Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/28/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kol- legen, ich begrüße Sie alle herzlich. Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt II - fort: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 ({0}) - Drucksachen 16/6000, 16/6002 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 - Drucksachen 16/6001, 16/6002, 16/6426 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider ({2}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Dazu rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt II.9 auf: Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt - Drucksachen 16/6404, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Petra Merkel ({3}) Roland Claus Anna Lührmann Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über diesen Einzelplan später namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Das ist dann etwa auch die Zeit, zu der mit der namentlichen Abstimmung zu rechnen ist. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({4})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dank der Weltkonjunktur ist unser Aufschwung noch stabil. Die Steuereinnahmen sprudeln. Der Bundesfinanzminister kann sich freuen. Nur die Menschen freuen sich nicht; die Deutschen haben das Gefühl, dass der Aufschwung bei ihnen nicht ankommt. ({0}) Das heutige Jackpot-Fieber wundert mich nicht. Die Menschen wollen sich ihre Aufschwungsdividende jetzt selbst holen. Sie sagen sich: Beim Lotto gewinnt vielleicht einer, bei Schwarz-Rot gewinnt keiner. ({1}) Im Vergleich zu Ihrer Politik sehen die Menschen im Lotto fast schon eine sichere Form der Vermögensbildung. ({2}) Die Regierung befindet sich im Dauerstreit. Die CDU/CSU wirft der SPD vor, der Wirtschaft und dem Aufschwung zu schaden. Die SPD wirft der Union Wortbruch und koalitionsuntreues Verhalten vor. Das wird Redetext garniert mit Ausdrücken, die der Präsident hier im Parlament nie zulassen würde. ({3}) So sieht es in unserer Bundesregierung aus. Nach zwei Jahren ist der Wahlkampf zwischen Schwarz und Rot bereits voll im Gange. ({4}) Jetzt streitet sich die Koalition sogar über die Außenpolitik gegenüber China und Russland. Wenn man sich schon außenpolitisch nicht einigen kann, wie soll es dann innenpolitisch weitergehen? Immer öfter fallen die Worte Stillstand und Rückschritt. In den wenigen Punkten, in denen sich die Regierung einigen kann, ist von einer Politik für den Aufschwung nichts zu merken. Im Gegenteil: Überall setzt die Regierung auf mehr Staat. Sie gibt mehr aus, sie betreibt interventionistische Politik und macht Märkte kaputt. Sie könnten den Haushalt bereits jetzt ausgleichen. Unsere Haushälter haben in mühevoller Arbeit 400 Anträge erarbeitet. Wenn Sie die darin vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen, können Sie fast 12 Milliarden Euro einsparen. ({5}) Das wird ignoriert, weil Sie gar nicht sparen wollen. Sie gehen in die Vollen, Sie treiben den Haushalt hoch. Sie haben 47 Milliarden Euro Mehreinnahmen; trotzdem gehen Sie weiter in die Verschuldung hinein. Das ist keine Politik für die Zukunft. ({6}) Bei Ihnen macht sich eine Staatsgläubigkeit breit. Die Sozialdemokraten entdecken ihr Programm „Demokratischer Sozialismus“ neu. ({7}) Die Union macht bei einer solchen Politik auch noch mit. Die Bahnreform kommt aufs Abstellgleis, die Regierung denkt nach Medienberichten über eine Verstaatlichung der Bundesdruckerei nach, und bei EADS steht die Bundesregierung mehr als kurz davor, politisch Einfluss zu nehmen. Es ist zu lesen, dass sich die CDU jetzt klarer positionieren und die Reformpolitik fortsetzen will. Der Generalsekretär der Union wirft der SPD dabei vor, den Staat als gigantische Umverteilungsmaschinerie zu missbrauchen. Das Problem der Union ist aber, dass sie das alles mitmacht. ({8}) Wir haben jetzt zwei Parteien, die für einen demokratischen Sozialismus sind. Beim Ausgeben sind sie voll mit dabei, bei der Verkomplizierung sind sie voll mit dabei, und beim Griff in die Kasse der Bundesagentur für Arbeit sind sie voll mit dabei. Sie haben das Antidiskriminierungsgesetz mitbeschlossen, und Sie haben die Zinsschranke und die Funktionsverlagerung als Verkomplizierung des Steuerrechts eingeführt. Das führt zu einem Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte, bringt aber keine Rechtsklarheit für Investitionen und führt nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Das ist Ihre gemeinsame Politik. ({9}) Die Bundeskanzlerin hat hier einmal das Lippenbekenntnis abgelegt: weniger Staat, mehr Freiheit. Wir haben mehr Staat. Jedes neue Gesetz, durch das die Handlungsfreiheit der Bürger eingeengt wird, bedeutet mehr Staat und ist ein Schritt in Richtung mehr Reglementierung und weniger Freiheit. ({10}) Von Freiheit zu reden und das Gegenteil zu tun, ist kein Fortschritt. ({11}) Mit was beschäftigt sich diese Koalition? Sie beschäftigt sich mit Mindestlöhnen und Höchstgehältern von Managern. Sie schwankt zwischen Populismus und Protektionismus. Es geht im Streit zwischen dem Finanzund dem Wirtschaftsministerium doch nur noch darum, welche Variante des Protektionismus Sie betreiben. Die einen wollen Kapital sammeln, um zu verhindern, dass Ausländer investieren, die anderen wollen das Außenwirtschaftsgesetz manipulieren, um dies zu verhindern. Beides ist falsch. Setzen Sie auf den Markt und nicht auf Reglementierung und Interventionismus! Das ist immer unsere Stärke gewesen. ({12}) Die Mietkosten werden jetzt besteuert. Ich frage mich, wann Sie anfangen, auch die Personalkosten zu besteuern. ({13}) Sie sind doch falsch programmiert. Sie denken falsch, Sie müssten sich anders orientieren. Ich trage hier einmal ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung zu dem, was Sie machen, vor. In der letzten Woche stand dort wörtlich: Die Hauptstadt Berlin entwickelt sich mehr und mehr zum Biotop für wirtschaftspolitische Dummheiten. Genau so ist es. ({14}) Sie machen es falsch. Draußen in der Welt gibt es Turbulenzen, Dollarkrise und Finanzmarktkrise. Führt die wirtschaftliche Entwicklung der USA nur zu einer Delle, oder gibt es eine Rezession? Wir betreiben keine Vorsorge dafür. Was wir immer gesagt haben, beweisen Sie erneut: Große Koalitionen sind nur scheinbar große Koalitionen. Sie haben große Mehrheiten, sie sind aber kleinmütig, gehen komische Kompromisse ein und bringen das Land nicht voran. Sie behindern Deutschland. Das ist die Politik, die Sie hier betreiben. ({15}) Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und weiter mit aller Klarheit wirken. Es muss in Deutschland noch eine Partei geben, die ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand nicht an der Garderobe abgegeben hat. ({16}) Sie folgen dem Mainstream, gehen nach links und laufen Lafontaine nach. ({17}) Es muss noch jemanden geben, der Ludwig Erhard kennt und weiß, wie Marktwirtschaft funktioniert. ({18}) Wir wollen Arbeitsplätze schaffen, wir wollen Wachstum erzielen, und wir wollen Fortschritt, damit Demagogen und Rattenfänger in der deutschen Politik keinen Boden bereitet bekommen, auf dem sie Resonanz finden. Es geht auch um die demokratische Zukunft Deutschlands. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende März haben wir hier in Berlin den 50. Jahrestag der Römischen Verträge gefeiert. Dabei ist uns allen noch einmal deutlich geworden, wie lange ein geeintes, in Frieden und Freiheit verbundenes Europa ein bloßer Traum war, ein Traum, der aus schmerzlicher Erfahrung später auf wunderbare Weise Wirklichkeit geworden ist. Heute - so haben wir es dann in der Berliner Erklärung geschrieben - sind wir Europäer zu unserem Glück vereint. Ich sage das, weil in anderen Regionen der Welt ein friedliches Miteinander der Völker nach wie vor in weiter Ferne liegt. Insbesondere im Nahen Osten sucht die Weltgemeinschaft - und dies jetzt seit Jahrzehnten nach Möglichkeiten für eine umfassende Friedenslösung. Hierzu einen Beitrag zu leisten, das war ein Schwerpunkt der zurückliegenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Das ist und bleibt auch ein Schwerpunkt der gesamten Bundesregierung. Jetzt scheint es neuen Grund zur Hoffnung zu geben, dass der Traum eines friedlichen Miteinanders von Israel und Palästina doch wahr werden könnte. Auch wenn die Erfahrungen mit früheren Lösungsversuchen einen allzu naiven Optimismus verbieten: Die Friedenskonferenz in Annapolis ist die Chance auf einen neuen Verhandlungsprozess, an dessen Ende die Vision einer Zweistaatenlösung mit Leben gefüllt werden könnte. Das ist ein hoffnungsvolles Signal. Der Bundesaußenminister wird heute noch darüber berichten. ({0}) Es kann uns hier in diesem Parlament nicht ruhen lassen, dass Israel und die gesamte Region in einem unsicheren, instabilen Zustand sind. Ich bekenne mich ausdrücklich zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit und Existenz Israels. ({1}) Das Eintreten für die Sicherheit Israels ist Teil der Staatsräson Deutschlands und eine Konstante der deutschen Außenpolitik. Im kommenden Jahr feiert der Staat Israel den 60. Geburtstag seines Bestehens. Noch immer ist die Sicherheit dieses Staates bedroht. Die Führung des Iran stellt das Existenzrecht Israels in unerträglicher Weise infrage. Insbesondere das Nuklearprogramm gibt Anlass zu großer Sorge. Deshalb setzen wir uns mit diplomatischen Mitteln für ein Einlenken des Iran ein. Das heißt: Bei Nichtkooperation des Iran sind weitere und schärfere Sanktionen unausweichlich; bei Kooperation wiederum liegen sehr gute Angebote für den Iran auf dem Tisch. Damit wir Erfolg haben, sind zwei Dinge unabdingbar: Entschlossenheit und Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. ({2}) Entschlossenheit und Geschlossenheit brauchen wir auch bei einem anderen Konflikt, der in ganz besonderer Weise Europa betrifft, nämlich beim Kosovo. Die Europäische Union hat in Bezug auf die Stabilität auf dem westlichen Balkan eine ganz besondere Aufgabe. Die Weltgemeinschaft schaut an dieser Stelle auf uns. Daher war es richtig, dass wir noch einmal Verhandlungsprozesse eingeleitet haben. Herr Ischinger hat nicht nur unseren Dank verdient, sondern auch unsere gesamte Unterstützung, alles zu versuchen, um hier zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Ich möchte von dieser Stelle aus noch einmal an die Vernunft aller Beteiligten appellieren, einen Weg zu gehen, der für die Stabilität in Gesamteuropa verantwortlich ist. Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen, dass wir weiterhin den Einsatz der Bundeswehr innerhalb der NATO-Mission im Kosovo brauchen. Wir werden die rechtlichen Grundlagen dafür immer wieder abchecken, sollten die Verhandlungsprozesse nicht so erfolgreich sein, wie wir es uns erhoffen. Genauso werden wir uns aber an einer zivilen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsmission beteiligen, die das Polizei- und Rechtswesen aufbaut. Das heißt: Deutschland und die Europäische Union haben hier allergrößte Verantwortung. Der Bundesaußenminister und ich werden in den kommenden Räten alles dafür tun, um das, was wir auf dem westlichen Balkan schon geschafft haben, weiterzuentwickeln und zu einem friedlichen Miteinander zu kommen. ({3}) Diese drei Beispiele - Naher Osten, Iran und Kosovo zeigen genauso wie die anderen Aktivitäten unserer Außenpolitik: Die Außen- und Sicherheitspolitik der Bun13522 desregierung ist immer auf Werten aufgebaut. Sie ist wertebezogen. Deutsche Außenpolitik findet nicht im luftleeren Raum statt. Deshalb gilt: Menschenrechtspolitik und das Vertreten ökonomischer Interessen sind zwei Seiten einer Medaille und dürfen niemals gegeneinander gestellt werden. ({4}) Das ist auch und gerade die Grundlage dafür, dass wir uns für faire Handelsbedingungen im Rahmen der Welthandelsorganisation einsetzen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir uns für den Schutz geistigen Eigentums einsetzen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir auf dem afrikanischen Kontinent insbesondere eine faire Rohstoffpolitik gegenüber den Ländern betreiben wollen, die einen wirtschaftlichen Aufschwung brauchen. Das ist auch die Grundlage, auf der wir eine Novelle zum Außenwirtschaftsgesetz erarbeiten. Denn es heißt heute in einer globalen Welt, sich auch um die Sicherung der eigenen, kritischen Infrastruktur zu kümmern. Das machen die Vereinigten Staaten von Amerika. Das macht Großbritannien. Das macht Frankreich. Warum soll Deutschland dies nicht tun? Dies hat mit Protektionismus nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({5}) Auf dieser Grundlage haben wir durch unser gemeinsames Engagement in der Koalition das Ansehen Deutschlands in der Welt in den letzten zwei Jahren gemehrt. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. ({6}) Deutschland konnte sein Ansehen und sein Gewicht auch deshalb mehren, weil wir wirtschaftliche Leistungskraft wieder zurückgewonnen haben. Man sollte sich keine Illusionen machen: Unsere internationale Reputation und die wirtschaftliche Lage Deutschlands hängen für viele Menschen auf der Welt auf das Engste zusammen. Das wird jetzt im Inland und im Ausland bestätigt. Die deutsche Wirtschaft zieht die europäische Wirtschaft wieder mit nach vorne. Wir sind aus der Rolle des Letzten herausgekommen. Das Wirtschaftswachstum lag im letzten Jahr bei 2,9 Prozent. Dieses Jahr können wir 2,4 Prozent erwarten, nächstes Jahr um die 2 Prozent. Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu. Wir sind vom World Economic Forum von Platz sieben auf Platz fünf hochgestuft worden. Das ist das Ergebnis der Reformen. Das sind die Erfolge der Unternehmen. Das sind in ganz besonderer Weise die Ergebnisse der Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. ({7}) Nun wissen wir: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit allein sind nicht alles. Es ist etwas anderes ganz wichtig. Aus Wachstum entstehen wieder Arbeitsplätze. 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze seit Amtsantritt dieser Regierung! 1 Million weniger Arbeitslose seit Amtsantritt dieser Regierung! Weniger ältere Arbeitslose, weniger Langzeitarbeitslose, mehr junge Menschen, die eine Chance haben! Der Beschäftigungsaufbau geht - das sagen auch die Unternehmen - 2008 weiter. Weniger Menschen müssen Angst um ihren Job haben. Das heißt, es passiert etwas, was wir in diesem Land brauchen, etwas, das man nicht in Euro und Cent berechnen kann: Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr Menschen. Das ist eine gute Botschaft für Deutschland. ({8}) Die Zuversicht der Menschen ist gewachsen, eine Zuversicht, deren Grundlage natürlich mit jedem neuen Arbeitsplatz, mit jeder geglückten Wiedereingliederung in das Arbeitsleben verbreitert werden kann. Mit anderen Worten: Die Politik dieser Bundesregierung wirkt. Sie wirkt schon im dritten Jahr. Das heißt nicht, dass wir leichtfertig werden dürfen. Das heißt nicht, dass wir uns auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen dürfen. Es gilt für uns nur eine Devise: Wir müssen die Grundlagen des Aufschwungs stärken, um mehr Menschen in diesem Land Chancen zu geben, die sie allemal verdient haben. ({9}) Dafür gibt es für uns in dieser Bundesregierung einen zentralen Maßstab: Wir beschließen Maßnahmen, mit denen weitere Arbeitsplätze geschaffen werden, und unterlassen alles, was Arbeitsplätze gefährdet. Das ist der Maßstab unseres Handelns. ({10}) Jetzt werden Sie sagen, dass wir darum manchmal in dieser Koalition ringen. Ja, das tun wir - das gebe ich ganz freimütig zu -, aber immer in dem Geist, dass wir Arbeitsplätze schaffen und alles verhindern wollen, was Arbeitsplätze kostet. ({11}) Wir werden das fortsetzen, weil wir wissen, dass es Sorgen gibt. Es gibt Fragen, ob die Verwerfungen auf den internationalen Märkten auch unseren Aufschwung in Gefahr bringen könnten. Die amerikanische Immobilienkrise, der hohe Ölpreis, der starke Euro, steigende Lebensmittelpreise - das alles kennen wir. Wir können nicht versprechen, dass durch die Politik der Bundesregierung diese Risiken nicht eintreten werden. Das wäre unredlich. Aber ich bin von einem überzeugt, und das ist die gute Botschaft dieses Jahres: Wir haben genug Stärke wiedergewonnen, um die Herausforderungen, die vor uns liegen, wirklich gut bewältigen zu können. Davon sind wir überzeugt, und in diesem Geist machen wir Politik. ({12}) Das bestimmt unsere Arbeit für Deutschland, die sich in fünf Grundsätzen zusammenfassen lässt. Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Aufschwungs stärken. Das bedeutet: Sanierung der Staatsfinanzen. Was haben wir erreicht? Wir werden erstmals seit der Wiedervereinigung in etwa einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen. ({13}) Das Haushaltsdefizit des Bundes - ob es Ihnen passt oder nicht - ist in den letzten zwei Jahren halbiert worden. Die Maastricht-Kriterien werden seit 2006 wieder eingehalten. An diesen Fakten lässt sich nicht vorbeireden. Sie sind da, sie sind gut, und sie sind richtig. ({14}) Nun gibt es Forderungen - die werden auch hier erhoben -, dass jeder zusätzliche Cent aus konjunkturbedingten Mehreinnahmen in den Abbau der Verschuldung gesteckt werden sollte, unabhängig davon, ob das in den kommenden Jahren durchzuhalten ist, unabhängig davon, ob der Staat dann noch Gestaltungsspielraum und Investitionsmöglichkeiten hat. Ich sage freimütig: Genau das machen wir nicht. ({15}) Stattdessen haben wir uns für einen langfristigen und verlässlichen Abbaupfad entschieden, der zusätzlichen Haushaltsspielraum lässt und wonach auf der Basis der Steuerschätzungen zwei Drittel der Einnahmen in den Schuldenabbau, aber ein Drittel in Investitionen für die Zukunft gesteckt werden. Wir sind von diesem verlässlichen Abbaupfad überzeugt. Ich danke dem Finanzminister, ich danke den Haushältern, und ich danke den Fraktionen für die Kooperation auf diesem Gebiet. ({16}) Wir haben dabei ein ganz klares Ziel vor Augen, nämlich 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen. Diesem Ziel fühlen wir uns verpflichtet. Wir hören auch die Forderungen aus der Opposition, wir sollten Steuern senken, kostet es, was es wolle. Meistens fordern das die Gleichen, die vorher das Geld schon einmal für die Senkung der Neuverschuldung verplant haben. ({17}) Auch hier sagen wir: Wir machen eine verlässliche Steuerpolitik. Das spiegelt sich in zwei Maßnahmen wider, die wir ergriffen haben: An der Erbschaftsteuer arbeiten wir noch, die Unternehmensteuerreform ist verabschiedet. Wenn Sie sich den Haushalt für das Jahr 2008 anschauen, dann wissen Sie natürlich, dass sich die Entlastungen für die Unternehmen in diesem Haushalt widerspiegeln. Wir sind überzeugt davon, dass das richtig ist, weil mehr Investitionen in Deutschland mehr Arbeitsplätze für unser Land schaffen. Deshalb haben wir uns zu diesem Weg entschlossen. ({18}) Wir wollen, dass Gewinne wieder stärker in Deutschland versteuert werden, weil es attraktiver ist, sie hier statt im Ausland zu versteuern. Aber was wir nicht versprechen können - auch dazu haben wir uns ganz bewusst entschlossen -, ist, dass wir alle Steuergestaltungs- und Steuervermeidungsmodelle der Vergangenheit überleben lassen. Das ist nicht im Interesse des Gemeinwohls. Deshalb haben wir an einigen Stellen Bremsen eingezogen. ({19}) Bei der Erarbeitung der Reform der Erbschaftsteuer - jeder weiß, wie schwierig das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geworden ist - wollen wir vor allen Dingen die Nachfolge innerhalb eines Familienunternehmens erleichtern. Genau das werden wir in den weiteren Beratungen immer wieder deutlich machen. Wir wollen sicherstellen, dass diejenigen, die das Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland sind - die kleineren und mittelständischen Betriebe, die Familienunternehmen, die oft über Jahre und Jahrzehnte in Deutschland ihre Heimat haben -, in einer globalen Welt eine faire, gute Chance in diesem Lande haben und dieses Land nicht verlassen müssen. Das ist unser Ziel, und das werden wir durchsetzen. ({20}) Der zweite Grundsatz neben der Sanierung der Finanzen heißt: Grundlagen für mehr Beschäftigung fortentwickeln und dadurch auch mehr Teilhabe für Menschen in diesem Land ermöglichen. Was haben wir erreicht? Mit 40 Millionen Erwerbstätigen, 40 Millionen Menschen, die sich ihr Geld verdienen können, haben wir ein Rekordniveau erreicht. Ich habe es schon gesagt: Die über 55-Jährigen profitieren jetzt davon. Wir haben ein Minus von 20 Prozent bei den älteren Arbeitslosen. Wir kommen endlich wieder in die Situation, zu den Besseren in Europa zu gehören. Es ist bei der Lebenserwartung, die wir heute haben, doch kein Zustand - darüber sind wir uns hier auch alle einig -, dass Menschen über 55 keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Deshalb halte ich diese Botschaft für ganz wichtig. ({21}) Was sind die Ratschläge? Es ist, wie es immer ist: Die einen sagen, wir könnten eigentlich alle Arbeitsmarktreformen zurücknehmen; denn die Wirkungen zeigen, dass wir auf dem richtigen Pfad sind. Die anderen sagen, die Arbeitsmarktreformen seien gar keine echten Reformen; es müsste alles viel härter zugehen. Ich glaube, dass beides mit der Stimme der Vernunft wenig zu tun hat. Wir werden deshalb auch nichts von dem machen, sondern auch hier auf unserem Weg weitergehen. Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge Schritt für Schritt gesenkt haben. Anfang des Jahres 2008 werden sie sich innerhalb von zwei Jahren halbiert haben. ({22}) Es ist nicht richtig, dass wir darüber die Solidität der Finanzen der Bundesagentur außer Acht gelassen hätten. Wir haben uns vorgenommen - wir haben das in Meseberg als Bundesregierung beschlossen und dafür in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2011 Vorsorge getroffen -, für die Bundesagentur Rückstellungen für die Alterslasten, die auch für eine Bundesagentur entstehen - davon ist früher nie die Rede gewesen -, zu bilden. Wir sind froh darüber, dass wir zum ersten Mal sagen können: Es gibt eine Trendwende bei den Lohnzusatzkosten nach unten. Wir schaffen es, unter 40 Prozent zu kommen. Das ist eine gute Botschaft, die im Übrigen zeigt, dass wir erreicht haben, was wir uns in dem Regierungsprogramm vorgenommen haben. ({23}) Wir folgen konsequent dem Prinzip von Fördern und Fordern. Es hat eine breite Debatte über die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere gegeben. Wir haben eine Einigung gefunden, die der Tatsache Rechnung trägt, dass Ältere länger brauchen, um auf dem Arbeitsmarkt wieder vermittelt zu werden. Ältere erhalten die Chance, besser vermittelt zu werden, indem wir Eingliederungszuschüsse gewähren, um jedem die Möglichkeit zu eröffnen, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Das, finde ich, ist die gute Botschaft für die Älteren. Deshalb bin ich außerordentlich einverstanden mit der Reform des Arbeitslosengeldes I. ({24}) Wir müssen in der Rentenpolitik so vorgehen, dass wir wieder ein Reservepolster anlegen. Die Schwankungsreserve, das heißt die Vorsorge, ist jetzt wieder bei 0,7 Monatsbeiträgen angelangt. Wir wollen sie bis auf eineinhalb Monatsbeiträge aufbauen. Ich sage ganz eindeutig: Wir stehen zu der Entscheidung bezüglich der Rente mit 67. Allen Experten, die glauben, jeden Tag noch etwas Neues sagen zu müssen, sage ich aber: Die Menschen haben mit uns Verlässlichkeit für die Zukunft bekommen, was die Notwendigkeit der Rente mit 67 anbelangt. Darüber hinaus gibt es keine Verunsicherung durch diese Bundesregierung; auch das ist wichtig. ({25}) Wir werden im nächsten Jahr die Aufgabe haben, die beschlossene Gesundheitsreform so umzusetzen, dass die Lohnzusatzkosten auch Ende des Jahres 2008 die 40 Prozent nicht übersteigen. Ich glaube, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Krankenkassen im Rahmen dieser Gesundheitsreform im Augenblick Schritt für Schritt wächst. Ich weiß, viele Menschen machen sich Sorgen: über den eigenen Job, ob die Rente ausreicht oder ob wirklich ein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Genau deshalb sagen wir: Arbeit ist die beste Form der Teilhabe; Arbeit ist die beste Form der Chancengerechtigkeit. Die Linie der Bundesregierung ist daher auch für das nächste Jahr und das übernächste Jahr „Sanieren, Reformieren, Investieren“. Das ist tatsächlich ein Dreiklang, und zwar ein richtiger, mit dem wir voranschreiten werden. ({26}) Der Aufschwung wird Schritt für Schritt in der Breite immer mehr spürbar. Das Wachstum des dritten Quartals 2007 ist zunehmend von der Binnennachfrage getragen. Die Lohnzusatzkosten sinken, sodass trotz der Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge der Durchschnittsverdiener im Jahr 2008 netto 270 Euro mehr in der Tasche haben wird. Das sind die ersten Erfolge der Politik der Bundesregierung nach der Sanierung des Bundeshaushalts. Ich will hier daran erinnern, womit wir begonnen haben: Wir haben mit einem strukturellen Defizit von 50 bis 60 Milliarden Euro begonnen. Faktisch war das Defizit bei über 30 Milliarden Euro. Dass wir bei Wachstum, Beschäftigung und Haushaltssanierung heute so dastehen, wie wir dastehen, ist nur durch den Dreiklang „Sanieren, Reformieren und Investieren“ möglich gewesen. ({27}) Für all die, die dauernd davon reden, wie viel der Staat eingreift, ist die wirklich „schlechte“ Nachricht die vom Sinken der Staatsquote. Welche Zahl zeigt eigentlich besser als die Staatsquote, wie viel Spielräume die Bürgerinnen und Bürger wieder haben? Im Jahre 2005 lag die Staatsquote bei 46,9 Prozent. Im Jahre 2008 wird sie bei 43,3 Prozent liegen. Wer einen Vergleich zu den Staatsquoten der anderen europäischen Länder zieht, der weiß, dass Deutschland damit gut dasteht und dass wir damit einen guten Platz haben. Das Sinken der Staatsquote bedeutet nichts anderes, als dass die Menschen mehr Freiräume haben für das, was in sie in ihrem Leben selber gestalten wollen. ({28}) Wir werden den Weg für mehr Beschäftigung weitergehen. Wir wollen die Arbeitnehmerbeteiligung in Form des Investivlohns. Wir wollen die Sanierung der öffentlichen Gebäude voranbringen. Wir wollen die Förderung der haushaltsnahen Dienstleistungen vereinfachen und verbessern, weil wir gerade im Bereich der einfachen Tätigkeiten Chancen für Arbeitssuchende sehen. Wir werden den Bürokratieabbau vorantreiben. Die Bundesregierung ist die erste, die jemals nach den Maßstäben des Normenkontrollrats die Informationspflichten systematisch erfasst hat: Es sind 10 900. Die Bundesregierung hat klar gesagt: Die Bürokratiekosten sollen um 25 Prozent sinken. Sie tritt dafür ein, dass sich derselbe Prozess auf europäischer Ebene wiederholt. Wir, die Bundesregierung, haben uns vorgenommen, die Hälfte der Wegstrecke bis zur Erreichung dieses Ziels bis zum Ende dieser Legislaturperiode zurückzulegen. Das ist nachprüfbar, das ist messbar, das ist systematisch. Eine solche Form des Bürokratieabbaus hat es in Deutschland noch nicht gegeben, und das ist ein Erfolg der Großen Koalition. ({29}) Natürlich leitet uns die Frage: Wie bekommen wir mehr Beschäftigung, aber auch Beschäftigung zu fairen Bedingungen bei der Entlohnung? Damit meine ich auch die Frage der Mindestlöhne und alles, was damit zusammenhängt. Erstens. Bei der Post sehe ich nach wie vor Möglichkeiten, zu einer Einigung zu kommen. Zweitens. Obwohl wir unterschiedliche Auffassungen haben, haben wir mit der Entscheidung, ein Mindestarbeitsbedingungengesetz zu entwickeln und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz im Frühjahr des nächsten Jahres auszuweiten, die Weichen dahin gehend gestellt, dass mehr faire Löhne gezahlt werden, ohne dass die Tarifautonomie zerstört wird. Mehr Menschen wird die Chance gegeben, eine Arbeit zu finden. Unser Wohlstand lebt ganz wesentlich von der Innovationskraft. Deshalb lautet unser dritter Grundsatz: Wir wollen den Wohlstand von morgen durch Investitionen in Forschung, in Bildung und in die Familien sichern. Der Etat der Forschungsministerin profitiert von den hohen Wachstumsraten: plus 8 Prozent. Die Mittel für die Projektförderung steigen sogar um 16 Prozent. Wir haben uns nämlich entschlossen, durch den Bundesanteil dazu beizutragen, dass für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben Mittel in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung stehen. Wir geben dabei nicht einfach mehr Geld in das System, sondern haben eine Vielzahl neuer Instrumentarien entwickelt, die wirklich dafür Sorge tragen, dass die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, ihrer Verantwortung bei Forschung und Entwicklung besser gerecht werden kann. Deswegen ist die Wissenschaftsunion eine ganz wichtige Initiative. Meine Damen und Herren, die Exzellenzinitiative hat in Deutschland auch im Hinblick auf den Zusammenschluss von Forschungseinrichtungen eine große Bewegung gebracht. Eine schöne Botschaft, die ich einfach mit einer Gratulation verbinde: Zwei Nobelpreise für Physik und Chemie in diesem Jahr zeigen: In Deutschland kann man Spitzenforschung - ({30}) - Lieber Herr Westerwelle, das war natürlich nicht die Regierung. ({31}) Aber es zeigt doch, dass die Bedingungen dafür, in Deutschland zu forschen, so sind, dass man auch als Deutscher in Deutschland und nicht nur als Deutscher in Amerika einen Nobelpreis bekommen kann. Das ist die Wahrheit. ({32}) Es ist doch in keinem Interview mit den beiden Nobelpreisträgern versäumt worden, dreimal nachzufragen, wie oft sie schon darüber nachgedacht hätten, nach Amerika oder sonst wohin zu gehen. Sie haben jedes Mal erklärt, die Großforschungseinrichtungen in Deutschland seien gut. Daran müssen Sie doch nicht herummeckern; das haben Sie doch zum Teil mit gestaltet. Meine Güte, wirklich! ({33}) Wir sind dabei nicht am Ende. Wir werden den nächsten IT-Gipfel durchführen und für einen Spitzenclusterwettbewerb sorgen. Vor allen Dingen werden wir - das ist für die Akzeptanz von Forschung und Entwicklung wichtig - Leuchttürme aufbauen: Spitzenprojekte in den Bereichen Klimaforschung, Energieeffizienz, Medizin und Medizintechnik sowie Verkehrsleittechnik. Je besser die Rahmenbedingungen und Strukturen für Beschäftigung werden, umso stärker macht sich ein neues Problem bemerkbar: Wie sieht es aus mit unseren Fachkräften, mit der Bildungssituation und mit der Ausschöpfung dessen, was wir an menschlicher Kraft in unserer Gesellschaft haben? Deshalb wird auch in den Jahren 2008 und 2009 das Thema Bildung von ganz besonderer Bedeutung sein. Der Ausbildungspakt in diesem Jahr hat gewirkt. Ich bin deshalb auch dagegen, dass wir hier Zwangsabgaben miteinander vereinbaren. ({34}) - Mein Gott, wir wissen ja Bescheid. ({35}) In diesem Jahr sind 60 000 neue Ausbildungsplätze geschaffen worden; die Wirtschaft hat ihre Versprechungen erfüllt. Trotzdem gibt es noch ein riesiges Problem aus den vergangenen Jahren, weil junge Leute in sogenannten Warteschleifen sind. ({36}) Deshalb müssen wir uns überlegen - dies tun wir auch in der Bundesregierung -, ({37}) wie wir genau diesen jungen Leuten helfen können; denn es darf uns kein junger Mensch in diesem Lande verloren gehen, zumal dann nicht, wenn wir anschließend wieder über Fachkräftemangel sprechen. ({38}) Wir wissen auch über den Zusammenhang von Integration und Ausbildung Bescheid. Wir wissen, was es für die Notwendigkeit der Integration und den Fachkräftebedarf bedeutet, wenn heute in Großstädten die Hälfte aller Kinder bei der Einschulung Kinder mit Migrationshintergrund sind. Daher haben wir eine nationale Qualifizierungsoffensive geschaffen, die wir Schritt für Schritt weiter mit Leben erfüllen werden. Wir müssen und werden auch mit den Ländern über die Schnittstellen zwischen Bildungspolitik der Länder und Ausbildung sprechen; denn es kann nicht sein, dass 80 000 junge Menschen in Deutschland aus der Schule herauskommen und nicht in der Lage sind, anschließend eine Ausbildung aufzunehmen, sodass es die erste Aufgabe der Bundesagentur ist, aus Beitragsgeldern diese jungen Menschen zu qualifizieren. Auch hier werden wir für weitere Fortschritte sorgen. ({39}) Wir haben in die Familien investiert - das wird niemand bestreiten -: Elterngeld, Erhöhung der Kinderzulage in der Riester-Rente, um hier mehr Generationengerechtigkeit zu verwirklichen, wesentliche Schritte zum Ausbau der Kinderbetreuung, Hilfe an die Bundesländer bei einer Aufgabe, die wir als national wichtige Aufgabe qualifiziert haben. Aber wir wissen auch, dass uns das Thema Kinderarmut nicht ruhen lassen kann. Wir wollen, dass niemand wegen der Kinder in die Bedürftigkeit fällt; deshalb muss der Kinderzuschlag weiterentwickelt werden. ({40}) - Ja, wegen der Kinder nicht in die Bedürftigkeit fällt, Frau Künast. So ist es. - Deshalb werden wir den Kinderzuschlag erhöhen und vereinfachen. Das Bundesfinanzministerium wird im Jahre 2008 turnusmäßig den Existenzminimumbericht vorlegen. Wir werden dann aber nicht ein ganzes Jahr warten, um zu überlegen, was wir zusätzlich für Familien tun können, sondern schnell - im Herbst des Jahres 2008 - daraus die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen und handeln. ({41}) Meine Damen und Herren, wir haben es trotzdem mit bedrückenden Zuständen zu tun, wenn wir an Kinder in Deutschland denken. Der Todesfall der verhungerten Lea-Sophie war ein letztes aufrüttelndes Beispiel. Ich sage Ihnen an dieser Stelle ehrlich: Ich halte relativ wenig von diesen schnellen Schuldzuweisungen, wer an welcher Stelle die Verantwortung trägt. Wir stehen vor einer Situation, in der wir denen, die ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden können, helfen müssen, ohne gleich die gesamte Gesellschaft für unmündig zu erklären. ({42}) Um hier im föderalen System die richtigen Antworten zu finden, bedarf es der Kraftanstrengung aller. Ich bitte darum, keine schnelle, sondern die richtige Antwort zu finden, um den Kindern in Deutschland wirklich zu helfen. ({43}) Es gibt neben der mangelnden Fürsorge für jüngere Menschen, für Kinder, noch etwas, das bedrückend ist. Das ist die Vereinsamung und Vernachlässigung älterer Menschen. Die Pflegereform versucht, auf diese Fragen eine bessere Antwort zu geben, indem wir verstärkte Prüfaufträge und Qualitätsberichte über Pflegeheime einführen, die jeder einsehen kann und über die sich jeder ein Urteil bilden kann, und Kontrollen ermöglichen, bei denen nicht alles vorher angekündigt wird. Ich glaube, das ist ein richtiger Schritt. Deshalb ist die Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung richtig, weil die Pflegeversicherung Menschen in Not, Menschen im Alter und Menschen, die diese Republik aufgebaut haben, hilft. Diesen Weg werden wir auch weitergehen. Ob es Alzheimer, Demenzerkrankung oder vieles andere betrifft: Ich glaube, dass wir mit der Pflegeversicherung einen richtigen Schritt gegangen sind. ({44}) Unser vierter Grundsatz lautet, die Zukunft nicht zu verbauen. Das hat etwas mit Klimaschutz und Energiepolitik zu tun, die unauflösbar zusammengehören. In wenigen Tagen findet die Bali-Konferenz statt. Selbst bei kritischster Betrachtung müssen, glaube ich, alle in diesem Hause anerkennen, dass Deutschland beim Klimaschutz sowohl seine Hausaufgaben gemacht hat als auch seine internationalen Aufgaben im Rahmen von G 8 und der EU-Präsidentschaft erledigt hat und wir bei diesem Menschheitsthema ein Riesenstück vorangekommen sind. ({45}) Der Bundesumweltminister wird mit einem Maßnahmenpaket für nationale Vorhaben, das wir nächste Woche im Kabinett beschließen werden, nach Bali reisen. Ich will daran erinnern - man kann das heute nachlesen -, dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem Kioto-Abkommen nach allen Voraussagen bis 2012 nachkommen wird. Die Europäische Union ist noch weit davon entfernt, das zu tun. Ich kann uns nur alle auffordern, in der Europäischen Union diese Diskussion verstärkt zu führen. Denn unsere Vorreiterrolle europäischerseits wird in vielfacher Weise infrage gestellt werden, wenn wir unsere eigenen Verpflichtungen aus Kioto in Europa nicht erfüllen. Deshalb wird das auch eine schwierige Diskussion innerhalb der Europäischen Union werden. ({46}) Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen vor uns, sowohl auf der europäischen als auch auf der deutschen Ebene. Ich glaube, wir müssen es schaffen - auch darum wird die Diskussion gehen -, die Nachhaltigkeit zu unserem Leitprinzip zu erklären, das heißt Wirtschaftlichkeit, soziale Verträglichkeit und Umweltschutz immer wieder in einen vernünftigen Einklang zu bringen. Darüber wird es im Einzelfall sicherlich auch Diskussionen geben; aber diesen Pfad der Nachhaltigkeit als den Grundpfad unserer Politik anzulegen, halte ich für die richtige Weichenstellung für die Zukunft. Steigende Preise bei Öl, Gas und Strom versprechen, die Klimadebatte wieder lebendiger zu machen. Ich sage an dieser Stelle - weil dazu manches geäußert wird -: Strom und Energie sind nicht zu billig. Die Menschen im Lande leiden zum Teil darunter. Unsere Ansage muss sein: mehr Energieeffizienz, mehr Energiesparen, Verbrauch senken. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir einen vernünftigen Pfad der Energie finden, auch für unsere nationale Energieversorgung. Ich will nicht verhehlen, dass ich mit einer gewissen Sorge verfolge, welche Formen der Energieversorgung jetzt allesamt auf den Prüfstand kommen. Wenn wir keine Kohlekraftwerke mehr wollen und zudem die Kernkraftwerke abschalten wollen, was nicht meine Position ist - das ist bekannt -, dann sehe ich doch erhebliche Probleme für die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mit mir wird es nicht dazu kommen, dass man überall in Europa Kohlekraftwerke baut, in Deutschland die Kernkraftwerke abschaltet und sich anschließend wundert, dass wir kein Energieerzeugerland mehr sind. ({47}) Wir müssen also die globale Herausforderung sehen. Das Klimathema ist ein globales Thema. Das entscheidet sich nicht an der Frage, ob in Saarbrücken oder in Lubmin ein Kohlekraftwerk steht oder nicht, sondern daran, dass wir international, global zu Reduktionen kommen, den Verbrauch senken und die Effizienz steigern. Das muss der Maßstab des Handelns sein. ({48}) Meine Damen und Herren, am Thema Klima sehen Sie exemplarisch wie wahrscheinlich an keinem anderen Thema, dass große Herausforderungen der Menschheit heute nicht mehr dadurch zu lösen sind, dass wir Innenund Außenpolitik als zwei völlig getrennte Bereiche der Politik behandeln. Vielmehr gehört beides zusammen. Die Frage, wie das geistige Eigentum international geschützt wird, und die Frage, wie sich auch die Schwellenländer in die Problematik des Klimawandels einklinken und Verantwortung übernehmen, sind genauso wichtig, und an deren Lösung muss genauso viel gearbeitet werden wie für die Frage, wie wir effiziente Autos bauen und vernünftige Gebäudesanierung durchführen. Dies erleben wir nicht nur bei dem Thema Klima und im gesamten Bereich der klassischen Außenpolitik, sondern natürlich auch bei der gesamten Sicherheitspolitik, bei der Herausforderung des internationalen Terrorismus und bei der Frage, wie wir ihn in unserem Lande bekämpfen. Deshalb kommen auch hier internationale Kooperation mit unseren Partnern in der Welt zum Tragen, die Öffnung Europas - ich erinnere nur daran, dass jetzt die Grenzübergänge im Rahmen des Schengen-Abkommens auch in Richtung Mittel- und Osteuropa geöffnet werden - und eine vernünftige Terrorismusbekämpfung in Deutschland, zu der natürlich auch das Projekt der Onlinedurchsuchung in unserem Regierungsprogramm hinzukommt. ({49}) Deshalb heißt der fünfte Grundsatz: Innen- und Außenpolitik sind nicht mehr zu trennen, sondern sie wachsen zusammen, und dies macht unsere Politik aus. Meine Damen und Herren, nach zwei Jahren können wir sagen: Der Dreiklang von „Investieren, Sanieren, Reformieren“ ({50}) hat sich bewährt. Weil er sich bewährt hat, bleibt er auch die Richtschnur der nächsten zwei Jahre unserer Arbeit. Wir wissen: Nichts von dem, was wir erreicht haben, ist selbstverständlich. Millionen Menschen auf der Welt stehen jeden Morgen auf und überlegen für sich und ihre Länder, wie sie ihren Wohlstand verbessern können. Deshalb wäre es die falsche Antwort - wir können auf die entsprechenden Fragen auch gar nicht mehr allein als Deutschland eine Antwort geben -, die Hände in den Schoß zu legen. Dies ist uns bewusst, aber bewusst ist uns vor allen Dingen, dass diese Große Koalition einen Auftrag hat, den Menschen in Deutschland in diesem globalen Wettbewerb eine gute Perspektive zu geben. Deshalb werden wir unsere Arbeit fortsetzen: entschlossen, geschlossen, gemeinsam ringend um die richtigen Antworten, ja, ringend um die richtigen Antworten, aber mit der Entschlossenheit, für dieses Land etwas zu tun. Herzlichen Dank. ({51})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst durften wir hier Herrn Brüderle hören. Nur mit zwei Sätzen von ihm will ich mich auseinandersetzen. Sie haben zum einen der Union unterstellt, auch demokratisch-sozialistisch zu sein. Ich glaube, es hilft nichts: Ich muss Ihnen irgendwann einmal erklären, was demokratischer Sozialismus ist. ({0}) - Nicht heute, Herr Kauder; Sie können ganz beruhigt sein. Zum anderen haben Sie gesagt, es gebe glücklicherweise eine Partei in diesem Hause, die ihren wirtschaftlichen Sachverstand nicht an der Garderobe abgegeben hat. Das stimmt: Das ist die Linke. Diesem Satz wollte ich ausdrücklich zustimmen. ({1}) - Ich wusste, dass Sie sich freuen. Ich wollte Ihnen am Anfang eine kleine Freude machen. Aber jetzt wird es anders.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gysi, jetzt haben Sie zwei Ankündigungen gemacht, die Sie im Rahmen Ihrer Redezeit nicht werden abarbeiten können. Darauf mache ich vorsichtshalber aufmerksam. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Aber ich bitte darum, dass Sie Ihre Zwischenbemerkung nicht auf meine Redezeit anrechnen. ({0}) Frau Bundeskanzlerin, kommen wir einmal zur Außenpolitik. Sie stören sich zum Teil daran, wie China versucht, Weltmacht zu werden, und Russland versucht, wieder Weltmacht zu werden. Sie vergessen nur, darauf hinzuweisen, dass der Westen, und zwar in Form der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und anderer Länder, seinen Anteil daran hat. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Debatten, die wir im Bundestag geführt haben, als man meinte, Bomben auf Belgrad werfen zu müssen, um Menschenrechte herzustellen. ({1}) - Ich weiß, Sie wollen davon nichts hören. ({2}) Herr Scharping sagte, er werde sich davon nicht durch ein Veto Chinas abhalten lassen. Verstehen Sie, was das Problem ist? Jelzin wollte das nicht. Der Premierminister musste mit seinem Flugzeug umkehren, weil ihn keiner zum Gespräch empfing. Was war denn die Schlussfolgerung der beiden Führungen? Die Schlussfolgerung war eben nicht: Wir ziehen uns bescheiden zurück. Die Schlussfolgerung war vielmehr: Unser Nein oder unser Ja hat nur dann eine Relevanz, wenn dahinter auch Macht steht, nämlich Weltmacht. - Mit dieser Politik haben wir es jetzt zu tun. ({3}) Daran hat doch Deutschland seinen Anteil; das können wir doch nicht leugnen. Nehmen wir die Kriegspolitik; Sie haben dazu kaum etwas gesagt. Ich sage es noch einmal: Sie werden Terrorismus nicht wirksam mit Krieg bekämpfen können. Krieg erzeugt immer neuen Hass und damit neue Bereitschaft zum Terrorismus. ({4}) Wenn man sich im Übrigen den Irak, Afghanistan und vor allen Dingen die Drohung der USA in Bezug auf den Iran ansieht, dann weiß man: Es geht immer auch um Ressourcen. Es geht um Erdöl und Erdgas. Als ob wir seit Jahrhunderten nichts dazugelernt hätten! Immer wieder Kriege aus wirtschaftlichen Gründen! ({5}) Eine weitere Sache. Ich bin wirklich sehr für Frauenrechte und froh darüber, dass sich in Afghanistan etwas verbessert. Aber ich nehme Ihnen Ihre Ehrlichkeit diesbezüglich nicht ab vor dem Hintergrund, dass der König von Saudi-Arabien hier ist und Sie zu den Frauenrechten kein einziges öffentliches Wort sagen. ({6}) Dann geht es mir darum, dass die Schweiz jetzt gesagt hat, sie ziehe ihre Soldaten aus Afghanistan ab. Es gibt drei Felder - das muss ich Ihnen einmal sagen -, auf denen wir von der Schweiz lernen können. Erstens müssen dort alle mit einem Erwerbseinkommen Beiträge - dies bezogen auf ihr vollständiges Einkommen - in die Rentenversicherung einzahlen. Zweitens kennt man in der Schweiz Volksentscheide, und drittens zieht sie ihre Soldaten ab, weil sie sagt: ISAF dient nicht mehr der Friedenssicherung. - In dieser Hinsicht könnte Deutschland etwas schweizerischer werden. ({7}) Dann zu den Menschenrechten. Frau Bundeskanzlerin, da hatte ich bei Ihnen wirklich auf eine Änderung gehofft. Man kann ja unterschiedliche Wege gehen. Schröder, Schmidt und andere haben immer gesagt: Wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein, vielleicht in internen Gesprächen, aber nicht öffentlich. - Das ist der eine Weg. Sie haben in Russland etwas anderes gemacht. Sie haben mit China etwas anderes gemacht. Ein anderer Weg ist, dass man sagt: Ich spreche das öffentlich an, auch wenn Putin dabei ist. - Das kann man machen, Frau Bundeskanzlerin. Aber nun hatte ich gehofft, dass Sie nicht einseitig sind, und habe darauf gewartet, was Sie auf der Ranch von Bush sagen. Da haben Sie öffentlich nichts gesagt, kein Wort zu Guantánamo. ({8}) Ich bitte Sie, Frau Bundeskanzlerin: Guantánamo ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Da sitzen Menschen seit Jahren. Sie wissen nicht, wie lange noch. Sie haben keine Verteidiger. Es gibt für sie kein Recht. Sie sind rechtlos. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar. Sie werden weder als Kriegsgefangene noch als Beschuldigte behandelt. Der Höhepunkt waren - das muss ich Ihnen sagen Geheimgefängnisse der CIA in Osteuropa. Sie müssen sich das einmal vorstellen: Da sitzen Menschen, die gar nicht wissen, wo sie sind. Sie können keine Briefe an Angehörige schicken. Es gibt keinen Verteidiger, keinen zuständigen Richter und keinen zuständigen Staatsanwalt. Sie wissen nicht, ob sie dort ihr Leben lang oder nur kurze Zeit einsitzen. Sie wissen gar nichts. Hätte ein untergegangener Staat so etwas gehabt, wir hätten ganze Kommissionen und Komitees gebildet, um das auszuwerten, und Sie sagen dazu auf der Ranch nicht ein Wörtchen. Das ist nicht hinnehmbar. ({9}) Das ist die Einseitigkeit, wie ich sie seit Jahrzehnten kenne. Beim Gegenüber stellt man immer Menschenrechtsverletzungen fest, und bei Freunden schweigt man dazu. Das ist keine Lösung des Problems. Das ist ein instrumentelles Verhältnis zu Menschenrechten. ({10}) Aber kommen wir zur Innenpolitik. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den schönen Satz gesagt: „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr Menschen.“ Offenbar haben Sie nur Kontakt zu 10 Prozent der Menschen ({11}) und zu 90 Prozent der Menschen nicht. Was glauben Sie, was die Rentnerinnen und Rentner denken, wenn sie hören, dass der Aufschwung bei ihnen ankommt? Wir hatten gerade eine Rentensteigerung von 0,5 Prozent und eine Inflation von 3 Prozent. Das macht ein Minus von 2,5 Prozent. Da sind die Rentnerinnen und Rentner aber begeistert von dem Aufschwung! ({12}) Sie haben auch einen Satz aufgegriffen, den ich schon von Herrn Kauder kannte. Er hat in der Sendung Hart, aber fair gesagt: Sozial ist alles, was Arbeit schafft, und unsozial ist alles, was Arbeit vernichtet. - Sie machen sich das viel zu einfach. Es gibt auch Arbeit in Unwürde. ({13}) Die ist nicht sozial. Wir brauchen gute Arbeit, wir brauchen Arbeit in Würde. Das ist ein großer Unterschied. Ich will Ihnen einmal sagen, bei wem alles der Aufschwung nicht ankommt. Fangen wir einmal mit der Vermögensverteilung in Deutschland an, bei der die Ungleichheit übrigens unter Ihrer Verantwortung, Frau Bundeskanzlerin, noch zugenommen hat. 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzen zwei Drittel des Vermögens, und zwei Drittel der Bevölkerung besitzen kein Vermögen. Das waren einmal weniger. Der Reichtum hat zugenommen, und die Armut hat zugenommen. Wir sind von sozialer Gerechtigkeit weiter entfernt als zu Beginn Ihrer Koalition. Das ist die Wahrheit. ({14}) 2,6 Millionen Kinder leben in Armut. Sie haben keinen Satz dazu gesagt, was Sie dagegen tun wollen. 7,4 Millionen Menschen in Deutschland leben - entweder ausschließlich oder zusätzlich - von ALG II. Die merken nichts von dem Aufschwung, gar nichts. Darunter sind 1,3 Millionen Aufstocker. Deren Zahl hat zugenommen. Das muss man sich einmal überlegen - Herr Kauder, Sie sagen, das sei sozial -: Aufstocker sind Leute, die einen Vollzeitjob haben, aber von dem Lohn nicht leben können. ({15}) Deshalb müssen sie zusätzlich Sozialleistungen beantragen. Das ist überhaupt der Gipfel. Sie sagen immer: weniger Staat, mehr Markt. Aber die Risiken der Marktwirtschaft soll der Staat tragen. ({16}) Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen Steuern bezahlen, damit wir die Löhne wieder aufstocken. Das wollen Sie auch noch vertiefen; Sie wollen ja den Kombilohn erst richtig einführen. Ich kann nur sagen: Das ist unserer Meinung nach ein völlig falscher Weg. Den gesetzlichen Mindestlohn lehnen Sie ab. Der würde das beseitigen. Dann wäre klar, was mindestens gezahlt werden muss. Dann gäbe es keine Aufstocker mehr, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssten nicht zusätzlich Mittel zur Verfügung stellen. Aber das machen Sie nicht, obwohl der Mindestlohn so wichtig wäre. Sie führen ihn nicht einmal bei den Briefzustellerinnen und Briefzustellern ein. Wir haben dafür noch eine Woche im Dezember Zeit; ich bin sehr gespannt, ob Sie in dieser Zeit eine Lösung finden. Sie haben nichts gegen den Verdacht unternommen, Frau Bundeskanzlerin, dass die beiden Konkurrenzkonzerne, die gerne viel Geld verdienen und an denen Springer beteiligt ist, bei Ihnen vorstellig wurden und gesagt haben, sie wollten den Mindestlohn nicht. Nun muss ich Springer einmal verteidigen. Ich verstehe ja, dass sie mit Billiglöhnen eine hohe Rendite erzielen wollen. Ich verstehe sogar, dass sie Sie anrufen und sagen, dass sie das gerne weiterhin verdienen wollen. Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist, dass Sie nicht den Mut und die Kraft haben, zu sagen: Das ist ganz nett, aber wir machen das nicht; wir werden den gesetzlichen Mindestlohn für die Briefzustellerinnen und Briefzusteller einführen. ({17}) Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben. Zum Kombilohn sagt selbst der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, dass er lieber einen gesetzlichen Mindestlohn hätte als die Lohndrückerei über Kombilöhne. Jeder kann sich vorstellen, was in unserer Wirtschaft passiert, wenn Sie per Gesetz regeln, dass Sie den Rest sowieso immer draufzahlen. Dafür haben wir ja die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Auch die 6,6 Millionen Menschen in Minijobs merken übrigens nichts von Ihrem Aufschwung. Deren Zahl hat ebenfalls zugenommen. Außerdem sind inzwischen 800 000 Menschen in Leiharbeit. Ich sage Ihnen noch einmal: Das ist eine moderne Form der Sklaverei. ({18}) Es geht nicht an, dass man zwischen einem Drittel und der Hälfte von dem verdient, was andere für dieselbe Arbeit verdienen. Ebenso geht es nicht an, dass die Stammbelegschaften schrittweise ausgewechselt werden, weil sie über die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter unter Druck gesetzt werden. ({19}) - Wir können ja gerne zu mehr sozialer Gerechtigkeit kommen: Für die ALG-II-Empfänger haben wir einen Weihnachtszuschlag beantragt. Aber die christliche Partei sagt natürlich Nein zum Weihnachtszuschlag. Am 24. Dezember werden Sie aber schwülstige Reden halten. Sie hätten Ja sagen müssen zum Weihnachtszuschlag für ALG-II-Empfänger. ({20}) Die Regelsatzerhöhung haben Sie abgelehnt. Die Inflationsrate beträgt 3 Prozent, Sie erhöhen aber trotzdem nicht den ALG-II-Regelsatz. Die Kindergelderhöhung haben Sie verschoben. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier die Entscheidung für das Elterngeld und Frau von der Leyen gewürdigt. Ich muss Ihnen einmal sagen, was da Übles passiert ist: Die Ärmeren bekamen zwei Jahre lang 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat. Die Bezugsdauer haben Sie jetzt halbiert. Sie haben dafür gesorgt, dass sie nur ein Jahr lang Elterngeld erhalten. Dafür erhalten die Besserverdienenden bis zu 1 800 Euro Elterngeld pro Monat. Ich sage Ihnen: Das ist die direkteste Umverteilung von Arm zu Reich, die hier je beschlossen worden ist. ({21}) Über die Hälfte derjenigen, die Elterngeld beziehen, erhalten nur 300 Euro. Die Bezugsdauer ist aber um zwölf Monate verkürzt worden. Das hat mit sozialer Gerechtigkeit wirklich überhaupt nichts zu tun. Zu den Rentnerinnen und Rentnern - ich habe sie ja schon angesprochen -: Sie haben die Formel verändert. Es gibt keine Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner an der Produktivitätsentwicklung mehr. Auch an der Lohnentwicklung sind sie kaum noch beteiligt. Wir haben Nullrunde für Nullrunde gehabt. Real sind das immer Minusrunden, weil es immer Beitrags- und Preissteigerungen gab. Auch in diesem Jahr hatten wir letztlich eine Minusrunde, nichts anderes - das ist doch ganz klar -, weil die Preise viel stärker steigen als die Renten. Es geht den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland - das sind Millionen Menschen - wieder schlechter. Das ist die Wahrheit. Und es wird ihnen auch im nächsten Jahr nicht besser gehen. ({22}) Dann haben Sie noch beschlossen, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen. Frau Bundeskanzlerin, das ist doch nichts anderes als eine Rentenkürzung. Sie wollen einfach zwei Jahre lang keine Rente zahlen. Das ist alles, was dahintersteckt. ({23}) Die SPD hat da mitgemacht. Kommen wir nun zur Zwangsverrentung. Frau Bundeskanzlerin, ich appelliere noch einmal an Sie: Wir haben in diesem Jahr noch eine Sitzungswoche. Wir können da noch etwas machen. Ich will das so seicht wie möglich machen. ({24}) Diese Zwangsverrentung ist wirklich nicht hinnehmbar. Jährlich sollen 120 000 bis 150 000 Menschen zwangsverrentet werden. Diesen Menschen nimmt man die Entscheidungsfreiheit. Einem älteren Menschen von beispielsweise 60 Jahren, der ALG II erhält, sagen Sie: Du darfst nicht länger ALG II beziehen. Du musst in Frührente gehen, und zwar mit Abzügen, die dein Leben lang gelten. - Ich halte das für grundgesetzwidrig. ({25}) Ich habe die Auswirkungen an einem Beispiel ausgerechnet: Nehmen wir einen Durchschnittsverdiener, der 40 Berufsjahre hinter sich hat. Er hätte Anspruch auf eine Rente von 1 051 Euro. Wenn Sie ihn, weil er arbeitslos ist, jetzt zu einer Frühverrentung zwingen und der höchste denkbare Abzug von 18 Prozent greift - das entspricht einem Abzug von 190 Euro -, bekommt er statt 1 051 Euro nur 861 Euro Rente, und zwar auch, wenn er 88 oder 89 Jahre alt ist. Wenn Sie mit einer Rente in dieser Größenordnung leben müssten, wüssten Sie, dass das ein Verlust ist, der einfach nicht hinnehmbar ist. Den Menschen jede Entscheidungsfreiheit zu nehmen, halte ich wirklich für indiskutabel. ({26}) Ich appelliere noch einmal an Sie: Es gibt noch eine Sitzungswoche in diesem Jahr. Lassen Sie uns hier eine Lösung finden. Wir sind diesbezüglich für eine namentliche Abstimmung. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können bei diesem Thema nicht mit der Koalitionsdisziplin kommen. Sie müssen dann jährlich 120 000 bis 150 000 Leuten erklären, warum Sie mit dafür gesorgt haben, dass sie zwangsverrentet werden. ({27}) Noch eine Anmerkung, die das Thema Rente betrifft: Schröder hat ja noch die Riester-Rente eingeführt. Mit der Riester-Rente hat man der Wirtschaft im Grunde gesagt: Ihr braucht nicht mehr mitzubezahlen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen das alles alleine bezahlen. ({28}) - Moment. - Das ist doch ein großes Geschäft für die privaten Versicherungen. Die privaten Versicherungen haben sich doch als dankbar erwiesen. ({29}) Die Allianz-Versicherung hat im Juli 2007 an die CSU 60 001 Euro gespendet, an die CDU 60 001 Euro gespendet, an die SPD 60 001 Euro gespendet und - man höre und staune - an die Grünen 60 001 Euro gespendet. Herr Westerwelle, was Sie falsch gemacht haben, weiß ich nicht. ({30}) Sie haben nur 50 001 Euro bekommen. Die Strafe von 10 000 Euro habe ich nicht verstanden. Meine Partei hat gar nichts bekommen. ({31}) Ich muss Ihnen sagen: Ich bin froh, dass es noch eine nicht von der Allianz gesponserte Partei im Deutschen Bundestag gibt. ({32}) Nun kommen wir zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Der Aufschwung soll ja so stark sein. Nehmen wir einmal das Pro-Kopf-Einkommen. Ich habe wirklich gestaunt, als ich die neue OECD-Statistik gelesen habe. Es ist interessant, so etwas zu lesen. Nach dieser neuen OECD-Statistik ist es so, dass wir in Deutschland im Vergleich der 15 alten EU-Mitgliedsländer beim Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 11 liegen. Die OECD sagt: Im nächsten Jahr überholt uns Spanien; dann liegen wir auf Platz 12. Darauf sind Sie stolz, Frau Bundeskanzlerin? Das ist wirklich kein Grund, stolz zu sein. ({33}) Die UNO hat gestern eine neue Statistik herausgebracht, in der sie feststellt: Wir sind hinsichtlich der Lebensqualität um einen Platz nach hinten gerutscht. Wir sind jetzt auf Platz 22. Im Durchschnitt ist die Lebensqualität in Italien, Spanien und den USA höher als in Deutschland. Das hat die UNO festgestellt, nicht die Linke. Verstehen Sie? Sie reden hier, als ob in Deutschland alles blühend sei. Davon kann doch gar keine Rede sein! ({34}) Wir hatten in den letzten zehn Jahren - daran waren übrigens auch Sie beteiligt; seien Sie von der FDP einmal nicht so laut - in Deutschland einen Reallohnverlust von 6 Prozent. In denselben Jahren gab es eine Reallohnsteigerung in Frankreich von 10 Prozent, in den USA von 23 Prozent, in Großbritannien von 24 Prozent und in Schweden von 29 Prozent. Daher resultiert doch unser Abstieg im internationalen Vergleich. Bei uns boomt nur die Exportwirtschaft, nicht die Binnenwirtschaft. Denn die Kaufkraft ist nicht gestiegen. Was passiert jetzt? Jetzt erleben wir den Verfall des Dollars. Damit kommt die Exportwirtschaft wieder ins Schlingern. Sie haben binnenwirtschaftlich nichts vorbereitet, um dafür einen Ausgleich zu haben. ({35}) Jetzt sage ich Ihnen - da werden Sie sich wundern -: Nicht nur für die armen Schichten in Deutschland besteht eine große Gefahr, sondern auch für die Mittelschicht. Sie zerstören die Schicht der durchschnittlich Verdienenden, Sie zerstören die Mittelschicht. Ich nenne Ihnen dafür zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist: Sie wissen, Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Das kostet uns übrigens jährlich 11 Milliarden Euro. Das sage ich, damit die Leute einmal wissen, auf wie viel Geld Sie da verzichtet haben. Aber okay, das haben Sie gemacht. Sie haben die Steuer beim Einkommen allerdings nicht linear gestaltet, sondern es gibt einen sogenannten Steuerbauch. Das heißt, dass die durchschnittlich Verdienenden stärker in Anspruch genommen werden, weil Sie bei den Bestverdienenden nachgelassen haben. Damit zerstören Sie sozusagen die Schicht der Normalverdienenden, die Mittelschicht. Ich komme zum zweiten Beispiel. Das betrifft die Beiträge zur Sozialversicherung, und zwar aus folgendem Grund: Sie alle haben eine Beitragsbemessungsgrenze beschlossen und gesagt: Für ein höheres Einkommen muss man nicht mehr einzahlen. Wenn Sie sagen, für ein höheres Einkommen müsse man nicht mehr einzahlen, dann müssen Sie beim Normalverdienst den Prozentsatz erhöhen, damit das Geld reicht. Wieder trifft es die durchschnittlich Verdienenden. Sie müssen auf ihr ganzes Einkommen Beiträge zahlen, während die Bestund Besserverdienenden nur auf einen Teil ihres Einkommens Beiträge zahlen müssen. Ich kann Ihnen Punkt für Punkt belegen, wie Sie gerade die durchschnittlich Verdienenden in Deutschland immer stärker zur Kasse bitten. Auch das hat nicht nur die Linke festgestellt, sondern die OECD hat jetzt gesagt, dass die niedrigen und die durchschnittlichen Einkommen in Deutschland im internationalen Vergleich übermäßig stark belastet sind, während die hohen Einkommen im internationalen Vergleich stark entlastet sind. Das ist das Ergebnis der Politik von Union und SPD. ({36}) Was hat sich für die Ostdeutschen verbessert? Frau Bundeskanzlerin, auch Sie sind Ostdeutsche. Gibt es einen einzigen Schritt zur Angleichung der Renten, einen einzigen Schritt zur Angleichung der Löhne und Gehälter, einen einzigen Schritt zur Angleichung der Arbeitszeiten? Es gibt ihn nicht. Die Transferleistungen sind vereinbart; das ist okay. Aber davon müsste man - das will ich nicht machen; ich will es nur ansprechen - jetzt wieder abrechnen, dass Sie bei den übrigen Fördertöpfen den Osten immer benachteiligen, ({37}) zum Beispiel bei Wissenschaft und Forschung und auf anderen Gebieten. Es gibt noch eine Schwäche. Sie machen nichts für strukturschwache Regionen, ganz egal ob in Ost oder West. Die Kommunen strukturschwacher Regionen brauchen eine Investitionspauschale, damit sie eigene Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen können. ({38}) Kommen wir einmal zu den Steuern, weil darüber immer diskutiert wird. Uns wird Populismus vorgeworfen. Dazu muss ich Ihnen etwas sagen. Die Körperschaftsteuer haben Sie allesamt von 45 Prozent auf inzwischen ab 1. Januar 2008 15 Prozent gesenkt. Aber Sie vergessen immer, zu erwähnen, dass die Körperschaftsteuer in Großbritannien 30 Prozent, in Frankreich 33,3 Prozent und in den USA 35 Prozent beträgt. ({39}) Ich habe schon gesagt: Den Spitzensteuersatz haben Sie von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Ich erwähne noch einmal, dass ein Unternehmen, das etwas verkauft, eigentlich Steuern auf Veräußerungserlöse zahlen muss. Der Bäckermeister muss heute das Doppelte zahlen, die Deutsche Bank aber gar nichts mehr. Diese Steuer haben Sie unter Schröder einfach gestrichen. Damals haben Sie von der Union gemeckert, wieder eingeführt haben Sie diese Steuer aber nicht. ({40}) Es gibt in Deutschland keine Vermögensteuer, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Es gibt in Deutschland keine Börsenumsatzsteuer, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Die deutsche Erbschaftsteuer ist lächerlich. Da ich Beispiele liebe, habe ich einmal Folgendes berechnen lassen: Auf ein Firmenvermögen von 4 Millionen Euro zahlt man in Deutschland eine Erbschaftsteuer von 168 000 Euro, in der Schweiz zahlt man 262 000 Euro, in Frankreich zahlt man 660 000 Euro, in den Niederlanden zahlt man 1,2 Millionen Euro, und - gleich fallen Sie wahrscheinlich um - in den USA muss man darauf eine Erbschaftsteuer von umgerechnet 1,6 Millionen Euro zahlen. Unsere Erbschaftsteuer ist lächerlich, aber Sie korrigieren daran so gut wie gar nichts! ({41}) Eine Steuer haben Sie allerdings erhöht - das muss man Ihnen lassen -: die Mehrwertsteuer. ({42}) Die Mehrwertsteuererhöhung trifft wieder die durchschnittlich Verdienenden, sie trifft die Armen, sie trifft die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen usw., während es die anderen nicht weiter stört. Nun komme ich auf das Thema Populismus zu sprechen. ({43}) - Für Sie ist soziale Gerechtigkeit populär, für mich auch. Sie sollten allerdings einmal versuchen, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist das Problem, über das wir streiten. ({44}) Ich möchte etwas zur durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote in der EU sagen; ich beziehe mich also nicht nur auf die Höhe der Steuern. Damit das niemand vergisst: Diese durchschnittliche Quote, die auch die Steuer- und Abgabenquote der Slowakei, Polens, Lettlands, Litauens, Estlands, Bulgariens und Rumäniens berücksichtigt, liegt bei 40,8 Prozent. Das wirtschaftlich stärkste Land der EU, Deutschland, hat eine Steuer- und Abgabenquote von 36,3 Prozent. Es ist also nicht etwa so, dass Deutschland an der Spitze liegt, wie man es erwarten würde, sondern wir liegen sogar unter dem Durchschnitt. Würde Deutschland bei dem, was ich gerade genannt habe, im europäischen Durchschnitt liegen, dann hätten wir jährliche Mehreinnahmen von 120 Milliarden Euro. ({45}) Damit ließe sich all das bezahlen, was wir vorgeschlagen haben. Genau das lehnen Sie aber ab. ({46}) Wie ich gehört habe, hat die SPD einen Linksruck hinter sich, ({47}) weil sie eine geringe Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I beschlossen hat. Ich erinnere daran, dass Union und FDP einmal eine 32-monatige Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I eingeführt haben, nicht bloß eine 24-monatige. Wenn die Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I auf 24 Monate einen Linksruck bedeutet, dann müssen Union und FDP damals wohl linksextremistisch gewesen sein. Vor diesem Ruf will ich Sie aber in Schutz nehmen! ({48}) Sie haben den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung gesenkt, und zwar zunächst von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent und jetzt von 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent; damit will ich mich heute allerdings nicht näher auseinandersetzen. ({49}) Da nach einem Aufschwung immer ein Abschwung folgt, möchte ich Sie nur fragen: Was machen Sie im Abschwung, ({50}) also dann, wenn die Arbeitslosenzahlen wieder steigen? Ich kann mir schon jetzt vorstellen, dass es in den Debatten, die wir dann führen werden, wieder heißen wird: Wir können doch die Beitragssätze nicht erhöhen. Wir müssen also die Leistungen kürzen. - Das, was Sie hier beschlossen haben, wird sich für die Arbeitslosen wieder nachteilig auswirken. ({51}) Eine Entwicklung ist mittlerweile allen deutlich geworden - das ist übrigens eine vernünftige Entwicklung -: Je stärker die Linke ist, desto sozialdemokratischer wird die SPD. ({52}) Je stärker die Linke ist, desto sozialer und friedenspolitisch engagierter werden die Grünen. Nur bei der Union erleben wir die umgekehrte Entwicklung: Die CDU hat für ihren Parteitag einen Leitantrag beschlossen, in dem gefordert wird:

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Gysi, denken Sie bitte an die Redezeit.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- kein Mindestlohn, keine Einschränkung der Zeitarbeit, keine Einheitsschule! - Frau Bundeskanzlerin, wir beide haben eine Gemeinschaftsschule besucht. So schlecht sind wir doch gar nicht ausgebildet! ({0}) Damit haben Sie sich dagegen entschieden, bei der Bildung für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Außerdem haben Sie sich gegen ein Aufweichen der Rente mit 67 gewandt. Mit anderen Worten: Sie wollen die Armut erhöhen und den Reichtum stärken. Genau das ist nicht unsere Linie. Deshalb bin ich froh, dass es in diesem Hause eine linke Opposition gibt. Danke. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Peter Struck ist der nächste Redner für die SPDFraktion. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Politik nur so einfach wäre, wie der Kollege Gysi es gerade dargestellt hat: höhere Rente, weniger Steuern, keine weiteren Abgaben. So kann man Politik nicht machen, Herr Kollege Gysi. So kann sich ein Land wie Deutschland nicht verhalten. ({0}) Wir haben einmal durchgerechnet, was die Verwirklichung Ihrer Vorstellungen und Ihrer politischen Alternativen zum Haushalt, die Sie auch in den Debatten hier im Bundestag vorgetragen haben, kosten würde. ({1}) Ich kann Ihnen nachweisen, Herr Kollege Gysi - und zwar nicht so flach, wie Sie es hier darstellen, sondern fundiert -, dass die Verwirklichung Ihrer Vorschläge 150 Milliarden Euro Mehrausgaben pro Jahr für den Staat bedeuten würde. Das ist nicht finanzierbar; das ist doch völlig klar. Sie versprechen eine Politik nach dem Motto: „Im Himmel ist Jahrmarkt; ich führe euch alle hin.“ So kann man unser Land doch nicht regieren. Das geht nicht. ({2}) Natürlich wären auch wir für eine Rentenerhöhung. Natürlich wären auch wir dafür, vieles anders und besser zu machen. Aber es muss auch finanziell möglich sein; es muss auch darstellbar sein. Das, was Sie hier als Alternative vorlegen, ist keine Alternative. ({3}) Zu zwei Punkten, die Sie mit Recht angesprochen haben, will ich ganz konkret etwas sagen, weil wir darüber Gespräche führen. Die Koalitionsfraktionen sind mit der Bundesregierung im Gespräch über eine Neuregelung der Frühverrentung. Sie haben das Thema angesprochen. Gehen Sie davon aus, dass wir noch in der nächsten Sitzungswoche dazu ein Gesetz beschließen werden, das den Menschen, die davon betroffen wären, hilft. Die Koalition ist sich darin einig. Das ist ein großer Erfolg für unsere gemeinsame Arbeit und auch für den neuen Arbeitsminister Olaf Scholz, meine Damen und Herren. ({4}) Wir werden Ihnen unsere Entscheidung dazu in der nächsten Woche mitteilen, und wir werden in der nächsten Sitzungswoche im Bundestag auch eine entsprechende Regelung beschließen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine Rede gehalten, die mir heute sehr gut gefallen hat. Das ist ja nicht immer so. ({5}) - Ich habe es ja gesagt: Es ist nicht immer so. - Trotzdem kann ich es sagen: Ich unterstütze Ihre Politik, so wie Sie sie dargestellt haben, voll und ganz, wenngleich wir natürlich in manchen Fragen schon noch Differenzen haben. Das ist ja auch kein Geheimnis. Ich will ein Thema offen ansprechen. Wir haben unterschiedliche Auffassungen zum Thema Mindestlohn. Die SPD ist der Meinung, dass es in Deutschland einen Mindestlohn geben muss. Sie ist der Meinung, dass jemand, der den ganzen Tag arbeitet, auch davon leben können muss, ohne Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. ({6}) - Die Union klatscht nicht. Sie sieht das anders. Das ist normal in einer Koalition. Wir müssen über bestimmte Dinge reden, um herauszufinden, wo es Möglichkeiten für eine Einigung gibt. Wir hatten eine schwierige Debatte zum Thema Postmindestlohn, die nach dem jetzigen Stand noch nicht beendet ist. Ich gehe davon aus, dass wir in den anstehenden Gesprächen die große Chance haben, doch noch eine Einigung über einen Postmindestlohn zu erreichen, sodass der Deutsche Bundestag in der nächsten Sitzungswoche beschließen kann, die Briefdienstleister in das Entsendegesetz aufzunehmen. Das wäre ein Erfolg für alle, die in diesen Unternehmen beschäftigt sind. Wir haben einen guten Weg verabredet. Davon können wir ausgehen. ({7}) Ich weiß, dass dazu noch Gespräche unter den Beteiligten zu führen sind, aber wir sind auf einem guten Wege. Die Kanzlerin hat dargestellt, dass eine Reihe von Branchen beim Arbeitsminister Anträge auf Aufnahme in das Entsendegesetz stellen können, zum Beispiel das Bewachungsgewerbe, Zeitarbeitsfirmen, Gartenbaufirmen und viele andere. Ich bin schon der Auffassung, dass wir eine Regelung finden müssen, um diesen Branchen zu helfen. Es geht ja nicht nur darum - das ist mein erster Ansatz -, dass die Menschen für die harte Arbeit, die sie leisten, einen ordentlichen Lohn bekommen, sondern es geht mir auch um die Unternehmen und die Unternehmer, die darunter leiden, dass andere ihnen über Dumpinglöhne die Aufträge wegnehmen. Es gibt also ein beiderseitiges Interesse, einen bestimmten gesetzlichen Mindestlohn zu vereinbaren. Wir lassen von diesem Thema jedenfalls nicht ab, meine Damen und Herren, wenn es sein muss, bis zur Bundestagswahl im Jahre 2009. ({8}) Im Bereich des Arbeitsmarktes macht mir ein Problem große Sorgen: die Ausweitung der Leiharbeit in Deutschland. Wenn ich höre, dass in einem großen Automobilwerk in Ostdeutschland inzwischen 40 Prozent der Beschäftigten über Leiharbeitsfirmen in dieses Unternehmen gehen, dann ist in Deutschland etwas nicht in Ordnung. ({9}) Leiharbeit war gedacht als Möglichkeit, in bestimmten Sondersituationen zusätzliches Personal zu beschäftigen, mit dem die Firmen nicht dauerhaft belastet sind. Leiharbeit bedeutet aber nicht, dass normale Arbeitsplätze outgesourct werden und die Kollegen die gleiche Arbeit wie vorher zu schlechteren Bedingungen leisten. Das darf nicht sein, das wollen wir ändern. ({10}) Wir haben darüber gesprochen, wie lange das Arbeitslosengeld I gezahlt werden soll. Das ist, wie Sie wissen, eine schwierige Debatte, auch in meiner Partei und in meiner Fraktion. Ich will an dieser Stelle ein Wort zu Franz Müntefering sagen, der heute nicht mehr hier ist. Ich danke Franz Müntefering, der als Arbeits- und Sozialminister viel bewegt hat in unserem Land. Ich glaube, da spreche ich nicht nur für meine Fraktion, sondern auch für viele andere in diesem Haus. ({11}) Die Kanzlerin hat zum Thema Arbeitslosengeld I das Richtige gesagt. Es ging nach meiner Auffassung auch darum, dass man zum Beispiel den Menschen, die älter als 60 Jahre sind und lange eingezahlt haben, das Gefühl vermitteln muss, dass sie anders behandelt werden als diejenigen, die weniger eingezahlt haben und jünger sind. Das heißt, der Übergang von ALG I zu ALG II sollte nicht so abrupt sein. Wir haben eine Regelung dafür gefunden. Ich hoffe, dass die Menschen das auch in Anspruch nehmen. Wir wissen genau, dass wir im Augenblick die Chance haben, bessere Vermittlungsmöglichkeiten für ältere Arbeitslose zu erreichen. Die Zahlen sind genannt worden. Wir sind auf einem guten Weg. Es war eine schwierige Debatte; aber das Ergebnis, das die Koalition hier erreicht hat, ist ein gutes Ergebnis. Wir haben dazu Arbeitsminister Olaf Scholz den Auftrag gegeben, ein entsprechendes Gesetz vorzubereiten. Die SPD-Fraktion geht davon aus, dass dieses Gesetz eine solche Wirkung entfaltet, auch rückwirkend, dass die, die gemeinhin davon betroffen sind, von dieser Verbesserung beim Arbeitslosengeld I etwas haben. Es gibt einen Kommunalkombi, es gibt viele Förderungsinstrumente. Ich finde es richtig, dass vereinbart worden ist, dass der Arbeitsminister uns einen Vorschlag macht, wie man die Zahl der vielen Förderinstrumente der Arbeitspolitik komprimieren kann. Das Ministerium ist dabei, und wir werden in Kürze etwas vorlegen. Ein Kommunalkombi für Kommunen, die eine höhere Arbeitslosigkeit als 15 Prozent haben, ist absolut richtig. Das hat eine gute Steuerungswirkung, gerade im Osten, Kollege Gysi. Auch da müssen wir solche Förderungsmaßnahmen ansetzen. Es gibt gar keinen Zweifel, dass wir das tun werden. ({12}) Wir - auch die Kanzlerin und andere - haben viel über die Zukunft geredet. Was sind die Zukunftsfragen des Landes? Ich glaube, die Große Koalition hat wegen der breiten Mehrheit, die wir hier haben, und wegen ihrer breiten Mehrheit im Bundesrat eine große Verantwortung. Das kann übrigens nicht heißen, dass wir die nächsten beiden Jahre, weil angeblich alles abgearbeitet sei, nur Wahlkampf machen. Das würden uns die Menschen nicht verzeihen. Wir sind für andere Aufgaben gewählt worden: etwas für die Menschen in Deutschland zu tun. Ich nehme als Beispiel die Kinder. Wir haben hier eine Menge gemacht, zum Beispiel das Elterngeld eingeführt. Wir diskutieren über den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ({13}) und werden den Gesetzentwurf von Frau von der Leyen, der auf dem Weg ist, in Kürze, denke ich, verabschieden. Es ist ein großer Erfolg, dass wir ab dem Jahr 2011 750 000 Plätze in Krippen haben werden und der Bund dies mitfinanziert. Normalerweise ist das nämlich keine Aufgabe des Bundes. ({14}) Wir diskutieren das gerade in der Föderalismuskommission; dazu komme ich noch. Dass wir als Bund bereit sind, Geld zu geben, damit Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für ihre Kinder bekommen, ist ein großer Erfolg. ({15}) Wir führen eine Debatte über das Betreuungsgeld. Ein Partner in der Koalition will auf jeden Fall ein Betreuungsgeld festlegen, und zwar schon jetzt. Ich sage dazu: ({16}) Es ist völlig klar, dass über die Frage, ob es ein Betreuungsgeld gibt für die Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Krippe geben wollen, im Jahre 2013 entschieden wird nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten Jahr. Das muss klar sein. ({17}) Im Übrigen will ich auch an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass ich Frau von der Leyens Politik in vielen Fällen fast hundertprozentig unterstütze, nämlich weil sie die gleiche Politik macht, wie sie Renate Schmidt gemacht hat. ({18}) Das werden Sie nicht bestreiten, Frau von der Leyen. Ich glaube, Sie haben bei uns manchmal mehr Unterstützung als in Ihrer eigenen Fraktion oder in Ihrer eigenen Partei. Aber das ist ja egal, das Ergebnis zählt, und das ist ein gutes. Wir haben in der letzten Koalitionsrunde über einen Erwerbstätigenzuschuss diskutiert und eine Vereinbarung getroffen, dafür aus den Mitteln der Bundesagentur mehr als 1 Milliarde Euro bereitzustellen sowie 200 Millionen Euro für einen Kinderzuschlag, also besondere Leistungen für besonders förderungsbedürftige Familien. Wir haben natürlich über die üblichen Punkte zu diskutieren. Die Opposition sagt, wir müssten das Kindergeld erhöhen. Ein entsprechendes Verfahren gibt es schon. Eine Frage dazu möchte ich hier aber doch öffentlich stellen - wir sind hier ja in der Öffentlichkeit -: Ist es sinnvoll, das Kindergeld, wenn es an der Zeit ist, um 6 Euro oder um 10 Euro zu erhöhen, oder ist es nicht besser, dieses Geld für besondere Anforderungen, die im Bereich der Familienförderung entstehen, bereitzustellen? Als Beispiel nenne ich ein Schulpaket. Wir wollen, dass auch die Kinder von Eltern, von denen wir wissen, dass sie das Kindergeld nicht für die Zwecke benutzen, für die es gedacht ist, eine Hilfe erhalten. ({19}) Wir wollen zum Beispiel eine Schulspeisung und ein Schulpaket ermöglichen, sodass Kinder beispielsweise auch in die Schule gebracht werden. Darüber werden wir noch debattieren. Ich sage nicht, dass manche Eltern nicht mit ihren Kindern umgehen können. Wie könnte ich das sagen? Ich weiß aber auch, dass es Situationen gibt, in denen der Staat zum Beispiel auch über eine solche Maßnahme regulierend eingreifen muss. Es ist strittig, und wir werden darüber diskutieren. Ich bin aber optimistisch, dass wir das schaffen. Zur Nachhaltigkeit und zur Zukunftssicherung gehört natürlich auch die Finanzpolitik. Das ist gar keine Frage. Herr Kollege Gysi, was Sie zu den Finanzen gesagt haben, ist schon sehr absurd. Es ist klar, dass wir beim Abbau der Neuverschuldung auf einem guten Weg sind. Ich möchte wissen, was Sie gesagt hätten - oder was der Kollege Westerwelle sagen würde, der ja noch reden wird -, wenn wir nicht eine so geringe Nettokreditaufnahme hätten. Wir sind stolz darauf, dass es mit Steinbrück und den Haushältern gelungen ist, die Nettokreditaufnahme auf unter 12 Milliarden Euro zu drücken. Das ist ein großer Erfolg. Bis 2011 wollen wir bei null sein. ({20}) Dass wir die Schulden abbauen müssen, ist doch völlig klar. Wir haben jetzt eine jährliche Zinslast von 43 Milliarden Euro. Man kann nicht wie Gysi und andere, zum Beispiel die FDP - hier sind Sie sich ja einig -, einfach nur fordern, die Steuern zu senken. Das geht doch gar nicht. Das ist überhaupt nicht möglich. ({21}) Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese Situation auch rechtlich in den Griff bekommen. Sie alle wissen, dass wir in der Föderalismuskommission II über genau diese Frage diskutieren: Wie können wir eine Schuldengrenze einbauen? - Kollege Burgbacher ist gerade nicht da, aber ich sehe im Augenblick eine breite Übereinstimmung im Parlament, dass wir im Zuge der Neuordnung des Art. 115 Grundgesetz hierzu etwas tun werden. Wir als Bundespolitiker erwarten von den Landespolitikern in dieser Kommission, dass eine Regelung hinsichtlich der Begrenzung der Nettokreditaufnahme, die wir festlegen, möglichst auch auf die Länderhaushalte übertragen wird. Das wäre ein guter Weg. Ob man das schafft, weiß ich nicht. Kollege Günther Oettinger und ich wollen als Vorsitzende dieser Kommission Anfang des Jahres einen Vorschlag dazu vorlegen. Zu zwei Bereichen will ich noch etwas sagen. Zunächst zum Thema Klimaschutz. Umweltminister Sigmar Gabriel macht eine ordentliche Arbeit. Ich hoffe, dass sich das auch dann auszahlen wird, wenn wir hier im Parlament über die Umsetzung der Gesetze zu diskutieren haben. Das KWK, das EEG und andere Gesetze sind vorgelegt worden. Es ist ein bisschen schwer, den Menschen zu erklären, was das alles heißt. Man kann es meiner Meinung nach so zusammenfassen: Wenn man eine Veranstaltung zum Thema Klimaschutz durchführt, muss man betonen, dass das das Zukunftsproblem ist. Ich will hinzufügen: Wenn ich nicht so alt wäre, würde ich mir gerne noch einen Traum verwirklichen. ({22}) - Nein, warte einmal ab, was ich sagen will. - Ich würde die Erde gerne einmal vom Weltraum aus sehen. ({23}) Das Geld dafür habe ich nicht, und das Alter ist auch schon hoch. Ich kann mich erinnern, dass Gagarin, der erste Mensch, der im Weltraum war, das auch einmal gesagt hat: Wenn man sich die Erde vom Weltraum aus anschaut, dann fragt man sich schon, warum wir die Erde durch Klimaverschmutzung und Kriege kaputtmachen. ({24}) Wie gehen wir mit unserem Planeten um? Deshalb sage ich - das möchte ich deutlich festhalten -: Wir haben gegenüber unseren Enkeln, Urenkeln usw. eine Verantwortung dafür, dass wir ihnen einen ordentlichen Planeten hinterlassen. ({25}) Das heißt übrigens auch, dass wir heute damit anfangen müssen, uns einzuschränken. Das ist doch völlig klar. Die Kanzlerin hat es gesagt: Wir müssen Energie sparen. Wir müssen effizienter mit Energie umgehen. Wir müssen alternative Energien nutzen. Das alles geht allerdings auch nicht an dem Geldbeutel der normalen Menschen vorbei; überhaupt nicht. Wir werden Schwierigkeiten mit der Automobillobby und den Gewerkschaften, die die dort Beschäftigten vertreten, haben, wenn wir jetzt sagen: Ihr müsst andere Autos bauen. - Natürlich müssen wir andere Autos haben. Wir müssen auch über ein Tempolimit diskutieren. Das haben wir ja diskutiert. Irgendwann kommt es auch. Da gebe ich Fritz Kuhn recht: Das kommt irgendwann. ({26}) Es stellt ja wirklich eine Möglichkeit dar, Energie einzusparen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es richtig ist, das zu machen. Frau Kanzlerin, Sie haben dankenswerterweise gesagt - es ist auch gut, dass wir da mit offenen Karten spielen -, dass wir unterschiedliche Auffassungen zum Thema Kernenergie haben. Dabei bleibt es auch. Die SPD wird sich nicht vom Ausstieg aus der Atomenergie abbringen lassen. Er ist unverrückbar. Daran werden wir nicht rütteln. ({27}) Sie haben eine andere Auffassung dazu. Man muss sehen, ob Sie dann eine andere Regierung bilden können oder ob wir eine andere Regierung bilden. Auf jeden Fall bleibt es bei dem Ausstieg aus der Kernenergie. Das ist im Übrigen auch ein Hinweis darauf, wie man Energiepolitik in Deutschland machen muss: mit Steigerung der Effizienz, Einsparungen und alternativen Energien. Zur Außenpolitik nur einige Worte: Weil dieses Thema aktuell ansteht, danke ich zunächst Außenminister Steinmeier für seine Beteiligung an der AnnapolisKonferenz. Ich glaube, es war wichtig, dass auf Anregung von Herrn Steinmeier Syrien beteiligt worden ist. Ohne Syrien passiert in dieser Region nämlich gar nichts; das wissen wir. Das ist ein großer Erfolg, den Sie erreicht haben, Herr Außenminister. ({28}) Ich beschäftige mich lange Jahre mit Israel. Ich bin auch Vorsitzender des Gesprächskreises Israel meiner Fraktion und bin oft in diesem Land. Ich glaube, viele Unwägbarkeiten und Gefahren in dieser Region gehen von diesem ungelösten Konflikt aus. Daran hängt dann alles: Iran, Irak - Greater Middle East. Von Präsident Bush ist wieder ein Versuch unternommen worden. Wir begrüßen das. Was Europa bzw. Deutschland dazu leisten kann, soll es auch leisten, um diesen Prozess mit zu beschleunigen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, das gemeinsam tun werden. Wir, die Koalitionsfraktionen, unterstützen jedenfalls diesen Weg. Dabei ist völlig klar, dass auch für uns das Existenzrecht Israels überhaupt nicht auf dem Spiel steht - überhaupt nicht, meine Damen und Herren. ({29}) Ich sage: Große Koalition heißt große Verantwortung. Ja, wofür denn eigentlich? Für die Sicherheit vieler Menschen. Was erwarten sie? Sie erwarten Sicherheit vor Krankheit. Was also passiert mit ihnen, wenn sie krank werden? Da haben wir mit der Gesundheitsreform einen Versuch gemacht. Er ist nicht ganz gelungen. Ulla Schmidt und ich und andere in meiner Fraktion sagen: Wir wollen eine Bürgerversicherung. - Die Union sagt: Wir wollen eine Kopfpauschale. - Der Streit war nicht zu entscheiden. Trotzdem haben wir mit der Gesundheitsreform einen guten Weg gefunden, die Krankenversicherungsbeiträge zumindest für die nächsten Jahre stabil zu halten. Was erwarten sie noch? Sie erwarten Sicherheit vor Arbeitslosigkeit. Dazu habe ich einiges gesagt. Die von uns vorgelegten Programme können sich sehen lassen, finde ich. Wir dürfen damit aber nicht aufhören. Natürlich wollen wir um die unter 25-jährigen Arbeitslosen kämpfen. Dafür werden Programme vorgelegt. Die Anzahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss wird ja immer größer. Auch da werden wir Akzente setzen. Ich sage zu diesem Bereich: Es ist gut, dass wir einerseits Geld für die Förderung von Kleinkindern in die Hand nehmen, andererseits aber auch Geld für besondere Programme wie „U 25“ in die Hand nehmen. Ich füge gleich an - auch mit einem gewissen Stolz auf die Leistung zunächst der SPD-Fraktion und anschließend von Frau Schavan -: Dass wir das BAföG erhöht haben, ist auch ein großer Erfolg, der zur Verbesserung der Bildungschancen in Deutschland beiträgt. ({30}) Die Menschen erwarten auch Sicherheit vor der Situation, dass sie zu einem Pflegefall werden. ({31}) Dazu haben wir auch etwas beschlossen. Es wird umgesetzt. Ich habe bei vielen Veranstaltungen zu diesem Thema gelernt, dass die Kinder, die heute geboren werden - mein jüngstes Enkelkind ist ein knappes Jahr alt -, eine Lebenserwartung zwischen 80 und 90 Jahren haben vielleicht noch mehr. ({32}) - Ja, Mädchen von 100 Jahren. - Man muss sich doch auf diese Situation einstellen und darf nicht einfach den folgenden Satz daneben stellen, den ein befreundeter Arzt, auf die Frage, was man gegen Demenz und Alzheimer tun könne, als Antwort gab, nämlich: Früher sterben. - Die Entwicklung, dass die Menschen zunehmend älter werden, fordert die Politik massiv heraus. Wir haben dazu Vorschläge vorgelegt, auch was die Pflegeversicherung angeht. Das können aber nur erste Schritte sein. Hier müssen wir mehr tun. Letzter Punkt. Die Menschen erwarten äußere und innere Sicherheit vor Terror. Ich glaube, dass das, was die Bundeswehr im Ausland - in Afghanistan, Dschibuti und anderswo - leistet, ein hervorragender Beitrag auch zur Stärkung der Sicherheit in unserem Land ist. Ich bleibe bei meinem Satz: Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt. Der Satz ist richtig. ({33}) Ich bedauere, dass manche diesen Weg überhaupt nicht mitgehen können. Was wir in Afghanistan machen, ist kein Krieg, absolut nicht, Herr Kollege Gysi. Sie müssen nur mit den Menschen dort reden. Dann wüssten Sie es. ({34}) Ihre Bemerkung zu Jugoslawien und Milošević war ja nichts anderes als peinlich. Da haben Sie einen ganz dunklen Fleck auf Ihrer Weste. ({35}) Die Menschen erwarten auch Sicherheit im Innern. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Vor Selbstmordanschlägen ist niemand in Deutschland geschützt. Der Staat kann nicht neben jeden Menschen jemanden stellen, der kontrolliert. Das ist völlig ausgeschlossen. Das muss man wissen. Aber wir können natürlich die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, die sicherstellen, dass wir möglichst viel im Griff behalten. Ich habe überhaupt keinen Grund, an der Arbeit der Sicherheitsorgane - Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Landeskriminalämter usw. - zu zweifeln. Ich will diesen Organen das Instrument der Onlinedurchsuchung geben, allerdings unter engen rechtsstaatlichen Bedingungen. Die Freiheit der Bürger in Deutschland ist ebenfalls ein hohes Gut, das wir bewahren müssen, wenn es um die innere Sicherheit geht. ({36}) Herr Schäuble und ich haben lange Debatten über den Einsatz der Bundeswehr im Innern geführt, auch hier im Plenum. Ich will deutlich festhalten, Herr Kollege Volker Kauder: Sie können die Änderung des Art. 87 a des Grundgesetzes so oft fordern, wie Sie wollen, die SPD wird die Bundeswehr im Innern nicht einsetzen. ({37}) Das ist ein Thema, bei dem wir kein Einvernehmen erzielen können. Also müssen wir uns damit befassen, wenn es wieder auf der Agenda steht. Mit uns ist diese Änderung jedenfalls nicht zu machen. Ein persönlicher Abschluss: Wir haben jetzt zwei Jahre Große Koalition hinter uns. Der Anfang war schwierig, weil die Unterschiede ein bisschen größer waren, als wir alle gedacht haben. ({38}) Trotzdem kann sich das, was wir in den zwei Jahren geleistet haben, sehen lassen. Unser Land ist auf einem guten Weg. Auf diesem guten Weg werden wir weitergehen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({39})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Künast, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Merkel, Herr Struck, das waren zwei bemerkenswerte Reden, die sich durch Selbstbeweihräucherung und ewige Wiederholungen wie bei einer tibetanischen Gebetsmühle ausgezeichnet haben. Sie haben gesagt, wir seien auf einem guten Weg, und uns erklärt, was Sie wollen und tun werden. Aber Sie haben nichts Konkretes gesagt. Sie haben nicht gesagt, wie Sie dieses Land - auch mithilfe des Haushaltes 2008 - weiter umbauen wollen. Ein Totalausfall war das heute Morgen. ({0}) Sie haben wiederholt auf den Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren hingewiesen. Darüber muss ich wirklich lachen ({1}) angesichts der Tatsachen, dass Sie in zwei Jahren 50 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen, aber die Neuverschuldung gerade einmal um 28 Milliarden Euro senken, oder dass die Einnahmen um 2,7 Prozent steigen, aber die Ausgaben um 4 Prozent steigen. Ich habe zwar keinen Nobelpreis für Mathematik ({2}) und viele draußen auch nicht, aber ich weiß, dass das nicht Sanieren ist. Sie leben vielmehr über Ihre Verhältnisse und auf Kosten folgender Generationen. ({3}) Das haben Sie, Frau Merkel, dadurch organisiert, dass Sie am Anfang der Legislaturperiode den Bürgerinnen und Bürgern durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer ordentlich in die Tasche gegriffen haben. Das verteuerte den Lebensalltag. Wir alle sehen doch, dass im Augenblick die Teuerungsrate steigt und das Geld immer weniger wert ist. Da können Sie doch nicht behaupten, Sie seien auf einem guten Weg, oder von Wohlstand für alle reden. Die Menschen haben faktisch weniger, und Sie helfen ihnen nicht aus ihrer Lage heraus. Was mich ärgert, wenn ich den Haushalt betrachte, ist, dass man keinen Mut hat, an der einen oder anderen Stelle Subventionen zu streichen. ({4}) In diesem Land werden immer noch Dienstwagen in einer Größenordnung von bis zu 50 000 Euro subventioniert, es gibt immer noch Ausnahmen von der Ökosteuer, und es gibt immer noch den faulen Kohlekompromiss. Sie verstecken sich hinter dem Ruhekissen einer noch funktionierenden Konjunktur, aber saniert wird hier gar nichts. ({5}) Sie haben - das haben die Reden gezeigt - überhaupt kein gemeinsames Leitbild und gar keine gemeinsamen Werte. Das Wohin ist gar nicht definiert. Es geht schlicht und einfach darum, diese Legislaturperiode bis zum Jahr 2009 irgendwie auszuhalten. Aber in Zeiten der Globalisierung, des demografischen Wandels, des Klimawandels und anderer existenzieller Fragen haben Sie nach zwei Jahren nicht einmal eine Vision, wohin dieses Land soll und wie Sie an das Ziel kommen wollen. Ihr Motto ist: Weiter so und durchwurschteln. ({6}) Wer sich um dieses Land Gedanken macht, muss sich die zentrale Frage stellen, wie wir 2010, 2020 oder 2030 leben wollen. Die richtige Antwort darauf gab nicht die Rede von Herrn Struck als Ergänzung zu der der Kanzlerin. Ich habe in diesen Wochen nur eine wirkliche Beschreibung von Frau Merkel gelesen, und das war die in Newsweek. Newsweek hat sie als „Lost Leader“ betitelt, also als „verlorene Führerin“. Sie, Frau Merkel, sind keine Reformkanzlerin, auch wenn Sie sich hin und wieder so gerieren. Sie repräsentieren - schade für Herrn Köhler; dieses Amt war ja eigentlich schon vergeben -, ein Foto ist schöner als das andere, Sie sagen die Dinge so schön, Frau Bundeskanzlerin, aber am Ende ist das alles nichts anderes als ganz großes Kino. Dabei bleibt die Reform des Landes auf der Strecke. ({7}) Ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Es gibt immer wieder verbal, in schöne Worte gefasst, eine ganz große und radikale Aufgabendefinition. Dem folgt aber am Ende nie eine radikale Praxis, dem folgt nie der angemessene radikale Wandel, der Umbau der Strukturen. Aber wir wissen: Wenn Sie das Land umbauen und wirklich Klimaschutz betreiben wollen, dann müssen Sie sich an diesen radikalen Wandel machen, dann müssen Sie die Oligopole auflösen, und dann müssen Sie eine dezentrale Energiewirtschaft schaffen, sonst erreichen Sie das propagierte Ziel von minus 40 Prozent nie im Leben. ({8}) Sie wissen doch sehr gut, dass Sie mit der Denkweise und den Strukturen von gestern oder heute dieses Land und diese Welt nicht ändern können. Sie müssen den Mut haben, etwas Neues zu denken: Denken Sie die CO2-freie Gesellschaft! ({9}) - Dass Sie von der FDP wieder hinter der Zeit sind, weiß auch ich. ({10}) Bei Ihnen zählt nicht die Zukunft, sondern es zählen Steuersenkungen für die, die schon haben. - Wir müssen lernen eine CO2-freie Gesellschaft zu denken, um zu wissen, wie die Städte funktionieren sollen, wie wir produzieren und wie wir Mobilität herstellen können. ({11}) Frau Merkel hat sich ja mit vielen Beratern umgeben. Einer der Berater für Klimaschutz ist Professor Schellnhuber. Der hat nicht weniger gesagt als: Es geht um die Neuerfindung der modernen Welt. Der Klimawandel kann nur aufgehalten werden, wenn sich die Gesellschaften weltweit so radikal ändern wie zuletzt im 19. Jahrhundert. Wenn man Schellnhuber, dem Kanzlerinberater, folgen will, reicht es eben nicht, bei der UN zu sagen, bis 2050 müssen wir die CO2-Emissionen um 50 Prozent reduzieren, sondern dann muss man hier und jetzt anfangen und den Mut haben, den Vorständen bei den Automobilkonzernen und den Vorständen bei den vier Energieversorgern auch einmal reinen Wein einzuschenken und von ihnen zu verlangen, sich zu verändern. Sonst ist Ihre Politik ein Potemkinsches Dorf. ({12}) - Wer war denn der Zwischenrufer von der FDP? Wissen Sie was, kleiner Nachhilfeunterricht: Klicken Sie einmal im Internet an, welche Forschungsaufträge die Europäische Union vergibt. Dann kommen auch Sie von der FDP endlich im Jahr 2007 an. Bei allen jetzt ausgelobten Forschungsaufträgen geht es um „carbon-free society“. Guten Morgen, FDP! ({13}) - Dafür, dass Sie kein Englisch können, kann ich jetzt auch nichts. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Aber Verhandlungssprache im Deutschen Bundestag bleibt Deutsch, Frau Kollegin Künast. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Diese Regierung baut einen - ({0}) - Wissen Sie was, er kann es immer wieder dazwischenquäken und zicken. Aber mehr als fünf Mal kann ich ihm nicht sagen, dass alle Welt Aufträge für eine CO2-freie Gesellschaft ausschreibt. Wenn er dann noch einmal ruft, können Sie ja mit ihm reden. Ich kann doch nichts dafür, dass die FDP selbst dieses nicht merkt. ({1}) Diese Kanzlerin geriert sich als Klimaqueen. Aber, Frau Merkel, wir haben uns gefragt, ob das, was Sie in Ihren Reden sagen, auch wirklich in den Papieren steht. In den Papieren vom G-8-Gipfel steht das, was Sie behauptet haben, nicht drin. Die USA haben sich nicht - das sehen wir auch wieder an ihrem derzeitigen Handeln zu dem bereit erklärt, was Sie behaupten. Es gibt keine Bereitschaft für ein aktives Vorgehen in einem multilateralen Prozess. Sie haben, Frau Merkel, wenn Sie über Klimaschutz reden und große Worte machen, am Ende nur die aktuelle Kostenfrage für die Wirtschaft im Kopf. Wir sagen aber, in diesem Land muss, wenn es funktionieren soll, die Wirtschaft auch selber ihren Beitrag leisten. Es kann nicht sein, dass man regelmäßig Provisionen bekommt, wenn man Teile der Firma verkauft, wenn man Arbeitsplätze abbaut. Ich meine, ein Vorstandschef sollte nur Provision bekommen, wenn er - das ist heute schon technisch möglich! - den Energieverbrauch seines Unternehmens um mindestens 30 Prozent senkt. Das würde Sinn machen. Das wäre „Eigentum verpflichtet“ in praktischer Anwendung, ({2}) weil es an dieser Stelle die Gemeinwohlbindung gibt. Die Unternehmen sollten meines Erachtens aufhören, Lobbyarbeit zu machen, und stattdessen CO2-Ausstoß und Energieverbrauch senken. Wenn wir uns jetzt angucken, wie diese Koalition konkret agiert, dann stellen wir fest: Es gibt bei dieser Kanzlerin den sozialen und ökologischen Wortbruch, den sozialen beim Mindestlohn. Ich muss sagen, das, was Sie da jetzt erzählt haben, reicht mir immer noch nicht aus, auch wenn Herr Struck andeutet, man sei auf einem guten Weg. ({3}) Aber beim Klimaschutz opfern Sie sich, Ihre Politik und dieses Land den Lobbyinteressen. Es reicht nicht aus, über Klima zu reden und dann nachher einen Deal wie Herr Glos zu machen: Als Dank für die Schaffung von ein bisschen mehr Transparenz kämpft er nun in Brüssel gegen die Trennung von Produktion und Netz bei den großen Energieversorgern. Aber gerade diese Trennung wäre ein zentraler Punkt für eine andere Klimapolitik. Es geht auch nicht, dass man behauptet, eine Reduktion um 40 Prozent vornehmen zu wollen, aber noch nicht einmal ein Programm dafür vorlegt. Ganz unmöglich ist schließlich, dass der Bundesumweltminister nun seine Agenten losschickt oder selber fährt, um überall in der Republik die Leute von Kohlekraftwerken zu überzeugen. Damit machen Sie keinen Klimaschutz! ({4}) Hinzu kommt, dass Frau Merkel Ole von Beust in seinem Bemühen unterstützt, dass von Vattenfall in Hamburg-Moorburg ein neues Kraftwerk gebaut wird, durch das aber die Emissionen in Hamburg um 40 Prozent erhöht und nicht etwa gesenkt werden. Das ist doch kein Klimaschutz. Das ist eher eine Versündigung am Klima. ({5}) Wir kennen nur ein klimaschonendes Kohlekraftwerk in dieser Republik, und zwar das in Ensdorf. Dort haben die Bürgerinnen und Bürger durch ein definitives Nein entschieden, dass kein Kraftwerk gebaut wird. Ich kann die Bürgerinnen und Bürger nur auffordern, zum einen das zu tun, was die Bürgerinnen und Bürger in Ensdorf gemacht haben, und zum anderen, den Stromanbieter zu wechseln. Wenn die Regierung bestimmte Änderungen nicht herbeiführt, dann müssen die Bürger das selber tun. ({6}) Sie haben in diesen Haushalt trotz vollmundiger Ankündigung keinerlei zusätzliche Mittel für den Klimaschutz eingestellt. Zur Verfügung stehen wie im vorherigen Haushalt nicht mehr als 400 Millionen Euro. 75 Prozent der Mittel sind ohne konkrete Bedingungen gesperrt. Diese Sperre besteht, um die Möglichkeit zu haben, Gabriel am Nasenring durch die Republik zu führen, vorneweg durch Herrn Glos, den kurzfristige Wirtschaftsinteressen leiten. Insgesamt haben Sie weniger als die Hälfte dessen, was man durch die Versteigerung der Zertifikate einnehmen wird, für Klimaschutzmaßnahmen in den Haushalt eingestellt. Das ist zu wenig. ({7}) Wir brauchen einen Klimaschutzhaushalt. Unser Vorschlag lautet, dass der entsprechende Haushalt 2,9 Milliarden Euro umfasst. Finanziert werden könnte dies durch die Einstellung aller Erlöse aus der Versteigerung von Zertifikaten, durch Umschichtungen im Gesamthaushalt und durch die Kürzung von umweltschädlichen Subventionen. So macht es Sinn. Wir könnten mit einem solchen Paket ab 2011 weitere 33 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Weder durch Ihre Reden noch durch Ihre Vorschläge - ich habe mich gewundert, dass die Kanzlerin den Klimaschutz so weit hintanstellt ({8}) kommt es zu Änderungen in der Politik. Jetzt will ich auf das Thema Sozialpolitik zu sprechen kommen. ({9}) Auch an dieser Stelle nimmt die Koalition keine gemeinsame Analyse vor und trifft keine Festlegung. Ich habe schon gemerkt, dass die Kanzlerin ein paar Dinge angesprochen hat und dass Herr Struck nachher sagte, man sei sich nicht einmal bei der Frage des kostenlosen Mittagessens einig. Sie analysieren die Situation in den Städten nicht. Das vordringlichste Problem in den Städten dieser Republik sind nicht die ALG-I-Empfänger, sondern die Hartz-IV-Empfänger und deren Kinder, die in Armut leben, die ohne Frühstück in die Schule gehen und dort kein Essen bekommen. Es geht um Familien, in denen Armut Generation für Generation vererbt wird. Denen haben Sie in Ihrem Haushalt 2008 keine Angebote gemacht. ({10}) Auch an anderen Stellen - dort, wo es um die finanziell schwachen und die bildungsfernen Schichten geht - machen Sie keine Angebote. ({11}) Nehmen wir einmal die Präventionsstiftung: Es ist schon auffallend, über welch lange Zeit sich dieser Prozess hinzieht. Dabei wären wegen der Vielzahl von chronischen Krankheiten gerade die Kinder und die Erwachsenen aus den bildungsfernen Schichten auf eine gute Präventionsarbeit angewiesen. Eine solche Arbeit ist aber gar kein Bestandteil Ihrer Sozialpolitik. ({12}) Sie halten Sonntagsreden und haben nicht den Mut, auszurechnen, wie hoch Ihre Investitionen sein müssten. Wir haben auf unserem letzten Parteitag den Beschluss gefasst - dazu ist schon ein Zwischenruf gemacht worden -, dafür einzutreten, dass 60 Milliarden Euro in den Sozialbereich investiert werden. Wir haben uns die Mühe gemacht, aufzuzeigen, wie für den Bildungsbereich, für die Infrastruktur, für den Bereich „Kinder und Familien“ 31 Milliarden Euro aufgelegt werden können. Wenn dem Folge geleistet würde, läge Deutschland gerade einmal etwas über dem Durchschnittswert der OECD. Damit wären wir bei den Investitionen für Kinder noch lange nicht so weit wie Dänemark. Wir sagen: Wir brauchen in diesem Land 15 Milliarden Euro für bessere Schulen sowie 16 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe und für eine bessere Betreuung. Diese Betreuungsangebote brauchen wir so schnell wie möglich, am besten jetzt und nicht erst 2011. ({13}) An der Stelle muss ich Ihnen, Frau Merkel, vorhalten, dass Sie sich ein bisschen um das Thema herumgedrückt haben. Wahrscheinlich haben Sie in Anspielung auf aktuelle Todesfälle gesagt, wir brauchten keine vorschnellen Reaktionen. Das ist aber nicht der alleinige Kern dieser Haushaltsfrage. Im Haushalt für das nächste Jahr muss dafür gesorgt werden, dass die armen Kinder eine Chance bekommen. Dies bezieht sich sowohl auf Kinder- und Jugendhilfe als auch auf Bildung, und das Geld muss jetzt her. ({14}) Herr Steinbrück muss die Beratungen der Föderalismuskommission für eine Verbesserung der Bildungsfinanzierung nutzen. Unterstützen Sie die Länder, auch wenn es eine Landes- und Kommunalaufgabe ist, zum Beispiel durch frei werdende Mittel aus dem Soli-Zuschlag. Sie könnten dort bis 2019 frei werdende Mittel in Höhe von 30 Milliarden Euro - ({15}) - Sie werden in den nächsten Jahren systematisch frei. Bitte informier dich darüber! - Diese Mittel kann und muss man in diesem Land für die Bildungsfinanzierung nutzen. ({16}) Ich bin mir sicher: So wie die Menschen bereit waren, für den Aufbau Ost einen Soli-Zuschlag zu zahlen, so sind sie auch bereit, einen nächsten Schritt für die Bildung in diesem Land zu tun, damit jedes Kind eine Chance hat und wir endlich das realisieren, was wir brauchen: gut ausgebildete, geförderte Kinder. ({17}) Führen Sie eine Bundessteuerverwaltung ein. Damit könnten Sie 15 Milliarden Euro einnehmen. Auch dies kann zur Herstellung von Chancengerechtigkeit für alle genutzt werden. Wir haben auch beschlossen, dass wir nicht auf spätere Erhöhungen warten wollen, sondern wir wollen, dass die Existenzsicherung bei Hartz IV jetzt gegeben sein muss. Deshalb ist es richtig, den Hartz-IV-Satz auf 420 Euro zu erhöhen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als die Summe, die die Wohlfahrtsverbände errechnet haben. Was kann daran falsch sein, meine Damen und Herren? Wir machen auch entsprechende Finanzierungsvorschläge. ({18}) Zum Schluss will ich ein Wort zur Außenpolitik sagen. Das Problem unserer Außenpolitik ist, dass es weder ein konzertiertes Vorgehen noch Absprachen zwischen dem Außenminister und der Bundeskanzlerin gibt. Die Konflikte zeigen, dass es kein Konzept gibt: Das Auswärtige Amt geht in die eine Richtung, die Bundeskanzlerin geht, manchmal sogar ganz klandestin, in die andere Richtung, und dann kritisiert man sich dafür. Den Dalai-Lama zu empfangen, es aber nicht abzusprechen und dadurch öffentliche Kritik auszulösen, ist doch ein klassischer Fehler gewesen. So macht man keine Außenpolitik zugunsten Tibets, zumindest wirkt sie nicht so. ({19}) Den saudischen Kronprinzen zu hofieren, hinsichtlich der Situation der Frauen zu schweigen und nichts zu den Hinrichtungen zu sagen, Frau Bundeskanzlerin, stellt ebenfalls infrage, ob Sie es mit Ihrer Menschenrechtspolitik wirklich durchgängig ernst meinen. ({20}) Sie sollten hier mit Ihrer Koalitionsnabelschau aufhören und zu konzertierten Aktionen kommen. Beim Thema Außenpolitik gibt es nur eine Gemeinsamkeit in diesem Haus; sie betrifft Russland. Ich fordere Sie auf, sich gemeinsam mit der EU für die Freilassung von Kasparow und gegen die Verurteilung anderer friedlicher Demonstranten einzusetzen. ({21}) Meine Damen und Herren, der letzte Punkt - Frau Merkel hat ihn wirklich nur kurz gestreift - ist die Innenpolitik. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Innenpolitik geht anders, als es Herr Schäuble macht. Ich wäre froh, wenn Frau Merkel an dieser Stelle einmal aktiv würde und Herrn Schäuble auf den Boden des bewährten Grundgesetzes zurückholte. Mittlerweile kritisieren sogar Verfassungsrichter, dass Herr Schäuble eine Art intellektueller Lust am antizipierten Ausnahmezustand habe und den Ausnahmezustand in diesem Land zum Normalzustand machen wolle. Denken Sie nur an das Internet und das Handy! Wenn wir zum Beispiel auf China blicken, sagen wir immer, dies seien Instrumente der Freiheit. Unter Schäuble sind das Internet und das Handy keine Instrumente der Freiheit mehr; vielmehr werden sie im wahrsten Sinne zu Wanzen in unseren Wohnungen. Dies wird so nicht gehen. ({22}) Meine Damen und Herren, wir lehnen diesen Haushalt ab. Er ist die Papier gewordene Darstellung, dass diese Große Koalition ihren Aufgaben nicht gerecht wird und keine Ziele hat. Sie doktern ein bisschen herum. Sie ändern nicht die Wirtschaftsweise und die Strukturen. Sie haben nicht den Mut zu Verhaltensänderungen. Frau Merkel, Sie baden in vielen warmen Worten. Ich glaube, dass man Ihre Politik, auch wenn Sie noch so sehr den Dreiklang beschwören, nur so beschreiben kann: Sie sanieren nicht; Sie reformieren nicht. Hugo Müller-Vogg, der politische Kommunist ({23}) - Entschuldigung, Kolumnist; dieser Versprecher wird ihn hart getroffen haben - der Bild-Zeitung, der in der Newsweek Frau Merkel als Politikerin ohne innenpolitischen Kompass bezeichnet hat, hat recht. Dieser Haushalt macht das Land nicht gerechter, sozialer und ökologischer, und er macht dieses Land auch nicht zu einem Marktplatz für kreative Ideen. Deshalb lehnen wir ihn ab. ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Peter Ramsauer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist besonders erbaulich, den Oppositionsreden zuzuhören. Denn in einigen - nicht wenigen - Fällen hat man den Eindruck, als handele es sich bei den Oppositionsfraktiönchen um Realitätsverweigerer. Herr Gysi, wenn Sie die Auslandsreisen - insbesondere die USA-Reise - der Bundeskanzlerin kommentieren, dann meint man, Sie wären dabei gewesen. ({0}) Lassen Sie sich eines sagen: In Sachen Menschenrechte und Durchsetzung von Menschenrechten brauchen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen in der linken Fraktion als historische Verlängerung der Kommunisten in der ehemaligen DDR unserer heutigen Bundeskanzlerin keinerlei Nachhilfeunterricht zu erteilen. ({1}) Man kann mit geschickter Diplomatie, wie Angela Merkel sie betreibt, hinter den Kulissen viel mehr für bedrohte Völker und für die Menschenrechte tun, als wenn man alles gleich an die große Glocke hängt. ({2}) Wir sind nicht an Ihrer sachfremden Hetze, sondern an effektiver Menschenrechtspolitik interessiert, die die Kanzlerin und ihr Außenminister betreiben. ({3}) Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen. Ich verstehe nicht - aber vielleicht liegt die Erklärung in Ihrer Ideologie -, dass Sie hier anprangern, dass die Abgabenquote in Deutschland bei 37 Prozent liegt, und eine wesentlich höhere Quote einfordern. Was soll das? Sie wollen den Menschen in die Tasche greifen. ({4}) Wir sind stolz darauf, dass wir eine so niedrige Abgabenquote haben, weil wir als Staat den Menschen nur das abverlangen sollten, was wir für die Erfüllung unserer staatlichen Obliegenheiten brauchen, und keinen einzigen Euro mehr. Es offenbart ein ganz besonderes Verständnis vom mündigen Bürger Ihrerseits, wenn Sie dem Bürger an den Geldbeutel wollen. ({5}) Lieber Kollege Brüderle, eines habe ich dick, nämlich meine liberalen Freunde zu kritisieren. Ich möchte aber etwas klarstellen. Sie haben nur von der Weltwirtschaft als Lokomotive gesprochen. Es war zwar nicht allein die Politik der Großen Koalition, die zu den heutigen ausgesprochen guten Befunden auf dem Arbeitsmarkt, beim Budget, beim Wirtschaftswachstum und in anderen Bereichen beigetragen hat. Es war aber auch nicht allein die Weltwirtschaft. Die Weltwirtschaft, die Vernunft der Tarifpartner und die Restrukturierungsanstrengungen der Wirtschaft selber, aber auch die Politik der Großen Koalition und manches, was wir als Union über den Vermittlungsausschuss bei der Agenda 2010 mitbewirkt haben, haben zu dem geführt, mit dem wir heute Gott sei Dank aufwarten können. Sehr geehrte Frau Kollegin Künast, Sie hätten doch gern zumindest ein einziges Mal in Ihrer Regierungszeit eine solche Halbzeitbilanz oder Bilanz vorgelegt, wie wir sie heute vorlegen können. ({6}) Sie hätten nichts lieber getan, als einmal eine Zwischenbilanz oder eine Bilanz vorzulegen, nach der Sie die Arbeitslosigkeit innerhalb von zweidreiviertel Jahren um ein Drittel gesenkt hätten, ({7}) nämlich von 5,1 Millionen auf 3,4 Millionen. Wie hätte sich Joschka Fischer aufgebläht, ({8}) wenn es zu seiner Zeit ein gesamtstaatliches Defizit gleich null, also einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen Haushalt, gegeben hätte, wenn in einem wichtigen Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung innerhalb von einem Jahr plus einem Tag der Beitragssatz halbiert worden wäre und wenn es über 40 Millionen Erwerbstätige gegeben hätte. Ich mache, wahrscheinlich genauso wie Sie, die Erfahrung: Wenn man in Gesprächen, bei Versammlungen draußen an der Basis über diese Dinge spricht, dann bekommt man oft die Gegenfrage gestellt: Warum sagt das niemand? Warum sagt ihr das nicht? Man kann doch diese Tatsachen nicht oft genug nennen! ({9}) Frau Künast, als Sie in der Regierung waren, waren Sie nicht in der Lage, jemals eine solche Bilanz vorzulegen eben weil Sie Ihr Gedankengut in die Regierung eingebracht haben. ({10}) Sie haben im Zusammenhang mit tariflichen Lohnuntergrenzen - andere nennen es Mindestlöhne - von Wortbruch gesprochen. Ich halte Ihnen entgegen, was während der Klausurtagung des Kabinetts am 23. oder 24. August dieses Jahres beschlossen worden ist. Dort heißt es - ich zitiere -: Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Postmärkte zum 1.1.2008 wird die Branche der Postdienstleistungen noch in 2007 in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen, wenn die Tarifpartner einen entsprechenden gemeinsamen Antrag stellen. Dann kommt ein wichtiger zweiter Satz: Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass über 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Postbranche tarifgebunden sind. Ich erkläre hiermit auch für meine Fraktion: Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, dann werden wir uns selbstverständlich daran halten. Wo es hier Wortbruch geben soll, das müssen Sie einmal sagen. ({11}) Frau Kollegin Künast, was Sie sich auf Ihren Parteitagen alles geleistet haben, ist ja auch höchst bemerkenswert. Vor einigen Wochen auf Ihrem Zerwürfnisparteitag in Göttingen haben Sie sich von der Außenpolitik verabschiedet, die Sie früher betrieben haben und die immer noch einigermaßen vernünftig gewesen ist. Jetzt haben Sie sich auch noch von einer einigermaßen pragmatischen Wirtschafts- und Sozialpolitik verabschiedet. Der Parteiaustritt Ihres Kollegen Metzger spricht Bände; er ist einer der Letzten, die Vernunft bewahrt haben. ({12}) Ich rufe all diejenigen in Ihren Reihen, die noch einen Rest von wirtschafts- und sozialpolitischer Vernunft haben, auf, die Grünen nicht zu verlassen. Es wäre schade drum. ({13}) Umverteilung ist die Überschrift dessen, was Sie beschlossen haben. ({14}) - Das ist zu viel erwartet, Herr Kollege Westerwelle. Es sind Ladenhüter, die Sie zur Finanzierung vorschlagen, wie der Griff in die Taschen der Menschen. Herr Bütikofer hat gesagt, im Kern gehe es um die Frage, ob man etwas gegen die soziale Verunsicherung unternehme. Wenn es so ist, dann kann ich nur sagen: Das Beste gegen soziale Verunsicherung liegt darin, dass wir Arbeitsplätze sichern und neue schaffen, dass wir für Investitionen in unserem Land sorgen und dass wir solide öffentliche Haushalte vorlegen. Das dient der Bekämpfung sozialer Verunsicherung. ({15}) Die Überschrift eines Kommentars einer großen deutschen Boulevardzeitung lautet heute: „Die Zahl der Arbeitslosen muss weiter sinken!