Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/29/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen; ich begrüße Sie alle herzlich. Ich mache Sie auf die Zusatzpunktliste aufmerksam, die interfraktionell vereinbart worden ist: ZP 1 Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Wahl eines Mitgliedes des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitgliedes des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({0}) Wahl eines Mitgliedes des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ({1}) - Drucksache 16/7287 ({2}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({3}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nanotechnologie für die Gesellschaft nutzen - Risiken vermeiden - Drucksache 16/7276 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hochwertige Computerspiele fördern und bewahren - Drucksache 16/7282 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Sind Sie mit der Aufsetzung der dort aufgeführten Punkte einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt II - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 ({6}) - Drucksachen 16/6000, 16/6002 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 - Drucksachen 16/6001, 16/6002, 16/6426 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({8}) Dr. Gesine Lötzsch Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Dazu rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt II.13 auf: Einzelplan 11 Bundesministerium für Arbeit und Soziales - Drucksachen 16/6411, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Zum Einzelplan 11 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Dr. Claudia Winterstein für die FDP-Fraktion. ({9})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Konrad Adenauer hat einmal gesagt: In der Politik ist es nie zu spät; es ist immer Zeit für einen Neuanfang. Ich begrüße den neuen Arbeitsminister, für den die Haushaltsberatung heute eine Premiere ist. Herr Scholz, Sie übernehmen den größten Einzeletat des Bundes in Höhe von 124 Milliarden Euro. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute und einen klaren Blick; denn Sie übernehmen damit eine große Verantwortung. ({0}) Ein personeller Neuanfang bedeutet ja auch immer die Chance einer inhaltlichen Neuausrichtung. Auf diese hoffe ich natürlich sehr, weil ich sie für notwendig halte. Zwei Probleme kennzeichnen diesen Haushalt: Erstens. Die Bundesagentur für Arbeit wird immer mehr zum Selbstbedienungsladen für den Bundeshaushalt. ({1}) Den Aussteuerungsbetrag schafft die Koalition zwar ab, weil er verfassungswidrig ist und außerdem nur noch eine geringe Summe erbringt; zugleich aber greift die Regierung dem Beitragszahler noch unverschämter in die Tasche als je zuvor. Die Beschlüsse zur Arbeitsmarktpolitik - das betrifft den Eingliederungsbeitrag, den Beitragssatz und das Arbeitslosengeld I - bilden sich im Haushalt des Arbeitsministers recht einseitig ab. Im Haushalt des Arbeitsministers findet eine Entlastung statt, im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit eine Belastung. Mit dem Eingliederungsbeitrag bereichert sich der Arbeitsminister mit über 5 Milliarden Euro aus den Taschen der Beitragszahler. Es zahlt die Bundesagentur für Arbeit. Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung wird gesenkt. Es zahlt die Bundesagentur für Arbeit. Das Arbeitslosengeld I wird verlängert. Es zahlt die Bundesagentur für Arbeit. ({2}) Die Koalition verübt auch beim Arbeitslosengeld I Betrug am Beitragszahler. ({3}) Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I sollte nämlich kostenneutral erfolgen. Stattdessen gibt der Bund lediglich 270 Millionen Euro zu den insgesamt mindestens 800 Millionen Euro Mehrkosten hinzu. Zur Kritik an dem politischen Vorhaben selbst will ich nur die Bundesbank zitieren. Sie nennt die längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I einen „Rückschlag im Bemühen um günstigere Rahmenbedingungen für mehr Beschäftigung“. ({4}) Kurzum: Sie treffen die falschen Beschlüsse, Sie richten Schaden statt Nutzen an, und Sie bezahlen das mit dem Geld der Beitragszahler. Zweitens. Die Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik werden erhöht, aber die nötigen Schlussfolgerungen aus der Evaluierung werden nicht gezogen. In der Koalitionsvereinbarung 2005 hieß es: Die Vielzahl unterschiedlicher Förder-Instrumente ist für die Menschen kaum noch überschaubar. Vieles deutet darauf hin, dass einzelne Maßnahmen und die damit verbundenen, teilweise umfangreichen Mittel der Arbeitslosenversicherung zielgenauer, sparsamer und effizienter eingesetzt werden können. ({5}) Die Erkenntnis war richtig. Geschehen ist bisher jedoch so gut wie nichts. Es wird also nach wie vor Geld verschwendet. Der bisherige Arbeitsminister hat sich jetzt mit der Zusage verabschiedet, dass der Bericht zu den Instrumenten der Arbeitsmarktpolitik in diesem Herbst vorgelegt wird. Das hat er im letzten Jahr auch schon versprochen. Herr Scholz, ich hoffe, dass Sie dieses Versprechen jetzt tatsächlich einlösen. ({6}) Im Haushalt 2008 wird der Maßnahmendschungel nicht gelichtet. Im Gegenteil: Es kommen immer weitere neue Arbeitsmarktinstrumente hinzu. Die Koalition hanDr. Claudia Winterstein delt nach dem Motto „Viel hilft viel“. Das ist, wie die Untersuchungen gezeigt haben, völlig falsch. Das Geldausgeben fällt Ihnen umso leichter, weil alle Wohltaten zur Hälfte von der Bundesagentur für Arbeit mitfinanziert werden, und zwar ohne dass diese in irgendeiner Form ein Mitspracherecht hätte. Es ist leicht, das Geld anderer Leute zu verschwenden. Das ist das Motto der Koalition. ({7}) Wir haben im liberalen Sparbuch vorgeschlagen, diesen finanziellen Verschiebebahnhof endlich zu beenden. Der Vorschlag lautet: Die Bundesagentur für Arbeit zahlt keinen Eingliederungsbeitrag an den Bund, und der Bund überträgt auch keinen Mehrwertsteuerpunkt an die Bundesagentur für Arbeit. Mit dem Verschieben von Milliarden zwischen den beiden Stellen muss endlich Schluss sein. Wir brauchen eine klare und saubere Trennung. Die Bundesagentur würde - das wurde in den Haushaltsberatungen sehr deutlich - einen solchen Schritt begrüßen. Wir haben außerdem gefordert, der Bundesagentur keine neuen Lasten aufzubürden; denn dadurch wäre es möglich, den Beitragssatz auf 3 Prozent zu senken. Das halten wir für sehr richtig. ({8}) Zum Schluss will ich eine Personalangelegenheit ansprechen. Die Stelle des dritten Staatssekretärs, der zum neuen Vizekanzler ins Außenministerium wandert, ({9}) wurde im Stellenplan des Arbeitsministeriums übrigens nicht gestrichen, ({10}) sondern nur gesperrt. Als neuer Arbeitsminister könnten Sie, Herr Scholz, ein Signal setzen: Verzichten Sie doch auf die Besetzung dieser Stelle! Das wäre ein erster guter Schritt. Auf die weiteren Schritte bin ich gespannt. Wir helfen mit unserem Sparbuch gerne weiter, damit diese Schritte in die richtige Richtung gehen. Danke. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz. ({0})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich mich bei den Berichterstattern und den Mitgliedern des Haushaltsausschusses für die gute Zusammenarbeit mit dem Ministerium in den vergangenen Wochen bedanken. Ich war - das muss nicht geheimnisvoll verborgen werden - die meiste Zeit nicht als Arbeits- und Sozialminister dabei, aber ich habe mir von meinen Mitarbeitern berichten lassen, dass die Kooperation gewohnt gut verlaufen ist. Deshalb hoffe ich auf gute Zusammenarbeit auch in der Zukunft. ({0}) Der Bereich Arbeit und Soziales ist entscheidend für den Erfolg der Bundesregierung, für die wirtschaftliche Prosperität und für die Entwicklung des Zusammenhaltes in unserer Gesellschaft. Franz Müntefering hat das Ressort mit großer Umsicht geleitet und viele bedeutende Weichen gestellt. Auch an dieser Stelle geht mein großer Dank an Franz Müntefering für seine Arbeit als Minister. ({1}) Ich kann nahtlos dort fortfahren, wo Franz Müntefering aufgehört hat. Es geht in dem Ressort nicht um abstrakte Politik, sondern um Einzelschicksale, um individuelle Chancen, um Teilhabe und um Selbstbestimmung. Da kommen wir voran. Ein Beispiel sind die Arbeitsmarktzahlen, die die Bundesagentur für Arbeit heute präsentiert: die niedrigsten in einem November seit 1992. Wir haben derzeit 3,38 Millionen Arbeitslose, über 600 000 weniger als vor einem Jahr, über 1 Million weniger als vor zwei Jahren. 40 Millionen Menschen sind in Arbeit, über 27 Millionen davon in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, ({2}) und - das darf nicht vergessen werden - es gibt knapp 1 Million Stellen, die zum Teil sofort besetzt werden können - eine gute Hoffnung für die Menschen, die Arbeit suchen. Das sind Erfolge, auf die wir alle stolz sein können und die für die Menschen natürlich wichtig sind, weil es nicht nur um Zahlen geht, sondern auch um Möglichkeiten, sein Leben zu verbessern. Wachstum ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir diese Entwicklung verstetigen können. Das brauchen wir, damit neue Arbeit entsteht und mehr Menschen die Chance auf Arbeit haben. Denen, die geringere Aussichten und Chancen auf einen Arbeitsplatz haben, wollen wir gezielt mit Programmen helfen. Das sind vor allem Jüngere, Ältere, Langzeitarbeitslose und Menschen mit Behinderungen. Wir haben ein paar Ziele, die man ganz klar verfolgen muss: Kein junger Mensch soll von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit geraten. Die Chancen „50 plus“ müssen weiter wachsen. Die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen liegt derzeit bei 52 Prozent. Das ist viel zu wenig. Wir wollen das ändern. ({3}) Mehr Chancen auf Arbeit, das ist auch der Maßstab für die Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Der Instrumentenkasten muss kleiner werden, ({4}) um arbeitsuchende Bürgerinnen und Bürger besser und zielgerichteter zu unterstützen. Ich kann Ihnen versichern - Sie haben nachgefragt -: In wenigen Wochen werden Ihnen die Vorschläge des Ministers und der Koalitionsparteien dazu vorliegen. ({5}) Vor allem aber will ich dafür sorgen, dass die Arbeitsvermittlung in Deutschland die leistungsfähigste Institution wird, denn die Menschen in diesem Land sind darauf angewiesen. Es darf keine Behörde, keine öffentliche Einrichtung in Deutschland geben, die leistungsfähiger ist als die Bundesagentur für Arbeit und die Arbeitsgemeinschaften. ({6}) Niemand auf der Welt soll uns berichten können, dass er es besser organisiert hat, als es in diesem Land der Fall ist. Das ist eine große und ständige Aufgabe. Ich glaube, dass wir mit den Reformen der letzten Jahre gute Fortschritte gemacht haben, aber ich bin auch ganz sicher, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben - praktische Arbeit und nicht immer nur Gesetzgebungsarbeit -, damit die Menschen, die arbeitslos werden oder die nach der Schule das erste Mal einen Arbeitsplatz suchen, sagen können: Ich weiß, da wird mir mit allen Möglichkeiten geholfen. Die Leute haben Verständnis für meine Probleme, und sie werden alles tun, damit ich so schnell wie möglich Arbeit finde. ({7}) Arbeit ist die Grundlage dafür, dass der Sozialstaat auch in Zukunft soziale Sicherung durch die Sozialversicherungen gewährleisten kann. Dieses Modell der organisierten Solidarität, in dem Menschen für Menschen einstehen, hat in über 100 Jahren bewiesen, dass es krisenfest und leistungsstark ist. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Das wird auch in Zukunft im Mittelpunkt der sozialen Sicherheit der Menschen in diesem Land stehen. ({8}) Da wir schon bei Traditionen sind: Zu den Erfolgsbedingungen unserer Wirtschaftsverfassung gehört für mich auch die Sozialpartnerschaft. Es gibt Leute, die diese Tradition verachten und die Suche nach Konsens zwischen den Parteien des Arbeitslebens eher beklagen. Ganze Leitartikel sind zu diesem Thema geschrieben worden. Aber Deutschland ist gut damit gefahren, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ihre Interessen zum Ausgleich bringen. Ich will an diese Erfahrung anknüpfen und die Sozialpartnerschaft wieder stärker mit Leben füllen. Gleiche Augenhöhe zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern - das ist eine Errungenschaft, auf die wir in Deutschland stolz sein können. ({9}) Wir wollen, dass Arbeit gute Arbeit ist und eben keine Arbeit, die erst mit Sozialtransfers erträglich wird. Mehr Chancen auf gute Arbeit, darum geht es uns. ({10}) Die gute Entwicklung in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt ist auch ein Ergebnis der politischen Anstrengungen der letzten Jahre. Wir sind im Jahre 2003 auf einen Reformkurs gegangen, der vielen einiges abverlangt hat, der sich aber jetzt auszahlt. Das war eine Notoperation. Ein weiterer Aufschub war damals nicht möglich. Es ging darum, die Systeme zu stabilisieren, damit sie für die Zukunft funktionsfähig bleiben. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat das am 14. März 2003 ganz richtig begründet: Entweder wir modernisieren, und zwar als soziale Marktwirtschaft, oder wir werden modernisiert, und zwar von den ungebremsten Kräften des Marktes, die das Soziale beiseite drängen würden. Meine Damen und Herren, das bleibt nach wie vor richtig. ({11}) Es gab in unserem Land viel aufzuarbeiten - bis in die Zeit der Großen Koalition. Aber daraus ist Gutes erwachsen, obwohl ich die schmerzlichen Einschnitte, die damit verbunden waren, keineswegs kleinreden will. Das war nicht leicht. Am leichtesten war es für die Politik. Aber es war natürlich für viele Menschen schwierig, die mit diesen Reformen unmittelbar konfrontiert waren. Heute aber sind sie wirksam geworden, und wir können sagen: Wir waren erfolgreich. ({12}) Natürlich sind Reformen eine konstante Aufgabe für die Politik, wie Willy Brandt das gesagt hat: Wer morgen sicher leben will, muß heute für Reformen kämpfen. ({13}) - Man darf nicht bei einer Meinung, die man 1970 schon einmal hatte, stehen bleiben, Herr Niebel. - Die Welt dreht sich weiter. Die Dinge verändern sich. Globalisierung, demografischer Wandel und die technologische Entwicklung stellen uns vor große Herausforderungen. Aber Reformen - das gilt genauso - dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Reformen sind Schritte hin zu einem Ziel. Es geht darum, etwas zu erreichen. Wer das außer Acht lässt und die schmerzhafte Reform zur Attitüde des Regierens werden lässt, wer glaubt, dass Forderungen nach immer härteren und tieferen Einschnitten nötig sind, der leistet der Modernisierung unserer Gesellschaft einen Bärendienst, weil er das nötige Vertrauen in den Sinn von Veränderungen zerstört, statt Vertrauen aufzubauen. ({14}) Beispiel sind die jüngsten Forderungen nach einer Rente mit 70 oder 77. Alle Experten - von Rürup bis Raffelhüschen - sagen uns, dass wir mit der Rente mit 67 unsere Hausaufgaben gemacht haben. Wir halten damit bis 2030 die gesetzlichen Beitragssatz- und Niveausicherungsziele ein. Wir sorgen für eine generationengerechte Verteilung. Das macht ein Vergleich der Beitragsjahre mit der Rentenbezugszeit deutlich. Der Vorsitzende des Sozialbeirats für die Rentenversicherung, Bert Rürup, hat es jetzt vorgerechnet: Wer 1970 aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist, bezog danach im Schnitt noch mehr als elf Jahre Rente. Das entsprach rechnerisch 25 Prozent der Zeit, in der er zuvor eingezahlt hatte. Heute beträgt die Rentenbezugsdauer annähernd 40 Prozent der Lebensarbeits- und Beitragszeit. Durch die allmähliche Anhebung des Renteneintrittsalters drücken wir diese Relation wieder auf 35 Prozent im Jahre 2030. Wir liegen auch in 2050 noch unter den 40 Prozent von heute. Das heißt, die Kosten der steigenden Lebenserwartung werden nachhaltig generationengerecht verteilt. Wir stabilisieren die Statik des Rentensystems nicht nur, wir verbessern sie sogar. ({15}) Statt also Ängste mit neuen Forderungen zu schüren, sollte man besser sagen: Auftrag ausgeführt! Wir haben unser Ziel erreicht. Das Rentensystem steht wieder auf stabileren Füßen. Natürlich gibt es noch Felder und Aufgaben, die wir beackern müssen. Da geht es vor allem um die altersund alternsgerechte Arbeit. Das ist die große Aufgabe der Zukunft. Da werden viele Vorschläge zu erörtern sein, zum Beispiel, wie man Altersteilzeit und Teilrente gut miteinander verzahnen kann. Dazu gehört auch, dass wir - darüber haben sich die Koalitionsfraktionen jetzt verständigt - eine vernünftige Anschlussregelung für die sogenannte 58er-Regelung finden. Auch das ist ein guter, leise und vernünftig diskutierter Fortschritt. ({16}) Aber die wichtigste Aufgabe jetzt ist es, das Vertrauen in die Rentenversicherung zu stärken. Die Beitragszahler müssen wissen, dass ihre Beiträge zu der erwarteten Rente führen. Diese Ankündigung muss wieder an Plausibilität gewinnen. Das wird Zeit brauchen; denn die Bürgerinnen und Bürger haben in Sachen Rente zu viele hohle Versprechungen gehört. Deshalb sollte niemand erwarten, dass das in einem oder zwei Jahren alles wieder anders sein wird. Wenn man viele Jahre enttäuscht war, dann braucht man auch viele Jahre, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Aber eins ist auch völlig klar: Wir werden nie neues Vertrauen gewinnen, wenn wir nach der Reform schon wieder das Werkzeug auspacken und die nächste Renovierung angehen wollen, bloß um damit Geschäftigkeit beweisen zu können. ({17}) Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Teilhabe am Aufschwung und am Wohlstand für alle möglich ist. Die Reformen zahlen sich aus, und ich finde, davon sollen alle etwas haben. Ich will ein paar Beispiele nennen, wie das in nächster Zeit geschieht: Erstens. Wir senken zum 1. Januar des nächsten Jahres den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent. Das ist, verglichen mit den 6,5 Prozent im Jahr 2005, fast eine Halbierung. ({18}) Wer 2 000 Euro brutto im Monat verdient, hat künftig 384 Euro im Jahr mehr in der Tasche als 2005. Das ist ein Fortschritt für alle Menschen. ({19}) Zweitens. Wir haben mit den Arbeitsmarktreformen viel erreicht: mehr Menschen in Arbeit, mehr Chancen auf Arbeit durch ein gerechteres System des Förderns und Forderns, weniger Frühverrentung. Weil das so ist, können wir den Gerechtigkeitsvorstellungen unserer Bürgerinnen und Bürger entsprechen und einen längeren Bezug des Arbeitslosengeldes ermöglichen: 15 Monate für über 50-Jährige, 18 Monate für über 55-Jährige, 24 Monate für über 58-Jährige. Das ist ein guter Fortschritt. ({20}) Drittens. Wir setzen uns für Mindestlöhne ein, ({21}) immer noch im Bereich der Briefdienste, wo wir dringend eine soziale Flankierung für den Fall des Briefmonopols brauchen. Ich sage voller Optimismus allen Skeptikern hier im Haus: Das werden die Koalitionsparteien noch miteinander hinbekommen. ({22}) Aber wir werden Mindestlöhne nicht nur in diesem Bereich einführen müssen. Wir haben vereinbart, dass es branchenspezifische Mindestlöhne über die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und über die Aktualisierung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes geben soll. Das werden die Gesetzesvorhaben der nächsten Zeit sein; daran arbeiten wir. Der Grund dafür liegt übrigens, liebe Freunde und Freundinnen von der FDP, auf der Hand: ({23}) Wettbewerb darf nicht über Dumpinglöhne stattfinden. ({24}) Noch eine Ergänzung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer können mehr. Sie können auch Wettbewerb über besseres Management, intelligente Erfindungen und bessere Dienstleistung für ihre Kunden. ({25}) Wer hart arbeitet, der muss dafür auch einen anständigen Lohn bekommen. 3,18 Euro pro Stunde sind keine Basis für Teilhabe am Wohlstand. ({26}) Die Ordnung der sozialen Marktwirtschaft verlangt es: Der Mindestlohn kommt! ({27}) Viertens. Wir haben den Auftrag, die staatlichen Unterstützungen für Geringverdiener neu zu durchdenken. Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag und der geplante Erwerbstätigenzuschuss stehen nebeneinander. Zwischen diesen Instrumenten gibt es viele Zusammenhänge. Deshalb macht es Sinn, dass wir über ein Gesamtkonzept diskutieren. Das ist kompliziert. Wer für Schnellschüsse ist, berät alle falsch. ({28}) Deshalb brauchen wir - und nehmen sie uns auch Zeit bis in das Frühjahr, um ein vernünftiges Gesamtkonzept zu entwickeln, in dem all diese einzelnen Instrumente zusammenpassen. Aber eines ist dabei ganz klar, nämlich das Ziel, um das es geht: Wir wollen Arbeit attraktiver machen und sicherstellen, dass kein Mensch, der arbeitet, auf Arbeitslosengeld II angewiesen ist; jeder soll mithilfe dieser zusätzlichen Instrumente gut zurechtkommen. Das hat auch etwas mit dem Stolz unserer Bürgerinnen und Bürger zu tun. ({29}) Fünftens. Wir wollen die Beteiligung der Mitarbeiter am Betrieb verbessern. Erwin Huber und ich bereiten in einer Koalitionsarbeitsgruppe ein entsprechendes Konzept vor. Wir haben von SPD-Seite aus einen Deutschlandsfonds vorgeschlagen. Auch im Konzept der Union gibt es eine Fondslösung. Deshalb bin ich ziemlich sicher, dass wir Anfang des nächsten Jahres eine gemeinsame Lösung finden werden. Es wäre ein guter Fortschritt, wenn in Deutschland in Zukunft nicht mehr so wenige Menschen an ihren Betrieben beteiligt wären, wie das heute der Fall ist. Da gibt es internationale Vorbilder, denen wir nachstreben können. ({30}) Sechstens. Wir fördern die betriebliche und private Altersvorsorge. Bis zum Jahresende werden wir weit mehr als 10 Millionen Riester-Verträge haben. Auch die Betriebsrenten boomen. Das ist ein ganz toller Erfolg. Wir sollten jetzt alles dafür tun, um diese Dynamik aufrechtzuerhalten. Deshalb ist es gut, dass die Entgeltumwandlung von Sozialabgaben befreit bleibt. ({31}) Deshalb ist es gut, dass jedem ab Januar 2008 geborenen Kind 300 Euro Riester-Zuschlag zustehen. ({32}) Deshalb ist es gut, dass die Eckpunkte für ein WohnRiester-Modell stehen. Und ich finde den Vorschlag immer noch gut, dafür zu sorgen, dass es einen Riester-Bonus für Berufseinsteiger gibt, damit sie sich am Anfang ihres Berufslebens daran gewöhnen, dass eine Zusatzvorsorge notwendig ist. ({33})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert beantworten?

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Ja.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, Sie haben die ganze Zeit eine programmatische Rede gehalten. Sagen Sie doch bitte einmal ganz konkret: Was wollen Sie am Ende des europäischen Jahres der Chancengleichheit, in dem wir die Chancengleichheit nicht hergestellt haben, tun, damit im nächsten Jahr wenigstens diejenigen, die es schwerer haben, also Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund und andere, tatsächlich in Arbeit kommen? Bisher sehe ich die Programme nicht.

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Dass Sie die Programme nicht sehen, finde ich etwas verwunderlich; denn es gibt eine große Menge einzelner Programme, die die Bundesagentur für Arbeit und die Arbeitsgemeinschaften umsetzen, um insbesondere denen, die es besonders schwer haben, einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Ich glaube, dass wir gute Ausgangsbedingungen geschaffen haben. Sie wissen, dass ich mit dafür gesorgt habe, dass Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz auf gutem Niveau hat, auf das sich die Menschen berufen können. Sie wissen, dass es schon jetzt ein paar Fortschritte gibt. Damit komme ich zum siebten und abschließenden Punkt; er passt zu der Beantwortung Ihrer Frage. Ab dem nächsten Jahr wird das persönliche Budget für Menschen mit Behinderungen flächendeckend eingeführt. Das ist aus meiner Sicht ein ganz großer Fortschritt, weil die Leistungsempfänger dann selbst entscheiden können, wen sie einstellen wollen. Sie können als Arbeitgeber ihrer Unterstützer auftreten. Das ist etwas, was mit Selbstachtung und Würde zu tun hat. Es ist gut, dass wir hier eine Veränderung hingekriegt haben: weg vom Fürsorgestaat und hin zu einem Staat, der auf die Selbstaktivierung der Bürgerinnen und Bürger setzt. ({0}) Ich komme zum Schluss. Wir haben einen großen Fortschritt gemacht auf dem Weg, das zu realisieren, was die Parteien dieser Koalition sich im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, nämlich das Vertrauen der Menschen in die Zukunftsfähigkeit des Landes zu stärken. Ich sehe meine Aufgabe darin, mich darum zu kümmern, dass dieses Vertrauen ständig weiter wächst. Voraussetzung dafür ist, dass die Koalition eine Politik macht, die gerecht und solidarisch ist, eine Politik, in der wirtschaftliche Dynamik und soziale Vernunft gleichrangig nebeneinander stehen. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geht es nicht um Luftschlösser, sondern um Verbesserungen auf dem harten Boden der Realität. Für diese Verbesserungen möchte ich gerne mit Ihnen zusammen arbeiten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Kornelia Möller ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Scholz, ich gratuliere Ihnen herzlich zur Berufung in dieses schöne Amt und hoffe, dass den wundervollen Worten, die wir gerade gehört haben, wirklich gute Taten folgen werden; denn die haben wir alle nötig. ({0}) Erinnern Sie sich eigentlich noch daran, was Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, den Menschen versprochen haben? ({1}) Der von Ihnen im November 2005 geschlossene Koalitionsvertrag hat den schönen Titel „Mit Mut und Menschlichkeit“. Mut und Menschlichkeit - das klingt heute für viele wie Hohn. Ja, es ist wahr, meine Damen und Herren Koalitionäre, Sie brauchen viel Mut, wenn Sie den Bürgerinnen und Bürgern Ihre Mär von einem Aufschwung erzählen. Denn dieser Aufschwung kommt bei den meisten Menschen in diesem Land nicht an. Von Menschlichkeit kann bei Ihrer Politik für Millionen von Menschen gar keine Rede sein: Sei es bei der ungenügenden Höhe des Regelsatzes, sei es bei der Weigerung, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen - ich habe jetzt wieder schöne Worte von der SPD gehört; schauen wir, was dabei herauskommt - oder beim Festhalten an und Verschärfen von Hartz IV. Die Folgen Ihrer Politik haben für die Menschen verheerende Auswirkungen. So ist in Neumarkt-Sankt Veit eine Frau verbrannt. Am 20. November dieses Jahres hieß es in der Münchner AZ: Hartz-IV-Empfängerin stirbt bei Großbrand, Kein Geld für Strom, Sie beleuchtete ihr Haus mit Kerzen. - Warum das Ganze? Wegen Stromschulden in Höhe von 600 Euro. Ein Mensch musste sterben, weil Hartz IV nicht zum Leben reicht. Das ist nicht nur ein Skandal, das ist einfach grauenhaft. Haben Sie schon einmal über die vielfach würdelosen Verhältnisse für die Betroffenen von Erwerbslosigkeit, Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung nachgedacht? Im Alltag bedeutet das: Mehrere Jobs zu Dumpingpreisen, die trotz alledem nicht zum Überleben reichen, oder als Leiharbeiterin oder Leiharbeiter ausgebeutet zu werden und rechtlos zu sein und dann zur Arge gehen und alle persönlichen Verhältnisse offenlegen zu müssen. Hartz IV, prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne zerstören gesellschaftliche und familiäre Beziehungen. Sie machen Menschen krank. Die Linke sagt: Das ist eine Schande für ein reiches Land wie die Bundesrepublik. ({2}) Wir könnten uns wirklich gute Arbeit leisten, wenn Sie, meine Damen und Herren, das auch wollten. Ich empfehle Ihnen in diesem Zusammenhang: Lesen Sie unser Manifest für gute Arbeit. Darin können Sie wichtige Anregungen finden. ({3}) Statt endlich aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, veranstalten Sie hier Rechenspiele auf dem Rücken erwerbsloser Menschen. Sie wollen die Bezugsdauer des ALG I für ältere Erwerbslose verlängern, was an sich ein guter Ansatz wäre, wenn Sie sich an unsere Vorgaben gehalten hätten. Aber bei Ihnen verkommt dieser gute Ansatz zur Sozialkosmetik. Sie gestalten die Kriterien für ältere Erwerbslose so, dass vermutlich nur sehr wenige Menschen im Westen und kaum Menschen im Osten in den Genuss dieser Verlängerung kommen. Vor dem, was Sie noch in dieses Paket geschnürt haben, warnen nicht nur der Sachverständigenrat und der DGB, vor Ihrem Paket graust es auch jeden halbwegs vernünftigen Menschen. Sie senken den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent, obgleich Fachleute Ihnen versichern, dass Sie die BA damit in die roten Zahlen führen. Dann schließen Sie auch noch einen Zuschuss des Bundes bis 2011 aus. Das bedeutet im Klartext: Steuergeschenke in Höhe von 3,8 Milliarden Euro an die Unternehmen - denn so viel bringt die Beitragssatzsenkung den Unternehmen - stehen nun einer Arbeitsmarktpolitik nach Kassenlage gegenüber. Die Erwerbslosen müssen die Zeche zahlen, wenn das Geld für sie und ihre arbeitsmarktpolitischen Bedürfnisse nicht mehr reicht. ({4}) Haben Sie eigentlich schon einmal etwas vom Fachkräftemangel in diesem Land gehört? Das scheint nicht der Fall zu sein. Denn sonst müssten auch Sie begreifen, dass das Geld für Aus- und Weiterbildung sowie für die Schaffung von öffentlich finanzierter Beschäftigung verwendet werden muss. Meine Fraktion, Die Linke, spricht sich nicht nur gegen die Beitragssatzsenkung aus, sondern sie hat Ihnen auch immer wieder aufzeigt, wo Geld für diese Gesellschaft und für die Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft nutzbringend eingesetzt werden muss. Ich verweise auf unseren Änderungsantrag zum Haushalt 2008. Die Linke fordert die Erhöhung der Regelsätze auf 435 Euro, die Beibehaltung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft mindestens in der Höhe von 2007, die Deckungsfähigkeit von passiven zu aktiven Leistungen, damit Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert werden kann, und die Streichung des Eingliederungsbeitrags der BA, damit das Geld für die aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung steht. ({5}) Wenn es Ihnen wirklich ernst ist mit Mut und Menschlichkeit und Sie den Haushalt 2008 entlasten wollen, dann schlage ich Ihnen vor, endlich in den von uns geforderten flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,44 Euro einzuwilligen. Vielen Menschen bliebe erspart, zu Hungerlöhnen zu arbeiten und daneben auch noch ergänzend ALG II beantragen zu müssen. Der Bund könnte rund 8,5 Milliarden Euro sparen; denn so viel kostet die Lohndrückerei der Unternehmen die Steuerzahler. Meine Kollegin Gesine Lötzsch hat Sie am Dienstag zu Recht als Lohndrückerkoalition bezeichnet. Denn Sie unterstützen mit Ihrer Weigerung, angemessene Lohnuntergrenzen festzulegen, die Gier vieler Unternehmer. Mut und Menschlichkeit - meine Damen und Herren der Koalition, handeln Sie endlich entsprechend! Ich danke Ihnen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir zunächst eine angenehme Aufgabe, namens der Unionsfraktion dem neuen Bundesarbeitsminister zu seiner Ernennung zu gratulieren. Ich darf Ihnen, Herr Bundesminister, sagen: Sie werden in der größten Fraktion dieses Hauses umso mehr Rückhalt haben, je mehr Sie die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft zur Richtschnur Ihrer Politik machen. ({0}) Ich möchte es nicht versäumen, auch dem bisherigen Bundesarbeitsminister von dieser Stelle aus im Namen der Unionsfraktion zu danken. Da jetzt auch der langgediente Staatssekretär Gerd Andres a. D. ist, ({1}) möchte ich ihn in diesen Dank einbeziehen. Er ist ein sehr erfahrener Politiker. Er hat es ohne Probleme geschafft, von der rot-grünen Koalition in unsere Koalition zu wechseln, ({2}) und er hat dabei eine gute Figur gemacht. Herzlichen Dank für das kollegiale Miteinander! Das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. ({3}) In den letzten zwei Jahren, also seitdem die Union an der Regierung ist, hat sich sehr vieles zum Positiven gewandelt; das ist schon gesagt worden. Ich möchte an die Situation der Rentenkasse erinnern. Als wir die Regierung übernommen haben, war dort Ebbe. Die Rücklage betrug nur noch 0,02 Monatsausgaben, und das Tafelsilber war verkauft. Jetzt beträgt die Rücklage immerhin schon wieder 0,7 Monatsausgaben, und wir streben 1,5 an. Wenn wir das erreicht haben, werden wir den Beitragssatz zur Rentenversicherung senken. Die Große Koalition hat mit ihrer Reformbereitschaft eine verlässliche Linie eingeschlagen. Wir haben verstanden, dass strukturelle Probleme durch strukturelle Veränderungen beseitigt werden müssen und nicht hinter einer Verbesserung der konjunkturellen Situation versteckt werden dürfen. Das haben wir erreicht. Das ist wichtig für unsere Verlässlichkeit. ({4}) Die gesetzliche Krankenversicherung erzielt in diesem Jahr Überschüsse. Die Arbeitslosenversicherung braucht mittlerweile keinen Zuschuss mehr. In den letzten Jahren war es üblich, dass wir in diese Versicherung jedes Jahr einen Zuschuss von 10 bis 20 Milliarden Euro hineinbuttern mussten. Auch hier haben wir nun einen Nullstand erreicht. Das ist sehr wichtig. Denn das hat zur Folge, dass es keine Zukunftsbelastungen durch neue Schulden und Zinsen mehr gibt. Damit sorgen wir für mehr Flexibilität. Insgesamt kann man also sagen: Die Lohnzusatzkosten sinken. Dies ist für unsere soziale Marktwirtschaft sehr wichtig. Es ist auch sehr wichtig, dass dadurch mehr Verlässlichkeit in die Politik einkehrt. Die Koalition schafft mehr Vertrauen in die Politik. Das gilt für die Bürgerinnen und Bürger, und das gilt insbesondere für die Unternehmen. Ein wichtiges Indiz ist die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen. Wie wir heute gehört haben, wird die Zahl der Arbeitslosen im Monat November nochmals leicht sinken. Das ist ein sehr gutes Zeichen, mit dem wir ins neue Jahr starten können. ({5}) Wir haben immer gesagt: Es ist eine große Leistung, dass die Zahl der Arbeitslosen in zwei Jahren um 1,1 Millionen gesunken ist. Ich habe allerdings manchmal das Gefühl, als würde ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen zu mehr Diskussionen über Armut führen. Das kann doch nicht wahr sein! Wenn 1 Million mehr Menschen in Arbeit gekommen sind, ({6}) dann ist die Arbeitslosigkeit gesunken, und, ob Sie das hören wollen oder nicht, dann ist die Relevanz des Themas Armut geringer. Diesen Zusammenhang können Sie nicht wegdiskutieren. ({7}) - Ich lebe wie Sie in Deutschland. Ich schreie bloß nicht so laut, und ich mache vor allem eines nicht: Ich verspreche den Menschen nicht irgendetwas Großartiges, das wir in diesem Land und mit diesem Haushalt im Augenblick nicht leisten können. ({8}) Wir müssen jetzt einmal an diejenigen denken, die das Ganze erwirtschaften: die 27 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen. ({9}) Gerichtet an die Adresse dieser linken Partei, der Nachfolgepartei der PDS, deren Vorgängerin die SED war, sage ich: ({10}) Eine Politik auf Pump führt in die Armut; das wäre das volkswirtschaftliche Ergebnis! Deswegen sind Ihre Vorschläge für die aktuelle Politik überhaupt nicht brauchbar. ({11}) Die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, und zwar nicht in Mikroschritten, sondern in einem Makroschritt, von immerhin 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent, also eine Senkung um die Hälfte, hätte man der Großen Koalition nicht zugetraut. Aber nur so kommt auch etwas im Geldbeutel des Einzelnen an. ({12}) - Sie hätten ihr das schon gar nicht zugetraut. Aber es ist gelungen, und ich darf in aller Bescheidenheit sagen: Dies trägt die Handschrift der Union in diesem Haushalt. ({13}) Meine Damen und Herren, immerhin sind es rund 400 Euro, die, wie wir vorhin gehört haben, beim Einzelnen in der Tasche bleiben. Es ist richtig - statt immer nur zu verwalten -, den Menschen selber entscheiden zu lassen. Das muss weitergeführt werden. ({14}) Wenn es neue Spielräume gibt, werden wir die Beiträge auch weiter senken, um den Menschen noch mehr Geld in den Taschen zu lassen. Darauf ist die Politik ausgerichtet. ({15}) Ein Zweites ist wichtig, dabei unterscheiden wir uns etwas von der FDP. Zwar können wir bei der Bundesagentur für Arbeit und beim Bundeshaushalt noch mehr sparen. ({16}) Das ist keine Frage. Aber es stellt sich die Frage, wie wir die Sockelarbeitslosigkeit aufknacken können und wie es uns gelingen kann, noch mehr Leute in Arbeit zu bringen. Es ist keine Lösung, die Zahl von 3,4 Millionen Arbeitslosen zu kultivieren, sodass jeder von diesen Menschen sehen muss, wo er bleibt, und auf der anderen Seite Leute aus dem Ausland zum Arbeiten ins Land zu holen. ({17}) Nein, meine Damen und Herren, die Potenziale in Deutschland müssen ausgeschöpft werden, und es muss auch Geld dafür eingesetzt werden, dass dies gelingt. ({18}) - Der Unterschied liegt darin, dass Sie vorhin gesagt haben, man müsse überall noch mehr sparen und die Programme einfach abschaffen. ({19}) - Dann ist das ja umso schöner. Dann stimmen Sie unserm Haushalt doch zu, und lehnen Sie ihn nicht ab! Das wäre doch die Konsequenz. ({20}) - Ich kann mich nicht auf einen Dialog mit Ihnen einlassen, sonst verschwende ich meine ganze Redezeit auf solche Diskussionen. Meine Damen und Herren, ich möchte noch deutlich machen - es ist sehr wichtig, das einmal zu sagen -, dass keine Regierung bisher so viele treffsichere Instrumente zur Bekämpfung der Sockelarbeitslosigkeit entwickelt hat, wie die große Koalition es in diesem Haushaltsplan getan hat. ({21}) - Ich kann Ihnen da eine ganze Reihe nennen, zum Beispiel die Initiative „50 plus“. ({22}) - Ja, das ist Ihre Meinung, aber nur, weil das bei Ihnen im Kopf vielleicht nicht funktioniert hat. ({23}) Die Initiative „50 plus“ hat immerhin dazu geführt, dass wir in zwei Jahren über 20 000 ältere Langzeitarbeitslose in den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln konnten. Davon wurden rund 81 Prozent in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und mehr als 57 Prozent in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse integriert. Noch Fragen dazu, lieber Herr Niebel? ({24}) - Wenn Sie noch mehr hören wollen, dann stehen Sie auf und stellen Sie mir Fragen. Dann beantworte ich sie gerne. Sonst geht mir zu viel Zeit dafür verloren. ({25}) - Bitte schön, Herr Niebel.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ganz so einfach geht das nicht. Bilaterale Vereinbarungen vor, während und nach den Plenardebatten sind in unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Ich lasse das jetzt ausnahmsweise einmal zu, weise aber darauf hin, dass wir daraus keine ständige Übung machen werden. Bitte schön, Herr Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Fuchtel, ich komme Ihrer Anregung gerne nach und stelle Ihnen die nächste Frage: Nennen Sie mir bitte ein weiteres von dieser Regierung entwickeltes arbeitsmarktpolitisches Instrument, das positiv gewirkt hat.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nenne Ihnen den Qualifizierungs-Kombi für Jüngere, womit wir auch gute Ergebnisse erzielt haben. ({0}) Ich nenne Ihnen den Beschäftigungszuschuss für Langzeitarbeitslose. Ich nenne Ihnen die Maßnahmen der Eingliederungshilfe, die dazu führen, dass vermehrt Leute von ALG II direkt in den ersten Arbeitsmarkt kommen. ({1}) Das hat immerhin eine Verschiebung von 51 000 Fällen ergeben; das ist ein sehr positives Beispiel. Damit beende ich die Aufzählung, weil ich weiß, dass auch die Redner nach mir ihre Redezeit benötigen. Ich möchte noch etwas zu einem Thema sagen, das in der Vergangenheit zu vielen Briefen an uns Abgeordnete geführt hat. Das ist die Deckelung der Eingliederungszuschüsse und Eingliederungshilfen, die im letzten Jahr galt. Dieses Jahr haben wir uns dafür entschieden, das in die Verantwortung der Beteiligten zu geben. Wir haben den gesamten Betrag - immerhin 6,4 Milliarden Euro - freigegeben, damit die Leute planen können. Ich sage den Beteiligten aber auch, dass sie mit diesem Geld auskommen müssen; auch das ist das erklärte Ziel dieser Koalition. Es ist ein großer Betrag, der hier zur Verfügung steht, um den Leuten zu helfen, aus Arbeitslosigkeit in Arbeit zu kommen. Es kann nämlich nicht darum gehen, die Leute in der Arbeitslosigkeit zu kultivieren, Subkulturen zu schaffen, Leute, die mit dem Geld irgendwie zurechtkommen. Die Aufgabe, die wir haben, ist vielmehr, zu erreichen, dass die Menschen eine Zukunft haben, dass sie eine Arbeit haben, in der sie Erfüllung finden und mit der sie am gesellschaftlichen Leben beteiligt sind. Darauf ist unsere Politik ausgerichtet. Auf zwei Themen möchte ich abschließend hinweisen. Erstens. Für die Unionsfraktion ist noch ganz wichtig, Herr Bundesarbeitsminister, dass wir bei der Mitarbeiterbeteiligung weiterkommen. Dieses Ei muss die Große Koalition noch legen. Es wird von immenser Bedeutung dafür sein, dass es gelingt, mehr Menschen an der Vermögensentwicklung und an unternehmerischen Entwicklungen in Deutschland verstärkt zu beteiligen. Das muss der Sinn einer freiheitlichen Gesellschaft sein: den Einzelnen an diesen Entwicklungen teilhaben zu lassen. ({2}) Zweitens, der Privathaushalt als Arbeitgeber. Das haben Sie erfreulicherweise auch angesprochen. Insoweit hoffen wir, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, die ein großer Wurf wird. Hier sind nämlich Potenziale vorhanden, die wir im Interesse aller Beteiligten schöpfen können und schöpfen müssen. Dieses Ziel müssen wir erreichen. So werden viele Leute, die anders nicht in den ersten Arbeitsmarkt kommen, eine sinnvolle Arbeit aufnehmen können. Auf diese Weise können wir unsere familienpolitischen Konzeptionen ergänzen. In diesem Zusammenhang muss man das Ganze sehen; deshalb lohnt sich das mit Sicherheit. Damit sind die wesentlichen Punkte umschrieben. Ich kann Ihnen zusichern, dass sich der Haushaltsausschuss mit diesen Fragen des Sozialen intensiv befasst hat, und will allen danken, die uns zugearbeitet haben. Es war manchmal nicht ganz stressfrei; aber wir haben ein gutes Ergebnis erzielt, mit dem wir in die Zukunft schauen können. Danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Dagmar Enkelmann das Wort. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Fuchtel, in der Bundesrepublik ist inzwischen über 1 Billion Euro an Schulden angehäuft worden. 15 Prozent der Gesamtausgaben dieses Haushaltes, den wir gerade beraten, gehen allein für Zinsen drauf, mit steigender Tendenz. Wer lebt hier eigentlich auf Pump, wer lebt hier eigentlich auf Kosten der künftigen Generationen? Ein Zweites. Altersarmut ist eine Tatsache. Eine Tatsache ist auch, dass in diesem reichen Land 2,6 Millionen Kinder in Armut leben. Es ist eine Schande, dass diese Regierung nichts dagegen tut, und es ist eine Schande, dass Sie in Ihrer Rede diese Tatsachen ignorieren. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Herr Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bekomme von meinen Kollegen gerade viele Vorschläge, was ich antworten sollte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die meisten können Sie wegen der begrenzten Zeit nicht aufgreifen.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Allein dass ganze 2 Prozent der Rentner in Deutschland von der Grundsicherung Gebrauch machen müssen, sollte doch zeigen, dass man die Probleme - die sicherlich vorhanden sind - nicht dramatisieren sollte. Man muss das Gesamte sehen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erhält die Kollegin Anja Hajduk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Arbeitsminister Olaf Scholz, es freut mich, dass Sie gesagt haben, Sie könnten nahtlos - ich unterstelle einmal, dass Sie das auch wollen - an die Arbeit Ihres Vorgängers Franz Müntefering anknüpfen. Ich kann Ihnen sagen: Wir von den Grünen wünschen uns, dass Sie auch ebenso kraftvoll dagegenstehen, wenn die Große Koalition anfängt, Unsinn zu machen oder die Reformen wieder zurückzudrehen. Uns hat an Franz Müntefering imponiert, wie er gegen die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I eingetreten ist. ({0}) Wenn Sie diese Widerständigkeit und Kraft aufbringen, dann werden Sie auch von uns ab und zu einmal gelobt werden. ({1}) Außerdem möchte ich bemerken, dass in dieser Haushaltswoche auffällt, dass der Großen Koalition die analytische Kraft fehlt, einzuschätzen, warum es dem Haushalt und dem Arbeitsmarkt besser geht. Man lobt sich immer für die guten Zahlen; die Politik sei zwar vielleicht nicht allein, aber auch dafür verantwortlich. Es ist offenkundig, dass aufgrund der guten Konjunktur unglaublich hohe Steuermittel fließen und der Arbeitsmarkt belebt wird und dass es deswegen, lieber HansJoachim Fuchtel, den Rentenkassen besser geht. ({2}) Strukturell haben Sie den Haushalt und auch die Sozialversicherungen eher belastet. Das will ich Ihnen jetzt einmal erklären. Deswegen: Bringen Sie einmal mehr Selbstkritik auf und sonnen Sie sich nicht immer nur in der Konjunktur. Weder mit Blick auf den Haushalt noch mit Blick auf den Arbeitsmarkt haben Sie eine vorbeugende Politik zustande gebracht. Das will ich Ihnen jetzt auch einmal begründen. ({3}) Sie machen Folgendes: Sie verschieben wiederholt - das gilt gerade auch hinsichtlich der Bundesagentur für Arbeit - Milliarden an Kosten in die Sozialversicherungen, um den Haushalt zu entlasten. ({4}) Das haben Sie bei der Rente getan - da waren es 2 Milliarden Euro -, und das machen Sie jetzt beim Arbeitsmarkt - vom Haushalt des Bundesarbeitsministers in die Bundesagentur für Arbeit - in einer noch größeren Dimension. Zum Beispiel die jüngste Änderung beim Arbeitslosengeld I. In der jetzigen guten konjunkturellen Lage kalkulieren Sie hier mit Kosten von 1 Milliarde Euro. Jeder weiß: Wenn die Konjunktur wieder etwas schwächer wird, betragen die Kosten bis zu 3 Milliarden Euro. ({5}) - Diese Zahlen wurden von der BA und nicht von uns allein gerechnet. - Das wissen Sie auch. Wenn Sie behaupten, dass Sie das sauber gegenfinanziert haben, weil Sie für diese passive Leistung die Integrationsmittel in ähnlicher Höhe kürzen, dann kann ich die Sozialdemokraten nur fragen: Wo sind Sie eigentlich gelandet? Wollen Sie wieder passive Mittel ausgeben, statt in die aktive Förderung und Aktivierung zu investieren? Das, was Sie da entschieden haben, ist doch arbeitsmarktpolitischer Unsinn. Herr Minister, ich bedauere es sehr, dass Sie darauf so positiv Bezug genommen haben. ({6}) Wir können aber noch weitergehen: Als Sie diesen Kompromiss hinsichtlich des Arbeitslosengeldes I geschmiedet haben, haben Sie entschieden, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent zu senken. Ich finde es peinlich, dass die SPD, die das nicht wollte, das hier heute feiert. Das ist nicht glaubwürdig. Sie wissen, dass die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf vielleicht 3,5 bis 3,7 Prozent solide finanziert wäre. Die 3,3 Prozent waren sozusagen ein Geschenk an die CDU/CSU. ({7}) Der Sachverständigenrat hat Ihnen erklärt, dass das nicht nachhaltig ist. Das bringt die Bundesagentur für Arbeit bei der nächsten konjunkturellen Delle in den Zugzwang, im Abschwung die Beiträge erhöhen zu müssen. Das ist wirtschaftlich eine falsche Politik. Wie gesagt: Der Sachverständigenrat hat Ihnen das auch klipp und klar gesagt. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Hajduk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß?

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hajduk, Sie haben soeben in Ihrer Rede versucht, den Eindruck zu vermitteln, dass die von der Großen Koalition beschlossene Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere und langjährig versicherte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zulasten der Eingliederungstitel, also der Mittel ginge, die für die Aktivierung von Arbeitslosen zur Verfügung stehen. ({0}) - Nein. Laut dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit sind für Eingliederungsmaßnahmen in diesem Jahr rund 2,7 Milliarden Euro verausgabt worden und stehen im nächsten Jahr 3,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Also trifft doch eher das Gegenteil dessen zu, was Sie vorgetragen haben. Wir verlängern das Arbeitslosengeld I und stellen gleichzeitig mehr Mittel zur Verfügung, um Arbeitslose durch aktivierende Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik wieder in Arbeit zu bringen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege, dass Sie im letzten Jahr und vielleicht auch in diesem Jahr zu wenig Mittel für die Integration in Arbeit verausgabt haben, ist leider wahr. ({0}) Das macht die Zahlen aber nicht besser. Allerdings müssen Sie in Verbindung mit dem Ziel, das Sie sich setzen, die Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr in den Stand zu versetzen, das Arbeitslosengeld I zu bezahlen, diese Finanzierungssumme von den Integrationsmitteln abziehen. - Das entspricht der Antwort des ehemaligen Bundesarbeitsministers Müntefering im Haushaltsausschuss. Es tut mir leid; so ist aber die Faktenlage. ({1}) Ich setze jetzt meine Ausführungen zum Punkt „Bundesagentur für Arbeit“ fort. Insgesamt belasten Sie die Bundesagentur für Arbeit im nächsten Jahr netto mit 10,8 Milliarden Euro. Das ist ungefähr ein Viertel des Haushalts der BA. Deswegen sage ich Ihnen: Das ist eine riskante Wette auf die Konjunktur. Wie ich schon deutlich gemacht habe, steht die Befürchtung an, dass Sie ihre Beitragssätze im Abschwung wieder erhöhen müssen. Für die Grünen erkläre ich ganz eindeutig: Das Senken von Lohnnebenkosten fanden und finden wir richtig. Jetzt ist es aber an der Zeit, den Schwerpunkt insbesondere dort zu setzen, wo die Probleme am größten sind, nämlich im Niedriglohnsektor, um die Langzeitarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Deswegen schlagen wir vor, dann, wenn man schon milliardenschwere Mittel in die Hand nimmt, diese in einem sogenannten Progressivmodell für den Niedriglohnbereich einzusetzen, sodass die Sozialversicherungsbeiträge bei Einkünften bis zu 2 000 Euro erst langsam und stufenlos steigen. Das macht Sinn. So etwas wäre eine intelligente Politik. Dazu haben Sie aber leider nicht die Kraft. ({2}) Nun komme ich zu der von Herrn Weise im Ausschuss vorgestellten Kalkulation zu der Frage: Gehen diese widersprüchlichen Entscheidungen der Großen Koalition eigentlich für die Bundesagentur für Arbeit gut aus? - Es ist deutlich geworden, dass es ein Problem ist, weil er im nächsten Jahr natürlich ein Defizit hinnehmen muss. Aber er hat ja hohe Rücklagen. Herr Weise und auch der ehemalige Bundesarbeitsminister haben deutlich gemacht, dass die Beschlüsse der Großen Koalition dazu führen, dass die finanzielle Ausstattung der Bundesagentur für Arbeit für die gesamte Finanzplanperiode auf Kante genäht ist; sie habe zwar Rücklagen gebildet, aber bei großen Ausschlägen werde es riskant. Dabei ist eines aber noch gar nicht berücksichtigt. Sie planen ja, im nächsten Jahr einen Erwerbstätigenzuschuss für Empfänger von geringen Löhnen einzuführen, der aus Sozialversicherungsbeiträgen finanziert werden soll. Das soll auch ein milliardenschweres Paket werden. Insgesamt geht das doch gar nicht mehr auf. Deswegen sage ich Ihnen: Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie überstrapazieren die Bundesagentur für Arbeit. Vor allen Dingen aber hängen Sie einer falschen Idee nach. Wir haben mit Blick auf die vielen Menschen, die ihr zu geringes Einkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, schon quasi einen Kombilohn mit Steuermitteln. Wenn Sie jetzt den Erwerbstätigenzuschuss einführen - so wünschenswert es ist, dass die Menschen nicht Transferleistungen beziehen müssen -, macht es doch keinen Sinn, diesen zweiten Kombilohn mit Sozialversicherungsbeiträgen einzurichten. ({3}) Dass Sie zu diesen Kombilöhnen mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen greifen müssen, liegt nur daran, dass Sie eine entscheidende Blockade in der Großen Koalition nicht aufbrechen können und nicht eine wirklich neue Reform schaffen, die da heißen soll: statt milliardenschwerer Lohnsubventionen endlich einmal ein Mindestlohn. Dieser Aufgabe wollen Sie sich ja stellen, Herr Scholz. Aber dass Sie dieses Ziel nicht erreichen, kostet die Steuerzahler - das sind auch Zahlen aus Ihrem Hause - mindestens 1,5 Milliarden Euro. Deswegen möchte ich aus einem ordnungspolitischen Verständnis heraus zum Thema Mindestlohn auch in Richtung von FDP und CDU/CSU, die da ja mehr als skeptisch sind, fragen: Was ist denn daran richtig, dass der Staat jemandem, der voll arbeiten geht, den Lohn so aufstockt, damit er das Existenzminimum erreicht? ({4}) Da müssen Sie sich doch einmal bewegen! Das kann doch keine Frage der Ideologie sein. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf viele Nachbarländer, insbesondere auf die angelsächsischen, die sicherlich nicht berühmt dafür sind, einen ausufernden Sozialstaat zu haben oder zu starke staatliche Regulierungen vorzunehmen. ({5}) Herr Westerwelle hat in seiner gestrigen Rede hier gesagt, er wolle keinen Wettlauf der politischen Parteien um die richtige Höhe des Mindestlohns. Damit hat er sicherlich recht. Aber das will auch niemand. Vorgeschlagen ist, eine unabhängige Kommission mit Arbeitnehmervertretern, Arbeitgebervertretern und anderen Experten einzurichten. Diese sollen sich auf einen Mindestlohn einigen, der dann gesetzlich verankert wird. Ich kann Sie von der Union nur auffordern: Zeigen Sie sich an dieser Stelle beweglicher! Dann erzielt die Große Koalition vielleicht einen Erfolg. Das muss die Grünen nicht unbedingt scheren. Wenn es aber der Gesellschaft nutzt, dann ist das ein richtiges und wichtiges Ziel. Dafür würden wir Ihnen sogar Beifall zollen. ({6}) Ein gesetzlicher Mindestlohn sorgt nicht nur für mehr Gerechtigkeit, sondern auch für eine deutliche Entlastung im Bundeshaushalt; denn es gibt schon 1 Million Menschen, die Arbeitslosengeld II als aufstockende Hilfe benötigen, obwohl sie arbeiten. Die Hälfte davon sind Menschen, die Vollzeit arbeiten. Daran sieht man schon, wie notwendig es ist, dass wir hier vorankommen. Das würde, wie gesagt, auch den Bundeshaushalt um einen Milliardenbetrag entlasten. ({7}) In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen anderen wichtigen Punkt hinweisen. Ich bin überzeugt: Es ist richtig, dass wir uns der Aufgabe stellen, die Hartz-IVRegelsätze zu erhöhen. ({8}) Wir sind zu Beginn dieser Woche für unseren Parteitagsbeschluss sehr gescholten worden. Es ist in der Tat manchmal schwierig, Parteitagsbeschlüsse zu verstehen. ({9}) - Dass gerade die Sozialdemokraten am lautesten lachen, zeigt die Irritation. - Lesen Sie doch einmal den Artikel „Weniger Armut ist möglich“ von Franz Müntefering in der Frankfurter Rundschau vom 20. September! Ich kann fast sagen: Das ist die Grundlage, auf der man die Beschlüsse der Grünen am besten verstehen kann. In diesem Artikel macht Herr Müntefering ganz deutlich, dass fehlende Bildungschancen und fehlende Infrastruktur Kinder am meisten gefährden. Von den 60 Milliarden Euro für das auf mehrere Jahre angelegte Programm für Bund, Länder und Gemeinden müssten mindestens 35 Milliarden Euro in die Verbesserung der von Herrn Müntefering angesprochenen Bereiche fließen. Ich erwarte, dass die Sozialdemokraten hier mitmachen. Sie wissen, dass das Ihre Aufgabe wäre. ({10}) Zweitens. Herr Poß, der hier - wahrscheinlich aus Ahnungslosigkeit - so geschimpft hat, sollte sich einmal klarmachen, dass die Erhöhung der Regelsätze nicht nur eine Angelegenheit der Linken - sie haben sich schon lange klar positioniert - und der Grünen ist, sondern dass darüber mindestens seit August in der Großen Koalition diskutiert wird. Herr Seehofer hat bereits im Sommer darauf hingewiesen, dass die Regelsätze angepasst werden müssen, wenn es die Inflation notwendig macht. Herr Althaus fordert ebenfalls einen regelmäßigen Inflationsausgleich, genauso wie Herr Stoiber. Auch Herr Pofalla hat sich noch am 11. August offen gezeigt und gesagt, dass man bereit sei, die Regelsätze zu erhöhen, wenn entsprechende Erkenntnisse vorlägen. ({11}) Für uns war es daher eine Enttäuschung, dass Sie quasi nur auf der Verfahrensebene gesagt haben: Wir sind dabei, das zu überprüfen, und wollen die Einkommens- und Verbraucherstichprobe im nächsten Jahr abwarten. Erst dann können wir aufgrund neuer Erkenntnisse über eine Anpassung der Regelsätze entscheiden, die wahrscheinlich ab 2010 greift. - Wenn Sie dies bis 2010 auf die lange Bank schieben, ist das unsozial. ({12}) Das sage ich nicht nur mit Blick darauf, dass wir Grüne mit einer Erhöhung auf 420 Euro wahrscheinlich, was die Zahl angeht, völlig richtig liegen. Wir haben uns an den Erkenntnissen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes orientiert. Ich sage Ihnen: Ein reiner Inflationsausgleich auf der Basis des Jahres 2003 macht schon heute einen Regelsatz von 380 Euro erforderlich. Dass Sie hier gar nichts tun, ist ein Armutszeugnis. Dass Sie leugnen, dass das wichtig ist, ist unehrlich. Wir Grüne schlagen einen Dreiklang für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik vor. Staatliche Leistungen sollen nachrangig sein. Dafür ist ein Mindestlohn notwendig. Ein Progressivmodell für die Sozialversicherung und eine Erhöhung der Regelsätze sind ebenfalls sinnvoll. Ich hoffe, dass Sie diesen Ideen irgendwann nähertreten und mit einer Sache nächste Woche Schluss machen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich komme wirklich zum Schluss. Ich danke Ihnen für Ihre Rücksichtnahme. ({0}) Die Zwangsverrentung von Langzeitarbeitslosen muss nächste Woche vom Tisch, sonst machen Sie nicht nur den nächsten arbeitsmarktpolitischen Unsinn, sondern Sie begehen auch die nächste sozialpolitische Ungerechtigkeit. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erlaube mir für die nachfolgenden Redner die kleine Anregung, dass das, was man auf jeden Fall sagen wollte, besser nicht für den Schluss, sondern gleich für den Anfang vorgesehen wird. Dann kann es nämlich sicher vorgetragen werden. ({0}) Nun hat die Kollegin Nahles für die SPD-Fraktion das Wort. ({1})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dann fange ich direkt einmal damit an: Ich erlaube mir, auch im Namen meiner Fraktion, dem neuen Arbeitsminister eine gute Zusammenarbeit anzubieten. Im Gegensatz zu den Vorrednern sind wir uns sicher, dass Olaf Scholz auf der Basis der sozialen Marktwirtschaft für mehr sozialdemokratische Politik und vor allem soziale Gerechtigkeit kämpft. ({0}) Wir loben auch aktive SPD-Minister, nicht nur nicht aktive SPD-Minister. Das sage ich an die Adresse der Grünenfraktion. ({1}) Auf gute Zusammenarbeit und viel Erfolg! Das wünsche ich gerade deswegen, weil das Thema, das wir hier behandeln, ein Kernthema für viele Menschen in diesem Land ist. Wenn wir bei diesem Thema erfolgreich sind, dann ist das positiv für eine ganze Reihe von Menschen im Land. Die gute Finanzsituation ist für die Opposition natürlich ein hartes Brot. Die BA hatte im letzten Jahr Überschüsse in Höhe von 11,2 Milliarden Euro, dieses Jahr werden es 6,5 Milliarden Euro sein. ({2}) Wir haben den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent senken können. Die Aufwendungen für das Arbeitslosengeld II vermindern sich um 3,7 Milliarden Euro. Frau Hajduk, ich kann Ihnen nur sagen: Es ist einfach falsch, zu behaupten, dass die Handlungsspielräume beim Eingliederungstitel geringer geworden sind. Denn wir haben 6,5 Milliarden Euro ohne Sperrvermerk im Eingliederungstitel, und zwar für weniger Betroffene, um das einmal sehr deutlich zu sagen. Somit können wir im Rahmen der aktiven Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik sehr viel mehr auf den Weg bringen. ({3}) Das haben Sie unterschlagen. Es ist schlicht und ergreifend so, dass zur guten Finanzlage hinzukommt - deswegen versucht die Opposition den ganzen Vormittag, ein Haar in der Suppe zu finden -, ({4}) dass wir bei der Vermittlung erfolgreich waren. Wir haben tatsächlich 600 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr. Wir haben 268 000 Langzeitarbeitslose weniger. ({5}) Das sind klare Erfolge unserer Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik. ({6}) Ja, das hat auch mit der guten Konjunktur zu tun. Wer ist für die gute Konjunktur denn verantwortlich? Daran haben wir unseren Anteil. Den beanspruche ich ganz selbstbewusst. ({7}) Darüber hinaus nehmen wir uns vor, weiter daran zu arbeiten. Wir werden in diesem Haushalt Programme wie die Initiative „50 plus“ um drei Jahre verlängern. Wir werden die „Job-Perspektive“ weiter finanzieren, die ab 1. Oktober dieses Jahres für 100 000 schwer verAndrea Nahles mittelbare Langzeitarbeitslose eine echte Perspektive darstellt. Wir werden mit einem Kommunal-Kombi in Regionen mit einem hohen Prozentsatz von Langzeitarbeitslosen - das betrifft weiß Gott nicht nur Regionen in Ostdeutschland - kommunale Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zur Verfügung stellen. ({8}) Wir haben aus meiner Sicht noch eine Anstrengung bei der Ausbildung und bei der Beschäftigung von jugendlichen Arbeitslosen zu unternehmen. Wir haben eine Verdoppelung der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze auf 93 000 Plätze erreicht. Dafür tragen wir die Verantwortung. Die Lage wird aber nur dann gut, wenn die Unternehmer in diesem Land beim Übernehmen von Verantwortung Schritt halten. ({9}) Wir müssen leider feststellen, dass wir bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen einen Tiefststand haben. Mittlerweile bilden nur noch 21 Prozent der Betriebe in Deutschland überhaupt aus. Das kann und darf nicht so bleiben. ({10}) Wir werden uns deshalb im nächsten Jahr auf einen Bonus für Ausbildung verständigen, um Betrieben, die über ihren eigenen Bedarf hinaus ausbilden, eine starke Unterstützung zu geben, weil die Jugendlichen mit einem betrieblichen Ausbildungsplatz mehr anfangen können als mit allem, was der Staat leisten kann. ({11}) In diesem Sinne lautet mein Appell an die Unternehmen: Der Ausbildungspakt ist schön und gut, aber man kann sich nicht darauf ausruhen. ({12}) Darüber hinaus ist es aus unserer Sicht wichtig, im nächsten Jahr auch die Weiterbildungsanstrengungen zu erhöhen. Die Tendenz zur Weiterbildung ist leider sinkend. Insgesamt nur 6 Prozent der Geringqualifizierten bekommen überhaupt ein Weiterbildungsangebot. Auch hier ist eine gemeinsame Anstrengung nötig. ({13}) Wir wollen gute Arbeit unterstützen. Sie haben es gehört: Bei dem Mindestlohn für Postbedienstete gibt es Bewegung, die vor allem aufseiten der Tarifpartner zu beobachten ist. Es braucht aber auch eine klare politische Unterstützung dieser tariflichen Vereinbarungen. Die 200 000 Postbotinnen und Postboten in Deutschland machen jeden Tag bei Wind und Wetter einen guten Job. Für diesen guten Job verdienen sie auch einen guten Lohn. Deswegen setzen wir uns ganz klar für einen Mindestlohn in der Postdienstleistungsbranche ein. ({14}) Ich will hinzufügen, dass aus meiner Sicht auch bei der Zwangsverrentung die Empörungswellen wieder langsam abebben können. Wir werden Ihnen dazu eine Regelung vorlegen. ({15}) Ich bin ganz sicher, dass Sie mit uns an dieser Stelle ein bisschen zufrieden sein werden. ({16}) Eine letzte Bemerkung von meiner Seite. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir uns hier ganz eindeutig dazu äußern und den Leuten - auch was diese Frage angeht - signalisieren: Jeder, der arbeiten will, muss, auch wenn er älter ist, von unserer Seite aus alle Möglichkeiten der Aktivierung und Integration in den Arbeitsmarkt erhalten. Die Rente kann wirklich nur die zweitbeste Lösung sein; das ist uns wohl bewusst. Deshalb wird es hier eine Lösung geben. Vielen Dank. ({17})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir mit Andrea und Olaf heute Morgen hier sozusagen das A und O des demokratischen Sozialismus erleben durften, ({0}) haben wir eine Idee von der Richtung bekommen, in die die SPD die Koalition ziehen möchte, nämlich hin zu mehr Staat, mehr Intervention, weniger Wettbewerb, mehr sozialen Wohltaten. Herr Minister Scholz, das stimmt mich sehr besorgt. ({1}) Das Wichtige soll man am Anfang bringen. Deshalb möchte ich es nicht versäumen, Ihnen viel Erfolg für Ihr neues Amt zu wünschen. Es ist ein wichtiges Amt. Sie tragen die Verantwortung für den mit 124 Milliarden Euro größten Einzelplan des Bundeshaushalts. Daher kommt es schon darauf an, dass die Dinge in die richtige Richtung bewegt werden. Zunächst einmal möchte ich jedoch etwas feststellen - dafür können Sie noch nichts -: Der Einzelplan 11 ist trotz der immer wieder betonten Erfolge am Arbeitsmarkt - auch die Vertreter der Großen Koalition haben dies regelmäßig gesagt -, was die Finanzierung der Langzeitarbeitslosigkeit anbelangt, praktisch unverändert. Es werden weiterhin 42,6 Milliarden Euro bereitgestellt, obwohl die Langzeitarbeitslosigkeit um 10 Prozent - um 268 000 Betroffene - zurückge13646 gangen ist. Eine Erklärung dafür ist sicher, dass ein sehr ineffizientes arbeitsmarktpolitisches Instrumentarium auch für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser genutzt wird. Sie sehen: Ein Handeln der Koalition ist hier mehr als überfällig. Seit zwei Jahren warten wir auf Ihre Vorschläge. Herr Minister Scholz, Sie haben zu unserem großen Erstaunen gesagt, dass jetzt alles sehr schnell gehen werde; das sei in wenigen Wochen auf dem Tisch. Ich frage mich: Warum so plötzlich? Wer hat eigentlich die ganze Zeit die Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen blockiert? Wie auch immer: Es ist höchste Zeit, dass hier etwas passiert. Beitragsgelder dürfen nicht weiter verschleudert werden. ({2}) Herr Minister Scholz, Sie haben in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom gestrigen Tage auf die Frage, was Ihre ersten Vorhaben im neuen Amt seien, geantwortet: Wir müssen zu einer Lösung beim Post-Mindestlohn kommen. Das war einer der sechs Punkte, die Sie heute hier vorgestellt haben. Einige Sätze später haben Sie hinzugefügt: … was man politisch fordert, sollte man in dem Glauben fordern, dass es zu einer Verbesserung führt. Der Minister hat gerade leider nicht die Zeit, zuzuhören; man möge es ihm berichten. ({3}) Herr Minister Scholz, unabhängig von der Frage, ob der Postmindestlohn wirklich das drängendste sozialpolitische Problem dieses Landes ist, möchte ich Sie bösgläubig machen und auf Folgendes hinweisen: Die Einführung von Mindestlöhnen ist, volkswirtschaftlich gesehen, ein ähnlich kapitaler Fehler wie die Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich vor etwas mehr als 20 Jahren. ({4}) Wir erinnern uns: Die damaligen Rationalisierungen in den Betrieben haben dazu geführt, dass viele Arbeitsplätze für einfache Beschäftigungen dauerhaft weggefallen sind und die Sockelarbeitslosigkeit angestiegen ist. Herr Minister, ich sage Ihnen voraus: Auch die Einführung von Mindestlöhnen wird den betroffenen Menschen nicht helfen, sondern dazu führen, dass ganze Arbeitnehmergruppen - nämlich die Arbeitnehmer mit geringerer Qualifikation oder Leistungsfähigkeit - auf Dauer aus dem ersten Arbeitsmarkt herausgedrängt werden. ({5}) Speziell für den Bereich der Postdienstleistungen gilt, dass der Mindestlohn zu weniger Wettbewerb und - die Anhörung im federführenden Ausschuss hat das gezeigt zu einem Wegfall von mindestens 20 000 Arbeitsplätzen führt. Herr Minister Scholz, wenn Sie es mir nicht glauben, dann hören Sie, was der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Gutachten in unmissverständlicher Deutlichkeit dazu gesagt hat - Zitat -: Besonders eklatant sticht die Absicht ins Auge, mit einem Mindestlohn die Deutsche Post AG und ihre Töchter von lästigem Konkurrenzdruck zu befreien. ... Letztlich soll damit das Anfang 2008 entfallende Briefmonopol der Deutschen Post AG durch die Hintertür wieder eingeführt werden … Daher rät der Sachverständigenrat dringend davon ab, die Pläne zur Einführung dieses Mindestlohns weiter zu verfolgen. Angesichts dessen habe ich - das muss ich auch an die Adresse der Kollegen von der Union sagen - kein Verständnis dafür, dass die Bundeskanzlerin gestern an diesem Pult erklärt hat: Bei der Post sehe ich nach wie vor Möglichkeiten, zu einer Einigung zu kommen. ({6}) Wir hatten wirklich gehofft, dass dieser Spuk nach der Koalitionsrunde am letzten Montag ein Ende findet. Bundeskanzlerin Merkel hat aber gestern auch gesagt: Dafür gibt es für uns in dieser Bundesregierung einen zentralen Maßstab: Wir beschließen Maßnahmen, mit denen weitere Arbeitsplätze geschaffen werden, und unterlassen alles, was Arbeitsplätze gefährdet. Wenn das ernst gemeint war - das will ich hier klipp und klar sagen -, dann darf der Mindestlohn bei den Postdienstleistungen nicht kommen. ({7}) Der Mindestlohn führt ohnehin nur im Ministerium selbst zu mehr Arbeitsplätzen: Insgesamt zehn Planstellen werden für den Bereich Arbeitnehmer-Entsendegesetz/Mindestarbeitsbedingungengesetz neu ausgewiesen. So weit zu Theorie und Praxis. Zur Rente. Ich beurteile die Entwicklung der Rentenfinanzen zurückhaltender, als es der Rentenversicherungsbericht tut. Trotz sprudelnder Beitragsquellen beträgt der Überschuss in diesem Jahr gerade einmal 1,2 Milliarden Euro. Wir lesen und staunen, dass sich die Überschüsse in der Zukunft prächtig entwickeln werden; je weiter der Zeitpunkt in der Zukunft liegt, desto günstiger - das kennen wir schon - sind die Prognosen. Das soll jetzt aber nicht mein Punkt sein. Ich will für meine Fraktion sehr deutlich sagen: Wir tragen den Aufbau einer Nachhaltigkeitsrücklage mit, die der Rentenversicherung wieder eine größere Unabhängigkeit verschafft. Da allerdings in der Koalition schon wieder Vorschläge laut werden, welche Wohltaten man mit dem vielen Geld in der Kasse finanzieren könnte - Stichwörter: Erleichterung des Zugangs zu EM-Renten, Aufwertung der Beitragszahlungen von über 60-Jährigen -, sage ich deutlich: Beitragssenkung geht vor Leistungsausweitung. Wenn es Spielräume in der Rentenkasse gibt, dann sollten wir die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, auch schon vor 2011 eine Beitragssenkung zu ermöglichen und die Beitragszahler in der Rentenversicherung von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren zu lassen. ({8}) Ich beurteile es sehr skeptisch, dass der Sozialbeirat jetzt fordert, man möge Selbstständige in die Rentenversicherung einbeziehen. Das würde nämlich kurzfristig die Überschüsse weiter steigern und zu noch mehr Begehrlichkeiten führen. Das kann nicht die Leitlinie sein. Nein, Herr Minister Scholz, Sie sollten wirklich das tun - das muss erste Priorität haben -, was den konjunkturellen Aufschwung verstetigt und Rückenwind für die Schaffung neuer Arbeitsplätze bringt. Wir brauchen keine zusätzlichen sozialen Wohltaten, sondern eine Absenkung von Beschäftigungsschwellen am Arbeitsmarkt. Nur so werden wir weiter vorankommen. Hierfür - aber auch wirklich nur hierfür - wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Ilse Falk. ({0})

