menschen weitergeben werden? Was ist denn das
für ein Kleinkinderglaube?
({8})
Wir nehmen die 400 Millionen Euro und sorgen dafür,
dass die Menschen weniger Strom verbrauchen. Ein um
20 oder 25 Prozent geringerer Stromverbrauch senkt
Stromrechnungen. Es macht keinen Sinn, Eon und RWE
die Möglichkeit für Strompreiserhöhungen zu bieten.
({9})
Der nächste Punkt ist ganz wichtig. Frau Flach, ich
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zuhören würden. Sie haben gesagt: Ein Hauptproblem für unser Klima ist, dass
man in Afrika unverantwortlich mit den fossilen Energien umgeht. Wissen Sie, dass über 800 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner weniger CO2-Emissionen zu
verantworten haben als die Bundesrepublik Deutschland
mit ihren 80 Millionen Einwohnern allein?
({10})
Wenn man mit einer solch arroganten Haltung auf internationale Konferenzen geht, ist das Scheitern vorprogrammiert. Wir müssen handeln und Vorbild sein.
Andere können nachziehen, wenn wir eine saubere Entwicklung garantieren.
({11})
Das, was Sie vorschlagen, ist arroganter Neokolonialismus.
({12})
Herr Kollege, wollen Sie am Ende Ihrer Redezeit
noch eine Frage des Herrn Kollegen Kauch beantworten?
Aber selbstverständlich.
Herr Kelber, wir kennen Ihre Wortwahl schon. Es
macht immer wieder Spaß, Sie als SPD-Entertainer in
den Debatten zu erleben.
Stimmen Sie mir zu, dass es darum geht, erneuerbare
Energien nicht nur in Deutschland, sondern gerade auch
in Afrika einzusetzen, und dass es klug wäre, wenn die
Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit den Partnern - und nicht quasi neokolonial auftretend - zu Fortschritten käme? Stimmen Sie mir zu, dass die Sonne in
Afrika häufiger scheint und dies für den Einsatz von Solaranlagen spricht und dass dadurch eine Stabilisierung
der Länder erreicht werden könnte? Stimmen Sie mir zu,
dass es völlig unpassend ist, wie Sie hier dem Vorschlag
von Frau Flach, in diesen Ländern mehr für erneuerbare Energien zu tun, entgegentreten?
({0})
Herr Kollege, das Spannende ist ja, dass Frau Flach
nicht etwa vorgeschlagen hat, in Afrika mehr für die erneuerbaren Energien zu tun.
({0})
Wir machen schon sehr viel mehr als jede Vorgängerregierung, an der die FDP zum Teil beteiligt war. Wir
machen auch mehr als jedes andere europäische Land.
Wir können Technologien anbieten, die besser sind als
die aller anderen Länder, weil wir sie nicht nur in unserem Heimatland entwickelt, sondern auch in Massen
produziert und zum Einsatz gebracht haben. Das ist übrigens der Unterschied zu den FDP-Vorschlägen, die
kleine Quoten und reine Forschungsförderung vorsehen.
Es geht darum, ob man bei der Gewinnung sauberer
Energie helfen will oder sagt: Ihr seid das Hauptproblem, weil ihr so viele seid und euer Verbrauch steigt.
Das sagte Frau Flach mit dem Satz: Ein Hauptproblem
ist, dass in Afrika so unverantwortlich mit fossiler Energie umgegangen wird. - Entweder hatten Sie keine Ahnung, oder Sie haben absichtlich etwas gesagt, was internationale Vereinbarungen gefährdet.
({1})
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin
Flach?
Aber gerne.
Frau Flach, bitte sehr.
Herr Kelber, ich frage Sie, ob Sie in der Lage sind,
zuzuhören. Ich habe das nicht miteinander verglichen.
Ich habe gesagt: Wir müssen in Afrika, in den Entwicklungsländern dafür sorgen, dass erneuerbare Energien
eingesetzt werden. Jetzt frage ich Sie: Was ist daran neokolonialistisch? Wir stecken doch Gelder in den Export
von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energie. Ich
bin übrigens nicht nur für diesen Haushalt zuständig,
sondern auch für den Haushalt des Wirtschaftsministeriums. Dort wird das gefördert. Ich frage mich: Was hat
das mit Kolonialismus zu tun?
Frau Flach, ich bin ja mit Ihnen einig, dass wir das
unterstützen wollen. Aber lesen Sie Ihre eigene Rede
nachher einmal im Protokoll nach.
({0})
In diesem Protokoll wird stehen, dass Sie sagen, das Problem sei, dass Afrika zu sehr auf fossile Energien fixiert
ist.
({1})
- Wir werden das anhand des Protokolls prüfen. Mit
Ausnahme der FDP-Leute, die gezwungen sind, es anders gehört zu haben, haben alle in diesem Raum das so
gehört. Wir werden es nachher prüfen.
({2})
Das passt nicht zusammen. Wenn Sie sich mit Unterhändlern Chinas, Indiens oder afrikanischer Länder unterhalten, stellen Sie fest, dass das bei den Verhandlungen ein Blockadeinstrument ist. Die Länder müssen uns
glauben, dass wir unseren besonderen Verpflichtungen
nachkommen. Ich habe Ihnen die Zahlen genannt.
Deutschland ist für mehr Emissionen verantwortlich als
ganz Afrika. Historisch betrachtet, ist Deutschland für
mehr Emissionen verantwortlich als China. Die entscheidende Frage ist, mit welcher Vehemenz, welcher
Wortwahl und welchem Anspruch man auftritt.
Es geht nicht an - das ist der letzte Teil meiner Antwort -, dass FDP-Leute immer dann, wenn man sie bei
einer Falschaussage erwischt, behaupten, dass sie das nie
so gesagt haben.
({3})
Das gilt für alle Ihre Instrumente. Immer wenn man sagt,
dass das einen bestimmten Effekt hat, sagen Sie: Das
habe ich so nicht gesagt. Lesen Sie es nach. Dann werden Sie sehen, dass Sie es gesagt haben.
({4})
Das kann sicherlich von beiden Seiten aufgeklärt werden, wenn die Protokolle nachgelesen werden.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Ulrich Petzold für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Kelber, ich glaube, das, was Frau Dött
hier zur Kernenergie ausgeführt hat, stimmte absolut
mit dem überein, was die Kanzlerin sagt.
({0})
Hier geht es um die Frage: Brauchen wir die Kernenergie als Brückentechnologie? Wir werden in den nächsten
Jahren mit Sicherheit eine große Debatte über erneuerbare Energien und Biodiversität zu führen haben. Wir
sollten in manches nicht ganz so blauäugig hineinstolpern. Wir sollten die Probleme ansprechen - das ist
klar -, aber in aller Ruhe und mit viel Sachlichkeit, um
die Menschen nicht zu verunsichern.
({1})
Wenn eigene Anregungen aus dem Vorjahr bei der
Aufstellung des neuen Haushaltes aufgenommen wurden
und das mit breiter Unterstützung auch aus Ihrem Haus,
sehr geehrter Herr Minister, und von den Kollegen des
Haushaltsausschusses, dann ist hier die richtige Stelle,
einmal Dank zu sagen. Ganz besonderen Dank möchte
ich meinem Kollegen Bernhard Schulte-Drüggelte sagen, der sich hier für Themen eingesetzt hat, die mir sehr
am Herzen liegen.
({2})
Lassen Sie mich drei Anregungen aus den letzten Jahren, die aufgegriffen wurden, besonders benennen: Erstens. Die Gebühreneinnahmen der nachgeordneten Behörden verschwinden nicht mehr im allgemeinen
Haushalt, sondern werden dort eingesetzt, wo sie erwirtschaftet werden. Zweitens. Der Ansatz für befristet Beschäftigte wurde so erhöht, dass allen Auszubildenden
nach ihrer Ausbildung bei entsprechender Leistung eine
Betriebspraxis vermittelt werden kann.
({3})
Drittens. Bei der Deutschen Emissionshandelsstelle
konnte die eklatante Unterbesetzung bei den Feststellen
endlich beseitigt werden.
({4})
In der Vergangenheit war es gang und gäbe, dass zum
Beispiel das Umweltbundesamt im Rahmen einer Genehmigung eine Zuarbeit für die Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin geleistet hat. Die
BAuA hat für diese Genehmigung dann eine Gebühr berechnet und an die Bundeskasse abgeführt. Die eigentlichen Leistungserbringer wurden wiederum aus der Bundeskasse finanziert. Das Problem war dann nur, dass
genau diese Leistungserbringer - unabhängig davon, wie
viel sie zur Refinanzierung ihrer eigenen Stellen beigetragen haben - ohne Unterschied von der allgemeinen
Stellenkürzung betroffen waren. Egal ob durch ihre Leistung Geld erwirtschaftet wurde oder nicht oder ob sie einen geringen oder überproportionalen Deckungsbeitrag
erwirtschafteten, der Rasenmäher war für alle gleich. Im
Gegenteil: Dadurch, dass zum Beispiel das UBA nur
eine Zuarbeit leistete, die BAuA jedoch die Leistung abrechnete und gutgeschrieben bekam, war im UBA kein
wirtschaftliches Interesse gegeben. Das hat sich jetzt in
fast allen Fällen geändert. Eine vernünftige Kosten-Leistung-Berechnung ist nun die Grundlage für die Genehmigungsgebühren, und die leistungserbringenden Stellen
sind sachgerecht finanziert.
In meiner Berichterstattung zum Haushalt 2007 hatte
ich kritisiert, dass bei der erfreulich hohen Anzahl von
Auszubildenden im Ministerium und in den Behörden
auf der einen Seite andererseits eine Anschlussbeschäftigung finanziell untersetzt sein muss, wie es der Bund eigentlich festlegt. Durch die Erhöhung des Haushaltsansatzes für befristet Beschäftigte und die Auszubildenden
in den nachgeordneten Ämtern um über 1,6 Millionen
Euro ist dieses Problem nun gelöst.
({5})
Ich weiß, welche Erleichterung dies für viele Familien in
und um Dessau bedeutet, wenn sie wissen, dass ihre Kinder nach einer erfolgreichen Berufsausbildung in einer
Bundesbehörde nicht sofort wieder auf der Straße stehen. Im Namen dieser Familien, sehr geehrter Herr Minister, sage ich Ihnen ganz herzlichen Dank.
({6})
Die Chancen liegen auf beiden Seiten. Natürlich ist es
eine Chance für die jungen Menschen, nach der Ausbildung die erste richtige Berufserfahrung zu sammeln und
erste berufliche Verantwortung zu tragen. Auf der anderen Seite haben wir als Bund ein Jahr lang die Möglichkeit, Stellen aus einem Reservoir von gut ausgebildeten
und gut eingearbeiteten jungen Arbeitnehmern zu besetzen. So macht dies auch aus betriebswirtschaftlichen
Gründen Sinn.
Zur Deutschen Emissionshandelsstelle. Dort können
wir nun endlich in die Vollen gehen. Wir haben sie für
die Bewältigung der Probleme, die in den nächsten Wochen vor ihr liegen, mit genügend finanziellen Mitteln
und Personal ausgestattet. Dazu brauche ich wohl nichts
weiter auszuführen.
Sparen ist die richtige Mitte zwischen Geiz und Verschwendung, sagte schon Theodor Heuss. Wir müssen
uns für die Zukunft die Frage stellen: Welche Kompeten13702
zen wollen wir in unserem Ministerium und in den Behörden ansiedeln? Wenn in den Referaten „Umwelt und
Energie“, KI I 1 bis 4, zurzeit von den 17,15 Mitarbeitern 9,15 Mitarbeiter über Zeitverträge beschäftigt sind
und wenn in der Abteilung „Sicherheit kerntechnischer
Einrichtungen, Strahlenschutz, nukleare Ver- und Entsorgung“ schon jetzt gravierende Kompetenzverluste
festzustellen sind, dann müssen wir uns diese Frage stellen. Herr Minister, wir sind der Meinung, in Ihrem Ministerium und in den nachgelagerten Behörden darf es
nicht zu einem Kompetenzabriss, zu Überalterung und
zu einer ungesunden Altersstruktur kommen. Sie haben
uns in den nächsten Jahren an Ihrer Seite.
Danke schön.
({7})
Zu einer Kurzintervention erteile ich nun der Kollegin
Ulrike Flach das Wort.
Ich sehe mich leider gezwungen, aus meiner Rede zu
zitieren; das ist allerdings etwas schwierig, weil sie, wie
Sie wissen, inzwischen beim Protokoll ist. Ich habe an
keiner Stelle in irgendeiner Weise Vorwürfe gegenüber
dem afrikanischen Kontinent erhoben, sondern ich habe
unsere Vorstellung von Klimaschutz mit der der Großen
Koalition verglichen. Ich habe gesagt: Unser Weg ist ein
anderer. Wir brauchen international eine technische
Revolution, in Ländern wie China oder auf dem afrikanischen Kontinent, wo man bislang stark auf fossile Energien setzt. Wir brauchen dort erst einmal einen massiven
Einstieg in erneuerbare Energien.
Das entspricht der politischen Linie, die das Wirtschaftsministerium Tag für Tag vertritt.
({0})
Auch Sie diskutieren über dieses Thema in unserem
Sinne. Ich bitte Sie: Wenn Sie schon zitieren, zitieren Sie
richtig!
Herr Kollege Kelber, wollen Sie antworten?
Gerne.
Bitte.
Ich habe den Nachteil, dass ich keine aufgeschriebene
Rede zur Verfügung hatte.
({0})
- Augenblick! - Aber das, was Sie, Frau Flach, gerade
gesagt haben, bestätigt meinen Vorwurf. Sie haben das,
was wir tun - Klimaschutz im eigenen Land mit Technologietransfer, Hilfen und Adaption -, einem System gegenübergestellt, das in Ländern wie China oder auf dem
afrikanischen Kontinent zunächst eine Technologierevolution auslösen muss.
({1})
Ich habe gerade versucht, Ihnen deutlich zu machen,
dass 800 Millionen Menschen, die in Afrika leben, noch
nicht einmal so viele Emissionen verursachen wie
80 Millionen Menschen hierzulande.
({2})
Wenn Sie so auf einer internationalen Konferenz aufträten, würden diese Länder die Verhandlungen abbrechen;
wenn Herr Kauch von Bali zurückgekehrt ist, kann er Ihnen das bestätigen.
({3})
Das müssen Sie endlich einmal verstehen, Frau Flach.
Indem Sie Ihr Zitat vorgelesen haben, ist Ihre Aussage
noch schlimmer geworden, nicht besser.
({4})
Eine weitere Kurzintervention vom Kollegen Kauch.
({0})
Herr Kelber, ich glaube, Sie verrennen sich in etwas.
Gerade mit Blick auf die internationalen Verhandlungen
sind wir inhaltlich nämlich viel näher beieinander, als
das, was der deutschen Öffentlichkeit gerade vorgespielt
wird, vermuten lässt. Frau Flach hat zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass die genannten Länder eine überdurchschnittliche Verantwortung für die CO2-Emissionen haben. Sie hat nur festgestellt, dass diese Länder immer
noch sehr stark auf fossile Strukturen setzen. Das ist sowohl im Hinblick auf China als auch im Hinblick auf das
südliche Afrika korrekt. Hierbei handelt es sich also um
eine Tatsachenbeschreibung.
Der Weg, den wir gehen wollen, besteht darin, dass
wir nicht nur in unserem eigenen Land, sondern auch
dort - über einen Technologietransfer; darauf haben Sie
hingewiesen - für den Ausbau erneuerbarer Energien
eintreten müssen. Das bedeutet allerdings keine Schwächung der Position Deutschlands. Wenn man das positiv
wendet, kann man sogar sagen: Das ist ein Angebot an
diese Länder, durch das unsere Verhandlungsposition gestärkt, nicht aber geschwächt werden kann.
({0})
Herr Kelber zur Beantwortung. Dann können wir zur
Abstimmung kommen.
Herr Kauch, Sie wissen, dass ich Sie und Ihr Engagement für die Sache schätze. Der entscheidende Punkt
war allerdings die Betonung.
({0})
Das, was wir machen, wurde einer anderen Politik gegenübergestellt. Die FDP sagt immer, das, was die
Große Koalition macht - oder früher Rot-Grün gemacht
hat -, sei falsch, und sie mache etwas anderes. Ich weiß
auch, dass zum Beispiel in Südafrika, Nigeria, aber auch
in den armen Ländern Afrikas Biomasse, in Großkraftwerken aber auch fossile Ressourcen genutzt werden.
Der entscheidende Punkt ist aber, dass der Verbrauch des
gesamten Kontinents Afrika unter dem eines einzigen
Industrielandes in Europa liegt.
({1})
Wir müssen zeigen, dass wir die Industriegesellschaft
auf erneuerbare Energien umstellen können. Das ist das
Signal, das Länder wie China und die afrikanischen
Staaten erwarten. Dann werden sie diese Entwicklung
nachmachen - nicht andersherum.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, in der Ausschussfassung. Es liegen dazu drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst
abstimmen.
Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7340 ab. Wer
stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/7324? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit
abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 16/7325? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Nun stimmen wir über den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen?
- Enthaltungen? - Dann ist der Einzelplan 16 mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.16 auf:
Einzelplan 17
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
- Drucksachen 16/6416, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Petra Hinz ({0})
Roland Claus
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und bitte zunächst all diejenigen, die der Debatte nicht hier im Haus folgen wollen, ihre Gespräche draußen fortzusetzen. Ich erteile als
erster Rednerin der Kollegin Miriam Gruß für die FDPFraktion das Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Die Haushaltswoche ist die Woche des
Geldausgebens. Es geht um Milliarden. Im Falle von
Familien sprechen wir hier über eine Summe von
184 Milliarden Euro. Aber lassen Sie uns doch auch einmal darüber sprechen, wo diese Milliarden ankommen.
Denn offenbar - das ist mein Eindruck - reicht auch dieser Mammutbetrag nicht aus, damit es den Familien in
diesem Lande gut geht.
Rund 2,6 Millionen Kinder gelten in Deutschland als
arm. Immer mehr Kinder verwahrlosen. Die Fälle von zu
spät erkannten Vernachlässigungen und Misshandlungen nehmen fast täglich zu, wie das Schicksal der kleinen Lea-Sophie aus Schwerin zeigt. Gerade Familien
sind in diesem Land von Armut betroffen. Gerade Familien sind einer finanziellen Belastung ausgesetzt, der
sie sich oft nicht mehr gewachsen fühlen.
Die Folge: Familien werden in Deutschland zur Mangelware. Wenn das so weitergeht, ist die Familienpolitik
in ein paar Jahren eine Politik für eine kleine Minderheit
in unserem Land. Ich fordere deshalb eine grundlegende
Reform der Familienpolitik. Wir müssen beweisen, dass
wir ein familienfreundliches Land sind, und alles in unserer Macht Stehende tun, um unseren Kindern ein behütetes Aufwachsen zu ermöglichen.
({0})
Das Geld für eine bessere Familienpolitik ist da, die
Effizienz dagegen nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass
die Milliardenbeträge, die wir ausgeben, auch wirklich
bei denen ankommen, die sie benötigen: bei den Familien und bei unseren Kindern. Angesichts dessen, dass
die Zahl der Fälle von Vernachlässigung und Misshandlung zunimmt, müssen wir ein funktionierendes Netzwerk aufbauen, in das alle am Aufwachsen von Kindern
Beteiligten eingebunden sind: Eltern, Kinderärzte, Hebammen, Jugendämter, Betreuerinnen und Betreuer, Lehrerinnen und Lehrer und viele mehr. Der Fall Lea-Sophie
hat gezeigt: Dienst nach Vorschrift reicht oft nicht aus.
Sensibilität, Zeit und Einfühlungsvermögen sind gefragt,
um Missbrauchsfälle frühzeitig zu erkennen. Bloß, woher soll denn ein Mitarbeiter des Jugendamtes die Zeit
nehmen, die Kinder zu besuchen und sie sich anzuschauen, wenn er für bis zu 150 Fälle zuständig ist? Hier
ließe sich Geld sinnvoll einsetzen. Aus dem Fall Kevin
wurden offenbar keine Lehren gezogen. Diesen Fehler
dürfen wir nicht erneut begehen.
({1})
2008 muss das Jahr der Taten werden: Wir brauchen
ein effizientes Frühwarnsystem, um Misshandlung
oder Vernachlässigung so schnell wie möglich zu erkennen. Zweitens. Wir brauchen eine Offensive gegen Kinderarmut. Drittens. Wir dürfen die Betroffenen, die Familien und Kinder, nicht länger vertrösten. Lange
Wartezeiten müssen sie bereits beim Krippenausbau in
Kauf nehmen. Da wird Ihre Sonntagsredenpolitik ja
auch erst 2013 greifen. Was, frage ich Sie, sollen die Eltern bis dahin tun? Einfach keine Kinder mehr bekommen? Deutschland kann es sich schlichtweg nicht leisten, weiterhin schrumpfende Familienraten zu forcieren.
Wir haben viel zu tun, sehr viel. Packen wir es an!
({2})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ole
Schröder das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst bedanke ich mich bei der Hauptberichterstatterin für die gute Zusammenarbeit bei der Beratung des Einzelplans 17. Natürlich bedanke ich mich
auch bei den Mitberichterstattern. Ganz besonders bedanke ich mich für die vertrauensvolle und konstruktive
Beratung dieses Einzelplans beim Ministerium und hier
vor allen Dingen bei der Ministerin.
Die gewohnte Ausnahme, was konstruktive Zusammenarbeit angeht, hat leider wieder die Fraktion Die
Linke gebildet. Es ist schon bemerkenswert, was Sie alles an zusätzlichen Ausgaben fordern: Sie fordern ernsthaft, mal eben 3,5 Milliarden Euro mehr für den Kinderzuschlag auszugeben, 2,46 Milliarden Euro mehr für das
Kindergeld, 2 Milliarden Euro mehr für den Ausbau der
Kinderbetreuung.
({0})
Sie wollen, dass insgesamt 8 Milliarden Euro mehr ausgegeben werden, und das - das ist das Problem - ohne
einen einzigen seriösen Vorschlag der Gegenfinanzierung.
({1})
Sie wollen dauerhafte Ausgabensteigerungen in Höhe
von rund 6 Milliarden Euro und damit eine 100-prozentige Erhöhung dieses Einzelplans.
Als SED-Nachfolgepartei
({2})
müssten Sie doch eigentlich wissen, was eine zu hohe
Verschuldung bedeutet: Armut und letztendlich den
Staatsbankrott.
({3})
Wann realisieren Sie endlich, dass wir trotz der guten
wirtschaftlichen Entwicklung immer noch Tag für Tag
Schulden aufnehmen? Wann realisieren Sie, dass der
Bund mittlerweile nahezu 1 Billion Euro Schulden aufgenommen hat und dass jeder weitere Euro Schulden die
zukünftigen Handlungsspielräume für die junge Generation einschränken wird?
({4})
Ich appelliere auch an die Grünen, damit aufzuhören
- ich denke da an ihren letzten Parteitag -, diese Art der
populistischen Angebote auch noch mitzumachen.
({5})
Wir dürfen nicht glauben, dass Kinderarmut in
Deutschland nur ein materielles Problem ist. Es wäre daher auch falsch, das Problem nur durch staatliche Alimentation lösen zu wollen, wie das die Sozialisten tun
wollen. Kinderarmut hat vielfältige Ausprägungen und
Ursachen. Es geht nicht nur darum, dass Kinder, die in
Armut leben, unter materieller Armut leiden. Viele Kinder leiden insbesondere unter der Armut an Fürsorge und
Zuwendung.
({6})
Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Gruß?
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Schröder, Sie haben gerade so
schön gesagt, dass Kinderarmut nicht nur materielle ArMiriam Gruß
mut ist. Deshalb würde mich gerade Ihre Position zum
Betreuungsgeld interessieren.
({0})
Ich habe gesagt, dass das nicht nur eine Frage der materiellen Armut ist. Ich habe deutlich gemacht, dass die
Armut unterschiedliche Auswirkungen hat, dass wir von
daher auch unterschiedliche Lösungen brauchen
({0})
und dass es nicht ausreicht, Kinder und Eltern einfach
nur stärker zu alimentieren.
({1})
Sicherlich müssen wir aber auch an die Eltern denken,
die sich bewusst dazu entscheiden, ihr Kind selbst zu
Hause zu betreuen. Sie sollten uns genauso lieb sein wie
diejenigen, die sich bewusst dafür entscheiden, recht
frühzeitig - zum Beispiel nach einem Jahr - ihren Beruf
wieder aufzunehmen. Wir als CDU/CSU-Fraktion halten
überhaupt nichts davon, diese beiden Gruppen gegeneinander auszuspielen.
({2})
Ich finde, dass der Weg, den die Ministerin einschlägt
und auf dem sie beides berücksichtigt und Wahlfreiheit
für die Familien schafft, genau richtig ist. Diesem Weg
sollten wir weiter folgen.
({3})
Die reine Alimentation ist eben kein Allheilmittel.
Wir brauchen eine Mischung aus mehr Zeit für Kinder,
aus Infrastruktur und natürlich auch aus einer besseren
finanziellen Unterstützung sowie aus solchen Elementen
wie der Beratung.
Durch eine gute Familienpolitik wird daher dafür gesorgt, dass es den Eltern ermöglicht wird, ausreichend
Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, dass Eltern eine
echte Wahlfreiheit zwischen einem Betreuungsplatz für
ihre Kinder und dem Verzicht auf eine Berufstätigkeit
haben und dass sie eben auch ausreichend finanziell unterstützt werden. Durch eine verantwortungsvolle Politik
für Familien wird dafür gesorgt, dass Familien Hilfe bekommen, wenn sie mit der Erziehung der Kinder überfordert sind, und dass durch den Staat auch entschieden
und frühzeitig eingegriffen wird, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen.
Meine Damen und Herren, in diesem Haushalt kommt
das Elterngeld voll zum Tragen. Damit können sich die
Familien für ihr Kind im ersten Lebensjahr Zeit nehmen
und auf eine Berufstätigkeit verzichten. Aufgrund der
Einkommensabsicherung droht ihnen nun kein Abrutschen in die Armut mehr.
Es freut mich, dass sich die Familienministerin auch
darangemacht hat, den Kinderzuschlag so auszugestalten, dass mehr Familien geholfen werden kann. Mit der
beschlossenen Entfristung des Kinderzuschlages gehen
wir einen ersten Schritt. Jetzt müssen wir uns daranmachen, den Kinderzuschlag auch zu entbürokratisieren.
Das, was meine Vorrednerin gesagt hat, ist genau richtig:
Das Geld soll bei den Kindern und Eltern ankommen
und eben nicht in der Förderbürokratie versickern.
({4})
Wir dürfen auch den weiteren Ausbau der Regelungen zum Kindergeld nicht vergessen. Ich sage Ihnen
deutlich: Die CDU/CSU-Fraktion wird nicht am Kindergeld rütteln. Vielmehr sollten wir das Kindergeld in den
kommenden Jahren - gegebenenfalls nach der Anzahl
der Kinder - weiter aufstocken; denn gerade durch das
Kindergeld werden die Eltern mit mittlerem und niedrigem Einkommen unterstützt. Diese Eltern sind für ihre
Kinder wirklich auf jeden Euro angewiesen. Das momentane Kindergeld in Höhe von 154 Euro reicht, wenn
überhaupt, nur zur Deckung eines Teils der Kosten, beispielsweise für die Schulausstattung.
Ich finde es wirklich anmaßend, wenn solchen Eltern
vorgeworfen wird, dass sie dieses Geld für Flachbildschirme und Alkohol ausgeben. Wer so etwas behauptet,
der kennt die Realität und die Lebenswirklichkeit der
großen Mehrheit der Familien in Deutschland nicht. Das
sind nämlich Eltern, die sich für ihr Kind aufreiben und
die für ihre Kinder wirklich den letzten Cent ausgeben.