“ Das ist vollkommen richtig. Bütikofer sagt weiterhin, die Sozialpolitik der Grünen müsse visionär und politisch praxistauglich sein. Dazu kann ich nur sagen, Frau Künast: Sie ist weder praxistauglich noch visionär. Sie wollen die Partei der Vordenker sein. Ich kann nur sagen: Es ist kein Vordenken, sondern schlicht und einfach fantasielos, wenn man nur umverteilen will, was andere erwirtschaften. ({16}) Jetzt komme ich auf Franz Müntefering zu sprechen. Dem Spiegel war ein Zitat zu entnehmen, das ich mir gemerkt habe. Müntefering hat gesagt: Wer glaubt, soziale Gerechtigkeit definiert sich im Wesentlichen durch Verteilung, der irrt. Ich kann nur sagen: Franz Müntefering hat vollkommen recht. ({17}) Man kann bei so vielen sozialen Utopien wie bei den Grünen und den Linken nicht oft genug in Erinnerung rufen, was eigentlich eine Binsenweisheit sein sollte, nämlich dass der Staat, die öffentliche Hand nur so viel umverteilen kann, wie vorher von denjenigen erwirtschaftet wurde, die jeden Tag früh aufstehen, malochen und an der Wertschöpfung in unserem Land mitarbeiten. Deswegen gilt für mich: Wenn umverteilt wird, dann dürfen diejenigen, die dies erwirtschaften, nicht die Dummen sein. Die Leistungsträger dürfen nicht die Dummen in unserem Land sein, weil sie sich sonst verschaukelt vorkommen. ({18}) Wenn umverteilt wird, müssen zunächst die Leistungsträger bedient werden und dann die Bedürftigen. Wir brauchen einen sauberen Ausgleich zwischen Leistungsgerechtigkeit einerseits und sozialer Gerechtigkeit andererseits. Noch etwas anderes: Wir können uns einen sozial und ökologisch starken Staat nur leisten - das haben viel zu viele einfach vergessen -, wenn wir das dafür Notwendige auch tatsächlich vorher erwirtschaften - nichts anderes. Der Sozialstaat ist nur so stark und unsere sozialen und ökologischen Standards können nur so hoch sein wie der Gegenwert, den wir vorher erwirtschaften. Die Kraft, die zur Aufrechterhaltung des Sozialstaates und zur Einhaltung hoher ökologischer Standards nötig ist, dürfen wir nicht andauernd durch Gängelung mit Füßen treten. ({19}) Ich frage vor allen Dingen die Linken: Ist es unsozial, wenn nach wie vor jeder dritte Euro des Bruttoinlandsprodukts für soziale Zwecke ausgegeben wird? Ist es ungerecht und unsozial, wenn die oberen 50 Prozent der Einkommensverdiener 92 Prozent des gesamten Steueraufkommens erwirtschaften? ({20}) Ich sage: Dies ist nicht ungerecht. Von Ungerechtigkeit kann hier überhaupt keine Rede sein. Wer hier von einer ungerechten Verteilung spricht, ist ein Realitätsverweigerer. ({21}) Wir haben in der ersten Halbzeit dieser Legislaturperiode eine große Fülle von Themen abgearbeitet. Wenn man das in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf Versammlungen, anspricht, blickt man oft in erstaunte Gesichter, weil diese Dinge unglaublich schnell vergessen werden. Ich erinnere an die Genshagener Beschlüsse des Kabinetts zu Beginn des letzten Jahres, an deren Zustandekommen Volker Kauder, Peter Struck und ich als Fraktionschefs beteiligt waren. Es war vorbildlich, was hier im Einzelnen umgesetzt worden ist und welche Wachstums- und Arbeitsmarktimpulse davon ausgegangen sind. ({22}) Denken Sie an das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, an die energetische Gebäudesanierung, die steuerliche Absetzbarkeit der Beschäftigung in Privathaushalten und der Handwerkerrechnungen. Liebe Frau von der Leyen, wir alle können stolz darauf sein, dass wir mit dem Elterngeld Maßstäbe gesetzt haben. Junge Väter und junge Mütter können sich nun im ersten Lebensjahr eines Kindes zu Hause um ihr Baby kümmern. Ich wehre mich - ich sage es immer wieder - dagegen, dass dieses Elterngeld und die Basiszahlung, die wir verabredet haben, als „Herdprämie“ diffamiert oder, noch schlimmer, als, wie es in einer Zeitung geschehen ist, „Aufzuchtprämie“ gebrandmarkt werden. Das lasse ich mir nicht gefallen, weil es eine Beleidigung der jungen Väter und Mütter in Deutschland ist, die sich um ihre Kinder kümmern. ({23}) Wir halten es für eine ganz besonders große gesellschaftliche Errungenschaft, wenn sich Familien zu Hause um die Pflege ihrer alten, pflegebedürftigen Familienmitglieder kümmern. Manche krempeln dafür ihr ganzes Berufsleben um. Wenn aber die Pflege pflegebedürftiger Familienmitglieder gesellschaftlich erstrebenswert ist, dann kann es doch zumindest nicht verwerflich sein, wenn sich junge Väter und Mütter zu Hause um ihre kleinen Kinder im Vorkindergartenalter kümmern. ({24}) Wenn das verwerflich sein soll, passen diese beiden Vorstellungen nicht zusammen. Lieber Peter Struck, ich bin dankbar für eine Bemerkung, die Du bzw. die Sie gemacht haben ({25}) - das ist mir so herausgerutscht; warum soll man hier anders reden als im sonstigen Umgang miteinander? -, nämlich dass wir nicht in diesem oder im kommenden Jahr ein Betreuungsgeld einführen, dass das also noch nicht kassenwirksam wird, aber dass wir im Koalitionsausschuss die klare Verabredung, die jetzt so auch im Gesetzentwurf steht, getroffen haben, das Betreuungsgeld einzuführen, wenn der Rechtsanspruch in Kraft tritt; das ist im Jahr 2013 der Fall. ({26}) Eine Reihe von anderen Reformen haben wir beschlossen: Rentenreform, Gesundheitsreform, Unternehmensteuerreform. Die Beendigung der Kohlesubventionierung gehört auch dazu. Das ist hochinteressant: Jahrzehntelang ist von - das gebe ich zu - revierfernen Ländern, vom Bund der Steuerzahler und von den Wirtschaftsliberalen gefordert worden, dass diese größte Subvention abgeschafft wird. Sang- und klanglos ging das vor wenigen Wochen im Rahmen der Gesetzgebung hier bei uns im Haus über die Bühne. Ich habe darüber noch nicht einmal etwas in den Medien gelesen. Aber auch das ist ein Beispiel - es war zugegebenermaßen schwierig, weil es unterschiedliche Interessenlagen gab - für das, was wir, SPD, CDU und CSU, zusammen fertiggebracht haben. Ich möchte heute solche Leistungen der Großen Koalition in Erinnerung rufen. Ein Dank auch an die Vernunft all derer, die davon vielleicht negativ betroffen sind. Ob bei der Arbeitslosenversicherung oder in anderen Bereichen: Ich glaube, wir haben überall, lieber Peter Struck, faire Kompromisse gefunden. Eines wussten wir in der Großen Koalition von Anfang an: Wenn wir diese Große Koalition eingehen, dann müssen wir politikfähig sein, sonst brauchen wir es nicht zu tun. Wenn wir politikfähig sein wollen, dann müssen wir auch kompromissfähig und kompromissbereit sein. Wir haben uns da weiß Gott nicht wenig abverlangt; wir haben uns viel abverlangt. Aber es ist ein ständiges Geben und Nehmen. So ist es in der Politik, genauso wie im Wirtschaftsbereich. Wir sind zu diesen fairen Kompromissen gelangt. Ein Wort noch zur Außenpolitik, die wiederholt angesprochen worden ist, insbesondere von der Kollegin Künast. In dieses Jahr fallen die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und die G-8-Präsidentschaft. Da kann man nur eines sagen: Für die Bewältigung dieser herausfordernden Problemstellungen, die mit beiden Aufgaben verbunden waren - neben all den innenpolitischen Herausforderungen -, eine glatte Eins mit Stern für die Bundeskanzlerin! ({27}) Sie hat die Europäische Union aus einer schwierigen Lage herausgeführt mit dem Reformvertrag, der, ungeachtet seiner verbliebenen Mängel, jetzt auf dem Tisch liegt. In der G 8 wurden klare Zeichen gesetzt. Im Grunde genommen war nur mit viel Fantasie zu erwarten, dass Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, in der G 8 plus den fünf Schwellenländern, die dabei waren, das Begehren nach einer weltweiten Klimaschutzpolitik endlich mit auf Rang 1 der weltpolitischen Tagesordnung setzen konnten. Wenn es die G-8-Gipfel nicht gäbe - das sage ich an die Adresse der Globalisierungsgegner und der Tausenden von gewalttätigen Demonstranten, die unsere Polizisten in Heiligendamm verhauen wollten und verhauen haben, was eine Schande ist; das nur als Nebenbemerkung -, ({28}) müsste man diese Gipfel erfinden. Wo sonst, wenn nicht auf solchen weltweiten Foren, sollte man globale Herausforderungen denn besprechen? Wo sonst, wenn nicht unter den 8 plus 5 Staaten, die die Substanz dieser Probleme am ehesten erkennen und erörtern können? Das gilt zum Beispiel für die Frage weltweiter Mindeststandards hinsichtlich sozialer Normen. Gerade Deutschland als führende Exportnation, die wie kaum ein anderes Land mit dem rauen Wind globaler Auseinandersetzungen in der Weltwirtschaft konfrontiert ist, hat ein Interesse an weltweit gültigen Standards im Umweltbereich, an weltweit gültigen Standards für den Umgang mit Energieressourcen, an weltweit gültigen Fairnessregeln für den Handel. Wir müssen doch das allergrößte Interesse daran haben, dass vernünftige Lösungen gefunden werden. Wir brauchen daher nicht weniger, sondern mehr G 8. Das liegt im ureigenen Interesse Deutschlands. ({29}) In den nächsten zwei Jahren liegt noch viel vor uns. Ich will die 20 politischen Teilgebiete jetzt nicht im EinDr. Peter Ramsauer zelnen erörtern; das wäre die reinste Litanei. Unser gemeinsamer großkoalitionärer Freund Hubertus Heil hat die Union ermahnt. Er hat gesagt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Union zur Reformbremse wird.“ Ich antworte ihm: Sie aber auch nicht. ({30}) Wir müssen miteinander weiter an Reformen arbeiten. Wir dürfen auf keinen Fall das tun, was zwei Oppositionsfraktionen wollen, nämlich den Rückwärtsgang einlegen. Wir stellen uns mit Augenmaß und in verantwortungsvoller Weise den Herausforderungen der nächsten zwei Jahre, damit wir der Erwartung, die die Wählerinnen und Wähler vor zwei Jahren hatten, gerecht werden, nämlich unser Land nach vorne zu bringen. Vielen herzlichen Dank. ({31})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, bevor ich Ihre Rede gehört habe, habe ich mir die Freude gemacht, die Rede, die Altbundeskanzler Gerhard Schröder im September des Jahres 2000 gehalten hat, also zwei Jahre nachdem er ins Amt gekommen ist, noch einmal durchzulesen. ({0}) Die Lage war der jetzigen sehr ähnlich: gute Konjunktur und ordentliche Staatsfinanzen; ({1}) durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen kamen zusätzlich 100 Milliarden DM - damals gab es noch die D-Mark - in die Staatskasse. Herr Schröder hat damals genau so gesprochen, wie Angela Merkel heute im Namen der Regierung spricht und handelt. ({2}) Wenn die Opposition irgendetwas kritisiert, dann redet sie, so die Bundeskanzlerin, das Land schlecht. Alles muss zur eigenen Ehre und zum eigenen Lob herhalten. Das Selbstlob dieser Koalition hatte auch heute penetrante Züge. ({3}) Es wurde damals so getan, als ginge alles auf ewig so weiter: Die Konsolidierungspolitik hat begonnen! Wir haben sie in die Tat umgesetzt! Das ist eine Politik, die diesen Namen wirklich verdient! - Es wurde aber verschwiegen, welche dunklen Wolken am Horizont aufziehen. Genau das machen Sie heute auch. Sie reden nach zwei Jahren Regierungszeit so, wie Schröder nach zwei Jahren Regierungszeit gesprochen hat. Wenn das Ihr Aufschwung ist, dann - das sage ich Ihnen voraus - werden Sie auch haften müssen, wenn es in den nächsten Monaten oder Jahren abwärtsgeht. ({4}) Etwas mehr Bescheidenheit ({5}) und vor allen Dingen etwas mehr Anerkennung der Umstände, von denen Ihre Politik derzeit getragen wird, wären richtig und angemessen. ({6}) Mindestens genauso spannend ist das, worüber Sie nicht gesprochen haben. Sie haben nicht über die Kinderarmut, die sich in Deutschland verdoppelt hat, gesprochen. ({7}) Sie haben nicht über das Handwerk gesprochen, das Umsatzeinbrüche in Höhe von ungefähr 20 Prozent hat. Sie haben nicht über den Rückgang beim Bau von Einund Zweifamilienhäusern um sage und schreibe etwa 43 Prozent gesprochen. Sie haben nicht über die Neuzulassungen im Kfz-Bereich gesprochen, die mittlerweile etwa 8 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen. Sie haben auch nicht über das gesprochen, was jeden Deutschen bewegt, nämlich die Tatsache, dass wir im November dieses Jahres eine Preissteigerungsrate in Höhe von 3 Prozent haben. Wenn es eine soziale Politik in diesem Lande gibt, dann ist es die, dafür zu sorgen, dass der Euro auch im Inland etwas wert ist und dass man sich dafür etwas kaufen kann. Inflation ist unsozial. Diese 3 Prozent müssten Sorgenfalten auf Ihrer Stirn hinterlassen. ({8}) Stattdessen schmücken Sie sich hier mit allem, zum Beispiel mit der Weltwirtschaft. Sie schmücken sich auch mit Dingen, die wirklich lange vor Ihrer Zeit erreicht worden sind, beispielsweise mit den Nobelpreisen. ({9}) Es war für mich tief beeindruckend, dass sogar die Nobelpreise jetzt herhalten müssen. Sie werden nämlich als Zeugnis dafür angegeben, wie toll der Forschungsstandort Deutschland ist. An die Physikerin im Kanzleramt gerichtet, sage ich: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, den einen Nobelpreis gab es für eine Leistung aus dem Jahr 1988, den anderen für eine Leistung aus dem Jahr 1981. Entschuldigung, da waren Sie noch nicht Bundeskanzlerin; man mag es nicht glauben, aber es ist so. Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie sich mit den Nobelpreisen von heute schmücken, dann ist das ungefähr so, als würde sich die spanische Regierung mit der Entdeckung Amerikas von vor 500 Jahren auszeichnen wollen. Das ist wirklich nur noch albern. ({10}) Frau Bundeskanzlerin und meine Damen und Herren von der Koalition - es macht ja Freude, Ihre Reaktionen hier zu hören -, ich will nun auf das eingehen, was die Redner der Regierungsfraktionen hier gesagt haben. Herr Kollege Ramsauer, weil Sie von „Oppositionsfraktiönchen“ gesprochen haben, wollen wir eines festhalten: In diesem Hohen Hause ist keine Partei kleiner als die CSU. ({11}) Das wollte ich nur einmal an die Adresse des stellvertretenden Fraktiönchenvorsitzenden sagen. Ich will an das erinnern, was die Damen und Herren der Regierungskoalition uns hier alles erzählt haben. Das hat ja viel Freude gemacht. Sie haben in den ersten zweieinhalb Stunden der Debatte das Hohelied Ihres Erfolges gesungen. Sie haben gesagt, wie großartig und erfolgreich diese Große Koalition, wie Sie sich selbst nennen, war. Dann stellt sich aber für den unbefangenen Beobachter eine entscheidende Frage: Wenn das alles so toll war, warum lesen wir dann jeden Tag in den Zeitungen, dass Sie da raus wollen? Wenn das alles so toll war, warum bezichtigen Sie sich dann gegenseitig des Wortbruchs und bedenken sich mit allen möglichen weiteren Beschimpfungen, die man als mitteleuropäisch erzogener Mensch hier gar nicht vortragen möchte? Da ist unter der Gürtellinie ausgeteilt worden. So brutal - wie Sie in dieser Regierung - miteinander umgehen, das würde sich von den Mitgliedern der bescheidenen Opposition niemand wagen. Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, es gibt doch überhaupt gar nichts mehr Gemeinsames. ({12}) - Jetzt kommt wieder die Geschichte: Mein Freund Volker. ({13}) Leute, Leute! Regierung schlägt sich, Regierung verträgt sich. Mit Verlaub gesagt: Das, was ihr hier abliefert, ist eine völlig unglaubwürdige Nummer. Jeder Zuschauer weiß doch: Ihr hasst euch wie die Pest. ({14}) Hier etwas von großem Frieden und großem Erfolg zu erzählen, ist einfach nur noch albern. Früher haben die Kanzler gerufen: Ich will da rein. Sie rufen mittlerweile: Ich will da raus. Mit Verlaub gesagt: Das ist doch nicht ernst zu nehmen; das ist Kulisse. ({15}) Wenn diese Reformpolitik für die Menschen in Deutschland wirklich so erfolgreich war, dann stellt sich doch die Frage: Warum wollen Sie Ihre Reformen in diesen Wochen und Monaten rückabwickeln? Denn das ist das Ergebnis des Beschlusses des SPD-Parteitages und Ihrer Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag! ({16}) - Entschuldigen Sie, Herr Kollege Hinsken. Weil Sie gerade dazwischengerufen haben, möchte ich Ihnen ganz offen sagen: Nachdem der sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder im Rahmen der Agenda 2010 marktwirtschaftliche Reformen durch den Deutschen Bundestag gebracht hat, hätte ich mir vor zwei Jahren nicht vorstellen können, ({17}) dass diese Reformen dann von einer christdemokratisch geführten Bundesregierung ({18}) rückabgewickelt werden. Das ist verkehrte Welt! ({19}) Herr Hinsken, Ihnen nehme ich ja ab, dass auch Sie das furchtbar finden. ({20}) Ihr müsst das aber auch einmal sagen! Mannesmut vor der Königin Throne! Seid ab und zu auch einmal mutig, Jungs! ({21}) Das, was ihr macht, ist ein Witz. Lassen Sie uns jetzt einmal über das Sanieren reden; auch das macht Freude. Ihr Motto lautet ja: Sanieren, Reformieren, Investieren. ({22}) Zum Reformieren habe ich bereits gesagt: Die Agenda 2010 wird von Ihnen rückabgewickelt, und das merkt jeder. Reden wir also über das Sanieren. Sanieren heißt: solide sein. Man saniert etwas, was schlecht läuft. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie haben bei Übernahme der Regierung ein Defizit von 30 Milliarden Euro vorgefunden. Dann haben Sie 50 Milliarden Euro mehr eingenommen als erwartet. Trotzdem haben Sie immer noch 12 Milliarden Euro Schulden gemacht. Sie können nicht mit Geld umgehen! Darüber müssen wir hier sprechen. ({23}) Früher musste man das immer der SPD vorwerfen. Mittlerweile muss man diesen Vorwurf aber auch an die Union richten. Wenn es darum geht, mit Geld umzugehen, dann ist Schwarz ein sehr dunkles Rot; ({24}) insofern hat Herr Müntefering recht. Die Union macht es nämlich genauso wie die SPD. Sie machen Schulden in Höhe von 12 Milliarden Euro, obwohl Sie lottogewinnähnliche Mehreinnahmen in Milliardenhöhe zu verzeichnen haben, mit denen kein Mensch gerechnet hat, nicht einmal wir als geborene rheinische Optimisten. Deutschland muss wissen, dass Sie 12 Milliarden Euro Schulden machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen erfahren: Der Staat hat Geld wie Heu. Aber er verplempert es zu oft in Bereichen, aus denen er sich lieber heraushalten sollte. Wer trotz der größten Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik immer noch solche Schulden macht, der kann nicht mit Geld umgehen. Das trifft nicht mehr nur auf die Genossen zu, sondern längst auch auf die schwarzen Genossen, die in diesem Hohen Hause sitzen. ({25}) Sie sagen immer, unser Sparbuch, das 400 Anträge mit Sparvorschlägen enthält, sei nicht solide, und das alles könnten wir nicht leisten. Deswegen sollten wir einmal über ein paar Dinge reden. Reden wir doch einmal darüber, wofür Sie Geld ausgeben; denn das ist erstaunlich. Ich hätte gerne folgende Frage beantwortet: Wenn Sie wirklich sparen wollen - Sie behaupten ja, dass Sie sparen -, warum beschließen Sie dann in einer Sitzung des Haushaltsausschusses mal eben und in der Dunkelheit der Nacht, in den Ministerien 74 neue Planstellen zu schaffen, die mit Personen besetzt werden, die nichts anderes als Wahlkampf machen sollen? ({26}) Außerdem soll es einen dritten Staatssekretär des Auswärtigen Amtes geben. Willy Brandt kam mit zwei Staatssekretären aus, Hans-Dietrich Genscher kam mit zwei Staatssekretären aus, und Joseph Fischer kam mit zwei Staatssekretären aus. Schätzen Sie sich denn um so viel schwächer ein, Herr Außenminister, dass Sie jetzt einen dritten Staatssekretär brauchen? Das ist doch albern! ({27}) Dann höre ich immer in Anbetracht dieser ganzen Milliardenbeträge - das macht mich mittlerweile kirre, und darüber ärgere ich mich auch -, das seien ja alles nur kleine Summen. Wenn Sie die Summen mit 400 multiplizieren, kommen Sie auf 12 Milliarden. Eine Summe ergibt sich beispielsweise aus den Kopfstellen. Sie schaffen 74 Stellen neue Stellen. Das kostet die Steuerzahler jedes Jahr 6 Millionen Euro mehr. 6 Millionen Euro jedes Jahr mehr, nur damit Sie sich in den Ministerien mit mehr Personal für den Wahlkampf aufrüsten können. Wir wollen das einmal übersetzen, meine Damen und Herren. 3 750 Familien müssen ein ganzes Jahr lang arbeiten, um so viel an Einkommensteuer aufzubringen, wie Sie in einer einzigen Haushaltsnacht für Ihre Wahlkämpfe mit der Schaffung von Spitzenstellen in den Ministerien verplempert haben. ({28}) 3 750 Familien arbeiten in Deutschland ab jetzt für Ihre Verplemperung von Steuermitteln für Wahlkampfzwecke. Als ob die Parteien nicht finanziert würden! Meine Damen und Herren, wir wollen auch einmal über die größeren Beträge reden, beispielsweise über Ihre Schlacht in Minden, Herr Kollege Kampeter. Jeder meint ja, es ginge um Hermann den Cherusker. Das ist ein Treppenwitz. Da werden mal eben 1,5 Millionen Euro nach Minden mit nach Hause gebracht für eine Schlacht, von der bisher kein Mensch irgendetwas gehört hat. ({29}) Auch wenn Sie dafür zuhause gefeiert werden, Steuergeldverschwendung bleibt es trotzdem. Das wollen wir an dieser Stelle festhalten. ({30}) - Sie rufen „Beethoven in Bonn“ dazwischen? Wenn Sie den Unterschied zwischen Ludwig van Beethoven und Ihrer Pipi-Schlacht in Minden nicht kennen, dann gehen Sie bitte noch einmal auf die Schule, Herr Kollege. ({31}) Kommen wir zu den größeren Summen, zu den wesentlichen Sachen, weil es ja immer heißt, sie würden sanieren. Nichts sanieren Sie. Ich möchte gerne den Damen und Herren des Deutschen Bundestages und vor allem natürlich auch der geneigten Öffentlichkeit einmal vortragen, wie viel zum Beispiel für einen unserer schärfsten Wettbewerber in der Weltwirtschaft ausgegeben wird. In der letzten Woche wurde veröffentlicht, dass China uns mittlerweile auf Platz drei der führenden Wirtschaftsnationen in der Welt abgelöst hat. China hat uns als drittstärkste Wirtschaftsnation in der Welt jetzt überholt. China hat Währungsreserven von ungefähr 1 200 Milliarden Euro. Das ist ungefähr so viel wie die gesamten Staatsschulden auf allen Ebenen in Deutschland. Trotzdem zahlen wir jedes Jahr, auch in diesem Jahr wieder, Millionenbeträge an Entwicklungshilfe und weiterer Hilfe nach China. Wir zahlen reine Entwicklungshilfe in Höhe von 67 Millionen Euro, und wenn man alle offiziellen Zahlungen an China zusammenrechnet, zahlen wir insgesamt in diesem Jahr 187 Millionen Euro nur an China. Meine Damen und Herren, auch das möchte ich einmal übersetzen. Ganz Oldenburg oder ganz Göttingen arbeitet ungefähr ein komplettes Jahr nur dafür, dass wir die Steuermittel bekommen, die wir anschließend nach China schenken. Sie vertreten die Meinung: Das muss so sein. - Das ist Ihr gutes Recht; Sie werden das ja auch so beschließen. Wir sagen Ihnen dazu: Ein Land, das solche Währungsreserven hat, ein Land, das uns auf Platz drei der Wirtschaftsnationen in der Welt ablöst, dann auch noch mit deutschen Hilfsgeldern zu unterstützen, das ist einfach Irrsinn gegenüber dem Steuerzahler. ({32}) Ganz Osnabrück arbeitet ein ganzes Jahr nur für die Entwicklungshilfe an China. Darüber müssen wir hier reden, das versteckt sich hinter diesen Zahlen. Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin, wir und auch Sie in der Koalition sprechen viel über Mindestlöhne und über die Rückabwicklung einiger Teile der Agenda 2010. Zu den Mindestlöhnen möchte ich noch eine Bemerkung machen. Herr Kollege Gysi, ich habe Ihnen mit Interesse zugehört. Es ist immer interessant und auch unterhaltsam, Ihnen zuzuhören; das wollen wir gar nicht bestreiten. Ich persönlich glaube aber, dass Sie in einem Punkt in Ihrer Einschätzung einen wirklich massiven Fehler machen. Sie koppeln jedes Mal die soziale Gerechtigkeit unseres Landes von der Leistungsgerechtigkeit ab. Sie spielen soziale Gerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit gegeneinander aus. Wir sagen Ihnen: Wer die Leistungsgerechtigkeit seines Landes vergisst, der wird die soziale Gerechtigkeit seines Landes verlieren. Das wird zwingend die Folge einer solchen Politik sein. ({33}) Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal nennen, weil sie auch für unsere Zuschauer wichtig sind: Die oberen 50 Prozent der deutschen Steuerzahler erwirtschaften etwa 94 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens der Republik. Sie belasten diejenigen, die den Karren ziehen, immer mehr. Ich sage Ihnen, wer dabei unter die Räder kommt: die Ärmsten der Armen, die Schwächsten der Schwachen. Die leiden unter Ihrer Politik. ({34}) Ich will noch eine Bemerkung zu den Mindestlöhnen machen, weil ich natürlich ahne, Herr Kollege Struck - nicht nur nach Ihrer heutigen Rede, sondern auch nach den Reden von gestern -, dass das Ihr tragendes Thema sein wird. Ich glaube, dass diese Diskussion zu kurz gegriffen ist. Erstens einmal finde ich es nicht in Ordnung, dass man, wenn man das Fehlen von Mindestlöhnen kritisiert, verschweigt, dass die niedrigen Tariflöhne im Osten immer unten rechts die Unterschrift einer Gewerkschaft tragen. Das wollen wir festhalten! ({35}) Immer, wenn wir hier über Dumpinglöhne sprechen, hat ein Genosse der Gewerkschaft unten rechts unterschrieben. Bei der Post ist das so, und auch in den anderen Branchen ist das so. Da ist die Frage doch eine ganz andere, eine ordnungspolitisch fundamentale Frage. Jeder hier ist der Meinung: Wer ordentlich arbeitet, muss davon auch leben können. Ich bin mit Ihnen der Meinung: Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, nachlässige Unternehmer oder schwarze Schafe in der Unternehmerschaft quasi noch dafür zu bezahlen, dass sie sich so schlecht verhalten; darüber sind wir uns völlig einig. ({36}) Nur, wohin führt es, wenn wir als Politiker künftig die Löhne und die Mindestlöhne festsetzen? Ich sage Ihnen voraus: Dann werden wir das erleben, was Sie im Kanzleramt am Montag letzter Woche gemacht haben, nämlich Lohnverhandlungen in der Politik. Die Union sagt: Wir sind bereit, 8 Euro Mindestlohn zuzugestehen. Die SPD sagt: Unter 9,80 Euro ist mit uns nichts zu machen. Dann sind wir nicht mehr in der sozialen Marktwirtschaft mit Tarifautonomie, wo Vertragsparteien sich einigen müssen, dann machen wir in Wahrheit Lohndiktat. Mindestlöhne? Maximallöhne, Obergrenzen für Managergehälter? Demnächst vielleicht noch Obergrenzen für Energiepreise? Mindestpreise für Agrarprodukte? Das ist mir, offen gestanden, zu viel DDR. Ich bleibe Anhänger der sozialen Marktwirtschaft. ({37}) Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, dass Sie die Maastricht-Kriterien einhalten. Das ist in der Sache falsch. Sie halten ein einziges Maastricht-Kriterium ein, nämlich das Staatsdefizit von 3 Prozent. Die Schuldenstandsquote von 60 Prozent wird mit 63 Prozent unverändert überschritten; auch das muss gesagt werden. Zur Innenpolitik noch eine Bemerkung. Meine Damen und Herren von der Linken in diesem Hause - damit meine ich auch die SPD; das meine ich nicht polemisch, sondern als Beschreibung der Sitze hier in diesem Hause -, ({38}) wenn Sie sagen, dass die Leiharbeit besorgniserregend zunimmt, dann haben Sie eine Entwicklung beschrieben, die uns - über die Parteigrenzen in diesem Hohen Hause hinweg - auf Dauer nicht gefallen kann. Nur, wie wir dagegen vorgehen, das unterscheidet uns. Warum nimmt denn die Leiharbeit zu? Weil unser Arbeitsrecht in Wahrheit immer noch zu starr und zu bürokratisch ist. ({39}) Flexibilisieren Sie endlich! Dann haben Sie auch entsprechend positive Effekte. Bei den Preisen ist genau dasselbe zu sagen: Es ist wahr, die Preise steigen. Deswegen kommt der Aufschwung bei den Bürgern auch nicht an. Nur, jemand von der Regierung, der die Preissteigerungen beklagt, obwohl er doch mit Steuererhöhungen ebendiese Preissteigerungen bewirkt, hat kein Recht, dies zu beklagen. ({40}) Nun sagen Sie, Sie würden den Durchschnittsarbeitnehmer im nächsten Jahr um 240 Euro entlasten. Das mag ja stimmen. Aber Sie verschweigen, dass Sie zu Anfang dieses Jahres die Arbeitnehmer durchschnittlich um weitere 1 600 Euro belastet haben. Das ist doch keine faire Politik. ({41}) Sie nehmen den Bürgern das Schwein vom Hof, geben ein Kotelett zurück und sagen ihnen: Jetzt seid mal schön zufrieden! Kein Wunder, dass die Bürger das nicht mit sich machen lassen wollen. ({42}) Ich will mit einer Bemerkung zu einem Thema schließen, über das wir heute Nachmittag, soweit ich weiß, und morgen noch lange reden werden, nämlich über die Innen- und Rechtspolitik. Auch das muss an dieser Stelle noch angesprochen werden. Wir erleben nämlich nicht nur mehr staatliche Bevormundung in der Wirtschaft, sondern wir haben in diesen ersten zwei Jahren der sogenannten Großen Koalition auch einen atemberaubenden Abbau von Bürgerfreiheiten und Bürgerrechten erlebt. Ich habe nicht die Absicht, das hier unerwähnt zu lassen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man die Freiheit unseres Landes nicht schützen kann, indem man die Freiheit unserer Bürger immer mehr aufgibt. Das ist ein schwerer Fehler. ({43}) Ich sage an dieser Stelle: Herr Schäuble setzt in Wahrheit geradezu dramatisiert eine Politik fort, die unter Rot-Grün mit Herrn Schily begonnen wurde. Auch das ist ein schwerer Fehler. ({44}) Freiheit muss der Maßstab unserer Republik bleiben. Freiheit steht an erster Stelle, und zwar nicht die Freiheit von Verantwortung, sondern die Freiheit zur Verantwortung. Soziale Marktwirtschaft ist allemal besser als jeder Weg in Richtung Planwirtschaft oder bürokratische Staatswirtschaft. Das ist unser Auftrag, und das ist die geistige Auseinandersetzung, die in diesem Lande überfällig ist. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({45})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Poß von der SPD-Fraktion. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, Sie haben mit Ihrer Rede deutlich gemacht, dass Ihnen die günstige wirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande missfällt. Ihnen missfallen die Erfolge am Arbeitsmarkt, obwohl Sie sich doch wie wir über jeden freuen müssten, der Arbeit gefunden hat und jetzt in Lohn und Brot steht. Über 1 Million Menschen hat in den letzten Jahren zusätzlich Arbeit gefunden. Was missfällt Ihnen denn daran, Herr Westerwelle? ({0}) Was missfällt Ihnen daran, dass wir bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte so erhebliche Fortschritte erzielen konnten? Was missfällt Ihnen daran eigentlich? Herr Westerwelle, Sie stehen für die „dunklen Wolken“ - das Wort haben Sie selbst benutzt - in der deutschen Politik. Da sollen Sie auch stehen bleiben. ({1}) Der deutschen Bevölkerung ist nicht zuzumuten, dass Sie aus diesem Schatten auf die politische Sonnenseite wechseln. Das werden wir im Jahre 2009 hoffentlich auch verhindern können. Ich werde jedenfalls alles dafür tun, und ich bin mir sicher, die Sozialdemokratie insgesamt auch. Mit den Beispielen, die Sie gebracht haben - Zahlenbeispiele von China und anderem -, verzerren Sie die Wirklichkeit in grotesker Weise. Wer so redet, der kann nicht verantwortlich Politik gestalten. Das ist die Wahrheit, Herr Westerwelle, und das müssen Sie sich schon ins Stammbuch schreiben lassen. ({2}) Ich habe es bereits in der ersten Lesung gesagt: Wenn jemand von uns vor zwei Jahren diese günstige Entwicklung vorhergesagt hätte, dann wäre er oder sie als Phantast bezeichnet worden. Das ist die Wahrheit. Im Verlauf dieser Woche wird man feststellen können: Wir haben den besten Bundeshaushalt seit 1989. Das ist die schlichte Wahrheit und ein Grund zur Freude. Damit leugnen wir vorhandene Probleme nicht. Wir blenden diese Probleme doch nicht aus. Wenn man wie Frau Künast oder Herr Westerwelle Kritik übt, dann sollte man in der Sache aber auch ein bisschen sattelfest sein. Frau Künast, Sie haben gesagt, wir würden keine Subventionen abbauen. In dieser Legislaturperiode bauen wir 19 Milliarden Euro an Subventionen ab. Herr Westerwelle sagte, wir würden 74 Stellen draufpacken. Dabei verschweigt er, dass wir in 2008 fast 2 000 Stellen im Bundeshaushalt abbauen. ({3}) Verschweigen Sie den Menschen das doch nicht! Sie erzählen doch bestenfalls immer nur die halbe Wahrheit. ({4}) Frau Künast sagte, es würden beim Soli Mittel freiwerden. - Wo denn? Wollen Sie als Bundespolitikerin den Bund weiter belasten und die Länder weiter aus ihrer Verantwortung entlassen? Beim Soli werden in den nächsten Jahren leider keine Mittel frei. in absehbarer Zeit jedenfalls nicht. Die Rechnungen, die Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, können Sie doch nicht aufstellen. Sie als Milchmädchenrechnungen zu bezeichnen, wäre noch gestrunzt. Wie kann man den Menschen denn solche unseriösen Rechnungen präsentieren? Und wie kann man kritisieren, wir täten nichts für den Klimaschutz? ({5}) Welche Regierung hat denn ein besseres Klimaschutzprogramm beschlossen als die jetzige Regierung? Das muss man doch sagen, auch in kritischer Rückschau auf rot-grüne Zeiten. ({6}) Man muss hier doch die Wahrheit aussprechen dürfen, meine Damen und Herren. Sofern hier von der Opposition Kritik gekommen ist - egal ob von Herrn Westerwelle oder Frau Künast -, war diese Kritik mit politischer Substanz nicht verbunden. Von Herrn Gysi will ich gar nicht erst reden. Er macht jedes Mal dieselben Luftnummern. Ich glaube aber, dass die Menschen das zunehmend auch erkennen werden. ({7}) Frau Künast, die Nettokreditaufnahme 2008 beträgt 11,9 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Wert seit 20 Jahren. Das ist der Fakt. Was sagen eigentlich die grünen Haushälter zu ihren eigenen Parteitagsbeschlüssen, Frau Künast? Auch die Konsolidierungsperspektive bleibt bei uns unverändert. Die Nettokreditaufnahme wird weiter abgesenkt, und zwar bis auf null. Da wird nichts zurückgedreht, Herr Kollege Westerwelle; da wird keine Politik zurückgedreht, so wie Sie es hier dargestellt haben. Im Jahre 2008 wäre - das ist richtig - eine etwas schnellere Rückführung der Nettokreditaufnahme möglich gewesen. Das ist nicht zu bestreiten. Darauf haben wir aber verzichtet, und zwar aus guten Gründen. Bisher ist nämlich unsere Strategie, auf der einen Seite zu konsolidieren und auf der anderen Seite Geld für Zukunftsinvestitionen in die Hand zu nehmen, aufgegangen. Diese Strategie ist - wenn man ehrlich ist - so gut aufgegangen, wie wir es vielleicht selbst nicht erwartet hätten. Warum sollten wir eine erfolgreiche Strategie in 2008 verändern? Dazu gibt es überhaupt keinen Anlass. ({8}) Wir haben die Steuermehreinnahmen zur Rückführung der Neuverschuldung und in bestimmten Bereichen zur gezielten Erhöhung von Bundesmitteln genutzt. Dahinter steht das gemeinsame Verständnis in der Koalition und - zumindest bei mir und vielen anderen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - auch die Überzeugung, dass gute und vernünftige Budgetpolitik mehr sein muss als nur die Zurückführung von öffentlichen Aufgaben und Ausgaben. Peer Steinbrück spricht hier von „Konsolidieren und Gestalten“. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass eine lediglich fiskalistische Budgetpolitik zu falschen Ergebnissen führt. Budgetpolitik muss angesichts der aufgebauten hohen Verschuldung natürlich die öffentliche Kreditaufnahme abbauen. Sie muss aber auch bestehende Ungerechtigkeiten und große soziale Ungleichheiten verringern. Budgetpolitik muss auch die Wachstumskräfte erhalten und stärken. Sie muss die Mittel für den Kampf gegen die großen Gefahren für unsere Umwelt bereitstellen. Das tun wir mit dem Klimaschutzprogramm. Frau Kollegin Künast, ich würde mich sehr wundern, wenn sich die Grünen von den von mir gerade dargestellten Zielen distanzieren würden. All das kostet aber Geld, und zwar viel Geld, das nicht an anderer Stelle eingespart werden kann, es sei denn, wir gingen an solche Posten wie die Rente, um es offen zu sagen. Aber offenkundig wollen auch Sie das ja nicht. Wir sind auf einem guten Wege. Nur wenn wir jetzt in den Klimaschutz investieren, werden wir den nachfolgenden Generationen auch eine lebenswerte Welt überlassen können. Man darf Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit nicht allein auf die Reduktion der öffentlichen Verschuldung verengen. Das ist zumindest nicht unsere Sichtweise. ({9}) Deswegen bekommt der Umweltminister mehr Geld. Deswegen kann Frau Schavan für die Erhöhung des BAföG mehr Geld ausgeben. Deswegen haben wir die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöht. Deswegen verstärken wir die Verkehrsinvestitionen. Damit reagieren wir auf drängende Probleme, die für unsere Zukunft von großer Bedeutung sind. Wir geben nicht einfach Geld aus. Wir reagieren auf drängende Probleme unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren. ({10}) Das ist etwas komplizierter als schwarz-weiß. Man nennt das Policy-Mix. ({11}) Das ist nicht der Versuch, es allen recht zu machen, sondern die Kunst, verschiedene Politikziele sinnvoll unter einen Hut zu bekommen. Auch bei der Föderalismusreform II darf es nicht dazu kommen, dass mit der angestrebten Modifikation der Schuldenregel der Verfassung das gerade gefundene erfolgreiche Gleichgewicht von wirtschaftlicher Impulsgebung, Zukunftsgestaltung und Haushaltskonsolidierung möglicherweise wieder infrage gestellt wird. Eine Schuldenbremse muss realitätstüchtig sein; wir werden eine solche bekommen. In diesem Sinne werden wir im nächsten Jahr die Beratungen in der Föderalismuskommission - hoffentlich mit Ihrer Zustimmung - sicherlich zu einem guten Ergebnis führen. Es ist der klare Ansatz der SPD in der Regierungskoalition, immer darauf zu drängen, dass die soziale und die ökologische Dimension der Politik nicht vergessen werden. Das geht weit über Haushaltspolitik hinaus. Franz Müntefering hat das immer genau im Blick gehabt. Noch vor Eintritt in die Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU hat er ganz wichtige gesellschaftspolitische und sozialdemokratische Essentials durchgesetzt, unter anderem den Erhalt der Tarifautonomie. Wir sind für die Tarifautonomie, Kollege Westerwelle. Die Mindestlöhne, die uns vorschweben, untergraben die Tarifautonomie nicht. ({12}) Sie sind Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Oder wollen Sie etwa behaupten, dass 22 von 27 Staaten in der Europäischen Union, darunter auch England, keine soziale Marktwirtschaft bzw. Marktwirtschaft haben? Was Sie gerade behauptet haben, ist doch abstrus. Nein, wir werden in unserem Bestreben nicht nachlassen, zu verhindern, dass Lohndumping von der Gemeinschaft der Steuerzahler noch honoriert wird. Das kann ja wohl nicht sein. ({13}) Franz Müntefering hat, wie gesagt, schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen Wichtiges für die Arbeitnehmerschaft dieses Landes durchgesetzt. Das gilt auch für den Erhalt der Steuerfreiheit von Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschlägen. Dafür gebührt ihm der Dank der gesamten Arbeitnehmerschaft bzw. - das hätte ich früher so pathetisch gesagt - der gesamten Arbeiterbewegung. ({14}) Vor diesem Hintergrund ist für mich völlig unverständlich, wie Franz Müntefering auf manchem Gewerkschaftskongress behandelt worden ist. ({15}) Es besteht kein Zweifel: Ohne die Sozialdemokraten würde die Politik einer anderen von Frau Merkel geführten Bundesregierung sicherlich an vielen Stellen anders aussehen. Das konnte man auch wieder bei der Rede von Herrn Westerwelle feststellen. Lesen Sie auch den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Leitantrag für den CDU-Parteitag in der nächsten Woche! Wir, die Sozialdemokraten, werden in dieser Koalition nicht zulassen, dass das Thema Mindestlohn auf die rein betriebswirtschaftliche Dimension reduziert wird. Es geht beim Mindestlohn um ein zentrales gesellschaftspolitisches und soziales Problem, ({16}) nämlich darum, dass jeder vollzeitarbeitende Mensch von seiner Arbeit leben können muss. Dafür sollten wir alle in diesem Hause arbeiten. ({17}) Am anderen Ende der Gehaltsskala sind die Verhältnisse auch nicht in Ordnung. Herr Westerwelle, ich habe bei Ihnen einen Hinweis auf die pervers hohen Managergehälter und -abfindungen vermisst. ({18}) Ich bleibe dabei: Die Millionenabfindungen für Konzernmanager sind zu hoch. In die Lohnfindung können wir als Gesetzgeber nicht direkt eingreifen. Es herrscht Vertragsfreiheit. Aber die Aufsichtsräte, in denen auch Gewerkschafter sitzen, sollten ermuntert werden, an die Bemessung der Managergehälter etwas kritischer heranzugehen, als das in den letzten Jahren geschehen ist. ({19}) Es müssen auch keine Bonusprogramme aufgelegt werden. Ich stimme dem Kollegen Gerald Weiß oder auch dem saarländischen Ministerpräsidenten zu: Wir sollten die steuerliche Anerkennung viel zu hoher Abfindungen überprüfen. ({20}) Das hat mit Neid und Populismus nichts zu tun, sehr wohl aber damit, den Auswüchsen des Raubtierkapitalismus zu begegnen und mehr gesellschaftliches Augenmaß herbeizuführen. Auch bei der anstehenden Erbschaftsteuerreform ist ganz deutlich, dass die soziale Dimension und die Gerechtigkeitsfrage eine ganz wichtige Rolle spielen. Eine Erbschaft bedeutet ganz ohne Zweifel einen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Erben. Dies auch steuerlich zu erfassen - natürlich bei gleichzeitiger Gewährung angemessener Freibeträge -, ist ebenso ein Gebot der Gerechtigkeit wie der ökonomischen Vernunft. Völlig zu Recht hat die OECD unsere Nachbarn in Österreich wegen der Abschaffung der Erbschaftsteuer gerügt; denn die Kehrseite dieser Wohltat für die ganz Reichen ist eine übermäßige Belastung des Faktors Arbeit in Österreich, wohlgemerkt: in Österreich. ({21}) Kurzum: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen die Zeche. Diesen Irrweg werden wir in Deutschland nicht mitgehen, auch wenn in einigen Köpfen hier im Saal noch entsprechende Gespenster ihr Unwesen zu treiben scheinen. Die Eckpunkte für eine Reform der Erbschaftsteuer, die die Koalition in der Arbeitsgruppe Steinbrück/Koch erarbeitet hat, sind ein ordentlicher Kompromiss. Da gibt es jetzt keinen Grund mehr zur Unruhe, und ich kann nur dringend davor warnen, das geschnürte Paket in seinen tragenden Elementen nachträglich wieder anfassen zu wollen. Dieses Paket bleibt zu, und zwar auch unter dem Weihnachtsbaum. ({22}) Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer werden doch gebraucht. Bildung und Betreuung, um nur zwei Stichworte zu nennen, sind doch wahrlich Zukunftsaufgaben, für die sich in den Ländern und Kommunen in den kommenden Jahren große Anstrengungen lohnen. Dass wir Sozialdemokraten unseren Blick aber auch auf die ökonomischen Rahmenbedingungen richten, lässt sich vielfach und eindeutig belegen. Ich komme zum Stichwort Unternehmensbesteuerung. Kollege Gysi, da geht es nicht um Geschenke für Konzerne oder für die Wirtschaft, sondern darum, dass wir endlich Schluss mit dem skandalösen Zustand machen, dass Gewinne von bis zu 100 Milliarden Euro in Deutschland erwirtschaftet und im Ausland versteuert werden. Das wollen wir ändern. Das ist die Gerechtigkeitslücke, um die es geht. ({23}) Das ist der Kern unserer Unternehmensteuerreform. Wir Sozialdemokraten haben außerdem mit Unterstützung der kommunalen Spitzenverbände dafür gesorgt, dass in der Unternehmensteuerreform die Gewerbesteuer verbreitert wurde. Und von dem Kompromiss, den die SPD-Bundestagsfraktion 2003 herbeigeführt hat, profitieren die Städte Gott sei Dank bereits seit Jahren. Schauen Sie sich die Entwicklung der Gewerbesteuer an! Wenn Sie das kritisieren, dann werden Sie demnächst etwas präziser! Wir können uns aber auch unter vier Augen darüber unterhalten, damit Sie nicht in jeder Talkshow immer den gleichen Unsinn erzählen. ({24}) Wir betreiben mit Augenmaß eine Politik der ökonomischen Vernunft. Ich finde es bemerkenswert, dass der Anteil der Agenda 2010 am aktuellen wirtschaftlichen Aufschwung von vielen immer öfter und immer stärker gewürdigt wird. Die vorgebrachte Behauptung, wir würden mit den Weichenstellungen von Gerhard Schröder brechen wollen, ist eine bösartige und in der Regel taktisch motivierte Unterstellung. Hier soll die SPD aus der politischen Mitte und in die Nähe der Linkspartei gedrängt werden. Das werden wir aber nicht zulassen. Vielen Dank. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Lukrezia Jochimsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003777, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Lieber Kollege Westerwelle, eines vorweg: Wir koppeln soziale Gerechtigkeit keineswegs von der Leistungsgerechtigkeit ab. Sie haben gesagt, Sie hätten Gregor Gysi gut zugehört. Ihnen ist entgangen, dass er ausdrücklich die überdurchschnittliche Belastung der Normalverdiener und der Mittelschicht hier in diesem Hause kritisiert hat. ({0}) Es ist ganz klar, dass wir soziale Gerechtigkeit nicht von Leistungsgerechtigkeit abkoppeln. Jetzt einige Worte zum Kulturhaushalt. Da hat die Opposition durchaus zu loben: Nach bitteren Sparjahren gibt es jetzt endlich mehr Geld für die Kultur. Als thüringische Abgeordnete mit Standort in Weimar freue ich mich besonders über die 45 Millionen Euro, die die Klassik Stiftung Weimar erhält. Damit kann ein bedeutendes Kulturprojekt Wirklichkeit werden, dem ganzen Land nützend. Dies gilt auch für die Mehrzahl der übrigen Investitionen. Eines aber ist für uns angesichts der Abkehr vom bisherigen Kaputtsparen unverständlich: die Unterfinanzierung der Stiftung für das sorbische Volk. ({1}) Deutschland hat sich mit großem Elan für die UNESCOKonvention zum Schutz der Vielfalt von kulturellen Ausdrucksformen engagiert und sie vor einem halben Jahr ratifiziert. Da ist es wahrhaft kein gutes Beispiel, wenn in der innenpolitischen Realität eine Minderheit finanziell ausgehungert wird. Da geht es um den Erhalt einer uralten, identitätsstiftenden Sprache, es geht um zweisprachige Bildung, den Erhalt eines Theaters, eines Verlags, eines Instituts. Im Prinzip geht es darum, wie die Mehrheit mit einer ihrer autochthonen Minderheiten umgeht. Im Detail geht es um 600 000 Euro. Eine kleine Summe, wenn man an die 400 Millionen Euro denkt, aber viel Geld für die sorbischen Kultureinrichtungen, wenn es ausbleibt. Es gibt nur ein deutsch-sorbisches Theater. Wenn es schließen muss, geht ein kulturelles Unikat verloren. Kulturelle Vielfalt in einem reichen Land sieht anders aus. ({2}) Wir fordern also, dass der Bundeszuschuss auf 8,2 Millionen Euro angehoben wird. Das ist die Summe, die die Stiftung zur Fortsetzung ihrer Arbeit als unverzichtbar ansieht. Da das derzeit geltende Finanzierungsabkommen zum Jahresende abläuft, fordern wir außerdem, dass endlich ein neues Abkommen zustande kommt, mit dessen Hilfe die Kultur der Sorben gepflegt und erhalten werden kann. Alles andere käme einer Assimilierungspolitik gleich. Eine zweite Position innerhalb des Kulturhaushalts halten wir für unverantwortbar. Schon im vergangenen Jahr wurden die Mittel der Kulturstiftung des Bundes um 3 Millionen Euro verringert. Nun sollen für 2008 nochmals 2 Millionen Euro weniger zugewiesen werden. Als die Stiftung errichtet wurde, wurde ihr zugesichert, sie jährlich mit 38 Millionen Euro auszustatten. Diese Zusicherung sollte unbedingt eingehalten werden. Die Stiftung leistet hervorragende Arbeit, insbesondere da, wo sie in die kulturelle Bildung unserer Kinder investiert. In diesem Bereich ist noch viel zu tun, gerade für den Bund. Das ist seit langem ein Anliegen meiner Fraktion. In diesem Sinne bitte ich Sie, unseren beiden Änderungsanträgen zuzustimmen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist an der Zeit, zur Halbzeit der Arbeit dieser Koalition Zwischenbilanz zu ziehen. Ich glaube, dass die unionsgeführte Bundesregierung eine erfolgreiche Bilanz vorlegen kann. Mit unserem Land geht es in vielen Bereichen, beispielsweise auch beim Haushalt, voran. Die Vorfahrtsregel, die heute beschrieben worden ist, muss auch für die zweite Hälfte der Legislaturperiode gelten, nämlich das zu tun, was unserem Land nutzt und die Menschen nach vorne bringt, und das zu unterlassen, was den Aufschwung in diesem Land gefährdet. Das, glaube ich, ist ganz wichtig. ({0}) Wichtig ist auch, noch einmal deutlich auszusprechen, dass der Aufschwung, über den wir hier schon mehrfach diskutiert haben, bei den Menschen ankommt. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland steigt in die Nähe von 40 Millionen. Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen erwerbstätig. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Wir haben erfreuliche Ergebnisse bei der Erwerbsbeteiligung Älterer am Arbeitsmarkt; diese steigt deutlich an, und die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt. Auch der Ausbildungspakt wirkt. Das heißt, wir haben einen sehr soliden Anstieg bei den Ausbildungschancen junger Menschen. Das alles bedeutet viele neue Chancen für viele Menschen in diesem Land. So lautet die Halbzeitbilanz der Großen Koalition. Das ist höchst erfreulich. ({1}) In dieser Haushaltsdebatte kann man es, glaube ich, nicht besser ausdrücken, als Uli Schäfer es heute in der Süddeutschen Zeitung getan hat: „Stabilität lohnt sich.“ Es lohnt sich für die Menschen, dass wir diese Politik in Deutschland betreiben. Es zahlt sich im Inland wie im Ausland aus. Ich erinnere daran, wo wir vor rund zwei Jahren beim Haushalt standen. Der Staatsbankrott drohte. Das waren damals die Schlagzeilen in den Zeitungen. Ich erinnere mich daran - ich weiß gar nicht, ob es in den Koalitionsverhandlungen oder öffentlich war -, dass Peer Steinbrück gesagt hat, so schlimm, wie es mit den Staatsfinanzen tatsächlich ist, habe er sich das nicht vorstellen können. Damit hat er eine zutreffende Beschreibung der finanzpolitischen Leistungen der Vorgängerregierung abgegeben. ({2}) Deutschland saß in der Europäischen Union auf der Anklagebank. Jede Woche wurde aufgrund unserer miesen finanziellen Situation vom Strafverfahren geredet. Heute, nach zwei Jahren, haben wir das strukturelle Defizit von etwa 60 Milliarden Euro halbiert. Noch im Frühjahr dieses Jahres haben wir angenommen, dass wir für den Haushalt 2008 21,5 Milliarden Euro Schulden brauchen. Wir werden ihn Ende dieser Woche mit 11,9 Milliarden Euro neuen Schulden beschließen. ({3}) Das sind 11,9 Milliarden Euro zu viel. Aber es sind immerhin 10 Milliarden Euro weniger, als wir im Frühjahr noch gemeinsam zu benötigen glaubten. Die Staatsquote wird im nächsten Jahr auf das Niveau von vor der Wiedervereinigung sinken. Damals war Gerhard Stoltenberg Finanzminister eines noch nicht wiedervereinigten Deutschlands. Das macht deutlich: Der Staat zieht sich aus dem privaten Bereich zurück. Weniger Staatsquote bedeutet mehr Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sinne ist es ein weiterer Beleg für den Erfolg der bisherigen Arbeit. ({4}) Unser Ziel, 2011 ohne neue Schulden auszukommen, wird kritisiert. Als damals, beim letzten Mal, ein Null-Schulden-Haushalt angekündigt wurde, lautete die Kritik, ein solcher Haushalt sei unrealistisch. Heute ist die Opposition der Auffassung, ein solcher Haushalt sei früher möglich. Das heißt, es wird gar nicht infrage gestellt, dass diese Große Koalition es schaffen kann, ohne neue Schulden auszukommen. Man mäkelt lediglich an der Geschwindigkeit herum. Wer hätte das vor zwei oder drei Jahren angesichts eines drohenden Staatsbankrotts in diesem Hause eigentlich ernsthaft glauben wollen? ({5}) Ich will an dieser Stelle auch deutlich machen: Entgegen anderslautenden Behauptungen wird es am Ende des nächsten Jahres 2 400 Stellen weniger in der Verwaltung des Bundes geben, weil wir unseren Kurs des Stellenabbaus in der öffentlichen Verwaltung konsequent fortsetzen. Wir haben ihn gegenüber dem Regierungsvorschlag noch verschärft. Das bedeutet nicht, dass wir in bestimmten politischen Bereichen keine Schwerpunkte gesetzt haben. Herr Kollege Westerwelle, das ist im Übrigen auch aufgrund von Anregungen der FDP, denen wir folgen konnten - die Koalition hat einen entsprechenden Antrag eingebracht -, geschehen. Deswegen sollten Sie mit Ihren sehr personalisierten Angriffen in der Sache sehr vorsichtig sein. Sie haben ja auf die Schröder-Rede nach zwei Jahren seiner Kanzlerschaft verwiesen. Leider haben Sie bei dieser Debatte nicht geredet. Ich möchte Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben, was der Kollege Brüderle damals gesagt hat: Flegelhaftigkeit ist kein Stil der Politik. - Das will ich hier im Hinblick auf Ihre Rede einmal in aller Deutlichkeit feststellen. ({6}) Kollege Brüderle von der FDP hat ausgerechnet, dass vonseiten der Bundesregierung Mehrforderungen in Höhe von 30 Milliarden Euro - ich sage das mit einem leichten Augenzwinkern in Richtung Kabinettsränge erhoben worden sind. Wir haben in diesen Haushaltsberatungen keinen Cent draufgelegt; das muss man einmal deutlich machen. Natürlich gab es Wünsche; aber die Haushälter dieser Großen Koalition haben Kurs gehalten. Wünsche gibt es immer in dieser Großen Koalition und auch in kleinen Koalitionen. Aber wie man damit umgeht, ob man Kurs hält, das ist entscheidend. Wir haben entschieden: Trotz Mehrforderungen in Höhe von 30 Milliarden Euro - das ist die Rechnung der FDP wird dieser Haushalt gegenüber dem Regierungsentwurf um keinen einzigen Euro aufgestockt. Das ist eine klare Kante in der Finanzpolitik. ({7}) Zusätzlich ist es uns gelungen, 1 Milliarde Euro weniger Schulden, als von Steinbrück vorgeschlagen, zu machen. Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der schon angesprochen worden ist, nämlich auf die Kulturpolitik. Wir sparen nicht um des Sparens willen, sondern wir setzen auch auf diesem Gebiet Akzente. In den beiden Haushalten, die wir in dieser Woche beraten, wird das größte nationale Kulturinvestitionsprogramm mit einem Volumen von 400 Millionen Euro auf Kurs gebracht. Das ist ein wichtiges Signal. Als Beispiel nenne ich die Klassik Stiftung Weimar oder die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Dieses Programm ist ein Angebot an das Land Berlin, nach Abschluss der Bund/Berlin-Verhandlungen Investitionen in Berlin zu tätigen. Außerdem ist es ein Angebot an die Stadt Bonn, für die auch Sie, Herr Kollege Westerwelle, sich eingesetzt haben. Man kann hier nicht einerseits Ausgaben geißeln und andererseits diejenigen loben, für die man selber eingetreten ist. Ich finde, diese Art und Weise des Umgangs miteinander ist einfach unredlich. ({8}) Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat 39 Millionen Euro für den Bau des Festspielhauses „Ludwig van Beethoven“ bewilligt. Selbstverständlich ist Beethoven ein nationales Ereignis. Wenn Sie die Varusschlacht und den Siebenjährigen Krieg durcheinanderwerfen, dann will ich Ihnen das gerne durchgehen lassen. Aber das eine gegen das andere auszuspielen, geht nicht. Früher hatten Sie einmal eine „18“ unter dem Schuh; heute scheinen mir da kleine Karos zu sein. ({9}) So sollte der Umgang zukünftiger Koalitionspartner nicht sein, die in Nordrhein-Westfalen im Übrigen erfolgreich zusammenarbeiten. Wir haben in diesem Haushalt Vorsorge für das Stadtschloss getroffen. ({10}) Wir haben deutlich gemacht: Wir wollen den Wiederaufbau des barocken Stadtschlosses, und wir können dafür einen festen Kostenrahmen ermöglichen. Allerdings schließen sich Kostenmanagement und kulturelles Bewusstsein in diesem Falle überhaupt nicht aus. Ein Drittes haben wir in diesem Zusammenhang gemacht: Wir haben für eine Investition in mehrere Aspekte der Moderne - auch des 21. Jahrhunderts - gesorgt und die Mittel für die Kulturhauptstadt Europas 2010 verstärkt. Dies ist ein wichtiger Beitrag für die kulturelle Identität unseres Landes im 21. Jahrhundert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kampeter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen?