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich sage auch meinerseits von dieser Stelle aus einen herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen Amt. Herzlich willkommen an Bord! Die Rede, die Sie eben gehalten haben, ist eine gute Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Mit dem Einzelplan 11, Bundesarbeitsministerium, steht der Haushalt in zweiter Lesung zur Debatte, der mit 129,5 Milliarden Euro nicht nur der größte ist, sondern auch derjenige, der besonders viele Menschen betrifft. Zugleich handelt es sich um den Haushalt, an dem besonders deutlich wird, dass sich Reformen auszahlen. Wenn dann auch noch Wachstum und Aufschwung die Konjunktur beflügeln, können wir mit Recht eine gute Zwischenbilanz ziehen. ({0}) Sie können sich vorstellen, dass dabei immer wieder die guten Arbeitsmarktzahlen im Vordergrund stehen. Ich will sie hier gar nicht in allen Einzelheiten wiederholen - sie sind in den letzten beiden Tagen schon oft genug genannt worden -; trotzdem muss immer wieder deutlich gemacht werden, wie wichtig und erfreulich es ist, dass zum Beispiel Jugendliche unter 25 Jahren, ältere Arbeitslose über 55 Jahre und viele Langzeitarbeitslose wieder den Weg in Arbeit gefunden haben. Dies macht besonders Hoffnung. ({1}) Diese Zahlen sind natürlich auch das Ergebnis erfolgreicher Vermittlungstätigkeit der Jobcenter. Die Zahl der Erwerbstätigen ist ebenfalls deutlich gestiegen. Auch dies bedeutet Hoffnung für die Zukunft. Die vielen offenen Stellen geben denen Aussicht auf Arbeit, die bis jetzt noch keinen Arbeitsplatz gefunden haben. Jetzt gilt es, Kurs zu halten, damit noch viel mehr Menschen in unserem Land eine Chance auf Beschäftigung haben. Denn auch 3,36 Millionen Arbeitslose - das ist die Zahl, die gerade eben veröffentlicht worden ist sind immer noch 3,36 Millionen Arbeitslose zu viel. Eines darf man nicht vergessen: Hohe Arbeitslosigkeit gefährdet das System der solidarischen Versicherung, wie wir in den vergangenen Jahren leidvoll erfahren mussten. Beiträge und damit die Lohnzusatzkosten steigen, Leistungen sinken, Menschen weichen in Schwarzarbeit und unsichere Beschäftigungsverhältnisse aus, was natürlich auch auf deren Versicherungsansprüche Auswirkungen hat. Sinkende Arbeitslosigkeit und steigende sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bedeuten mehr Geld in den Sozialkassen und damit mehr Sicherheit, mehr Leistungen und mehr Solidarität mit denjenigen, die unserer Hilfe bedürfen, weil sie sich nicht selber helfen können. Also profitieren auch sie von mehr Beschäftigung. Ein ganz wichtiger Punkt ist deshalb für uns die Verbesserung der Einstellungsbedingungen durch Senkung der Lohnzusatzkosten; das hat weiterhin oberste Priorität. Deswegen ist es so gut, dass es gelungen ist, bei der Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von ursprünglich 6,5 Prozent auf nunmehr 3,3 Prozent eine Einigung zu erzielen. ({2}) Dies gibt den Arbeitgebern Handlungsoptionen, und die Arbeitnehmer haben dadurch eine größere Verfügungsmasse. Das Volumen des Einzelplans Arbeit und Soziales ist nicht nur von der Entwicklung des Arbeitsmarktes, sondern in besonderer Weise auch von den gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig. Deshalb kann man ihn nicht isoliert betrachten. Ich denke da vor allem an die Schnittstelle zwischen Familien- und Sozialpolitik und an die Kosten, die von denjenigen ausgelöst werden, die in zweiter oder gar dritter Generation in Abhängigkeit von Sozialleistungen leben und sich irgendwie darin eingerichtet haben. Zahlreiche Faktoren wie fehlende oder mangelhafte Bildung, versagende Familien, denen es an jeglicher Lebens- und Alltagskompetenz fehlt, Suchtverhalten und vieles mehr führen zu Ausgrenzung und Passivität. Hier ist der Ruf nach Erhöhung der Transferleistungen schlicht realitätsfern. ({3}) Aufsuchende Hilfen und umfassende Präventionen sind gefragt, um den Teufelskreis, in dem sich manche befinden, zu durchbrechen. Diese Menschen sind glücklicherweise eine Minderheit in unserer Gesellschaft. Wir sollten alles tun, um ihnen zu helfen; aber wir sollten nicht zulassen, dass sie die mediale und politische Diskussion in einer Weise dominieren, als gäbe es nicht auch die große Mehrheit der Leistungserbringer, die das Geld erarbeiten, das solidarisches Handeln erst möglich macht. ({4}) Ihnen gegenüber stehen wir in der Verantwortung. Sie erwarten von uns zu Recht, dass wir alles tun, um das zur Verfügung stehende Geld klug zu verwenden. Darüber sollten vielleicht auch die Linken nachdenken, die immer meinen, sie seien die Einzigen, die den Schlüssel für eine soziale und gerechte Politik hätten. Wollen Sie wirklich, dass die Menschen noch mehr Steuern zahlen? Dann sagen Sie ihnen auch deutlich, dass die von Ihnen bisher geforderten Leistungen, die sich auf 150 Milliarden Euro summieren, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 20 Prozentpunkte auf 39 Prozent nach sich ziehen würden. ({5}) Käme noch der von Ihnen geforderte Rentenbeitrag von 28 Prozent hinzu, dann könnten wir in der Tat gleich zum Sozialismus zurückkehren. ({6}) - Das muss aber ab und zu auch deutlich gesagt werden. In diesen Tagen war viel von der sogenannten Zwangsverrentung die Rede. Es werden Horrorszenarien von Arbeitslosen entwickelt, die in Zukunft mit 60 einen Rentenantrag stellen und lebenslänglich auf 0,3 Prozent Rente pro Monat - auf fünf Jahre bezogen sind das 18 Prozent - verzichten müssten. ({7}) An einer Stelle gibt es tatsächlich eine Schieflage, und zwar bei den Frauen - noch für einige wenige Jahre - und bei den Schwerbehinderten. ({8}) Über diese Schieflage wird es in diesen Tagen eine Verständigung zwischen den Koalitionspartnern dahin gehend geben, dass keiner und keine vor dem 63. Lebensjahr auf die Rente verwiesen werden darf. Das bedeutet, dass kein Arbeitsloser mit Abschlägen von mehr als 7,2 Prozent rechnen muss, sofern nach Unbilligkeitsgesichtspunkten ein solcher Schritt überhaupt vollzogen wird. ({9}) Die Vereinbarung erhält noch einige weitere Punkte zum Verfahren und wird im Einzelnen zu diskutieren sein. Ich denke aber, dass wir insgesamt zu einer guten Entscheidung kommen werden, durch die erneute Frühverrentungsanreize vermieden werden. Unsere Sozialpolitik muss darauf ausgerichtet bleiben, dass möglichst viele Menschen Teil der arbeitenden Mehrheit in unserer Bevölkerung sein können. Wir brauchen daher für die Gruppe der Arbeitsuchenden Wege in die Arbeit. Dazu gehören in erster Linie Bildungsund Qualifizierungsangebote, wo fehlende oder unvollständige Ausbildung Einstellungschancen mindern. Notwendig ist aber auch die individuelle Begleitung, insbesondere von Langzeitarbeitslosen, die über rein verwaltungstechnische Vermittlungsarbeit hinausgeht. Diese Begleitung sollte fördern, aber auch fordern. Bei knapp 1 Million offener Stellen muss auch die Mobilität Arbeitsuchender stärker in den Blick genommen werden. Was von der arbeitenden Mehrheit erwartet wird, muss grundsätzlich auch für Arbeitsuchende gelten. Wenn es um die Verbesserung von Beschäftigungschancen geht, darf es keine Tabuthemen geben. Wir brauchen in Deutschland soziale Sicherheit, aber auch Flexibilität. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass viele Arbeitnehmer erst über die Zeitarbeit wieder in die Arbeitswelt und in eine Festanstellung zurückfinden. Auch für die Wirtschaft ist die sogenannte atmende Beschäftigung sehr hilfreich. Deshalb darf Zeitarbeit nicht wieder abgewürgt werden. ({10}) Für uns gilt auch: Wer Vollzeit arbeitet, muss mehr haben als jemand, der nicht arbeitet. Er soll selbstverständlich davon leben können. Wo dies nicht erarbeitet werden kann, greift die Mindesteinkommensicherung des Staates. Das ist gut so. Wer aber Unternehmen zwingen will, einen Lohn zu zahlen, der nicht zu erwirtschaften ist, der sorgt im Ergebnis dafür, dass viele Menschen gar keinen Lohn mehr bekommen und sich die Chancen gerade der Schwächeren verschlechtern. Für staatlich verordnete Mindestlöhne, die Arbeitsplätze vernichten und Wettbewerb aushebeln, können wir im Interesse der Menschen daher nicht die Hand reichen. ({11}) Wenn die angelsächsischen Länder immer wieder als Beispiel herangezogen werden, muss die Frage erlaubt sein, zum Beispiel an Frau Hajduk, ob das auch für andere arbeitsrechtliche Regelungen wie den Kündigungsschutz gilt. ({12}) Auch wenn das Ziel, Menschen in Beschäftigung zu bringen bzw. zu halten, oberste Priorität hat, so dürfen wir die Arbeitsbedingungen für die Mehrheit der 40 Millionen Erwerbstätigen nicht außer Acht lassen. Hier geht es neben der erwähnten Senkung der Lohnzusatzkosten um die weitere Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung. Deswegen ist ein zentrales Thema der politischen Agenda der Großen Koalition die Mitarbeiterbeteiligung. Die Politik kann die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Unternehmer mehr als bisher die Möglichkeit erhalten, ihre Mitarbeiter an den Ergebnissen ihrer Arbeit teilhaben zu lassen. ({13}) Neben finanziellen Aspekten geht es auch um eine humane Arbeitswelt. Der Erhalt von physischer und psychischer Gesundheit sowie Fitness der arbeitenden Menschen sind von fundamentaler Bedeutung. Hier geht es nicht um ein paar Yogakurse, sondern es geht um frühzeitige und kontinuierliche Gesundheitsprogramme. ({14}) Die demografische Entwicklung und die längere Lebensarbeitszeit führen zwangsläufig dazu, dass wir uns intensiver mit der Frage nach altersgerechten Arbeitsplätzen beschäftigen müssen und werden. Ein Land wie Deutschland, das von seinem Wissen lebt, kann es sich gar nicht leisten, auf die Erfahrung älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu verzichten. Genauso wichtig ist auch, dass wir die familiengerechte Ausgestaltung von Arbeitsplätzen als zentrale Herausforderung für Wirtschaft und Politik begreifen, damit Väter und Mütter, wenn sie es wünschen, erwerbstätig sein und trotzdem Familie leben können. „Haushalt als Arbeitgeber“ ist da ein Stichwort. Weil das schon angesprochen worden ist, will ich mit meinen Ausführungen nun zum Ende gekommen; der Präsident mahnt schon. Zum Abschluss will ich einen hoffnungsvollen Ausblick geben. Ziel der Arbeits- und Sozialpolitik kann eigentlich nur sein - das muss unser wichtigstes Anliegen sein -, diesen großen Haushalt herunterzufahren, zu versuchen, von den hohen Kosten herunterzukommen; denn das wäre der beste Ausdruck einer guten Arbeits- und Sozialpolitik. Vielen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke. ({0})

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Seit fast drei Jahren ist das menschenunwürdige Hartz-IV-Gesetz in Kraft und wird an lebenden Personen ausprobiert. Es wurde von SPD und Grünen euphorisch eingeführt, durch CDU/CSU und SPD massiv verschärft; wenn die FDP könnte, würde sie die Daumenschrauben für die Erwerbslosen noch fester anziehen. ({0}) Was hat es den Menschen gebracht, dieses tolle Gesetz? Genau das, wovor Linke, Sozialverbände, Gewerkschaften, Erwerbslose und die Montagsdemos Sie eindringlich gewarnt haben: Lohndrückerei, Arbeit zum Hungerlohn, Ausgrenzung und Armut. Schon in der vergangenen Sitzungswoche hat es meine Fraktion, Die Linke, gewagt, unter anderem wegen der enormen Preissteigerungen wenigstens eine Anhebung der sogenannten Grundsicherung von 347 Euro auf 435 Euro zu fordern. Fast durchgängig reagierten Sie mit Beleidigungen, mit unerträglicher Überheblichkeit oder Ignoranz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anhebung der Regelsätze fordert nicht nur die Linke. Auch Sozialverbände, Gewerkschaften und soziale Bewegungen verlangen umgehend eine Erhöhung. ({1}) Selbst die Grünen als Mitverursacher dieser Verarmungswelle haben wohl begriffen, dass menschenwürdige Existenz viel mehr ist als rein körperliches Überleben. ({2}) Ja, die Anhebung der Regelsätze kostet Geld, aber das Geld ist sogar da. Verzichten Sie einfach auf Ihre üppigen Steuergeschenke ab 2008! Sorgen Sie dafür, dass Art. 14 Abs. 2 Grundgesetz mit Leben erfüllt wird! Darin heißt es nämlich: „Eigentum verpflichtet“. ({3}) Wir haben über 2,5 Millionen arme Kinder in Deutschland. Aber Sie tun nichts. Sie sind nicht bereit, die Regelsätze anzuheben, um Armut zu lindern. Ja, Sie wollen einmal prüfen, ob da vielleicht etwas geht, so ab Frühjahr 2008 oder 2009. Aber die Erhöhung der Diäten von uns Abgeordneten halten Sie in dieser Situation für angemessen. Ohne Bedarfsprüfung haben Sie diese von einer Woche auf die andere durchgedrückt. Mit 350 Euro haben wir ab 2008 circa so viel zusätzlich, wie Sie einer Einpersonenbedarfsgemeinschaft im Monat zum Überleben zugeteilt haben. Ich finde, das ist unverschämt und an Zynismus nicht zu überbieten. ({4}) Nicht mal zu einer Weihnachtspauschale von 40 Euro für Hartz-IV-Betroffene konnten Sie sich durchringen. ({5}) Herr Straubinger, Sie erzählten uns in Ihrer Rede am 15. November, dass mit der momentanen Regelsatzhöhe ein menschenwürdiges Leben möglich sei und dass die Koalition die Chancen der Menschen großartig verbessert habe. Wenn es so wäre, wie kommt es dann, dass sich die Zahl der armen Kinder seit Einführung von Hartz IV verdoppelt hat, dass Suppenküchen und Wärmestuben aus den Nähten platzen, dass Tafeln und Kleiderkammern Hochkonjunktur haben und die Wohnungslosigkeit zunimmt? Und Sie, Herr Haustein, Sie plappern hier wiederholt von Sonderbedarfen wie Kühlschrank oder Waschma13650 schine, die einfach so auf Antrag verteilt werden. Das ist absoluter Blödsinn! Seit Hartz IV sind die einmaligen Beihilfen Geschichte. 1,39 Euro pro Monat sieht der Regelsatz für einen Kühlschrank vor. Das heißt, man muss acht Jahre sparen, um sich einen Kühlschrank für 135 Euro leisten zu können. Sie sollten Ihr Supergesetz endlich einmal lesen. ({6}) Diese Empfehlung richte ich auch an einige Angestellte der Bundesagentur für Arbeit. Es wird immer wieder deutlich, wie wichtig es ist, unabhängige Sozialberatungsstellen zu unterstützen. ({7}) Noch ein Vorschlag: Besuchen Sie statt des x-ten parlamentarischen Abends von Wirtschaftslobbyisten doch einfach einmal Selbsthilfevereine der Erwerbslosen. Letzte Woche haben mich die Erwerbslosen in Merseburg, Sachsen-Anhalt, gebeten, Sie dazu einzuladen. Liebe Hartz-IV-Gutfinder im Saal, versuchen Sie, sich das einmal vorzustellen: Ihr Kind hat nach über 100 Versuchen einen Ausbildungsplatz ergattert, und Sie müssen von der Ausbildungsvergütung, die Ihr Kind erhält, mit durchgefüttert werden. - Ich glaube, das übersteigt Ihre Vorstellungskraft. Viele Betroffene meinen auch, Abgeordnete sollten einmal ein Jahr von Hartz IV leben müssen, um zu begreifen, was es heißt, überflüssig zu sein: Offenbarungseid, Sanktionen, Existenzangst, Sozialschnüffler in der Wohnung, Verzweiflung, Resignation, traurige Kinderaugen, Armut, Hunger und Krankheit. ({8}) Nein, meine Damen und Herren, auch Ihnen wünsche ich ein solches Leben nicht. Ich fordere Sie auf: Tun Sie endlich etwas! Ihre Politik geht auf Dauer nicht gut. Sie gefährden mehr und mehr den sozialen Frieden im Land. Dass Sie Ähnliches befürchten, zeigte unter anderem die Reaktion von Frau Connemann auf unseren Antrag, das Recht auf politischen Streik in das Grundgesetz aufzunehmen. Ich zitiere aus der Rede von Frau Connemann: Ein Druck - durch wen auch immer - darf nicht auf uns ausgeübt werden. Wovor fürchten Sie sich? Haben Sie Angst vor dem eigenen Volk? Vielen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte diejenigen Kollegen, die jetzt für die nach dem übernächsten Redner stattfindende namentliche Abstimmung in den Plenarsaal kommen, Platz zu nehmen und einen ruhigen Abschluss dieser Debatte zu ermöglichen. Wolfgang Grotthaus ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 5,2 Millionen Arbeitslose, die Beschäftigungsquote Älterer über 50 Jahre knapp über 40 Prozent, die Ausbildung junger Menschen mehr als miserabel - das war Anfang 2005. ({0}) Das war vor dem Inkrafttreten des ach so miserablen Hartz-IV-Gesetzes. Wie sieht es nach dem Inkrafttreten, knapp drei Jahre später, aus? Die Arbeitslosenzahlen haben sich auf circa 3,4 Millionen reduziert. Die Beschäftigungsquote der über 50-Jährigen ist auf 52 Prozent angewachsen. Der Ausbildungspakt greift; mehr junge Menschen kommen in Arbeit. Die Erwerbstätigenzahl bewegt sich auf einem Rekordniveau von über 40 Millionen Menschen. Stolze Zahlen, finde ich. Trotzdem gilt es, die Hände nicht in den Schoß zu legen und sich auszuruhen. Vielmehr müssen für die jungen Menschen, die noch keinen Ausbildungsplatz haben, für jeden Menschen ohne Arbeit, für alle, die mit körperlichen Handicaps ins Berufsleben einsteigen wollen, die Rahmenbedingungen so geschaffen werden, dass ihre Situation erleichtert wird und dass sie ihrem Wunsch folgen können, einen Beruf zu erlernen oder in einen Job zu kommen. Sie wollen Teilhabe: Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe an der Möglichkeit, das Geld für die eigene Familie selber zu verdienen. Teilhabe an finanziellen Leistungen des Staates wollen sie nur - das sage ich insbesondere an die Adresse der Linken -, wenn sie tatsächlich nicht die Chance haben, ins Berufsleben einzutreten. Entscheidend ist also Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt und nicht so sehr an finanzieller Unterstützung und Alimentierung durch den Staat. ({1}) Ins Berufsleben zurückzufinden, trägt auch zur Selbstverwirklichung bei. Selbstverwirklichung findet nicht statt, wenn man auf Almosen seitens des Staates angewiesen ist. Mit dem Haushalt senden wir hierzu wichtige Signale. Dies gilt vor allem für den Bereich „Arbeit und Soziales“. Insgesamt 124 Milliarden Euro stellen wir im nächsten Jahr für diesen Bereich zur Verfügung. Die gute Nachricht für den Arbeitsmarkt ist: Die Arbeitsmarktpolitik wird trotz Entlastung auf dem Niveau der letzten Jahre weitergeführt und in Schwerpunktbereichen sogar verstärkt. Senken können wir die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II. Bei den ins Berufsleben Eintretenden kommt inzwischen die Hälfte aus dem Arbeitslosengeld-II-Bezug; noch vor einem Jahr war es ungefähr ein Drittel. Auch bei der Rentenversicherung gibt es gute Nachrichten. Deshalb können die staatlichen Zuschüsse für die Rentenversicherung um 400 Millionen Euro abgesenkt werden. Ausgabensenkung ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir die Ausgaben in Schwerpunktbereichen verstärken, um den Abbau der Arbeitslosigkeit weiter zu unterstützen. Dadurch wird der Bundeshaushalt mittelfristig entlastet. Wir haben das Bundesprogramm „KommunalKombi“ neu in den Haushalt eingestellt. So können ungefähr 50 000 Menschen mit entsprechenden Komplementärmitteln aus den Kommunen im nächsten Jahr in Arbeit gebracht werden. Wird dieses Programm von den Kommunen angenommen, wird diese Maßnahme auch in 2009 weitergeführt. Dann werden wir mit den entsprechenden Mitteln dafür sorgen können, dass 100 000 Menschen eine bessere Zukunft bekommen. Ähnliches gilt für die Förderung der Beschäftigung Älterer. Die Entscheidung von Franz Müntefering, einen Schwerpunkt auf die Integration von Menschen über 50 Jahren zu setzen, ist richtig und war bisher außerordentlich erfolgreich. Die Arbeitslosenquote bei den über 50-Jährigen ist gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent gesenkt worden. Ein erfolgreiches Programm, so meinen wir, das auch in den nächsten drei Jahren fortgesetzt wird. Außerdem werden wir für ältere Empfänger von Arbeitslosengeld I Eingliederungsgutscheine einführen, wodurch noch mehr Menschen über 50 Jahre in Beschäftigung kommen sollen. ({2}) Auf eine weitere Entscheidung möchte ich hier deutlich hinweisen: Wir haben den Eingliederungstitel nicht gekürzt. Damit steht bei weniger Arbeitslosen, aber gleichen finanziellen Aufwendungen für den einzelnen Arbeitslosen mehr Geld zur Eingliederung zur Verfügung. ({3}) Wer hier also behauptet, es werde gekürzt und weniger Geld zur Verfügung gestellt, der beherrscht die vier Grundrechenarten nicht. Dem würde ich auch nicht empfehlen, beim PISA-Test mitzumachen; denn das würde das negative Ergebnis noch verstärken. Von daher würde ich all die Abgeordneten, die hier solche Rechnungen aufmachen, bitten, sich zumindest Grundschulkenntnisse im Rechnen anzueignen. ({4}) Eines muss hier auch deutlich gesagt werden: Wir erwarten, dass die Mittel, die für den Eingliederungstitel zur Verfügung gestellt werden, im nächsten Jahr auch vollständig ausgeschöpft werden, dass vor Ort die Vermittlung, die Eingliederung noch stärker forciert wird. Hier müssen sich die Träger der Grundsicherung im nächsten Jahr noch mehr einsetzen. Kein Arbeitsloser darf das Gefühl haben, dass vor Ort auf seine Kosten gespart wird. Die Bundesregierung hat an dieser Stelle ihre Hausaufgaben gemacht. Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz zu der Kollegin Hajduk sagen. Die Kollegin Hajduk hat behauptet, dass wir nicht richtig analysiert haben. Sie hat gefragt, wodurch die Reduzierung der Arbeitslosenzahlen tatsächlich zustande gekommen ist. Ich habe das zwar schon einmal gesagt, ich will es aber wiederholen: Ja, durch die Konjunkturverbesserung. - Von der Kollegin Hajduk hätte ich aber erwartet, dass sie zumindest die zurückhaltende Lohnpolitik der Gewerkschaften, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Republik, erwähnt. Ich füge hinzu: Auch die Agenda 2010, zu der Sie damals Ihre Zustimmung gegeben haben, hat zu einem großen Teil dazu beigetragen. Seien Sie nicht so zurückhaltend! Bekennen Sie sich zu den Erfolgen, auch wenn sie erst jetzt oder später zum Tragen kommen! ({5}) Wir sind auf einem guten Weg. Wir werden diesen Weg unbeirrt weitergehen. Wir werden uns nicht treiben lassen. Von daher werden Sie, ähnlich wie bei der Zwangsverrentung, die eine oder andere Überraschung mit uns erleben. Sie werden sagen können: Aha, in der Großen Koalition bewegt sich doch etwas. - Wir hoffen, dass Sie uns dann auch zustimmen werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte die inzwischen eingetroffenen Kollegen, Platz zu nehmen. Die namentliche Abstimmung findet nicht anstelle der Debatte statt, sondern nach der Debatte, sicher nicht vorher. ({0}) Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Stefan Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, nachdem wir heute die aktuellen Arbeitsmarktdaten haben zur Kenntnis nehmen dürfen, können wir sagen: Das ist ein guter Tag für Deutschland. Das ist vor allem ein guter Tag für diejenigen, die bisher arbeitslos waren. Die Zahl der Arbeitslosen ist gegenüber dem November des vergangenen Jahres um über 600 000 zurückgegangen. An dieser Stelle darf ich sagen: Wir freuen uns mit all denjenigen, die letztes Jahr noch auf staatliche Fürsorge angewiesen waren und in diesem Jahr wieder von ihrer eigenen Arbeit leben können. ({0}) Wir entscheiden heute über nicht weniger als über die Verteilung von 124 Milliarden Euro, über den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums. Ich nenne diese Zahl ganz bewusst, weil man angesichts der Debatten in diesem Hause und angesichts von Parteitagsbeschlüssen in den letzten Wochen den Eindruck gewinnen konnte, dass Stefan Müller ({1}) es neben diesen 124 Milliarden Euro noch weitere Mittel zu verteilen gäbe. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, auf Ihrem Parteitag in Nürnberg haben Sie es nicht nur geschafft, Ihren kompetentesten Finanzfachmann aus dem Weg zu räumen, sondern Sie haben es auch geschafft, sich mit Ihren Beschlüssen von seriöser Sozialpolitik, von seriöser Politik insgesamt zu verabschieden. ({2}) Die Tatsache, dass Sie den Bürgern 60 Milliarden Euro für soziale Wohltaten versprechen, zeigt, dass Sie in höchstem Maße an Realitätsverlust leiden. ({3}) Vor diesem Hintergrund erscheint es außerordentlich skurril, wenn Sie uns in Ihrem Entschließungsantrag zu diesem Einzelplan vorwerfen, wir wären der Meinung, wir hätten ein haushaltspolitisches Schlaraffenland. Das Gegenteil ist richtig: Das Schlaraffenland versprechen Sie den Menschen und nicht wir. In Ihrem Entschließungsantrag kritisieren Sie außerdem die Lastenverschiebung zwischen Bundeshaushalt und Bundesagentur. Dieser Meinung kann man durchaus sein; das ist Ihr gutes Recht. In Ihrem Antrag rechnen Sie uns vor, wodurch die Bundesagentur zusätzlich belastet wird. Sie kommen auf 10,8 Milliarden Euro. Sie fordern, dass diese zusätzlichen Belastungen nicht mehr durch die BA gegenfinanziert werden. Im Gegenzug soll die BA die Einnahmen aus einem Mehrwertsteuerpunkt nicht mehr erhalten. Da gibt es aber einen kleinen Rechenfehler, der mir aufgefallen ist: Nach Ihrer Meinung wird die Bundesagentur mit 10,8 Milliarden Euro zusätzlich belastet. Die Einnahmen aus dem Mehrwertsteuerpunkt betragen aber nur 7,5 Milliarden Euro. Sie beantworten nicht die Frage, woher die weiteren über 2 Milliarden Euro kommen sollen. Mir jedenfalls ist nicht bekannt, dass Sie einen entsprechenden Antrag im Haushaltsausschuss gestellt haben. Zu einem weiteren Thema in Ihrem Entschließungsantrag. Sie schreiben, die BA müsse von ihren Reserven zehren. Da muss ich Ihnen leider widersprechen. Die BA muss nicht von ihren Reserven zehren, sie muss auch keine Rücklagen aufbrauchen. Richtig ist, dass von dem, was in den letzten Jahren an Überschüssen durch zusätzliche Beitragseinnahmen eingenommen wurde, in den nächsten Jahren etwas weggenommen wird. Es gibt keine zusätzlichen Belastungen, weil wir erstens die Beiträge gesenkt haben ({4}) und weil wir zweitens Rücklagen gebildet haben. Ich sage ausdrücklich: Dieser Weg ist richtig. Die BA bildet zum ersten Mal eine Rücklage für ihre Pensionäre, damit künftige Beitragszahler davon nicht mehr belastet werden. ({5}) Es ist auch richtig, dass überhaupt eine Liquiditätsrücklage gebildet werden soll. Das ist ein Beitrag dazu, um die Lohnzusatzkosten in der Zukunft nicht weiter zu erhöhen. Wir stehen für niedrige Lohnnebenkosten, für niedrige Sozialabgaben, damit den Menschen mehr übrig bleibt. ({6}) Wir, die Regierungsfraktionen, wollen den Sozialstaat erhalten und sichern. Wir wollen aber nicht mehr versprechen als das, was gehalten werden kann. Wir sind dafür, dass Leistungsträger nicht überfordert werden und dass Schwache, die sich selbst nicht helfen können, unterstützt werden. Das heißt: Oberstes Ziel in der Innenpolitik der nächsten Jahre muss weiterhin sein, dass Arbeitslose in den Arbeitsmarkt integriert werden, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut und zusätzliche Beschäftigung geschaffen wird. Wir wollen gerade diejenigen unterstützen, die von diesem Aufschwung noch nicht profitiert haben, nämlich Langzeitarbeitslose, jüngere und auch ältere. Mit diesem Haushalt setzen wir - mit Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister - die entsprechenden Akzente dafür. ({7}) Wir wollen eine solide Sozialpolitik, die über Jahre Bestand hat. Dazu müssen wir die Interessen der Generationen verbinden. Das gilt insbesondere für die Rentenversicherung, die auch in diesem Jahr einen hohen Zuschuss in Höhe von fast 80 Milliarden Euro bekommt. Der Generationenvertrag war über Jahrzehnte Garant für Stabilität und Solidarität der Generationen. Das soll auch in Zukunft so sein. Aber wir müssen den Veränderungen in unserer Gesellschaft Rechnung tragen und die Frage beantworten: Wie schaffen wir es, dass sich die Generationen nicht gegenseitig überfordern? Wir haben auf der einen Seite die Älteren, die um erworbene Ansprüche fürchten, und auf der anderen Seite die Jüngeren, die sich als Verlierer des Systems fühlen. All denen müssen wir sagen: Eure Befürchtungen sind unberechtigt. Wir tun alles, um das Rentensystem zu stabilisieren. - Deswegen ist der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung gerechtfertigt, und deswegen war auch die Rente ab 67 ein wichtiger Schritt. ({8}) In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem von klugen Wissenschaftlern immer wieder vorgebrachten Vorschlag „Rente ab 70“. Ich halte von dieser Diskussion - da bin ich mir mit meinen Kollegen und Kolleginnen aus der Union einig - überhaupt nichts. Es macht keinen Sinn, das Renteneintrittsalter zu erhöhen und sofort eine Diskussion über eine weitere Erhöhung anzuzetteln. Der Schritt „Rente ab 67“ war richtig. Wir haben ihn getan; das stabilisiert das System. ({9}) Wir führen gelegentlich Debatten über unseren Sozialstaat. Er steht angesichts seiner konkreten Ausgestaltung und seines Leistungsvolumens oftmals in der Kritik. Dennoch stellen wir fest, dass er sich einer hohen und stabilen Wertschätzung in der Bevölkerung erfreut. Stefan Müller ({10}) Erfolgreiche Sozialpolitik ist die Voraussetzung für innenpolitische Stabilität. Sie ist die Voraussetzung für sozialen Frieden. Wir leisten mit diesem Bundeshaushalt einen entscheidenden Beitrag, um den sozialen Frieden in Deutschland zu gewährleisten. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Bundesministerium für Arbeit und Soziales - in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7317 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion Die Linke hat hierzu namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mir zu signalisieren, ob alle Plätze besetzt sind. - Das ist offenkundig der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Nach Neubesetzung der Matadore werden wir die Aussprache fortsetzen und uns die Ergebnisse der Abstimmung nach dem bewährten Verfahren während der Debatte mitteilen lassen. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Ich bin gerade darauf aufmerksam gemacht worden, dass wir die Debatte nicht sofort fortsetzen können, weil wir die Abstimmung über diesen Einzeletat formal korrekt erst dann durchführen können, wenn über den Änderungsantrag abgestimmt worden ist. Die Abstimmung hat zwar gerade stattgefunden, und wir ahnen das Ergebnis, aber wir kennen es noch nicht. Deswegen unterbreche ich die Sitzung, bis das Ergebnis vorliegt. Sobald das der Fall ist, fahren wir mit den Beratungen fort. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Katja Kipping, anderer und der Fraktion Die Linke zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008, hier: Einzelplan 11, Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Drucksachen 16/6000, 16/6002, 16/6411, 16/6423 und 16/7317, bekannt: Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 50, mit Nein haben gestimmt 521, keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 50 nein: 521 enthalten: 0 Ja DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Katrin Kunert Ulla Lötzer Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Volker Schneider ({0}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionslos Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({1}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({2}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({3}) Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({4}) Dirk Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Bernd Neumann ({15}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({21}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({24}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({26}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({27}) Edelgard Bulmahn Martin Burkert Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Dieter Grasedieck Monika Griefahn Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach ({28}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({29}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({32}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Christine Lambrecht Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Christian Lange ({33}) Dr. Karl Lauterbach Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({40}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({42}) Silvia Schmidt ({43}) Heinz Schmitt ({44}) Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({45}) Swen Schulz ({46}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({47}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({49}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({50}) Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({51}) Markus Löning Horst Meierhofer Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({52}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({53}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({54}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({55}) Monika Lazar Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({56}) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth ({57}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({58}) fraktionslos Henry Nitzsche Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 11 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 11 ist dann mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt II.14 auf: Einzelplan 06 Bundesministerium des Innern - Drucksachen 16/6406, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Bettina Hagedorn Norbert Barthle Jürgen Koppelin Alexander Bonde Es liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Max Stadler von der FPD-Fraktion. ({59})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon nach zwei Jahres ihres Bestehens ist die Große Koalition in der Innenpolitik praktisch handlungsunfähig. ({0}) - Doch. Der Tagesspiegel hat am Samstag unter der Überschrift „Koalition des Misstrauens“ zu Recht geschrieben: Die Innenpolitiker von SPD und Union misstrauen sich von Herzen … Es ist hier gut zu beobachten, wie aus Partnern Opponenten geworden sind … ({1}) Das ist eigentlich ein verheerender Befund über den Zustand dieser Regierung. Aber Politik ist manchmal paradox: Man muss geradezu froh sein, dass sich Union und SPD nicht mehr auf neue Gesetze einigen können. ({2}) Denn was die Koalition in den bisherigen zwei Jahren in der Gesetzgebung gemacht hat, war ja nichts anderes als eine Kaskade von Einschnitten in die Grundrechte. Mit ihrer bürgerrechtsunfreundlichen Politik hat diese Koalition nahtlos die Politik der rot-grünen Vorgängerregierung fortgesetzt. ({3}) Die innere Zerrissenheit der Koalition zeigt sich im Großen wie im Kleinen. Sie streiten ja nicht nur über zentrale Themen wie die heimliche Onlinedurchsuchung, sondern wir haben hier im Plenum auch oft die Spannungen in dieser Koalition live miterlebt, wenn sich die Kontrahenten aus Union und SPD beispielsweise über das Ausländerrecht coram publico gestritten haben. Sie sind nicht in der Lage, eine wirkliche Modernisierung des öffentlichen Dienstes auf den Weg zu bringen, und greifen die Vorschläge und Eckpunkte, die Otto Schily zusammen mit dem Deutschen Beamtenbund und mit Verdi vereinbart hat, eben gerade nicht auf. Sie versuchen, die Organisation der Bundespolizei neu zu regeln. Das hat bisher hauptsächlich zu Unruhe bei den Polizeibeamten geführt, aber nicht mehr Sicherheit produziert. Jetzt zeigt sich, wie der Spiegel am Montag geschrieben hat, Herr Körper: Nach monatelangem Stillhalten torpediert die SPD - der eigene Koalitionspartner! nun die Reform der Bundespolizei. ({4}) Ein letztes Beispiel würde man vielleicht eher als eine Begebenheit am Rande einstufen; es wirft aber ein bezeichnendes Schlaglicht auf den Zustand dieser Koalition. Sie wissen, dass in der Vorgängerregierung durch eine Verfügung des damaligen Staatssekretärs Lutz Diwell heimliche Onlinedurchsuchungen erlaubt worden sind. Wir haben im Innenausschuss den Wunsch, dass Herr Diwell uns dies persönlich erklärt; denn er hat nachher öffentlich gesagt, ihm sei gar nicht bewusst gewesen, was er da unterschrieben hat. Das scheint mir bei einem solchen Grundrechtseingriff doch ein sehr beachtlicher Vorgang. Daher haben wir Auskunft von Herrn Diwell im Innenausschuss erbeten. ({5}) Die CDU/CSU hat unserem Ansinnen vernünftigerweise zugestimmt - sehr zum Missfallen der SPD. ({6}) Das ist nur eine Begebenheit am Rande, die aber, wie ich glaube, doch zeigt, wie es um den Zustand dieser Koalition bestellt ist. ({7}) Meine Damen und Herren, kommen wir jetzt aber zur zentralen Kritik der FDP an der Innenpolitik dieser Koalition, kommen wir zum alles entscheidenden Thema in der Innenpolitik, nämlich dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. Ich möchte durchaus feststellen, dass es um die innere Sicherheit in Deutschland alles in allem befriedigend steht ({8}) dank der guten Arbeit der Sicherheitsbehörden. ({9}) Beispielsweise hat die Verhaftung von drei Verdächtigen, die offenbar einen Bombenanschlag geplant hatten, gezeigt, dass unsere Polizeibehörden eine gute Arbeit leisten, ({10}) und zwar auf der Basis der bestehenden Gesetze und ohne heimliche Onlinedurchsuchungen. ({11}) Um die innere Sicherheit mache ich mir daher keine so großen Sorgen, um die innere Liberalität in diesem Land aber schon. ({12}) Ich kann es Ihnen nicht ersparen, dies zum wiederholten Male festzustellen: Der Schutz der Grundrechte ist bei Ihnen nicht in den besten Händen. Ich nenne Ihnen beispielhaft ein Zitat, das Ihnen doch zu denken geben müsste. Der renommierte Staatsrechtler und Verfassungsrichter Professor Udo di Fabio hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben - ich zitiere wörtlich aus der Süddeutschen Zeitung, was er gesagt hat -: Ich halte es für eine Krankheit, dass ständig unser System in Frage gestellt wird. Das war an die Adresse dieser Großen Koalition gerichtet, und das müsste Ihnen doch endlich zu denken geben; denn Professor di Fabio hat recht. Das erkennen wir an dem jüngsten Beispiel, nämlich der Vorratsdatenspeicherung. In der Debatte hier vor knapp zwei Wochen - am 16. November 2007 - war eines wirklich nicht nachvollziehbar: Die Redner der Großen Koalition haben entweder nicht verstanden oder nicht verstehen wollen, dass mit der Vorratsdatenspeicherung jetzt eine neue Qualität der Überwachung gesetzlich eingeführt worden ist; denn Sie sind damit von einem wichtigen Grundsatz abgewichen. Dieser Grundsatz lautet: Eingriffe in Bürgerrechte sind dann gerechtfertigt, wenn es konkrete Verdachtsmomente gegen konkrete Beschuldigte oder Verdächtige gibt. Das ist die notwendige Begrenzung, damit nicht uferlos und schrankenlos in die Grundrechte eingegriffen wird. Wenn jemand konkret in Verdacht steht, eine schlimme Straftat zu planen, dann mag es richtig sein, sein Telefon zu überwachen oder die Telefonverbindungsdaten zu speichern. Es ist aber etwas fundamental Neues und anderes, die Daten von Millionen unverdächtigen Bürgerinnen und Bürgern zu speichern. ({13}) Das ist der Systemwechsel, den Udo di Fabio Ihnen vorwirft. ({14}) Herr Minister Schäuble, deswegen sind wir auch bei Ihren zahlreichen Interviewäußerungen misstrauisch. Ich nehme eine heraus, die öffentlich vielleicht wenig bemerkt worden ist, mir aber sehr verdächtig erscheint. Nur Sie selber wissen, was Sie gemeint haben - mir ist das nicht ganz klar -, als Sie am 9. Juli 2007 im Spiegel erklärt haben: Wir sollten versuchen, … Rechtsgrundlagen zu schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten. Was soll das eigentlich heißen? Haben wir denn die nötigen Rechtsgrundlagen nicht? ({15}) Der Rechtsstaat ist wehrhaft. Er kann sich auf der Basis der geltenden Gesetze zur Wehr setzen. Wenn ich mir noch einmal das Stakkato, wie der Bundespräsident es bezeichnet hat, Ihrer Interviewäußerungen vor Augen führe, in denen Sie über Inhaftierung auf Verdacht, gezielte Tötungen - targeted killing - und anderes gesprochen und die Unschuldsvermutung relativiert haben, muss ich Ihnen sagen: Ein solcher Satz, mit dem Sie Freiheiten bei der Terrorismusbekämpfung beanspruchen, weckt in uns Liberalen den Verdacht, dort solle einem neuen Feindstrafrecht das Wort geredet werden, wie es manche in der strafrechtlichen Literatur verlangen. ({16}) Auch dagegen hat sich Udo di Fabio in seinem Beitrag in der Welt massiv verwahrt. ({17}) Meine Damen und Herren, wir wollen keinen Systemwechsel. Wir wollen, dass der Rechtsstaat sich so bewährt, wie er von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes gestaltet worden ist. In dem eingangs zitierten Artikel des Tagesspiegel hieß es am Schluss, mit der FDP in einer Regierung wäre es in der Innenpolitik auch schwierig. Meine Damen und Herren, das nehmen wir erstens als Kompliment; denn wenn es darum geht, die Grundrechte zu bewahren, muss man sperrig sein. Zweitens sage ich Ihnen Folgendes: Mit uns ist einfach zusammenzuarbeiten, mit der FDP ist einfach zu regieren, wenn eine Politik betrieben wird, die sich strikt an den Grundrechten orientiert. ({18}) Ihre Politik tut dies leider nicht. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Dr. Michael Luther von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Stadler, in einem Punkt irren Sie. Die Große Koalition ist im Bereich der Innenpolitik handlungsfähig. Das zeigt dieser Haushalt. ({0}) Zum ersten Mal übersteigt der Innenhaushalt die 5-Milliarden-Euro-Grenze. Das ist eine ganz gewaltige Steigerung um 13 Prozent. Dies zeigt, dass die innere Sicherheit von der Großen Koalition ernst genommen wird. An dieser Stelle will ich allerdings darauf aufmerksam machen, dass ein Teil der Steigerung technischer Natur ist. 2010 sollen alle bundeseigenen Immobilien von der sogenannten BImA übernommen werden. Die Nutzer von Immobilien werden dann zu Mietern. Langfristig bietet das für uns fiskalische Vorteile, weil dann jedes Bundesministerium im Interesse der eigenen Sparsamkeit darauf achten wird, dass es seinen Raumbedarf optimiert. 2008 beginnt das Innenministerium mit der Bundespolizei, diese Strukturveränderung durchzuführen. Technisch notwendig ist dann allerdings - und zwar für den Bundeshaushalt insgesamt ausgabenneutral -, dass eine Anfangsmiete etatisiert wird. Das macht immerhin eine Steigerung von 108 Millionen Euro aus, die jetzt für Mietzahlungen etatisiert sind. Eine weitere deutliche Ausgabensteigerung erfahren wir wegen der bedarfsgerechten Etatisierung des BOSDigitalfunks. Die in der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Mittel beruhten auf einer Schätzung, die eine andere Datengrundlage hatte. Wir wussten seit längerem, dass dies nicht mehr stimmig ist. Natürlich konnten wir aber erst dann Zahlen einstellen, als das Konzept etatreif war. Uns als Haushaltsberichterstattern war es auch wichtig, dass dieses wichtige Investitionsprojekt gemeinsam mit dem Bundesrechnungshof durchgeführt wird. ({1}) Er muss und soll das Konzept akzeptieren. Deshalb konnten wir erst jetzt am Ende der Haushaltsberatungen die entsprechenden Barmittel und Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten 15 Jahre - insgesamt macht dieses Projekt immerhin 2,5 Milliarden Euro aus einstellen. ({2}) Wir werden dieses wichtige Investitionsprojekt des Bundes auch weiterhin aktiv begleiten. Ich will, dass dieser wichtige Modernisierungsschritt schnell kommt, weil sich damit die Kommunikation unserer Sicherheitskräfte bei ihrer Arbeit wesentlich verbessert. Ein weiteres Thema ist der ergänzende Katastrophenschutz. Es hat in den Haushaltsberatungen eine wichtige Rolle gespielt. ({3}) Jahrzehntelang geübte Staatspraxis ist es, dass sich der Bund im Rahmen des ergänzenden Katastrophenschutzes an der Finanzierung der entsprechend benötigten Feuerwehrfahrzeuge beteiligt. Diese Feuerwehrfahrzeuge stehen dann ja vor Ort, zum Beispiel bei den freiwilligen Feuerwehren. Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, dass diese Finanzierung aufgrund der föderalen Struktur eigentlich den Bundesländern obliegt, es also an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Gleichwohl sage ich für die CDU/ CSU-Fraktion ganz klar: Wir wissen, dass sich der Bund nicht heraushalten kann, wenn der Katastrophenschutz leistungsfähig und einheitlich sein soll. Ich will an dieser Stelle zwei Beispiele nennen: das Hochwasser 2002 und den tagelangen Stromausfall im Winter 2005, von dem insbesondere Nordrhein-Westfalen betroffen war. Der Bürger fragt in solchen Situationen nicht, wer zuständig ist. Er will, dass der Katastrophenschutz gut organisiert wird, und zwar im Zusammenwirken von Kommune, Land und Bund. Deshalb haben sich Bund, Länder und Kommunen auf ein neues Katastrophenschutzkonzept verständigt, ({4}) für dessen Umsetzung der Bund in den nächsten zehn Jahren 260 Millionen Euro zusätzlich bereitstellt. ({5}) Mit diesem Konzept wird ein wesentlicher und nachhaltiger Schritt in Richtung der notwendigen Verbesserung des Katastrophenschutzes in Deutschland gegangen. Nächstes Jahr stehen 26 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Das ist das Signal seitens des Bundes, dass wir an einem Erfolg des Konzepts interessiert sind. Allerdings ist klar - ich verweise noch einmal auf den Bundesrechnungshof -: Ein Konzept allein reicht nicht aus. Wir brauchen eine verlässliche gesetzliche Grundlage. Ich hoffe, dass diese im nächsten Jahr geschaffen wird. Der Haushaltsausschuss fordert dies ein. ({6}) Eine für den Katastrophenschutz wichtige Organisation ist das Technische Hilfswerk. Wenn es das Technische Hilfswerk nicht gäbe, müsste man es erfinden. Die Arbeit des THW wird nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland hoch geschätzt. ({7}) Das THW lebt vom Ehrenamt. 80 000 Freiwillige sind eine beeindruckende Zahl. ({8}) - Stimmt. - Allerdings ist klar: Man braucht eine funktionierende hauptamtliche Struktur, um diese 80 000 ehrenamtlichen Helfer zu führen. ({9}) Zurzeit kommen etwa 100 Ehrenamtliche auf einen Hauptamtlichen, es gibt also ein Verhältnis von 100 : 1. Nun das Problem: Seit Jahren reduzieren wir pauschal die Zahl der Beschäftigten des Bundes; das ist richtig. Aber das betrifft auch das THW. Gingen wir diesen Weg des Stellenabbaus weiter, müssten wir im Rahmen einer kegelgerechten Personalstruktur auch die Zahl der ehrenamtlichen Helfer reduzieren. Das darf nicht sein; denn wir brauchen die 80 000 Ehrenamtlichen. Das Verhältnis von 100 : 1 muss in etwa erhalten bleiben. ({10}) Wir haben es geschafft, mit diesem Haushalt entsprechende Schritte zu gehen. ({11}) Zum einen gibt es einen Beschluss des Haushaltsausschusses, der keine weiteren Stelleneinsparungen beim THW vorsieht. Zum anderen haben wir 30,5 bestehende kw-Vermerke aufgehoben. Damit kann in etwa die Personalstruktur erhalten werden. ({12}) Des Weiteren stärken wir die Mittel für die THW-Jugend. Das THW weckt mit seiner Jugendarbeit Interesse für gesellschaftliche Verantwortung, ermöglicht eine sinnvolle Freizeitgestaltung und wirbt für das Ehrenamt. Eine Vielzahl von Maßnahmen, zum Beispiel Jugendcamps, wird durchgeführt. Ich finde, damit wird auch ein wichtiger, nachhaltiger Beitrag zur Bekämpfung des politischen Extremismus geleistet. ({13}) Der Haushaltsausschuss hat in personeller Hinsicht auch den Weg für eine Bundespolizeireform frei gemacht. Noch ist der entsprechende Gesetzentwurf in der Fachberatung. Wenn das Gesetz aber im Laufe des nächsten Jahres in Kraft tritt, wird sich die neue Struktur auch im Personaltableau widerspiegeln müssen. Das hat uns im Haushaltsausschuss vor eine besondere Schwierigkeit gestellt: Obwohl es noch keine gesetzliche Grundlage gab, mussten wir uns vorbereiten, um entsprechend reagieren zu können, wenn das Gesetz in Kraft tritt. Das ist nun möglich. Wir können die benötigten Stellen freischalten, wenn es so weit ist, und im Gegenzug die nicht benötigten Stellen wegfallen lassen. ({14}) Zur Bundespolizei will ich noch einen anderen Gedanken äußern. Er betrifft die bevorstehende Erweiterung des Schengen-Raums. Gerade die Menschen in den Grenzregionen zu Polen und Tschechien machen sich Sorgen, dass sich die Sicherheitslage verschlechtern würde. ({15}) Ich will Folgendes feststellen: Wer grenzüberschreitend kriminell sein will, nutzt wenn möglich nicht den kontrollierten Grenzübergang, ({16}) sondern er organisiert seine Aktivität über die grüne Grenze. Aus diesem Grunde ist es viel wichtiger, im Hinterland zu kontrollieren und dazu das entsprechende Personal zur Verfügung zu stellen. ({17}) Damit gibt es nach dem Wegfall der Grenzkontrollen für die Bundespolizei eigentlich mehr Möglichkeiten, diese Aufgabe im Rückraum zu erfüllen. ({18}) Das ist Teil der Bundespolizeireform. Ich habe mich in Sachsen und Brandenburg informiert. Es wird genau diese Absicht verfolgt. Ich glaube, Sie, Herr Schäuble, sind hier auf einem richtigen Weg. Ich darf Sie an dieser Stelle bitten, besonders die Sicherheitsinteressen der Bürger im grenznahen Raum ernst zu nehmen und durch Öffentlichkeitsarbeit darauf hinzuwirken, dass die Menschen das Gespür bekommen, dass von unserer Seite tatsächlich alles für die Sicherheit getan wird. ({19}) Ich will dazu folgendes Bild anführen: Die Lage an den Grenzen der neuen Schengen-Staaten ist nicht mit der Situation an den Grenzen zu anderen Staaten vergleichbar. Denn westlich von Frankreich ist der Atlantik. Zwischen Polen und dem Pazifik liegt aber noch ein „kleines“ Stück. Lassen Sie mich einige Gedanken zum Sport ausführen. Der Sportförderetat steigt um gut 15 Prozent oder um 19 Millionen Euro. Allein die Gelder für den Spitzensport werden um über 14 Millionen Euro erhöht. Dieses Geld kommt der Traineroffensive des DOSB und der Förderung der Sportverbände zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2010 in Vancouver und 2012 in London zugute. Der Behindertensport wird im Hinblick auf die Paralympics mit 1,4 Millionen Euro gefördert. Wir sichern die Arbeit der NADA, also der Nationalen Anti-Doping-Agentur, ({20}) mit einer Erhöhung des Stiftungskapitals um 4 Millionen Euro. ({21}) Auch die Stiftung Deutsche Sporthilfe stärken wir erstmalig mit 1 Million Euro, weil die Einnahmen aus der Glücksspirale und dem Verkauf von Sonderbriefmarken zurückgehen. Ich denke, gerade im Bereich des Sports lässt sich das Paket, das ich Ihnen eben vorgestellt habe, sehen. ({22}) Auf die anderen Themen kann ich leider aus Zeitgründen nicht weiter eingehen. Deswegen möchte ich zum Schluss kommen. Ich möchte mich beim Ministerium und bei dem Haushaltsreferat, das mit uns diese Haushaltsberatungen - die waren nicht einfach - durchgeführt hat, bedanken. Das Ministerium muss wissen: Uns Haushälter sollte man ernst nehmen. Das Parlament bestimmt, wofür die Bundesregierung Geld ausgeben darf. Das Budget für 2008 steht fest. Herr Bundesminister, gehen Sie mit dem Geld des Steuerzahlers verantwortlich um! ({23}) Recht herzlichen Dank. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute den Haushalt des Bundesministeriums des Innern. Er steigt um fast 400 Millionen Euro. ({0}) Das erfreut Sie. Uns macht das große Sorge, weil es in die völlig falsche Richtung geht, wie Innenpolitik in der Großen Koalition gemacht wird. ({1}) Sie wird vor allem mit Angst - die ist das Schmiermittel betrieben, um bestimmte Maßnahmen durchzusetzen. Dafür bereiten Sie sich heute die finanzielle Grundlage. Ich will das an einigen Beispielen illustrieren. Die geplante Onlinedurchsuchung - ein altes Thema mittlerweile -, die Sie mit Vehemenz möglichst schnell durchzudrücken versuchen, ohne sich die Zeit zu nehmen, anstehende Gerichtsurteile abzuwarten, und ohne darüber zu diskutieren, inwieweit die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, ist schon angesprochen worden. Die Vorratsdatenspeicherung wurde in der letzten Sitzungswoche durchgepeitscht. Man kann es nicht oft genug sagen: Bei der Onlinedurchsuchung geht es um einen wirklich enormen Eingriff in die bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechte, weil es hier um intimste Lebensbereiche geht, auf die Sie Zugriff haben wollen und in denen Sie herumschnüffeln wollen. Deswegen fordern wir auch an dieser Stelle der Haushaltsberatungen: Stoppen Sie endlich Ihre Planungen für die Onlinedurchsuchung, stoppen Sie die Entwicklung des Bundestrojaners, denn all dies bringt weniger Freiheit und nicht mehr Sicherheit! ({2}) Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: Wir bekommen hier im Wochenrhythmus neue Maßnahmen vorgestellt, was wir alles tun müssten, um größtmögliche Sicherheit zu erhalten. Hinzu kommt, dass hier ein Sicherheitsversprechen gegeben wird, das nicht einhaltbar ist. Sie gehen sogar noch darüber hinaus, indem Sie Maßnahmen vorschlagen, die mehr Sicherheit bringen sollen, in der Realität aber zu weniger Sicherheit führen. Ich will das am Beispiel des biometrischen Passes deutlich machen. BKA-Präsident Ziercke - das Bundeskriminalamt steht nicht im Verdacht, eine Vorfeldorganisation der Linken zu sein - sagt auf unsere mehrfache Nachfrage hin - wir haben ungefähr 28-mal nachgefragt, warum wir die biometrischen Merkmale in den Pässen brauchen -, das sei notwendig, weil damit Schindluder getrieben werde und es enorm viele Fälschungen gebe. Die Bundesregierung sagt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, die deutschen Pässe - übrigens sowohl Personalausweis als auch Reisepass - seien die sichersten Pässe, die es auf der ganzen Welt gibt. Sie sind sozusagen ein Spitzenprodukt. Deshalb bringen biometrische Merkmale gar nichts. Das Gegenteil ist richtig. Sie bringen weniger Sicherheit, weil die Experten - übrigens auch vom BKA gesagt haben, die Gefahr von Verfälschungen bei biometrischen Merkmalen sei eklatant größer als bei dem derzeitigen Reisepass. Auch deshalb fordern wir Sie auf: Stoppen Sie die Mittelbereitstellung für weitere biometrische Experimente, die weniger und nicht mehr Sicherheit bringen und ein Eingriff in die Bürgerrechte sind. ({3}) Mit einem Anteil von 11 Prozent machen die Mittel für die Umstrukturierung des Bundeskriminalamts den größten Posten in diesem Einzelplan aus. Was soll politisch erreicht werden? Sie haben sowohl in Interviews als auch bei der Vorlage für das BKA-Gesetz erkennen lassen, dass es Ihr Traum ist, das BKA in ein deutsches FBI umzuwandeln, also eine Vergeheimdienstlichung der Polizei, eine Zentralisierung der Polizeiarbeit und insgesamt der Sicherheitsbehörden vorzunehmen. Man muss einmal deutlich sagen, warum das politisch so verheerend ist. Es ist so verheerend, weil wir aus der Geschichte heraus die Erfahrung haben, dass die Verquickung von Polizei und Geheimdiensten zu katastrophalen Folgen führt und nicht mehr kontrollierbar ist. Deshalb muss es eine strikte Trennung von Polizeiarbeit und GeJan Korte heimdienstarbeit geben. Diese muss dezentral sein. Sie machen genau das Gegenteil. Übrigens sind auch Föderalismusreformen völlig überflüssig, wenn Sie in der aktuellen Politik das Gegenteil machen. ({4}) Was aber tun? Das ist eine altbekannte Frage. Wir fordern statt Aktionismus und unhaltbaren Sicherheitsversprechen sowie immer weiteren Eingriffen in die Grundrechte eine wirkliche Überprüfung der Maßnahmen dahin gehend, ob sie wirklich mehr Sicherheit bringen und ob sie im Verhältnis zu der Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten stehen. Weiterhin müssen wir darüber nachdenken, dass die Menschen in diesem Land keine tägliche Angst vor irgendeinem abstrakten Terrorismus haben, sondern ganz konkret Angst haben, wenn sie nachts auf der Straße unterwegs sind. Sie haben Angst vor Überfällen usw. Da muss man sich doch fragen, ob die Steuerpolitik der Bundesregierung richtig ist, wenn in der Folge bis 2009 in den Ländern über 10 000 Polizeibeamte abgebaut werden, die vor Ort ganz konkret ansprechbar sind. Die Kontaktbereichsbeamten, die für die Menschen draußen ansprechbar sind, sind die ersten, die gestrichen werden. Diese Beamten kürzen Sie mit Ihrer verfehlten Politik weg. Hier sollte man auf Menschen statt auf Technik setzen. Das ist unsere Position. ({5}) Ich komme zu einem letzten Vorschlag, über den wir einmal nachdenken müssten, weil er wirklich mehr Sicherheit bringt. Es wurden durch die Bundespolizei diverse Kontrollen der Fluggastkontrollen an deutschen Flughäfen durchgeführt. Dort kam eine Fehlerquote von 30 bis 50 Prozent zutage. Man konnte durch die Fluggastkontrollen offensichtlich halbe Waffensysteme schleusen. Warum ist das so? Das liegt daran, dass die Fluggastkontrollen privatisiert worden sind und dort Dumpinglöhne gezahlt werden. Deshalb gibt es hier ein wirkliches Sicherheitsproblem. Wir fordern Sie daher auf, die Fluggastkontrollen wieder zu verstaatlichen. Das wäre sinnvoll. Im Übrigen hat dies auch die Gewerkschaft der Polizei richtigerweise gefordert. Das würde mehr Sicherheit bringen. ({6}) Zum Schluss. Es ist wichtig, heute über das, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, Bilanz zu ziehen. Ich denke an die Vorratsdatenspeicherung, die Antiterrordatei und vieles anderes. Nun wäre es wirklich einmal an der Zeit - übrigens auch für die SPD, die auf ihrem Hamburger Parteitag beschlossen hat, wieder Bürgerrechtspartei zu sein -, eine Umkehr der völlig verfehlten Innenpolitik vorzunehmen. Lassen Sie den Worten Taten folgen und wagen Sie mehr Freiheit - das haben Sie angekündigt - und nicht weniger. Da würden wir Linken glatt mitmachen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn von der SPD-Fraktion. ({0})