({5})
Auch der deutliche Ausbau der Betreuungsplätze für
unter Dreijährige dient dem Ziel, Kinderarmut schon
präventiv zu bekämpfen; denn nur ein gutes Angebot an
Betreuungsplätzen erlaubt es dem zweiten Elternteil
bzw. dem Alleinerziehenden, ein ausreichendes eigenes
Einkommen zu erzielen.
Mit der Einigung mit den Ländern und Kommunen
über die Finanzierung und der Einstellung des Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro in den
Haushalt ist nun der Weg für eine Verdreifachung der
Kapazitäten in der Kinderbetreuung für unter Dreijährige frei.
Wir wollen ein Betreuungsangebot von 750 000 Plätzen erreichen. Jetzt kommt es darauf an, dass wir diesen
Ausbau auch in der Praxis zielgenau umsetzen. Dabei
dürfen wir nicht nur den quantitativen Schritt machen,
sondern müssen natürlich auch darauf achten, dass beim
Ausbau der Betreuung unsere qualitativen Anforderungen erfüllt werden.
({6})
Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung rücken auch die Belange von älteren Menschen immer stärker in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen
Diskussion. Zum einen gilt dies für die wachsende Zahl
der Pflegebedürftigen. Hier werden wir durch die
Pflegereform einen deutlichen Schritt nach vorne machen. Zum anderen gilt das aber auch für die wachsende
Zahl der Senioren, die in immer stärkerem Ausmaß aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend hat sich auf den Weg gemacht, diesen gesellschaftlichen Wandel aktiv zu begleiten und stärker zu
gestalten. Das wird auch in diesem Haushalt deutlich. In
diesem Zusammenhang denke ich zum Beispiel an die
Förderung von Seniorenorganisationen, das Unternehmensprogramm „Wirtschaftsfaktor Alter - Unternehmen
gewinnen“ oder die Initiative „Erfahrung ist Zukunft“,
um nur einige wenige Beispiele herauszunehmen.
({7})
Meine Damen und Herren, einen besonderen Schwerpunkt setzen wir in diesem Haushalt bei der Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements. Aus gutem
Grund haben wir den Titel „Modellvorhaben zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements“ um weitere
2 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro erhöht.
Die Regierung Merkel unterstützt wie keine andere
Bundesregierung zuvor das ehrenamtliche Engagement;
({8})
denn es kann durch keine staatliche Einrichtung, auch
wenn sie finanziell noch so gut ausgestattet ist, ersetzt
werden. Das ehrenamtliche Engagement ist wertvoll - sei
es bei der Unterstützung älterer Menschen, die auf Hilfe
angewiesen sind, sei es bei der Betreuung von Jugendlichen.
Mit dem in diesem Sommer verabschiedeten Gesetz
zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements haben wir die steuerlichen Rahmenbedingungen
für bürgerschaftliches Engagement deutlich verbessert dem Finanzminister sei Dank.
({9})
Mit der schnellen Umsetzung dieses Gesetzes haben
wir gezeigt, dass die Große Koalition nicht nur vom Ehrenamt redet, sondern auch etwas tut. Wir bringen konkrete Maßnahmen auf den Weg.
Die Erfahrungen zeigen, dass die Menschen auch die
entsprechenden Strukturen vorfinden müssen, denen sie
sich ohne viel Aufwand anschließen können, wenn sie
sich ehrenamtlich engagieren wollen. Sie brauchen Informationen darüber, welche Möglichkeiten es gibt, sich
einzubringen. Genau dies unterstützen wir durch die nun
stärker geförderten Modellvorhaben des Ministeriums.
In diesem Zusammenhang denke ich insbesondere an
die Bürgerstiftungen. Hier engagieren sich Bürgerinnen
und Bürger in zunehmendem Maße für ihr direktes Lebensumfeld. Die meisten Stiftungen haben die Förderung von Kindern und Jugendlichen zum Ziel. Inzwischen gibt es 150 Stiftungen mit 10 000 Stifterinnen und
Stiftern. Genau solche Erfolge wollen wir mit unserer
Politik, auch mit diesem Haushaltsplan, weiter ausbauen.
({10})
Das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend hat sich in den letzten zwei Jahren zu
dem Zukunftsministerium entwickelt, die Bundesministerin Frau von der Leyen zu der Zukunftsministerin. Wir
haben viel getan. Aber es ist noch viel zu tun. Dafür zu
sorgen, dass Familien bessere Chancen in Deutschland
haben, und den demografischen Wandel positiv zu begleiten, wird in der zweiten Hälfte dieser Wahlperiode in
noch stärkerem Maße Aufgabe dieses Ministeriums sein.
Ich hoffe, dass wir, gerade der Haushaltsausschuss, diese
Politik genauso konstruktiv begleiten werden wie bisher.
({11})
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir reden bei diesem Etat über zu Zahlen gewordene Politik für und mit Familien, Senioren, Frauen und
Jugend. Wenn man sich fragt, wer eigentlich nicht dazugehört, dann stellt man fest, dass nur noch männliche
Singles mittleren Alters übrig bleiben, wie wir merken,
ein weites Feld, ohne das Demokratie nicht möglich
wäre.
({0})
Frau Bundesministerin, gerade weil Sie als Sympathieträgerin der Bundesregierung gelten, müssen Sie sich
gefallen lassen, dass wir Sie an den Ergebnissen Ihrer
Politik und nicht an der Zahl Ihrer Talkshowbesuche
messen.
({1})
Zur Wahrheit gehört sicherlich: Gemessen an der Familienpolitik der CSU, ist das, was Sie leisten, ein Stück
weit revolutionär. Aber gemessen an den Erfordernissen
einer zukunftsfähigen Jugend- und Familienpolitik, ist
auch diese Politik schlicht rückständig. Das ist leider das
Ergebnis.
({2})
Mittlerweile gibt es so etwas wie das von-der-LeyenPrinzip: Die Ministerin macht eine Ankündigung. Diese
wird mit Interesse aufgenommen. Danach gibt es einen
Aufschrei in der SPD, nicht weil sie meint, dass die Ministerin etwas Falsches gesagt hätte, sondern weil sie
meint, es hätte sich gehört, dass die SPD das sagt. Dann
gibt es einen Aufschrei in der CSU,
({3})
die das Abendland in Gefahr sieht. Dann trifft sich in der
Regel Frau von der Leyen mit dem Finanzminister. Heraus kommt ein sogenannter Kompromiss. Wie dieser
aussieht, haben wir beim geplanten Vorziehen der Kindergelderhöhung auf 2009 erlebt.
Der vom Kinderhilfswerk herausgegebene Kinderreport 2007 sollte uns allen zu denken geben. Wenn man
den Bogen etwas weiter spannt und sich die letzten
30 Jahre der Bundesrepublik anschaut, dann stellt man
fest, dass es den Bundesregierungen mit ihrer Politik gelungen ist, die Geburtenzahl zu halbieren. Innerhalb
von nur 15 Jahren ist ihnen das auch im Osten Deutschlands gelungen. Im gleichen Zeitraum hat sich der private Reichtum vervielfacht, die Kinderarmut leider
verfünfzehnfacht. Das ist ein Skandal, mit dem wir uns
nie abfinden werden, weder in diesem Hause noch anderswo.
({4})
Wir alle müssen uns fragen, ob wir nicht klammheimlich den Grundsatz „Den Kindern soll es einmal besser
gehen“ - den haben Christen und Nichtchristen einmal
geteilt - allmählich durch die Einstellung „Nach mir die
Sintflut“ ersetzen. Gerade weil Sie den Zusammenhang
von Demokratie und Familie betonen, müssen Sie sich
ein paar Fragen gefallen lassen. Wie soll der Langzeitarbeitslose in seinem Umfeld Selbstbewusstsein vorleben?
Was ist daran noch demokratisch, wenn die Verkäuferin
ihrer Tochter den Schulausflug wiederholt nicht bezahlen kann? Wie soll nach einer fünfeinhalb Tage dauernden Arbeitswoche weit weg von zu Hause Kinderliebe
im Zeitraffer möglich sein? Warum muss eine Schülerin
ein Schuljahr wiederholen, wenn ihre Eltern in ein anderes Bundesland umziehen? Zusammengefasst: Was ist
das für ein Reichtum, der nicht bei den Kindern ankommt?
Das ist ein Skandal in diesem reichen Land.
({5})
Wenn Sie uns erneut für unsere Vorschläge kritisieren,
dann sage ich Ihnen: Das Steuerkonzept, das wir vorgelegt haben, deckt alle diese Vorschläge ab. Diese Vorschläge hätten es verdient, Wirklichkeit in diesem Lande
zu werden.
({6})
Ein Beispiel: Wir werden im nächsten Jahr darangehen,
die ersten Zivildienstschulen zu schließen. Ende des
Jahres 2008 soll das vollzogen sein. Wir finden, das ist
ein falscher Schritt, weil die soziale und bildungspolitische Kompetenz dieser Einrichtungen mehr denn je gefragt ist. Natürlich verschließen wir nicht die Augen davor, dass die Zahl der Zivildienstleistenden kleiner wird,
aber statt über Schließungen nachzudenken, müsste doch
in einer Situation, in der wir über so viele gesellschaftliche Umbrüche reden, die soziale und bildungspolitische
Kompetenz genutzt und die Einrichtungen müssten umgewidmet und dürften nicht eingestellt werden. Das
wäre vernünftig und logisch.
({7})
Wir schlagen Ihnen erneut vor, im Kampf gegen den
Rechtsextremismus die Mittel für die vorgesehenen
Programme von 19 Millionen Euro auf 38 Millionen
Euro zu verdoppeln. Das ergibt einen Sinn. Wir reden
gegenwärtig über 90 bewilligte Anträge. Es gibt 149 abgelehnte Anträge. Die meisten wurden wegen Geldmangels abgelehnt. Alle diese Programme - das müssen wir
uns eingestehen - sind eigentlich ein Ausdruck politischen Versagens. Sie sind ein Akt der Nachsorge. Es
kommt immer erst der wirtschaftliche Niedergang, und
dann zerbricht die soziokulturelle Infrastruktur. Ein Dorf
ohne Schule ist ein Stück weit ein Dorf ohne Geist. Es
entstehen demokratiefreie Räume. Dann kommen wir
mit unseren Extraprogrammen und versuchen, zu retten,
was zu retten ist. Ich sage das so eingeschränkt auch vor
dem Hintergrund dessen, was wir hier vorschlagen.
Es beginnt wie immer mit der Analyse. Solange die
Mehrheit in diesem Hause nicht bereit ist, zu erkennen,
dass Rechtsextremismus ein Problem ist, das inzwischen
die Mitte der Gesellschaft erreicht hat und nicht mehr ein
Randproblem ist, werden wir die Ursachen und Wurzeln
nicht wirksam angehen können.
({8})
Sie müssen sich nur einmal anschauen, wie oft in Ihren
eigenen Analysen zum Thema Rechtsextremismus das
Wort „Phänomen“ vorkommt. „Phänomen“ heißt wörtlich übersetzt „das Erscheinende“, „die Erscheinung“. Er
ist also für Sie nicht das Wesen, sondern eine Erscheinung irgendwo am Rande. Wenn man das Problem zu einer Randerscheinung erklärt, hält man die eigenen Reihen sauber.
Ich finde, ein besonders unverantwortliches Beispiel
für den Umgang mit Rechtsextremismus hat gerade in
der vorherigen Debatte Bundesminister Gabriel abgeliefert, indem er - ungeprüft und ohne Belege - Oskar
Lafontaine, wie wir dann erfahren haben, falsch zitiert
und ihm neonationalistische Sprüche unterstellt hat. Das
ist nicht nur infam und wird von uns zurückgewiesen,
das ist auch eine Verharmlosung der rechtsextremistischen Gefahr.
({9})
Kollege Claus, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Das will ich gern tun, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Ihr Etat ist nicht zukunftsfähig. Ich wiederhole:
Was ist das für ein Reichtum, der nicht bei den Kindern
ankommt? Das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Insofern können wir Ihrem Etat nicht zustimmen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist in den zurückliegenden
Petra Hinz ({0})
Beratungen um 13,6 Millionen Euro aufgestockt worden. Wir legen dem Parlament ein Ausgabenvolumen in
Höhe von rund 6,2 Milliarden Euro zur Beschlussfassung vor. Die Aufstockung gegenüber dem Vorjahr beträgt damit 1 Milliarde Euro. Also von wegen „nicht zukunftsweisend“.
({1})
Das resultiert unter anderem auch aus der Überlappung
von bisherigem Erziehungsgeld und dem neuen Elterngeld.
Aber es wurden auch weitere Veränderungen vorgenommen. Ich möchte hier die Stärkung der Zivilgesellschaft nennen. Zur besseren Transparenz wurden alle
Titel des bürgerschaftlichen Engagements in einer Titelgruppe zusammengefasst. Das ist jetzt sehr technokratisch, aber es gibt tatsächlich mehr Transparenz. Wir haben darüber hinaus eine Umformulierung vorgenommen
und - das hat schon mein Kollege Ole Schröder gesagt den bisherigen Ansatz von 10 Millionen Euro um weitere
2 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro aufgestockt. Insgesamt stehen für die Stärkung der Zivilgesellschaft jetzt
32,46 Millionen Euro zur Verfügung. Dies ist auf den
ersten Blick richtig, aber wenn wir einmal genauer in den
Haushalt schauen, und zwar in den Bereich „Allgemeine
Bewilligungen“, dann werden wir noch weitere Mittel
sehen. Für die Freiwilligendienste stehen weitere
1 Million Euro zur Verfügung. Für die Förderung zentraler Maßnahmen und die Organisation des Ehrenamtes
und der Selbsthilfe stehen an anderer Haushaltsstelle, jedoch auch in diesem Bereich, weitere 500 000 Euro zur
Verfügung. Eine weitere Veränderung hat stattgefunden:
Die Bundesregierung bzw. die Ministerin hat einen Beauftragten für Zivilengagement eingesetzt. Für seinen
Aufwand sind wir der Empfehlung des Ministeriums,
eine Aufwandsentschädigung bereitzustellen, gefolgt.
Die heutige Verabschiedung des Haushaltes ist eine
gute Gelegenheit, um deutlich zu machen, welche Perspektiven und Schwerpunkte damit verbunden sind. Im
Oktober wurde der Koalitionsantrag „Häusliche Gewalt
gegen Frauen konsequent weiterbekämpfen“, Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung der Gewalt
gegen Frauen, an dieser Stelle beraten. Wenn das einzige
Zuhause ein Ort der Gewalt ist - ich rede von Gewalt
gegen Frauen -, dann ist es auch oft ein gefährlicher Ort
für Kinder. Ich denke, es ist richtig, dass hier festgehalten wird, dass mehr als 40 000 Frauen in Deutschland
gemeinsam mit ihren Kindern ins Frauenhaus flüchten
müssen.
Für die Koordinierungsstelle Frauenhaus stehen im
Haushalt rund 300 000 Euro zur Verfügung. Ich will hier
nur zwei Projektpunkte und Aufgaben benennen: Arbeitshilfen zur Unterstützung der Frauenhauspraxis und
der Frauenhausträger und die Aufbereitung von zentralen Rechts- und Finanzierungsfragen, die für die von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern relevant sind.
Grundsätzlich ist die Finanzierung von Frauenhäusern
Aufgabe der Länder und Kommunen. Das Thema wird
regelmäßig in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Häusliche Gewalt“ beraten.
Kinder und Familien stärken, das ist die Überschrift
des Einzelplans 17. Kinder und Familien stärken ist eine
Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden.
({2})
In der Frage der Kinder- und Jugendhilfe haben
Bund, Länder und Kommunen durch das Gesetz jeweils
eigene Kompetenzen. Es darf aber nicht um Kompetenzgerangel oder um Zuständigkeiten gehen, damit man die
Verantwortung schön auf eine andere Ebene abgeben
kann. Nein, wir müssen über alle Ebenen hinweg erfolgreich für Familien, Kinder und Frauen kämpfen.
Der Haushalt spiegelt genau diese Anforderungen wider. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, Wege und Lösungen aufzuzeigen. Seit Anfang Oktober liegt der
zweite Aktionsplan der Bundesregierung vor. Das ist
eine starke Leistung. Mit seinen rund 130 Einzelmaßnahmen beschreibt dieser Aktionsplan ein ehrgeiziges
Ziel. Alle Maßnahmen, die umgesetzt werden, werden
sich auch in diesem Haushalt widerspiegeln. In dem Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland“ wird
aufgezeigt, wie wichtig es ist, dass Kinder in einer gewaltfreien Umgebung, in einer gewaltfreien Gesellschaft
aufwachsen. Umso wichtiger ist es, die Kinderrechte
ins Grundgesetz aufzunehmen.
({3})
Meine Fraktion will die Kinderrechte ausdrücklich
ins Grundgesetz aufnehmen. Wir müssen den Kindern
das Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit geben, und zwar nicht nur in Sonntagsreden.
({4})
Sie haben das Recht auf Förderung ihrer Stärken und
insbesondere ihrer Talente. Ich möchte an dieser Stelle
nicht die zurückliegende Woche strapazieren, in der der
Vorlesetag stattfand und in der es was weiß ich nicht alles gegeben hat. Wir alle waren im Wahlkreis aktiv und
engagiert. Es sind 7 000 Menschen und 200 000 Kinder
in den Genuss gekommen, einen Tag lang im Mittelpunkt zu stehen. Das ist unsere Politik. Diese Überzeugung ist der rote Faden unserer Kinder- und Jugendpolitik. Wir haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung
eingeführt sowie dass Kinder ab dem ersten Lebensjahr
einen Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung in einer Kita oder in der Tagespflege haben. Bereits in der
zurückliegenden Legislaturperiode haben wir einen
Maßnahmenkatalog für mehr Kinderfreundlichkeit verabschiedet. Dies wird kontinuierlich fortgeführt. Jetzt
die Kinderrechte im Grundgesetz klarzustellen, ist eine
schlüssige und für mich absolut logische Konsequenz
unserer Politik.
Der rote Faden heißt Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz. Dieses Gesetz haben wir bereits im Nachtragshaushalt 2007 beschlossen. Das ist ein ausgesprochen
gutes Gesetz. Dem Haushalt 2008 könnten wir eigentlich
mehrere Überschriften geben. Eine könnte heißen: Von
Anfang an groß und stark. Genau das muss unser Ziel
Petra Hinz ({5})
sein; denn wenn unsere Kinder von Anfang an gefördert
werden und eine Chance bekommen, werden sie starke
Erwachsene und müssen beispielsweise nicht ins Frauenhaus. Nicht umsonst heißt es im Volksmund: Was
Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Die Seniorinnen- und Seniorenpolitik ist ein weiterer Bereich dieses Ministeriums. Es geht darum, dass die
Chancen des längeren Lebens für alle eröffnet werden.
Wir wollen den demografischen Wandel gestalten und
nicht nur erdulden. Ich zitiere unsere Ministerin a. D.
Renate Schmidt im Rahmen der Haushaltsberatungen im
September 2004:
Alter ist kein Synonym für Hilfsbedürftigkeit und
Gebrechlichkeit, sondern für Lebenserfahrung,
Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit bei
der allergrößten Zahl der Menschen, und zwar bis
ins höchste Alter.
({6})
Viele, die sich ehrenamtlich engagieren, sind Seniorinnen und Senioren. Mit diesem Haushalt würdigen wir
diese Arbeit im Rahmen des ehrenamtlichen Engagements. Das ist aber nur ein Aspekt. Diejenigen, die im
Alter Unterstützung brauchen, bekommen die notwendige Hilfe. Hier gibt es Berührungspunkte zwischen dem
Ministerium von Frau Dr. von der Leyen und dem der
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Ich komme zum Schluss. Ich möchte mich bei meinen
Mitberichterstattern, insbesondere bei meinem Kollegen
und Koalitionspartner Ole Schröder, für die gute Zusammenarbeit bedanken, aber auch bei der Ministerin, bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums.
Ich habe nach der Einbringung des Haushalts,
Einzelplan 17, in erster Lesung zugesagt, etwas klarzustellen. Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass von den
98 Millionen Euro, die für das Mehrgenerationenhaus
zur Verfügung stehen, rund 10 Prozent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressearbeit verausgabt werden. Ich habe
gelernt, dass das in diesem Fall nicht so ist. Vielmehr hat
die begleitende Evaluierung einen erheblichen Anteil an
diesen 10 Prozent. Es war mir wichtig, das klarzustellen;
denn Politik muss glaubwürdig und ehrlich sein.
Mit dem Haushalt 2008 legen wir ein gutes, solides
Fundament für die Herausforderungen, die jetzt anstehen. Wie gesagt: Von Anfang an groß und stark - für die
Kinder.
Vielen Dank.
({7})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Ekin Deligöz das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich kann
Ihre Euphorie, Ihre Zufriedenheit mit diesem Haushalt
ehrlich gesagt nicht verstehen. Ihre Familienpolitik ist in
vielen Punkten nicht konsistent; sie ist widersprüchlich.
Was es nicht besser macht: Sie packen in diesem Haushalt viele wichtige Punkte erst gar nicht an.
({0})
Dafür möchte ich ein paar Beispiele nennen. Der
Einzelplan 17 kann sich durch das Elterngeld sehr gut
sehen lassen. Die meisten Steigerungen sind auf das Elterngeld zurückzuführen, dessen Einführung wir unterstützt haben. Die Ergebnisse der Evaluation des Elterngeldes werden spannend sein. Die Hauptfrage ist aber
immer noch nicht beantwortet: Was passiert denn nach
dem einem Jahr, wenn das Elterngeld ausläuft? Wo
bleibt die Kinderbetreuung?
({1})
Sie wollen mit dem Elterngeld die Erwerbstätigkeit von
Frauen fördern. Gleichzeitig ist die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Land noch immer
nicht geklärt; die Beantwortung wurde verschoben, verschoben und noch einmal verschoben.
({2})
Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend dafür, ob
das Elterngeld Wirkung zeigen wird oder nicht.
Wir machen Ihnen deshalb einen Vorschlag: Führen
Sie einen konditionierten Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis 2009 ein! Führen Sie einen echten Rechtsanspruch bis 2011 ein!
({3})
Dann könnten wir ernsthaft über die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden; dann würde sich in
diesem Land etwas verändern. Schieben Sie das nicht
auf die lange Bank; das wäre eine falsche Politik.
({4})
Zweites Beispiel - Sie, Herr Schröder, haben es auch
angeführt -: Betreuungsgeld. Es geht um die Frage, wie
gerecht ein Betreuungsgeld wäre. Ich denke, der Hauptgrund dafür, dass die Ministerin diesen Vorschlag aufgenommen hat, liegt darin, dass der Druck vom konservativen Teil der CDU/CSU zu hoch ist. Das ist der Preis, den
sie dafür zahlen muss, um die Betreuung überhaupt voranzubringen; darum geht es, nicht darum, ob eine sinnvolle Maßnahme dahintersteckt.
({5})
In diesem Punkt schluckt die Familienpolitik eine dicke
Kröte.
Man sollte mit der konservativen Legende aufräumen,
das Betreuungsgeld sei eine gerechte Ergänzung zur
Kinderbetreuung. Das ist es nicht. Sie wissen selbst
- auch die DIW-Studie, die das Ministerium vor ein paar
Tagen veröffentlicht hat, zeigt dies -, dass nur ein
Bruchteil der Mittel für Familien mit unter dreijährigen
Kindern in die Infrastruktur fließt; ein großer Teil landet
als unterstützende Transferleistungen bei den Familien.
Wir haben Defizite bei der Infrastruktur. Wenn Sie vom
Populismus der Grünen reden, Herr Schröder, dann sollten Sie sich die IGLU-Studie von gestern anschauen, die
besagt, wie wichtig die Elementarförderung ist und wie
sehr das schulische Fortkommen der Kinder nach wie
vor vom Einkommen und von der Bildungsnähe der Elternhäuser abhängt. In dieser Studie steht auch, dass wir
in Deutschland Investitionen in Elementarbildung und
Frühförderung, in Kinderkrippen, Ganztagskindergärten
und Ganztagsschulen brauchen. Sie wollen das nicht
wahrhaben. Wir sagen die Wahrheit. Das nennen Sie Populismus. Gehen Sie in sich und überlegen Sie einmal,
was Sie eigentlich wollen!
({6})
Nun zum Kinderzuschlag: Sie haben angekündigt,
dass dort etwas passieren soll. Dann gab es irgendwelche
Sitzungen, aus denen mit Mühe und Not nur ein Ergebnis herauskam, und das war sehr mau. Sie haben gerade
mal die Entfristung des Kinderzuschlages beschlossen.
Zugleich sagen Sie von der Koalition, dass sich Arbeit in
diesem Land lohnen soll; aber bei einem Instrument, das
genau daran ansetzt, dass Arbeit sich lohnt, kommen Sie
seit Jahr und Tag nicht weiter. Das ist keine Armutspolitik, sondern eher ein Armutszeugnis.
({7})
Ich bleibe bei der Untätigkeit der Bundesregierung.
Natürlich reden wir über den Betreuungsausbau, und wir
werden wahrscheinlich auch noch des Öfteren darüber
reden. Sie reden in diesem Plenum aber nicht - das bedaure ich sehr - über die qualitativen Verbesserungen bei
Betreuung und Elementarbildung. Sie reden auch nicht
davon, wie Sie es schaffen können, die Qualitätsdebatte
aufzugreifen und durch konkrete Maßnahmen voranzutreiben. Schließlich nutzen Sie auch die Chance der Großen Koalition nicht, dieses Thema mit den Ländern, die
hier ebenfalls in der Verantwortung sind, gemeinsam anzupacken. Das nenne ich Untätigkeit, und sie wird auf
uns zurückfallen. Das müssen Sie sich nachsagen lassen.
({8})
Der nächste Punkt der Untätigkeit: Geplante Steueränderungen bei der Kindertagespflege, die jetzt anstehen, mögen ordnungspolitisch womöglich eine Berechtigung haben. Gleichzeitig sind sie aber kontraproduktiv,
weil vor allem die Tagesmütter die Leidtragenden sein
werden; denn sie werden dann in vollem Umfang versicherungs- und steuerpflichtig sein. Insbesondere die Versicherungspflicht fällt bei ihnen ins Gewicht. Dies macht
eine solche Tätigkeit für viele Frauen finanziell immer
weniger lohnenswert. Wir wollen den Ausbau der Infrastruktur für die unter Dreijährigen, und den Tagesmüttern legen wir Steine in den Weg. Vor allem sehe ich darin kein ernsthaftes Bemühen, hieraus ein Berufsfeld mit
einer angemessenen Bezahlung zu machen, was aber Voraussetzung dafür wäre, dass sich die Tagesbetreuung
überhaupt zu einem soliden Beruf entwickeln kann. Hier
haben wir große Defizite. Ich kann Ihnen nur vorschlagen, an diesem Punkt ein Moratorium einzulegen. So
wäre Zeit gewonnen, sich darüber Gedanken zu machen,
wie man es besser machen sollte.
({9})
Was Sie hier machen, ist für den Krippenausbau und die
Betreuung der unter Dreijährigen eher kontraproduktiv.
({10})
Ein weiteres Beispiel Ihrer Untätigkeit: Sie haben
schon seit längerem angekündigt, dass die Familienleistungen in Deutschland überprüft werden sollten. Davon
hören wir nichts mehr.
({11})
Von einer Bestandsaufnahme ist nicht mehr die Rede.
