Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung eines Rahmenbeschlusses der Europäischen Union
zum Europäischen Haftbefehl beschlossen. Dieser Gesetzentwurf ist erforderlich geworden, weil das erste
Umsetzungsgesetz vom 23. August 2004, das unter der
Regierung Schröder beschlossen wurde, vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2005 für verfassungswidrig und insgesamt für nichtig erklärt worden
war. Grundlage dieser Entscheidung - Sie erinnern sich
wahrscheinlich daran - war die Verfassungsbeschwerde
des deutsch-syrischen Staatsangehörigen Darkazanli, der
wegen des Verdachts terroristischer Straftaten an Spanien ausgeliefert werden sollte. Er befand sich in Hamburg in Auslieferungshaft und wurde noch am Tag der
Entscheidung auf freien Fuß gesetzt.
Das Bundesverfassungsgericht hat für die Neuregelung des Gesetzes zum Europäischen Haftbefehl zwei
Dinge gefordert, wobei man über die Frage, mit welcher
Intensität das zu bewerten ist, geteilter Ansicht sein
kann. Darauf kommen wir vielleicht noch in der anschließenden Diskussion zu sprechen.
Wichtig war dem Gericht, dass die Bewilligungsentscheidung anfechtbar ist. Das war bisher nicht so. Es gab
immer eine Bewilligungsentscheidung, es gab immer ein
zweistufiges Verfahren, und die Bewilligungsentscheidung war rechtlich nicht anfechtbar. Etwas anderes war
bisher auch nicht gefordert, weder von der Rechtsprechung noch in der entsprechenden Literatur. Karlsruhe
hat insofern einen ganz neuen Weg aufgezeigt. Wir haben diesen Gedanken aufgegriffen; dazu komme ich
gleich.
Zweitens hat das Gericht gesagt: Es kann nicht sein,
dass das Oberlandesgericht relativ frei abwägt, ob ein
maßgeblicher Inlandsbezug oder ein maßgeblicher Auslandsbezug gegeben ist. Der Gesetzgeber muss dem Gericht nähere Anhaltspunkte geben. Es muss genauer definiert werden, was unter Inlandsbezug und was unter
Auslandsbezug zu verstehen ist. Außerdem müssen,
wenn ein deutscher Staatsangehöriger ausgeliefert werden soll, Tatort und Erfolgseintritt in wesentlichen Teilen
im Ausland liegen.
In diesen beiden Punkten haben wir das Gesetz sehr
gründlich überarbeitet. Im Übrigen bleibt es bei der
Konzeption des Gesetzes, das sich in der etwa einjährigen Praxisphase umfassend bewährt hat. Die Europäische Kommission, die jetzt eine erste Evaluierung dieser
Gesetze vorgenommen hat, hatte an der deutschen Umsetzung des Rahmenbeschlusses nichts zu beanstanden.
Beim letzten Gesetzgebungsverfahren gab es eine Debatte über die so genannte Ausländerklausel, die schlussendlich erst im Vermittlungsausschuss beendet wurde.
Diese Klausel haben wir jetzt ein wenig verändert. Sie
beschränkt sich nun auf den Schutz von Ehe, Familie
und eingetragenen Lebenspartnerschaften.
Das hat folgenden Hintergrund: Nach dem Gesetz
darf ein Deutscher nur dann zur Strafverfolgung - im
Gegensatz zur Strafvollstreckung - ausgeliefert werden,
wenn er nach seiner Verurteilung zur Verbüßung der
Freiheitsstrafe nach Deutschland zurücküberstellt wird.
Das heißt also, der Staat, der den Deutschen aburteilen
will, muss schon bei der Auslieferung zusagen, dass er
ihn nach der Verurteilung nach Deutschland zurücküberstellt. Zur Strafvollstreckung darf ein Deutscher überhaupt nur ausgeliefert werden, wenn er ausdrücklich zustimmt; ansonsten bleibt er hier.
Redetext
Jetzt ist in § 80 Abs. 4 des Gesetzentwurfs vorgesehen, dass diese Regelungen auch auf bestimmte Ausländer anzuwenden sind, nämlich auf solche Ausländer, die
hier mit einem deutschen Ehepartner verheiratet sind
und mit ihm in familiärer Gemeinschaft leben, und auf
solche, die mit einem Lebenspartner oder deutschen Familienangehörigen in familiärer Gemeinschaft leben.
Der Hintergrund ist klar: Wir wollen die Resozialisierung der Menschen, die eine dauerhafte Aufenthaltsberechtigung haben, garantieren. Bestehende Beziehungen
sollen nicht auseinander gerissen werden. Wir meinen,
dass es der Schutz durch Art. 6 Grundgesetz gebietet,
Ausländer mit besonders gefestigtem Aufenthaltsstatus
hier den Deutschen gleichzustellen.
Die im Vergleich zum ersten Gesetz vorgenommenen
Änderungen bestehen in Folgendem: Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Justiziabilität der Bewilligungsentscheidung haben wir in § 79 Abs. 2 des Gesetzentwurfs aufgenommen. Nunmehr ist vorgesehen, dass
die Bewilligungsbehörde - das ist in der Praxis die Generalstaatsanwaltschaft - vorab mitteilen muss, ob - und
wenn ja: warum - sie von möglichen Bewilligungshindernissen keinen Gebrauch macht, warum sie also nicht
dafür sorgt, dass die betreffende Person in Deutschland
bleibt; denn nur dann besteht ja ein Interesse an einer gerichtlichen Überprüfung. Diese Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft wird dann vom Oberlandesgericht
als eine Art Vorabbewilligung im Zuge der Zulässigkeitsentscheidung gleich mitgeprüft.
Wir meinen, dass wir dadurch eine möglichst schnelle
und reibungslose Bearbeitung garantieren können. Das
wesentliche Ziel des EU-Haftbefehls ist ja, im Interesse
der Betroffenen die Haftzeit zu verkürzen. Früher betrug
die Dauer des Auslieferungsverfahrens neun Monate,
heute sind es im Schnitt 43 Tage. Das kommt den Menschen, um die es hier geht, zugute.
Die zweite Forderung aus Karlsruhe, Deutsche nur
dann auszuliefern, wenn ihre Tat einen maßgeblichen
Auslandsbezug hat, setzen wir ebenfalls um. Wir definieren genauer den Unterschied zwischen maßgeblichem
Inlandsbezug und maßgeblichem Auslandsbezug und
gehen auf die so genannten Mischfälle ein, in denen weder der Inlands- noch der Auslandsbezug überwiegt. In
diesen Fällen muss eine Abwägung stattfinden, die jeweils das zuständige Gericht vorzunehmen hat. Dafür
geben wir dem Gericht in § 80 Abs. 2 Satz 3 ff. Kriterien
an die Hand. Die Entscheidung, ob es sich um einen
überwiegenden Inlandsbezug, einen überwiegenden
Auslandsbezug oder um einen Mischfall handelt und wie
im Zweifel damit umzugehen ist, trifft in jedem Fall das
zuständige Oberlandesgericht.
Um auf den Ausgangspunkt, die Verfassungsbeschwerde, zurückzukommen: Wir können nicht sagen,
wie sich der Fall Darkazanli in Zukunft entwickeln wird.
Die Entscheidung darüber liegt beim Hanseatischen
Oberlandesgericht.
Danke schön, Frau Ministerin. - Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den
soeben berichtet wurde.
Das Wort hat die Kollegin LeutheusserSchnarrenberger.
Frau Ministerin, ich habe zu dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf folgende Fragen:
Erstens. Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner
Entscheidung auf die Rücküberstellung eines Deutschen
nach seiner Verurteilung eingegangen und hat striktere
Vorgaben hinsichtlich der Anforderungen an die Zusage
gemacht, was dazu führt, dass eine bloße Zusage, wie sie
im bisher geltenden Gesetz enthalten ist, nicht mehr ausreicht. Bitte beantworten Sie mir die Frage, warum ich
dazu im vorliegenden Gesetzentwurf keine Änderung
finde.
Zweitens. Sie haben die Änderungen beim Bewilligungsbescheid angesprochen und gesagt, dass schon im
Rahmen der Vorabübermittlung geprüft wird, ob die
Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, und ob Voraussetzungen, die die Bewilligung behindern könnten,
vorliegen oder nicht. Sie haben gesagt, dass die Generalstaatsanwaltschaft, der zuständige Staatsanwalt und die
Generalbundesanwaltschaft dem zuständigen Gericht
schon vorab eine entsprechende Entscheidung hierzu
übermitteln. Ich frage Sie: Aus welchen Gründen kann
eine Bewilligungsentscheidung nicht auch noch nachträglich angefochten werden? Welche Überlegungen hat
das Justizministerium dazu angestellt?
Wenn ich noch kurz eine dritte, allgemeinere Frage
anschließen dürfte? - Sie wissen ja, dass ein Vorlageverfahren beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist, das
den Rahmenbeschluss betrifft und auch die Grundlage
nach dem EU-Vertrag zu diesem Rahmenbeschluss. Welche Überlegungen hat die Bundesregierung angestellt,
dass sie ihren Gesetzentwurf jetzt vorlegt und nicht wartet, bis der Europäische Gerichtshof zumindest deutlich
macht, in welche Richtung er im Vorlageverfahren entscheiden wird? Noch konkreter gefragt: Sind Sie der
Auffassung, dass dieses Vorlageverfahren vor dem
EuGH keinerlei Auswirkungen auf den Rahmenbeschluss haben dürfte?
Vielen Dank.
Um mit der letzten Frage anzufangen, Frau Abgeordnete: Deutschland hat mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl innerhalb der Europäischen Union für große Verwirrung
gesorgt. Die Kolleginnen und Kollegen aller europäischen Länder waren doch sehr aufgeregt, weil Deutschland am Europäischen Haftbefehl nicht mehr teilnehmen
konnte, der ansonsten nicht zu beanstanden ist, gut funktioniert und, wie ich eben ausgeführt habe, den Betroffenen helfen soll insofern, als die Abarbeitung von Verfahren, die ohnehin anstehen, schneller erfolgt, womit der
Eingriff in die Rechte des Betroffenen entsprechend geringer ist. Weil Deutschland sich nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts über das Europäische
Haftbefehlsgesetz nicht mehr am Auslieferungsverfahren hat beteiligen können, wollten wir so schnell wie
möglich wieder einen entsprechenden Gesetzentwurf
vorlegen, damit es Deutschland ermöglicht wird, wieder
an diesem Verfahren teilzunehmen. Wir wollten deshalb
nicht mögliche Entscheidungen abwarten, für die ein
Datum bisher auch gar nicht absehbar ist.
Wir gehen nicht davon aus, dass die ausstehende Entscheidung negativ ausfallen wird, aber das weiß man natürlich nie. Sollte die Entscheidung negativ ausfallen,
wird das auch Auswirkungen auf den Rahmenbeschluss
der Europäischen Union als solchen haben. Dann wird er
insgesamt zu ändern sein und es wird erneuter Diskussionen im Rat bedürfen. Ich denke, dass es legitim und
vertretbar ist, in Deutschland wieder ein Gesetz zu verabschieden und abzuwarten, wie der EuGH entscheidet.
Wenn die Entscheidung entsprechend ausfällt, muss der
Rat in seiner Gesamtheit beschließen, wie darauf zu reagieren ist.
Hinsichtlich der Bewilligungsentscheidung sage ich
Ihnen als Fachfrau nichts Neues, wenn ich sage, dass es
hier unterschiedliche Auffassungen gibt. Es gibt zum
Beispiel unterschiedliche Auffassungen darüber, ob man
nach dem zweistufigen Verfahren vorgehen soll oder
nicht. Wir haben uns dazu entschieden, es so zu machen,
weil wir meinen, dass es in bestimmten Einzelfällen erforderlich sein kann, dass die Generalstaatsanwaltschaft
bzw. bei der Rückübertragung die Länder oder der Bund
eine politische Entscheidung treffen, ob eine Überstellung richtig ist oder nicht, beispielsweise in solch seltenen Fällen, dass zwei Länder den Antrag auf Auslieferung einer bestimmten Person zur Strafverfolgung
stellen. Wie gesagt, wir haben uns für das zweistufige
Verfahren entschieden und die Frage des Rechtsmittels
folgendermaßen gelöst: Die Entscheidung soll vorher ergehen, damit das Oberlandesgericht sie mit überprüfen
kann. Wenn eine Veränderung erforderlich ist, kann das
Gericht auch wieder überprüfen. Die Justiziabilität ist
also gesichert.
Auf die Rücküberstellung, die Sie angesprochen haben, gehen wir in der Begründung des Gesetzentwurfs
ein. Wir rechnen dazu übrigens mit einem weiteren Rahmenbeschluss, in dem die Rechte der Beschuldigten in
ihrer Gesamtheit zusammengestellt werden. Dann werden wir das entsprechend nacharbeiten.
Herr Kollege Montag, bitte.
Frau Ministerin, ich habe zwei Fragen zu Ihrem Bericht. Die erste betrifft den Komplex der Pflichtverteidigung. Wir wissen, dass es im europäischen Rahmen eine
Vorarbeit für einen Rahmenbeschluss zur Regelung
grundlegender verfassungsmäßiger Rechte von Beschuldigten im Strafverfahren gibt. Im Rahmen dieser Vorarbeit hat Brüssel in den Entwurf aufgenommen, und
zwar, wie ich finde, mit guter Begründung, dass bei jeder
Auslieferung nach den Regeln des Europäischen Haftbefehls ein Anwalt bzw. ein Pflichtverteidiger zugegen
sein soll.
Bei den Beratungen, die wir im Unterausschuss Europarecht dazu geführt haben, haben die Vertreter aller
Fraktionen und auch der Bundesregierung die Auffassung vertreten, dass diese Regelung richtig ist. Ich frage
mich deswegen, weshalb im jetzt vorliegenden Entwurf
beim Vollzug des Europäischen Haftbefehls eine Pflichtverteidigung nur noch für besonders schwierige Fälle
vorgesehen ist und nicht mehr für alle Betroffenen; denn
zumindest ab dem Zeitpunkt, an dem sich die Betroffenen mit einer erleichterten Auslieferung nicht einverstanden erklären, sind alle Fälle - die Fachleute wissen
das - hochkompliziert, dann gibt es keine einfachen
Fälle mehr.
Meine zweite Frage. Im bisherigen Gesetz, das ein
Jahr gegolten und sich umfassend bewährt hat - Sie haben das ausgeführt -, war in § 80 vorgesehen, dass in
Deutschland lebende Ausländer in bestimmten Fällen an
der Privilegierung deutscher Staatsangehöriger teilhaben, und zwar dann, wenn sie in Deutschland geboren
oder aufgewachsen sind und hier ihr ganzes Leben verbracht haben oder wenn sie schon sehr lange Zeit hier leben. Dieser Passus ist vom Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich nicht gerügt worden. Das Verfassungsgericht hat zwar das Gesetz insgesamt aufgehoben, diesen
Passus aber nicht gerügt. Sie wollen das Gesetz in diesem Punkt nun ändern und die Möglichkeiten extrem
einengen, und zwar dahin gehend, dass die Privilegierung nur noch auf die Ausländer zutrifft, die mit Deutschen verheiratet oder verpartnert sind. Dies würde dann
auch für die Ausländer gelten, die erst seit kurzem
deutsch verheiratet oder verpartnert sind. Die faktischen
Inländer aber, die hier geboren sind, wären dann nicht
mehr geschützt. Was hat Sie veranlasst, das zu ändern?
Herr Abgeordneter, zunächst zu Ihrer Frage zur
Pflichtverteidigung. Es ist in der Tat so, dass wir nur in
ganz besonders schwierigen Fällen eine Pflichtverteidigung vorsehen. Aber in diesem Fall geht es doch um
Deutsche, die sich in Deutschland aufhalten und an das
EU-Ausland ausgeliefert werden sollen. In Deutschland
hat ohnehin jeder einen Anspruch auf einen Verteidiger.
Kann er diesen nicht bezahlen, so gibt es finanzielle
Hilfe vonseiten des Staates.
Im Rahmenbeschluss, den Sie angesprochen haben,
geht es um die EU-Ebene, also um die Fälle, wenn zum
Beispiel ein Deutscher in Frankreich vor Gericht gestellt
werden soll. Wir wollen sicherstellen, dass in diesem
Fall der Deutsche in Frankreich einen entsprechenden
Rechtsbeistand bekommt. Wir wollen, dass gewährleistet wird, dass EU-Staatsbürger, die in anderen Ländern
beschuldigt werden, dort Unterstützung bekommen.
Deswegen ist diese unterschiedliche Regelung, wie ich
meine, durchaus gerechtfertigt. Wie gesagt, jeder Deutsche kann sich hier nach den allgemeinen Regelungen
einen Verteidiger besorgen.
Nun zu Ihrer Frage, welche Ausländerinnen und Ausländer in den Geltungsbereich dieser Privilegierung fallen. Eine Bestimmung nach den ausländerrechtlichen
Vorschriften, auf wen das anzuwenden ist, ist ausgesprochen schwierig. Größere Verwaltungsprüfungen wären
wegen der unterschiedlichen Stufen erforderlich geworden. Wir sind davon ausgegangen, dass die wesentlichen
Gesichtspunkte aus Art. 6 Grundgesetz, die Zusammenführung von Ehe und Familie, ausreichend sind, um den
Großteil der Fälle abzudecken.
Die nächste Frage hat die Kollegin Petra Pau.
Frau Ministerin, ich habe eine Frage zu § 80 Abs. 1.
Dort ist geregelt, dass die Auslieferung eines Deutschen
zum Zwecke der Strafverfolgung nur zulässig ist,
… wenn gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen
Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten
wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes
- also in die Bundesrepublik zurückzuüberstellen.
Meine Frage ist, nach welchen Kriterien Sie dieses
„gesichert“ überprüft wissen wollen bzw. warum Sie
darauf verzichtet haben, das im Gesetz konkreter zu regeln.
Wie das im Einzelfall zu sichern ist, muss man sehen.
Ich gehe davon aus, dass es reicht, wenn der jeweilige
Staat, der um die Auslieferung ersucht, schriftlich mitteilt, dass die betreffende Person zurücküberstellt wird.
Wenn man später andere Erfahrungen sammelt, wird
man die Sicherung vielleicht noch anders darstellen
müssen. Das wird aber die Praxis zeigen.
Herr Kollege Kauder, bitte.
Frau Justizministerin, zugegebenermaßen ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehlsgesetz ein schlechter Leitfaden für einen neuen Gesetzentwurf geworden. So sieht es auch
Professor Schünemann in einer Publikation im „Strafverteidiger“ - Ausgabe Dezember 2005, Seite 681 -, in
der er kritisiert, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei ein markiges Ergebnis mit einer enttäuschenden Begründung.
Ich glaube, es ist deswegen umso wichtiger, die Kritik, die aus der Fachwelt kommt, zu filtern, durchzusehen und ernst zu nehmen. Es gibt einen ganzen Katalog
von Kritikpunkten des Bayerischen Staatsministeriums
der Justiz. Ich möchte einen herausgreifen; er betrifft die
Auslieferung zur Strafvollstreckung. Es ist schon angesprochen worden, dass Ausländer, die in Deutschland einen familiären Bezug haben, privilegiert werden sollen.