Bettina Hagedorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr erleichtert - das nehmen mir sicherlich alle Mitglieder des Haushaltsausschusses sofort ab -, dass wir heute den Haushalt des Innenministeriums abschließend beraten; denn die letzten zwei Monate waren - wir wollen das gar nicht unter den Teppich kehren von schwierigen Debatten zu etlichen Konfliktfeldern gekennzeichnet. Das Entscheidende ist aber, dass wir sie heute zu einem erfolgreichen Ende bringen. ({0}) Wir haben den Etat mit einem Gesamtvolumen von über 5 Milliarden Euro - mein Kollege Michael Luther hat schon darauf hingewiesen - gegenüber dem Regierungsentwurf um 215 Millionen Euro aufwachsen lassen. In fünf zusätzlichen Berichterstattergesprächen haben wir bis ins Detail geklärt, ob die Höhe der vorgesehenen Ausgaben des Innenministeriums gerechtfertigt ist und wo es wirklich Engpässe gibt. Wir haben es uns also wirklich nicht leicht gemacht. Wir haben die Prüfbemerkungen des Bundesrechnungshofs, die hier bei der Debatte im September, bei der Einbringung des Haushalts, von vielen Rednern angesprochen worden sind, solide abgearbeitet, haben Ansätze gekürzt und Mittel auf neue Schwerpunkte verlagert. Wir haben wohl fast 100 Berichte angefordert. Dabei wurden wir von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Innenministeriums, des Finanzministeriums und des Bundesrechnungshofs hervorragend informiert und unterstützt. Dafür möchte ich mich im Namen aller fünf Berichterstatter ganz herzlich und aufrichtig bedanken. ({1}) Der Hauptgrund für den notwendigen Aufwuchs beim Innenministerium liegt in der nun endlich unmittelbar bevorstehenden bundesweiten Einführung des Digitalfunks. Der Bund stellt zusätzlich knapp 190 Millionen Euro bereit und verdoppelt damit in etwa seine Ansätze für 2008. Das ist eine gute Botschaft für alle, die in Bund, Ländern und Kommunen im Sicherheitsbereich, im Katastrophen- und Brandschutz haupt- und ehrenamtlich tätig sind. Viele, die sich bisher Tag und Nacht bei Feuerwehr, Sanitäts- und Rettungsdiensten, bei THW und Polizei mit den Tücken der veralteten Analogtechnik quälen müssen, sehen jetzt endlich Licht am Ende des Tunnels. ({2}) Jetzt liegt ein sehr ehrgeiziger Roll-out-Plan vor, der für jeden Zipfel der Republik detailliert festlegt, in welchen Etappen der Digitalfunk von 2008 bis 2010 aufgebaut wird. Um diesen ehrgeizigen Zeitplan einzuhalten, stellt der Bund für 2008 insgesamt knapp 390 Millionen Euro bereit. Außerdem haben wir für die Folgejahre die Verpflichtungsermächtigungen um circa 400 Millionen Euro auf 819 Millionen Euro erhöht. Davon sind allerdings 560 Millionen Euro gesperrt, sodass auch künftig eine enge parlamentarische Begleitung dieses Mammutprojekts gerade im Haushaltsausschuss sichergestellt ist. ({3}) Ich hoffe sehr, dass auch alle Bundesländer und Kommunen solide Haushaltsvorsorge für die von ihnen zugesicherten Leistungen getroffen haben, damit der Digitalfunk schon bald die Arbeit der Sicherheits- und Rettungskräfte bis hin zur Feuerwehr optimal unterstützen kann. Der größte Brocken im Haushalt des Innenministeriums ist aber zweifelsohne die Bundespolizei mit einem Etat von 2,2 Milliarden Euro; das ist immerhin knapp die Hälfte des kompletten Haushalts des Innenministeriums. ({4}) Für die circa 40 000 Polizeivollzugs- und Verwaltungsbeamten sowie die Angestellten sind Personalausgaben von 1,4 Milliarden Euro veranschlagt. Darin sind die Mittel für die Fortsetzung des Attraktivitätsprogramms zur Hebung von 635 Stellen enthalten. ({5}) Bei den Beratungen der letzten Wochen stand dieser Bereich vor allem deshalb im Zentrum vieler Debatten, weil der Innenminister Ende April eine große Bundespolizeireform angekündigt hat, die zwar im Parlament noch nicht abschließend beraten ist, aber dennoch bereits ihre Schatten auf den Haushalt wirft. Herr Minister, Sie reagieren mit dieser Reform zu Recht auf die Herausforderungen, die nach dem Wegfall der Grenze zu Polen innerhalb eines zusammenwachsenden Europas einerseits und angesichts der Zunahme der Brennpunkte gerade auf den großen Flughäfen und Bahnhöfen andererseits auf die Bundespolizei zukommen. ({6}) Diese veränderte Situation bedeutet eine notwendige Schwerpunktverlagerung der Bundespolizei von Ost nach West, die für viele Beamte und Angestellte sowie ihre Familien mit einem Verlust ihres bisherigen Arbeitsund Lebensumfeldes verbunden sein wird. Dass dies verständlicherweise für Unruhe sorgt, dürfte allen klar sein. Deshalb ist es der SPD sehr wichtig, dass die geplanten Umstrukturierungen transparent verlaufen und auf das dienstlich und fachlich notwendige Maß begrenzt werden. ({7}) Dies sage ich, Herr Minister, nicht nur mit Rücksicht auf die Mitarbeiter und ihre Familien, sondern auch mit Blick auf den Haushalt. Sie kündigten an, diese Reform weitestgehend haushaltsneutral umsetzen zu wollen. Da stockte mir als Haushälterin ein bisschen der Atem, als ich in einem Bericht Ihres Hauses vor kurzem lesen musste, dass bis 2010 mit zusätzlichen Kosten in Höhe von 97,3 Millionen Euro allein für Reise- und Umzugskosten sowie Trennungsgeld gerechnet werden müsse. Im Hinterkopf habe ich des Weiteren den dezenten Hinweis des Ministeriums, dass „künftige Forderungen nach bedarfsgerechter Unterbringung der Dienststellen … in den nächsten Jahren umfangreiche finanzielle Mittel erfordern werden“. Ich denke hier zum Beispiel an das Polizeipräsidium in Potsdam, von dem immer die Rede ist, obwohl es keinen Standort, keine Beschlüsse und auch keine Haushaltsvorsorge gibt. Mit Verlaub, Herr Minister, das sind keine Peanuts. Für eine Reform, die eigentlich zum Ziel hat, die Behörde effektiver zu machen, und die weitestgehend haushaltsneutral umgesetzt werden sollte, ist dies doch sehr viel zusätzliches Geld. Herr Minister, Sie haben für Ihre Reform das Ziel formuliert, dass die Verwaltung verschlankt ({8}) und die Organisation gestrafft werden sollen, um mehr Mitarbeiter „in die Fläche“ zu bringen, im Einsatz „nah bei den Menschen“ im operativen Dienst. Diesem Ziel kann nicht nur ich, sondern können sicherlich wir alle hier im Parlament zustimmen. ({9}) Dies vorangestellt, werden wir Abgeordneten uns allerdings sehr genau anschauen müssen, ob dieses Ziel auch auf dem von Ihnen vorgeschlagenen Weg erreicht werden kann. ({10}) Die von Ihnen vorgesehene Aufstockung in der B-Besoldung bei der Bundespolizei um mehr als das Doppelte passt jedenfalls auf den ersten Blick nicht zu diesem Ziel, zumal Sie diese Stellenaufstockung mit wegfallenden Stellen bei der Bundespolizei gegenfinanzieren wollen. Man könnte auch sagen: weniger Indianer für mehr Häuptlinge. ({11}) Der Haushaltsausschuss hat diesen Stellenaufwuchs vorläufig qualifiziert gesperrt. Wir werden darüber zu beraten haben, wie wir das bewerten. Ich bin gespannt, mit welchem Ergebnis sich die Fachpolitiker damit befassen werden und wie ihr mit dem Bundesrechnungshof abgestimmter Bericht an den Haushaltsausschuss zu diesem Thema aussehen wird. Bei der Bundespolizei haben wir in den parlamentarischen Beratungen aber auch einen sehr erfreulichen Schwerpunkt setzen können, und zwar beim 2004 etablierten Maritimen Schulungs- und Trainingszentrum an der Ostseeküste, das 2005 mit ersten Lehrgangsteilnehmern gestartet ist. Dort wird nicht nur die gesamte maritime Aus- und Fortbildung der Bundespolizei gebündelt, sondern dort werden auch Schiffsbesatzungen anderer Bundes- und Länderbehörden trainiert, zum Beispiel die Mitarbeiter von Zoll und Wasserschutzpolizei. Dieses Zentrum haben wir jetzt mit zusätzlichen Sachmitteln und Personalmitteln ausgestattet, was einen Qualitätssprung für die Ausbildung und eine Kapazitätserweiterung ermöglicht. Angesichts der stark wachsenden Schiffsverkehre auf Nord- und Ostsee mit ihrem hohen Gefährdungspotenzial ist die verbesserte Ausbildung und Qualifizierung in diesem Zentrum eine wichtige und zukunftsweisende Aufgabe. ({12}) Der Gewinner im Haushalt 2008 ist zweifelsohne der Spitzensport mit einem dicken Plus von 19 Millionen Euro. Da meine Kollegin Dagmar Freitag darauf nachher noch detailliert eingehen wird, will ich nur darauf hinweisen, dass ich ganz besonders froh darüber bin, dass die Mittel für die Dopingbekämpfung um 1,8 Millionen Euro erhöht werden konnten und dass zusätzlich 1 Million Euro in den Topf der Nationalen AntidopingAgentur eingezahlt werden, nachdem wir Haushälter bereits vor einem Jahr dafür gesorgt haben, dass 2 Millionen Euro außerplanmäßig in diesen Topf hineinkamen. Allerdings halte ich es schon ein Stück weit für einen Skandal, dass die im Stiftungsvermögen der NADA vorhandenen Mittel zu 82 Prozent vom Bund aufgebracht worden sind, obwohl sich alle Beteiligten bei Einrichtung der NADA einig waren, dass die Mittel vom Bund, von den Ländern und von der Wirtschaft zu gleichen Teilen aufgebracht werden sollen. Ich denke, daran sieht man ganz deutlich, dass diejenigen, die sich in Schaufensterreden gegen Doping aussprechen, mehr reden als handeln. Viel glaubwürdiger wäre das Engagement gerade vonseiten der Wirtschaft und auch der Länder, wenn sie sich finanziell am Stiftungsvermögen beteiligen würden. Das ist mein Appell. ({13}) Mein Kollege Michael Luther hat schon darauf hingewiesen, dass der ergänzende Katastrophenschutz in den Etatberatungen eine wichtige Rolle gespielt hat, Herr Minister. ({14}) Das ist vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass der aktuelle Bundesrechnungshofbericht nicht von Pappe ist, der sich mit der Bund-Länder-Finanzierung beschäftigt, die auch in der Föderalismuskommission eine entscheidende Rolle spielt. Der Bundesrechnungshof hat zu der vorgesehenen Etataufstockung um 30 Millionen Euro pro Jahr auf zehn Jahre festgestellt: Die bisherigen, derzeitigen und vorgesehenen Ausgaben für den „Bevölkerungsschutz“ sind sachlich nicht begründet und ohne rechtliche Legitimation. ({15}) Dieses Zitat kann man als Haushälter unabhängig von der Parteizugehörigkeit nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich weise daher darauf hin, dass wir in den Haushaltsberatungen einen Entschluss gefasst haben, der Ihnen auf der einen Seite die Mittel, die Sie, Herr Minister, in der Innenministerkonferenz ausgehandelt haben, für 2008 zur Verfügung stellt; auf der anderen Seite legt er eine hohe Messlatte an Ihr für 2008 vorgesehenes Bevölkerungsschutzgesetz an. Denn es gibt die klare Erwartungshaltung, dass mit diesem Gesetz die rechtliche Grundlage dafür geschaffen wird, um diese Mittel in den nächsten Jahren verfassungskonform im Haushalt zur Verfügung zu stellen. Der entscheidende Punkt dabei ist, dass es zu einer zentralen Steuerung des Bundes kommen muss, um diese Mittel zu rechtfertigen. Denn nicht nur die Oderflut hat gezeigt, dass auch bei uns klimabedingte Umweltkatastrophen zunehmen und man sich in solchen Situationen im Interesse der Menschen in Deutschland kein Kompetenzgerangel unter 16 Bundesländern leisten kann. In ähnlichen Fällen muss einer sozusagen den Hut aufhaben und im nationalen Interesse entscheiden können. Diese zentrale Steuerungskompetenz haben die Länder dem Bund bisher verweigert. Das ist nicht im Interesse der Menschen, und es liegt uns Sozialdemokraten sehr am Herzen. Wenn diese Länderblockade bliebe - was ich im Sinne der Menschen nicht hoffe -, dann dürfte der Bund nach Gesetzeslage und Haushaltsrecht diese Finanzspritze eigentlich nicht gewähren. Darum haben wir im Haushaltsausschuss einen Beschluss gefasst, der Ihnen in den Verhandlungen den Rücken stärken soll. Denn wir wünschen uns, dass Bund und Länder den Bevölkerungsschutz künftig als gemeinsame Aufgabe begreifen. ({16}) Gemeinsam heißt allerdings auch, dass sich die Länder daran messen lassen müssen, welche Anstrengungen sie selbst beim Bevölkerungsschutz unternehmen. Sie müssen auch Transparenz in die Bereitstellung der zur Verfügung gestellten Mittel bringen und sich etwas aktiver beteiligen als bisher. Denn es darf nicht passieren, dass die Länder die Finanzspritze des Bundes vor allem als willkommene Gelegenheit auffassen, eigene Finanzmittel zu sparen. Dann wäre für den Bevölkerungsschutz nichts gewonnen. Die herausragende Rolle, die das THW in unseren Beratungen gespielt hat, hat mein Kollege Luther schon dargestellt. Dem kann ich mich nur anschließen. Ich bin froh, dass wir bei den 800 hauptamtlichen Mitarbeitern bleiben, um die 80 000 Ehrenamtlichen auch in Zukunft gut zu organisieren. ({17}) Ich bin auch froh, dass es parteiübergreifend gelungen ist, die Mittel für das Bündnis für Demokratie und Toleranz wie schon im Vorjahr zu erhöhen, und zwar um 43 Prozent auf 1 Million Euro. Ich erwarte jetzt allerdings, Herr Minister, ({18}) dass Sie diesem Votum des Parlaments Rechnung tragen und im nächsten Regierungsentwurf 2009 das Geld nicht wieder kürzen. ({19}) Das gilt im Übrigen auch für die Bundeszentrale für politische Bildung, deren Titel wir in diesen Haushaltsberatungen um 1 Million Euro stärken konnten. Je 500 000 Euro sind für die 340 Träger, die bildungspolitische Aufgaben in der gesamten Bundesrepublik wahrnehmen, und für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen und darin speziell für diejenigen in bildungsfernen Schichten vorgesehen. Ich freue mich besonders, dass es gelingen wird, 2008 die bewährte Ecopolicyade bundesweit einzuführen, weil sie sich gerade in der Arbeit von Hauptschulen und anderen Schularten sehr bewährt hat. Ich bin auch glücklich, dass es uns gelungen ist, den Zuschuss für das Abraham-Geiger-Kolleg auf 200 000 Euro aufzustocken, und vor allen Dingen, dass uns endlich der Kraftakt gelungen ist, diese wunderbare Einrichtung institutionell zu fördern. Das gibt dem Abraham-Geiger-Kolleg Planungssicherheit, und das ist ein wunderbares Zeichen in der heutigen Zeit. ({20}) Als Schleswig-Holsteinerin freue ich natürlich darüber, dass es gelungen ist - auch das in parteiübergreifendem Konsens -, die Mittel für den Bund der Nordschleswiger um 100 000 Euro zu verstärken und damit eine Kürzung rückgängig zu machen. Das war ein einstimmiges Votum des Haushaltsausschusses. Herr Minister, nehmen Sie diese Aufstockung im Haushaltsentwurf 2009 bitte nicht wieder zurück! ({21}) Abschließend möchte ich mich bei meinen vier Mitberichterstattern für die insgesamt sehr sachlichen Haushaltsberatungen bedanken. ({22}) In den Beratungen haben wir eine Fülle an Informationen gemeinsam verantwortungsvoll abgearbeitet. Naturgemäß konnten wir nicht immer einer Auffassung sein, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen. Herr Minister, machen Sie das Beste daraus! ({23}) Alles Gute für den Haushalt! ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Bürsch, ich nehme das auf. „Die Koalition ist am Ende“, sagen Sie. Die ist so am Ende, dass es Leichenschändung wäre, im Bereich der inneren Sicherheit noch auf sie einzuprügeln. ({0}) Das kann man in jeder Zeitung lesen. Kollege Gunkel macht zur Reform der Bundespolizei nur Trickserei und Täuscherei beim Innenminister aus. ({1}) Also, das Beschimpfen überlassen wir euch untereinander. Ich halte mich an Kurt Tucholsky: „Wo bleibt das Positive?“ und knüpfe zunächst einmal an das Positive an, das uns die Kollegin Hagedorn hier geschildert hat. ({2}) - „Sehr gut“, sagen Sie. Eben. Es wird auch richtig gut. Noch vor einem Jahr haben wir hier eine Debatte über Antiterrordatei und Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz geführt. Das war eine Debatte sozusagen unter Fachleuten. Heute haben wir die Situation, dass Zehntausende auf die Straßen gehen, hier in Berlin, in Frankfurt am Main, in anderen Orten, ({3}) mit Transparenten „Meine Daten gehören mir“ und insbesondere auch gegen Sie demonstrieren, Herr Kollege Wiefelspütz. ({4}) - Auch gegen Sie, Herr Kollege Wiefelspütz. ({5}) Die Parolen der 80er-Jahre von Orwell und vom Überwachungsstaat gehen um. Wir hatten sie beinahe vergessen. Der Stern titelt wieder: „SOS - Freiheit in Deutschland“. Eine ganze Generation erklärt ihren Laptop per Aufkleber zur schäublefreien Zone. Deswegen, Kompliment, Herr Bundesinnenminister! Das haben Sie beinahe als Solist geschafft. ({6}) - Sie haben sich auch Mühe gegeben, aber Schäuble war noch besser, Herr Wiefelspütz. Glauben Sie es doch endlich! ({7}) Wir begrüßen diese Bürgerrechtsbewegung ganz außerordentlich. Sie hat so recht: Es ist die Gier nach Daten im Handy oder im Internet, auf biometrische Daten, die die Angst vor dem Überwachungsstaat virulent macht. Es geht aber weiter. Der Bundesinnenminister will nicht nur überwachen. Er hat eine völlig andere Sicherheitsphilosophie und will eine völlig andere Sicherheitsarchitektur, als wir sie haben. ({8}) „Meister der asymmetrischen Wortkriegsführung“, so hat ihn nicht etwa die taz genannt; so hat ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung genannt. Was meint sie denn damit? Sie meint damit, dass dieser Innenminister mobilmacht gegen jede Trennung von äußerer Sicherheit und innerer Sicherheit, gegen die Trennung von Polizei und Militär, gegen den Unterschied zwischen Krieg und Frieden und gegen den Unterschied zwischen ziviler Rechtsordnung und Kriegsrecht ({9}) und folgerichtig bei der Frage der Liquidierung von Terrorverdächtigen landet. ({10}) Ich wiederhole hier, gerade weil es die CDU/CSU so aufgeregt hat: Einen solchen Müll: „In den Metropolen herrscht Krieg“, „Wir sind Kriegsgefangene“ habe ich in diesem Land das letzte Mal von Andreas Baader gehört. Das war aber ein Terrorist, der das aus seiner Gefängniszelle heraus sagte. ({11}) Hier redet der Verfassungsminister, ({12}) und der hat die Menschenwürde auch des terroristischen Straftäters zu garantieren, er hat ihn nicht zu liquidieren. ({13}) Wo kommen wir denn hin, wenn so etwas gesellschaftsfähig wird? Er hat doch keine Narrenfreiheit. ({14}) - Ich denke nicht daran. Ich habe ihn nicht gleichgesetzt, sondern gesagt: Solche Äußerungen und solche Töne haben wir in der Zwischenzeit nicht gehört. Nicht umsonst empfiehlt er das Buch Selbstbehauptung des Rechtsstaates von Otto Depenheuer als seine Lieblingslektüre. Ich bin dieser Lektüreempfehlung gefolgt. Unentwegt wird Carl Schmitt, der Theoretiker des Ausnahmezustandes, zitiert, den viele aus guten Gründen für einen geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus gehalten haben. ({15}) - Das ist völlig unbestritten bei Carl Schmitt. ({16}) - Ich rede über eine Buchempfehlung, die er gegeben hat. Dies ist ein Buch, das ich mit Schaudern gelesen habe und das ich deswegen jedem empfehle, damit er weiß, welcher Geist dort inzwischen umgeht. Es wird nicht nur Carl Schmitt, sondern auch Ernst Jünger zitiert: Das tiefste Glück des Menschen besteht darin, dass er geopfert wird, und die höchste Befehlskunst darin, Ziele zu zeigen, die des Opfers würdig sind. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Nun sagt Depenheuer nicht, das sei ein für alle Mal richtig. ({17}) Er sagt vielmehr: Das war falsch und wurde zu verbrecherischen Zwecken eingesetzt. Aber heute gibt es ja das Bürgeropfer zu guten Zwecken, zur Terrorabwehr. ({18}) - Sie regen sich auf, weil ich darlege, welches Denken hier verbreitet wird. ({19}) Es ist das Denken nach dem Motto: Not kennt kein Gebot. Es ist das Denken, dass der Zweck jedes Mittel rechtfertigt. ({20}) Das hat mit unserer Verfassung nichts zu tun. Dieser Autor hat eine richtige Kampfschrift gegen das Bundesverfassungsgericht geschrieben, dem er - man höre und staune - Verfassungsautismus vorwirft. Dies ist eine Kampfschrift des Konservatismus, die grauenhaft ist. ({21}) Entsprechend geht man inzwischen gegen unsere obersten Richter vor. Man lässt sie nicht nur in Büchern beschimpfen. Ein Beispiel ist der Vorsitzende Richter des 3. Strafsenats des BGH. Er hat gerade gestern die Entscheidung gefällt, wonach die nächtlichen Brandstifter der „militanten gruppe“ als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung und nicht als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung verfolgt werden müssen. Er hat die Unterscheidung, die der Gesetzgeber gemacht hat, nachvollzogen, verstanden und in einen Beschluss gefasst. Dieser Richter hat sich bei Ihnen offenbar sehr unbeliebt gemacht. Der Spiegel schreibt, dass dieser Richter nach Ansicht der Union zu wenig konziliant sei und deswegen nicht als Präsident des BGH infrage komme. Dazu sage ich: Wenn Sie hier in Richtung amerikanische Verhältnisse gehen, ({22}) wenn Sie Richter für Entscheidungen, die sie gefällt haben, karrieremäßig bestrafen wollen, dann versündigen Sie sich an der Unabhängigkeit unserer Justiz. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. ({23}) Gleichzeitig geht diese Bundesregierung, insbesondere dieser Innenminister - die SPD hält teilweise dagegen -, den Weg der Zentralisierung. Es gibt das BKAGesetz. Das BKA soll tatsächlich zu einem deutschen FBI mit vollen geheimdienstlichen Kompetenzen ausgebaut werden. Darin ist alles enthalten, was schön teuer und schrecklich ist: IMSI-Catcher, Rasterfahndung, Schleierfahndung, verdeckte Ermittler, V-Leute. Es fehlt wirklich nichts aus dem Warenhauskatalog. Man streitet sich offenbar - zu Recht - nur noch um die Onlinedurchsuchung. Aber auch was sonst noch darin steht, muss beachtet werden. Vor allem muss doch gesehen werden, dass die Länder völlig außen vor bleiben. ({24}) Sie dürfen nur noch Hilfsdienste und Amtshilfe leisten. ({25}) Durch die Vorverlegung in den präventiven Bereich bleibt die Generalbundesanwaltschaft außen vor; sie muss noch nicht einmal mehr informiert werden, wenn ermittelt wird. Das alles steht in diesem Gesetz. Es führt unsere Architektur, in der Polizei im Grundsatz Ländersache ist, ad absurdum, gerade in diesem Bereich, und das vor dem Hintergrund, dass die Erfolge, zum Beispiel die Festnahme im Sauerland, auf ein konzertiertes Nebeneinander ({26}) von Bund und Ländern zurückzuführen waren. Das sehen Sie nicht. Sie tun so, als ob alles vom grünen Tisch in Wiesbaden aus zu regeln und zu lösen wäre. Das ist ein Irrweg. ({27}) - Jetzt regt ihr euch auf. Das gilt natürlich auch für die Bundespolizei. Die Polizisten, die in Frankfurt ({28}) demonstriert haben, haben doch nicht nur demonstriert, weil sie gerne dort wohnen bleiben möchten, aus eigensüchtigen Interessen, wie Sie hier unterstellt haben. Sie haben auch demonstriert, weil sie zum Ausdruck bringen wollten, dass das Doppelsignal - die Grenze fällt, was natürlich begrüßt wird und gewollt ist, und die Polizei geht - sinnlos ist. Das ist ein kriminalgeografischer Raum. Da muss man erst einmal sehen, ob und wie sich Kriminalität dort entwickelt. Das gehört doch zum kleinen Einmaleins. ({29}) Ich verstehe nicht, dass ausgerechnet ein Grüner das sagen muss. Aber er muss es offenbar sagen. Erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung erfolgt vor Ort, in dezentralen Einheiten und nicht in gigantischen Apparaten, die diesem Innenminister vorschweben und die er Schritt für Schritt umsetzt. Auch dazu hätte ich gerne etwas von Ihnen gehört, Herr Dr. Luther; aber da kam wenig. ({30}) - Das ist alles zum Haushalt. Dafür werden die Gelder bereitgestellt. Genau dafür haben wir diesen Aufwuchs im Haushalt. An anderer Stelle ist der Aufwuchs zu gering. Auch dazu will ich Ihnen etwas sagen. Ein Plus von 14 Millionen Euro ist bei dem Lieblingsthema Ihres Nachbarn zu verzeichnen, nämlich bei den Integrationskursen. Man könnte natürlich sagen: Tolle Sache, 14 Millionen mehr! Die Mittel wurden aber zunächst zwei Jahre lang um 67 Millionen Euro gekürzt. ({31}) Das ist nicht ausgeglichen worden. Bei diesen Kursen besteht nach wie vor ein Mangel. Noch nicht einmal die Hälfte der Teilnehmer durchläuft die Kurse erfolgreich. Nur 45 Prozent bekommen am Ende das Zertifikat. Das wollten wir verbessern. ({32}) Dazu braucht man mehr Geld; das ist völlig klar. Es langt nicht, Integrationsgipfel zu veranstalten und Showveranstaltungen für die Kameras zu machen, sondern man muss wirklich etwas für die Integration tun. ({33}) Das hat die Umsetzung der Novelle des Zuwanderungsgesetzes nicht erreicht. Das haben wir hier gehört. Es ist beeindruckend, dass der Kollege Edathy gesagt hat, er stimme einem Gesetz zu in der Hoffnung, dass Karlsruhe eine wesentliche Entscheidung kippt, nämlich dass die Ehepartner im Heimatland Deutsch lernen müssen. Das ist eine besondere Dialektik.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Ende, Herr Präsident. ({0}) - Ja, das tut Ihnen weh, wenn jemand Ihre Politik einmal richtig charakterisiert. ({1}) Dieser Haushalt gießt die falsche Politik der Zentralisierung und des Überwachungsstaats in Zahlen. Wir lehnen ihn vollständig ab. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Wolfgang Schäuble. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Wieland, da Sie meine Literaturempfehlungen so aufmerksam aufgreifen, gebe ich Ihnen gleich wieder eine. ({0}) Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat das wunderbare Buch Die Vermessung der Welt geschrieben. Dafür hat er den Welt-Literaturpreis bekommen. Bei der Preisverleihung hat er, wie es sich gehört, eine Dankesrede gehalten. In dieser hat er über das Verhältnis von Fakt und Fiktion gesprochen. Ihre Rede hat mich gerade sehr daran erinnert. ({1}) Erlauben Sie mir ein kurzes Zitat aus seiner Rede. Daniel Kehlmann sagte: Und dann druckt in einer renommierten Monatsschrift für Kultur jemand einen gediegenen Artikel über deutsches Bildungsgut ab und beschreibt ganz nebenher, wie Daniel Kehlmann in Wiesbaden einen Vortrag gehalten habe, angetan mit Anzug, Weste und wohlgebundener Fliege und brüsk alle berechtigten Fragen des Publikums nach dem Verhältnis von Fakten und Fiktionen in seinem Werk von sich gewiesen habe. Was für ein unangenehmer Mensch, denkt man, und dann erst fällt einem auf, dass man es ja selbst ist, und erinnert sich: Ja, man war allerdings in Wiesbaden, aber man hielt einen Vortrag über eben dies Verhältnis von Fakt und Fiktion, zu dem man laut Bericht die Auskunft verweigert habe, man hatte Jeans an, man besitzt keine Weste und hat schon deshalb noch nie eine Fliege getragen, weil man sie gar nicht zu binden wüsste; und es wird einem klar, dass jener Schreiber vielleicht gar nicht lügen wollte, - sehen Sie, so milde bin ich zu Ihnen sondern statt den Dingen, wie sie nun mal sind in der Welt …, das Zerrbild einer Reputation gesehen hat. Daran haben Sie mich eben erinnert. ({2}) Anknüpfend an das, was der Kollege Stadler zu Beginn ausgeführt hat, will ich sagen: Es ist wahr, die Sicherheit in unserem Lande ist gut. Mit diesem Haushalt wird haushalterisch dafür Vorgesorge geleistet, dass das auch im kommenden Jahr so sein wird. Ich bedanke mich beim Haushaltsausschuss, insbesondere bei den Berichterstattern, für eine intensive Arbeit. Da das Ganze vielfältig, zum Teil auch unterschiedlich, debattiert worden ist, will ich die folgende Bemerkung machen: Dass die Sicherheit in unserem Lande so gut ist, hat vor allen Dingen mit der bewährten Sicherheitsarchitektur unseres Grundgesetzes zu tun, ({3}) wonach die Länder die vorrangige Zuständigkeit haben und der Bund eine ergänzende. Wir machen das miteinander. Es ist merkwürdig: Auf der einen Seite wird kritisiert und gesagt, wir würden überhaupt nichts hinbekommen, und auf der anderen Seite wird gesagt, wir würden viel zu viel machen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie immer in der Mitte. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren gerade im Zusammenwirken von Bund und Ländern eine Menge schwierigster Punkte, die jahrelang nicht lösbar erschienen, vorangebracht. Das spiegelt sich im Haushalt wider. Dass wir bei der Einführung des Digitalfunks für die Behörden bezüglich der öffentlichen Sicherheit endlich vorankommen, ist ein Erfolg im Zusammenwirken von Bund und Ländern. Das Ganze war zwar schwierig, aber es ist gelungen. ({4}) Dass wir die Antiterrordatei haben, ist ein Erfolg. Dass wir das Gemeinsame Antiterrorzentrum haben, ist ein Erfolg der gemeinsamen Arbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern. Wir werden auf diesem Weg weiter voranschreiten. Die meisten Menschen in unserem Land und in der Welt haben uns nicht zugetraut, mit den unglaublichen Herausforderungen, die sich uns im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft gestellt haben - denken Sie an das Public Viewing -, fertig zu werden. ({5}) Wir haben das hervorragend gemacht. Dass das ein Sommermärchen geworden ist, hat nicht zuletzt damit zu tun. Ohne das Zusammenwirken von Bund und Ländern im Rahmen der föderalen Struktur wäre das nicht möglich gewesen. ({6}) - Wenn Sie den großen Beitrag, den die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in diesem Verbund geleistet haben, richtig würdigen, gehen Sie mit ihnen fair um. ({7}) - Darum geht es doch gar nicht. Ich rede von dem Sicherheitsverbund. Ich möchte gerne dafür werben, dass wir im Zusammenwirken von Ländern und Bund beim Bevölkerungsund Katastrophenschutz genau diese guten Erfahrungen beherzigen. Der Bund ist nicht der Befehlsgeber der Länder. Das würde schiefgehen; das entspricht nicht der Architektur des Grundgesetzes. Der Bund hat eine ergänzende Funktion. Diese Aufgabe nehmen wir mit den Mitteln wahr, die wir für den Bevölkerungsschutz zur Verfügung stellen. Wir haben mit den Ländern darüber gesprochen, dass der Bund im Rahmen des Katastrophenschutzes neue Schwerpunkte wahrnehmen muss. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern. Ich bedanke mich sehr, dass Sie auch unter den schwierigen Voraussetzungen - der Rechnungshofbericht wurde erwähnt - in diesem Haushalt die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Nächste Woche tagt die Innenministerkonferenz. Wir werden in der gemeinsamen Verhandlung alles daransetzen, zu einem Zusammenwirken zu kommen, aber in dem Verständnis - dafür werbe ich in diesem Hohen Haus -, dass gemäß der richtigen Grundentscheidung unseres Grundgesetzes die prioritäre Zuständigkeit bei den Ländern ist und verbleibt und dass es so auch richtig ist. Von diesem Verständnis aus erreichen wir die großen Erfolge für die Sicherheit in unserem Lande. Zweite Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang dann auch machen möchte: Natürlich müssen wir versuchen, mit den vorhandenen, immer begrenzten Mitteln - natürlich sind sie begrenzt - möglichst viel zu erreichen und durch entsprechende Anpassungen, die den Menschen Veränderungen zumuten, auf neue Aufgaben die richtigen Antworten zu finden. Ich finde es großartig - das sollte man mit positivem Unterton sagen -, dass wir am Ende des Jahres 2007 in einem Deutschland mitten in Europa leben, in dem wir mit all unseren Nachbarn solch gute Verhältnisse haben, dass wir an den Grenzen unseres Landes keine stationären Grenzkontrollen mehr durchführen müssen. Das ist ein großartiger Erfolg. ({8}) Ich bin in einer Grenzregion - sie liegt an der deutsch-französischen Grenze - zu Hause. Wir waren lange Zeit benachteiligt. Das wissen die Jüngeren heute gar nicht mehr; Kollege Göbel, wir wissen, wovon wir reden. Ich weiß noch, dass Grenzregionen wegen ihrer Randlage generell benachteiligt waren. ({9}) Wenn Grenzen nicht mehr trennen, dann bekommen die Grenzregionen ganz neue Chancen. Das wird jetzt für die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und auch Bayern der Fall sein. Im Übrigen ist es so: Die Art von Kriminalität, die uns heute bedroht und die weitgehend grenzüberschreitend ist, wird durch die Grenzkontrollen, die wir heute haben - Kollege Michael Luther hat es sehr richtig gesagt -, überhaupt nicht behindert. Deswegen brauchen wir neue Formen polizeilicher Zusammenarbeit in Europa über die Grenzen hinweg. Da haben wir große Fortschritte erzielt. Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Menschen in der Nachbarschaft zu Polen und Tschechien können darauf vertrauen, dass die Erweiterung des Schengen-Raums nicht weniger Sicherheit, sondern mehr Freiheit und mehr Sicherheit zugleich bedeuten wird. Deswegen freuen wir uns darauf, dass wir diesen Schritt am Ende des Jahres in Europa gehen. ({10}) Wir haben eine hervorragende Zusammenarbeit mit den Polizeien der neuen Schengen-Vertragsstaaten, insbesondere mit Polen und Tschechien. Dafür will ich mich hier bedanken. Wir werden ab dem 17. Dezember dieses Jahres, also schon vor dem Wegfall der Grenzkontrollen, die gemeinsamen Zentren der polnischen, tschechischen und deutschen Polizei mit den jeweiligen Landespolizeien aus den vier Grenzländern in Betrieb nehmen, und zwar im 24-Stunden-Betrieb, sieben Tage in der Woche. Wir werden den Grenzraum gemeinsam intensiver bestreifen: polnische, tschechische, bayerische, sächsische, brandenburgische, mecklenburgische und Bundespolizei gemeinsam. Wir werden weniger Präsenz der Polizei an den Kontrollhäuschen, aber mehr Präsenz in der Region haben. Deswegen ist es ein Mehr an Sicherheit. Dazu ist es notwendig - Frau Hagedorn hat es richtig gesagt -, dass wir die Bundespolizei umorganisieren. Das ist keine reine Freude für die Bundespolizei und für die Mitarbeiter. Deswegen haben wir gesagt: Wir machen es so, dass wir uns auf die neuen Aufgabenschwerpunkte konzentrieren. Wir machen es für das Personal so schonend wie möglich. Das Konzept wird in drei Jahren umgesetzt. Es ist, wie im Bundespolizeigesetz vorgesehen, mit allen Landesregierungen abgestimmt. Es macht die Ost-West-Verlagerung so erträglich wie möglich. Es führt übrigens dazu, dass wir bei der gegebenen Stärke der Bundespolizei rund 1 000 Polizeibeamte mehr aus den Städten heraus in den Vollzug bringen. Das ist ein Effizienzgewinn. Es stärkt die Leistungsfähigkeit der Bundespolizei und dient der inneren Sicherheit unseres Landes. ({11}) Ich will trotz der gebotenen Kürze dieser Aussprache eine weitere Bemerkung machen. Es ist interessant: Vor einem Jahr war das große Thema, dass die Mittel für die Integrationskurse angeblich nicht ausreichen. Wir haben sie aufgestockt. Sie haben aber auch im vergangenen Jahr ausgereicht. Wir sind in dieser Regierung insgesamt auf einem guten Weg. Wir haben es am Beginn der Legislaturperiode gemeinsam zu einem Schwerpunkt unserer Politik gemacht, vorhandene Defizite in der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund abzuarbeiten und zu bekämpfen. Wir kommen auf diesem Weg voran und stellen für den Haushalt 2008 die entsprechenden Mittel zur Verfügung. Es ist bereits gesagt worden - darauf werden die Kollegin Freitag und andere noch zu sprechen kommen -, dass wir im Haushalt die Mittel für die Sportförderung und für die Dopingbekämpfung erhöht haben; auch dafür bedanke ich mich. Ich füge hinzu: Wir haben die große Sorge, dass das ungeheuer Attraktive, das der Sport in all seinen Erscheinungsformen für unser Land, für die Bevölkerung und für die Gesellschaft bedeutet, durch Übermaß bzw. Übertreibung zerstört wird. Auch die Auswirkungen der überzogenen Professionalisierung bis hin zum Missbrauch bei den Sportwetten, den es zu bekämpfen gilt - vom Doping ganz zu schweigen -, bereiten uns große Sorgen. Wir müssen deshalb am richtigen Verständnis von Subsidiarität festhalten. Wir müssen die Eigenverantwortung der Sportorganisationen einfordern und stärken und vonseiten des Staates, der Politik und des Gesetzgebers, subsidiäre Unterstützung leisten. Wir dürfen aber nicht glauben, dass dann, wenn wir die Freiheit der Sportorganisationen durch staatliche Reglementierung ersetzen würden, irgendetwas besser würde. Dadurch würde die Situation nur schlechter. ({12}) Meine letzte Bemerkung. Auch wenn Deutschland ein sicheres Land ist, haben sich die Bedrohungen unserer Sicherheit verändert. Die Welt verändert sich fort und fort, und die technologischen Entwicklungen schreiten immer weiter voran. Das ist in jeder fachlich einigermaßen ernsthaft geführten Diskussion Konsens. Herr Kollege Stadler hat richtig beschrieben, was im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien in der vergangenen Legislaturperiode geschehen ist. Nun, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hat, müssen wir regeln, wie die Sicherheitsbehörden auf technologische Entwicklungen reagieren. Als das Auto noch nicht erfunden war, brauchte die Polizei keine Kraftfahrzeuge; das ist wahr. Als das Auto aber erfunden war, brauchte die Polizei Kraftfahrzeuge. Wenn Kommunikation nicht mehr nur über das Telefon erfolgt, sondern in anderer Weise, dann müssen die Sicherheitsbehörden die Möglichkeit haben, unter Beachtung der gleichen engen Voraussetzungen - eine klare rechtliche Grundlage, die Entscheidung einer unabhängigen Stelle bzw. eines Richters im Einzelfall und dergleichen mehr - mit der technischen Ausstattung derjenigen, die unsere Sicherheit bedrohen, Schritt zu halten. Der Staat ist ein Rechtsstaat nur so lange, wie er in der Lage ist, das Recht durchzusetzen. Die Gesetzlosigkeit sichert nicht Freiheit und Grundrechte. ({13}) Das ist kein Widerspruch, sondern ein notwendiger Schritt. Hier haben wir eine Verantwortung. Wir haben gesagt: Dafür schaffen wir eine rechtliche Grundlage. - Deswegen: Kritisieren Sie nicht zu schnell diejenigen, die versuchen, für das, was als Folge der technischen Entwicklung notwendig ist, eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Mein Verständnis vom Verfassungsstaat ist - hier lasse ich mich von niemandem beirren -, dass wir nur im Rahmen der Verfassung, auf der Grundlage klarer rechtlicher Regelungen, begrenzt auf Ausnahmefälle, mit Transparenz und unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Vorschriften, den Sicherheitsbehörden die rechtlichen Instrumente an die Hand geben dürfen, die sie brauchen, um nicht in Grauzonen handeln zu müssen. ({14}) Bei allem Respekt: Ich halte nichts, aber auch gar nichts davon, dass uns Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts raten, wir sollten uns im Zweifel nicht an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts halten. Das entspricht nicht meinem Verständnis. Ich möchte, dass wir im Rahmen von Verfassung und Gesetz, und zwar nur im Rahmen von Verfassung und Gesetz, handeln. Hier müssen der Gesetzgeber und die politisch Verantwortlichen ihre Verantwortung übernehmen. Wir dürfen nicht einfach nur hoffen, dass sich im Zweifel irgendjemand bei der Polizei oder bei der Bundeswehr nicht an Verfassung und Gesetz hält. Das ist nicht unser Verständnis. Wir dienen dem Rechtsstaat mehr, wenn wir offen, transparent und sachlich über die Frage diskutieren: Unter welchen Voraussetzungen muss wer in welcher Lage eine Entscheidung treffen, um Schaden von unserem Land zu wenden? Darum geht es - um nicht mehr und nicht weniger. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Hartfrid Wolff von der FDP-Fraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kritik an der Bundesregierung ist nötig. Ich glaube aber, dass Sie, Herr Kollege Wieland, sich eben vergaloppiert haben. ({0}) Die Stichpunkte, die Sie genannt haben, und die Vergleiche, die Sie gezogen haben, waren nicht erforderlich, ({1}) um die existierenden Widersprüche in der Regierungspolitik deutlich zu machen. Herr Innenminister Schäuble, Sie sagten gerade, dass Sie sich an das Gesetz - vor allem an das Grundgesetz halten möchten. Interessant ist dabei, dass einige Personen - nicht nur Verfassungsrechtler - erhebliche Schwierigkeiten bei den Initiativen sehen, die Sie bisher vorgelegt haben. Die Vorratsdatenspeicherung harrt noch der Überprüfung. Ich habe aber große Zweifel, ob Sie an dieser Stelle Ihrem eigenen Ziel gerecht werden können. ({2}) Die Widersprüche sind deutlich. Einerseits haben Sie neue Forderungen wie die Onlinedurchsuchung - übrigens gibt es auch da verfassungsrechtliche Bedenken -, die Videoüberwachung und Abhörmaßnahmen. Andererseits wird die Einsatzfähigkeit und Motivation der Polizei durch Umstrukturierungen, Personalabbau sowie schlechte Bezahlung und Versorgung auf breiter Ebene konsequent reduziert. Die Furcht vor Terroranschlägen wird von Bundesminister Schäuble mit seiner Panikmache verstärkt. Das Ziel ist, die Öffentlichkeit für Verschärfungen der Sicherheitsgesetze geneigt zu machen, die eigentlich nicht notwendig sind. Das fördert eine Angststimmung und schadet einer freiheitlichen Gesellschaft. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, organisatorischer Aktionismus hilft nicht. Ein besonders unerfreuliches Kapitel ist dabei tatsächlich die Bundespolizeireform. Ohne Beteiligung der Betroffenen wurden vollendete Tatsachen geschaffen. Leider wird das vorgegebene Ziel, den operativen Bereich der Bundespolizei zu stärken, nicht erreicht werden, indem die Zahl der Inspektionen und Verantwortlichen vor Ort nahezu halbiert wurde. - Herr Körper nickt zu Recht. - Stattdessen wird in Potsdam ein gigantischer Wasserkopf geschaffen. Die Kosten der Reform in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro, die die Bundesregierung auf Anfrage der FDP schon zugegeben hat, sind kein Pappenstiel. Insofern danke ich Ihnen, Frau Hagedorn, für Ihren Hinweis. Ich frage Sie, Herr Schäuble: Warum legen Sie schon seit Jahren keinen Bericht zur Bundespolizei mehr vor? Wo ist zum Beispiel Ihre Definition der Leitlinien über die Ziele der Bundespolizei nach der Schengen-Erweiterung? Brauchen wir wirklich mehr hochdotierte Posten in der neuen Zentrale? Sie schaffen mit dem neuen Bundespolizeipräsidium in Potsdam Parallelstrukturen. Das BKA und die Bundespolizei müssen zusammenarbeiten, statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen. Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität fehlt die Abstimmung. Der Zoll hat leider - ich sage ganz bewusst „leider“ - keine Erkenntnisse darüber, ob sich die organisierte Kriminalität zum Beispiel über den Zigarettenschmuggel ausweitet. Andererseits fordert das Innenministerium immer neue Gesetze zur Bekämpfung derselben. Das ist unabgestimmt, chaotisch, und, Herr Minister, Ihre Sicherheitsarchitektur gleicht einer Bruchbude. Auch an vielen anderen Baustellen im Innenressort fehlt der Architekt. Beim Waffenrecht wusste das Ministerium nicht, was es tut. 2006 forderten Sie die Entwicklung des Instruments der Onlinedurchsuchung und haben im Haushaltsausschuss extra Mittel dafür beantragt, obwohl Ihre Geheimdienste dieses bereits seit 2005 rechtswidrig angewandt haben. Meine Damen und Herren, die innere Sicherheit Deutschlands benötigt keine panischen Gesetzgebungsattacken, sondern eine ruhige, entschlossene und überlegte politische Führung. ({4}) Für die FDP gilt: Sicherheit ist nicht gegen, sondern nur in Zusammenarbeit mit den Bürgern zu erreichen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hartmann von der SPD-Fraktion.

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister, ich bin Ihnen sehr dankbar für die maßvolle und abgewogene Rede, die Sie gehalten haben. ({0}) Sie zeugt davon, dass manches Gespräch, das wir in den letzten Wochen in vielleicht etwas härterem Ton führen mussten, doch etwas genutzt hat. Vielen Dank, so können wir gut weitermachen, Herr Minister Schäuble. ({1}) Wir haben in dieser Wahlperiode allen Unkenrufen zum Trotz allein im Bereich der inneren Sicherheit bereits 13 Gesetze verabschiedet. Es handelte sich um Gesetze, die nicht skandalträchtig waren, die uns aber in der Tat weitergebracht haben. Lieber Herr Wolff, ich kann Ihnen das nicht ersparen: Es ist schon eine pikante und unangenehme Situation für einen Abgeordneten der FDP, wenn er hier zur inneren Sicherheit spricht. Denn es gibt ja ein Landesgesetz aus Nordrhein-Westfalen, das sich auf den Verfassungsschutz bezieht, mit dem Tür und Tor geöffnet werden, ohne dass bürgerliche Freiheitsrechte respektiert werden. Dieses Gesetz ist unter der Federführung eines FDPMinisters entstanden. Gehen Sie da in sich! Wir machen gründlichere und gute Gesetze. ({2}) Warten Sie es ab: Das NRW-Gesetz wird in Karlsruhe tragisch scheitern. ({3}) Die Gesetzgebung im Bereich der inneren Sicherheit ist auch deshalb eine gute, lieber Herr Kollege Wieland, weil wir hier in einer Kontinuität stehen. Ich möchte jetzt gar nicht darauf hinweisen, dass das Luftsicherheitsgesetz, das vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist, auch mit den Stimmen der Grünen verabschiedet wurde. ({4}) Tun Sie also nicht so, als seien Sie bei all diesen Dingen nicht dabei gewesen, als hätten Sie schon immer Alarm gerufen, wenn vermeintlich Bürgerrechte angegriffen sind! Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen: Wir sind derzeit dabei - ganz in der Tradition von Rot-Grün und aufbauend auf dem, was an guter und solider Politik von Otto Schily und seinem Staatssekretär Fritz Rudolf Körper und vielen anderen vorbereitet wurde -, ({5}) beispielsweise über eine Visawarndatei zu verhandeln. Die wird es geben; wir werden da gut vorankommen. Wir werden die innere Sicherheit dadurch stärken. Wir werden außerdem den elektronischen Personalausweis auf den Weg bringen - auch einst ein rot-grünes Projekt -, und zwar nicht nur unter dem Aspekt der Sicherheit, sondern auch der Bürgerfreundlichkeit und der Serviceorientierung. Auch da sind wir in den Verhandlungen auf einem guten Weg. Das ist gute, solide Politik, und so werden wir weitermachen, lieber Herr Kollege Wieland. ({6}) Wenn wir über die große Herausforderung des Terrorismus reden, die begründetermaßen im Vordergrund von innenpolitischen Debatten steht, wird immer wieder zu Recht das Argument wiederholt: Die Bedrohungen sind asymmetrisch geworden, Staaten sind implodiert, die Situation ist nicht mehr wie einst, und wir müssen uns darauf einstellen. - Sehr richtig: Innen und außen haben nicht mehr die gleiche Bedeutung wie einst. Dennoch ist die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus eine Bedrohung durch Verbrecher, und Verbrechern legt man das Handwerk mit den Mitteln der Polizei. ({7}) Deshalb sagen wir Nein zu einer Militarisierung der Polizei und zu einer Verpolizeilichung des Militärs. Übrigens macht innere Sicherheit im subjektiven Sicherheitsgefühl der Menschen und in der objektiven Sicherheitslage mehr aus als nur den Kampf gegen den Terror. Denken Sie an die großen, dramatischen und tragischen Herausforderungen durch die organisierte Kriminalität, ob das nun das ekelhafte Feld der Kinderpornografie ist, ob wir über Datenklau in Firmen - eine Bedrohung für die Wirtschaft - oder Datenklau bei Privatpersonen - eine Bedrohung für jeden, der eine Scheckkarte besitzt - reden oder ob wir - Sie erinnern sich - an die schrecklichen Mafiamorde denken. Wir haben hier ein großes Feld, dessen wir uns annehmen müssen. Ich würde mir wünschen, dass wir nicht nach vorne gegen al-Qaida kämpfen, während im Rücken die organisierte Kriminalität tobt. Wir müssen in Zukunft genauso viel Energie auf diesen Bereich verwenden. ({8}) Auch bei diesen Tat- und Deliktfeldern ist das Internet - Herr Minister, auch darin stimmen wir weitgehend überein - ein wichtiges Medium zur Vorbereitung und Durchführung der Taten. Doch gleichzeitig geben wir als Privatpersonen leichtfertig oder unvorsichtig eine Menge von Daten im Internet preis: Bei jedem Kauf eröffnen wir der gewerblichen Wirtschaft unsere privatesten Neigungen und Interessen, oder wir legen unsere Finanzströme dar und vieles andere mehr. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir auch bei dem, was da geschieht und was wir alle leichtfertig zulassen - eine Entwicklung, die nicht aufhaltbar sein wird und auch ihr Michael Hartmann ({9}) Positives hat -, viel mehr aufpassen müssen. Deshalb wollen wir uns als SPD gemeinsam mit unserem Koalitionspartner der Frage annehmen, ob wir einen Raum der Freiheit und der Sicherheit im Internet nicht genauso brauchen wie anderswo. Das scheint mir dringend geboten und ein Projekt zu sein, das wir gemeinsam vielleicht noch in dieser Wahlperiode stemmen können. Wenn der Staat nur ein Achtel so viel Daten erfassen würde, wie wir leichtfertig im Internet preisgeben, gäbe es Demonstrationen durchs Brandenburger Tor. Deshalb müssen wir im Umgang mit der gewerblichen Wirtschaft viel stärker auf den Datenschutz achten. ({10}) Bei aller Unterschiedlichkeit und bei allem - übrigens notwendigen - Ringen um den richtigen Standpunkt in der inneren Sicherheit bleibt eines klar: Kernaufgabe des Staates, des neuzeitlichen Verfassungsstaates, ist die Stiftung und Gewährleistung des innergesellschaftlichen Friedens in Freiheit. Diesem Ziel sind wir gemeinsam verpflichtet. Deshalb wird es immer gute Ergebnisse geben, auch wenn dafür manchmal länger diskutiert werden muss. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Detlef Parr das Wort.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eingangs der Debatte hat der Kollege Luther etwas zur Finanzierung des Sports gesagt und die Unterstützung der Deutschen Sporthilfe mit 1 Million Euro noch einmal herausgestellt. Ein Grund dafür, dass dort 1 Million Euro an Steuermitteln hineinfließen sollen, ist, dass unter anderem die Einnahmen der Glücksspirale weggebrochen sind. Auch der Herr Minister hat über den Wettbereich geredet und die Missbräuche angesprochen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal betonen, dass Deutschland im Moment im Jackpot-Fieber ist und wir vor der Frage stehen, ob sich dieses Fieber noch häufiger wiederholen wird oder ob es das letzte Mal ist, dass es hierzu kommt. Wir als Politiker sind nämlich dabei, den Menschen den Spaß am Spiel zu nehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat in Sachen Sportwetten ein Urteil gesprochen und dabei die Suchtbekämpfung als Voraussetzung für die Beibehaltung des Glücksspielmonopols herausgearbeitet. ({0}) Werbeverbote, Verbote entsprechender Angebote im Internet und eine Begrenzung des Wettangebotes werden die Folge sein. Damit wird man bei der Finanzierung des Sports, der Kultur und anderer Gemeinwohlbelange in ganz große Probleme geraten. ({1}) - Ich weiß, dass Sie bei diesem Thema, das ich hier anspreche, sehr unruhig werden, weil es ganz unangenehm ist. ({2}) Wir wissen, dass der Staatsvertrag europarechtlich nicht haltbar ist. ({3}) Wenn Sie gestern das Spiel Werder Bremen gegen Real Madrid gesehen haben, dann konnten Sie feststellen, dass Real Madrid mit Trikots mit der Aufschrift „bwin“ aufgelaufen ist. Dies ist bei uns verboten. ({4}) Ob wir mit dem Glücksspielstaatsvertrag gut fahren, ist also die Frage. ({5}) Deswegen fordere ich Sie noch einmal auf bzw. bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, dass der Bund hier in Verantwortung ist. Wir dürfen nicht abwarten, bis die Länder hier vor die Wand fahren, sondern wir müssen selber tätig werden. ({6}) Wir müssen den Sportwettenbereich aus dem Staatsvertrag herauslösen und dafür Sorge tragen, dass der Bund Konzessionsmodelle oder eine gewerberechtliche Lösung anbietet. Nur so werden wir die Sportförderung auf Dauer sichern können. Ansonsten werden wir alle die Verantwortung dafür tragen, dass die Sportförderung auf ganz schwache Füße gerät. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal anmerken. Ich danke fürs Zuhören. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Luther, wollen Sie erwidern? - Herr Bundesminister Schäuble, wollen Sie erwidern? - Nein, das ist nicht der Fall. ({0}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms - Herr Hartmann, Sie waren nicht angesprochen. Herr Luther und Herr Bundesminister Schäuble waren angesprochen. ({1}) Jetzt hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke das Wort. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Körper, Ihrem Wunsch kann ich nicht entsprechen. Ich muss über den Inhalt der Kurzintervention noch einen Moment nachdenken. Dann können wir das klären. ({0}) Mein erstes Thema ist ein anderes, nämlich der Rechtsextremismus und der Kampf dagegen. Er ist nach wie vor ein gesellschaftliches Problem - in Ost und West. In einigen Regionen verfestigt er sich - und das im Osten und im Westen der Republik. Er ist eine permanente Gefahr, häufig auch für Leib und Leben, und er lässt sich nicht auf die Frage reduzieren, ob die NPD nun verboten werden soll oder nicht. Die Zahlen bleiben alarmierend: Im bundesdeutschen Schnitt werden jede Stunde zweieinhalb rechtsextrem motivierte Straftaten registriert. Täglich werden im statistischen Schnitt zweieinhalb rechtsextrem motivierte Gewalttaten ausgewiesen. Mit den offiziellen Zahlen wird tiefgestapelt, auch deshalb, weil das Ausmaß rechtsextremer Gewalt noch immer verharmlost wird. Sachsen-Anhalt liefert dafür ein aktuelles Beispiel. Dadurch wird das Problem verschärft; denn wenn die Analyse nicht stimmt, dann kann auch die Lösung dagegen nicht stimmig sein. Deshalb fordert die Linke heute in einem Antrag eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus nach EU-Vorbild. Ich bitte alle Fraktionen, denen die Demokratie am Herzen liegt, diesem Antrag zuzustimmen. ({1}) Mein zweites Thema ist die Reform der Bundespolizei. Sie ist aus dem Bundesgrenzschutz hervorgegangen. Sie steht mit dem Beitritt weiterer Nachbarländer zur EU vor einer Sinnfrage. Diese wiederum soll mit einer großen Reform beantwortet werden. Das Bundesinnenministerium arbeitet eifrig daran - allerdings im Verborgenen -: Dienststellen werden aufgelöst und umorganisiert; neue Dienststellen werden geschaffen. Polizistinnen und Polizisten werden versetzt, ohne dass sie erfahren, warum und wozu. Die Gewerkschaften werden übergangen ({2}) und nicht nur sie. Auch der Bundestag erhält bestenfalls spärliche Informationen, obwohl er als Gesetzgeber zuständig ist. Zugleich werden Tatsachen geschaffen. Ich weiß, dass der Kollege Bürsch mir gleich antworten wird: Wir führen dazu am 14. Januar eine Anhörung durch. Eine Anhörung erst im Jahre 2008 - jetzt wird aber die Bundespolizei umstrukturiert; jetzt werden Fakten geschaffen. ({3}) Das halte ich für illegal und für eine grobe Missachtung der Beschäftigten der Bundespolizei, aber auch für eine grobe Missachtung des Bundestages. ({4}) Ich finde, diese Praxis darf keine Schule machen; denn sie dient mitnichten der Sicherheit. Im Gegenteil: Sie schafft Unsicherheit, und sie beschädigt die Demokratie. Mein drittes Thema ist der Umgang mit der Verfassung, mit dem Grundgesetz. Der Bundesinnenminister wähnt sich dabei aus dem Schneider. Er hat im Frühsommer sinngemäß verkündet, dass das Grundgesetz mit seinen Bürger- und Grundrechten ein historisches Relikt und im Kampf gegen den Terrorismus oft ein Hemmnis ist. Das war, wie ich fand, ein starkes Stück. Für den Bürger Schäuble fällt eine solche Äußerung in die Kategorie Meinungsfreiheit, für den Verfassungsminister, der seinen Diensteid auf das Grundgesetz geschworen hat, allerdings nicht. ({5}) Ob Vorratsdatenspeicherung, ob Onlineuntersuchung, ob Abschuss entführter Passagierflugzeuge - ich halte das alles für verfassungswidrig. ({6}) Ich kann nur dringend an die SPD appellieren, den Begehren der Union nicht weiter nachzugeben. Sie sind seinerzeit schon Otto Schily zu weit gefolgt - übrigens gemeinsam mit den Grünen. Ich finde, wir sollten verbriefte Bürgerrechte gemeinsam besser schützen. Lassen Sie mich zum Schluss noch zu einem anderen Thema kommen, nämlich der Integration. Es ist unstrittig, dass Menschen, die in der Bundesrepublik leben und mitwirken wollen, der deutschen Sprache mächtig sein müssen. Aber allein die Aufstockung der Mittel für Integrationskurse reicht hier nicht aus. Der Kollege Wieland hat den Taschenspielertrick gerade schon aufgedeckt. Es ist auch unstrittig, dass Menschen, die hier leben, das Grundgesetz achten und sich daran halten sollen. Allerdings ist Integration eben keine Einbahnstraße - und übrigens auch nicht nur eine Frage des Innenressorts. Integration heißt auch Ermöglichung von Teilhabe: von sozialer und demokratischer Teilhabe. Deshalb finde ich es sehr bedauerlich, dass wir noch immer kein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger haben und dass Sie unserem Antrag nicht zugestimmt haben. Danke. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat Herr Kollege Alois Karl von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister! Der Gesamthaushalt steigt um 4 Prozent, der Haushalt des Innenministers um 13 Prozent. Das ist für uns eine gute Nachricht. Auch wenn andere das anders sehen wollen - Ihr Beitrag hat das bewiesen, Herr Korte -: Diese Steigerung bedeutet auch ein Mehr an Sicherheit in unserem Lande. Das wollen wir. Dafür stehen wir. Herr Stadler, Sie haben zu Recht angesprochen, dass Sicherheitspolitik mit der Ausübung von Freiheitsrechten kollidiert. Beides gehört aber zusammen. Die Menschen wollen frei in unserem Lande leben, und sie wollen sicher in unserem Lande leben. Der Haushalt bringt beides zum Ausdruck. 2007 war ein gutes Jahr. Wir haben keine großen Terroranschläge zu beklagen gehabt. Wir wissen, dass Sicherheit nicht wie ein Lichtschalter ein- oder auszuknipsen ist. Vielmehr liegt das daran, dass unsere Politik richtig war. So wissen wir, dass es der Einsatzbereitschaft vieler Sicherheitsbehörden zu verdanken ist, dass heuer Terroranschläge vermieden werden konnten. Hierfür bedanken wir uns herzlich. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen, dass die Bedrohung oft nicht gesehen wird. Wir wissen, dass eine latente, eine labile Sorglosigkeit herrscht, gerade weil Terroranschläge in den letzten Jahren bei uns Gott sei Dank vermieden worden sind. Deshalb müssen wir heute die richtigen Entscheidungen treffen, damit wir auch in Zukunft in unserem Land sicher leben können. Wenn ich die Ausführungen der Kollegen der Opposition richtig verstanden habe, dann war die Quintessenz, dass die Bilanz nach zwei Jahren Große Koalition ernüchternd ist. ({1}) In der Tat ist die Bilanz ernüchternd für jene, die Deutschland als ein schwächelndes Land ausmachen wollten, ernüchternd für jene, die in Deutschland den Terrorismus mit seinen internationalen Verflechtungen festsetzen wollten. Für uns ist die Bilanz glänzend: Deutschland ist heute sicherer als vor zwei Jahren; das ist die gute Nachricht. Darüber freuen wir uns. Dafür danken wir Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, sehr herzlich. ({2}) Das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum arbeitet perfekt. Die Antiterrordatei ist ins Werk gesetzt. Für den BOS-Digitalfunk werden 190 Millionen Euro zusätzlich vorgesehen. Allerdings gibt es noch kein neues BKAGesetz. Hier hat die Koalition noch Arbeit vor sich. Sehr gut hat mir gefallen, was der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Struck, ({3}) gestern gesagt hat: Onlinedurchsuchungen dürfe es nur unter engen Voraussetzungen geben. Ebenso sagte er, die Freiheit des Einzelnen sei ein hohes Gut, das vom Staat geschützt werden müsse. Das unterstützen wir. Ich denke, dass wir auf diesem Weg gut vorankommen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist schon eine Schande, wie im Rahmen dieser Diskussion der Bundesinnenminister in den letzten Wochen und Monaten attackiert wurde. Lieber Herr Kollege Wieland, Ihre heutige Rede war schlimm. ({4}) Es war völlig unerträglich, zu erleben, wie Sie Bundesinnenminister Schäuble rhetorisch in die Nähe von Andreas Baader gerückt haben. ({5}) Es war eine verworrene Argumentation, die Ihrer eigentlich nicht würdig ist, lieber Herr Kollege Wieland. ({6}) Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, auch wenn manche meinen, kübelweise Spott und Hohn über Sie ausschütten zu müssen, darf ich Ihnen für die Unionsfraktion versichern: Wir stehen in dieser Sache auf jeden Fall auf Ihrer Seite. Wir haben Sie als starken Innenminister kennengelernt und wissen, dass den neuen Herausforderungen in der Tat mit entsprechenden Mitteln begegnet werden muss. Die Polizeipräsenz in der Nähe der Grenzen zu Polen und zur Tschechischen Republik wird nicht verringert, sondern verstärkt. Wir wissen, dass schon bislang vieles an den Schlagbäumen vorbei geschmuggelt wurde und viele ungebetene Gäste in unser Land gekommen sind. Die Bundespolizei wird ihre Aufgaben in Bayern und in anderen grenznahen Bundesländern sicherlich erfüllen. Ein Wort zur Situierung der neuen Polizeidirektion in Bayern, worüber wir schon viel gesprochen haben, lieber Herr Bundesinnenminister: Die Bayern fordern gemeinschaftlich, die geplante Polizeidirektion nicht in München, sondern in der Nähe der tschechischen Grenze zu errichten. Ich bitte Sie, das in Ihre Erwägungen einzubeziehen; denn alle Bayern gemeinschaftlich können nicht irren, Herr Bundesinnenminister. Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Karl, bitte kommen Sie zum Schluss.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Redezeit wurde etwas gekürzt. Ein letztes Wort. Der Bundesinnenminister ist ja auch Sportminister. Wir freuen uns über die Erhöhung der Ansätze für den Sport. Es wurde bislang nur kurz erwähnt, dass wir 2,8 Millionen Euro mehr für die Dopingbekämpfung ausgeben. Wir dürfen nicht vergessen: Das Geld, das wir ausgeben, ist uns anvertraut.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Karl, Ihre Redezeit ist gekürzt worden, weil der Herr Bundesminister länger geredet hat. Das ist aber kein Grund, dass Sie sich jetzt die Zeit zurückholen. Das geht nicht. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum vorletzten Satz, lieber Herr Präsident. Wir wollen mit jenen Sportlern, Betreuern und Funktionären nichts zu tun haben, deren oberstes Ziel offensichtlich die Befriedigung ihrer Gier ist. Wer dopt, ist ein Betrüger. Mit Betrügern wollen wir nichts zu tun haben. ({0}) Betrüger subventionieren wir nicht. Das können wir uns nicht leisten. Ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesinnenminister, für Ihr Engagement.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Karl, es reicht jetzt wirklich. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesinnenminister, ich hätte Sie noch mehr gelobt, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte. Vielen herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Bürsch von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kehre an den Anfang zurück. Herr Kollege Stadler, diese Koalition ist handlungsfähig. Sie arbeitet nach dem Prinzip: Das Bessere ist der Feind des Guten. - Das ist etwas, worüber man manchmal streiten muss. Wie es der Zufall will, ist die SPD diejenige Partei und Fraktion, die überwiegend das Bessere vorschlägt ({0}) und sich am Ende auch in dieser Koalition gerne durchsetzt. ({1}) Das Beispiel, an dem ich das belegen will, ist die Integration. Zunächst einmal das Lob: Die Mittel werden um 15 Millionen Euro angehoben. Das kommt der Integration und den Kursen zugute. ({2}) Aber das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Ich werde das beweisen. Es bleiben noch Dinge zu tun. Auch da gilt: Einiges können wir noch besser machen. Gut ist jedenfalls, dass wir an der Stelle die Kurse differenzieren, dass wir zum Beispiel an einigen Stellen statt 600 Stunden 900 Stunden anbieten können, ({3}) dass wir Kurse für Analphabeten anbieten und dass wir etwas mehr Gebühren für die Kurse zahlen. Eines, was die SPD weiter fordern und wobei sie nicht zurückstecken wird, ist noch nicht ganz gelungen. Die Einführung der Migrationserstberatung ist durchaus ein Erfolg gewesen. Die wollen wir fördern. Die Gruppe der etwa 50 000 benachteiligten Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss müssen wir auch etwas differenzierter betrachten. Man kann für diese Gruppe keine allgemeine Lösung finden. Da bedarf es der individuellen Betreuung. ({4}) Dazu erwähne ich zwei Beispiele aus Deutschland, die mir sehr imponiert haben. In Köln gibt es mit der Initiative „Coach e. V.“ des Pädagogen Mustafa Bayram eine Initiative zur Bildung und Integration junger Migranten. Dieser betreut ungefähr 200 Jugendliche, die es sehr schwer haben, ohne eine entsprechende Ausbildung einen Ausbildungsplatz oder einen Beruf zu finden. Diese Initiative braucht Unterstützung und ein Stück weit auch öffentliche Förderung. Das zweite Beispiel ist eine Initiative, die gestern Abend ausgezeichnet wurde. Sie nennt sich „Work and box“. Ein Unternehmer aus München, der Schreiner Rupert Voß, ({5}) nimmt jedes Jahr 20 Jugendliche mit einer kriminellen Karriere, um die sich sonst kein Mensch kümmerte, auf. Zu diesem Zweck hat er sogar das Boxen gelernt, weil das zunächst die einzige Sprache war, die diese Jugendlichen überhaupt verstanden haben. Von diesen 20 Jugendlichen pro Jahr hat er 18, manchmal auch 19, in eine Ausbildung gebracht. Das kostet Geld, und auch solche Initiativen müssen wir unterstützen. Das ist nämlich eine sehr sinnvolle Initiative. Wenn diese jungen Menschen im Gefängnis wären, dann müsste man mit Kosten von 30 000 Euro pro Jahr rechnen. Das bedeutet im Zeitraum einer dreijährigen Ausbildung Kosten von rund 100 000 Euro. Wenn man sich vor Augen hält, dass diese Initiativen eine nur geringe Unterstützung erfordern, dann müssen wir in die Lage versetzt werden, diese Unterstützung zu geben. Es gibt also noch einiges zu tun, insbesondere was Individualisierung und Differenzierung betrifft. Das sind die Beispiele dafür, was ich meine, wenn ich sage, dass das Bessere der Feind des Guten ist. Insofern wird uns Integration weiter beschäftigen, und wir von der SPD werden an diesem Thema mit besonderem Interesse weiterarbeiten. ({6}) Ich sage noch ein letztes Stichwort. Wir haben hier mehrfach über Zuwanderung und die Möglichkeit, die Zuwanderung zu steuern, geredet. Ich habe mit großer Freude gesehen, dass die Bundesregierung in Meseberg beschlossen hat, ein Konzept für eine Zuwanderung zu entwickeln, ({7}) das - so heißt es -: den Interessen unseres Landes auch in der nächsten Dekade Rechnung trägt. Bei der Erarbeitung des Konzeptes sollen quantitative und qualitative Instrumente geprüft und die Erfahrungen anderer Länder bei der arbeitsmarktbezogenen Steuerung von Zuwanderung einbezogen werden. ({8}) Da rufe ich meinen Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU zu: Bitte lassen Sie einmal weg, dass offenbar das Wort „Punkteregelung“ inzwischen ein Unwort geworden ist bzw. dass Sie damit etwas verbinden, was Ihnen nicht ins Konzept passt. Wir können das auch anders nennen; wir können das beispielsweise Auswahlverfahren nennen. Es ist aber von allen Experten einhellig gesagt worden, dass wir zwischen 2010 und 2020 einen Bedarf an 3 Millionen qualifizierter Facharbeiter haben werden. Diesen können wir nicht decken, ({9}) indem wir diese Menschen allein auf dem Binnenarbeitsmarkt aus- und fortbilden. ({10}) Das wird nicht reichen. Es ist entscheidend, dass wir nach dem Prinzip „Sowohl-als-auch“ vorgehen und nicht ein Entweder-oder postulieren. ({11}) Das heißt, wir werden gut daran tun, auch Menschen mit Qualifikationen zu uns zu holen. Daneben sollten wir nicht vernachlässigen, alle, die es verdienen und können, hier in Deutschland weiterzubilden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bürsch, bitte!