Gleichzeitig kündigen Sie, Frau Familienministerin, eine
Erhöhung des Kindergeldes ab dem zweiten Kind und
ein Familiensplitting an, sagen aber nicht, was das kostet
und wo Ihre Konzepte sind. Sie vermitteln uns damit,
dass Sie selbst auch nicht wissen, wie es weitergeht. Auf
jeden Fall kann man sagen: Außer einer Ankündigungspolitik haben Sie in diesem Bereich nichts zu bieten.
({12})
Kollegin Deligöz, wir freuen uns alle, dass Sie es
rechtzeitig zur Debatte dieses Haushalts wieder zu uns
geschafft haben, und gratulieren Ihnen recht herzlich
zum Nachwuchs.
({0})
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der
Leyen.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Deligöz, auch von mir herzlichen Glückwunsch zur
Geburt Ihres Kindes! Ich sehe Ihnen nach, dass Sie vielleicht einige Dinge, die wir in der Zwischenzeit getan
haben, nicht mitbekommen haben. Deshalb freue ich
mich, Ihnen darlegen zu können, dass dieses Ministerium sein Geld nicht nur sehr effizient einsetzt, sondern
dass dies auch auf der Grundlage eines ganz klaren Konzeptes erfolgt.
({0})
Es gibt einen schönen Spruch von Michel de
Montaigne: Es ist gar nicht so wichtig, ob man sein Geld
spart oder ausgibt. Entscheidend ist, was man damit will. Ich will gleich hinzufügen: Für öffentliche Haushalte
kann das nur sehr eingeschränkt gelten; denn Konsolidieren ist - auch im Hinblick auf die kommenden Generationen - ein Gebot der Vernunft. Aber er hat zum Teil
recht, wenn er betont, dass Zweck und Erfolg entscheidend sind, um zu bewerten, ob wir das Geld sinnvoll einsetzen.
Lassen Sie mich daran aufzeigen, dass das Grundkonzept, im Lebensverlauf Perspektiven für Familie und
Kinder zu schaffen, richtig ist. Das Ziel des Einzelplans
ist nicht, möglichst viel Geld zur Verfügung zu stellen,
sondern es gezielt dort zu investieren, wo Unterstützung
notwendig und sinnvoll ist. Das beginnt zum Beispiel
beim Elterngeld. Für den Lebensanfang der Kinder in
Familien, die sich neu gründen, haben wir 4 Milliarden Euro veranschlagt. Das Elterngeld wirkt ganz gezielt
in einer Lebenssituation, in der den jungen Eltern Zeit
mit ihrem Kind besonders wichtig ist und in der sie nicht
zuallererst die Erfahrung machen sollen, dass das Einkommen wegbricht. Deswegen ist das Elterngeld an dieser Stelle richtig und wirkungsvoll.
({1})
Es gibt einen zweiten Aspekt beim Elterngeld, und
der ist anfangs heftig diskutiert, belächelt, verspottet
oder bekämpft worden: die Partnermonate. Jetzt zeigt
sich aber, dass sie insbesondere für die Frage der Vaterund Mutterrolle genau richtig waren und dass auch Väter
die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wünschen und
sich Zeit für ihre Kinder nehmen wollen. Ich finde es
klasse, dass die jungen Menschen mit den Füßen abstimmen und entscheiden, was sie möchten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In den ersten vier Monaten
seit der Einführung des Elterngelds hat sich die Zahl der
jungen Väter, die sich Zeit für ihr Kind nehmen, verdoppelt. Bis Sommer dieses Jahres - so weit reicht die Statistik - hat sich die Zahl verdreifacht. Jeder dritte der
jungen Väter des Jahres 2007 hat vor, seine Partnermonate in Anspruch zu nehmen. Ich kann deshalb nur feststellen: Auf die Väter ist Verlass.
({2})
Allen Unkenrufen zum Trotz, Herr Claus - Sie haben
den Geburtenrückgang der letzten zehn Jahre der Bundesregierung angelastet -, sollten wir in den trockenen
Statistiken auch zur Kenntnis nehmen, dass im ersten
Halbjahr 2007 die Geburtenrate erstmals seit langem
nicht mehr gesunken ist, obwohl es heute 1 Million weniger junge Frauen gibt, die Kinder bekommen könnten,
als vor zehn Jahren. Das zeigt, dass sich mehr junge
Menschen für Kinder entscheiden. Ich will nicht sagen,
dass das ein Ergebnis der Politik an sich ist. Es ist vielmehr ein Ergebnis von Perspektiven, die für ein Leben
mit Kindern in der Welt von heute aufgezeigt werden.
Das muss unser Ziel sein.
({3})
Wenn das Elterngeld endet, dann spielt die Kinderbetreuung eine große Rolle. Es ist eine Tatsache, dass sich
Bund, Länder und Kommunen in außergewöhnlich kurzer Zeit geeinigt haben. Die Verwaltungsvereinbarung
über das Sondervermögen ist unterzeichnet. Der Weg für
den Ausbau der Kinderbetreuung ist frei. Die Kommunen und Träger können loslegen. In klaren Worten heißt
das: Die Kommunen können ab 1. Januar 2008 Bundesmittel für Investitionen abrufen. Dies ist eine konkrete
Zusage, die wir innerhalb eines Jahres umgesetzt haben.
Ich danke dafür, dass das so schnell ging. Darauf können
sich die jungen Eltern jetzt verlassen.
({4})
Auch hierbei ist es - um mit Montaigne zu sprechen wichtig, was wir mit dem Geld erreichen wollen. Wir
wollen zweierlei: Wir wollen Bildung und frühe Förderung für die Kinder, aber auch Wahlfreiheit und gute Angebote für die Eltern. Der Ausbau der Kinderbetreuung
- das ist mir sehr wichtig - geht nicht zulasten anderer
familienpolitischer Leistungen. Wir finanzieren ihn auch
nicht durch neue Schulden. Auch das wäre zulasten der
jüngeren Generationen gegangen. Nein, wir investieren
real in Familie. Das zeigt, wie viel uns, der Regierung,
dieses Thema wert ist.
Wenn wir uns überlegen, was wir mit finanzieller Unterstützung für die Familien wollen, dann steht neben der
Stärkung der Familie und den Perspektiven für Familien
ein Thema - es ist heute berechtigterweise schon mehrfach angeklungen - ganz obenan: das Thema Kinderarmut. Ich sage auch an dieser Stelle: Das Thema Kinderarmut ist eines der beschämendsten und bedrückendsten
Probleme für ein Land. Es gibt drei Gründe für Kinderarmut, bei denen wir ansetzen müssen:
Erstens. Kinder sind in Armut, wenn ihre Eltern keine
Arbeit haben oder nicht arbeiten können.
({5})
Entscheidend sind da eine gute Konjunktur - die haben
wir - und Möglichkeiten der Kinderbetreuung zum Beispiel für Alleinerziehende, damit sie, wenn sie ein Arbeitsangebot haben, dies auch annehmen können. Dies
schaffen wir durch die Investitionen, die ich eben genannt habe.
Zweitens. Ein Grund für Armut ist die über Generationen vererbte Armut, Bildungsarmut. Hier hilft nur Zugang zu früher Bildung von Kindern. Auch da ist die
frühkindliche Bildung ein entscheidendes Feld, also
Kindergärten, Kinderkrippen, altersgemischte Gruppen,
Tagesmütternetze.
Drittens. Es gibt eine Schwelle für Armut, die insbesondere kinderreiche Familien betrifft, nämlich dann,
wenn die Eltern erwerbstätig sind, aber das Geld nicht
für die vielen Köpfe reicht. Hier ist in der Tat ein ganz
entscheidendes Instrument der Kinderzuschlag, der eine
sinnvolle und wirkungsvolle Hilfe ist.
({6})
Er hilft gezielt gegen die Form der Kinderarmut, wenn
die Eltern erwerbstätig sind und fleißig ihr Einkommen
verdienen, es aber nicht für die vielen Kinder reicht. Er
ist ein ganz klarer arbeitsmarktpolitischer Anreiz. Er
macht nämlich klar: Wenn ihr erwerbstätig seid, so unterstützen wir euch, damit ihr nicht wegen der Kinder
länger in Hartz IV bleibt. Gerade bei niedrigen Einkommen muss gelten: Arbeit muss sich lohnen.
Ich weiß, dass der Kinderzuschlag im Haushalt 2008
noch nicht berücksichtigt ist. Wir alle wissen aber, dass
im Koalitionsausschuss am 12. November der ganz klare
Auftrag erteilt worden ist, in Abstimmung mit den Ressorts ein Konzept für den Kinderzuschlag innerhalb des
Niedriglohnsektors vorzulegen. Wir haben gestern in der
großen Debatte zum Etat des Kanzleramtes gehört, dass
dafür 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden
sollen. Wir arbeiten jetzt an diesem Konzept. Im Prinzip
liegen die Pläne auf dem Tisch. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gemeinsam im Hinblick auf das Ziel,
mehr Kinder aus Hartz IV herauszuholen und ihre Familien in der Erwerbstätigkeit zu unterstützen, zeitnah zu
einer guten Lösung kommen werden.
({7})
Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich bedanke
mich für die gute und konstruktive Zusammenarbeit und
Unterstützung in der parlamentarischen Beratung des
Einzelplans 17.
Ich möchte noch ein Thema herausgreifen, das mir in
der Tat sehr wichtig ist, nämlich das ehrenamtliche Engagement. Ich danke für die Aufstockung der Mittel um
2 Millionen Euro in diesem Titel. Ich nehme diese Aufstockung als Auftrag mit, so wie dies in den Reden zuvor
deutlich gemacht wurde. Das Spannende am bürgerschaftlichen Engagement, am Prinzip des Ehrenamtes,
ist, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit und der Wechselseitigkeit, das Prinzip des Gebens und Nehmens, dazu
führt, dass man am Ende gar nicht mehr so genau sagen
kann, wer eigentlich gibt und wer eigentlich empfängt,
weil alle davon profitieren, wenn wir den Rahmen richtig gestalten.
Ich möchte zum Schluss an Montaigne erinnern: Was
wir mit dem Geld wollen und bewirken, das ist entscheidend. - Wir investieren in unserem Einzelplan 17 in etwas, was man eigentlich gar nicht mit Geld kaufen kann.
Wir investieren in die Bereitschaft, füreinander da zu
sein. Wir investieren darin, dass wir uns umeinander
kümmern und dass wir gut miteinander leben, das heißt
in die Bereitschaft, eine Familie zu haben, zu erziehen,
in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, sich
um die ältere Generation zu kümmern und vice versa
auch um die junge Generation. Wir geben den Menschen
kein Geld, damit sie Kinder bekommen oder ehrenamtlich tätig werden. Das wäre ein Kurzschluss und würde
gar nicht funktionieren. Aber wir können objektive Hürden abbauen, damit Menschen es leichter haben, Verantwortung zu übernehmen.
Das ist es, was wir mit unserem Einzelplan 17 im
nächsten Jahr vorantreiben wollen - nicht mehr, aber
auch nicht weniger.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine erste Anmerkung: Es ist schon schade, dass
das Kanzleramt es bisher nicht geschafft hat, bei dieser
Debatte wenigstens eine Person hier hinzusetzen.
({0})
Ich finde, das ist eine gewisse Missachtung dieses Themas und irgendwie ein bisschen schade.
Eigentlich kann man Haushaltspolitik und Erziehung
oder die Entscheidung für Kinder oft vergleichen, denn
sie unterliegen denselben Fragen und Problemen: Ich
habe am Anfang Mühen und Belastungen. Ich muss auf
Dinge verzichten, um am Ende belohnt zu werden. Ich
habe manche nicht geschlafene Nacht, manche Sorgen
und manche Probleme - kleine Kinder, kleine Sorgen,
große Kinder, große Sorgen.
Beim Haushalt ist das genauso: Wenn ich zu früh, zu
viel, falsch ausgebe, kommen am Ende große Probleme.
Wenn ich mir aber am Anfang die Mühe mache, zu überlegen, was richtig ist, wofür ich spare und wofür das
Geld richtig ausgegeben wird, dann werde ich am Ende
belohnt. Belohnt werden wir bei Kindern doch alle.
({1})
Ich stelle immer gern die Frage: Warum sind Kinder
lohnenswert? Da erinnern wir uns alle - sei es in unserer
Funktion als Eltern, Onkel oder Großeltern -, wie es ist,
wenn man nachts noch einmal ins Kinderzimmer
schleicht und das Deckbett, das mal wieder irgendwo
zerwühlt in der Ecke liegt, über die Schultern legt. Das
Gefühl, das man dabei hat, ist ein Gefühl der Belohnung.
Unsere Aufgabe als Haushälter des Staates, als Verantwortliche für das Schicksalsbuch ist haargenau dieselbe. Wir haben dafür zu sorgen, dass das Deckbett da
ist und dass der Schutz für unsere Gesellschaft da ist.
({2})
Deswegen kann man nicht einfach nur - an dieser Stelle
kritisiere ich die Große Koalition - in guten Zeiten mehr
Geld ausgeben. Es ist die Verantwortung einer Großen
Koalition, die auch großen Mut haben müsste, zu sparen;
denn sparen heißt dann wieder - da schließt sich der
Kreis -: Ich spare für Kinder. - Das tun Sie leider zu wenig.
({3})
Ihr Vorschlag zur Kindergelderhöhung, Frau Ministerin, war schon sehr interessant. Ich rätsele bis heute:
War das ein Kommunikationsproblem Ihrerseits - das
kann ich mir bei Ihrer kommunikativen Strahlkraft nicht
so richtig vorstellen -, oder war das etwas, was Sie verabredet hatten? Haben Sie beim Kindergeld gesagt:
„Wenn es nicht rauskommt, schieben wir es“, oder war
das alles nur ein böser Zufall, oder war es möglicherweise der böse Finanzminister, der hier versucht hat, in
der Koalitionsrunde, in der Sie nicht dabei waren, zulasten von Familien und Kindern beim Kindergeld zu kürzen? Ich hätte mir gewünscht, dass Sie heute dazu eine
Aufklärung gegeben hätten.
({4})
Warum hat es diese Aufklärung nicht gegeben? Ich
kann Ihnen genau sagen, warum es die nicht gegeben
hat, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Sie haben
immer noch nicht die Evaluierung der Leistungen für
die Familien vorgelegt.
({5})
185 Milliarden Euro im Jahr, das ist eine Schätzung. Das
kann man so oder so sehen. Das ist ein Betrag, den wir
- das ist grundsätzlich richtig - in den Bereich Familie
geben; gar keine Frage. Aber darüber, was davon gut ist,
was davon Luxus ist, was ineffektiv ist, was überhaupt
nichts bringt, was etwas bringen würde, wenn es ein bisschen verändert würde, wissen wir nichts.
Nun sagt das Ministerium: Wir evaluieren ständig. Das ist schön. Das ganze Leben ist Evaluierung.
({6})
Aber Sie haben verdammt noch mal die Pflicht, an dieser
Stelle irgendwann zu dem Punkt zu kommen, festzustellen: Die Leistung ist nicht in Ordnung; die Mittel dafür
geben wir dahin und dorthin.
({7})
Was passiert, wenn Sie das nicht tun? Was passiert,
wenn wir irgendwann wieder zu wenig Geld haben?
Dann werden wir im Zweifel an der falschen Stelle sparen, weil Sie nicht geschaut haben: Was sind die Leistungen, die wir noch brauchen, und was sind die Leistungen, auf die wir verzichten können? Es ist kein einfacher
Weg, Frau Ministerin, aber es ist auch nicht Ihre Aufgabe, nur die einfachen und schönen Dinge zu tun.
Eine Befürchtung habe ich schon - das ärgert mich
beim Kindergeld ganz besonders -, nämlich dass jetzt
möglicherweise herauskommt: Man hat sich ein bisschen gestritten; irgendwann ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass man doch sehr kinderfreundlich ist,
({8})
und dann kommt die Kindergelderhöhung genau zur
Wahl, möglichst in einer Staffelung, die noch mehr
Herzwärme erzeugt. - Wenn Sie schon jetzt anfangen,
mit Wahlkampfgeschenken zu taktieren, ist das eine Versündigung an unseren Kindern. Ich hoffe, dass das nicht
der Fall ist.
({9})
Frau Ministerin, zu einigen Themen habe ich nichts
gehört, und ich habe genau zugehört. Ihr Ministerium ist
für viel mehr als nur für Kinder und das Ehrenamt zuständig. Ich habe zum Zivildienst nichts gehört. Ich habe
auch zum Rechtsextremismus nichts gehört. Dafür sind
Sie nicht allein zuständig - gar keine Frage -, aber dazu
muss etwas kommen. Man kann nicht nur in die Kindertagesstätten gehen, wo es schön ist. Jedes Mal, wenn ich
dort bin und sehe, was da für ein Leben in der Bude ist,
freue ich mich, ganz besonders wenn ich an manch traurige und langweilige Debatte hier denke. Sie müssen
auch dahin gehen, wo es weh tut, und das ist das Problem des Rechtsextremismus. An dieser Stelle ist auch
der Frage, warum das in den neuen Bundesländern bei
Kindern, Geburten, Familien anders aussieht, genau
nachzugehen. Ich bitte Sie: Gehen Sie mit derselben Penetranz wie an das Thema Kinder auch einmal an dieses
Thema heran. Sie haben da riesige Möglichkeiten und
Chancen, im Übrigen auch wieder mit Blick auf die Kinder.
({10})
Mein letzter Punkt - ich habe zwar noch ein bisschen
Zeit - ist das Thema Kinder und Bildung. Wir hören im
Moment sehr viel über alle möglichen neuen Erfassungen, zum Beispiel IGLU. Die Ergebnisse werden besser;
darüber können wir uns freuen. Wir streben natürlich
alle eine weitere Verbesserung der Ergebnisse an. Aber
woran liegt es, dass unsere Gesellschaft beim Thema
„Bildung als Chance für die Zukunft“ immer mehr auseinanderreißt? Liegt es daran, dass der eine Teil der Gesellschaft dem anderen den Rücken zukehrt, weil es ihm
egal ist? Ich erlebe jedenfalls tagtäglich durch meine
Kinder, dass es viele engagierte Eltern gibt - unabhängig
übrigens von der Frage, wie viel Einkommen sie haben -,
die sich um die Bildung ihrer Kinder kümmern. Aber
ebenso gibt es welche, die sich nicht kümmern, deren
Kinder keine Chance haben, sodass die Chancengleichheit schon in der ersten Klasse nicht mehr gegeben ist.
Da müssen wir ansetzen.
Ich will auf zwei Problembereiche hinweisen, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind.
Kollege Fricke, es tut mir leid, Sie unterliegen einem
Irrtum: Sie haben jetzt keine Zeit mehr, es sei denn, Sie
wollen Ihrer Kollegin die Zeit wegnehmen.
Da ich das nicht will, Frau Präsidentin, werde ich, wie
es sich für einen guten Redner gehört, mit einem
Schlusssatz enden: Bildungsarmut wird nicht nur mit
Geld bekämpft, sondern auch mit Verantwortung und
Beispielgebung. Wenn man es kurz fassen will: Statt
Computer, Fast Food und Glotze bedarf es Bücher, Vollwertkost und Blockflöte.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPDFraktion.
Vizepräsidentin Petra Pau
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich kann nicht Blockflöte spielen; es tut
mir sehr leid. Ich nehme auch nicht immer Vollwertkost
zu mir; das gebe ich ehrlich zu. Gerade während des Betriebs in Berlin ist das manchmal etwas schwierig.
Ich möchte schwerpunktmäßig auf das Thema bürgerschaftliches Engagement eingehen, das sich heute schon
durch viele Reden gezogen hat. Es macht uns Engagementpolitiker etwas stolz, dass fast alle Rednerinnen und
Redner auf dieses Thema eingegangen sind. Das zeigt,
dass es nicht nur in der Gesellschaft stärker angekommen ist, sondern auch in der Politik weiterhin stärker ankommt und immer mehr auch in die politischen Auseinandersetzungen einzieht, über die Parteigrenzen hinweg
und - zugunsten der Sache, wie ich finde - häufig im
Einvernehmen. Das spiegelt sich auch im Haushalt wider.
Ich möchte auf einige Themen eingehen, die im Haushalt nur am Rande eine Rolle spielen, aber in der Zukunft eine größere Bedeutung haben werden.
Wir beraten gerade, auch im Rahmen einer Anhörung,
intensiv das Jugendfreiwilligendienstegesetz. Wir haben leider vor kurzem unsere Debatte zu diesem Thema
hier im Plenum nicht stattfinden lassen können, weil die
Uhrzeit - es wäre gegen Mitternacht gewesen - diesem
Thema nicht angemessen gewesen wäre. Deshalb werde
ich heute in meiner Rede zum Haushalt etwas stärker
darauf eingehen.
Warum reden wir über eine Novellierung des Jugendfreiwilligendienstegesetzes? Wir reden aus ganz banalen
Gründen darüber, zum Beispiel wegen der Umsatzsteuerpflicht. Die zuständigen Finanzbehörden haben diese
als notwendig erkannt. Ich bin kein Steuerfachmann; das
können andere Kollegen besser beurteilen. Wir alle in
diesem Haus wollen diese Umsatzsteuerpflicht nicht.
Deshalb wollen wir diesen Punkt gemeinsam ändern.
Dazu liegt jetzt ein Vorschlag des Ministeriums auf dem
Tisch. Ich als Laie habe empfohlen, einen Ausnahmetatbestand einzuführen, habe mich aber von den zuständigen Fachpolitikern aus dem Finanzbereich und dem juristischen Bereich belehren lassen, dass das nicht
europatauglich sei und dass leider diese komplizierte Art
und Weise erforderlich sei. Wir haben mit den Verbänden darüber gesprochen, und sie nehmen es zähneknirschend hin. Sie haben, glaube ich, eingesehen, dass es in
vielen Bereichen nicht anders geht.
Aber wir haben die Gesetzesänderung als Chance genutzt, eine Weiterentwicklung und Verbesserung des Gesetzes vorzunehmen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode fraktionsübergreifend einen Antrag formuliert,
in dem wir eine Weiterentwicklung und Verbesserung
der Situation der Freiwilligen im FSJ und im FÖJ fordern. Im Rahmen dieser Gesetzesnovellierung packen
wir nun ein paar Dinge an. Es sind zunächst kleine
Schritte; ich hoffe, die großen folgen noch. Aber die Novellierung drängt ein bisschen. Wir müssen uns wegen
der Umsatzsteuerpflicht beeilen. Aber vielleicht bekommen wir auch noch mehr hin.
Eine Änderung, die wir in dem Gesetz vornehmen
wollen, ist die zeitliche Flexibilisierung. Wir erkennen
damit an, dass sich die Situation junger Menschen verändert hat. Wir erkennen an, dass es jetzt, anders als bei der
Einführung des Gesetzes, nicht mehr darum geht, zwischen Abitur und Studium oder Ausbildung ein klassisches soziales oder ökologisches Jahr einzuschieben.
Wir erkennen an, dass sich die Lebensläufe heute etwas
anders gestalten. Wir versuchen deshalb, eine Flexibilisierung einzuführen.
Mit der Flexibilisierung des freiwilligen sozialen und
des freiwilligen ökologischen Jahres wollen wir aber
auch Modelle unterstützen, mit denen Jugendliche angesprochen werden, die im Moment noch nicht angesprochen werden, nämlich benachteiligte Jugendliche, zum
Beispiel Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wir
wollen diese Jugendlichen ganz gezielt ansprechen und
Modelle für sie entwickeln. Wir wollen diesen Jugendlichen sagen: Ihr könnt gleichzeitig einen besseren Bildungsabschluss erreichen, was für eure Ausbildung
wichtig ist. Ihr könnt mehr fürs Leben lernen, als - ich
sage das in Anführungsstrichen - „nur“ zu helfen, im Altersheim oder wo sonst man klassischerweise einen Freiwilligendienst leistet. Ich glaube, wir sind gemeinsam
auf einem guten Weg.
({0})
In der Anhörung und der fraktionsübergreifenden
Diskussion unter den zuständigen Kolleginnen und Kollegen hat sich herausgestellt, dass neben der Flexibilisierung auch klare Strukturen notwendig sind. Das FSJ
und das FÖJ sind Erfolgsgeschichten. Darauf können
wir gemeinsam stolz sein.
({1})
Wir sollten diese Namen - ich danke für den Hinweis beibehalten.
({2})
FSJ und FÖJ sind Markennamen, die diese Modelle weiterhin tragen sollten.
({3})
Das ist eine ganz wichtige Angelegenheit. Warum sollte
man Erfolgsgeschichten beenden?
({4})
Deshalb sage ich: Wir brauchen so viel Flexibilität
wie nötig, um die Programme für benachteiligte Jugendliche attraktiv zu machen. Wir müssen die unterschiedlichen Lebenssituationen anerkennen. Wir brauchen aber
auch klare Strukturen, und zwar nicht nur, um den Trägern entgegenzukommen - ich glaube nämlich schon,
dass sie manchmal etwas mehr Flexibilität an den Tag leSönke Rix
gen könnten -, sondern auch, um zwischen FSJ, FÖJ und
dem, was Schule und andere Institutionen leisten sollen,
eine Grenze zu ziehen. Von daher brauchen wir eine
klare Trennung. Ich bin guten Mutes, dass wir das in der
Koalition und gemeinsam mit den anderen Fraktionen
hinbekommen können.
({5})
Da ich im Zusammenhang mit den Freiwilligendiensten von „klaren Strukturen“ gesprochen habe, möchte
ich zumindest anmerken, dass wir uns hinsichtlich der
Trägerschaft der Freiwilligendienste vielleicht einmal etwas Neues überlegen müssen. In der letzten Sitzungswoche haben wir im Zusammenhang mit dem Integrationsplan eine intensive Debatte über die Migrations- und
Integrationspolitik geführt. Wir haben uns vorgenommen, das Thema Migration und Integration bei jedem
neuen Gesetz im Hinterkopf zu haben.
Die SPD-Fraktion hatte die Idee, bei den Trägerstrukturen im Gesetz die Möglichkeit einer Tandemlösung
festzuhalten. Ein klassischer Träger, zum Beispiel das
Rote Kreuz, könnte mit einer Gruppierung, einer Vereinigung oder einem Verein von Menschen mit Migrationshintergrund, also mit einer Organisation, die als Träger
eines freiwilligen sozialen oder freiwilligen ökologischen Jahres nicht anerkannt ist, ein Tandem bilden. So
könnten wir unser Ziel, die Jugendlichen mit Migrationshintergrund anzusprechen, erreichen. Ich hoffe, dass wir
noch einmal gemeinsam darüber nachdenken werden.
Die SPD ist auf jeden Fall dafür, dass wir das tun.
({6})
Im Haushalt des letzten Jahres war das Programm
„Freiwilligendienste machen kompetent“ ausgewiesen.
Damit sprechen wir Jugendliche aus bildungsfernen
Schichten an. Dieses Programm wird zurzeit evaluiert.
Wir arbeiten an diesen Projekten. Ich bin übrigens im
Beirat. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist sehr gut.
Wir müssen dafür sorgen, dass diese Programme weiterhin auf guten Füßen stehen.
Auch wenn wir uns darüber freuen, dass wir 2 Millionen Euro mehr im Engagementtopf - wenn ich ihn einmal so nennen darf - haben, würde ich mir wünschen,
dass wir beim nächsten Mal vielleicht noch ein paar
Euro mehr bekommen, um auch die Jugendfreiwilligendienste unterstützen zu können. Dazu gehören Modelle,
mit denen wir benachteiligte Jugendliche unterstützen.
Darüber sollten wir gemeinsam nachdenken. Mit der einen oder anderen Million mehr könnte man gerade auf
diesem Gebiet einen Schritt in die richtige Richtung machen.