Dies hat nach zutreffender Begründung des Bayerischen
Staatsministeriums die Konsequenz, dass Ausländer, die
einen familiären Bezug haben, leichter nach Russland
ausgeliefert werden können, weil dort das europäische
Auslieferungsübereinkommen gilt, als in einen anderen
europäischen Staat. Hat man sich überlegt, wie man diesen Wertungswiderspruch lösen kann?
Bei der zweiten Frage geht es nicht um die Strafvollstreckung, sondern um die Strafverfolgung. Es gibt hier
eine umfangreiche Kritik der Bundesrechtsanwaltskammer, in der sie darauf hinweist, dass bezüglich der beiderseitigen Strafbarkeit Prüfkriterien nur bei den so
genannten Mischfällen nach § 80 Abs. 2 des Gesetzentwurfs gegeben sind, nicht aber bei den Fällen nach § 80
Abs. 1. Dabei wäre das genauso wichtig für den Schutz
der deutschen Staatsangehörigen. Warum führt man
nicht auch dort das Kriterium der beiderseitigen Strafbarkeit ein?
Wenn ich das wüsste, würde ich Ihnen die Frage beantworten, Herr Abgeordneter. Ich muss Ihnen das leider
schriftlich nachreichen, weil ich nicht weiß, wie die Erwägungen diesbezüglich waren.
({0})
- Ja.
Es gibt keine weiteren Fragestellerinnen und Fragesteller mehr. Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Herr Kollege Beck, bitte.
Da sich das Kabinett sicherlich auch mit der aktuellen
Lage beschäftigt hat, möchte ich zu Pressemeldungen
über den Sonderberichterstatter des Europarates, Dick
Marty, vom gestrigen Tage nachfragen, der sich über die
Bundesregierung und ihre Informationspolitik beschwert
hat.
Die Bundesregierung hatte auf unsere Anfrage, wie
die Zusammenarbeit mit den EU- und Europaratsinstitutionen bei der Aufklärung der Gefangenentransporte aussieht, geantwortet: Die Bundesregierung unterstützt diese Bemühungen politisch und wirkt bei Bedarf
aktiv an ihnen mit. - Nun sagt Herr Marty, dass Deutschland eine mangelhafte Kooperationsbereitschaft zeige.
Deutschland habe auf viele seiner Fragen nicht geantwortet und darauf hingewiesen, dass Informationen über
die Tätigkeit des BND nur dem zuständigen Kontrollausschuss des Bundestages gegeben werden könnten.
Ich frage die Bundesregierung, ob sie bereit ist, Herrn
Marty aufgrund der seit dieser Woche neuen Diskussionslage so umfassend zu informieren, wie sie das Parlament informieren will, zumal heute die Aussage des
Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion
Volker Beck ({0})
über die Agenturen läuft, dass vier Fünftel der Informationen, die im PKGr zu den aktuell diskutierten Themen
gegeben werden, öffentlich berichtet werden könnten.
Von daher verstehe ich nicht, warum man den Sonderermittler des Europarates vonseiten der Bundesregierung
offensichtlich so auflaufen lässt.
Ich möchte Sie bitten, uns mitzuteilen, was die Bundesregierung berichtet hat und aus welchen Gründen sie
so berichtet hat, wie sie berichtet hat.
Lieber Herr Kollege Beck, das Thema war heute nicht
Gegenstand der Kabinettsberatung. Mir ist die Stellungnahme bisher auch nur durch Presseberichte bekannt. Ich
bitte um Verständnis dafür, dass ich mich dazu nicht äußern kann. Ich kenne keine schriftliche Stellungnahme
von Herrn Marty. Diese müssen wir uns ansehen. Dann
können wir Ihre Frage beantworten.
Aber Sie wissen sicher, wie die Bundesregierung die
Fragen von Herrn Marty beantwortet hat. Vielleicht
könnten Sie das Hohe Haus darüber informieren, zu welchen Themenkomplexen die Bundesregierung geantwortet und zu welchen Themenkomplexen sie unter Hinweis
auf das PKGr die Antwort verweigert hat.
Herr Beck, ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass
ich weder die Anfrage im Detail referieren noch die Details über die Antwort nennen kann, die die Bundesregierung gegeben hat. Wir müssen prüfen, was wir beantworten können bzw. was in den dafür zuständigen
Gremien des Deutschen Bundestages beantwortet werden muss.
({0})
- Herr Beck, wir werden diese Frage natürlich schriftlich
beantworten. Ich weiß nicht, ob das noch heute klappt;
dafür bitte ich um Verständnis. Aber wir werden das
schnellstmöglich tun.
({1})
Wollen Sie eine Frage zu Themenbereichen der heutigen Kabinettssitzung stellen?
({0})
- Gut, Herr Kollege Maurer.
Frau Staatsministerin, nachdem Sie dem Kollegen
Beck eine schriftliche Beantwortung zugesagt haben,
möchte ich Sie Folgendes fragen: Wäre es möglich, darin auch die Beantwortung der Frage aufzunehmen, ob
es zutrifft, dass der Sonderermittler die Einsetzung eines
Untersuchungsausschusses durch den Deutschen Bundestag gefordert hat?
Ich sage es noch einmal, Herr Maurer: Da mir die
Stellungnahme des Sonderermittlers nicht bekannt ist,
kann ich zu diesem Zeitpunkt nur auf Zeitungsberichte
rekurrieren. Ich sichere Ihnen ungern etwas zu. Wir werden die Anfragen aber umfassend beantworten.
({0})
Ich beende nun die Themenbereiche der heutigen Kabinettssitzung.
Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Befragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/414 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Beantwortung der Fragen
übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Rolf
Schwanitz.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Welche Krankenkassenvorstände haben gegen die Veröffentlichung der Vorstandsvergütungen geklagt und welche
Kosten sind durch diese Klagen entstanden?
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, Ihre Frage möchte ich folgendermaßen beantworten: Bei den bundesunmittelbaren
Krankenkassen, die der Aufsicht des Bundesversicherungsamtes unterstehen, haben insgesamt 22 Krankenkassen gegen die Veröffentlichungspflicht geklagt. Jetzt
folgt eine längere Liste, die ich Ihnen nicht vorenthalten
möchte, auch wenn sie 22 Positionen umfasst. Es geht
um folgende Kassen: die BKK DELPHI, die Salus BKK,
die BKK VOR ORT - diese taucht nachher noch einmal
auf; sie hat an dieser Stelle als Rechtsnachfolgerin der
BKK Degussa gehandelt -, die Kaiser’s BKK, die BKK
Essanelle, die NOVITAS Vereinigte BKK, die Ford
BKK, die BKK DEMAG KRAUSS MAFFEI, die
LOGISTIK BKK, die BKK VOR ORT für sich selbst,
die BKK Heisterholz, die BKK Diakonie, die BKK
Gildemeister Seidensticker, die BKK Dr. Oetker, die
Bertelsmann BKK, die BKK Mannesmann, die Gemeinsame BKK, die ktp-BKK, die CITY-BKK, die BKK
Hoechst, die Techniker Krankenkasse und die FORTISNOVA BKK.
Welche Kosten den Kassen hierdurch entstanden sind
oder entstehen werden, kann erst nach Abschluss der
Gerichtsverfahren ermittelt werden. In 20 Verfahren hat
bisher noch keine mündliche Verhandlung in der ersten
Instanz stattgefunden. Zu Klageverfahren bei den der
Aufsicht der Länder unterstehenden Krankenkassen liegen keine konkreten Erkenntnisse vor.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
die Pflicht zur Veröffentlichung der Einkommen der
Krankenkassenvorstände ist im Zuge des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes - kurz: der Gesundheitsreform - eingeführt worden und sollte dazu dienen, eine
größere Transparenz herzustellen. Welchen Grund haben
die klagenden Kassenvorstände angegeben, ihre Einkommen nicht veröffentlichen zu wollen? Welche
Gründe sind zumindest Ihnen bekannt?
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ich habe keinen Einblick
in entsprechende Klageschriften genommen. Es ist - das
möchte ich ergänzend hinzufügen - bisher ein rechtskräftiges Urteil ergangen, in dem der Argumentation des
für die Aufsicht zuständigen Bundesversicherungsamtes
voll entsprochen worden ist. Meines Wissens geht es dabei - das war auch Grundlage der Beanstandungen durch
die Aufsichtsbehörden - um das Nichtbeachten des Veröffentlichungszeitpunktes. Gegebenenfalls spielen auch
unzureichende inhaltliche Regelungen und eine mögliche Nichtveröffentlichung eine Rolle. Welche Argumente von der Gegenseite angeführt worden sind, kann
nur nach Einsicht in die Klageschriften beantwortet werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie beziehen sich möglicherweise auf dasselbe Urteil,
das mir vorliegt, nämlich das Urteil des Sozialgerichts
Augsburg. Daraus geht hervor, dass die Klage abgewiesen wurde. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass
ihre Rechte als Körperschaft des öffentlichen Rechts
nicht unmittelbar betroffen sind, sondern dass die Kassen in diesem Zusammenhang die Interessen ihrer Vorstände wahrnehmen.
Ich hoffe, dass Sie mit mir übereinstimmen - danach
frage ich Sie -, dass, wenn die Kassenvorstände auf die
Wahrnehmung ihrer Persönlichkeitsrechte bestehen, die
dadurch entstehenden Kosten nicht von den Mitgliedern
der Krankenkassen, sondern von ihnen selbst übernommen werden sollten. Stimmen Sie mir in dieser Frage
zu?
Ich teile diese Auffassung, Frau Dr. Lötzsch, und
glaube, dass das auch Gegenstand der Prüfung durch das
Bundesversicherungsamt sein muss. Es wird in jedem
Fall zu klären sein, wie mit der Kostenübernahme zu
verfahren ist. Wir gehen davon aus, dass sie nicht durch
die Krankenkassen erfolgt.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Hans Josef Fell auf:
Handelt es sich bei den Aussagen des Bundesministers für
Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, für eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken um eine Privatmeinung des Ministers oder beabsichtigt die Bundesregierung,
ihre Arbeitsgrundlage zu verändern, die sie in der Antwort auf
meine Frage 44 in der Fragestunde am 18. Januar 2006
({0}) dahin gehend gegeben
hat, dass der § 1 Nr. 1 des Atomgesetzes, demzufolge die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet beendet wird, Grundlage der Arbeit der Bundesregierung sei sowie dass eine Verlagerung der Laufzeiten
nach dem geltenden Recht nicht möglich sei?
Lieber Herr Kollege Fell, Sie haben nach der Arbeitsgrundlage der Bundesregierung bezüglich möglicher
Anträge auf Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken gefragt. Ich beantworte Ihre Frage gerne:
Arbeitsgrundlage der Bundesregierung sind sowohl das
geltende Recht als auch der Koalitionsvertrag.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Das habe ich
auch so erwartet. Sie haben aber meiner Frage sicherlich
auch entnommen, dass es in der Bundesregierung Minister gibt, die eine andere Meinung vertreten. Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Glos hat in aller
Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken in seinem Sinne sei. Insofern lautet meine Frage, ob dies die Privatmeinung des
Ministers oder die Meinung der Bundesregierung ist.
Herr Kollege Fell, ich nehme es Ihnen nicht übel, dass
Sie den Koalitionsvertrag nicht ganz so gut kennen wie
die Koalitionsfraktionen. Deshalb zitiere ich gerne aus
dem Koalitionsvertrag:
Zwischen CDU, CSU und SPD bestehen hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung unterschiedliche Auffassungen. Deshalb kann
die am 14. Juni 2000 zwischen Bundesregierung
und Energieversorgungsunternehmen geschlossene
Vereinbarung und können die darin enthaltenen
Verfahren sowie die dazu in der Novelle des Atomgesetzes getroffene Reglung nicht geändert werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, auch das stellt mich nicht ganz
zufrieden, wie Sie sich vorstellen können; denn es handelt sich immerhin um die Aussage eines Bundesministers, die nicht im Sinne des Koalitionsvertrages ist. Wie
stellt sich die Bundesregierung dazu? Welche Bedeutung
hat eine solche Aussage?
Das Entscheidende ist, dass im Sinne des Koalitionsvertrages gehandelt wird.
Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich. Vielen
Dank für die Beantwortung der Fragen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister
Gernot Erler.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Paul Schäfer auf:
Ist die Bundesregierung der allgemeinen Aufforderung des
Generalsekretärs des Europarates, Terry Davis, nachgekommen, zumindest im deutschen Verantwortungsbereich der
KFOR-Truppen dafür Sorge zu tragen, dass der Ausschuss zur
Verhütung von Folter des Europarates ungehinderten Zugang
zu allen KFOR-Hafteinrichtungen erhält?
Herr Kollege Schäfer, in der Verantwortung des deutschen KFOR-Einsatzkontingents wird keine Hafteinrichtung betrieben. Ihre Frage nach dem Zugang des Ausschusses zur Verhütung von Folter des Europarats stellt
sich im Hinblick auf das deutsche KFOR-Kontingent insofern nicht.
Ihre erste Zusatzfrage, Herr Schäfer.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatsminister,
welche Erkenntnisse liegen denn der Bundesregierung
darüber vor, ob dem Beauftragten des Europarats freier
Zugang zu den KFOR-Hafteinrichtungen außerhalb des
deutschen Sektors, zum Beispiel zu Camp Bondsteel, gewährt wurde?
Herr Kollege Schäfer, ich habe Sie schon in der Fragestunde am 14. Dezember des letzten Jahres über die so
genannte Detention Directive unterrichtet, also die
Richtlinie zur Behandlung von Inhaftierten, die der
KFOR-Kommandeur am 12. Juli 2004 erlassen hat. Aus
dieser Detention Directive geht hervor, dass zunächst
einmal humanitäre Hilfsorganisationen, wie zum Beispiel der UNHCR oder das IKRK, also das Internationale Komitee vom Roten Kreuz regelmäßig Zugang zu
den Hafteinrichtungen von KFOR, das heißt auch zu
Camp Bondsteel, haben.
Herr Kollege Schäfer, Camp Bondsteel ist schon von
Vertretern des Europarates besucht worden. Es gibt Bemühungen, etwa den Zugang des Antifolterkomitees des
Europarates auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage
zu stellen. Voraussetzung dafür ist die Zustimmung der
KFOR-Staaten und der NATO. Die Bundesregierung ist
bemüht, die Zustimmung der NATO zu erreichen; denn
auch wir sind daran interessiert, dass dem für uns verständlichen Wunsch vonseiten des Europarates und des
Antifolterkomitees Rechnung getragen wird.
Herr Schäfer, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung das Ansinnen von Terry Davis, dem Generalsekretär des Europarates, innerhalb der NATO unterstützt, dort ungehinderten Zugang zu gewähren?
Ja. Terry Davis hat in einer Pressemitteilung am
10. Januar dieses Jahres noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Frage nach wie vor ungelöst ist, und sein
Interesse zum Ausdruck gebracht, dass der Zugang des
Europarates und des Antifolterkomitees auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage gestellt wird. Wir halten
das für ein berechtigtes Anliegen und unterstützen es,
wie gesagt, innerhalb der NATO; denn sie muss zustimmen. Davon hängt übrigens auch ab, ob die Vertreter des
Europarates und des Antifolterkomitees UNMIK-Einrichtungen - UNMIK hat viel mehr Haftanstalten im
Kosovo als KFOR - besuchen dürfen. Ich habe Ihnen
schon das letzte Mal berichtet, dass das vielleicht noch
wichtiger ist; denn in Camp Bondsteel ist seit Mitte 2004
- jedenfalls nach unseren Informationen - kein einziger
Häftling mehr.
Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich. Vielen
Dank für die Beantwortung der Fragen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen beantwortet Herr
Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Hans Josef Fell auf:
Welche Fälle im In- oder Ausland sind der Bundesregierung bekannt, in denen es Hinweise darauf gab, dass Terroristen über Anschläge auf Atomanlagen nachgedacht bzw. sogar
Anschläge geplant haben?
Bitte, Herr Altmaier.
Herr Kollege Fell, es gab seit dem 11. September
2001 Pressemeldungen, in denen über mögliche Anschläge von Terroristen auf kerntechnische Einrichtungen insbesondere im Ausland berichtet worden ist. Den
deutschen Sicherheitsbehörden liegen allerdings keine
gesicherten Erkenntnisse vor, dass über derartige Anschläge nachgedacht wurde oder dass sie geplant wurden. Derartige Erkenntnisse liegen uns weder für das Inland noch für das Ausland vor.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, vielen Dank. - Ich denke, dass es
doch sehr besorgniserregend ist, wenn die Presse über
solche terroristischen Anschlagsversuche berichtet. Es
wäre doch die Aufgabe der Bundesregierung, dieses Sicherheitsrisiko abzuschätzen und diesen Meldungen
nachzugehen. Es gab beispielsweise solche Anschlagsversuche auch in westlich orientierten Ländern, beispielsweise in Australien, wo ein Anschlag auf einen
Forschungsreaktor versucht wurde, den aber die dortigen
Geheimdienstbehörden rechtzeitig aufgedeckt haben. Insofern möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung
gewillt ist, diesen Pressemitteilungen nachzugehen, um
damit das nationale Sicherheitsrisiko abschätzen zu können.
Sie wissen, dass so etwas grundsätzlich nicht völlig
ausgeschlossen werden kann. Aber die Bundesregierung
stuft ein solches Ereignis aufgrund der ihr vorliegenden
Erkenntnisse derzeit nicht als wahrscheinlich ein. Ungeachtet dessen sind allerdings nach dem 11. September
2001 eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen ergriffen
worden, um das mögliche Risiko derartiger Anschläge
weiter zu minimieren. Es gab bereits vor dem 11. September 2001 im internationalen Maßstab vorbildliche Sicherheitsstandards in Deutschland. Wir haben diese
Standards seither weiter erhöht. Wir sind dabei, die getroffenen Maßnahmen schrittweise umzusetzen. Einige
der Maßnahmen sind bereits umgesetzt, andere befinden
sich in der Umsetzung. Insofern tut die Bundesregierung
das ihr Mögliche, um Anschläge zu verhindern.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir die Bemerkung,
dass es natürlich wichtig ist, dass man maximale Sicherheitsvorkehrungen trifft. Ich erlaube mir aber, zu hinterfragen, ob dies möglich ist, wenn die Bundesregierung
nicht einmal Kenntnis darüber hat, wie die Terroristen
solche Anlagen eventuell angreifen wollen; denn nur
daraus kann man Erkenntnisse gewinnen, wie man den
höchsten Sicherheitsstandard gestalten soll. Wäre es also
nicht doch notwendig, diese Erkenntnisse der Bundesregierung zugänglich zu machen?
Sie können davon ausgehen, Herr Abgeordneter, dass
sich die deutschen Nachrichtendienste um alle wichtigen
und notwendigen Erkenntnisse bemühen, die im Interesse unserer Sicherheit wichtig sind.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Beck.