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Auch hier richte ich den Appell an die Union: Denken Sie mit uns über die Einrichtung eines Auswahlverfahrens nach. ({0}) Das wird Deutschland zugutekommen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat die Kollegin Dagmar Freitag von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dagmar Freitag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002655, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem eben etwas unerwartet der Werbeblock der FDP zum Sporthaushalt über uns hereingebrochen ist, möchte ich gern wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückkommen, nämlich zu einem deutlich aufgestockten Haushalt für den Sport. Vorab möchte ich sagen: Für die konstruktiven Beratungen gilt mein Dank den Sportpolitikern der Koalition sowie den Herren Ministern Schäuble und Steinbrück. Insbesondere gilt er aber den beiden zuständigen Berichterstattern der Koalition, dem Kollegen Norbert Barthle und meiner Fraktionskollegin Bettina Hagedorn. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist heute bereits erwähnt worden: Erstmalig wird der Bund die Stiftung Deutsche Sporthilfe mit einer Summe von 1 Million Euro unterstützen. ({1}) Dies tun wir aus der festen Überzeugung heraus, dass diese Summe gut angelegtes Geld ist, das den Sportlerinnen und Sportlern unmittelbar zugutekommt. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe verdient und benötigt unsere Unterstützung; Koalition und Regierung stehen dazu. ({2}) Wir stärken einmal mehr die Nationale Anti-DopingAgentur. Die Betonung liegt an dieser Stelle auf dem Wort „wir“. Es ist der Bund, der einmal mehr seiner Verantwortung gerecht wird und den berechtigten Forderungen an die Arbeit der NADA Taten folgen lässt. Es sind darüber hinaus die Mitglieder des Sportausschusses, die sich in Gesprächen mit der Wirtschaft um zusätzliche Gelder bemühen. ({3}) Der Deutsche Olympische Sportbund, kurz DOSB, hatte die Bundesländer im Laufe des Jahres aufgefordert, sich ebenfalls an der Finanzierung der NADA zu beteiligen. Soweit mir bekannt ist, haben sich die Sportminister der Länder bislang nicht auf eine Zusage verständigen können. Das ist möglicherweise auch kein Wunder, da der Deutsche Olympische Sportbund im selben Atemzug seine eigene Finanzierung für 2008 flugs wieder halbiert hat. Das ist vielleicht ein schlechtes Signal, wenn man von anderen Geld eintreiben will. Es stellt sich also wirklich die Frage: Sind immer nur die anderen für die Finanzierung des Anti-DopingKampfes zuständig? ({4}) Unsere Antwort ist eindeutig. Sie heißt Nein. Statt sich dieser Aufgabe endlich in aller Konsequenz zu stellen, lamentieren Spitzensportfunktionäre öffentlich über die Kosten für den Kampf gegen Doping. Nationales Schiedsgericht? Zu teuer. Nationaler Testpool? Zu teuer. Mehr und intelligente statt der bisherigen Zufallskontrollen? Zu teuer. Da wird von Spitzensportfunktionären allen Ernstes als Gegenargument die Frage in den Raum gestellt: Wie sage ich es meinen Breitensportlern? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Haben solche Funktionäre immer noch nicht verstanden, dass jeder neue Dopingfall das Image und damit auch die Basis des Sports insgesamt zerstört ({5}) und dass Spitzen- und Breitensport letztlich in einem Boot sitzen? Ein von Dopingskandalen durchsetzter Sport wird in letzter Konsequenz dazu führen, dass sich die Menschen vom Sport abwenden und dass es sich Eltern dreimal überlegen werden, ob sie ihre Kinder noch in die Sportvereine schicken können. ({6}) Dass ein halbherziger Kampf gegen Doping den Sport in seinen Grundfesten gefährdet und erschüttert, das kann man den Breitensportlern in den Verbänden sehr wohl erklären. Man muss es nur wollen. ({7}) Erste Sponsoren ziehen die Reißleine. Ausbleibende Zahlungen, aber auch harte Strafen für überführte Doper und ihr Umfeld sind eine klare Ansage: Das ist eine Sprache, die die Leute aus der Szene verstehen. Frankreich wird nach meinen Informationen sein Antidopinggesetz überarbeiten. Wir werden die dortige Entwicklung mit größtem Interesse beobachten. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der von uns entwickelte Sporthaushalt bietet dem Sport beste Voraussetzungen für eine gezielte Vorbereitung der Athletinnen und Athleten auf die Großereignisse der kommenden Jahre. An die Bundeszuweisungen knüpfen wir allerdings eine klare Bedingung: staatliches Geld nur für einen sauberen, glaubwürdigen Sport. ({9}) Das Bundesinnenministerium ist gefordert, die Einhaltung dieser Bedingung konsequent zu kontrollieren und die Gelder bei Verstoß ohne Wenn und Aber zurückzufordern. Ansonsten gilt: Sponsoren können sich zurückziehen. Das sollten sich alle vor Augen führen, die die Spitzensportförderung durch den Bund für eine schlichte Selbstverständlichkeit halten. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsan- träge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7320 stimmt, den bitte ich um das Handzeichen! - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen.1) Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7321? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustim- mung der Fraktion Die Linke abgelehnt mit den Stim- men aller übrigen Fraktionen.2) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 06 ist ange- nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte V a und b sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: V a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung und Anpassung statistischer Rechtsvorschriften - Drucksache 16/7248 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 1) Anlage 2 2) Anlage 3 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Döring, Horst Friedrich ({1}), Joachim Günther ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Rollende Supermärkte von fahrpersonalrechtlichen Vorschriften ausnehmen - Drucksache 16/6639 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Nanotechnologie für die Gesellschaft nutzen Risiken vermeiden - Drucksache 16/7276 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Bettin, Kai Gehring, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hochwertige Computerspiele fördern und bewahren - Drucksache 16/7282 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten VI a bis j. Es handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt VI a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({6}) Sammelübersicht 307 zu Petitionen - Drucksache 16/7123 Wer stimmt dafür? - Die Linke auch? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 307 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt VI b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({7}) Sammelübersicht 308 zu Petitionen - Drucksache 16/7124 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 308 ist angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Tagesordnungspunkt VI c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 309 zu Petitionen - Drucksache 16/7125 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 309 ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen. Tagesordnungspunkt VI d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 310 zu Petitionen - Drucksache 16/7126 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 310 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt VI e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 311 zu Petitionen - Drucksache 16/7127 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 311 ist gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt VI f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 312 zu Petitionen - Drucksache 16/7128 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 312 ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Tagesordnungspunkt VI g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 313 zu Petitionen - Drucksache 16/7129 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 313 ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt VI h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 314 zu Petitionen - Drucksache 16/7130 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 314 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt VI i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 315 zu Petitionen - Drucksache 16/7131 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 315 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt VI j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 316 zu Petitionen - Drucksache 16/7132 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 316 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.15 auf: Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksachen 16/6423, 16/6424 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte Petra Hinz ({16}) Michael Leutert Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion das Wort. ({17})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Etat des Bundesumweltministeriums spiegelt die mediale Bedeutung der Klimapolitik wider. Werden die Pläne des Umweltministers Realität, verdoppelt sich sein Etat im Programmteil gegenüber 2007 auf rund 1,2 Milliarden Euro. Damit unterstreicht der Bundesumweltminister seine Ambitionen, oberster Klimaschützer der Nation zu werden - ein Anspruch, der aus Sicht der FDP zurzeit allerdings nur als virtuell bezeichnet werden kann. Lieber Herr Gabriel, Ihr Haushalt ist nach wie vor eine Blackbox. Sie arbeiten mit viel Geld, das Sie noch nicht haben, und mit Programmen, deren Details Sie sicherlich noch entwerfen müssen. ({0}) Die Haushälter der Großen Koalition haben zu Recht ziemlich kühl auf die Vorlage dieses Programms reagiert und erst einmal 75 Prozent der 400 Millionen Euro, die Sie 2008 aus der Versteigerung von CO2-Zertifikaten einsetzen wollen, qualifiziert gesperrt. Damit werden Sie, was Ihnen sicherlich als sehr ungewöhnlich vorkommt, Herr Gabriel, doch an recht kurzer Leine geführt, und das ist gut so. ({1}) Dies wird den Kollegen der Koalition und uns Haushältern insgesamt die Möglichkeit geben, vor der Freigabe der Gelder einen kritischen Blick auf die Klimainitiative zu werfen. Weder die Unterstützung von Offshore-Windparks noch die Schulung von Handwerkern und Architekten im Hinblick auf energieeffizientes Bauen noch der Versuch, den Föderalismus zugunsten der Unterstützung von Kommunen zu umgehen und dort klimaschützend Bundesgeld anzulegen, macht einen sehr durchdachten Eindruck. Ich frage mich, warum Milliardenbeträge verdienende Energieunternehmen bei ihren ureigenen Aufgaben mithilfe von Herrn Gabriel auch noch finanziell vom Staat unterstützt werden müssen. ({2}) Hier haben die Haushälter der Koalition - das muss ich ihnen ins Stammbuch schreiben - dem Herrn Minister deutlich den Wind aus den Segeln genommen. ({3}) Die FDP hält dies für vernünftig, aber leider nicht für ausreichend. ({4}) Wir hätten gerne gesehen, wenn Sie als Haushälter ein deutlicheres Stoppsignal gesetzt hätten und die zu erwartenden Erlöse dorthin leiten würden, wohin sie gehören, nämlich in den allgemeinen Haushalt statt in Programme, die mit heißer Nadel gestrickt wurden. Im allgemeinen Haushalt können sie unserer Meinung nach am besten eingesetzt werden, nämlich zur Absenkung der Stromsteuer, um die Bürger in diesem Lande zu entlasten, die derzeit weiß Gott genug Lasten zu tragen haben. ({5}) Die Stromsteuer macht immerhin 12 Prozent des Strompreises aus. Sie bringt jährlich rund 6,5 Milliarden Euro ein. Hier hätten Sie wirken können und durch den Einsatz der Zertifikatserlöse eine notwendige Entlastung für die Bürger erreichen können, die seit Wochen und Monaten unter hohen Strompreisen ächzen. Im Übrigen teilen wir absolut die Meinung von Frau Merkel, die gestern festgestellt hat, dass der Strom nicht zu billig sei. Aber dann erwarte ich von der Kanzlerin, dass sie sich entsprechend einsetzt. Wir erwarten übrigens auch von der CDU/CSU-Fraktion, an dieser Stelle etwas Kante zu zeigen; denn es gibt unter Ihnen eine ganze Reihe von Finanzpolitikern, die genau das wollten, was wir jetzt vorgeschlagen haben. ({6}) An dieser Stelle haben Sie den ordnungspolitischen Weg eindeutig verlassen und sich offensichtlich von Ihrem roten Koalitionspartner einfangen lassen. Wir bezweifeln definitiv, dass Sie mit dieser Initiative Ihr Ziel erreichen werden, Herr Minister. Das Interessante ist, dass nicht nur wir das bezweifeln. Im Spiegel, den auch Sie wahrscheinlich lesen, hat Greenpeace kürzlich deutlich gemacht, dass die Gesamtergebnisse der 29 Maßnahmen der Klimaschutzinitiative absolut geschönt sind. Statt der Reduzierung der CO2-Emissionen um 270 Millionen Tonnen könnten bis 2020 nur 160 Millionen Tonnen eingespart werden. Ich zitiere: So seien insbesondere bei der Kraft-Wärme-Kopplung und den Stromsparmaßnahmen in der Industrie „deutlich zu hohe“ oder „optimistische“ Werte angesetzt worden, die selbst von internen Berechnungen des Umweltbundesamtes abweichen. ({7}) Das hört sich nicht gut an, Herr Gabriel. Darüber werden die Haushälter in den nächsten Monaten sicherlich noch ihr Urteil zu fällen haben. Unterm Strich passt die Haushaltsblackbox zu der uns schon lange bekannten Gabriel’schen Quadratur des Kreises: Ausstieg aus der Kernkraft, extreme Skepsis gegenüber neuen, technisch besseren Kohlekraftwerken mit CO2-Abscheideverfahren und höheren Wirkungsgraden, kein Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, keine Fusionsforschung. Das alles wollen Sie nicht, aber Sie erhöhen damit kontinuierlich die Abhängigkeit vom Ausland. ({8}) Unser Weg zu mehr Klimaschutz ist ein anderer. Wir brauchen international eine technische Revolution in China und in den afrikanischen Ländern, die bisher zu stark auf fossile Energien setzen, und wir brauchen dort einen massiven Einstieg in die erneuerbaren Energien. ({9}) Wir wollen mehr Markt im Emissionshandel, national durch die Einbeziehung beispielsweise des Verkehrs und international durch die Instrumente des Kioto-Protokolls. Wir wollen mehr CDM-Projekte, um Treibhausgase da zu verringern, wo dies zu den geringsten Kosten möglich ist. ({10}) Ihr Weg, Herr Gabriel, ist der nationale Weg der Verteuerung und der Abhängigkeit. Unser Weg ist der internationale Weg des Marktes und des Wettbewerbs. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Andreas Weigel. ({0})

Andreas Weigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003656, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Flach, die Haushälter der Koalition haben nicht kühl auf die Vorschläge des Ministeriums reagiert; vielmehr haben wir mit Herzblut dafür gekämpft. Das Verhältnis zum Minister ist warmherzig. Das will ich an dieser Stelle klar und deutlich zum Ausdruck bringen. ({0}) Was der Haushalt 2008 für das Ministerium und für uns bedeutet, kann man durchaus mit dem Begriff „richtungweisend“ charakterisieren. Die Arbeit und die Aufgaben des Ministeriums werden sich weitaus aktiver in Richtung Programmpolitik bewegen, als das bisher der Fall war. Zusammen mit den zusätzlichen 400 Millionen Euro aus dem Klimaschutzprogramm erhöht sich das Volumen des Haushalts des Umweltministeriums um fast 50 Prozent; das muss man an dieser Stelle deutlich sagen. ({1}) Daraus ergeben sich ganz neue Handlungsoptionen für unsere Klimaschutzinitiative, eine Initiative, die ihren Ansprüchen nur dann gerecht werden kann, wenn sie aus einer Hand koordiniert wird, wenn sie in ständigem Austausch mit der Klimaforschung steht, wenn sie nach innen und außen politisch von einer starken Stimme getragen wird und wenn sie konzeptionell an einem Ort verankert wird. Dieser Ort kann nur das Umweltministerium sein. Wenn, wie es beim Klimaschutzprogramm der Fall ist, zusätzlich Geld in den Bundeshaushalt fließt, gibt es natürlich den einen oder anderen Minister, der darauf Anspruch erheben möchte. ({2}) Dennoch hat das Bundeskabinett eine richtige Entscheidung getroffen. Es hat entschieden, dass ein Großteil der Erlöse aus dem Zertifikatehandel dem Umwelthaushalt zuzuschreiben ist. ({3}) Diese Entscheidung ist zwar von dem einen oder anderen Ministerium hinterfragt worden; ({4}) doch dank der Standfestigkeit unseres Umweltministers und einer überzeugenden Konzeption für das Klimaprogramm durch sein Haus haben wir jetzt Planungssicherheit für das Haushaltsjahr 2008 und darüber hinaus. ({5}) Mit dem vorliegenden Haushalt wird das Umweltministerium zum handelnden Akteur mit einem deutlich gestärkten programmatischen Anteil. Die Fäden des Klimaschutzprogramms werden hier zusammenlaufen. Das ist deshalb so wichtig und richtig, weil im Umweltministerium mit seinen untergeordneten Behörden die Expertise für eine effektive Klimapolitik vorhanden ist. Bei einer Aufteilung der Erlöse auf verschiedene Ressorts würden die Wirksamkeit und die Abstimmung der verschiedenen Programme für den Klimaschutz verloren gehen. Natürlich ist es verständlich und nachvollziehbar, dass jeder Minister für seinen Bereich am Topf des Klimaschutzprogramms teilhaben will; aber wir brauchen ein Klimaschutzprogramm aus einer Hand mit einem koordinierten Konzept und keine Gießkannenpolitik. ({6}) Durch das Klimaschutzprogramm steigt das Volumen des Programmhaushalts des BMU im Vergleich zu 2005 von 415 Millionen Euro auf jetzt 857 Millionen Euro. Das ist mehr als eine Verdoppelung. ({7}) Nun muss das Umweltministerium für die neuen Aufgaben passgenau aufgestellt werden. Die Grundlage dafür bildet der Haushalt 2008. Ein Beispiel ist unter anderem die Personalsituation. Im Einzelplan 16 gibt es prozentual den höchsten Personalaufwuchs im gesamten Bundeshaushalt, und zwar ein Stellensaldo von 90 Stellen. Damit wird die Arbeitsfähigkeit des Ministeriums auch für die neuen Anforderungen gewährleistet. Wir haben im Personalhaushalt ebenfalls strukturelle Änderungen vollzogen. Das BMU hat in den letzten Jahren Lücken in der Personalkapazität mit Zeitverträgen und kurzfristigen Maßnahmen gefüllt. Das geht zulasten der Beschäftigten und mindert die Arbeitseffizienz. Es war und ist uns ein ursozialdemokratisches Anliegen, dass diese Praxis ein Ende findet. Es entstehen aber auch Personalstellen in anderen Projekten. Ich erinnere beispielsweise an den Koalitionsvertrag, wonach das Umweltrecht vereinfacht und ein Umweltgesetzbuch geschaffen werden soll. Allein für diesen Bereich wird es im Haushalt 2008 drei neue Stellen geben. Das Umweltgesetzbuch wird kommen. ({8}) Ich möchte noch einmal zum Klimaschutzprogramm zurückkommen. Das Umweltministerium wird 400 Millionen Euro aus dem Verkauf der Emissionszertifikate erhalten und davon 280 Millionen Euro in nationale Klimaschutzinitiativen und 120 Millionen Euro in internationale Klimaschutzinitiativen investieren. National wird es unter anderem eine Aufstockung der Mittel und neue Fördertatbestände für das Marktanreizprogramm geben. Innovative Technologien im Bereich Wärme sollen vorangebracht werden. Bis zu 349 Millionen Euro stehen hierfür zur Verfügung. Darüber hinaus werden wir in Zukunftstechnologien, insbesondere in eine nachhaltige Energieversorgung, investieren: in netzgekoppelte Windkraft, in Geothermie, in Projekte wie das Turmkraftwerk für Solarenergie in Spanien - das sei hier auch erwähnt -; Deponiegas und Biogas leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag. Das Biomasse-Forschungszentrum in Leipzig wird seine Arbeit aufnehmen, was mich als sächsischen Abgeordneten natürlich ganz besonders freut. Ich will noch auf die Haushaltssperre eingehen. Aus unserer Sicht ist es gut und richtig, dass die Haushaltssperre verhängt wird. ({9}) Es gibt gute Gründe dafür, Frau Flach. ({10}) Ein Grund ist zum Beispiel, dass die Einnahmen aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate erst im kommenden Jahr realisiert werden. ({11}) Das bedeutet, dass wir im kommenden Jahr die Mittel Zug um Zug freigeben, so wie die Erlöse kommen. Was wir derzeit darüber wissen, stimmt uns außerordentlich positiv; denn der Handel mit CO2-Zertifikaten wird offensichtlich noch mehr Geld einbringen, als das bisher der Fall ist. Es ist verantwortungsvolle Politik, an dieser Stelle eine Sperre zu verhängen. Im Übrigen werden die Mittel nicht komplett gesperrt. 25 Prozent der Mittel geben wir frei, damit das Ministerium mit seiner Arbeit sofort beginnen kann. ({12}) Darüber hinaus fordern wir das Ministerium auf, Förderrichtlinien zu erarbeiten, die mit dem Haushaltsausschuss und mit den Fachausschüssen abgestimmt werden sollen. Das ist übrigens ein Beitrag zur Transparenz. Ihre Vorstellung vom Ministerium als einer Blackbox trifft nicht zu. Wir wollen die parlamentarische Beteiligung an diesem Programm. Wir werden das Ministerium in seiner Arbeit unterstützen und überhaupt nicht blockieren. ({13}) Wir sind der Auffassung, dass mit dieser Klimaschutzinitiative im kommenden Jahr im Umweltministerium eine gute Politik gemacht werden kann. Wir leisten Unterstützung und wünschen dem Minister und seinen Mitarbeitern alles Gute. Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit mit den Berichterstattern im Haushaltsausschuss und für die mit dem Ministerium gut abgestimmte Arbeit. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Klimaschutz nach Kassenlage“ und „Naturschutz fristet ein Nischendasein“, so präsentiert sich der vorliegende Haushalt für das Umweltministerium. Ich sehe aber auch gute und wichtige Ansätze in diesem Haushalt, so im Bereich Klimaschutz: Die Mittel für das Marktanreizprogramm zum Ausbau erneuerbarer Energien sollen verdoppelt werden; das ist gut so. Das hat die Linke bereits im vergangenen Jahr gefordert. Damals fanden Sie, Herr Minister, die Höhe unserer Forderungen noch populistisch. Schön, dass Sie jetzt unseren Vorschlägen folgen, denn konsequenter Klimaschutz ist gefordert. ({0}) Herr Kelber, wir wissen: Erstens. Die Anreize im Bereich der erneuerbaren Energien lösen zusätzliche Investitionen in der Wirtschaft aus. Zweitens. Sie schaffen Arbeitsplätze. Drittens. Sie senken die Kosten, die durch Umweltschäden entstehen. Wir brauchen aber mehr Mittel für Forschung und Entwicklung der Zukunftsenergien. Hier ist eine deutliche Aufstockung ausgeblieben. Wir brauchen jedoch gerade in diesem Bereich zügig neue Erkenntnisse: zu den weiteren Entwicklungen der Grundlastfähigkeit der erneuerbaren Energien und zu Speichertechnologien, um nur zwei Beispiele zu nennen. Insgesamt fordert die Linke deshalb eine Verdoppelung der Mittel für erneuerbare Energien auf 520 Millionen Euro; das ist finanzierbar. Leider trägt der BMU-Haushalt die Handschrift von Finanzminister Steinbrück und nicht die des Umweltministers Gabriel. Das kennen wir schon aus anderen Bereichen. Ich erinnere hier an das leidige Thema Energiesteuergesetz. Die Bundesregierung - und das ist gut - hat sich im Emissionshandel dazu durchgerungen, 9 Prozent der CO2-Zertifikate zu versteigern, anstatt sie, wie bisher, zu verschenken. Natürlich - ich verstehe das - möchte der Bundesfinanzminister mit den Einnahmen den Haushalt sanieren. Aber, Herr Finanzminister, das ist Diebstahl. Das Geld gehört in den Klimaschutz und sonst nirgendwohin. ({1}) Nicht einmal die Hälfte der Einnahmen von mindestens 880 Millionen Euro findet sich im BMU-Haushalt wieder, und da sind sie, wie eben angesprochen, weitgehend gesperrt, weil die Herren Haushälter noch kein Vertrauen in den Handel mit den Verschmutzungsrechten haben. Aber da hoffen wir einmal das Beste. ({2}) Die Energiekonzerne tun das jedenfalls. Erneute Manipulation mit Zertifikatspreisen - wie bei den Strompreisen - durch RWE und Co. ist nicht unbedingt ausgeschlossen. Die Konzerne machen auf jeden Fall mächtig Kasse mit dem Emissionshandel, natürlich zulasten der Stromkunden. Noch immer werden über 90 Prozent der CO2Scheine an die Strombosse verschenkt. Diese preisen sie dann wieder zu einem hohen Marktwert in die Stromrechnung ein. Bei dem Wert der versteigerten Zertifikate - man kann mit immerhin 880 Millionen Euro rechnen darf man eines nicht vergessen: Die Energieriesen werden durch die Einpreisung zwischen 7 und 10 Milliarden Euro an geschenkten Gewinnen einstreichen. Kein Wunder, dass sich klimaschädliche Kohlekraftwerke noch immer lohnen. ({3}) Aber, Herr Nüßlein, die kleine Gemeinde Ensdorf hat beispielhaft gezeigt, dass die Menschen den Klimaschutz ernst nehmen und dass man Konzernen wie RWE und Co. einen Riegel vorschieben kann. ({4}) Da, wo die Politik versagt, muss man eben selber ran. So war die Meinung dort, und man war entsprechend erfolgreich. Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, endlich in die klimaschädliche Kraftwerksplanung des Energiekartells einzugreifen. Herr Minister Gabriel, vielleicht sagen Sie dem Parlament heute einmal, wo die geplanten Kraftwerke - Sie sprechen immer von 9, auf anderen Listen sind es 25, auf manchen sogar 40 - und vom wem sie gebaut werden sollen. Eine weitere Forderung: Besteuern Sie endlich die ungerechtfertigten Gewinne aus dem Emissionshandel. Ich sehe sie als unfair an. Damit wäre dann auf jeden Fall eine konsequente Förderung erneuerbarer Energien zu machen. Ich weiß, Sie werden behaupten, das gehe nicht, da die Steuer zu weiteren Preiserhöhungen führen würde. Ich sage Ihnen: Wenn Ihre Kartellrechtsnovelle so gut ist, wie es behauptet wird, dann dürfte das Abschöpfen dieser Profite kein Problem sein. Das Geld gehört nämlich den Stromkunden, und da muss es auch hinfließen. ({5}) Noch ein Wort zum Naturschutz im Umwelthaushalt. Wir begrüßen die Ausrichtung der UN-Konferenz für Artenvielfalt im kommenden Jahr. Dass dafür aber die Mittel für den Naturschutz vor der eigenen Haustür zusammengestrichen werden, ist meines Erachtens nicht hinnehmbar. Ohnehin steht der Naturschutz unter der jetzigen BMU-Führung ein wenig im Schatten. Es ist klar: Mit diesem Thema kann man sich nicht so gut profilieren wie mit anderen Themen. Aber man sollte wenigstens die Mittel für die ehrenamtlichen Naturschützer in den Umweltverbänden anständig aufstocken. Deren Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt in Deutschland kann gar nicht hoch genug bemessen werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Bernhard SchulteDrüggelte für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Beratungen über den Einzelplan 16 des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit haben wir uns auf die Klimaschutzinitiative konzentriert. Es wurde gesagt, dass der Bundeshaushalt 2008 vorsieht, dass bis zu 400 Millionen Euro der Erlöse aus der Veräußerung von Emissionsrechten in nationale und - was ich auch richtig finde - internationale Projekte investiert werden. Dieser Haushalt, der normalerweise nur eine geringe Steigerung zu verzeichnen hat, erhöht sich dadurch - Herr Weigel hat es gerade gesagt - um fast 50 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro. Ich finde, das ist ein deutliches Zeichen. Es zeigt, dass uns Klimaschutz wichtig ist und dass wir den Worten auch Taten folgen lassen. ({0}) In den zurückliegenden Wochen haben wir darüber ausführliche Gespräche geführt, um die Blackbox ein wenig aufzuhellen. Ich darf Herrn Minister Gabriel und seinen Mitarbeitern danken, die, wie immer, aufgeschlossene und kompetente Gesprächspartner waren. An dieser Stelle sage ich: Herzlichen Dank dafür. Ich möchte das neue Instrument Klimaschutzinitiative ansprechen. Wir haben uns vorgenommen, im Haushaltsausschuss genauso intensiv wie im Fachausschuss darüber zu beraten und die Entwicklung zu begleiten. ({1}) Da uns bewusst ist, dass die Zeitspanne zwischen den Meseberger Beschlüssen und der Verabschiedung dieses Haushaltes sehr kurz war, Frau Flach, wollen wir dem Bundesministerium Zeit geben, mit großer Sorgfalt Konzepte zu erarbeiten. ({2}) - Natürlich. - Ich will deutlich sagen: Wir wollen keine schnelle Antwort, wir wollen die richtige Antwort. ({3}) Deshalb hat der Haushaltsausschuss einige Titel gesperrt; auch um das parlamentarische Budgetrecht zu wahren. Darauf sollten wir Wert legen. Die Grünen haben einen Entschließungsantrag formuliert, in dem etwas von „heißer Luft“ steht. Ich möchte deutlich sagen, dass dieses Konzept die solide Basis für eine konkrete und nachhaltige Klimapolitik ist. ({4}) Ich bin zuversichtlich, dass der Umweltminister Anfang des nächsten Jahres die richtige Antwort gibt und darüber im Fachausschuss, also im Umweltausschuss, und im Haushaltsausschuss entsprechend diskutiert wird. Alle Programme, die wir vorlegen, sollen verlässlich und in den nächsten Jahren nachhaltig sein. Aus diesem Grunde wurden die entsprechenden Titel mit Verpflichtungsermächtigungen versehen. ({5}) Ein Beispiel für die Verlässlichkeit ist die Verstärkung und Verstetigung des Marktanreizprogrammes. 350 Mil13684 lionen Euro sind für die nächsten Jahre vorgesehen. Das sind 137 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. ({6}) Herr Hill, ich will niemanden kritisieren, aber das ist auf jeden Fall keine Verdoppelung. Ich würde sagen, das ist knapp unter 40 Prozent. Das nur als Hinweis. ({7}) Mit dem Rechnen ist es sowieso nicht so einfach. Die Union steht für den Dreiklang aus Sanieren, Investieren und Reformieren. Wir haben bei der Beratung der anderen Einzelpläne deutlich gesehen, welche Erfolge daraus hervorgegangen sind. Ein Erfolg ist, dass der Bund für die Klimapolitik insgesamt 2,6 Milliarden Euro ausgibt. Das ist eine beachtliche Leistung. ({8}) Das sind - um es deutlich zu sagen - 1,8 Milliarden Euro mehr als im Haushalt 2005. Das ist eine Steigerung um 200 Prozent. Vielleicht hören die Grünen das nicht so gerne, aber die Leistung der Großen Koalition in diesem Bereich war außerordentlich. ({9}) Wir werden mehr einsparen als investieren. Das Geld ist gut angelegt. ({10}) Dieser Einzelplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ist ein gutes Signal für die Konferenz in Bali in der nächsten Woche. Die Koalitionsfraktionen haben zu dieser UNO-Konferenz einen Antrag vorgelegt. Wir stellen uns hinter die Forderungen der Bundeskanzlerin: Wir müssen uns mehr anstrengen; wir müssen mehr CO2-Emissionen einsparen; Deutschland muss mit gutem Beispiel vorangehen, damit andere Staaten folgen können. ({11}) Es ist völlig klar, dass der Klimaschutz eine globale Herausforderung ist. Nationale Anstrengungen allein reichen nicht. Deshalb ist es richtig, dass im Rahmen der Klimaschutzinitiative 120 Millionen Euro für internationale Projekte vorgesehen sind. Es ist aber auch wichtig, die Menschen vor Ort zu motivieren. ({12}) - Einen Moment! - Ich möchte ein Beispiel geben: In der kleinen Gemeinde Möhnesee gibt es einen Kindergarten, in dem den Kindern spielerisch die Energiegewinnung gezeigt werden soll. Aus diesem Grunde wurde eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach des Kindergartens errichtet, die seit einigen Tagen Strom produziert. Der Erlös aus dieser Stromproduktion - das zeigt den internationalen Ansatz - wird der Partnerdiözese Kasama im afrikanischen Sambia gespendet. Wer die entwicklungspolitische Debatte in den letzten Tagen verfolgt hat, erkennt, wo Verantwortlichkeiten liegen. Ich finde, das ist ein beeindruckendes und gutes Beispiel dafür, dass jeder seinen Beitrag leisten kann. ({13}) Wir werden die anderen Bereiche des Umwelthaushaltes nicht vernachlässigen. Ich erwähne die atomare Endlagerung, den Verlauf der Arbeiten am Schacht Konrad und die Perspektiven für Gorleben. Ich habe in der ersten Lesung auch das Endlager Morsleben angesprochen. Der Planfeststellungsbeschluss war einst für 2007 versprochen worden. Im vorliegenden Regierungsentwurf heißt es 2011. Jetzt wird er auf 2012 verschoben. Ich darf in diesem Fall im Besonderen, aber vielleicht auch im Allgemeinen die Frage stellen: Muss das denn alles so lange dauern? - Hoffentlich nicht. ({14}) Ich darf mich zum Schluss bei allen Mitarbeitern und Mitberichterstatten für die gute Zusammenarbeit bedanken. Mein besonderer Dank - wenn ich das sagen darf gilt dem neuen Berichterstatterkollegen von der SPD, Andreas Weigel. ({15}) Herzlichen Dank. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Anna Lührmann für die Fraktion Bündnis 90/Grünen.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz vollmundiger Ankündigungen in Meseberg haben die Koalitionsfraktionen bei den Haushaltsberatungen keinen zusätzlichen Cent für Klimaschutz bereitgestellt. Im Gegenteil: In der Bereinigungssitzung - wir haben es gerade gehört - wurden 75 Prozent des 400-Millionen-Euro-Klimaschutzprogramms, ohne konkrete Bedingungen anzugeben, gesperrt. Dabei geht es nicht, wie es eben Kollege Weigel formuliert hat, nur um die Frage, ob die Einnahmen aus dem Emissionshandel kommen. Das stimmt nicht. Denn Sie haben sowieso schon festgelegt, dass die Ausgaben nur dann geleistet werden dürfen, wenn die Einnahmen aus dem Emissionshandel kommen. ({0}) Sie haben das Geld jetzt gesperrt; das geht mit dem haushaltsrechtlichen Instrument ganz einfach. Dadurch wird es für Herrn Gabriel viel schwieriger, das Geld für nachhaltige Projekte sinnvoll auszugeben, ({1}) weil er erst im Laufe des nächsten Jahres weiß, ob Sie so gnädig sind, ihm die Gelder freizugeben. Vielleicht geben Sie die Gelder ja gar nicht frei, wenn sich Herr Glos in der CDU/CSU wieder einmal durchsetzen kann. ({2}) Ernstgemeinter Klimaschutz sieht anders aus. ({3}) Außerdem wird die Koalition nur weniger als die Hälfte der erwarteten Einnahmen aus dem Emissionshandel für Klimaschutz ausgeben. Sie haben die zusätzlichen möglichen Ausgaben für Klimaschutz auf 400 Millionen Euro begrenzt, obwohl das Umweltministerium selber von Einnahmen in Höhe von 880 Millionen Euro ausgeht. Herr Weigel, Sie haben gerade selber gesagt, dass auch Sie von höheren Einnahmen ausgehen. Das kann man ganz klar nachrechnen; Ihre Basis sind die Preise, die momentan schon an der Börse gezahlt werden. Finanzielle Möglichkeiten für mehr Klimaschutz lassen Sie also einfach verstreichen. Damit wird deutlich, dass die Klimaschutzpolitik der Regierung aus viel heißer Luft besteht. ({4}) Herr Schulte-Drüggelte, Sie haben gerade damit angegeben, dass die Regierung 2,6 Milliarden Euro für Klimaschutz ausgibt. ({5}) Unter einer solchen Summe kann sich der Otto Normalverbraucher nicht besonders viel vorstellen. Ich setze Ihnen das einmal in eine Relation. 2,6 Milliarden Euro entsprechen ungefähr der Summe, die in Deutschland für die Subventionierung der Steinkohle ausgegeben wird. Ernstgemeinter Klimaschutz sieht anders aus. ({6}) Wir haben Ihnen in den Haushaltsberatungen ganz konkret gezeigt, wie substanzieller Klimaschutz aussehen kann. Wir haben einen Klimaschutzhaushalt mit zusätzlich 2,9 Milliarden Euro aufgestellt. Damit verdoppeln wir die Ausgaben für Klimaschutz. ({7}) Alles ist solide gegenfinanziert, und zwar durch Kürzungen bei umweltschädlichen Subventionen von allein im nächsten Jahr 5,3 Milliarden Euro. Die Koalition hingegen gibt nicht nur zu wenig Geld für Klimaschutz aus, sondern sie gibt sogar noch Geld für Klimaverschmutzung aus. ({8}) Denn an die ökologisch schädlichen Subventionen wagt sich die Regierung nicht heran. Wir haben im Haushaltsausschuss ganz konkrete Anträge für den Abbau umweltschädlicher Subventionen gestellt. Sie wurden alle abgelehnt. ({9}) Drei Beispiele: Erstens. Wir wollen die Ausnahmen bei der Ökosteuer abschaffen. Die Koalition verheizt weiterhin knapp 5 Milliarden Euro. Zweitens. Wir wollen, dass die steigenden Weltmarktpreise für Steinkohle dem Klimaschutz zugutekommen. Die Koalition schenkt Werner Müller 711 Millionen Euro. ({10}) Drittens. Wir wollen die Luftfahrtindustrie genauso behandeln wie alle anderen Verkehrsträger. Die Koalition subventioniert den Klimakiller Flugzeug mit knapp 900 Millionen Euro im Jahr. Von wegen, es sei kein Geld für mehr Klimaschutz da! Ihnen fehlt nur der Mut, wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz durchzuführen. ({11}) Wir wollen die dadurch eingesparten Gelder zum größten Teil für Investitionen in den Klimaschutz ausgeben. So sollen unter anderem ein 1-Millarde-EuroStromsparfonds, eine Klimaforschungsinitiative, klimafreundliche Mobilität sowie mehr internationale Zusammenarbeit beim Klimaschutz finanziert werden; all diese konkreten Maßnahmen können Sie in unserem heute vorliegenden Antrag nachlesen. Die Klimaschutzausgaben der Regierung könnten wir so mehr als verdoppeln. Mit diesem Maßnahmenpaket könnte man ab 2011 jährlich mindestens 34 Millionen Tonnen CO2 einsparen. ({12}) Das wäre ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Erfüllung der Kioto-Verpflichtungen. Mit Ihren zögerlichen Maßnahmen werden Sie die international vereinbarten Ziele jedoch nicht erreichen; ({13}) das hat Ihnen Greenpeace gerade erst bestätigt. ({14}) Herr Gabriel, Sie beschwören ja immer, Deutschland sei beim Klimaschutz Vorreiter. Das mag heute noch stimmen. Mit Ihrer Zaghaftigkeit tun Sie gerade aber al13686 les dafür, dass Deutschland diese Spitzenstellung verliert. ({15}) Ihnen fehlt der Mut für substanziellen Klimaschutz. Andere Länder sind hier viel weiter, zum Beispiel Neuseeland. Die neuseeländische Premierministerin Helen Clark hat angekündigt, dass Neuseeland das erste klimaneutrale Land der Welt wird. Bundeskanzlerin Merkel hingegen zeigt lieber mit dem Finger auf andere, statt selber die Ärmel hochzukrempeln. ({16}) Das hat Methode. Am Mittwoch dieser Woche erklärte Kanzlerin Merkel an diesem Pult - ich zitiere -: Das Klimathema … entscheidet sich nicht an der Frage, ob in Saarbrücken oder in Lubmin ein Kohlekraftwerk steht …, sondern daran, dass wir international … zu Reduktionen kommen … ({17}) Darauf möchte ich mit einem Zitat von Petra Kelly antworten, die heute 60 Jahre alt geworden wäre: Beginne dort, wo du bist, warte nicht auf bessere Umstände. Sie kommen automatisch, in dem Moment, wo du beginnst. Vielen Dank. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Marco Bülow für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Diese Debatte ist typisch. Sie begann damit, dass die FDP sagte, wir würden im Umwelthaushalt viel zu viel Geld einplanen, ({0}) und wir sollten dieses Geld lieber für andere Dinge ausgeben und die Mittel am besten gar nicht erhöhen. Die Grünen hingegen kritisierten, eine 50-prozentige Erhöhung sei viel zu wenig. Es wurde aber mit keinem Wort erwähnt, dass unser Haushaltsansatz gut ist. Die Realität sieht so aus, dass wir einen Riesenschritt getan haben, indem wir diesen Haushalt um 50 Prozent aufgestockt haben, um mehr Geld für sinnvolle Maßnahmen ausgeben zu können. Natürlich kann man immer noch mehr tun. Diesen richtigen und wichtigen Schritt, den wir im Hinblick auf diesen Haushalt machen mussten, werden wir in den nächsten Jahren weitergehen. ({1}) Die Haushaltsdebatte ist traditionell die Debatte, in der man auf grundsätzliche Punkte hinweisen kann, die natürlich auch mit dem Haushalt zu tun haben. Dies möchte ich tun. Anfangen möchte ich mit dem Thema Biodiversität bzw., wie ich es lieber nenne, Lebensvielfalt. Ich möchte auf die nationale Strategie und auf die Kampagne zu diesem Thema eingehen, die der Minister vor ein paar Wochen, am 7. November dieses Jahres, vorgestellt hat. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Schritt, der zeigt, dass wir neben dem Klimaschutz auch andere bedeutende Schwerpunkte setzen. Der Minister hat deutlich machen können, wie wichtig der Schutz der Artenvielfalt ist: einerseits um ihrer selbst willen - das steht an vorderster Stelle -, andererseits aufgrund des Nutzens für die Menschen. An diesem Beispiel kann man lernen, wie man mit der Natur und mit dem Thema Umwelt umgehen muss. Wenn man schnellen Profit erzielen will, kann man die Natur natürlich ausbeuten und langfristig zerstören; einige hätten davon sicherlich auch kurzfristig Vorteile. Man kann aber auch einen Gewinn erzielen, indem man die natürlichen Ressourcen sanft und kontinuierlich nutzt; so erzielt man einen langfristigen Nutzen, von dem viele Generationen etwas haben. Der jährliche Marktwert der genetischen Ressourcen und der daraus entstehenden Produkte beträgt 500 bis 800 Milliarden Dollar; auch das hat der Minister deutlich gemacht. Das beträgt er in Zukunft aber auch nur, wenn wir diesen Bereich weiter stützen. Deswegen gibt es von unserer Seite große Unterstützung für diese Kampagne und für die nationale Strategie. Ich denke, es wird eine sehr gute Weltkonferenz im nächsten Jahr werden. ({2}) Als zweiten Punkt möchte ich gerne auf das nationale Klimaschutzprogramm eingehen, mit dem unsere nationale Klimaschutzstrategie in vielen Punkten umgesetzt werden wird. Wir können stolz darauf sein, damit einen riesigen Schritt vorwärts zu machen, und wir werden unserem Ziel, 40 Prozent Emissionen einzusparen, deutlich näher kommen. Natürlich kann man immer noch weitergehende Vorstellungen vorbringen. Auch die SPD hat solche formuliert und wird sie auch in Zukunft immer wieder einbringen. Das wird immer wieder ein Thema sein. Wir dürfen nicht nachlassen, noch mehr Klimaschutz zu fordern. Aber ich glaube, dass wir mit diesem Programm auf dem richtigen Weg sind. Die Bereitstellung von 400 Millionen Euro vor allen Dingen für Klimaschutzmaßnahmen ergänzt dieses ProMarco Bülow gramm sehr gut. Insgesamt wird damit das Bestreben der Koalition unterstützt, den Klimaschutz ernst zu nehmen und auch ernst zu nehmende Maßnahmen einzuführen. Dann kommt, wie immer, die FDP und behauptet, das sei alles unausgewogen und unkonkret. Wenn wir in bestimmten Bereichen Anreize setzen, heißt es, es würde Geld verschleudert. Führen wir auf der anderen Seite ordnungspolitische Maßnahmen ein, heißt es, die Menschen würden gegängelt. Dazu muss man sagen: In den letzten neun Jahren wurden zig Klimaschutzmaßnahmen hier im Bundestag vorgestellt. Die FDP hat alle - jede einzelne - abgelehnt. Deshalb möchte ich gerne wissen, wie denn Ihre Vorstellungen zum Klimaschutz aussehen. ({3}) Eine Antwort kann ich vorwegnehmen: Bei den erneuerbaren Energien zum Beispiel werden Sie, wie immer, sagen, dass Sie nicht das Förderprogramm wollen, das die Deutschen aufgelegt haben, sondern ein anderes Programm, das in einigen Ländern ausprobiert wird. In den Ländern, die das Programm eingeführt haben, welches Sie fordern, hat das dazu geführt, dass zum Beispiel die Preise für Windenergie nicht zurückgegangen sind und der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht so vonstatten gegangen ist, wie es in Deutschland der Fall gewesen ist. Unser EEG - unser Erneuerbare-Energien-Gesetz - hat mit dafür gesorgt, dass wir jetzt 15 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen, dass wir 250 000 Arbeitsplätze geschaffen haben und dass wir 100 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Deswegen ist es das richtige Programm, nicht aber Ihre Vorschläge, die verpuffen und zu höheren Kosten führen. ({4}) Zum Schluss möchte ich auf die Weltklimakonferenz zu sprechen kommen, zu der wir noch einen Antrag eingebracht haben. Es ist wichtig, mit einem abgestimmten Konzept nach Bali zu fahren. Über die Grundlage brauche ich, glaube ich, nicht viel zu sagen. Es ist klar, dass wir uns alle bemühen müssen, weltweit das ZweiGrad-Ziel zu erreichen, und dass wir die dafür erforderlichen Maßnahmen auf den Tisch legen müssen. Darüber hinaus muss es das Ziel sein, die USA mit ins Boot zu holen. Australien wird jetzt Gott sei Dank ins Boot kommen. Nach dem Wahlsieg der Labor Party wird auch Australien das Kioto-Protokoll unterstützen. Wir müssen aber auch die Schwellen- und Entwicklungsländer und natürlich Länder wie China dazu bewegen, mitzumachen. Deswegen unterstützen wir den von der Kanzlerin aufgegriffenen, schon länger existierenden Vorschlag, dass weltweit pro Kopf und Jahr nur noch 2 Tonnen CO2 verursacht werden dürfen. Dahin müssen wir kommen. Das bedeutet auf der einen Seite natürlich einen Sinkflug für die Industrieländer; teilweise ist eine Reduktion von 80 Prozent notwendig. Auf der anderen Seite bedeutet es einen gebremsten Zuwachs und eine darauf folgende Stagnation für die Länder, die vielleicht noch ein wenig mehr verursachen können. Das ist aber auch die einzige Möglichkeit, den Klimawandel insgesamt bewältigen und Klimaschutz verwirklichen zu können. Wer glaubt denn wirklich, dass China oder andere Länder darauf verzichten werden, unseren Weg nachzuahmen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir müssen deutlich machen, dass es gelingen kann, auf der einen Seite Wohlstand zu sichern, auf der anderen Seite aber auf erneuerbare Energien und effiziente Technologien umzusteigen und damit die CO2-Emissionen zu reduzieren. Wenn es uns gelingt, das vorzumachen, werden andere Länder unserem Beispiel folgen. Dann werden wir eine Chance haben, den Klimaschutz ernst zu nehmen und weltweit zu gestalten. Vielen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael Kauch das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schön, dass sich der Kollege Bülow so intensiv Gedanken über die Politik der FDP macht; denn das zeigt, dass die SPD die FDP inzwischen auch im Umweltschutz als Wettbewerber in diesem Parlament erkannt hat. ({0}) Herr Bülow, ich kann Ihnen ganz klar sagen, worauf wir setzen. Wir setzen nicht auf Subventionshuberei, wir glauben nicht, dass mehr Geld automatisch besserer Umweltschutz ist, und wir glauben auch nicht daran, dass die Gängelung der Bürger der richtige Weg ist. Wir brauchen vielmehr einen ordnungspolitischen Rahmen für einen marktwirtschaftlichen Klimaschutz. Wir müssen Mengenziele vorgeben und es dem Markt überlassen, wie er diese Ziele erreicht. Das ist liberale Umweltpolitik. ({1}) Klimaschutz wird letztendlich nur dann erfolgreich sein, wenn nicht nur Deutschland Verpflichtungen eingeht, sondern wenn sich alle Länder auf dieser Welt - zumindest die großen Emittenten - auf eine gemeinsame Strategie verpflichten. Angesichts unseres Anteils von 3 Prozent der Emissionen werden wir auch mit optimalem Klimaschutz das Klima nicht retten. Wir müssen die USA, wir müssen China, wir müssen Indien mit ins Boot holen. Und - das sollten wir nicht vergessen, auch wenn das immer unter den Tisch fallen gelassen wird - wir müssen auch an die Länder denken, in denen die großen Wälder, die großen CO2-Speicher, stehen: Wir müssen Brasilien, den Kongo und Indonesien auf den internationalen Konferenzen endlich als gleichwertige Partner annehmen, so auch jetzt auf Bali. ({2}) Wir brauchen auf Bali ein Ergebnis für Verhandlungen unter dem Dach der Klimarahmenkonvention. Wir brauchen verpflichtende Ziele, damit wir die Erderwärmung auf 2 Grad begrenzen. Wir brauchen klare Ziele. Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass die Koalition in ihrem Entschließungsantrag die Halbierung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 vorsieht. Ich persönlich halte es für einen richtigen Schritt, dass wir uns für das Jahr 2050 die 2 Tonnen CO2 pro Kopf und pro Jahr vornehmen. Denn nur dann werden wir es schaffen, dass die großen Schwellenländer bei den Bemühungen, das Klima zu schützen, mitmachen. ({3}) In diesem Sinne ist der Entschließungsantrag, der mit dem Haushalt zur Abstimmung steht, eine gute Grundlage, und wir finden den Inhalt mit Ausnahme des letzten Punktes ziemlich gut. Ich finde es deshalb bedauerlich, dass es der schwarz-roten Koalition nicht gelungen ist, auf die Opposition zuzugehen, um für die Verhandlungslinie für Bali einen fraktionsübergreifenden Beschluss dieses Parlaments zu bekommen. Es geht hier um unsere nationalen Interessen. Da finde ich es ausgesprochen schade, dass man nicht einmal den Versuch unternommen hat, einen einstimmigen Beschluss dieses Parlaments zu bekommen. ({4}) Wir sind uns in den Grundlinien für die internationalen Verhandlungen einig. Aber wir sind ganz anderer Meinung im Hinblick auf das, was diese Koalition mit den Bürgern vorhat: den Klimaschutz durch das Verteilen von Staatsgeldern und durch die Gängelung der Bürger umzusetzen. Herr Gabriel legt das vor, und Herr Glos schaut zu. Der Umweltminister wird demnächst die Ökopolizei losschicken in jedes Haus, um nachzuschauen, ob die erneuerbare Wärme auch zum richtigen Prozentsatz genutzt wird. Mit einem ErneuerbareWärme-Gesetz sollen die Hausbesitzer verpflichtet werden, hier etwas zu tun, koste es, was es wolle, das heißt, unabhängig davon, ob das effizient ist. Effizienz ist für diese Koalition ein Fremdwort. ({5}) Durch die Härtefallregelungen, die Herr Glos eingebaut hat, wird die ökologische Wirkung aufgeweicht. Jede Behörde wird mal so und mal so entscheiden, ob die Maßnahmen noch wirtschaftlich sind oder ob ein Härtefall vorliegt. Da kann ich nur fragen: Was ist mit einer Rentnerin, die ein Mehrfamilienhaus, das vielleicht schon 50 Jahre alt ist, als Altersvorsorge hat? Diese Frau muss sich fragen, ob sich diese Investitionen in ihrer Lebenszeit noch lohnen. Das ist eine ausgesprochen unsoziale Politik, die hier von der Koalition gefahren wird. ({6}) Der eigentliche Hammer des Gesetzentwurfes steht in den Schlussbestimmungen: Die Gemeinden werden ermächtigt, nicht nur für Neubauten, sondern auch für den Gebäudebestand Anschluss- und Benutzungszwänge für Fernwärme zu erlassen. Das ist der Einstieg in eine sozialistische Planwirtschaft bei der Energieversorgung. ({7}) Das bedeutet: Versorgungsmonopole statt Wettbewerb der Lösungen. Warum denn ein Zwang? Wir können Neubauten heute schon so bauen, dass sie ohne externe Wärmezufuhr auskommen. Warum dann noch einen Fernwärmeanschluss? Ansonsten muss man auch einmal beachten, dass KWK-Kraftwerke auch CO2 emittieren und dass es keinen Sinn macht, eine Anlage für erneuerbare Wärme, die schon eingebaut ist, durch einen Fernwärmeanschluss wieder verdrängen zu wollen. ({8}) Auch das ist ein Geburtsfehler dieses Gesetzentwurfs. Man muss sich schon einmal an die CDU/CSU-Fraktion wenden, deren Kanzlerin mit dem Ausspruch „Mehr Freiheit wagen“ angetreten ist, während nun mehr Staatswirtschaft kommt. Sie haben noch eine Woche Zeit zur Umkehr. Nutzen Sie diese Zeit, um dieses Gesetz noch zu verhindern. ({9}) Ein weiteres Beispiel für die Regelungsorgie sind die Nachtspeicherheizungen. Warum lassen Sie die Frage, ob sich diese Heizungen in Zukunft noch rechnen werden, nicht den Strompreis, der ohnehin steigt, beantworten? Ich glaube, dieses Thema wird sich sehr bald erledigen. Es ist eben ein Problem, dass diese Regierung dirigistisch sagt, dass diese Technologie ganz schlimm ist und dass andere - Ölheizungen oder so - nur ein bisschen schlimm sind, weshalb sie weiterlaufen dürfen. Auch hier sind Härtefalllösungen wieder keine Hilfe. Es handelt sich um Kann-Bestimmungen, auf die sich die Bürger nicht verlassen können und aufgrund derer sie keine Rechtssicherheit haben. ({10}) Auf unsere Kleine Anfrage hin, was das Ganze denn kostet, hat die Große Koalition das nicht einmal beziffern können. Das macht den ganzen Blindflug deutlich, mit dem Sie bei diesem Gesetzespaket arbeiten. Ich kann nur noch einmal betonen: Die CDU/CSU-Fraktion ist aufgerufen, diesen Dirigismus, diese Subventionen und diese Bürokratie zu beenden und endlich einen marktwirtschaftlichen Klimaschutz mit auf den Weg zu bringen. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Marie-Luise Dött für die CDU/CSU. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Umwelthaushalt 2008 stellen wir die Weichen für mehr Klimaschutz. Mit 400 Millionen Euro mehr für den Klimaschutz im Umwelthaushalt setzen wir ein Zeichen dafür, dass wir zu unseren anspruchsvollen Klimaschutzzielen stehen und diese auch erreichen werden. Jetzt kommt es aber darauf an, dieses Geld möglichst effizient zu nutzen. Um den Klimaschutz wirklich voranzubringen, muss durch diese Mittel vor allem eines erreicht werden: Innovationsprozesse müssen in der Breite angeregt werden. ({0}) Wir wollen, dass Deutschland im internationalen Innovationswettlauf um Klimaschutzeffizienztechnologien mit dabei ist. Klimatechnologien Made in Germany müssen weltweit zu einem Synonym für technologische Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Klimaeffizienz werden. Davon werden der globale Klimaschutz, aber auch das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung in Deutschland gleichermaßen profitieren. Die Bereitstellung der zusätzlichen Mittel für den Umwelthaushalt wird somit zum Innovationsmodell für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Meine Damen und Herren, heute und auch zukünftig benötigen wir alle verfügbaren Energieträger und alle Energietechnologien, um die Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit und Umweltverträglichkeit der Energieversorgung in unserem Land jederzeit sicherzustellen. Angesichts stetig steigender Energiepreise, die die Bürger und Unternehmen zunehmend belasten, müssen wir beim Klimaschutz darauf achten, was er kostet. Mit anderen Worten: Klimaschutz ist eine zentrale Herausforderung, die wir annehmen. Er ist aber keine Legitimation, den Bürgern ungehemmt in die Tasche zu greifen. Technologieoffenheit ist die Voraussetzung für Innovationsdynamik und Kosteneffizienz. ({1}) Sich von grundlastfähigen Energietechnologien wie der Kernenergie oder hocheffizienten Kohlekraftwerken aus ideologischen Gründen zu trennen, halte ich daher nicht für sinnvoll; ({2}) denn dies geht zulasten der CO2-Minderung, der Versorgungssicherheit und der Energiekosten. ({3}) Professor Schellnhuber, einer der anerkanntesten Klimaforscher weltweit, hat es am Montag dieser Woche auf dem Klimakongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion deutlich gesagt: Kernenergie und moderne CO2freie Kohletechnologien müssen Bestandteil einer modernen Energieversorgung sein - gerade auch, um Klimaschutzziele zu erreichen. ({4}) Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grünen, wenn Sie die CO2-freien Kohletechnologien heute bereits als - ich zitiere - „Scharlatanerie“ abqualifizieren, dann ist das nicht nur voreilig, sondern auch innovationsfeindlich. ({5}) Technologievorverurteilungen sind für mich die eigentliche Scharlatanerie. Nicht gegen moderne Technologie, sondern mit ihr werden wir Klimaschutz, Versorgungssicherheit und sozial verträgliche Energiepreise sichern. Es ist auch sozial völlig inakzeptabel, wenn Sie aufgrund Ihrer Technikvorverurteilung jeden vernünftigen Energiemix ablehnen und stattdessen mit Ihren Lieblingstechnologien Wind- und Solarenergie den Bürgern über die Einspeisevergütung weiterhin das Geld aus der Tasche ziehen wollen. ({6}) Damit ich hier nicht verdächtigt werde: Natürlich gehören in einen modernen, klimaverträglichen Energiemix auch die erneuerbaren Energien. Es ist aber unvernünftig, für Wind- und Solarenergie subventionspolitische Totalreservate zu schaffen, die den technologischen Fortschritt bremsen und die Verbraucher dauerhaft finanziell belasten. ({7}) Deshalb werden wir die Einstiegsvergütungen und die Degression der Vergütungssätze der erneuerbaren Energien bei den Beratungen zur Novelle des ErneuerbareEnergien-Gesetzes sehr genau prüfen. ({8}) Mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln werden wir in den nächsten Jahren eine breite technologische Offensive für neue Produkte und Verfahren, aber auch Dienstleistungen unterstützen, die dem Klimaschutz nützen, und gleichzeitig unsere Führungsposition als internationale Umwelt- und Effizienztechnologieschmiede ausbauen. Die vordringlichste Aufgabe beim Klimaschutz ist heute die Umsetzung der Beschlüsse der Bundesregierung zum integrierten Energie- und Klimaprogramm. Mit der Arbeit an den ganz konkreten Maßnahmen des Meseberg-Programms wird jetzt zunehmend deutlich, welche Wirkungen die einzelnen Maßnahmevorschläge auf die Bürger und die Unternehmen haben werden. Umso wichtiger ist es, sehr genau das Kosten-NutzenVerhältnis der einzelnen Maßnahmevorschläge und ihre sozialen Wirkungen zu prüfen. Mittelumverteilungen zulasten der Bürger und der Unternehmen werden wir uns vor dem Hintergrund von Aktienkursgewinnen zum Beispiel bei den Solarherstellern, deren Kurse sich binnen zweier Jahre verzwanzigfacht haben, ganz genau ansehen und prüfen, ob einige Technologien nicht eher Subventionsstaubsauger als Energiequellen sind. ({9}) Überförderung und Überforderung müssen gleichermaßen vermieden werden. Das ist das Spannungsfeld der Diskussion - auch bei der Umsetzung der MesebergBeschlüsse. Vorreiter im Klimaschutz können und wollen wir sein. Alle Maßnahmen müssen aber im Zieldreieck von ökologischer Effizienz, wirtschaftlicher Verträglichkeit und sozialer Gerechtigkeit liegen. Umwelt- und Klimaschutz auf Kosten wirtschaftlicher Entwicklung und mit sozialer Schieflage würde die gerade gewonnene breite gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz gefährden. Die Arbeit an der Umsetzung der Meseberg-Beschlüsse wird die deutsche Delegation in die Lage versetzen, bei der Weltklimakonferenz auf Bali mit einem anspruchsvollen nationalen Klimaschutzpaket aufzuwarten. Wir haben mit dem Programm von Meseberg das ehrgeizigste und anspruchsvollste Klimaschutzpaket, das es in Deutschland jemals gegeben hat. Unser Umweltminister kann mit diesem Paket glaubwürdig in die Verhandlungen auf Bali gehen. ({10}) Wir geben das deutliche Signal an die internationale Staatengemeinschaft, dass Deutschland mit dem Klimaschutz Ernst macht, und das nicht nur national. ({11}) Mit der zusätzlichen Bereitstellung von 120 Millionen Euro für den internationalen Klimaschutz beinhaltet der Haushalt 2008 auch ein konkretes Angebot an die Entwicklungs- und Schwellenländer zum Ausbau der Zusammenarbeit. Herr Minister Gabriel, Ihr Koffer für Bali ist gut gefüllt: Erstens mit dem Umsetzungspaket der Meseberg-Beschlüsse, zweitens mit dem Umwelthaushalt 2008, und drittens mit unserem Entschließungsantrag zu Bali sind Sie für die Verhandlungen dort gut gerüstet. Wir wünschen Ihnen jedenfalls Erfolg. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Kern geht es um 400 Millionen Euro Mehreinnahmen aus dem Emissionshandel. Wir haben in den letzten Wochen darüber diskutiert und gestritten, wie diese 400 Millionen Euro verwendet werden sollen. Das Spektrum der Vorschläge war breit. Die FDP wollte - nebulös dieses Geld für Steuersenkungen einsetzen. ({0}) - Zu den möglichen Auswirkungen dieses Vorschlags komme ich noch. Die CDU/CSU hat den glorreichen Vorschlag gemacht, dieses Geld wieder in den Atomenergiesektor zu stecken. ({1}) Ich empfehle Ihnen, die neue Studie des IfG Leipzig zu lesen, wonach zum Beispiel das Endlager Asse nicht sicher ist. Darüber können Sie gerne einmal mit Herrn König, dem Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, diskutieren. Die vernünftige, eigentliche Mehrheit in diesem Haus - von der Linken über die SPD bis zu den Grünen -, die sich durchgesetzt hat, hat gesagt: Die Einnahmen müssen verwendet werden, wofür sie vorgesehen sind, nämlich für den Klimaschutz. ({2}) Die Kollegin Lührmann hat vorhin Vergleiche angestellt, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, worum es hier geht. Genau das möchte ich auch machen. Es wird gefeiert, dass nun 400 Millionen Euro mehr da sind. Aber allein 600 Millionen Euro geben wir jedes Jahr - es wird niemanden verwundern, dass ich diesen Vergleich ziehe - für den Afghanistan-Einsatz aus. 1 Milliarde Euro im Wehretat geben wir auch dieses Jahr für die militärische Forschung aus. Selbst wenn wir das Umweltministerium komplett abschafften, hätten wir noch nicht einmal so viel Geld zur Verfügung, um die nächste Rate für den Eurofighter zu zahlen. In diesem Hause muss sich endlich die Einsicht durchsetzen, dass die ökologische Sicherheit mittlerweile eine viel wichtigere Herausforderung ist. ({3}) - Dass Sie das nicht gerne hören, ist mir völlig klar. Wenn Sie mir aber nicht glauben, dass die ökologische Sicherheit mittlerweile eine größere Herausforderung ist als die militärische, dann glauben Sie bitte Ihrem Minister. Im Vorwort des UN-Weltklimareports, den Sie auch in der Parlamentsbuchhandlung erhalten können, sagt der Minister: In Afrika gibt es mittlerweile mehr Flüchtlinge aufgrund der Klimakatastrophe als aufgrund von Krieg und Bürgerkrieg. ({4}) Dieser Vergleich sollte uns zu denken geben und uns veranlassen, die Verteilung der Haushaltsmittel für Projekte anders zu gestalten. ({5}) - Es ist natürlich Ansichtssache, ob das ein falsches Buch ist. Sie können einen Gegenvorschlag machen. ({6}) Da Sie mit unseren Deckungsvorschlägen offensichtlich nicht einverstanden sind, sollten wir uns einmal die Einnahmeseite anschauen. Dort sieht es nicht viel besser aus. Wir leben in einem Land - das ist absurd -, in dem sich diejenigen, die einen hohen CO2-Ausstoß zu verantworten haben, eine goldene Nase verdienen, während wir versuchen, den angerichteten Schaden mit 400 Millionen Euro zu beheben. Lesen Sie die heutige Ausgabe von Spiegel Online! Ein Beispiel aus der Automobilindustrie: Porsche hat seinen Gewinn von knapp 2 Milliarden Euro im letzten Jahr auf nun fast 6 Milliarden Euro verdreifacht. ({7}) - Nein, es geht um die Einnahmeseite, darum, woher wir Geld bekommen können. Die sechs Topmanager von Porsche, die im letzten Jahr noch 45 Millionen Euro erhalten haben, verdienen nun 117 Millionen Euro. ({8}) Wenn Ihnen diese Vergleiche nicht passen, dann schauen wir einmal auf die Stromkonzerne. Ich freue mich, dass die FDP mittlerweile auf unserer Seite ist und gegen die Stromkonzerne mit ins Feld zieht. ({9}) Allein Vattenfall hat durch die Unternehmensteuerreform der Koalition einen Gewinn von 300 Millionen Euro in diesem Jahr. Das sind 300 Millionen Euro, die jetzt im Haushalt fehlen. Wir aber sagen: Über den Emissionshandel nehmen wir 400 Millionen Euro mehr ein, und dieses Geld reicht für ein tolles, großes Programm. Wenn wir nicht verstehen, dass der Klimawandel derzeit die wichtigste Herausforderung ist, vor der wir stehen, dass wir die gesellschaftlichen Kräfte bündeln und tatsächlich Geld in einer relevanten Größenordnung in die Hand nehmen müssen, um diesen Prozess aufzuhalten, dann wird in den nächsten Jahren vielleicht ein Buch auf dem Markt sein, dessen Untertitel nicht wie der des UN-Weltklimareports „Bericht über eine aufhaltsame Katastrophe“ lautet, sondern „Bericht über eine unaufhaltsame Katastrophe“. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort Herrn Bundesminister Sigmar Gabriel. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Leutert, nur drei Bemerkungen zu dem Versuch, aus der Klimaschutzdebatte eine Neiddebatte zu machen. ({0}) Erstens. Ich finde, es gilt immer noch: Es kann gar nicht genug Millionäre geben - wir wären selber gerne welche -: Hauptsache, sie zahlen Steuern. ({1}) - Das tun sie auch. - Wir senken die Unternehmensteuern, nicht die Steuern von Leuten, die viel Geld verdienen. Wenn die Leute einen Porsche kaufen, werden wir dafür sorgen, dass sie dafür mehr bezahlen müssen, weil der Porsche einen hohen CO2-Ausstoß hat. Diese Gelder setzen wir dann für den Klimaschutz ein. Dagegen kann man wenig sagen. ({2}) Zweitens. Ich als Umweltminister will nicht in die Situation kommen - wenn ich dafür plädieren würde, den Wehretat zusammenzustreichen, damit wir mehr Geld für Umweltschutz haben -, dass im Norden Afghanistans Lehrer, die Mädchen unterrichten, geköpft werden, Frauen gesteinigt werden und Leute nicht zur Schule gehen dürfen. Dazu führt diese Forderung nämlich, und das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Deswegen bin ich der Ansicht: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. ({3}) Drittens. Zur Kohledebatte, die Sie führen - darauf habe ich schon einmal hingewiesen; Ihr Kollege sitzt hier -, sage ich Folgendes: Immer dann, wenn es bei Ihnen zu Hause um die Braunkohle geht, treten Ihre Abgeordneten für mehr Verschmutzungsrechte ein. Hier im Bundestag halten Sie Brandreden gegen die Kohle. Ich habe gehört - das scheint wohl zu stimmen -, dass Ihr Parteivorsitzender Oskar Lafontaine ins Saarland gefahren ist und eine Brandrede gegen den Bau des Kohlekraftwerks in Ensdorf gehalten hat. Die Begründung war interessant: Er soll gesagt haben, es sei deshalb ein schlechtes Kohlekraftwerk, weil dann Auslandskohle zu uns komme. Das macht noch einmal deutlich, worum es ihm eigentlich geht. ({4}) Im Zweifel wäre es ihm recht, wenn CO2 in die Atmosphäre käme, wenn heimische Steinkohle verwendet würde. Was er will, ist: mit neonationalistischen Sprüchen Populismus betreiben und die Leute aufhetzen. Das haben auch Sie eben hier versucht. Das ist der Punkt, in dem man Ihnen entgegentreten muss. ({5}) Der Haushalt ist in Zahlen geronnene Politik. Er zeigt - darauf haben die meisten Redner hingewiesen -, dass Klimaschutz im kommenden Bundeshaushalt eine weitaus größere Bedeutung haben wird als in der Vergangenheit. Wir steigern die Mittel im Bundeshaushalt von 875 Millionen Euro im Jahr 2005 auf jetzt 2,6 Milliarden Euro - Herr Schulte-Drüggelte hat darauf hingewiesen -: Das ist eine Steigerung um rund 200 Prozent. Der Programmhaushalt des Bundesumweltministeriums, mit dem wir fördern können, steigt um fast 100 Prozent. Der Haushalt des Bundesumweltministeriums insgesamt steigt um 50 Prozent. Ich bin den Haushaltspolitikern der Koalition und den Fachpolitikern dankbar, dass das möglich ist; denn wir leben immer noch in Zeiten der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung. Dass entgegen der Notwendigkeit, zu sparen, in diesem Bereich investiert worden ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Ich danke insbesondere den Parlamentariern, aber auch dem Finanzminister. Zum Thema „Kritik am Finanzminister“: Nur wenn man Konsolidierungspolitik betreibt, muss man am Ende nicht das ganze Geld, das Steuerzahler einbringen, für den Zinsendienst und die Schuldentilgung ausgeben; vielmehr hat man nach der Konsolidierung wieder Geld, um in Kinder, in Familien, in Bildung, aber eben auch in Klimaschutz zu investieren. Das ist das Ergebnis der Finanzpolitik dieser Regierung. ({6}) Frau Kollegin Flach, zur Frage, ob kalt oder warm, sage ich Ihnen: Kühler Kopf und warmes Herz - das ist im Zweifel das Beste. Ich finde, es ist absolut selbstverständlich, dass die Parlamentarier - ich selbst bin auch einer - dann, wenn es aufgrund dieser 400 Millionen Euro eine Verdoppelung des Haushalts des Bundesumweltministeriums geben soll, sagen: Wir wollen einmal sehen, was das für konkrete Richtlinien sind. Wir wollen hier mitbestimmen. Schließlich haben wir die Verantwortung gegenüber dem Volk für eine korrekte Mittelausgabe. - Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Wenn Sie fair gewesen wären, dann hätten Sie darüber berichtet, dass ich im Haushaltsausschuss gesagt habe, dass ich das verstehe, dass ich das für notwendig halte und dass ich darum bitte, dass wir hier korrekt zusammenarbeiten, damit wir gute Richtlinien erarbeiten, um möglichst frühzeitig zu einer Freigabe der Mittel zu kommen. ({7}) Wir werden schon Anfang des Jahres mit Vorschlägen kommen. Machen Sie keine Scheindebatten! Sagen Sie einfach, was Sie eigentlich meinen! Sie wollen nicht, dass das Geld für den Klimaschutz ausgegeben wird. Wir wollen es. Deshalb machen wir eine bessere Klimaschutzpolitik als die FDP. So einfach ist das. ({8}) Für erneuerbare Energien geben wir zusätzlich 180 Millionen Euro aus, insbesondere im Bereich des Marktanreizprogramms: Die Mittel für dieses Programm steigen damit auf 350 Millionen Euro für jedes Jahr. Wir sind im Jahr 2005 mit real 130 Millionen Euro gestartet, die verausgabt wurden. Jetzt haben wir 350 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen, und zwar bis 2012. Wir wollen den Klimaschutz vor allem auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen fördern. Dafür sind im Klimaschutzprogramm 50 Millionen Euro enthalten. Es geht übrigens nicht darum, Dinge zu fördern, die die Großen machen. Ich will Ihnen eines sagen: Aus Deutschland ist die Batterieforschung leider abgewandert. Sie ist jetzt in Japan und Korea. Mit diesem Programm fördern wir unter dem Aspekt „Elektrotraktion und Elektromobilität“ unter anderem Bestrebungen, die Batterieforschung zurückzuholen, weil wir hier einen Markt entwickeln wollen, um mit Elektrofahrzeugen Klimaschutz betreiben und Fahrzeuge produzieren zu können, die wir weltweit vermarkten. Mit dem Programm fördern wir, dass Batterieproduktion und -forschung zurück nach Deutschland kommen. Frau Kollegin Flach, das machen wir mit dem Programm, nichts anderes. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Zuruf der Abg. Ulrike Flach ({9}) Ich will auf die anderen Programmteile nicht ausdrücklich hinweisen. Sie kennen die Vorlagen. Wir werden dafür jetzt Richtlinien erarbeiten. Diese Steigerung im Bundeshaushalt und im Haushalt des Umweltministeriums bedeutet, dass wir die finanzielle Grundlage legen, und zwar unter anderem für das Klimapaket, das die Bundesregierung am 5. Dezember verabschieden und dann ins parlamentarische Verfahren geben wird. Frau Kollegin Lührmann, wir haben gesagt, wir wollen bis 2020 eine Reduzierung der CO2-Emission von 40 Prozent erreichen. Mit dem Klimapaket schaffen wir eine Reduzierung von 35 Prozent, also etwa 90 Prozent unseres Ziels. Nun kommt Greenpeace und sagt: Nein, das glauben wir nicht. Das sind nur 30 Prozent. Ich empfinde das als ein Riesenkompliment. Wenn selbst Greenpeace sagt, dass wir mit dem Programm mindestens 30 Prozent abdecken, dann muss das, was wir da gemacht haben, richtig gut sein. Wenn wir uns nur noch um 5 Prozent streiten - einverstanden! Diese Debatte halten wir gern aus. ({10}) Ich sage Ihnen einmal, was ich an Ihrer Debatte nicht verstehe. Sie haben in dieser Debatte seit vielen Jahren die Vorreiterrolle inne. Das bestreitet niemand. Jetzt, da die internationale Diskussion eine andere geworden ist und da die Wirtschaft - auch die amerikanische - merkt, dass es hier um Märkte und um ökonomische Fragen geht und dass man mit dem Klimawandel viel Geld verlieren und mit dem Klimaschutz viel Geld verdienen kann, gewinnt das Ganze an Fahrt. Jetzt machen wir mehr, als Sie damals haben durchsetzen können. Reden Sie das doch nicht ständig klein! Sie reden doch Ihre eiBundesminister Sigmar Gabriel gene Politik damit noch viel kleiner. Sie sind doch Teil dieses Erfolges. Deshalb ist das, was Sie hier machen, albern. ({11}) Wenn Sie auf internationale Konferenzen fahren und den Eindruck vermitteln, Deutschland würde seine Ziele nicht erreichen, obwohl Sie wissen, dass 75 Prozent der Emissionsminderungen in Europa ausschließlich aus diesem Land kommen, dann dürfen Sie nicht erwarten, dass Sie international Freunde finden, die sagen: Wir folgen den deutschen Vorschlägen. - Sie können doch nicht ständig das, was wir anbieten, im eigenen Land diskreditieren und darauf hoffen, dass andere uns dabei folgen. Das ist eine abenteuerliche Strategie, die Sie hier verfolgen. Das geht doch nicht. ({12}) Ich will mich gern mit Ihnen darüber streiten, ob man nicht noch mehr machen könnte. Die Debatte über Kohle, zu der ich gleich komme, ist notwendig; ihr kann man nicht aus dem Weg gehen. Wir haben übrigens nicht von 270 Millionen Tonnen gesprochen. Vielmehr sparen wir mit dem Programm gut 220 Millionen Tonnen ein. Den Rest müssen wir in den nächsten Jahren noch erbringen. ({13}) - Frau Flach, ich kenne übrigens keinen Politiker, wahrscheinlich außer solchen von der FDP, der es sich zutraut, 12 Jahre im Voraus eine Punktlandung bei der Frage zu machen, wie viele Tonnen CO2 er einsparen will. ({14}) Deswegen müssen wir das alle zwei Jahre überprüfen und gegebenenfalls nachsteuern. Das ist, glaube ich, vernünftig. Wenn Greenpeace sagt, dass wir eine Reduzierung um nur 160 Millionen Tonnen erreichen werden, dann antworte ich: Wenn das stimmte - wir glauben das nicht; wir glauben, wir schaffen mehr -, dann änderte das nichts daran, dass das Programm weltweit das einzige ist, das konkrete Instrumente und Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele enthält. Bisher hat noch kein anderes Land in der Welt - auch nicht Neuseeland etwas Vergleichbares aufgesetzt. Die Briten wollen zwar in sechs Monaten etwas vorlegen; Deutschland ist heute aber das einzige Land in der Welt, das präzise sagt, wie es seine Klimaschutzziele konkret erreichen will. Außerdem sind wir das einzige Land, das neben einem solchen Programm auch noch Geld für die internationale Klimaschutzpolitik nach Bali mitbringt. Kein anderes Land auf der Erde tut das. Wenn Sie wollen, dass uns die anderen folgen, dann müssen Sie sagen: Das sollen uns andere erst einmal nachmachen. - Frau Lührmann, dann werden wir in Bali und international Erfolg haben. Das ist die Realität der internationalen Klimaschutzpolitik. ({15}) Deswegen hat die Bundeskanzlerin recht, wenn sie sagt: Wir werden keinen Erfolg haben, wenn andere in Europa ihre Versprechen nicht genauso einhalten wie Deutschland. Dieser Hinweis ist bitternötig. Wir sind sicher, dass wir unsere Versprechen einhalten. Etwa die Hälfte unserer Klimaschutzerfolge haben wir ja durch den Zusammenbruch der Industrie in der ehemaligen DDR nach der deutschen Einheit erzielt. ({16}) Den Rest werden wir auch noch schaffen. Zur Kohledebatte möchte ich den Grünen sagen: Die Realität, die Sie selber geschaffen haben, sollten Sie nicht einfach aus Ihrem Bewusstsein streichen. Wir werden in Deutschland bis 2012 sicher neun neue Kohlekraftwerke bekommen. Man versucht, nachzuweisen, dass mehr Kohlekraftwerke gebaut werden - Greenpeace tut das -, indem man aufzählt, wie viele Genehmigungsanträge vorliegen. Dabei sollte man der deutschen Öffentlichkeit nicht verheimlichen, dass manche dieser Genehmigungsanträge zehn Jahre alt sind, mit dem Bau aber nie begonnen wurde. Die Unternehmen warten nämlich ab, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln. Außerdem wollen sie sich Baumöglichkeiten sichern. Jetzt sage ich Ihnen, inwiefern Sie Ihre eigene Geschichte, Ihre eigenen Erfolge vergessen. Der Emissionshandel begrenzt die Möglichkeit, CO2 in die Atmosphäre auszustoßen. Es ist mir, um es offen zu sagen, piepegal, welche Planungen die Unternehmen im Hinblick auf die verschiedenen Energietechnologien haben; ich trage nur eine einzige Verantwortung - Sie auch -: dass am Ende nicht mehr CO2 ausgestoßen wird, als wir international vereinbart haben. Das ist der Erfolg des europäischen Emissionshandels, den Sie von den Grünen gemeinsam mit der SPD in der letzten Legislaturperiode geschaffen haben. Alle Energieerzeuger in Deutschland könnten im Extremfall nur noch Braunkohlekraftwerke bauen, wenn sie das wollten; die Konsequenz wäre aber, dass sie pleitegehen, weil sie die Kraftwerke gar nicht in Betrieb nehmen dürften; denn sie verfügen nicht über ausreichende Emissionsberechtigungen. Das ist die Logik des Emissionshandels. Sie müssen sich entscheiden. Wenn Sie bei einem marktwirtschaftlichen Instrument bleiben wollen, dann greift der Staat nicht in die Detailfragen der Technik ein, sondern regelt nur, wie viel CO2 insgesamt ausgestoßen werden darf. ({17}) Wenn Sie Ordnungsrecht anwenden und den Staat beauftragen wollen, im Detail zu sagen, welche Technik an welchem Standort angewandt werden darf, dann kann ich nur gute Besserung wünschen; das wird nicht funktionieren. ({18}) Wir wollen dafür Sorge tragen, dass der Emissionshandel besser funktioniert. Wir werden dafür Sorge tra13694 gen, dass in der dritten Handelsperiode bis zu 100 Prozent auktioniert werden. Die Europäische Kommission wird das übrigens am 23. Januar selbst vorschlagen. Wir werden das unterstützen. Wir werden die Emissionsbudgets weiter heruntersetzen. Es wird bei uns keine riesigen Kohlekraftwerke geben können, weil sie sich gar nicht rechnen. Man kann den vier großen Stromerzeugern einiges unterstellen, aber eines nicht: dass sie nicht rechnen können. Ich bin sicher, dass uns der Emissionshandel am Ende recht geben wird: Es ist so wie bei einem Glas Wasser: Wir legen fest, wie viele Zertifikate und Emissionsberechtigungen zugelassen werden. Darüber hinaus darf nichts ausgestoßen werden. Damit regulieren wir auch den Einsatz von Kohle. Völlig auf Kohle zu verzichten - Sie wollen das -, bedeutet bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernenergie, dass Sie bei einem Anteil der regenerativen Energien von 30 Prozent im Jahr 2020 den Rest mit Gas erreichen wollen. Es gibt so viel Gas; man kann es besorgen. Erklären Sie aber einmal den Leuten, wie sie dann die Preise für Gas bezahlen sollen! ({19}) Sie drücken sich vor der Beantwortung dieser Frage, wir nicht. Es geht hier um eine interessante Debatte, die aber nicht so populistisch geführt werden darf: Kohle raus, Kernenergie raus, alles mit Gas und erneuerbaren Energien. Das wird am Ende nicht funktionieren. Wir machen das von Ihnen mitentwickelte Instrument funktionsfähig. Damit verhindern wir, dass zu viel Kohle eingesetzt wird, und erreichen unsere Emissionsziele. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({20})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Hill hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister Gabriel, erlauben Sie mir, kurz auf Ihre einleitenden Worte einzugehen, insbesondere auf das, was im Saarland geschehen ist. Erstens dürfte Ihnen bekannt sein, dass unsere Fraktion eine Kohleposition verabschiedet hat, die sie geschlossen vertritt und der sich auch einzelne Landesverbände angeschlossen haben, insbesondere solche, die mit Bergbau zu tun haben. Ich erinnere nur daran, dass sich die Linkspartei in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg an den entsprechenden Bürgerinitiativen beteiligt, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Zweitens komme ich auf das zu sprechen, was Oskar Lafontaine in Ensdorf gesagt haben soll, wie Sie es selbst ausgedrückt haben. ({0}) Ich bitte Sie, Ihre Quellen zu überprüfen. Das, was Sie hier vorgetragen haben, hat er nämlich nicht gesagt. Ich war auf dieser Veranstaltung anwesend und habe dort ebenfalls eine Rede gehalten, und zwar über die Arroganz des RWE-Konzerns im Umgang mit der Bevölkerung. ({1}) Ich habe darüber gesprochen, wie RWE damit umgegangen ist, die Bevölkerung dazu zu zwingen, ein solches Kraftwerk zu akzeptieren. Was Oskar Lafontaine gesagt hat, kann ich natürlich nicht mehr wörtlich wiedergeben. ({2}) - Ich weiß nicht, ob Sie immer alles aufschreiben. - Er hat Folgendes gesagt: Selbst wenn wir wollten, wären wir nicht in der Lage, mit der Kohle, die im Saarland produziert wird, ein solches Kraftwerk zu betreiben, und es ist nicht vorgesehen, in diesem Kraftwerk überhaupt saarländische Kohle zu verbrennen. Er hat hinzugefügt, dass wir ein Kraftwerk wollen, das in die Energielandschaft des Saarlandes passt, und darauf abgestellt, dass wir für eine dezentrale Versorgungsstruktur und gegen eine zentralistische fossile Energiepolitik sind. ({3}) Er hat von der ausländischen Kohle nichts in der Form gesagt, wie es hier dargestellt wurde. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Minister, wollen Sie darauf antworten? ({0}) Dann erteile ich nun der Kollegin Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Gabriel, dass Sie ein guter Selbstdarsteller sind, wissen wir. Aber die entscheidende Frage ist nicht, ob Sie ein guter Selbstdarsteller sind, sondern, ob Sie auch ein guter Umweltpolitiker sind. ({0}) Darauf sage ich Nein. Dies kann man auch an mehreren Punkten begründen. ({1}) Als Beispiel nenne ich den Klimaschutz und die Kohlepolitik, und zwar nicht nur Ihre, sondern auch die Kohlepolitik der SPD insgesamt. Sie argumentieren hier ja sehr offensiv; aber de facto sind Sie bei diesem Thema absolut in der Defensive. Dass sich der Kollege Hill mit seiner Kurzintervention noch mehr in die Bredouille gebracht hat, haben wir alle erlebt. Aber Sie sind nicht besser, Herr Gabriel. Was war denn die Position der SPD in Ensdorf? Zuerst war die SPD total für dieses große Kohlekraftwerk. Als dann der Druck zu groß wurde, hat sie gesagt: Lieber nur die Hälfte, danach nur ein kleines Kohlekraftwerk. Sie hat ihre Position am Ende immer weiter heruntergefahren. Als die Stimmen der Bevölkerung sich gegen die SPD richteten, war auch sie plötzlich gegen die Kohle. Aber eigentlich ist die SPD der Kohle und damit dem Klimakiller Nummer eins verhaftet. Das ist das Problem der SPD in der Klimapolitik. ({2}) Sagen Sie doch einmal, wie Sie es mit diesen neuen Kohlekraftwerken halten wollen! Sie sagen: Nur noch neun Kohlekraftwerke. - Was werden Sie eigentlich machen, wenn ein weiteres zur Genehmigung ansteht? Wollen Sie dann persönlich dorthin gehen und sagen: „RWE, das gibt es nicht“? Andersherum wird ein Schuh daraus: Wenn die SPD vor Ort endlich einmal eine vernünftige Position gefunden hat, wie es in Krefeld der Fall war, als die SPD mit der CDU im Rat gegen das Kohlekraftwerk gestimmt hat, dann holt die Bezirks-SPD den Minister Gabriel, der in einer Brandrede die SPD umdrehen muss, damit sie für die Kohle ist. Das, meine Damen und Herren, ist die Politik des Umweltministers. Er streitet für die Klimakillerkohle. Aber das will er sich gar nicht anhören, weshalb er gerade in komische Briefumschläge hineinguckt. ({3}) Stellen Sie sich doch der Realität, Herr Gabriel!