Wir wissen, dass die Nachfrage nach FSJ und FÖJ
steigt.
({7})
- Dazu komme ich noch, Frau Kollegin. - Wir haben
mehr Nachfragen als Plätze.
({8})
Von daher wünsche ich mir - vielleicht bekommen wir
das beim nächsten Mal gemeinsam besser hin -, dass
mehr Geld in die Hand genommen wird. Darum sollten
wir uns gemeinsam bemühen.
({9})
Auf den Zivildienst komme ich gleich noch zu sprechen. Vorhin wurde kritisiert, die Ministerin habe das
Thema nicht angesprochen. In so kurzer Redezeit kann
man nicht immer alles ansprechen. Wir in der Koalition
versuchen, das ein bisschen aufzuteilen.
Im Engagementtopf haben wir noch einen weiteren
Topf versteckt: den Topf mit den generationsübergreifenden Freiwilligendiensten. Es wurde gerade angesprochen, dass wir im Bereich Seniorenpolitik gemeinsam etwas tun. Das ist etwas ganz Wichtiges. Wir haben
nun 2 Millionen Euro mehr in den Topf gepackt, in dem
sich dieser Untertopf befindet. Ich hoffe, dass wir dies
bei den generationsübergreifenden Freiwilligendiensten
einsetzen können, wo es wirklich sehr gute Modelle gibt.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Kollegen, wir
haben von den einzelnen Trägern und Gruppen Schreiben bekommen. Ich habe mir einige Modelle angesehen
und mit vielen darüber gesprochen. Ich glaube, es ist
sinnvoll, dass wir das Geld dafür nutzen, diese Dinge
weiterzuentwickeln. Ich weiß, das ist immer etwas
schwierig. Ein Projekt kann man einfach so weiterlaufen
lassen, bei einem Modell muss man sich etwas Neues
überlegen. Ich hoffe, dass das Ministerium dazu gute
Gespräche mit den zuständigen Trägern führt, um in dieser Angelegenheit voranzukommen.
Jetzt komme ich, weil meine Zeit gleich abgelaufen
ist - ich hoffe, nur meine Redezeit -, kurz auf den Zivildienst zu sprechen. Wir haben gerade deutlich gemacht,
wie wichtig es ist, dass Freiwilligendienst auch ein Lerndienst ist. Genauso machen wir in der Koalition darauf
aufmerksam, dass auch der Zivildienst ein Lerndienst ist.
Das war er schon immer, aber jetzt wollen wir ein paar
Dinge gerechter gestalten. Ich hoffe, langfristig kommen
wir dazu, dass wir über den Zivildienst in dieser Form
gar nicht mehr sprechen müssen, sondern dass er irgendwann ausläuft. Das ist etwas, worüber wir mit dem Koalitionspartner zu verhandeln haben.
({10})
Ich glaube aber, da ist in dieser Legislaturperiode nichts
zu machen.
Der Zivildienst als Lerndienst wird uns in den nächsten Monaten noch intensiv begleiten. Da sind wir auf gutem Wege. Ich hoffe, dass wir das gemeinsam schaffen.
Wir wollen einen Kompetenzerwerb formalisieren. Wir
wollen Zeugnisse für die geleistete Tätigkeit. Wir wollen
klare Bildungselemente, und - das wird das Haus freuen das alles läuft bis jetzt kostenneutral.
({11})
Von daher ist dies als Schlusspunkt noch eine gute Nachricht an die Haushälter.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hört man Ihnen, Frau Ministerin, und
den Rednerinnen und Rednern der Koalitionsfraktionen
zu, so müsste man glauben, dass in puncto Familienpolitik die meisten Dinge im grünen Bereich sind. Das Modellprojekt Mehrgenerationenhäuser lässt nur Lobesworte zu. Die Modellregionen für das neue Programm
gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben ihre Arbeit aufgenommen. Alles ist wunderbar und
schön. Wer bei den vielen guten Schritten, die die Bundesregierung gemacht hat, nicht ganz mitgekommen ist,
kann das seit ein paar Tagen in dieser wunderschönen
Broschüre - ich mache an dieser Stelle etwas Werbung -,
in einer sogenannten Halbzeitbilanz nachlesen.
({0})
In dieser Aufreihung der familienpolitischen Initiativen und Modellprojekte findet sich jeweils rechts unten
auf den Seiten eine kleine Grafik, an der man ablesen
kann, wo die Familienpolitik in ihrer Umsetzung steht.
Anscheinend ist hier mehr oder weniger alles im roten
Bereich. Ein Schelm, wer sich Böses bei dem Layout
dieser Broschüre denkt. Denn diese kleinen Grafiken
sind rot gekennzeichnet.
Nehmen wir als erstes Beispiel die Kinderbetreuung. Ich frage Sie, Frau Ministerin, warum der Ausbau
der Kitaplätze für 35 Prozent der unter Dreijährigen erst
2013 abgeschlossen sein soll, wenn ich als Bürgerin Ihrer Broschüre entnehmen kann, dass nur noch ein gutes
Viertel des Weges zu beschreiten ist. Was dauert denn da
noch so lange? Kann Ihre Halbzeitbilanz überhaupt stimmen?
({1})
Die Oppositionsfraktionen und die Verbände haben
Sie bereits bei der Verabschiedung Ihres Elterngeldes
darauf hingewiesen, dass zeitgleich zu einem solchen
Gesetz der Ausbau der Kinderbetreuung stärker vorangetrieben werden muss. Mit dem erklärten Ziel „Rechtsanspruch ab 2013“ kann nicht einmal von zeitnah die
Rede sein.
Aus diesem Grund haben wir einen Änderungsantrag zum Haushaltsentwurf eingebracht, der beide Aspekte - Elterngeld und Kinderbetreuung - miteinander
verknüpft. Wir stellen uns ein Elterngeld vor, das beide
Elternteile gleichermaßen einbezieht, indem die Elternzeit auf beide gleichmäßig verteilt wird und durch eine
längere Anspruchszeit die verschiedenen Phasen der
kindlichen Entwicklung stärker berücksichtigt werden.
({2})
Die ersten Monate in der Kita, die ersten Wochen in der
Schule - das sind Zeiträume, die in Ihrer politischen Betrachtung kaum eine Rolle spielen.
Damit bin ich bei der nächsten Differenz zu Ihrer Politik. Auch wenn Sie das noch so eindrucksvoll darstellen: Mit der Kinderbetreuungslandschaft, die am Ende
Ihres Ausbauvorhabens steht, werden Sie nicht alle Kinder erreichen. All Ihre politischen Maßnahmen, vom Elterngeld bis zur steuerlichen Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, kommen nur einem Teil der Familien
zugute. Für die von Ihnen bevorzugten Eltern wird die
geplante Betreuungsquote von 35 Prozent vielleicht ausreichend sein. Ich fordere Sie aber auf, Frau Ministerin:
Schaffen Sie endlich die politische und finanzielle
Grundlage dafür, dass der Kinder- und Jugendbericht,
der Familienbericht und die vielen externen Studien
nicht nur für schöne Bundestagsdebatten gut sind, sondern auch zu Verbesserungen für alle Kinder und Familien führen.
({3})
Da Sie selbst eine Halbzeitbilanz vorgelegt haben,
kennen Sie ja den zeitlichen Rahmen, der Ihnen für viele
wichtige Projekte verbleibt. Sie sind bereits im Verzug.
Bis 2006 sollte zum Beispiel eine Evaluierung des Kinderzuschlags stattfinden; das ist schon gesagt worden.
Jetzt ist es Ende 2007, aber bisher ist so gut wie nichts
passiert. Ich bin sehr gespannt auf Ihr Konzept zur Verbesserung des Kinderzuschlags, das Sie mir auf Seite 25
Ihres schönen Heftchens versprechen. Dieses Konzept
wurde im Familienausschuss mehrfach eingefordert,
dort aber bisher nicht vorgelegt.
Frau Ministerin, Sie schlingern von Modellprojekt zu
Modellprojekt, ohne die wirklich wichtigen Fragen aufzugreifen und die realen Probleme wie die Kinderarmut
zu bekämpfen.
({4})
Gut, Sie haben sich, mehr als ein Jahr nachdem Sie unseren diesbezüglichen Antrag abgelehnt haben, dazu durchgerungen, die Zahlung des Kinderzuschlags in Zukunft
nicht mehr auf 36 Monate zu befristen. Eine grundlegende Veränderung des Kinderzuschlags - entbürokratisiert, den Bedürfnissen der Kinder und den Realitäten der
Kinderarmut von und durch das ALG II angepasst - sollte
auf Ihrer Agenda ganz oben stehen. Dass der Erfüllungsstand sogar in Ihrem Heftchen noch nicht einmal das erste
Viertel des Kreises füllt, ist ein Spiegelbild dieses traurigen Zustands.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gestern in ihrer
Rede an dieser Stelle eine schnelle Erhöhung und Vereinfachung des Kinderzuschlags versprochen. Mit „schnell“
meinte sie Herbst 2008 - drei ganze Jahre nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags, in dem genau das
angekündigt wurde. Wir nehmen Sie beim Wort, meine
Damen und Herren auf der Regierungsbank, und wir
werden Sie daran erinnern.
Kinderarmut lässt sich nicht mit hübschen Halbzeitbilanzen und Zeitungsinterviews bekämpfen.
({5})
Dass man Kinderarmut nicht bekämpfen kann, wenn
man nicht auch die Armut von Familien bekämpft, ist
allgemein bekannt. Das ist Ihre politische Aufgabe, und
das ist Ihre Verantwortung, liebe Mitglieder der Koalition. Aus Sicht der Linken bietet der Haushalt 2008 für
diese Probleme keine ausreichenden Lösungen. Daher
kann er von uns nur abgelehnt werden.
Vielen Dank.
({6})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Kai Gehring das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mehr Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche und
breitere Zugänge zu Bildung sind für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zentrale Punkte. Wir dürfen es
nicht länger hinnehmen, dass die Chancen gerade junger
Menschen in Deutschland viel stärker als in anderen
Ländern von der sozialen Herkunft ihrer Eltern abhängen, siehe IGLU und PISA. Wir müssen insbesondere
benachteiligte Jugendliche intensiver unterstützen und
ihre Potenziale besser fördern. Wir müssen der Perspektivlosigkeit der jungen Generation in diesem Land den
Kampf ansagen.
({0})
Von französischen Verhältnissen sind wir noch weit
entfernt. Damit das so bleibt, braucht es aber eine Kultur
der Anerkennung, mehr soziale Integration, eine starke
Kinder- und Jugendhilfe sowie eine präventive und ambitionierte Jugendpolitik in diesem Land. Eine Jugendministerin müsste in unserer heutigen Debatte als engagierte
Anwältin der Jugendlichen in Deutschland auftreten.
({1})
Ich frage Ministerin von der Leyen: Wo sind die konkreten Konzepte der Großen Koalition zur Verbesserung der
Teilhabe von Jugendlichen?
({2})
Wann kommt zum Beispiel die KJHG-Reform? So mancher Ihrer Vorschläge wird ja medienwirksam präsentiert. Aber statt mehr für PR auszugeben, sollten Sie
mehr in die Substanz Ihrer Jugendpolitik investieren.
({3})
Wo man hinschaut, sieht man nur Stückwerk. Die wenigen eigenen jugendpolitischen Initiativen von Ihnen
sind doch meist unausgegoren. Nehmen wir als Beispiel
Ihren Gesetzentwurf zu den Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ. Die Anhörung der Verbände hat gezeigt, dass der Entwurf Licht, aber auch Schatten hat und
zu kurz greift. Ihrem Entwurf fehlt eine klare bildungsund jugendpolitische Gesamtkonzeption für Freiwilligendienste.
({4})
Gerade das unkoordinierte Handeln der verschiedenen
Bundesministerien - das BMBF setzt die Idee eines freiwilligen technischen Jahres in die Welt, das BMI denkt
über ein freiwilliges Katastrophenschutzjahr nach droht die Qualitätsmarke „freiwilliges Jahr“ zu verwässern und zu beschädigen. Das ist kontraproduktiv.
({5})
Frau von der Leyen, diesbezüglich sind Sie als Jugendministerin gefragt, bleiben aber Antworten schuldig.
Ein zweites, schwerwiegenderes Beispiel ist die Novelle des Jugendschutzgesetzes. Die Novelle mussten
Sie nach einem Machtwort der Kanzlerin zurückziehen.
Wir haben klar gemacht: Kinder dürfen nicht als Testkäufer und Lückenbüßer für fehlende staatliche Kontrollen im Jugendschutz instrumentalisiert werden.
({6})
Gestern hat zum Jugendschutz ein runder Tisch getagt, bei dem wir grüne Vorschläge für einen effektiveren
und besseren Jugendschutz eingebracht haben. Der verabredete Sieben-Punkte-Plan ist ein Schritt in die richtige Richtung: Die Alterskennzeichnung ist besser sichtbar zu machen, Kassensysteme sind mit akustischen
Signalen auszustatten, und insgesamt soll es mehr Information und Aufklärung geben. All das ist wirksam und
vernünftig.
Ich freue mich, dass gerade unser Vorschlag, den
Bußgeldkatalog zu überarbeiten, eine Hauptbotschaft
des runden Tisches gewesen ist.
({7})
Viel zu dünn sind aber die Überlegungen, mit denen
wir das Vollzugs- und Umsetzungsdefizit auf allen politischen Ebenen in den Griff bekommen können. Ich erwarte, dass wir die Kontrolldichte deutlich erhöhen, um
das Risiko zu erhöhen, erwischt zu werden, wenn man
gegen den Jugendschutz verstößt. Zudem muss die Zusammenarbeit zwischen den Kontrollbehörden - also Jugendhilfe und Ordnungsämtern - verstärkt und verbindlicher gemacht werden.
Wir erwarten von Ihnen, dass Sie zügig eine überarbeitete Jugendschutzgesetznovelle zur Beratung hier im
Parlament einbringen. Wenn es ein vernünftiges Gesamtpaket ist, werden wir uns ihm auch nicht verschließen.
({8})
Meine Damen und Herren, immer mehr Eltern sind in
ihrer Erziehungskompetenz überfordert. Die Aufgaben
der Kinder- und Jugendhilfe nehmen somit zu. Bei
gleichbleibenden oder sogar sinkenden Finanzmitteln
drohen eine verhängnisvolle Unterfinanzierung und infolgedessen auch eine Überforderung der Jugendhilfe.
Ein Aufgabenzuwachs erfordert einen Mittelzuwachs sowie Strukturreformen. Dazu haben Sie heute leider nichts
gesagt.
Die Kinder- und Jugendhilfe darf nicht als Feuerwehr
nach erschütternden und wirklich traurigen Einzelfällen,
sondern muss vor allem als wichtiges gesellschaftliches
Frühwarnsystem und als zentraler Problemlöser gesehen
werden.
({9})
Meine Damen und Herren, um mehr Teilhabe zu ermöglichen, müssen wir im Haushalt klare Prioritäten setzen und alte Zöpfe abschneiden. Zu den ältesten Zöpfen
gehört mit Sicherheit die Wehrpflicht.
({10})
Die Wehrpflicht muss schnellstmöglich ausgesetzt werden, weil sie ungerecht ist und sich sicherheitspolitisch
überlebt hat.
({11})
Statt wenigstens Auszubildende und Studierende von der
Wehrpflicht freizustellen, werden diese entgegen aller
Vernunft aus ihren Ausbildungsgängen herausgezogen.
Doppelt ungerecht ist, dass 8 000 Zivildienstleistende
mehr eingezogen werden als Wehrdienstleistende. Diese
Ungerechtigkeit muss sofort beendet werden.
({12})
Mit den frei werdenden Mitteln im Zivildiensthaushalt in Höhe von über 66 Millionen Euro wollen wir vor
allem die Jugendfreiwilligendienste massiv ausbauen,
um damit der enormen Engagementbereitschaft von Jugendlichen gerecht zu werden.
Zudem wollen wir die Mittel gegen Rechtsextremismus verdoppeln. Die Förderung der Arbeit für Vielfalt
und Respekt ist zentral, damit Andersaussehende, Andersdenkende, Andersgläubige und Andersliebende in
einer pluralen und angstfreien Gesellschaft statt in „national befreiten Zonen“ leben können.
Kollege Gehring, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.
Ja, ich komme zum Schluss. - Vielfältige Jugendkulturarbeit und Elterninformation sind dazu dringend erforderlich. Die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie die
Einbindung bewährter Initiativen im Kampf gegen
Rechtsextremismus müssen stärker und gleichberechtigt
berücksichtigt werden.
Es ist wichtig, auch in diesem Haushalt klare Prioritäten dafür zu setzen und durchdachte Konzepte zu entwickeln. Ich würde mir wünschen, dass Sie in diesen Bereichen richtige Prioritäten setzen und auf diese Weise
junge Menschen bei der Gestaltung ihrer Zukunft besser
unterstützen.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Paul
Lehrieder das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Haushaltsdebatten sind ja grundsätzlich
ein Forum, wo sich die Opposition an der Koalition reiben darf.
({0})
Wenn die Welt heute schreibt: „Die Stunde der hilflosen
Opposition“ - mit Ihrem gnädigen Einverständnis, Frau
Präsidentin, darf ich zitieren -, dann hat sie recht.
({1})
Das betrifft leider auch die heutige familienpolitische
Diskussion. Es hätte der Opposition - Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und von den Grünen;
bei der Linkspartei habe ich meine Zweifel - gut angestanden, das, was erreicht worden ist, was es im nächsten
Jahr an familienpolitischen Leistungen gibt, anzuerkennen. Zur Wahrheit gehört die gesamte Wahrheit
({2})
und nicht nur das Haar in der Suppe, das Sie in dieser
Diskussion wieder verzweifelt zu finden versuchen.
Der bisherige Verlauf der Haushaltsdebatte hat insbesondere eines deutlich gemacht: Die Familienpolitik hat
unter unserer Familienministerin von der Leyen enorm
an Bedeutung gewonnen. Die Familienpolitik hat nunmehr endlich den Stellenwert, der ihr zusteht. Keiner in
diesem Hohen Hause würde heute noch sagen: Familienpolitik ist Gedöns.
Mit dem Haushalt 2008 machen wir folgerichtig klar,
dass sich daran in Zukunft nichts ändern wird. Im Gegenteil: Wir stärken die Familienpolitik noch. Trotz notwendiger Haushaltskonsolidierung setzt die Große Koalition im Jahr 2008 erneut einen Schwerpunkt bei der
Förderung der Familien und Kinder in unserem Land.
Zu den Leistungen im Einzelnen. Der größte Posten
im Einzelplan 17 ist im kommenden Jahr das Elterngeld. Im Haushalt 2008 kommt es zum ersten Mal voll
zum Tragen. 4 Milliarden Euro - Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen - sind allein hierfür veranschlagt. Erste Auswertungen zum Elterngeld haben bestätigt, dass das Elterngeld von den jungen Eltern sehr
gut angenommen wird und ihren Erwartungen voll entspricht.
({3})
Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts vom Juni
2007 erleben junge Paare und gerade auch Alleinerziehende die Zeit nach der Geburt weniger häufig als Phase
großer Einschränkungen. Bei einer relativen Mehrheit
herrscht die Wahrnehmung vor, dass sich die finanzielle
Förderung junger Familien mit Kindern deutlich verbessert hat.
Auch die sogenannten Vätermonate - von dem einen
oder anderen etwas humorvoll als „Wickelvolontariat“
bezeichnet; diese Vätermonate sind ja in der Vergangenheit durchaus kontrovers diskutiert worden - finden
mehrheitlich die Zustimmung der jungen Eltern.
({4})
- „Humorvoll“, ich habe das ausdrücklich betont. Diese positive Entwicklung ist auch an der steigenden
Zahl der Väter in Elternzeit abzulesen: In den ersten vier
Monaten dieses Jahres haben mit 8,5 Prozent mehr als
doppelt so viele Väter Elternzeit genommen als bisher.
Zwei Bundesländer sind hier eigens zu erwähnen: An
der Spitze der Bewegung steht erstaunlicherweise Berlin. Den zweiten Platz - 11,2 Prozent der Väter nehmen
hier Vätermonate - hat Bayern. Respekt! Kompliment
an die bayerischen Väter, die vorbildlich die Elternzeit in
Anspruch nehmen! Eine Befragung aus dem dritten
Quartal 2007 hat ergeben: 57 Prozent der Väter nehmen
immerhin zwei Monate Elternzeit, und 43 Prozent sogar
mehr als zwei Monate. Die Vätermonate sind also ein
toller Erfolg geworden, sie werden von den Vätern besser angenommen, als man es sich vorstellen konnte.
({5})
Das Elterngeld ist somit unstrittig der richtige Weg, um
jungen Eltern die Entscheidung für Kinder und für das
Leben mit Kindern leichter zu machen.
Ich bin stolz darauf, dass wir vor einigen Wochen einen weiteren Meilenstein für Familien in unserem Land
auf den Weg bringen konnten: Bis zum Jahr 2013 werden bundesweit Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege für rund ein
Drittel der Kinder unter drei Jahren entstehen. Mit dem
geplanten Betreuungsgeld - Kollege Peter Struck hat
sich ja gestern in der Diskussion ebenfalls ausdrücklich
dazu bekannt ({6})
- so habe ich ihn verstanden ({7})
setzen wir zudem ein Zeichen, dass auch die Erziehung
von Kindern zu Hause unser aller Wertschätzung verdient.
({8})
Damit sind die Weichen für eine gute, flexible Kinderbetreuung in unserem Land gestellt, für eine Betreuung,
die, liebe Frau Lenke, ein Maximum an Wahlmöglichkeiten für Mutter und Vater bietet.
Das Sondervermögen von 4 Milliarden Euro erscheint
nicht im Einzelplan 17. Dennoch ist es mir wichtig, an
dieser Stelle darauf hinzuweisen; schließlich ist es eine
maßgebliche Investition in die Zukunft der Familien, der
Kinder und der Bildung in unserem Land. Gerade für benachteiligte Kinder bedeutet ein Mehr an hochwertigen
Betreuungsmöglichkeiten bessere Chancen auf frühkindliche Bildung. Eine entsprechende Infrastruktur kann
dazu beitragen, den Teufelskreis der von Generation zu
Generation vererbten Bildungsarmut zu durchbrechen.
Ich will ausdrücklich darauf hinweisen - man kann
das nicht oft genug wiederholen -: Sozialpolitik unserer
Zeit ist in erster Linie Bildungspolitik. In der IGLUStudie - sie wurde gestern veröffentlicht - stehen wir
bei der Lesekompetenz in Grundschulen auf Platz 11
von 45. Ich versichere: Nicht nur die Betreuerin in einer
Kita kann vorlesen, auch eine engagierte Mutter wird ihrem Kind - ihrer Tochter, ihrem Sohn - aus Bilderbüchern und anderen Büchern vorlesen.
({9})
Auch in der PISA-Studie ist uns ein Sprung nach
vorne gelungen. Wir sind jetzt auf einem guten Platz,
nämlich Platz 13 von 57. 2003 waren wir noch auf Platz
18. Insbesondere die Zahl der besonders schwachen
Schüler ist nach der neuen PISA-Studie deutlich gesunken. Ich glaube, das ist ein Erfolg. Die größere wirtschaftliche Prosperität der Familien wird dazu beitragen,
dass hier auch in Zukunft Bildungsschwächen beseitigt
werden können.
Die Schaffung von mehr Betreuungsangeboten für
unter Dreijährige ist daher auch eine geeignete Maßnahme, die Kinderarmut dauerhaft zu reduzieren. Es dürfen nicht nur Transferleistungen gezahlt werden. Viel
wichtiger ist es, dass die Familien Zugang zur Bildung
erhalten; denn Kinder geraten insbesondere dann in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben. Wir haben
heute Morgen hier über den Haushalt des Arbeitsministeriums diskutiert. Die neueste Zahl vom Arbeitsmarkt
lautet: 3,38 Millionen Arbeitslose. Das heißt, es gibt immerhin 682 000 Beschäftigte mehr als noch vor Jahresfrist im November 2006. Ich glaube, das ist der richtige
Weg. Arbeitsmarktpolitik ist gleichzeitig Kinder- und
Familienpolitik, weil Eltern, die in Lohn und Brot stehen, für ihre Kinder natürlich mehr tun können. Das ist
also ein probates und richtiges Mittel gegen Kinderarmut.
({10})
- Über die Frage Mindestlohn müssen wir in den Ausschüssen diskutieren. Wir streiten uns in den Ausschüssen ohnehin oft genug über den Mindestlohn. Darüber
werden wir noch einige Diskussionen zu führen haben.
({11})
Deshalb ist die Steigerung der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt auf der einen Seite gemeinsam mit dem zügigen Ausbau der Kinderbetreuung auf der anderen Seite
der entscheidende Weg, die Kinderarmut mittelfristig
und dauerhaft zu senken.
Erfahrungen in unseren Nachbarländern zeigen zudem, dass materielle Kinderarmut durch gezielte Leistungen wie das Elterngeld und den Kinderzuschlag erfolgreich gesenkt werden kann. So wird die Förderung
von Familien mithilfe des Kinderzuschlages künftig unbefristet fortgeführt. Auch darauf muss man noch einmal
ausdrücklich hinweisen.
Wir sind auch ganz klar für eine Erhöhung des Kindergeldes bereits im Jahr 2009. Lieber Kollege Fricke,
wenn die Kinder das Geld im Jahr 2009 brauchen, dann
erhöhen wir das 2009, und zwar nicht im Hinblick auf
die nächste Bundestagswahl. Die Familien und nicht die
Wahlchancen, wie vielleicht bei Ihnen - der Mensch
geht ja bekanntlich von sich selber aus -, stehen bei uns
im Fokus.
({12})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Kollege Lehrieder! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Für Lobhudeleien haben wir bei der Opposition leider keine Zeit.
({0})
Deswegen wende ich mich auch gleich an die Ministerin.
Zum Kinderzuschlag möchte ich zumindest kurz bemerken: Bisher ist der Kinderzuschlag eine rein bürokratische Veranstaltung.
({1})
Aus der beruflichen Praxis ist mir nicht ein Fall bekannt,
in dem der Kinderzuschlag wirklich gewährt wurde.
Wenn sich das ändern sollte, dann werde ich das sehr
wohl vermerken, aber ich habe größte Zweifel, dass es
sich hier um mehr als um ein Placebo handelt.
({2})
Schauen wir uns den Haushalt an. Im Haushalt des
Familienministeriums waren bisher für die Position „Integration junger Zuwanderinnen und Zuwanderer“
66 Millionen Euro eingestellt. 44 Millionen Euro davon
werden jetzt in den Kinder- und Jugendplan verschoben.
Weitere 14 Millionen Euro bleiben offen. In dem Haushaltstitel stehen dann nur noch 8 Millionen Euro. Die
14 Millionen Euro werden wohl für Integrationskurse
ausgegeben, sie fehlen aber in diesem Haushalt. Das
Thema der Integration jugendlicher Zuwanderinnen und
Zuwanderer verliert in diesem Ministerium also an Bedeutung. Das ist ein Abbau. Die Integrationspolitik befindet sich also auf dem Verschiebebahnhof. Ich halte
das für das falsche Signal und möchte hier gerade mit
Blick auf Frankreich ganz deutlich anmahnen, dass wir
uns um Jugendliche, jugendliche Migranten und junge
Mädchen kümmern müssen. Wir müssen ihnen Angebote machen, die dazu führen, dass sie integriert in dieser Gesellschaft aufwachsen können. Sonst „erben“ wir
genau das, was in anderen Ländern schon zu beobachten
ist. Hier wird eine Chance verpasst. Ich hätte von Ihnen,
Frau Ministerin, wirklich erwartet, dass Sie dazu hier
und heute etwas sagen.