Herr Kollege Altmaier, ich bin ein bisschen erstaunt
über die milden Töne zur Sicherheitslage aus Ihrem
Munde, da ich sonst aus Ihrer Richtung eher den Alarmismus vernehme. Ich bin blutiger Laie in Bezug auf die
Konstruktion von Atomkraftwerken. Deshalb würde ich
gerne von Ihnen wissen, was denn geschehen würde,
wenn ein Atomkraftwerk von einem entführten Flugzeug
angesteuert würde - ich erinnere an die vergleichbaren
Vorgänge vom 11. September -, und wie der Unfall aussehen würde, wenn tatsächlich ein mit Kerosin vollgetanktes Flugzeug auf ein Atomkraftwerk stürzen würde.
Herr Kollege Beck, die Bundesregierung bemüht
sich, alles zu tun, damit es nicht zu einem solchen Vorfall kommt. Sie wissen, dass wir diesbezüglich Maßnahmen ergriffen haben. Was die Flugsicherheit angeht, so
gibt es Kontrollen in den Flughäfen und Kontrollen während der Flüge. Wir haben allerdings auch eine Reihe
von Maßnahmen im baulichen Bereich ergriffen; hinzu
kommen Maßnahmen, die die Zugangskontrolle von
Kernkraftwerken betreffen. Ich kann diese Maßnahmen
im Einzelnen hier nicht schildern, weil sie naturgemäß
vertraulich sind. Im Übrigen verbietet es sich an dieser
Stelle darüber zu spekulieren, was geschähe, wenn ein
solches Ereignis einträte.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegen Deligöz.
Herr Staatssekretär, eine Sache ist mir nicht klar. Sie
haben zum einen gesagt, Ihnen lägen keine Informationen vor, die auf einen solchen Anschlag hinweisen würden, auf der anderen Seite sagen Sie aber, Sie als Bundesregierung hätten alle erdenklichen Maßnahmen
ergriffen, um solche Anschläge zu verhindern. Das ist
doch ein Widerspruch in sich. Was meinen Sie dazu?
Ich habe vorhin gesagt: Es liegen uns keine gesicherten Erkenntnisse vor, dass solche Anschläge geplant
sind. Das ist das, was die Nachrichtenlage hergibt. Das
ändert aber nichts daran, dass wir trotzdem über Eventualitäten nachdenken. Das wird auch in diesem Haus immer wieder gefordert.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Königshaus.
Herr Staatssekretär, Sie sagen, es lägen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Liegen denn ungesicherte Erkenntnisse vor?
Ich bin nicht imstande, über Spekulationen -
Herr Kollege Königshaus, bleiben Sie bitte stehen!
Ich glaube, wir sind uns einig, dass an dieser Stelle
angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas kein Raum
für Spekulationen ist.
„Keine gesicherten Erkenntnisse“ bedeutet, dass wir
keine belastbaren Hinweise dafür haben, dass derartige
Anschläge geplant sind. Die Meldungen in den Medien
sind Ihnen bekannt. Diese Meldungen waren von uns
aber nicht zu verifizieren.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär,
für die Beantwortung der Fragen. - Ich schließe damit
diesen Geschäftsbereich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf.
Die Frage 5 der Kollegin Ulrike Höfken wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die
Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Kasparick.
Ich rufe Frage 6 des Kollegen Jörg Rohde auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass
durch die Anwendung der Fahrpersonalverordnung bereits für
Fahrzeuge ab 2,8 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht - statt
wie nach europäischem Recht ab 3,5 Tonnen - für zahlreiche
Handwerksbetriebe - trotz Ausnahmeregel für Fahrten innerhalb einer 50-Kilometer-Grenze - hoher bürokratischer Aufwand durch die Pflicht der Aufzeichnung von Lenkzeiten, Arbeitszeiten, Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten
entsteht?
Herr Kollege Rohde, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Die analog den europäischen Vorschriften für die
Beförderung von Gütern mit Fahrzeugen über
3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht seit langem geltenden Regelungen - Sie wissen vielleicht, dass diese
Regelungen seit 1971 gelten - liegen im Interesse aller
Verkehrsteilnehmer. Für uns ist besonders wichtig, dass
wir die Straßenverkehrssicherheit in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen. Es gibt mittlerweile technische Möglichkeiten, um den von Ihnen zu Recht beklagten bürokratischen Aufwand deutlich zu reduzieren:
Man kann Kontrollgeräte einbauen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kommt für die Bundesregierung
eine dahin gehende Ausnahmeregelung in Betracht, dass
Handwerksbetriebe von der Aufzeichnungspflicht im
Rahmen der Fahrpersonalverordnung ausgenommen
werden, solange sie nicht primär und gewerbsmäßig Waren transportieren, sondern überwiegend eigene Baustellen mit Materialien versorgen?
Sie beziehen sich damit auf die Novellierungsbemühungen, die auf europäischer Ebene in Gang sind. Es
zeichnet sich ab, dass man auch mit den europäischen
Regelungen an der derzeitigen Begrenzung der Ausnahmen festhält. Das gilt insbesondere in Bezug auf die
50-Kilometer-Grenze, die Sie auch in Ihrer nächsten
Frage ansprechen - daran wird man festhalten -, und auf
die Bedingung, dass das Lenken des Fahrzeugs für den
Fahrer nicht die Haupttätigkeit darstellt. Insofern können
wir nicht davon ausgehen, dass es zu einer Erweiterung
der Zahl der Ausnahmetatbestände kommt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit,
analog zum europäischen Recht die Fahrpersonalverordnung so zu ändern, dass auch in Deutschland erst für
Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht
eine Pflicht zur Aufzeichnung von Lenkzeiten, Arbeitszeiten, Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten besteht?
Sie wissen, dass diese Regelung - sie weicht von der
europäischen ab - eine lange Geschichte hat. Ich habe
Sie schon vorhin darauf hingewiesen, dass es in
Deutschland seit 1971 so geregelt ist. Auch wenn es in
der Begründung nicht ausdrücklich erwähnt ist, war das
Ziel der gesetzlichen Regelung, dass im Hinblick auf
Fahrzeuge, die nicht schwerer als PKWs sind, in Anlehnung an damalige Abgrenzungsregeln in der Straßenverkehrs-Ordnung die Vorschriften über die Beschäftigungszeiten im Straßenverkehr nicht gelten. Das ist
sozusagen die Geschichte dieser Regelung. Es gibt im
Grunde keinen Anlass, daran etwas zu ändern.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Jörg Rohde auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass durch
eine Ausweitung der bisherigen 50-Kilometer-Grenze auf einen größeren Radius das Handwerk im Bereich der Bürokratie
entlastet werden kann, und, wenn nein, welche anderen Mittel
zur Deregulierung und zum Abbau der Bürokratie für Handwerksbetriebe schlägt die Bundesregierung im Bereich der
Pflicht der Aufzeichnung von Lenkzeiten, Arbeitszeiten,
Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten vor?
Herr Kollege Rohde, die Frage 7 bezieht sich ebenfalls auf den Aufwand, der mit Aufzeichnungspflichten
verbunden ist. Wie ich eben schon angesprochen habe,
haben wir mittlerweile gute technische Lösungen: elektronische Kontrollgeräte und Möglichkeiten zur elektronischen Aufzeichnung, die uns mittlerweile zur Verfügung stehen. Der Einbau solcher Geräte entlastet
natürlich erheblich.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Das Problem sehe ich zum Beispiel, wenn ein Handwerksbetrieb einen Auftrag annimmt, der Mitarbeiter
40 Kilometer fährt und ein solches Gerät nicht einschalten muss. Nach einem Telefonanruf nimmt er aber einen
Zusatzauftrag an, überschreitet daraufhin die 50-Kilometer-Grenze und muss dann rückwirkend etwas tun.
Für Handwerksbetriebe, die örtlich agieren, in das natürlich sehr schwer praktikabel. Wie sehen Sie das?
Ich vertraue sehr auf die Kreativität des Mittelstands,
wenn es darum geht, solche Regelungen anzuwenden.
Man muss das Gerät einfach rechtzeitig einschalten.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? - Das ist nicht der
Fall.
Dann rufe ich die Frage 8 des Kollegen Hellmut
Königshaus auf:
Ist aus der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs
beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ulrich Kasparick auf meine Frage 41 in der Fragestunde am
18. Januar 2006 ({0}) zu
schließen, dass in Deutschland „nicht planfestgestellte“ Bahnstrecken betrieben werden, und, wenn ja, weshalb wird dann
dort der Betrieb nicht untersagt?
Herr Königshaus, Sie beziehen sich in Ihrer Frage auf
meine Antwort aus der letzten Fragestunde und möchten
wissen, ob aus meiner Antwort zu schließen ist, dass in
Deutschland nicht planfestgestellte Bahnstrecken betrieben werden. Das können Sie aus meiner Antwort nicht
schließen, Herr Königshaus.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, in Ihrem Haus sind intelligente
Menschen tätig; Sie selbst haben studiert. Wenn Sie erklären, dass ein Lärmschutzprogramm aufgelegt wird,
das eine Trendwende bewirken soll, mir aber erläutern,
für eine bestimmte Strecke werde das deshalb nicht in
Betracht kommen, weil diese Strecke planfestgestellt ist,
dann ist entweder das gesamte Programm offenkundig
Unsinn oder aber es existieren nicht planfestgestellte
Strecken. Insofern ergibt sich diese Frage aus Ihrer Antwort.
Deshalb bitte ich Sie, jetzt konkret zu sagen: War Ihre
Antwort falsch, gibt es nicht planfestgestellte Strecken
oder ist das eben kein Kriterium?
Wir reden hier über die Anhalter Bahn.
({0})
Und ich antworte Ihnen auf Ihre Frage wie folgt: Ich verweise auf § 18 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes. Der
Antwort zu Ihrer Frage 41 der letzten Fragestunde ist zu
entnehmen, dass Planfeststellungsbeschlüsse für die Anhalter Bahn erlassen worden sind.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Die ist auch nötig. - Herr Staatssekretär, wofür gilt
denn das Lärmschutzprogramm, das in der Koalitionsvereinbarung so großartig angekündigt worden ist? Es
sind offenkundig alle Strecken planfestgestellt. Dann
bleibt kein Anwendungsbereich.
Das Ziel der Politik der Bundesregierung im Verkehrsbereich ist, die Lärmschutzbestimmungen und ihre
Anwendung im Interesse der Bürger zu verbessern. DesParl. Staatssekretär Ulrich Kasparick
wegen sind die Bestimmungen im Planfeststellungsverfahren auch so anzuwenden, dass ein höherer Lärmschutz erreicht wird. Sie wissen, dass dazu vor Ort
Emissionsmessungen vorgenommen werden. Was den
Fall der Anhalter Bahn betrifft, sind die Grenzwerte
nicht erreicht worden.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Hellmut
Königshaus auf:
Auf welche Bahnstrecken soll sich das von der Bundesregierung geplante Lärmsanierungsprogramm beziehen, wenn
„planfestgestellte“ Strecken wie die Anhalter Bahn ausscheiden?
Damit sind wir bei dem Thema: Emissionsgrenzwerte
für die Lärmsanierung. Im zweiten Regierungsentwurf
des Bundeshaushalts 2006 sind diese Emissionsgrenzwerte genannt. Die Voraussetzungen und der entsprechende Gesamtbedarf der Lärmsanierung an Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes hat das damalige
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen am 1. April 2005 den Abgeordneten des Hohen
Hauses übermittelt. Die entsprechenden Unterlagen stehen auch auf der Internetseite des Ministeriums zur Verfügung, und zwar unter dem Pfad: Verkehr/Schiene/
Lärmschutz.
Ausschlusskriterium für die Aufnahme in den Lärmsanierungsbedarf ist hierbei nicht das formale Kriterium
einer Planfeststellung für eine Strecke. Für die Anhalter
Bahn wurden im Rahmen der Planfeststellungsverfahren
durchgängig Schallschutzansprüche genau geprüft. Im
Ergebnis ist keine Überschreitung der Emissionsgrenzwerte der Lärmsanierung zu erwarten.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Wir alle, glaube ich, gehen davon aus, dass Fragen,
die wir an die Bundesregierung richten, unmittelbar beantwortet werden und wir die Antworten nicht im Internet nachlesen müssen; das könnten wir nämlich auch
ohne Frage.
Sie sagten eben, es habe Schallschutzmessungen an
der Anhalter Bahn gegeben. Ich darf Sie fragen: Wann
wurden diese Messungen durchgeführt und welche Ergebnisse gibt es?
Die Angaben können wir Ihnen gern schriftlich nachreichen.
Ich möchte Sie aber noch auf Folgendes aufmerksam
machen: Es geht nicht darum, Sie nachträglich über etwas zu informieren; diese Informationen liegen Ihnen
bereits vor, und zwar seit dem 1. April 2005.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich erlaube mir die Bemerkung,
dass der Strom im Fahrdraht vor drei Wochen eingeschaltet wurde. Insofern ist Ihr Hinweis auf Ergebnisse
von Lärmschutzmessungen etwas mutig. Ich bin auf die
Antwort gespannt.
Sie verweisen auf bereits bestehende Programme. Ich
hatte das in einer bestimmten Weise verstanden, so war
meine Frage aufgebaut; dazu bitte ich Sie jetzt auch um
eine konkrete Antwort. Es wird eine Trendwende angekündigt. Heißt das, dass in Zukunft mehr gemacht wird
als das, worauf Sie sich jetzt beziehen, was man im
Internet nachlesen kann, oder soll die Trendwende womöglich sogar bedeuten - denn nur dann macht es Sinn -,
dass weniger gemacht wird?
Unser Ziel ist es, den Lärmschutz zu verbessern.
Die Fragen Nummer 10 und 11 des Kollegen Peter
Hettlich werden schriftlich beantwortet.
Damit schließe ich auch diesen Geschäftsbereich.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Die Fragen 12 bis
14 beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Andreas Storm.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Krista Sager auf. Sie ist nicht da. Dann werden die Fragen 12 und 13 nach
der Geschäftsordnung behandelt.
Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Cornelia Hirsch
auf:
Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass die
Hochschulen, die dieses Mal bei der so genannten Exzellenzinitiative aufgrund ihrer schlechteren Ausgangslage nicht ausgewählt wurden, im Vergleich zu den Hochschulen, die über
die Initiative im nächsten Jahr gefördert werden, nicht noch
weiter zurückfallen und somit bei zukünftigen Auswahlverfahren noch geringere Chancen haben?
Frau Präsidentin, die Frage der Kollegin Hirsch beantworte ich wie folgt: Bund und Länder haben den
Wettbewerb ausdrücklich zur Förderung von international wettbewerbsfähiger Exzellenz in der Forschung vereinbart. Die Exzellenzinitiative ist deshalb kein Instrument der Breitenförderung. Ich bin mir aber dennoch
sicher, dass der Wettbewerb an allen teilnehmenden Universitäten und nicht nur bei denjenigen, die jetzt zur Antragstellung aufgefordert wurden, Innovationsschübe
auslösen wird. Entscheidend ist, dass das Verfahren fair,
transparent und streng nach wissenschaftsgeleiteten Kriterien durchgeführt wird. Außerdem haben auch diejenigen Hochschulen, die in dieser ersten Runde nicht
weitergekommen sind, eine erneute Chance. Sie können
sich in diesem Jahr auch für die zweite Förderrunde bewerben.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Würden Sie mir trotzdem zustimmen, dass es relativ
unstrittig sein dürfte, dass die Hochschulen, die jetzt
auch von der Presse und den Medien herausgestellt werden, als die Gewinnerhochschulen in Zukunft bessere
Möglichkeiten haben werden, qualifizierteres Lehrpersonal anzuziehen, weil es natürlich attraktiver ist, an einer Elitehochschule zu lehren und zu forschen, und dass
es langfristig bzw. sogar mittelfristig Schwierigkeiten
für andere Hochschulen geben wird, die nun zu den Verliererhochschulen gehören?
Frau Kollegin, da stimme ich Ihnen ausdrücklich
nicht zu. Ich würde Sie auch bitten, einen Begriff wie
„Verliererhochschulen“ nicht zu verwenden. Wir haben
bei diesem Wettbewerb drei Förderlinien mit insgesamt
86 Programmen, um die es in der Prüfung für die zweite
Stufe, die im Oktober dieses Jahres endgültig entschieden wird, geht. Derzeit beläuft sich die Zahl der Hochschulen in den drei Förderlinien auf etwa drei Dutzend;
es sind also wesentlich mehr als nur die zehn in der dritten Förderlinie. Hinzu kommt, dass es allen Hochschulen offen steht, sich in der zweiten Runde erneut zu beteiligen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass mit
dieser Exzellenzinitiative ein Innovationsschub in der
gesamten Hochschullandschaft ausgelöst worden ist.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Dann habe ich noch eine Frage aus der studentischen
Perspektive. Sie werden mir wahrscheinlich zustimmen,
dass es für Studienbewerberinnen und -bewerber auf jeden Fall attraktiver sein wird, sich an einer Elitehochschule zu bewerben, was folglich an diesen Hochschulen
zu einem Anstieg der Zahl der Bewerberinnen und Bewerber führen wird. Die Elitehochschulen werden dann
voraussichtlich mit verschärften Auswahlverfahren, vermutlich auch mit Gebührenregelungen versuchen, auf
diesen Anstieg zu reagieren. Meine Frage an Sie ist, inwieweit Sie hier soziale Diskriminierung befürchten.
Frau Kollegin Hirsch, ich darf auf meine Antwort auf
die vorherige Frage verweisen. Es greift zu kurz, wenn
dieser Wettbewerb auf die dritte Förderlinie reduziert
wird. Es sind insgesamt bereits etwa drei Dutzend Hochschulen in allen drei Förderlinien, sodass die Konzentration auf den Begriff „Elitehochschulen“ eine zu starke
Verengung darstellen würde. Von daher ist auch nicht
davon auszugehen, dass sich hier im Hinblick auf die
Auswahl der Studenten bei den Hochschulen bereits eine
Entwicklung abzeichnen würde. Im Übrigen geht es natürlich darum, Deutschland als Hochschulstandort insgesamt auch für ausländische Studenten zu stärken.
Wir kommen nun zu den Fragen 15 und 16, die von
Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Rachel
beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Patrick Meinhardt
auf:
Sind nach Kenntnis der Bundesregierung Änderungen bei
der Zuordnung von Forschungsschwerpunkten zum Forschungszentrum Karlsruhe geplant und, wenn ja, welche?
Herr Kollege Meinhardt, zu Ihrer Frage muss man sagen, dass sich das Forschungszentrum Karlsruhe seit
vielen Jahren in einem umfassenden Umstrukturierungsprozess befindet. Das frühere Kernforschungszentrum
Karlsruhe ist heute ein multidisziplinäres Forschungszentrum. Dieser Prozess entwickelt sich weiter. Das Forschungszentrum Karlsruhe plant, seine Forschungsaktivitäten stärker zu fokussieren, um in diesen Bereichen
international stärker sichtbar zu werden.