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, klar.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Höhn, Sie haben das geplante Steinkohlekraftwerk in meinem Wahlkreis Krefeld angesprochen. Ich finde es zwar nett, dass Sie versuchen, die Stärke dieses Umweltministers hervorzuheben. Aber war es nicht vielmehr so - auch nach Ihrer Erinnerung und nach dem, was Ihnen Ihre Freunde berichtet haben -, dass in Krefeld das Umdenken eingesetzt hat, nachdem man das gesamte Tableau betrachtet hat und die Frage aufkam, wie im industriellen Kern noch Menschen beschäftigt werden sollen? War es nicht auch so, dass in der Bevölkerung in Krefeld ein erhebliches Umdenken eingesetzt hat, als es um die Frage der Alternativen ging und Ihre Freunde vor Ort leider auch keine Alternativen einbringen konnten?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist falsch. Ich war vor Ort und kenne den Fall sehr gut. De facto haben die Initiativen vor Ort - darunter eine starke Ärzteinitiative mit über 130 Ärzten, die auch auf die gesundheitlichen Gefahren hingewiesen haben - wesentlich zu diesem Beschluss im Rat beigetragen. Die Grünen haben genauso wie die Bürgerinitiative gesagt: Wir brauchen ein Kraftwerk, weil hier ein großer Chemiestandort ist und wir dafür Energie benötigen. Aber wir wollen kein Kohlekraftwerk, sondern ein Gaskraftwerk. - Es stimmt nicht, Herr Kollege, dass sie keine Alternativen vorgelegt haben. ({0}) Wir sind nicht gegen Gaskraftwerke. Das sage ich sehr deutlich. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zur Ideologie, Frau Dött. Ich finde es spannend, dass Sie gerade im Zusammenhang mit CCS den Grünen Ideologie vorwerfen. Was sagt eigentlich Herr Tacke dazu? Herr Tacke meint, dass sich Kohlekraftwerke mit CCS nicht rechnen, weil Windkraft leistungsstärker und wirtschaftlich günstiger ist als Kohlekraftwerke. Werden Sie auch Herrn Tacke Ideologie vorwerfen, Frau Dött? ({1}) Ideologisch handeln Ihre Kollegen von der CDU und der FDP in Nordrhein-Westfalen, die jede Windkraftanlage und damit jede Alternative verhindern. Das ist Ideologie. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kauch?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Klar. ({0}) - Ich erlaube alles, was die Redezeit verlängert. Das ist doch logisch. - Bitte schön.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, ich finde es sehr interessant, dass Sie in Richtung der Union auf das Thema CCS eingegangen sind. Kann ich daraus herauslesen, dass Sie jetzt die Position der Linken zur CO2-Abscheidung übernehmen? Bisher hatte ich immer den Eindruck, dass die Grünen die CO2-Abscheidung durchaus als technologische Option sehen. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn das Unternehmen STEAG bzw. Evonik, wie es jetzt heißt, davon ausgeht, dass sich diese Technologie nicht rechnen wird, dann ist es doch seine marktwirtschaftliche Entscheidung, darauf zu verzichten. Es stellt sich aber die Frage, ob wir anderen Unternehmen wie Vattenfall, die zu anderen Berechnungen kommen, diese Option verwehren sollen. Die entscheidende Frage ist, ob wir eine Technologieoption offenhalten oder ausschließen wollen. Wie ist die klare Position der Grünen dazu?

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kauch, wir haben eine klare Position dazu, und zwar meinen wir aus sehr vielen Gründen, dass in der Tat weitere Forschung notwendig ist. Wir sehen aber die CO2-Abscheidung durchaus kritisch, und zwar aus mehreren Gründen. Es ist immer noch nicht geklärt, wohin das CO2 wirklich verbracht werden soll. Es soll vor allen Dingen nach Norddeutschland verbracht werden, und zwar in unterirdische Bereiche, die 40 mal 40 Kilometer groß sind. Sowohl was die Pipeline als auch was die Planfeststellung für dieses Gebiet angeht, wünsche ich viel Erfolg. Das wird noch extrem schwierig. Wir wissen, dass CO2 unter Tage sehr aggressiv ist. Es ist noch nicht geklärt, ob das CO2 wieder an die Oberfläche steigt und später wieder massive Probleme erzeugt. Wir sprechen uns also aus vielen Gründen für weitere Forschung aus; aber wir sehen bei dieser Technologie enorme Probleme, die erst einmal ausgeräumt werden müssen. Anderenfalls sind wir nicht dafür. ({0}) Ich komme zu einem weiteren Bereich, Herr Gabriel, dem Naturschutz. Es gibt zwei Punkte, die aus meiner Sicht in den letzten Monaten für Furore gesorgt haben. Das ist zum einen die Neunte Vertragsstaatenkonferenz Biodiversität, die im Mai 2008 in Bonn stattfinden soll. Auf dieser Konferenz wollen Sie glänzen. Der zweite Punkt ist Ihre Patenschaft für den Eisbären Knut. Zwischen diesen beiden Punkten gibt es einen Widerspruch. Die Konferenz in Bonn nächstes Jahr wird 11,3 Millionen Euro kosten. Sie wollen dort damit glänzen, dass Sie etwas für die Biodiversität tun. Aber woher nehmen Sie diese 11,3 Millionen Euro? Die entnehmen Sie Naturschutzgroßprojekten und Titeln für internationale Programme. Das heißt, Sie gehen auf diese Konferenz, verkünden, was Sie für die Biodiversität tun, und nehmen das Geld bei den Programmen weg, mit denen Sie eigentlich die Artenvielfalt schützen wollen. Zulasten der Artenvielfalt wollen Sie große Worte schwingen. Große Worte verkünden und gleichzeitig Programmen zum Schutz der Artenvielfalt das Geld streichen, das darf nicht gehen. ({1}) Zu Knut muss ich sagen: Machen Sie das, knuddeln Sie den Eisbären Knut! Aber sagen Sie dabei vielleicht auch, warum Sie das jetzt nicht mehr tun, wenn die Nase länger wird und er kein kleines Baby mehr ist. Sagen Sie vielleicht auch einmal, dass es besser wäre, Geld für den Schutz der wild lebenden Artgenossen von Knut zur Verfügung zu stellen, als mit possierlichen Bildern eines Zootieres für den Artenschutz Karriere machen zu wollen. Das ist gegen die Biodiversität. ({2}) Ein letzter Punkt, den ich ansprechen möchte, sind die Rußfilter. Ich finde, das ist wirklich das Frechste, was man sich leisten kann. Sie haben ein Riesenproblem, gehen auf eine Pressekonferenz und stellen sich als Problemlöser hin. De facto sind Sie der Problembär, weil Sie dieses Problem verschuldet haben. ({3}) Ihr Ministerium hat von diesem Problem 18 Monate lang gewusst. Sie haben es zugelassen, dass in die Autos der Verbraucherinnen und Verbraucher falsche Filter eingebaut wurden. ({4}) Jetzt stellen Sie eine Kulanzlösung in Aussicht. Dazu sage ich: Das geht nicht. Vielleicht 5 Prozent der Betroffenen werden die Filter austauschen. Die anderen werden mit diesen unbrauchbaren Filtern weiter in die Innenstädte fahren. Sie werden die grüne Plakette weiter behalten und weiter von der Steuerbefreiung profitieren. Wie sollen die Bürgermeister vor Ort eigentlich erklären, dass andere viel Geld investieren müssen, um in die Innenstädte zu kommen, während Sie bei 95 Prozent dieser Stinker sagen: „Das interessiert uns nicht; die können weiter so fahren, wie sie wollen“? Herr Gabriel, das ist kein Umweltschutz. Da geht es nicht um die Reduktion von Feinstaub, sondern einfach nur darum, dass Sie Ihre Fehler wegwischen wollen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({5}) Meine Damen und Herren,

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, ich dachte, Sie sind am Ende. Ich habe Sie bisher nicht unterbrochen, aber Ihre Redezeit ist zu Ende.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- ich komme zum Schluss -, wir wünschen Ihnen viel Erfolg für die Bali-Konferenz, auch im Sinne des Klimaschutzes. Ein Erfolg wird Ihnen allerdings nicht gelingen, wenn Sie so wie in Heiligendamm aufgestellt sind. Sie müssen die Schwellenländer überzeugen. Das geht nur mit konkretem Klimaschutz vor Ort. Daran fehlt es. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hochverehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Was wir von den Grünen in dieser Debatte gehört haben, ist unglaublich. Ich meine nicht einmal so sehr Sie, Frau Höhn. Wir wissen, dass Sie ohne Punkt und Komma reden und nie eine Antwort darauf geben, woher, wenn Sie im Hinblick auf die erneuerbaren Energien von einem Anteil von 30 Prozent sprechen, die anderen 70 Prozent unseres Stroms letztendlich kommen sollen. ({0}) Ich beziehe mich auf das, was Frau Lührmann, Ihre Haushälterin, heute vorgetragen hat. Es ist unglaublich, dass man sagt: Die Regierung wartet ab, bis die Einnahmen da sind, um dann Ausgaben zu tätigen. - Frau Lührmann, genauso funktioniert doch Haushalt, so funktioniert doch Wirtschaften. Was gibt es denn da zu kritisieren? Ich muss Sie auch fragen, ob Sie Äsops Fabel vom Fuchs und den Trauben kennen. So hat nämlich Ihre Rede geklungen. Die Trauben, die Früchte, die man seinerzeit nicht selber ernten konnte - man hat sie nicht einmal anständig ausgesät -, redet man jetzt schlecht und sagt, sie seien sauer. Das, was sich im Klimaschutz tut, ist anzuerkennen. Ich erwarte, dass das auch die Grünen tun. ({1}) Das, was wir hier machen, ist eine Chance für die Umwelt. Aber es muss auch eine Chance für die deutsche Wirtschaft sein. Es ist kein unkalkulierbares Risiko, sondern eine Chance für die Wirtschaft, wenn wir mit den vorgesehenen 2,6 Milliarden Euro einen Hightechklimaschutz als Querschnittsaufgabe befördern. ({2}) Wir müssen das Umwelttechnologiezentrum der Welt sein. Dass die Grünen das nicht einsehen wollen, ist mir klar, ({3}) weil sie nicht von ihrem Rückschrittsumweltschutz wegkommen und sich nicht in diese Richtung bewegen wollen. Frau Lührmann, weil Sie dazwischenrufen: Sie haben bei der letzten Debatte hier von den Chefdreckschleudern gesprochen. Es ist ein Skandal, in einem Autobauerland wie Deutschland so etwas überhaupt in den Mund zu nehmen. ({4}) Ich möchte, dass unsere Autos - Mercedes, BMW, Audi, Opel - weltweit gefahren werden. Ich möchte aber, dass sie auf hohem technischem Niveau sind. Man darf sie nicht einfach wegdiskutieren nach dem Motto: Wir brauchen sie nicht. - Davon leben wir, meine Damen und Herren! ({5}) Am 5. Dezember werden im Kabinett einige Meilensteine diskutiert. Ich räume ein, dass es im Hinblick auf Bali einen gewissen Erfolgsdruck gibt, der auch zu Zeitdruck führt. Ich meine, dass es Handlungsbedarf bei EEG und KWK sowie beim Erneuerbaren-Wärme-Gesetz gibt. Da ist einiges, was das Parlament noch regeln muss. Es kommt die Stunde des Parlaments. Darauf sollten wir uns schon jetzt vorbereiten. Heute ist schon einiges zum Erneuerbare-EnergienGesetz gesagt worden. Ich möchte eines klarstellen: Es gibt Einzelne, die momentan den Eindruck erwecken, als würde die Union an der Stelle einen Systemwechsel vorbereiten. Das ist nicht der Fall. Es ist auch nicht die Zeit dafür. Wir wollen keinen Systemwechsel. Wir haben klare Ausbauziele: von 13 Prozent auf 25 Prozent bzw. 30 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien im Jahr 2020. Wir werden zwischendurch nicht das Pferd EEG wechseln; denn es ist ein gutes Pferd. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Nüßlein, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie sagen: Wir beschließen am 5. Dezember dieses Jahres im Kabinett etwas, und dann gucken wir als Koalition hier im Parlament, was dabei herauskommt.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So habe ich es nicht gesagt.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Natürlich gilt das Struck’sche Gesetz - das kennen wir -: Jedes Gesetz wird im Parlament noch verändert. Wenn Sie allerdings meinen, dass das Ganze schon jetzt korrekturbedürftig ist: Könnten Sie als Abgeordneter der CSU mir erklären, welchen Anteil der Wirtschaftsminister, den Ihre Partei stellt, an diesem Paket hat?

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst einmal ist bei diesem Thema, wie Sie wissen, der Bundesumweltminister federführend. ({0}) Er verfolgt eine klare Linie. Er hat einen guten Vorschlag geliefert, welcher sich in der Ressortabstimmung befindet. Dabei wird der Wirtschaftsminister entsprechenden Einfluss nehmen. Wenn es dann am Schluss noch etwas gibt, von dem wir meinen, es gemeinschaftlich in der Großen Koalition anpassen zu müssen - ich bin überzeugt, dass etwas übrig bleiben wird -, dann werden wir das in der geeigneten Weise tun. Ich habe großes Verständnis dafür, wenn die FDP es nicht gut findet, dass sie an dieser Stelle nicht mitreden darf. Das wird sich aber nicht ändern, auch wenn Sie es gern hätten. ({1}) Nun noch einmal zum Thema EEG. Es ist ein Regulierungsinstrument. Kleine Produzenten stehen einer großen Marktmacht gegenüber. Deshalb brauchen wir es zum Zwecke der Regulierung. Es ist auch ein Teil der Mittelstandspolitik, und es ist Technologieförderung; denn Technik, die im Inland nicht läuft, kann man letztendlich auch im Ausland nicht verkaufen. ({2}) Es gibt noch das eine oder andere Technologiefeld, das hier zu nennen wäre. Ich erinnere an die Geothermie, bei der wir noch ganz am Anfang stehen. Das ist ein Thema, Herr Kauch, über dessen Zukunft wir einmal reden müssen. Es geht nicht immer nur um Förderung, sondern es geht auch darum, das eine oder andere entsprechend zu gestalten. Bei der Windenergie geht es um die Frage der Nabenhöhe. Das haben wir als Bund leider nicht in der Hand. Beim Thema Wasser geht es darum, unnötige Verknüpfungen mit dem Wasserhaushaltsgesetz zu vermeiden. Es darf nicht sein, dass wir vorhandene Potenziale nicht mehr nutzen können oder dass wir in Altrechte eingreifen; ich erinnere an all das, was wir am Anfang diskutiert haben. Das muss schon in der Ressortabstimmung herausgenommen werden, damit nicht nachher das Parlament nachbessern muss, Herr Kauch. ({3}) Zum Erneuerbare-Wärme-Gesetz sage ich ganz offen: Die Union ist nicht mit dem zufrieden, was momentan auf dem Tisch liegt. ({4}) Ich gehöre zu denen, die das Thema immer verteidigt haben, weil ich meine: Mit diesem Eingriff kann man in ordnungspolitisch schlanker und einfacher Weise dafür sorgen, dass in unseren Haushalten erneuerbare Wärme zum Heizen genutzt wird; davon bin ich nach wie vor überzeugt. An den Eckpunkten dieses Gesetzes müssen wir noch das eine oder andere tun, sodass es am Ende tatsächlich schlank und vor allem technologieoffen ist. Da ist Baden-Württemberg ein Vorbild, an dem wir uns orientieren sollten. ({5}) Lassen Sie mich auch noch etwas zu den Biokraftstoffen sagen. Ich meine, dass wir, getrieben von einzelnen Finanzinteressen und von den Interessen der Mineralölindustrie, vor einer Weile einen Fehler gemacht haben ({6}) - das haben wir von Anfang an gesagt -, den wir, aus meiner Sicht jedenfalls, sinnvoll korrigieren müssen im Interesse derjenigen, die in diesen Bereich investiert haben. Es kann doch nicht sein, dass man diejenigen, die sich darauf verlassen, dass es eine Linie gibt und der Klimaschutz vorangetrieben wird, und deshalb investieren - im Übrigen mit einem hohen Anteil öffentlicher Mittel -, komplett hängen lässt. ({7}) Deshalb müssen wir darüber reden, wie wir, wenn wir schon steuerlich nichts machen wollen, am Ende zumindest eine Quotenerhöhung auf 7 Prozent hinbekommen. Das ist wichtig; ({8}) denn eines braucht die Branche der erneuerbaren Energien, eine junge Branche, unbedingt: Verlässlichkeit. Und niemand steht mehr für Verlässlichkeit als die Union. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der nächsten Woche beginnt die Klimaschutzkonferenz in Bali. Zwei Ereignisse der letzten Tage haben zumindest mich diesbezüglich hoffnungsfroh gestimmt: erstens dass Konservative und Liberale in Australien abgewählt wurden, auch wegen ihrer Haltung zum Klimaschutz, ({0}) und mit der Labor Party jetzt ein Partner für Klimaschutz an der Regierung ist, wo bisher die Bremser gesessen haben. Der zweite Punkt bezieht sich auf etwas, was ich selber in der letzten Woche auf einer der Vorbereitungskonferenzen in Indien hören konnte. Da hat nämlich einer der indischen Partner die deutsche Haltung eingeschätzt. Er hat gesagt: Ihr habt die richtigen Ziele für 2020 und 2050 benannt, nämlich die, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen. Ihr erfüllt eure Zusage für 2012. Ihr legt als einziges Land ein Programm vor, wie ihr die Ziele für 2020 erreichen wollt. Ihr kommt mit einem fairen Vorschlag für die Entwicklungsländer und die Schwellenländer, nämlich einer gleichen Emissionsobergrenze für alle. Außerdem bringt ihr noch Geld mit, um diese Ziele zu erreichen und die Adaptionsmaßnahmen zu unterstützen. ({1}) Deutschland wird nach indischer Einschätzung die Schlüsselrolle für den Erfolg oder Nichterfolg in Bali spielen, weil wir das einzige Industrieland sind, dem sie glauben, dass wir es ernst meinen und nicht nur Grenzen für die Entwicklungs- und Schwellenländer vorsehen wollen. ({2}) Ich wollte heute eigentlich in großkoalitionärer Eintracht sprechen. Aber da meine beiden Vorredner von der konservativen Seite etwas anders vorgegangen sind, vielleicht eine kleine Ergänzung. Ich empfehle jedem, zwei Dinge nebeneinanderzulegen: zum einen das Protokoll der heutigen Reden von Frau Dött und dem Kollegen Nüßlein und zum anderen das Protokoll der Reden vom Montag auf dem Klimaschutzkongress der CDU. Diese Reden passen nicht zusammen. ({3}) Sie dürfen nicht nur klatschen, wenn Ihre Kanzlerin redet, sondern Sie müssen auch so handeln, wie Ihre Kanzlerin redet. ({4}) Das heißt, Sie dürfen nicht immer dann, wenn wir uns über die Gesetze unterhalten, sagen: Das ist aber zu viel, das machen wir nicht mit. - Sie müssen die Instrumente so umsetzen, wie wir es vorher gemeinsam beschließen. ({5}) Gott sei Dank habe ich ein internetfähiges Handy, Frau Dött. Deswegen habe ich mir das letzte Interview mit Herrn Schellnhuber, den Sie hier für Ihre Atomkraft in Beschlag nehmen, ({6}) noch einmal wörtlich aus dem Internet geholt. Zitat Schellnhuber auf die Frage „Soll man die Atomenergie verwenden für den Klimaschutz?“: Man müsste gigantische Summen ins Spiel bringen … Und weiter: Die Uranvorräte aber sind begrenzt, und die Plutoniumtechnologie birgt zu hohe Sicherheitsrisiken. Günstiger ist es, erneuerbare Energien auszubauen … Das ist original Schellnhuber und nicht das, was Sie heute als seine Worte vorgetragen haben. ({7}) Mit Ausnahme von Frau Höhn war die Behandlung dieses Themas vonseiten der Opposition eine müde Pflichterfüllung; bei Frau Höhn war es wenigstens eine aufgeregte Pflichterfüllung. Ich gehe einmal auf drei Punkte ein. Erster Punkt ist die Behauptung, Biodiversität und Naturschutz fänden im Ministerium und dessen Haushalt nicht statt. Sie hätten schon lesen sollen, wie die Umwelt- und Naturschutzverbände die nationale Biodiversitätsstrategie begrüßt haben, die die Bundesregierung gerade im Entwurf vorgelegt hat. Dafür hat es von allen Organisationen ein eindeutiges Lob gegeben. Der zweite Punkt geht an die Adresse der FDP. Ich finde es schon richtig, dass man als letzter Redner seiner Partei auf die Vorredner eingeht, statt, egal was passiert ist, vorgefertigte Reden vorzulesen. Sie haben zwei wichtige Dinge getan. Erstens haben Sie gesagt, die FDP möchte die 400 Millionen Euro in die Senkung der Stromsteuer investieren. Sie haben zwei Zahlen genannt, bei denen ich nicht so schnell prüfen konnte, ob sie stimmen. Deswegen nehme ich sie einmal als gegeben an. Sie sagen, die Stromsteuer mache 12 Prozent des Strompreises aus; das sind 6,5 Milliarden Euro. Dann haben Sie gerade vorgeschlagen, den Strompreis durch einen hohen Mitteleinsatz um 0,7 Prozent zu senken. Glauben Sie wirklich, dass Eon und RWE diese Senkung an die Menschen weitergeben werden? Was ist denn das für ein Kleinkinderglaube? ({8}) Wir nehmen die 400 Millionen Euro und sorgen dafür, dass die Menschen weniger Strom verbrauchen. Ein um 20 oder 25 Prozent geringerer Stromverbrauch senkt Stromrechnungen. Es macht keinen Sinn, Eon und RWE die Möglichkeit für Strompreiserhöhungen zu bieten. ({9}) Der nächste Punkt ist ganz wichtig. Frau Flach, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zuhören würden. Sie haben gesagt: Ein Hauptproblem für unser Klima ist, dass man in Afrika unverantwortlich mit den fossilen Energien umgeht. Wissen Sie, dass über 800 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner weniger CO2-Emissionen zu verantworten haben als die Bundesrepublik Deutschland mit ihren 80 Millionen Einwohnern allein? ({10}) Wenn man mit einer solch arroganten Haltung auf internationale Konferenzen geht, ist das Scheitern vorprogrammiert. Wir müssen handeln und Vorbild sein. Andere können nachziehen, wenn wir eine saubere Entwicklung garantieren. ({11}) Das, was Sie vorschlagen, ist arroganter Neokolonialismus. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, wollen Sie am Ende Ihrer Redezeit noch eine Frage des Herrn Kollegen Kauch beantworten?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber selbstverständlich.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kelber, wir kennen Ihre Wortwahl schon. Es macht immer wieder Spaß, Sie als SPD-Entertainer in den Debatten zu erleben. Stimmen Sie mir zu, dass es darum geht, erneuerbare Energien nicht nur in Deutschland, sondern gerade auch in Afrika einzusetzen, und dass es klug wäre, wenn die Bundesrepublik Deutschland gemeinsam mit den Partnern - und nicht quasi neokolonial auftretend - zu Fortschritten käme? Stimmen Sie mir zu, dass die Sonne in Afrika häufiger scheint und dies für den Einsatz von Solaranlagen spricht und dass dadurch eine Stabilisierung der Länder erreicht werden könnte? Stimmen Sie mir zu, dass es völlig unpassend ist, wie Sie hier dem Vorschlag von Frau Flach, in diesen Ländern mehr für erneuerbare Energien zu tun, entgegentreten? ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, das Spannende ist ja, dass Frau Flach nicht etwa vorgeschlagen hat, in Afrika mehr für die erneuerbaren Energien zu tun. ({0}) Wir machen schon sehr viel mehr als jede Vorgängerregierung, an der die FDP zum Teil beteiligt war. Wir machen auch mehr als jedes andere europäische Land. Wir können Technologien anbieten, die besser sind als die aller anderen Länder, weil wir sie nicht nur in unserem Heimatland entwickelt, sondern auch in Massen produziert und zum Einsatz gebracht haben. Das ist übrigens der Unterschied zu den FDP-Vorschlägen, die kleine Quoten und reine Forschungsförderung vorsehen. Es geht darum, ob man bei der Gewinnung sauberer Energie helfen will oder sagt: Ihr seid das Hauptproblem, weil ihr so viele seid und euer Verbrauch steigt. Das sagte Frau Flach mit dem Satz: Ein Hauptproblem ist, dass in Afrika so unverantwortlich mit fossiler Energie umgegangen wird. - Entweder hatten Sie keine Ahnung, oder Sie haben absichtlich etwas gesagt, was internationale Vereinbarungen gefährdet. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Flach, bitte sehr.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kelber, ich frage Sie, ob Sie in der Lage sind, zuzuhören. Ich habe das nicht miteinander verglichen. Ich habe gesagt: Wir müssen in Afrika, in den Entwicklungsländern dafür sorgen, dass erneuerbare Energien eingesetzt werden. Jetzt frage ich Sie: Was ist daran neokolonialistisch? Wir stecken doch Gelder in den Export von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energie. Ich bin übrigens nicht nur für diesen Haushalt zuständig, sondern auch für den Haushalt des Wirtschaftsministeriums. Dort wird das gefördert. Ich frage mich: Was hat das mit Kolonialismus zu tun?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Flach, ich bin ja mit Ihnen einig, dass wir das unterstützen wollen. Aber lesen Sie Ihre eigene Rede nachher einmal im Protokoll nach. ({0}) In diesem Protokoll wird stehen, dass Sie sagen, das Problem sei, dass Afrika zu sehr auf fossile Energien fixiert ist. ({1}) - Wir werden das anhand des Protokolls prüfen. Mit Ausnahme der FDP-Leute, die gezwungen sind, es anders gehört zu haben, haben alle in diesem Raum das so gehört. Wir werden es nachher prüfen. ({2}) Das passt nicht zusammen. Wenn Sie sich mit Unterhändlern Chinas, Indiens oder afrikanischer Länder unterhalten, stellen Sie fest, dass das bei den Verhandlungen ein Blockadeinstrument ist. Die Länder müssen uns glauben, dass wir unseren besonderen Verpflichtungen nachkommen. Ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Deutschland ist für mehr Emissionen verantwortlich als ganz Afrika. Historisch betrachtet, ist Deutschland für mehr Emissionen verantwortlich als China. Die entscheidende Frage ist, mit welcher Vehemenz, welcher Wortwahl und welchem Anspruch man auftritt. Es geht nicht an - das ist der letzte Teil meiner Antwort -, dass FDP-Leute immer dann, wenn man sie bei einer Falschaussage erwischt, behaupten, dass sie das nie so gesagt haben. ({3}) Das gilt für alle Ihre Instrumente. Immer wenn man sagt, dass das einen bestimmten Effekt hat, sagen Sie: Das habe ich so nicht gesagt. Lesen Sie es nach. Dann werden Sie sehen, dass Sie es gesagt haben. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das kann sicherlich von beiden Seiten aufgeklärt werden, wenn die Protokolle nachgelesen werden. Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Ulrich Petzold für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ulrich Petzold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001700, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kelber, ich glaube, das, was Frau Dött hier zur Kernenergie ausgeführt hat, stimmte absolut mit dem überein, was die Kanzlerin sagt. ({0}) Hier geht es um die Frage: Brauchen wir die Kernenergie als Brückentechnologie? Wir werden in den nächsten Jahren mit Sicherheit eine große Debatte über erneuerbare Energien und Biodiversität zu führen haben. Wir sollten in manches nicht ganz so blauäugig hineinstolpern. Wir sollten die Probleme ansprechen - das ist klar -, aber in aller Ruhe und mit viel Sachlichkeit, um die Menschen nicht zu verunsichern. ({1}) Wenn eigene Anregungen aus dem Vorjahr bei der Aufstellung des neuen Haushaltes aufgenommen wurden und das mit breiter Unterstützung auch aus Ihrem Haus, sehr geehrter Herr Minister, und von den Kollegen des Haushaltsausschusses, dann ist hier die richtige Stelle, einmal Dank zu sagen. Ganz besonderen Dank möchte ich meinem Kollegen Bernhard Schulte-Drüggelte sagen, der sich hier für Themen eingesetzt hat, die mir sehr am Herzen liegen. ({2}) Lassen Sie mich drei Anregungen aus den letzten Jahren, die aufgegriffen wurden, besonders benennen: Erstens. Die Gebühreneinnahmen der nachgeordneten Behörden verschwinden nicht mehr im allgemeinen Haushalt, sondern werden dort eingesetzt, wo sie erwirtschaftet werden. Zweitens. Der Ansatz für befristet Beschäftigte wurde so erhöht, dass allen Auszubildenden nach ihrer Ausbildung bei entsprechender Leistung eine Betriebspraxis vermittelt werden kann. ({3}) Drittens. Bei der Deutschen Emissionshandelsstelle konnte die eklatante Unterbesetzung bei den Feststellen endlich beseitigt werden. ({4}) In der Vergangenheit war es gang und gäbe, dass zum Beispiel das Umweltbundesamt im Rahmen einer Genehmigung eine Zuarbeit für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin geleistet hat. Die BAuA hat für diese Genehmigung dann eine Gebühr berechnet und an die Bundeskasse abgeführt. Die eigentlichen Leistungserbringer wurden wiederum aus der Bundeskasse finanziert. Das Problem war dann nur, dass genau diese Leistungserbringer - unabhängig davon, wie viel sie zur Refinanzierung ihrer eigenen Stellen beigetragen haben - ohne Unterschied von der allgemeinen Stellenkürzung betroffen waren. Egal ob durch ihre Leistung Geld erwirtschaftet wurde oder nicht oder ob sie einen geringen oder überproportionalen Deckungsbeitrag erwirtschafteten, der Rasenmäher war für alle gleich. Im Gegenteil: Dadurch, dass zum Beispiel das UBA nur eine Zuarbeit leistete, die BAuA jedoch die Leistung abrechnete und gutgeschrieben bekam, war im UBA kein wirtschaftliches Interesse gegeben. Das hat sich jetzt in fast allen Fällen geändert. Eine vernünftige Kosten-Leistung-Berechnung ist nun die Grundlage für die Genehmigungsgebühren, und die leistungserbringenden Stellen sind sachgerecht finanziert. In meiner Berichterstattung zum Haushalt 2007 hatte ich kritisiert, dass bei der erfreulich hohen Anzahl von Auszubildenden im Ministerium und in den Behörden auf der einen Seite andererseits eine Anschlussbeschäftigung finanziell untersetzt sein muss, wie es der Bund eigentlich festlegt. Durch die Erhöhung des Haushaltsansatzes für befristet Beschäftigte und die Auszubildenden in den nachgeordneten Ämtern um über 1,6 Millionen Euro ist dieses Problem nun gelöst. ({5}) Ich weiß, welche Erleichterung dies für viele Familien in und um Dessau bedeutet, wenn sie wissen, dass ihre Kinder nach einer erfolgreichen Berufsausbildung in einer Bundesbehörde nicht sofort wieder auf der Straße stehen. Im Namen dieser Familien, sehr geehrter Herr Minister, sage ich Ihnen ganz herzlichen Dank. ({6}) Die Chancen liegen auf beiden Seiten. Natürlich ist es eine Chance für die jungen Menschen, nach der Ausbildung die erste richtige Berufserfahrung zu sammeln und erste berufliche Verantwortung zu tragen. Auf der anderen Seite haben wir als Bund ein Jahr lang die Möglichkeit, Stellen aus einem Reservoir von gut ausgebildeten und gut eingearbeiteten jungen Arbeitnehmern zu besetzen. So macht dies auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen Sinn. Zur Deutschen Emissionshandelsstelle. Dort können wir nun endlich in die Vollen gehen. Wir haben sie für die Bewältigung der Probleme, die in den nächsten Wochen vor ihr liegen, mit genügend finanziellen Mitteln und Personal ausgestattet. Dazu brauche ich wohl nichts weiter auszuführen. Sparen ist die richtige Mitte zwischen Geiz und Verschwendung, sagte schon Theodor Heuss. Wir müssen uns für die Zukunft die Frage stellen: Welche Kompeten13702 zen wollen wir in unserem Ministerium und in den Behörden ansiedeln? Wenn in den Referaten „Umwelt und Energie“, KI I 1 bis 4, zurzeit von den 17,15 Mitarbeitern 9,15 Mitarbeiter über Zeitverträge beschäftigt sind und wenn in der Abteilung „Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen, Strahlenschutz, nukleare Ver- und Entsorgung“ schon jetzt gravierende Kompetenzverluste festzustellen sind, dann müssen wir uns diese Frage stellen. Herr Minister, wir sind der Meinung, in Ihrem Ministerium und in den nachgelagerten Behörden darf es nicht zu einem Kompetenzabriss, zu Überalterung und zu einer ungesunden Altersstruktur kommen. Sie haben uns in den nächsten Jahren an Ihrer Seite. Danke schön. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer Kurzintervention erteile ich nun der Kollegin Ulrike Flach das Wort.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich sehe mich leider gezwungen, aus meiner Rede zu zitieren; das ist allerdings etwas schwierig, weil sie, wie Sie wissen, inzwischen beim Protokoll ist. Ich habe an keiner Stelle in irgendeiner Weise Vorwürfe gegenüber dem afrikanischen Kontinent erhoben, sondern ich habe unsere Vorstellung von Klimaschutz mit der der Großen Koalition verglichen. Ich habe gesagt: Unser Weg ist ein anderer. Wir brauchen international eine technische Revolution, in Ländern wie China oder auf dem afrikanischen Kontinent, wo man bislang stark auf fossile Energien setzt. Wir brauchen dort erst einmal einen massiven Einstieg in erneuerbare Energien. Das entspricht der politischen Linie, die das Wirtschaftsministerium Tag für Tag vertritt. ({0}) Auch Sie diskutieren über dieses Thema in unserem Sinne. Ich bitte Sie: Wenn Sie schon zitieren, zitieren Sie richtig!