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, Herr Präsident.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Börnsen. - Anschließend bitte ich, zum Schluss zu kommen. ({0})

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ich habe bei Ihrer Rede mit Aufmerksamkeit verfolgt, dass Sie die großartigen finanzpolitischen Leistungen meines schleswig-holsteinischen Landsmanns Gerhard Stoltenberg, die Orientierung auch für diese Regierung gewesen sind, noch einmal erwähnt haben. Sie haben nun den Gedanken aufgegriffen, dass der Haushaltsausschuss - Sie persönlich, Frau Merkel und alle anderen Mitglieder - gesagt habe, wir müssten verstärkt in den Kulturstandort Deutschland investieren, weil wir wüssten, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch eine stärkere Attraktivität erhält. In diesem Zusammenhang hat Ihre Vorrednerin mitgeteilt - ({0}) - Ist es richtig, dass sie mitgeteilt hat, ({1}) dass die autochthone Minderheit der Sorben trotz der Verbesserungen im Kulturbereich schlechter abschneiden? Ist diese Information richtig? Vielleicht können Sie uns auch noch darüber aufklären, dass in alle Bereiche der Kultur sehr wohl gerecht und umsichtig investiert worden ist.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Börnsen, erstens stimme ich Ihnen zu, dass die Zusammenarbeit mit der Kollegin Merkel ausgesprochen angenehm ist und in der Sache erfolgreich voranschreitet. Ich bin in einer etwas schwierigen Situation, da ich hier mit zwei Damen Merkel aus unterschiedlichen Fraktionen zurechtkommen muss. ({0}) Aber bisher ist dies relativ erfolgreich gelungen. Was die Sorben angeht, halte ich in Beantwortung Ihrer Frage Folgendes fest: Erstens. Der Bund hat in den vergangenen Jahren für die sorbische Volksgruppe über seine Verpflichtungen aus dem Finanzierungsabkommen hinaus zusätzliche Leistungen an die Stiftung gezahlt. Wir sind weit über das hinausgegangen, was wir mit den Ländern Brandenburg und Sachsen vereinbart hatten. Zweitens. Wir haben in einem von allen Fraktionen unterstützten Antrag eine Aufstockung des Zuschusses an die Stiftung für das sorbische Volk in Höhe von - ich habe das jetzt nicht im Kopf ({1}) 600 000 Euro beschlossen und dies mit einem klaren Verhandlungsauftrag an den Staatsminister für Kultur und Medien verbunden, der einer der erfolgreichsten Minister dieser Bundesregierung ist, was zu Anfang dieser Legislaturperiode viele gar nicht glauben wollten. Dies wird aber jetzt an Themen wie der Filmförderung oder der Bundeskulturstiftung deutlich. Der klare Verhandlungsauftrag besagt, mit den Ländern Sachsen und Brandenburg ein neues Finanzierungsabkommen auszuhandeln, in ihm die vielen kritischen Anregungen des Bundesrechnungshofes und des Bundesverwaltungsamtes aufzugreifen, die die Zusammenarbeit zwischen Bund, Sachsen, Brandenburg und der Stiftung für das sorbische Volk betreffen, und anschließend dem Deutschen Bundestag dieses Finanzierungsabkommen mit der Perspektive einer fairen Lastenverteilung zwischen den Beteiligten vorzulegen. Als Union und als Große Koalition stehen wir zu unserer Verantwortung für die autochthone Minderheit der Sorben. Wir haben ein entsprechendes Verhandlungsangebot auch materiell untermauert. Ich halte es für richtig, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zumindest im Haushaltsausschuss diesem Verhandlungsangebot zugestimmt haben, und ich bin zuversichtlich, dass es Bernd Neumann, unserem Staatsminister für Kultur und Medien, mit seinem Verhandlungsgeschick und seinem Charme gelingen wird, die Verhandlungspartner zusammenzuführen und mit ihnen gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit in diesem Bereich der Kulturpolitik, aber auch im Bereich der Haushaltspolitik insgesamt. Das Ergebnis, das am Freitag zur Abstimmung stehen wird, kann sich sehen lassen. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung auf ausgeglichene Haushalte und eine nachhaltige Finanzpolitik. Dies muss ein Markenzeichen nicht nur der Union, sondern auch jeder Regierung sein, an der die Union aktiv beteiligt ist. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin GöringEckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das ist heute ein schönes Happening. ({0}) - Nein, das meine ich ernst. 400 Millionen Euro mehr für die Kultur: Darüber kann man sich wirklich freuen. ({1}) Ich gebe allerdings zu: Ich würde mich gerne mitfreuen, ohne dass das Ganze ein Geschmäckle hat. Wenn man nach 24 Uhr im Haushaltsausschuss etwas einbringt, was schon am nächsten Tag in einer Regionalzeitung als beschlossen dargestellt wird - die Zeitung hat also schon gewusst, was beschlossen werden wird, bevor es im Haushaltsausschuss überhaupt auf dem Tisch lag -, dann hat das für mich ein Geschmäckle. Das ist nicht sinnvoll. ({2}) Herr Kampeter, ich will Ihnen auch sagen, warum ich das nicht sinnvoll finde. Sie haben eben die Varusschlacht erwähnt und Herrn Westerwelle belehrt - das ist in Ordnung; politische Bildung soll es im Deutschen Bundestag ja auch geben -, aber ich glaube, dass die Klassik Stiftung Weimar und auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten es nicht verdient haben, dass der Eindruck erweckt wird, man schiebe nachts etwas über den Tisch nach dem Motto „Für mich Varus und für dich Goethe“. Das haben sie nicht verdient. Sie sind mehr wert. Sie sind deutsches Kulturerbe. Das kann man nicht um Mitternacht verhandeln. ({3}) - Das ist der entscheidende Punkt. Das eine ist der Haushalt 2008, das andere der Nachtragshaushalt 2007, mal kurz über den Tisch geschoben. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung hat von einer Kriegskasse geredet. Ich glaube, das ist keine sinnvolle Haushaltspolitik, und es ist der Projekte, um die es geht, und unseres kulturellen Erbes nicht würdig. Wir haben etwas anderes verdient. Sie hätten Ihre Vorschläge eher vorlegen und deutlich machen können, welche Wichtigkeit das hat, statt Deals zu verabschieden. ({4}) Ich will an dieser Stelle aber vor allem über einen anderen Punkt reden, den ich noch viel wichtiger finde, wenn wir in diesem Hause über die Kulturpolitik reden, und zwar die Erinnerungskultur. Auch bei diesem Thema sind die Haushaltsberatungen nicht leicht gewesen. Salomon Korn hat während Haushaltsberatungen in der Zeit darauf hinweisen müssen, dass in der Gedenk13556 stätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald nur 50 Prozent der Führungen stattfinden können. Das halte ich für einen absoluten Skandal, wenn es um Vergangenheitsaufarbeitung und Erinnerungskultur in Deutschland geht. ({5}) Auch dabei gab es ein langes Hin und Her, ob man der Gedenkstätte wenigstens 400 000 Euro mehr gewähren sollte. Es hat einer riesigen Anstrengung bedurft, aber es ist jetzt beschlossen worden. Dafür bin ich froh und dankbar. Was die Erinnerungskultur angeht, will ich mit Blick auf die Zukunft ausdrücklich vorwarnen - in der gleichen Zeit hat nämlich im Kulturausschuss die Anhörung zur Erinnerungskultur stattgefunden -: Wir können uns in der Erinnerungskultur keine Schwerpunktverschiebung weg von der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit leisten. Ich glaube, das gebietet die Verantwortung, die wir in Deutschland für unsere eigene Geschichte haben. ({6}) Das hat die Anhörung sehr deutlich gemacht. Wenn man über das Jahrhundert des Totalitarismus und die beiden deutschen Diktaturen redet, dann sind wir auf dem falschen Weg. Das halte ich für sehr gefährlich in einer Zeit, in der Neonazis überall in Deutschland versuchen, sich zu verankern. Ich halte das für gefährlich in einer Zeit, in der wir einen Neuanfang bzw. einen Neuaufbruch brauchen, gerade weil viele überlebende Zeitzeugen bald nicht mehr da sein werden. Wir brauchen einen Neuaufbruch für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle für unser kritisches Geschichtsbewusstsein spielt. ({7}) Es geht nicht an, bei der Zivilgesellschaft zu streichen und nach dem Motto zu verfahren, an ihrer Stelle werden es schon die Institutionen in Deutschland machen. Es geht auch nicht, auf der einen Seite zulasten eines kritischen Geschichtsbewusstseins zu streichen und auf der anderen Seite davon auszugehen, dass sich die Bedeutung der Gedenkstätten danach bemessen wird, wie wirtschaftlich sie sind. Sprich: Eine Gedenkstätte ist umso wichtiger, je mehr Besucherinnen und Besucher sie hat. Auch das hat für mich nichts mit kritischem Geschichtsbewusstsein und mit der Bedeutung zu tun, die wir in Deutschland aus meiner Sicht mit diesen Gedenkstätten verbinden müssen. ({8}) Und als Letztes: Wenn es um die Aufarbeitung unserer DDR-Geschichte in Deutschland geht, macht es keinen Sinn, so zu tun, als ob es da nur Repression, Anpassung, Abhängigkeit, Ausgrenzung und Widerstand gegeben hätte. ({9}) - Ganz bestimmt nicht. Ich bin bestimmt nicht die Richtige, der Sie das sagen müssen, dass wir nicht verniedlichen wollen, nein. Aber der Punkt ist genau, dass wir über das andere ebenso reden müssen: über Loyalitäten, über ideologische Überzeugung. Nur dann, wenn wir in Gänze darüber sprechen, werden wir nämlich verhindern, dass die Vergangenheit verniedlicht und bagatellisiert wird. Wem wir damit einen Gefallen täten, das wissen wir hier im Hause ganz genau. ({10}) Davor müssen wir auf der Hut sein. Wir haben zwei wichtige Debatten dazu vor uns. Ich will das an dieser Stelle wegen der Zeit nur in Stichworten sagen: Das eine ist die Debatte um das sichtbare Zeichen, das andere die Debatte um das Denkmal für Einheit und Freiheit. Beides gehört auch in diesem Sinne zusammen, und ich hoffe sehr, dass wir mit kritischem Geschichtsbewusstsein dafür sorgen, hier nicht eine Schlagseite zu bekommen, die der Geschichtsaufarbeitung, die wir in der Vergangenheit hatten und die wir so dringend brauchen, zuwiderläuft. Wir stehen hierbei in einer Verantwortung, die mehr ist, als die Debatte hierzu am heutigen Tag gezeigt hat. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel von der SPD-Fraktion. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, die Haushaltsberatungen in diesem Jahr waren sehr erfreulich. ({0}) Was in diesem Jahr erfreulich war, sind die Fakten, die hier schon oft genannt worden sind und die ich auch nicht verschweigen will: Dass die Nettokreditaufnahme erheblich gesenkt werden konnte - von 19,5 Milliarden Euro auf 14,4 Milliarden Euro in diesem Jahr; im nächsten Jahr soll sie auf höchstens 11,9 Milliarden Euro festgeschrieben werden -, ist ein Erfolg. Dass unser Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, näherrückt spätestens im Jahr 2011 -, ({1}) ist ebenfalls ein Erfolg. Dass die Steuereinnahmen höher sind als erwartet, ist auch gut, und dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert hat - das Zeichen dafür sind über 1 Million Arbeitsplätze mehr -, ist auch etwas, das als Erfolg bezeichnet werden kann. Das lassen wir auch nicht kleinreden. ({2}) Petra Merkel ({3}) Lieber Kollege Kampeter, wer wie Sie nach zwei Jahren Regierungserfahrung glaubt, man müsse nur an einer Stellschraube drehen, um Erfolg zu haben, der greift meines Erachtens zu kurz. Dieser Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass die rot-grüne Koalition - auch zusammen mit der CDU/CSU im Bundesrat - Reformen in Gang gesetzt hat, die jetzt Wirkung zeigen. Rot-Grün hat damit angefangen, die Große Koalition hat dies erfolgreich fortgeführt, ({4}) und das ist auch ein Ergebnis von konsequenter Politik, auf deren Kontinuität zumindest die Sozialdemokraten stolz sein können; denn sie war erfolgreich. ({5}) Weniger Schulden zu machen, ist ein richtiges und ein wichtiges Ziel, das wir auch weiterhin verfolgen. Wichtig ist aber auch, dass es nicht das einzige und alleinige Ziel ist, sondern ein Mittel, die Notwendigkeit dafür, wieder Luft zu bekommen, Handlungsspielräume zu erschließen und Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Richtig ist: Haushalts- und Finanzpolitik muss Begehrlichkeiten abwehren können, muss aber auch Impulse geben. ({6}) Wir schmeißen kein Geld zum Fenster hinaus, sondern investieren angesichts der stabileren Lage in Bereiche, die die Stabilität sichern und weiter festigen sollen. Umso erfreulicher ist es, wenn die Einnahmen höher sind als erwartet; umso erfreulicher ist, dass wir durch den Nachtragshaushalt 2007 aufgrund höherer Einnahmen nun auch zusätzliche Mittel hatten, die wir gezielt einsetzen konnten. Durch die Steuermehreinnahmen konnten wir mit dem Nachtragshaushalt wichtige Vorhaben finanzieren und Schwerpunkte setzen. Mit der Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige konnten wir einen wesentlichen Beitrag für eine zukunftsorientierte Familienpolitik leisten. Das ist ein wesentlicher Schwerpunkt sozialdemokratischer Politik. ({7}) Wir investieren in Köpfe und somit in Zukunft. Das tun wir auch mit dem Haushalt 2008 durch die Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze um 10 Prozent und der Freibeträge um 8 Prozent. ({8}) Auch das Meister-BAföG steigt. Damit bringen wir spürbare Verbesserungen und sorgen für mehr Chancengleichheit. Meine Kolleginnen und Kollegen haben schon darauf hingewiesen, welche weiteren Schwerpunkte wir im Bereich Bildung und Forschung setzen konnten. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Wir haben den Etat in den Haushaltsberatungen um 163,3 Millionen Euro erhöht. Mein Hinweis auf die anderen Einzelpläne ist noch nicht zu Ende. Ein Programm, das mir besonders wichtig ist, weil es auf eine Initiative von uns Haushältern, Steffen Kampeter, zurückgeht, ist: Im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird nun ein Programm zur Umsetzung kreativ-wirtschaftlicher Konzepte neu gestartet. Mit insgesamt 5 Millionen Euro sollen so kreativ-wirtschaftliche Projekte aus allen Bundesländern gefördert werden. ({9}) Ich komme jetzt zu einem meiner Etats aus dem Bundeskanzleramt, zum Kulturhaushalt. Neben diesen eben genannten Investitionen konnten wir in den Kulturhaushalt weitere Mittel einstellen. ({10}) So fließen - das haben Sie von der Opposition schon angemerkt - zusätzliche Mittel in Höhe von 400 Millionen Euro als Zuschüsse für national bedeutsame Kulturinvestitionen. Auf eines möchte ich an dieser Stelle ganz besonders hinweisen: Dies geschah im Parlament und durch das Parlament. ({11}) Dieses Geld kam nicht durch den von mir durchaus geschätzten Herrn Staatsminister in den Haushalt. ({12}) Dass Sie sich, Herr Neumann, über diese Mittel, die Ihrem Etat zugutekommen, freuen, ist verständlich; das tue auch ich. Sie haben einen unverhofften Geldsegen erhalten, für den Sie nichts tun mussten. ({13}) Die Bereitstellung dieser zusätzlichen Mittel war ein Wunsch des Parlaments und ist auf eine Initiative des Parlaments zurückzuführen. - Das war zur Klarstellung nötig. ({14}) Diese Mittel sind für mich ein gutes Beispiel, wie Gelder gezielt eingesetzt werden können, um Impulse und Prioritäten zu setzen. Zunächst einmal sind diese Zuschüsse für national bedeutsame Kulturinvestitionen an die Kofinanzierung durch Länder und Kommunen sowie Private gekoppelt. Das heißt, es fließen mehr Mittel, als wir einstellen. Teil dieses Programms sind Mittel für die Sanierung der Staatsoper in Berlin, für die Klassik Stiftung Weimar, die Stiftung Festspielhaus Beethoven in Bonn und die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. ({15}) Petra Merkel ({16}) Hier ganz gezielte Investitionen zu leisten, ist uns mit diesem großen Programm gelungen. ({17}) Alle Mittel sind gesperrt, weil wir im Haushaltsausschuss die Entsperrung der Mittel für alle diese Projekte erst freigeben werden. Wir haben auch ein Programm für den Denkmalschutz in Höhe von 40 Millionen Euro aufgelegt. ({18}) Dies wird vielen Ländern und Kommunen zugutekommen. Wir haben gemerkt, dass sich die Länder und Private daran beteiligen. Dies sind Investitionen, die in den einzelnen Regionen einen Anker setzen. Das schafft zusätzliche Arbeit und kommt dem Mittelstand zugute. Diese Art der Impulssetzung streben wir an; deswegen stellen wir diese 40 Milliarden zur Verfügung. ({19}) - 40 Millionen, richtig. ({20}) - Richtig, das kommt vielleicht beim nächsten Mal, wenn es so weitergeht. Wir begleiten Projekte, auch solche, die eines sehr sensiblen Umgangs bedürfen. Das „sichtbare Zeichen“ ist für mich so ein Projekt. Es steckt gerade in den Anfängen und benötigt meiner Meinung nach eine sorgsame und sensible Begleitung. Als „sichtbares Zeichen“ soll auf der Grundlage der vom Bonner Haus der Geschichte konzipierten Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ eine Dauerausstellung in Berlin eingerichtet werden. An dieser Stelle erlaube ich mir die persönliche Bemerkung, dass über die derzeit ins Auge gefasste Unterbringung der geplanten Dauerausstellung im Deutschlandhaus noch einmal diskutiert werden muss, und zwar sowohl im Kulturausschuss als auch im Haushaltsausschuss. ({21}) Dieser Standort muss meiner Meinung nach überprüft werden. Die SPD-Fraktion war immer der Auffassung, dass diese Dauerausstellung in die bestehende Museumslandschaft eingebettet werden müsse und die europäische Einbindung von zentraler Bedeutung sei. Ich gebe Folgendes zu bedenken: Eine räumliche Nähe des „sichtbaren Zeichens“ zum Landesverband der Vertriebenen in Berlin im Deutschlandhaus könnte zu Recht den Verdacht erwecken, dass eine inhaltliche Nähe zu dem vom Bund der Vertriebenen geplanten Zentrum gegen Vertreibung geschaffen werden soll. Das widerspräche nach meiner Auffassung der Koalitionsvereinbarung. Eine deutliche Abgrenzung des „sichtbaren Zeichens“ von einem Zentrum gegen Vertreibung - sowohl räumlich als auch inhaltlich - ist - da bin ich sicher für die SPD-Bundestagsfraktion Grundvoraussetzung für die Umsetzung dieses Projekts. Sie sehen: Es besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf. ({22}) Ich möchte noch ein Beispiel für den Bereich des Reformierens geben. In diesem Zusammenhang darf ich auf die Föderalismuskommission II eingehen. Dort arbeiten wir daran, neue, wirksamere Grenzen und Begrenzungen der Verschuldung zu definieren und zu vereinbaren. Wir haben uns vorgenommen, die Finanzbeziehungen und Verwaltungsaufgaben zwischen dem Bund und den Ländern neu zu ordnen und dadurch Einsparungen zu erzielen. Ein Bereich, in dem wir meiner Meinung nach tätig werden können und sollten, ist die Einführung einer Bundessteuerverwaltung. ({23}) Während der zweiten Expertenanhörung der Föderalismuskommission II wurde deutlich, dass die Einrichtung einer solchen Bundessteuerverwaltung sehr wohl interessant ist. Ich halte es für ein gutes und wichtiges Instrument, durch eine Bundesbehörde Steuern einzuziehen. Entscheidend ist, dass sich dann kein Land herausmogeln und auf seinem Gebiet Betriebsprüfungen vernachlässigen kann. Kein Bundesland sollte damit punkten, dass es weniger Mitarbeiter bei der Steuerverwaltung und Steuerprüfung gibt. Sie alle wissen, was das für ein fatales Signal ist. Laxes Auslegen der Steuergesetze darf nicht als Standortfaktor genutzt werden. ({24}) Da sage ich als Haushälterin: So nicht! Neben den gleichen Bedingungen für die Durchführung in den Ländern, die wir durch eine Bundessteuerverwaltung schaffen könnten, gefällt mir besonders ein charmanter Gedanke: nämlich dass die Effektivitätsgewinne, die Mittel, die man durch Bürokratieabbau beim Einziehen von Steuern erhält - das sind ungefähr 10 Milliarden Euro -, sowohl dem überschuldeten Bund als auch den überschuldeten Ländern zugutekommen. Es gab die Überlegung, dabei auch den Abbau von Altschulden einzubeziehen. Alle würden davon profitieren: der Bund, die Länder und die Kommunen. Wir sollten weiterhin darüber nachdenken, ob das nicht ein Weg ist, den wir gemeinsam gehen können. Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass wir solche Reformen in Angriff nehmen können. Wir haben jetzt aufgrund der Haushaltssituation gute Bedingungen dafür. Wir haben ein Zeitfenster, das wir nutzen sollten. Ich hoffe, dass wir gemeinsam in diese Richtung gehen können. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Monika Grütters von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Monika Grütters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003761, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht selbstverständlich, dass beim Kanzleramt die Kultur ressortiert. Aber daran sehen wir: Hier geht es um Grundsätzliches, um die Einsicht nämlich, dass nationale Identität vor allem aus dem Kulturleben eines Landes wächst, aus dem traditionellen Erbe übrigens ebenso wie aus der künstlerischen Avantgarde. Diese Bundesregierung mit Bernd Neumann als Staatsminister für Kultur und Medien kann eine stolze und auch, wie es in einer Zeitung stand, fröhliche Zwischenbilanz ziehen. ({0}) Noch nie stieg der Kulturetat so steil an wie seiner, und noch nie hat eine Bundesregierung die Rolle der Kultur so eindrucksvoll auch im Haushalt gestärkt wie diese, lieber Steffen. Seit der Wende gab es übrigens auch keine Bundesregierung, die die kulturpolitische Rolle der Hauptstadt so souverän anerkannt hat wie die Regierung Merkel. Der Kulturetat ist 2006 um 2,1 Prozent gestiegen, 2007 um weitere 3,5 Prozent und jetzt zum dritten Mal in Folge um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dass darüber hinaus im zweiten Jahr seiner Amtszeit ein nationaler Kulturinvestitionsplan in Höhe von 400 Mil-lionen Euro gelingen konnte, hat Bernd Neumann zu Recht staunende Bewunderung eingebracht: Vom „Wunder von Bernd“ ist die Rede, ({1}) von Neumanns „Kampfdiplomatie“ und vom „Neumann im Glück“. Chapeau, Herr Staatsminister, dass dieses Lob auch noch vom immer nörgelnden Deutschen Kulturrat kommt. ({2}) Das ist doch ein wahrer Ritterschlag. Ein Glück für uns ist ebenso, dass die CDU/CSU in Steffen Kampeter einen wahren Kulturfreund als Chefhaushälter hat. ({3}) Das ist auch ein Gewinn für die Kultur in unserem Land, für deren Bedeutung so das Bewusstsein geschärft wird nicht nur mit der entsprechenden Finanzierung vieler Maßnahmen, aber eben auch nicht ohne sie. Ich darf zum Beispiel daran erinnern, dass nach 30 Jahren Hängepartie endlich die UNESCO-Konvention zum Kulturgüterschutz umgesetzt sowie die Übereinkunft zur kulturellen Vielfalt vom Kabinett verabschiedet wurde. Bernd Neumann hat - das wissen Sie - die Filmförderung und mit der EU-Fernsehrichtlinie auch die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestärkt sowie die Deutsche Welle nach langen Jahren der Kürzung endlich wieder angemessen finanziert. ({4}) Frau Göring-Eckardt, es ist richtig, dass Erinnerungskultur hier eine zentrale Bedeutung hat. Aber ich muss Sie korrigieren: Bei der Anhörung war es die Mehrheit der Anzuhörenden, die das Konzept der Regierung zur Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts unterstützt hat. Es geht darum, die Unterstützung der Bundesregierung für national bedeutsame Gedenkstätten der NS-Terrorherrschaft zu verstetigen, aber gleichzeitig die Aufarbeitung der SED-Diktatur in angemessener Weise zu verstärken. ({5}) Das ist von fast allen Anzuhörenden getragen worden. Hierzu gehört auch - Frau Merkel hat es erwähnt das sichtbare Zeichen gegen Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Jetzt, nachdem das Konzept vorliegt, ist es Sache des Parlaments, dieses wichtige Vorhaben zum Erfolg zu führen. In diesem Zusammenhang sind auch die Anstrengungen des Kulturstaatsministers zu nennen, um in Fragen der Restitution von Kulturgut möglichst zu bundesweit einheitlichen, moralischen Maßstäben entsprechenden und transparenten Lösungen zu kommen. Die Verbesserung der Provenienzrecherche ist Voraussetzung dafür. Dafür liegt ein neues, solide finanziertes Konzept vor. ({6}) Außer zur Initiative „Ein Netz für Kinder“ oder zum NRW-Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ möchte ich als Berliner Abgeordnete - sehen Sie es mir bitte nach Folgendes sagen: Bernd Neumann hat - dafür danke ich ihm - ein großes Herz für die Hauptstadt. Das BodeMuseum wurde im Oktober 2006 wiedereröffnet. Für die Errichtung des neuen Eingangsgebäudes auf der Museumsinsel sind immerhin zusätzliche Mittel in Höhe von 73 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. ({7}) Was lange währt, wird bekanntlich endlich gut. Daher bin ich zuversichtlich, dass die Verhandlungen des Bundes mit Berlin in Sachen Staatsoper - auch hier geht es immerhin um 200 Millionen Euro - erfolgreich zu Ende gebracht werden. ({8}) - Wenn der Senat mitmacht. Das Bekenntnis zur Kultur ist für uns immer auch ein Bekenntnis zu den Wertegrundlagen unserer Gesellschaft. Kultur ist kein dekorativer Luxus, den sich eine Gesellschaft leistet, sondern eine Vorleistung, die, so meine ich, allen zugute kommt. ({9}) Diese Regierung hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie die Bedeutung der Kultur für die Kulturnation Deutschland erkannt hat. Daher darf, wie ich meine, nicht nur die Frankfurter Rundschau unseren Kulturstaatsminister getrost als den „Herbstmeister der Großen Koalition“ würdigen. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat das Wort die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren ist es gute Tradition geworden, dass wir im Rahmen der Debatte über den Kanzlerhaushalt auch eine Kulturdebatte führen. Da der Staatsminister für Kultur und Medien im Kanzleramt residiert, kann der Kulturhaushalt in diesem Zusammenhang besprochen werden. Der Haushalt des Kulturstaatsministers wurde schon mehrfach erwähnt. ({0}) Auch vom „Wunder von Bernd“ wurde schon gesprochen. Ich möchte meiner Kollegin Merkel ausdrücklich zustimmen. Ohne das Bemühen des Staatsministers schmälern zu wollen, muss ich jedoch sagen: Die Erfolge sind eher ein Wunder des Parlamentes. Das ist unser Job, und das ist unsere Rolle. ({1}) Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei den Kollegen im Haushaltsausschuss bedanken, insbesondere bei Petra Merkel. Ohne das Engagement der Haushälter im Ausschuss kann man solche Projekte nicht auf die Beine stellen. Ganz herzlichen Dank allen, die dazu beigetragen haben. Petra, ich danke dir ganz besonders für deinen Einsatz. ({2}) Dieser Geldsegen ist gut angelegt. Mit diesen Mitteln werden wichtige Investitionen finanziert, die überfällig sind. Frau Merkel hat die anstehende Sanierung der Staatsoper in Berlin, das Denkmalschutzprogramm und anderes erwähnt. In den Haushaltsberatungen war uns insbesondere die Förderung des Lepsius-Hauses in Potsdam und die Erhöhung der Mittel für das Projekt „Kulturhauptstadt Essen 2010“ wichtig. Das sind Projekte, die nicht auf der Strecke bleiben sollen. ({3}) Der Denkmalschutz ist uns ein besonderes Anliegen, weil er auch aus strukturpolitischer Sicht eine große Bedeutung hat. 2003 endete das sogenannte Dach- und Fachprogramm der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Zwar gab es im Bereich des Denkmalschutzes weiterhin Bundesfördermittel, sie hatten jedoch keine Breitenwirkung und entfalteten keine Strahlkraft. Dabei sind gerade der Denkmalschutz und die Erhaltung des kulturellen Erbes Bereiche, in denen die Länder bei aller Kulturhoheit auf die Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Viele Gemeinden können die für die Erhaltung einer Kirche oder eines denkmalgeschützten Fachwerkhauses erforderlichen Mittel nicht aufbringen. Solche Gebäude sind aber neben den großen Leuchttürmen wie den preußischen Schlössern und Gärten wichtig, gerade für die Menschen vor Ort. Deswegen freue ich mich über dieses Programm ganz besonders. ({4}) Es ist unser Anliegen, diesen Bereich für ganz Deutschland auszubauen. Dabei sollte man wissen, dass Denkmalpflege und Denkmalerhaltung auch zentrale Wirtschafts- und Arbeitsplatzfaktoren sind. In diesem Bereich sind viele kleine und mittelständische Unternehmen tätig, die oftmals hochgradig spezialisiert sind. Dadurch bleiben zudem Handwerksberufe erhalten, die sonst wahrscheinlich aussterben würden, wie zum Beispiel Stukkateure oder Steinmetze. Wie wichtig diese selten gewordenen Handwerkskünste sind, war bei der Herstellung der Spiegel im Grünen Gewölbe in Dresden zu erleben, das vor einem knappen Jahr von der Bundeskanzlerin wiedereröffnet wurde. Hier wurde eine Technik angewendet, die nur noch ganz wenige Experten beherrschen. Deswegen ist es wichtig, dies weiterhin zu fördern. Wir sind beim Handwerk weltweit Spitze. ({5}) Das heißt, wir stützen mit dem kulturellen Erbe nicht nur das materielle Erbe, sondern eben auch das kreative Erbe, das Wissen und die Tradition. Es ist ganz wichtig, das im Rahmen von Kulturpolitik immer wieder deutlich zu machen und Spitzentechnologie und Tradition hier gemeinsam zu verankern. Unsere lebendige Gesellschaft lebt von dem Wissen und den Fähigkeiten. Wir müssen diese weitervermitteln. Kulturpolitik ist eben auch immer Bildungs- und Wirtschaftspolitik. ({6}) Kulturpolitik ist gestaltende Politik. Das ist ein wichtiger Punkt. Stichwort: Grünes Gewölbe und Dresden. In diesem Zusammenhang muss ich leider noch eine Randbemerkung machen. Während Deutschland für seinen Denkmalschutz weltweit gelobt und beneidet wird, verspielen wir gerade beim Streit um die Waldschlösschenbrücke in Dresden diese Anerkennung. Kompromisse zur Lösung des Streits sind möglich. Der Bund würde diese sogar mit zusätzlichen Mitteln unterstützen. Mittlerweise gibt es mehr als 20 000 Unterschriften dafür, mit einem neuen Bürgerentscheid eine Kompromisslösung herbeizuführen und einen Tunnel zu bauen. ({7}) Einzig die Landesregierung in Sachsen hat bisher keine ernsthaften Bemühungen um einen Kompromiss unternommen. Das finde ich sehr bedauerlich. ({8}) An die Adresse der Bundesregierung möchte ich hinzufügen: Die Bundesrepublik steht hier insgesamt in der Verantwortung. Denn das schlägt auf uns zurück, übrigens auch auf die anderen Bundesländer ({9}) und auf die, die weitere Anträge auf Kulturerbestandorte stellen. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass durch das Fällen von mehr als hundert Jahre alten Eichen unwiderrufliche Tatsachen geschaffen werden. Das sind übrigens Bäume, die in Sachsen einmalig sind. Hier werden gewachsene Strukturen zerstört. Das ist keine gestaltende, sondern zerstörerische Politik. ({10}) Nun wieder zum Erfreulichen, zu den Steigerungen im Haushalt 2008. Hier wurden schon die Mittel für die Gedenkstätten Buchenwald und Dachau erwähnt. Gedenkstätten sind Lernorte und wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Es ist erfreulich, dass die Besucherzahlen in den Gedenkstätten zunehmen und dass wir uns über Geschichte informieren. Das spricht für ihre Arbeit. Jedoch müssen die Gedenkstätten in die Lage versetzt werden, mit den damit verbundenen Anforderungen umzugehen. Sie müssen mehr Führungen anbieten und mehr Personal beschäftigen können. Auch wenn wir jetzt schon Verbesserungen erreichen konnten, liegen die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Gedenkstättenförderung durch den Bund noch vor uns. Wir diskutieren darüber; das wurde schon erwähnt. Vorgeschlagen wird unter anderem, die Gedenkstätten in den westlichen Bundesländern in die institutionelle Förderung aufzunehmen. Wir als SPD-Fraktion unterstützen dieses Ansinnen sehr. ({11}) Wir müssen uns darüber klar sein, dass im nächsten Jahr wahrscheinlich zusätzliche finanzielle Mittel dafür nötig sein werden. Das müssen wir bei den zukünftigen Haushaltsverhandlungen im Auge haben, damit wir genau diese Lernorte für unsere Kinder und auch andere Menschen erhalten. Die Kinder werden heute schon durch entsandte Lehrer unterrichtet. Aber die anderen Menschen, die in diese Lernorte kommen, haben die Schwierigkeit, dort keine Führung zu bekommen. Das müssen wir vorsehen; das ist ganz wichtig. Es gibt weitere politische Schwerpunktthemen, die uns im nächsten Jahr beschäftigen werden. Die EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ wird in der nächsten Sitzungswoche ihren Abschlussbericht vorlegen. Wir werden hier darüber diskutieren. Darin werden viele Bereiche unserer vielfältigen Kulturlandschaft beschrieben, die sonst eher nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Es ist wichtig, dass sich das im Haushalt wiederfindet, zum Beispiel in Form der soziokulturellen Zentren, die oftmals im ländlichen Raum oder in städtischen Schwerpunkten das einzige kulturelle Angebot darstellen. Hier werden mit wenigen finanziellen Mitteln vielfältige kulturelle Angebote ermöglicht, die sich stark an den Interessen und Bedürfnissen sowohl der Bürger als auch der Künstler orientieren. Diese Arbeit wird an Bedeutung zunehmen. Die Stärkung der kulturellen Bildung findet in den soziokulturellen Zentren statt; dort wird Kultur als Teil von Integration berücksichtigt. Deswegen müssen wir sie unterstützen. Etablierte Kultureinrichtungen haben eine wichtige Vorbildfunktion. Daher müssen Einrichtungen wie Bibliotheken und Musikschulen erhalten werden, gerade im ländlichen Raum. Diesen wichtigen Aspekt müssen wir weiterhin im Blick haben. ({12}) Eine grundsätzliche Anmerkung zum Haushalt: Wir freuen uns über die bereitgestellten Mittel. Wir müssen uns aber immer fragen: Geben wir das Geld an der richtigen Stelle aus? Welche Ideen und Vorstellungen verbinden wir damit, dass wir für die Erhaltung des kulturellen Erbes Geld ausgeben? Dabei geht es also um Strukturfragen. Im Bericht der Enquete-Kommission werden viele Anstöße zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben gegeben. Es stellt sich die Frage, welche Schwerpunkte wir in Zukunft beim Einsatz unseres Geldes setzen. Darüber müssen wir im nächsten Jahr intensiv diskutieren. Da ich gerade über den richtigen Einsatz des Geldes spreche, möchte ich die „Initiative Musik“ ansprechen. ({13}) Im Jahr 2008 wird hierfür erneut 1 Million Euro zur Verfügung gestellt, obwohl mit den konkreten Förderprojekten noch nicht begonnen wurde. Wir tun das, weil wir überzeugt sind, dass wir der Rock-, Pop- und Jazzszene mit diesem Instrument wichtige Anreize geben können. ({14}) Erste Ziele wie der Spielstättenpreis für Jazzmusik oder die Tourbusförderung haben wir in dem Antrag, den wir in den Bundestag eingebracht haben, formuliert. Es wird höchste Zeit, dass diese nun durch den Aufsichtsrat unterstützt durch Fachleute aus den jeweiligen Bereichen umgesetzt werden. Zentral ist: Mit 1 Million Euro wollen wir nicht die bestehende Musikwirtschaft finanzieren, sondern durch Anreize gerade Nachwuchsprojekten, die es sonst nicht geben würde, eine Chance geben. So sind die Mittel richtig eingesetzt. Ich habe mich persönlich sehr darüber gefreut, dass wir einen Preis für qualitativ hochwertige und kulturell sowie pädagogisch wertvolle Computerspiele initiiert haben; ({15}) daran arbeite ich zusammen mit anderen Medien- und Kulturpolitikern der SPD schon seit vielen Jahren. Jetzt stellen wir 300 000 Euro zur Verfügung, und die Branche hat zugesagt, sich in einer ähnlichen Größenordnung zu beteiligen. ({16}) An dieser Stelle möchte ich der Kollegin Petra Merkel und dem Kollegen Jörg Tauss, die hier besonders engagiert mitgewirkt haben, ganz herzlich danken. Schon im nächsten Jahr kann eine unabhängige Jury in verschiedenen Kategorien wie „Kinder- und Jugendspiel“, „Nachwuchs“ oder „Innovation“ Preise für besonders positive Spiele verleihen. Die Preisgelder müssen wieder für die Entwicklung neuer Spiele eingesetzt werden. So unterstützen wir den Bereich der hochwertigen Computerspiele. Es ist Aufgabe der Kulturpolitik, Anreize zu setzen und Neues und Kreatives zu fördern. Das hat auch für die Kulturwirtschaft einen Wert. Ein Problem haben wir immer noch: die Erforschung der Wirkung von Medien und ihrer Konzentration. Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung liegt noch immer nicht vor. Wir hoffen, dass wir darüber im nächsten Jahr diskutieren und konkrete Maßnahmen umsetzen können. ({17}) Kulturpolitik findet natürlich nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland statt. Ein wichtiger Bereich, der beim Kulturstaatsminister angesiedelt ist, ist die Deutsche Welle. Ich freue mich, dass wir für die Deutsche Welle 4 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen konnten. Nun können das arabische Programm endlich auf acht Stunden pro Tag ausgeweitet und die Verbesserung von Deutsche Welle TV durch die Kooperation mit ARD und ZDF besser finanziert werden. Dass das Instrument des internationalen Dialogs wichtig ist, erlebe ich immer wieder, wenn ich im Ausland bin. Der einzige Wermutstropfen ist, dass die Abwicklung teurer Altlasten wie des Senders Nauen noch nicht finanziert werden konnte. Diese Belastung hätte ich der Deutschen Welle gern erspart; denn sie muss in die Zukunft und darf nicht in die Vergangenheit investieren. ({18}) Die Deutsche Welle ist ein Instrument der Außenpolitik. Gott sei Dank haben wir auch im außenpolitischen Bereich eine Erhöhung der Mittel erzielen können; an dieser Stelle möchte ich dem Kollegen Lothar Mark danken, der sich hier besonders engagiert hat. Wir haben eine Erhöhung der Mittel um 82 Millionen Euro erreicht. Mit über 40 Millionen Euro werden wir eine Schulinitiative durchführen. 20 Millionen Euro stellen wir für die „Aktion Afrika“ zur Verfügung, in deren Rahmen Schüleraustausche, Medienarbeit, Stipendien und Kulturprojekte finanziert werden. Ich glaube, das ist sehr sinnvoll angelegtes Geld. Denn durch jeden Euro, den man in Bildung, Ausbildung und Dialog investiert, kann man sich Investitionen in Krisenprävention oder militärische Einsätze ersparen. Darauf müssen wir unser Augenmerk viel stärker als bisher richten. Das ist wirklich gut investiertes Geld. ({19}) Beim Goethe-Institut wird ab dem nächsten Jahr die komplette Budgetierung eingeführt, für die sich Lothar Mark und ich schon seit zehn Jahren einsetzen. Ich bin froh, dass kein Goethe-Institut geschlossen werden musste, sondern dass, im Gegenteil, in Skopje und in den Golfstaaten sogar zusätzliche Präsenzen eröffnet werden konnten. Bibliotheken in Bangalore und Mumbai werden ausgebaut und die Sprachangebote vor Ort verbessert. ({20}) Denn es ist uns nach wie vor ein Anliegen, die deutsche Sprache in anderen Ländern zu vermitteln. Auch das trägt zum Dialog bei.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin beim letzten Satz. - Ich freue mich, dass wir diese Aufwüchse erreicht haben und dass die Kultur auch im Haushaltsausschuss als wichtig erachtet wird. Ich hoffe, dass das nächste Jahr in Deutschland ein Jahr der Kultur und der Kunst und der Kulturschaffenden werden kann. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- plan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/7309? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Zu- stimmung der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- sache 16/7311? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichen Stimmenverhält- nissen abgelehnt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir direkt im Anschluss an die namentliche Abstimmung eine Gremienwahl und unmit- telbar danach noch eine namentliche Abstimmung durchführen werden. Ich bitte Sie also, hier zu bleiben. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Es feh- len noch Schriftführer vonseiten der Koalition. - Ich er- öffne die Abstimmung. Gleichzeitig gebe ich Ihnen bekannt, dass eine schrift- liche Erklärung der Kollegin Michalk nach § 31 der Ge- schäftsordnung vorliegt, die wir zu Protokoll nehmen.1)

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Interfraktionell ist verabredet worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Zusatzpunktes 1 - Nachwahl zu verschiedenen Gremien - zu erweitern. - Damit sind Sie ganz offensichtlich einverstanden. Ich rufe damit Zusatzpunkt 1 auf: Wahlvorschlag der Fraktion der SPD Wahl eines Mitgliedes des Gemeinsamen Ausschusses gemäß Artikel 53 a des Grundgesetzes Wahl eines vom Deutschen Bundestag zu entsendenden Mitgliedes des Ausschusses nach Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes ({0}) Wahl eines Mitgliedes des Parlamentarischen Kontrollgremiums gemäß §§ 4 und 5 Abs. 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes ({1}) - Drucksache 16/7287 - Die Fraktion der SPD schlägt auf Drucksache 16/7287 vor, den Kollegen Thomas Oppermann als Nachfolger für den Kollegen Olaf Scholz erstens in den Gemeinsa- men Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes, zwei- tens in den Ausschuss nach Art. 77 Abs. 2 des Grundge- setzes - Vermittlungsausschuss - sowie drittens in das Parlamentarische Kontrollgremium zu wählen. Wir kommen zunächst zur Wahl zum Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses und des Vermittlungsaus- schusses. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Ge- genstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Vor- schlag mit den Stimmen des ganzen Hauses, ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen, angenommen. 1) Anlage 2 Jetzt kommen wir zur Wahl zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Hierfür ist laut Gesetz die Mehrheit der Mitglieder des Hauses erforderlich. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Wahlvorschlag mit der erforderlichen Mehrheit, und zwar mit den Stimmen des gesamten Hauses, angenommen. Damit ist der Kollege Oppermann in diese Gremien gewählt. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt IV auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 ({2}) - Drucksachen 16/5525, 16/6455, 16/6456, 16/6728, 16/7085, 16/7222 Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. November gegen das genannte Gesetz Einspruch eingelegt. Bevor wir zur Abstimmung über diesen Antrag kommen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Abstimmungsverfahren: Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Nach Art. 77 Abs. 4 Satz 2 des Grundgesetzes bedarf die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates, der einstimmig erfolgt ist, einer Mehrheit von zwei Dritteln, mindestens aber der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages. Wer den Einspruch zurückweisen will, muss mit Ja stimmen. Bitte achten Sie darauf, dass die Stimmkarte, die Sie verwenden, Ihren Namen trägt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/7222. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze erneut einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, auch hier mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben. ({3}) Wir haben das Ziel, jetzt die Haushaltsberatungen fortzusetzen. Das ist nur möglich, wenn diejenigen, die an den Beratungen nicht teilnehmen und stattdessen anderen wichtigen Dingen nachgehen wollen, den Raum verlassen und die anderen sich hinsetzen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt II.10: Einzelplan 05 Auswärtiges Amt - Drucksachen 16/6405, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Jürgen Koppelin Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Lothar Mark Michael Leutert Zum Einzelplan 05 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Es ist verabredet, zwei Stunden zu debattieren. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion. ({4})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Hauptberichterstatter für den Etat des Außenministers ({0}) - das Thema ist zu ernst für solche Zwischenrufe, Herr Kollege - möchte ich mich ganz herzlich bedanken: zum einen für die gute Zusammenarbeit mit den Haushältern, aber auch mit dem ganzen Haus, zum anderen bei allen Mitberichterstattern, egal von welcher Fraktion. Ich glaube, wir haben sehr gute Arbeit geleistet; denn wir haben vieles gemeinsam angeschoben und gestärkt. Ich nenne hier einiges, das wir alle gemeinsam getragen und für das wir uns stark gemacht haben, zum Beispiel die auswärtige Kulturpolitik; das Goethe-Institut ist ein Stichwort, aber auch die deutschen Schulen. Ich will ausdrücklich auch den Kollegen Mark loben, der sich hierfür immer sehr engagiert. Wir haben uns auch bemüht, verstärkt Mittel für die Sanierung und Renovierung der deutschen Botschaften zur Verfügung zu stellen. Viele Botschaftsgebäude stammen aus den 50er- und 60er-Jahren und sind jetzt dringend renovierungsbedürftig. Auch das haben wir alle gemeinsam mitgetragen. ({1}) Bevor ich jetzt einige kritische Anmerkungen mache, will ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich diese Anmerkungen nicht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Außenministeriums richten, sondern zum einen an den Finanzminister und zum anderen natürlich an den Außenminister. Aus Sicht meiner Fraktion kritisch zu sehen ist die Personalsituation im Auswärtigen Amt. Sie ist, sehr direkt gesagt, äußerst unbefriedigend. Wenn man verlangt, dass Deutschland eine wichtige Rolle in der Welt spielt, dann muss man die Botschaften entsprechend mit Personal ausstatten; daran geht kein Weg vorbei. Die Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Botschaften ist immens gewachsen, die Personalausstattung ist gesunken. Wir haben den gleichen Personalstand wie zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung. Das entspricht nicht dem, was wir brauchen. Die Herausforderungen sind einfach zu groß. Die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Botschaften ist - das muss ich einfach sagen - an eine Grenze gekommen. Da gibt es kein Vertun. Hier müssen wir etwas machen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, in unseren Diskussionen und auch im Ausschuss unterstützen Sie uns; da sind wir uns alle einig. Wenn es aber ans Eingemachte geht, dann haben wir Ihre Unterstützung leider nicht. Deswegen sahen wir uns genötigt, einen Änderungsantrag vorzulegen, in dem wir auf die Personalsituation hinweisen. Wir bitten Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen. Bitte unterstützen Sie uns nicht nur mit Worten, sondern in der Abstimmung hier auch mit Taten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden. ({3}) Es gibt einen weiteren Punkt. Wenn wir uns darin einig sind, dass die Botschaften personell knapp ausgestattet sind, dann geht auch kein Weg daran vorbei, zu sagen: Der Abbau von Planstellen und Stellen im auswärtigen Dienst darf nicht in der bisherigen Form fortgesetzt werden. ({4}) Wenn wir schon jetzt einen Mangel haben, können wir nicht noch weiter abbauen. ({5}) Ich möchte die heutige Gelegenheit nutzen, allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des gesamten auswärtigen Dienstes meinen Dank und meine Anerkennung für ihre großen Leistungen auszusprechen. ({6}) Es mag die eine oder andere Kritik geben - so habe ich es gelesen -, zum Beispiel am Krisenstab. Wenn die Kritik berechtigt ist, dann ist das zu beheben. Insgesamt aber leistet unser Krisenstab - unter manchmal erschwerten Bedingungen - ganz hervorragende Arbeit; das sollte man nicht in der Öffentlichkeit zerreden. Hier finden sich hoffentlich wieder alle zusammen, unter der Leitung des Ministers, der bereits im Gespräch angekündigt hat, dass da etwas geschieht. Der Krisenstab hat in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet. Wir sprechen ihm unsere Anerkennung aus. ({7}) Herr Minister, was wir zu kritisieren haben, ist eindeutig; der Kollege Westerwelle hat das vorhin schon angesprochen. Sie müssen uns heute hier erklären, warum Sie einen weiteren Staatssekretär brauchen. Warum brauchen Sie einen innenpolitischen Berater? Warum brauchen Sie weiteres Führungspersonal? In den Botschaften wäre mehr Personal notwendig gewesen, aber doch nicht für Sie für den Wahlkampf. Das ist für den deutschen Steuerzahler einfach zu teuer. Das sollten Sie uns erklären. ({8}) Wenn wir in den Botschaften gutes Personal haben wollen, dann müssen wir es vernünftig bezahlen, auch unsere Botschafter. Insofern freue ich mich, dass man zumindest in einem Punkt der FDP gefolgt ist und die sehr wichtige Botschafterposition in Tel Aviv angehoben hat. Ich sage der Koalition herzlichen Dank dafür, dass sie meinem Vorschlag gefolgt ist. Vielleicht sollten wir uns im nächsten Jahr alle Botschafterstellen angucken. Man bekommt, gerade in Konkurrenz zur Wirtschaft, nur dann gute Leute, wenn man sie vernünftig bezahlt, gerade bei dem Job, den unsere Botschafter machen müssen. Ich möchte in aller Kürze noch ein Thema aufgreifen, zu dem Sie heute ebenfalls Stellung nehmen müssen. Das ist die Diskrepanz, die ich in Ihren Äußerungen zum Dalai Lama festgestellt habe. Sie ziehen sich jetzt darauf zurück, dass Sie sie in Ihrer Eigenschaft als stellvertretender Parteivorsitzender gemacht hätten. Auch als Vertreter der FDP, die mit ihrer Friedrich-Naumann-Stiftung dem Dalai Lama sehr eng verbunden ist, sage ich: Es kann nicht sein, dass ein Außenminister die Kanzlerin kritisiert und sich dann darauf beruft, er habe nicht als Außenminister gesprochen, sondern als stellvertretender Parteivorsitzender. Ich sage Ihnen ganz offen: Mir ist eine Kanzlerin lieber, die den religiösen Führer Dalai Lama empfängt, als ein Kanzler, der Herrn Putin als aufrechten Demokraten bezeichnet. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Lothar Mark spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Lothar Mark (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003190, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit Freude kann ich Ihnen heute berichten, dass es in den Haushaltsberatungen gelungen ist, den Ansatz für den Haushalt 2008 des Auswärtigen Amtes in der Bereinigungssitzung um zusätzlich 43,4 Millionen Euro anzuheben. Das heißt, in diesem Einzelplan sind nun Mittel in Höhe von knapp 2,86 Milliarden Euro etatisiert. Im Vergleich zu 2007 bedeutet dies einen Aufwuchs um 348 Millionen Euro oder um 13,9 Prozent. Die Mittel für die deutsche Außenpolitik machen damit einen Anteil am Gesamthaushalt von 1,01 Prozent im Vergleich zu 0,92 Prozent 2007 aus, was angesichts der gestiegenen internationalen Anforderungen an die Bundesrepublik seit langem vom Auswärtigen Amt, von meinem Unionsberichterstatterkollegen Herbert Frankenhauser und von mir als zuständigem Berichterstatter für die SPD-Fraktion angemahnt wurde. Damit kommen wir auch einer Forderung nach, die vom Auswärtigen Ausschuss in den vergangenen Jahren immer wieder erhoben wurde. Die mit dem Haushalt 2007 eingeleitete Trendumkehr bei der Stellenausstattung des Auswärtigen Dienstes konnte für das Haushaltsjahr 2008 fortgesetzt werden, lieber Kollege Koppelin. ({0}) Seit Beginn der linearen Stellenkürzungen hat sich eine Schere zwischen den wachsenden außenpolitischen Aufgaben und der schrumpfenden Personalausstattung aufgetan. Um die Handlungsfähigkeit des Auswärtigen Dienstes auch in Zukunft sichern zu können, bedarf es einer angemessenen Personalausstattung. Dabei ist hervorzuheben, dass das Auswärtige Amt Anstrengungen unternommen hat, um die eigenen Strukturen zu modernisieren und zu verschlanken. ({1}) Der Auswärtige Dienst muss für die besten Köpfe in unserem Land weiterhin attraktiv bleiben. Die Forderung nach einer angemessenen Ausstattung mit Stellen zur strategischen Postenvorbereitung blieb auch in diesem Jahr leider unerfüllt. Gerade im Auswärtigen Dienst, wo die Beschäftigten der Rotation unterliegen, ist die sorgfältige Vorbereitung auf den nächsten Posten unverzichtbar. Angesichts der knappen Stellenlage erfolgt meines Erachtens eine strategische Postenvorbereitung nicht in ausreichendem Maße. Die Aufstockungen der Ansätze für die politischen Aufgaben mit 21,5 Millionen Euro wie für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik mit 15,6 Millionen Euro sind das zentrale Ergebnis des Haushaltsaufstellungsverfahrens für 2008. ({2}) Diesem wachsenden Gestaltungsspielraum muss aber auch ein Zuwachs bei den Betriebsmitteln entsprechen. Der ODA-Aufwuchs im Haushalt des Auswärtigen Amtes beträgt 272 Millionen Euro. Gemessen an den zusätzlichen Mitteln, die aus dem Bundeshaushalt in den ODA-Bereich geflossen sind - das sind insgesamt 750 Millionen Euro -, sind das 36,6 Prozent. Damit wird die langjährige Forderung des Auswärtigen Amtes nach einer proportionalen Teilhabe an zusätzlichen ODAMitteln erfüllt. Der ODA-Aufwuchs kommt einer Reihe von Haushaltsposten zugute, zum Beispiel der humanitären Hilfe, der Krisenprävention, dem Stabilitätspakt für Afghanistan, dem G-8-Afrikaprogramm sowie dem Sonderprogramm Afrika in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. ({3}) Der Haushalt des Auswärtigen Amtes wird 2008 einen ODA-Anteil von insgesamt 600 Millionen Euro umfassen. Viele Aufgabenwahrnehmungen des Auswärtigen Amtes sind für die Entwicklung in verschiedenen Ländern von großer Bedeutung. Das gilt ganz besonders für die Wirkung der Kulturarbeit in Entwicklungsländern. Es ist nur folgerichtig, dass ein ausgewogener Anteil am ODA-Zuwachs im Bundeshaushalt auf das Auswärtige Amt entfällt, damit das Gleichgewicht zwischen den sehr umfassenden wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Maßnahmen sowie den viel geringer angesetzten Kulturprojekten nicht weiter aus dem Lot gerät. Das be13566 deutet aber nicht, dass das Auswärtige Amt Arbeit des BMZ übernimmt. Unabhängig vom Haushalt des Auswärtigen Amtes möchte ich darauf hinweisen, dass die Budgetierung im Gesamthaushalt stärker forciert werden müsste. Erfreut bin ich, dass der Flexibilisierungsgrad und die gegenseitige Deckungsfähigkeit in den einzelnen Titelgruppen im Gesamthaushalt zugenommen haben. ({4}) Trotzdem will ich anregen, dass der Aufgabenkritik in allen Ministerien mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. ({5}) Der Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungshilfe, Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ wurde um 2,25 Millionen Euro auf über 20 Millionen Euro erhöht. ({6}) Mit der Aufstockung der Mittel für die Ausstattungshilfe wird das Auswärtige Amt in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verteidigung 2008 in der Lage sein, die sehr sinnvollen laufenden Projekte finanziell ausreichend zu unterfüttern. Die Ausstattungshilfe steht für eine besonders effiziente Form der Entwicklungshilfe im Bereich „Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium“. Der Ansatz „Für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland außerhalb der Entwicklungshilfe“ wurde um 2,2 Millionen Euro auf inzwischen 95,6 Millionen Euro angehoben. Die Mittel sollen die vom Kabinett bereits vorgesehenen 10 Millionen Euro für das humanitäre Minenräumen verstärken. ({7}) Wir alle sind uns einig, dass hier in Zukunft noch mehr getan werden muss. ({8}) Die „Leistungen im Rahmen der Stabilitätspakte Afghanistan und Südosteuropa der Bundesregierung“ wurden auf 80 Millionen Euro erhöht und in der Bereinigungssitzung für die zwingend erforderliche Intensivierung der Maßnahmen zum Wiederaufbau der Polizei in Afghanistan um weitere 15,7 Millionen Euro aufgestockt. Als Haushälter bin ich sehr erfreut, dass damit dem zivilen Aufbau in Afghanistan immer mehr Bedeutung beigemessen wird. ({9}) Im Sinne der Haushaltsklarheit und -wahrheit wurden die Mittel jetzt auch im auswärtigen Haushalt etatisiert. Auch das sehe ich als einen Erfolg von Herbert Frankenhauser, mir und vielen anderen, die im Haushaltsausschuss dafür gekämpft haben. Die Bundesregierung sollte sich überlegen - hier spreche ich auch im Namen meines Berichterstatterkollegen Herbert Frankenhauser -, ob sie nicht, wiederum im Sinne von Haushaltsklarheit und -wahrheit, in Zukunft einen neuen Titel „Friedenskonsolidierung und Krisenprävention“ einrichten will. ({10}) Dieser sollte unserer Meinung nach mit 1,5 bis 2 Milliarden Euro ausgestattet werden und alle Mittel enthalten, die aus den verschiedenen Ressorts wie AA, BMI, BMZ und BMVg in diese Aufgaben fließen. Es geht dabei nicht um eine Aufstockung der Mittel, sondern um eine Bündelung der Bundesgelder in einem Titel. Da das Auswärtige Amt in dem Bereich die Hauptverantwortung trägt, sollte es mithilfe dieses Haushaltstitels schnell und strategisch abgestimmt auf verschiedene Krisensituationen und den dringendsten Bedarf reagieren können. In der Bereinigungssitzung wurde auch der Titel „Gesellschaftspolitische Maßnahmen der politischen Stiftungen“ um 1,7 Millionen Euro erhöht. Mit ihrer operativen Arbeit ergänzen die Stiftungen seit vielen Jahren die Außenpolitik der Bundesregierung. Das zusätzliche Geld soll die erfolgreiche Arbeit der Stiftungen unterstützen und dafür sorgen, dass sie eine verlässliche und berechenbare Planungs- und Finanzierungsgrundlage haben. Lassen Sie mich hier ein anderes Problem ansprechen: Die neuen EU-Mitgliedstaaten und Industriestaaten wie Südkorea und Israel sind keine Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die Fortsetzung der Förderung durch das BMZ birgt die Gefahr, dass unsere Partner sich durch die Einstufung als Entwicklungsländer vor den Kopf gestoßen fühlen. Die Berichterstatter für das Auswärtige Amt und das BMZ müssen deshalb mit den Stiftungen darüber reden, ob die Förderzuständigkeit für die neuen EU-Länder und weitere Industrieund Transformationsländer - selbstverständlich einschließlich der Mittelübertragung - künftig in das Auswärtige Amt verlagert werden oder beim BMZ bleiben. Von den Haushaltsberichterstattern der Koalition wurde auch der Ansatz „Stipendien, Austauschmaßnahmen und Beihilfen für Nachwuchswissenschaftler, Studierende und Hochschulpraktikanten aus dem Ausland sowie Betreuung und Nachbetreuung“ um 1 Million Euro erhöht. ({11}) Diese Investitionen - genau wie die in unsere Auslandsschulen - sind rentierliche Investitionen, weil dadurch nachhaltige Bindungen an Deutschland entstehen, die sich nicht nur strategisch und partnerschaftlich, sondern auch ökonomisch auswirken. Der Ansatz für „Zuwendungen an Schulen im Ausland“ wurde um 3,4 Millionen Euro auf 37 Millionen Euro erhöht. Bildung ist das Schlüsselthema des 21. Jahrhunderts. Ein wichtiges Ziel der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik bleiben die Stärkung und der Ausbau des Netzes deutscher Auslandsschulen einschließlich der Unterstützung von Neugründungen in strategisch wichtigen und Wachstumsregionen. ({12}) An dieser Stelle ist auch die Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“ des Auswärtigen Amtes zu nennen, für die nicht nur in diesem Titel, sondern insgesamt zusätzlich 41,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Ziel dabei ist die Etablierung eines erweiterten Netzes von circa 1 000 Partnerschulen. Im Sinne von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit werden künftig fast alle dem Goethe-Institut zufließenden Mittel in einem Titel erfasst. Endlich ist ab 2008 auch die weltweite Budgetierung des Goethe-Instituts gelungen, nachdem das Pilotprojekt Italien erfolgreich verlaufen ist. Dafür habe ich, seit ich im Haushaltsausschuss für den Einzelplan 05 zuständig bin, gemeinsam mit meiner Kollegin Monika Griefahn gestritten; ich wurde jüngst von allen Berichterstatterkollegen unterstützt. ({13}) Die im vergangenen Jahr beschlossene Reform des Goethe-Instituts als größter AKBP-Mittlerorganisation ist gemäß Regierungsentwurf nun mit einem institutionellen Förderbeitrag von knapp 120 Millionen Euro pro Jahr abgesichert. Das Gesamtbudget beträgt jetzt rund 186 Millionen Euro. An dieser Stelle möchte ich allen Beteiligten sowohl beim Goethe-Institut als auch im Auswärtigen Amt und meinem Kollegen Herbert Frankenhauser sehr für ihren Einsatz im Zusammenhang mit dem 2006 eingeleiteten Strategie- und Reformkonzept danken, das bereits erste klar erkennbare Früchte trägt. ({14}) Ich habe viele Einzelpositionen aus Zeitgründen weggelassen. ({15}) Summa summarum ist festzuhalten, dass wir im parlamentarischen Verfahren innerhalb des Einzelplans Mittel im Gesamtumfang von 13,16 Millionen Euro umgeschichtet haben. Die Aufstockungen in diesem Einzelplan wurden möglich durch Kürzungen bei den Titeln „Trennungsgeld, Fahrtkostenzuschüsse sowie Umzugskostenvergütungen“, „Öffentlichkeitsarbeit“, „Ständiger Internationaler Gerichtshof“ - ohne dass wir hier unsere Aufgaben vernachlässigen; denn ein neuer Zahler ist mit Japan hinzugekommen - sowie beim Titel „Deutscher Beitrag im Rahmen der G-8-Initiative zur Abrüstungsund Nichtverbreitungszusammenarbeit“. Abschließend möchte ich den Haushältern im Auswärtigen Amt und allen uns immer wieder spontan und gewissenhaft zuarbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Außenminister und meinen Berichterstatterkollegen Jürgen Koppelin, Herbert Frankenhauser, Alexander Bonde und Michael Leutert sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit danken. Dank sage ich auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt für ihre exzellente Arbeit für Deutschland. Vielen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe Ihnen jetzt die von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt, und zwar zunächst zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushalts für das Haushaltsjahr 2008, Einzelplan 04, Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes: Abgegeben worden sind 578 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 422 Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt 156 Abgeordnete. Damit ist der Einzelplan 04 angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 420 nein: 156 enthalten: 0 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Markus Grübel Manfred Grund Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({8}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Bernward Müller ({15}) Bernd Neumann ({16}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Peter Rauen Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({22}) Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({23}) Gerald Weiß ({24}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({25}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({26}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({27}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({28}) Marco Bülow Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({29}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({30}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({33}) Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Dr. Karl Lauterbach Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({35}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({36}) Michael Müller ({37}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({38}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({39}) Michael Roth ({40}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({41}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({42}) Heinz Schmitt ({43}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({44}) Swen Schulz ({45}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({46}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({47}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({48}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({49}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({50}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({51}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({52}) Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({53}) Martin Zeil DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({54}) Volker Schneider ({55}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({56}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Anja Hajduk Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({57}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Markus Kurth Undine Kurth ({58}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({59}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({60}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({61}) Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Die zweite namentliche Abstimmung hatte den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf „Zurückweisung des Einspruches des Bundesrats gegen das Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011“ zum Gegenstand. Hier wurden ebenfalls 578 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 422, mit Nein haben gestimmt 50. Es gab 106 Enthaltungen. Der Antrag ist gemäß Art. 77 Abs. 4 des Grundgesetzes mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 577; davon ja: 421 nein: 50 enthalten: 106 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Dorothee Bär Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({62}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({63}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({64}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({65}) Dirk Fischer ({66}) Axel E. Fischer ({67}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({68}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({69}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({70}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({71}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({72}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({73}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({74}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({75}) Stefan Müller ({76}) Bernward Müller ({77}) Bernd Neumann ({78}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Peter Rauen Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({79}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({80}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({81}) Andreas Schmidt ({82}) Ingo Schmitt ({83}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({84}) Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({85}) Gerald Weiß ({86}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({87}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({88}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({89}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({90}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({91}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({92}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({93}) Frank Hofmann ({94}) Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({95}) Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({96}) Dr. Karl Lauterbach Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({97}) Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({98}) Michael Müller ({99}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({100}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({101}) Michael Roth ({102}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({103}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({104}) Silvia Schmidt ({105}) Heinz Schmitt ({106}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({107}) Swen Schulz ({108}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({109}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({110}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Monika Knoche Jan Korte Katrin Kunert Oskar Lafontaine Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({111}) Volker Schneider ({112}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Enthaltung FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({113}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({114}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({115}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({116}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({117}) Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Marina Schuster Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({118}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({119}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Anja Hajduk Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({120}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Markus Kurth Undine Kurth ({121}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({122}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({123}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({124}) Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich gebe das Wort Dr. Norman Paech für die Fraktion Die Linke. ({125})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich den Herrn Außenminister sehr herzlich begrüßen. Alle sprechen von Annapolis, und Sie sitzen schon wieder hier. Das spricht offensichtlich auch für die Intensität und die Ausführlichkeit der Verhandlungen dort. Wonach bemisst sich eigentlich der Erfolg der Außenpolitik? Nach dem Beliebtheitsgrad, wie ihn Umfrageergebnisse widerspiegeln, oder nach den Einladungen auf die Privatranch von Präsident Bush? ({0}) Nimmt man die Lösung von Konflikten und auch die Verbreitung des Friedens in der Welt als Maßstab, so ist die Bilanz eher kümmerlich und geradezu gefährlich. Herr Außenminister, Sie waren jetzt gerade auf Friedensmission in den USA und haben als Sherpa von Präsident Bush zweifelsohne eine gute Figur gemacht. Schon seit Wochen versucht man, uns dieses Treffen, das Gruppenfoto von Annapolis, als Erfolg zu verkaufen. Eines ist jetzt schon sicher: Diese gigantische Public-Relations-Show wird überhaupt nichts ändern. Keine der dringlichsten Fragen - ob die Siedlungspolitik, der Grenzverlauf, der Status von Jerusalem oder die Rückkehr der Flüchtlinge - ist konkret verhandelt worden. Das ist angesichts der katastrophalen Lebenssituation in der Westbank und in Gaza beschämend. Das ist auch erbärmlich angesichts der Erfolglosigkeit von 40 Jahren Politik, die dazu beigetragen hat, die Bildung eines palästinensischen Staates zu verhindern und die auch Israel überhaupt keinen Frieden gebracht hat. Weiter östlich, in Afghanistan, geht der Krieg jetzt bereits in das siebte Jahr. Kein Ende ist absehbar. Auf den Trümmern der alten Gesellschaft wollen die USA ein modernes Protektorat errichten; sie nennen das einfach Nation-Building. In dieses Projekt haben sich die Bundesrepublik und die NATO eingeklinkt. Sie verstricken sich unaufhaltsam und immer mehr in einen völkerrechtswidrigen Krieg. Die Regierungskoalition hat überhaupt keine Perspektive, wie sie aus diesem Desaster herauskommen will. Stattdessen werden jetzt wieder Forderungen nach neuen Eingreiftruppen laut. Dabei gibt es nur eine Alternative: Verhandlungen mit dem Gegner und ziviler Aufbau. Ich sage Ihnen: Es gibt keine Bündnispflichten, die es Ihnen verbieten würden, aus diesem Krieg auszusteigen. Nehmen Sie die Schweiz - es ist schon erwähnt worden -: Sie hat sich wegen der Zwecklosigkeit mittlerweile aus ISAF verabschiedet. Im Iran steuern Sie direkt auf eine weitere Niederlage Ihrer Politik zu. So viel ist klar: Wenn Sie diese Politik der Sanktionen so verfolgen wie bisher, dann müssen Sie irgendwann Ihr Scheitern eingestehen, da Iran nicht auf Druck reagieren wird. Oder es kommt zu dem wiederholt angekündigten Überfall der USA auf den Iran. Die Linke fordert: Trennen Sie sich von dieser Politik der Drohungen und Sanktionen! Verhandeln Sie ohne Vorbedingungen, wie Sie es mit Nordkorea getan haben! Fordern Sie statt Suspendierung der Urananreicherung scharfe internationale Kontrollen und überzeugen Sie die USA davon, dem Iran umfassende Nichtangriffsgarantien anzubieten und die alten Sanktionen aufzuheben! Anderenfalls erhalten Sie das, was Sie immer verhindern wollten, nämlich eine weitere Nuklearmacht im Nahen Osten. Um es deutlich zu sagen: Das Elend Ihrer Außenpolitik sind Ihre Abhängigkeit von den USA und der Verlust der Eigenständigkeit. Wir haben diese Eigenständigkeit bei der Weigerung, am Irakkrieg offen teilzunehmen, einmal aufscheinen sehen. Das war aber nur für kurze Zeit, und dann ist sie wieder erloschen. Aber zu der Politik der Drohungen und der Sanktionen gibt es eine Alternative, zu der Sie die Linke auffordert: Koppeln Sie sich von einer Politik ab, die zu immer mehr Konflikten und immer neuen Kriegen führt, ob im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika oder auch in Europa. Sie reden so viel vom Frieden; aber es kommen immer mehr Konflikte, mehr Gewalt und auch Kriege heraus. Unsere Forderung lautet: Entwickeln Sie eine eigene Außenpolitik, die auf der Achtung der Souveränität und der Gleichheit der Staaten sowie auf einer wirklichen Solidarität beruht. Dann wird es auch eine erfolgreiche und glaubwürdige deutsche Außenpolitik sein. Danke sehr. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als nächster spricht der Kollege Herbert Frankenhauser, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Man kann sich keinen besseren Mitberichterstatter als den Kollegen Lothar Mark wünschen, ({0}) weil es niemanden gibt, der den Einzelplan 05 exakter darstellen und erläutern kann. ({1}) Deswegen gratuliere ich ihm auch sehr herzlich dazu, dass sein altes Anliegen endlich erreicht worden ist, dass der Anteil des Einzelplans 05 am Gesamtetat die 1-Prozent-Marke überschritten hat. ({2}) Kollege Koppelin, Sie haben möglicherweise nicht ganz mitbekommen, dass wir in der Personalausstattung des Auswärtigen Amtes eine gewisse Kehrtwende eingeläutet haben. Ich freue mich, dass Sie in Bälde auch für den Einzelplan 05 ein Ausgabenbuch dem Hohen Hause zur Verfügung stellen wollen, das etwa so wie dieses Kompendium auf Ihrem Pult aussieht; denn in diesem Einzelplan zeigen Sie sich besonders ausgabenfreundlich, auch wenn Ihr Problem beim Protokoll noch nicht abschließend gelöst worden ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie denn eine Zwischenfrage von Herrn Koppelin zulassen? Es machte den Eindruck.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Außerordentlich gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege, da Sie gerade von der Personalsituation sprechen, sind Sie natürlich in der Koalition etwas besser als wir von der Opposition informiert. Wie ist eigentlich der neueste Stand, was das Personal angeht? Ich habe den beamteten Staatssekretär, der noch dazukommt, bereits erwähnt. Wie viel Personal geht jetzt vom Arbeitsministerium in das Auswärtige Amt oder wird nach dort entliehen? Im Haushaltsausschuss konnte diese Frage nicht beantwortet werden.