({3})
Eine weitere Chance verpassen Sie, wenn Sie bei den
Jugendfreiwilligendiensten nicht die Möglichkeiten der
Rahmengesetzgebung nutzen. Wir haben angemahnt, für
die Jugendfreiwilligendienste eine Rahmengesetzgebung in ausschließlicher Zuständigkeit des für die Jugendpolitik verantwortlichen Familienministeriums zu
schaffen.
({4})
Hier erkenne ich einen erstaunlichen Mangel an Durchsetzungskraft, Frau Ministerin. Ich kann nur hoffen, dass
Sie zumindest Ihre Skepsis hinsichtlich des Betreuungsgeldes, das die FDP-Fraktion für falsch hält, aufrechterhalten und wenigstens in diesem Punkt in Zukunft standhafter sind.
({5})
Gestatten Sie mir noch einige Worte zur Seniorenpolitik. Dazu haben wir nichts von Ihnen gehört. Zum
Stichwort „Mehrgenerationenhäuser“ ist zu sagen: Ihre
Politik greift hier zu kurz. Die in diesem Rahmen verteilten Gelder fließen zum Teil in bereits bestehende kommunale Einrichtungen. Wir haben heute - wie schon in
der Vergangenheit - zu wenig von Ihnen zu dieser Frage
gehört.
Ich komme zu den Stichworten „Renteneintrittsalter 67“ und „Zwangsverrentung“. Mit Letzterem wird
die Arbeitslosenstatistik geschönt. Wie Sie als die für ältere Menschen zuständige Ressortministerin dazu stehen, haben wir aber nicht gehört.
Mein Resümee zur Jugend-, aber auch zur Seniorenpolitik lautet: Es ist zu wenig.
({6})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ole
Schröder das Wort.
Frau Kollegin, Sie haben den Titel „Integration junger
Zuwanderinnen und Zuwanderer“ angesprochen. Wie
Sie richtig bemerkt haben, waren im Haushalt 2007 hier
noch 66,2 Millionen Euro eingestellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir jetzt weniger für die Integration
junger Zuwanderinnen und Zuwanderer tun. Vielmehr
ist es so, dass wir 44,2 Millionen Euro in den KJP überführt haben.
({0})
Davon erhoffen wir uns erhebliche Synergieeffekte mit
anderen Programmen.
In den Haushaltsberatungen haben wir auch mit dem
Ministerium abgesprochen, dass im nächsten Jahr keine
einzige Integrationsmaßnahme daran scheitern wird,
dass nicht genügend Geld aus diesem Haushalt zur Verfügung gestellt wird. Das hat uns das Ministerium zugesichert. Ebenfalls haben wir für eine entsprechende Flexibilisierung gesorgt, damit wir das im Haushaltsvollzug
auch so hinbekommen.
Zur Klarstellung musste das hier noch einmal deutlich
gemacht werden.
({1})
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Herr Kollege, ich habe das so dargestellt, wie Sie es
gerade beschrieben haben. Ich habe aber auch festgestellt, dass der Haushalt des Familienministeriums, der ja
auch die Mittel für die Jugendpolitik beinhaltet, letztendlich um 14 Millionen Euro gekürzt worden ist. Das ist
nichts anderes als ein Verschiebebahnhof. Ob die Mittel
wirklich der Integration von Jugendlichen - das ist mein
spezielles Thema, das ich hier angeschnitten habe - zugute kommen, werden wir sehen. Das werden wir aus
der Sicht der Opposition sehr genau prüfen.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Griese für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuerst ein Satz zu Ihnen, Frau Laurischk: Wir haben im
Kinder- und Jugendbereich nicht gekürzt. Es ist mir
wichtig, das noch einmal deutlich zu sagen. Die Frage
von Integration und Migration ist eine Querschnittsaufgabe. Wir haben sie anders strukturiert. Dort ist nicht gekürzt worden! Das möchte ich festhalten, damit nichts
Falsches stehen bleibt.
Ich wende mich direkt noch einmal an Ihre Fraktion,
und zwar an Ihren hochverehrten Kollegen Ausschussvorsitzenden Otto Fricke. Es ist zwar schön, in jeder Debatte zu einem Haushaltstitel darauf zu verweisen, dass
wir noch mehr sparen müssen. Vor dem Hintergrund,
dass der einzige Haushaltsänderungsantrag der FDPFraktion in diesem Bereich dahin ging, ALG-II-Empfängern das Elterngeld zu entziehen, muss ich sagen: Das ist
keine sinnvolle Art des Sparens. Das ist auch keine soziale und familienfreundliche Politik.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können zur
Halbzeit der Großen Koalition eine äußerst erfolgreiche
Bilanz unserer Familienpolitik ziehen. Das Beste kommt
aber noch. Wir haben nicht nur schon sehr viel auf den
Weg gebracht, sondern auch noch sehr viel vor.
Liebe Ekin Deligöz, von mir und im Namen des gesamten Ausschusses herzlichen Glückwunsch zur Geburt von Alina. Wir haben gemeinsam unter Rot-Grün
mit dem Betreuungsausbau begonnen. Deutschland lag
damals weit zurück. Eine nun veröffentlichte OECDStudie zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn
wir in die Kinderbetreuung und das Elterngeld investieren. Deutschland gibt aber noch immer weniger als andere Länder für Infrastruktur und Dienstleistungen für
Kinder und Familien aus, dafür aber noch immer mehr
für finanzielle Leistungen. Wir sind dabei, das zu verändern und die Betreuung auszubauen. Dem könnte die
Opposition eigentlich begeistert zustimmen.
Es gibt eine erfreuliche kontinuierliche Entwicklung:
Inzwischen 6 400 Ganztagsschulen bundesweit, die
steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten,
das Elterngeld und der Betreuungsausbau, aber auch die
Bündnisse mit der Wirtschaft für mehr Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz - das alles sind Meilensteine.
Aber, wie gesagt, das Beste kommt noch mit dem Gesetz, das wir so schnell wie möglich auf den Weg bringen werden und das einen Rechtsanspruch auf einen
Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag des Kindes
festschreibt. Darüber, dass dieser Rechtsanspruch erst ab
2013 gelten soll, kann man sicherlich meckern. Es wäre
schön gewesen, wenn das ein, zwei Jahre früher möglich
gewesen wäre. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Noch
zu Beginn dieses Jahres hätte niemand geglaubt, dass
wir es überhaupt schaffen. Wir packen es nun an und
machen es.
({1})
Dafür, dass der Bund bis 2013 hierfür 4 Milliarden Euro
und ab 2014 für die Betreuung der unter Dreijährigen
jährlich 770 Millionen Euro ausgeben wird, danke ich
dem Bundesfinanzminister und der Bundesfamilienministerin herzlich; denn das ist gut investiertes Geld.
Auch das muss man in einer Haushaltsdebatte einmal sagen.
({2})
Ich möchte dazu noch anmerken: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten freuen uns natürlich sehr,
dass wir die Mehrheit des Hauses von der Notwendigkeit
eines Rechtsanspruches überzeugen konnten. Frau
Golze, Sie haben gefordert, dass wir für alle Familien
mehr tun sollten. Der Betreuungsausbau stellt einen
Fortschritt für alle Familien dar; denn alle Kinder bekommen dadurch bessere Bildungschancen und werden
optimal betreut und zuverlässig gefördert.
({3})
Damit wird aber auch - einige haben das schon betont;
auch mir ist das ganz wichtig - nachhaltige Armutsprävention betrieben, weil Berufstätigkeit und Kinder für
Mütter und Väter besser vereinbar sein werden. Genau
das ist der richtige Ansatz.
Daran zeigt sich, dass unsere moderne Familienpolitik gleichzeitig eine gute Gleichstellungspolitik und eine
gerechte Sozialpolitik ist. Ich will für all diejenigen, die
vielleicht noch immer die Sorge haben, dass die stundenweise Abwesenheit der Eltern und der Aufenthalt der
Kinder in einer Kita negative Wirkungen haben könnten,
aus der World Vision Kinderstudie zitieren:
Erwerbstätigkeit beider Eltern und Zuwendung sind
kein Widerspruch. Im Gegenteil: eine geregelte Erwerbsbeteiligung der Eltern stabilisiert die häuslichen Verhältnisse und hilft, die gemeinsam verbrachte Zeit intensiver miteinander zu nutzen.
Das heißt, unser Ansatz beim Ausbau der Kinderbetreuung ist genau richtig.
({4})
Wir müssen gemeinsam mit den Arbeits- und Sozialpolitikern deshalb darüber nachdenken, wie wir die
Chancen von berufstätigen Eltern verbessern können.
Wir haben den Kinderzuschlag entfristet; das ist ein
erster richtiger Schritt. Wir wollen nun 200 Millionen
Euro mehr in den Kinderzuschlag investieren. Wir müssen das mit dem Erwerbstätigenzuschuss abstimmen.
Das ist kein einfacher Prozess, weil hier viele Sozialgesetze geändert werden müssen. Ich sage ganz deutlich:
Richtig gut wird es erst dann, wenn es einen Mindestlohn gibt. Auf ihm aufbauend werden wir effektive Sozialleistungen erbringen können.
({5})
Ich bin sehr froh, dass es bei der Post endlich geklappt
hat. Das sollte uns ein Anreiz sein, voranzuschreiten.
({6})
Ich bin des Weiteren sehr froh, dass der Arbeits- und
Sozialminister ein Schulstartpaket im Wert von
150 Euro einführen will, damit Kinder die notwendige
Ausstattung für die Schule bekommen. Da vom Haushaltsausschussvorsitzenden angemahnt wurde, dass gezielte finanzielle Leistungen notwendig sind, möchte ich
festhalten: Eine solche Schulstarthilfe ist eine gezielte finanzielle Leistung und besser, als Geld nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen.
Kollegin Griese, lassen Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Lenke zu?
Aber gerne.
Bitte, Frau Lenke.
({0})
Lieber Kollege, welchen Bären Sie den Menschen mit
Ihrer kurzfristig zurückgezogenen Ankündigung, die
Lohnsteuerklasse V im Jahressteuergesetz abzuschaffen, aufgebunden haben, ist Ihr Problem, nicht meines.
Frau Griese, Sie haben eben gesagt, ganz wichtig sei
für die Berechnung des Kinderzuschlags die Einführung
eines flächendeckenden Mindestlohnes. Meine Frage
lautet: Was hat es mit dem Kinderzuschlag zu tun, wenn
es jetzt in jeder Branche einen Mindestlohn gibt? Das
verstehe ich nun überhaupt nicht.
Ich erkläre es Ihnen gerne, Frau Lenke. Der Zusammenhang ist der: Wenn Sie einen Erwerbstätigen- und einen Kinderzuschlag einführen, dann funktioniert das erst
dann richtig gut, wenn es einen Mindestlohn gibt; sonst
schieben Sie allein dem Staat die Verpflichtung zu, die
zu niedrigen Löhne, die die Unternehmen zahlen, aufzustocken. Die hohe Anzahl der Aufstocker, die wir haben,
zeigt, dass das ein Problem ist. Das heißt: Wir wollen
den schon bestehenden Kinderzuschlag gerne ausbauen.
Aber erst dann, wenn es einen Mindestlohn gibt, kann
man ihn mit einem Erwerbstätigenzuschlag vernünftig
kombinieren.
({0})
Dass die Postbranche es heute geschafft hat, zeigt, dass
das tatsächlich funktionieren kann.
({1})
Meine Partei, die SPD, will einen nationalen Pakt, um
Kindern mehr Chancen zu geben und die Zahl der von
Kinderarmut Betroffenen nachhaltig zu senken. Dazu
gehört auch, mit Ländern und Kommunen zu sprechen,
wie wir die Ernährung von Kindern in Kitas verbessern
können; denn wir brauchen gerechte und gleiche Chancen für alle Kinder.
Wir haben erste Erfolge. Die Zahl der Menschen mit
Kinderwunsch ist gestiegen. Endlich gibt es keinen
Rückgang der Geburtenrate mehr. Moderne Gleichstellungspolitik heißt eben auch, dass inzwischen fast jeder
zehnte Vater Elterngeld beantragt. Das Elterngeld wirkt.
Ich finde, ehrlich gesagt, dass 10 Prozent immer noch
ziemlich wenig sind, aber man muss sehen, dass die Tendenz eindeutig steigt. Knapp ein Viertel der Väter nimmt
zwischen drei und elf Monate in Anspruch, jeder fünfte
sogar zwölf Monate. Wir sind auf dem richtigen Weg,
wir könnten aber noch ein bisschen schneller vorankommen.
Wie wir Kinder besser vor Vernachlässigung schützen können, beschäftigte und berührte uns gerade in den
letzten Tagen leider wieder erneut. Wir sind entsetzt darüber, dass es in unserem Land Eltern gibt, die ihre eigenen Kinder verhungern lassen und misshandeln. Ich
glaube, wir sind uns alle einig, dass unser Ziel ist, dass
alle Kinder gesund und geschützt aufwachsen und Chancen im Leben bekommen. Aber die Wahrheit ist, dass es
eine ernst zu nehmende Zahl von Eltern gibt, die ihre Familiensituation nicht bewältigen können. Obwohl es die
Eltern sein sollten, die ihren Kindern einen guten Start
ins Leben ermöglichen, klappt das leider in einigen Familien nicht. Es gibt hier eine gesamtgesellschaftliche
Verantwortung. Wir müssen deutlich machen, dass es
auch eine öffentliche Verantwortung dafür gibt, dass
Kinder geschützt werden. Wir brauchen eine Kultur des
Hinsehens, nicht des Wegschauens.
Wir müssen Eltern frühzeitig unterstützen. Das kann
auch bedeuten, dass Eltern schon vor der Geburt begleitet werden. Dafür brauchen wir ein flächendeckendes
Frühwarnsystem. Mit dem Bundesprogramm „Frühe
Hilfen“, das wir aufgelegt haben, fördern wir Modellprojekte. Das ist gut, aber ich sage auch ganz deutlich:
Modellprojekte und Forschungserhebungen reichen
nicht aus. Wir müssen zu verbindlichen Vereinbarungen
zwischen Bund, Ländern und Kommunen kommen, damit Kinder besser geschützt werden.
({2})
Familien brauchen eine niedrigschwellige, frühzeitige
Förderung und eine bedarfsgerechte Unterstützung. Ich
finde es deshalb richtig, dass in vielen Kommunen damit
begonnen wurde, alle Familien zu besuchen, in denen
Kinder neu geboren wurden. Es geht nicht darum, zu
stigmatisieren, sondern alle nach dem Motto zu erreichen: Willkommen im Leben.
({3})
Obwohl wir hier über den Bundeshaushalt reden,
muss man deutlich sagen, dass es ganz entscheidend ist,
dass Länder und Kommunen für eine bessere Ausstattung der Jugendämter sorgen; denn wir wissen von
vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns gerade
in den letzten Tagen noch einmal geschrieben haben,
dass sie verzweifelt sind, weil sie den enorm gestiegenen
Anforderungen nicht gerecht werden können. Deswegen
muss in den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe investiert werden; hier darf nicht gespart werden.
({4})
Genauso muss die Vernetzung zwischen Jugendämtern, Sozialämtern und Gesundheitsämtern verbessert
werden. Ich will ausdrücklich lobend hervorheben, dass
mit dem Kinderschutzgesetz, das der Schleswig-Holsteinische Landtag in der letzten Woche verabschiedet
hat, ein kontrollierendes und verbindliches Einlade- und
Meldewesen zu den Früherkennungsuntersuchungen
eingeführt wird. Mir ist inzwischen wirklich egal, ob wir
das verbindlich, verpflichtend, obligatorisch oder sonst
wie nennen. Das Ziel ist, dass wir 100 Prozent aller Kinder erreichen. Wir haben aber Stadtteile, in denen wir
nur die Hälfte erreichen.
({5})
Gitta Trauernicht, die schleswig-holsteinische Ministerin, hat es angepackt und gesagt: Wir machen das jetzt
flächendeckend. - Wenn sich die Eltern oder die Ärzte
nicht zurückmelden, schauen das Jugendamt und das
Gesundheitsamt nach. Ganz wichtig ist - auch das müssen wir deutlich sagen -, dass die Amtspersonen, die
dort hingehen, die Kinder auch wirklich zu sehen bekommen.
Wir haben die Situation, dass Kinder in manchen
Stadtteilen nicht nur unter materieller Armut leiden, sondern auch unter geringen Bildungschancen, die oft und
immer mehr mit einem schlechten Gesundheitszustand
- Stichwort Bewegungsmangel - einhergehen. Deshalb
ist es mir so wichtig, zu sagen: Wir alle zusammen
- Bund, Länder und Kommunen - müssen schauen, dass
alle Kinder das Recht auf eine gesunde Entwicklung bekommen. Wir müssen uns anstrengen, in dieser Hinsicht
noch mehr zu tun. Ich weiß auch, dass die Vorsorgeuntersuchungen nicht alle Extremfälle von Kindesverwahrlosung aufdecken können. Aber sie sind ein Baustein neben denen, die ich eben genannt habe, nämlich
die aufsuchenden Hilfen und das Einladewesen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, damit die Kinder besser geschützt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutlichen Erhöhungen im Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend zeigen, dass diese Bundesregierung einen
Schwerpunkt in diesem Bereich setzt. Wir wollen den
demografischen Wandel gestalten und das Engagement
von Jüngeren und Älteren, das Engagement für- und miteinander stärken. Wir wollen alles daran setzen, Kinder
zu schützen, Familien zu stärken und Frauen und Männern gleiche Chancen zu ermöglichen.
Wir blicken zuversichtlich auf die weitere Arbeit und
auf das, was wir noch anpacken können. Wir packen
ziemlich große und notwendige, geradezu umwälzende
Veränderungen an. Dabei orientieren wir uns an der Lebensrealität der Menschen. Weil man in der Politik
manchmal ein bisschen mehr Energie und Kreativität haben muss, möchte ich gern Astrid Lindgren zitieren, da
sie am 14. November vor 100 Jahren geboren wurde.
Wir bemühen uns, frei nach dem Motto von Pippi Langstrumpf zu handeln: „Heute schon die Welt auf den Kopf
gestellt?“ Wir versuchen es, und wir versuchen, sie richtig herum zu stellen.
Vielen Dank.
({6})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Fricke das
Wort.
Liebe und geschätzte Ausschussvorsitzendenkollegin
Griese, eigentlich war das, was Sie da gerade versucht
haben, etwas unter dem, was Sie an Wissen und Können
haben.
({0})
Halten wir erstens fest: Ich habe mich beim Kanzleramt erkundigt, warum während der ganzen Debatte keiner vom Kanzleramt den Mut hat, hier zu erscheinen. Es
scheint irgendwelche Probleme in der Koalition zu geben.
({1})
- Nein, das ist ein Staatssekretär im Innenministerium,
falls ich die Große Koalition einmal darüber aufklären
darf, wer sie regiert.
({2})
- Jetzt kommen wir zum Kleinkarierten, lieber Herr Kollege.
Zweitens. So zu tun, als hätten wir nur diesen einen
Antrag in dem dicken Buch, ist ein bisschen unfair. Ich
habe eben noch einmal schnell nachgezählt. Auf den
Seiten 369 bis 388 befinden sich insgesamt 20 Anträge,
die darstellen, wo wir überall Kürzungen vorschlagen.
Dazu gehört auch der von Ihnen benannte Antrag. Dazu
sage ich klar: Wenn man für unsere Kinder sparen will,
damit sie nicht mit weiteren Schulden belastet werden,
dann kann man das nicht so machen, wie es viele in unserem Land tun, indem sie sagen: Klar bin ich für das
Sparen, aber bitte nicht bei mir. Wenn man sparen will,
dann muss man auch im eigenen Bereich sparen.
Nun zu dem konkreten Vorwurf, wir wollten für
Hartz-IV-Empfänger keine Leistungen nach dem Elterngeld:
Erstens haben wir darüber diskutiert. Sie wissen also,
warum.
Zweitens. In Ihrer Koalition war dies doch auch umstritten.
Drittens. Wenn das Elterngeld, wie von Ihnen und
auch heute von der Frau Ministerin immer dargestellt,
zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf dient, dann hat es im Bereich Hartz IV nichts zu
suchen. Wenn Sie bei Hartz-IV-Berechtigten dafür sorgen wollen, dass diese gerade im ersten Jahr und nicht
im zweiten, denn dann gibt es das Elterngeld nämlich
nicht, ausreichende Finanzmittel für ihre Kinder haben,
dann müssen Sie in diesem Bereich die Leistungen erhöhen. Das ist dann aber eine andere Baustelle. Das, was
Sie vorhaben, stellt eine Systemwidrigkeit dar.
Zum Abschluss: Ich finde es nicht gut, dann, wenn
eine Oppositionsfraktion den Mut hat, zu zeigen, wo sie
spart, zu sagen: Genau das dürft ihr aber nicht.
({3})
Die Kollegin Griese hat die Möglichkeit zur Erwiderung. Bitte.
Lieber Kollege Fricke, die SPD-Fraktion ist nicht für
die Präsenzliste des Kanzleramts zuständig. Das sind die
eigenartigen Rituale des Haushaltsausschusses, die Sie
zwar hier ausleben können, die uns aber in der Sache
nicht weiterhelfen.
Die Sache, um die es geht, ist die, dass dieser Bundeshaushalt, was das Sparen für unsere Kinder und die Zukunftsfähigkeit sowie die Gestaltung des demografischen Wandels und die Generationengerechtigkeit
angeht, einer der erfolgreichsten ist, den wir je hatten.
({0})
Wir haben es endlich geschafft, die Neuverschuldung zu
senken. Wir haben es geschafft, dass wir für die kommenden Generationen etwas tun, denn es geht um Sparen und um vernünftiges Ausgeben. Ich glaube, hier haben wir genau das richtige Gleichgewicht gefunden,
indem wir als SPD eine gleiche soziale Leistung für alle,
nämlich 300 Euro Elterngeld für alle, fordern. Das ist
nun einmal unser Charakter. Dass Sie als FDP einen anderen haben, sei Ihnen gegönnt. Das unterscheidet die
SPD von der FDP. Nichtsdestotrotz sage ich: Die Kombination aus Elterngeld und Betreuungsausbau stellt genau den richtigen Weg dar. Auf dem befinden wir uns.
Bei Investitionen in Bildung und Betreuung handelt es
sich nämlich um Zukunftsinvestitionen. Damit machen
wir eine nachhaltig gute Politik für die Zukunft von Kindern und Jugendlichen.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend, in der Ausschussfassung. Hierzu lie-
gen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor,
über die wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/7326? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
sache 16/7327? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent-
haltungen? - Das ist nicht der Fall. Auch dieser Ände-
rungsantrag ist damit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 17? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal-
Vizepräsidentin Petra Pau
tungen? - Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt II.17 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 16/6407, 16/6423 Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Lothar Binding ({0})
Roland Claus
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
- Drucksachen 16/6423, 16/6424 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Lothar Binding ({1})
Dr. Dietmar Bartsch
Zum Einzelplan 07 liegt ein Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke vor. Über diesen stimmen wir am
Freitag nach der Schlussabstimmung ab.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDPFraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Recht ist, was der Freiheit dient.“ - Dies ist ein
Zitat des ersten Bundesjustizministers der Bundesrepublik Deutschland, des Liberalen Thomas Dehler, dessen
110. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Der Ausspruch zeigt, dass für Thomas Dehler die Grund- und
Freiheitsrechte politische Ideale waren. Geprägt von den
Ereignissen des Unrechtsregimes im Nationalsozialismus, war Dehler überzeugt von der Idee des freiheitlichen Rechtsstaates. Dehler wollte ebenso den handlungsfähigen Rechtsstaat. Er hat sehr wohl die
Herausforderungen gesehen, die es heute in unterschiedlicher Form gibt, aber auch in vergangenen Jahren gegeben hat. Dennoch hätte er auch heute ganz bewusst gesagt: „Recht ist, was der Freiheit dient.“
Heute wäre für ihn selbstverständlich, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden
muss, und zwar genau so, wie es letztendlich durch die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben ist.
({0})
Diesen Schutz zu gewährleisten, wäre für ihn keine lästige Kleinigkeit gewesen; das ist es auch heute nicht. Ich
sage deswegen deutlich: Die Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stimmt uns besorgt. Jüngst führte ja der Bundesinnenminister in der
Zeitschrift für Rechtspolitik aus, es sei problematisch,
wenn auch das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen von diesem
Schutz erfasst werde; das gehe zu weit; die Löschungspflicht und das Verwertungsverbot reichten doch aus. Dieses Argument zieht sich durch viele Debatten.
Ich erwähne das, weil es bei der Debatte über das
Richterband um genau dieses Problem geht: Wenn es
um die Erfassung und das Speichern von Gesprächen aus
dem Kernbereich privater Lebensgestaltung geht, also
um privat geführte Gespräche, nicht um Gespräche, die
notwendigerweise der Aufklärung von Kriminalität dienen, halten wir nichts davon, nun sozusagen das Beste
aus der Rechtsprechung herauszuholen und ein Richterband als zulässig zu erachten. Das ist nämlich mit der
Rechtsprechung schwerlich in Einklang zu bringen.
Ich erwähne das auch, weil uns Beratungen zur
Onlinedurchsuchung - das hat sich ja aus der Debatte
über den Haushalt ergeben - im nächsten Jahr auf jeden
Fall beschäftigen werden. Auch da wird es um die
Grundsatzfrage gehen: Wie kann der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden?
Auf der einen Seite ist die Informationsgewinnung
wichtig, gerade auch diejenige, die notwendig ist, um
gegen Kriminalität vorzugehen und um Erkenntnisse
über den internationalen Terrorismus zu gewinnen. Auf
der anderen Seite ist mit dieser Rechtsprechung ein
Spannungsbogen dergestalt angelegt, dass nicht alles,
was möglich ist, auch erlaubt ist. Deshalb wird sich die
Onlineuntersuchung in den Beratungen, die wir hierzu
noch häufig führen werden, an dieser Rechtsprechung
messen lassen müssen. Wenn es zutrifft, was alle Sachverständigen in der Anhörung während der mündlichen
Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts gesagt haben, dass bei der Entwicklung einer Software in diesem
Bereich eine Trennung zwischen kernbereichsrelevanten
und nicht kernbereichsrelevanten Gesprächen technisch
nicht möglich ist, dann zeigt dies, dass wir hier, ganz
vorsichtig ausgedrückt, in schwierigstes verfassungsrechtliches Gelände kommen werden.
({1})
Als FDP-Fraktion wollen wir nicht, dass das Bundesverfassungsgericht immer mehr zum Ersatzgesetzgeber
wird. Dies wird ja zu Recht von manchen kritisiert. Wir
sehen, dass schwierige verfassungsrechtliche Fragen zu
prüfen sind. Aber es ist doch angemessener, nach einem
Ringen um die beste Lösung im Zweifel lieber von einer
Maßnahme abzusehen, wenn wir Gefahr laufen, vom
Bundesverfassungsgericht die rote Karte gezeigt zu bekommen. Das muss das Anliegen aller hier im Hause
sein.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat in der Rechtspolitik
gerade im letzten Jahr immer großen Wert darauf gelegt,
konstruktive Oppositionspolitik zu machen. Wir haben
beim Unterhaltsrecht nicht nur mit eigenen Anträgen zur
Debatte beigetragen, sondern nachher dem gefundenen
Kompromiss auch zugestimmt. Genauso haben wir es
beim Urheberrecht gemacht, weil wir die gute Tradition
fortsetzen wollten, hier gemeinsam zu einer Lösung zu
kommen, die die widerstreitenden Interessen miteinander auszugleichen versucht.