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Kelber, wollen Sie antworten?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe den Nachteil, dass ich keine aufgeschriebene Rede zur Verfügung hatte. ({0}) - Augenblick! - Aber das, was Sie, Frau Flach, gerade gesagt haben, bestätigt meinen Vorwurf. Sie haben das, was wir tun - Klimaschutz im eigenen Land mit Technologietransfer, Hilfen und Adaption -, einem System gegenübergestellt, das in Ländern wie China oder auf dem afrikanischen Kontinent zunächst eine Technologierevolution auslösen muss. ({1}) Ich habe gerade versucht, Ihnen deutlich zu machen, dass 800 Millionen Menschen, die in Afrika leben, noch nicht einmal so viele Emissionen verursachen wie 80 Millionen Menschen hierzulande. ({2}) Wenn Sie so auf einer internationalen Konferenz aufträten, würden diese Länder die Verhandlungen abbrechen; wenn Herr Kauch von Bali zurückgekehrt ist, kann er Ihnen das bestätigen. ({3}) Das müssen Sie endlich einmal verstehen, Frau Flach. Indem Sie Ihr Zitat vorgelesen haben, ist Ihre Aussage noch schlimmer geworden, nicht besser. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Kurzintervention vom Kollegen Kauch. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kelber, ich glaube, Sie verrennen sich in etwas. Gerade mit Blick auf die internationalen Verhandlungen sind wir inhaltlich nämlich viel näher beieinander, als das, was der deutschen Öffentlichkeit gerade vorgespielt wird, vermuten lässt. Frau Flach hat zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass die genannten Länder eine überdurchschnittliche Verantwortung für die CO2-Emissionen haben. Sie hat nur festgestellt, dass diese Länder immer noch sehr stark auf fossile Strukturen setzen. Das ist sowohl im Hinblick auf China als auch im Hinblick auf das südliche Afrika korrekt. Hierbei handelt es sich also um eine Tatsachenbeschreibung. Der Weg, den wir gehen wollen, besteht darin, dass wir nicht nur in unserem eigenen Land, sondern auch dort - über einen Technologietransfer; darauf haben Sie hingewiesen - für den Ausbau erneuerbarer Energien eintreten müssen. Das bedeutet allerdings keine Schwächung der Position Deutschlands. Wenn man das positiv wendet, kann man sogar sagen: Das ist ein Angebot an diese Länder, durch das unsere Verhandlungsposition gestärkt, nicht aber geschwächt werden kann. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kelber zur Beantwortung. Dann können wir zur Abstimmung kommen.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kauch, Sie wissen, dass ich Sie und Ihr Engagement für die Sache schätze. Der entscheidende Punkt war allerdings die Betonung. ({0}) Das, was wir machen, wurde einer anderen Politik gegenübergestellt. Die FDP sagt immer, das, was die Große Koalition macht - oder früher Rot-Grün gemacht hat -, sei falsch, und sie mache etwas anderes. Ich weiß auch, dass zum Beispiel in Südafrika, Nigeria, aber auch in den armen Ländern Afrikas Biomasse, in Großkraftwerken aber auch fossile Ressourcen genutzt werden. Der entscheidende Punkt ist aber, dass der Verbrauch des gesamten Kontinents Afrika unter dem eines einzigen Industrielandes in Europa liegt. ({1}) Wir müssen zeigen, dass wir die Industriegesellschaft auf erneuerbare Energien umstellen können. Das ist das Signal, das Länder wie China und die afrikanischen Staaten erwarten. Dann werden sie diese Entwicklung nachmachen - nicht andersherum. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, in der Ausschussfassung. Es liegen dazu drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7340 ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist damit mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7324? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7325? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Nun stimmen wir über den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist der Einzelplan 16 mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt II.16 auf: Einzelplan 17 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksachen 16/6416, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Otto Fricke Petra Hinz ({0}) Roland Claus Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und bitte zunächst all diejenigen, die der Debatte nicht hier im Haus folgen wollen, ihre Gespräche draußen fortzusetzen. Ich erteile als erster Rednerin der Kollegin Miriam Gruß für die FDPFraktion das Wort. ({1})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Haushaltswoche ist die Woche des Geldausgebens. Es geht um Milliarden. Im Falle von Familien sprechen wir hier über eine Summe von 184 Milliarden Euro. Aber lassen Sie uns doch auch einmal darüber sprechen, wo diese Milliarden ankommen. Denn offenbar - das ist mein Eindruck - reicht auch dieser Mammutbetrag nicht aus, damit es den Familien in diesem Lande gut geht. Rund 2,6 Millionen Kinder gelten in Deutschland als arm. Immer mehr Kinder verwahrlosen. Die Fälle von zu spät erkannten Vernachlässigungen und Misshandlungen nehmen fast täglich zu, wie das Schicksal der kleinen Lea-Sophie aus Schwerin zeigt. Gerade Familien sind in diesem Land von Armut betroffen. Gerade Familien sind einer finanziellen Belastung ausgesetzt, der sie sich oft nicht mehr gewachsen fühlen. Die Folge: Familien werden in Deutschland zur Mangelware. Wenn das so weitergeht, ist die Familienpolitik in ein paar Jahren eine Politik für eine kleine Minderheit in unserem Land. Ich fordere deshalb eine grundlegende Reform der Familienpolitik. Wir müssen beweisen, dass wir ein familienfreundliches Land sind, und alles in unserer Macht Stehende tun, um unseren Kindern ein behütetes Aufwachsen zu ermöglichen. ({0}) Das Geld für eine bessere Familienpolitik ist da, die Effizienz dagegen nicht. Wir müssen dafür sorgen, dass die Milliardenbeträge, die wir ausgeben, auch wirklich bei denen ankommen, die sie benötigen: bei den Familien und bei unseren Kindern. Angesichts dessen, dass die Zahl der Fälle von Vernachlässigung und Misshandlung zunimmt, müssen wir ein funktionierendes Netzwerk aufbauen, in das alle am Aufwachsen von Kindern Beteiligten eingebunden sind: Eltern, Kinderärzte, Hebammen, Jugendämter, Betreuerinnen und Betreuer, Lehrerinnen und Lehrer und viele mehr. Der Fall Lea-Sophie hat gezeigt: Dienst nach Vorschrift reicht oft nicht aus. Sensibilität, Zeit und Einfühlungsvermögen sind gefragt, um Missbrauchsfälle frühzeitig zu erkennen. Bloß, woher soll denn ein Mitarbeiter des Jugendamtes die Zeit nehmen, die Kinder zu besuchen und sie sich anzuschauen, wenn er für bis zu 150 Fälle zuständig ist? Hier ließe sich Geld sinnvoll einsetzen. Aus dem Fall Kevin wurden offenbar keine Lehren gezogen. Diesen Fehler dürfen wir nicht erneut begehen. ({1}) 2008 muss das Jahr der Taten werden: Wir brauchen ein effizientes Frühwarnsystem, um Misshandlung oder Vernachlässigung so schnell wie möglich zu erkennen. Zweitens. Wir brauchen eine Offensive gegen Kinderarmut. Drittens. Wir dürfen die Betroffenen, die Familien und Kinder, nicht länger vertrösten. Lange Wartezeiten müssen sie bereits beim Krippenausbau in Kauf nehmen. Da wird Ihre Sonntagsredenpolitik ja auch erst 2013 greifen. Was, frage ich Sie, sollen die Eltern bis dahin tun? Einfach keine Kinder mehr bekommen? Deutschland kann es sich schlichtweg nicht leisten, weiterhin schrumpfende Familienraten zu forcieren. Wir haben viel zu tun, sehr viel. Packen wir es an! ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ole Schröder das Wort. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst bedanke ich mich bei der Hauptberichterstatterin für die gute Zusammenarbeit bei der Beratung des Einzelplans 17. Natürlich bedanke ich mich auch bei den Mitberichterstattern. Ganz besonders bedanke ich mich für die vertrauensvolle und konstruktive Beratung dieses Einzelplans beim Ministerium und hier vor allen Dingen bei der Ministerin. Die gewohnte Ausnahme, was konstruktive Zusammenarbeit angeht, hat leider wieder die Fraktion Die Linke gebildet. Es ist schon bemerkenswert, was Sie alles an zusätzlichen Ausgaben fordern: Sie fordern ernsthaft, mal eben 3,5 Milliarden Euro mehr für den Kinderzuschlag auszugeben, 2,46 Milliarden Euro mehr für das Kindergeld, 2 Milliarden Euro mehr für den Ausbau der Kinderbetreuung. ({0}) Sie wollen, dass insgesamt 8 Milliarden Euro mehr ausgegeben werden, und das - das ist das Problem - ohne einen einzigen seriösen Vorschlag der Gegenfinanzierung. ({1}) Sie wollen dauerhafte Ausgabensteigerungen in Höhe von rund 6 Milliarden Euro und damit eine 100-prozentige Erhöhung dieses Einzelplans. Als SED-Nachfolgepartei ({2}) müssten Sie doch eigentlich wissen, was eine zu hohe Verschuldung bedeutet: Armut und letztendlich den Staatsbankrott. ({3}) Wann realisieren Sie endlich, dass wir trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung immer noch Tag für Tag Schulden aufnehmen? Wann realisieren Sie, dass der Bund mittlerweile nahezu 1 Billion Euro Schulden aufgenommen hat und dass jeder weitere Euro Schulden die zukünftigen Handlungsspielräume für die junge Generation einschränken wird? ({4}) Ich appelliere auch an die Grünen, damit aufzuhören - ich denke da an ihren letzten Parteitag -, diese Art der populistischen Angebote auch noch mitzumachen. ({5}) Wir dürfen nicht glauben, dass Kinderarmut in Deutschland nur ein materielles Problem ist. Es wäre daher auch falsch, das Problem nur durch staatliche Alimentation lösen zu wollen, wie das die Sozialisten tun wollen. Kinderarmut hat vielfältige Ausprägungen und Ursachen. Es geht nicht nur darum, dass Kinder, die in Armut leben, unter materieller Armut leiden. Viele Kinder leiden insbesondere unter der Armut an Fürsorge und Zuwendung. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gruß?

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Schröder, Sie haben gerade so schön gesagt, dass Kinderarmut nicht nur materielle ArMiriam Gruß mut ist. Deshalb würde mich gerade Ihre Position zum Betreuungsgeld interessieren. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gesagt, dass das nicht nur eine Frage der materiellen Armut ist. Ich habe deutlich gemacht, dass die Armut unterschiedliche Auswirkungen hat, dass wir von daher auch unterschiedliche Lösungen brauchen ({0}) und dass es nicht ausreicht, Kinder und Eltern einfach nur stärker zu alimentieren. ({1}) Sicherlich müssen wir aber auch an die Eltern denken, die sich bewusst dazu entscheiden, ihr Kind selbst zu Hause zu betreuen. Sie sollten uns genauso lieb sein wie diejenigen, die sich bewusst dafür entscheiden, recht frühzeitig - zum Beispiel nach einem Jahr - ihren Beruf wieder aufzunehmen. Wir als CDU/CSU-Fraktion halten überhaupt nichts davon, diese beiden Gruppen gegeneinander auszuspielen. ({2}) Ich finde, dass der Weg, den die Ministerin einschlägt und auf dem sie beides berücksichtigt und Wahlfreiheit für die Familien schafft, genau richtig ist. Diesem Weg sollten wir weiter folgen. ({3}) Die reine Alimentation ist eben kein Allheilmittel. Wir brauchen eine Mischung aus mehr Zeit für Kinder, aus Infrastruktur und natürlich auch aus einer besseren finanziellen Unterstützung sowie aus solchen Elementen wie der Beratung. Durch eine gute Familienpolitik wird daher dafür gesorgt, dass es den Eltern ermöglicht wird, ausreichend Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, dass Eltern eine echte Wahlfreiheit zwischen einem Betreuungsplatz für ihre Kinder und dem Verzicht auf eine Berufstätigkeit haben und dass sie eben auch ausreichend finanziell unterstützt werden. Durch eine verantwortungsvolle Politik für Familien wird dafür gesorgt, dass Familien Hilfe bekommen, wenn sie mit der Erziehung der Kinder überfordert sind, und dass durch den Staat auch entschieden und frühzeitig eingegriffen wird, wenn Eltern ihre Kinder vernachlässigen. Meine Damen und Herren, in diesem Haushalt kommt das Elterngeld voll zum Tragen. Damit können sich die Familien für ihr Kind im ersten Lebensjahr Zeit nehmen und auf eine Berufstätigkeit verzichten. Aufgrund der Einkommensabsicherung droht ihnen nun kein Abrutschen in die Armut mehr. Es freut mich, dass sich die Familienministerin auch darangemacht hat, den Kinderzuschlag so auszugestalten, dass mehr Familien geholfen werden kann. Mit der beschlossenen Entfristung des Kinderzuschlages gehen wir einen ersten Schritt. Jetzt müssen wir uns daranmachen, den Kinderzuschlag auch zu entbürokratisieren. Das, was meine Vorrednerin gesagt hat, ist genau richtig: Das Geld soll bei den Kindern und Eltern ankommen und eben nicht in der Förderbürokratie versickern. ({4}) Wir dürfen auch den weiteren Ausbau der Regelungen zum Kindergeld nicht vergessen. Ich sage Ihnen deutlich: Die CDU/CSU-Fraktion wird nicht am Kindergeld rütteln. Vielmehr sollten wir das Kindergeld in den kommenden Jahren - gegebenenfalls nach der Anzahl der Kinder - weiter aufstocken; denn gerade durch das Kindergeld werden die Eltern mit mittlerem und niedrigem Einkommen unterstützt. Diese Eltern sind für ihre Kinder wirklich auf jeden Euro angewiesen. Das momentane Kindergeld in Höhe von 154 Euro reicht, wenn überhaupt, nur zur Deckung eines Teils der Kosten, beispielsweise für die Schulausstattung. Ich finde es wirklich anmaßend, wenn solchen Eltern vorgeworfen wird, dass sie dieses Geld für Flachbildschirme und Alkohol ausgeben. Wer so etwas behauptet, der kennt die Realität und die Lebenswirklichkeit der großen Mehrheit der Familien in Deutschland nicht. Das sind nämlich Eltern, die sich für ihr Kind aufreiben und die für ihre Kinder wirklich den letzten Cent ausgeben. ({5}) Auch der deutliche Ausbau der Betreuungsplätze für unter Dreijährige dient dem Ziel, Kinderarmut schon präventiv zu bekämpfen; denn nur ein gutes Angebot an Betreuungsplätzen erlaubt es dem zweiten Elternteil bzw. dem Alleinerziehenden, ein ausreichendes eigenes Einkommen zu erzielen. Mit der Einigung mit den Ländern und Kommunen über die Finanzierung und der Einstellung des Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro in den Haushalt ist nun der Weg für eine Verdreifachung der Kapazitäten in der Kinderbetreuung für unter Dreijährige frei. Wir wollen ein Betreuungsangebot von 750 000 Plätzen erreichen. Jetzt kommt es darauf an, dass wir diesen Ausbau auch in der Praxis zielgenau umsetzen. Dabei dürfen wir nicht nur den quantitativen Schritt machen, sondern müssen natürlich auch darauf achten, dass beim Ausbau der Betreuung unsere qualitativen Anforderungen erfüllt werden. ({6}) Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung rücken auch die Belange von älteren Menschen immer stärker in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion. Zum einen gilt dies für die wachsende Zahl der Pflegebedürftigen. Hier werden wir durch die Pflegereform einen deutlichen Schritt nach vorne machen. Zum anderen gilt das aber auch für die wachsende Zahl der Senioren, die in immer stärkerem Ausmaß aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sich auf den Weg gemacht, diesen gesellschaftlichen Wandel aktiv zu begleiten und stärker zu gestalten. Das wird auch in diesem Haushalt deutlich. In diesem Zusammenhang denke ich zum Beispiel an die Förderung von Seniorenorganisationen, das Unternehmensprogramm „Wirtschaftsfaktor Alter - Unternehmen gewinnen“ oder die Initiative „Erfahrung ist Zukunft“, um nur einige wenige Beispiele herauszunehmen. ({7}) Meine Damen und Herren, einen besonderen Schwerpunkt setzen wir in diesem Haushalt bei der Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements. Aus gutem Grund haben wir den Titel „Modellvorhaben zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements“ um weitere 2 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro erhöht. Die Regierung Merkel unterstützt wie keine andere Bundesregierung zuvor das ehrenamtliche Engagement; ({8}) denn es kann durch keine staatliche Einrichtung, auch wenn sie finanziell noch so gut ausgestattet ist, ersetzt werden. Das ehrenamtliche Engagement ist wertvoll - sei es bei der Unterstützung älterer Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, sei es bei der Betreuung von Jugendlichen. Mit dem in diesem Sommer verabschiedeten Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements haben wir die steuerlichen Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement deutlich verbessert dem Finanzminister sei Dank. ({9}) Mit der schnellen Umsetzung dieses Gesetzes haben wir gezeigt, dass die Große Koalition nicht nur vom Ehrenamt redet, sondern auch etwas tut. Wir bringen konkrete Maßnahmen auf den Weg. Die Erfahrungen zeigen, dass die Menschen auch die entsprechenden Strukturen vorfinden müssen, denen sie sich ohne viel Aufwand anschließen können, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren wollen. Sie brauchen Informationen darüber, welche Möglichkeiten es gibt, sich einzubringen. Genau dies unterstützen wir durch die nun stärker geförderten Modellvorhaben des Ministeriums. In diesem Zusammenhang denke ich insbesondere an die Bürgerstiftungen. Hier engagieren sich Bürgerinnen und Bürger in zunehmendem Maße für ihr direktes Lebensumfeld. Die meisten Stiftungen haben die Förderung von Kindern und Jugendlichen zum Ziel. Inzwischen gibt es 150 Stiftungen mit 10 000 Stifterinnen und Stiftern. Genau solche Erfolge wollen wir mit unserer Politik, auch mit diesem Haushaltsplan, weiter ausbauen. ({10}) Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sich in den letzten zwei Jahren zu dem Zukunftsministerium entwickelt, die Bundesministerin Frau von der Leyen zu der Zukunftsministerin. Wir haben viel getan. Aber es ist noch viel zu tun. Dafür zu sorgen, dass Familien bessere Chancen in Deutschland haben, und den demografischen Wandel positiv zu begleiten, wird in der zweiten Hälfte dieser Wahlperiode in noch stärkerem Maße Aufgabe dieses Ministeriums sein. Ich hoffe, dass wir, gerade der Haushaltsausschuss, diese Politik genauso konstruktiv begleiten werden wie bisher. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir reden bei diesem Etat über zu Zahlen gewordene Politik für und mit Familien, Senioren, Frauen und Jugend. Wenn man sich fragt, wer eigentlich nicht dazugehört, dann stellt man fest, dass nur noch männliche Singles mittleren Alters übrig bleiben, wie wir merken, ein weites Feld, ohne das Demokratie nicht möglich wäre. ({0}) Frau Bundesministerin, gerade weil Sie als Sympathieträgerin der Bundesregierung gelten, müssen Sie sich gefallen lassen, dass wir Sie an den Ergebnissen Ihrer Politik und nicht an der Zahl Ihrer Talkshowbesuche messen. ({1}) Zur Wahrheit gehört sicherlich: Gemessen an der Familienpolitik der CSU, ist das, was Sie leisten, ein Stück weit revolutionär. Aber gemessen an den Erfordernissen einer zukunftsfähigen Jugend- und Familienpolitik, ist auch diese Politik schlicht rückständig. Das ist leider das Ergebnis. ({2}) Mittlerweile gibt es so etwas wie das von-der-LeyenPrinzip: Die Ministerin macht eine Ankündigung. Diese wird mit Interesse aufgenommen. Danach gibt es einen Aufschrei in der SPD, nicht weil sie meint, dass die Ministerin etwas Falsches gesagt hätte, sondern weil sie meint, es hätte sich gehört, dass die SPD das sagt. Dann gibt es einen Aufschrei in der CSU, ({3}) die das Abendland in Gefahr sieht. Dann trifft sich in der Regel Frau von der Leyen mit dem Finanzminister. Heraus kommt ein sogenannter Kompromiss. Wie dieser aussieht, haben wir beim geplanten Vorziehen der Kindergelderhöhung auf 2009 erlebt. Der vom Kinderhilfswerk herausgegebene Kinderreport 2007 sollte uns allen zu denken geben. Wenn man den Bogen etwas weiter spannt und sich die letzten 30 Jahre der Bundesrepublik anschaut, dann stellt man fest, dass es den Bundesregierungen mit ihrer Politik gelungen ist, die Geburtenzahl zu halbieren. Innerhalb von nur 15 Jahren ist ihnen das auch im Osten Deutschlands gelungen. Im gleichen Zeitraum hat sich der private Reichtum vervielfacht, die Kinderarmut leider verfünfzehnfacht. Das ist ein Skandal, mit dem wir uns nie abfinden werden, weder in diesem Hause noch anderswo. ({4}) Wir alle müssen uns fragen, ob wir nicht klammheimlich den Grundsatz „Den Kindern soll es einmal besser gehen“ - den haben Christen und Nichtchristen einmal geteilt - allmählich durch die Einstellung „Nach mir die Sintflut“ ersetzen. Gerade weil Sie den Zusammenhang von Demokratie und Familie betonen, müssen Sie sich ein paar Fragen gefallen lassen. Wie soll der Langzeitarbeitslose in seinem Umfeld Selbstbewusstsein vorleben? Was ist daran noch demokratisch, wenn die Verkäuferin ihrer Tochter den Schulausflug wiederholt nicht bezahlen kann? Wie soll nach einer fünfeinhalb Tage dauernden Arbeitswoche weit weg von zu Hause Kinderliebe im Zeitraffer möglich sein? Warum muss eine Schülerin ein Schuljahr wiederholen, wenn ihre Eltern in ein anderes Bundesland umziehen? Zusammengefasst: Was ist das für ein Reichtum, der nicht bei den Kindern ankommt? Das ist ein Skandal in diesem reichen Land. ({5}) Wenn Sie uns erneut für unsere Vorschläge kritisieren, dann sage ich Ihnen: Das Steuerkonzept, das wir vorgelegt haben, deckt alle diese Vorschläge ab. Diese Vorschläge hätten es verdient, Wirklichkeit in diesem Lande zu werden. ({6}) Ein Beispiel: Wir werden im nächsten Jahr darangehen, die ersten Zivildienstschulen zu schließen. Ende des Jahres 2008 soll das vollzogen sein. Wir finden, das ist ein falscher Schritt, weil die soziale und bildungspolitische Kompetenz dieser Einrichtungen mehr denn je gefragt ist. Natürlich verschließen wir nicht die Augen davor, dass die Zahl der Zivildienstleistenden kleiner wird, aber statt über Schließungen nachzudenken, müsste doch in einer Situation, in der wir über so viele gesellschaftliche Umbrüche reden, die soziale und bildungspolitische Kompetenz genutzt und die Einrichtungen müssten umgewidmet und dürften nicht eingestellt werden. Das wäre vernünftig und logisch. ({7}) Wir schlagen Ihnen erneut vor, im Kampf gegen den Rechtsextremismus die Mittel für die vorgesehenen Programme von 19 Millionen Euro auf 38 Millionen Euro zu verdoppeln. Das ergibt einen Sinn. Wir reden gegenwärtig über 90 bewilligte Anträge. Es gibt 149 abgelehnte Anträge. Die meisten wurden wegen Geldmangels abgelehnt. Alle diese Programme - das müssen wir uns eingestehen - sind eigentlich ein Ausdruck politischen Versagens. Sie sind ein Akt der Nachsorge. Es kommt immer erst der wirtschaftliche Niedergang, und dann zerbricht die soziokulturelle Infrastruktur. Ein Dorf ohne Schule ist ein Stück weit ein Dorf ohne Geist. Es entstehen demokratiefreie Räume. Dann kommen wir mit unseren Extraprogrammen und versuchen, zu retten, was zu retten ist. Ich sage das so eingeschränkt auch vor dem Hintergrund dessen, was wir hier vorschlagen. Es beginnt wie immer mit der Analyse. Solange die Mehrheit in diesem Hause nicht bereit ist, zu erkennen, dass Rechtsextremismus ein Problem ist, das inzwischen die Mitte der Gesellschaft erreicht hat und nicht mehr ein Randproblem ist, werden wir die Ursachen und Wurzeln nicht wirksam angehen können. ({8}) Sie müssen sich nur einmal anschauen, wie oft in Ihren eigenen Analysen zum Thema Rechtsextremismus das Wort „Phänomen“ vorkommt. „Phänomen“ heißt wörtlich übersetzt „das Erscheinende“, „die Erscheinung“. Er ist also für Sie nicht das Wesen, sondern eine Erscheinung irgendwo am Rande. Wenn man das Problem zu einer Randerscheinung erklärt, hält man die eigenen Reihen sauber. Ich finde, ein besonders unverantwortliches Beispiel für den Umgang mit Rechtsextremismus hat gerade in der vorherigen Debatte Bundesminister Gabriel abgeliefert, indem er - ungeprüft und ohne Belege - Oskar Lafontaine, wie wir dann erfahren haben, falsch zitiert und ihm neonationalistische Sprüche unterstellt hat. Das ist nicht nur infam und wird von uns zurückgewiesen, das ist auch eine Verharmlosung der rechtsextremistischen Gefahr. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Claus, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das will ich gern tun, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Ihr Etat ist nicht zukunftsfähig. Ich wiederhole: Was ist das für ein Reichtum, der nicht bei den Kindern ankommt? Das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Insofern können wir Ihrem Etat nicht zustimmen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Petra Hinz für die SPDFraktion. ({0})

Petra Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist in den zurückliegenden Petra Hinz ({0}) Beratungen um 13,6 Millionen Euro aufgestockt worden. Wir legen dem Parlament ein Ausgabenvolumen in Höhe von rund 6,2 Milliarden Euro zur Beschlussfassung vor. Die Aufstockung gegenüber dem Vorjahr beträgt damit 1 Milliarde Euro. Also von wegen „nicht zukunftsweisend“. ({1}) Das resultiert unter anderem auch aus der Überlappung von bisherigem Erziehungsgeld und dem neuen Elterngeld. Aber es wurden auch weitere Veränderungen vorgenommen. Ich möchte hier die Stärkung der Zivilgesellschaft nennen. Zur besseren Transparenz wurden alle Titel des bürgerschaftlichen Engagements in einer Titelgruppe zusammengefasst. Das ist jetzt sehr technokratisch, aber es gibt tatsächlich mehr Transparenz. Wir haben darüber hinaus eine Umformulierung vorgenommen und - das hat schon mein Kollege Ole Schröder gesagt den bisherigen Ansatz von 10 Millionen Euro um weitere 2 Millionen Euro auf 12 Millionen Euro aufgestockt. Insgesamt stehen für die Stärkung der Zivilgesellschaft jetzt 32,46 Millionen Euro zur Verfügung. Dies ist auf den ersten Blick richtig, aber wenn wir einmal genauer in den Haushalt schauen, und zwar in den Bereich „Allgemeine Bewilligungen“, dann werden wir noch weitere Mittel sehen. Für die Freiwilligendienste stehen weitere 1 Million Euro zur Verfügung. Für die Förderung zentraler Maßnahmen und die Organisation des Ehrenamtes und der Selbsthilfe stehen an anderer Haushaltsstelle, jedoch auch in diesem Bereich, weitere 500 000 Euro zur Verfügung. Eine weitere Veränderung hat stattgefunden: Die Bundesregierung bzw. die Ministerin hat einen Beauftragten für Zivilengagement eingesetzt. Für seinen Aufwand sind wir der Empfehlung des Ministeriums, eine Aufwandsentschädigung bereitzustellen, gefolgt. Die heutige Verabschiedung des Haushaltes ist eine gute Gelegenheit, um deutlich zu machen, welche Perspektiven und Schwerpunkte damit verbunden sind. Im Oktober wurde der Koalitionsantrag „Häusliche Gewalt gegen Frauen konsequent weiterbekämpfen“, Aktionsplan II der Bundesregierung zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, an dieser Stelle beraten. Wenn das einzige Zuhause ein Ort der Gewalt ist - ich rede von Gewalt gegen Frauen -, dann ist es auch oft ein gefährlicher Ort für Kinder. Ich denke, es ist richtig, dass hier festgehalten wird, dass mehr als 40 000 Frauen in Deutschland gemeinsam mit ihren Kindern ins Frauenhaus flüchten müssen. Für die Koordinierungsstelle Frauenhaus stehen im Haushalt rund 300 000 Euro zur Verfügung. Ich will hier nur zwei Projektpunkte und Aufgaben benennen: Arbeitshilfen zur Unterstützung der Frauenhauspraxis und der Frauenhausträger und die Aufbereitung von zentralen Rechts- und Finanzierungsfragen, die für die von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern relevant sind. Grundsätzlich ist die Finanzierung von Frauenhäusern Aufgabe der Länder und Kommunen. Das Thema wird regelmäßig in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Häusliche Gewalt“ beraten. Kinder und Familien stärken, das ist die Überschrift des Einzelplans 17. Kinder und Familien stärken ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. ({2}) In der Frage der Kinder- und Jugendhilfe haben Bund, Länder und Kommunen durch das Gesetz jeweils eigene Kompetenzen. Es darf aber nicht um Kompetenzgerangel oder um Zuständigkeiten gehen, damit man die Verantwortung schön auf eine andere Ebene abgeben kann. Nein, wir müssen über alle Ebenen hinweg erfolgreich für Familien, Kinder und Frauen kämpfen. Der Haushalt spiegelt genau diese Anforderungen wider. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, Wege und Lösungen aufzuzeigen. Seit Anfang Oktober liegt der zweite Aktionsplan der Bundesregierung vor. Das ist eine starke Leistung. Mit seinen rund 130 Einzelmaßnahmen beschreibt dieser Aktionsplan ein ehrgeiziges Ziel. Alle Maßnahmen, die umgesetzt werden, werden sich auch in diesem Haushalt widerspiegeln. In dem Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland“ wird aufgezeigt, wie wichtig es ist, dass Kinder in einer gewaltfreien Umgebung, in einer gewaltfreien Gesellschaft aufwachsen. Umso wichtiger ist es, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. ({3}) Meine Fraktion will die Kinderrechte ausdrücklich ins Grundgesetz aufnehmen. Wir müssen den Kindern das Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit geben, und zwar nicht nur in Sonntagsreden. ({4}) Sie haben das Recht auf Förderung ihrer Stärken und insbesondere ihrer Talente. Ich möchte an dieser Stelle nicht die zurückliegende Woche strapazieren, in der der Vorlesetag stattfand und in der es was weiß ich nicht alles gegeben hat. Wir alle waren im Wahlkreis aktiv und engagiert. Es sind 7 000 Menschen und 200 000 Kinder in den Genuss gekommen, einen Tag lang im Mittelpunkt zu stehen. Das ist unsere Politik. Diese Überzeugung ist der rote Faden unserer Kinder- und Jugendpolitik. Wir haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung eingeführt sowie dass Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung in einer Kita oder in der Tagespflege haben. Bereits in der zurückliegenden Legislaturperiode haben wir einen Maßnahmenkatalog für mehr Kinderfreundlichkeit verabschiedet. Dies wird kontinuierlich fortgeführt. Jetzt die Kinderrechte im Grundgesetz klarzustellen, ist eine schlüssige und für mich absolut logische Konsequenz unserer Politik. Der rote Faden heißt Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetz. Dieses Gesetz haben wir bereits im Nachtragshaushalt 2007 beschlossen. Das ist ein ausgesprochen gutes Gesetz. Dem Haushalt 2008 könnten wir eigentlich mehrere Überschriften geben. Eine könnte heißen: Von Anfang an groß und stark. Genau das muss unser Ziel Petra Hinz ({5}) sein; denn wenn unsere Kinder von Anfang an gefördert werden und eine Chance bekommen, werden sie starke Erwachsene und müssen beispielsweise nicht ins Frauenhaus. Nicht umsonst heißt es im Volksmund: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Die Seniorinnen- und Seniorenpolitik ist ein weiterer Bereich dieses Ministeriums. Es geht darum, dass die Chancen des längeren Lebens für alle eröffnet werden. Wir wollen den demografischen Wandel gestalten und nicht nur erdulden. Ich zitiere unsere Ministerin a. D. Renate Schmidt im Rahmen der Haushaltsberatungen im September 2004: Alter ist kein Synonym für Hilfsbedürftigkeit und Gebrechlichkeit, sondern für Lebenserfahrung, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit bei der allergrößten Zahl der Menschen, und zwar bis ins höchste Alter. ({6}) Viele, die sich ehrenamtlich engagieren, sind Seniorinnen und Senioren. Mit diesem Haushalt würdigen wir diese Arbeit im Rahmen des ehrenamtlichen Engagements. Das ist aber nur ein Aspekt. Diejenigen, die im Alter Unterstützung brauchen, bekommen die notwendige Hilfe. Hier gibt es Berührungspunkte zwischen dem Ministerium von Frau Dr. von der Leyen und dem der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Ich komme zum Schluss. Ich möchte mich bei meinen Mitberichterstattern, insbesondere bei meinem Kollegen und Koalitionspartner Ole Schröder, für die gute Zusammenarbeit bedanken, aber auch bei der Ministerin, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums. Ich habe nach der Einbringung des Haushalts, Einzelplan 17, in erster Lesung zugesagt, etwas klarzustellen. Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass von den 98 Millionen Euro, die für das Mehrgenerationenhaus zur Verfügung stehen, rund 10 Prozent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressearbeit verausgabt werden. Ich habe gelernt, dass das in diesem Fall nicht so ist. Vielmehr hat die begleitende Evaluierung einen erheblichen Anteil an diesen 10 Prozent. Es war mir wichtig, das klarzustellen; denn Politik muss glaubwürdig und ehrlich sein. Mit dem Haushalt 2008 legen wir ein gutes, solides Fundament für die Herausforderungen, die jetzt anstehen. Wie gesagt: Von Anfang an groß und stark - für die Kinder. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Ekin Deligöz das Wort.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich kann Ihre Euphorie, Ihre Zufriedenheit mit diesem Haushalt ehrlich gesagt nicht verstehen. Ihre Familienpolitik ist in vielen Punkten nicht konsistent; sie ist widersprüchlich. Was es nicht besser macht: Sie packen in diesem Haushalt viele wichtige Punkte erst gar nicht an. ({0}) Dafür möchte ich ein paar Beispiele nennen. Der Einzelplan 17 kann sich durch das Elterngeld sehr gut sehen lassen. Die meisten Steigerungen sind auf das Elterngeld zurückzuführen, dessen Einführung wir unterstützt haben. Die Ergebnisse der Evaluation des Elterngeldes werden spannend sein. Die Hauptfrage ist aber immer noch nicht beantwortet: Was passiert denn nach dem einem Jahr, wenn das Elterngeld ausläuft? Wo bleibt die Kinderbetreuung? ({1}) Sie wollen mit dem Elterngeld die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern. Gleichzeitig ist die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Land noch immer nicht geklärt; die Beantwortung wurde verschoben, verschoben und noch einmal verschoben. ({2}) Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend dafür, ob das Elterngeld Wirkung zeigen wird oder nicht. Wir machen Ihnen deshalb einen Vorschlag: Führen Sie einen konditionierten Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis 2009 ein! Führen Sie einen echten Rechtsanspruch bis 2011 ein! ({3}) Dann könnten wir ernsthaft über die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden; dann würde sich in diesem Land etwas verändern. Schieben Sie das nicht auf die lange Bank; das wäre eine falsche Politik. ({4}) Zweites Beispiel - Sie, Herr Schröder, haben es auch angeführt -: Betreuungsgeld. Es geht um die Frage, wie gerecht ein Betreuungsgeld wäre. Ich denke, der Hauptgrund dafür, dass die Ministerin diesen Vorschlag aufgenommen hat, liegt darin, dass der Druck vom konservativen Teil der CDU/CSU zu hoch ist. Das ist der Preis, den sie dafür zahlen muss, um die Betreuung überhaupt voranzubringen; darum geht es, nicht darum, ob eine sinnvolle Maßnahme dahintersteckt. ({5}) In diesem Punkt schluckt die Familienpolitik eine dicke Kröte. Man sollte mit der konservativen Legende aufräumen, das Betreuungsgeld sei eine gerechte Ergänzung zur Kinderbetreuung. Das ist es nicht. Sie wissen selbst - auch die DIW-Studie, die das Ministerium vor ein paar Tagen veröffentlicht hat, zeigt dies -, dass nur ein Bruchteil der Mittel für Familien mit unter dreijährigen Kindern in die Infrastruktur fließt; ein großer Teil landet als unterstützende Transferleistungen bei den Familien. Wir haben Defizite bei der Infrastruktur. Wenn Sie vom Populismus der Grünen reden, Herr Schröder, dann sollten Sie sich die IGLU-Studie von gestern anschauen, die besagt, wie wichtig die Elementarförderung ist und wie sehr das schulische Fortkommen der Kinder nach wie vor vom Einkommen und von der Bildungsnähe der Elternhäuser abhängt. In dieser Studie steht auch, dass wir in Deutschland Investitionen in Elementarbildung und Frühförderung, in Kinderkrippen, Ganztagskindergärten und Ganztagsschulen brauchen. Sie wollen das nicht wahrhaben. Wir sagen die Wahrheit. Das nennen Sie Populismus. Gehen Sie in sich und überlegen Sie einmal, was Sie eigentlich wollen! ({6}) Nun zum Kinderzuschlag: Sie haben angekündigt, dass dort etwas passieren soll. Dann gab es irgendwelche Sitzungen, aus denen mit Mühe und Not nur ein Ergebnis herauskam, und das war sehr mau. Sie haben gerade mal die Entfristung des Kinderzuschlages beschlossen. Zugleich sagen Sie von der Koalition, dass sich Arbeit in diesem Land lohnen soll; aber bei einem Instrument, das genau daran ansetzt, dass Arbeit sich lohnt, kommen Sie seit Jahr und Tag nicht weiter. Das ist keine Armutspolitik, sondern eher ein Armutszeugnis. ({7}) Ich bleibe bei der Untätigkeit der Bundesregierung. Natürlich reden wir über den Betreuungsausbau, und wir werden wahrscheinlich auch noch des Öfteren darüber reden. Sie reden in diesem Plenum aber nicht - das bedaure ich sehr - über die qualitativen Verbesserungen bei Betreuung und Elementarbildung. Sie reden auch nicht davon, wie Sie es schaffen können, die Qualitätsdebatte aufzugreifen und durch konkrete Maßnahmen voranzutreiben. Schließlich nutzen Sie auch die Chance der Großen Koalition nicht, dieses Thema mit den Ländern, die hier ebenfalls in der Verantwortung sind, gemeinsam anzupacken. Das nenne ich Untätigkeit, und sie wird auf uns zurückfallen. Das müssen Sie sich nachsagen lassen. ({8}) Der nächste Punkt der Untätigkeit: Geplante Steueränderungen bei der Kindertagespflege, die jetzt anstehen, mögen ordnungspolitisch womöglich eine Berechtigung haben. Gleichzeitig sind sie aber kontraproduktiv, weil vor allem die Tagesmütter die Leidtragenden sein werden; denn sie werden dann in vollem Umfang versicherungs- und steuerpflichtig sein. Insbesondere die Versicherungspflicht fällt bei ihnen ins Gewicht. Dies macht eine solche Tätigkeit für viele Frauen finanziell immer weniger lohnenswert. Wir wollen den Ausbau der Infrastruktur für die unter Dreijährigen, und den Tagesmüttern legen wir Steine in den Weg. Vor allem sehe ich darin kein ernsthaftes Bemühen, hieraus ein Berufsfeld mit einer angemessenen Bezahlung zu machen, was aber Voraussetzung dafür wäre, dass sich die Tagesbetreuung überhaupt zu einem soliden Beruf entwickeln kann. Hier haben wir große Defizite. Ich kann Ihnen nur vorschlagen, an diesem Punkt ein Moratorium einzulegen. So wäre Zeit gewonnen, sich darüber Gedanken zu machen, wie man es besser machen sollte. ({9}) Was Sie hier machen, ist für den Krippenausbau und die Betreuung der unter Dreijährigen eher kontraproduktiv. ({10}) Ein weiteres Beispiel Ihrer Untätigkeit: Sie haben schon seit längerem angekündigt, dass die Familienleistungen in Deutschland überprüft werden sollten. Davon hören wir nichts mehr. ({11}) Von einer Bestandsaufnahme ist nicht mehr die Rede. Gleichzeitig kündigen Sie, Frau Familienministerin, eine Erhöhung des Kindergeldes ab dem zweiten Kind und ein Familiensplitting an, sagen aber nicht, was das kostet und wo Ihre Konzepte sind. Sie vermitteln uns damit, dass Sie selbst auch nicht wissen, wie es weitergeht. Auf jeden Fall kann man sagen: Außer einer Ankündigungspolitik haben Sie in diesem Bereich nichts zu bieten. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Deligöz, wir freuen uns alle, dass Sie es rechtzeitig zur Debatte dieses Haushalts wieder zu uns geschafft haben, und gratulieren Ihnen recht herzlich zum Nachwuchs. ({0}) Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. ({1})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Deligöz, auch von mir herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihres Kindes! Ich sehe Ihnen nach, dass Sie vielleicht einige Dinge, die wir in der Zwischenzeit getan haben, nicht mitbekommen haben. Deshalb freue ich mich, Ihnen darlegen zu können, dass dieses Ministerium sein Geld nicht nur sehr effizient einsetzt, sondern dass dies auch auf der Grundlage eines ganz klaren Konzeptes erfolgt. ({0}) Es gibt einen schönen Spruch von Michel de Montaigne: Es ist gar nicht so wichtig, ob man sein Geld spart oder ausgibt. Entscheidend ist, was man damit will. Ich will gleich hinzufügen: Für öffentliche Haushalte kann das nur sehr eingeschränkt gelten; denn Konsolidieren ist - auch im Hinblick auf die kommenden Generationen - ein Gebot der Vernunft. Aber er hat zum Teil recht, wenn er betont, dass Zweck und Erfolg entscheidend sind, um zu bewerten, ob wir das Geld sinnvoll einsetzen. Lassen Sie mich daran aufzeigen, dass das Grundkonzept, im Lebensverlauf Perspektiven für Familie und Kinder zu schaffen, richtig ist. Das Ziel des Einzelplans ist nicht, möglichst viel Geld zur Verfügung zu stellen, sondern es gezielt dort zu investieren, wo Unterstützung notwendig und sinnvoll ist. Das beginnt zum Beispiel beim Elterngeld. Für den Lebensanfang der Kinder in Familien, die sich neu gründen, haben wir 4 Milliarden Euro veranschlagt. Das Elterngeld wirkt ganz gezielt in einer Lebenssituation, in der den jungen Eltern Zeit mit ihrem Kind besonders wichtig ist und in der sie nicht zuallererst die Erfahrung machen sollen, dass das Einkommen wegbricht. Deswegen ist das Elterngeld an dieser Stelle richtig und wirkungsvoll. ({1}) Es gibt einen zweiten Aspekt beim Elterngeld, und der ist anfangs heftig diskutiert, belächelt, verspottet oder bekämpft worden: die Partnermonate. Jetzt zeigt sich aber, dass sie insbesondere für die Frage der Vaterund Mutterrolle genau richtig waren und dass auch Väter die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wünschen und sich Zeit für ihre Kinder nehmen wollen. Ich finde es klasse, dass die jungen Menschen mit den Füßen abstimmen und entscheiden, was sie möchten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. In den ersten vier Monaten seit der Einführung des Elterngelds hat sich die Zahl der jungen Väter, die sich Zeit für ihr Kind nehmen, verdoppelt. Bis Sommer dieses Jahres - so weit reicht die Statistik - hat sich die Zahl verdreifacht. Jeder dritte der jungen Väter des Jahres 2007 hat vor, seine Partnermonate in Anspruch zu nehmen. Ich kann deshalb nur feststellen: Auf die Väter ist Verlass. ({2}) Allen Unkenrufen zum Trotz, Herr Claus - Sie haben den Geburtenrückgang der letzten zehn Jahre der Bundesregierung angelastet -, sollten wir in den trockenen Statistiken auch zur Kenntnis nehmen, dass im ersten Halbjahr 2007 die Geburtenrate erstmals seit langem nicht mehr gesunken ist, obwohl es heute 1 Million weniger junge Frauen gibt, die Kinder bekommen könnten, als vor zehn Jahren. Das zeigt, dass sich mehr junge Menschen für Kinder entscheiden. Ich will nicht sagen, dass das ein Ergebnis der Politik an sich ist. Es ist vielmehr ein Ergebnis von Perspektiven, die für ein Leben mit Kindern in der Welt von heute aufgezeigt werden. Das muss unser Ziel sein. ({3}) Wenn das Elterngeld endet, dann spielt die Kinderbetreuung eine große Rolle. Es ist eine Tatsache, dass sich Bund, Länder und Kommunen in außergewöhnlich kurzer Zeit geeinigt haben. Die Verwaltungsvereinbarung über das Sondervermögen ist unterzeichnet. Der Weg für den Ausbau der Kinderbetreuung ist frei. Die Kommunen und Träger können loslegen. In klaren Worten heißt das: Die Kommunen können ab 1. Januar 2008 Bundesmittel für Investitionen abrufen. Dies ist eine konkrete Zusage, die wir innerhalb eines Jahres umgesetzt haben. Ich danke dafür, dass das so schnell ging. Darauf können sich die jungen Eltern jetzt verlassen. ({4}) Auch hierbei ist es - um mit Montaigne zu sprechen wichtig, was wir mit dem Geld erreichen wollen. Wir wollen zweierlei: Wir wollen Bildung und frühe Förderung für die Kinder, aber auch Wahlfreiheit und gute Angebote für die Eltern. Der Ausbau der Kinderbetreuung - das ist mir sehr wichtig - geht nicht zulasten anderer familienpolitischer Leistungen. Wir finanzieren ihn auch nicht durch neue Schulden. Auch das wäre zulasten der jüngeren Generationen gegangen. Nein, wir investieren real in Familie. Das zeigt, wie viel uns, der Regierung, dieses Thema wert ist. Wenn wir uns überlegen, was wir mit finanzieller Unterstützung für die Familien wollen, dann steht neben der Stärkung der Familie und den Perspektiven für Familien ein Thema - es ist heute berechtigterweise schon mehrfach angeklungen - ganz obenan: das Thema Kinderarmut. Ich sage auch an dieser Stelle: Das Thema Kinderarmut ist eines der beschämendsten und bedrückendsten Probleme für ein Land. Es gibt drei Gründe für Kinderarmut, bei denen wir ansetzen müssen: Erstens. Kinder sind in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben oder nicht arbeiten können. ({5}) Entscheidend sind da eine gute Konjunktur - die haben wir - und Möglichkeiten der Kinderbetreuung zum Beispiel für Alleinerziehende, damit sie, wenn sie ein Arbeitsangebot haben, dies auch annehmen können. Dies schaffen wir durch die Investitionen, die ich eben genannt habe. Zweitens. Ein Grund für Armut ist die über Generationen vererbte Armut, Bildungsarmut. Hier hilft nur Zugang zu früher Bildung von Kindern. Auch da ist die frühkindliche Bildung ein entscheidendes Feld, also Kindergärten, Kinderkrippen, altersgemischte Gruppen, Tagesmütternetze. Drittens. Es gibt eine Schwelle für Armut, die insbesondere kinderreiche Familien betrifft, nämlich dann, wenn die Eltern erwerbstätig sind, aber das Geld nicht für die vielen Köpfe reicht. Hier ist in der Tat ein ganz entscheidendes Instrument der Kinderzuschlag, der eine sinnvolle und wirkungsvolle Hilfe ist. ({6}) Er hilft gezielt gegen die Form der Kinderarmut, wenn die Eltern erwerbstätig sind und fleißig ihr Einkommen verdienen, es aber nicht für die vielen Kinder reicht. Er ist ein ganz klarer arbeitsmarktpolitischer Anreiz. Er macht nämlich klar: Wenn ihr erwerbstätig seid, so unterstützen wir euch, damit ihr nicht wegen der Kinder länger in Hartz IV bleibt. Gerade bei niedrigen Einkommen muss gelten: Arbeit muss sich lohnen. Ich weiß, dass der Kinderzuschlag im Haushalt 2008 noch nicht berücksichtigt ist. Wir alle wissen aber, dass im Koalitionsausschuss am 12. November der ganz klare Auftrag erteilt worden ist, in Abstimmung mit den Ressorts ein Konzept für den Kinderzuschlag innerhalb des Niedriglohnsektors vorzulegen. Wir haben gestern in der großen Debatte zum Etat des Kanzleramtes gehört, dass dafür 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden sollen. Wir arbeiten jetzt an diesem Konzept. Im Prinzip liegen die Pläne auf dem Tisch. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gemeinsam im Hinblick auf das Ziel, mehr Kinder aus Hartz IV herauszuholen und ihre Familien in der Erwerbstätigkeit zu unterstützen, zeitnah zu einer guten Lösung kommen werden. ({7}) Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich bedanke mich für die gute und konstruktive Zusammenarbeit und Unterstützung in der parlamentarischen Beratung des Einzelplans 17. Ich möchte noch ein Thema herausgreifen, das mir in der Tat sehr wichtig ist, nämlich das ehrenamtliche Engagement. Ich danke für die Aufstockung der Mittel um 2 Millionen Euro in diesem Titel. Ich nehme diese Aufstockung als Auftrag mit, so wie dies in den Reden zuvor deutlich gemacht wurde. Das Spannende am bürgerschaftlichen Engagement, am Prinzip des Ehrenamtes, ist, dass das Prinzip der Gegenseitigkeit und der Wechselseitigkeit, das Prinzip des Gebens und Nehmens, dazu führt, dass man am Ende gar nicht mehr so genau sagen kann, wer eigentlich gibt und wer eigentlich empfängt, weil alle davon profitieren, wenn wir den Rahmen richtig gestalten. Ich möchte zum Schluss an Montaigne erinnern: Was wir mit dem Geld wollen und bewirken, das ist entscheidend. - Wir investieren in unserem Einzelplan 17 in etwas, was man eigentlich gar nicht mit Geld kaufen kann. Wir investieren in die Bereitschaft, füreinander da zu sein. Wir investieren darin, dass wir uns umeinander kümmern und dass wir gut miteinander leben, das heißt in die Bereitschaft, eine Familie zu haben, zu erziehen, in der Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, sich um die ältere Generation zu kümmern und vice versa auch um die junge Generation. Wir geben den Menschen kein Geld, damit sie Kinder bekommen oder ehrenamtlich tätig werden. Das wäre ein Kurzschluss und würde gar nicht funktionieren. Aber wir können objektive Hürden abbauen, damit Menschen es leichter haben, Verantwortung zu übernehmen. Das ist es, was wir mit unserem Einzelplan 17 im nächsten Jahr vorantreiben wollen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Otto Fricke für die FDPFraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine erste Anmerkung: Es ist schon schade, dass das Kanzleramt es bisher nicht geschafft hat, bei dieser Debatte wenigstens eine Person hier hinzusetzen. ({0}) Ich finde, das ist eine gewisse Missachtung dieses Themas und irgendwie ein bisschen schade. Eigentlich kann man Haushaltspolitik und Erziehung oder die Entscheidung für Kinder oft vergleichen, denn sie unterliegen denselben Fragen und Problemen: Ich habe am Anfang Mühen und Belastungen. Ich muss auf Dinge verzichten, um am Ende belohnt zu werden. Ich habe manche nicht geschlafene Nacht, manche Sorgen und manche Probleme - kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Beim Haushalt ist das genauso: Wenn ich zu früh, zu viel, falsch ausgebe, kommen am Ende große Probleme. Wenn ich mir aber am Anfang die Mühe mache, zu überlegen, was richtig ist, wofür ich spare und wofür das Geld richtig ausgegeben wird, dann werde ich am Ende belohnt. Belohnt werden wir bei Kindern doch alle. ({1}) Ich stelle immer gern die Frage: Warum sind Kinder lohnenswert? Da erinnern wir uns alle - sei es in unserer Funktion als Eltern, Onkel oder Großeltern -, wie es ist, wenn man nachts noch einmal ins Kinderzimmer schleicht und das Deckbett, das mal wieder irgendwo zerwühlt in der Ecke liegt, über die Schultern legt. Das Gefühl, das man dabei hat, ist ein Gefühl der Belohnung. Unsere Aufgabe als Haushälter des Staates, als Verantwortliche für das Schicksalsbuch ist haargenau dieselbe. Wir haben dafür zu sorgen, dass das Deckbett da ist und dass der Schutz für unsere Gesellschaft da ist. ({2}) Deswegen kann man nicht einfach nur - an dieser Stelle kritisiere ich die Große Koalition - in guten Zeiten mehr Geld ausgeben. Es ist die Verantwortung einer Großen Koalition, die auch großen Mut haben müsste, zu sparen; denn sparen heißt dann wieder - da schließt sich der Kreis -: Ich spare für Kinder. - Das tun Sie leider zu wenig. ({3}) Ihr Vorschlag zur Kindergelderhöhung, Frau Ministerin, war schon sehr interessant. Ich rätsele bis heute: War das ein Kommunikationsproblem Ihrerseits - das kann ich mir bei Ihrer kommunikativen Strahlkraft nicht so richtig vorstellen -, oder war das etwas, was Sie verabredet hatten? Haben Sie beim Kindergeld gesagt: „Wenn es nicht rauskommt, schieben wir es“, oder war das alles nur ein böser Zufall, oder war es möglicherweise der böse Finanzminister, der hier versucht hat, in der Koalitionsrunde, in der Sie nicht dabei waren, zulasten von Familien und Kindern beim Kindergeld zu kürzen? Ich hätte mir gewünscht, dass Sie heute dazu eine Aufklärung gegeben hätten. ({4}) Warum hat es diese Aufklärung nicht gegeben? Ich kann Ihnen genau sagen, warum es die nicht gegeben hat, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Sie haben immer noch nicht die Evaluierung der Leistungen für die Familien vorgelegt. ({5}) 185 Milliarden Euro im Jahr, das ist eine Schätzung. Das kann man so oder so sehen. Das ist ein Betrag, den wir - das ist grundsätzlich richtig - in den Bereich Familie geben; gar keine Frage. Aber darüber, was davon gut ist, was davon Luxus ist, was ineffektiv ist, was überhaupt nichts bringt, was etwas bringen würde, wenn es ein bisschen verändert würde, wissen wir nichts. Nun sagt das Ministerium: Wir evaluieren ständig. Das ist schön. Das ganze Leben ist Evaluierung. ({6}) Aber Sie haben verdammt noch mal die Pflicht, an dieser Stelle irgendwann zu dem Punkt zu kommen, festzustellen: Die Leistung ist nicht in Ordnung; die Mittel dafür geben wir dahin und dorthin. ({7}) Was passiert, wenn Sie das nicht tun? Was passiert, wenn wir irgendwann wieder zu wenig Geld haben? Dann werden wir im Zweifel an der falschen Stelle sparen, weil Sie nicht geschaut haben: Was sind die Leistungen, die wir noch brauchen, und was sind die Leistungen, auf die wir verzichten können? Es ist kein einfacher Weg, Frau Ministerin, aber es ist auch nicht Ihre Aufgabe, nur die einfachen und schönen Dinge zu tun. Eine Befürchtung habe ich schon - das ärgert mich beim Kindergeld ganz besonders -, nämlich dass jetzt möglicherweise herauskommt: Man hat sich ein bisschen gestritten; irgendwann ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass man doch sehr kinderfreundlich ist, ({8}) und dann kommt die Kindergelderhöhung genau zur Wahl, möglichst in einer Staffelung, die noch mehr Herzwärme erzeugt. - Wenn Sie schon jetzt anfangen, mit Wahlkampfgeschenken zu taktieren, ist das eine Versündigung an unseren Kindern. Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist. ({9}) Frau Ministerin, zu einigen Themen habe ich nichts gehört, und ich habe genau zugehört. Ihr Ministerium ist für viel mehr als nur für Kinder und das Ehrenamt zuständig. Ich habe zum Zivildienst nichts gehört. Ich habe auch zum Rechtsextremismus nichts gehört. Dafür sind Sie nicht allein zuständig - gar keine Frage -, aber dazu muss etwas kommen. Man kann nicht nur in die Kindertagesstätten gehen, wo es schön ist. Jedes Mal, wenn ich dort bin und sehe, was da für ein Leben in der Bude ist, freue ich mich, ganz besonders wenn ich an manch traurige und langweilige Debatte hier denke. Sie müssen auch dahin gehen, wo es weh tut, und das ist das Problem des Rechtsextremismus. An dieser Stelle ist auch der Frage, warum das in den neuen Bundesländern bei Kindern, Geburten, Familien anders aussieht, genau nachzugehen. Ich bitte Sie: Gehen Sie mit derselben Penetranz wie an das Thema Kinder auch einmal an dieses Thema heran. Sie haben da riesige Möglichkeiten und Chancen, im Übrigen auch wieder mit Blick auf die Kinder. ({10}) Mein letzter Punkt - ich habe zwar noch ein bisschen Zeit - ist das Thema Kinder und Bildung. Wir hören im Moment sehr viel über alle möglichen neuen Erfassungen, zum Beispiel IGLU. Die Ergebnisse werden besser; darüber können wir uns freuen. Wir streben natürlich alle eine weitere Verbesserung der Ergebnisse an. Aber woran liegt es, dass unsere Gesellschaft beim Thema „Bildung als Chance für die Zukunft“ immer mehr auseinanderreißt? Liegt es daran, dass der eine Teil der Gesellschaft dem anderen den Rücken zukehrt, weil es ihm egal ist? Ich erlebe jedenfalls tagtäglich durch meine Kinder, dass es viele engagierte Eltern gibt - unabhängig übrigens von der Frage, wie viel Einkommen sie haben -, die sich um die Bildung ihrer Kinder kümmern. Aber ebenso gibt es welche, die sich nicht kümmern, deren Kinder keine Chance haben, sodass die Chancengleichheit schon in der ersten Klasse nicht mehr gegeben ist. Da müssen wir ansetzen. Ich will auf zwei Problembereiche hinweisen, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Fricke, es tut mir leid, Sie unterliegen einem Irrtum: Sie haben jetzt keine Zeit mehr, es sei denn, Sie wollen Ihrer Kollegin die Zeit wegnehmen.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Da ich das nicht will, Frau Präsidentin, werde ich, wie es sich für einen guten Redner gehört, mit einem Schlusssatz enden: Bildungsarmut wird nicht nur mit Geld bekämpft, sondern auch mit Verantwortung und Beispielgebung. Wenn man es kurz fassen will: Statt Computer, Fast Food und Glotze bedarf es Bücher, Vollwertkost und Blockflöte. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPDFraktion. Vizepräsidentin Petra Pau ({0})