Herbert Frankenhauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage ist ganz einfach zu beantworten: Die ganze Sache ist noch im Fluss. ({0}) Aber sobald es endgültig entschieden sein wird, werden Sie umfangreich informiert werden, Herr Kollege. Dafür sorge ich persönlich. Ich lege Wert darauf, dass insbesondere beim Einzelplan 05 das Parlament über seine Berichterstatter von seinem Budgetrecht ausgiebig Gebrauch gemacht hat, was in Laufe der Zeit etwas verloren gegangen war. Ich spreche lediglich ein paar Themen an, da mir der Kollege Mark nur wenige Nischen gelassen hat. Herr Außenminister, ich bitte Sie, den zu der G-8-Abrüstungsinitiative geschlossenen Vertrag bezüglich Russlands zu überprüfen, weil wir doch gewisse Erklärungsschwierigkeiten haben. Einerseits stellen wir sehr hohe Beträge für das Abwracken russischer Atom-U-Boote zur Verfügung, und andererseits erklärt Russland, neue bauen zu wollen. Ich sehe den Aufbau des neuen Europäischen Auswärtigen Dienstes etwas skeptisch; deswegen gab es eine Sperre beim Personal. Hier wollen wir abwarten, wie es sich im Laufe des Jahres entwickeln wird. Erfreulicherweise sind wir mit dem leidigen Thema Liegenschaftsmanagement, das alle Bauten des Auswärtigen Amtes im Ausland betrifft, etwas vorangekommen, und zwar dahin gehend, dass das Auswärtige Amt mehr eigene Entscheidungsmöglichkeiten erhalten wird. Ich bitte Sie aber nachdrücklich, Herr Außenminister, prüfen zu lassen, ob wirklich jede Bruchbude, die sich im Ausland deutsche Botschaft nennt, unbedingt unter Denkmalschutz gestellt werden muss, ({1}) weil im Ausland insbesondere dann, wenn die örtlichen Behörden schon die Caterpillar-Planierraupen haben auffahren lassen, völliges Unverständnis herrscht, wie solche Dinge mit Millionenaufwand wiederhergestellt werden. Vielleicht könnten wir hier ein gewisses exterritoriales Recht finden. Wir starten auch ein neues Programm, mit dem unsere Botschaften im Ausland mit alternativen Energien umfangreich ausgestattet werden, um auch dort unsere Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiet zu zeigen. Wir haben den UN-Beitrag für den Sudan, Herr Außenminister, um 49 Millionen Euro erhöht. Dort spielt sich zwar nach wie vor eine Tragödie ab, aber es kann auch nicht sein, dass durch erhöhte UN-Gelder den deutschen Nichtregierungsorganisationen das Personal abgeworben wird, weil die UNO wesentlich höhere Gehälter zahlt. Ich weise darauf hin, dass die Mittel für die Polizei in Afghanistan um 15,7 Millionen Euro zusätzlich erhöht worden sind. Es ist bedauerlich, dass die Türkei immer noch ein Abkommen blockiert und deshalb die Polizeikräfte direkt unter den Schutz der ISAF-Truppen gestellt werden. Ich denke, dass in solchen Krisen und Kriegsgebieten die europäischen Ausschreibungsrichtlinien ebenso in den Papierkorb gehören wie die deutschen TÜV- und ASU-Vorschriften in Kabul und Umgebung. ({2}) Ich denke, dass wir dabei endlich Nägel mit Köpfen machen sollten. Letztendlich müsste dann zum Abbau auch dieser Bürokratie in Brüssel der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber eingesetzt werden, der dafür bestimmt die nötige Durchschlagskraft hätte. ({3}) Denn der Rechnungshofbericht hat erneut schwerste Verstöße im Bereich der Haushaltsführung auf europäischer Ebene festgestellt. ({4}) Möglicherweise liegt es daran, dass uns der Europäische Rechnungshof in der Erhöhung des Renteneintrittsalters schon etwas vorausgegangen ist. Ich habe mit großer Überraschung gelesen, dass viele Mitglieder schon auf das goldene Rentenalter von 75 Jahren zusteuern. ({5}) Möglicherweise trübt auch das ehrliche Einkommen von 444 444 Euro etwas den Blick, wodurch zu erklären ist, dass die Kosten des Neubaus für diese Riege älterer Herren von ursprünglich 26 Millionen Euro mittlerweile schon bei 83 Millionen Euro angelangt sind. Das ist doch eine sehr erfolgreiche Tätigkeit eines Rechnungshofes. Vielleicht könnten Sie, Herr Außenminister, bei der Besetzung künftig auch an Personen denken, die zwar nicht unbedingt aus der Jungen Union kommen müssen, aber vielleicht mittleren Alters sind. Das würde diesem Gremium sicherlich gut tun. Es gäbe sicherlich auch den einen oder anderen, der diese Arbeit für ein geringeres Salär tun würde. ({6}) Wir wissen, dass die Gelder, die der Deutsche Bundestag dem Auswärtigen Amt zur Verfügung stellt, ordentlich verwaltet werden. Vielen Dank, Herr Finanzminister, dass Sie schon in der Kabinettsvorlage Vorsorge getroffen und nicht alles dem Budgetrecht des Parlamentes überlassen haben. ({7}) Der Vizekanzler und Außenminister, dem wir die Mittel für Öffentlichkeitsarbeit etwas gekürzt haben - das betrifft zwar nicht die innerkabinettliche Kritik, aber vielleicht hilft es trotzdem -, hat in dieser Woche in einem Interview gesagt, es gebe keine Alternative zu dieser Koalition, keine Alternative wäre besser für unser Land - und ich ergänze: für diesen Haushalt. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Marieluise Beck das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es braucht schon einiges, verehrter Herr Koppelin, ehe man Ihnen zustimmen kann. Aber in diesem Fall muss man das wirklich tun, was die Frage der Stellenbesetzung und Umwidmung im Auswärtigen Amt anbelangt. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Außenminister gleichzeitig Vizekanzler ist. Bisher bedurfte aber noch kein solcher Vizekanzler der Unterstützung eines beamteten Staatssekretärs. Das ist also eindeutig ein Bruch mit der Tradition des Hauses. Angesichts der Besetzung - ich kenne den verehrten Kollegen Tiemann, der sich bisher immer als Arbeits- und Sozialpolitiker hervorgetan hat - erwarten wir gespannt, welches außenpolitische Feld ihm nun im Auswärtigen Amt übertragen werden wird. ({0}) Ich habe mich eben an dem scheinbar so harmonischen Bild des Verhältnisses zwischen Ihnen, Herr Steinmeier, und der Kanzlerin erfreut. Dies sah in den vergangenen Wochen doch deutlich anders aus, und zwar öffentlich und für jeden wahrnehmbar. Die Kanzlerin mit ihrer Einladung an den Dalai Lama, die wir richtig fanden, weil es nicht darum geht, sich wegzuducken, Marieluise Beck ({1}) wenn der chinesischen Regierung etwas nicht passt, ist dafür von Ihnen öffentlich und deutlich kritisiert worden. Damit sind Sie ihr in den Rücken gefallen. Sie haben das als Schaufensterpolitik bezeichnet. ({2}) Sollen wir jetzt sagen, es sei Schaufensterpolitik gewesen, als Sie das Vorgehen gegen russische Oppositionelle - zu Recht - gerügt haben? Das war ein deutliches Zeichen, das notwendig war. Diese Auseinandersetzung schwächt das Renommee der deutschen Außenpolitik, und in Zeiten, da Deutschland gerade auch innerhalb der Europäischen Union so gebraucht wird wie derzeit, können wir Derartiges nicht gebrauchen. Jetzt muss tatsächlich irgendwie eine strategische Gemeinsamkeit entstehen. Ich bin gespannt, was bei den angesetzten Gesprächen herauskommen wird. ({3}) Klar sollte für uns sein, dass es gegenüber Ländern mit gravierenden rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Defiziten klare Worte und Taten aus Deutschland gibt und dass dies ein unverrückbarer Grundsatz ist. Das birgt Herausforderungen hinsichtlich der Frage in sich: Wie gehen wir mit Ländern um, die zunehmend schwierig werden, die sich eher von der Demokratie weg entwickeln, statt in die Richtung zu gehen, die wir erwartet haben? Dies gilt auch für Russland; wir haben es vor zwei Wochen hier debattiert. Wo liegen jetzt die strategischen Antworten jenseits der Benennung des Dilemmas? Der erste Schlüssel liegt in Folgendem: Wir alle müssen in der Einschätzung dessen, was in Russland derzeit passiert, realistischer werden. Die Hoffnung, die wir in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehabt haben, dass Russland sich geradezu systematisch in Richtung auf die westlichen Verfassungen und Demokratien zubewegen werde, erfüllt sich nicht. Dieser Realismus ist sicherlich vernünftig, weil er uns einen Blick gibt, mit dem wir uns dann, ohne leicht verträumt zu sein, auf das einstellen können, was sich derzeit abspielt. Die Entwicklung geht in Richtung eines autoritären Staates; das ist das Faktum, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben. Trotzdem bleibt natürlich dieses Russland ein wichtiger Partner für uns. Wir sind aufeinander angewiesen, wobei die Betonung bei „aufeinander“ liegt. Nicht nur wir sind von Russland abhängig; wir sind es in der Energiepolitik, wir sind es in der Klimapolitik, wir sind es bei der Bewältigung von Krisen von Darfur bis Kosovo und Iran, wie wir ebenfalls alle wissen. Aber dazu braucht es Realismus und sicherlich auch sehr viel Gelassenheit und sehr viel Geduld. Wir müssen nicht gleich alle springen, wenn Herr Putin eine zornige Rede hält, denn Russland braucht auch uns, sowohl als wirtschaftlicher Partner, aber auch, weil Russland ein europäisches Land sein will. Das heißt, wir müssen Russland bei seinen eigenen Ansprüchen verpflichtend packen. Es ist Mitglied der OSZE, es ist Mitglied des Europarates, und es kann dort nicht teilhaben, um die Standards dort auszuhöhlen. Vielmehr müssen wir Russland immer wieder darauf verpflichten, diese Standards einzuhalten. ({4}) Diese Standards sind übrigens nicht nur europäische; zu ihnen gehört auch die UN-Charta. Wenn wir auf diesen Standards beharren - dies an den Kollegen Herrn Gehrcke -, bedeutet dies nicht, mit dem Zeigefinger auf Russland zu zeigen, sondern es bedeutet: Wir bleiben auf dem Boden unserer Werte stehen. Wenn Herr Margelow jetzt Präsident der PV des Europarates werden will, muss das ganz deutlich sein. Ein Präsidentenamt kann nicht dazu da sein, um die PV des Europarates auszuhöhlen. Die Entwicklungen, die wir im Augenblick mit der OSZE haben, sind sehr bedenklich. ({5}) Wir sollten Russland also innerhalb der Institutionen, in denen wir uns gemeinsam mit ihm bewegen, beim Wort nehmen. Ein zweiter Schlüssel liegt sicherlich im Verhältnis zu Polen. Wir haben mit den Neuwahlen in Polen eine große Chance bekommen. Wir sollten die Möglichkeiten, die sich jetzt mit der Ernennung von Herrn Bartoszewski zum außenpolitischen Berater auftun - wir alle in diesem Haus respektieren und ehren ihn -, ({6}) nicht verspielen durch die schwierige Debatte über die Ostseepipeline und noch viel weniger durch die unselige Debatte über das Zentrum gegen Vertreibung ({7}) und die Form, in der sie geführt wird. In Polen sind wieder sehr viele Gräben aufgerissen worden, die durch jahrelange Verständigung langsam zugeschüttet worden waren. Es ist verheerend. Man kann sich von diesem Platz nur wünschen, dass endlich ein Schritt in die richtige Richtung gegangen wird, indem wir uns gemeinsam mit Polen der schwierigen Thematik der Geschichte annehmen. Wir sollten den Bund der Vertriebenen nicht vorausmarschieren lassen. ({8}) Der dritte Schlüssel ist die Gemeinsamkeit innerhalb der EU-Politik. Jede Bilateralität, jeder bilaterale Schritt gibt dem Kreml und Russland die Möglichkeit, uns auseinanderzudividieren. Dies macht uns viel schwächer, als wir es als ein Raum mit 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und mit einer großen Wirtschaftskraft faktisch sind. Auch hinsichtlich eines gemeinsamen Vorgehens in der EU-Politik ist noch viel zu tun. Wir alle haben heute gehört: Die Einigung zum Kosovo ist nicht eingetreten. Dies ist nicht wirklich überraschend für uns. Bei allen vorstellbaren Lösungen, Marieluise Beck ({9}) von denen wir wissen, dass sie alle mit Problemen behaftet sind, kann nur die Gemeinsamkeit der EU einen schwierigen Weg aus der verfahrenen Situation zeigen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es kommt auf die Gemeinsamkeit der EU auch bei den nächsten Schritten, über die in Bezug auf das Kosovo zu entscheiden ist, an. Schönen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich hoffe, man sieht es nicht; aber ich bin erst vor wenigen Stunden aus Annapolis zurückgekommen. Ich will Sie wahrhaftig nicht mit einem Ergebnisrapport behelligen, zumal Sie das meiste schon über die Medien zur Kenntnis genommen haben. Weil aber die Vorberichterstattung so überaus skeptisch war, gehe ich davon aus, dass Sie vielleicht an einigen ergänzenden Einschätzungen von jemandem interessiert sind, der das Geschehen vor Ort verfolgt hat. Ich will einleitend sagen: Ja, es stimmt, bisher sind alle Bemühungen um Frieden und Stabilität im Nahen Osten gescheitert. Das ist richtig. Deshalb sind wir gut beraten, wenn wir mit Realismus und Augenmaß an die Bewertung der zukünftigen Prozesse nach der Annapolis-Konferenz herangehen. Das alles ist richtig. Dennoch sage ich jenseits aller professionellen Routine, die wir gerade auch in der Außenpolitik brauchen: Wer während der Konferenz einmal einen Blick in das große Rund der 45 teilnehmenden Staaten werfen konnte, wer gesehen hat, wie viele Vertreter von Staaten, die untereinander nicht einmal diplomatische Beziehungen haben, die ihren Kriegszustand nicht beendet haben, beieinandersaßen, wer sich klarmacht, dass aus den gleichen Gründen, wie eben referiert, viele Vertreter der israelischen Delegation, die zahlreich angetreten war, ihre arabischen Gesprächspartner überhaupt nicht kannten, keine Direktgespräche mit diesen geführt hatten und natürlich erst recht kein Beziehungsnetzwerk zu den arabischen Kollegen hatten, wer die wirklich bewegenden Reden von Präsident Abbas und Ministerpräsident Olmert hat hören können, der weiß: Diese Konferenz war alles in allem ein Ereignis jenseits von außenpolitischer Alltagsroutine. Das war gerade nicht diplomatischer Alltag. Bei aller Abgeklärtheit und aller Unübersichtlichkeit der internationalen Konfliktlage, die nicht zu leugnen ist - auf einige Stichworte komme ich zurück -, sollten wir die Außergewöhnlichkeit dieses Ereignisses, Herr Paech, am Ende dennoch wahrnehmen. ({0}) „Wahrnehmen“ heißt ja nicht, schon jetzt daranzugehen, das Ereignis selbst zu verklären. Es bleibt natürlich dabei: Es gibt auch nach der Konferenz von Annapolis keine Garantie für das Gelingen - so wenig wie bei früheren Versuchen. Aber - das ist entscheidend - in den nahöstlichen Friedensprozess ist wieder Bewegung gekommen. Schon das ist gut. Was den jetzt begonnenen Friedensversuch im Nahen Osten von früheren Versuchen unterscheidet, sind aus meiner Sicht fünf Dinge: Erstens: die Ernsthaftigkeit der Bemühungen beider Konfliktpartner in Palästina und in Israel. Wenn Sie in den letzten Wochen genau darauf geachtet haben, konnten Sie feststellen: Die Konfliktpartner haben im Unterschied zu früheren Situationen nicht eine Konferenz durch Dritte vorbereiten lassen, sondern selbst aktiv durch Eigeninitiative an der Vorbereitung dieser Konferenz mitgewirkt. Zweitens. Wer auch immer in Palästina Verantwortung trug, war mit seinen Friedensbemühungen regelmäßig in der Arabischen Liga isoliert. Schauen Sie einmal genau auf die Teilnehmerzahl: Zum ersten Mal haben wir bei einem solchen Versuch Unterstützung von der ganz großen Mehrzahl der arabischen Staaten. Auch das ist eine Sonderentwicklung. ({1}) Drittens - auch das bitte ich festzuhalten -: Die Großen übernehmen hier wirklich Verantwortung. Wenn ich „die Großen“ sage, dann meine ich zuallererst die USA, die mit hohem Risiko - und Respekt von unserer Seite zu einem Zeitpunkt, als man nicht ahnen konnte, wer an dieser Konferenz teilnehmen wird, an die Vorbereitung gegangen sind und, was vielleicht noch schwieriger ist, jetzt in dem Follow-up-Prozess eine Art Mittlerrolle, Moderatorenfunktion bei den Einzelverhandlungen zwischen den Palästinensern und den Israelis übernehmen wollen. Viertens. Was wir für die USA sagen können, gilt im Augenblick erstaunlicherweise auch für Russland, das jedenfalls bei diesem Prozess nicht im Abseits stehen will. Damit meine ich gar nicht so sehr den russischen Vorschlag, einen Follow-up-Prozess zu organisieren und in regelmäßigen Zeitabständen immer wieder zu untersuchen, ob der Friedensprozess tatsächlich Fortschritte macht. Das ist ein Vorschlag, den viele andere, auch wir Europäer, ebenfalls gemacht haben. Aber neu ist, dass die Russen in der Nahostkonferenz in Annapolis den Vorschlag gemacht haben, selbst Verantwortung in diesem Monitoringprozess zu übernehmen und für die nächste Veranstaltung, die wohl im Frühjahr stattfinden wird, nach Moskau einzuladen. Fünftens und letztens ist wichtig, dass es zwar nicht gelungen ist, in dem gemeinsamen Statement von Palästinensern und Israelis einen Zeithorizont zu vereinbaren, aber am Ende der Konferenz alle Beteiligten signalisiert haben, dass sie mit dem Verständnis auseinandergehen, die Lösung - das heißt die Klärung der offenen Fragen, die der Zweistaatenlösung entgegenstehen - bis Ende 2008 unter Dach und Fach zu bringen. Nochmals: Das alles ist noch keine Garantie für das Gelingen unseres gemeinsamen Bemühens. Aber ich finde, wir sind weit gekommen, und daran sind viele beteiligt. Ich bin wirklich der Letzte, der so tut, als sei das an allen Stellen und entscheidend deutscher Einfluss gewesen. Ich sehe unsere Möglichkeiten als europäische Mittelmacht dort sehr realistisch. Aber von großer Bedeutung ist die Frage: Haben wir die Möglichkeiten wenigstens genutzt? Ich meine, wir haben sie außerordentlich gut genutzt, ({2}) gerade in Verbindung mit unserer Präsidentschaft in der EU und in der G 8. Wir haben trotz der tiefen Depression nach der Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hisbollah im letzten Jahr dafür geworben, dass man einen neuen Versuch unternimmt. Wir haben uns in den Monaten vor Beginn der Ratspräsidentschaft gemeinsam darum bemüht, dass das Denken über die Revitalisierung des Nahostquartettes wieder möglich wird. Zu Beginn unserer Präsidentschaft in der EU, noch im Januar, hat die erste Sitzung des Quartettes stattgefunden, und wir haben mit unseren durch die Präsidentschaft vorhandenen Möglichkeiten dafür gesorgt, eine - lassen Sie mich es so sagen - vernünftige Choreografie zu gestalten. Es gab viele - erinnern Sie sich auch an die Diskussionen hier im Hause -, die den Außenminister oder die Kanzlerin gedrängt haben, mal eben eine Nahostkonferenz zu veranstalten. Es gab viele, die das befürwortet haben. Ich habe auch den europäischen Kollegen immer wieder sagen müssen: Ich bin nicht gegen eine Nahostkonferenz; aber sie ist nur dann sinnvoll, wenn wir die Israelis und die Amerikaner mit im Boot haben. Sonst ist das Ganze eine Veranstaltung zur Gewissensberuhigung der Europäer, aber nichts, was den Menschen vor Ort hilft. ({3}) Insofern war die Zeitplanung durchaus richtig. Wir haben die Zeit seit Januar genutzt, um wahrhaft schwierige und schwierig bleibende Partner zu überzeugen, bei diesem Prozess nicht dauerhaft vor der Tür stehen zu bleiben. Ich meine natürlich Syrien. Ich meine immer noch, dass es zwei Gründe für dieses Werben gab: Erstens. Ich glaube, dass nachhaltiger Frieden im Nahen Osten nur dann erreicht werden kann - das ist eine alte Weisheit -, wenn wir die zentralen Konflikte in eine endgültige Regelung einbeziehen. Der zweite Grund kommt einem aus anderen Verhandlungssituationen bekannt vor: Wenn man eine Konfliktregelung haben will, dann muss man die Zahl der möglichen Spoiler, der möglichen Störer von außen, möglichst gering halten. Deshalb habe ich immer gesagt: So schwierig Syrien ist, so wichtig ist es, Syrien an den Tisch zu holen und dann zu prüfen, ob es in der Lage ist, sich konstruktiv zu verhalten. ({4}) Ich glaube, diese Beharrlichkeit hat sich gelohnt, weil sie nachhaltig wirkt. Sie darf aber jetzt noch kein Ende finden. Wir alle haben nicht nur die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Verhandlungsprozesse weitergeführt werden, sondern wir alle haben auch die Pflicht - hier sehe ich vor allem Europa und insbesondere Deutschland in der Verantwortung -, den Menschen in Palästina zu zeigen, dass Frieden sich lohnt. ({5}) Ich hatte mir vorgenommen, am Schluss dieser Bemerkungen zu Nahost einige Ausführungen als Nachbetrachtung zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu machen. Das erspare ich mir jetzt. Ich glaube, wir müssen keinen großen Rückblick gestalten. In diesem Hause ist das Thema vielfach besprochen worden. Abschließend will ich dazu nur sagen: Was das europäische Verfassungswerk angeht, wären wir alle gerne weitergekommen. Ich bin aber mit all denen einig, die sagen: Keiner hätte erwartet, dass wir nach einem halben Jahr deutscher Ratspräsidentschaft so weit sind. Zwar heißt das Konstrukt nicht Verfassung, immerhin sind aber mehr als 90 Prozent des Verfassungstextes Bestandteil der Reformverträge. Zwar heißt der europäische Außenminister nicht Außenminister, sondern weiterhin Hoher Repräsentant, aber er hat gemäß den Verträgen all die Funktionen, die ihm auch von der Verfassung zugedacht waren. Ich mache diese Bemerkung an dieser Stelle, um Ihnen zu danken, meine Damen und Herren. Ich weiß natürlich, dass all dies in Europa nicht gelungen wäre, wenn wir uns nicht jederzeit der Unterstützung des Deutschen Bundestages gewiss gewesen wären. Am Ende unserer Verhandlungen über den Haushalt sehe ich, dass sich diese Unterstützung nicht auf die Arbeit der Kanzlerin und des Außenministers im europäischen Gewerbe beschränkt. Diese Unterstützung zeigt sich auch in den Zahlen des Haushaltes 2008. Ich glaube in der Tat, dass die finanzielle Grundlage unserer Arbeit im nächsten Jahr wesentlich besser sein wird. Dafür ganz herzlichen Dank! Ich freue mich insbesondere darüber, dass der Haushaltsansatz für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik um etwa 15 Prozent steigt. Ich freue mich darüber, dass bei den Mitteln für politische Aufgaben, zu denen der Stabilitätspakt Afghanistan, der Stabilitätspakt für Südosteuropa, die humanitäre Hilfe und die Krisenprävention zählen, eine Steigerung um 20 Prozent möglich ist. All das ist notwendig. Mit Blick auf Südosteuropa nenne ich das Stichwort „Kosovo“. Es ist hier schon gefallen, zuletzt in dem Beitrag von Frau Beck. Das ist ein Feld mit großen Herausforderungen. Das wird es auch in Zukunft bleiben. In den Tagen um Weihnachten herum werden die Herausforderungen noch größer werden. Ich habe mir sehr gewünscht, dass die Troika - Europa, Russland und Amerika - zu einem abschließenden Ergebnis gekommen wäre. Etwas Substanzielles ist aber nicht gelungen. Das mussten wir nach den dreitägigen Verhandlungen gestern in Österreich feststellen. Die Hoffnung bleibt, dass sich die Troika vielleicht auf einen Verfahrensvorschlag verständigt, der nicht nur uns hier in Deutschland bei den weiteren Entscheidungen hilft, sondern auch die eben angemahnte Einheit in Europa bewahren hilft. Wir können und müssen an dieser Stelle noch einmal an die Serben und Kosovo-Albaner appellieren - die Bundeskanzlerin hat es heute Morgen schon getan -: Erinnert euch an das Blutvergießen in den 90er-Jahren. Die Menschen auf dem Balkan dürfen nicht wieder Opfer tragischer politischer Fehlentscheidungen und Unverantwortlichkeit werden. ({6}) Wir haben nicht nur während unserer Präsidentschaft in der Europäischen Union, sondern auch davor und danach dem westlichen Balkan unsere Hand immer wieder ausgesteckt. Sie bleibt ausgestreckt. Aber das setzt voraus, dass Entscheidungen in der Region mit Vernunft gefällt werden. Ich freue mich sehr, dass auch das Verhältnis zu Polen hier Erwähnung gefunden hat. Ich glaube, dass wir jetzt in der Tat Möglichkeiten und Voraussetzungen haben, dieses zuletzt nicht beste Verhältnis zwischen den beiden Ländern durchweg zu erneuern. Ich habe meinen neuen polnischen Kollegen inzwischen zweimal gesprochen. Ich sehe politisch und persönlich gute Voraussetzungen dafür, dass sich das Verhältnis sehr ordentlich entwickeln wird. Ich glaube, dass wir die Chance, die sich jetzt bietet, nicht verspielen dürfen; dazu muss ich dieses Haus und uns selbst nicht ermahnen. Die Chance ist die, dass wir das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen wieder auf die Stufe stellen, die wir bereits in den 90erJahren erreicht hatten. ({7}) Zu Afghanistan ist nach den vielen Debatten, die wir in den letzten Wochen und Monaten hier im Hohen Haus hinter uns haben, nicht mehr viel zu sagen. Es wird eine der großen Herausforderungen bleiben, ebenso wie der westliche Balkan und leider auch Regionalkonflikte in Afrika, zu denen wir uns verhalten müssen, was nicht heißt, Auslandseinsätzen zuzustimmen. All das wird vor unserer Tür liegen. Ich freue mich - lassen Sie mich das zum Abschluss noch sagen -, dass in diesem Hause sehr sensibel beobachtet wird, dass sich unsere Stellung in der Welt verändert. Ich glaube, es war Herr Westerwelle, der heute Morgen in seiner Rede ({8}) darauf hingewiesen hat, dass die chinesische Volkswirtschaft die deutsche Volkswirtschaft überholen wird. Er hat es ein bisschen kritisch unterlegt und gesagt: Macht etwas dagegen. ({9}) Angesichts des Wachstums der chinesischen Bevölkerung haben Sie, glaube ich, Verständnis dafür, dass von deutscher Seite aus nur beschränkte Möglichkeiten bestehen, die Dynamik der chinesischen Volkswirtschaft hinter die unsere zurückzuwerfen. Wir haben davon auszugehen, dass die Wachstumsregionen - ob Indien oder China - wachsendes ökonomisches Gewicht haben und damit den Anspruch verbinden, wachsendes politisches Gewicht geltend zu machen. Darauf reagieren einige mit Panik. Ich finde, dazu gibt es wenig Anlass. Das ist auch nicht geeignet, die Dinge zu verändern. Wir müssen uns in der Welt, wie ich immer sage, besser verständlich machen. Dazu gehören auch die Möglichkeiten der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Ich will mich herzlich dafür bedanken, dass hier zum einen für die Goethe-Institute, zum anderen aber auch für wissenschaftliche Austauschprogramme, für Auslandsschulen und für ein Sonderprogramm in Afrika viele neue Möglichkeiten gegeben sind. Ich habe die Konflikte, die vor uns stehen, genannt: Afghanistan, Iran, Balkan, Kosovo und Regionalkonflikte in Afrika. Das ist viel für die Außenpolitik, auch für die deutsche Außenpolitik. Ich weiß, dass das alles nur gemeinsam gelingen wird. Genau das haben wir in der Großen Koalition in den letzten zwei Jahren bewiesen, auch während der EU-Ratspräsidentschaft. Diese Gemeinsamkeit wird auch die Haltung der Außenpolitik der Großen Koalition in den nächsten zwei Jahren kennzeichnen. Sie sollten sich gar nicht erst so sehr auf den Fall China einschießen. Die aktuellen Unebenheiten im deutsch-chinesischen Verhältnis, die es zweifellos gibt, müssen wir beseitigen. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich werde mich daran beteiligen, und zwar ohne dass Menschenrechte und nationale deutsche Interessen gegeneinander ausgespielt werden. Herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Werner Hoyer hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zunächst einmal herzlichen Dank für Ihren Bericht aus Annapolis! Das, was Sie berichtet haben, ist in der Tat ermutigend. Hoffen wir, dass jetzt das kleine Fenster der Gelegenheiten für das, was wir uns alle erhoffen, genutzt werden kann. Soweit Europa, soweit Deutschland dabei eine Rolle zu spielen hat, wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand. Im Übrigen: Kompliment für Ihre Kondition! Wenn man - wir alle kennen das - nach einem Nachtflug, wie Sie ihn gerade hinter sich haben, im Parlament auftreten muss, ist man bestimmt „überaus fröhlich“. ({0}) Geschlossenheit und Entschlossenheit hat die Bundeskanzlerin von den Europäern und vom Westen verlangt, gerade im Hinblick auf die großen Herausforderungen im Iran und im Kosovo; das ist richtig und wichtig. Ich wünschte mir, man würde davon auch bei der Bundesregierung etwas mehr erkennen. Geschlossenheit und Entschlossenheit sind nämlich insbesondere in der Außenpolitik ein Pfund. ({1}) Die Bundeskanzlerin hat auch darauf hingewiesen, dass es einen sehr wichtigen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistung und internationaler Reputation gibt; ich finde, auch das ist sehr wichtig und richtig. Insofern schwächt der Rollback in der Reformpolitik unseres Landes natürlich auch unser internationales Standing, unser Ansehen, unseren Einfluss und ökonomisch wie politisch irgendwann auch unsere Durchschlagskraft. Das, was im Jahre 2006 geschehen ist, war phänomenal. Das Image Deutschlands hat sich sehr schnell verändert. Das hatte sicherlich mit der Fußballweltmeisterschaft zu tun, aber nicht nur. Auch die ökonomischen Rahmenbedingungen hatten sich verändert. Im Ausland hat man gestaunt. Denn plötzlich war die Stimmung in Deutschland besser als die Lage, etwas, von dem man eigentlich sagt, dass das mit unserem Nationalcharakter gar nicht vereinbar ist. Aber es ging. Das hat dazu geführt, dass wir Rückenwind für die deutsche Ratspräsidentschaft bekommen haben, zu deren Gelingen wir als Opposition der Bundesregierung an dieser Stelle gratuliert haben. Jetzt äußern wir allerdings Kritik. Denn wir müssen befürchten, dass der deutsche Einfluss zurückgeht, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil das Vertrauen der Welt in die Durchhaltefähigkeit Deutschlands bei der Modernisierung und Dynamisierung unserer Volkswirtschaft und unserer Gesellschaft sinkt, und zweitens, weil von Geschlossenheit und Entschlossenheit wohl keine Rede mehr sein kann. Das wird an den Debatten, die wir über die Situation in China und Russland führen, deutlich; ich könnte dafür noch weitere Beispiele nennen. Im Übrigen habe ich das, was Herr Westerwelle heute Morgen mit Blick auf China gesagt hat, völlig anders verstanden. Wir sollten die Herausforderung, dass China ein Wettbewerber Deutschlands ist, fröhlich annehmen. Das heißt umgekehrt aber nicht, dass wir diesen Wettbewerber stärken sollten, indem wir ihm in Bereichen Entwicklungshilfe zahlen, in denen er sie wirklich nicht braucht. Darum ging es heute Morgen. ({2}) Was die Situation in Russland angeht, möchte ich von der Bundesregierung eine klare Aussage. Ich möchte wissen, ob die Neujustierung der Außenpolitik, die die Bundeskanzlerin ab 2005 erfreulicherweise vollzogen hat, weiterhin gilt und vom Außenminister mitgetragen wird oder ob er in seine Loyalität zu Gerhard Schröder zurückfällt. Darum geht es. ({3}) Ich würde außerdem gerne erfahren, was nach der Kraftanstrengung der deutschen Ratspräsidentschaft aus unserer Rolle in Europa wird. Man hat nämlich das Gefühl, dass die Bemühungen Deutschlands ziemlich erlahmt sind. Ich kann verstehen, dass die Kräfte der Beschäftigten in unseren Ämtern erschöpft sind; denn dort ist eine Riesenleistung erbracht worden. Dass Deutschland gemeinsam mit Slowenien und Portugal noch immer an der amtierenden Dreierpräsidentschaft beteiligt ist, davon ist allerdings nur wenig zu spüren. Das mahnen wir an. Bei manchem, was gegenwärtig geschieht, frage ich mich: Wo ist denn die gestaltende und nicht nur die begleitende oder gar finanzierende Rolle der Europäischen Union, wenn es um die großen Herausforderungen, die wir gegenwärtig zu bewältigen haben, geht? ({4}) Lassen Sie mich eine Bemerkung zu der grundsätzlichen Frage machen, die die Diskussionen der letzten Wochen beherrscht hat: interessenorientierte oder wertebasierte Außenpolitik? Das ist manchmal nur schwer auszutarieren. Sie haben sich eben Gott sei Dank dagegen gewehrt, beides gegeneinander auszuspielen; ({5}) das wäre in der Tat unverantwortlich. ({6}) Vonseiten der Regierung ist in der letzten Zeit allerdings häufig genug der Eindruck erweckt worden, dass das getan wird. Der Grad unserer außenwirtschaftlichen Verflechtung und unsere Energieabhängigkeit, die wir übrigens nicht erhöhen, sondern durch verschiedenste Maßnahmen langsam abbauen sollten, ({7}) sollten uns zur Vorsicht mahnen. Es ist aber unfair und - ich finde, das ist noch schlimmer - unklug, aktive Menschenrechtspolitik als Schaufensterpolitik zu diffamieren, erst recht dann, wenn man geschlagene zwei Tage kollektiver Sprachlosigkeit verstreichen lässt, bevor man zum brutalen Vorgehen der russischen Staatsorgane gegenüber Oppositionspolitikern Stellung be13580 zieht. „Unverhältnismäßig hart“ sei das gewesen, heißt es in der Presseerklärung des Außenministers. Was wäre eigentlich „verhältnismäßig hart“ gewesen, wenn es darum geht, freie Bürger, Oppositionspolitiker und Medien an der Wahrnehmung ihrer Rechte zu hindern? Hier geht es übrigens um Rechte, die nicht nur in der russischen Verfassung, sondern auch in der Schlussakte von Helsinki verankert sind. Daran zu erinnern, ist keine unangemessene Haltung gegenüber einem Partner, mit dem man gerne zusammenarbeiten will. ({8}) Natürlich geht es nicht darum, in selbstgerechter Form Menschenrechte wie eine Monstranz vor sich herzutragen, aber es geht darum, glaubwürdig zu bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gemeinschaft der aufgeklärten rechtsstaatlichen Demokratien, sozusagen „der Westen“, wir alle haben in den letzten Jahren erheblich an Glaubwürdigkeit in der Welt verloren aufgrund dramatischer Fehlentscheidungen, die nicht wir, die aber andere auch für uns mit getroffen haben. Guantánamo Bay, Abu Ghureib - man könnte eine lange Liste aufstellen. Wenn wir für die Attraktivität unseres westlichen Lebensmodells werben wollen, müssen wir uns auch zu unseren Grundüberzeugungen bekennen. Am besten leben wir sie vor. Am Ende schadet der seinen Interessen, der seine Grundüberzeugungen versteckt. Da liegt natürlich auch die Brücke zur Innenpolitik, und das zeigt, wie alles ineinandergreift. Wenn man die Freiheitsrechte im Inneren opfert, um Sicherheit zu garantieren oder glaubt zu garantieren, wird man am Ende mit leeren Händen dastehen. Ein Wort, Herr Minister, zum Thema Abrüstung. Sie konnten wegen der Fixierung auf den großen und wichtigen Teil Annapolis heute dazu wenig sagen. Sie haben in der letzten Zeit wiederholt Ankündigungen zum Thema Abrüstungspolitik gemacht. Ich kann bisher noch nicht erkennen, welches konkrete Handeln der Bundesregierung diesen Ankündigungen folgt. Wir stehen vor einer ganz schwierigen Situation im Hinblick auf den KSE-Vertrag. Wir dürfen Russland nicht geradezu noch in die Hände spielen, wenn es sich von diesen internationalen Vertragswerken mit dem Hinweis darauf verabschiedet, der Westen sei ja noch nicht einmal bereit, das, was er selber unterschrieben hat, zu ratifizieren und diejenigen aus der NATO, die gar nicht erst unterschrieben haben, dazu zu bringen, dieses Vertragswerk zu unterschreiben. Ich bin der Auffassung: Die Zeit für ein klares Signal durch eine Ratifizierung des KSE-Vertrages ist reif. ({9}) Ein letztes Wort zum amerikanisch-indischen Nukleardeal. Hier wird die Bundesregierung Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen haben. Es ist ja ehrenwert, zu sagen - die Bundeskanzlerin hat das uns gegenüber auch getan -, das sei vielleicht ein Weg, um die Inder langsam in die internationalen Abrüstungsvertragswerke hineinzuziehen und auch die Rolle der IAEO für die Inder zu stärken. Nur wird genau das nicht stattfinden - das haben uns die indischen Kolleginnen und Kollegen klar gesagt -, dass gerade diejenigen, die man noch überzeugen müsste, wenn sie denn dem Deal zustimmen sollten, sagen:

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir machen das nur, wenn es keinen weiteren Schritt hin zur Internationalen Energieagentur und zu den großen Abrüstungsabkommen gibt. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Dr. Andreas Schockenhoff hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zur Halbzeit der Großen Koalition mit einer Grundsatzfrage deutscher Außenpolitik beginnen. Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war deutsche Außenpolitik immer dann erfolgreich, wenn sie auf einer engen und solidarischen Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern aufbauen konnte und wenn sie zugleich von einem vertrauensvollen Verhältnis zu den USA bestimmt war. Das sind die beiden Grundpfeiler deutscher Außenpolitik, an denen nicht gerüttelt werden darf. ({0}) Wann immer eine deutsche Regierung diese Grundlage infrage gestellt hat, hat es Deutschland und Europa geschadet. Das war zuletzt im Zusammenhang mit dem Irakkrieg der Fall. Die Folge war: Deutsche Außenpolitik war ohne entscheidenden Einfluss, Europa war gespalten, das transatlantische Verhältnis war durch Misstrauen belastet. Heute ist die Lage grundlegend anders. Unter der Regierung Merkel/Steinmeier hat Deutschland wieder maßgeblichen Einfluss. In den deutsch-amerikanischen Beziehungen herrscht wieder ein Vertrauensverhältnis. Auf dieser Grundlage war es möglich, in der Iranfrage Einfluss auf die USA zu nehmen, sodass die Sechsergemeinschaft zusammenblieb und heute eine diplomatische Lösung des Nuklearstreits möglich bleibt. Nicht zuletzt auf dieser Grundlage konnte die notwendige Kritik an der Situation in Guantánamo geäußert werden. Europa ist nicht mehr gespalten. Im Gegenteil: Die EU ist wieder in der Lage, schwierige Zukunftsentscheidungen zu treffen. Die unter deutscher Präsidentschaft vereinbarten Klimaschutzziele und die erfolgreiche EiniDr. Andreas Schockenhoff gung auf den Lissabonner Vertrag sind nur zwei Beispiele dafür. Wir hätten dies nicht erreicht, wenn die Bundeskanzlerin und der Außenminister nicht gegenüber unseren Partnern deutlich gemacht hätten: Sonderwege wird und darf es nicht mehr geben. Insbesondere in der Politik gegenüber Russland werden unsere EU-Partner, vor allem Polen und die baltischen Staaten, wieder im Geiste der Solidarität und des Vertrauens einbezogen. In diesem Sinne war der EURussland-Gipfel in Samara wichtig, weil er eine klare Botschaft aussandte: Die Partnerschaft zwischen der EU und Russland wird umso erfolgreicher sein, je stärker Russland die EU als eine Solidargemeinschaft versteht und je mehr sich die EU auch selbst so verhält. Denn Geschlossenheit der EU ist die unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass wir unser gemeinsames Ziel erreichen: eine auf den universellen Werten des Europarates basierende strategische Partnerschaft mit Russland. Ich weiß, dass wir hierfür bei einigen EU-Partnern noch werben müssen. Aber wenn wir Solidarität zeigen und auf die Sorgen und Interessen unserer Partner eingehen, dann werden wir auch dieses Ziel erreichen; davon sind wir in der CDU/CSU fest überzeugt. Das gilt auch für die Ostseepipeline. Um es ganz klar zu sagen: Diese Pipeline liegt im europäischen Interesse, weil sie für die Energieversorgung Europas unverzichtbar ist. ({1}) Deshalb muss und wird sie gebaut werden. Aber die Zeiten eines Basta-Stils sind vorbei. Niemand setzt die Energiepartnerschaft mit Russland aufs Spiel, wenn wir jetzt die Bedenken unserer Partner Schweden und Finnland oder die Sorgen der Balten und Polens auszuräumen versuchen. Es ist in der Koalition überhaupt keine Frage: Wir brauchen die strategische Partnerschaft mit Russland, nicht nur aufgrund unserer gegenseitigen Energieabhängigkeit, sondern auch zur Lösung von Krisen und Konflikten. Iran und Kosovo sind heute ja schon genannt worden. Wir begrüßen es nachdrücklich, dass der Außenminister alle Anstrengungen unternimmt, um den KSE-Vertrag zu wahren. Dass Russland seinen Truppenabzug aus Georgien ein Jahr früher als geplant abschließen will, ist ein wichtiges und gutes Signal. Auch in der Frage der Raketenabwehr gibt es Fortschritte. Was Iran betrifft, wünschen wir uns, dass Russland seinen Einfluss - den es zweifelsohne hat - noch stärker wahrnimmt. Zu Kosovo ist hier schon Stellung genommen worden. Nur kurz fünf Punkte: Erstens. Wir bedauern sehr, dass die Gespräche der Troika gescheitert sind. Eine verhandelte Lösung wäre für alle Beteiligten besser gewesen. Zweitens. Wir müssen realistisch feststellen, dass es keinen Sinn macht, weiterzuverhandeln, wenn der Wille zum Einvernehmen nicht da ist. Herr Ischinger hat wirklich alle Möglichkeiten genutzt; wir haben Grund, ihm für seine hervorragende Arbeit zu danken. ({2}) Drittens. Die Troika wird ihren Bericht dem VN-Generalsekretär vorlegen. Wenn im Sicherheitsrat keine Einigung möglich ist, gilt, was Herr Solana kürzlich gesagt hat: Eine Loslösung des Kosovo ohne Billigung des Sicherheitsrates wäre nicht das Ende der Welt. ({3}) Viertens. Kosovo wird eine besondere Herausforderung für uns Europäer, nicht nur mit Blick auf die größtmögliche Geschlossenheit bei der Anerkennung des Kosovo, sondern vor allem bei der immensen Herausforderung, die beim politischen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu bewältigen sein wird. Fünftens. Serbien hat eine klare EU-Perspektive. Darum ist es wichtig, dass Politiker wie Präsident Tadic und Premier Koštunica ihr Land weiter an die EU heranführen können. Dazu gehören eine baldige Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens und die Liberalisierung des Visaregimes in Verbindung mit einem Rücknahmeübereinkommen. Gerade die jungen Serben wollen leichter in die EU reisen können, und ich sehe keinen echten Grund, warum das nicht möglich sein sollte. Die strategische Partnerschaft mit Russland ist mehr als eine auf gemeinsame Interessengebiete begrenzte Kooperation. Sie ist als eine auf den gemeinsamen Werten des Europarates basierende Partnerschaft konzipiert. Aufgrund dieser gemeinsamen Werteverpflichtungen haben wir auch das Recht, in angemessener Form Missstände bei der Demokratie und den Menschenrechten in Russland anzusprechen, so wie es die Bundeskanzlerin in Samara getan hat. In Wertefragen kann es keine Kompromisse geben. Die Rückschläge bei der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit bereiten uns allen hier im Haus große Sorgen. Diese Entwicklungen schaden zuerst Russland selbst; denn wenn Russland den Wandel zu einem modernen, wettbewerbsfähigen Staat vollziehen will, dann muss es das Potenzial und die Fähigkeiten seiner Bürger besser und vollständig nutzen und dann braucht es eine starke und politisch lebendige Zivilgesellschaft. Gerade das Parlament ist der geeignete Ort für den Streit um die besten Lösungen. Wenn die Hürden für den Einzug ins Parlament zu hoch gelegt werden, dann bleibt ein erheblicher Anteil der Bevölkerung nicht repräsentiert. Leider - auch das muss man sehr deutlich sagen gelingt es den liberalen Oppositionsparteien nicht, ihre Zerstrittenheit zu überwinden. ({4}) Als würde die Verschärfung des Wahlgesetzes zum Vorteil der Kreml-treuen Partei „Einiges Russland“ nicht schon ausreichen, wird diese auch im Fernsehen deutlich bevorzugt. Das völlig unverhältnismäßige Vorgehen der russischen Staatsmacht - Sie, Herr Hoyer, und auch der Außenminister haben das angesprochen - ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Duma-Wahlen nicht fair verlaufen. Was hat sich denn seit den letzten Wahlen verschlechtert, dass solche Maßnahmen notwendig sein sollen? Tatsache ist doch, dass sich die Lage im Land gegenüber der Jelzin-Ära deutlich gefestigt hat. Dass Präsident Putin eine enorm hohe Zustimmung hat, wäre eher Anlass für eine weitere Öffnung und mehr Toleranz gewesen. Ein Staat, der das gesamte Potenzial der Fähigkeiten seiner Bürger aktivieren muss, braucht diese Öffnung. Er braucht mehr und nicht weniger unabhängige Medien und eine kritische Öffentlichkeit. Sie werden der Modernisierung Russlands nicht schaden, sondern sie fördern. Meine Damen und Herren, es ist gut, dass die Koalition in all diesen Fragen an einem Strang zieht ({5}) und dass sich die Kanzlerin und der Außenminister mehrmals mit NGO-Vertretern und Oppositionellen getroffen und die Rückschläge bei der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in angemessener Form angesprochen haben. Herr Außenminister, Sie haben zuletzt zum Vorgehen der Staatsorgane in Moskau und Sankt Petersburg gesagt: Wir bestehen darauf, dass die Freiheit der Berichterstattung und die Meinungsfreiheit in Russland gewährleistet werden. Herr Hoyer, diese Aussage ist klar und deutlich. Wir alle bestehen darauf. Das zeigt aber doch auch, wie konstruiert und haltlos die Behauptungen sind, in der Koalition stimmten die einen für eine Kooperation und die anderen für eine Konfrontation mit Russland. Herr Außenminister, deshalb freue ich mich, dass wir beide gemeinsam alles unternehmen, um die Kontakte und Bindungen zwischen den Menschen in Deutschland und Russland zu vertiefen und damit unsere Beziehungen auch für schwieriger werdende Zeiten belastbarer zu machen. Auf Unterstellungen wie „Schaufensterpolitik“ oder „Russlandpolitik mit ängstlichem Blick auf die Schlagzeilen der Presse“ sollten wir verzichten. Das sind nicht nur sachlich falsche Vokabeln, sie helfen auch keinem von uns in unserem gemeinsamen Bemühen, die Beziehungen zu Russland zu verbessern. Im Gegenteil: Bei unseren Partnern werden dadurch Irritationen hervorgerufen, die uns allen schaden, erst recht, da weder in der Sache noch in den Zielen ein Gegensatz besteht. Es wäre nicht gut, wenn nach außen der Eindruck entstünde, die Koalitionspartner verfolgten in der Außenpolitik unterschiedliche Ziele oder seien sogar gegeneinander auszuspielen; ({6}) denn dann würden wir genau das verspielen, was wir in den letzten zwei Jahren gemeinsam wiederaufgebaut haben, verehrter Herr Kollege, nämlich Vertrauen in die deutsche Politik und Einfluss der deutschen Politik. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Wolfgang Gehrcke für die Fraktion Die Linke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, ich glaube schon, dass man die Gefühle nach der Konferenz in Annapolis auf einen Begriff bringen kann. Ich empfinde eine Skepsis des Verstandes und eine Leidenschaft der Hoffnung. ({0}) - Ja, da können Sie auch einmal ein bisschen lernen. ({1}) Skepsis des Verstandes und Leidenschaft der Hoffnung! Die Hoffnung kann man ganz einfach beschreiben: Solange verhandelt wird, wird hoffentlich nicht aufeinander geschossen. ({2}) Ich möchte - das will ich dazusagen -, dass meine Freundinnen und Freunde in Israel wieder ohne Furcht in ein Café gehen können. Und ich möchte, dass sich meine Freundinnen und Freunde in Palästina einschließlich Gaza im eigenen Land frei bewegen können. ({3}) Das ist meine Hoffnung in diesem Prozess. Diese Hoffnung will ich ausdrücken. Wenn die Verhandlungen dahin führen - auf welchem Weg auch immer -, dann muss man sie unterstützen; dann muss man sie vorwärtstreiben; dann muss man sie kritisieren. All das gehört dazu. Ich glaube, dass es dringend notwendig wird, dass endlich Klarheit über den Endstatus in Israel und Palästina herrscht. Die Bundeskanzlerin hat vorhin davon gesprochen - das fand ich sehr interessant -, dass die deutsche Außenpolitik auf Werte aufgebaut sei. ({4}) Ich halte es seit langem für notwendig, dass wir uns einmal grundlegender über die Philosophie der deutschen Außenpolitik und damit über Werte auseinandersetzen. Die Bundeskanzlerin hat zwei Werte genannt: Menschenrechte und ökonomische Interessen. Das ist - das will ich zugeben - schon einmal ein Fortschritt geWolfgang Gehrcke genüber Rot-Grün; denn Rot-Grün hat immer nur von Menschenrechten gesprochen, aber völlig anders gehandelt. ({5}) Die Bundeskanzlerin gibt zumindest zu, dass ökonomische Interessen Politik steuern. Das ist, finde ich, ein Vorteil in Bezug auf die Wahrheitsfindung. ({6}) Allerdings werden Menschenrechte nach meinem Eindruck mehr und mehr als Argument gebraucht, um ökonomische Interessen zu verschleiern. ({7}) Der ganze Krieg gegen den Terror ist im Kern, wenn die ganze ideologische Soße einmal weggenommen wird, nichts anderes als ein Krieg um Naturressourcen und geostrategische Macht in der Welt. Das ist der Kern des Krieges gegen den Terror. ({8}) Wenn man mit dieser Politik nicht bricht, wird man andere Probleme nicht lösen können. Ich will Ihnen eine andere Philosophie der Außenpolitik, wie sie mir und meiner Fraktion vorschwebt, ein wenig vorstellen. Ich möchte schon, dass endlich einmal wieder darüber nachgedacht wird, ob eine mit den Worten „Deutschland verweigert den Kriegsdienst und bekennt sich zu sozialer globaler Gerechtigkeit“ umschriebene Philosophie nicht eine andere und, wie ich denke, bessere Philosophie der Außenpolitik wäre. ({9}) Ein Pfeiler dieser Philosophie der ist für mich, dass man sich unbedingt dem Völkerrecht und der Charta der Vereinten Nationen verpflichtet und nicht, wie die Bundesregierung das tut, funktional mit dem Völkerrecht umgeht. Was Herr Schockenhoff hier zum Kosovo gesagt hat, war nichts anderes als ein Aufruf zum Bruch der UN-Resolution 1244 und zum Bruch des Völkerrechtes. ({10}) Das wäre Völkerrecht nach Gutsherrenart, hat aber mit eigentlichem Völkerrecht überhaupt nichts mehr zu tun. Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, dass man globale soziale Gerechtigkeit, die für mich Klima- und Energiepolitik einbezieht, nur dann durchsetzen kann, wenn man auch klar gegen die Macht der transnationalen Konzerne Politik macht. ({11}) Ohne das geht es einfach nicht. Die Welt ist nun einmal kein Selbstbedienungsladen für die transnationalen Konzerne und für die USA. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass ich mich darüber freue, wenn in lateinamerikanischen Staaten Energiequellen wieder verstaatlicht werden. Das halte ich für dringend notwendig. ({12}) Zu einer solchen Außenpolitik würde gehören, dass man endlich nicht nur über Abrüstung redet - der Außenminister redet häufig darüber; das kritisiere ich gar nicht; das finde ich sogar notwendig - und sich verbal dazu bekennt, sondern, um Abrüstung in Gang zu bringen, auch einseitige Abrüstungsvorschläge im eigenen Land verwirklicht. ({13}) Die Bundesregierung kann damit anfangen, indem sie fordert, dass endlich die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. ({14}) Schlussendlich: Außenpolitik ist - und das begrüße ich - Gott sei Dank kein Privileg der Bundesregierung oder anderer Regierungen mehr. Demokratisierung in der Außenpolitik heißt, dass die Bevölkerung selbst - genauso wie das Parlament - über die Außenpolitik nicht nur mitredet, sondern auch mitentscheidet. ({15}) Das wäre unsere außenpolitische Philosophie. Herzlichen Dank. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Mich hat gerade die außerordentlich erfreuliche Nachricht ereilt, dass die angesehene Zeitschrift European Voice, ein Produkt aus dem Hause des Economist, unseren Außenminister zum Diplomaten des Jahres gewählt hat. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Das mag den einen oder anderen den Umstand leichter ertragen lassen, dass die Bundeskanzlerin von derselben Zeitschrift zur Regierungschefin des Jahres gewählt wurde. ({1}) Die Bundeskanzlerin hat vor einigen Wochen den Dalai Lama im Bundeskanzleramt empfangen. Sie ist dafür nicht nur von meiner Fraktion, sondern auch von der demokratischen Opposition dieses Hauses gelobt worden. Sie hat damit das Wahlversprechen, das die Sozialdemokraten in den Jahren 1998 und 2002 in den Tibetwahlprüfsteinen gegeben hatten, eingelöst, nämlich dass ein sozialdemokratischer Bundeskanzler den Dalai Lama empfangen wird. Gerhard Schröder ist möglicherweise wegen der Verkürzung der letzten Wahlperiode dazu nicht mehr gekommen. Jedenfalls wurden Termingründe angeführt, warum ein solches Treffen in den sieben Jahren seiner Regierung nicht stattgefunden hat. Umso erfreulicher ist, dass dieses sozialdemokratische Wahlversprechen nun von der christlich-demokratischen Bundeskanzlerin zur Mitte der Legislaturperiode eingelöst wurde. ({2}) Der Streit, der sich in der Öffentlichkeit daran entzündet hat, hat, glaube ich, auch etwas damit zu tun, wie man das Verhältnis zwischen Interessen und Überzeugungen in der Außenpolitik beurteilt. Herr Gehrcke, Sie haben sich gerade an Ausführungen dazu versucht. Ich will hier deutlich sagen: Wir bekennen uns zu einer wertegeleiteten Realpolitik. Das heißt, Interessen und Überzeugungen sind nicht voneinander zu trennen. Wer glaubt, in der Außenpolitik gehe es allein um Interessen, ist ein Zyniker. Wer glaubt, in der Außenpolitik gehe es allein um Werte, ist auf dem besten Wege, aus Enttäuschung ein Zyniker zu werden. Es ist das Wesen nicht nur, aber ganz besonders der Außenpolitik, dass beides miteinander verbunden ist. Verletzungen der Menschenrechte sowie der Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stellen bei weitem nicht nur, aber auch Investitionshindernisse dar. Das zeigt, wie sehr Prinzipien und Interessen miteinander verbunden sind. Menschenrechtspolitik braucht den nachhaltigen Einsatz hinter verschlossenen Türen. Aber ein solcher Einsatz wird nur dann erfolgreich sein, wenn er von einem glaubhaften öffentlichen Bekenntnis begleitet ist. ({3}) Wer nicht bereit ist, sich öffentlich zu den Menschenrechten in einer freien Gesellschaft zu bekennen und das an seinem Handeln erkennen zu lassen, der hat nicht nur nach chinesischem Verständnis sein Gesicht verloren. Damit leite ich über zur Frage der Asienpolitik, die in der letzten Zeit auch eine Rolle gespielt hat: Meine Fraktion hat einen Kongress zur Asienpolitik veranstaltet und dazu ein Papier vorgelegt. Einer der wesentlichen Punkte dieses Papiers ist, dass wir uns von einem vor allem ökonomisch bestimmten Blick auf Asien lösen und endlich die politischen, geopolitischen und sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Aufstiegs Asiens mitberücksichtigen müssen. Das heißt nicht weniger Ökonomie, sondern mehr Ökonomie. Das heißt nicht weniger China, sondern mehr China. Aber es heißt vor allem, dass wir uns nicht nur auf die Ökonomie und auf China konzentrieren dürfen, sondern dass wir auch die anderen Länder der Region, insbesondere die demokratischen, stärker in unseren Fokus rücken müssen. Dazu gehören traditionell demokratische Länder und Partner wie Japan, Südkorea, Indien und bestimmte ASEAN-Staaten, aber auch Australien und Neuseeland. Deswegen finde ich es bedauerlich, dass die Bundesregierung auf dem jüngsten Jubiläumsgipfel der ASEAN in Singapur nur durch einen Beamten und nicht durch einen Staatsminister vertreten war. Es wäre besser gewesen, wenn wir dort auch eine politische Repräsentanz gezeigt hätten; denn wir müssen bei allem Reden übereinander darauf achten, dass sich der schleichende Prozess der Entfremdung der ASEAN-Staaten von Europa nicht fortsetzt, sondern in sein Gegenteil verkehrt wird. Dazu gehört zunächst einmal, dass auch solche Treffen angemessen wahrgenommen werden. ({4}) Das Vorgehen, die Zusammenarbeit mit den Demokratien in Asien zu konstituieren und auszubauen, weil damit auch in Asien für ein stabileres Umfeld gesorgt werden kann - dahinter steht im Grunde die Binsenweisheit, dass Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu stabileren politischen Verhältnissen führen -, ist nun als neokonservativ kritisiert worden. Ein Kollege, der das tut, finde ich, weiß nicht, was neokonservativ ist, und er hat relativ wenig Ahnung von Asien oder von Außenpolitik. Ihm würde ich empfehlen, ausnahmsweise einmal eine längere Reise nach Asien zu unternehmen und die Heimreise erst wieder anzutreten, wenn er sich mit diesen Fragen wirklich beschäftigt hat. Die neuseeländische Premierministerin Helen Clark jedenfalls, die jüngst in der Stadt war, hat am Montag öffentlich kundgetan, dass sie unsere Analyse und die Konsequenzen für die Asienpolitik ausdrücklich teilt. Wir setzen uns für bessere Beziehungen zu China ein. Wir stehen zur Ein-China-Politik. Wir haben ein Interesse am Erfolg Chinas, und wir befürworten, dass China eine größere, verantwortungsvolle internationale Rolle einnimmt. Es ist gerade das Nullsummendenken des Kalten Krieges, das das eine gegen das andere ausspielen will. Aber dazu gehört auch, dass wir China auf Augenhöhe begegnen und dass wir darauf achten, dass zum Beispiel der Handel, den wir mit China betreiben, nicht asymmetrisch verläuft. Während Chinas Exporte in die Europäische Union boomen, importieren 1,3 Milliarden Chinesen weniger aus Europa als 7,5 Millionen Schweizer. Dabei kann es nicht bleiben. Die beiden wesentlichen Gründe dafür sind zum einen die künstlich unterbewertete chinesische Währung und zum anderen der chinesische Protektionismus gegenüber dem Marktzugang europäischer und internationaler Unternehmen. Das kann so nicht weitergehen. Auch das müssen wir ansprechen dürfen, genauso wie Fragen der Menschenrechte, ohne dass man sich gleich den Vorwurf einhandelt, neokonservativ zu sein oder die deutsch-chinesischen Beziehungen zu stören. Es gibt aber auch eine gute Nachricht, und die will ich ans Ende stellen. Der Parlamentarische Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Gerd Müller hat gerade eine Vereinbarung zur engeren Zusammenarbeit in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Tier- und Pflanzengesundheit unterzeichnet und damit gezeigt, dass es in den deutsch-chinesischen Beziehungen weitergeht. Die guten Beziehungen, die auch im chinesischen Interesse sind, werden fortdauern. Wir alle werden uns, unseren Interessen, aber auch unseren Prinzipien folgend, dafür engagieren, dass sich die Beziehungen zu China und zu Asien weiter gut entwickeln können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Kerstin Müller für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Schockenhoff hier eher die große Einigkeit der großen Koalition beschworen ({0}) und Herr von Klaeden die Kontroverse nochmal aufgemacht hat, möchte ich vorweg einige Bemerkungen zur außenpolitischen Halbzeitbilanz dieser Bundesregierung machen. Der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, hat in der Tat pünktlich zur Halbzeitbilanz - Herr von Klaeden hat es angesprochen - recht schwere Vorwürfe gegen die außenpolitische Linie der Kanzlerin erhoben. Er wirft ihr vor, mit der menschenrechtsorientierten Außenpolitik letztlich eine knallharte Politik der Konfrontation gegen gleich drei wichtige Partner Deutschlands - China, Russland und Türkei - zu verfolgen. Das sei eine Politik der „amerikanischen Neokonservativen“. Sie, Herr Außenminister, haben zu dieser Kontroverse heute hier natürlich nichts gesagt, aber Sie haben der Kanzlerin an anderer Stelle „Schaufensterpolitik“ in Sachen Menschenrechtspolitik vorgeworfen. Das ist, finde ich, wirklich starker Tobak. Das macht vor allen Dingen deutlich, dass nicht nur in der Innenpolitik, sondern auch in der Außenpolitik der Großen Koalition keine klare Linie erkennbar ist. Was gilt denn nun? ({1}) Ich bitte wirklich darum, dass hier eine Klärung erfolgt und man nicht so tut, als seien Sie sich in den Grundlinien einig. ({2}) Gilt jetzt also die Symbolpolitik der Kanzlerin oder eine Politik des sogenannten Dialogs, wie es Herr Heil genannt hat? Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Gerade in der Menschenrechtspolitik kann Symbolpolitik eine ganz wichtige Rolle spielen, auch wenn das hier und da um den Preis wirtschaftlicher Profite geschieht. Ich meine auch, dass sich deutsche Außenpolitik nicht auf reine Außenwirtschaftspolitik beschränken darf. Aber wichtig ist auch, dass danach konsequentes Engagement folgt, also etwas, was den russischen Oppositionellen, den Tibetanern am Ende wirklich hilft. ({3}) Schließlich ist diese Politik nur dann glaubwürdig, wenn sie nicht doppelten Standards folgt. Man kann nicht einerseits China und Russland laut kritisieren und andererseits zu den Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien schweigen, wenn eine hochrangige Delegation hier in Deutschland ist. Das ist eben nicht glaubwürdig. ({4}) Ich glaube, wenn diese Linie in der Außenpolitik nicht geklärt wird, dann wird eines jedenfalls sonnenklar - das würde ich sehr bedauern -: Es geht nicht mehr um den besseren Weg in der Menschenrechtspolitik, sondern es geht ab jetzt nur noch um Wahlkampf. ({5}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Zumutung nicht nur für uns, sondern auch für die Wählerinnen und Wähler. ({6}) Zu Nahost und Annapolis. Ob Annapolis nicht doch nur ein Fototermin war oder wirklich der Auftakt zu einem ernsthaften Verhandlungsprozess für eine Zweistaatenlösung - wir wünschen uns ja alle, dass es das ist -, muss wirklich erst noch die Zukunft zeigen. Sicher ist: Im Moment ist das die einzige Chance für einen Prozess; da stimme ich Ihnen zu. Sicher ist allerdings auch, dass beide Parteien, Abbas und Olmert, in ihren Gesellschaften wenig Rückhalt für die Umsetzung substanzieller Fortschritte haben. In Israel sitzen die Gegner - sie haben sich ja auch sofort zu Wort gemeldet - sogar in der eigenen Regierung. Die Hamas mobilisiert mit Unterstützung Irans Kräfte gegen eine Friedenslösung. Ich glaube, deshalb ist es umso wichtiger, dass es schnell sichtbare Fortschritte - wie man so sagt - on the ground gibt, also für Abbas in der Siedlungsfrage und für Olmert in der Frage der Sicherheit. Die Last der Hauptvermittlung liegt bei den USA. Leider hat die Bush-Administration die Dinge zu lange treiben lassen. Sie setzt jetzt doch noch auf eine multilaterale Lösung. Aber der Zeitraum von einem Jahr, den man sich zum Ziel gesetzt hat, ist sicherlich sehr knapp bemessen, um sämtliche Kernfragen zu klären. Es wurde ja gestern angekündigt, dass es dabei um die Frage der Grenzen, der Siedlungen, die Jerusalemfrage und die Flüchtlingsfrage geht. Man muss Israel dazu bewegen - ich glaube, das ist ganz wichtig -, gerade während des Verhandlungsprozesses klare Signale für einen Siedlungsstopp zu geben. Das ist für die moderaten Kräfte um Abbas wichtig. Es geht aber auch um den Abbau von Checkpoints, die Freilassung von Gefangenen. All das könnte diese stärken. ({7}) Kerstin Müller ({8}) Ein sehr wichtiger Schritt, vielleicht einer der wichtigsten, ist in der Tat die Tatsache, dass Syrien mit am Tisch saß und hoffentlich auch in der Zukunft sitzt. ({9}) Das war ein Erfolg der deutschen Außenpolitik - das will ich hier sehr klar sagen -, den wir auch sehr begrüßen. ({10}) Es muss nun gelingen - ich hoffe, dass Sie, Herr Außenminister, da weiter die entsprechende Rolle spielen werden -, dass Israelis und Syrer an einen Tisch kommen. Die Einbindung Syriens, seine schrittweise Loslösung aus der Achse mit Iran ist wichtig für die gesamte regionale Entspannung und von absolut zentraler Bedeutung. Gefragt ist aber auch weiter die EU. Was ist eigentlich ihre Rolle? Der EU-Aktionsplan war zwar richtig und gut - das habe ich auch mehrfach im Ausschuss gesagt -, ich meine aber, er ist nicht ausreichend. Die EU muss klären, was sie zur Lösung der Kernfragen beitragen kann, zum Beispiel, indem sie die Palästinenser stärker beim Aufbau eines effektiven Sicherheitsapparats - da gibt es ja schon erste Ansätze - oder auch bei der ganz schwierigen Frage der Flüchtlingsrückkehr unterstützt. Könnte die EU nicht überlegen, schon jetzt einen Entschädigungsfonds für diejenigen Palästinenser vorzubereiten, die - das wird ja die Mehrzahl sein - nach Israel nicht zurückkehren können? ({11}) Dabei könnte die Europäische Union eine eigene Rolle spielen. Wir erwarten ein aktives Engagement der Bundesregierung im weiteren Verlauf des Annapolis-Prozesses. Wir werben auch für eine eigenständige Rolle der Europäischen Union dabei. ({12}) Die Situation in Gaza ist ganz klar einer der Stolpersteine. Ohne einen neuen innerpalästinensischen Dialog mit der Hamas wird es für Gaza und insgesamt keine friedliche Lösung geben. Das müssen die USA und Israel einsehen. Das hat überhaupt nichts mit Sympathien für die Hamas zu tun. Ich glaube, wir kommen um diesen innerpalästinensischen Dialog nicht herum; sonst fliegt uns der gerade gestartete Friedensprozess gleich wieder um die Ohren. Wir brauchen Fortschritte im Nahen Osten auch, um die arabischen Staaten in den diplomatischen Prozess zur Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm einzubinden. Dieser Prozess geht im Dezember auf der Grundlage der Berichte in eine neue Runde. Ich fordere die Bundesregierung hier dazu auf, weiterhin konsequent im UN-Sicherheitsrat vorzugehen. Meiner Meinung nach ist das jetzt das Gebot der Stunde. Gleichzeitig erwarten wir neue Vorschläge für einen Kompromiss bei der Frage der Aussetzung. Die Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft war bisher das zentrale Instrument. Ich will hier sehr deutlich sagen: Ich glaube, dass eine Eskalationsrhetorik, wie wir sie von Vertretern der Bush-Administration immer wieder hören, gefährlich und nicht der richtige Weg ist. Ich bedauere sehr, dass es die Bundeskanzlerin in den USA vorgezogen hat, zu dem leichtsinnigen Sinnieren von Bush über einen dritten Weltkrieg zu schweigen. Wir hätten hier deutliche Worte erwartet. Es gibt keine militärische Lösung. Es gibt im Iran-Konflikt nur eine Verhandlungslösung. ({13}) Ein allerletzter Punkt. Wir dürfen im Atomstreit die iranische Zivilgesellschaft nicht vergessen. Es gibt gerade hier eine ganz harte Repressionswelle. In der Atomfrage gibt es ein ermutigendes Signal aus der iranischen Zivilgesellschaft: Die Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi hat eine Friedensgruppe gegründet, die sowohl vom Iran als auch von den USA die Einhaltung des internationalen Rechts fordert. Das zeigt meiner Meinung nach: Wir müssen im Atomstreit jede Eskalationsrhetorik zurückweisen. Wir müssen der iranischen Bevölkerung immer wieder glaubhaft machen: Die UN-Sanktionen sind nicht gegen die iranische Bevölkerung gerichtet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nur so können wir das iranische Regime gemeinsam an den Verhandlungstisch bringen. Danke. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Gert Weisskirchen hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, dass von Annapolis ein ganz ermutigendes Zeichen ausgeht. Es macht deutlich, dass die Betroffenen, also Palästina und Israel, nicht nur bereit sind, sich aufeinander zuzubewegen, sondern auch bereit sind, in bilateralen Gesprächen dafür zu sorgen, dass die wirklichen Konfliktpunkte jetzt angegangen werden können. Einer dieser Punkte, lieber Kollege Mark und liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuss, wird sein, dass den 500 Millionen Euro, die allein in diesem Jahr zur finanziellen Unterstützung der palästinensischen Autorität bereitgestellt werden, weitere 500 Millionen Euro hinzugefügt werden, und zwar spätestens am 17. Dezember, liebe Kollegin Müller, wenn - wohl in Paris - die Pledge-Conference stattfinden wird. Dort wird darüber nachzudenken sein, wie der BeiGert Weisskirchen ({0}) trag der Europäischen Union aussehen kann, damit die Chance besteht, dass der Prozess, der jetzt so wunderbar begonnen hat, Fuß greift und zu einem nachhaltigen wird. Es geht jetzt darum, dafür zu sorgen, dass sich das gesamte regionale Umfeld auf den Frieden konzentriert, nachdem in den letzten sieben Jahren nichts geschehen ist. Im Gegenteil: In den Regionen, in Palästina sind die Ängste eher größer geworden. Nicht vergessen werden darf auch, dass auf Israel Kassam-Raketen abgefeuert wurden und dort schreckliche Attentate stattgefunden haben. Diese Gewaltspirale kann jetzt unterbrochen werden. Dies ist allein schon ein ermutigendes Zeichen, das uns von Annapolis übermittelt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wer einmal in die Erklärung geblickt hat, die Olmert und Abbas abgegeben haben, wird erkennen, was Werteorientierung der Außenpolitik bedeutet. Ich zitiere daraus nur einen Satz: Wir bringen unsere Entschlossenheit zum Ausdruck, das Blutvergießen, das Leiden und die Jahrzehnte des Konflikts zwischen unseren Völkern zu beenden. Was ist dies anderes als werteorientierte Außenpolitik? Daran mitzuhelfen, dass die ineinander verhakten Ängste, die so viel Leid verursacht haben, nun entkrampft werden können und ein Prozess der Entspannung vorangetrieben werden kann, das ist in praxi werteorientierte Außenpolitik, nichts anderes. Wir sollten nicht über irgendwelche abstrakten Konstruktionen reden. Hier geht es um die Freiheit der Menschen sowie darum, dass sie ihr Menschenrecht auf die Gestaltung eines unversehrten Lebens wahrnehmen können. Dafür muss der Frieden so weit wie möglich von außen als Stabilitätsfaktor in die Region hineingebracht werden. Genau dies kann eine werteorientierte Außenpolitik leisten. Ich füge in aller Deutlichkeit hinzu: Erfunden wurde dieser Prozess, der zur Roadmap führte, drüben im Außenamt gemeinsam von Joschka Fischer und Gerhard Schröder. Die Erkenntnis von Condoleezza Rice und George W. Bush hat darin bestanden, die Grundelemente der Roadmap aufzunehmen und eine Roadmap plus zu entwerfen. Dies ist werteorientierte Außenpolitik in der Kontinuität der rot-grünen Koalition und der gegenwärtigen Koalition. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst uns dies nicht vergessen. ({2}) Ich komme nun zu einem weiteren Bereich werteorientierter Außenpolitik. Schauen Sie sich bitte einmal die Artikel an, die heute Erhard Eppler in der Süddeutschen Zeitung und Herbert Kremp in der Welt veröffentlicht haben. Wenn man beide Artikel sehr genau liest und ihre Argumente auf den Kern reduziert, dann wird man Folgendes feststellen: Beide sagen, dass China und Russland - Herbert Kremp spricht auch von Indien - die neue Machtkonstellation darstellen. Erhard Eppler spricht hier von der multipolaren Weltordnung der Zukunft. In der Tat, lieber Kollege von Klaeden, müssen wir uns darüber verständigen, was diese neue Dynamik in jener östlichen Region für uns bedeutet. Darauf gibt Erhardt Eppler eine klare und, wie ich finde, überzeugende Antwort: Wenn wir Europäer überhaupt eine Chance haben wollen, in dieser neuen Mächtekonstellation unsere europäische Auffassung von Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit als ein Denkmodell durchzusetzen, dann müssen wir eine neue außenpolitische Debatte führen und darüber nachdenken, welchen eigenständigen Beitrag wir für ein neues Selbstverständnis von Außenpolitik leisten können. Nur so werden wir Europäer - wir können es nur gemeinsam - in dieser neuen Konstellation überhaupt eine Stimme haben. Ich bitte darum, dass wir im Auswärtigen Ausschuss oder wo auch immer diesen Punkt ganz bewusst konzeptionell aufnehmen. Hier spielen nämlich Fragen der Menschenrechte, der Freiheit und des Friedens eine ganz zentrale Rolle. Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel in der Phase der Entspannungspolitik sowie Joschka Fischer und jetzt Frank-Walter Steinmeier haben dazu einen eigenständigen europäischen Beitrag geleistet. Der historische Beitrag muss jetzt wieder aufgegriffen und an die neuen Erfordernisse angepasst werden. Die wesentliche Erkenntnis aus der Zeit des Kalten Krieges ist, dass die damalige Formel „Wandel durch Annäherung“ im Osten Europas zu Freiheit und zur Einhaltung der Menschenrechte geführt hat. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. - Es käme jetzt darauf an, eine neue Formel zu erfinden. Ich finde, dass der Außenminister an diesem Punkt konzeptionell richtig sagt, es komme jetzt auf die Annäherung durch die Verflechtung der Gesellschaften, der Ökonomien und der Menschen untereinander an. Das ist die neue Aufgabe einer europäischen Außenpolitik. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Michael Link das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch die FDP schließt sich pflichtschuldig gerne dem Glückwunsch zur Wahl zum Diplomaten bzw. zur Regierungschefin des Jahres durch European Voice an. Ich kann mich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass nur Michael Link ({0}) das erste Halbjahr ausgezeichnet worden ist. Für das zweite Halbjahr muss ich für meine Fraktion leider feststellen, dass sich der Bundesaußenminister und die Regierungschefin deutlich unter Wert verkaufen. Das klang in fast allen Redebeiträgen an; selbst in den Beiträgen der Koalitionsfraktionen schimmerte durch, dass die Unterschiede zwischen diesen beiden Fraktionen immer deutlicher werden. Unsere Partner in der EU und außerhalb fragen sich bei den oftmals zwischen CDU/CSU und SPD bzw. Kanzleramt und Auswärtigem Amt auseinanderlaufenden Stellungnahmen, was eigentlich Wahlkampf und was die deutsche Position ist. Das kann im deutschen Interesse nicht so weitergehen. ({1}) Mit der Russlandpolitik und der Chinapolitik sind schon entsprechende Beispiele genannt worden. Herr Weisskirchen hat das Thema Veränderung durch Verflechtung erwähnt. Was dieses Thema angeht, kann ich nur viel Spaß wünschen. Ich bin sehr gespannt auf die Äußerungen seitens der CDU/CSU-Fraktion, wie man russlandpolitisch an diesem Thema weiterarbeiten will. Ich sehe intern sogar noch eine Verschärfung der Probleme. ({2}) Wir können noch andere Beispiele nennen. Was das sehr wichtige Thema Türkei angeht, stelle ich fest, dass es in der Regierungskoalition leider fast diametral entgegengesetzte Positionen gibt. Das Ergebnis ist, dass wir leider in diesem Bereich die Entwicklung in Brüssel nicht mitbestimmen, sondern andere die Debatte bestimmen. Das kann und darf nicht so weitergehen, vor allem deshalb, weil angesichts einer nach oben hin entwicklungsfähigen portugiesischen Präsidentschaft - wir haben nicht mehr viel Zeit, wir hätten von dieser Präsidentschaft mehr erwartet - dringend erforderlich wäre, dass Deutschland gemäß seinem Gewicht aktiv bleibt und das Wort Triopräsidentschaft mit Leben füllt. Ich denke, wir alle haben uns unter Triopräsidentschaft etwas mehr vorgestellt. Wir wissen zwar, dass das nicht über Nacht möglich ist - es ist die erste Triopräsidentschaft -, aber wir hoffen, dass Deutschland zumindest unter der so wichtigen slowenischen Präsidentschaft wieder eine stärkere Rolle spielen wird. Das ist notwendig; denn gerade die Ratifizierung und viele andere wichtige Themen sind noch lange nicht über dem Berg. Um nur das Beispiel der EU-NATO-Kooperation zu nennen: Dies ist ein harziges und schwieriges Thema, das vielen nicht gefällt, aber wir brauchen diese Kooperation dringend. Wir brauchen die Fortentwicklung der Berlin-PlusVereinbarung. In diesem Bereich liegt vieles im Argen. Auch hier ist in der Diskussion Führerschaft aus Berlin gefordert. Man kann viel entwickeln, auch wenn man nicht die EU-Präsidentschaft innehat. Es hat gute Tradition, auch das Thema EU-Haushalt kurz anzusprechen. Es ist sehr wichtig, dies zu thematisieren, weil im nächsten Jahr zwei wichtige Entscheidungen anstehen. Sie betreffen zum einen die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses - diese Entscheidung ist eher technisch, aber, weil es um sieben Jahre und um immerhin 20 Milliarden Euro pro Jahr aus Steuermitteln geht, doch wichtig - und zum anderen das sehr wichtige Thema Revision des EU-Haushalts 2008/2009. Hierbei sollten wir als Bundestag dringend unsere neuen Rechte und die bis April laufende Konsultationsphase der Kommission nutzen und offiziell Stellung nehmen. Wir sollten diese Phase nicht verstreichen lassen, und wir sollten uns dann über die schwierige Frage unterhalten, wie wir uns zu der Forderung Ihrer Kollegen aus CDU und SPD im Europäischen Parlament nach einer neuen Eigenmittelquelle in Form einer EU-Steuer stellen. Darauf bin ich schon gespannt. Die SPD hat beschlossen - ich habe diesen wunderschönen Parteitagsbeschluss mitgebracht -, für weniger Zuweisungen aus dem nationalen Haushalt und den langfristigen Aufbau einer neuen Eigenmittelquelle zu plädieren. Das ist nichts anderes als die Art von EUSteuer, die leider auch der konservative Berichterstatter des Europäischen Parlaments Lamassoure anstrebt. Es ist dringend erforderlich, dass sich der Bundestag hierzu äußert. Ich bin sehr gespannt, wie sich CDU und SPD bei diesem Punkt verhalten werden. Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Wir von der FDP werden bei den wichtigen Themen des Jahres 2008 europapolitisch Kurs halten. Das gilt für den EU-Haushalt, bei dem wir uns klar gegen eine EUSteuer aussprechen, und natürlich für die Ratifizierung des neuen EU-Vertrags, wo wir an der Seite der Bundesregierung stehen; dieser Vertrag muss zügig ratifiziert werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Kollegin Erika Steinbach das Wort. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Deutsche Außenpolitik muss natürlich Interessenpolitik sein. Wer aber glaubt, dass deutsches Interesse sich nur an vollen Auftragsbüchern orientieren darf, der irrt wirklich fundamental. Geld stinkt nicht, pecunia non olet, heißt es leider häufig genug sehr lapidar. Geld schreit auch nicht, wenn es auf dem Rücken gequälter Menschen verdient wird. Wir in diesem Hause haben aber die Verpflichtung, diese Schreie zu hören. Auch eingehaltene Menschenrechte liegen im deutschen Interesse. Bei deren Verletzung sollten die internationalen Spielregeln, nach denen man sich zu richten hat, für alle deutlich gemacht werden. Das ist auch im Interesse der deutschen Wirtschaft; das will ich ganz deutlich sagen. Denn wer Menschenrechte verletzt, der verletzt auch ohne Hemmungen andere Regeln - Stichwort: Produktpiraterie. Wir müssen Menschenrechte immer wieder von allen einfordern, die sich mit uns einlassen: gegen Einschüchterungen, gegen Verheißungen anderer Vorteile, gegen Versuchungen. Um aber glaubwürdig Menschenrechte durchzusetzen, muss man die Falschspieler dieser Welt an ihre Verpflichtung auf die Regeln der UNO erinnern und schließlich auch ihre Verfehlungen benennen. ({0}) Es nützt doch nichts, so zu tun, als bemerkte man die gezinkten Karten der anderen nicht. Das Risiko muss auf der Seite der Menschenrechtsverletzer liegen. Ihre Stärke gegen die Schwachen und Hilflosen zu Hause muss am Ende aber auf dem diplomatischen Parkett ihre Schwäche sein. Das funktioniert aber nur dann, wenn die Vertreter der demokratischen Werte und der Menschenrechte willens sind, dies auch öffentlich und gemeinsam deutlich zu machen. Genau das hat deutsche Außenpolitik zu leisten, und die Bundeskanzlerin tut das nachdrücklich, sehr offensiv und vorbildlich. ({1}) Sie weiß um die Schwäche herrschender Unrechtssysteme, denn sie kennt die Schwäche solcher Systeme aus persönlicher Erfahrung und weiß auch, an welchen Punkten man nicht nachgeben darf. Deshalb, Herr Außenminister, seien auch Sie beherzt, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte geht und um die Forderungen derjenigen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind. Gerade eine aufrechte Haltung erzielt Wirkung beim Gegenüber. Werte sind letzten Endes mächtiger als Geld. Der Dalai Lama ist die Inkarnation der Friedfertigkeit und der Gewaltlosigkeit. Ihn in der deutschen Hauptstadt zu empfangen, war in der Tat ein richtiges Zeichen, und dafür gebührt der Bundeskanzlerin unser aller Respekt. Einen solchen Mann empfängt man nicht verschämt im Hinterstübchen, sondern, wie es Angela Merkel getan hat, vor aller Welt im Kanzleramt. Das war richtig, und das war ein Zeichen nach außen. ({2}) Von daher habe ich durchaus ziemlich fassungslos die offene Kritik des Altbundeskanzlers Schröder zur Kenntnis genommen, mit dem Empfang des Dalai Lama habe die Kanzlerin chinesische Gefühle verletzt, und er sei unglücklich über das Verhalten seiner Nachfolgerin. Er sollte doch einmal nach den Gefühlen derjenigen fragen, die in China in Lagern für die ganze Welt schuften und billig das produzieren, was hier verkauft wird. Er sollte diejenigen befragen, die wegen der Olympischen Spiele aus ihren Häusern vertrieben wurden. Er sollte die Christen fragen, die ihren Glauben nur geheim leben können - wenn sie dem Staat nicht willfährig sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weisskirchen?