Dabei ist allerdings grundsätzlich zu beachten, dass
die Forschungsarbeiten des FZK im Rahmen der programmorientierten Förderung der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren erfolgen. Diese programmorientierte Förderung bedeutet, dass sich alle
15 HGF-Zentren im Wettbewerb um die finanziellen Zuwendungen von Bund und Ländern befinden.
Darüber hinaus weise ich darauf hin, dass die beiden
Gesellschafter des FZK, also der Bund und das Land Baden-Württemberg, im Sommer des vergangenen Jahres
eine so genannte Perspektivkommission eingesetzt haben, die den Auftrag hat, Empfehlungen für eine langfristige strategische Ausrichtung des Forschungszentrums Karlsruhe zu erarbeiten. Den Abschlussbericht
dieser Perspektivkommission gilt es nun erst einmal abzuwarten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben von Schwerpunktverlagerung und dem Perspektivpapier gesprochen. Nichtsdestotrotz lassen sich durchaus bestimmte
Tendenzen absehen. Da Sie sagen, es gebe innerhalb des
Strukturprozesses Überlegungen, bestimmte Forschungsschwerpunkte von einem Bereich in einen anderen zu
verlagern, gehe ich davon aus, dass dies alles nicht nur
im Rahmen des Perspektivpapiers beantwortet wird,
sondern dass bestimmte Tendenzen erstens absehbar und
zweitens von der Bundesregierung wahrscheinlich auch
positiv begleitet werden. Deswegen die Zusatzfrage:
Können Sie schon sagen, an welcher Stelle Sie ForPatrick Meinhardt
schungsschwerpunkte aus Karlsruhe wegverlagern würden?
Herr Kollege Meinhardt, der Sinn einer solchen Perspektivkommission besteht nicht darin, dass beispielsweise die Bundesregierung sagt: In diese Richtung geht
es. Der Sinn besteht vielmehr darin, dass eine hochrangig besetzte Expertenkommission unabhängig und aus
wissenschaftlicher Perspektive herausarbeitet, welche
Schwerpunkte sich auch für die Zukunft als richtig erweisen werden und wo Veränderungen vorgenommen
werden sollen.
Im Sinne dieses Grundverständnisses ist jetzt erst einmal abzuwarten, wie die Vorschläge genau aussehen
werden. Es wird dann Gelegenheit sein, dass sich das
Forschungszentrum Karlsruhe mit seinen Gremien, aber
auch der Senat der Helmholtz-Gemeinschaft und gegebenenfalls dann auch die beiden Sitzländer mit diesen
Vorschlägen auseinander setzen.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Kann ich also davon ausgehen, dass wir dann, wenn es
zu unterschiedlichen Positionierungen bei der Bildung
von Schwerpunkten oder bei Verlagerungen innerhalb der
Forschungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland kommen sollte, im entsprechenden Gremium des
Deutschen Bundestages nicht nur das offizielle Perspektivpapier zur Kenntnis bekommen, sondern auch die davon abweichenden Meinungsbildungen, um uns in einem
Diskussionsprozess selbst eine eigene Meinung bilden zu
können?
Der Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung hat auch in den vergangenen
Jahren an den forschungspolitischen Grundlagen und der
Arbeit in den Forschungszentren stetig Anteil genommen und pflegt einen intensiven Austausch. Ich weiß,
dass die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren morgen früh mit Abgeordneten zusammensitzt und informiert. Es gibt also genügend Anlässe
und Möglichkeiten, sich nicht nur zu informieren, sondern sich auch einzubringen.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Patrick Meinhardt
auf:
Wird die Bundesregierung sich im Rahmen ihrer Kompetenzen für eine Beibehaltung der derzeit für Karlsruhe aufgewendeten Forschungsmittel in mindestens gleicher Höhe auch
in den nächsten Jahren einsetzen?
Zu Ihrer Frage ist zunächst anzumerken, dass die
Bundesregierung zusammen mit den Ländern im Pakt
für Forschung und Innovation beschlossen hat, die Förderung der institutionell geförderten Forschungseinrichtungen bis zum Jahr 2010 jeweils um mindestens
3 Prozent anzuheben. Sie sehen: Es gibt eine Perspektive, die nicht Stillstand bzw. Status quo bedeutet, sondern wir haben uns politisch vorgenommen, einen Aufwuchs zu organisieren.
Im Jahr 2005 wurden für die Helmholtz-Gemeinschaft insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro aufgewandt.
Über die konkrete Höhe der Fördergelder für das Forschungszentrum Karlsruhe kann man heute noch keine
endgültige Auskunft geben; denn - wie ich bereits in
der Beantwortung der vorigen Frage deutlich gemacht
habe - die finanzielle Unterstützung des Forschungszentrums Karlsruhe hängt von seinem Abschneiden im
Wettbewerb mit den anderen Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft ab.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben von einer dreiprozentigen Erhöhung bei der institutionellen Förderung gesprochen. Heißt das, dass diese Marge unabhängig vom
projektorientierten Förderansatz gewährt wird? Ganz
konkret: Wird es für den Standort Karlsruhe 3 Prozent
mehr im Rahmen der institutionellen Förderung geben?
Ich glaube, wir dürfen nicht allein aus der Lokalperspektive blicken; hier geht es um den Gesamtansatz. Im
Rahmen des Paktes für Forschung und Innovation ist
vereinbart worden, bis zum Jahr 2010 eine jährliche Erhöhung um 3 Prozent zu erreichen. Diese bezieht sich
auf die in diesem Zusammenhang geförderten Forschungseinrichtungen. Die Vergabe der Forschungsmittel innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft erfolgt im
Wettbewerbsverfahren; insofern muss sich das Forschungszentrum Karlsruhe wie alle anderen auch dem
Wettbewerbsverfahren stellen und anschließend sehen,
was dabei herauskommt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie ist das Verhältnis zwischen
der institutionellen und der projektbezogenen Förderquote? Sie haben vorhin bewusst auf den Bereich der institutionellen Förderung abgehoben. Aus diesem Grunde
habe ich auch noch einmal nach den 3 Prozent gefragt.
In die sonstige Fördermasse fließen auch projektorientierte Mittel ein, deshalb stelle ich meine Frage noch einmal ganz konkret: Hat die institutionelle Förderung
einen Umfang von 3 Prozent, ja oder nein? Es ist richtig,
dass die Mittel der projektbezogenen Förderung in das
Gesamtbudget fließen und von daher keine endgültige
Aussage möglich ist.
Ich darf auf meine Antworten auf die vorigen Fragen
Bezug nehmen. Der Pakt für Forschung und Innovation
besagt eindeutig, dass die Förderung der institutionell
geförderten Forschungseinrichtungen um jährlich mindestens 3 Prozent steigen soll. Dies bezieht sich auf alle
Forschungszentren, also auch auf Karlsruhe. Allerdings
handelt es sich, wie ich bereits ausführte, um ein Wettbewerbsverfahren.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Vielen
Dank an die beiden Herren Staatssekretäre für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin
und des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen beantwortet Frau Staatsministerin Hildegard Müller.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Paul Schäfer
({0}) auf:
Ist die Meldung der „Leipziger Volkszeitung“ vom 18. Januar 2006, die sich auf „hochrangige deutsche Sicherheitskreise“ beruft, dahin gehend zutreffend, dass „Informationen
über Militär-Konvois, Stellungsausbau in Bagdad sowie Requirierungsmaßnahmen irakischer Kräfte“ an US-Stellen seitens des Bundesnachrichtendienstes während des Krieges
„übermittelt“ worden sind, wenn diese „auffällig“ waren?
Sehr geehrter Herr Schäfer, die Frage betrifft Tätigkeiten der Nachrichtendienste des Bundes. Dazu kann die
Bundesregierung nur den dafür zuständigen Gremien des
Deutschen Bundestages Auskunft erteilen. Ich möchte
aber darauf hinweisen, dass sich das Parlamentarische
Kontrollgremium bereits am 13. und 18. Januar 2006 mit
dem Vorgang befasst hat. Auf die jeweils im Anschluss
erfolgten Erklärungen des Gremiums möchte ich hiermit
verweisen. Das Parlamentarische Kontrollgremium wird
sich auch in dieser Woche nochmals mit der Angelegenheit befassen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, können Sie wenigstens die im
„Spiegel“ diese Woche zu lesende Nachricht dementieren, dass die beiden BND-Beamten in Bagdad militärisch verwendbare Informationen weitergegeben haben?
Herr Schäfer, ich bitte um Verständnis dafür, dass die
Bundesregierung keine Pressemitteilungen kommentiert.
Eine weitere Zusatzfrage.
Nun gut, dann spielen wir weiter „Feuerzangenbowle“ und stellen uns „janz dumm“.
({0})
Können Sie denn allgemein bestätigen, dass Informationen über militärische Konvois und Befestigungsanlagen
militärisch relevant und für eine mögliche Kriegszielplanung erheblich sein können?
Herr Kollege Schäfer, weder spiele ich hier „Feuerzangenbowle“ noch stellt sich die Bundesregierung
dumm. Ich weise nur darauf hin, dass die Fragen zu Tätigkeiten der Nachrichtendienste in dem dafür zuständigen Gremium des Deutschen Bundestages behandelt
werden, und das ist das Parlamentarische Kontrollgremium.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen
Gehrcke.
Frau Staatsministerin, der Herr Außenminister hat uns
heute im Auswärtigen Ausschuss darüber informiert,
dass die Bundesregierung bis Ende Februar einen zusammengefassten Bericht über alle in diesem Zusammenhang bestehenden Fragen vorlegen wird. Es war offen, ob dieser Bericht gegenüber dem Parlament oder
dem Parlamentarischen Kontrollgremium erstattet wird.
Wären Sie bereit, in einem solchen Bericht aufzulisten,
welche komplexen Unterstützungsmaßnahmen Ihre Vorgängerregierung im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Irak - von Überflugrechten bis zum Agieren im
Irak selber - geleistet hat?
Herr Kollege, ich muss darauf verweisen, dass auch
diese Frage nur in dem dafür zuständigen Gremium des
Deutschen Bundestages beantwortet werden kann.
({0})
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Hans-Joachim
Otto ({0}) werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen
beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Die Frage 20 der Kollegin Cornelia Hirsch wird gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 21 und 22 des Kollegen
Matthias Berninger. Da er nicht im Saal ist, wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Ich rufe daher die Frage 23 der Kollegin Grietje
Bettin auf:
Soll das Aktionsprogramm „Informationsgesellschaft
Deutschland 2006“ inklusive der darin vereinbarten Maßnahmen auch vor dem Hintergrund der nun im Rahmen der so genannten „i2010-Initiative“ der Europäischen Kommission
notwendigen Maßnahmen evaluiert werden und um welche
Maßnahme soll es gegebenenfalls ergänzt werden?
Zu Ihrer Frage, Frau Kollegin Bettin: Die Bundesregierung berät derzeit, in welcher Form zentrale Vorhaben ihrer IKT-Politik in einem einheitlichen neuen Programm gebündelt werden können. Sie wird sich in
diesem Zusammenhang im Sinne einer Bestandsaufnahme mit den Ergebnissen des Aktionsprogramms
„Informationsgesellschaft Deutschland 2006“, das Ihnen
bekannt ist und in dem Programme für verschiedene Ministerien enthalten sind, sowie mit den Inhalten und Anforderungen der „i2010-Initiative“ der EU, die jetzt
durch den Rat gegangen ist, auseinander setzen. Gleichzeitig wird die Hightechstrategie aus den Koalitionsvereinbarungen in die Überlegungen und damit in das neue
Papier mit einfließen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, meine Nachfrage bezieht sich
darauf, dass sich die meisten Maßnahmen zur Förderung
der Informationsgesellschaft vor allem auf die Technologie- und Forschungsförderung beziehen, aber Teilhabechancen und IT-Kompetenz häufig zu kurz kommen.
Deshalb die konkrete Nachfrage: Welche Maßnahmen
haben Sie hier vor Augen? Werden zum Beispiel konkrete Maßnahmen zur Förderung von Barrierefreiheit im
IT-Bereich auch von Ihrem Haus entsprechend begleitet?
Ist das in der Bundesregierung koordiniert?
Es findet eine Koordination zwischen den beiden
Ministerien statt und sie wird auch in Zukunft stattfinden, unabhängig von der neuen Aufteilung in diesen Bereichen. Wir werden die Förderung der Bereiche des Aktionsprogramms „Informationsgesellschaft Deutschland
2006“ fortführen, wenn die Bestandsaufnahme ergibt,
dass dies erfolgreich war. Genau wie in der Vergangenheit werden wir aber vor allem die kleinen und mittleren
Unternehmen sehr stark in den Zenit unserer Ausarbeitung stellen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Mich würde noch der Zeitplan interessieren. Es ist
eine Reihe von EU-Programmen aufgelegt worden, die
auch koordiniert werden müssen. Sie haben erklärt, dass
Sie das entsprechend abstimmen wollen. Noch einmal
meine Nachfrage: In welchem Zeitraum soll diese Abstimmung erfolgen und welches Haus soll die Federführung haben?
Da dies in einem sehr umfassenden Rahmen geschehen wird, hoffen wir, dass die Bestandsaufnahme bis
Sommer abgeschlossen ist. Sie wissen, dass die Zuständigkeit für den Bereich IKT beim Wirtschaftsministerium liegt.
Ich rufe die Frage 24 der Kollegin Grietje Bettin auf:
Setzt sich die Bundesregierung im Rahmen der Evaluation
des gesamten Gemeinschaftsrechts durch die EU-Kommission im Hinblick auf die Informationsgesellschaft und die Mediendienste für Änderungen des Gemeinschaftsrechts ein und
welche Änderungsvorschläge werden das sein?
Frau Kollegin, die Europäische Kommission hat angekündigt, bis 2007 das gesamte Gemeinschaftsrecht im
Hinblick auf die Informationsgesellschaft und die Medien zu analysieren und aufgrund dieser Analyse Änderungsvorschläge zu machen. Die Überlegungen der
Kommission zielen auf einen offenen, wettbewerbsfähigen Binnenmarkt im Bereich der Informationsgesellschaft und der Medien ab.
Wir begrüßen den inzwischen vorliegenden Vorschlag
der Kommission zur Revision der Fernsehrichtlinie, der
im Zeitalter der Konvergenz der Medien einen kohärenten europäischen Rechtsrahmen anstrebt, nach dem für
gleiche Arten von audiovisuellen Diensten zukünftig die
gleichen Grundregeln gelten sollen. Zur Evaluierung des
Rahmens des Gemeinschaftsrechts besteht derzeit noch
kein Anlass.
Zur Fortentwicklung der E-Commerce-Richtlinie ist
die Europäische Kommission über die Einrichtung einer
Expertengruppe in einen Konsultationsprozess mit den
Mitgliedstaaten eingetreten, in deren Rahmen sie alle
Fragen behandeln will. Die Expertengruppe hat ihre Arbeit, deren Ergebnisse voraussichtlich bis Ende 2007 in
einen Evaluierungsbericht der Kommission fließen sollen, gerade erst aufgenommen. Deswegen kann man leider noch nichts Weiteres dazu sagen.
Ihre Zusatzfragen.
Ich habe eine kurze Nachfrage: Wie wollen Sie die
Aktivitäten, die im Rahmen des WSIS-Folgeprozesses
stattfinden sollen, mit den Maßnahmen „i2010“ verknüpfen?
Sie wissen, dass „i2010“ auf drei Säulen basiert. Im
Rahmen dieser Initiative werden Empfehlungen an die
einzelnen Länder gemacht. Wir werden versuchen, diese
Empfehlungen bei unseren nationalen Programmen - natürlich mit dem Ziel, die Lissabonstrategie zu erreichen - mit Leben zu füllen.
Ich habe noch eine kurze Nachfrage: Sie haben jetzt
keine Antwort darauf gegeben, wie das mit den Aktivitäten, die als Folge aus dem WSIS-Prozess entstehen,
koordiniert werden soll.
Wissen Sie, wir sind gerade dabei, eine Bestandsaufnahme zu machen. Bevor man Schlussfolgerungen zieht
und sagt, wie man weiter vorgehen will, muss man eine
Bestandsaufnahme haben. Deswegen bitte ich um ein
bisschen Geduld, bis wir die Analyse abgeschlossen haben.
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Priska Hinz auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die
Forschung im Bereich der Sicherheit, Zuverlässigkeit und Interoperabilität von Informations- und Kommunikationstechnologien, IKT, voranzubringen, und sind spezielle Förderungen von Forschung in kleinen und mittleren Unternehmen,
KMU, vorgesehen?
Frau Kollegin Hinz, Frau Bundesministerin Schavan
hat in ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag am
1. Dezember 2005 anlässlich der Regierungserklärung
zur Bildung und Forschung angekündigt, sich auf nationaler Ebene auch auf die Sicherheitsforschung konzentrieren zu wollen. Die nationale Förderinitiative steht in
engem Zusammenhang mit den Plänen der Europäischen
Kommission, unter dem Dach des 7. Forschungsrahmenprogramms ein eigenes EU-Sicherheitsforschungsprogramm für die Jahre 2007 bis 2013 aufzulegen. Hierbei
werden dann die verschiedenen anderen Facetten der Sicherheit und daneben auch die Aspekte der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Interoperabilität von IuKSystemstrukturen beleuchtet. Ein entsprechendes Konzept für ein nationales Sicherheitsforschungsprogramm
wird derzeit vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung gemeinsam mit den anderen Bundesressorts
erstellt.
Forschungsarbeiten zu innovativen Lösungen im Bereich der Zuverlässigkeit und Interoperabilität von IKT
werden darüber hinaus vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der fachlichen Prioritätenfindung mit Forschung und Industrie für ein geplantes
neues IT-Programm diskutiert. Darauf habe ich vorhin
schon hingewiesen. Dies knüpft an das Forschungsprogramm „IT-Forschung 2006“ an, in dessen Rahmen bereits Aktivitäten gestartet worden sind, die fortgeführt
werden - auch das habe ich vorhin schon ausgeführt und durch weitere Maßnahmen ergänzt werden sollen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, inwieweit ist eine spezielle Förderung von Forschung in kleinen und mittleren Unternehmen vorgesehen?
Wir haben die kleinen und mittleren Betriebe schon in
der Vergangenheit in vielen Bereichen sehr stark gefördert. Sie kennen zum Beispiel den Deutschen Internetpreis. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Kompetenzzentren für die verschiedenen Bereiche, auch das Handwerk.
Diese Initiativen haben wir für den Mittelstand im ITBereich gestartet, was sich sehr bewährt hat. Obwohl das
Programm noch nicht angelaufen ist, glaube ich sagen zu
dürfen, dass erfolgreiche Programme sicherlich weitergeführt werden. Ich gehe zwar davon aus, dass auch
neue Programme aufgelegt werden, aber das ist noch
nicht definitiv beschlossen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Wer wird bei der Erstellung und Entwicklung dieser
Programme die Federführung haben: das Bundesforschungsministerium oder das Bundeswirtschaftsministerium?