({2})
In diesem Zusammenhang erwähne ich die Computerkriminalität.
Wenn wir aber berechtigte Kritik äußern, dann geschieht dies aus der Sorge heraus, dass wir uns in diesem
Bereich vielleicht selbst entmachten und die Entscheidungen dorthin geben, wo sie eigentlich nicht fallen sollten. Sie sollten aber hier im Bundestag getroffen werden.
Vielen Dank.
({3})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Lothar Binding,
SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst mache
ich eine Bemerkung zu Frau Golze, auch wenn es Sie
wundern mag, weil es nicht zum aufgerufenen Thema
gehört. Aber es ist eine allgemeine Bemerkung, die ein
Schlaglicht auf die Art wirft, sich Dinge zu überlegen.
Sie, Frau Golze, haben vorhin etwas sehr Gutes gesagt:
({0})
Kinderarmut kann man nicht in einer Talkshow bekämpfen. Das ist richtig, und das unterstütze ich sehr. Jetzt
frage ich mich natürlich, wie das jemand aus einer Fraktion sagen kann - hier hatten mein Kollege Sönke Rix
und ich dieselbe Idee -, in deren Reihen Oskar
Lafontaine und Gysi sitzen. Sie sind ja die Spezialisten
für diese Art der Politik.
({1})
Ich glaube, man muss hier sehr vorsichtig sein.
Nun eine Vorbemerkung zu dem Einzelplan 07, Bundesjustizministerium, und dem Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht. Das Volumen der Einzelpläne ist relativ klein. Deshalb kann ich die Ausschussdebatte
vielleicht so beschreiben: Das Volumen der Einzelpläne
und die Dauer der Diskussion waren umgekehrt proportional. Dass wir trotzdem sehr viel erreicht haben, verdanken wir einer Gruppe von Menschen, die sich schon
lange um diese beiden Einzelpläne kümmern: die Berichterstatter Dr. Ole Schröder, Otto Fricke, Omid
Nouripour, Roland Claus bzw. Dr. Dietmar Bartsch und
Michael Leutert. Sie haben sich sehr intensiv um die
Einzelfragen gekümmert. Vom BMJ danke ich insbesondere Brigitte Zypries sowie den Herren Dr. SchmittWellbrock und Axel Vogel, die uns sowohl fachlich als
auch in den Teilen der Debatte, in denen wir nicht einer
Meinung waren, sehr gut unterstützt und die unterschiedlichen Positionen sehr konstruktiv zusammengeführt haben. Beim Bundesverfassungsgericht bedanke
ich mich bei Frau Dr. Barnstedt und Herrn Köntopp, der
den Haushalt des Gerichts vertritt. Die Zusammenarbeit
war insgesamt sehr konstruktiv. Last, but not least haben
uns auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Haushaltsreferaten sehr gut unterstützt.
({2})
Wir sehen es als einen besonderen Erfolg an, dass der
Einzelplan 07 einen Aufwuchs verzeichnet. Darüber
wird man sich sicherlich wundern, weil wir doch eigentlich sparen. Wir sehen aber den Aufwuchs deshalb gerechtfertigt, weil wir das Personal beim Deutschen Patent- und Markenamt verstärken konnten.
({3})
- Ein wenig verstärken; Sie haben recht. Man brauchte
200 Stellen, die wir auch sehr gerne geschaffen hätten.
Aber wir wollen klug vorgehen. Ein kluger Personalaufwuchs zeichnet sich dadurch aus, dass man das Personal
nur in dem Maße verstärkt, in dem geeignete Kräfte am
Markt verfügbar sind. Es gibt aber derzeit keine
200 Personen am Arbeitsmarkt, die beim Deutschen Patent- und Markenamt zu beschäftigen wären. Deswegen
haben wir insgesamt nur 35 zusätzliche Stellen vorgesehen. Das ist aber sehr gut investiertes Geld. Denn jeder
weiß, dass das Deutsche Patent- und Markenamt die
Haupteinnahmequelle im Justizressort darstellt und insofern die dort Beschäftigten ihr Geld tatsächlich verdienen.
Welche enormen Entwicklungsschritte wir vollbracht
haben, wird schon daraus deutlich, dass bis zum Jahr
1998/1999 die Gebührenmarken im Patent- und Markenamt vor dem Aufbringen mit der Zunge angefeuchtet
werden mussten. Inzwischen ist das mithilfe der Informationstechnologie ersetzt worden. Das ist eine sehr
gute Entwicklung, und es war auch nötig, weil der Bedarf an dieser Stelle sehr groß ist. Das verdanken wir
auch den SPD-Kolleginnen, die diese Ministerien seither
geführt haben.
Es wirft ein kleines Schlaglicht auf die FDP, dass sie
auch diesmal wieder einen Kürzungsantrag im Bereich
der Informationstechnologie des Deutschen Patent- und
Markenamts eingebracht hat.
({4})
- Ja, aber ich halte das für ein kritisches Instrument.
Denn wir wollen nicht zurück in die Zeit, als man die
Gebührenmarke noch mit der Zunge anfeuchten musste.
Ich will kurz erläutern, warum wir so stolz auf das
sind, was wir erreicht haben. Das Deutsche Patent- und
Markenamt könnte nämlich auch zum Nadelöhr werden.
Lothar Binding ({5})
Denn wir haben einen sehr starken Aufwuchs im Forschungsetat. Die Forschungsmittel werden um mehr als
800 Millionen Euro verstärkt. Wenn diese Mittel in dem
von uns gewünschten Sinne wirken, dann wird es in aller
Kürze sehr viel mehr Patentanmeldungen geben. Insofern ist es essenziell, unsere Ämter so auszustatten, dass
sie die notwendige Prüfgeschwindigkeit an den Tag legen und die Abläufe so organisieren können, dass die
Patente möglichst schnell am Weltmarkt verfügbar sind.
Das ergibt sich aus der Kombination von Forschung,
Wirtschaft und Politik und der Arbeit im Deutschen Patent- und Markenamt.
({6})
Wir haben einen zweiten Stellenaufwuchs vorgesehen, den ich etwas ambivalent vortrage; denn eigentlich
hoffen wir, dass wir ihn nicht brauchen. Dabei geht es
um das Bundesamt für Justiz, das nach dem EHUG für
das elektronische Handelsregister zuständig ist. Wenn
alle Unternehmen, die verpflichtet sind, künftig dort ihre
Bilanzen zu veröffentlichen, dieser Pflicht nachkommen,
dann brauchen wir keine Ordnungsgelder und kein Personal, um die Unternehmen zu motivieren, dieser Pflicht
nachzukommen. Gegenwärtig hat es aber den Anschein
- die Frist läuft erst am 31. Dezember aus -, dass ein sehr
großer Teil der etwas über 1 Million Unternehmen dieser
Meldepflicht, der sie unterliegen, zunächst nicht nachkommt.
({7})
- Weil wir nicht glauben, dass im letzten Zwölftel des
Jahres noch überproportional viele Meldungen kommen
werden, wenn in elf Zwölfteln des Jahres große Versäumnisse zu verzeichnen sind.
Wir sind, wie gesagt, sehr vorsichtig vorgegangen.
Schätzungen zufolge sind viele hundert Stellen notwendig, aber es sind nur 98 Planstellen in diesem Bereich
eingestellt worden. Um der Unsicherheit Rechnung zu
tragen, sind 30 dieser Stellen gesperrt. Ich glaube, das ist
eine sehr gute politische Maßnahme, um verfolgen zu
können, wie sich das Amt entwickelt und welche Notwendigkeiten existieren.
Wir freuen uns, dass es gelungen ist - in diesem Zusammenhang möchte ich Karl Diller besonders danken,
der ein schönes Modell entwickelt hat -, der Europäischen Rechtsakademie in Trier zu einer Erweiterung zu
verhelfen. Auch diese Mittel sind zunächst gesperrt, aber
wir haben die Möglichkeit, die Erweiterung durch den
Zukauf eines Anbaus sicherzustellen und damit die ERA
zu stärken. Wir glauben, dass das eine sehr gute Maßnahme ist.
Wir sind auch froh, dass wir sogar in der mittelfristigen Finanzplanung einen kleinen Betrag für das Präventionsprojekt „Dunkelfeld“ verfügbar halten können.
({8})
Darauf wird die Ministerin sicherlich noch besonders
eingehen, weil ihr das sehr am Herzen gelegen hat. Wir
glauben, dass das eine wichtige Sache ist, die deutlich
macht: Die Gesundheitspolitik und die Justiz stehen in
diesem Bereich in einem sehr engen Zusammenhang.
Kriminalisierung und Krankheit sind in diesem Fall sehr
vorsichtig zu betrachten. Deshalb ist dieses Projekt sehr
wichtig.
({9})
Last, but not least: Ein Lieblingsprojekt von Ole
Schröder und mir ist die Vereinfachung der Sprache in
der Gesetzgebung. Dies ist ein Projekt, das wir im kommenden Jahr fortführen. Ich möchte Ihnen hier „androhen“, dass wir uns nächstes Jahr darum kümmern wollen, dieses Projekt zu institutionalisieren, nachdem wir
schon jetzt aufgrund eines Zwischenberichtes erkennen
können, dass die zuständige Abteilung sehr produktiv arbeitet. Sie vereinfacht die Sprache der Gesetze tatsächlich und hilft den Juristen bei ihren Formulierungen
manchmal sogar so, dass sie von den Bürgern verstanden
werden. Das ist eigentlich eine ganz gute Sache.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Für die Linke brachte ich während
der letzten Haushaltsdebatte am 11. September 2007 die
Hoffnung zum Ausdruck, dass sich der Widerstand der
Bundesjustizministerin Zypries gegen die vordemokratischen Sicherheitsvorschläge des Bundesinnenministers
als dauerhaft erweisen möge. Wir verbanden damit die
Erwartung, dass es bei diesem Widerstand nicht nur um
parteipolitisches Kalkül ginge. Einige Vertreter der Koalition riefen mir zu, ich solle besser über die Töpfe und
Töpfchen im Einzelplan 07 reden und die lästigen
Grundsatzfragen zu Recht und Freiheit beiseitelassen.
Herr Stünker von der SPD nannte die Kritik der Opposition vom 11. September 2007 eine rein hypothetische Debatte und sagte wörtlich:
Ich darf den Damen und Herren von den drei Oppositionsparteien eines versichern: … Wir
- zuvor sprach er von den „Sozialdemokraten in diesem
Hause“ brauchen uns von niemandem vorwerfen zu lassen,
dass wir in … neun Jahren bei einer einzigen Sachfrage, die zu entscheiden war, auch nur ein einziges
Mal die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land aufs
Spiel gesetzt hätten, auch nicht in schwierigen Zeiten.
({0})
Herr Stünker muss wohl verdrängt haben, dass es
auch die SPD-Fraktion war, die in der 15. Wahlperiode
mit dem Luftsicherheitsgesetz den Luftraum unsicher
machen wollte,
({1})
bis das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz kassierte. Es war die SPD-Fraktion, die ein Zollfahndungsdienstgesetz mit auf den Weg brachte, das den Kernbereich privater Lebensgestaltung missachtete. Es war
auch die SPD-Fraktion, die dieses Gesetz als befristeten
Verfassungsbruch in die Verlängerung schickte. Es war
Frau Ministerin Zypries, die ihr Haus anwies, dem Deutschen Bundestag ein Gesetz zur Umsetzung des Europäischen Haftbefehls vorzulegen, das mit den Stimmen der
SPD-Fraktion beschlossen wurde und am 18. Juli 2005
vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte.
Erwarten Sie bitte nicht, dass ich meine neun Minuten
Redezeit darauf verwende, diese Liste zu vervollständigen.
({2})
Bei dieser Aufzählung von Verfassungsverstößen bin ich
auch nicht darüber verwundert, wie die Kollegin
Kramme von der SPD-Fraktion kürzlich ihre Jastimme
zur Vorratsdatenspeicherung begründete.
({3})
In ihrer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hieß
es:
Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil
davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird.
Bemerkenswert!
Herr Stünker, nur zu gern würden wir uns darauf verlassen können, dass schon die SPD in der Koalition und
nicht erst das Bundesverfassungsgericht für die Wahrung
rechtsstaatlicher Grundsätze sorgt.
({4})
Es ist nur so, dass zwischen Ihren Beteuerungen und Ihren Taten ein tiefer Abgrund klafft. Zumindest hat Herr
Schäuble wohl ausreichend Vertrauen in Ihre rechtsstaatliche Unzuverlässigkeit. Oder welche Erklärung haben
Sie dafür, dass er weiterhin unverdrossen mit dem entsprechenden finanziellen und personellen Aufwand an
den technischen Grundlagen zur Onlinedurchsuchung
basteln lässt?
({5})
Die SPD-Fraktion hat mit fast allen ihren Stimmen
die Vorratsdatenspeicherung zum Gesetz gemacht - mit
fast allen; vor denen, die ausgeschert sind, habe ich ausdrücklich Respekt. Ab dem 1. Januar 2008 werden die
Kommunikationsprofile von 80 Millionen Menschen auf
Vorrat erfasst, ohne dass es hierfür einen konkreten Anlass gibt - und dies, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Rasterfahndung unmissverständlich erklärt hat: Außerhalb statistischer Zwecke
besteht ein striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat.
Mit diesem Gesetz hat sich die Bundesjustizministerin nicht etwa als Gegenspielerin zu Herrn Schäuble verhalten, sondern sich zu dessen Mitspielerin gemacht.
Das Gesetz zeugt vom gleichen verfassungsrechtlichen
Fehlverständnis, das auch Herrn Schäuble prägt. Hierzu
habe ich schon in meiner letzten Rede Ausführungen gemacht und wiederhole sie hier: Die Grundrechte sind zuallererst Abwehrrechte gegen den Staat. Das heißt, der
Bürger soll sich mithilfe der Grundrechte gegen einen
allmächtigen Staat schützen können. Mit anderen Worten: Die Grundrechte sind institutionalisiertes Misstrauen gegen den Staat. Sie und Herr Schäuble hingegen
wollen ein grundsätzliches Misstrauen des Staates gegen
seine Bürger institutionalisieren, indem Sie genau jene
Allmacht des Staates für Ihre sicherheitspolitischen
Wahnvorstellungen mobilisieren.
Wohin diese Wahnvorstellungen führen, ist schon
heute belegbar. Den gläsernen Terroristen, von dem Herr
Kauder sprach, gibt es nicht. Es gibt nur den Verdächtigen, bei dem die Maßnahmen ansetzen. Wie schnell jedermann zum Verdächtigen werden kann, musste unlängst der Wissenschaftler Andrej H. erfahren - erleiden
musste er es: Auf Betreiben der christdemokratischen
Eiferin Frau Generalbundesanwältin Harms hat man
Herrn H. in monatelanger Arbeit zu einem Terrorverdächtigen aufgebaut. Im Kern hat man diesen Verdacht
auf eine angebliche Sprachübereinstimmung mit einem
Flugblatt der „militanten gruppe“ gestützt. Im Sommer
dieses Jahres hat man Herrn H. dann unter Einsatz eines
Spezialkommandos per Hubschrauber nach Karlsruhe
verbracht, um ihn anschließend in die Untersuchungshaft zu sperren, wo er bis vor kurzem noch war. Für die
Ermittler passte er in ein klares Verdächtigenprofil: unauffällig, gebildet und irgendwie links - fertig war der
Terrorvorwurf.
({6})
Statt Straftaten aufzuklären, werden so Verdächtige geschaffen.
Doch zum Glück: Nicht nur der Haftbefehl für Herrn
H., sondern auch die leichtfertige Handhabung des
§ 129 a Strafgesetzbuch hat nun der Bundesgerichtshof
in zwei Entscheidungen in aller Schärfe gerügt. Der
BGH hat damit Frau Harms deftige Abfuhren erteilt, die
letztlich auch Sie, Frau Zypries, treffen, weil Sie sich für
diese Frau als Generalbundesanwältin entschieden haben.
({7})
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Während der Staat sich mit diesem Verhalten als vermeintlicher Beschützer vor Kriminalität und Terrorismus
aufspielt, entzieht er gleichzeitig den Menschen den
notwendigen sozialen Schutz, den er nach dem Sozialstaatsprinzip schuldet. Derselbe Staat, der vorgibt, den
Menschen mit großem Kosten- und Personalaufwand
maximalen Schutz vor Kriminalität und Terrorismus zu
bieten, erklärt, er könne aus finanziellen Gründen nicht
mehr ausreichend für die soziale Sicherheit sorgen.
Schauen Sie doch einmal auf das Gesamtbild dieser
„gesicherten Verarmung“! In diesen kalten Tagen können die unzähligen Berliner Obdachlosen ruhig schlafen.
Die Regierung scheut keine Mühe, wenn es darum geht,
ihren Schlaf vor Terroristen und Verbrechern zu schützen. Wer dank Hartz IV zum Überleben genug und zum
Leben zu wenig hat, kann heute ohne Sorgen sein;
({8})
denn die parlamentarische Mehrheit hat ihn so arm gemacht, dass er sich weder den Computer noch den Internet- und Telefonanschluss leisten könnte, deren Kommunikationsprofile man ansonsten speichern lassen
würde.
({9})
Während aber der Schutz der Menschen vor sozialen
Härten und Risiken als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips zu den verfassungsrechtlichen Kernpflichten gehört,
ist das behauptete Grundrecht auf Sicherheit nicht mehr
als eine zielgerichtete Erfindung, um die Freiheitsrechte
zu untergraben. Es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit.
Die Koalition gestaltet und vertieft nicht nur das Klima
der sozialen Kälte, sondern sie verantwortet auch den
Aufzug eines Klimas der Repression und der Angst.
({10})
Vielleicht werden wir eines Tages erkennen müssen,
dass zwischen einem ohnmächtigen Sozialstaat und einem übermächtigen Überwachungsstaat durchaus ein
Zusammenhang besteht.
({11})
Vielleicht werden eines Tages die Mittel des Überwachungsstaats auch verwendet werden, um sozialen Unruhen entgegenzutreten. Das wäre das fürchterliche, aber
leider vorstellbare Ergebnis einer Politik, an der auch die
Sozialdemokraten maßgeblich und entscheidend mitgewirkt haben.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Ole Schröder,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vorweg meinen Dank an Sie, Frau Ministerin,
und an Ihr Ministerium für die hervorragende Zusammenarbeit bei den Beratungen über diese Einzelpläne.
Vielen Dank an den Hauptberichterstatter Lothar Binding
und an die Mitberichterstatter für die konstruktiven Beratungen.
Wenn ich von Konstruktivität rede, dann möchte ich
ausdrücklich die Fraktion Die Linke ausschließen. Was
wir gerade gehört haben, hatte wenig mit der Realität zu
tun, die wir hier in Deutschland erleben.
({0})
Ich hatte eher das Gefühl, Sie reden über die ehemalige
DDR,
({1})
wo die SED, Ihre Vorgängerpartei - Sie sind zwar nicht
Mitglied der Nachfolgepartei, aber gehören ihrer Fraktion
an -, verantwortlich für das dort herrschende Unrecht
war. Ich finde es schon unglaublich, dass die Fraktion, deren Vorgängerpartei für dieses Unrecht verantwortlich ist,
so herablassend über diesen Rechtsstaat, in dem wir leben, redet.
({2})
Man kann sich sicherlich über die eine oder andere
Facette unterhalten: Was ist noch verhältnismäßig, was
ist nicht verhältnismäßig? Aber mit einem so pauschalen
Urteil so herablassend über die rechtsstaatlichen Errungenschaften, die wir in unserem Land genießen dürfen,
zu reden, das ist wirklich unwürdig.
({3})
Ich möchte zu der Haushaltsberatung zurückkommen.
Aufgrund der konstruktiven Haushaltsberatung gab es relativ wenig Anträge im Verfahren, insbesondere im Ausschuss. Natürlich gab es die obligatorischen Kürzungsanträge der FDP.
({4})
Besonders interessant fand ich in dem Zusammenhang
ein Zitat des FDP-Berichterstatters Otto Fricke im General-Anzeiger aus Bonn. Dort werden Sie damit zitiert,
„dass in dem in Bonn ansässigen Bundesamt für Justiz
demnächst 98 neue Stellen eingerichtet werden“.
({5})
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Wie das mit dem Antrag zusammenpasst, den die FDP
zur gleichen Zeit eingebracht hat,
({6})
nach dem die Personalmittel um 20 Prozent gekürzt werden sollen, bleibt das Geheimnis der FDP.
({7})
Aber offensichtlich ist auf die Große Koalition Verlass.
({8})
Wir beraten heute traditionell über zwei Einzelpläne,
den Einzelplan 07 für das Bundesministerium der Justiz
und den Einzelplan 19 für das Bundesverfassungsgericht. In beiden Einzelplänen haben wir fast ausschließlich Personalkosten; im Einzelplan 07 sind es circa
75 Prozent der veranschlagten Ausgaben. Wir als Haushälter haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die
Personalkosten durch die jährliche lineare Stelleneinsparung massiv gesenkt werden konnten. Wir haben in allen
Bundesbehörden im Haushaltsjahr 2008 weniger Planstellen als vor der Wiedervereinigung allein in den Bundesbehörden Westdeutschlands. Daran zeigt sich, dass
wir massiv eingespart haben. Das gilt natürlich auch für
den Einzelplan 07 des Bundesministeriums der Justiz.
Die Einsparungen waren richtig. Aber es ist selbstverständlich, dass wir als Haushälter genau darauf achten
müssen, wo diese Einsparungen noch vertretbar sind.
({9})
Ein wichtiges Beispiel dafür ist das Deutsche Patentund Markenamt, das in diesem Einzelplan etatisiert
wird. Seine Einnahmen decken nahezu 95 Prozent des
Etats. Gleichzeitig hat dieses Amt eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Beim DPMA haben wir deshalb im parlamentarischen Verfahren 15 neue Stellen im
Bereich der Marke und 20 neue Stellen im Patentbereich
geschaffen.
({10})
Für den Technologiestandort Deutschland ist das besonders wichtig.
Das Prinzip des Patents ist, dass der Erfinder der Öffentlichkeit sein geistiges Eigentum zur Verfügung stellt
und gleichzeitig die Möglichkeit hat, es zu schützen, damit zu kommerzialisieren und zu verwerten. Was passiert, wenn von der Patentanmeldung bis zum Patentschutz zu viel Zeit verstreicht? Dann ist das Patent nicht
mehr so viel wert. Dann fehlen die Anreize, etwas zu erfinden. Deshalb ist es wichtig, dass wir im parlamentarischen Verfahren an dieser Stelle noch einmal nachgebessert haben.
({11})
Jährlich haben wir rund 60 000 Patentanmeldungen.
Umgerechnet heißt das: alle neun Minuten eine Patentanmeldung. Das Deutsche Patent- und Markenamt ist
damit das erfolgreichste in ganz Europa.
Die neuen Vorschriften zum elektronischen Handelsregister - EHUG - waren ein weiterer Schwerpunkt
unserer Beratungen. Wir setzen EU-Recht um. Wir kommen da nicht drum herum. Ansonsten drohen uns empfindliche Strafen durch die EU. Wir haben uns natürlich
schwer damit getan, 98 neue Stellen zu schaffen. Ich
finde es ausgesprochen positiv, dass sich die Regierung,
die Justizministerin zusammen mit dem Wirtschaftsminister, eine Öffentlichkeitskampagne vorgenommen hat.
Sämtliche Unternehmerinnen und Unternehmer sollen
über die neuen Verpflichtungen aufgeklärt werden. Um
die Verpflichtung, diese neuen Vorschriften umzusetzen,
kommen wir aber nicht herum. Deshalb müssen wir Stellen in den Haushalt einstellen. Wir haben dafür gesorgt,
dass ein Drittel der Stellen qualifiziert gesperrt wird. Im
Januar werden wir schauen, inwieweit die Öffentlichkeitskampagne Wirkung gezeigt hat.
Ich möchte auf etwas hinweisen, das im Zusammenhang mit dem Thema Personal wichtig ist. Wir haben dafür gesorgt, dass für jede ab 2007 neu geschaffene Stelle
Altersrückstellungen gebildet werden. Ich denke, das
ist ein großer Erfolg der Haushaltspolitiker. Das ist nachhaltige Haushaltspolitik.
({12})
Nur so kann gewährleistet werden, dass die Stellen nicht
irgendwann mehr kosten, als sie zurzeit nützen.
Es freut mich, dass wir für die Europäische Rechtsakademie etwas tun konnten. Ich finde, das ist eine
wichtige Institution, die im parlamentarischen Verfahren
bisher nie große Bedeutung erfahren hat. Aufgrund des
immer stärker werdenden europäischen Einflusses auf
unsere Gesetzgebung und unsere Rechtsanwendung wird
sie in Zukunft noch wichtiger werden. Deshalb ist es
richtig, dass wir diesen Standort in Deutschland stärken.
Ich denke, wir haben einen guten Kompromiss gefunden: 50 Prozent stellt der Bund zur Verfügung. Jetzt steht
das Land Rheinland-Pfalz in der Pflicht und muss dafür
sorgen, dass das ehemalige Gebäude der Bundesbank erworben und umgebaut werden kann.
Im letzten Jahr haben wir das Modellprojekt für eine
verständliche Sprache in Gesetzen und Verordnungen
angeschoben. Es freut mich, dass das Bundesjustizministerium dieses Projekt so gut aufgenommen hat. Zwei Gesetze, das Gesetz über den Versorgungsausgleich und die
Neufassung des Wohngeldgesetzes, wurden bereits auf
ihre Verständlichkeit überprüft. Es wurde gezeigt, dass
eine verständlichere Sprache möglich ist. Wir wollen
dieses Projekt im nächsten Jahr zum Abschluss bringen.
Wir Parlamentarier sollten den Evaluierungsbericht im
nächsten Jahr genau studieren und die Schlussfolgerungen ziehen, die notwendig sind, damit Gesetze im parlamentarischen Verfahren verständlicher formuliert werden.
Das ist keine Utopie. Wir können eine Menge erreichen. Das sehen wir, wenn wir in die Schweiz schauen.
Es geht nicht darum, Gesetze allgemeinverständlich zu
machen. Das ist sicherlich eine Wunschvorstellung, die
nicht realisierbar ist.
({13})
Wir haben es hier natürlich mit Fachsprache zu tun. Wir
haben es mit spezifischen Regelungsbereichen zu tun,
wo Fachsprache benötigt wird. Es geht aber darum, die
Rechtsanwendung für die Experten einfacher zu machen. Verständlichere Sprache ist ein wesentlicher Aspekt beim Bürokratieabbau. Ich möchte Sie alle bitten,
an einer besseren Rechtsetzung mitzuarbeiten. Ich
denke, da tun wir unserem Rechtsstaat etwas Gutes.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ich muss meiner Rede einige Worte des Dankes voranstellen, speziell danke ich den Kollegen Mitberichterstattern für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, aber
auch Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Haus für den
großen Einsatz, den Sie gezeigt haben, wenn es darum
ging, offene Fragen zu klären, die es naturgemäß in den
Gesprächen gab.
({0})
Wir beraten heute zwei Einzelpläne, die sich im Vergleich zu anderen quantitativ bescheiden ausnehmen.
Lassen Sie mich wenige Sätze zum Einzelplan 19 des
Bundesverfassungsgerichts sagen. Für das nächste Jahr
sind 22 Millionen Euro veranschlagt. Natürlich wird dieses Geld der Bedeutung dieses Gerichts für unsere Demokratie in keiner Weise gerecht. Ich glaube, wir alle in
diesem Haus können stolz darauf sein, dass wir ein unabhängiges und selbstbewusstes Bundesverfassungsgericht in diesem Land haben,
({1})
ganz besonders in diesen Zeiten, in denen es sonst noch
unerträglicher wäre, zuzuschauen, was die Große Koalition in den Bereichen Freiheit und Bürgerrechte eigentlich tut.