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Steinbach, wie bewerten Sie, dass der vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder - Sie haben ihn eben erwähnt - den Menschenrechtsdialog mit China dadurch befördert hat, dass unter seiner Kanzlerschaft Jürgen Habermas nach China gereist ist und dort in unterschiedlichen Debatten an Universitäten genau diesen Gedanken kontrovers mit einer ganzen Reihe von Mitstreitern und Mitdiskutanten dargestellt hat?

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle fest, dass dies in der Weltöffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde. ({0}) Aber ich stelle auch fest, dass der Empfang des Dalai Lama durch die Bundeskanzlerin Merkel überall auf dem Globus deutlich wahrgenommen wurde. Gerhard Schröder hat sich geweigert, den Dalai Lama im Kanzleramt zu empfangen. Das ist ein Signal. ({1}) Es geht nicht nur darum, dass ein ehemaliger Bundeskanzler der jetzigen Regierungschefin im Ausland derart in den Rücken fällt, sondern auch darum - Herr Kollege Weisskirchen, letzten Endes denken Sie nicht anders darüber -, dass damit all denjenigen Menschen und Organisationen, die sich weltweit für die Menschenrechte engagieren, ein Schlag ins Gesicht versetzt wird. Dies schmerzt doch diejenigen, die sich tagtäglich ehrenamtlich für andere einsetzen. Ich bin sehr dafür, dass wir über das Wie in der Menschenrechtspolitik eine ernsthafte Debatte führen. Aber eine solche ernsthafte Debatte kann nur gelingen, wenn wir in Deutschland gemeinsam vorgehen und wenn diese Diskussion nicht von vornherein erschwert wird. Herr Außenminister, Sie sind ein liebenswürdiger und freundlicher Mensch. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass es schon schwerfällt, Ihrem früheren Chef öffentlich entgegenzutreten, wenn er die Kanzlerin ins Visier nimmt. Ich hätte mir schon gewünscht, Sie hätten dazu lieber gar nichts gesagt. ({2}) Autoritäre Regime, die Menschenrechte missachten, sind selten verlässliche Partner; das können wir deutlich feststellen. Daher kann ich - erst recht vor dem Hintergrund der leidvollen europäischen Erfahrungen im 20. Jahrhundert - jeden vor einer neuen Politik des Appeasement nur ausdrücklich warnen; denn am Ende zahlen nämlich wir alle den Preis. Dann werden uns die fehlenden Menschenrechte teuer zu stehen kommen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Hakki Keskin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kritik der Linken an der Europäischen Union und vor allem am EU-Reformvertrag wird nicht selten als eine antieuropäische Haltung verstanden. Dies ist eine nicht akzeptable, vielleicht sogar gewollt falsche Interpretation. Deshalb möchte ich hier unterstreichen: Selbstverständlich sind wir für die Europäische Union, weil wir den Frieden und die freundschaftlichen Beziehungen vor allem der europäischen Integration verdanken, weil die EU durch den Wegfall der Binnengrenzen und Grenzkontrollen engere Beziehungen ermöglicht und Reisemöglichkeiten bequemer gestaltet hat und weil die EU den Bürgern durch Harmonisierungsmaßnahmen beim Verbraucherschutz und insbesondere durch das Antidiskriminierungsgesetz zumindest ein bestimmtes Maß an Schutz gewährt hat. Die berechtigten Erwartungen der Menschen an die EU gehen jedoch viel weiter. Sehr große Teile der Bevölkerung in den EU-Staaten wollen zu Recht keine EU, in der eine Rette-sich-wer-kann-Mentalität im Geiste der neoliberalen Politik zur Rechtsgrundlage wird. Sie wollen keine EU, in der eine Laisser-faire-Politik die sozial Benachteiligten in der Gesellschaft zunehmend an den Rand der Gesellschaft drängt. Sie wollen keine EU, in der eine permanente Umverteilung von unten nach oben stattfindet. Sie wollen keine EU, in der die Arbeitslosigkeit zu einer Dauerkrankheit der EU-Länder wird. Sie wollen keine EU, in der fehlende Mindeststandards für Lohn-, Steuer- und Sozialdumping missbraucht werden. Sie wollen keine EU, in der knapp die Hälfte der Haushaltsmittel - das waren im Jahr 2007 42,7 Milliarden Euro - für Subventionen in die Landwirtschaft fließt, damit unter anderem die preisgünstigeren Produkte aus den Entwicklungsländern keinen Zugang in den Markt der EU finden. Was wollen die meisten Menschen in der EU? Sie wollen neben einem friedlichen vor allem ein soziales Europa. ({0}) Sie wollen, dass der Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme EU-weit als Verfassungswerte anerkannt und durch die Politik umgesetzt werden. Sie wollen die Einführung von sozialen, steuerlichen und ökologischen Mindeststandards, damit die soziale Gerechtigkeit als gesellschaftspolitisches Ziel nicht verloren geht. Sie wollen, dass die Europäische Zentralbank eine Finanzpolitik für mehr Wachstum und Beschäftigung verfolgt. Sie wollen, dass es keine Marktbeherrschung und keinen Marktmissbrauch gibt, wie wir sie in jüngster Zeit im Energiesektor beim Erdöl, Erdgas und Strom beobachten. Sie wollen keine Privatisierung der Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie die des öffentlichen Nahverkehrs und der Bahnen, der Wasserversorgung und der Energie. Sie wollen, dass die EU nicht militärisch, sondern mit präventiven und zivilpolitischen Strategien und Maßnahmen zu der Lösung von Konflikten wie auf dem Balkan, in Afrika und überall in der Welt einen maßgeblichen Beitrag leistet. Ich komme zum Schluss. Die EU steht auch nach der deutschen Ratspräsidentschaft vor dem ungelösten Zypern-Problem. Dieser Konflikt spielt auch in den Beziehungen der EU zur Türkei eine wichtige Rolle. Die Zypern-Frage müsste mit Bewegung aller Seiten friedlich gelöst werden. Dabei darf vor allem die Wiedervereinigung der Insel nicht aus den Augen verloren werden. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Thomas Bareiß, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Bareiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003734, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss dieser Debatte betonen, wie erfolgreich gerade die Europapolitik der Bundesregierung in den letzten zwölf Monaten war; das war aber nicht selbstverständlich. Ich habe zur Vorbereitung des heutigen Tages noch einmal die Reden der letzten Haushaltsdebatte hervorgeholt. Damals wurde klar und deutlich gesagt, vor welch schwieriger Situation wir standen und welch hohe Erwartungen es gab. Jetzt zeigt sich, wie viel wir erreicht haben. Am 13. Dezember dieses Jahres werden die Staatsund Regierungschefs in Lissabon den EU-Grundlagenvertrag unterzeichnen. Gerade heute sollte darauf hingewiesen werden, dass dies nicht möglich gewesen wäre, wenn unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht vom 22. Juni 2007 in Brüssel nicht für diesen Vertrag gekämpft hätte. Das kann man nicht oft genug sagen. ({0}) Natürlich gibt es Punkte - der Außenminister hat es gesagt -, die wir uns anders gewünscht hätten: Symbole wie eine Flagge und eine Hymne, auch ein gemeinsamer Wertekanon. Wir haben dennoch enorm viel erreicht. Jetzt gilt es, diesen Vertrag umzusetzen. Am 1. Januar 2009 wird der Grundlagenvertrag in Kraft treten. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland vorangeht und den Vertrag schnell ratifiziert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird ihren Teil tun, damit wir im Parlament in den ersten drei Monaten des kommenden Jahres vorankommen. Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der in den letzten sechs Monaten sehr erfolgreich behandelt wurde. Klimaschutz ist ein Erfolgsthema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft geworden. Die EU hat sich unglaublich ambitionierte Ziele gesetzt. Deutschland geht mit gutem Beispiel voran. Wie wir gestern in der Financial Times lesen konnten, hat Deutschland in den letzten 15 Jahren den CO2-Ausstoß um mehr als 16 Prozent reduziert. Demgegenüber stieg der Ausstoß in Frankreich um fast 6 Prozent, ({1}) Spanien hat sogar mehr als 60 Prozent draufgelegt. Ich glaube, es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, diese Woche betont hat, dass auch die anderen EU-Staaten verpflichtet sind, Klimaschutzmaßnahmen durchzuführen und die entsprechenden Klimaschutzziele anzustreben. Klimaschutz ist das eine, Energie- und Rohstoffsicherheit sind das andere. In den nächsten Jahren werden wir einen enorm hohen Rohstoffverbrauch haben. Allein in Europa wird der Gasbedarf in den nächsten 25 Jahren um 80 Prozent steigen. Diesen enormen Zuwachs müssen wir decken. Wir müssen schauen, woher wir Gas und Öl bekommen. Deshalb werden europäische Projekte wie die Nabucco-Pipeline enorm an Bedeutung gewinnen. Lieber Kollege Michael Link, auch das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland ist ganz zentral und muss die Aufmerksamkeit unserer Politik erfahren. Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass einige Anmerkungen zum Thema Galileo machen. Das System, das als Alternative zum amerikanischen GPS gedacht ist, muss zum Lackmustest der europäischen Industrie-, Wirtschafts- und Forschungspolitik werden. Es wird insgesamt etwa 3,4 Milliarden Euro kosten. Nach heutigem Stand wird es mit Mitteln aus dem EU-Haushalt finanziert werden. Für mich ist das die zweitbeste, man kann auch sagen: drittbeste Lösung. Es ist aber wichtig, dass wir dieses Zukunftsprojekt auf europäischer Ebene realisieren. Bei der morgigen Verkehrsministerkonferenz wird es darum gehen, dass deutsche Firmen eine faire Chance erhalten, an diesem Projekt beteiligt zu werden. Wir nehmen unseren Verkehrsminister in die Pflicht. ({2}) Die globalen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte können aber nicht in Europa allein gelöst werden. Europa braucht weitere Partner. Der europäische Binnenmarkt, der ein Erfolgsmodell ist, muss erweitert werden. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht in der Vertiefung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen eine enorme Zukunftsperspektive. Die USA und Europa sind wirtschaftlich stark miteinander verflochten. 40 Prozent des globalen Welthandels laufen über diese beiden Kontinente. Ich glaube, es muss unser aller Anliegen sein, diese wirtschaftlichen Potenziale zu nutzen - im Interesse der Menschen und der Wirtschaft. Wir haben zwar viel erreicht, es gibt aber noch viel zu tun. Wir müssen die Menschen beim Thema Europa mitnehmen. ({3}) Wir brauchen konkrete Handlungsfelder, um den Menschen zu zeigen, dass Europa etwas bewirken kann. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag auf Drucksache 16/7313? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen abgelehnt. Wer stimmt nun für den Einzelplan 05 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Einzelplan ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.11 auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung - Drucksachen 16/6413, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Kahrs Bartholomäus Kalb Dr. Gesine Lötzsch Zum Einzelplan 14 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Außerdem liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kollegin Elke Hoff, FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan geht nunmehr in sein siebtes Jahr, und eine politische Lösung für diesen Konflikt liegt für uns alle erkennbar in weiter Ferne. Obwohl die Auslandseinsätze der Bundeswehr inzwischen deren wichtigste Aufgabe darstellen und sie die Hauptlast der außenpolitischen Entscheidungen zu tragen hat, wird den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz wieder nicht die Ausrüstung zur Verfügung gestellt, die sie dringend benötigen. Damit ist dieser Verteidigungshaushalt erneut ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung. ({0}) Alles bleibt beim Alten. Zu viele Großprojekte werden an der Einsatzrealität vorbei beschafft oder neu auf den Weg gebracht, sodass keinerlei Spielräume gewonnen werden können, um planerisch sinnvoll nachzusteuern. Weil aber die Bundeswehr ihre Handlungsfähigkeit im Einsatz erhalten muss, hat die FDP in den Haushaltsberatungen eine Vielzahl von konstruktiven Änderungsanträgen gestellt. Wir haben unter anderem beantragt, bei der Beschaffung des Transportflugzeuges A400M die Stückzahl von 60 auf 49 zu reduzieren. Wir haben weiterhin beantragt, eine angemessene Reduzierung des dritten Loses des Kampfflugzeuges Eurofighter bzw. dessen Weiterveräußerung an Dritte zu prüfen. Wir haben außerdem beantragt, die Beteiligung am Entwicklungsprogramm des Raketenabwehrsystems MEADS zu beenden, den Feldlagerschutz umfassend zu verbessern, den durch die Bundesregierung ermittelten Bedarf an geschützten Fahrzeugen unverzüglich zu berücksichtigen und den Investitionsstau in den Bundeswehrkasernen West zügig zu beseitigen. ({1}) Das alles haben Sie mit Koalitionsmehrheit abgelehnt. Bei SPD- und Unionsfraktion scheint darüber hinaus die linke Hand leider nicht zu wissen, was die rechte tut. Während alle Fachpolitiker im Verteidigungsausschuss aus gutem Grund beschlossen haben, unverzüglich ein effektives und am Markt verfügbares Schutzsystem gegen Sprengfallen zu beschaffen und trennungsgeldberechtigten Soldatinnen und Soldaten mit Wohnung am Dienstort das Trennungsübernachtungsgeld für die gesamte Dauer eines Auslandseinsatzes von vier Monaten zu zahlen, haben Ihre Haushaltspolitiker diesen wichtigen Vorhaben die Zustimmung verweigert. So bleibt alles, wie es ist. ({2}) Der Steuerbürger zahlt im Jahr 2008 pro Tag beinahe doppelt so viel für die Kostensteigerungen beim Eurofighter wie im gesamten Jahr 2008 für die Beschaffung von überlebenswichtigen Störsendern. Das ist unverantwortlich, da Sprengfallen die tagtägliche Bedrohung für das Leben unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind. Herr Minister, ziemlich genau vor einem Jahr versuchten Sie den Eindruck zu erwecken, die Störsender für die geschützten Fahrzeuge würden unverzüglich beschafft. Sie haben in einem Schreiben an mich vom 29. Januar dieses Jahres in Aussicht gestellt, dass der Bedarf für den Einsatz in Afghanistan schon ab der ersten Jahreshälfte 2007 gedeckt werden soll. Was ist seither geschehen? Zur Erprobung wurde für jeweils drei Fahrzeugtypen ein Probeexemplar bestellt. Momentan befinden sich einige wenige Störsender im Zulauf. Erst ab 2009 werden der Bundeswehr erwähnenswerte Stückzahlen zur Verfügung stehen. Das ist nicht akzeptabel. ({3}) Wenn das, was im Einsatz benötigt wird, Priorität haben soll, muss dies unverzüglich beschafft werden. Ähnlich unbefriedigend ist immer noch die Ausstattung im Einsatz mit geschützten Fahrzeugen. Auch hier tut der Minister öffentlich immer so, als sei alles zum Besten. Sie haben behauptet, dass auf dem Markt verfügbare Fahrzeuge mit höherem Schutzniveau über den einsatzbedingten Sofortbedarf in erheblichem Umfang beschafft werden. Die Anzahl der Fahrzeuge, deren Schutzwirkung unterhalb des geforderten Schutzstandards liegt, sollte kontinuierlich verringert werden, und sie sollten durch geschützte Fahrzeuge ersetzt werden. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage hat jedoch ergeben, dass heute weniger geschützte Fahrzeuge in Afghanistan im Einsatz sind als im November 2006. Nach Abzug des Mungo verbleiben 117 Fahrzeuge im Einsatz, die nach Ihrer Definition den Schutzanforderungen genügen. Das sind gerade einmal 20 Prozent der in Afghanistan insgesamt eingesetzten Fahrzeugflotte. Sie wissen, dass das Patrouillenfahrzeug Wolf keinen ausreichenden Schutz bietet und deshalb schnellstmöglich durch ein Nachfolgemodell abgelöst werden muss. Das war auch das erklärte Ziel der Bundesregierung. Leider hat man für den Wettbewerb in dieser Fahrzeugklasse Kriterien festgelegt, die niemand erfüllen kann. Die Entscheidung über ein Nachfolgefahrzeug musste daher erst einmal ausgesetzt werden, sodass die Bundeswehr mindestens ein weiteres Jahr verliert, bis geeignete Fahrzeuge beschafft werden können. Herr Minister, nehmen Sie die Einsatzrealität endlich zur Kenntnis! Sonst wird Ihre Bilanz am Ende dieser Legislaturperiode noch düsterer ausfallen als Ihre magere Halbzeitbilanz zum jetzigen Zeitpunkt. ({4}) Ein Ehrenmal fernab von Parlament und Öffentlichkeit und ein Weißbuch, das in der Schublade verstaubt, reichen als Erfolgsbilanz für dieses Amt leider nicht aus. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Susanne Jaffke, CDU/ CSU-Fraktion.

Susanne Jaffke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001008, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hoff, ich werde auf das, was Sie gesagt haben, nicht näher eingehen. Eines muss ich Ihnen allerdings sagen: Das, was die FDP von sich gibt, ist zum Teil ein Widerspruch in sich. Auf der einen Seite wollen Sie 148 Millionen Euro einsparen; dazu haben Sie im Haushaltsausschuss viele Anträge gestellt. Auf der anderen Seite beklagen Sie, was alles nicht getan wird; das ist so übrigens auch nicht richtig. Ihre Kritik halte ich für nicht gerechtfertigt. ({0}) Gestatten Sie mir zu Beginn meiner Ausführungen ein persönliches Wort des Dankes. Ich möchte mich bei den Mitarbeitern des BMVg insgesamt und vor allen Dingen bei den Mitarbeitern der Haushaltsabteilung bedanken, die allen Berichterstattern in gewohnter Zuverlässigkeit die gewünschten Informationen zeitnah zur Verfügung gestellt haben. Danken möchte ich ganz persönlich auch dem aus dem Amt scheidenden Staatssekretär Dr. Eickenboom, ({1}) der aus vielen Verwendungen, unter anderem als Sekretär des Haushaltsausschusses, die freundlichen Macken der Haushälter gut kennt und daher oft schon im Vorfeld anstehender Beschaffungsvorhaben durch intensive, offene Information so manche Woge zwischen den Entscheidern in der Regierungskoalition und in der Opposition zu glätten half. An dieser Stelle möchte ich kurz auf einen netten Artikel hinweisen, der gestern in der Financial Times Deutschland erschien. Er hatte die Überschrift „Die heimlichen Herrscher des Geldes“. Jedem, der diesen Artikel noch nicht gelesen hat, empfehle ich ihn; ich hoffe, ich muss nicht fürchten, Schleichwerbung zu machen. Auch wenn einige Kollegen aus den Haushaltsgruppen darin explizit beschrieben werden, muss ich sagen: Das, was in diesem Artikel steht, stimmt. Es ist ja nicht immer so, dass das, was in den Zeitungen steht, zutrifft; diesmal ist es so. Im Zusammenhang mit den personellen Veränderungen sage ich Herrn Wolf meinen Glückwunsch, der von Staatssekretär Eickenboom die Funktion des neuen Abteilungsleiters Haushalt übernimmt. Dadurch ist sichergestellt, dass es auch in Zukunft eine solide Zusammenarbeit zwischen den Berichterstattern zum Einzelplan 14 im Haushaltsausschuss und dem BMVg geben wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Etat, dem Einzelplan 14 für 2008 und dem 41. Finanzplan ist eine gute und tragfähige Grundlage geschaffen worden, um den Prozess der Anpassung und Modernisierung der Bundeswehr weiter zu gestalten. Der heute zu beschließende Etat der Bundeswehr, die eine Armee zur Landesverteidigung und eine Armee im Einsatz ist, beträgt nach intensiver parlamentarischer Beratung einschließlich der Versorgungsausgaben 29,45 Milliarden Euro. Damit steigt der Etatansatz gegenüber dem Regierungsentwurf um 142 Millionen Euro. Das ist für Haushälter keineswegs selbstverständlich; denn eigentlich sollten wir in unserer Funktion sparen. Dennoch sind diese Umschichtungen und Erhöhungen aufgabengemäß und gerechtfertigt. Ich danke allen Kollegen im Ausschuss, die diese Notwendigkeiten akzeptiert und mitgetragen haben. ({2}) Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur einige wenige ausgewählte Schwerpunkte benennen, für die dieser Etat parlamentarisch gestaltet wurde. Zuerst ist die Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro pro Tag zu nennen. Sie wird ab 1. Januar 2008 gelten und die Attraktivität der Bundeswehr weiter steigern. ({3}) Seit neun Jahren ist das Einkommen der Personengruppe der Grundwehrdienstleistenden und der freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen nicht mehr gestiegen. Die Große Koalition realisiert die Erhöhung nun, und - wie ein geflügeltes Wort sagt - das ist auch gut so. ({4}) Als zweiten Schwerpunkt möchte ich das Sonderprogramm „Sanierung der Kasernen West“ nennen. Damit sollen durch zusätzlich 116 Millionen Euro gezielt große und kleine Baumaßnahmen realisiert werden, was ein durchaus ehrgeiziges Ziel ist. Sicher sind immer noch größere Summen vorstellbar oder wünschenswert. Aber alle Summen, die bewilligt werden, müssen auch realisierbar sein. Wer weiß, dass bei Baumaßnahmen mit den jeweiligen Landes- oder Staatshochbauverwaltungen zusammengearbeitet werden muss, der weiß auch, wie schwierig die Umsetzung ist und dass wir in unserem Handeln nicht ganz unabhängig sind. Als dritten Schwerpunkt lassen Sie mich bitte kurz die realisierten Großvorhaben benennen, die unsere Bundeswehr im Einsatz dringend benötigt. Es sind dies die Beschaffungsprojekte zur Satellitenkommunikation zur Sicherstellung der Führungsfähigkeit, SATCOM Bw 2, genauso wie die Entscheidungen für den dringend benötigten geschützten Transportraum. GTK Boxer und Puma seien dabei exemplarisch benannt. Die Ausstattung der Marine mit Fregatten der neuesten Generation kann hier ebenso benannt werden wie die getroffene Entscheidung zur Beschaffung dringend benötigter Luftfahrzeuge, vor allen Dingen der Hubschrauber, die für unsere Soldaten im Einsatz besonders wichtig sind. Ich würde mir an dieser Stelle - es sei gestattet, das hier öffentlich anzumerken - ein wenig mehr Termintreue der Industrie wünschen, mit der wir Verträge abschließen. Da gibt es noch Verbesserungsbedarf, und ich hoffe, dass sich die Industrie das einmal hinter die Ohren schreibt. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, planmäßig geht nun auch der Strukturumbau in der zivilen Verwaltung der Bundeswehr voran. Die Zielstruktur für 2010 von 75 000 zivilen Dienstposten nimmt Gestalt an. Der Personalabbau geschieht sozialverträglich. Die Bundeswehr leistet damit auch weiterhin einen aktiven Beitrag nicht nur zur Entbürokratisierung, sondern vor allen Dingen zur Personalrückführung beim Bund insgesamt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gewohnt möchte ich mich auch für die Zusammenarbeit mit meinen jungen Kollegen Berichterstattern - ich schließe den Kollegen Koppelin ausdrücklich ein - bedanken. ({6}) Sie war wie immer sehr kollegial, wenn auch nicht immer harmonisch. Aber das liegt wohl auch in der ausgeprägten Persönlichkeitsstruktur einiger Kollegen. Ich danke allen noch einmal. Abschließend möchte ich bemerken: Der Etat des Bundesverteidigungsministeriums weist in die richtige Richtung, auch wenn die Herausforderungen für die nächsten Jahre nicht geringer werden. Er verdient die Zustimmung des gesamten Hauses. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Sicht der Fraktion Die Linke weist dieser Verteidigungshaushalt nicht in die richtige, sondern in die völlig falsche Richtung. Aus unserer Sicht ist es kein Verteidigungs-, sondern ein Rüstungshaushalt. Er führt keinen einzigen Schritt in Richtung einer friedlicheren Welt. Im Gegenteil, die Militarisierung der Außenpolitik, die hier finanziert werden soll, führt unser Land auf einen globalen Kollisionskurs. Hermann Hesse schrieb im Rückblick auf seine Zeit: An einen Krieg dachte niemand, man rüstete nur so für alle Fälle … Wer Frieden will, der muss auch den Frieden vorbereiten. Wer aufrüstet, kann nicht glaubhaft für Frieden und Abrüstung werben. Ein anderes Zitat. Gustav Heinemann analysierte treffend: Der Frieden ist der Ernstfall. Eine glaubwürdige Vorbereitung auf den Ernstfall Frieden kann die Linke in dem vorliegenden Haushalt nicht erkennen. Entsprechend setzt die Linke in ihrem Entschließungsantrag zum Einzelplan 14 deutlich andere Akzente, die ich kurz erläutern will: Erstens. Bei Haushaltsberatungen ist immer wieder die Rede von sparen und Schulden abbauen. Aber bei diesem Einzelplan, dem drittgrößten Einzelplan, wird kräftig draufgesattelt. ({0}) Weitere Ausgabensteigerungen sind mit den Verträgen vorprogrammiert. In 2008 wollen Sie für Ihren Einsatzhaushalt insgesamt 29,3 Milliarden Euro. Nach NATOKriterien wären es gar 31,7 Milliarden Euro. Die Linke fordert, den Aufwuchs von 911 Millionen Euro rückgängig zu machen sowie die bisherige Höhe des Rüstungshaushaltes um 10 Prozent zu reduzieren. ({1}) Insgesamt sehen wir ein Einsparpotenzial von mindestens 3,9 Milliarden Euro. Zweitens. Die Planungen für sogenannte Rüstungsinvestitionen im Bundeswehrplan 2008 machen klar, dass die beschlossenen Projekte das vorgesehene Finanzvolumen auf Jahre hinaus binden. Bis 2012 sollen laut Bundeswehrplan die Rüstungsinvestitionen von 6 Milliarden Euro auf 8 Milliarden Euro jährlich steigen. Der Schwerpunkt der Ausgaben liegt dabei auf Mobilität, vor allem auf der sogenannten Wirksamkeit im Einsatz. Für die Verbesserung der Mobilität sind in den nächsten Jahren 15 Milliarden Euro vorgesehen, allein 9 Milliarden Euro für den Airbus A400M. Für die Wirksamkeit im Einsatz sind sogar 50 Milliarden Euro eingeplant. Im Verhältnis dazu erscheinen die 4 Milliarden Euro, die für Überlebensfähigkeit und Schutz eingeplant sind, beinahe bescheiden. Der Schutz der Soldaten spielt offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle. Wirklicher Schutz ist technisch auch nicht machbar. Er ist nur politisch zu gewährleisten. Beenden Sie die Auslandseinsätze und holen Sie zum Beispiel die Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan zurück! ({2}) Drittens. Bei den Aufrüstungsprojekten geht es um die Vorbereitungen für globale Kriegs- und Besatzungspolitik. So wird etwa die Marine durch neue Korvetten und Fregatten für viel Geld auf aggressive Einsätze vorbereitet. Auch der Eurofighter, ein Projekt aus Zeiten der Blockkonfrontation, ist reine Geldverschwendung. Nun wird auch noch in seine Umrüstung investiert. Bei der Mehrrollenfähigkeit geht es um die Befähigung zu Flächenbombardements - mit Friedenspolitik hat dies definitiv nichts zu tun. Viertens. Für Auslandseinsätze sind im Haushalt 600 Millionen Euro eingeplant. Dieser Ansatz kann, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, schnell auf 1 Milliarde Euro steigen. Die Linke lehnt diese Art der militärischen Weltordnungspolitik grundsätzlich ab. ({3}) Die frei werdenden Mittel sollten in die Bekämpfung der Armut und Unterentwicklung investiert werden; das wäre endlich effektive Sicherheitspolitik. Fünftens. Der Einzelplan 14 ermöglicht die fortgesetzte Investition in eine verfehlte Bündnispolitik. Statt die Vereinten Nationen und das Völkerrecht zu stärken, wird die deutsche Rolle im Rahmen der NATO und der militärischen Komponente der EU gestärkt. Die NATO ist kein Friedensbündnis. NATO-Kampftruppen ebenso wie EU-Battle-Groups sind Instrumente einer militärischen Außenpolitik. Die Linke fordert deswegen die BeInge Höger endigung der deutschen Beteiligung an der NATOResponse-Force und an den EU-Battle-Groups. ({4}) Dazu gehört die Schließung der entsprechenden Trainingseinrichtungen wie des Gefechtsübungszentrums bei Magdeburg. Sechstens. Anstatt sich um zivile Ausbildung und Arbeitsplätze für junge Menschen zu kümmern, nutzen Sie deren Perspektivlosigkeit aus, wenn es darum geht, junge Soldaten zu rekrutieren. Nicht zufällig entscheiden sich junge Jugendliche aus ökonomisch schwachen Regionen überdurchschnittlich häufig für eine längere Verpflichtung bei der Bundeswehr. Die Bundeswehr kooperiert immer stärker mit den Arbeitsagenturen. Die Linke kritisiert, dass man in den Agenturen mit Argumenten wie „Dieser Job ist krisensicher“ wirbt. Ein Arbeitsplatz in der Rüstungsindustrie kostet die Steuerzahler 150 000 bis 200 000 Euro pro Jahr. Mit diesem Geld ließen sich deutlich mehr und vor allen Dingen sinnvollere zivile Arbeitsplätze schaffen. Auch die 600 Millionen Euro, die jährlich für die Wehrpflicht ausgegeben werden, sind besser in zivile Ausbildungsprogramme investiert. ({5}) Siebtens. Bei den Angehörigen der Bundeswehr wurde in den letzten Jahren massiv eingespart. Die Bundeswehr ist überdimensioniert. Wir wollen Strukturveränderungen aber nicht auf Kosten der Soldatinnen und Soldaten durchführen. Die Linke fordert deshalb die Rücknahme der sozialpolitischen Kürzungen, zum Beispiel beim Weihnachts- und Urlaubsgeld. Zudem soll die Ost-West-Tarifangleichung auch für die Berufssoldatinnen und -soldaten, die Soldatinnen und Soldaten auf Zeit und die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch im Haushaltsjahr 2008 umgesetzt werden. ({6}) Achtens. Früher oder später folgt aus der Rüstungsproduktion für die eigene Armee auch der Rüstungsexport, um diesen Wahnsinn rentabel zu gestalten. Das jüngste Beispiel dafür ist der Hightechpanzer Puma, durch den der Haushalt in den nächsten Jahren mit mindestens 3,4 Milliarden Euro belastet wird. Die Rüstungsindustrie träumt bereits davon, ihn zu einem Exportschlager zu machen, wie früher den Leopard. Die Linke fordert einen sofortigen und vollständigen Stopp der Rüstungsexporte. Neuntens. Neue Waffensysteme brauchen wir nicht. Erforschung, Entwicklung und Erprobung von Rüstungsgütern kann sich unser Land sparen. Das bleibt auch so, wenn Rüstungsforschung und -entwicklung zukünftig über die Europäische Verteidigungsagentur abgewickelt werden. Die politische Kontrolle wird dabei immer schwieriger. Der Zuschuss für die Europäische Verteidigungsagentur muss komplett gestrichen werden. ({7}) Um die globale Kriegsgefahr einzudämmen, brauchen wir ernsthafte Bemühungen um eine gerechte Verteilung der Ressourcen der Welt. Die Bundesregierung beteiligt sich stattdessen am militärischen Wettlauf um die knapper werdenden fossilen Energieträger. Durch die Unterstützung der US-Kriegspolitik, durch Drohungen gegen den Iran und durch eigene militärische Beiträge in geostrategisch sensiblen Regionen trägt die Bundesregierung zur Ausbreitung der Unsicherheit auf dieser Welt bei. Kein Land wird durch die Fähigkeit, andere zu bedrohen, sicherer. ({8}) Wir brauchen endlich eine weltweite entschiedene Abrüstungsinitiative. Wir können und müssen hier beginnen, in Deutschland, in der Europäischen Union und in der NATO. Die Linke fordert die Bundesregierung dazu auf, mit eigenen deutlichen Abrüstungsschritten ein glaubwürdiges Beispiel dafür zu geben. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Johannes Kahrs, SPDFraktion.