Für das Aktionsprogramm „Informationsgesellschaft
Deutschland 2006“ hatte das Wirtschaftsministerium die
Federführung; das wird auch in Zukunft so sein.
Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Priska Hinz auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um, wie
in der so genannten „i2010-Initiative“ der Europäischen Kommission angestrebt, eine Informationsgesellschaft zu schaffen,
die alle Menschen einbezieht, hochwertige öffentliche Dienste
bietet und zur Anhebung der Lebensqualität beiträgt, und welche Maßnahmen sind speziell für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich vorgesehen?
Die Bundesregierung berät derzeit, in welcher Form
zentrale Vorhaben ihrer IKT-Politik in einem einheitlichen neuen Programm gebündelt werden können; darauf
habe ich bereits hingewiesen. Wichtige Säulen bilden die
in Ihrer Frage angesprochenen Themen Innovation und
digitale Integration.
Ihre Zusatzfragen.
Mir ist, ehrlich gesagt, noch nicht ganz klar geworden, welche speziellen Maßnahmen zur Förderung der
Bereiche Wissenschaft und Bildung vorgesehen sind, um
in einer künftigen Wissens- und Informationsgesellschaft tatsächlich die gleichberechtigte Teilhabe unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen sicherzustellen.
Hinsichtlich des Teils Ihrer Frage, der den Bildungsbereich betrifft, bitte ich, auf meine Kolleginnen und
Kollegen aus dem Forschungsministerium verweisen zu
dürfen. Für das neue Programm im IKT-Bereich ist hingegen das Wirtschaftsministerium zuständig.
({0})
- Ich kann Ihnen nur anbieten, dass Ihre konkreten Fragen zum Wissens- bzw. Bildungsbereich schriftlich beantwortet werden.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ich habe noch folgende Zusatzfrage - vielleicht können Sie mir ja diese Frage beantworten, Frau Staatssekretärin -: Welche Strategien entwerfen Sie und welche
Maßnahmen führen Sie durch, um die Barrierefreiheit
des E-Government in Deutschland voranzutreiben?
Damit knüpfen Sie an eine Frage an, die bereits gestellt wurde. Ich kann Ihnen wiederum nur antworten,
dass wir uns momentan mit der Analyse beschäftigen
und darüber nachdenken, wie die Barrierefreiheit zukünftig gestaltet werden soll. Ich bitte Sie, sich noch zu
gedulden, bis wir unsere Vorschläge auf den Tisch legen.
Die Frage 27 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Gleichzeitig sind wir auch am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.30 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Vorschlag des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, bei einer entsprechenden Entwicklung der Steuereinnahmen 2006 auf eine
Erhöhung der Mehrwertsteuer zu verzichten
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für
den Antragsteller das Wort der Kollege Roland Claus für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Meine Fraktion, die Fraktion Die Linke, hält
diese Aussprache im Deutschen Bundestag ausdrücklich
für erforderlich, aber nicht deshalb, weil wir hier nachzuprüfen hätten, ob der Ministerpräsident von SachsenAnhalt - den ich ganz herzlich begrüße - dies so oder so
gesagt hat, sondern weil die Bürgerinnen und Bürger
dieses Landes ein Recht darauf haben, zu erfahren, „was
hier abgeht“.
({0})
Dies gilt erst recht vor Wahlen.
Ich will erinnern: Am Sonntag wurde die Meldung
verbreitet, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
habe gesagt, dass bei erwarteten höheren Steuereinnahmen die für das nächste Jahr geplante Mehrwertsteuererhöhung zur Disposition gestellt werden kann.
({1})
Nun hat er das am Dienstag dementiert, aber zugleich
will er ausgemacht haben, dass eine Front gegen ihn aufgebaut werde. Nun will ich einmal daran erinnern, dass
es nicht nur meine Fraktion war, die hier Aufklärungsbedarf sah, sondern anscheinend hat auch sein eigener Finanzminister, Herr Paqué, diese Äußerungen als eine
Distanzierung von der beschlossenen Erhöhung der
Mehrwertsteuer verstanden. Die Mehrwertsteuererhöhung wiederum - das muss ich Ihnen von der Koalition
nicht erklären - ist eine der wenigen Kernaussagen, die
in Ihrem Koalitionsvertrag stehen.
({2})
Deshalb sollte die Bundesregierung hier klarstellen, ob
der Ministerpräsident Recht hat - dann kann man sich
diese Mehrwertsteuererhöhung sparen - oder ob er nicht
Recht hat - dann muss klargestellt werden, dass Unredlichkeiten auch in Wahlkämpfen nichts zu suchen haben.
({3})
Die sozialdemokratische Fraktion im Landtag von
Sachsen-Anhalt hat festgestellt, dass der Ministerpräsident einen Zickzackkurs fahre. Mir fehlte als Ergänzung
dazu nur noch: Das können wir Sozialdemokraten besser!
({4})
Um es klarzustellen: Es geht hier nicht um Pillepalle;
eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte
bedeutet im Durchschnitt jährliche Mehrkosten von etwa
270 Euro. Nun werden wir als Bundestagsabgeordnete
das überhaupt nicht merken. Aber für eine Verkäuferin
bedeutet diese 270 Euro im Portemonnaie nicht zu haben, dass der - obendrein schon geplante - Miniurlaub
nun auch noch gestrichen werden muss. Das ist die traurige Wahrheit!
({5})
Weil Herr Böhmer sich im Lande auskennt, weiß er das
natürlich und bringt es hier zur Sprache.
Nun wird meiner Partei, der Linkspartei, und der
Linksfraktion gerne Populismus vorgeworfen.
({6})
- Ich merke schon, da spreche ich Ihr Lieblingsthema
an. - Aber auch hier gilt: Populismus ist an sich nicht
schlecht, aber es geht dann darum, wenigstens einen
„Populismus mit beschränkter Haftung“ an den Tag zu
legen und nicht den Leuten vor der Wahl etwas anderes
zu versprechen, als hinterher eintritt.
({7})
Noch etwas, was wir derzeit erleben, geht nicht,
meine Damen und Herren von der Koalition: dass Frau
Bundeskanzlerin Angela Merkel hier die Maggie
Thatcher gibt und Franz Müntefering den Robin Hood,
der sich um das Soziale bemüht.
({8})
Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, heute nicht und
auch in Zukunft nicht.
Die Internet-Rothäute von der SPD kämpfen noch
heute gegen die geplante Mehrwertsteuererhöhung; ich
kann Ihnen das zeigen.
({9})
Die Plakate von Ihnen sind nach wie vor zu erreichen.
Da heißt es ausdrücklich:
2 % Merkelsteuer auf alles!
Und jetzt kommt’s:
Deutschland kann sich CDU/CSU nicht leisten.
Wenn Sie sich schon distanzieren, dann bringen Sie wenigstens Ihre aktuellen Veröffentlichungen in Ordnung.
({10})
Nun kommt das Kuriosum: In den Aussagen im
Wahlkampf zum Thema Mehrwertsteuererhöhung stand
die rote Null gegen die schwarze Zwei. Man könnte meinen, dass es möglich ist, hier zu einem Kompromiss zu
kommen. Herausgekommen ist aber eine Mehrwertsteuererhöhung von 3 Prozentpunkten. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe etwas Neues über Kompromisse gelernt.
({11})
- Wenn das Ihre höhere Mathematik ist, wie Sie dazwischenrufen, dann muss den Bürgerinnen und Bürgern in
diesem Land vor dieser Politik angst und bange werden.
({12})
So wenig SPD war nie zuvor - und Sie sind auch
noch stolz darauf. Aber bitte, das ist Ihr Problem. Wir sagen: Das, was Sie betreiben, ist nicht mehr nur Populismus, das ist Betrug an den Wählerinnen und Wählern.
Das sollte man Ihnen nicht durchgehen lassen.
({13})
Sie wissen doch wie wir: Eine solche Mehrwertsteuererhöhung ist Gift für den Sozialstaat. Aber wie wir inzwischen aus sehr vielen Veröffentlichungen wissen, ist
eine solche Mehrwertsteuererhöhung auch Gift für die
Wirtschaft, gerade für die kleinen und mittelständischen
Unternehmen, deren Unterstützung so notwendig ist,
und für Existenzgründer. Für sie geht dieser Schritt ausdrücklich in die falsche Richtung.
({14})
Deshalb muss immer auch über Alternativen gesprochen werden. Es gibt solche Alternativen. Im Steuerkonzept der Linkspartei.PDS werden die Mehreinnahmen
für den Staat mit 60 Milliarden Euro beziffert. Wir wollen für arbeitsintensive Dienstleistungen, das Handwerk
und den Tourismus einen Mehrwertsteuersatz von
7 Prozent. Wir wollen, um überhaupt wieder Spielraum
für kommunale Selbstverwaltung zu eröffnen, für die
Kommunen einen Anteil an der Mehrwertsteuer von
20 Prozent. Das sind die Dimensionen, in denen wir denken müssen.
Herr Claus, kommen Sie bitte zum Schluss.
Das will ich gerne tun, Herr Präsident. - Doch machen Sie bitte eines nicht: Erklären Sie uns heute nicht,
die Mehrwertsteuererhöhung sei alternativlos. Politik ist
Menschenwerk. Es geht deshalb immer auch anders. Das
ist natürlich auch bei der unsäglichen geplanten Mehrwertsteuererhöhung so.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Landes
Sachsen-Anhalt, Herr Professor Dr. Wolfgang Böhmer.
({0})
Dr. Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident ({1}):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Abgeordnete Herr Claus hat zum Glück für
mich deutlich gemacht, dass es nicht ursächlich um eine
- das gebe ich zu - verunglückte Äußerung von mir
geht, sondern um ein grundsätzliches Problem, für das er
einen Aufhänger gesucht hat. Sei es ihm gegönnt; mir
wird auf diese Weise wenigstens die Möglichkeit gegeben, mich dazu etwas ausführlicher zu erklären.
Aus dem Titel Ihrer Aktuellen Stunde geht hervor, ich
hätte Ihnen das Ganze eingebrockt. Das wäre aber irreführend, wenn Sie die Debatte auf der Grundlage einer
tendenziellen Exegese eines einzigen, von mir allerdings
autorisierten Satzes führen würden. Deshalb sollten Sie
die Zusammenhänge kennen. Ich möchte sie Ihnen kurz
darstellen:
Per Fax bin ich kurzfristig um eine schnelle schriftliche Beantwortung von einigen Fragen ersucht worden,
nämlich zur grundsätzlichen Berechtigung der Mehrwertsteuer, zu einer eventuellen Reduzierung der Sätze,
zu einer veränderten Verwendung der Einnahmen und zu
einer eventuellen Korrektur oder Verschiebung der Entscheidung bei steigenden Steuereinnahmen. Da ich diese
Form dem wichtigen Thema für völlig unangemessen
hielt, habe ich eine Stellungnahme abgelehnt und die
Anfrage mit einem einzigen Satz beantworten lassen.
Dieser wurde korrekt zitiert, wurde aber in einen Fließtext so eingebaut, dass man eine Ablehnung oder wenigstens eine Infragestellung hineininterpretieren kann.
Dies ist - das bekenne ich - meine Schuld; das darf ich
so deutlich sagen. Das darf aber nicht dazu führen, dass
die weitere Debatte darauf aufgebaut wird.
({2})
In aller Ruhe und Sachlichkeit sage ich ganz deutlich
- ich habe das auch schon an anderer Stelle deutlich gesagt, übrigens nicht erst gestern, sondern schon am
Sonntag im MDR-Fernsehen -: Ich hielt und halte die
schrittweise Umfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme unter Abkoppelung von den Tarifen und damit
den Lohnstückkosten für notwendig und für sachlich
richtig und geboten.
({3})
Ich halte es auch für richtig und notwendig, den sozialen Ausgleich wenigstens teilweise nicht innerhalb einer
Gruppe von Versicherten, sondern über das Steuersystem
innerhalb der gesamten Gesellschaft zu organisieren. Ich
sage dazu: Diese Diskussion fängt jetzt erst an.
({4})
Wir werden sie noch in mehreren anderen Zusammenhängen gemeinsam führen müssen. Die Diskussion über
die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung beginnt ja erst. Wir alle wissen, dass das Thema dort wieder behandelt wird.
Ich habe auch eine gewisse Freude daran, dass ausgerechnet die Linkspartei - in Klammern: PDS, wie auch
immer - dieses Thema aufgenommen hat. Verehrter Herr
Claus, nicht hier, aber an einer anderen Stelle würde ich
mit Ihnen gerne auch einmal über die Richtlinien der
Staatlichen Kommission zur Preisbildung aus früheren
Zeiten reden. Dort ist das, was Sie hier heute kritisieren,
nämlich genauso bedacht worden. Das ist aber ein anderes Thema.
({5})
Ich nehme für mich in Anspruch, dies schon vor mindestens drei Jahren öffentlich vertreten zu haben, als ich
dafür - auch daran kann ich mich noch erinnern - nicht
nur keine Unterstützung erhielt, sondern auch in den eigenen Reihen gelegentlich gescholten wurde. Ich halte
diese notwendige Entwicklung aber auch heute noch für
richtig. Wir werden diesen Weg gemeinsam gehen müssen und wir werden auch mit den Nebenwirkungen umgehen müssen. Denn eines ist auch richtig - das sage ich
jetzt in eine ganz besondere Richtung -: Natürlich hat
eine solche Reform auch Auswirkungen auf andere Bereiche und natürlich werden wir im Zusammenhang mit
einer grundsätzlichen Steuerreform aufgrund der notwendigen Entwicklungen auch diesen Umstand berücksichtigen müssen; aber die Entwicklung im 21. Jahrhundert wird uns dazu zwingen, den Wirtschaftsstandort
wettbewerbsfähig zu machen. Dies geht nur mit Reformen unserer Strukturen.
({6})
Eine völlig andere Frage ist, wie viele Prozentpunkte
wir wofür einsetzen müssen. Die jetzige Entscheidung
ist der Haushaltssituation geschuldet. Das geht uns in
Sachsen-Anhalt nicht anders als Ihnen im Bund. Mit der
Bitte, es nicht unbedingt gegen mich zu verwenden, sage
ich auch: Auch unser Finanzminister hat die erwarteten
Einnahmen schon in die mittelfristige Finanzplanung
eingestellt, weil es anders gar nicht geht.
({7})
Wenn aber durch eine bessere Einnahmesituation einmal
eine andere Verteilung möglich wird, dann darf es nicht
obsolet sein, auch über eine Senkung der Mehrwertsteuer nachzudenken. Nur, mit dem Gegenteil würden
wir uns dem Verdacht einer unredlichen Argumentation
aussetzen; denn jeder weiß, womit wir diese Diskussion
begonnen haben.
Da wir möglichst viele auf diesen sehr grundsätzlichen Weg mitnehmen möchten, kann ich mit einer öffentlichen Diskussion darüber gut leben, auch wenn sie
einleitend zu meinen Lasten gegangen ist; das muss man
aushalten können. Sie sollte aber nicht auf einer irrigen
Annahme beruhen, sondern auf Aussagen, die ich gerne
vor Ihnen machen wollte.
Deswegen danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn der Staat die Einnahmen erzielt, die er braucht,
dann kann er auf Steuererhöhungen verzichten. Das
sollte eine Binsenweisheit sein. Herr Ministerpräsident
Böhmer, Sie brauchen sich für Ihre Gedanken überhaupt
nicht zu entschuldigen.
Um es vorab klarzustellen: Der Finanzminister des
Landes Sachsen-Anhalt ist eindeutig gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Damit hat er auch Recht.
({0})
- Er ist nicht ein bisschen dagegen, sondern er ist entschieden dagegen.
({1})
Es ist interessant, welche Reaktionen die Äußerungen
des sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten hervorgerufen haben. Die schwarz-roten Steuererhöher kommen bei seinen Worten nämlich nicht ins Grübeln, wovon man ja ausgehen könnte, nein, sie sind sich völlig
einig: Die Mehrwertsteuer wird auf jeden Fall erhöht,
egal wie sich die Steuereinnahmen entwickeln. Sie halten an einer falschen Politik fest, obwohl Sie wissen,
dass Sie unserer Wirtschaft damit einen schweren Schaden zufügen. Sie wollten Deutschland dienen. Jetzt bedienen Sie sich bei den Deutschen.
({2})
Die Mehrwertsteuererhöhung ist ein gefährliches Mittel zur Sanierung der Staatsfinanzen. Die entsprechenden
Zahlen haben Sie - Sie brauchen sich gar nicht so lautstark zu Wort zu melden, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD - im Wahlkampf geliefert: 21,8 Millionen
Rentnerinnen und Rentner, 1,4 Millionen Pensionäre und
Versorgungsempfänger, 1,8 Millionen Beamte, 4,7 Millionen Arbeitslose, 2 Millionen Studenten und 3,8 Millionen Selbstständige - sie alle haben, so Ihre Analyse,
meine Damen und Herren von der SPD, faktisch weniger
Geld beim Einkaufen. Dank tatkräftiger Mitwirkung der
SPD werden es jetzt sogar gleich 3 Prozentpunkte weniger.
({3})
Sie sagen, Sie wollten etwas für den wirtschaftlichen
Aufschwung tun. Aber was Sie planen, ist das gewaltigste Wirtschaftsschrumpfungsprogramm, das eine Bundesregierung je aufgelegt hat.
({4})
Da fordert ein nüchtern denkender Ministerpräsident,
dass man diese Maßnahme überdenkt - ein Vorschlag,
der ganz dem gesunden Menschenverstand folgt. Doch
was hört man vonseiten der Großkoalitionäre? Einhellige Ablehnung! Das sagt nicht viel über Herrn Böhmer
aus, aber sehr viel über Schwarz-Rot.
({5})
Diese Regierung ist eine Regierung der Steuererhöhungen und keine Regierung des Wirtschaftswachstums
oder gar der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Sie legen
ein so genanntes Wachstumspaket auf und konterkarieren es gleich wieder, indem Sie die Steuern erhöhen.
({6})
Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte
ist für den wirtschaftlichen Aufschwung nichts anderes
als eine Vollbremsung. Das Ganze kostet Sie am Ende
mehr, als Sie damit kurzfristig einfahren. Die SPD selbst
hat es im Wahlkampf immer wieder betont: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer schadet der Konjunktur und
gefährdet Arbeitsplätze. - Wie wahr!
({7})
Das größte Risiko für den Bundeshaushalt ist nach
wie vor die extrem hohe Arbeitslosigkeit in unserem
Land. Genau dieses Problem verschärfen Sie durch höhere Steuern. Es wäre das beste Konjunkturprogramm,
den Bürgerinnen und Bürgern Freiräume zu verschaffen,
indem man ihnen endlich mehr Geld in den Taschen
lässt. Was hilft es denn, wenn Sie einerseits Handwerkerrechnungen steuerlich absetzbar machen, auf der anderen Seite aber gleichzeitig die Mehrwertsteuer um
3 Prozentpunkte erhöhen und damit die Schwarzarbeit
fördern?