Sönke Rix (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003830, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich kann nicht Blockflöte spielen; es tut mir sehr leid. Ich nehme auch nicht immer Vollwertkost zu mir; das gebe ich ehrlich zu. Gerade während des Betriebs in Berlin ist das manchmal etwas schwierig. Ich möchte schwerpunktmäßig auf das Thema bürgerschaftliches Engagement eingehen, das sich heute schon durch viele Reden gezogen hat. Es macht uns Engagementpolitiker etwas stolz, dass fast alle Rednerinnen und Redner auf dieses Thema eingegangen sind. Das zeigt, dass es nicht nur in der Gesellschaft stärker angekommen ist, sondern auch in der Politik weiterhin stärker ankommt und immer mehr auch in die politischen Auseinandersetzungen einzieht, über die Parteigrenzen hinweg und - zugunsten der Sache, wie ich finde - häufig im Einvernehmen. Das spiegelt sich auch im Haushalt wider. Ich möchte auf einige Themen eingehen, die im Haushalt nur am Rande eine Rolle spielen, aber in der Zukunft eine größere Bedeutung haben werden. Wir beraten gerade, auch im Rahmen einer Anhörung, intensiv das Jugendfreiwilligendienstegesetz. Wir haben leider vor kurzem unsere Debatte zu diesem Thema hier im Plenum nicht stattfinden lassen können, weil die Uhrzeit - es wäre gegen Mitternacht gewesen - diesem Thema nicht angemessen gewesen wäre. Deshalb werde ich heute in meiner Rede zum Haushalt etwas stärker darauf eingehen. Warum reden wir über eine Novellierung des Jugendfreiwilligendienstegesetzes? Wir reden aus ganz banalen Gründen darüber, zum Beispiel wegen der Umsatzsteuerpflicht. Die zuständigen Finanzbehörden haben diese als notwendig erkannt. Ich bin kein Steuerfachmann; das können andere Kollegen besser beurteilen. Wir alle in diesem Haus wollen diese Umsatzsteuerpflicht nicht. Deshalb wollen wir diesen Punkt gemeinsam ändern. Dazu liegt jetzt ein Vorschlag des Ministeriums auf dem Tisch. Ich als Laie habe empfohlen, einen Ausnahmetatbestand einzuführen, habe mich aber von den zuständigen Fachpolitikern aus dem Finanzbereich und dem juristischen Bereich belehren lassen, dass das nicht europatauglich sei und dass leider diese komplizierte Art und Weise erforderlich sei. Wir haben mit den Verbänden darüber gesprochen, und sie nehmen es zähneknirschend hin. Sie haben, glaube ich, eingesehen, dass es in vielen Bereichen nicht anders geht. Aber wir haben die Gesetzesänderung als Chance genutzt, eine Weiterentwicklung und Verbesserung des Gesetzes vorzunehmen. Wir haben in der letzten Legislaturperiode fraktionsübergreifend einen Antrag formuliert, in dem wir eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Situation der Freiwilligen im FSJ und im FÖJ fordern. Im Rahmen dieser Gesetzesnovellierung packen wir nun ein paar Dinge an. Es sind zunächst kleine Schritte; ich hoffe, die großen folgen noch. Aber die Novellierung drängt ein bisschen. Wir müssen uns wegen der Umsatzsteuerpflicht beeilen. Aber vielleicht bekommen wir auch noch mehr hin. Eine Änderung, die wir in dem Gesetz vornehmen wollen, ist die zeitliche Flexibilisierung. Wir erkennen damit an, dass sich die Situation junger Menschen verändert hat. Wir erkennen an, dass es jetzt, anders als bei der Einführung des Gesetzes, nicht mehr darum geht, zwischen Abitur und Studium oder Ausbildung ein klassisches soziales oder ökologisches Jahr einzuschieben. Wir erkennen an, dass sich die Lebensläufe heute etwas anders gestalten. Wir versuchen deshalb, eine Flexibilisierung einzuführen. Mit der Flexibilisierung des freiwilligen sozialen und des freiwilligen ökologischen Jahres wollen wir aber auch Modelle unterstützen, mit denen Jugendliche angesprochen werden, die im Moment noch nicht angesprochen werden, nämlich benachteiligte Jugendliche, zum Beispiel Jugendliche mit Migrationshintergrund. Wir wollen diese Jugendlichen ganz gezielt ansprechen und Modelle für sie entwickeln. Wir wollen diesen Jugendlichen sagen: Ihr könnt gleichzeitig einen besseren Bildungsabschluss erreichen, was für eure Ausbildung wichtig ist. Ihr könnt mehr fürs Leben lernen, als - ich sage das in Anführungsstrichen - „nur“ zu helfen, im Altersheim oder wo sonst man klassischerweise einen Freiwilligendienst leistet. Ich glaube, wir sind gemeinsam auf einem guten Weg. ({0}) In der Anhörung und der fraktionsübergreifenden Diskussion unter den zuständigen Kolleginnen und Kollegen hat sich herausgestellt, dass neben der Flexibilisierung auch klare Strukturen notwendig sind. Das FSJ und das FÖJ sind Erfolgsgeschichten. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. ({1}) Wir sollten diese Namen - ich danke für den Hinweis beibehalten. ({2}) FSJ und FÖJ sind Markennamen, die diese Modelle weiterhin tragen sollten. ({3}) Das ist eine ganz wichtige Angelegenheit. Warum sollte man Erfolgsgeschichten beenden? ({4}) Deshalb sage ich: Wir brauchen so viel Flexibilität wie nötig, um die Programme für benachteiligte Jugendliche attraktiv zu machen. Wir müssen die unterschiedlichen Lebenssituationen anerkennen. Wir brauchen aber auch klare Strukturen, und zwar nicht nur, um den Trägern entgegenzukommen - ich glaube nämlich schon, dass sie manchmal etwas mehr Flexibilität an den Tag leSönke Rix gen könnten -, sondern auch, um zwischen FSJ, FÖJ und dem, was Schule und andere Institutionen leisten sollen, eine Grenze zu ziehen. Von daher brauchen wir eine klare Trennung. Ich bin guten Mutes, dass wir das in der Koalition und gemeinsam mit den anderen Fraktionen hinbekommen können. ({5}) Da ich im Zusammenhang mit den Freiwilligendiensten von „klaren Strukturen“ gesprochen habe, möchte ich zumindest anmerken, dass wir uns hinsichtlich der Trägerschaft der Freiwilligendienste vielleicht einmal etwas Neues überlegen müssen. In der letzten Sitzungswoche haben wir im Zusammenhang mit dem Integrationsplan eine intensive Debatte über die Migrations- und Integrationspolitik geführt. Wir haben uns vorgenommen, das Thema Migration und Integration bei jedem neuen Gesetz im Hinterkopf zu haben. Die SPD-Fraktion hatte die Idee, bei den Trägerstrukturen im Gesetz die Möglichkeit einer Tandemlösung festzuhalten. Ein klassischer Träger, zum Beispiel das Rote Kreuz, könnte mit einer Gruppierung, einer Vereinigung oder einem Verein von Menschen mit Migrationshintergrund, also mit einer Organisation, die als Träger eines freiwilligen sozialen oder freiwilligen ökologischen Jahres nicht anerkannt ist, ein Tandem bilden. So könnten wir unser Ziel, die Jugendlichen mit Migrationshintergrund anzusprechen, erreichen. Ich hoffe, dass wir noch einmal gemeinsam darüber nachdenken werden. Die SPD ist auf jeden Fall dafür, dass wir das tun. ({6}) Im Haushalt des letzten Jahres war das Programm „Freiwilligendienste machen kompetent“ ausgewiesen. Damit sprechen wir Jugendliche aus bildungsfernen Schichten an. Dieses Programm wird zurzeit evaluiert. Wir arbeiten an diesen Projekten. Ich bin übrigens im Beirat. Die Arbeit, die dort geleistet wird, ist sehr gut. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Programme weiterhin auf guten Füßen stehen. Auch wenn wir uns darüber freuen, dass wir 2 Millionen Euro mehr im Engagementtopf - wenn ich ihn einmal so nennen darf - haben, würde ich mir wünschen, dass wir beim nächsten Mal vielleicht noch ein paar Euro mehr bekommen, um auch die Jugendfreiwilligendienste unterstützen zu können. Dazu gehören Modelle, mit denen wir benachteiligte Jugendliche unterstützen. Darüber sollten wir gemeinsam nachdenken. Mit der einen oder anderen Million mehr könnte man gerade auf diesem Gebiet einen Schritt in die richtige Richtung machen. Wir wissen, dass die Nachfrage nach FSJ und FÖJ steigt. ({7}) - Dazu komme ich noch, Frau Kollegin. - Wir haben mehr Nachfragen als Plätze. ({8}) Von daher wünsche ich mir - vielleicht bekommen wir das beim nächsten Mal gemeinsam besser hin -, dass mehr Geld in die Hand genommen wird. Darum sollten wir uns gemeinsam bemühen. ({9}) Auf den Zivildienst komme ich gleich noch zu sprechen. Vorhin wurde kritisiert, die Ministerin habe das Thema nicht angesprochen. In so kurzer Redezeit kann man nicht immer alles ansprechen. Wir in der Koalition versuchen, das ein bisschen aufzuteilen. Im Engagementtopf haben wir noch einen weiteren Topf versteckt: den Topf mit den generationsübergreifenden Freiwilligendiensten. Es wurde gerade angesprochen, dass wir im Bereich Seniorenpolitik gemeinsam etwas tun. Das ist etwas ganz Wichtiges. Wir haben nun 2 Millionen Euro mehr in den Topf gepackt, in dem sich dieser Untertopf befindet. Ich hoffe, dass wir dies bei den generationsübergreifenden Freiwilligendiensten einsetzen können, wo es wirklich sehr gute Modelle gibt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, liebe Kollegen, wir haben von den einzelnen Trägern und Gruppen Schreiben bekommen. Ich habe mir einige Modelle angesehen und mit vielen darüber gesprochen. Ich glaube, es ist sinnvoll, dass wir das Geld dafür nutzen, diese Dinge weiterzuentwickeln. Ich weiß, das ist immer etwas schwierig. Ein Projekt kann man einfach so weiterlaufen lassen, bei einem Modell muss man sich etwas Neues überlegen. Ich hoffe, dass das Ministerium dazu gute Gespräche mit den zuständigen Trägern führt, um in dieser Angelegenheit voranzukommen. Jetzt komme ich, weil meine Zeit gleich abgelaufen ist - ich hoffe, nur meine Redezeit -, kurz auf den Zivildienst zu sprechen. Wir haben gerade deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass Freiwilligendienst auch ein Lerndienst ist. Genauso machen wir in der Koalition darauf aufmerksam, dass auch der Zivildienst ein Lerndienst ist. Das war er schon immer, aber jetzt wollen wir ein paar Dinge gerechter gestalten. Ich hoffe, langfristig kommen wir dazu, dass wir über den Zivildienst in dieser Form gar nicht mehr sprechen müssen, sondern dass er irgendwann ausläuft. Das ist etwas, worüber wir mit dem Koalitionspartner zu verhandeln haben. ({10}) Ich glaube aber, da ist in dieser Legislaturperiode nichts zu machen. Der Zivildienst als Lerndienst wird uns in den nächsten Monaten noch intensiv begleiten. Da sind wir auf gutem Wege. Ich hoffe, dass wir das gemeinsam schaffen. Wir wollen einen Kompetenzerwerb formalisieren. Wir wollen Zeugnisse für die geleistete Tätigkeit. Wir wollen klare Bildungselemente, und - das wird das Haus freuen das alles läuft bis jetzt kostenneutral. ({11}) Von daher ist dies als Schlusspunkt noch eine gute Nachricht an die Haushälter. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Fraktion Die Linke. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hört man Ihnen, Frau Ministerin, und den Rednerinnen und Rednern der Koalitionsfraktionen zu, so müsste man glauben, dass in puncto Familienpolitik die meisten Dinge im grünen Bereich sind. Das Modellprojekt Mehrgenerationenhäuser lässt nur Lobesworte zu. Die Modellregionen für das neue Programm gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben ihre Arbeit aufgenommen. Alles ist wunderbar und schön. Wer bei den vielen guten Schritten, die die Bundesregierung gemacht hat, nicht ganz mitgekommen ist, kann das seit ein paar Tagen in dieser wunderschönen Broschüre - ich mache an dieser Stelle etwas Werbung -, in einer sogenannten Halbzeitbilanz nachlesen. ({0}) In dieser Aufreihung der familienpolitischen Initiativen und Modellprojekte findet sich jeweils rechts unten auf den Seiten eine kleine Grafik, an der man ablesen kann, wo die Familienpolitik in ihrer Umsetzung steht. Anscheinend ist hier mehr oder weniger alles im roten Bereich. Ein Schelm, wer sich Böses bei dem Layout dieser Broschüre denkt. Denn diese kleinen Grafiken sind rot gekennzeichnet. Nehmen wir als erstes Beispiel die Kinderbetreuung. Ich frage Sie, Frau Ministerin, warum der Ausbau der Kitaplätze für 35 Prozent der unter Dreijährigen erst 2013 abgeschlossen sein soll, wenn ich als Bürgerin Ihrer Broschüre entnehmen kann, dass nur noch ein gutes Viertel des Weges zu beschreiten ist. Was dauert denn da noch so lange? Kann Ihre Halbzeitbilanz überhaupt stimmen? ({1}) Die Oppositionsfraktionen und die Verbände haben Sie bereits bei der Verabschiedung Ihres Elterngeldes darauf hingewiesen, dass zeitgleich zu einem solchen Gesetz der Ausbau der Kinderbetreuung stärker vorangetrieben werden muss. Mit dem erklärten Ziel „Rechtsanspruch ab 2013“ kann nicht einmal von zeitnah die Rede sein. Aus diesem Grund haben wir einen Änderungsantrag zum Haushaltsentwurf eingebracht, der beide Aspekte - Elterngeld und Kinderbetreuung - miteinander verknüpft. Wir stellen uns ein Elterngeld vor, das beide Elternteile gleichermaßen einbezieht, indem die Elternzeit auf beide gleichmäßig verteilt wird und durch eine längere Anspruchszeit die verschiedenen Phasen der kindlichen Entwicklung stärker berücksichtigt werden. ({2}) Die ersten Monate in der Kita, die ersten Wochen in der Schule - das sind Zeiträume, die in Ihrer politischen Betrachtung kaum eine Rolle spielen. Damit bin ich bei der nächsten Differenz zu Ihrer Politik. Auch wenn Sie das noch so eindrucksvoll darstellen: Mit der Kinderbetreuungslandschaft, die am Ende Ihres Ausbauvorhabens steht, werden Sie nicht alle Kinder erreichen. All Ihre politischen Maßnahmen, vom Elterngeld bis zur steuerlichen Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, kommen nur einem Teil der Familien zugute. Für die von Ihnen bevorzugten Eltern wird die geplante Betreuungsquote von 35 Prozent vielleicht ausreichend sein. Ich fordere Sie aber auf, Frau Ministerin: Schaffen Sie endlich die politische und finanzielle Grundlage dafür, dass der Kinder- und Jugendbericht, der Familienbericht und die vielen externen Studien nicht nur für schöne Bundestagsdebatten gut sind, sondern auch zu Verbesserungen für alle Kinder und Familien führen. ({3}) Da Sie selbst eine Halbzeitbilanz vorgelegt haben, kennen Sie ja den zeitlichen Rahmen, der Ihnen für viele wichtige Projekte verbleibt. Sie sind bereits im Verzug. Bis 2006 sollte zum Beispiel eine Evaluierung des Kinderzuschlags stattfinden; das ist schon gesagt worden. Jetzt ist es Ende 2007, aber bisher ist so gut wie nichts passiert. Ich bin sehr gespannt auf Ihr Konzept zur Verbesserung des Kinderzuschlags, das Sie mir auf Seite 25 Ihres schönen Heftchens versprechen. Dieses Konzept wurde im Familienausschuss mehrfach eingefordert, dort aber bisher nicht vorgelegt. Frau Ministerin, Sie schlingern von Modellprojekt zu Modellprojekt, ohne die wirklich wichtigen Fragen aufzugreifen und die realen Probleme wie die Kinderarmut zu bekämpfen. ({4}) Gut, Sie haben sich, mehr als ein Jahr nachdem Sie unseren diesbezüglichen Antrag abgelehnt haben, dazu durchgerungen, die Zahlung des Kinderzuschlags in Zukunft nicht mehr auf 36 Monate zu befristen. Eine grundlegende Veränderung des Kinderzuschlags - entbürokratisiert, den Bedürfnissen der Kinder und den Realitäten der Kinderarmut von und durch das ALG II angepasst - sollte auf Ihrer Agenda ganz oben stehen. Dass der Erfüllungsstand sogar in Ihrem Heftchen noch nicht einmal das erste Viertel des Kreises füllt, ist ein Spiegelbild dieses traurigen Zustands. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gestern in ihrer Rede an dieser Stelle eine schnelle Erhöhung und Vereinfachung des Kinderzuschlags versprochen. Mit „schnell“ meinte sie Herbst 2008 - drei ganze Jahre nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags, in dem genau das angekündigt wurde. Wir nehmen Sie beim Wort, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, und wir werden Sie daran erinnern. Kinderarmut lässt sich nicht mit hübschen Halbzeitbilanzen und Zeitungsinterviews bekämpfen. ({5}) Dass man Kinderarmut nicht bekämpfen kann, wenn man nicht auch die Armut von Familien bekämpft, ist allgemein bekannt. Das ist Ihre politische Aufgabe, und das ist Ihre Verantwortung, liebe Mitglieder der Koalition. Aus Sicht der Linken bietet der Haushalt 2008 für diese Probleme keine ausreichenden Lösungen. Daher kann er von uns nur abgelehnt werden. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Kai Gehring das Wort.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Teilhabechancen für Kinder und Jugendliche und breitere Zugänge zu Bildung sind für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft zentrale Punkte. Wir dürfen es nicht länger hinnehmen, dass die Chancen gerade junger Menschen in Deutschland viel stärker als in anderen Ländern von der sozialen Herkunft ihrer Eltern abhängen, siehe IGLU und PISA. Wir müssen insbesondere benachteiligte Jugendliche intensiver unterstützen und ihre Potenziale besser fördern. Wir müssen der Perspektivlosigkeit der jungen Generation in diesem Land den Kampf ansagen. ({0}) Von französischen Verhältnissen sind wir noch weit entfernt. Damit das so bleibt, braucht es aber eine Kultur der Anerkennung, mehr soziale Integration, eine starke Kinder- und Jugendhilfe sowie eine präventive und ambitionierte Jugendpolitik in diesem Land. Eine Jugendministerin müsste in unserer heutigen Debatte als engagierte Anwältin der Jugendlichen in Deutschland auftreten. ({1}) Ich frage Ministerin von der Leyen: Wo sind die konkreten Konzepte der Großen Koalition zur Verbesserung der Teilhabe von Jugendlichen? ({2}) Wann kommt zum Beispiel die KJHG-Reform? So mancher Ihrer Vorschläge wird ja medienwirksam präsentiert. Aber statt mehr für PR auszugeben, sollten Sie mehr in die Substanz Ihrer Jugendpolitik investieren. ({3}) Wo man hinschaut, sieht man nur Stückwerk. Die wenigen eigenen jugendpolitischen Initiativen von Ihnen sind doch meist unausgegoren. Nehmen wir als Beispiel Ihren Gesetzentwurf zu den Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ. Die Anhörung der Verbände hat gezeigt, dass der Entwurf Licht, aber auch Schatten hat und zu kurz greift. Ihrem Entwurf fehlt eine klare bildungsund jugendpolitische Gesamtkonzeption für Freiwilligendienste. ({4}) Gerade das unkoordinierte Handeln der verschiedenen Bundesministerien - das BMBF setzt die Idee eines freiwilligen technischen Jahres in die Welt, das BMI denkt über ein freiwilliges Katastrophenschutzjahr nach droht die Qualitätsmarke „freiwilliges Jahr“ zu verwässern und zu beschädigen. Das ist kontraproduktiv. ({5}) Frau von der Leyen, diesbezüglich sind Sie als Jugendministerin gefragt, bleiben aber Antworten schuldig. Ein zweites, schwerwiegenderes Beispiel ist die Novelle des Jugendschutzgesetzes. Die Novelle mussten Sie nach einem Machtwort der Kanzlerin zurückziehen. Wir haben klar gemacht: Kinder dürfen nicht als Testkäufer und Lückenbüßer für fehlende staatliche Kontrollen im Jugendschutz instrumentalisiert werden. ({6}) Gestern hat zum Jugendschutz ein runder Tisch getagt, bei dem wir grüne Vorschläge für einen effektiveren und besseren Jugendschutz eingebracht haben. Der verabredete Sieben-Punkte-Plan ist ein Schritt in die richtige Richtung: Die Alterskennzeichnung ist besser sichtbar zu machen, Kassensysteme sind mit akustischen Signalen auszustatten, und insgesamt soll es mehr Information und Aufklärung geben. All das ist wirksam und vernünftig. Ich freue mich, dass gerade unser Vorschlag, den Bußgeldkatalog zu überarbeiten, eine Hauptbotschaft des runden Tisches gewesen ist. ({7}) Viel zu dünn sind aber die Überlegungen, mit denen wir das Vollzugs- und Umsetzungsdefizit auf allen politischen Ebenen in den Griff bekommen können. Ich erwarte, dass wir die Kontrolldichte deutlich erhöhen, um das Risiko zu erhöhen, erwischt zu werden, wenn man gegen den Jugendschutz verstößt. Zudem muss die Zusammenarbeit zwischen den Kontrollbehörden - also Jugendhilfe und Ordnungsämtern - verstärkt und verbindlicher gemacht werden. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie zügig eine überarbeitete Jugendschutzgesetznovelle zur Beratung hier im Parlament einbringen. Wenn es ein vernünftiges Gesamtpaket ist, werden wir uns ihm auch nicht verschließen. ({8}) Meine Damen und Herren, immer mehr Eltern sind in ihrer Erziehungskompetenz überfordert. Die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nehmen somit zu. Bei gleichbleibenden oder sogar sinkenden Finanzmitteln drohen eine verhängnisvolle Unterfinanzierung und infolgedessen auch eine Überforderung der Jugendhilfe. Ein Aufgabenzuwachs erfordert einen Mittelzuwachs sowie Strukturreformen. Dazu haben Sie heute leider nichts gesagt. Die Kinder- und Jugendhilfe darf nicht als Feuerwehr nach erschütternden und wirklich traurigen Einzelfällen, sondern muss vor allem als wichtiges gesellschaftliches Frühwarnsystem und als zentraler Problemlöser gesehen werden. ({9}) Meine Damen und Herren, um mehr Teilhabe zu ermöglichen, müssen wir im Haushalt klare Prioritäten setzen und alte Zöpfe abschneiden. Zu den ältesten Zöpfen gehört mit Sicherheit die Wehrpflicht. ({10}) Die Wehrpflicht muss schnellstmöglich ausgesetzt werden, weil sie ungerecht ist und sich sicherheitspolitisch überlebt hat. ({11}) Statt wenigstens Auszubildende und Studierende von der Wehrpflicht freizustellen, werden diese entgegen aller Vernunft aus ihren Ausbildungsgängen herausgezogen. Doppelt ungerecht ist, dass 8 000 Zivildienstleistende mehr eingezogen werden als Wehrdienstleistende. Diese Ungerechtigkeit muss sofort beendet werden. ({12}) Mit den frei werdenden Mitteln im Zivildiensthaushalt in Höhe von über 66 Millionen Euro wollen wir vor allem die Jugendfreiwilligendienste massiv ausbauen, um damit der enormen Engagementbereitschaft von Jugendlichen gerecht zu werden. Zudem wollen wir die Mittel gegen Rechtsextremismus verdoppeln. Die Förderung der Arbeit für Vielfalt und Respekt ist zentral, damit Andersaussehende, Andersdenkende, Andersgläubige und Andersliebende in einer pluralen und angstfreien Gesellschaft statt in „national befreiten Zonen“ leben können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Gehring, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Schluss. - Vielfältige Jugendkulturarbeit und Elterninformation sind dazu dringend erforderlich. Die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie die Einbindung bewährter Initiativen im Kampf gegen Rechtsextremismus müssen stärker und gleichberechtigt berücksichtigt werden. Es ist wichtig, auch in diesem Haushalt klare Prioritäten dafür zu setzen und durchdachte Konzepte zu entwickeln. Ich würde mir wünschen, dass Sie in diesen Bereichen richtige Prioritäten setzen und auf diese Weise junge Menschen bei der Gestaltung ihrer Zukunft besser unterstützen. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Paul Lehrieder das Wort. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsdebatten sind ja grundsätzlich ein Forum, wo sich die Opposition an der Koalition reiben darf. ({0}) Wenn die Welt heute schreibt: „Die Stunde der hilflosen Opposition“ - mit Ihrem gnädigen Einverständnis, Frau Präsidentin, darf ich zitieren -, dann hat sie recht. ({1}) Das betrifft leider auch die heutige familienpolitische Diskussion. Es hätte der Opposition - Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und von den Grünen; bei der Linkspartei habe ich meine Zweifel - gut angestanden, das, was erreicht worden ist, was es im nächsten Jahr an familienpolitischen Leistungen gibt, anzuerkennen. Zur Wahrheit gehört die gesamte Wahrheit ({2}) und nicht nur das Haar in der Suppe, das Sie in dieser Diskussion wieder verzweifelt zu finden versuchen. Der bisherige Verlauf der Haushaltsdebatte hat insbesondere eines deutlich gemacht: Die Familienpolitik hat unter unserer Familienministerin von der Leyen enorm an Bedeutung gewonnen. Die Familienpolitik hat nunmehr endlich den Stellenwert, der ihr zusteht. Keiner in diesem Hohen Hause würde heute noch sagen: Familienpolitik ist Gedöns. Mit dem Haushalt 2008 machen wir folgerichtig klar, dass sich daran in Zukunft nichts ändern wird. Im Gegenteil: Wir stärken die Familienpolitik noch. Trotz notwendiger Haushaltskonsolidierung setzt die Große Koalition im Jahr 2008 erneut einen Schwerpunkt bei der Förderung der Familien und Kinder in unserem Land. Zu den Leistungen im Einzelnen. Der größte Posten im Einzelplan 17 ist im kommenden Jahr das Elterngeld. Im Haushalt 2008 kommt es zum ersten Mal voll zum Tragen. 4 Milliarden Euro - Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen - sind allein hierfür veranschlagt. Erste Auswertungen zum Elterngeld haben bestätigt, dass das Elterngeld von den jungen Eltern sehr gut angenommen wird und ihren Erwartungen voll entspricht. ({3}) Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts vom Juni 2007 erleben junge Paare und gerade auch Alleinerziehende die Zeit nach der Geburt weniger häufig als Phase großer Einschränkungen. Bei einer relativen Mehrheit herrscht die Wahrnehmung vor, dass sich die finanzielle Förderung junger Familien mit Kindern deutlich verbessert hat. Auch die sogenannten Vätermonate - von dem einen oder anderen etwas humorvoll als „Wickelvolontariat“ bezeichnet; diese Vätermonate sind ja in der Vergangenheit durchaus kontrovers diskutiert worden - finden mehrheitlich die Zustimmung der jungen Eltern. ({4}) - „Humorvoll“, ich habe das ausdrücklich betont. Diese positive Entwicklung ist auch an der steigenden Zahl der Väter in Elternzeit abzulesen: In den ersten vier Monaten dieses Jahres haben mit 8,5 Prozent mehr als doppelt so viele Väter Elternzeit genommen als bisher. Zwei Bundesländer sind hier eigens zu erwähnen: An der Spitze der Bewegung steht erstaunlicherweise Berlin. Den zweiten Platz - 11,2 Prozent der Väter nehmen hier Vätermonate - hat Bayern. Respekt! Kompliment an die bayerischen Väter, die vorbildlich die Elternzeit in Anspruch nehmen! Eine Befragung aus dem dritten Quartal 2007 hat ergeben: 57 Prozent der Väter nehmen immerhin zwei Monate Elternzeit, und 43 Prozent sogar mehr als zwei Monate. Die Vätermonate sind also ein toller Erfolg geworden, sie werden von den Vätern besser angenommen, als man es sich vorstellen konnte. ({5}) Das Elterngeld ist somit unstrittig der richtige Weg, um jungen Eltern die Entscheidung für Kinder und für das Leben mit Kindern leichter zu machen. Ich bin stolz darauf, dass wir vor einigen Wochen einen weiteren Meilenstein für Familien in unserem Land auf den Weg bringen konnten: Bis zum Jahr 2013 werden bundesweit Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege für rund ein Drittel der Kinder unter drei Jahren entstehen. Mit dem geplanten Betreuungsgeld - Kollege Peter Struck hat sich ja gestern in der Diskussion ebenfalls ausdrücklich dazu bekannt ({6}) - so habe ich ihn verstanden ({7}) setzen wir zudem ein Zeichen, dass auch die Erziehung von Kindern zu Hause unser aller Wertschätzung verdient. ({8}) Damit sind die Weichen für eine gute, flexible Kinderbetreuung in unserem Land gestellt, für eine Betreuung, die, liebe Frau Lenke, ein Maximum an Wahlmöglichkeiten für Mutter und Vater bietet. Das Sondervermögen von 4 Milliarden Euro erscheint nicht im Einzelplan 17. Dennoch ist es mir wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen; schließlich ist es eine maßgebliche Investition in die Zukunft der Familien, der Kinder und der Bildung in unserem Land. Gerade für benachteiligte Kinder bedeutet ein Mehr an hochwertigen Betreuungsmöglichkeiten bessere Chancen auf frühkindliche Bildung. Eine entsprechende Infrastruktur kann dazu beitragen, den Teufelskreis der von Generation zu Generation vererbten Bildungsarmut zu durchbrechen. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen - man kann das nicht oft genug wiederholen -: Sozialpolitik unserer Zeit ist in erster Linie Bildungspolitik. In der IGLUStudie - sie wurde gestern veröffentlicht - stehen wir bei der Lesekompetenz in Grundschulen auf Platz 11 von 45. Ich versichere: Nicht nur die Betreuerin in einer Kita kann vorlesen, auch eine engagierte Mutter wird ihrem Kind - ihrer Tochter, ihrem Sohn - aus Bilderbüchern und anderen Büchern vorlesen. ({9}) Auch in der PISA-Studie ist uns ein Sprung nach vorne gelungen. Wir sind jetzt auf einem guten Platz, nämlich Platz 13 von 57. 2003 waren wir noch auf Platz 18. Insbesondere die Zahl der besonders schwachen Schüler ist nach der neuen PISA-Studie deutlich gesunken. Ich glaube, das ist ein Erfolg. Die größere wirtschaftliche Prosperität der Familien wird dazu beitragen, dass hier auch in Zukunft Bildungsschwächen beseitigt werden können. Die Schaffung von mehr Betreuungsangeboten für unter Dreijährige ist daher auch eine geeignete Maßnahme, die Kinderarmut dauerhaft zu reduzieren. Es dürfen nicht nur Transferleistungen gezahlt werden. Viel wichtiger ist es, dass die Familien Zugang zur Bildung erhalten; denn Kinder geraten insbesondere dann in Armut, wenn ihre Eltern keine Arbeit haben. Wir haben heute Morgen hier über den Haushalt des Arbeitsministeriums diskutiert. Die neueste Zahl vom Arbeitsmarkt lautet: 3,38 Millionen Arbeitslose. Das heißt, es gibt immerhin 682 000 Beschäftigte mehr als noch vor Jahresfrist im November 2006. Ich glaube, das ist der richtige Weg. Arbeitsmarktpolitik ist gleichzeitig Kinder- und Familienpolitik, weil Eltern, die in Lohn und Brot stehen, für ihre Kinder natürlich mehr tun können. Das ist also ein probates und richtiges Mittel gegen Kinderarmut. ({10}) - Über die Frage Mindestlohn müssen wir in den Ausschüssen diskutieren. Wir streiten uns in den Ausschüssen ohnehin oft genug über den Mindestlohn. Darüber werden wir noch einige Diskussionen zu führen haben. ({11}) Deshalb ist die Steigerung der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt auf der einen Seite gemeinsam mit dem zügigen Ausbau der Kinderbetreuung auf der anderen Seite der entscheidende Weg, die Kinderarmut mittelfristig und dauerhaft zu senken. Erfahrungen in unseren Nachbarländern zeigen zudem, dass materielle Kinderarmut durch gezielte Leistungen wie das Elterngeld und den Kinderzuschlag erfolgreich gesenkt werden kann. So wird die Förderung von Familien mithilfe des Kinderzuschlages künftig unbefristet fortgeführt. Auch darauf muss man noch einmal ausdrücklich hinweisen. Wir sind auch ganz klar für eine Erhöhung des Kindergeldes bereits im Jahr 2009. Lieber Kollege Fricke, wenn die Kinder das Geld im Jahr 2009 brauchen, dann erhöhen wir das 2009, und zwar nicht im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl. Die Familien und nicht die Wahlchancen, wie vielleicht bei Ihnen - der Mensch geht ja bekanntlich von sich selber aus -, stehen bei uns im Fokus. ({12}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Lehrieder! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für Lobhudeleien haben wir bei der Opposition leider keine Zeit. ({0}) Deswegen wende ich mich auch gleich an die Ministerin. Zum Kinderzuschlag möchte ich zumindest kurz bemerken: Bisher ist der Kinderzuschlag eine rein bürokratische Veranstaltung. ({1}) Aus der beruflichen Praxis ist mir nicht ein Fall bekannt, in dem der Kinderzuschlag wirklich gewährt wurde. Wenn sich das ändern sollte, dann werde ich das sehr wohl vermerken, aber ich habe größte Zweifel, dass es sich hier um mehr als um ein Placebo handelt. ({2}) Schauen wir uns den Haushalt an. Im Haushalt des Familienministeriums waren bisher für die Position „Integration junger Zuwanderinnen und Zuwanderer“ 66 Millionen Euro eingestellt. 44 Millionen Euro davon werden jetzt in den Kinder- und Jugendplan verschoben. Weitere 14 Millionen Euro bleiben offen. In dem Haushaltstitel stehen dann nur noch 8 Millionen Euro. Die 14 Millionen Euro werden wohl für Integrationskurse ausgegeben, sie fehlen aber in diesem Haushalt. Das Thema der Integration jugendlicher Zuwanderinnen und Zuwanderer verliert in diesem Ministerium also an Bedeutung. Das ist ein Abbau. Die Integrationspolitik befindet sich also auf dem Verschiebebahnhof. Ich halte das für das falsche Signal und möchte hier gerade mit Blick auf Frankreich ganz deutlich anmahnen, dass wir uns um Jugendliche, jugendliche Migranten und junge Mädchen kümmern müssen. Wir müssen ihnen Angebote machen, die dazu führen, dass sie integriert in dieser Gesellschaft aufwachsen können. Sonst „erben“ wir genau das, was in anderen Ländern schon zu beobachten ist. Hier wird eine Chance verpasst. Ich hätte von Ihnen, Frau Ministerin, wirklich erwartet, dass Sie dazu hier und heute etwas sagen. ({3}) Eine weitere Chance verpassen Sie, wenn Sie bei den Jugendfreiwilligendiensten nicht die Möglichkeiten der Rahmengesetzgebung nutzen. Wir haben angemahnt, für die Jugendfreiwilligendienste eine Rahmengesetzgebung in ausschließlicher Zuständigkeit des für die Jugendpolitik verantwortlichen Familienministeriums zu schaffen. ({4}) Hier erkenne ich einen erstaunlichen Mangel an Durchsetzungskraft, Frau Ministerin. Ich kann nur hoffen, dass Sie zumindest Ihre Skepsis hinsichtlich des Betreuungsgeldes, das die FDP-Fraktion für falsch hält, aufrechterhalten und wenigstens in diesem Punkt in Zukunft standhafter sind. ({5}) Gestatten Sie mir noch einige Worte zur Seniorenpolitik. Dazu haben wir nichts von Ihnen gehört. Zum Stichwort „Mehrgenerationenhäuser“ ist zu sagen: Ihre Politik greift hier zu kurz. Die in diesem Rahmen verteilten Gelder fließen zum Teil in bereits bestehende kommunale Einrichtungen. Wir haben heute - wie schon in der Vergangenheit - zu wenig von Ihnen zu dieser Frage gehört. Ich komme zu den Stichworten „Renteneintrittsalter 67“ und „Zwangsverrentung“. Mit Letzterem wird die Arbeitslosenstatistik geschönt. Wie Sie als die für ältere Menschen zuständige Ressortministerin dazu stehen, haben wir aber nicht gehört. Mein Resümee zur Jugend-, aber auch zur Seniorenpolitik lautet: Es ist zu wenig. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Ole Schröder das Wort.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, Sie haben den Titel „Integration junger Zuwanderinnen und Zuwanderer“ angesprochen. Wie Sie richtig bemerkt haben, waren im Haushalt 2007 hier noch 66,2 Millionen Euro eingestellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir jetzt weniger für die Integration junger Zuwanderinnen und Zuwanderer tun. Vielmehr ist es so, dass wir 44,2 Millionen Euro in den KJP überführt haben. ({0}) Davon erhoffen wir uns erhebliche Synergieeffekte mit anderen Programmen. In den Haushaltsberatungen haben wir auch mit dem Ministerium abgesprochen, dass im nächsten Jahr keine einzige Integrationsmaßnahme daran scheitern wird, dass nicht genügend Geld aus diesem Haushalt zur Verfügung gestellt wird. Das hat uns das Ministerium zugesichert. Ebenfalls haben wir für eine entsprechende Flexibilisierung gesorgt, damit wir das im Haushaltsvollzug auch so hinbekommen. Zur Klarstellung musste das hier noch einmal deutlich gemacht werden. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur Erwiderung.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich habe das so dargestellt, wie Sie es gerade beschrieben haben. Ich habe aber auch festgestellt, dass der Haushalt des Familienministeriums, der ja auch die Mittel für die Jugendpolitik beinhaltet, letztendlich um 14 Millionen Euro gekürzt worden ist. Das ist nichts anderes als ein Verschiebebahnhof. Ob die Mittel wirklich der Integration von Jugendlichen - das ist mein spezielles Thema, das ich hier angeschnitten habe - zugute kommen, werden wir sehen. Das werden wir aus der Sicht der Opposition sehr genau prüfen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Kerstin Griese für die SPD-Fraktion. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst ein Satz zu Ihnen, Frau Laurischk: Wir haben im Kinder- und Jugendbereich nicht gekürzt. Es ist mir wichtig, das noch einmal deutlich zu sagen. Die Frage von Integration und Migration ist eine Querschnittsaufgabe. Wir haben sie anders strukturiert. Dort ist nicht gekürzt worden! Das möchte ich festhalten, damit nichts Falsches stehen bleibt. Ich wende mich direkt noch einmal an Ihre Fraktion, und zwar an Ihren hochverehrten Kollegen Ausschussvorsitzenden Otto Fricke. Es ist zwar schön, in jeder Debatte zu einem Haushaltstitel darauf zu verweisen, dass wir noch mehr sparen müssen. Vor dem Hintergrund, dass der einzige Haushaltsänderungsantrag der FDPFraktion in diesem Bereich dahin ging, ALG-II-Empfängern das Elterngeld zu entziehen, muss ich sagen: Das ist keine sinnvolle Art des Sparens. Das ist auch keine soziale und familienfreundliche Politik. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können zur Halbzeit der Großen Koalition eine äußerst erfolgreiche Bilanz unserer Familienpolitik ziehen. Das Beste kommt aber noch. Wir haben nicht nur schon sehr viel auf den Weg gebracht, sondern auch noch sehr viel vor. Liebe Ekin Deligöz, von mir und im Namen des gesamten Ausschusses herzlichen Glückwunsch zur Geburt von Alina. Wir haben gemeinsam unter Rot-Grün mit dem Betreuungsausbau begonnen. Deutschland lag damals weit zurück. Eine nun veröffentlichte OECDStudie zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir in die Kinderbetreuung und das Elterngeld investieren. Deutschland gibt aber noch immer weniger als andere Länder für Infrastruktur und Dienstleistungen für Kinder und Familien aus, dafür aber noch immer mehr für finanzielle Leistungen. Wir sind dabei, das zu verändern und die Betreuung auszubauen. Dem könnte die Opposition eigentlich begeistert zustimmen. Es gibt eine erfreuliche kontinuierliche Entwicklung: Inzwischen 6 400 Ganztagsschulen bundesweit, die steuerliche Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, das Elterngeld und der Betreuungsausbau, aber auch die Bündnisse mit der Wirtschaft für mehr Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz - das alles sind Meilensteine. Aber, wie gesagt, das Beste kommt noch mit dem Gesetz, das wir so schnell wie möglich auf den Weg bringen werden und das einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag des Kindes festschreibt. Darüber, dass dieser Rechtsanspruch erst ab 2013 gelten soll, kann man sicherlich meckern. Es wäre schön gewesen, wenn das ein, zwei Jahre früher möglich gewesen wäre. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Noch zu Beginn dieses Jahres hätte niemand geglaubt, dass wir es überhaupt schaffen. Wir packen es nun an und machen es. ({1}) Dafür, dass der Bund bis 2013 hierfür 4 Milliarden Euro und ab 2014 für die Betreuung der unter Dreijährigen jährlich 770 Millionen Euro ausgeben wird, danke ich dem Bundesfinanzminister und der Bundesfamilienministerin herzlich; denn das ist gut investiertes Geld. Auch das muss man in einer Haushaltsdebatte einmal sagen. ({2}) Ich möchte dazu noch anmerken: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten freuen uns natürlich sehr, dass wir die Mehrheit des Hauses von der Notwendigkeit eines Rechtsanspruches überzeugen konnten. Frau Golze, Sie haben gefordert, dass wir für alle Familien mehr tun sollten. Der Betreuungsausbau stellt einen Fortschritt für alle Familien dar; denn alle Kinder bekommen dadurch bessere Bildungschancen und werden optimal betreut und zuverlässig gefördert. ({3}) Damit wird aber auch - einige haben das schon betont; auch mir ist das ganz wichtig - nachhaltige Armutsprävention betrieben, weil Berufstätigkeit und Kinder für Mütter und Väter besser vereinbar sein werden. Genau das ist der richtige Ansatz. Daran zeigt sich, dass unsere moderne Familienpolitik gleichzeitig eine gute Gleichstellungspolitik und eine gerechte Sozialpolitik ist. Ich will für all diejenigen, die vielleicht noch immer die Sorge haben, dass die stundenweise Abwesenheit der Eltern und der Aufenthalt der Kinder in einer Kita negative Wirkungen haben könnten, aus der World Vision Kinderstudie zitieren: Erwerbstätigkeit beider Eltern und Zuwendung sind kein Widerspruch. Im Gegenteil: eine geregelte Erwerbsbeteiligung der Eltern stabilisiert die häuslichen Verhältnisse und hilft, die gemeinsam verbrachte Zeit intensiver miteinander zu nutzen. Das heißt, unser Ansatz beim Ausbau der Kinderbetreuung ist genau richtig. ({4}) Wir müssen gemeinsam mit den Arbeits- und Sozialpolitikern deshalb darüber nachdenken, wie wir die Chancen von berufstätigen Eltern verbessern können. Wir haben den Kinderzuschlag entfristet; das ist ein erster richtiger Schritt. Wir wollen nun 200 Millionen Euro mehr in den Kinderzuschlag investieren. Wir müssen das mit dem Erwerbstätigenzuschuss abstimmen. Das ist kein einfacher Prozess, weil hier viele Sozialgesetze geändert werden müssen. Ich sage ganz deutlich: Richtig gut wird es erst dann, wenn es einen Mindestlohn gibt. Auf ihm aufbauend werden wir effektive Sozialleistungen erbringen können. ({5}) Ich bin sehr froh, dass es bei der Post endlich geklappt hat. Das sollte uns ein Anreiz sein, voranzuschreiten. ({6}) Ich bin des Weiteren sehr froh, dass der Arbeits- und Sozialminister ein Schulstartpaket im Wert von 150 Euro einführen will, damit Kinder die notwendige Ausstattung für die Schule bekommen. Da vom Haushaltsausschussvorsitzenden angemahnt wurde, dass gezielte finanzielle Leistungen notwendig sind, möchte ich festhalten: Eine solche Schulstarthilfe ist eine gezielte finanzielle Leistung und besser, als Geld nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Griese, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke zu?

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bitte, Frau Lenke. ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege, welchen Bären Sie den Menschen mit Ihrer kurzfristig zurückgezogenen Ankündigung, die Lohnsteuerklasse V im Jahressteuergesetz abzuschaffen, aufgebunden haben, ist Ihr Problem, nicht meines. Frau Griese, Sie haben eben gesagt, ganz wichtig sei für die Berechnung des Kinderzuschlags die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes. Meine Frage lautet: Was hat es mit dem Kinderzuschlag zu tun, wenn es jetzt in jeder Branche einen Mindestlohn gibt? Das verstehe ich nun überhaupt nicht.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich erkläre es Ihnen gerne, Frau Lenke. Der Zusammenhang ist der: Wenn Sie einen Erwerbstätigen- und einen Kinderzuschlag einführen, dann funktioniert das erst dann richtig gut, wenn es einen Mindestlohn gibt; sonst schieben Sie allein dem Staat die Verpflichtung zu, die zu niedrigen Löhne, die die Unternehmen zahlen, aufzustocken. Die hohe Anzahl der Aufstocker, die wir haben, zeigt, dass das ein Problem ist. Das heißt: Wir wollen den schon bestehenden Kinderzuschlag gerne ausbauen. Aber erst dann, wenn es einen Mindestlohn gibt, kann man ihn mit einem Erwerbstätigenzuschlag vernünftig kombinieren. ({0}) Dass die Postbranche es heute geschafft hat, zeigt, dass das tatsächlich funktionieren kann. ({1}) Meine Partei, die SPD, will einen nationalen Pakt, um Kindern mehr Chancen zu geben und die Zahl der von Kinderarmut Betroffenen nachhaltig zu senken. Dazu gehört auch, mit Ländern und Kommunen zu sprechen, wie wir die Ernährung von Kindern in Kitas verbessern können; denn wir brauchen gerechte und gleiche Chancen für alle Kinder. Wir haben erste Erfolge. Die Zahl der Menschen mit Kinderwunsch ist gestiegen. Endlich gibt es keinen Rückgang der Geburtenrate mehr. Moderne Gleichstellungspolitik heißt eben auch, dass inzwischen fast jeder zehnte Vater Elterngeld beantragt. Das Elterngeld wirkt. Ich finde, ehrlich gesagt, dass 10 Prozent immer noch ziemlich wenig sind, aber man muss sehen, dass die Tendenz eindeutig steigt. Knapp ein Viertel der Väter nimmt zwischen drei und elf Monate in Anspruch, jeder fünfte sogar zwölf Monate. Wir sind auf dem richtigen Weg, wir könnten aber noch ein bisschen schneller vorankommen. Wie wir Kinder besser vor Vernachlässigung schützen können, beschäftigte und berührte uns gerade in den letzten Tagen leider wieder erneut. Wir sind entsetzt darüber, dass es in unserem Land Eltern gibt, die ihre eigenen Kinder verhungern lassen und misshandeln. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass unser Ziel ist, dass alle Kinder gesund und geschützt aufwachsen und Chancen im Leben bekommen. Aber die Wahrheit ist, dass es eine ernst zu nehmende Zahl von Eltern gibt, die ihre Familiensituation nicht bewältigen können. Obwohl es die Eltern sein sollten, die ihren Kindern einen guten Start ins Leben ermöglichen, klappt das leider in einigen Familien nicht. Es gibt hier eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Wir müssen deutlich machen, dass es auch eine öffentliche Verantwortung dafür gibt, dass Kinder geschützt werden. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, nicht des Wegschauens. Wir müssen Eltern frühzeitig unterstützen. Das kann auch bedeuten, dass Eltern schon vor der Geburt begleitet werden. Dafür brauchen wir ein flächendeckendes Frühwarnsystem. Mit dem Bundesprogramm „Frühe Hilfen“, das wir aufgelegt haben, fördern wir Modellprojekte. Das ist gut, aber ich sage auch ganz deutlich: Modellprojekte und Forschungserhebungen reichen nicht aus. Wir müssen zu verbindlichen Vereinbarungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen kommen, damit Kinder besser geschützt werden. ({2}) Familien brauchen eine niedrigschwellige, frühzeitige Förderung und eine bedarfsgerechte Unterstützung. Ich finde es deshalb richtig, dass in vielen Kommunen damit begonnen wurde, alle Familien zu besuchen, in denen Kinder neu geboren wurden. Es geht nicht darum, zu stigmatisieren, sondern alle nach dem Motto zu erreichen: Willkommen im Leben. ({3}) Obwohl wir hier über den Bundeshaushalt reden, muss man deutlich sagen, dass es ganz entscheidend ist, dass Länder und Kommunen für eine bessere Ausstattung der Jugendämter sorgen; denn wir wissen von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die uns gerade in den letzten Tagen noch einmal geschrieben haben, dass sie verzweifelt sind, weil sie den enorm gestiegenen Anforderungen nicht gerecht werden können. Deswegen muss in den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe investiert werden; hier darf nicht gespart werden. ({4}) Genauso muss die Vernetzung zwischen Jugendämtern, Sozialämtern und Gesundheitsämtern verbessert werden. Ich will ausdrücklich lobend hervorheben, dass mit dem Kinderschutzgesetz, das der Schleswig-Holsteinische Landtag in der letzten Woche verabschiedet hat, ein kontrollierendes und verbindliches Einlade- und Meldewesen zu den Früherkennungsuntersuchungen eingeführt wird. Mir ist inzwischen wirklich egal, ob wir das verbindlich, verpflichtend, obligatorisch oder sonst wie nennen. Das Ziel ist, dass wir 100 Prozent aller Kinder erreichen. Wir haben aber Stadtteile, in denen wir nur die Hälfte erreichen. ({5}) Gitta Trauernicht, die schleswig-holsteinische Ministerin, hat es angepackt und gesagt: Wir machen das jetzt flächendeckend. - Wenn sich die Eltern oder die Ärzte nicht zurückmelden, schauen das Jugendamt und das Gesundheitsamt nach. Ganz wichtig ist - auch das müssen wir deutlich sagen -, dass die Amtspersonen, die dort hingehen, die Kinder auch wirklich zu sehen bekommen. Wir haben die Situation, dass Kinder in manchen Stadtteilen nicht nur unter materieller Armut leiden, sondern auch unter geringen Bildungschancen, die oft und immer mehr mit einem schlechten Gesundheitszustand - Stichwort Bewegungsmangel - einhergehen. Deshalb ist es mir so wichtig, zu sagen: Wir alle zusammen - Bund, Länder und Kommunen - müssen schauen, dass alle Kinder das Recht auf eine gesunde Entwicklung bekommen. Wir müssen uns anstrengen, in dieser Hinsicht noch mehr zu tun. Ich weiß auch, dass die Vorsorgeuntersuchungen nicht alle Extremfälle von Kindesverwahrlosung aufdecken können. Aber sie sind ein Baustein neben denen, die ich eben genannt habe, nämlich die aufsuchenden Hilfen und das Einladewesen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, damit die Kinder besser geschützt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutlichen Erhöhungen im Haushalt für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigen, dass diese Bundesregierung einen Schwerpunkt in diesem Bereich setzt. Wir wollen den demografischen Wandel gestalten und das Engagement von Jüngeren und Älteren, das Engagement für- und miteinander stärken. Wir wollen alles daran setzen, Kinder zu schützen, Familien zu stärken und Frauen und Männern gleiche Chancen zu ermöglichen. Wir blicken zuversichtlich auf die weitere Arbeit und auf das, was wir noch anpacken können. Wir packen ziemlich große und notwendige, geradezu umwälzende Veränderungen an. Dabei orientieren wir uns an der Lebensrealität der Menschen. Weil man in der Politik manchmal ein bisschen mehr Energie und Kreativität haben muss, möchte ich gern Astrid Lindgren zitieren, da sie am 14. November vor 100 Jahren geboren wurde. Wir bemühen uns, frei nach dem Motto von Pippi Langstrumpf zu handeln: „Heute schon die Welt auf den Kopf gestellt?“ Wir versuchen es, und wir versuchen, sie richtig herum zu stellen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Fricke das Wort.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe und geschätzte Ausschussvorsitzendenkollegin Griese, eigentlich war das, was Sie da gerade versucht haben, etwas unter dem, was Sie an Wissen und Können haben. ({0}) Halten wir erstens fest: Ich habe mich beim Kanzleramt erkundigt, warum während der ganzen Debatte keiner vom Kanzleramt den Mut hat, hier zu erscheinen. Es scheint irgendwelche Probleme in der Koalition zu geben. ({1}) - Nein, das ist ein Staatssekretär im Innenministerium, falls ich die Große Koalition einmal darüber aufklären darf, wer sie regiert. ({2}) - Jetzt kommen wir zum Kleinkarierten, lieber Herr Kollege. Zweitens. So zu tun, als hätten wir nur diesen einen Antrag in dem dicken Buch, ist ein bisschen unfair. Ich habe eben noch einmal schnell nachgezählt. Auf den Seiten 369 bis 388 befinden sich insgesamt 20 Anträge, die darstellen, wo wir überall Kürzungen vorschlagen. Dazu gehört auch der von Ihnen benannte Antrag. Dazu sage ich klar: Wenn man für unsere Kinder sparen will, damit sie nicht mit weiteren Schulden belastet werden, dann kann man das nicht so machen, wie es viele in unserem Land tun, indem sie sagen: Klar bin ich für das Sparen, aber bitte nicht bei mir. Wenn man sparen will, dann muss man auch im eigenen Bereich sparen. Nun zu dem konkreten Vorwurf, wir wollten für Hartz-IV-Empfänger keine Leistungen nach dem Elterngeld: Erstens haben wir darüber diskutiert. Sie wissen also, warum. Zweitens. In Ihrer Koalition war dies doch auch umstritten. Drittens. Wenn das Elterngeld, wie von Ihnen und auch heute von der Frau Ministerin immer dargestellt, zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dient, dann hat es im Bereich Hartz IV nichts zu suchen. Wenn Sie bei Hartz-IV-Berechtigten dafür sorgen wollen, dass diese gerade im ersten Jahr und nicht im zweiten, denn dann gibt es das Elterngeld nämlich nicht, ausreichende Finanzmittel für ihre Kinder haben, dann müssen Sie in diesem Bereich die Leistungen erhöhen. Das ist dann aber eine andere Baustelle. Das, was Sie vorhaben, stellt eine Systemwidrigkeit dar. Zum Abschluss: Ich finde es nicht gut, dann, wenn eine Oppositionsfraktion den Mut hat, zu zeigen, wo sie spart, zu sagen: Genau das dürft ihr aber nicht. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Griese hat die Möglichkeit zur Erwiderung. Bitte.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Fricke, die SPD-Fraktion ist nicht für die Präsenzliste des Kanzleramts zuständig. Das sind die eigenartigen Rituale des Haushaltsausschusses, die Sie zwar hier ausleben können, die uns aber in der Sache nicht weiterhelfen. Die Sache, um die es geht, ist die, dass dieser Bundeshaushalt, was das Sparen für unsere Kinder und die Zukunftsfähigkeit sowie die Gestaltung des demografischen Wandels und die Generationengerechtigkeit angeht, einer der erfolgreichsten ist, den wir je hatten. ({0}) Wir haben es endlich geschafft, die Neuverschuldung zu senken. Wir haben es geschafft, dass wir für die kommenden Generationen etwas tun, denn es geht um Sparen und um vernünftiges Ausgeben. Ich glaube, hier haben wir genau das richtige Gleichgewicht gefunden, indem wir als SPD eine gleiche soziale Leistung für alle, nämlich 300 Euro Elterngeld für alle, fordern. Das ist nun einmal unser Charakter. Dass Sie als FDP einen anderen haben, sei Ihnen gegönnt. Das unterscheidet die SPD von der FDP. Nichtsdestotrotz sage ich: Die Kombination aus Elterngeld und Betreuungsausbau stellt genau den richtigen Weg dar. Auf dem befinden wir uns. Bei Investitionen in Bildung und Betreuung handelt es sich nämlich um Zukunftsinvestitionen. Damit machen wir eine nachhaltig gute Politik für die Zukunft von Kindern und Jugendlichen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in der Ausschussfassung. Hierzu lie- gen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/7326? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent- haltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/7327? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent- haltungen? - Das ist nicht der Fall. Auch dieser Ände- rungsantrag ist damit abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den Einzelplan 17? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal- Vizepräsidentin Petra Pau tungen? - Der Einzelplan 17 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt II.17 auf: a) Einzelplan 07 Bundesministerium der Justiz - Drucksachen 16/6407, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Otto Fricke Lothar Binding ({0}) Roland Claus b) Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht - Drucksachen 16/6423, 16/6424 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Ole Schröder Lothar Binding ({1}) Dr. Dietmar Bartsch Zum Einzelplan 07 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Über diesen stimmen wir am Freitag nach der Schlussabstimmung ab. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDPFraktion. ({2})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Recht ist, was der Freiheit dient.“ - Dies ist ein Zitat des ersten Bundesjustizministers der Bundesrepublik Deutschland, des Liberalen Thomas Dehler, dessen 110. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern. Der Ausspruch zeigt, dass für Thomas Dehler die Grund- und Freiheitsrechte politische Ideale waren. Geprägt von den Ereignissen des Unrechtsregimes im Nationalsozialismus, war Dehler überzeugt von der Idee des freiheitlichen Rechtsstaates. Dehler wollte ebenso den handlungsfähigen Rechtsstaat. Er hat sehr wohl die Herausforderungen gesehen, die es heute in unterschiedlicher Form gibt, aber auch in vergangenen Jahren gegeben hat. Dennoch hätte er auch heute ganz bewusst gesagt: „Recht ist, was der Freiheit dient.“ Heute wäre für ihn selbstverständlich, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden muss, und zwar genau so, wie es letztendlich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgegeben ist. ({0}) Diesen Schutz zu gewährleisten, wäre für ihn keine lästige Kleinigkeit gewesen; das ist es auch heute nicht. Ich sage deswegen deutlich: Die Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stimmt uns besorgt. Jüngst führte ja der Bundesinnenminister in der Zeitschrift für Rechtspolitik aus, es sei problematisch, wenn auch das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes in Wohnungen von diesem Schutz erfasst werde; das gehe zu weit; die Löschungspflicht und das Verwertungsverbot reichten doch aus. Dieses Argument zieht sich durch viele Debatten. Ich erwähne das, weil es bei der Debatte über das Richterband um genau dieses Problem geht: Wenn es um die Erfassung und das Speichern von Gesprächen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung geht, also um privat geführte Gespräche, nicht um Gespräche, die notwendigerweise der Aufklärung von Kriminalität dienen, halten wir nichts davon, nun sozusagen das Beste aus der Rechtsprechung herauszuholen und ein Richterband als zulässig zu erachten. Das ist nämlich mit der Rechtsprechung schwerlich in Einklang zu bringen. Ich erwähne das auch, weil uns Beratungen zur Onlinedurchsuchung - das hat sich ja aus der Debatte über den Haushalt ergeben - im nächsten Jahr auf jeden Fall beschäftigen werden. Auch da wird es um die Grundsatzfrage gehen: Wie kann der Kernbereich privater Lebensgestaltung geschützt werden? Auf der einen Seite ist die Informationsgewinnung wichtig, gerade auch diejenige, die notwendig ist, um gegen Kriminalität vorzugehen und um Erkenntnisse über den internationalen Terrorismus zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist mit dieser Rechtsprechung ein Spannungsbogen dergestalt angelegt, dass nicht alles, was möglich ist, auch erlaubt ist. Deshalb wird sich die Onlineuntersuchung in den Beratungen, die wir hierzu noch häufig führen werden, an dieser Rechtsprechung messen lassen müssen. Wenn es zutrifft, was alle Sachverständigen in der Anhörung während der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts gesagt haben, dass bei der Entwicklung einer Software in diesem Bereich eine Trennung zwischen kernbereichsrelevanten und nicht kernbereichsrelevanten Gesprächen technisch nicht möglich ist, dann zeigt dies, dass wir hier, ganz vorsichtig ausgedrückt, in schwierigstes verfassungsrechtliches Gelände kommen werden. ({1}) Als FDP-Fraktion wollen wir nicht, dass das Bundesverfassungsgericht immer mehr zum Ersatzgesetzgeber wird. Dies wird ja zu Recht von manchen kritisiert. Wir sehen, dass schwierige verfassungsrechtliche Fragen zu prüfen sind. Aber es ist doch angemessener, nach einem Ringen um die beste Lösung im Zweifel lieber von einer Maßnahme abzusehen, wenn wir Gefahr laufen, vom Bundesverfassungsgericht die rote Karte gezeigt zu bekommen. Das muss das Anliegen aller hier im Hause sein. Die FDP-Bundestagsfraktion hat in der Rechtspolitik gerade im letzten Jahr immer großen Wert darauf gelegt, konstruktive Oppositionspolitik zu machen. Wir haben beim Unterhaltsrecht nicht nur mit eigenen Anträgen zur Debatte beigetragen, sondern nachher dem gefundenen Kompromiss auch zugestimmt. Genauso haben wir es beim Urheberrecht gemacht, weil wir die gute Tradition fortsetzen wollten, hier gemeinsam zu einer Lösung zu kommen, die die widerstreitenden Interessen miteinander auszugleichen versucht. ({2}) In diesem Zusammenhang erwähne ich die Computerkriminalität. Wenn wir aber berechtigte Kritik äußern, dann geschieht dies aus der Sorge heraus, dass wir uns in diesem Bereich vielleicht selbst entmachten und die Entscheidungen dorthin geben, wo sie eigentlich nicht fallen sollten. Sie sollten aber hier im Bundestag getroffen werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Lothar Binding, SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst mache ich eine Bemerkung zu Frau Golze, auch wenn es Sie wundern mag, weil es nicht zum aufgerufenen Thema gehört. Aber es ist eine allgemeine Bemerkung, die ein Schlaglicht auf die Art wirft, sich Dinge zu überlegen. Sie, Frau Golze, haben vorhin etwas sehr Gutes gesagt: ({0}) Kinderarmut kann man nicht in einer Talkshow bekämpfen. Das ist richtig, und das unterstütze ich sehr. Jetzt frage ich mich natürlich, wie das jemand aus einer Fraktion sagen kann - hier hatten mein Kollege Sönke Rix und ich dieselbe Idee -, in deren Reihen Oskar Lafontaine und Gysi sitzen. Sie sind ja die Spezialisten für diese Art der Politik. ({1}) Ich glaube, man muss hier sehr vorsichtig sein. Nun eine Vorbemerkung zu dem Einzelplan 07, Bundesjustizministerium, und dem Einzelplan 19, Bundesverfassungsgericht. Das Volumen der Einzelpläne ist relativ klein. Deshalb kann ich die Ausschussdebatte vielleicht so beschreiben: Das Volumen der Einzelpläne und die Dauer der Diskussion waren umgekehrt proportional. Dass wir trotzdem sehr viel erreicht haben, verdanken wir einer Gruppe von Menschen, die sich schon lange um diese beiden Einzelpläne kümmern: die Berichterstatter Dr. Ole Schröder, Otto Fricke, Omid Nouripour, Roland Claus bzw. Dr. Dietmar Bartsch und Michael Leutert. Sie haben sich sehr intensiv um die Einzelfragen gekümmert. Vom BMJ danke ich insbesondere Brigitte Zypries sowie den Herren Dr. SchmittWellbrock und Axel Vogel, die uns sowohl fachlich als auch in den Teilen der Debatte, in denen wir nicht einer Meinung waren, sehr gut unterstützt und die unterschiedlichen Positionen sehr konstruktiv zusammengeführt haben. Beim Bundesverfassungsgericht bedanke ich mich bei Frau Dr. Barnstedt und Herrn Köntopp, der den Haushalt des Gerichts vertritt. Die Zusammenarbeit war insgesamt sehr konstruktiv. Last, but not least haben uns auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Haushaltsreferaten sehr gut unterstützt. ({2}) Wir sehen es als einen besonderen Erfolg an, dass der Einzelplan 07 einen Aufwuchs verzeichnet. Darüber wird man sich sicherlich wundern, weil wir doch eigentlich sparen. Wir sehen aber den Aufwuchs deshalb gerechtfertigt, weil wir das Personal beim Deutschen Patent- und Markenamt verstärken konnten. ({3}) - Ein wenig verstärken; Sie haben recht. Man brauchte 200 Stellen, die wir auch sehr gerne geschaffen hätten. Aber wir wollen klug vorgehen. Ein kluger Personalaufwuchs zeichnet sich dadurch aus, dass man das Personal nur in dem Maße verstärkt, in dem geeignete Kräfte am Markt verfügbar sind. Es gibt aber derzeit keine 200 Personen am Arbeitsmarkt, die beim Deutschen Patent- und Markenamt zu beschäftigen wären. Deswegen haben wir insgesamt nur 35 zusätzliche Stellen vorgesehen. Das ist aber sehr gut investiertes Geld. Denn jeder weiß, dass das Deutsche Patent- und Markenamt die Haupteinnahmequelle im Justizressort darstellt und insofern die dort Beschäftigten ihr Geld tatsächlich verdienen. Welche enormen Entwicklungsschritte wir vollbracht haben, wird schon daraus deutlich, dass bis zum Jahr 1998/1999 die Gebührenmarken im Patent- und Markenamt vor dem Aufbringen mit der Zunge angefeuchtet werden mussten. Inzwischen ist das mithilfe der Informationstechnologie ersetzt worden. Das ist eine sehr gute Entwicklung, und es war auch nötig, weil der Bedarf an dieser Stelle sehr groß ist. Das verdanken wir auch den SPD-Kolleginnen, die diese Ministerien seither geführt haben. Es wirft ein kleines Schlaglicht auf die FDP, dass sie auch diesmal wieder einen Kürzungsantrag im Bereich der Informationstechnologie des Deutschen Patent- und Markenamts eingebracht hat. ({4}) - Ja, aber ich halte das für ein kritisches Instrument. Denn wir wollen nicht zurück in die Zeit, als man die Gebührenmarke noch mit der Zunge anfeuchten musste. Ich will kurz erläutern, warum wir so stolz auf das sind, was wir erreicht haben. Das Deutsche Patent- und Markenamt könnte nämlich auch zum Nadelöhr werden. Lothar Binding ({5}) Denn wir haben einen sehr starken Aufwuchs im Forschungsetat. Die Forschungsmittel werden um mehr als 800 Millionen Euro verstärkt. Wenn diese Mittel in dem von uns gewünschten Sinne wirken, dann wird es in aller Kürze sehr viel mehr Patentanmeldungen geben. Insofern ist es essenziell, unsere Ämter so auszustatten, dass sie die notwendige Prüfgeschwindigkeit an den Tag legen und die Abläufe so organisieren können, dass die Patente möglichst schnell am Weltmarkt verfügbar sind. Das ergibt sich aus der Kombination von Forschung, Wirtschaft und Politik und der Arbeit im Deutschen Patent- und Markenamt. ({6}) Wir haben einen zweiten Stellenaufwuchs vorgesehen, den ich etwas ambivalent vortrage; denn eigentlich hoffen wir, dass wir ihn nicht brauchen. Dabei geht es um das Bundesamt für Justiz, das nach dem EHUG für das elektronische Handelsregister zuständig ist. Wenn alle Unternehmen, die verpflichtet sind, künftig dort ihre Bilanzen zu veröffentlichen, dieser Pflicht nachkommen, dann brauchen wir keine Ordnungsgelder und kein Personal, um die Unternehmen zu motivieren, dieser Pflicht nachzukommen. Gegenwärtig hat es aber den Anschein - die Frist läuft erst am 31. Dezember aus -, dass ein sehr großer Teil der etwas über 1 Million Unternehmen dieser Meldepflicht, der sie unterliegen, zunächst nicht nachkommt. ({7}) - Weil wir nicht glauben, dass im letzten Zwölftel des Jahres noch überproportional viele Meldungen kommen werden, wenn in elf Zwölfteln des Jahres große Versäumnisse zu verzeichnen sind. Wir sind, wie gesagt, sehr vorsichtig vorgegangen. Schätzungen zufolge sind viele hundert Stellen notwendig, aber es sind nur 98 Planstellen in diesem Bereich eingestellt worden. Um der Unsicherheit Rechnung zu tragen, sind 30 dieser Stellen gesperrt. Ich glaube, das ist eine sehr gute politische Maßnahme, um verfolgen zu können, wie sich das Amt entwickelt und welche Notwendigkeiten existieren. Wir freuen uns, dass es gelungen ist - in diesem Zusammenhang möchte ich Karl Diller besonders danken, der ein schönes Modell entwickelt hat -, der Europäischen Rechtsakademie in Trier zu einer Erweiterung zu verhelfen. Auch diese Mittel sind zunächst gesperrt, aber wir haben die Möglichkeit, die Erweiterung durch den Zukauf eines Anbaus sicherzustellen und damit die ERA zu stärken. Wir glauben, dass das eine sehr gute Maßnahme ist. Wir sind auch froh, dass wir sogar in der mittelfristigen Finanzplanung einen kleinen Betrag für das Präventionsprojekt „Dunkelfeld“ verfügbar halten können. ({8}) Darauf wird die Ministerin sicherlich noch besonders eingehen, weil ihr das sehr am Herzen gelegen hat. Wir glauben, dass das eine wichtige Sache ist, die deutlich macht: Die Gesundheitspolitik und die Justiz stehen in diesem Bereich in einem sehr engen Zusammenhang. Kriminalisierung und Krankheit sind in diesem Fall sehr vorsichtig zu betrachten. Deshalb ist dieses Projekt sehr wichtig. ({9}) Last, but not least: Ein Lieblingsprojekt von Ole Schröder und mir ist die Vereinfachung der Sprache in der Gesetzgebung. Dies ist ein Projekt, das wir im kommenden Jahr fortführen. Ich möchte Ihnen hier „androhen“, dass wir uns nächstes Jahr darum kümmern wollen, dieses Projekt zu institutionalisieren, nachdem wir schon jetzt aufgrund eines Zwischenberichtes erkennen können, dass die zuständige Abteilung sehr produktiv arbeitet. Sie vereinfacht die Sprache der Gesetze tatsächlich und hilft den Juristen bei ihren Formulierungen manchmal sogar so, dass sie von den Bürgern verstanden werden. Das ist eigentlich eine ganz gute Sache. Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković, Fraktion Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für die Linke brachte ich während der letzten Haushaltsdebatte am 11. September 2007 die Hoffnung zum Ausdruck, dass sich der Widerstand der Bundesjustizministerin Zypries gegen die vordemokratischen Sicherheitsvorschläge des Bundesinnenministers als dauerhaft erweisen möge. Wir verbanden damit die Erwartung, dass es bei diesem Widerstand nicht nur um parteipolitisches Kalkül ginge. Einige Vertreter der Koalition riefen mir zu, ich solle besser über die Töpfe und Töpfchen im Einzelplan 07 reden und die lästigen Grundsatzfragen zu Recht und Freiheit beiseitelassen. Herr Stünker von der SPD nannte die Kritik der Opposition vom 11. September 2007 eine rein hypothetische Debatte und sagte wörtlich: Ich darf den Damen und Herren von den drei Oppositionsparteien eines versichern: … Wir - zuvor sprach er von den „Sozialdemokraten in diesem Hause“ brauchen uns von niemandem vorwerfen zu lassen, dass wir in … neun Jahren bei einer einzigen Sachfrage, die zu entscheiden war, auch nur ein einziges Mal die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land aufs Spiel gesetzt hätten, auch nicht in schwierigen Zeiten. ({0}) Herr Stünker muss wohl verdrängt haben, dass es auch die SPD-Fraktion war, die in der 15. Wahlperiode mit dem Luftsicherheitsgesetz den Luftraum unsicher machen wollte, ({1}) bis das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz kassierte. Es war die SPD-Fraktion, die ein Zollfahndungsdienstgesetz mit auf den Weg brachte, das den Kernbereich privater Lebensgestaltung missachtete. Es war auch die SPD-Fraktion, die dieses Gesetz als befristeten Verfassungsbruch in die Verlängerung schickte. Es war Frau Ministerin Zypries, die ihr Haus anwies, dem Deutschen Bundestag ein Gesetz zur Umsetzung des Europäischen Haftbefehls vorzulegen, das mit den Stimmen der SPD-Fraktion beschlossen wurde und am 18. Juli 2005 vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte. Erwarten Sie bitte nicht, dass ich meine neun Minuten Redezeit darauf verwende, diese Liste zu vervollständigen. ({2}) Bei dieser Aufzählung von Verfassungsverstößen bin ich auch nicht darüber verwundert, wie die Kollegin Kramme von der SPD-Fraktion kürzlich ihre Jastimme zur Vorratsdatenspeicherung begründete. ({3}) In ihrer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hieß es: Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird. Bemerkenswert! Herr Stünker, nur zu gern würden wir uns darauf verlassen können, dass schon die SPD in der Koalition und nicht erst das Bundesverfassungsgericht für die Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze sorgt. ({4}) Es ist nur so, dass zwischen Ihren Beteuerungen und Ihren Taten ein tiefer Abgrund klafft. Zumindest hat Herr Schäuble wohl ausreichend Vertrauen in Ihre rechtsstaatliche Unzuverlässigkeit. Oder welche Erklärung haben Sie dafür, dass er weiterhin unverdrossen mit dem entsprechenden finanziellen und personellen Aufwand an den technischen Grundlagen zur Onlinedurchsuchung basteln lässt? ({5}) Die SPD-Fraktion hat mit fast allen ihren Stimmen die Vorratsdatenspeicherung zum Gesetz gemacht - mit fast allen; vor denen, die ausgeschert sind, habe ich ausdrücklich Respekt. Ab dem 1. Januar 2008 werden die Kommunikationsprofile von 80 Millionen Menschen auf Vorrat erfasst, ohne dass es hierfür einen konkreten Anlass gibt - und dies, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Rasterfahndung unmissverständlich erklärt hat: Außerhalb statistischer Zwecke besteht ein striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat. Mit diesem Gesetz hat sich die Bundesjustizministerin nicht etwa als Gegenspielerin zu Herrn Schäuble verhalten, sondern sich zu dessen Mitspielerin gemacht. Das Gesetz zeugt vom gleichen verfassungsrechtlichen Fehlverständnis, das auch Herrn Schäuble prägt. Hierzu habe ich schon in meiner letzten Rede Ausführungen gemacht und wiederhole sie hier: Die Grundrechte sind zuallererst Abwehrrechte gegen den Staat. Das heißt, der Bürger soll sich mithilfe der Grundrechte gegen einen allmächtigen Staat schützen können. Mit anderen Worten: Die Grundrechte sind institutionalisiertes Misstrauen gegen den Staat. Sie und Herr Schäuble hingegen wollen ein grundsätzliches Misstrauen des Staates gegen seine Bürger institutionalisieren, indem Sie genau jene Allmacht des Staates für Ihre sicherheitspolitischen Wahnvorstellungen mobilisieren. Wohin diese Wahnvorstellungen führen, ist schon heute belegbar. Den gläsernen Terroristen, von dem Herr Kauder sprach, gibt es nicht. Es gibt nur den Verdächtigen, bei dem die Maßnahmen ansetzen. Wie schnell jedermann zum Verdächtigen werden kann, musste unlängst der Wissenschaftler Andrej H. erfahren - erleiden musste er es: Auf Betreiben der christdemokratischen Eiferin Frau Generalbundesanwältin Harms hat man Herrn H. in monatelanger Arbeit zu einem Terrorverdächtigen aufgebaut. Im Kern hat man diesen Verdacht auf eine angebliche Sprachübereinstimmung mit einem Flugblatt der „militanten gruppe“ gestützt. Im Sommer dieses Jahres hat man Herrn H. dann unter Einsatz eines Spezialkommandos per Hubschrauber nach Karlsruhe verbracht, um ihn anschließend in die Untersuchungshaft zu sperren, wo er bis vor kurzem noch war. Für die Ermittler passte er in ein klares Verdächtigenprofil: unauffällig, gebildet und irgendwie links - fertig war der Terrorvorwurf. ({6}) Statt Straftaten aufzuklären, werden so Verdächtige geschaffen. Doch zum Glück: Nicht nur der Haftbefehl für Herrn H., sondern auch die leichtfertige Handhabung des § 129 a Strafgesetzbuch hat nun der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen in aller Schärfe gerügt. Der BGH hat damit Frau Harms deftige Abfuhren erteilt, die letztlich auch Sie, Frau Zypries, treffen, weil Sie sich für diese Frau als Generalbundesanwältin entschieden haben. ({7}) Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković Während der Staat sich mit diesem Verhalten als vermeintlicher Beschützer vor Kriminalität und Terrorismus aufspielt, entzieht er gleichzeitig den Menschen den notwendigen sozialen Schutz, den er nach dem Sozialstaatsprinzip schuldet. Derselbe Staat, der vorgibt, den Menschen mit großem Kosten- und Personalaufwand maximalen Schutz vor Kriminalität und Terrorismus zu bieten, erklärt, er könne aus finanziellen Gründen nicht mehr ausreichend für die soziale Sicherheit sorgen. Schauen Sie doch einmal auf das Gesamtbild dieser „gesicherten Verarmung“! In diesen kalten Tagen können die unzähligen Berliner Obdachlosen ruhig schlafen. Die Regierung scheut keine Mühe, wenn es darum geht, ihren Schlaf vor Terroristen und Verbrechern zu schützen. Wer dank Hartz IV zum Überleben genug und zum Leben zu wenig hat, kann heute ohne Sorgen sein; ({8}) denn die parlamentarische Mehrheit hat ihn so arm gemacht, dass er sich weder den Computer noch den Internet- und Telefonanschluss leisten könnte, deren Kommunikationsprofile man ansonsten speichern lassen würde. ({9}) Während aber der Schutz der Menschen vor sozialen Härten und Risiken als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips zu den verfassungsrechtlichen Kernpflichten gehört, ist das behauptete Grundrecht auf Sicherheit nicht mehr als eine zielgerichtete Erfindung, um die Freiheitsrechte zu untergraben. Es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit. Die Koalition gestaltet und vertieft nicht nur das Klima der sozialen Kälte, sondern sie verantwortet auch den Aufzug eines Klimas der Repression und der Angst. ({10}) Vielleicht werden wir eines Tages erkennen müssen, dass zwischen einem ohnmächtigen Sozialstaat und einem übermächtigen Überwachungsstaat durchaus ein Zusammenhang besteht. ({11}) Vielleicht werden eines Tages die Mittel des Überwachungsstaats auch verwendet werden, um sozialen Unruhen entgegenzutreten. Das wäre das fürchterliche, aber leider vorstellbare Ergebnis einer Politik, an der auch die Sozialdemokraten maßgeblich und entscheidend mitgewirkt haben. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vorweg meinen Dank an Sie, Frau Ministerin, und an Ihr Ministerium für die hervorragende Zusammenarbeit bei den Beratungen über diese Einzelpläne. Vielen Dank an den Hauptberichterstatter Lothar Binding und an die Mitberichterstatter für die konstruktiven Beratungen. Wenn ich von Konstruktivität rede, dann möchte ich ausdrücklich die Fraktion Die Linke ausschließen. Was wir gerade gehört haben, hatte wenig mit der Realität zu tun, die wir hier in Deutschland erleben. ({0}) Ich hatte eher das Gefühl, Sie reden über die ehemalige DDR, ({1}) wo die SED, Ihre Vorgängerpartei - Sie sind zwar nicht Mitglied der Nachfolgepartei, aber gehören ihrer Fraktion an -, verantwortlich für das dort herrschende Unrecht war. Ich finde es schon unglaublich, dass die Fraktion, deren Vorgängerpartei für dieses Unrecht verantwortlich ist, so herablassend über diesen Rechtsstaat, in dem wir leben, redet. ({2}) Man kann sich sicherlich über die eine oder andere Facette unterhalten: Was ist noch verhältnismäßig, was ist nicht verhältnismäßig? Aber mit einem so pauschalen Urteil so herablassend über die rechtsstaatlichen Errungenschaften, die wir in unserem Land genießen dürfen, zu reden, das ist wirklich unwürdig. ({3}) Ich möchte zu der Haushaltsberatung zurückkommen. Aufgrund der konstruktiven Haushaltsberatung gab es relativ wenig Anträge im Verfahren, insbesondere im Ausschuss. Natürlich gab es die obligatorischen Kürzungsanträge der FDP. ({4}) Besonders interessant fand ich in dem Zusammenhang ein Zitat des FDP-Berichterstatters Otto Fricke im General-Anzeiger aus Bonn. Dort werden Sie damit zitiert, „dass in dem in Bonn ansässigen Bundesamt für Justiz demnächst 98 neue Stellen eingerichtet werden“. ({5}) Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković Wie das mit dem Antrag zusammenpasst, den die FDP zur gleichen Zeit eingebracht hat, ({6}) nach dem die Personalmittel um 20 Prozent gekürzt werden sollen, bleibt das Geheimnis der FDP. ({7}) Aber offensichtlich ist auf die Große Koalition Verlass. ({8}) Wir beraten heute traditionell über zwei Einzelpläne, den Einzelplan 07 für das Bundesministerium der Justiz und den Einzelplan 19 für das Bundesverfassungsgericht. In beiden Einzelplänen haben wir fast ausschließlich Personalkosten; im Einzelplan 07 sind es circa 75 Prozent der veranschlagten Ausgaben. Wir als Haushälter haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die Personalkosten durch die jährliche lineare Stelleneinsparung massiv gesenkt werden konnten. Wir haben in allen Bundesbehörden im Haushaltsjahr 2008 weniger Planstellen als vor der Wiedervereinigung allein in den Bundesbehörden Westdeutschlands. Daran zeigt sich, dass wir massiv eingespart haben. Das gilt natürlich auch für den Einzelplan 07 des Bundesministeriums der Justiz. Die Einsparungen waren richtig. Aber es ist selbstverständlich, dass wir als Haushälter genau darauf achten müssen, wo diese Einsparungen noch vertretbar sind. ({9}) Ein wichtiges Beispiel dafür ist das Deutsche Patentund Markenamt, das in diesem Einzelplan etatisiert wird. Seine Einnahmen decken nahezu 95 Prozent des Etats. Gleichzeitig hat dieses Amt eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Beim DPMA haben wir deshalb im parlamentarischen Verfahren 15 neue Stellen im Bereich der Marke und 20 neue Stellen im Patentbereich geschaffen. ({10}) Für den Technologiestandort Deutschland ist das besonders wichtig. Das Prinzip des Patents ist, dass der Erfinder der Öffentlichkeit sein geistiges Eigentum zur Verfügung stellt und gleichzeitig die Möglichkeit hat, es zu schützen, damit zu kommerzialisieren und zu verwerten. Was passiert, wenn von der Patentanmeldung bis zum Patentschutz zu viel Zeit verstreicht? Dann ist das Patent nicht mehr so viel wert. Dann fehlen die Anreize, etwas zu erfinden. Deshalb ist es wichtig, dass wir im parlamentarischen Verfahren an dieser Stelle noch einmal nachgebessert haben. ({11}) Jährlich haben wir rund 60 000 Patentanmeldungen. Umgerechnet heißt das: alle neun Minuten eine Patentanmeldung. Das Deutsche Patent- und Markenamt ist damit das erfolgreichste in ganz Europa. Die neuen Vorschriften zum elektronischen Handelsregister - EHUG - waren ein weiterer Schwerpunkt unserer Beratungen. Wir setzen EU-Recht um. Wir kommen da nicht drum herum. Ansonsten drohen uns empfindliche Strafen durch die EU. Wir haben uns natürlich schwer damit getan, 98 neue Stellen zu schaffen. Ich finde es ausgesprochen positiv, dass sich die Regierung, die Justizministerin zusammen mit dem Wirtschaftsminister, eine Öffentlichkeitskampagne vorgenommen hat. Sämtliche Unternehmerinnen und Unternehmer sollen über die neuen Verpflichtungen aufgeklärt werden. Um die Verpflichtung, diese neuen Vorschriften umzusetzen, kommen wir aber nicht herum. Deshalb müssen wir Stellen in den Haushalt einstellen. Wir haben dafür gesorgt, dass ein Drittel der Stellen qualifiziert gesperrt wird. Im Januar werden wir schauen, inwieweit die Öffentlichkeitskampagne Wirkung gezeigt hat. Ich möchte auf etwas hinweisen, das im Zusammenhang mit dem Thema Personal wichtig ist. Wir haben dafür gesorgt, dass für jede ab 2007 neu geschaffene Stelle Altersrückstellungen gebildet werden. Ich denke, das ist ein großer Erfolg der Haushaltspolitiker. Das ist nachhaltige Haushaltspolitik. ({12}) Nur so kann gewährleistet werden, dass die Stellen nicht irgendwann mehr kosten, als sie zurzeit nützen. Es freut mich, dass wir für die Europäische Rechtsakademie etwas tun konnten. Ich finde, das ist eine wichtige Institution, die im parlamentarischen Verfahren bisher nie große Bedeutung erfahren hat. Aufgrund des immer stärker werdenden europäischen Einflusses auf unsere Gesetzgebung und unsere Rechtsanwendung wird sie in Zukunft noch wichtiger werden. Deshalb ist es richtig, dass wir diesen Standort in Deutschland stärken. Ich denke, wir haben einen guten Kompromiss gefunden: 50 Prozent stellt der Bund zur Verfügung. Jetzt steht das Land Rheinland-Pfalz in der Pflicht und muss dafür sorgen, dass das ehemalige Gebäude der Bundesbank erworben und umgebaut werden kann. Im letzten Jahr haben wir das Modellprojekt für eine verständliche Sprache in Gesetzen und Verordnungen angeschoben. Es freut mich, dass das Bundesjustizministerium dieses Projekt so gut aufgenommen hat. Zwei Gesetze, das Gesetz über den Versorgungsausgleich und die Neufassung des Wohngeldgesetzes, wurden bereits auf ihre Verständlichkeit überprüft. Es wurde gezeigt, dass eine verständlichere Sprache möglich ist. Wir wollen dieses Projekt im nächsten Jahr zum Abschluss bringen. Wir Parlamentarier sollten den Evaluierungsbericht im nächsten Jahr genau studieren und die Schlussfolgerungen ziehen, die notwendig sind, damit Gesetze im parlamentarischen Verfahren verständlicher formuliert werden. Das ist keine Utopie. Wir können eine Menge erreichen. Das sehen wir, wenn wir in die Schweiz schauen. Es geht nicht darum, Gesetze allgemeinverständlich zu machen. Das ist sicherlich eine Wunschvorstellung, die nicht realisierbar ist. ({13}) Wir haben es hier natürlich mit Fachsprache zu tun. Wir haben es mit spezifischen Regelungsbereichen zu tun, wo Fachsprache benötigt wird. Es geht aber darum, die Rechtsanwendung für die Experten einfacher zu machen. Verständlichere Sprache ist ein wesentlicher Aspekt beim Bürokratieabbau. Ich möchte Sie alle bitten, an einer besseren Rechtsetzung mitzuarbeiten. Ich denke, da tun wir unserem Rechtsstaat etwas Gutes. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich muss meiner Rede einige Worte des Dankes voranstellen, speziell danke ich den Kollegen Mitberichterstattern für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, aber auch Ihnen, Frau Ministerin, und Ihrem Haus für den großen Einsatz, den Sie gezeigt haben, wenn es darum ging, offene Fragen zu klären, die es naturgemäß in den Gesprächen gab. ({0}) Wir beraten heute zwei Einzelpläne, die sich im Vergleich zu anderen quantitativ bescheiden ausnehmen. Lassen Sie mich wenige Sätze zum Einzelplan 19 des Bundesverfassungsgerichts sagen. Für das nächste Jahr sind 22 Millionen Euro veranschlagt. Natürlich wird dieses Geld der Bedeutung dieses Gerichts für unsere Demokratie in keiner Weise gerecht. Ich glaube, wir alle in diesem Haus können stolz darauf sein, dass wir ein unabhängiges und selbstbewusstes Bundesverfassungsgericht in diesem Land haben, ({1}) ganz besonders in diesen Zeiten, in denen es sonst noch unerträglicher wäre, zuzuschauen, was die Große Koalition in den Bereichen Freiheit und Bürgerrechte eigentlich tut. Zurück zum Haushalt. Es gibt ein Sonderlob von den Grünen; denn das Bundesverfassungsgericht plant eine energetische Bausanierung. Die einfachen Fenstergläser des Altbaus sollen ersetzt werden. Das ist ein guter Beitrag, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. An dieser Stelle kann ich nur sagen: Meine Fraktion wird schon allein deswegen dem Einzelplan 19 mit großer Freude zustimmen. ({2}) Wir wollen zum Einzelplan 07 auf der einen Seite unser Wohlwollen, aber auf der anderen Seite auch unsere Kritik zum Ausdruck bringen. Wir haben uns den Entwurf im August angeschaut und waren ein wenig überrascht bezüglich des Stellenaufwuchses beim BfJ, dem Bundesamt für Justiz. Denn bei der Einrichtung des Amtes wurde uns gesagt, dies würde stellenneutral geschehen. Mein Kollege Jerzy Montag sagte in der Einbringungsdebatte, dass wir dieser Frage nachgehen werden. Dies haben wir getan. Der Grund für den Aufwuchs wurde gerade genannt. Es gibt neue Aufgaben für dieses Amt, nämlich die Kontrolle des Vollzugs des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, genannt EHUG. Wir mussten einsehen, dass diese Aufgabe ohne einen Stellenzuwachs nicht zu schaffen ist. Dementsprechend haben wir im Haushaltsausschuss einem Stellenzuwachs zugestimmt. Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass es eine frühzeitigere Information und von Anfang an mehr Transparenz gegeben hätte. Wir unterstützen deshalb die qualifizierte Sperre, die es dort für etwa ein Drittel des neuen Personals gibt. Von den Kollegen der Linkspartei und einigen Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion wurde die Frage angesprochen, warum diese Stellen nicht in Ostdeutschland eingerichtet werden. Eine Standortdebatte wurde geführt. Ich finde, grundsätzlich kann eine Standortdebatte Sinn machen. An der Stelle ist sie jedoch falsch. Denn wenn es ein neues Amt gibt, ist es nicht sinnvoll, wenn man eine Abteilung ausgliedert und an einem anderen Standort platziert. ({3}) Wir erleben, dass sich solche Konstellationen grundsätzlich nicht bewähren. ({4}) Aber es stellt sich dennoch die Frage, ob wir uns nicht über das Bundesministerium der Justiz und dessen Außenstelle in Bonn unterhalten müssen. ({5}) Wäre es nicht sinnvoll, das Personal, das es dort gibt, endlich nach Berlin zu holen und in das Mutterhaus zu integrieren? ({6}) Frau Ministerin, Sie haben uns Hoffnung - wenn auch sehr unkonkret - gemacht; wir werden Sie da beim Wort nehmen. Ein Projekt, das auch schon genannt wurde - es ist nicht häufig genug zu erwähnen - ist das Projekt „Dunkelfeld“. Dort geht es darum, dass ambulant und auch im Forschungsbereich mit Menschen, die pädophile Neigungen haben, gearbeitet wird. Es geht um ganz wenig Geld, wenn man es mit den Ausmaßen anderer Posten im Haushalt vergleicht. Es geht um jeweils 250 000 Euro für drei Jahre. Nichtsdestotrotz ist das ein gutes und wichtiges Projekt. Es ist richtig, dass sich der Bund gemeinsam mit der VW-Stiftung daran beteiligt. An dieser Stelle drücke ich unser aller Wunsch aus - das glaube ich, sagen zu dürfen -, dass dieses Projekt weitergeht, ausgebaut wird und vor allem viel Erfolg hat. ({7}) Zum Patent- und Markenamt muss ich sagen, dass dieses Amt und der Stau, den des dort bei der Anmeldung von Patenten gegeben hat, in meiner Fraktion schon länger für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Wir haben uns seit 2002 mit dem rot-grünen Programm des Stauabbaus beschäftigt und waren immer wieder dafür, dass dort mehr Stellen eingerichtet werden. Selbstverständlich waren wir auch aufgeschlossen, als es darum ging, die 35 neuen Stellen zu schaffen. Denn wir wissen, dass es bei Patenten angesichts des internationalen Wettbewerbs auch um Geschwindigkeit geht. Deshalb brauchen wir kürzere Verfahren und mehr Personal. Patentstau führt nämlich immer auch zu Innovationsstau. Es ist gut, dass das gesamte Haus dieses Amt nicht alleinlässt. So viel zur nüchternen Betrachtung der Zahlen des Haushalts des Bundesministeriums der Justiz. Allerdings stellt sich die Frage: Wie sieht die Situation im Allgemeinen aus? Hätte man mir vor zwei Jahren beschrieben, wie die heutige Situation aussieht, dann hätte ich davon wahrscheinlich Albträume bekommen: Vor drei Wochen wurde die Vorratsdatenspeicherung beschlossen. In dieser Frage kann man von der CDU/ CSU-Fraktion nicht viel erwarten. Denn traditionell spielt die Freiheit für Sie eine größere Rolle als die Sicherheit. ({8}) - Ja. Für Sie spielt natürlich die Sicherheit eine deutlich größere Rolle als die Freiheit. ({9}) Mein Versprecher war mein Wunsch, leider aber nicht die Realität. ({10}) Es stellt sich die Frage, wo eigentlich die SPD abgetaucht ist. Ich weiß es nicht. Wer sich anschaut, was die SPD in diesem Bereich tut, stellt fest: Das wichtigste Projekt der SPD ist zurzeit, darüber zu diskutieren, ob man einen erneuten Anlauf für ein NPD-Verbot unternehmen sollte. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass ein NPD-Verbot notwendig ist. Ich frage mich aber, ({11}) ob jetzt nicht die absolute Unzeit ist, um über dieses Thema zu diskutieren, ({12}) und ob Sie keine Lehren aus dem Scheitern des ersten Verbotsantrags von vor vier Jahren gezogen haben. Die Voraussetzungen, die für ein Verbot der NPD erfüllt sein müssen, sind noch nicht erfüllt; das wissen wir alle. Ein erneutes Scheitern würde bedeuten, dass die NPD weiterhin als Märtyrerin durch die Republik ziehen und behaupten kann, sie sei eine demokratische Partei. Deshalb ist meine inständige Bitte, Frau Ministerin: Stoppen Sie endlich Kurt Beck! Denn Kurt Beck zieht durch die Gegend, spielt mit dem Feuer und fabuliert jeden Tag, dass die NPD verboten werden muss. Ein NPDVerbot ist und bleibt notwendig. Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, bitte schauen Sie sich auch die Situation in den Ländern an, informieren Sie sich bei den Ämtern für Verfassungsschutz, und machen Sie Ihre Hausaufgaben. Dann können wir uns gerne über dieses Thema unterhalten. Vorher macht das aber überhaupt keinen Sinn. Was das Thema Rechtsextremismus angeht, muss ich Ihr Haus kritisieren. ({13}) Frau Ministerin, Sie persönlich haben während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen Vorstoß gemacht. ({14}) Sie haben sich dafür eingesetzt, dass nazistische Symbole europaweit verboten werden. Es ist nicht einfach, 27 Meinungen unter einen Hut zu bekommen. An dieser Stelle muss ich feststellen, dass Sie gescheitert sind. Es war allerdings von Anfang an klar, dass es in dieser Frage keine Einstimmigkeit geben wird. Schließlich kennen wir die verschiedenen Kulturen und Traditionen, beispielsweise die in Dänemark. Die dänischen Vertreter haben von vornherein gesagt, dass sie diesem Begehren nicht entsprechen werden. In der gegenwärtigen Situation wird jede noch so kleine Niederlage von Demokraten im Kampf gegen den Rechtsextremismus von der anderen Seite für einen propagandistischen Erfolg benutzt. Deshalb meine Bitte: Prüfen Sie zuerst die Machbarkeit Ihrer Vorschläge, und legen Sie sie erst dann vor. In diesem Fall war die Machbarkeit ganz eindeutig nicht gegeben. In den Zeiten, in denen sich der Bundesinnenminister und die Landesinnenminister immer weiter von einer Balance zwischen Freiheit und Sicherheit verabschieden und in der Wolfgang Schäuble jeden Tag die Illusion absoluter Sicherheit auf Kosten der Freiheit zu verkaufen versucht, müsste die Justizministerin eigentlich die Hüterin der Bürgerrechte sein. Frau Zypries, das sind Sie aber leider nicht. Sie sind nicht das Korrektiv, das wir uns erhofft haben. Daher bleibt meiner Fraktion leider nichts anderes übrig, als diesem Haushalt nicht zuzustimmen. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. ({0})