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kameradinnen und Kameraden! Wir sprechen heute über den Verteidigungshaushalt. Vorher möchte ich aber noch eine kurze Anmerkung zu meiner Kollegin Höger machen. Frau Kollegin, ich habe nichts dagegen, dass man andere Meinungen vertritt. Im Gegenteil: Dafür sind wir hier. Das ist auch zu respektieren und in Ordnung. Sachlich sollten sie allerdings richtig sein: Erstens. Die Anschaffung der neuen Korvetten, von denen Sie reden, ist nicht in dieser und nicht in der letzten, sondern in der vorletzten Legislaturperiode besprochen und beschlossen worden. Zweitens. Wir sind das Land in Europa und in der NATO, das am meisten Geld für den Schutz der Soldatinnen und Soldaten ausgibt. Sie können alle Etats vergleichen. Deswegen habe ich diese Anmerkung von Ihnen nicht wirklich verstanden. Drittens. Wir sind das Land, das am meisten Geld in die Aus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung der Soldaten seiner Armee investiert, damit sie auch nach Abschluss ihrer Bundeswehrzeit - nach vier, acht oder zwölf Jahren - Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt haben. Es geht also um Qualifikation und Ausbildung. Die Bundeswehr bildet in großem Maße aus. Ich finde, das muss man zumindest einmal anmerken, weil wir Sozialdemokraten stolz darauf sind. ({0}) - Ich schließe die Kollegen des Koalitionspartners gleich mit ein. Wunderbar. ({1}) - Okay, ich schließe auch die Kollegen von den Grünen mit ein. Sie haben hier sieben Jahre lang unter Rot-Grün alles mitgemacht. Vielen Dank. ({2}) Das freut die Linke. ({3}) - Sie von der FDP haben nun überhaupt nichts gemacht. Nachdem ich hier nun die Noten verteilt habe, schlage ich vor, dass wir zur Sachebene kommen. Das Volumen des Verteidigungshaushalts ist um über 1 Milliarde Euro gestiegen. Im Finanzplan waren bereits Steigerungen in Höhe von 300 Millionen Euro vorgesehen. Der Finanzminister hat noch einmal 600 Millionen Euro draufgelegt. Vielen Dank, Peer! Zusätzlich hat der Haushaltsausschuss dann noch - die Kollegin Jaffke hat es inhaltlich begründet - 142 Millionen Euro draufgepackt. In der Sache ist das richtig und gut. Wir haben dafür gesorgt, dass die Betriebsausgaben weiter gesenkt werden und die Personalausgaben weiterhin rückläufig sind. Es gibt aber einen Mehrbedarf bei der Materialerhaltung. Darum machen wir uns ernsthafte Sorgen. Insbesondere liegen die Wartungsausgaben für Luftfahrzeuge derzeit bei über 1 Milliarde Euro. Es kann auf Dauer nicht sein, dass moderne Flugzeuge deutlich wartungsintensiver sind als jahrzehntealte Flugzeuge. Damit muss man sich beschäftigen. Die Ausgaben im Bereich Betreiberlösung verdoppeln sich. Das liegt insbesondere an HERKULES, dem IT-Projekt der Bundeswehr. Der Anteil der verteidigungsinvestiven Ausgaben steigt in diesem Haushalt auf 23,5 Prozent. Das ist gut, richtig und notwendig. Ein Großteil des Geldes wird für den Schutz der Soldaten verwendet. Das ist hier bereits angesprochen worden. Der Schutz der Soldaten durch ihre Ausstattung mit dem besten Gerät ist richtig und notwendig. ({4}) Über den Bereich Infrastruktur haben wir - insbesondere auch auf Anregung des Wehrbeauftragten - in den letzten Wochen und Monaten hier diskutiert. Wir haben als Haushälter mehr Geld in die Infrastruktur investiert. Jetzt geben wir für große Baumaßnahmen 500 Millionen Euro aus - das ist ein Plus von 88 Millionen Euro -, für kleine Baumaßnahmen 230 Millionen Euro - das ist ein Plus von 43 Millionen Euro - und für die Unterhaltung von Grundstücken und Anlagen 450 Millionen Euro; das ist ein Plus von 62 Millionen Euro, die der Haushaltsausschuss zusätzlich bewilligt hat. Das halte ich für richtig, wichtig und gut. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Soldaten in Deutschland anständig untergebracht sind, damit das Ganze auch etwas mit Attraktivität zu tun hat. ({5}) Ich würde gerne noch einen Punkt ansprechen, der mich besonders ärgert. Es gibt den Titel „Einsatzbedingter Sofortbedarf“. Darin kommen die schönen Worte „Einsatz“, „sofort“ und „Bedarf“ vor. Dieser Titel wird vom Ministerium seit Jahren abgesenkt und nicht ganz abgerufen. In der Truppe im Einsatz versteht das niemand. Von den Kollegen im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuss versteht das auch kaum einer. Die Vorschriften für den Einsatzbedingten Sofortbedarf sind inzwischen fast so kompliziert wie die Regelungen für die normalen Beschaffungsvorgänge. Das halten wir für falsch. Einsatzbedingter Sofortbedarf sollte dafür da sein, schnell und kurzfristig reagieren zu können, wenn bei der Truppe im Einsatz etwas benötigt wird. ({6}) Die Argumentation „Die Truppe ist schon seit Jahren im Einsatz; jetzt muss man gucken, dass der normale Weg auch funktioniert“ ist zwar schön, entspricht aber nicht der Realität. Ich bin sicher, dass das Parlament diesen Punkt mit dem Ministerium noch einmal intensiv diskutieren wird. Es kann nicht angehen, dass hier dreistellige Millionenbeträge nicht genutzt werden. Das haben wir uns nicht dabei gedacht, als wir den Einsatzbedingten Sofortbedarf zu rot-grünen Zeiten geschaffen haben. Ich möchte mich ganz besonders mit der Attraktivität des Soldatenberufes auseinandersetzen. Bundeswehr geht nun einmal nicht ohne Soldaten, auch wenn man im Ministerium manchmal ein anderes Gefühl hat. ({7}) Der Soldatenberuf muss auch in Zukunft attraktiv bleiben. Das bedeutet, dass verschiedene Maßnahmen wichtig sind. In diesem Zusammenhang kann man sich zwar auch mit Zivilbeschäftigten befassen. Das tun wir auch. Man darf aber nicht vergessen, wofür die Bundeswehr da ist. Die Zivilbeschäftigten sind für die Bundeswehr da. Wir brauchen Soldaten. Diese müssen wir wiederum auch werben können. Dafür muss die Bundeswehr attraktiv sein. In diesem Zusammenhang gibt es vier Punkte, die ich wichtig finde. Erstens. Wir haben hier im Parlament dafür gesorgt, dass der Wehrsold um 2 Euro pro Tag erhöht wird. Das ist richtig und gut. Es weist in die richtige Richtung. Mittelfristiges Ziel muss es aber sein, dass die Bezahlung der Soldatinnen und Soldaten an die Gehaltsstrukturen der Bundespolizei angepasst wird. Otto Schily hat hier Wegweisendes geschaffen. Ich finde, wir können uns bei der Bundeswehr an ihm orientieren. Otto … find’ ich gut. ({8}) Zweitens. Mit Personalentwicklung und Personalführung sollten wir uns als Parlament etwas mehr beschäftigen. Der Wehrbeauftragte hat diesen Punkt auch aufgegriffen. Wenn ein Soldat weiß, dass er eine bestimmte Chance auf eine Karriere in den Streitkräften hat, dass er auf eine Laufbahn hinarbeiten kann und dass er Planungssicherheit hat, und weiß, was die Bundeswehr mit ihm vorhat und welche Qualifikationen er erhalten kann, dann fühlt er sich wohler. Er braucht eine Berufsperspektive. Das, was die Personalplanung in der Bundeswehr zurzeit macht, hat viel mit gutem Willen zu tun, allerdings auch relativ viel mit Planwirtschaft. Ich finde, dass man auch auf die Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten eingehen muss. Dafür gibt es schließlich moderne IT. Vielleicht kommen wir da alle zusammen. Planbarkeit ist wichtig. ({9}) Des Weiteren haben sich viele Zustände in der Bundeswehr geändert. Früher hatten wir die Truppe in der Fläche. Das bedeutete, dass überall Kasernenanlagen vorhanden waren. Die Soldaten, insbesondere die Dienstgrade, wohnten zu Hause und kamen zum Dienst in die Kaserne. Das hat sich heute geändert. Die Bundeswehr hat viele Standorte geschlossen. Die Dienstgrade - Unteroffiziere mit und ohne Portepee, Offiziere - haben ihren Lebensmittelpunkt außerhalb der Kaserne - dort arbeitet in der Regel ihre Frau; die Kinder gehen zur Schule - und pendeln. Das häufige Versetzen wird nicht mehr zum Anlass genommen, umzuziehen. Darauf muss sich die Bundeswehr einstellen. Das heißt, die Infrastruktur ist besonders wichtig. Auch nicht kasernenpflichtige Soldatinnen und Soldaten wohnen oft in der Kaserne und pendeln am Wochenende. Die Infrastruktur ist dafür häufig nicht vorhanden. Viele Feldwebel- und Offizierswohnheime wurden geschlossen. Die noch vorhandenen sind in einem bedauerlichen Zustand. Ich glaube, dass wir sehr viel tun müssen, um die Kasernen attraktiver zu machen. Offizierswohnheime - OHGs und UHGs - müssen deutlich besser ausgestattet werden; denn die Dienstgrade, Unteroffiziere mit und ohne Portepee, Offiziere und die Mannschaften wohnen dort. Die Infrastruktur muss entsprechend angepasst werden. Wenn man sich anschaut, wie es bei der Bundeswehr läuft, können einem die Haare zu Berge stehen. Derzeit ist vor Ort entweder ein S-3-Offizier oder ein anderer Beauftragter für die Infrastruktur zuständig. Wenn die Betreffenden nicht gerade im Auslandseinsatz sind oder sich mit Vorbereitungen für NATO Response Force und EU Battle Groups befassen, können sie sich darum kümmern. Dann muss man sich mit dem Infrastrukturstab und der Wehrbereichsverwaltung auseinandersetzen. Alle Stufen müssen durchlaufen werden, einmal die Leiter rauf und runter. Auch das Bundesfinanzministerium will bei jeder Baumaßnahme mitreden. Danach geht es an die Landesbauverwaltungen; es gibt gute und andere. Das alles dauert ewig. Der Soldat vor Ort hat noch nicht einmal das Recht, die Baustelle in seiner Kaserne zu betreten, weil er nicht derjenige ist, der die Baumaßnahme leitet. Der ganze Vorgang dauert bei großen Baumaßnahmen rund fünf Jahre. Das ist indiskutabel; das muss geändert werden. Wir müssen die Vorgänge straffen. Das muss schneller gehen. Die Zustände in der Truppe müssen - ich nenne Schwarzenborn als Beispiel - deutlich verbessert werden. Der Wehrbeauftragte hat dazu viel vorgetragen. Es reicht aber nicht, die Strukturen zu straffen, schneller zu bauen und intensiver auf die Bedürfnisse der Soldaten einzugehen. Vielmehr müssen auch die Vorschriften geändert werden, die teilweise noch aus den 50er- oder 60er-Jahren stammen. Wie viele Quadratmeter sollen einem Soldaten zustehen? Im Rahmen des von uns genehmigten Projektes HERKULES kommt kein einziger privater Internetanschluss für die Soldaten vor. Soll es etwa attraktiv sein, dass vier, fünf oder sogar sechs Dienstgrade, Zeitsoldaten, auf einer Stube wohnen, weil sie erst am Wochenende nach Hause fahren? Das funktioniert überhaupt nicht. Teilweise wurde neues Mobiliar - statt Olympia Buche-Dekor - angeschafft. Aber das passt nicht in die Räume. Das kann überhaupt nicht angehen. Die Struktur muss verändert werden. Gleichzeitig müssen die Standards an das heutige Niveau angepasst werden. Am besten sollte man auch drei Tage im Voraus denken. Es kann nicht angehen, dass es Kasernen ohne Handyverbindung gibt. Da fragt man sich, in welcher Zeit die Verantwortlichen leben. Das müssen wir verändern. Ich habe mir letztlich ein paar sanierte Anlagen in einer Kaserne angeschaut. Beispiel Sanitärbereich: Früher gab es lange Tröge. Wenn man sich dort nach dem Zähneputzen den Mund ausgespült hat, dann hatten die Nachbarn rechts und links noch etwas davon. Da diese Tröge auf dem Markt nicht mehr vorhanden sind, hat die Wehrverwaltung sie neu herstellen lassen, damit es diese wunderbaren Tröge baugleich noch einmal gibt. Ich kenne keinen anderen, der diese Dinger nutzt. Aber die Bundeswehr lässt sie für viel Geld neu herstellen. Diese Tröge kosten „nur“ das Elffache von dem, was normale Waschbecken kosten. ({10}) Hier muss man prüfen und dringend etwas verändern. Kollegin Jaffke hat es dankenswerterweise schon getan. Ich möchte - weil er Sozialdemokrat ist - dem Staatssekretär Eickenboom herzlich danken, der unter Peter Struck und dann unter Minister Jung hervorragende Arbeit geleistet hat. ({11}) Wir haben ihn mit einer Serenade verabschiedet. Ich glaube, dass die Zusammenarbeit beispielgebend war. Ich gehe davon aus, dass die Zusammenarbeit mit seinem Nachfolger ähnlich gut sein wird. Diese Zusammenarbeit sowie die Zusammenfassung von Rüstung und Haushalt waren segensreich. Deswegen, Peter, noch einmal herzlichen Dank von uns. Des Weiteren müssen wir uns die Ausrüstung und die Strukturen genau anschauen. Wir beschaffen teilweise kleine Stückzahlen und Losgrößen, die unwirtschaftlich sind. Das ist der Fluch der kleinen Zahl. Das ist Manufakturarbeit und Handarbeit; das macht das Ganze teurer. Man muss sich einmal überlegen, inwieweit man zu privaten Vorfinanzierungen kommt und wie man damit das Gerät eher in die Truppe bekommt. Es kann aber auch nicht angehen, dass Monopole ausgenutzt werden. Wir wollen zurzeit den Bau eines Einsatzgruppenversorgers in Auftrag geben. Wir haben vier Werften angeschrieben und dachten, es gäbe vier Angebote. So etwas nennt sich Wettbewerb. Wir haben aber nur ein Angebot einer Arge bekommen, in der sich alle vier Werften zusammengeschlossen haben. Das ist bestimmt eine wunderbare Sache für alle Beteiligten, aber garantiert nicht für den Steuerzahler. ({12}) Deswegen sollte man sich überlegen, wie man einen richtigen Wettbewerb veranstaltet. Der kommt allen Beteiligten zugute. Das sage ich als Hamburger, der auch maritime Interessen hat. Deswegen bitte ich das Ministerium darum, das noch einmal zu prüfen. Ich glaube, dass private Vorfinanzierungen nicht zu Schattenhaushalten führen dürfen - wie es in verbündeten Ländern wie Großbritannien und Frankreich der Fall gewesen ist -, die einem dann auf die Füße fallen. Auch wenn es nicht modern ist, muss man einfach einmal das Loblied auf die Kameralistik singen. Da weiß man wenigstens, wo man bei all den Problemen, die man hat, steht. Wenn man es schafft, die Kameralistik gängiger zu machen, haben wir alle etwas davon. Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen Jaffke, Kalb, Koppelin, Lötzsch und Bonde bedanken. Ich will weder die Linke noch die Grünen oder die FDP von dem Lob ausnehmen. Wir alle sechs arbeiten hervorragend zusammen. Ich möchte mich ganz herzlich beim Minister bedanken. Herr Jung macht seine Arbeit hervorragend. Wir hatten am Anfang leichte Einstiegsprobleme, aber jetzt kriegen wir das gut hin. Ihre Staatssekretäre sind fantastisch, auch wenn sie keine Sozialdemokraten sind. ({13}) Ich bedanke mich insbesondere bei der Truppe für die wertvollen Hinweise, die mir solche Reden erlauben. Vielen Dank. Glückauf. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir waren ganz erstaunt über so viel koalitionäre Eintracht, die in diesen Schlussworten dokumentiert worden ist. Gleichwohl muss man die Untertöne beachten und das Gesagte mit der Regierungsarbeit des angesprochenen Ministers vergleichen. Herr Minister Jung, wir haben vor elf Wochen hier in erster Lesung den Haushalt 2008 besprochen. Ich habe damals gesagt, dass Ihr Einzelplan in Zahlen gegossener Stillstand ist. Auch im Laufe der Haushaltsberatungen hat sich an diesem Urteil nichts geändert. Man kann den Einzelplan mit den Worten zusammenfassen: Ein weiteres verschenktes Jahr, weiteres verschenktes Geld. - Wenn Sie mir den flapsigen Ausdruck erlauben: Der Verteidigungshaushalt ist die Schnarchnase unter den Einzelplänen des Bundeshaushalts. ({0}) Wir fragen uns schon, was mit einem der größten Einzelpläne, die der Bundeshaushalt kennt, passiert ist und welche Linien Sie in zweijähriger Tätigkeit eigentlich hinterlassen haben. Bei den notwendigen Strukturreformen arbeiten Sie noch an vielen Baustellen, die Ihr Vorgänger eröffnet hat. Es ist aber nicht erkennbar, dass Sie den Umbau der Streitkräfte entscheidend beschleunigen. Überall dort, wo Strukturreformen notwendig wären, ist Fehlanzeige oder pflichtschuldiges weiteres Vorantreiben - allerdings mit ausbremsenden Tendenzen - dessen, was Sie vom Vorgänger übernommen haben, zu verzeichnen. Die Auslandseinsätze sind nicht die Priorität Ihres Handelns. Die Beschaffungen erfolgen mehr nach dem Prinzip „Wünsch Dir was“, als dass die Frage nach der sinnvollen Gestaltung einer Armee angesichts der Herausforderungen, denen sie bei ihren Einsätzen heute gegenübersteht, gestellt wird. Sie haben es geschafft, in diesem Einzelplan 1 Milliarde Euro einfach versickern zu lassen, ohne dass erkennbar neue Akzente gesetzt worden wären. Ich finde, man muss sich die Beschaffungen genauer anschauen. Es ist bereits angesprochen worden, dass von den großen Beschaffungen kaum eine im Zeitplan und praktisch keine technisch auf der Höhe ist. Aber bei allen ist klar, dass sie teurer werden. Bei den kleinen Beschaffungsprojekten reden wir immer über kleine Stückzahlen zu hohen Preisen. Wo die Truppe im Auftrag der UN notwendige Einsätze durchführt, trifft eine Hiobsbotschaft nach der anderen ein. Gucken wir uns einmal die Projekte an, Herr Minister! Sie geben sich ja immer bewusst industriefreundlich, wobei wir den Eindruck haben, dass Industriepolitik bei Ihnen inzwischen die Dimension hat: Scheck unterschreiben und warten, was da kommt; denn Koordination und Auseinandersetzungen mit der Industrie - gegebenenfalls auch das Einklagen dessen, was Sie als Auftraggeber einfordern müssen - finden nicht statt. Gehen wir die Projekte also durch! Unterstützungshubschrauber NH-90: massive Verzögerungen, technische Schwierigkeiten. Transportflieger A400M: Kein Mensch weiß, wann er kommt und ob er jemals fliegt. Was den Infanteristen der Zukunft angeht, so lesen wir gerade in den Zeitungen, wie er in der Truppe ankommt. Beim Dingo 2 hört man allenthalben Klagen. Beim Mungo haben Sie es nicht geschafft, der Truppe zu erklären, für was er eingesetzt werden soll. Das Ergebnis sehen wir jetzt mit dem Abzug aus Afghanistan. Was die Logistik in der Bundeswehr betrifft, so lesen wir allentAlexander Bonde halben, wie lange es dauert, eine Schraube von Bonn nach Kabul zu transportieren. Da haben Sie uns nun in den Zeitungen mit Ankündigungen überrascht, man wolle bei der Logistik privatisieren. Ich will an der Stelle offen sagen: Wir hätten von Ihnen erwartet, dass Sie das Parlament informieren, dass wir als Berichterstatterinnen und Berichterstatter bei so gravierenden Veränderungen informiert werden und nicht von fertigen Projekten aus der Zeitung erfahren, für die die Bieterkonsortien offensichtlich auch schon alle feststehen. Auch da scheinen Sie nicht wirklich auf den Erfolg gepolt zu sein; denn der ist bekanntermaßen schwierig zu erreichen, wenn man solche gravierenden Dinge am Parlament vorbei angeht. ({1}) Ich will noch einmal die Frage, welche Industriepolitik Sie eigentlich machen, sehr deutlich ansprechen. Sie sind ja sehr stolz darauf, dass Sie die Beschaffungen unter einer industriepolitischen Linie sehen, also dabei davon ausgehen, was gut für die deutsche Industrie ist. Ich finde, Sie vergessen dabei zunehmend die Frage: Was ist eigentlich gut für die Bundeswehr und für das, was sie tut? Vor allem vergessen Sie die Frage: Was ist eigentlich gut für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler? Wenn ich mir die Fregatten angucke, die Sie zu exorbitanten Preisen gerade beschafft haben, und wenn ich mir andere Strukturprojekte angucke, dann habe ich den Eindruck, dass am Ende immer ein möglichst hoher Scheck steht, den der Minister ausstellt. Ich habe die große Befürchtung, dass Sie auch beim A400M wieder nicht die Verhandlungsmacht nutzen, die Sie als Auftraggeber im Dienste des Bundeshaushalts nutzen müssen. Wir lesen jeden Tag Meldungen darüber, wie schwer dieses Projekt vorankommt. Wir wissen alle genau: Es sind im Vertrag Vertragsstrafen vorgesehen, und es gibt seitens des Bundes die Möglichkeit, vom Vertrag zurückzutreten. Jetzt hören wir allenthalben, dass die Firma sondiert, ob es nicht Möglichkeiten gäbe, durch Akzeptieren beispielsweise eines neuen Auslieferungsplans solche Strafzahlungen zu vermeiden. Deshalb fordere ich Sie auf, Herr Minister, hier einmal klar und deutlich zu sagen: Beabsichtigen Sie, auf solche Interessen der Industrie einzugehen? Können wir von Ihnen erwarten, dass Sie auf die Vertragsvorteile, die der Bund und der Steuerzahler an dieser Stelle haben, eingehen werden? Stehen Sie zu dem Vertrag? Werden Sie bei Verzögerungen die notwendigen Zahlungen einfordern? Gehen Sie auf Forderungen der Industrie ein, ihr entgegenzukommen? Ich will von Ihnen dazu eine klare Ansage haben. Wir reden hier über viele Millionen Euro, und Sie dürfen nicht glauben, in dieser Frage am Parlament vorbei Entscheidungen treffen zu können. ({2}) Ich will abschließend sagen: Es ist wieder ein verschenktes Jahr, was die Reform der Bundeswehr angeht. Wir reden wieder über verschenkte Gelder. In Ihrem Einzelplan können ohne eine Veränderung der Struktur und ohne eine Gefährdung der Auslandseinsätze 1,4 Milliarden Euro eingespart werden. Die Bundeswehr ist, wenn man es sich genau anguckt, nicht unter-, sondern überfinanziert. Mit jedem Euro, den Sie zusätzlich hineinstecken, werden alte Strukturen zementiert, die auf Dauer Kosten verursachen. Ich glaube, Mut zur Reform wäre das, was wirklich anstünde. Das wäre richtig für den Steuerzahler, und es wäre richtig für die Truppe. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bundesminister Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Bonde, wissen Sie, was Sie gerade hier alles aufgezählt haben? Wenn man in ein Amt als Minister kommt, dann erbt man das eine oder andere. All die Verträge, auf deren Erfüllung wir jetzt warten und bei denen es Zeitverzögerungen in den Projekten gibt - von Tiger über NH-90 bis MH-90 -, sind von Ihnen quergeschrieben worden. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Vertragsvoraussetzungen erfüllt werden, damit wir möglichst rechtzeitig die Objekte bekommen, die Sie unter anderen Bedingungen bestellt haben. Diesen Vorwurf müssten Sie eigentlich an Ihre eigene Adresse richten, und deshalb gebe ich ihn an Sie zurück. ({0}) Noch ein Wort zur Opposition. Frau Kollegin Hoff, Sie haben hier gefordert, eine Halbzeitbilanz vorzulegen. Dem will ich gerne Rechnung tragen. Als diese Bundesregierung ins Amt kam, hat niemand daran gedacht, dass wir noch nicht einmal ein Jahr später einen neuen Einsatz im Kongo und - zur Gewährleistung des Waffenstillstands - einen Einsatz vor der Küste des Libanon durchzuführen haben. Wie Sie wissen, schreitet die Zeit sehr schnell voran. Ich darf auf Folgendes hinweisen: Der Einsatz im Kongo hat zur Gewährleistung der demokratischen Wahlen stattgefunden. Über 9 000 Menschen haben für 500 Parlamentssitze kandidiert. Die dortige Infrastruktur entspricht nicht der in Deutschland. Dieses Land ist 6,6-mal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben den Rückfall in den Bürgerkrieg verhindert, und unsere Soldaten waren Weihnachten wieder zu Hause. Der Einsatz, den die Bundeswehr in diesem Land im Rahmen dieser europäischen Mission geleistet hat, war sehr erfolgreich. ({1}) Zur Halbzeitbilanz gehört ein Blick auf den Einsatz vor der Küste des Libanon. Wir haben erst heute über die Perspektive der Friedenskonferenz debattiert; der Außenminister hat hier berichtet. Ohne dass die Waffen schweigen, hätte eine solche Friedenskonferenz keine Aussicht auf Erfolg. Die Bundeswehr leistet deshalb auch dort einen wichtigen Beitrag. Damals ist die israelische Seeblockade aufgehoben worden. Wir haben über 10 000 Schiffe kontrolliert. Es wird gewährleistet, dass auf See kein Waffenschmuggel stattfindet. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der Waffenstillstand anhält. Ich wiederhole: Die Bundeswehr leistet hier ebenfalls einen wichtigen Beitrag zu einer friedlichen Entwicklung in dieser Region. ({2}) Ich möchte beim Thema Halbzeitbilanz bleiben. Was den Afghanistan-Einsatz angeht, ist der Aspekt „Beseitigung der Fähigkeitslücke Aufklärung mit den Tornados“ in den Blickpunkt gerückt. Wir haben die Luftaufklärung erfolgreich auf den Weg gebracht. Sie haben despektierlich über das Weißbuch 2006 gesprochen. Es gab in der Bundesrepublik Deutschland seit 1994 kein Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr mehr. ({3}) Unsere Grundstrategie der vernetzten Sicherheit - ohne Sicherheit keine Entwicklung und ohne Entwicklung keine Sicherheit - ist mittlerweile die Strategie der gesamten NATO. Wir operieren mit dieser Gesamtstrategie in Afghanistan. Sowohl dieses Weißbuch als auch unser Einsatz in Afghanistan und die damit verbundene Strategie sind Erfolge unserer Politik. ({4}) Ich kann meine Aufzählung fortsetzen. Wir haben die zivil-militärische Zusammenarbeit in diesem Jahr neu aufgebaut. Darin werden die föderalen Strukturen abgebildet. Zum Schutz Deutschlands gibt es 470 Verbindungskommandos. Sie werden im Wesentlichen von den Reservisten gestellt, die einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Bundeswehr leisten. Wir haben gerade gemeinsam mit sieben Bundesländern eine Übung durchgeführt, bei der es hervorragend funktioniert hat. Die Bundeswehr leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Schutz Deutschlands. Auch dafür bin ich unseren Soldatinnen und Soldaten sehr dankbar. Sie haben die Wehrpflicht erwähnt. Wir, die Koalition, haben entschieden, dass wir an der Wehrpflichtarmee festhalten. Dieser Grundsatz ist übrigens auch im Weißbuch beschrieben. Wir haben entschieden, dass 6 500 Wehrpflichtige mehr eingezogen werden, weil wir dem Kriterium der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung tragen wollen. ({5}) So werden 80 Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs einberufen. ({6}) Ich bin diesem Parlament dankbar, dass es ermöglicht, dass wir den Wehrsold um 2 Euro pro Tag erhöhen. Die Wehrpflichtigen, die ihren Dienst für die Allgemeinheit leisten, haben diese Unterstützung nämlich verdient. ({7}) Ich erwähne das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz. Mit dem Einsatzversorgungsgesetz wurde eine wichtige Grundlage für die Versorgung geschaffen. Wir haben die Rechtslage dahin gehend ergänzt, dass diejenigen, die in gefährlichen Einsätzen verwundet und anschließend gesundheitlich wiederhergestellt werden, einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung in der Bundeswehr haben. Das entspricht der Fürsorgepflicht des Staates. Dieses Parlament hat eine gute Entscheidung getroffen, als es den Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung beschlossen hat. ({8}) Sie haben in despektierlicher Weise das Ehrenmal erwähnt. Für diejenigen, die im Einsatz für die Bundeswehr ihr Leben gelassen haben - insgesamt geht es um 2 600 Angehörige der Bundeswehr -, hier in Berlin an dem Platz, der für die Bundeswehr steht, ein würdiges und ehrendes Andenken zu schaffen, halte ich für eine richtige und wichtige Entscheidung. Deshalb werden wir sie auch umsetzen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hoff?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Wenn es nicht von meiner Redezeit abgeht, ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ja, das ist ja bekannt.

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie hier die Gelegenheit nutzen, Ihre Halbzeitbilanz aufzupolieren. ({0}) Aber ich bitte Sie, mir anhand dessen, was ich über das Ehrenmal oder das Weißbuch gesagt habe, im Einzelnen darzustellen, was daran despektierlich sein soll.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Sie haben in Ihrer Schlussbemerkung aus meiner Sicht relativ despektierlich von einer mageren Bilanz gesprochen und dies auch im Zusammenhang mit dem Ehrenmal getan. Das Ehrenmal stellt keine magere Bilanz dar, sondern es ist eine richtige Entscheidung für die Bundeswehr und die Tradition, in der sie steht. ({0}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen letzten Punkt erwähnen. Wir werden jetzt beschließen - dafür bin ich den Berichterstattern im Haushaltsausschuss sehr dankbar -, über 1 Milliarde Euro mehr in den Verteidigungshaushalt einzustellen. Diese Mittel brauchen wir aber auch, um unseren Auftrag zu erfüllen. Wenn ich alle Punkte, die ich Ihnen genannt habe, zusammenzähle und dann diese Halbzeitbilanz in die Fußballsprache übersetze, dann kann ich nur sagen: Es steht 9 : 0 für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Deutschland. ({1}) Mit diesem Haushalt schaffen wir die Voraussetzungen, den Anpassungs- und Modernisierungsprozess weiter voranzutreiben, die Schutzfunktion für unsere Soldatinnen und Soldaten weiter zu erhöhen und einen Beitrag zur Fortentwicklung der wehrtechnischen Industrie zu leisten, bei der es auch um Arbeitsplätze hier in Deutschland geht. Mit diesem Haushalt gewährleisten wir mehr Investitionen. Zum ersten Mal können die Personalausgaben auf unter 40 Prozent gesenkt werden. Wir werden ein Sanierungsprogramm „Kasernenunterkünfte West“ auflegen, weil ich es für notwendig und richtig erachte, dass wir dann, wenn wir von unseren Soldatinnen und Soldaten Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft erwarten, auch die sozialen Rahmenbedingungen so gestalten, dass es attraktiv ist, weiterhin in der Bundeswehr tätig zu sein. ({2}) Meine Damen und Herren, ich will noch einen weiteren Punkt aufführen. Die Bundeswehr ist eigentlich der größte Sportförderer in der Bundesrepublik Deutschland. Von den elf Goldmedaillen, die in Turin erzielt worden sind, wurden neun von Bundeswehrsoldaten erzielt. ({3}) Deshalb halte ich es für gut und bin dem Haushaltsausschuss dankbar, dass wir die Chance haben, jetzt noch 120 weitere Soldaten in die Sportförderung einzubeziehen. ({4}) Damit werden wir eine Perspektive für die Olympischen Spiele in Peking und in Vancouver haben. Weil auch damit das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zusammenhängt, halte ich es für richtig und gut, dass wir die Sportförderung in dieser Weise ausbauen können. ({5}) Wenn ich dies alles zusammenfasse, dann komme ich zu dem Ergebnis, dass wir mit diesem Haushalt gerade in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf einem guten Wege sind. Ich bitte Sie deshalb um Ihre Unterstützung, damit die Bundeswehr ihren Einsatz für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger sowie für Frieden, Recht und Freiheit in Deutschland und darüber hinaus weiterhin leisten kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, wenn Sie Ihre Redezeit verlängern wollen, dann können Sie noch eine Nachfrage zulassen.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Bitte sehr.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Verteidigungsminister, ich hatte in meiner Rede eine Frage gestellt, die ich Ihnen erneut stellen möchte: Haben Sie im Zusammenhang mit den Verzögerungen beim Projekt A400M vor, weiterhin auf die im Vertrag festgehaltenen Verzugsstrafen, die die Firma dem Bund im Falle eine Verzuges zu leisten hat, bzw. auf ein Kündigungsrecht des Bundes zu bestehen?

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Kollege Bonde, zunächst einmal sollten wir, denke ich, alle Anstrengungen unternehmen - ich habe gerade bei der Verabschiedung von Staatssekretär Eickenboom noch einmal mit Tom Enders darüber gesprochen -, damit der A400M möglichst fristgerecht geliefert wird. Denn wir brauchen den A400M gerade im Hinblick auf die Fähigkeitslücke im Lufttransport dringend. Da ich auf spekulative Fragen generell keine Antwort gebe, will ich nur noch einen Satz hinzufügen: Wir verhalten uns vertragsgemäß. Das schließt auch das ein, was Sie angesprochen haben. Ich hoffe und wünsche aber, dass wir den A400M noch fristgerecht geliefert bekommen, weil wir ihn im Hinblick auf den Lufttransport und die Unterstützung dringend brauchen. Sie wissen, dass wir zum Beispiel auch in Darfur vor neuen Aufgaben stehen. Deshalb wäre ich dankbar, wenn wir den A400M fristgerecht geliefert bekommen. Besten Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den Verteidigungshaushalt diskutieren, dann sollten wir auch darüber sprechen, dass die überwiegende Zahl der Soldatinnen und Soldaten nach wie vor ihren Dienst im Inland verrichten. Wir haben aber inzwischen auch nahezu 8 000 Soldatinnen und Soldaten, die in acht verschiedenen Auslandseinsätzen von Afgha13602 nistan bis zum Horn von Afrika Dienst tun. Ich denke, die Soldatinnen und Soldaten verdienen für die hohe Leistungsbereitschaft und auch die vorbildliche Pflichterfüllung in ihrem Einsatz den Dank des ganzen Hauses. Ich schließe in diesen Dank auch die Polizisten und die zivilen Aufbauhelfer mit ein. ({0}) Wir haben in den letzten Wochen eine Reihe von Diskussionen geführt. Wir haben insbesondere mehrfach über Afghanistan diskutiert. Obwohl es hier im Hause ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten gab, hatte ich den Eindruck, dass wir uns in einem Punkt einig waren: Wir wollen, dass der Wiederaufbau im Mittelpunkt steht bzw. ins Zentrum gerückt wird. ({1}) Das haben wir auch gemeinsam beschlossen. Vor diesem Hintergrund habe ich kein Verständnis für die Debatte, die in den letzten Tagen aus der Koalition heraus öffentlich geführt wurde und in der plötzlich eine schnelle Eingreiftruppe für ganz Afghanistan mit robustem Mandat gefordert worden ist. Ich finde, dass diese Diskussion einen völlig falschen Schwerpunkt setzt. Wir führen diese Diskussion zur Unzeit. Es ist geradezu eine Aufforderung an die NATO-Partner, an Deutschland weitere militärische Anforderungen zu stellen. Ich stelle ausdrücklich fest: Solche Diskussionen führen zu nichts anderem als zur Verunsicherung in der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der Bundeswehr. Deshalb bitte ich Sie: Machen Sie endlich Schluss damit, ständig neue Vorschläge in die Öffentlichkeit zu tragen, und gehen Sie das an, was wir gemeinsam beschlossen haben! Konzentrieren wir uns auf das, was tatsächlich gemacht werden muss! Ich glaube, damit haben wir wahrlich genug zu tun. ({2}) Das gilt für den Wiederaufbau wie auch für die Militärausbildung und die Polizeiausbildung. Ich will das Thema Polizeiausbildung noch einmal ansprechen, Herr Minister, weil die Bundeskanzlerin heute Morgen in ihrer Rede gesagt hat, dass man sich auch an einer Polizeimission auf dem Balkan beteiligen wolle. Ich mache darauf aufmerksam, dass derzeit weder die Europäische Union noch die Bundesrepublik Deutschland ihren Aufgaben bei der Polizeiausbildung in Afghanistan gerecht geworden ist. ({3}) Was zugesagt wurde, ist bisher nicht geliefert worden. Die notwendige Unterstützung ist nicht gegeben worden. Es ist ein einziges Desaster. Wenn Sie mit uns der Auffassung sind, Herr Minister, dass die Polizeiausbildung - auch als Flankierung bzw. im politischen Zusammenhang - immer wichtiger wird, dann muss man in Deutschland endlich klare Rahmenbedingungen für die Entsendung von Polizisten ins Ausland schaffen. ({4}) Herr Verteidigungsminister, Sie haben festgestellt, dass der Einsatz im Kongo ein Erfolg war. Sie haben den Einsatz im Kongo ja noch einmal besonders erwähnt. Das hat mich nun einigermaßen überrascht. ({5}) Vor allen Dingen hat mich überrascht, dass Sie hier gesagt haben: Wir haben den Rückfall in den Bürgerkrieg verhindert. - Wenn man sich die Situation in der Demokratischen Republik Kongo in den letzten Monaten anschaut, kommt man zu dem Schluss, dass diese Situation niemanden befriedigen kann. Es gibt Tausende von Flüchtlingen. Es gibt Kämpfe im Osten. Alles, was vielleicht ein bisschen befriedet war, ist wieder aufgeflammt. Als Einziges hat man erreicht, dass die Wahlen durchgeführt wurden. Aber ansonsten gibt es bis heute keine Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo. Der Zustand ist so wie vor dem Einsatz der Bundeswehr. ({6}) Vor diesem Hintergrund möchte ich noch einmal etwas deutlich machen, auch für meine Fraktion: Wer Soldatinnen und Soldaten in einen Auslandseinsatz schickt, der muss dafür Sorge tragen - der Auffassung sind wir -, dass es dann auch zu einer politischen Flankierung kommt, und zwar zu einer dauerhaften politischen Flankierung; ein Konzept muss dahinterstehen. Das war dort nicht der Fall. ({7}) Herr Minister, Sie haben vom Einsatz-Weiterverwendungsgesetz gesprochen. Das hat unsere Unterstützung. Sie haben von der Wehrsolderhöhung gesprochen. Die ist dank des massiven Drucks aus diesem Parlament Gott sei Dank jetzt realisiert worden. Meine Fraktion hat als Erste einen Antrag dazu gestellt. ({8}) Es steht jetzt das Dienstrechtsneuordnungsgesetz zur Debatte. Ich möchte Sie bitten, Herr Minister, darauf Einfluss zu nehmen. Wenn das Dienstrechtsneuordnungsgesetz so kommt, wie es jetzt geplant ist, dann wird es zu einer massiven Benachteiligung der Soldatinnen und Soldaten führen. Es wird die Attraktivität der Bundeswehr weiter verringern. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie: Ändern Sie den Entwurf in den Beratungen noch ab! So kann er jedenfalls die Zustimmung der FDPBundestagsfraktion nicht finden. ({9}) Es bleibt im Übrigen beim Thema „Attraktivität der Streitkräfte“ noch einiges zu tun. Herr Minister, vor wenigen Tagen hat Ihr Haus eine Studie des SozialwissenBirgit Homburger schaftlichen Instituts der Bundeswehr veröffentlicht, wonach eine hohe Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber gegeben sei. Ich zitiere: Trotz des geringen Wissensstandes wird die Bundeswehr dennoch als attraktiver Arbeitgeber angesehen. Herr Minister, als im April dieses Jahres der Deutsche Bundeswehr-Verband aufgrund einer Befragung von 45 000 Soldatinnen und Soldaten ein völlig anderes Bild gezeichnet hat, haben Sie erklärt, dass dies überhaupt keine vernünftige Grundlage für eine Diskussion sei. Sie haben seinerzeit erklärt, dass das nicht ausreiche. Ich möchte Ihnen sagen, dass die Studie, mit der Sie im Augenblick in der Öffentlichkeit arbeiten, auf der Basis der Befragung von 2 224 Personen erstellt wurde. Ich möchte herzlich darum bitten, dass jetzt auch einmal von Ihrer Seite auf die Bundeswehr zugegangen wird. Es kann nicht hingenommen werden, dass Schönfärberei und auch ein bestimmtes Schönreden hier Platz greifen. Man sollte diese Studie des Deutschen Bundeswehr-Verbands als Stimmungsbarometer ernst nehmen und in der Bundeswehr umsteuern. ({10}) Herr Minister, ich habe eine abschließende Bitte. Wir als FDP-Fraktion sind gern bereit, in diesem Hause Ihre Arbeit weiterhin konstruktiv zu begleiten, wenn es um das Wohl der Bundeswehr geht. ({11}) Aber ich bitte darum, dass die Informationspolitik Ihres Hauses gegenüber dem deutschen Parlament zukünftig verbessert wird. Wir haben erst gestern wieder erlebt - in dieser Woche übrigens schon zweimal -, dass die Öffentlichkeit Dinge erfährt, bevor wir sie erfahren. Das ist keine gute Zusammenarbeit. Gestern wurde veröffentlicht, dass die verloren gegangenen Daten beim Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr wieder rekonstruiert sind. Das ist ein Erfolg, den dieses Parlament erkämpft hat. Man sollte den entsprechenden Bericht dann zunächst einmal dem Deutschen Bundestag zuleiten und nicht erst der Öffentlichkeit zugänglich machen. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Rainer Arnold für die SPDFraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 14 für das nächste Haushaltsjahr ist ein angemessener Haushalt. Er ermöglicht, was in Bezug auf die Transformation geleistet werden muss. Gleichzeitig ordnet er sich in die Gesamtsituation ein; Haushalte müssen konsolidiert werden. Insofern ist er ein Stück weit schwierig - wie andere Etats auch. Auch wir möchten dem scheidenden Staatssekretär Eickenboom ein ausdrückliches Dankeschön sagen. Er hat unglaubliche Verdienste um die Arbeit für diesen Haushalt und die Ausstattung der Bundeswehr erworben. ({0}) Ebenso ein Dankeschön an die beiden Haushälter der Koalition: an Frau Jaffke und den Kollegen Johannes Kahrs. Ich denke, bei Johannes Kahrs hat man gemerkt, dass ein Haushälter nicht immer nur auf das Sparen schaut - das ist wichtig; das tut ihr -, sondern dass er gleichzeitig - das ist gut für die Bundeswehr - auch eine ganze besondere Affinität zur Sicherheitspolitik und zu den Bedürfnissen der Frauen und Männer bei der Truppe hat. Danke für diese Arbeit! ({1}) Zur Halbzeit dieser Legislaturperiode möchte ich auf die anstehenden Arbeiten und Aufgaben eingehen. Es bleibt dabei: Die Auslandseinsätze stehen selbstverständlich im Mittelpunkt der Debatten. Frau Homburger, was Sie hier zum Kongo gesagt haben, ist einfach nicht richtig. Natürlich gab und gibt es ein Konzept. Die Vereinten Nationen haben für die dortigen fast 17 000 Soldaten ein Konzept. Deutschland hat dabei für eine bestimmte Phase, nämlich zur zusätzlichen Absicherung des Wahlkampfes und zur Durchführung der Wahlen, einen wichtigen konzeptionellen Beitrag geleistet. ({2}) Ich möchte zunächst allen Soldatinnen und Soldaten den Dank für ihr Engagement in den Einsatzgebieten aussprechen und daran erinnern, dass es durchaus Soldatinnen und Soldaten gibt, die nicht immer im Mittelpunkt stehen, zum Beispiel die Frauen und Männer, die für Deutschland in Georgien oder in Äthiopien wichtige Missionen erfüllen. ({3}) Diese Koalition, Herr Minister, hat die Transformation der Bundeswehr zu Recht im Koalitionsvertrag fortgeschrieben; denn die bestehenden Ansätze sind allesamt richtig. Gleichzeitig glaube ich, dass wir nach 15 Jahren Auslandseinsätzen immer wieder genau schauen müssen: Sind Veränderungen und neues Lernen tatsächlich notwendig? Zunächst bleibt richtig, dass wir auch zukünftig Krisen nicht nur militärisch begegnen werden und begegnen dürfen, sondern umfassend zu reagieren haben und vor allen Dingen alles tun sollten, um im Vorfeld Spannungen zu entschärfen. Richtig bleibt auch, dass Konflikte dort bekämpft werden müssen, wo sie tatsächlich entste13604 hen. Richtig bleibt auch, dass zivil und militärisch abgestimmte, gemeinsame Ziele verfolgt werden müssen. Nachsteuern heißt aber: Die Transformation ist nichts Bewahrendes und Statisches. Den Istzustand weiter zu stabilisieren, würde nicht ausreichen. Ich möchte dies an ein paar Beispielen erläutern. Wir alle wissen, Deutschland will nicht allein in der Welt agieren. Wir sind vielmehr fest in den jeweiligen Bündnissen verankert. Aber zu beiden wichtigen Säulen in den Bündnissen, zur NRF, zur NATO Response Force, und zur Battle-Group, gibt es natürlich ganz erheblichen Klärungsbedarf. Deutschland hat seine Fähigkeiten verlässlich eingebracht. Wir merken aber im Augenblick, dass dies parallel zur Einsatzlast kaum zu schultern ist. Ich glaube schon, dass beide Organisationen, die NATO und die EU, sehr sorgsam diskutieren sollten, ob beides gleichzeitig überhaupt sinnvoll geleistet werden kann. Ein Weiteres im Zusammenhang mit der Transformation. Wir merken im Augenblick, dass die Trennung zwischen Stabilisierungs- und Eingreifkräften eher künstlich ist. Die Übergänge sind - das sehen wir in Afghanistan jeden Tag - eher fließend. Auch über diese Frage muss in den nächsten Jahren sorgsam diskutiert werden. Die Frage, ob die Haushaltstitel richtig gewichtet sind, wurde schon angesprochen. Es lohnt sich schon, sich einmal den Etat für 2008 anzuschauen. Zwei Drittel der Beschaffungen sind für die Eingreifkräfte und nicht für das vorgesehen, was wir in erster Linie erfüllen: Stabilisierungsaufgaben. Das hat etwas mit gebundenen Mitteln aus der Vergangenheit zu tun; da hat der Minister völlig recht. Ich sage aber deutlich - denn das Beispiel A400M wurde angesprochen -: Wir gehen nicht mehr davon aus, dass dieses Flugzeug pünktlich zum vorgesehenen Termin geliefert wird. Wir erwarten aber von der Industrie - da muss der Minister verhandeln -, dass es zu keinen weiteren Verzögerungen kommt. Selbstverständlich sollte die Bundesregierung aus unserer politischen Sicht alles tun, ihre Rechte wahrzunehmen und Schadensersatz einzufordern. Dieses Flugzeug ist für die Einsätze innerhalb des Bündnisses dringend notwendig. ({4}) Zu diesem Nachjustieren gehört auch: Wir sehen im Einsatzalltag an vielen Stellen, wie knapp gerade Spezialisten - ob Piloten, spezielle Ärzte und viele andere mehr - sind. Ich denke, wir brauchen eine Debatte darüber, ob man nicht verstärkt darangehen sollte, diese Fähigkeiten zusätzlich auszubilden. Das Schmerzhafte muss dabei mit diskutiert werden: Das wird immer nur gehen, wenn an anderer Stelle etwas weggeschnitten wird. Wir möchten Sie, Herr Minister, ermuntern, diese schwierige Debatte mit anzustoßen. Das nächste Beispiel betrifft die Ausstattung. Dazu hat Johannes Kahrs schon einiges gesagt. Die Hauptkritik der Soldaten in den Einsatzgebieten bezieht sich nicht darauf, dass ihre Ausstattung schlecht wäre. Sie ist nicht schlecht im Vergleich zu unseren Verbündeten. Die Hauptkritik lautet: Warum geht es so langsam, und warum haben wir gelegentlich so unsinnige Vorschriften und bürokratische Abläufe? - Wir brauchen keine erdbebensicheren Container, und wir können mehr handelsübliches Material verwenden. Wir brauchen auch keine Abgassonderuntersuchung bei allen Fahrzeugen in Afghanistan und vieles andere mehr. Ich glaube, diese Regeln passen nicht zu den Einsätzen. Wir begrüßen sehr, Herr Minister, dass zunehmend die militärischen Voraussetzungen der Uniformträger bei der Führung von Auslandseinsätzen gebündelt wurden und wohl auch weiter gebündelt werden. Ich denke aber, dass die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr diesem Prinzip in einer neuen Organisationsstruktur folgen müssen. Wir sollten über querschnittliche Verantwortung für Auslandseinsätze auch bei den zivilen Mitarbeitern nachdenken. Dabei geht es nicht nur um die Organisation, sondern am Ende auch darum, wie zufrieden die Frauen und Männer sind, die in der Bundeswehr im Alltag ihre Arbeit leisten. Das letzte Beispiel, bei dem meiner Meinung nach weiter gedacht werden muss, ist die Wehrpflicht; der Herr Minister hat es angesprochen. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien steht, dass die Wehrpflicht weiterzuentwickeln ist. Wir sind ein verlässlicher Koalitionspartner und stehen zu dem Beschluss, dass die Wehrpflicht die richtige Entscheidung ist. Das ist überhaupt keine Frage. ({5}) Es ist gut, wenn der Minister sich Gedanken macht, ob die Wehrpflicht auch rechtlich Bestand hat, wenn die Dienstgerechtigkeit gefährdet ist. Man kann ein Jahr oder zwei Jahre 6 000 zusätzliche Soldaten heranholen. Aber das darf nicht strukturbildend werden. Es muss die Frage beantwortet werden: Was tun sie, haben sie eine sinnvolle Beschäftigung? Außerdem ist die Frage zu beantworten: Wie werden sie bezahlt? Wenn das längerfristig zulasten der Anzahl der Zeit- und Berufssoldaten geht, ist das exakt der falsche Weg. Dann ist es auch keine Weiterentwicklung der Wehrpflicht, sondern eine Rückentwicklung. Ich bitte die Union, vor dem Hintergrund der Vorgabe, dass es bei der Wehrpflicht bleibt, mit uns noch einmal darüber zu diskutieren, ob nicht gerade wir in dieser Großen Koalition die Chance nutzen sollten, ein Konzept für eine Weiterentwicklung der Wehrpflicht zu entwickeln, das auch in der nächsten Legislaturperiode, wie immer die Konstellationen dann aussehen mögen, trägt. Das wäre eine typische Aufgabe für eine Große Koalition. Wenn wir das nicht gemeinsam leisten, wird die Wehrpflicht möglicherweise in der nächsten Legislaturperiode viel stärker unter Druck geraten, als wir uns das insgesamt wünschen. Wir stehen weiterhin zur Wehrpflicht. Aber wir wollen sie weiterentwickeln, indem wir die Freiwilligkeit stärken, sodass wir am Ende aufgrund des attraktiven Angebots der Bundeswehr keine jungen Menschen zum Wehrdienst zwingen müssen. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt ansprechen. Ich wünsche mir sehr, dass wir eine stärkere gesellschaftliche Debatte um deutsche Verantwortung - nicht um Interessen, wie manche hier verkürzt meinen in der Welt führen. Dann wäre auch die linke Geisterdiskussion, dass wir Kriegstreiber seien, sehr schnell aus der Welt zu schaffen. Sie isolieren sich und unser Land in der Welt. Denken Sie einmal darüber nach, was die Skandinavier tun. Sie tun dasselbe wie die Deutschen; und sie sind wirklich friedliebende Völker wie wir Deutsche auch. Diese Debatte hätte nicht nur für die Gesellschaft einen wichtigen Wert, sondern auch für die Soldaten, die uns, wenn wir sie besuchen, in erster Linie fragen: Warum sind wir hier? Was tut die Politik, während wir hier für Stabilität sorgen? Was geschieht in diplomatischer Hinsicht? Was ist mit dem zivilen Aufbau? - Diese Fragen der Soldaten werden umso drängender, je länger die Einsätze dauern. Deshalb brauchen wir diese Diskussion. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir uns in der Koalition darauf verständigen, dass auch wir Parlamentarier noch stärkere Impulse für solche gesellschaftlichen Debatten geben, dass wir nicht immer nur über Auslandseinsätze im Einzelnen diskutieren, sondern auch im Grundsatz über Deutschlands Verantwortung in der Welt. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Winfried Nachtwei, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann direkt an die Ausführungen des Kollegen Arnold anschließen und mit dem weitermachen, was heute ansteht: Nach zwei Jahren sollte man versuchen, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ich will allerdings keine Insiderdiskussion führen, auch wenn die Versuchung sehr groß ist. Es bleibt dabei - ich habe das vor Ort auf dem Balkan, in Afghanistan, vor der Küste Libanons und anderswo erfahren -, dass die Bundeswehrangehörigen professionell und wirksam zur Eindämmung großer Gewalt beitragen. Sie tun das im Auftrag der Vereinten Nationen und im Auftrag dieses Bundestages. Dafür ist ihnen und ihren Angehörigen, die indirekt beteiligt sind, ausdrücklich zu danken. ({0}) Zugleich können wir aber feststellen - das gilt vor allem seit dem letzten Jahr -, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr zunehmend an Akzeptanz verlieren. Vor einigen Wochen hat das Institut für Demoskopie Allensbach Zahlen veröffentlicht, nach denen der Anteil der Bevölkerung, der diese Auslandseinsätze ablehnt, von 2005 bis 2007 von 34 auf 50 Prozent gestiegen ist. Die Bevölkerungsumfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr kommt zu etwas niedrigeren Werten und äußert sich etwas zurückhaltender, es stellt aber eine ähnliche Tendenz fest. Diese Tendenz spüren wir, die Mitglieder der verschiedenen Parteien, auch in unseren Wahlkreisen. Herr Minister, was ist Ihre Reaktion darauf? Wie verhalten Sie sich angesichts dieses objektiv vorhandenen Vertrauensverlustes gegenüber der Politik und der Bundesregierung? Sie haben uns einen Brief geschrieben, Ihre Zwischenbilanz nach zwei Jahren Politik im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich. Dort steht im Hinblick auf dieses Problem der folgende Satz: „Deshalb werbe ich für einen breiten Dialog.“ Persönlich, sozusagen bilateral, kaufe ich Ihnen das ab. Die Frage ist nur, ob es tatsächlich einen politischen Dialog gibt. Seit 2006 können wir feststellen - das gilt für die Mitglieder der verschiedenen Fraktionen ebenso wie für andere -, dass über die Wirksamkeit von Auslandseinsätzen, die Kriterien für Auslandseinsätze und die Probleme im Zusammenhang mit den großen, komplizierten State-Building-Projekten auf multinationaler Ebene insgesamt immer stärker diskutiert wird. Vorschläge hinsichtlich der Kriterien kamen vom Kollegen Schockenhoff, von der CSU-Landesgruppe und von Volker Perthes, also von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch im Friedensgutachten der fünf Friedensforschungsinstitute wurden Vorschläge geäußert. Vor wenigen Wochen hat die Evangelische Kirche in Deutschland eine Friedensdenkschrift vorgelegt, in der sie, ausgehend vom Verständnis eines gerechten Friedens, eine Ethik rechtserhaltender Gewalt entwickelt. Diese Friedensdenkschrift markiert Grenzen des Rechts auf Selbstverteidigung. Es wäre sehr interessant gewesen, wenn das Parlament diesen Aspekt in der Diskussion über die Fortsetzung der Operation Enduring Freedom stärker berücksichtigt hätte. Diese Operation - wir gehen in das siebte Jahr - bezieht sich ja ausdrücklich auf ein geradezu endlos definiertes Selbstverteidigungsrecht. In dieser Denkschrift wird auch die ethische Fragwürdigkeit - das ist zu bescheiden formuliert -, die ethische Illegitimität des Drohens mit Atomwaffen festgestellt. Was bedeutet das für die fortgesetzte nukleare Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland? Was bedeutet das angesichts der Tatsache, dass Sie, Herr Minister, weiterhin von Tornadobesatzungen verlangen, dass nukleare Einsätze geübt werden? ({1}) Das ist endgültig nicht mehr zumutbar. ({2}) Wie steht es nun um das spannende Angebot eines konstruktiven Dialogs? Ich habe den Eindruck, dass Sie und Ihr Haus nur Monologe, aber keinen politischen Dialog führen. ({3}) Sie haben den umfassenden Ansatz und die vernetzte Sicherheitspolitik mit dem Weißbuch mehr in den Mittelpunkt gestellt. Das ist ausdrücklich zu befürworten; das ist notwendig. Sehen wir uns aber einmal an: Das auf der NATO-Ebene in verschiedenen Komitees zu verankern ist das eine. Das ist natürlich notwendig. Aber wie sieht es am Boden aus? Wie sieht da die Umsetzung aus? Ich will ein Beispiel dazu nennen: Sicherheitssektorreform, Polizeireform. Wir mussten in der vorherigen Woche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen, was Ihr Kollege Innenminister Schäuble dazu gesagt hat. Ich zitiere: Mehr deutsche Polizisten zur Ausbildung der afghanischen Kollegen lehnte er indes ab - was die Anforderungen an die Polizisten betreffe, seien die Amerikaner dazu besser in der Lage. ({4}) Solche Worte - das muss ich sagen - sind eine ausdrückliche Kapitulation vor dem, was gerade in Afghanistan notwendig ist. ({5}) Sie sabotieren ausdrücklich den umfassenden Ansatz, der wohl insgesamt von der Bundesregierung vor sich hergetragen wird. Ich muss sagen: Dieser umfassende Ansatz muss im Kabinett anfangen, damit er nicht nur Schall und Rauch bleibt. Danke schön. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kurt Rossmanith hat das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns jetzt im vierten Jahr nach der grundlegenden Entscheidung zur Transformation unserer Streitkräfte. Unser Ziel ist weiterhin, die Einsatzfähigkeit zu verbessern und dauerhaft auf entsprechend hohem Niveau zu halten. Denn die Vorgaben, das heißt den Auftrag, haben unsere Soldatinnen und Soldaten von uns, also von der Politik, erhalten. Logischerweise geht Derartiges nicht, wenn man die entsprechenden Mittel nicht bereitstellt. Gute und lobende Worte allein machen diejenigen, die es gewohnt sind, harten Dienst zu leisten, unsere Soldatinnen und Soldaten, nicht glückselig. ({0}) Deshalb wurde im Haushalt für den Bundesminister der Verteidigung - sprich: für die Streitkräfte - schon im Vorfeld, im Regierungsentwurf des Haushaltes 2008, annähernd 1 Milliarde Euro zusätzlich vorgesehen. Ich darf mich bei allen Kolleginnen und Kollegen sowohl im Verteidigungsausschuss als auch im Haushaltsausschuss dafür bedanken, dass wir es dann noch geschafft haben - ich glaube, die Notwendigkeit ist unbestritten -, zusätzlich rund 150 Millionen Euro auf diesen Plafond draufzusetzen, und zwar für die Modernisierung der Flugbereitschaft, die nicht nur den Soldaten, sondern unter anderem auch der Bundesregierung und dem Bundestag zugutekommt, aber auch für die Fortsetzung des Tornadoeinsatzes, wofür noch einmal zusätzlich 38 Millionen Euro erforderlich waren. Herr Bundesminister Jung, Sie sind schon auf einen wesentlichen Sympathieträger unserer Streitkräfte eingegangen. Das sind die Soldatinnen und Soldaten in den Stützpunkten unserer Spitzensportler. Ich freue mich, dass es möglich war, auch hier noch 3,5 Millionen Euro einzubringen, um damit rund 800 Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern der Bundeswehr eine entsprechende Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Vancouver und Peking zu ermöglichen. ({1}) Wir kommen mit dieser Steigerung um über 1 Milliarde Euro - ermöglicht durch die Beschlüsse des Haushaltausschusses und des Verteidigungsausschusses unserer Aufgabe nach, die Investitionen zur Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr sowie der Verbesserung der Unterbringung unserer Soldaten entsprechend fortzuführen. Kollege Kahrs hat schon auf den momentanen Zustand der Unterbringung bzw. auf die vorhandenen Mängel hingewiesen. Außerdem haben wir zusätzliche Gelder für militärische Beschaffungen bereitgestellt. Ich gehe davon aus, dass diese Vorhaben heute in zweiter Lesung und am Freitag in dritter Lesung bestätigt werden. Frau Homburger, das, was Sie zum Einsatz im Kongo gesagt haben, war leider Humbug; ({2}) denn Sie sind nicht auf die Konsequenzen eingegangen. Im Kongo haben unsere Soldaten vereint mit unseren Partnern Hervorragendes geleistet und schon im Vorfeld ein Riesenchaos verhindert. Es fanden demokratische Wahlen statt, deren Ergebnis akzeptiert wurde. ({3}) Das, was Sie gesagt haben, hätte zur Konsequenz gehabt - dies haben Sie nicht zum Ausdruck gebracht -, dass wir in einem Land wie dem Kongo, in dem die eine oder andere Rebellengruppe Unruhe stiftet, ständig Streitkräfte hätten stationieren müssen. Ich glaube, das wollte niemand. Die jetzige Situation im Kongo ist für afrikanische Verhältnisse relativ stabil. ({4}) Hier bitte ich um etwas mehr Ehrlichkeit; die afrikanischen Verhältnisse kann man nämlich nicht mit den Verhältnissen bei uns vergleichen. Selbstverständlich müssen wir uns bemühen, die Lage im Kongo weiter zu verbessern und zu stabilisieren, und natürlich, Kollege Bonde, können wir in Anbetracht dessen, was dort derzeit geschieht, nicht glücklich sein. ({5}) Im Namen meiner Fraktion und sicherlich auch im Namen der gesamten Koalition sage ich allen Soldatinnen und Soldaten, die im Ausland oder in Deutschland ihren Dienst tun, meinen Dank. Sie leisten einen Dienst für Freiheit und Frieden. Hier sollten wir es nicht bei Worten belassen, sondern diese Überzeugung auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass wir dem Haushalt des Bundesministers der Verteidigung, dem Einzelplan 14, geschlossen zustimmen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt erteile ich das Wort Kollegin Ulrike Merten, SPD-Fraktion. ({0})

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Den fliegenden Wechsel oben bemerkend, sage ich jetzt: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jede Debatte über den Haushalt ist ein Ringen um die richtigen Schwerpunktsetzungen. Ich glaube, dieser Haushalt ist uns wirklich gelungen; obwohl schon einige wichtige Punkte genannt worden sind, will ich sie noch einmal kurz ansprechen. Wir planen eine Erhöhung des Wehrsolds; der Dienst in der Bundeswehr wird also durch einen materiellen Anreiz attraktiver gestaltet. Im Zusammenhang mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz schaffen wir ein erhebliches Maß an Sicherheit für die im Auslandseinsatz versehrten Zeitsoldaten, Reservisten, Beamten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Im Rahmen des Projekts Schützenpanzer Puma haben wir uns mit den wichtigen Fragen der Ausrüstung und des Schutzes der Soldaten im Einsatz beschäftigt. Das Infrastrukturprogramm West ist hier schon mehrfach erwähnt worden. Um die Modernisierung der Streitkräfte und die Bereitstellung der für den Einsatz unverzichtbaren Ausrüstung zu gewährleisten, müssen wir - das wissen wir nicht erst seit heute - nach neuen Wegen suchen, um die Investitionen zu erhöhen und die Effizienz der eingesetzten Mittel zu steigern. Daher möchte ich den Schwerpunkt meiner heutigen Ausführungen bei der Reduktion der Betriebsausgaben setzen und auf unsere erfolgreiche Arbeit auf dem Gebiet der öffentlich-privaten Partnerschaft eingehen. Im Rahmen des Transformationsprozesses hat die Bundeswehr in den letzten Jahren in großem Umfang Geräte und Systeme aus der Nutzung genommen, die sie angesichts ihrer neuen Struktur nicht mehr benötigt. So wurde in den letzten drei Jahren nicht nur die Anzahl der Panzer und Schützenpanzer mehr als halbiert, sondern es wurde auch eine Vielzahl anderer Geräte und Systeme ausgemustert. Um unsere Betriebs- und insbesondere die Materialkosten weiter zu reduzieren und dadurch noch mehr Raum für die Konzentration der Bundeswehr auf ihre Kernaufgaben zu schaffen und auch um die Zielstruktur beim Umfang des Zivilpersonals im Transformationsprozess zu erreichen, müssen wir diesen Weg entschlossen weitergehen. ({0}) Die Bundeswehr als Armee im Einsatz kann nicht mehr alle sie betreffenden Aufgaben selbst erledigen. Sie muss sich mit dem zur Verfügung stehenden Personal auf die Fähigkeiten konzentrieren, die auf dem Markt nicht zur Verfügung stehen. Dafür braucht sie leistungsfähige Unterstützung, auch auf dem Wege von Privatisierungen. Hinzu kommt: Die Bundeswehr hat es im Vergleich zu anderen mit besonders kostenintensiven und langfristigen Investitionen auf der einen Seite und mit besonders hohen Know-how-Anforderungen auf der anderen Seite zu tun. Die Bundeswehr hat deshalb seit 1999 ihre Anstrengungen zur Erhöhung der Wirtschaftlichkeit und des Innovationspotenzials sowie zur Erschließung privaten Kapitals bei allen Unterstützungsaufgaben erheblich vergrößert. Mit fast 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Kooperationsfelder und Betreiberverträge steht die Bundeswehr im Übrigen an der Spitze der öffentlich-privaten Partnerschaften in Deutschland. Auf diesem Weg leisten die GEBB und die im Bundesverteidigungsministerium eingerichtete Abteilung Modernisierung eine wertvolle und unverzichtbare Arbeit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, erst in der letzten Woche hat die IT-Gesellschaft in Meckenheim ihren endgültigen Sitz bezogen. Ich kann den vielen positiven Stimmen nur beipflichten: HERKULES hatte einen guten Start. ({1}) Nach weniger als einem Jahr hat das Projekt HERKULES mit der BWI nun sein Domizil gefunden und kann mit Jahresbeginn die Integrationsphase starten. Dann wird die Migrationsphase abgeschlossen sein, in der 800 Soldaten, 400 Siemens- und IBM-Angestellte und 1 550 gestellte zivile Angehörige der Bundeswehr - sicher auch so manchen kulturellen Unterschied überwindend - ihren neuen Arbeitsplatz für die nächsten Jahre eingenommen und die zivile, die weiße IT-Infrastruktur übernommen haben. Dazu wurden an 1 784 Standorten Bestandsaufnahmen durchgeführt und bestehende Verträge der Bundeswehr mit mittelständischen Unternehmen in Drittverträge migriert. Obwohl das gesamte ÖPP bis 2014 läuft, soll die Erneuerung der IT - sprich: die Installation von 140 000 PCs und Servern, 300 000 Festnetztelefonen und 15 000 Mobiltelefonen - bereits 2010 abgeschossen sein. Vielen Mitgliedern des Verteidigungs- und auch des Haushaltsausschusses war es übrigens bei der Entscheidung über HERKULES besonders wichtig, dass kleine und mittlere Unternehmen am Vertragsvolumen partizipieren. Zwar war eine Mittelstandskomponente von 30 Prozent im Vertrag enthalten, doch war sie aus unserer Sicht zu wenig spezifisch. Der Haushaltsausschuss drängte daher erfolgreich auf ein konkretes Mittelstandskonzept und auf jährliche Berichte des BMVg. Nicht zuletzt hat uns der Koalitionsvertrag aufgegeben, die Möglichkeiten der verschiedenen Betreiber- und Kooperationsmodelle weiterzuentwickeln und noch bessere gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um das vorhandene Effizienzpotenzial zu nutzen und speziell die Bundeswehr von Aufgaben zu entlasten. Die kritische Überprüfung ist hier selbstredend mit eingeschlossen. Nach meiner Auffassung haben wir mit der Kooperation mit der Wirtschaft den richtigen Weg beschritten. Künftige Herausforderungen werden insbesondere ein effektives Controlling und ein exaktes Haushaltsgebaren sein sowie die auch vom Bundesrechnungshof konstatierte Möglichkeit des Verlustes bestimmter Fähigkeiten und Kompetenzen. Das genannte Risiko der Monopolbildung sehe ich bislang hingegen weniger. Doch ich will keinen Hehl aus meiner persönlichen Meinung machen, dass immer dann, wenn wir durch Eigenoptimierung Unterstützungsleistungen wirtschaftlicher erbringen können, wir diesen Weg gehen sollten. Bei jedem neuen ÖPP-Projekt ist allerdings immer wieder abzuwägen, für welche Produkte spezielle Bundeswehrlösungen notwendig sind und wo handelsübliche Lösungen den größeren Nutzen bringen. Konkret bei HERKULES ist die Verantwortung der Bundeswehr berechtigterweise wesentlicher Vertragsbestandteil. Schon während der Projektlaufzeit ist die Bundeswehr jederzeit in der Lage, unter bestimmten Bedingungen die unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Wir sind nicht nur mit diesem Projekt auf dem richtigen Weg, sondern auch mit anderen eingeleiteten Projekten, weil sie helfen, den notwendigen zusätzlichen Spielraum zu erarbeiten. Was im Verteidigungsbereich möglich ist, kann beispielgebend für andere Politikbereiche sein. Ich glaube, es lohnt sich, sich dies genau anzuschauen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bernd Siebert, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meines Redebeitrags halte ich es für unverzichtbar, mich bei den Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr zu bedanken, die unter zum Teil sehr gefährlichen Rahmenbedingungen ihre Aufgaben im Einsatz erfüllen und so als Botschafter Deutschlands unser Ansehen in der Welt aufwerten. ({0}) In diesen Dank möchte ich ausdrücklich die Reservisten einbeziehen; denn sie werden bei den Diskussionen sehr häufig vergessen. ({1}) Unsere Soldaten sind gut ausgebildet, sie sind engagiert, sie sind motiviert, und sie leisten etwas Besonderes; denn das Ansehen unseres Landes im Ausland wird gemehrt. Mein Dank richtet sich - das möchte ich in diesem Zusammenhang deutlich machen - auch an die Soldatinnen und Soldaten sowie an die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Heimat; denn nur weil sie ihre Leistung ordentlich erbringen, sind unsere Soldaten im Einsatz überhaupt in der Lage, das zu leisten, was sie leisten. Sie halten ihnen den Rücken frei. ({2}) Ihnen allen galt und gilt unsere besondere Aufmerksamkeit. Daher haben wir in der Großen Koalition gemeinsam mit der Bundesregierung und natürlich insbesondere mit Minister Franz Josef Jung in den letzten zwei Jahren Projekte zur Verbesserung der Ausrüstung und des Einsatzumfeldes auf den Weg gebracht. Wir haben über die Einzelheiten eben schon diskutiert. An dieser Stelle möchte ich mich kurz mit dem auseinandersetzen, was Frau Hoff vorhin gesagt hat. Frau Hoff hat ein Bild geschildert, das ich mit der Realität nicht in Einklang bringen kann. Sie hat uns aufgefordert, mehr zu tun. Ich denke, wir haben im Rahmen des Möglichen vieles getan. Wenn hier aber gleichzeitig ein Antrag gestellt wird, die Mittel im Kapitel „Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung“ - genau der Bereich, für den, wie ich kritisiere, nicht genügend da ist - um 185 Millionen Euro zu kürzen, ({3}) stelle ich mir schon die Frage, welche Linie Sie in Ihrer Fraktion verfolgen: Wollen Sie mehr fordern, oder wollen Sie einsparen? ({4}) Wir haben den Zulauf bzw. die Beschaffung moderner Ausrüstung und geschützter Fahrzeuge vorangetrieben. Oberstes Ziel war es, unsere Soldaten im Einsatz mit dem bestmöglichen Gerät und dem höchsten Schutz ausBernd Siebert zustatten und zugleich dafür Sorge zu tragen, dass die Soldaten zu Hause auch entsprechend damit üben können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, die Kollegin Hoff würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin der letzte Redner zu diesem Einzelplan. Ich verzichte auf Zwischenfragen, weil ich die Rede im Zusammenhang vortragen möchte. ({0}) Darüber hinaus haben wir beispielsweise die soziale Situation der Soldatinnen und Soldaten nach einem Einsatzunfall mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz grundlegend verbessert, dankenswerterweise mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit hier in diesem Hause. Aber nicht nur die genannten Einzelprojekte machen unsere erfolgreiche Bilanz deutlich, auch die vorgesehene Finanzlinie für die nächsten drei Jahre gibt Anlass zur Zuversicht; denn wir reden jetzt über eine Steigerung von über 1 Milliarde Euro für das Jahr 2008. Ich bin mir sicher, dass der investive Anteil am Einzelplan 14 aufgrund der insgesamt geplanten Steigerung um rund 2 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren deutlich erhöht werden kann. Ich denke, damit ist unsere Forderung, die wir hier bei der Haushaltsdiskussion vor einem Jahr vorgetragen haben, in diesem Jahr umgesetzt worden. Wer aber glaubt, dass damit alle Risiken beseitigt sind, der wird sich irren. Der von einer breiten politischen Mehrheit befürwortete Transformationsprozess der Bundeswehr ist zwar politisch gewollt und politisch umgesetzt, in der Praxis aber natürlich noch nicht vollständig vollzogen. Hierzu bedarf es weiterer Anstrengungen. Erwähnen will ich die dringend notwendigen Investitionen in Material und Ausrüstung - deswegen haben wir die Haushaltsmittel erhöht - sowie in die Infrastruktur der Kasernen in den alten Bundesländern. Hier muss ohne Wenn und Aber Abhilfe geschaffen werden. Es ist unsere Pflicht, unsere Staatsbürger in Uniform auch nach den Standards der heutigen Zeit unterzubringen. Letztlich ist dies auch ein wichtiger Beitrag für die Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr und ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber unseren Soldaten und Soldatinnen. Darüber hinaus muss auch die von mir bereits erwähnte durchgängige Ausstattung der Truppe mit modernem und einsatztauglichem Gerät zügig fortgeführt werden. Dies wird auf der Zeitachse immer noch zu sehr gestreckt. Wir müssen allerdings nicht immer - das sage ich ausdrücklich wegen der Diskussionen der letzten Tage - eine 100-Prozent-Lösung umsetzen, deren Verwirklichung meist viel Zeit in Anspruch nimmt. Die 90-Prozent-Lösung, die aber unter Umständen sofort verfügbar ist, bietet schnell immer noch mehr Schutz als eine Lösung, die erst in einigen Jahren verfügbar ist. Mir ist klar, dass dieses Ziel nicht durch das monotone Einfordern größerer Finanzmittel erreicht werden kann. Vielmehr muss die Bundeswehr auch weiterhin alle Möglichkeiten zu einer effizienten Erschließung der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Mit den Beteiligungsgesellschaften und der Auslagerung von Leistungen, die nicht zum Kernauftrag zählen, wurde der richtige Weg beschritten. Mit der nun angestrebten Auslagerung logistischer Leistungen sind wir - davon bin ich zutiefst überzeugt - ebenfalls auf dem richtigen Weg. Neben diesen erfolgreichen Modellen muss jedoch über weitere Alternativen nachgedacht werden. Es ist aus meiner Sicht bedauerlich, dass die alternative Finanzierung von militärischer Ausrüstung immer wieder an den Einwänden einiger Bedenkenträger - so nenne ich sie scheitert. Dies ist ein Themenbereich, der in den nächsten Jahren auf der politischen Tagesordnung bleiben wird. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf der Bundesregierung eine solide Finanzplanung für die Bundeswehr ermöglicht wurde. Konzeptionell ist die Finanzierung des Verteidigungshaushaltes stimmig. An dieser Stelle ein Dank an die Haushälter und den Finanzminister, der dies gemeinsam mit den Haushältern ermöglicht hat. Wichtig bleibt auch weiterhin die Anpassung der Finanzlinie an die Anforderungen der Bundeswehr. Durch den eingeschlagenen Weg - die Anpassung der Finanzlinie, die Beschränkung der Bundeswehr auf die Kernfähigkeit und das Ausschöpfen der Möglichkeiten einer alternativen Finanzierung - kann eine solide Finanzbasis für die Beschaffung von Gerät und zur Herstellung moderner Infrastruktur geschaffen und damit letztendlich zur Attraktivität der Bundeswehr beigetragen werden. Zum Schluss meines Redebeitrages möchte ich mich noch einmal ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen eigentlich aller Fraktionen im Verteidigungsausschuss bedanken. Es ist schon etwas Besonderes, wie sachlich die Diskussionen in der Regel geführt werden, aber insbesondere möchte ich mich bei den Sozialdemokraten und bei meinem Koalitionspartner Rainer Arnold bedanken, mit dem wir eine hervorragende Zusammenarbeit pflegen. Als Ausdruck dieser guten Zusammenarbeit darf ich die für Januar 2008 geplante Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro pro Tag erwähnen, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Die erste Erhöhung seit 1998 ist aus meiner Sicht eine notwendige Voraussetzung für die Akzeptanz des Wehrdienstes bei jungen Menschen in unserem Land und trägt damit zum notwendigen Erhalt der Wehrpflicht bei. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe dem Kollegen Koppelin das Wort zu einer Kurzintervention.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Schade, dass Sie meiner Kollegin Hoff nicht die Möglichkeit zur Zwischenfrage gegeben haben, Herr Kollege, vor allem, da Sie sie persönlich angesprochen haben. Ihr ganzer Beitrag hat mich sehr gewundert. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht allzu gründlich in den Haushaltsentwurf geguckt haben. Sonst hätten Sie hier nicht eine solche Rede halten können. Ich stelle fest, dass Sie die mehr als 1 Milliarde Euro, die Sie angeblich zusätzlich bekommen haben, loben. Sie feiern das ab und erklären, was man mit diesem Geld alles machen könne. Sie haben allerdings völlig vergessen, dass der Bundeswehr im Haushalt 2007 allein durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer so viel Geld weggenommen worden ist, dass wir in diesem Haushalt ein Riesendefizit hatten. Das müssen Sie erst einmal ausgleichen. Im Moment haben Sie noch gar nichts zum Verteilen. Allein durch Ihre Erhöhung der Mehrwertsteuer ist bei der Bundeswehr richtig abkassiert worden; das sind fast 700 Millionen Euro. Darauf hätten Sie eingehen können. Sie hätten auch auf andere Dinge eingehen können. Der Einzelplan 14 zeugt nicht von Haushaltsklarheit und -wahrheit. Das merken Sie jedes Mal, wenn es zu Auslandseinsätzen kommt und zusätzliche Leistungen erbracht werden müssen. Dann kommt die „Aktion Klingelbeutel“ des Verteidigungsministers; dann sammelt er überall Geld ein. Hätten Sie sich einmal den Haushaltsentwurf angeschaut, dann hätten Sie die vielen Haushaltsvermerke gesehen. In diesem Fall hätten Sie hier nicht eine solche Rede gehalten. So, wie dieser Haushalt aufgestellt ist - das habe ich in der letzten Haushaltsdebatte schon gesagt -, müssten Sie dem Verteidigungsminister eigentlich das Geld geben und sagen: „Mach damit, was du willst“; denn der von ihm aufgestellte Haushalt hat nichts mit Haushaltsklarheit und -wahrheit zu tun. So müssen Sie auch unsere Anträge sehen. Ich bedauere sehr, dass Sie überhaupt eine solche Rede gehalten haben. Sie sollten in den Haushaltsentwurf schauen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Siebert, Sie können antworten.