({8})
Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, gehen einen Schritt vor und gleich zwei Schritte zurück. Hier wird ein bisschen entlastet und dort gleich
wieder richtig abkassiert. Wie von einer solchen Politik
Impulse für Wachstum und Beschäftigung ausgehen sollen, muss erst einmal jemand erklären. Ihre Politik ist in
sich widersprüchlich. Die Familienministerin und der
Wirtschaftsminister konzentrieren sich aufs Ausgeben
und der Finanzminister möchte gleich doppelt wieder
einsammeln. Vielleicht sollte man die gesamte Bundesregierung noch einmal so lange in Klausur schicken, bis
weißer Rauch aufsteigt und Sie dann am Ende verkünden können: Habemus conceptum.
Die SPD ist damals in puncto Mehrwertsteuererhöhung zu dem Fazit gekommen: Deutschland kann sich
die CDU/CSU nicht leisten. - Noch viel weniger kann
sich unser Land aber diese große Koalition leisten, die
den CDU/CSU-Plänen noch 1 Prozentpunkt hinzufügt.
({9})
An die Kolleginnen und Kollegen von der Linken
möchte ich noch ein Wort richten. Ich bin sehr gespannt,
wie Sie sich in Sachen Mehrwertsteuererhöhung in den
Ländern verhalten werden, in denen Sie Verantwortung
tragen.
({10})
Ich kann für unser Land nur hoffen, dass Sie sich
noch einmal in Klausur begeben, meine Damen und Herren von der großen Koalition, und diese Mehrwertsteuererhöhung an unserem Land vorüberzieht. Sie schadet
Deutschland.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Hinz von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Dr. Wissing, der Wahlkampf liegt ja schon einige
Zeit hinter uns. Ihr Kollege, Herr Westerwelle, erklärte,
als es im Wahlkampf darum ging, dass die FDP gegen
eine Mehrwertsteuererhöhung kämpft: Das eine ist der
Wahlkampf, das andere ist dann die Koalition. - So viel
zum Thema Glaubwürdigkeit und Doppelmoral der FDP.
({0})
In der Koalition mit der CDU/CSU hätten Sie diese
Kröte ebenfalls schlucken müssen, um Programme
durchzusetzen.
({1})
Sie haben also noch lange nicht verarbeitet, dass Sie in
der Opposition sind.
({2})
Nun zu Ihnen, Herr Claus. Sie haben hier bewiesen,
dass es Ihnen nur um reinen Populismus ging. Sie haben
nicht ein einziges neues Argument, nicht einen einzigen
Wirtschaftsplan oder andere Aspekte genannt, die tatsächlich dazu hätten führen können, dass wir die Anregungen des Herrn Ministerpräsidenten hätten unterstreichen können.
Nichts von dem ist geschehen. Sie haben nur die alten
Argumente aufgewärmt - mehr nicht.
({3})
Herr Claus, es ist schon bemerkenswert, dass Sie das
Thema eines Wahlkämpfers aufgreifen. Das ist unsolide
und unseriös.
({4})
Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist eine
der größten Herausforderungen, der wir uns gemeinsam
stellen sollten. Es geht dabei um die Finanzkraft des
Bundes, der Länder und der Kommunen.
({5})
Das hat im Übrigen auch Finanzminister Peer Steinbrück
- in Ihrer Anwesenheit - in der heutigen Sitzung des Finanzausschusses in beeindruckender Weise deutlich gemacht.
Ihre Argumente zum Thema Konsolidierung waren
sehr schwach, mein lieber Kollege.
({6})
Die Haushaltskonsolidierung sollte eigentlich eine Gemeinschaftsaufgabe des ganzen Hauses - nicht nur der
großen Koalition - sein.
({7})
Es geht dabei um einen Dreiklang von Steuervergünstigungsabbaugesetz, Prüfung der Ausgaben - auch das ist
eben sehr deutlich geworden - und Einnahmenwachstum
bzw. um die Frage, wie das Wachstum forciert werden
kann.
({8})
Die Mehrwertsteuer wird nicht willkürlich erhöht; sie
ist vielmehr ein Baustein, um die Maastrichtkriterien zu
erfüllen. Ich gestehe aber auch freimütig - Sie können
ruhig auf die Wahlplakate verweisen -, dass die Mehrwertsteuererhöhung sicherlich nicht das Ziel der SPD
war.
({9})
- Ihres doch auch nicht.
Auf die Frage, was Herr Westerwelle machen würde,
wenn Sie eine Koalition mit der CDU/CSU bildeten, hat
Ihr Kollege klar gesagt: Das ist ein anderes Thema.
Dann haben wir eine Koalition. - Prüfen Sie das einmal
nach!
({10})
Von den Argumenten brauchen wir nichts zurückzunehmen. Aber im Rahmen einer Koalition beschließt man
- das hätten auch Sie getan - ein gemeinsames Konzept
und setzt die Vertragspunkte gemeinsam um.
({11})
- Genau.
Im Gegensatz zu Ihnen haben wir ein Handlungsprogramm zur Sanierung des Haushalts vorgelegt. Insofern
sollten Sie sich nicht nur auf die Wahlplakate beziehen;
ich würde Ihnen raten, auch den Koalitionsvertrag
durchzulesen.
Sie sollten sich einmal in Erinnerung rufen - auch
Sie, Herr Ministerpräsident Böhmer, haben diese Frage
Petra Hinz ({12})
vorhin angesprochen -, wie die Mehreinnahmen aus der
Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte aufgeteilt
werden sollen. Insbesondere die Ministerpräsidenten haben laut und deutlich darauf hingewiesen, dass auch sie
daran partizipieren wollen.
({13})
1 Prozentpunkt steht für die Senkung der Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung. Was haben Sie dem entgegenzusetzen, liebe Kollegen von der Linken und der FDP?
({14})
Nur wenn wir handlungsfähig sind, können wir Investitionen fördern und tätigen, Familien fördern und Lasten sozial ausgewogen verteilen. In diesem Zusammenhang setzen wir folgende Schwerpunkte: Belebung der
Wirtschaft, Mittelstandsförderung, private Haushalte als
Arbeitgeber, Förderung von Familien sowie von Forschung und Entwicklung und Erhöhung der Verkehrsinvestitionen,
({15})
um nur einige Beispiele zu nennen.
Abschließend appelliere ich an das gesamte Haus,
dass die gesamtstaatliche Anstrengung von Bund, Ländern und Kommunen ausgeht, um die Maastrichtkriterien erfüllen zu können. Deshalb müssen wir auch bei
höheren Steuereinnahmen die Mehrwertsteuer erhöhen.
Vielen Dank.
({16})
Frau Kollegin Hinz, im Namen des ganzen Hauses
gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Schick
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute nicht zum ersten Mal über die Mehrwertsteuer. Wir haben es schon nach der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin im November 2005 mit fast
denselben Argumenten getan. Ich finde es trotzdem richtig, dass wir diese Debatte erneut führen, und zwar nicht
deshalb, damit wir noch einmal dieselben Wahlplakate
sehen, die wir seinerzeit im Original gesehen haben, und
auch nicht, damit sich die FDP wieder als Retter der
kleinen Leute aufpumpen kann.
({0})
Ich glaube, wir sollten uns auch an dieser Stelle an
den letzten Sommer erinnern, als Sie gesagt haben: An
uns wird die Mehrwertsteuererhöhung nicht scheitern.
Das war Ihre Ansage im letzten Sommer. Insofern sollte
man jetzt nicht so tun, als hätte es sie nie gegeben.
({1})
Ich möchte begründen, warum wir, Bündnis 90/
Die Grünen, die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer
um 3 Prozentpunkte - im Wesentlichen zur Haushaltssanierung - eindeutig ablehnen. Der erste Grund ist: Eine
solche Erhöhung ist ungerecht. Da die SPD im Sommer
des letzten Jahres dies ausführlich dargelegt hat, muss
ich nicht in die Einzelheiten gehen. Nur so viel: Sie ist
eine regressive Steuer. Sie belastet in besonderem Maße
Bezieher kleiner Einkommen, Haushalte mit einem
hohen Konsumanteil. Deswegen lehnen wir eine Mehrwertsteuererhöhung ab. Ich möchte in diesem Zusammenhang die neuesten Ergebnisse der Gerechtigkeitsdebatte der Union zur Kenntnis geben. Der Finanzminister
von Schleswig-Holstein fordert die Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bei Lebensmitteln. Davon wären gerade die kleinen Leute betroffen. Wenn das
die Art und Weise ist, wie in der Union über Gerechtigkeit debattiert wird, haben wir noch spannende Diskussionen vor uns.
({2})
Der zweite Grund für unsere Ablehnung ist: Die geplante Mehrwertsteuererhöhung in Kombination mit
dem vorgesehenen Konjunkturprogramm ist eine gefährliche Wette auf die zukünftige konjunkturelle Entwicklung; das ist eine riskante Strategie. Dadurch, dass Sie
sich nur sehr mühsam auf dieses Konjunkturprogramm
einigen konnten, haben Sie direkt Vertrauen verspielt.
An die Kollegen der Linkspartei richte ich die Frage:
Warum machen Sie sich nun den „Vorschlag“ von Ministerpräsident Böhmer zu Eigen? Sie argumentieren, die
geplante Mehrwertsteuererhöhung sei schädlich, weil sie
die positive konjunkturelle Entwicklung störe. Das heißt
aber, dass man dann, wenn die Konjunktur gut läuft und
die Steuerquellen sprudeln, eine Mehrwertsteuererhöhung vornehmen dürfte, nicht aber, wenn die konjunkturelle Entwicklung schlecht verläuft. Sie sollten sich die
Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage noch
einmal genauer anschauen.
Es ist richtig, dass wir uns mit der geplanten Mehrwertsteuererhöhung hier beschäftigen, aber aus einem
anderen Grund. Es wird noch interessante Verhandlungen mit den Bundesländern geben. Daher wäre es gut gewesen, hier über die geplante Mehrwertsteuererhöhung
mit verschiedenen Ministerpräsidenten zu diskutieren.
Wir müssen das Finanzausgleichsgesetz ändern, weil die
Verteilung der Einnahmen aus der Umsatzsteuer verändert werden muss, und zwar zulasten der Bundesländer.
Das wird noch eine lustige Debatte. Ich wünsche Ihnen
noch viel Freude damit.
({3})
Der dritte Grund, warum wir gegen eine Mehrwertsteuererhöhung sind, ist: Das wird ein großes Programm
zur Förderung des Umsatzsteuerbetrugs. Das ist das
Letzte, was wir in unserem Land brauchen.
({4})
Schon heutzutage ist die Rendite im Bereich des Mehrwertsteuerbetrugs gut. Die Einnahmeausfälle werden auf
17 Milliarden bis 20 Milliarden Euro geschätzt. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat einiges dagegen
getan. Ich erinnere an die Umsatzsteuernachschau und
die Pflicht zur monatlichen Vorausmeldung. Sie vertrauen nun auf das Reverse-Charge-Modell; das ist in
Ordnung. Wir unterstützen das. Aber das kommt möglicherweise viel zu spät; denn wir wissen nicht, ob wir dafür Unterstützung von der europäischen Ebene bekommen werden. Deswegen sollte man in der Zwischenzeit
etwas tun, das seit langem in Deutschland notwendig ist:
die Errichtung einer Bundessteuerverwaltung. Wir brauchen eine solche Verwaltung, um den Umsatzsteuerbetrug - dieser wird in massiver Weise zunehmen, wenn
Sie wie geplant die Mehrwertsteuer erhöhen - zu bekämpfen.
({5})
An dieser Stelle wäre es richtig, durchzuregieren. Sie haben doch in beiden Kammern große Mehrheiten. Sie
sollten besser Strukturreformen machen, als die einfachste Lösung zu wählen und den Mehrwertsteuersatz
anzuheben.
({6})
Bund und Länder sollten hier zusammenarbeiten.
Dann könnte etwas Sinnvolles herauskommen und man
könnte sich eine so starke Mehrwertsteuererhöhung sparen.
Danke schön.
({7})
Herr Kollege Dr. Schick, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Kampeter von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In Parlamentsdebatten sind noble Gesten, insbesondere im politischen Streit, selten geworden. Daher
will ich hervorheben, dass der selbstkritische Wortbeitrag des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, wonach eine seiner Formulierungen nicht so präzise gewesen sei, wie sie hätte sein können - wofür er die
Verantwortung trage -, eine ausgesprochen noble Geste
ist. Ich möchte mich dafür herzlich bedanken.
({0})
Das wird umso deutlicher, wenn man die Rede des
sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten mit der üblen
Wahlkampfrede der antragstellenden Fraktion vergleicht,
({1})
der es an Selbstkritik am eigenen Verhalten und an der
eigenen Vergangenheit mangelt. Diese Fraktion hat zum
Teil mehr Geld gefordert, die Mehrwertsteuererhöhung
aber im Wesentlichen kritisiert. Es ist unerträglich doppelzüngig und darf nicht durchgehen, dass sich Herr
Claus hier hinstellt und finanzielle Forderungen stellt,
gleichzeitig aber sagt, dass die Steuern nicht erhöht werden müssten. Er stellt also die Einnahmen für das, was er
ausgeben will, infrage. So kann man keinen Haushalt
führen. Das ist unanständig und unredlich.
({2})
Eine weitere Anmerkung: Es hat keine Rednerin und
kein Redner einen Vorschlag unterbreitet, wie man die
Senkung der Lohnzusatzkosten um 2 Prozentpunkte zum
1. Januar 2007 - das ist das Vorhaben der großen Koalition - solide und mit weniger Schwierigkeiten als mit
unserem Vorschlag der Mehrwertsteueranpassung finanzieren könnte.
({3})
Auch hier gilt: Man kann nicht die Senkung der Lohnzusatzkosten fordern, sich für eine Umfinanzierung aussprechen und sagen, man wolle auch die Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung senken, dann aber, wenn es
konkret wird, in einer wüsten Art und Weise gegen die
Mehrwertsteuererhöhung polemisieren, wie das manche
Redner hier getan haben. Das ist unseriös und unanständig.
({4})
Die Kollegin von der SPD hat schon auf eines hingewiesen: Es ist seltsam, dass gerade ein Vertreter des
Landes Rheinland-Pfalz, in dem Ihre Partei, lieber Herr
Wissing, Regierungsverantwortung trägt und dessen
Finanzminister die Einnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung genauso wie alle anderen Finanzminister in
seine Überlegungen einbezogen hat, hier in den Chor der
PDS einstimmt und sagt, an und für sich wolle man die
Mehrwertsteuererhöhung nicht haben. Will die FDP in
Rheinland-Pfalz denn wirklich dem Bund das Geld aus
einer möglichen Mehrwertsteuererhöhung zurückerstatten, damit wir es anderweitig verwenden, oder will die
FDP in Rheinland-Pfalz dieses Geld zur Sanierung der
rheinland-pfälzischen Finanzen in Anspruch nehmen?
Auch solche Wortbeiträge sind unanständig und unseriös.
({5})
Ich will mich jetzt auch nicht zu dem Vorschlag der
Abgeordneten Pieper äußern, die gesagt hat, man könne
im Westen die Mehrwertsteuer erhöhen und sie im Osten
aussetzen. Auch das dürfte kein Vorschlag sein, der den
Seriositätspreis im Finanzausschuss bekommt.
Lassen Sie mich eine Anmerkung zu Ihnen, Herr
Dr. Schick, machen. Im Rahmen Ihrer ersten Rede haben
Sie den Eindruck erweckt, als seien auch Sie gegen die
Mehrwertsteuererhöhung. Drehen Sie sich einmal um!
Da sitzt die langjährige Vorsitzende des Finanzausschusses, Frau Scheel. Sie hat dicke Papiere verfasst - ebenso
wie Frau Hajduk -, in denen sie genau den Vorschlag,
den wir jetzt in der Koalitionsvereinbarung umsetzen,
nämlich Senkung der Lohnzusatzkosten und Refinanzierung durch eine Anpassung der Mehrwertsteuer, gemacht hat.
({6})
Heute wollen die Grünen mit ihren früheren Vorschlägen
nichts mehr zu tun haben. Wer Verantwortung trägt,
muss verantwortungsvolle Vorschläge machen; wer
keine Verantwortung will, der kann Reden halten wie die
heutige Opposition. Und in die Opposition gehört diese
Fraktion offenbar auch hin.
({7})
Wir wollen und werden durch die langfristige Ankündigung einer kalkulierbaren Steuerpolitik und einer kalkulierbaren Abgabenpolitik verlässliche Rahmenbedingungen schaffen. Wir wollen den Wachstumsfaktor
Vertrauen wieder nutzen, damit sich die Menschen in
diesem Lande - die Zuversicht in diesem Lande ist gewachsen - mehr leisten können und damit sich die Wirtschaft positiv entwickelt.
Das Programm der großen Koalition ist ein Angebot,
die Chancen, die wir in diesem unserem Lande haben,
auch zu nutzen. Wir werden sie uns nicht miesmachen
und kaputtreden lassen von denjenigen, die sauer sind,
weil sie den Auftrag zur Übernahme von Verantwortung
in diesem Land nicht erhalten haben.
({8})
Das Wort hat der Kollege Ulrich Maurer von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Ministerpräsident, ich komme aus dem
fernen Süden der Republik. Gelegentlich habe ich von
Ihnen den Eindruck gehabt, dass Sie ein Mann sind, der
sich eine unabhängige Meinung leistet. Deswegen habe
ich gedacht: Donnerwetter, vielleicht bewegen Sie sich
doch noch. - Herr Ministerpräsident, jetzt bin ich doch
enttäuscht, dass Sie hier nichts anderes als einen öffentlichen Widerruf ablegen. Im 16. Jahrhundert war es üblich, zur „revocatio“ gezwungen zu werden. Sie haben
sich schon sehr präzise ausgedrückt - ich zitiere, was Sie
in der „Bild am Sonntag“ gesagt haben -:
Doch wenn sich die Steuerentwicklung im Laufe
des Jahres weiter verbessert, sollte man diese Frage
Ende des Jahres noch einmal neu stellen.
({0})
- Er hat es so gesagt. Jetzt hat er es widerrufen. Es geht
gar nicht um den Zusammenhang. Ich wiederhole: Er hat
es so gesagt. Was ist denn daran unvernünftig? Herr
Ministerpräsident, Sie haben sich bis heute in guter Gesellschaft befunden.
Es gibt keinen Wissenschaftler in Deutschland, weder
einen Volkswirtschaftler noch einen Betriebswirtschaftler, der Ihre Auffassung teilt.
({1})
Die Chefvolkswirte der Deutschen Bank schreiben - es
wird Sie verblüffen, dass ich das zitiere -, dass die Gefahr besteht, dass die Vereinigten Staaten und der Dollarraum im Jahr 2007 in eine rezessive Entwicklung geraten.
({2})
Schon heute ist die Situation so, dass der Wert des
Euro steigt. Die Vorstellung, dass wir im nächsten Jahr
weiterhin ausschließlich vom Export leben können, ist
irrig und hochgefährlich. Eine Strategie zu entwickeln,
die darauf hinausläuft, dass man ausgerechnet zu dem
Zeitpunkt, zu dem der Export mit großer Wahrscheinlichkeit zurückgehen wird, auch noch die Binnenkaufkraft in Deutschland ruiniert, ist politisch absurd.