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war und ist eine gute Sitte, dass man zunächst einmal Dank sagt. Das möchte ich auch gerne machen. Sie haben sich beim Bundesjustizministerium bedankt, und diesen Dank gebe ich gern weiter; die Mitarbeiter sitzen hinter der Regierungsbank und hören gespannt zu, wie man gerade sehen kann. Ich möchte den Berichterstattern danken. Wie Herr Binding schon gesagt hat, waren es dieses Mal in der Tat langwierige Verhandlungen. Aber es waren gute und, wie ich finde, vor allen Dingen erfolgreiche Haushaltsberatungen. Deswegen geht mein ganz herzlicher Dank an alle Berichterstatter und alle diejenigen, die sich für uns eingesetzt haben. Ich würde mir wünschen, dass jede meiner Reden vor dem Deutschen Bundestag so einen Erfolg hat wie die zum Haushalt. Bei der ersten Lesung zum Haushalt habe ich eine Philippika gegen das unsinnige Verfahren beim Deutschen Patent- und Markenamt gehalten, nämlich dagegen, dass man keine Stellen bereithält, obwohl man durch Einsatz dieser Stellen sehr viel mehr Einnahmen erzielen kann. ({0}) - Wunderbar, Herr Fricke, Sie hören zu. Sie haben das umgesetzt, und wir haben 35 echte, zusätzliche Stellen für das DPMA bekommen. ({1}) Dazu noch einmal mein Dank an Sie alle, aber auch an den Kollegen Diller vom Bundesministerium der Finanzen, der diese Forderung damals auch gehört und bei der Umsetzung geholfen hat. Was das EHUG anbelangt, gilt Ihnen ebenfalls mein Dank. Sie können sicher sein, dass wir uns alle Mühe geben werden, die 30 Stellen, die Sie gesperrt haben, nicht zu brauchen. Denn uns wäre es natürlich auch am liebsten, wir würden sie nicht brauchen. ({2}) Wer hat denn ein größeres Interesse daran als wir, dass die Unternehmen in Deutschland ihren Verpflichtungen nachkommen und nicht durch Bußgeldbescheide vom Staat daran erinnert werden müssen? ({3}) - Ordnungsgeld und Zwangsgeld, okay. ({4}) - Ja, das habt ihr uns abgequasselt, in Ordnung. Wir möchten eben nicht, dass sie durch Zwangsgeld dazu angehalten werden müssen. Vielmehr möchten wir erreichen, dass die Unternehmen sich rechtstreu verhalten. Deshalb werben wir im Moment dafür. Diesbezüglich gilt mein Dank dem Bundeswirtschaftsminister, der sich nach einer einfachen Anfrage sofort dazu bereit erklärte, uns da zu unterstützen. Denn der Haushalt des BMJ hat noch ein anderes strukturelles Defizit, das ich gern jetzt und hier ansprechen möchte, damit alle Berichterstatter die Möglichkeit haben, bis zur nächsten Haushaltberatung darüber nachzudenken. Der Haushalt des BMJ hat das strukturelle Defizit, dass viel zu wenig Geld für Öffentlichkeitsarbeit vorgesehen ist. ({5}) Wir müssen fast unser ganzes Geld für Öffentlichkeitsarbeit dafür aufwenden, die Broschüren über die Patientenverfügung zu drucken. 700 000 Broschüren über die Patientenverfügung haben wir in den letzten zweieinhalb Jahren in der Republik herumgeschickt. ({6}) - Ja, sie ist gut gemacht. Aber damit ist das Geld verbraucht. Wir können all die anderen wunderbaren Projekte, die wir vorschlagen und der Deutsche Bundestag verabschiedet, nicht bewerben. Das ist schade. ({7}) Deswegen habe ich die herzliche Bitte, dass alle diejenigen, die sich dem Haushalt des BMJ verpflichtet fühlen, noch einmal überlegen, ob da nicht Abhilfe nötig ist. Wir haben, wie immer, Veranstaltungen organisiert, wir haben die Verbände eingeladen, ich habe Editorials für die Fachzeitschriften geschrieben, und ich habe einen Artikel geschrieben, den wir den IHK-Zeitungen angeboten haben. Darin haben wir erläutert, wie das Verfahren der Offenlegung funktioniert. Aber das Anzeigenschalten, wie Sie es gerade dieser Tag in den Zeitungen sehen können, und die Einrichtung eines Callcenters für 14 Tage, bei dem sich Unternehmen informieren können, sind vernünftige Maßnahmen, ({8}) die das Ganze begleiten und jetzt dankenswerterweise vom Wirtschaftsminister bezahlt werden. ({9}) Wie gesagt, wir könnten es nicht. Das finde ich schade. ({10}) Das Wesentliche zu dem Standort des Bundesamtes für Justiz und weshalb man diese Stellen nicht im Osten ansiedeln kann, haben Sie, Herr Nouripour, gesagt. Was das Bundesministerium der Justiz in Bonn anbelangt, wissen Sie, dass es, glaube ich, kein anderes Ministe13734 rium dieser Regierung gibt, das eine solche Bereitschaft hat, über eine Begradigung nachzudenken. ({11}) Das ist gerade der Grund gewesen, weshalb wir das Bundesamt für Justiz gegründet haben. ({12}) Ich verspreche Ihnen, dass es weiter dabei bleibt. Als Bundesministerium der Justiz bewegen wir uns aber auch gerne im Rahmen der geltenden Gesetze, und deshalb haben wir noch eine kleine Außenstelle. Lassen Sie mich zu einem anderen Thema kommen, das hier erst kurz angesprochen wurde. Das ist das Projekt der Charité, für das Sie dankenswerterweise 750 000 Euro bereitgestellt haben. Es ist in der Tat so, dass ich mich für dieses Projekt starkgemacht habe, und zwar aus einem Grund, den, wenn ich das richtig sehe, alle Fraktionen dieses Hauses nachvollzogen haben: weil es besser ist, Taten zu verhindern, statt Opfern zu helfen. Bei diesem Projekt der Charité wird mit potenziellen Tätern psychologisch, psychotherapeutisch gearbeitet, um zu verhindern, dass sie Taten begehen. Das ist, zumal in einem Bereich wie der Pädophilie, dem Missbrauch von Kindern, der richtige Ansatz. ({13}) Insofern gilt unser Dank Herrn Professor Beier, der sich dieses Projekt ausgedacht hat und es bewirbt. Der Dank gilt mit aller Hochachtung auch den Männern, die sich dort melden und bereit sind, sich einer solchen Behandlung zu unterziehen. Denn es ist keine einfache Entscheidung, zu solchen Neigungen zu stehen und zu sagen: Ich will etwas dagegen tun und mich behandeln lassen. Die Tatsache, dass es ein überregionales Interesse an diesem Projekt gibt, zeigt, dass wirklich Bedarf besteht. Ich habe die Kolleginnen und Kollegen aus den Bundesländern angeschrieben und dafür geworben, bei diesem Projekt mitzumachen. Dazu sahen sich die Länder finanziell nicht in der Lage. Aber der Erfolg war, dass die Länder ihrerseits überlegt haben, an Universitätskliniken Vergleichbares zu initiieren. Wenn das die Folge wäre, dann, kann ich nur sagen, sollten wir alle sehr froh sein! ({14}) Jetzt wollte ich Ihnen eigentlich gerne darstellen, was wir noch alles für den Opferschutz getan haben. Ich gehe aber lieber auf ein paar konkrete Punkte ein, die meine Vorrednerinnen und Vorredner angesprochen haben. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben gesagt, dass wir über die Onlinedurchsuchung dann doch wieder im nächsten Jahr reden. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe mich sehr gefreut, als der Bundesinnenminister heute endlich einmal gesagt hat, dass er bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten wird. ({15}) Ich muss sagen, das ist ein erheblicher Fortschritt. ({16}) Ich glaube, die Tatsache, dass wir es hier mit einem verfassungsrechtlichen Bereich zu tun haben, der in der Literatur nicht annähernd aufgearbeitet ist, geschweige denn durch die Rechtsprechung aufgearbeitet ist, zeigt, dass es Fälle gibt, in denen es gut ist, auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu warten. Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der ja eher zur Kritik an der Politik neigt, hat in diesem Fall ausdrücklich gesagt, dass die Politik gut beraten wäre, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. ({17}) Insofern freue ich mich, dass der Bundesinnenminister das jetzt zugesagt hat. Herr Nouripour, es ist schade, dass die Grünen unserem Haushalt nicht zustimmen werden. Denn sinnvoll wäre es natürlich, sie würden zustimmen, ja, sie müssten sich sogar dafür aussprechen, dass uns noch mehr Geld bereitgestellt wird, damit wir noch mehr Mitarbeiter einstellen können, um die Gesetze gut zu machen. Denn mit der Reform der Telekommunikationsüberwachung zeigen wir ja, dass wir sehr wohl sehr gute rechtsstaatliche Gesetze machen können, auch im Sicherheitsbereich. ({18}) Wir haben mit diesem Gesetz unter Beweis gestellt, dass es möglich ist, obwohl es sich bei den Maßnahmen um staatliche Eingriffe handelt, den Schutz der Bürgerrechte zu verbessern ({19}) und die Befugnisse der Bürger zu erweitern, sich dagegen zu wehren. ({20}) - Liebe Frau Stokar von Neuforn, Sie haben immer noch nicht begriffen, dass es sich bei dem Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung und bei dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung um zwei verschiedene Gesetze handelt. ({21}) Mit dem Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung werden wir mit Sicherheit nicht vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Denn, wie gesagt, die Befugnisse der Menschen, sich gegen staatliche Maßnahmen zu wehren, sind durch dieses Gesetz erweitert worden, sie sind verbessert worden. ({22}) Wenn die heute geltenden, weniger umfänglichen Maßnahmen verfassungskonform sind, wie sollen dann bessere Maßnahmen verfassungswidrig sein? Das ist doch abwegig. ({23}) Jetzt ist meine Redezeit leider schon um. Lassen Sie mich noch einen Hinweis geben, Herr Nouripour: Wir werden beim NPD-Verbotsverfahren Sorgfalt walten lassen. Wir werden als SPD unsere Hausaufgaben machen; nichts anderes ist das, was unser Parteivorsitzende ankündigt. ({24}) Er sagt: Wir werden schauen, ob die Voraussetzungen reichen. Erst wenn wir das alles geprüft haben, werden wir eine Entscheidung fällen. - Insofern müssen Sie sich hier gar nicht echauffieren. ({25}) - Lassen Sie mich jetzt doch einmal ausreden, ich kann doch gleich nicht mehr weiterreden. ({26}) Sie sollten also einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir das prüfen und dass wir gegebenenfalls genauso erfolgreich sein werden wie übrigens auch beim Rahmenbeschluss gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. ({27}) Entgegen Ihrer Annahme haben wir diesen Rahmenbeschluss auf europäischer Ebene nämlich durchgesetzt. Es war einer der großen Erfolge unserer Präsidentschaft, dass wir das geschafft haben. ({28}) Es ist keineswegs so, wie Sie das gesagt haben, dass wir dort keinen Erfolg gehabt hätten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({29})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Otto Fricke, FDPFraktion.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition kann auch einmal anders anfangen. Fangen wir also einmal mit einem Lob an: Ich glaube, hinsichtlich einer vernünftigen Verwendung von Geld ist der Einzelplan 19 mit das Beste, was man im Bundeshaushalt finden kann. Bei den politischen Haushalten ist der Einzelplan 07 ziemlich nahe daran, der Vernünftigste und Beste zu sein. Man könnte sagen: Er ist der Beste im Schlechten. Das will ich aber jedem Betrachter einzeln anheimstellen. Man muss aber sehen, dass es sich bei dem Einzelplan 07 faktisch um den Einzelplan des letzten übrig gebliebenen Verfassungsministeriums in dieser Regierung handelt. Frau Ministerin, man muss sagen: Dafür ist das Durchdringen dessen, was Sie möglicherweise Gutes wollen, viel zu schwach. Dafür sind die Freunde der Sicherheit - so will ich die Kollegen der CDU/CSU einmal nennen - in dieser Koalition einfach zu stark. ({0}) - Ich weiß. Gerade der Kollege Gehb macht das auch noch einmal deutlich. Man muss einfach sehen, dass Sie sich an einer Stelle bisher wirklich nicht durchsetzen konnten. Das Schlimme daran ist, dass alle Dinge, zu denen wir in letzter Zeit vom Verfassungsgericht Hinweise und Mahnungen hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit erhalten haben, durch Ihr Ministerium gelaufen sind und zumindest den Stempel bekommen haben, dass sie mit der Verfassung vereinbar sind. ({1}) Ich fürchte, dass das so weitergehen wird. ({2}) - Herr Stünker, Sie haben gleich noch Redezeit und erklären dann, warum das nicht stimmt. Ich will beim Thema Vorratsdatenspeicherung - vorsichtig differenzierend - auf eine Sache hinweisen. Was wir dort jetzt erleben und was dabei auf uns zukommt, das wird für uns gegen Ende des Jahres wieder zu einer sehr peinlichen Veranstaltung führen. Es geht nicht nur um die Frage, ob dieses Gesetz hält, sondern auch um die Frage, was der Bundespräsident mit diesem Gesetz macht. Unterzeichnet er das nach all dem, was wir jetzt dazu gehört haben, einfach so? ({3}) Muss er wieder die Frage klären, wo die Grenzen seiner Kompetenzen sind? Ich finde, dass das - jedenfalls für einen Rechtsstaat sehr bedrohlich und die falsche Richtung ist. Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn die Große Koalition so weitermacht, dann wird in der nächsten Legislaturperiode so viel Arbeit auf wen auch immer zukommen, dass mir in Bezug auf unseren Rechtsstaat erheblich grault. ({4}) Wenn wir über den Rechtsstaat reden, dann ist es oft so, dass der Bürger sagt: Sicherheit ist doch wichtig. Dahinter steckt die Sehnsucht des Menschen nach Frieden und auch danach, dass alles, was dafür getan werden kann, auch getan wird. Wohin das führt, will ich Ihnen einmal an einem praktischen Beispiel zeigen, weil der Bürger immer das Gefühl hat, dass es dabei doch nur um Straftäter geht. Ein einfacher Fall: Einer von uns Kollegen fährt nach einer Veranstaltung mit seinem Auto los. Es rumpelt ein bisschen. Er merkt das, und er fährt weiter. Das war Unfallflucht, weil er nämlich einen anderen Wagen angeditscht hat. ({5}) - Ja, ist ja gut, Herr Stünker. Sie können das alles präzisieren. Das können Sie viel besser als ich, und das glaube ich Ihnen auch. ({6}) - Hören Sie mir doch einfach einmal zu! Sie sollten nämlich darüber nachdenken, ob Sie das wollen. Es gibt ein Strafverfahren und einen Strafbefehl. Die Anzahl der Tagessätze ist gemessen daran, wie schwer die Tat war, völlig in Ordnung. Es war eine kleine Tat und ist nicht so viel. Bei einem Lehrer geht man bei der Bemessung der Tagessatzhöhe dann davon aus, dass er 9 000 Euro pro Monat verdient. ({7}) Der Lehrer schüttelt sich und fragt, wie sie denn darauf kommen. Er legt Einspruch dagegen ein. Jetzt kommt das Interessante: Staatsanwaltschaft und Gericht sagen: Na ja, du beziehst ja nicht nur ein Einkommen als Lehrer, du hast auch noch Einkommen aus Kapital. - Der Lehrer sagt: Nein, das habe ich nicht. Daraufhin sagt die Staatsanwaltschaft: Wir haben bei der BaFin nachgefragt. Du hast fünf Konten. Wir wissen zwar nicht, was da drauf ist, aber du hast da bestimmt sehr viel Geld. ({8}) - „Ja“, sagen Sie. Genau das ist das Misstrauen gegen den Bürger, und genau das ist das Eingreifen. Was muss der liebe Bürger jetzt machen, um von seiner viel zu hohen Strafe herunterzukommen? - Er muss blankziehen. Er muss den Inhalt aller fünf Konten darlegen und sagen, welche Bewegungen vorliegen, was also rein- und rausgegangen ist. Warum das alles? - Er muss das tun, weil er bei einem Unfall nicht aufgepasst hat und dadurch in die entsprechenden Mühlen geraten ist. ({9}) Daran sehen Sie, wohin Sie im Verhältnis von Sicherheit und Freiheit mit Ihrer Art inzwischen gekommen sind. ({10}) - Nein, ich werde keine Zwischenfrage zulassen, Herr Kollege. ({11}) - Er wird das doch nachher in einer Kurzintervention ausführen. - Auf besonderen Wunsch würde ich die Zwischenfrage aber zulassen, weil er so drängt, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte schön.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Fricke, woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass die Staatsanwaltschaft anlassbezogen die Möglichkeit hat, solche Anfragen beim BaFin zu stellen? Sagen Sie uns das doch einmal. Wo soll das denn geregelt sein? Wer soll dies denn gesetzlich verankert haben?

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das haben Sie verankert, Herr Kollege. Sie haben den Staatsanwaltschaften nämlich die Möglichkeit gegeben, über die BaFin auf die Kontenstammdaten zuzugreifen. Ich finde es auch bemerkenswert, dass Sie noch gar nicht wissen, welche Gesetze Sie in letzter Zeit beschlossen haben. ({0}) Falls Sie mir nicht glauben: Das ist alles im Rahmen eines Verfahrens, das an mich herangetragen worden ist, passiert. ({1}) - Wir klären das nachher. - Sollte ich mich geirrt haben, lade ich Sie ein. Sollten Sie sich geirrt haben, Herr Kollege, dann versprechen Sie mir und uns, dass Sie diese falsche gesetzliche Regelung, die so hart und unverhältnismäßig in Bürgerrechte eingreift, ändern. Dann wären wir sofort auf dem richtigen Weg. Ich würde das für Sie sogar öffentlich machen, und Sie machen einen öffentlichen Rückzug aus dieser völlig verkorksten Regelung. Wunderbar; dann sind wir uns sofort einig ({2}) - Ich würde diese Frage des Kollegen Wieland zulassen, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte schön, Herr Kollege Wieland.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Fricke, das, was Sie sagen, alarmiert mich geradezu. Ich weiß, dass die Staatsanwaltschaft Abfragen vornehmen kann, wenn sie beispielsweise wegen Wirtschaftsstraftaten ermittelt.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nicht nur wegen Wirtschaftsstraftaten.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Nun sagen Sie, dass auch Abfragen erfolgen, um die Höhe der Tagessätze festzulegen.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kennen Sie denn einen solchen Fall? Welches Amtsgericht war es? Wer hat das nach Ihrer Kenntnis je gemacht?

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich kenne einen Fall. ({0})

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wo? Welches Amtsgericht?

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das werde ich Ihnen nachher sagen. ({0}) - Das Lachen der SPD finde ich an dieser Stelle sehr bemerkenswert. ({1}) - Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, jetzt werde ich langsam ärgerlich. Das ist etwas, was ich nicht so toll finde. Sie wissen ganz genau, dass man sich beim Umgang mit Verfahrensdaten, die an einen Abgeordneten herangetragen werden, sehr zurückhält. Dann lacht man auch nicht darüber, wenn jemand sich zurückhält. ({2}) Ich werde das dem Kollegen Wieland sagen. Der Kollege Wieland wird es erfahren. Ich finde es bemerkenswert, wie sehr Sie sich an dieser Stelle aufregen. Das liegt schlichtweg daran, dass Sie Angst haben, dass Ihnen bei all den von Ihnen erlassenen Sicherheitsvorschriften so etwas durchgerutscht ist. ({3}) Ich bin mir auch sicher, dass die Justizministerin dieser Sache nachgehen und überprüfen wird, ob das so ist. Nur als Information zum Schluss der Beantwortung, Herr Kollege Wieland: Die Staatsanwaltschaft fragt ja nicht, was er auf den Konten hat. Sie fragt nur, wie viele Konten er hat; Punkt, Ende, aus - nur, wie viele; nicht, was darauf ist. Den Rest klären wir dann bilateral. Ich bin auch gerne bereit, den SPD-Kollegen das mitzuteilen; keine Angst. Ich mache das aber nicht hier coram publico. Genau das ist es. Wir haben in diesem Staat inzwischen so viele Maßnahmen durchgeführt, dass selbst eine schon seit Jahren regierende Fraktion gar nicht mehr weiß, welche Möglichkeiten sie inzwischen alle anheimstellt, nur um möglichst viel Sicherheit zu erzeugen. Frieden und Sicherheit kann man nicht um jeden Preis haben. Das geht gar nicht. Frieden muss immer im Einklang mit unserer Rechtsordnung stehen. Ich bitte Sie: Halten Sie diesen Einklang, oder stellen Sie ihn wieder her. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind Bilanzdebatten. An diesen Tagen spricht man auch viel Dank aus. Dafür ist meine Redezeit zu kurz. Ich will jetzt auch nicht stakkatohaft alles im Kleinkarierten abhandeln. Allerdings wundert mich schon, dass in einer rechtspolitischen Debatte eine derart verkürzte Fokussierung stattfindet, als ginge es hier nur um Onlinedurchsuchungen, verdeckte Ermittlungen oder Datenspeicherung. Unsere Rechtspolitik ist vielfältiger und mit dem Zivilrecht, dem Gesellschaftsrecht, dem öffentlichen Recht und dem Unterhaltsrecht ein bunter Strauß. Das alles ist heute Abend ein bisschen zu kurz gekommen. Ich möchte zum eigentlichen Thema zurückkommen. Die beiden Koalitionsfraktionen leben auf dem Gebiet der Rechtspolitik - vielleicht anders als in anderen Politikbereichen, aber vorbildlich - die Koalition, ({0}) und zwar auf hohem fachlichen und freundschaftlichen Niveau. Ich war daher gestern mehr als entsetzt, als der Kollege Westerwelle gesagt hat: Jeder weiß: Ihr hasst euch wie die Pest. ({1}) Abgesehen davon, dass die Kategorien „Liebe“ und „Hass“ in der Politik ohnehin nichts zu suchen haben, ({2}) kann ich dazu nur sagen: Ich habe ein super Verhältnis zu der Justizministerin - achten Sie sehr gut auf die Präposition: zu der Justizministerin, nicht mit der Justizministerin -, nicht wahr, liebe Brigitte? ({3}) Das Gleiche gilt auch für mein Verhältnis zu allen anderen, insbesondere zu Alfred Hartenbach und Herrn Stünker. Wenn wir uns in einer Debatte einmal hart streiten, dann ist das kein Ausdruck von Hass. Derjenige, der das behauptet, gibt ein beredtes Beispiel dafür, wie verbittert er eigentlich darüber ist, dass er nicht dort sitzt, wohin er seit Jahren will und wohin er möglicherweise auch gar nicht gehört. ({4}) Im Gegensatz zur Koalition ist das Bild von der Opposition - gestern hat Herr Ramsauer gesagt: Oppositiönchen ({5}) völlig diffus. Das ist eigentlich keine Opposition, sondern eine Destruktion. Von den Linksaußen will ich eigentlich gar nicht reden. Herr Nešković, Sie haben heute Abend den letzten Rest an Satisfaktionsfähigkeit eingebüßt. Dazu hat der Kollege Ole Schröder alles gesagt. Die Grünen waren heute erstaunlich zurückhaltend. Herr Montag, ich weiß nicht, ob Sie Baldrian genommen haben. Sie haben Herrn Nouripour reden lassen. Herr Wieland, Sie kommen seit Wochen nicht mehr in den Rechtsausschuss. Es verwundert mich, dass Sie heute hier sind. ({6}) Sie schämen sich wahrscheinlich, überhaupt noch etwas dazu zu sagen. Wenn ich mich daran erinnere, dass Sie sich, Herr Montag, bei der letzten Debatte über die Telekommunikationsüberwachung und die Vorratsdatenspeicherung nachgerade wie ein Rumpelstilzchen mit schriller, sich überschlagender Stimme aufgeführt haben und zum Höhepunkt der Gaudi noch eine Zeitung hochgehalten haben, ({7}) dann kann ich nur sagen: Das ist völlig unter Ihrem Niveau. Dass Sie in Ihrer grenzenlosen Einfallslosigkeit denselben Gag auf dem Parteitag der Grünen wiederholt haben, mag daran liegen, dass sie sich bei dem Niveau Ihrer Zuhörer dort mehr Applaus haben ergaunern können, als Sie in diesem Hohen Haus zu Recht nicht bekommen haben. ({8}) Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die FDP zu sprechen zu kommen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sagen immer, das Bundesverfassungsgericht hebe das Gesetz auf und dann sei alles nicht rechtsstaatlich. Ich war viele Jahre am Verwaltungsgericht. Dort heißt es in vielen Urteilen: Die Klage ist begründet; denn der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Aber wollen wir nun immer wieder sagen, dass die Verwaltung rechtswidrig handelt, und das möglicherweise noch vorsätzlich? Unser Prinzip der Gewaltenteilung ist darauf aufgebaut, dass das Bundesverfassungsgericht hier und da - gerade bei einem solch verminten Gelände - Gesetze auch aufhebt. ({9}) Das ist doch das Normalste der Welt. Wenn wir aus Angst vor dem Tod jedes Mal Selbstmord begehen wollten, dann brauchten wir hier kein Gesetz mehr zu erlassen, weil wir stets befürchten müssten, dass es in Karlsruhe aufgehoben wird. ({10}) Es hieß eben, unser Innenminister wolle warten, bis Karlsruhe entscheide. Das wäre richtig, wenn eine Entscheidung kurz bevorstünde, also mit Händen zu greifen wäre. Aber viele Verfahren beim Bundesverfassungsgericht dauern fünf, sechs Jahre. Soll der Gesetzgeber jedes Mal so lange warten, bis in Karlsruhe entschieden wird? Dann sind wir erst recht nicht mehr Gesetzgeber, sondern ein Richterstaat, ein Staat, in dem sozusagen das Richterrecht dominant ist. Das kann es nicht sein. ({11}) Solange Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, offenbar abends mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ins Bett gehen ({12}) und nachts geradezu von Albträumen geplagt werden, wenn Sie daran denken, dass durch die Geräte zur Überwachung von Mautsündern vielleicht auch ein Frauenmörder entdeckt wird, um am nächsten Morgen mit dem einzigen Gedanken aufzuwachen, wie man den Bürger aufwiegeln und davon überzeugen kann, dass in Deutschland die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten wird und die Sicherheitsinteressen völlig hintanstehen, gehören Sie nicht zu den Wunschgegnern, Wunschpartnern, die auf Platz eins unserer Agenda stehen. ({13}) Man braucht sich nicht zu wundern. Die konfuse Rechtspolitik der Grünen ist sicherlich auch der Ausdruck des Zwiespalts, den die Welt am Sonntag so treffend ausgedrückt hat. Über die Grünen liest man: Die Basis sehnt sich nach Friede, Freude, Eierkuchen und sozialen Wohltaten. Die Führung sehnt sich nach Regierungsjobs, Macht und Einfluss. ({14}) Ich jedenfalls hoffe, dass die Erfüllung der letzten Sehnsucht noch viele Jahre auf sich warten lässt. (Wolfgang Wieland ({15}) Wenn ich die Befunde über alle drei Oppositionsparteien zusammennehme, dann kann ich nur an das Zitat von Frank Walter - nicht zu verwechseln mit Fritz Walter - in der Rheinischen Post vom 23. November erinnern. Er sagt sinngemäß - fast wörtlich -: Die Große Koalition mag nerven, und doch läuft das Volk nicht in Scharen zu den wartenden Parteien der Opposition. Im Gegenteil: Kaum jemand interessiert sich für die Grünen, für die Linken und für die FDP. - Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. ({16}) Ich spreche heute nur in der Eigenschaft als Rechtspolitiker. Es mag sein, dass in anderen Bereichen der Politik andere Sehnsüchte Platz greifen. Aber ich habe heute für den Bereich der Rechtspolitik geredet. Damit das so bleibt und damit wir weiterhin geradezu mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks das abarbeiten, was wir in der Koalitionsvereinbarung niedergeschrieben haben, hoffe ich, dass wir in diesem Klima weiterarbeiten und dass wir uns nicht von anderen anstecken lassen. Wir haben immerhin noch gewichtige Dinge zu verabschieden, jenseits von den ganzen „Schnüffeleien“, von denen ich immer höre. Herr Korte von den Linken sprach neulich von der Rumschnüffelei. Wenn bereits die Speicherung eines Datums noch vor dem Zugriff auf dieses als Schnüffelei bezeichnet wird, dann muss ich über ihn sagen: mit sicherem Auftreten bei völliger Ahnungslosigkeit der Sach- und Rechtslage! ({17}) Ich hoffe, dass wir, Frau Ministerin, Herr Stünker, lieber Alfred, die größeren Projekte wie die GmbH-Reform, die FGG-Reform, den Versorgungsausgleich, die Kronzeugenregelung und die Absprache noch erledigen. Ich will auch daran erinnern, dass wir so große Werke wie das Rechtsdienstleistungsgesetz oder das VVG verabschiedet haben. Es sind nur noch wenige Zuhörer hier. Anfangs habe ich bedauert, dass wir hier so schlechte Redezeiten bekommen und nicht an prominenter Stelle reden, obwohl wir sehr wichtige Themen haben. Nachdem ich allerdings einige Redebeiträge gehört habe, bin ich froh, dass diese Redner so spät drangekommen sind und nicht noch mehr Zuhörer auf der Tribüne sich das anhören mussten. ({18}) Ich hoffe, dass wir weiterhin nur durch qualifizierte Zwischenrufe gestört werden und ansonsten die Karawane der großen Koalitionsparteien auf dem Gebiet der Rechtspolitik weiterzieht ({19}) und mit Erfolg Gesetze verabschiedet. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Stünker, SPD-Fraktion. ({0})

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn, Herr Kollege Fricke: Ich glaube, wir im Deutschen Bundestag sind nicht dazu da, jeden Einzelfall, bei dem irgendein Staatsanwalt in Deutschland möglicherweise einen Fehlgriff getan hat, auf den ein Amtsgericht hereingefallen ist, zur Grundlage unserer Diskussionen zu machen. Das sollten wir in der Rechtspolitik nicht machen. ({0}) Die nächste Anmerkung, die ich machen möchte, ist: Es wird immer davon gesprochen, der Justizhaushalt habe kein großes Volumen. Das ist richtig, aber die pekuniäre Bedeutung steht in einem umgekehrten Verhältnis zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Rechtspolitik. Auf die Inhalte kommt es letzten Endes an, und die Inhalte sind mir heute in einigen Beiträgen doch etwas zu kurz gekommen. Was in einigen Beiträgen leider auch nicht deutlich geworden ist: Rechtspolitik ist letzten Endes Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in diesem Land. Das wird oftmals nicht bemerkt, auch nicht im Deutschen Bundestag. Herr Kollege Nešković, solche Reden wie die, die Sie heute gehalten haben, können Sie nur halten, weil Sie an den Beratungen des Rechtsausschusses in den letzten zwei Jahren eigentlich nicht mehr teilgenommen haben. Das ist Ihr Problem. ({1}) Ich darf einige Punkte nennen, die wir für die Menschen in diesem Land gestaltet haben: das Europäische Haftbefehlsgesetz im zweiten Anlauf, die Verbesserung der Vermögensabschöpfung bei Straftaten und das elektronische Handelsregister. Wir haben endlich das Stalking pönalisiert. Wir haben mit Veränderungen im Wohnungs13740 eigentumsgesetz für viele Wohnungseigentumsgemeinschaften nachhaltige Verbesserungen gebracht. Gerade für Selbstständige in diesem Land ist der Pfändungsschutz bei der Altersvorsorge ein wichtiger Schritt gewesen. Wir haben die Führungsaufsicht im Maßregelvollzug im Sinne der Sicherheit der Menschen in diesem Land novelliert. Wir haben das Zollfahndungsdienstgesetz unter Beachtung der rechtstaatlichen Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht von uns fordert, geändert. Wir haben mit dem Versicherungsvertragsrecht ein hundertjähriges Recht in die Neuzeit überführt. Im Bereich des Urheberrechts haben wir wichtige Schritte zur Wahrung des geistigen Eigentums der Urheber vollzogen. Wir haben das Rechtsberatungsrecht aus den 30er-Jahren endlich in das 21. Jahrhundert gebracht. Zu der Telekommunikationsüberwachung hat die Frau Ministerin schon gesprochen. Im Unterhaltsrecht haben wir einen Paradigmenwechsel in dieser Gesellschaft durchgesetzt, und mit der Föderalismusreform I haben wir Weichen gestellt, deren Bedeutung erst in der Zukunft deutlich wird. Das ist eine beeindruckende Bilanz, und darauf kann diese Koalition im Ergebnis stolz sein. ({2}) Es war harte Arbeit in der Rechtspolitik, von der nicht jeden Tag in der Zeitung zu lesen war und für die man auch nicht an jedem Tag Schlagzeilen bekommt. Es war harte Arbeit, die für die Menschen in diesem Land positiv gewirkt hat und in der Zukunft auch weiterhin positiv wirken wird. Daran wollen wir weiterarbeiten. Herr Kollege Gehb, ich gebe das Kompliment gern zurück. Ich habe darüber nachgedacht, woran es liegen mag, dass wir das so gut geschafft haben - als Sie in der Opposition waren und Rot-Grün regiert hat, haben wir so manchen Strauß miteinander ausgefochten -: Ich denke, das liegt daran, dass wir wissen, was mit dem Partner geht und was nicht. Keiner von uns hat versucht, das gängig zu machen, was nicht geht. So einfach ist das. Das sollten sich auch andere einmal hinter die Ohren schreiben. Dann wäre in dieser Koalition vieles einfacher. ({3}) - Was hat sie gesagt? Das habe ich nicht verstanden. ({4}) - Bei Ihnen war das anders. Sie wollten das gängig machen, was nicht ging. Das war Ihr Problem, Frau Stokar. Genau in diesem Sinne werden wir in den vor uns liegenden zwei Jahren weiterarbeiten. Wie Sie wissen, ist das bereits auf den Weg gebracht - es stehen Anhörungen vor der Tür -: Wir werden mit der Einführung eines großen Familiengerichts eine umfassende Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit machen; wir werden eine umfassende Reform des GmbH-Rechts und des Bilanzrechts nicht nur auf den Weg bringen, sondern auch verabschieden; wir werden ein ganzes Paket von familienrechtlichen Vorhaben bis 2009 beraten und - so hoffe ich - verabschieden können, darunter unter anderem eine grundlegende Neuregelung und Neuordnung des Versorgungsausgleichs nach einer Ehescheidung. Das ist ein ganz schwieriges Vorhaben. Wir werden über die Sicherungsverwahrung von Jugendlichen zu reden haben. Weitere Punkte sind die Kronzeugenregelung und die Verständigung in Strafverfahren, vor allem die Reform der Verbraucherinsolvenz. Hier werden wir noch über einiges zu reden haben; denn das, was bisher auf dem Tisch liegt, ist noch nicht so, dass wir es im Ergebnis verabschieden können. Es ist also die Gestaltungskraft der Rechtspolitik angesagt. Dieser kleine Blumenstrauß einer Fülle von Vorhaben, die ich hier benannt habe, hebt sich von dem ab, was in den Reden der Opposition teilweise vorgetragen worden ist. Das ist nämlich nicht die Wirklichkeit. Wir sollen ja wohl erst am Freitag über den Entschließungsantrag abstimmen; dessen habe ich mich eben noch einmal vergewissert. Ich frage mich, ob Ihnen allen das so deutlich geworden ist: Wir sollen über einen Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke abstimmen. - Sie sollten ihn einmal lesen; ich weiß nicht, wer dies schon getan hat -, dessen Inhalt an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten ist. Es geht darum, dass der Deutsche Bundestag aufgefordert werden soll, dafür die Mittel bereitzustellen, dass jedem Richter an einem obersten Bundesgericht in diesem Land mindestens ein wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Seite gestellt werden kann. Das soll dann das Allheilmittel sein, um die Gerichtsverfahren in diesem Land zu beschleunigen. Das ist der Sinn dieses Antrags. Im Begründungsteil liest man - es geht da um die wissenschaftlichen Mitarbeiter -: Darüber hinaus könnte sich diese Mitarbeit von Nachwuchsrichtern aufgrund der an den Obergerichten gewonnenen Erfahrung und Qualifikation positiv auf die Qualität der Instanzgerichte auswirken. Wir sollten das an alle Instanzgerichte in Deutschland schicken. Der Vorschlag, mit einer solchen Maßnahme das teilweise vorhandene Problem der langen Verfahrensdauer in der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit dieses Landes zu bekämpfen, schlägt dem Fass den Boden aus. ({5}) Herr Kollege Nešković, so viel Weltfremdheit, so viel elitäre Abgehobenheit, so viel Missachtung der guten Arbeit deutscher Instanzgerichte war in diesem Haus noch nie; Sie haben das hier eingeführt. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Stünker!

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, es folgt mein letzter Satz. - Die Wählerinnen und Wähler in diesem Land mögen wirklich Gutes für Deutschland tun und dafür Sorge tragen, dass diese Fraktion in diesem Hause nie etwas zu sagen bekommt. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Daniela Raab, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich muss man den Ausführungen des Kollegen Stünker nicht mehr sehr viel hinzufügen. Er hat an dieser Stelle einmal mehr zur Fachdebatte zurückgefunden, nachdem wir zuerst die bei diesen Themen zurzeit übliche Panikmache der Oppositionsparteien vernehmen konnten: Der totale Überwachungsstaat drohe; wir würden bespitzelt und beschnüffelt; wir seien gläserne Bürger. Davon sind wir weit entfernt. Ich höre immer wieder, die TKÜ-Reform sei nicht verfassungsgemäß. Dabei ist sie mehr als nur verfassungsgemäß. Das entsprechende Gesetz ist fast die Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Berufsgeheimnisträgern. Ich empfehle das Nachlesen. Regen Sie sich nicht weiter auf! Wir können uns darauf einstellen, dass das Thema Bürgerrechte das Einzige ist, auf das Sie sich einigermaßen kaprizieren können. Die Rechtspolitik, die wir hier betreiben, und die Sicherheitsgesetze sind - das muss ich deutlich sagen von erheblicher Qualität und werden getragen von der Kompetenz der drei beteiligten Fraktionen. ({0}) Kollege Stünker hat einige sehr wichtige Beispiele angeführt. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was wir, die Große Koalition, in zwei Jahren geschafft haben. Sie haben völlig recht: Man hätte uns das am Anfang sicherlich nicht zugetraut. Wir hätten es uns wahrscheinlich selbst nicht zugetraut. Die Zusammenarbeit gestaltet sich aber trotz vieler fachlicher Differenzen auf menschlicher Ebene immer sehr ordentlich. Letzten Endes kommen wir immer wieder zusammen, weil wir stets einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen schaffen. Das Rechtsdienstleistungsgesetz ist schon angesprochen worden. Wir haben dazu einen Referentenentwurf aus dem BMJ erhalten, dessen Umsetzung die Qualität und Kompetenz der Rechtsberatung ein wenig ad absurdum geführt hätte. Wir, die Union, haben uns stark dafür eingesetzt, dass auch in Zukunft nur derjenige Rechtsberatung anbieten darf, der eine entsprechende Ausbildung hat. Zum einen kann nur dann Rechtsberatung qualitativ hochwertig sein. Zum anderen kann nur ein entsprechend ausgebildeter Rechtsberater die Haftung übernehmen, wenn etwas schiefläuft. ({1}) Das zweite große Gesetzeswerk - Herr Stünker hat es kurz angesprochen - betrifft die Reform des Versicherungsvertragsrechts. An diesem Beispiel sieht man, wie nah am täglichen Leben die Rechtspolitik eigentlich ist. Wir meinen immer, wir bewegten uns im wabernden Raum; das seien Dinge, die keiner so wirklich verstehe. „Versicherungsvertragsrecht“ klingt im ersten Moment natürlich relativ trocken; es ist aber genau das, womit sich der potenzielle Versicherungsnehmer beschäftigen muss, wenn er eine Versicherung abschließt, egal welches Volumen sie hat. Auch hier haben wir es geschafft, nach umfangreicher Arbeit ein wirklich gutes Gesetz hinzubekommen, das den Ausgleich zwischen der dringend notwendigen Verbesserung des Verbraucherschutzes - mehr Aufklärung und Transparenz bei Abschluss eines Vertrages - und der Förderung des Versicherungsstandorts Deutschland schafft. Wir wollen natürlich keine Gesetze, die unsere gut funktionierenden Unternehmen außer Landes treiben; das war uns, der Union, besonders wichtig. Wir haben - das war schwierig - ein neues Unterhaltsrecht verabschiedet. Das Ergebnis begrüße ich ausdrücklich. Die alte Gesetzeslage hat zu vielen unbefriedigenden Situationen geführt; sie war ein Stück weit überholt. Wir haben länger gebraucht. Das heißt aber nicht, dass das Gesetz schlechter geworden ist als der Entwurf, der zu Beginn der Verhandlungen vorlag. Gerade dadurch, dass wir uns länger hingesetzt haben, konnten wir Verbesserungen erreichen - unter Einbeziehung des Urteils aus Karlsruhe, das wir abwarten konnten -: Wahrung des Schutzes der Ehe - des Vertrauensschutzes, der aus dem Ehestatus hervorgeht -, Schutz von langjährigen Ehepartnern, Besserstellung aller kinderbetreuenden Elternteile, Beseitigung der Benachteiligung von Zweitfamilien, die nach der ersten Ehe gegründet werden, und - nicht zuletzt - Vorrangstellung der Kinder. Hier hat sich gezeigt, dass wir es zusammen hinbekommen können, obwohl die Reform auch in unseren Reihen stark konfliktbehaftet war. Was wir jetzt vorgelegt haben, ist ein sehr gelungener, zukunftsträchtiger Ausgleich, der so schnell nicht mehr einer großen Reform bedürfen wird. ({2}) Wir haben natürlich noch einiges vor uns. Die Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist angesprochen worden; Kollegin Granold betreibt dies mit großer Akribie und Kompetenz. Uns liegt nun der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums zum Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz vor. Das schaut auch wieder nach einem großen Ungetüm aus, ist aber gerade im Zuge europäischer Rechtssetzung für unsere Unternehmen von nicht unerheblicher Bedeutung. Im Vorfeld sind Befürchtungen geäußert worden, dass wir unter dem Eindruck der Bemühungen auf internationaler Ebene, Rechnungslegungsstandards zu vereinheitlichen, Regelungen beschließen könnten, die erhebliche Nachteile für unsere kleinen und mittleren Unternehmen und mehr Kosten und Bürokratie bedeuteten. Sie, Frau Ministerin, schütteln zu Recht den Kopf; der jetzt vorliegende Referentenentwurf bewegt sich weiterhin im bewährten Bereich unseres Handelsgesetzbuches und führt im Gegensatz zu den Befürchtungen dazu, dass in Zukunft insbesondere die kleineren und mittleren Unternehmen in Bezug auf die Rechnungslegung mit erheblichen Vereinfachungen zu rechnen haben. Ich bitte sehr entschieden darum, dass wir dann, wenn ein Gesetzentwurf vom Kabinett eingebracht worden ist, die Gesetzesberatungen in die aufgezeigte Richtung führen und uns nicht den internationalen Trends anschließen. Wir sollten bei solchen Vorhaben also ganz klar darauf schauen, was unseren kleinen Unternehmen nützt. Aber hier sieht es durchaus gut aus, da niemand eine Kostensteigerung und eine Zunahme von Bürokratie für die kleinen Unternehmen will. Ich danke Ihnen für den durchaus hoffnungmachenden Referentenentwurf. Die GmbH-Reform, die durchaus in diesen Kontext passt, spreche ich zum Schluss noch ganz kurz an. Der Kollege Jürgen Gehb, der sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt, hat hier einige wichtige Akzente für uns als Union gesetzt. Hier geht es zum einen natürlich darum, wettbewerbs- und europarechtsfähig zu bleiben. Zum anderen machen wir unser Gesellschaftsrecht fit für die Zukunft. Wir werden den hier ansässigen Unternehmen auch in Zukunft gute Gesellschaftsformen anbieten und vertreiben sie nicht aus dem Land. Die Haushaltsdebatte war eine gute Gelegenheit, neben allen Strafrechtsthemen, die wir hier behandelt haben und die immer viel interessanter als das Zivil- und Gesellschaftsrecht sind, diese Gesetzesvorhaben anzusprechen, mit denen wir mehr als nur ein Stück weit Wirtschaftspolitik machen. Wenn wir auf diesem Gebiet weiterhin so konstruktiv zusammenarbeiten, wird es auch in Zukunft zu guten Ergebnissen kommen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Wer stimmt für den Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 07 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wer stimmt für den Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 19 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. November 2007, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, unseren Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne, aber auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.