Zurück zum Haushalt. Es gibt ein Sonderlob von den
Grünen; denn das Bundesverfassungsgericht plant eine
energetische Bausanierung. Die einfachen Fenstergläser
des Altbaus sollen ersetzt werden. Das ist ein guter Beitrag, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. An dieser Stelle kann ich nur sagen: Meine Fraktion wird schon
allein deswegen dem Einzelplan 19 mit großer Freude
zustimmen.
({2})
Wir wollen zum Einzelplan 07 auf der einen Seite unser Wohlwollen, aber auf der anderen Seite auch unsere
Kritik zum Ausdruck bringen. Wir haben uns den Entwurf im August angeschaut und waren ein wenig überrascht bezüglich des Stellenaufwuchses beim BfJ, dem
Bundesamt für Justiz. Denn bei der Einrichtung des Amtes wurde uns gesagt, dies würde stellenneutral geschehen. Mein Kollege Jerzy Montag sagte in der Einbringungsdebatte, dass wir dieser Frage nachgehen werden.
Dies haben wir getan. Der Grund für den Aufwuchs
wurde gerade genannt. Es gibt neue Aufgaben für dieses
Amt, nämlich die Kontrolle des Vollzugs des Gesetzes
über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, genannt
EHUG. Wir mussten einsehen, dass diese Aufgabe ohne
einen Stellenzuwachs nicht zu schaffen ist. Dementsprechend haben wir im Haushaltsausschuss einem Stellenzuwachs zugestimmt. Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass es eine frühzeitigere Information und von
Anfang an mehr Transparenz gegeben hätte. Wir unterstützen deshalb die qualifizierte Sperre, die es dort für
etwa ein Drittel des neuen Personals gibt.
Von den Kollegen der Linkspartei und einigen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion wurde die Frage
angesprochen, warum diese Stellen nicht in Ostdeutschland eingerichtet werden. Eine Standortdebatte wurde
geführt. Ich finde, grundsätzlich kann eine Standortdebatte Sinn machen. An der Stelle ist sie jedoch falsch.
Denn wenn es ein neues Amt gibt, ist es nicht sinnvoll,
wenn man eine Abteilung ausgliedert und an einem anderen Standort platziert.
({3})
Wir erleben, dass sich solche Konstellationen grundsätzlich nicht bewähren.
({4})
Aber es stellt sich dennoch die Frage, ob wir uns nicht
über das Bundesministerium der Justiz und dessen Außenstelle in Bonn unterhalten müssen.
({5})
Wäre es nicht sinnvoll, das Personal, das es dort gibt,
endlich nach Berlin zu holen und in das Mutterhaus zu
integrieren?
({6})
Frau Ministerin, Sie haben uns Hoffnung - wenn auch
sehr unkonkret - gemacht; wir werden Sie da beim Wort
nehmen.
Ein Projekt, das auch schon genannt wurde - es ist
nicht häufig genug zu erwähnen - ist das Projekt „Dunkelfeld“. Dort geht es darum, dass ambulant und auch
im Forschungsbereich mit Menschen, die pädophile Neigungen haben, gearbeitet wird. Es geht um ganz wenig
Geld, wenn man es mit den Ausmaßen anderer Posten
im Haushalt vergleicht. Es geht um jeweils 250 000 Euro
für drei Jahre. Nichtsdestotrotz ist das ein gutes und
wichtiges Projekt. Es ist richtig, dass sich der Bund gemeinsam mit der VW-Stiftung daran beteiligt. An dieser
Stelle drücke ich unser aller Wunsch aus - das glaube
ich, sagen zu dürfen -, dass dieses Projekt weitergeht,
ausgebaut wird und vor allem viel Erfolg hat.
({7})
Zum Patent- und Markenamt muss ich sagen, dass
dieses Amt und der Stau, den des dort bei der Anmeldung von Patenten gegeben hat, in meiner Fraktion
schon länger für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Wir haben uns seit 2002 mit dem rot-grünen Programm des
Stauabbaus beschäftigt und waren immer wieder dafür,
dass dort mehr Stellen eingerichtet werden. Selbstverständlich waren wir auch aufgeschlossen, als es darum
ging, die 35 neuen Stellen zu schaffen. Denn wir wissen,
dass es bei Patenten angesichts des internationalen Wettbewerbs auch um Geschwindigkeit geht. Deshalb brauchen wir kürzere Verfahren und mehr Personal. Patentstau führt nämlich immer auch zu Innovationsstau. Es ist
gut, dass das gesamte Haus dieses Amt nicht alleinlässt.
So viel zur nüchternen Betrachtung der Zahlen des
Haushalts des Bundesministeriums der Justiz.
Allerdings stellt sich die Frage: Wie sieht die Situation im Allgemeinen aus? Hätte man mir vor zwei Jahren
beschrieben, wie die heutige Situation aussieht, dann
hätte ich davon wahrscheinlich Albträume bekommen:
Vor drei Wochen wurde die Vorratsdatenspeicherung
beschlossen. In dieser Frage kann man von der CDU/
CSU-Fraktion nicht viel erwarten. Denn traditionell
spielt die Freiheit für Sie eine größere Rolle als die Sicherheit.
({8})
- Ja. Für Sie spielt natürlich die Sicherheit eine deutlich
größere Rolle als die Freiheit.
({9})
Mein Versprecher war mein Wunsch, leider aber nicht
die Realität.
({10})
Es stellt sich die Frage, wo eigentlich die SPD abgetaucht ist. Ich weiß es nicht. Wer sich anschaut, was die
SPD in diesem Bereich tut, stellt fest: Das wichtigste
Projekt der SPD ist zurzeit, darüber zu diskutieren, ob
man einen erneuten Anlauf für ein NPD-Verbot unternehmen sollte. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass ein NPD-Verbot notwendig ist. Ich frage
mich aber,
({11})
ob jetzt nicht die absolute Unzeit ist, um über dieses
Thema zu diskutieren,
({12})
und ob Sie keine Lehren aus dem Scheitern des ersten
Verbotsantrags von vor vier Jahren gezogen haben.
Die Voraussetzungen, die für ein Verbot der NPD erfüllt sein müssen, sind noch nicht erfüllt; das wissen wir
alle. Ein erneutes Scheitern würde bedeuten, dass die
NPD weiterhin als Märtyrerin durch die Republik ziehen
und behaupten kann, sie sei eine demokratische Partei.
Deshalb ist meine inständige Bitte, Frau Ministerin:
Stoppen Sie endlich Kurt Beck! Denn Kurt Beck zieht
durch die Gegend, spielt mit dem Feuer und fabuliert jeden Tag, dass die NPD verboten werden muss. Ein NPDVerbot ist und bleibt notwendig. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bitte schauen Sie sich
auch die Situation in den Ländern an, informieren Sie
sich bei den Ämtern für Verfassungsschutz, und machen
Sie Ihre Hausaufgaben. Dann können wir uns gerne über
dieses Thema unterhalten. Vorher macht das aber überhaupt keinen Sinn.
Was das Thema Rechtsextremismus angeht, muss
ich Ihr Haus kritisieren.
({13})
Frau Ministerin, Sie persönlich haben während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen Vorstoß gemacht.
({14})
Sie haben sich dafür eingesetzt, dass nazistische Symbole europaweit verboten werden. Es ist nicht einfach,
27 Meinungen unter einen Hut zu bekommen. An dieser
Stelle muss ich feststellen, dass Sie gescheitert sind. Es
war allerdings von Anfang an klar, dass es in dieser
Frage keine Einstimmigkeit geben wird. Schließlich
kennen wir die verschiedenen Kulturen und Traditionen,
beispielsweise die in Dänemark. Die dänischen Vertreter
haben von vornherein gesagt, dass sie diesem Begehren
nicht entsprechen werden.
In der gegenwärtigen Situation wird jede noch so
kleine Niederlage von Demokraten im Kampf gegen den
Rechtsextremismus von der anderen Seite für einen propagandistischen Erfolg benutzt. Deshalb meine Bitte:
Prüfen Sie zuerst die Machbarkeit Ihrer Vorschläge, und
legen Sie sie erst dann vor. In diesem Fall war die Machbarkeit ganz eindeutig nicht gegeben.
In den Zeiten, in denen sich der Bundesinnenminister
und die Landesinnenminister immer weiter von einer
Balance zwischen Freiheit und Sicherheit verabschieden
und in der Wolfgang Schäuble jeden Tag die Illusion absoluter Sicherheit auf Kosten der Freiheit zu verkaufen
versucht, müsste die Justizministerin eigentlich die Hüterin der Bürgerrechte sein. Frau Zypries, das sind Sie
aber leider nicht. Sie sind nicht das Korrektiv, das wir
uns erhofft haben. Daher bleibt meiner Fraktion leider
nichts anderes übrig, als diesem Haushalt nicht zuzustimmen.
({15})
Ich gebe das Wort der Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es war und ist eine gute Sitte, dass
man zunächst einmal Dank sagt. Das möchte ich auch
gerne machen. Sie haben sich beim Bundesjustizministerium bedankt, und diesen Dank gebe ich gern weiter; die
Mitarbeiter sitzen hinter der Regierungsbank und hören
gespannt zu, wie man gerade sehen kann. Ich möchte
den Berichterstattern danken. Wie Herr Binding schon
gesagt hat, waren es dieses Mal in der Tat langwierige
Verhandlungen. Aber es waren gute und, wie ich finde,
vor allen Dingen erfolgreiche Haushaltsberatungen.
Deswegen geht mein ganz herzlicher Dank an alle Berichterstatter und alle diejenigen, die sich für uns eingesetzt haben.
Ich würde mir wünschen, dass jede meiner Reden vor
dem Deutschen Bundestag so einen Erfolg hat wie die
zum Haushalt. Bei der ersten Lesung zum Haushalt habe
ich eine Philippika gegen das unsinnige Verfahren beim
Deutschen Patent- und Markenamt gehalten, nämlich
dagegen, dass man keine Stellen bereithält, obwohl man
durch Einsatz dieser Stellen sehr viel mehr Einnahmen
erzielen kann.
({0})
- Wunderbar, Herr Fricke, Sie hören zu. Sie haben das
umgesetzt, und wir haben 35 echte, zusätzliche Stellen
für das DPMA bekommen.
({1})
Dazu noch einmal mein Dank an Sie alle, aber auch an
den Kollegen Diller vom Bundesministerium der Finanzen, der diese Forderung damals auch gehört und bei der
Umsetzung geholfen hat.
Was das EHUG anbelangt, gilt Ihnen ebenfalls mein
Dank. Sie können sicher sein, dass wir uns alle Mühe geben werden, die 30 Stellen, die Sie gesperrt haben, nicht
zu brauchen. Denn uns wäre es natürlich auch am liebsten, wir würden sie nicht brauchen.
({2})
Wer hat denn ein größeres Interesse daran als wir,
dass die Unternehmen in Deutschland ihren Verpflichtungen nachkommen und nicht durch Bußgeldbescheide
vom Staat daran erinnert werden müssen?
({3})
- Ordnungsgeld und Zwangsgeld, okay.
({4})
- Ja, das habt ihr uns abgequasselt, in Ordnung. Wir
möchten eben nicht, dass sie durch Zwangsgeld dazu angehalten werden müssen. Vielmehr möchten wir erreichen, dass die Unternehmen sich rechtstreu verhalten.
Deshalb werben wir im Moment dafür. Diesbezüglich
gilt mein Dank dem Bundeswirtschaftsminister, der sich
nach einer einfachen Anfrage sofort dazu bereit erklärte,
uns da zu unterstützen.
Denn der Haushalt des BMJ hat noch ein anderes
strukturelles Defizit, das ich gern jetzt und hier ansprechen möchte, damit alle Berichterstatter die Möglichkeit
haben, bis zur nächsten Haushaltberatung darüber nachzudenken. Der Haushalt des BMJ hat das strukturelle
Defizit, dass viel zu wenig Geld für Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen ist.
({5})
Wir müssen fast unser ganzes Geld für Öffentlichkeitsarbeit dafür aufwenden, die Broschüren über die Patientenverfügung zu drucken. 700 000 Broschüren über die
Patientenverfügung haben wir in den letzten zweieinhalb
Jahren in der Republik herumgeschickt.
({6})
- Ja, sie ist gut gemacht. Aber damit ist das Geld verbraucht. Wir können all die anderen wunderbaren Projekte, die wir vorschlagen und der Deutsche Bundestag
verabschiedet, nicht bewerben. Das ist schade.
({7})
Deswegen habe ich die herzliche Bitte, dass alle diejenigen, die sich dem Haushalt des BMJ verpflichtet fühlen,
noch einmal überlegen, ob da nicht Abhilfe nötig ist.
Wir haben, wie immer, Veranstaltungen organisiert,
wir haben die Verbände eingeladen, ich habe Editorials
für die Fachzeitschriften geschrieben, und ich habe einen
Artikel geschrieben, den wir den IHK-Zeitungen angeboten haben. Darin haben wir erläutert, wie das Verfahren der Offenlegung funktioniert. Aber das Anzeigenschalten, wie Sie es gerade dieser Tag in den Zeitungen
sehen können, und die Einrichtung eines Callcenters für
14 Tage, bei dem sich Unternehmen informieren können, sind vernünftige Maßnahmen,
({8})
die das Ganze begleiten und jetzt dankenswerterweise
vom Wirtschaftsminister bezahlt werden.
({9})
Wie gesagt, wir könnten es nicht. Das finde ich schade.
({10})
Das Wesentliche zu dem Standort des Bundesamtes
für Justiz und weshalb man diese Stellen nicht im Osten
ansiedeln kann, haben Sie, Herr Nouripour, gesagt. Was
das Bundesministerium der Justiz in Bonn anbelangt,
wissen Sie, dass es, glaube ich, kein anderes Ministe13734
rium dieser Regierung gibt, das eine solche Bereitschaft
hat, über eine Begradigung nachzudenken.
({11})
Das ist gerade der Grund gewesen, weshalb wir das Bundesamt für Justiz gegründet haben.
({12})
Ich verspreche Ihnen, dass es weiter dabei bleibt. Als
Bundesministerium der Justiz bewegen wir uns aber
auch gerne im Rahmen der geltenden Gesetze, und deshalb haben wir noch eine kleine Außenstelle.
Lassen Sie mich zu einem anderen Thema kommen,
das hier erst kurz angesprochen wurde. Das ist das Projekt der Charité, für das Sie dankenswerterweise
750 000 Euro bereitgestellt haben. Es ist in der Tat so,
dass ich mich für dieses Projekt starkgemacht habe, und
zwar aus einem Grund, den, wenn ich das richtig sehe,
alle Fraktionen dieses Hauses nachvollzogen haben: weil
es besser ist, Taten zu verhindern, statt Opfern zu helfen.
Bei diesem Projekt der Charité wird mit potenziellen Tätern psychologisch, psychotherapeutisch gearbeitet, um
zu verhindern, dass sie Taten begehen. Das ist, zumal in
einem Bereich wie der Pädophilie, dem Missbrauch von
Kindern, der richtige Ansatz.
({13})
Insofern gilt unser Dank Herrn Professor Beier, der
sich dieses Projekt ausgedacht hat und es bewirbt. Der
Dank gilt mit aller Hochachtung auch den Männern, die
sich dort melden und bereit sind, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen. Denn es ist keine einfache Entscheidung, zu solchen Neigungen zu stehen und zu sagen: Ich will etwas dagegen tun und mich behandeln
lassen. Die Tatsache, dass es ein überregionales Interesse
an diesem Projekt gibt, zeigt, dass wirklich Bedarf besteht.
Ich habe die Kolleginnen und Kollegen aus den Bundesländern angeschrieben und dafür geworben, bei diesem Projekt mitzumachen. Dazu sahen sich die Länder
finanziell nicht in der Lage. Aber der Erfolg war, dass
die Länder ihrerseits überlegt haben, an Universitätskliniken Vergleichbares zu initiieren. Wenn das die Folge
wäre, dann, kann ich nur sagen, sollten wir alle sehr froh
sein!
({14})
Jetzt wollte ich Ihnen eigentlich gerne darstellen, was
wir noch alles für den Opferschutz getan haben. Ich gehe
aber lieber auf ein paar konkrete Punkte ein, die meine
Vorrednerinnen und Vorredner angesprochen haben.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben gesagt,
dass wir über die Onlinedurchsuchung dann doch wieder im nächsten Jahr reden. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe mich sehr gefreut, als der Bundesinnenminister heute endlich einmal gesagt hat, dass er bis zur
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten
wird.
({15})
Ich muss sagen, das ist ein erheblicher Fortschritt.
({16})
Ich glaube, die Tatsache, dass wir es hier mit einem verfassungsrechtlichen Bereich zu tun haben, der in der Literatur nicht annähernd aufgearbeitet ist, geschweige
denn durch die Rechtsprechung aufgearbeitet ist, zeigt,
dass es Fälle gibt, in denen es gut ist, auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu warten. Auch
der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der ja eher
zur Kritik an der Politik neigt, hat in diesem Fall ausdrücklich gesagt, dass die Politik gut beraten wäre, die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten.
({17})
Insofern freue ich mich, dass der Bundesinnenminister
das jetzt zugesagt hat.
Herr Nouripour, es ist schade, dass die Grünen unserem Haushalt nicht zustimmen werden. Denn sinnvoll
wäre es natürlich, sie würden zustimmen, ja, sie müssten
sich sogar dafür aussprechen, dass uns noch mehr Geld
bereitgestellt wird, damit wir noch mehr Mitarbeiter einstellen können, um die Gesetze gut zu machen. Denn mit
der Reform der Telekommunikationsüberwachung
zeigen wir ja, dass wir sehr wohl sehr gute rechtsstaatliche Gesetze machen können, auch im Sicherheitsbereich.
({18})
Wir haben mit diesem Gesetz unter Beweis gestellt, dass
es möglich ist, obwohl es sich bei den Maßnahmen um
staatliche Eingriffe handelt, den Schutz der Bürgerrechte
zu verbessern
({19})
und die Befugnisse der Bürger zu erweitern, sich dagegen zu wehren.
({20})
- Liebe Frau Stokar von Neuforn, Sie haben immer noch
nicht begriffen, dass es sich bei dem Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung und bei dem Gesetz zur
Vorratsdatenspeicherung um zwei verschiedene Gesetze
handelt.
({21})
Mit dem Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung
werden wir mit Sicherheit nicht vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Denn, wie gesagt, die Befugnisse
der Menschen, sich gegen staatliche Maßnahmen zu
wehren, sind durch dieses Gesetz erweitert worden, sie
sind verbessert worden.
({22})
Wenn die heute geltenden, weniger umfänglichen Maßnahmen verfassungskonform sind, wie sollen dann bessere Maßnahmen verfassungswidrig sein? Das ist doch
abwegig.
({23})
Jetzt ist meine Redezeit leider schon um. Lassen Sie
mich noch einen Hinweis geben, Herr Nouripour: Wir
werden beim NPD-Verbotsverfahren Sorgfalt walten
lassen. Wir werden als SPD unsere Hausaufgaben machen; nichts anderes ist das, was unser Parteivorsitzende
ankündigt.
({24})
Er sagt: Wir werden schauen, ob die Voraussetzungen
reichen. Erst wenn wir das alles geprüft haben, werden
wir eine Entscheidung fällen. - Insofern müssen Sie sich
hier gar nicht echauffieren.
({25})
- Lassen Sie mich jetzt doch einmal ausreden, ich kann
doch gleich nicht mehr weiterreden.
({26})
Sie sollten also einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir
das prüfen und dass wir gegebenenfalls genauso erfolgreich sein werden wie übrigens auch beim Rahmenbeschluss gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
({27})
Entgegen Ihrer Annahme haben wir diesen Rahmenbeschluss auf europäischer Ebene nämlich durchgesetzt.
Es war einer der großen Erfolge unserer Präsidentschaft,
dass wir das geschafft haben.
({28})
Es ist keineswegs so, wie Sie das gesagt haben, dass wir
dort keinen Erfolg gehabt hätten.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({29})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition kann auch einmal anders anfangen. Fangen wir also einmal mit einem Lob an: Ich
glaube, hinsichtlich einer vernünftigen Verwendung
von Geld ist der Einzelplan 19 mit das Beste, was man
im Bundeshaushalt finden kann. Bei den politischen
Haushalten ist der Einzelplan 07 ziemlich nahe daran,
der Vernünftigste und Beste zu sein. Man könnte sagen:
Er ist der Beste im Schlechten. Das will ich aber jedem
Betrachter einzeln anheimstellen.
Man muss aber sehen, dass es sich bei dem
Einzelplan 07 faktisch um den Einzelplan des letzten übrig gebliebenen Verfassungsministeriums in dieser Regierung handelt. Frau Ministerin, man muss sagen: Dafür ist das Durchdringen dessen, was Sie möglicherweise
Gutes wollen, viel zu schwach. Dafür sind die Freunde
der Sicherheit - so will ich die Kollegen der CDU/CSU
einmal nennen - in dieser Koalition einfach zu stark.
({0})
- Ich weiß. Gerade der Kollege Gehb macht das auch
noch einmal deutlich.
Man muss einfach sehen, dass Sie sich an einer Stelle
bisher wirklich nicht durchsetzen konnten. Das
Schlimme daran ist, dass alle Dinge, zu denen wir in
letzter Zeit vom Verfassungsgericht Hinweise und Mahnungen hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit erhalten
haben, durch Ihr Ministerium gelaufen sind und zumindest den Stempel bekommen haben, dass sie mit der Verfassung vereinbar sind.
({1})
Ich fürchte, dass das so weitergehen wird.
({2})
- Herr Stünker, Sie haben gleich noch Redezeit und erklären dann, warum das nicht stimmt.
Ich will beim Thema Vorratsdatenspeicherung
- vorsichtig differenzierend - auf eine Sache hinweisen.
Was wir dort jetzt erleben und was dabei auf uns zukommt, das wird für uns gegen Ende des Jahres wieder
zu einer sehr peinlichen Veranstaltung führen. Es geht
nicht nur um die Frage, ob dieses Gesetz hält, sondern
auch um die Frage, was der Bundespräsident mit diesem
Gesetz macht. Unterzeichnet er das nach all dem, was
wir jetzt dazu gehört haben, einfach so?
({3})
Muss er wieder die Frage klären, wo die Grenzen seiner
Kompetenzen sind?
Ich finde, dass das - jedenfalls für einen Rechtsstaat sehr bedrohlich und die falsche Richtung ist. Ich muss
ganz ehrlich sagen: Wenn die Große Koalition so weitermacht, dann wird in der nächsten Legislaturperiode so
viel Arbeit auf wen auch immer zukommen, dass mir in
Bezug auf unseren Rechtsstaat erheblich grault.
({4})
Wenn wir über den Rechtsstaat reden, dann ist es oft
so, dass der Bürger sagt: Sicherheit ist doch wichtig. Dahinter steckt die Sehnsucht des Menschen nach Frieden und auch danach, dass alles, was dafür getan werden
kann, auch getan wird. Wohin das führt, will ich Ihnen
einmal an einem praktischen Beispiel zeigen, weil der
Bürger immer das Gefühl hat, dass es dabei doch nur um
Straftäter geht.
Ein einfacher Fall: Einer von uns Kollegen fährt nach
einer Veranstaltung mit seinem Auto los. Es rumpelt ein
bisschen. Er merkt das, und er fährt weiter. Das war Unfallflucht, weil er nämlich einen anderen Wagen angeditscht hat.
({5})
- Ja, ist ja gut, Herr Stünker. Sie können das alles präzisieren. Das können Sie viel besser als ich, und das
glaube ich Ihnen auch.
({6})
- Hören Sie mir doch einfach einmal zu! Sie sollten
nämlich darüber nachdenken, ob Sie das wollen.
Es gibt ein Strafverfahren und einen Strafbefehl. Die
Anzahl der Tagessätze ist gemessen daran, wie schwer
die Tat war, völlig in Ordnung. Es war eine kleine Tat
und ist nicht so viel. Bei einem Lehrer geht man bei der
Bemessung der Tagessatzhöhe dann davon aus, dass er
9 000 Euro pro Monat verdient.
({7})
Der Lehrer schüttelt sich und fragt, wie sie denn darauf
kommen. Er legt Einspruch dagegen ein.
Jetzt kommt das Interessante: Staatsanwaltschaft und
Gericht sagen: Na ja, du beziehst ja nicht nur ein Einkommen als Lehrer, du hast auch noch Einkommen aus
Kapital. - Der Lehrer sagt: Nein, das habe ich nicht. Daraufhin sagt die Staatsanwaltschaft: Wir haben bei der
BaFin nachgefragt. Du hast fünf Konten. Wir wissen
zwar nicht, was da drauf ist, aber du hast da bestimmt
sehr viel Geld.
({8})
- „Ja“, sagen Sie. Genau das ist das Misstrauen gegen
den Bürger, und genau das ist das Eingreifen.
Was muss der liebe Bürger jetzt machen, um von seiner viel zu hohen Strafe herunterzukommen? - Er muss
blankziehen. Er muss den Inhalt aller fünf Konten darlegen und sagen, welche Bewegungen vorliegen, was also
rein- und rausgegangen ist. Warum das alles? - Er muss
das tun, weil er bei einem Unfall nicht aufgepasst hat
und dadurch in die entsprechenden Mühlen geraten ist.
({9})
Daran sehen Sie, wohin Sie im Verhältnis von Sicherheit und Freiheit mit Ihrer Art inzwischen gekommen
sind.
({10})
- Nein, ich werde keine Zwischenfrage zulassen, Herr
Kollege.
({11})
- Er wird das doch nachher in einer Kurzintervention
ausführen. - Auf besonderen Wunsch würde ich die
Zwischenfrage aber zulassen, weil er so drängt, Frau
Präsidentin.
Bitte schön.
Herr Kollege Fricke, woher nehmen Sie eigentlich die
Gewissheit, dass die Staatsanwaltschaft anlassbezogen
die Möglichkeit hat, solche Anfragen beim BaFin zu
stellen? Sagen Sie uns das doch einmal. Wo soll das
denn geregelt sein? Wer soll dies denn gesetzlich verankert haben?
Das haben Sie verankert, Herr Kollege. Sie haben den
Staatsanwaltschaften nämlich die Möglichkeit gegeben,
über die BaFin auf die Kontenstammdaten zuzugreifen.
Ich finde es auch bemerkenswert, dass Sie noch gar nicht
wissen, welche Gesetze Sie in letzter Zeit beschlossen
haben.
({0})
Falls Sie mir nicht glauben: Das ist alles im Rahmen
eines Verfahrens, das an mich herangetragen worden ist,
passiert.
({1})
- Wir klären das nachher. - Sollte ich mich geirrt haben,
lade ich Sie ein. Sollten Sie sich geirrt haben, Herr Kollege, dann versprechen Sie mir und uns, dass Sie diese
falsche gesetzliche Regelung, die so hart und unverhältnismäßig in Bürgerrechte eingreift, ändern. Dann wären
wir sofort auf dem richtigen Weg. Ich würde das für Sie
sogar öffentlich machen, und Sie machen einen öffentlichen Rückzug aus dieser völlig verkorksten Regelung.
Wunderbar; dann sind wir uns sofort einig
({2})
- Ich würde diese Frage des Kollegen Wieland zulassen,
Frau Präsidentin.
Bitte schön, Herr Kollege Wieland.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Fricke, das, was Sie sagen, alarmiert mich geradezu. Ich
weiß, dass die Staatsanwaltschaft Abfragen vornehmen
kann, wenn sie beispielsweise wegen Wirtschaftsstraftaten ermittelt.