({3})
Sie begründen das ausschließlich mit einer so genannten Haushaltsnotlage. Diese Notlage kennen wir alle. Ich
will Ihnen schon sagen: Ihre so genannte Handlungsunfähigkeit haben Sie in den zurückliegenden Jahren in
der größten aller Koalitionen, nämlich der zwischen
Bundesregierung und Bundesrat, herbeigeführt. Sie haben den Einkommensteuerspitzensatz massiv gesenkt.
Sie haben Entscheidungen getroffen, die dazu geführt
haben, dass von deutschen Großunternehmen über viele
Jahre hinweg überhaupt keine Körperschaftsteuer mehr
gezahlt wird. Sie haben damit die Staatsverschuldung
hochgetrieben. Sie haben die Steuerfreiheit für Veräußerungsgewinne beschlossen. Sie haben die Vermögensteuer faktisch abgeschafft. Sie haben auf die Anpassung
der Erbschaftsteuer verzichtet. Sie selber haben diese
Haushaltsnotlage herbeigeführt.
({4})
Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen waren
immerhin so ehrlich, dass sie sich im Wahlkampf wieder
für eine leichte Erhöhung des Spitzensteuersatzes ausgeUlrich Maurer
sprochen haben, in der Erkenntnis, dass man übertrieben
hatte. Aber Sie können doch nicht hergehen und durch
permanente Umverteilungsmaßnahmen zugunsten der
Unternehmen und zugunsten der Besserverdienenden
eine Haushaltsnotlage herbeiführen und anschließend
- wider jede konjunkturelle und wirtschaftspolitische
Vernunft - ankündigen: Wir holen uns jetzt das Geld, das
wir den einen vorher geschenkt haben, bei der Masse der
Konsumenten zurück. Das geht nicht.
({5})
Dies wird nicht die letzte Debatte hierüber sein. Wir
werden nicht aufhören, den Versuch zu unternehmen, Sie
von diesem falschen Weg abzubringen. In unserem Land
sind im letzten Jahr sogar die Bruttolöhne gesunken
- darin unterscheiden wir uns von anderen Ländern
Europas -; die Reallöhne sinken seit langem. Ausgerechnet in dieser Situation, wo die Hälfte der Bevölkerung buchstäblich nichts mehr ausgeben kann, nehmen
Sie eine solche Steuererhöhung vor. Das heißt, Sie schaffen eine einmalige Situation, indem Sie äußerst negative
soziale Wirkungen auch noch mit äußerst schädlichen
volkswirtschaftlichen Wirkungen verbinden. Deswegen
folgt Ihnen an der Stelle niemand. Nicht einmal die Neoliberalen in der Wissenschaft können das begrüßen, weil
sie ja noch einigermaßen in volkswirtschaftlichen Zusammenhängen denken. Alle anderen müssen das ablehnen. Bei Gesamtbetrachtung der Politik mit all den Steuerkürzungen und -geschenken, die Sie vorher gemacht
haben, und mit der jetzt geplanten Mehrwertsteuererhöhung ist das das größte Umverteilungsprogramm von unten nach oben, das in den letzten Jahren in einem europäischen Land gefahren worden ist.
({6})
- Lieber Kollege, wenn Sie die Zahlen nachlesen würden, dann wüssten Sie, dass das, was in den zurückliegenden Jahren an Steuergeschenken gemacht worden ist,
auch mit Ihrer Zustimmung, ein Vielfaches von dem beträgt, was Sie mit dieser Mehrwertsteuererhöhung glauben wieder hereinholen zu müssen, und zwar, wie gesagt, zulasten der Konjunktur.
Ich habe schon viel erlebt, aber was die Kollegin Hinz
ausgerechnet der FDP unter Berufung auf Westerwelle
mitgeteilt hat, nämlich in Deutschland sei es so, dass
man in Wahlkämpfen etwas anderes sagt, als man in einer Koalition dann anschließend macht, war, fand ich,
ein bemerkenswertes Geständnis.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Simone Violka von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin schon einige Jahre Mitglied des Finanzausschusses.
Wenn Landtagswahlen oder andere Wahlen anstehen,
haben wir erstaunlicherweise regelmäßig eine Debatte,
meist in der Aktuellen Stunde, weil irgendwo in diesem
Land jemand zum Thema Mehrwertsteuer gerülpst hat.
({0})
- Nein, das nehme ich bestimmt nicht zurück. Weil immer wieder irgendjemand, egal welcher Couleur, ob zuständig oder nicht, irgendetwas dazu gesagt hat, haben
wir uns sieben Jahre lang anhören müssen, vorrangig
von der FDP, dass wir vorhätten, die Mehrwertsteuer zu
erhöhen.
({1})
Sieben Jahre haben Sie erleben dürfen, dass das, was Sie
prophezeit haben,
({2})
was Sie in der Kristallkugel oder im Kaffeesatz oder wo
auch immer gesehen haben, einfach falsch war.
({3})
Ich hätte zumindest erwartet, dass Sie sich hierher
stellen und sagen: Wir haben es viele Jahre befürchtet;
Sie waren in Ihrer Aussage, dass Sie es nicht tun, immer
ehrlich; das sollten wir auch irgendwie berücksichtigen. - Sie haben es uns immer unterstellt und wir haben
es nicht gemacht.
({4})
Anders in diesem Fall hier: Jetzt haben wir eine Koalition, in der ein Teil das sogar auf seine Wahlplakate
geschrieben hat.
({5})
Jetzt soll das wieder falsch sein und genau das Gegenteil
richtig sein? Sie müssten Ihre Kristallkugel einmal polieren. So funktioniert das nicht.
({6})
Es gab eine eindeutige Aussage. Wenn von der linken
Partei das Thema Wählertäuschung vorgebracht oder die
Frage „Was will man denn nun?“ gestellt wird, braucht
man schlicht und ergreifend nur den Koalitionsvertrag
zu lesen. Darin steht eindeutig - das ist für jeden Bürger
zugänglich -: ab 2007. - Insofern weiß ich nicht, wie Sie
auf die Idee kommen, zu sagen, man wolle die Bürger
verwirren. Wer verwirrt, das ist die Linkspartei,
({7})
weil sie ständig mit irgendwelchen Aussagen und mit
Plakaten in den Wahlkampf zieht mit dem Motto:
„Hände weg von Omas Rente!“ Ich wusste zum Beispiel
noch gar nicht, dass das Thema Rente ein Landtagsthema ist. Dennoch verkaufen Sie es den Leuten bei
Wahlkämpfen regelmäßig. Das verwirrt die Bürgerinnen
und Bürger, weil letztlich niemand mehr weiß, wer hier
überhaupt für was zuständig ist.
({8})
Sachsen-Anhalt hat einen Finanzminister, der von der
FDP ist.
({9})
Ich weiß nicht, wie so ein FDP-Finanzminister bei einem
strukturellen Defizit von 500 Millionen Euro jährlich erklären will, dass er das Geld nicht braucht.
({10})
Bedenken muss man dann noch, dass in Sachsen-Anhalt die Gelder aus dem Solidarpakt nur zu 15 Prozent
für Investitionen - dafür sind sie gedacht - ausgereicht
werden. Da sollte man sich auch einmal überlegen,
wieso man den Löwenanteil dieser Gelder für Investitionen zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet, ob
man dadurch nicht vielleicht Arbeitsplätze vernichtet.
Würde man das Geld vernünftig investieren, könnten damit Arbeitsplätze geschaffen werden. Vielleicht sollte
man in Sachsen-Anhalt an dieser Stelle wirklich einmal
überlegen, was man, auch vonseiten der FDP, da eigentlich macht.
({11})
Wenn man sich die angeblichen Konzepte der Fraktion links von mir ansieht, die immer wieder mit Hüten
kommt, die so alt sind, dass man sie nicht mehr trägt,
weil sie auch gar nicht mehr passen
({12})
- der rote Hut passt gut; das stimmt -, dann muss man
sich einmal überlegen, was in der Vergangenheit passiert
ist mit einem Staat, der durchaus seine Konzepte hatte
und diese auch umgesetzt hat, aber irgendwann gemerkt
hat, dass das Geld nicht reicht. Es gab kein Geld mehr
für Infrastrukturmaßnahmen; verschiedene Dinge wurden zurückgefahren. Um zu sehen, wohin das geführt
hat, brauchen wir uns doch nur anzuschauen, in welchem
Zustand die DDR 1989 war.
({13})
Wo war sie denn infrastrukturmäßig? Wo war sie in der
Baubranche? Wo gab es Defizite? Wo wurde mir von einem Arzt gesagt, die Salbe könne er mir geben, aber die
Elastikbinde müsse ich selber mitbringen, weil es die gerade nicht gebe? Ist das der Staat, den Sie wollen?
Wenn ich daran denke, dass dieser Staat - aus dem ja
auch in Ihren Reihen noch einige sitzen - nicht einmal
davor zurückgeschreckt ist, die eigenen Leute an den
Westen zu verkaufen, um Devisen zu bekommen, dann
überlege ich schon, ob ein solcher Staat eine wünschenswerte Alternative ist. Oder ist das alles schon vergessen?
Insofern fällt mir, wenn ich von Ihnen das Wort „Alternativen“ höre, nichts mehr ein, nur solche Geschichten;
aber so etwas möchte ich nicht noch einmal erleben.
({14})
Ich möchte von Ihnen ein vernünftiges Konzept sehen, das nicht darauf abzielt, wieder einen Staat einzumauern;
({15})
denn wir befinden uns nicht in einem Land, wo man
Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Ländern und Globalisierung einfach per Knopfdruck abschalten könnte.
Wenn Sie so etwas wollen, sagen Sie das. Ansonsten
stellen Sie Konzepte vor, die die Bedingungen, die wir in
Deutschland haben und die ich auch weiterhin befürworte, beinhalten. Tun Sie nicht so, als könnte man sich
einen Staat stricken!
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Kolbe von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Claus, Sie haben Ihren Debattenbeitrag mit der
Aussage eingeleitet, dass Ministerpräsident Böhmer hier
Landtagswahlkampf betreibe. Das ist nun wirklich blanker Unsinn; denn seine landespolitische Bilanz ist so gut,
dass er keinen steuerpopulistischen Wahlkampf braucht.
({0})
Das sage ich nicht, um ihm zu schmeicheln - er ist auch
schon gegangen -, sondern das sage ich, weil es die objektive Wahrheit ist. Sachsen-Anhalt ist nach vielen Jahren des rot-roten Magdeburger Modells endlich auf einem guten Wege.
({1})
Das Land wird wieder als Land wahrgenommen, das
seine Probleme selber anpackt.
({2})
Das Verliererimage aus rot-roten Tagen hat es abgestreift. Im „Focus“ hieß es, Sachsen-Anhalt sei ein Land
auf der Überholspur.
({3})
Ich darf dafür drei Beispiele nennen: Nach vielen Jahren ist Sachsen-Anhalt nicht mehr das Land mit der
höchsten Arbeitslosigkeit. Die neueste PISA-Studie bescheinigt Sachsen-Anhalt die größten Fortschritte. Außerdem hat Sachsen-Anhalt bemerkenswerte eigene
Sparanstrengungen unternommen.
({4})
Beispielsweise sind das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld bei Beamten fast vollständig abgeschafft.
All dies sage ich auch als Bundestagsabgeordneter
aus dem benachbarten Freistaat Sachsen, wo wir der
Meinung sind, dass wir es noch etwas besser machen.
Aber deshalb sind meine Komplimente auch besonders
glaubwürdig.
({5})
Also Kompliment, Ministerpräsident Böhmer, aus Berlin
und Sachsen für das, was Sie in den letzten vier Jahren
geleistet haben!
Nun zur Mehrwertsteuer. Wir sind uns alle einig: Die
Mehrwertsteuererhöhung ist sicherlich nicht das Königsprojekt dieser großen Koalition.
({6})
Sie ist vielmehr die bittere Medizin, deren Einnahme unvermeidlich ist, um wieder zu gesunden. Dazu bringen
wir den Mut auf. Alle Redner, auch Herr Wissing, haben
von der Mehrwertsteuererhöhung gesprochen. Wir müssen da aber bitte differenzieren. Zumindest 1 Prozentpunkt der Erhöhung der Mehrwertsteuer ist politisch so
gut wie unumstritten, nämlich der Prozentpunkt zur Senkung der Lohnzusatzkosten.
({7})
Das wird auch von der Wirtschaft so gesehen. Wir senken dadurch die Belastung durch die Lohnzusatzkosten,
stärken die Wirtschaft und schaffen damit für viele Menschen wieder die Möglichkeit, in Arbeit zu kommen.
Dieses 1 Prozent Mehrwertsteuererhöhung ist also, jedenfalls soweit ich das wahrnehme, unumstritten.
({8})
Das war übrigens - wenn ich das noch einflechten
darf - auch der Kern des Wahlprogramms der CDU vom
vergangenen Jahr: Mehrwertsteuererhöhung zur Senkung der Lohnzusatzkosten.
({9})
Das setzt diese Koalition jetzt teilweise um.
({10})
Darüber hinaus soll die Mehrwertsteuer zur Haushaltskonsolidierung um 2 Prozentpunkte erhöht werden.
Dies ist leider unverzichtbar; denn der Bund kann nicht
auf Dauer den Stabilitätspakt verletzen und die Verschuldungsgrenze in Art. 115 Grundgesetz überschreiten.
({11})
Wir haben im Bundeshaushalt eine Zinslast von mehr
als 40 Milliarden Euro. Diese würde ohne eine Konsolidierung weiter steigen; meine Herren von der FDP, das
wissen auch Sie.
({12})
Sie wissen auch, dass wir augenblicklich von den niedrigen Zinsen profitieren.
({13})
Eine Zinserhöhung um 1 Prozentpunkt würde die Zinslast des Bundes um 9 Milliarden Euro steigen lassen.
Dies könnte der Bundeshaushalt nicht verkraften.
Setzen Sie einmal die Zinslast von 40 Milliarden Euro
in Relation zu dem, was wir für andere wichtige Bereiche ausgeben: Wir geben im Bundeshaushalt für Forschung und Entwicklung 10 Milliarden Euro und für
Verkehrsinvestitionen 10 Milliarden Euro aus. Eine
Zinslast in Höhe von 40 Milliarden Euro ist zu hoch.
Das müssen wir anpacken,
({14})
auch wenn es bitter und schwer ist. Dazu hat diese große
Koalition den Mut.
Natürlich wissen auch wir, dass das unter Umständen
volkswirtschaftlich nicht unproblematisch ist. Auch der
Bundesfinanzminister hat heute Morgen im Finanzausschuss eingeräumt,
({15})
das sei volkswirtschaftlich kontraproduktiv.
Allerdings sind die Argumentationsketten der Mehrwertsteuererhöhungsgegner widersprüchlich. Die einen
sagen: Die Konjunktur belebt sich; die Wirtschaft
wächst; also dürfen wir das durch die Mehrwertsteuererhöhung nicht wieder zerstören. Die anderen sagen: Die
Wirtschaft ist schwach. Wenn wir jetzt noch die Mehrwertsteuer erhöhen, dann geben wir ihr den Todesstoß. Beide Argumentationsketten passen nicht zusammen.
Deshalb sind sie beide nicht überzeugend.
({16})
Wann soll denn der Bundesfinanzminister konsolidieren, wenn nicht in einer Aufschwungphase wie jetzt?
Natürlich wäre es besser, allein über Einsparungen zu
konsolidieren.
({17})
Aber - das möchte ich zum Schluss sagen - dann bitte
Vorschläge her! Ich habe in der heutigen Debatte keinen
ernst zu nehmenden Einsparvorschlag gehört,
({18})
durch den die Mehrwertsteuererhöhung verhindert werden kann.
({19})
Ein solcher Vorschlag wäre es wert, über ihn zu debattieren. Aber ein solcher wurde heute leider nicht gemacht.
({20})
Bleiben wir also bei der Koalitionsvereinbarung!
Deutschland braucht leider diese bittere Medizin.
Danke.
({21})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaas Hübner von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ministerpräsident Böhmer hat sich zwar leider
schon verabschiedet; trotzdem bin ich froh, dass er hier
noch einmal klargestellt hat, dass er seine Aussage, so
wie sie zitiert worden ist, nicht so gemeint hat. Es mag
an einer gewissen Nervosität seinerseits gelegen haben,
dass er sich so artikuliert hat.
({0})
Die Umfragen in Sachsen-Anhalt sehen ihn momentan
nur noch auf gleicher Augenhöhe mit unserem Spitzenkandidaten Jens Bullerjahn und der SPD. Ich kann
nur anraten: Wenn man einen Fragenkatalog als unangemessen betrachtet, dann ist es die angemessene Vorgehensweise, ihn gar nicht zu beantworten. Das hätte uns
viele Irritationen erspart.
Leider ist das alles in seinem Kabinett noch nicht
ganz angekommen. Sein Finanzminister Paqué - das ist
schon angesprochen worden - geriert sich als ein Gegner
der Mehrwertsteuererhöhung,
({1})
schämt sich aber überhaupt nicht, die Einnahmen aus der
Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte in
seine Finanzplanung mit einzustellen.
({2})
Wenn das eine glaubwürdige Politik sein soll, meine Damen und Herren von der FDP, dann weiß ich nicht, wohin das bei Ihnen noch führen soll.
({3})
Ich glaube ja, dass Herr Paqué dies aus einem guten
Grund tut. Er ist der Auffassung, dass man durch ein höheres Wirtschaftswachstum Mehreinnahmen generieren
könne. Was sagen die Zahlen dazu? Eine Mehrwertsteuererhöhung um 1 Prozentpunkt bringt round about
8 Milliarden Euro, die von uns geplanten 3 Prozentpunkte bringen gesamtwirtschaftlich 24 Milliarden Euro.
({4})
Ein Wirtschaftswachstum von 1 Prozentpunkt mehr
führt zu ungefähr 4,4 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Das heißt also, wenn man allein durch das
Wirtschaftswachstum eine solche Einnahme, wie sie sich
durch die Mehrwertsteuererhöhung ergeben würde,
kompensieren wollte, bräuchte man ein um 5,5 Prozent
höheres Wirtschaftswachstum, als wir es jetzt haben.
Das ist nun wirklich jenseits aller Realität, auch und gerade im Land Sachsen-Anhalt.
({5})
Ich möchte bei dieser Gelegenheit sagen, Frau Pieper:
Sie haben vor vier Jahren in Sachsen-Anhalt einen erfolgreichen Wahlkampf geführt. Sie haben gesagt:
„Höppner geht, die Arbeit kommt.“
({6})
Lassen Sie uns die Zahlen ansehen, Frau Pieper: Die
Arbeitslosenquote im Jahre 2005 in Sachsen-Anhalt ist
im Durchschnitt nach wie vor die höchste in ganz
Deutschland.
({7})
Die Zahl der Erwerbstätigen ist auf unter 1 Million gesunken; sie lag vorher deutlich darüber. Die Zahl der
Langzeitarbeitslosen ist während der Zeit der Beteiligung Ihrer Partei an der Regierung um rund 7 Prozent
gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit - die wohl
schwerste Geißel - ist ebenfalls gestiegen. Die Investitionsquote ist gesunken. Das alles passierte in einem Modellprojekt der FDP. Sie haben in Sachsen-Anhalt drei
Schlüsselministerien inne: das Finanz-, das Wirtschaftsund das Sozialministerium.
({8})
So sieht Ihre desaströse Bilanz aus. Daher ist es gut, dass
wir Ihrer Kabinettsbeteiligung am 26. März ein Ende bereiten werden.
({9})
Frau Pieper, Sie haben gerade ausgeführt, Sie hätten
die rote Laterne abgegeben. Ich habe jedoch über die
Jahresdurchschnittszahlen gesprochen. In den Monaten
November und Dezember war die rote Laterne in Bezug
auf die Arbeitslosenquote - sie ist fast schon ein Wanderpokal, der zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Sachsen-Anhalt herumgereicht wird - gerade
einmal nicht in Sachsen-Anhalt. Aber als alter Fußballfan sage ich Ihnen: Die letzten drei Plätze bleiben Abstiegsplätze; daher ist es unredlich, Ihre Bilanz als Erfolg
zu verkaufen. Ihre Bilanz in Sachsen-Anhalt befindet
sich nach wie vor auf einem Abstiegsplatz.
({10})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein Wort an die
Linke richten. Sie machen es sich sehr einfach, indem
Sie immer wieder sagen, dass nicht gekürzt werden darf,
sondern dass mehr Mittel ausgegeben werden müssen,
ohne auch nur den Ansatz zu unternehmen, dafür eine
seriöse Finanzierung vorzulegen.
({11})
Das ist alles andere als nachhaltige Politik.
({12})
Ihre Steuerkonzeptionen basieren auf der Grundlage einer zu positiven Steuerschätzung. Ihre Steuerkonzeptionen haben sich in der Vergangenheit als wirkungslos erwiesen und sind historisch widerlegt. Sie betreiben eine
hochgradig unseriöse Politik.
({13})
Sie wollen nicht anerkennen, dass wir die Konjunktur
trotz der geplanten Steuererhöhungen nicht bremsen
wollen. Würde man jedoch Ihre Politik umsetzen, hieße
das konsequenterweise, die Schulden weiter ansteigen
zu lassen. Das wäre eine Politik auf Kosten der zukünftigen Generationen.
({14})
Dieser Politik stellen wir in der Koalition eine sehr ausgewogene Politik entgegen: Auf der einen Seite wollen
wir in diesem Jahr alles versuchen, um dem Wachstum
einen weiteren Schub zu geben; auf der anderen Seite
werden wir durch Konsolidierungspolitik und Einnahmeverbesserung dafür sorgen, dass der Haushalt konsolidiert wird. Wir tun das nicht nur, um das Maastrichtkriterium einzuhalten, sondern auch, um unseren Kindern
und Kindeskindern ein selbstbestimmtes politisches
Handeln zu ermöglichen.
Herzlichen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Michelbach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Den Zeitpunkt der heutigen Debatte halte ich im Sinne einer Konjunkturbelebung für grundsätzlich falsch. Wir stehen im Moment
vor einer positiven Trendumkehr bei Wachstum und Beschäftigung. Das dürfen wir nicht täglich neu belasten.
({0})
Wir brauchen die Trendumkehr für mehr Beschäftigung
und für mehr Wachstum in Deutschland.
({1})
Grundsätzlich stelle ich fest: Niemand ist ein Freund
von Steuererhöhungen.
({2})
Natürlich ist jede Steuererhöhung problematisch für die
Konjunktur. Das weiß man in jeder Volkswirtschaft;
({3})
aber wir können vor der Realität doch nicht die Augen
verschließen. Die Zahlen sind 2005 vielleicht weniger
schlecht, aber, meine Damen und Herren, sie sind doch
weiß Gott nicht gut. Wir dürfen den Bürgern keinen
Staat vorgaukeln, der so längst nicht mehr finanzierbar
ist.
Die Lage der Haushalte von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen hat sich ständig verschlechtert. 20 Prozent der Ausgaben sind nicht finanziert. Das muss natürlich auch mit Einsparungen
konsolidiert werden; das ist richtig. Aber der Konsolidierungsbedarf ist inzwischen so groß, dass er kurzfristig
allein durch Einsparungen nicht mehr bewältigt werden
kann.
Die öffentlichen Haushalte befinden sich derzeit in einer außerordentlich ernsten Lage. Mit 39 Milliarden
Euro pro Jahr nur für Zins und Tilgung macht dieser Bereich inzwischen den zweitgrößten Ausgabeposten im
Haushalt aus. Die Defizitquote liegt nach wie vor über
der 3-Prozent-Grenze. Diese Grenze jedoch darf schon
selbst nicht das Normalmaß sein. Es ist nur die Obergrenze, um zu dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts
zu kommen. Wenn die größte Volkswirtschaft der Europäischen Union fortgesetzt den Stabilitäts- und Wachstumspakt missachtet, hat dies gewaltige Auswirkungen
auf die Währung und die Finanzmärkte. Das sollten wir
uns nicht leisten.
({4})
Also: Deutschland braucht eine nationale Anstrengung auf allen Ebenen,
({5})
um das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu steigern und
die strukturelle Unterdeckung der öffentlichen Haushalte
durch gemeinsame Konsolidierungsanstrengungen und
Strukturreformen zu beseitigen.
Die Menschen in unserem Land erwarten jetzt endlich
ehrliche Antworten auf die Herauforderungen. Wie sieht
das in der Koalition festgelegte Konsolidierungskonzept
denn aus? Ich sage dies in fünf Punkten:
Erstens. Zunächst haben wir mit dem Vorzieheffekt
im Jahr 2006 einen Konjunkturanreiz geschaffen, der
schon jetzt zu verbesserten Wachstumsprognosen Anlass
gibt.
Zweitens. Darüber hinaus werden wir gezielte Haushaltseinsparungen vornehmen.
Drittens. Des Weiteren haben wir ein Wachstumspaket in Höhe von 25 Milliarden Euro aufgelegt, das es
noch zu finanzieren gilt. Damit wollen wir ehrliche und
erhebliche Investitions- und Beschäftigungsanreize
schaffen. Ich denke nur an die degressive AfA und die
Beschäftigung in Privathaushalten.
Viertens. Zum Jahr 2007 nehmen wir einen Mix aus
unumgänglichen Steuererhöhungen und gleichzeitiger
Senkung von Lohnzusatzkosten vor. Die Ziele „Vorfahrt
für Arbeit“ und „Verbilligung von Arbeit“ sind also auch
Teil dieses Pakets.
Fünftens. Zum Jahr 2008 haben wir die Unternehmensteuerreform, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer
Arbeitsplätze wieder herstellen kann.
Das sind fünf klare Punkte unseres Finanzkonzepts,
das uns weiterhilft, das uns in die Zukunft führen kann,
das uns weggehen lässt von den Versprechungen hin zu
einer klaren, richtigen Wegführung für die Zukunft.
({6})
Wir brauchen für die Wirtschaft einen handlungsfähigen Staat. Mit soliden Finanzen haben wir eine gute
Ausgangslage, um dauerhaft wieder mehr Wachstum
und Beschäftigung zu erreichen. Darauf kommt es letzten Endes an. Deswegen bilden diese fünf Punkte, die
ich angesprochen habe, das richtige Konsolidierungsund Wachstumspaket, das Deutschland für die Zukunft
braucht. Damit werden die Arbeitsplätze der Zukunft in
Deutschland gesichert und es werden auch neue geschaffen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Engelbert Wistuba von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich käme nicht auf den Gedanken, die Mehrwertsteuererhöhung rückgängig zu machen: So wurde der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer,
gestern von der Deutschen Presse Agentur zitiert.
({0})
Eigentlich ist diese Aktuelle Stunde damit gegenstandslos, soll sie doch gerade das Gegenteil beweisen.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD
sieht bekanntermaßen eine Mehrwertsteuererhöhung von
derzeit 16 auf 19 Prozent zum 1. Januar 2007 vor. Unsere gemeinsamen Ziele lauten dabei: erstens Konsolidierung der Haushalte und zweitens Senkung der Lohnnebenkosten. Das sind Ziele, die es erst noch zu
erreichen gilt. Sie sind nicht dadurch erreicht, dass sich
die Konjunkturaussichten aufhellen und die Steuereinnahmeprognosen nach oben korrigiert werden.
({1})
Das weiß aber auch Professor Böhmer.
In einer Reihe von Interviews in den Printmedien und
im Radio hat sich Ministerpräsident Böhmer in den letzten Monaten deutlich für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgesprochen. Ich brauche Sie sicherlich nicht
daran zu erinnern, dass es meine Partei, die SPD, war,
die sich im Bundestagswahlkampf - das wurde hier auch
schon mehrfach erwähnt - gegen eine Mehrwertsteuererhöhung gewandt hatte. Für diese Politik haben wir die
notwendige Mehrheit bei der Bundestagswahl nicht bekommen.
({2})
In den Koalitionsverhandlungen haben wir mit unseren politischen Partnern einen tragfähigen wirtschaftsund finanzpolitischen Kompromiss ausgehandelt. Das ist
ein Fahrplan, mit dem wir unser Land in den kommenden Jahren wieder auf Erfolgskurs bringen wollen.
({3})
Die SPD-Bundestagsfraktion steht zu diesem Fahrplan.
Die Äußerungen aus den Reihen der CDU/CSU der letzten Tage machen deutlich, dass das auch bei unserem
Koalitionspartner der Fall ist.
Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, der verlässliche Rahmenbedingungen für wirtschaftliches
Wachstum schafft. Eine Politik, die alle zwei Monate
über einen Kurswechsel diskutiert oder diesen betreibt,
wäre das eigentliche Desaster für die Unternehmerinnen
und Unternehmer in unserem Land. In der Politik dürfe
es nicht verboten sein, Entscheidungen neu zu bedenken,
wird Ministerpräsident Böhmer zitiert. Das ist im
Grundsatz sicherlich richtig. Nachdenken muss erlaubt
sein, auch das laute Nachdenken. Gerade wir Ostdeutschen wissen aus Erfahrung, dass das durchaus keine
Selbstverständlichkeit ist. Trotzdem: Ein Schelm, wer
Böses dabei denkt, wenn ein Ministerpräsident und Spitzenkandidat seiner Partei eine populäre Forderung wie
den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung ausgerechnet mitten im Landtagswahlkampf stellt und dann
auch noch in der „Bild am Sonntag“. Ich bitte Sie!
Als Sprecher der Landesgruppe Sachsen-Anhalt der
SPD-Fraktion bin ich der Meinung, dass wir uns im
Wahlkampf natürlich profilieren müssen. Die Wählerinnen und Wähler in Sachsen-Anhalt müssen wissen, was
sie von einer sozialdemokratisch geführten Landesregierung zu erwarten haben und was von einer CDU-geführten.
({4})
Diese Profilierung muss bei den wichtigen Themen der
Landespolitik erfolgen. Sie kann nicht auf Kosten der
Koalitionsvereinbarung im Bund ausgetragen werden.
Das ist meine feste Überzeugung.
({5})
Das laute Nachdenken verliert seine Unschuld, wenn
der Zeitpunkt dafür so schlecht oder nur nach den Kriterien politischen Taktierens gewählt wird. Diese Kritik
richte ich allerdings nicht so sehr an den Ministerpräsidenten, sondern vielmehr an diejenigen, denen wir diese
Aktuelle Stunde zu verdanken haben. Ich verstehe Ihren
Wunsch, einen Keil oder wenigstens einen kleinen Riss
in die Koalition zu treiben, um davon am 26. März 2006
in Sachsen-Anhalt zu profitieren. Aber mit solchen
durchsichtigen Manövern wird Ihnen das nicht gelingen.
Sie haben eine Aktuelle Stunde zu einem Vorschlag des
Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt verlangt. So
steht es hier auf der Tagesordnung. Aber was versteht
die Fraktion Die Linke eigentlich unter einem Vorschlag? Ein oder zwei Sätze in der Sonntagsausgabe der
„Bild“? Ist das für Sie schon ein diskussionswürdiger
Vorschlag? Manchmal hat man tatsächlich diesen Eindruck. Ich kann nur hoffen, dass Sie nicht jedes Mal,
wenn ein Ministerpräsident in der „Bild“-Zeitung laut
nachdenkt, eine Aktuelle Stunde beantragen werden.
Für den Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt wünsche ich mir jedenfalls, dass wir eine ernsthafte, inhaltliche Auseinandersetzung suchen. Die SPD und ihr Spitzenkandidat Jens Bullerjahn sind dafür bestens
aufgestellt. Von der Linkspartei erwarten wir noch einen
ausgereiften, konstruktiven und finanzierbaren Vorschlag
({6})
für die Konsolidierung unserer Staatsfinanzen, für wirtschaftliches Wachstum und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Bis zum 26. März bleibt Ihnen dafür nicht
allzu viel Zeit.
Danke schön.
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Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile
ich das Wort dem Kollegen Jochen-Konrad Fromme von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Claus, Sie haben Recht, wenn Sie
sagen: Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, was abgeht. Aber wenn Sie hinterher den Eindruck
erwecken wollen, Sie seien eine Partei, die gegen Steuererhöhungen ist, dann kann man das wie in der Bibel als
pharisäerhaft bezeichnen. Denn Sie sind die Partei, die
- auch im Wahlkampf - immer für mehr Steuern eingetreten ist.
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Jetzt wollen Sie den Menschen das Gegenteil weismachen. Herr Kollege Maurer, man muss sich, bei dem,
was Sie hier von sich gegeben haben, dafür schämen,
dass wir in Baden-Württemberg einmal in einer gemeinsamen Koalition waren.
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Zu den Grünen, die hier so tun, als seien sie die Hüter
der Kasse der Menschen, kann ich nur sagen: Keine Partei hat das Volumen der Mehrwertsteuer so hoch getrieben wie Sie.
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Denn als Schattenwirkung der Ökosteuer sind jede
Menge Milliarden Euro Mehrwertsteuer entstanden.
Niemand anders als Sie hat das gemacht. Sie wollen die
Steuersätze nicht erhöhen, um zu verhindern, dass die
Menschen es bemerken. Aber sie merken es an ihrem
Portemonnaie.
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Deswegen brauchen Sie hier gar nicht so aufzutreten.
Frau Kollegin Pieper, Sie haben in einem Zwischenruf gesagt, das mache dann der Bundesrat. Das ist ein
Verhalten nach dem Motto: Ablehnung, weil die Zustimmung gesichert ist. So kann man sich als Landesfinanzminister nicht verhalten. Das finde ich nicht in Ordnung.
Ich bedaure sehr, dass der Kollege Niebel nicht anwesend ist, da er es war, der Herrn Böhmer angegriffen und
ihm Parteitaktik und falsches Spiel vorgeworfen hat.
Wer das angesichts dieses Verhaltens im Bundestagswahlkampf behauptet, dem muss ich wirklich sagen: Ich
finde es schlicht und einfach nicht in Ordnung, wenn Sie
so tun, als seien Sie gegen diese Steuer, aber hinterher
sagen, die Regierung werde daran scheitern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Steuerfragen sind
immer sensible Fragen. Deshalb sollte man sich hüten,
jede Woche eine andere Sau durchs Dorf zu treiben und
nur, weil man kein anderes Thema hat, eine Aktuelle
Stunde dazu zu beantragen.
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Da Sie das Nachdenken von Ministerpräsident
Böhmer zum Anlass für diese Aktuelle Stunde genommen haben, sage ich Ihnen: Erstens hat er seine Aussagen in dem Zusammenhang gemacht, den er genannt hat.
Ich finde, dass das, was er gedacht hat, sehr klug war.
Zweitens sage ich Ihnen: Ich würde mich freuen, wenn
Sie jedes Nachdenken eines CDU-Ministerpräsidenten
zum Anlass für eine Aktuelle Stunde nehmen würden;
denn zum einen haben wir viele und zum anderen kluge
Ministerpräsidenten, die sehr viel nachdenken.
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Dann würde hier sehr viel über die Politik der CDU gesprochen.
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Wir waren im Wahlkampf so ehrlich, etwas zu sagen,
was die Menschen nicht erfreut hat. Ich glaube, das ist
die richtige Politik: Wir müssen aufzeigen, was getan
werden muss.
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- Sehen Sie, da bricht die FDP schon zusammen. ({8})
Wir haben das ja nicht getan, um die Menschen zu ärgern. Dem liegt vielmehr ein Konzept zugrunde, wie wir
die Wirtschaft in Deutschland wieder in Gang bringen
können. Das können wir nur durch die Senkung der
Lohnnebenkosten und die Sanierung der Staatshaushalte
schaffen.
Wie wichtig die erfolgreiche Sanierung unserer
Staatshaushalte für eine bessere Entwicklung unseres
Landes ist, zeigt uns das Beispiel Belgien. Die Belgier
haben ihr Staatsdefizit - in Prozent des BIP - von mehr
als 137 Prozent auf weit unter 100 Prozent gesenkt. Daran können wir sehen, dass diese Maßnahmen Erfolg
hatten. Die wirtschaftliche Entwicklung Belgiens verläuft wesentlich besser. Deswegen führt an der Sanierung unserer Staatsfinanzen kein Weg vorbei,
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wenn wir unsere Aufgaben wieder ordnungsgemäß erfüllen wollen.
Wir beklagen uns immer, dass die Dinge bei uns nicht
in Ordnung sind. Nehmen wir als Beispiel den Einsturz
der Schwimmhalle in Bad Reichenhall. Es ist doch ein
Problem, dass der Grund dafür möglicherweise eine unterlassene Bauunterhaltung war, zu der es kam, weil unsere Staatshaushalte nicht in Ordnung waren. Wie viele
Aufträge könnten die Gemeinden, könnten die Länder
und könnte der Bund, wenn wir geordnete Finanzen hätten, erteilen, um unseren Wirtschaftskreislauf auf eine
vernünftige Art und Weise wieder in Gang zu bringen!
Genau darum geht es.
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- Warum 3 Prozent? Das haben wir Ihnen doch ganz klar
gesagt. Sie wissen, wie viele Prozentpunkte nach unserem Konzept zur Senkung der Lohnnebenkosten eingestellt werden sollen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten. Denn darum muss es uns gehen. Die Senkung
der Arbeitslosigkeit ist unser Hauptziel und die Sanierung unserer Staatsfinanzen eine dafür wesentliche Voraussetzung.
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Deswegen ergreifen wir die entsprechenden Maßnahmen. Das tun wir aber nicht wie Sie, indem wir sagen,
dass andere es schon richten werden und wir uns daran
nicht die Finger schmutzig machen müssen; denn das ist
keine lautere Politik. Wenn die heutige Aktuelle Stunde
dies ergeben hat, dann hat sie einen Sinn gehabt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
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Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. Januar 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.