Nicht nur wegen Wirtschaftsstraftaten.
Ja. - Nun sagen Sie, dass auch Abfragen erfolgen, um
die Höhe der Tagessätze festzulegen.
Nein.
Kennen Sie denn einen solchen Fall? Welches Amtsgericht war es? Wer hat das nach Ihrer Kenntnis je gemacht?
Ja, ich kenne einen Fall.
({0})
Wo? Welches Amtsgericht?
Das werde ich Ihnen nachher sagen.
({0})
- Das Lachen der SPD finde ich an dieser Stelle sehr bemerkenswert.
({1})
- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, jetzt werde
ich langsam ärgerlich. Das ist etwas, was ich nicht so toll
finde. Sie wissen ganz genau, dass man sich beim Umgang mit Verfahrensdaten, die an einen Abgeordneten
herangetragen werden, sehr zurückhält. Dann lacht man
auch nicht darüber, wenn jemand sich zurückhält.
({2})
Ich werde das dem Kollegen Wieland sagen. Der Kollege Wieland wird es erfahren.
Ich finde es bemerkenswert, wie sehr Sie sich an dieser Stelle aufregen. Das liegt schlichtweg daran, dass Sie
Angst haben, dass Ihnen bei all den von Ihnen erlassenen
Sicherheitsvorschriften so etwas durchgerutscht ist.
({3})
Ich bin mir auch sicher, dass die Justizministerin dieser
Sache nachgehen und überprüfen wird, ob das so ist.
Nur als Information zum Schluss der Beantwortung,
Herr Kollege Wieland: Die Staatsanwaltschaft fragt ja
nicht, was er auf den Konten hat. Sie fragt nur, wie viele
Konten er hat; Punkt, Ende, aus - nur, wie viele; nicht,
was darauf ist.
Den Rest klären wir dann bilateral. Ich bin auch gerne
bereit, den SPD-Kollegen das mitzuteilen; keine Angst.
Ich mache das aber nicht hier coram publico.
Genau das ist es. Wir haben in diesem Staat inzwischen so viele Maßnahmen durchgeführt, dass selbst
eine schon seit Jahren regierende Fraktion gar nicht
mehr weiß, welche Möglichkeiten sie inzwischen alle
anheimstellt, nur um möglichst viel Sicherheit zu erzeugen.
Frieden und Sicherheit kann man nicht um jeden Preis
haben. Das geht gar nicht. Frieden muss immer im Einklang mit unserer Rechtsordnung stehen. Ich bitte Sie:
Halten Sie diesen Einklang, oder stellen Sie ihn wieder
her.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind Bilanzdebatten. An diesen Tagen
spricht man auch viel Dank aus. Dafür ist meine Redezeit zu kurz. Ich will jetzt auch nicht stakkatohaft alles
im Kleinkarierten abhandeln.
Allerdings wundert mich schon, dass in einer rechtspolitischen Debatte eine derart verkürzte Fokussierung
stattfindet, als ginge es hier nur um Onlinedurchsuchungen, verdeckte Ermittlungen oder Datenspeicherung.
Unsere Rechtspolitik ist vielfältiger und mit dem Zivilrecht, dem Gesellschaftsrecht, dem öffentlichen Recht
und dem Unterhaltsrecht ein bunter Strauß. Das alles ist
heute Abend ein bisschen zu kurz gekommen.
Ich möchte zum eigentlichen Thema zurückkommen.
Die beiden Koalitionsfraktionen leben auf dem Gebiet
der Rechtspolitik - vielleicht anders als in anderen Politikbereichen, aber vorbildlich - die Koalition,
({0})
und zwar auf hohem fachlichen und freundschaftlichen
Niveau. Ich war daher gestern mehr als entsetzt, als der
Kollege Westerwelle gesagt hat: Jeder weiß: Ihr hasst
euch wie die Pest.
({1})
Abgesehen davon, dass die Kategorien „Liebe“ und
„Hass“ in der Politik ohnehin nichts zu suchen haben,
({2})
kann ich dazu nur sagen: Ich habe ein super Verhältnis
zu der Justizministerin - achten Sie sehr gut auf die Präposition: zu der Justizministerin, nicht mit der Justizministerin -, nicht wahr, liebe Brigitte?
({3})
Das Gleiche gilt auch für mein Verhältnis zu allen anderen, insbesondere zu Alfred Hartenbach und Herrn
Stünker. Wenn wir uns in einer Debatte einmal hart streiten, dann ist das kein Ausdruck von Hass. Derjenige, der
das behauptet, gibt ein beredtes Beispiel dafür, wie verbittert er eigentlich darüber ist, dass er nicht dort sitzt,
wohin er seit Jahren will und wohin er möglicherweise
auch gar nicht gehört.
({4})
Im Gegensatz zur Koalition ist das Bild von der Opposition - gestern hat Herr Ramsauer gesagt: Oppositiönchen ({5})
völlig diffus. Das ist eigentlich keine Opposition, sondern eine Destruktion. Von den Linksaußen will ich eigentlich gar nicht reden. Herr Nešković, Sie haben heute
Abend den letzten Rest an Satisfaktionsfähigkeit eingebüßt. Dazu hat der Kollege Ole Schröder alles gesagt.
Die Grünen waren heute erstaunlich zurückhaltend.
Herr Montag, ich weiß nicht, ob Sie Baldrian genommen
haben. Sie haben Herrn Nouripour reden lassen. Herr
Wieland, Sie kommen seit Wochen nicht mehr in den
Rechtsausschuss. Es verwundert mich, dass Sie heute
hier sind.
({6})
Sie schämen sich wahrscheinlich, überhaupt noch etwas
dazu zu sagen.
Wenn ich mich daran erinnere, dass Sie sich, Herr
Montag, bei der letzten Debatte über die Telekommunikationsüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung
nachgerade wie ein Rumpelstilzchen mit schriller, sich
überschlagender Stimme aufgeführt haben und zum Höhepunkt der Gaudi noch eine Zeitung hochgehalten haben,
({7})
dann kann ich nur sagen: Das ist völlig unter Ihrem Niveau. Dass Sie in Ihrer grenzenlosen Einfallslosigkeit
denselben Gag auf dem Parteitag der Grünen wiederholt
haben, mag daran liegen, dass sie sich bei dem Niveau
Ihrer Zuhörer dort mehr Applaus haben ergaunern können, als Sie in diesem Hohen Haus zu Recht nicht bekommen haben.
({8})
Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die FDP zu
sprechen zu kommen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
Sie sagen immer, das Bundesverfassungsgericht hebe
das Gesetz auf und dann sei alles nicht rechtsstaatlich. Ich
war viele Jahre am Verwaltungsgericht. Dort heißt es in
vielen Urteilen: Die Klage ist begründet; denn der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten. Aber wollen wir nun immer
wieder sagen, dass die Verwaltung rechtswidrig handelt,
und das möglicherweise noch vorsätzlich? Unser Prinzip
der Gewaltenteilung ist darauf aufgebaut, dass das Bundesverfassungsgericht hier und da - gerade bei einem
solch verminten Gelände - Gesetze auch aufhebt.
({9})
Das ist doch das Normalste der Welt. Wenn wir aus
Angst vor dem Tod jedes Mal Selbstmord begehen wollten, dann brauchten wir hier kein Gesetz mehr zu erlassen, weil wir stets befürchten müssten, dass es in Karlsruhe aufgehoben wird.
({10})
Es hieß eben, unser Innenminister wolle warten, bis
Karlsruhe entscheide. Das wäre richtig, wenn eine Entscheidung kurz bevorstünde, also mit Händen zu greifen
wäre. Aber viele Verfahren beim Bundesverfassungsgericht dauern fünf, sechs Jahre. Soll der Gesetzgeber jedes
Mal so lange warten, bis in Karlsruhe entschieden wird?
Dann sind wir erst recht nicht mehr Gesetzgeber, sondern ein Richterstaat, ein Staat, in dem sozusagen das
Richterrecht dominant ist. Das kann es nicht sein.
({11})
Solange Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, offenbar abends mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ins Bett gehen
({12})
und nachts geradezu von Albträumen geplagt werden,
wenn Sie daran denken, dass durch die Geräte zur Überwachung von Mautsündern vielleicht auch ein Frauenmörder entdeckt wird, um am nächsten Morgen mit dem
einzigen Gedanken aufzuwachen, wie man den Bürger
aufwiegeln und davon überzeugen kann, dass in Deutschland die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten wird und
die Sicherheitsinteressen völlig hintanstehen, gehören Sie
nicht zu den Wunschgegnern, Wunschpartnern, die auf
Platz eins unserer Agenda stehen.
({13})
Man braucht sich nicht zu wundern. Die konfuse
Rechtspolitik der Grünen ist sicherlich auch der Ausdruck des Zwiespalts, den die Welt am Sonntag so treffend ausgedrückt hat. Über die Grünen liest man:
Die Basis sehnt sich nach Friede, Freude, Eierkuchen und sozialen Wohltaten. Die Führung sehnt
sich nach Regierungsjobs, Macht und Einfluss.
({14})
Ich jedenfalls hoffe, dass die Erfüllung der letzten Sehnsucht noch viele Jahre auf sich warten lässt.
(Wolfgang Wieland ({15})
Wenn ich die Befunde über alle drei Oppositionsparteien zusammennehme, dann kann ich nur an das Zitat
von Frank Walter - nicht zu verwechseln mit Fritz
Walter - in der Rheinischen Post vom 23. November erinnern. Er sagt sinngemäß - fast wörtlich -: Die Große
Koalition mag nerven, und doch läuft das Volk nicht in
Scharen zu den wartenden Parteien der Opposition. Im
Gegenteil: Kaum jemand interessiert sich für die Grünen, für die Linken und für die FDP. - Dem ist eigentlich
nichts hinzuzufügen.
({16})
Ich spreche heute nur in der Eigenschaft als Rechtspolitiker. Es mag sein, dass in anderen Bereichen der Politik andere Sehnsüchte Platz greifen. Aber ich habe
heute für den Bereich der Rechtspolitik geredet. Damit
das so bleibt und damit wir weiterhin geradezu mit der
Präzision eines Schweizer Uhrwerks das abarbeiten, was
wir in der Koalitionsvereinbarung niedergeschrieben haben, hoffe ich, dass wir in diesem Klima weiterarbeiten
und dass wir uns nicht von anderen anstecken lassen.
Wir haben immerhin noch gewichtige Dinge zu verabschieden, jenseits von den ganzen „Schnüffeleien“, von
denen ich immer höre. Herr Korte von den Linken
sprach neulich von der Rumschnüffelei. Wenn bereits
die Speicherung eines Datums noch vor dem Zugriff auf
dieses als Schnüffelei bezeichnet wird, dann muss ich
über ihn sagen: mit sicherem Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit der Sach- und Rechtslage!
({17})
Ich hoffe, dass wir, Frau Ministerin, Herr Stünker, lieber Alfred, die größeren Projekte wie die GmbH-Reform, die FGG-Reform, den Versorgungsausgleich, die
Kronzeugenregelung und die Absprache noch erledigen.
Ich will auch daran erinnern, dass wir so große Werke
wie das Rechtsdienstleistungsgesetz oder das VVG verabschiedet haben.
Es sind nur noch wenige Zuhörer hier. Anfangs habe
ich bedauert, dass wir hier so schlechte Redezeiten bekommen und nicht an prominenter Stelle reden, obwohl
wir sehr wichtige Themen haben. Nachdem ich allerdings einige Redebeiträge gehört habe, bin ich froh, dass
diese Redner so spät drangekommen sind und nicht noch
mehr Zuhörer auf der Tribüne sich das anhören mussten.
({18})
Ich hoffe, dass wir weiterhin nur durch qualifizierte Zwischenrufe gestört werden und ansonsten die Karawane
der großen Koalitionsparteien auf dem Gebiet der Rechtspolitik weiterzieht
({19})
und mit Erfolg Gesetze verabschiedet.
Herzlichen Dank.
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Stünker,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu Beginn, Herr Kollege Fricke: Ich glaube, wir im
Deutschen Bundestag sind nicht dazu da, jeden Einzelfall, bei dem irgendein Staatsanwalt in Deutschland
möglicherweise einen Fehlgriff getan hat, auf den ein
Amtsgericht hereingefallen ist, zur Grundlage unserer
Diskussionen zu machen. Das sollten wir in der Rechtspolitik nicht machen.
({0})
Die nächste Anmerkung, die ich machen möchte, ist:
Es wird immer davon gesprochen, der Justizhaushalt
habe kein großes Volumen. Das ist richtig, aber die pekuniäre Bedeutung steht in einem umgekehrten Verhältnis zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Rechtspolitik. Auf die Inhalte kommt es letzten Endes an, und
die Inhalte sind mir heute in einigen Beiträgen doch etwas zu kurz gekommen.
Was in einigen Beiträgen leider auch nicht deutlich
geworden ist: Rechtspolitik ist letzten Endes Gestaltung
der gesellschaftlichen Wirklichkeit in diesem Land. Das
wird oftmals nicht bemerkt, auch nicht im Deutschen
Bundestag. Herr Kollege Nešković, solche Reden wie
die, die Sie heute gehalten haben, können Sie nur halten,
weil Sie an den Beratungen des Rechtsausschusses in
den letzten zwei Jahren eigentlich nicht mehr teilgenommen haben. Das ist Ihr Problem.
({1})
Ich darf einige Punkte nennen, die wir für die Menschen in diesem Land gestaltet haben: das Europäische
Haftbefehlsgesetz im zweiten Anlauf, die Verbesserung
der Vermögensabschöpfung bei Straftaten und das elektronische Handelsregister. Wir haben endlich das Stalking
pönalisiert. Wir haben mit Veränderungen im Wohnungs13740
eigentumsgesetz für viele Wohnungseigentumsgemeinschaften nachhaltige Verbesserungen gebracht. Gerade
für Selbstständige in diesem Land ist der Pfändungsschutz bei der Altersvorsorge ein wichtiger Schritt gewesen. Wir haben die Führungsaufsicht im Maßregelvollzug
im Sinne der Sicherheit der Menschen in diesem Land novelliert.
Wir haben das Zollfahndungsdienstgesetz unter Beachtung der rechtstaatlichen Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht von uns fordert, geändert. Wir
haben mit dem Versicherungsvertragsrecht ein hundertjähriges Recht in die Neuzeit überführt. Im Bereich des
Urheberrechts haben wir wichtige Schritte zur Wahrung
des geistigen Eigentums der Urheber vollzogen. Wir haben das Rechtsberatungsrecht aus den 30er-Jahren endlich in das 21. Jahrhundert gebracht. Zu der Telekommunikationsüberwachung hat die Frau Ministerin schon
gesprochen. Im Unterhaltsrecht haben wir einen Paradigmenwechsel in dieser Gesellschaft durchgesetzt, und
mit der Föderalismusreform I haben wir Weichen gestellt, deren Bedeutung erst in der Zukunft deutlich wird.
Das ist eine beeindruckende Bilanz, und darauf kann
diese Koalition im Ergebnis stolz sein.
({2})
Es war harte Arbeit in der Rechtspolitik, von der nicht
jeden Tag in der Zeitung zu lesen war und für die man
auch nicht an jedem Tag Schlagzeilen bekommt. Es war
harte Arbeit, die für die Menschen in diesem Land positiv gewirkt hat und in der Zukunft auch weiterhin positiv
wirken wird. Daran wollen wir weiterarbeiten.
Herr Kollege Gehb, ich gebe das Kompliment gern
zurück. Ich habe darüber nachgedacht, woran es liegen
mag, dass wir das so gut geschafft haben - als Sie in der
Opposition waren und Rot-Grün regiert hat, haben wir
so manchen Strauß miteinander ausgefochten -: Ich
denke, das liegt daran, dass wir wissen, was mit dem
Partner geht und was nicht. Keiner von uns hat versucht,
das gängig zu machen, was nicht geht. So einfach ist das.
Das sollten sich auch andere einmal hinter die Ohren
schreiben. Dann wäre in dieser Koalition vieles einfacher.
({3})
- Was hat sie gesagt? Das habe ich nicht verstanden.
({4})
- Bei Ihnen war das anders. Sie wollten das gängig machen, was nicht ging. Das war Ihr Problem, Frau Stokar.
Genau in diesem Sinne werden wir in den vor uns liegenden zwei Jahren weiterarbeiten. Wie Sie wissen, ist
das bereits auf den Weg gebracht - es stehen Anhörungen vor der Tür -: Wir werden mit der Einführung eines
großen Familiengerichts eine umfassende Reform der
freiwilligen Gerichtsbarkeit machen; wir werden eine
umfassende Reform des GmbH-Rechts und des Bilanzrechts nicht nur auf den Weg bringen, sondern auch
verabschieden; wir werden ein ganzes Paket von familienrechtlichen Vorhaben bis 2009 beraten und - so hoffe
ich - verabschieden können, darunter unter anderem eine
grundlegende Neuregelung und Neuordnung des Versorgungsausgleichs nach einer Ehescheidung. Das ist ein
ganz schwieriges Vorhaben.
Wir werden über die Sicherungsverwahrung von Jugendlichen zu reden haben. Weitere Punkte sind die
Kronzeugenregelung und die Verständigung in Strafverfahren, vor allem die Reform der Verbraucherinsolvenz.
Hier werden wir noch über einiges zu reden haben; denn
das, was bisher auf dem Tisch liegt, ist noch nicht so,
dass wir es im Ergebnis verabschieden können.
Es ist also die Gestaltungskraft der Rechtspolitik angesagt. Dieser kleine Blumenstrauß einer Fülle von Vorhaben, die ich hier benannt habe, hebt sich von dem ab,
was in den Reden der Opposition teilweise vorgetragen
worden ist. Das ist nämlich nicht die Wirklichkeit.
Wir sollen ja wohl erst am Freitag über den Entschließungsantrag abstimmen; dessen habe ich mich eben
noch einmal vergewissert. Ich frage mich, ob Ihnen allen
das so deutlich geworden ist: Wir sollen über einen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke abstimmen.
- Sie sollten ihn einmal lesen; ich weiß nicht, wer dies
schon getan hat -, dessen Inhalt an Peinlichkeit nicht
mehr zu überbieten ist. Es geht darum, dass der Deutsche
Bundestag aufgefordert werden soll, dafür die Mittel bereitzustellen, dass jedem Richter an einem obersten Bundesgericht in diesem Land mindestens ein wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Seite gestellt werden kann. Das
soll dann das Allheilmittel sein, um die Gerichtsverfahren in diesem Land zu beschleunigen. Das ist der Sinn
dieses Antrags. Im Begründungsteil liest man - es geht
da um die wissenschaftlichen Mitarbeiter -:
Darüber hinaus könnte sich diese Mitarbeit von
Nachwuchsrichtern aufgrund der an den Obergerichten gewonnenen Erfahrung und Qualifikation
positiv auf die Qualität der Instanzgerichte auswirken.
Wir sollten das an alle Instanzgerichte in Deutschland
schicken. Der Vorschlag, mit einer solchen Maßnahme
das teilweise vorhandene Problem der langen Verfahrensdauer in der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit
dieses Landes zu bekämpfen, schlägt dem Fass den Boden aus.
({5})
Herr Kollege Nešković, so viel Weltfremdheit, so viel
elitäre Abgehobenheit, so viel Missachtung der guten
Arbeit deutscher Instanzgerichte war in diesem Haus
noch nie; Sie haben das hier eingeführt.
({6})
Herr Kollege Stünker!
Frau Präsidentin, es folgt mein letzter Satz. - Die
Wählerinnen und Wähler in diesem Land mögen wirklich Gutes für Deutschland tun und dafür Sorge tragen,
dass diese Fraktion in diesem Hause nie etwas zu sagen
bekommt.
Schönen Dank.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Daniela Raab, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich muss man den Ausführungen des Kollegen
Stünker nicht mehr sehr viel hinzufügen. Er hat an dieser
Stelle einmal mehr zur Fachdebatte zurückgefunden,
nachdem wir zuerst die bei diesen Themen zurzeit übliche Panikmache der Oppositionsparteien vernehmen
konnten: Der totale Überwachungsstaat drohe; wir würden bespitzelt und beschnüffelt; wir seien gläserne Bürger. Davon sind wir weit entfernt.
Ich höre immer wieder, die TKÜ-Reform sei nicht
verfassungsgemäß. Dabei ist sie mehr als nur verfassungsgemäß. Das entsprechende Gesetz ist fast die Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu
den Berufsgeheimnisträgern. Ich empfehle das Nachlesen. Regen Sie sich nicht weiter auf! Wir können uns
darauf einstellen, dass das Thema Bürgerrechte das Einzige ist, auf das Sie sich einigermaßen kaprizieren können. Die Rechtspolitik, die wir hier betreiben, und die
Sicherheitsgesetze sind - das muss ich deutlich sagen von erheblicher Qualität und werden getragen von der
Kompetenz der drei beteiligten Fraktionen.
({0})
Kollege Stünker hat einige sehr wichtige Beispiele
angeführt. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was wir, die Große Koalition, in zwei Jahren geschafft haben. Sie haben völlig recht: Man hätte uns das
am Anfang sicherlich nicht zugetraut. Wir hätten es uns
wahrscheinlich selbst nicht zugetraut. Die Zusammenarbeit gestaltet sich aber trotz vieler fachlicher Differenzen auf menschlicher Ebene immer sehr ordentlich.
Letzten Endes kommen wir immer wieder zusammen,
weil wir stets einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen schaffen.
Das Rechtsdienstleistungsgesetz ist schon angesprochen worden. Wir haben dazu einen Referentenentwurf
aus dem BMJ erhalten, dessen Umsetzung die Qualität
und Kompetenz der Rechtsberatung ein wenig ad absurdum geführt hätte. Wir, die Union, haben uns stark
dafür eingesetzt, dass auch in Zukunft nur derjenige
Rechtsberatung anbieten darf, der eine entsprechende
Ausbildung hat. Zum einen kann nur dann Rechtsberatung qualitativ hochwertig sein. Zum anderen kann nur
ein entsprechend ausgebildeter Rechtsberater die Haftung übernehmen, wenn etwas schiefläuft.
({1})
Das zweite große Gesetzeswerk - Herr Stünker hat es
kurz angesprochen - betrifft die Reform des Versicherungsvertragsrechts. An diesem Beispiel sieht man,
wie nah am täglichen Leben die Rechtspolitik eigentlich
ist. Wir meinen immer, wir bewegten uns im wabernden
Raum; das seien Dinge, die keiner so wirklich verstehe.
„Versicherungsvertragsrecht“ klingt im ersten Moment
natürlich relativ trocken; es ist aber genau das, womit
sich der potenzielle Versicherungsnehmer beschäftigen
muss, wenn er eine Versicherung abschließt, egal welches Volumen sie hat.
Auch hier haben wir es geschafft, nach umfangreicher
Arbeit ein wirklich gutes Gesetz hinzubekommen, das
den Ausgleich zwischen der dringend notwendigen Verbesserung des Verbraucherschutzes - mehr Aufklärung
und Transparenz bei Abschluss eines Vertrages - und der
Förderung des Versicherungsstandorts Deutschland
schafft. Wir wollen natürlich keine Gesetze, die unsere
gut funktionierenden Unternehmen außer Landes treiben; das war uns, der Union, besonders wichtig.
Wir haben - das war schwierig - ein neues Unterhaltsrecht verabschiedet. Das Ergebnis begrüße ich ausdrücklich. Die alte Gesetzeslage hat zu vielen unbefriedigenden Situationen geführt; sie war ein Stück weit
überholt. Wir haben länger gebraucht. Das heißt aber
nicht, dass das Gesetz schlechter geworden ist als der
Entwurf, der zu Beginn der Verhandlungen vorlag. Gerade dadurch, dass wir uns länger hingesetzt haben,
konnten wir Verbesserungen erreichen - unter Einbeziehung des Urteils aus Karlsruhe, das wir abwarten konnten -: Wahrung des Schutzes der Ehe - des Vertrauensschutzes, der aus dem Ehestatus hervorgeht -, Schutz
von langjährigen Ehepartnern, Besserstellung aller kinderbetreuenden Elternteile, Beseitigung der Benachteiligung von Zweitfamilien, die nach der ersten Ehe gegründet werden, und - nicht zuletzt - Vorrangstellung der
Kinder. Hier hat sich gezeigt, dass wir es zusammen hinbekommen können, obwohl die Reform auch in unseren
Reihen stark konfliktbehaftet war. Was wir jetzt vorgelegt haben, ist ein sehr gelungener, zukunftsträchtiger
Ausgleich, der so schnell nicht mehr einer großen Reform bedürfen wird.
({2})
Wir haben natürlich noch einiges vor uns. Die Reform
der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist angesprochen worden; Kollegin Granold betreibt dies mit großer Akribie
und Kompetenz.
Uns liegt nun der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz vor. Das schaut auch wieder nach einem großen Ungetüm aus, ist aber gerade im Zuge europäischer
Rechtssetzung für unsere Unternehmen von nicht unerheblicher Bedeutung. Im Vorfeld sind Befürchtungen geäußert
worden, dass wir unter dem Eindruck der Bemühungen
auf internationaler Ebene, Rechnungslegungsstandards
zu vereinheitlichen, Regelungen beschließen könnten,
die erhebliche Nachteile für unsere kleinen und mittleren
Unternehmen und mehr Kosten und Bürokratie bedeuteten.
Sie, Frau Ministerin, schütteln zu Recht den Kopf; der
jetzt vorliegende Referentenentwurf bewegt sich weiterhin im bewährten Bereich unseres Handelsgesetzbuches
und führt im Gegensatz zu den Befürchtungen dazu, dass
in Zukunft insbesondere die kleineren und mittleren Unternehmen in Bezug auf die Rechnungslegung mit erheblichen Vereinfachungen zu rechnen haben. Ich bitte sehr
entschieden darum, dass wir dann, wenn ein Gesetzentwurf vom Kabinett eingebracht worden ist, die Gesetzesberatungen in die aufgezeigte Richtung führen und uns
nicht den internationalen Trends anschließen. Wir sollten
bei solchen Vorhaben also ganz klar darauf schauen, was
unseren kleinen Unternehmen nützt. Aber hier sieht es
durchaus gut aus, da niemand eine Kostensteigerung und
eine Zunahme von Bürokratie für die kleinen Unternehmen will. Ich danke Ihnen für den durchaus hoffnungmachenden Referentenentwurf.
Die GmbH-Reform, die durchaus in diesen Kontext
passt, spreche ich zum Schluss noch ganz kurz an. Der
Kollege Jürgen Gehb, der sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt, hat hier einige wichtige Akzente für uns
als Union gesetzt. Hier geht es zum einen natürlich darum, wettbewerbs- und europarechtsfähig zu bleiben.
Zum anderen machen wir unser Gesellschaftsrecht fit für
die Zukunft. Wir werden den hier ansässigen Unternehmen auch in Zukunft gute Gesellschaftsformen anbieten
und vertreiben sie nicht aus dem Land.
Die Haushaltsdebatte war eine gute Gelegenheit, neben allen Strafrechtsthemen, die wir hier behandelt haben und die immer viel interessanter als das Zivil- und
Gesellschaftsrecht sind, diese Gesetzesvorhaben anzusprechen, mit denen wir mehr als nur ein Stück weit
Wirtschaftspolitik machen. Wenn wir auf diesem Gebiet
weiterhin so konstruktiv zusammenarbeiten, wird es
auch in Zukunft zu guten Ergebnissen kommen.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Wer stimmt für den Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in der Ausschussfassung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 07 ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Wer stimmt für den Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - in der Ausschussfassung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 19 ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. November 2007,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, unseren
Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne, aber
auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen
schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.