Bernd Siebert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Koppelin, auch mit Ihrer Bemerkung wird das, was Ihre beiden Kolleginnen vorhin vorgetragen haben, nicht richtiger. ({0}) Ich denke, dass wir mit der Erhöhung der Haushaltsmittel außerordentlich viel Richtiges und Sinnvolles getan haben. Wir haben nämlich zunächst dafür Sorge getragen, dass unsere Soldaten im Einsatz mehr Schutz erhalten. Damit haben wir die erste Pflicht gegenüber unseren Soldaten erfolgreich umgesetzt. ({1}) Viele andere Aufgaben liegen natürlich noch vor uns. Wir wollen selbstverständlich auch neue Entwicklungen in Gang setzen. Das wollen Sie auch; so jedenfalls habe ich Frau Hoff vorhin verstanden. Vor diesem Hintergrund will ich einmal zitieren, was Sie in Ihrem Antrag geschrieben haben, damit es jeder weiß: Der Bundestag wolle beschließen: Im Kapitel 14 20 - Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung - ist bei Titel 551 11 - Wehrtechnische Entwicklung und Erprobung - der Mittelansatz von 550 Mio. Euro um 185 Mio. Euro auf 365 Mio. Euro zu reduzieren. Dies widerspricht dem, was Frau Hoff vorhin vorgetragen hat. ({2}) Weiterhin steht dort: Bei der Verpflichtungsermächtigung erfolgt eine Absenkung um 200 Mio. Euro auf 427,6 Mio. Euro. ({3}) Ich stelle fest, dass mit der von Ihnen vorgesehenen Absenkung die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr nicht ausgeweitet, sondern reduziert wird. Nichts anderes wollen Sie mit Ihren Anträgen. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 - Bundesministerium der Verteidigung in der Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/7314? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition abgelehnt. Wer stimmt für den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.12 auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 16/6419, 16/6423 Berichterstattung: Abgeordnete Alexander Bonde Iris Hoffmann ({0}) Michael Leutert Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Zu dem Einzelplan 23 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache Eineinviertelstunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Kollegen Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion. ({1})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem Glückwunsch beginnen. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie hatten vor einer Woche Geburtstag. Dazu gratulieren wir Ihnen ganz herzlich. Es war nicht irgendein Geburtstag, sondern ein Geburtstag, an dem die meisten Menschen normalerweise in den Ruhestand gehen. Keine Angst, ich will keine platten Sottisen, sondern Ihnen ein ernst gemeintes Kompliment machen! Ich kenne kaum einen anderen Ressortchef, der so energisch für seine Ziele kämpft und sie so unbeirrt durchsetzt. ({0}) Das wird auch in dem Aufwuchs deutlich, den Ihr Haushaltsansatz erfahren hat. Es sind immerhin satte 15 Prozent. Kompliment! ({1}) Was die Ziele angeht, sind wir uns in der Regel einig. Nur der Weg trennt uns manchmal ein bisschen. ({2}) Dennoch oder gerade deshalb ist es schmerzhaft, dass mit diesem Haushaltsansatz wieder falsche Weichenstellungen verbunden sind. Schon wieder und mehr denn je setzen Sie, Frau Ministerin, auf die weithin unbefriedigende Budgethilfe, die oft auf verschlungenen Pfaden über internationale Institutionen - Weltbank, EEF usw. - an fragile Staaten und nicht selten an korrupte Regime fließt. Eine echte Verwendungskontrolle ist dann natürlich nicht möglich. Wir haben noch immer - ich weiß, dass ich das oft anspreche; aber man muss es immer wieder tun, weil es um viel Geld geht - keine Kontrolle über die Mittelverwendung des Europäischen Entwicklungsfonds, keine parlamentarische Kontrolle - diese haben wir sowieso nicht, weil kein Parlament dafür zuständig ist - und auch keine wirksame Kontrolle durch die Bundesregierung, Frau Ministerin. Es gibt offenbar noch nicht einmal einen ständigen deutschen Vertreter in den Steuerungsgremien, der Kontinuität bei der Aufsicht gewährleisten würde. Sie sind dort offenbar „blind“. Das kann so nicht weitergehen. Mit einer geringfügigen Kürzung dieses Einzelpostens hatten die Haushälter bereits einen ersten Warnschuss vor den Bug abgegeben - diesen sollte man ernst nehmen -, in der Bereinigungssitzung mit der Kürzung der Weltbankmittel noch einen zweiten. Ich bin sicher: Wenn wir uns die von den Haushältern formulierten Sorgen nicht zu Herzen nehmen, dann wird der nächste Schuss als volle Breitseite mitschiffs landen. ({3}) Lassen Sie uns diese Mahnzeichen aufgreifen. Wie gesagt, wir streiten ja nicht über die Ziele, sondern über die Wege dorthin. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Mittelverwendung. Der entscheidende Kritikpunkt für die FDP ist die falsche Schwerpunktsetzung in der Entwicklungspolitik. Über die Schwellenländer hat Guido Westerwelle am Beispiel Chinas in der „Elefantenrunde“ heute Morgen gesprochen; ich kann es deshalb kurz machen. Wir fördern mit riesigen Beträgen weiterhin Länder, die es eigentlich nicht nötig haben. Wir zahlen Südafrika 56 Millionen Euro, China 67,5 Millionen Euro - das ist übrigens ein Aufwuchs im Vergleich zum Vorjahr - und Indien 64 Millionen Euro. Die gesamten ODA-Mittel, einschließlich dessen, was aus anderen Haushalten kommt, betragen noch ein Vielfaches davon, im Falle Chinas 187 Millionen Euro. Dabei haben diese Länder das weiß Gott nicht nötig. Wenn wir die Devisenreserven allein von China betrachten, dann stellen wir fest, dass es mehr ist, als heute Morgen angenommen wurde, nämlich 1,411 Billionen Dollar. Hinzu kommen die 138 Milliarden Dollar von Hongkong, über die die Zentralregierung entscheidet. Ich will das nur einmal in Erinnerung rufen: Allein aus den Zinseinkünften dieser Devisenreserven kann das Land in neun Stunden die Mittel, die wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen, erwirtschaften. Und Sie glauben, Sie könnten damit Einfluss nehmen? Ich halte das für falsch; denn dieses Geld fehlt natürlich in anderen Ländern. Das Geld, das wir für China ausgeben, können wir zum Beispiel nicht Niger oder Bangladesch geben. ({4}) Wer braucht die größte Unterstützung zurzeit, auch im deutschen Interesse? Das ist Afghanistan. Was erhält Afghanistan? Sie sprechen von einem Aufwuchs. Ich kann den im Haushaltsplan nicht unmittelbar feststellen; das ist ziemlich unübersichtlich. Im Februar letzten Jahres haben Sie uns mitgeteilt, Sie hätten die Hilfe um 20 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro aufgestockt. Jetzt stehen 70 Millionen Euro im Haushaltsplan. Fragt man nach, wo die Differenz ist, dann wird auf das Auswärtige Amt verwiesen. Im Haushaltsplan für das Auswärtige Amt stehen - das ist richtig - 55 Millionen Euro. Wie viel es aber vorher war, wird verschwiegen. Vermutlich ist dort keine Aufstockung erfolgt. Wir konnten das nicht ganz nachvollziehen. Das zeigt einmal mehr, dass die künstliche Trennung von AA und BMZ auch in diesem Punkt zulasten der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit geht. Weil wir gerade beim Organisatorischen sind: Frau Ministerin, was macht eigentlich die Institutionenreform? Was macht die Zusammenführung von KfW Entwicklungsbank und GTZ? ({5}) Was ist mit „weltwärts“? Soll die Organisation wirklich ohne gesetzliche Grundlage entstehen? Es wird einfach ein Konzept aus der Handtasche gekramt, und dann ist „weltwärts“ da. Die Haushälter bewilligen 70 Millionen Euro, und dann fangen die an, zu arbeiten. Niemand hier im Parlament kennt irgendwelche Rahmenbedingungen. Frau Ministerin, bitte sagen Sie uns, wohin Sie wollen. Aus Ihrem Haushaltsplan ist das jedenfalls nicht ersichtlich. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Iris Hoffmann, SPDFraktion.

Iris Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist in dieser Legislaturperiode nach wie vor einer der am stärksten wachsenden Einzelpläne im gesamten Bundeshaushalt. Mit einer Steigerung von über 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf weit mehr als 5 Milliarden Euro wird 2008 mit Abstand das bisher beste Jahr in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Blicken wir zurück, können wir feststellen, dass der Haushalt seit dem Jahr 2000 um 1,4 Milliarden Euro angewachsen ist. Diese dynamischen Mittelzuwächse verdeutlichen, welchen Stellenwert die Entwicklungszusammenarbeit in der Politik der Bundesregierung inzwischen hat. Das ist ein Erfolg, der vor allem der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zu verdanken ist. ({0}) Auch wenn wir gelegentlich verschiedene Meinungen haben, sind wir im Ziel und in der Sache nicht auseinander, geht es doch darum, unseren finanziellen Verpflichtungen gerecht zu werden und die Millenniumsentwicklungsziele umzusetzen. Unser Anliegen ist es, das Thema Entwicklungspolitik nicht nur auf der politischen Agenda nach vorne zu bringen, sondern auch in die Köpfe und Herzen der Menschen zu tragen, um die Akzeptanz in der Öffentlichkeit noch weiter zu erhöhen. Auch in diesem Jahr wurden eindeutige Schwerpunkte bei der Verteilung der zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel gesetzt. Herausheben möchte ich die verstärkten Anstrengungen zum Kampf gegen Aids, Malaria und Tuberkulose. Hierfür werden im kommenden Jahr 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. ({1}) Davon gehen allein 200 Millionen Euro an den GFATM, den globalen Fonds zur Bekämpfung dieser drei Krankheiten. Damit werden diese Mittel gegenüber dem Vorjahr um 130 Prozent erhöht. Auch die Barmittel für die Weltbank und den Europäischen Entwicklungsfonds wachsen deutlich an, bedingt durch Abrufe von Verpflichtungen, die wir bereits in vorangegangenen Haushaltsjahren eingegangen sind. Für die Weltbank und die Afrikanische Entwicklungsbank werden Ende dieses Jahres durch die Bundesregierung höchstwahrscheinlich Neuzusagen von insgesamt deutlich mehr als 2 Milliarden Euro gemacht. Auch hierfür sind im vorliegenden Haushalt bereits entsprechende Verpflichtungsermächtigungen eingestellt worden. Auch die Mittel der finanziellen Zusammenarbeit, also der KfW, werden kräftig aufgestockt. Auf sie entfällt mit etwa 300 Millionen Euro fast die Hälfte der gesamten Etaterhöhung. Erklärtes Ziel des Bundesministeriums ist es, mit den zusätzlichen Mitteln vor allem die Bereiche Zinssubventionen und Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierungen bzw. Budgethilfen weiter systematisch auszubauen. Auf Letzteres komme ich später noch zurück. Bei aller gebotenen Konzentration auf die großen multi- und bilateralen Organisationen war ich doch etwas überrascht darüber, dass es der Bundesregierung trotz der hohen Zuwächse wie im vergangenen Jahr größtenteils nicht möglich war, die zivilgesellschaftliche Entwicklungszusammenarbeit angemessen am Aufwuchs des Haushalts zu beteiligen. Der Haushaltsausschuss hat hier die Forderungen und Anregungen der Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgegriffen und die Mittel für verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen maßvoll angehoben. Dazu gehören beispielsweise die Arbeiterwohlfahrt International, das DGB-Bildungswerk, das Kolpingwerk, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und nicht zuletzt die vielen ehrenamtlich tätigen privaten Vereine und Nichtregierungsorganisationen. ({2}) Budgethilfen, also direkte Zuschüsse zum nationalen Haushalt der Entwicklungsländer, sowie Sektorprogramme und Korbfinanzierungen - in Deutschland unter dem Begriff „Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung“ zusammengefasst - haben in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Bundesregierung folgt diesem Trend und hat die Mittel für diese Instrumente in den letzten Jahren stark erhöht. Bis Ende 2006 waren bereits Programme mit einem Gesamtvolumen von über 1,1 Milliarden Euro zugesagt oder umgesetzt. Zielgröße für Neuzusagen im nächsten Jahr sind 400 Millionen Euro, und bis 2010 will das Ministerium mindestens zwei Drittel seiner bilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen programmbasierter Ansätze abwickeln. Iris Hoffmann ({3}) Angesichts dieser Zahlen war es nur natürlich, dass das Thema Budgetfinanzierung in den diesjährigen Haushaltsberatungen eine hervorgehobene Rolle gespielt hat. Die Haushälter der Koalition haben sich bereits auf ihrer Klausurtagung Anfang September intensiv mit diesem Thema beschäftigt und haben später auch gemeinsam mit der Parlamentarischen Staatssekretärin Karin Kortmann kritisch diskutiert. Dabei sind uns durchaus die möglichen Vorteile von Budgethilfen deutlich geworden. Beispielhaft möchte ich die bessere Geberharmonisierung, eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Partnerregierungen und sinkende Transaktionskosten nennen. Insbesondere aus haushalterischer Perspektive dürfen aber die Nachteile keineswegs außer Acht gelassen werden. Hier geht es insbesondere um makroökonomische Risiken durch die großen Kapitalzuflüsse über Budgethilfe sowie verschiedene treuhänderische Risiken, etwa durch Fehlverwendung der Mittel oder mangelnde Qualität der durchgeführten Maßnahmen. Ob am Ende die Vor- oder Nachteile überwiegen, lässt sich zumindest im Moment noch nicht mit Sicherheit sagen, da es bislang nur relativ wenige empirische Untersuchungen zu den Wirkungen der Budgethilfe gibt. Eine erste Langzeitevaluierung aus dem Jahre 2006, die im Auftrag der OECD durchgeführt wurde, bewertet zwar die Budgethilfe in fünf von sieben untersuchten Ländern grundsätzlich positiv, kann aber empirisch kaum eine Wirkung auf das zentrale Ziel der Armutsminderung nachweisen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Addicks?

Iris Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich würde gerne im Zusammenhang vortragen. Die Experten, die in der kürzlich durchgeführten Anhörung des Entwicklungshilfeausschusses zu Wort kamen, stellten zwar fest, dass Budgethilfe letztlich alternativlos ist, hielten aber auch mit Kritik nicht hinter dem Berg. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail gehen. Ich denke, Budgethilfen können zur Umsetzung der internationalen Agenda in der Entwicklungszusammenarbeit beitragen, aber sie sind ein sehr komplexes und abstimmungsaufwendiges Instrument. Sie sind sicherlich kein Allheilmittel, sondern vielmehr ein entwicklungspolitisches Instrument neben anderen. Denn erst durch die Kombination von Budgethilfen und klassischen Projekten in der Zusammenarbeit mit einem Land können wichtige Synergieeffekte erzielt werden. Hierbei ist es wichtig, dass der Ausbau von Budgethilfen nicht zulasten von Capacity-Development-Maßnahmen geht, weil sie gerade dazu dienen, Budgethilfen und andere Investitionen der finanziellen Zusammenarbeit vorzubereiten und nachhaltig in Wert zu setzen. Zudem - ich denke, da sind wir uns alle einig - sind Budgethilfen grundsätzlich nur in solchen Ländern sinnvoll, die reformwillig und reformfähig sind und sich an demokratischen und rechtsstaatlichen Normen orientieren. ({0}) Der Bundesrechnungshof prüft gegenwärtig die deutsche Budgethilfe. Er wird seinen Bericht voraussichtlich Ende Februar 2008 vorlegen, sodass er im März im Haushaltsausschuss beraten werden kann. Angesichts der Unsicherheiten, mit denen die Budgethilfe bis dato noch behaftet ist, halte ich es durchaus für sinnvoll, im Sinne einer wohlwollenden, aber kritischen Begleitung alle Neuzusagen in diesem Bereich einer Einzelprüfung zu unterziehen. ({1}) Dieses Vorgehen haben die Haushälter der Koalition übrigens bereits Ende Oktober im Berichterstattergespräch mit dem Ministerium angekündigt. Mir ist es wichtig, hier zu betonen, dass dadurch keine Mittel gekürzt sind. Auch alle Zusagen, die bereits gemacht wurden oder bis Ende des Jahres gemacht werden, sind davon nicht betroffen. Ich komme zum Schluss. Der Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist auf einem guten Weg, und das gilt nicht nur angesichts des Aufwuchses für 2008, sondern auch für die Verstetigung des Aufwuchses in der mittelfristigen Finanzplanung. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Entwicklungsetat 2008 wird massiv erhöht: um 670 Millionen Euro. Das begrüßen wir natürlich. Aber die Politik der Bundesregierung bleibt - das muss man ganz klar sagen - gegenüber der Mehrheit der Menschen in den Ländern des Südens entwicklungsfeindlich. Ob Kriegseinsatz in Afghanistan, Rüstungsexportpolitik, G-8-Politik, Agrar- und Handelspolitik, Energie- und Ressourcenpolitik: Es fehlt eine Ausrichtung, die friedens- und entwicklungsfördernd ist. Ich komme konkret auf Afghanistan zu sprechen. Die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit werden auf 120 Millionen Euro erhöht. Aber das Verhältnis von Militär- und Entwicklungsausgaben liegt immer noch bei fünf zu eins. Sie halten in Ihrer Ausrichtung an der zivil-militärischen Zusammenarbeit fest, die von vielen Entwicklungsorganisationen massiv kritisiert wird. Die Bundeswehr ist mit ihrer Beteiligung am Krieg in Afghanistan ein Teil des Problems und nicht der Lösung, und deshalb fordern wir nach wie vor den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. ({0}) Jetzt möchte ich etwas zu den Rüstungsexporten sagen; dieses Thema kam in der heutigen Debatte nämlich viel zu kurz. Der Rüstungsexportbericht 2007 besagt ganz klar: Der Rüstungsexport boomt nach wie vor. Die Genehmigungswerte, vor allem für die Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer und der Schwellenländer, sind höher als im Vorjahr. Hinzu kommt, dass davon verfeindete Staaten wie Indien und Pakistan betroffen sind. Zum Beispiel in Pakistan werden mit Lizenz der deutschen Firma Heckler & Koch aus Baden-Württemberg Gewehre produziert, die jetzt zur Bekämpfung Oppositioneller in Pakistan eingesetzt werden. An Indien sollen 120 Eurofighter verkauft werden. Zur Bekämpfung der Armut in Indien sind die damit verbundenen Kosten im Haushalt aber nicht vorhanden; von „Armutsbekämpfung“ sollte man im Zusammenhang mit diesen Mitteln daher nicht mehr sprechen. Für uns ist ganz klar: Wir lehnen Rüstungsexporte in Krisenregionen ab, auch was die Kleinwaffen angeht. ({1}) Wir wissen: Über 90 Prozent der Kriegsopfer sind auf den Einsatz von Kleinwaffen zurückzuführen. Wir halten diese Politik der Rüstungsexporte für verantwortungslos und entwicklungsfeindlich. ({2}) Jetzt möchte ich etwas zur G-8-Politik sagen. Noch nie wurde auf einem G-8-Gipfel so viel über Entwicklung und die Probleme Afrikas geredet wie dieses Jahr in Heiligendamm. Wenn man sich die Ergebnisse anschaut, erkennt man aber, dass sie sehr mager sind. Selbst die Entwicklungsorganisationen haben in einem Bericht von dem sogenannten „60-Milliarden-Bluff“ gesprochen. Es wird jetzt mehr Geld investiert - das stimmt -, zum Beispiel in den globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids und Malaria. Das schlägt sich im Haushalt nieder: Die entsprechenden Mittel werden verdoppelt. Wenn wir uns aber die konkrete Politik anschauen, dann stellen wir fest, dass beim G-8-Gipfel der Patentschutz massiv vorangetrieben wurde, obwohl er verhindert, dass die Menschen in Ländern des Südens einen verbesserten Zugang zu billigen Medikamenten bekommen. Daran zeigt sich, dass diese Politik völlig kontraproduktiv zu dem ist, was formuliert wird. Damit stellen Sie das Patentrecht über das Recht auf Gesundheit. ({3}) Auch im Rahmen der Energiepolitik und des Klimaschutzes sind die Ergebnisse der G-8-Gipfels völlig unverbindlich geblieben, obwohl die Auswirkungen des Klimawandels zuallererst die Menschen in den Ländern des Südens betreffen. Es gibt zwar mehr Geld für die Weltbank, was hier richtigerweise schon erwähnt wurde; aber die Vergabepolitik der Weltbank führt dazu, dass nach wie vor zu mehr als 90 Prozent große Erdöl-, Erdgas- und Staudammprojekte finanziert werden, aber nur zu 4 Prozent regenerative Energien. Die Bundesregierung hat Einfluss in der Weltbank; sie hat dort Sitz und Stimme. Daher kann ich Sie nur auffordern: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, und setzen Sie sich für die Förderung regenerativer Energien ein, wenn Sie es mit dem Klimaschutz ernst meinen! ({4}) In diesem Zusammenhang brauchen wir dringend ein Moratorium, was die Förderung von Agrotreibstoffen angeht. Der Anbau der hierfür benötigten Pflanzen in vielen Ländern des Südens wie Brasilien, Kolumbien und Indonesien fördert eben nicht Klimaschutz und Entwicklung, sondern gefährdet Ernährungssouveränität und trägt zu massiven Menschenrechtsverletzungen bei, wie ich es in Kolumbien selbst gesehen habe. ({5}) Auch bei der Handelspolitik sind die Weichenstellungen in unseren Augen fatal. Sie wird hauptsächlich auf europäischer Ebene festgelegt, auch mit Einfluss der Bundesregierung. Die neue Strategie der EU eines „globalen Europas“ formuliert ganz klar eine aggressive Handels- und Marktöffnungspolitik für europäische Konzerne, die sich auch auf die Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern des Südens negativ auswirkt. Dies erleben wir ganz aktuell in den Verhandlungen über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten. Wir sagen ganz deutlich: Wir wollen die sogenannten EPAs in dieser Form nicht. Ende des Jahres wird sich entscheiden, was dabei herauskommt. Ich fordere Sie, Frau Wieczorek-Zeul, auf, sich auf alle Fälle dafür einzusetzen, egal wie diese Verhandlungen ausgehen, dass es vonseiten der Europäischen Union keine Zollerhöhungen für Produkte aus den Entwicklungsländern gibt, die die EPAs nicht unterzeichnet haben. Ich halte es nicht für verantwortbar, hier zu Zollerhöhungen zu kommen. Freihandel ist kein Beitrag zur Entwicklung. Wir wollen andere, solidarische Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. ({6}) Ich komme zum Schluss: Mehr Geld allein bedeutet nicht automatisch mehr Entwicklung. Wir setzen uns für eine aktive zivile Friedenspolitik, eine gerechte Handelspolitik und die Umstellung des Weltenergiesystems ein, das ist für uns der beste Beitrag zu Entwicklung. Danke. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sollten nun zur Sachlichkeit zurückkehren. Dazu gehört, zunächst einmal zu erwähnen, dass wir im Deutschen Bundestag nicht die Entwicklungshelfer vor Ort sind. Vielmehr haben wir die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für deren Einsatz zu schaffen, zu denen der Einzelplan 23 gehört. Wenn wir diesen Einzelplan beschlossen haben, dann gibt es den höchsten Zuwachs, den ein Entwicklungshilfehaushalt jemals im Deutschen Bundestag erfahren hat. ({0}) Frau Wieczorek-Zeul, ich gratuliere Ihnen dazu. Sie haben enorm daran gearbeitet. Aber Sie müssen natürlich auch zugeben, dass es schon sehr hilft, wenn aus dem Kanzleramt ein bisschen Rückenwind hinzukommt. In der Zeit von Rot-Grün war dies offenbar nicht so einfach möglich. ({1}) Die Quantität spricht für sich: Ein Aufwuchs von 667 Millionen Euro erhöht den Gesamtetat auf 5,2 Milliarden Euro. Zusammen mit den Mitteln in anderen Bundesressorts steigen die deutschen ODA-Ausgaben auf 9 Milliarden Euro. Das ist eine stolze Summe und ein klares Signal. Auf diese Art und Weise kommen wir unseren internationalen Verpflichtungen Schritt für Schritt nach. Allerdings kann und wird sich unser entwicklungspolitisches Engagement nicht in einer bloßen Erhöhung der Entwicklungshilfegelder erschöpfen. Ich glaube, dass gegenüber Jeffrey Sachs’ Ansatz eines Takeoff infolge einer massiven Zufuhr von ausländischem Kapital große Skepsis angebracht ist. ({2}) Dieser Zufluss von äußerem Kapital muss in den Zielländern gerade nicht den erwünschten dauerhaften Wachstumsschub auslösen. Wenn lediglich die in einem Land zirkulierende Geldmenge erhöht wird, aber sich sonst nichts ändert, bedeutet das nichts anderes, als dass die Inflation in diesen Ländern angeheizt wird. Das dürfen wir nicht zum Preis der Verschuldung im deutschen Staatshaushalt erkaufen. ({3}) Aus diesem Grunde müssen wir an dieser Stelle Vorsicht walten lassen. Inflation in armen Ländern schädigt die Ehrlichen und Armen mehr als die Reichen und Korrupten. Das muss man so feststellen. Entscheidend wird sein - Frau Ministerin, hier haben Sie unsere uneingeschränkte Unterstützung -, wie effizient und effektiv das EZ-Geld eingesetzt wird. Darüber sind wir dem Steuerzahler Rechenschaft schuldig. Wir werden ihm auch Rechenschaft ablegen. ({4}) Das Rechnungshofgutachten ist in Auftrag gegeben. Um die öffentliche Akzeptanz unserer Entwicklungshilfe auch in Zukunft zu sichern, halte ich es für sehr richtig, dass dieser Sperrvermerk bis zu dem Zeitpunkt erhalten bleibt, an dem das Gutachten des Bundesrechnungshofes vorliegt, damit wir uns auf sicherem Terrain befinden, was die Effizienz unseres Mitteleinsatzes betrifft. ({5}) Die Budgethilfe ist in den letzten Jahren stark ausgeweitet worden, Frau Koczy. Gerade diese Tatsache macht es notwendig, zweifelsfrei ihre Wirkungen zu beschreiben, damit der Bürger das nachvollziehen kann. Frau Hoffmann, ein internationaler Trend ist gut und schön, ({6}) aber er ist kein Argument dafür, etwas uneingeschränkt mitzumachen. Deshalb mahne ich: Gemach, gemach! Wir wollen Effizienz, und wir wollen, dass denjenigen, die von uns Geld erhalten, maximale Hilfe zuwächst. ({7}) Es ist im Übrigen auch falsch, Budgethilfe als ein inhaltliches Thema zu betrachten. Ich glaube, die Budgethilfe ist letzten Endes eine Verfahrensweise. Wir dürfen doch nicht den Weg mit dem Ziel verwechseln. ({8}) Aus diesem Grund sollten wir rational an das Thema herangehen. In der Öffentlichkeit wird oftmals kritisiert, dieser Sperrvermerk hindere beispielsweise die Unterstützung Südafghanistans. Dieser Satz ist gleich in dreifacher Hinsicht falsch. Denn erstens ist die Budgethilfe bei weitem nicht das einzige Instrument, das wir dort anwenden. ({9}) Zweitens bedeutet gerade die Budgethilfe die Übertragung von Verantwortung an die lokale Regierung. Wenn die Regierung entscheidet, sie nicht in Südafghanistan, sondern irgendwo anders in Afghanistan einzusetzen, dann müssen wir das ebenfalls akzeptieren. Sie ist eben kein zielgenaues Förderinstrument. ({10}) Drittens hat sich der Haushaltsausschuss durchaus das Recht vorbehalten, in dringenden Fällen die Sperre aufzuheben. ({11}) Auch das halte ich für richtig, weil man auf diese Weise flexibel bleibt. Wir haben das gut gemacht. Wir sollten, wie gesagt, sehr genau überlegen, wie wir in Zukunft multilaterale Instrumente einsetzen. Im Zusammenhang mit Afghanistan betrachte ich Ihre Totalkritik an der Afghanistan-Politik als absolut deplatziert, Frau Hänsel, und zwar aus folgendem Grund: Sie ist friedensfeindlich, weil sie die Argumente der Terroristen anheizt und diese ermutigt, den Krieg verschärft fortzuführen. ({12}) Solche Argumente entfesseln erst die Kämpfe dort, ({13}) und sie tragen dazu bei, dass das Leben von deutschen Entwicklungshelfern und Soldaten gefährdet statt gesichert wird. ({14}) Auch unser Drängen auf Good Governance haben wir schon mehrfach beteuert, und dabei soll es auch bleiben. Wir müssen von unseren Zielländern erwarten, dass es tatsächlich eine klare Ausrichtung auf Good Governance gibt, dass die Länder reformwillig und reformfähig sind und dass die Ursachen, die zu den Entwicklungsnachteilen geführt haben, sich nicht immer weiter verfestigen. Das muss das Kernziel unserer Entwicklungspolitik sein. ({15}) Frau Ministerin, es ist notwendig, noch kurz auf die Reformvorhaben in Ihrem Ministerium einzugehen. Ich halte das für sehr wichtig. Wir müssen die Vorfeldreform vorantreiben. Das bedeutet, dass wir das ernst nehmen, was uns dazu geraten worden ist. Ich darf dazu an das Rechnungshofsgutachten erinnern. Ich halte es für sehr wichtig, dass die TZ organisatorisch bereinigt wird und zunächst GTZ, InWEnt, DED und CIM zusammengeführt werden. Wenn wir das vollzogen haben, müssen wir als Nächstes überlegen, wie wir FZ und TZ stärker miteinander verzahnen. ({16}) Dabei haben Sie unsere volle Unterstützung, Frau Ministerin. Auf uns wartet ein interessantes neues Jahr. Ich denke, wir können in dieser Legislaturperiode zusammen noch sehr viel erreichen. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Alexander Bonde, Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Saal hier merken wir alle, was es an unterschiedlichen Konzeptionen gibt und was auch an Streit innerhalb der Koalition, zwischen den Koalitionsfraktionen und dem Haus, zwischen dem Haushaltsausschuss und dem Fachministerium in der Luft liegt. Uns als Grünen ist es wichtig, Ihnen an dieser Stelle das Signal zu geben: Wir müssen schon aufpassen, dass wir bei technischen Fragestellungen und inhaltlichen Bewertungen, bei denen wir auseinanderliegen, nicht Schäden anrichten, die in der Dimension über das hinausgehen, was tatsächlich Streitwert ist. ({0}) Ich will in diesem Zusammenhang die Bundesregierung auffordern, der Forderung des Haushaltsausschusses schnell nachzukommen, was den Bericht zu den Evaluationsmöglichkeiten in Bezug auf freiwillige Beiträge an internationale Organisationen angeht, damit die Irritationen schnell aus der Welt geschafft werden ({1}) und wir die Möglichkeit haben, dieses wichtige Instrument für humanitäre Hilfe, Konfliktprävention, multilaterale Entwicklungszusammenarbeit und vieles andere anzuwenden. Gerade dann, wenn man, wie wir Grüne, auf multilaterale und internationale Organisationen setzt, muss man ein Interesse daran haben, mit geklärten Evaluationsverfahren inhaltlich bewerten zu können, was passiert. Wir erwarten von Ihnen also, dass Sie den berechtigten Forderungen aus dem Parlament jetzt zügig nachkommen und damit die unschöne Situation beenden. Erfreulich in diesem Einzelplan ist natürlich die Aufstockung um 667 Millionen Euro. Sie machen damit - das gestehen auch wir aus der Opposition Ihnen gerne zu - einen guten Schritt in Richtung der Einhaltung der Verpflichtungen, was die ODA-Ziele angeht. Sie kommen damit aber natürlich nicht an die Dimensionen heran, die Sie eigentlich bräuchten, um die Verpflichtungen zu erfüllen, und das wissen Sie auch. ({2}) Wenn wir das mit dem Einzelplan 14 vergleichen, den wir vorher diskutiert haben, stellen wir fest: Dort reden wir über fast das Doppelte dessen, was hier mobilisiert werden konnte. Nichtsdestotrotz, das schmälert die Bedeutung dieses Schrittes nicht. Eine Sorge wollen wir bei dieser Diskussion sehr deutlich formulieren. Dieser Aufwuchs ist wie der ganze Haushalt der Koalition dem Surfen auf einer guten Konjunkturwelle geschuldet. Die Frage ist: Woher kommen eigentlich die Mittel, um den Stufenplan zu erfüllen, ({3}) wenn die Konjunktur einmal nicht mehr in dieser Dimension zusätzliche Steuereinnahmen generiert? Ich will deshalb die neuen Finanzierungsinstrumente anmahnen, etwa die Ticket-Tax, das französische Vorbild. Selbst die CDU in Baden-Württemberg hat sie inzwischen zur Forderung erhoben; von dort hätten wir das als Letztes erwartet. ({4}) Ich glaube, dass in diesem Bereich eine deutliche Bewegung der Koalition ansteht, weil Sie genau wissen, dass die Ziele, denen wir uns gemeinsam zu Recht verschrieAlexander Bonde ben haben, aus dem Bestehenden nicht erreicht werden können. ({5}) Die Ticket-Tax ist deshalb besonders spannend, weil sie noch bei einer zweiten wichtigen Thematik eine Lenkungswirkung entfalten kann, nämlich beim Klimaschutz. Sie ist ein klassisches Win-win-Instrument. ({6}) Tatsache ist, dass der Klimaschutz eine der großen Herausforderungen für Ihr Haus darstellt, sehr geehrte Frau Ministerin. Das UNDP schreibt in dem Bericht über die menschliche Entwicklung - wir haben es gelesen -, der Klimawandel habe in bisher unbekanntem Maß Auswirkungen für den Kampf gegen die Armut. Sie haben diese These in vielen Medienberichten unterstützt. In dem Haushaltsplan, über den wir heute diskutieren, wird dieser Schwerpunkt allerdings nicht gesetzt. Sie können nicht einmal benennen, an welchen Stellen eigentlich zum Klimaschutz beigetragen wird. Unsere Anfrage, in welchem Umfang Ihr Haushalt zu Klimaschutzmaßnahmen beiträgt und in welchem Umfang zusätzliche Mittel in diesem Bereich zur Verfügung gestellt werden, blieb unbeantwortet, weil Ihr Haus nicht einmal in der Lage war, zu identifizieren, was innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich passiert. Insofern haben Sie die Aufgabenstellung, den Beitrag, den die Entwicklungszusammenarbeit für den Klimaschutz leistet, zu definieren und die in den Medien propagierte Schwerpunktsetzung in Maßnahmen und im Mitteleinsatz zu konkretisieren. Natürlich spielt unsere Interaktion mit den Schwellenländern, denen als Emittenten eine entscheidende Bedeutung bei der Frage zukommt, ob wir unsere Klimaregeln einhalten können, die wir uns gemeinsam auf internationaler Ebene setzen, eine große Rolle. Auch da werden Sie mit uns in den nächsten Wochen und Monaten und bei der Aufstellung eines nächsten Haushaltes sehr viel intensiver über die Verantwortung, die Ihr Haus im Bereich des Klimaschutzes hat, diskutieren müssen. In der gesamten Diskussion über den Klimaschutz müssen wir leider auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, die hierbei eine entscheidende Rolle spielen muss, sagen: Da hat diese Bundesregierung von den Ankündigungen bis zur Umsetzung der Maßnahmen ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht. Wir werden Ihnen, Frau Ministerin, da weiterhin sehr genau auf die Finger schauen. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. ({0})

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will, weil es mehrfach angesprochen worden ist, ein Wort zur sogenannten Budgethilfe sagen, die sehr unterschiedlich ist. Beispielsweise läuft der Weltbankfonds in Afghanistan - er wird von der Weltbank kontrolliert und überprüft - unter dem Titel „Budgethilfe“. Ich will an dieser Stelle aber sagen: Getreu dem, was wir in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD festgelegt haben, fließt Budgethilfe nur an Länder mit einer verantwortlichen Regierungsführung. An korrupte Regime fließt keinerlei Budgethilfe. Da können Sie ganz sicher sein. ({0}) Ich glaube, es ist hier nicht der Ort, um über die Technik im Einzelnen zu diskutieren. Wir alle sind doch der Meinung, dass die Geber in diesem Bereich kohärenter und abgestimmter verfahren müssen. Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen: In den wirklich armen Ländern, die der Finanzierung bedürfen - Mali, Senegal, Burkina Faso, Niger und Tschad -, gibt es rund 600 Entwicklungsprojekte von jeweils unterschiedlichen Gebern. Diese erfordern pro Trimester einen Zwischenbericht. Das ergibt 2 400 Berichte jährlich, die dann den jeweils zuständigen Ministerien in dem betreffenden Land vorgelegt werden müssen. Es kommen 1 000 Missionen hinzu, die das evaluieren. Ehrlich gesagt, das Ziel muss doch sein, dass die Mittel in diesen Ländern schnell zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden. Es kann doch nicht sein, dass eine Zersplitterung stattfindet und den Ländern zusätzliche Verwaltungsarbeit entsteht. Deshalb ist es notwendig, andere Instrumente zu entwickeln. Das ist unter anderem die Budgethilfe, aber nur unter anderem. ({1}) Damit wollte ich einfach einmal deutlich machen, worum es geht. Es geht darum, Schwierigkeiten zu vermeiden, und zwar im Interesse der Menschen in den betroffenen Ländern. Es geht nicht um die Technik im Einzelnen. Ich bin der EKD für ihre neue Denkschrift dankbar, in der zum Ausdruck gebracht wird: Wirksame Friedenspolitik heute heißt: Abbau von Gewalt, Ausbau der internationalen Rechtsordnung, die Förderung weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Es wird auch gesagt, dass die Entwicklungspolitik in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle spielt. Ich bin allen Kollegen für deren Unterstützung dankbar, übrigens auch den Kollegen der FDP. Herr Königshaus, das Ringen mit Ihnen hält ja jung, wie Sie mir dankenswerterweise einmal gesagt haben. ({2}) Insofern halten Sie mich immer in Aktion; das ist okay. ({3}) - Ja, wer hätte das gedacht; aber so ist es. Wir sind ja alle der Meinung, dass Entwicklungszusammenarbeit im 21. Jahrhundert eine wichtige Form der Friedenspolitik ist. Es lohnt sich, sich dafür zu engagieren, und es ist wunderbar, dass wir die Mittel insgesamt so deutlich aufgestockt haben. Wir halten nämlich Wort, Frau Hänsel. Sie haben gesagt, dass die Ergebnisse von Heiligendamm mager gewesen seien und dass es kein Follow-up gegeben habe. Ich bin dafür, dass die Aufstockung der Mittel ehrlich zur Kenntnis genommen wird. Wir haben gesagt, dass es für Official Development Assistance 750 Millionen Euro mehr geben wird, und das setzen wir in diesem Haushalt um. ({4}) Nehmen Sie das doch zur Kenntnis! Das ist mehr - das sage ich ausdrücklich -, als es in den Jahren zuvor jemals gab, und es ist die höchste Steigerung. Diese ist aber - das sage ich in Richtung aller Kolleginnen und Kollegen - in den nächsten Jahren durchaus übertreffbar. Wir haben ja das Ziel, bis 2010 einen Anteil der Entwicklungshilfe von 0,51 Prozent am Bruttosozialprodukt zu erreichen. Zweitens wurden in Heiligendamm 60 Milliarden Dollar für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkolose zugesagt. In Anwesenheit von Kofi Annan und mit seiner Unterstützung haben wir im September dieses Jahres 10 Milliarden US-Dollar für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose eingeworben. Wir halten also Wort und setzen das praktisch um, was wir beschlossen haben. Bitte nehmen Sie das einfach zur Kenntnis! Jetzt geht es auch darum, dass wir in Bali Wort halten. Sie haben das hier angesprochen, Herr Bonde. Alle Informationen vom Weltklimarat und von der UN-Entwicklungsorganisation, die gestern ihren Bericht vorgelegt hat, machen deutlich, dass der Klimawandel die Anstrengungen zur Verringerung der Armut dramatisch beeinträchtigen kann und die menschliche Entwicklung langfristig und in manchen Bereichen auch kurzfristig bedroht. Von der Zunahme klimabedingter Katastrophen von 2000 bis 2004 waren - das macht dieser Bericht deutlich - über 262 Millionen Menschen betroffen, davon 98 Prozent in den Entwicklungsländern. Sie tragen also die Hauptlast des Klimawandels. In dem Bericht wird das so beschrieben: Wenn die Menschen in der sich entwickelnden Welt pro Kopf im gleichen Maße CO2Emissionen produziert hätten wie die Menschen in Nordamerika, so brauchten wir die Atmosphäre von neun Planeten, um mit den Konsequenzen fertig zu werden. Die Europäische Union hat heute 500 Millionen Euro an kostengünstigen Krediten für China zur Verfügung gestellt. Die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den großen Schwellenländern - Brasilien, Indien, China - ist von strategischer Bedeutung. Das wurde auch vonseiten der Weltbank durch Präsident Zoellick unterstrichen. ({5}) Ich will das noch einmal sehr deutlich machen. Barroso hat gesagt, das ist auch eine Frage des Überlebens. Ich sage an die Adresse der FDP: Der Weitblick von Zoellick und Barroso sollte für Herrn Westerwelle Anlass sein, seine eigene Blindheit in Bezug auf unseren Etat zu überwinden. ({6}) Die Empfehlungen von Westerwelle und der FDP kämen Deutschland teuer zu stehen. Jede Woche nimmt China ein Kohlekraftwerk in Betrieb. Die CO2-Emissionen müssen aber gering gehalten werden, in unserem eigenen Interesse. Deutsche Firmen haben da ein riesiges Know-how und sind auf dem chinesischen Markt wunderbar positioniert. ({7}) Lassen Sie uns also zu einer Win-win-win-Situation beitragen: Wir tun etwas für den Klimaschutz, wir tragen dazu bei, dass die CO2-Emissionen in China gemindert werden, und wir tun etwas für deutsche Unternehmen. Da sind Sie doch auch sonst nicht so pingelig. Seien Sie doch froh, dass ich endlich auch in diesem Bereich aktiv Unterstützung leiste! ({8}) Hier wird nichts verschenkt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das - von manchen, nicht von allen in der FDP - nur vorgeschoben wird, um davon abzulenken, dass sich die FDP von dem 0,7-Prozent-Ziel bei der Entwicklungspolitik entfernt hat. ({9}) Deshalb versucht man, die Entwicklungspolitik madig zu machen. Zum Haushalt. Herr Bonde, kein Ministerium trägt stärker zum globalen Klimaschutz bei als mein Haus: ({10}) Auf bilateraler Ebene stellen wir rund 800 Millionen Euro zur Verfügung. Multilaterale Projekte fördern wir mit weiteren 100 Millionen Euro. In Afrika unterstützen wir die Förderung der erneuerbaren Energien - kostengünstig - mit 20 Millionen Euro. Insbesondere in Afrika, das die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommt, das für den Klimawandel zwar in keiner Weise verantwortlich ist, aber die Konsequenzen tragen muss, müssen die erneuerbaren Energien gefördert werden. Zum Klimagipfel in Bali. Weltbankpräsident Zoellick und ich werden in Bali präsent sein, um deutlich zu machen, dass die Fragen, die dort erörtert werden, auch mit Entwicklungspolitik zu tun haben. Es darf doch nicht sein, dass ein Teil der Entwicklungsländer gute und weitgehende Regelungen verhindert. Deswegen wird die Verknüpfung von Klimaschutz und Entwicklungspolitik einer unserer Schwerpunkte sein. Es ist klar, dass erstens eine radikale Reduzierung der Emissionen in den Industrieländern notwendig ist. Zweitens muss der Ausbau einer nachhaltigen EnergieinfrastrukBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul tur in den Entwicklungs- und Schwellenländer unterstützt werden. Drittens ist die Unterstützung der Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel notwendig. Viertens müssen die Entwicklungsländer beim Schutz von Wäldern unterstützt werden. Man muss immer wieder daran erinnern, dass die Entwaldung für einen Anstieg der globalen CO2-Emissionen um rund 20 Prozent verantwortlich ist. Den Wald zu schützen, ist also ein Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen. Fünftens wird es um eine innovative globale Finanzarchitektur zur Finanzierung von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen gehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Verbindung von Entwicklungs- und Klimaschutzfragen brauchen. Der Klimawandel ist in der Tat die größte Sicherheitsgefährdung in diesem Jahrhundert. Deshalb sollten wir unsere Kräfte im Kampf gegen den Klimawandel, gegen die Armut und den Hunger bündeln. Ich freue mich, dass ich eine breite Unterstützung in diesem Hause habe. Ich danke Ihnen sehr dafür. Danke sehr. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich habe mich sehr gefreut, noch ein Argument zu hören, warum die FDP notwendig ist: um Sie jung zu halten. Das hat mir sehr gut gefallen. Nachträglich noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag! Nach dieser Rede nehme ich Ihnen ab, dass Sie in den Bereichen, über die Sie hier gesprochen haben, unglaublich engagiert sind. Das wissen wir, und davor haben wir Respekt. Ich darf aber darauf hinweisen - das fiel mir bei Ihrer Rede auf -, dass Sie nur von Entwicklungszusammenarbeit sprechen. Der Einzelplan 23 bezieht sich aber auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. ({0}) Die wirtschaftliche Zusammenarbeit kommt bei Ihnen jedes Mal zu kurz. ({1}) Der Etatentwurf und die Aufstockungen sind zwar durchaus zu begrüßen, aber der Etatentwurf hatte eine Schieflage. Der Kollege Königshaus hat darauf hingewiesen, dass die Schwerpunkte teilweise falsch gesetzt worden waren. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich den Abgeordneten, die in der Koalition für den Einzelplan 23 zuständig sind, und den Mitgliedern des Haushaltsausschusses - ich glaube, der Kollege Bonde war teilweise auch dabei - ausgesprochen dankbar dafür bin, dass wir es geschafft haben, den Haushaltsplan ein bisschen zurechtzurücken. Das muss man anerkennen. Ich denke, das war ein Erfolg. Ich gebe zu, dass die FDP bei der Weltbank gerne etwas mehr gestrichen hätte. Worum geht es? Es geht gar nicht um die Weltbank. Es geht auch nicht um die anderen internationalen Organisationen. Frau Ministerin, Sie haben gesagt, dass Ihr Ministerium die Berichte erhält. Es geht darum, dass das Parlament, dass der Geldgeber - das sind wir, nicht die Regierung - besser informiert wird und von diesen Berichten hört. Sonst hat man den Eindruck, dass man Millionen und Abermillionen Euro dorthin gibt und nie eine Resonanz bekommt. Da kann Ihr Haus noch einiges aufarbeiten, wenn Sie meinen, dass wir da falsch liegen. Aber nach dem bisherigen Informationsstand hatten wir als Haushaltsausschuss keine Kenntnisse von diesen Dingen. ({2}) Nun möchte ich Kollegen Bonde direkt ansprechen. Er sagte, für den Klimaschutz sei zu wenig getan worden. Das mag ja sein. Ich finde aber, dass er eines vergisst. Ich fand - ich stehe dazu -, dass zum Beispiel ein großes Verkehrsprojekt für Saigon ein Riesenbeitrag zum Klimaschutz ist. Das ist meine Auffassung dazu. ({3}) - Sie haben es noch gar nicht. Das ist dummes Zeug Entschuldigung, ich nehme das zurück. Das war ein falscher Zuruf: Das Ganze wird ausgeschrieben, und dann wird man sehen. An der Ausschreibung kann sich Siemens beteiligen. Warum sollte sich Siemens nicht daran beteiligen? Für das korrupte Verhalten von Obermanagern sollten die Mitarbeiter von Siemens nicht abgestraft werden. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit. ({4}) Frau Ministerin, Sie haben die Zusammenarbeit mit China angesprochen. Warum gilt das, was Sie für China sagen, nicht auch für andere Länder? Da sind Sie radikal und sagen: Bei Vietnam kommt das nicht infrage. - Bei China kommt es infrage. Das müssen Sie uns einmal erklären. Sie können uns Berichterstatter ja gerne einmal einladen; das gab es noch nicht. ({5}) Ich würde das Angebot annehmen. Dann könnten Sie uns erklären, warum Sie das so einseitig sehen. Es gibt etwas, das Sie überhaupt nicht mehr erwähnen. Ich habe das auch in meinem letzten Beitrag gesagt. Ich bin auf Ihrer Seite, wenn es um die Konzentration in der Entwicklungshilfe geht. Ich glaube, dass wir uns in vielen Etats verzetteln. Der eine weiß nicht, was der andere tut. Ich hoffe, dass es zumindest Abstimmungen gibt. Alle Ministerien, die mit dem Bereich Entwicklungshilfe zu tun haben, müssen wieder einmal zusam13620 menkommen. Das fehlt mir. Ihr Ansatz, über die Konzentration der Entwicklungshilfe zu sprechen, war richtig. Aber dann muss das bitte auch so sachlich geschehen, dass keiner von vornherein den Eindruck hat, dass es das Ziel sei, dass seine Organisation auf jeden Fall zerschlagen werden soll. Ich bin dankbar, dass wir da als Haushaltsausschuss mithilfe des Rechnungshofes geblockt haben. Frau Ministerin, ich will nicht zu sehr in die Tiefe gehen, aber Sie brauchen nur heute die Zeitungen aufzuschlagen, dann sehen Sie, in welch schwieriger Situation im Augenblick die KfW ist. Sie haben gedacht, Sie könnten der GTZ die KfW zuschlagen. Ich bin sehr froh, dass wir da geblockt haben. Ich weiß nicht, wie die Diskussion sonst weitergegangen wäre. Ich gebe offen zu: Ich und die FDP haben einen umfangreichen Wunschkatalog. Ich könnte mir vieles vorstellen. Wir haben einen Antrag gestellt, der mir ein persönliches Anliegen ist - das will ich sagen -: Wie können wir mit jungen Menschen in den Entwicklungsländern digitale Solidarität - so haben wir das genannt haben, damit sie Zugriff auf Informationsquellen bekommen? Dies steht auf dem Wunschzettel. Da könnte man noch mehr machen; es ist eine Empfehlung. Auch Demokratisierung halte ich für dringend geboten. Wir dürfen da nicht nachlassen und müssen unsere ganze Kraft mit der GTZ und wem auch immer einsetzen. Wie gesagt: Unser Wunschkatalog ist umfangreich. Vielleicht haben wir einmal Gelegenheit, über all diese Dinge zu sprechen. Darüber würde ich mich freuen. Die Schieflage dieses Etats ist geblieben. Vieles ist verbessert worden, aber die Schieflage ist geblieben. Frau Ministerin, suchen Sie den Kontakt zum Parlament und zum Haushaltsausschuss. Vielleicht läuft dann zukünftig das eine oder andere besser. Ich bin - das will ich ganz offen sagen, auch wenn wir dem Etat nicht zustimmen - den beiden Abgeordneten der Koalition im Haushaltsausschuss dafür dankbar, wie sie mit der Opposition eingebunden gearbeitet haben. Der Beifall bei den Sozialdemokraten hat gezeigt, dass Sie dieses Ergebnis inzwischen akzeptieren. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick auf den Einzelplan 23 des Haushaltes für das Jahr 2008 bedeutet für mich Dreierlei: erstens Dank, zweitens Freude und drittens Nachdenken. Danken möchte ich zunächst einmal im Namen der Kollegen aus der Arbeitsgruppe AWZ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch im Namen aller den Helfern und Mitarbeitern der Durchführungsorganisationen, den NGOs und der Bundeswehr, allen, die für uns vor Ort in vielen Ländern der Welt ihre Arbeit verrichten. Ich denke, ihnen gehört unser aller Dank. ({0}) Entwicklungspolitik umfasst einen Bogen von weltweiter Solidarität mit den Ärmsten der Welt bis hin zu gerechtfertigtem Eigeninteresse. Der indische Wirtschaftswissenschaftler Coimbatore Prahalad sagte hierzu: Wer in den ärmsten Teil der Weltbevölkerung investiert und dabei Rendite erzielt, hilft nicht nur sich, sondern auch den Armen. ({1}) Zweitens. Freude empfinde ich, weil der Haushalt des BMZ von allen Ressorts den größten Zuwachs zu verzeichnen hat. Das ist gut so; denn der Entwicklungspolitik kommt eine wachsende Bedeutung zu. Entwicklungspolitik ist Teil der Außenpolitik und der Verteidigungsund Sicherheitspolitik. Sie ist Innenpolitik und Friedenspolitik. Diese wachsende Bedeutung wird anerkannt und verdeutlicht. Sie spiegelt sich in diesem Haushalt wider. Freude empfinde ich auch darüber, dass die Erhöhung der Mittel für meine Begriffe und nach Auffassung der Mitglieder der Arbeitsgruppe AWZ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an einigen richtigen und wichtigen Positionen vorgenommen wurde, unter anderem bei Kirchen und Stiftungen. Das sind zwei ausgesprochen wichtige Akteure der deutschen EZ. Freude empfinde ich als zuständige Berichterstatterin auch über den Mittelaufwuchs beim Global Fund und beim UNFPA. Mein dritter Punkt heißt: Nachdenken. Wenn ein Haushalt vorliegt, fordert das geradezu zum Nachdenken heraus: zum Nachdenken über Strukturen, über Prioritäten, über regionale und sektorale Schwerpunkte und über einen sinnvollen, effizienten und kohärenten Einsatz der Mittel. Es ist prima, dass die Gebergemeinschaft dem Global Fund jetzt so viel Geld für den Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria zur Verfügung gestellt hat. Man muss sich allerdings genau überlegen, welche Verwendung die enormen zusätzlichen Mittel finden. Ich hoffe, dass die Vergabekriterien nicht aufgeweicht werden, um einen schnelleren Mittelabfluss zu ermöglichen. Das wäre fatal, handelt es sich hierbei doch um eine Quasi-Budgetfinanzierung. Meines Wissens hat das Board des GFATM aber jüngst beschlossen, mehr Mittel für Aufklärung und Verhütung, für Genderprojekte, für die sexuelle und reproduktive Gesundheit und für die Familienplanung zur Verfügung zu stellen. Dies begrüße ich ausdrücklich. Das ist der richtige Weg. Ich bin sehr froh, dass die Große Koalition die Mittel für den UN-Bevölkerungsfonds erhöht hat. Gerade im Bereich der Frauengesundheit leistet der UNFPA segensreiche Arbeit - ein sichtbares Zeichen, dass die Stärkung der Frauen ein wichtiger Bereich unserer Entwicklungspolitik ist. ({2}) Nachdenken sollten wir auch über Folgendes: Deutschland gibt viel Geld für multilaterale Organisationen aus, vor allem für die Bekämpfung von HIV/Aids. Deshalb stellt sich für mich die Frage, ob wir beim Thema „Gesundheit in den Entwicklungsländern“ in unserer bilateralen Zusammenarbeit einen anderen bzw. einen weiteren Schwerpunkt setzen sollten. Ich meine damit die sogenannten vernachlässigten Krankheiten wie Lepra, die Schlafkrankheit, die Flussblindheit und das Dengue-Fieber. 70 Prozent der weltweit 600 Millionen behinderten Menschen leben in den Entwicklungsländern. Die wirtschaftlichen Folgen von Krankheiten und Epidemien spielen dort eine große Rolle. Die Armutsbekämpfung ist für das Erreichen der MDGs wichtig. Der Erfolg oder Misserfolg der Entwicklungszusammenarbeit wird am Erreichen der MDGs gemessen. Dem Thema Gesundheit kommt dabei eine sehr große Bedeutung zu; schließlich beziehen sich drei der sechs Ziele auf dieses Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Aufwuchs im Haushalt des BMZ ist sehr erfreulich, bedeutet aber eine noch größere Verantwortung. Wir müssen daran arbeiten, in unserer bilateralen Zusammenarbeit noch mehr Effizienz und Kohärenz zu erreichen. Dies erfordert mehr Sorgfalt bei der Mittelverwendung und klarere Schwerpunktsetzungen. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Hüseyin Aydin, Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etat des Entwicklungshilfeministeriums soll im Jahre 2008 um über 14 Prozent steigen. Das ist kein Grund zum Jubeln. ({0}) Das ist überfällig. ({1}) Denn der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttoinlandsprodukt liegt real bei 0,27 Prozent. ({2}) In Schweden liegt er bei über 1 Prozent. Deshalb muss die schwedische Regierung diesen Wert im Gegensatz zur Bundesregierung, die die eigene Entwicklungshilfebilanz um über ein Drittel aufbläht, nicht schönreden. In der Frankfurter Rundschau war zu Recht von einem großen Bluff die Rede. So werden hierzulande längst abgeschriebene Altschulden des Saddam-Regimes verbucht, ohne dass damit heute ein einziger zusätzlicher Euro im irakischen Haushalt zur Verfügung stünde. Noch absurder: Wenn sich ein in Deutschland lebender Tunesier an der Ruhr-Universität Bochum einschreibt, dann erscheint auch das in der Bilanz der Bundesregierung als erfolgreiche deutsche Entwicklungshilfe. Wir sprechen hier nicht von Peanuts. Insgesamt werden 750 Millionen Euro als sogenannte Studienplatzkosten verbucht. Nur eine Minderheit unter den Geberländern der OECD macht von diesem Trick Gebrauch. Länder wie Großbritannien oder Schweden verzichten ganz darauf. Die deutsche Regierung aber ist in diesem Zusammenhang Spitze. Liebe Ministerin, ist eine solche Rechenführung Ausdruck einer guten Regierungsführung, wie wir sie von afrikanischen oder anderen Ländern verlangen? ({3}) Die Linke sagt: Entwicklungspolitik muss mehr als eine PR-Veranstaltung und auch mehr als Wirtschaftspolitik sein, Herr Koppelin. Sie muss sich daran messen lassen, ob sie zur Erreichung der Millenniumsziele in den armen Ländern beiträgt. Entgegen allen Beteuerungen kommen wir gerade in diesem Bereich nur sehr ungleichmäßig voran. Wir werden im Jahre 2015 feststellen: Wir haben die Ziele nicht erreicht. Ich nenne einige Zahlen für den Haushaltsplan 2008: Die Aufstockung des multilateralen globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria wurde bereits erwähnt. Sie wird von uns voll unterstützt. Frau Ministerin, Sie können sich sicher sein, dass die Linke Sie bei der Erreichung der Ziele und auch bei der Umsetzung tatkräftig unterstützt. Die Zusagen für Gesundheit innerhalb der bilateralen Zusammenarbeit sinken von 108 Millionen auf 65 Millionen Euro. Grundbildungsvorhaben stagnieren. Selbst bei großzügiger Berechnung kommen wir auf lediglich 120 Millionen Euro. Mittelzusagen bei Wasser und Umwelt sinken. Der Zusagerahmen für Wirtschaftsreform und Marktwirtschaft - Herr Koppelin, in Ihrem Sinne hingegen verdoppelt sich auf 423 Millionen Euro. Mit der Förderung von nachhaltiger Entwicklung hat das aus unserer Sicht nichts zu tun. ({4}) Diese Zahlen belegen vor allem eines: die tiefgreifende Inkohärenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Dies zeigt sich auch im eigenen Hause. Ich spreche von der lange diskutierten Reform der Institutionen. Ja, wir brauchen eine gemeinsame eigenständige Entwicklungsagentur aus GTZ und KfW-Entwicklungsbank. Dahinter stehen sowohl die Fraktionen von SPD und Grünen als auch die Linke. Das können Sie sofort anpacken und umsetzen. Es passiert aber nichts. Das Bundesministerium ist nach dem Eingeständnis seines Staatssekretärs zu schwach, um sich gegen die Verselbstständigung der Durchführungsapparate zu behaupten. Das ist aus meiner Sicht ein ganz erbärmliches Schauspiel. Die Linke hat in den Haushaltsberatungen das Ersuchen nach mehr Mitarbeitern im Entwicklungshilfeministerium unterstützt. Ich hoffe, dass wir damit die Position der politischen Führung im Ministerium gegenüber den Bankern in den Durchführungsorganisationen entscheidend stärken. ({5}) Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Das deutsche Entwicklungshilfeministerium hat kein Monopol auf die Beschönigung harter Interessenpolitik. Die EU-Kommission ist noch schlimmer. Im Vorfeld des EU-AfrikaGipfels in Lissabon redet sie von Partnerschaft. Tatsächlich ist es jedoch reine Erpressung, wenn die EU-Kommissare Mandelson und Michel die Unterzeichnung neoliberaler Marktöffnungsabkommen mit der angedrohten Kürzung von Entwicklungshilfegeldern erzwingen wollen. Im gemeinsamen Strategiepapier mit der Afrikanischen Union lesen wir viel von der Förderung der Investitionsbedingungen in Afrika.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Doch die überfällige Ratifizierung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation bleibt ein Nichtthema.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich bitte darum. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine Damen und Herren, ich möchte im Zusammenhang mit dem EU-Afrika-Gipfel auf einen letzten Punkt hinweisen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, Herr Kollege.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Heute wird über Nuklearabkommen und über Kernenergie in Afrika diskutiert. In Afrika braucht man keine Atomenergie. Dort hat man genug Sonne. Lassen Sie uns die alternativen Energien in Afrika fördern, aber nicht die Kernenergie! ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die Redebeiträge der Opposition gehört hat - auch den meines in der Sacharbeit im Ausschuss durchaus geschätzten Kollegen Herrn Aydin -, muss man in der Tat sagen: Sie haben recht, Herr Aydin, für Sie, für die Opposition, ist der Haushalt kein Grund zum Jubeln. Denn schon in den letzten beiden Jahren hatten wir eine Steigerung von mehr als 300 Millionen Euro, von über 8 Prozent. In diesem Jahr haben wir sogar eine Steigerung von 14 Prozent: 750 Millionen Euro mehr gibt es. Es ist richtig: Sie können da nicht jubeln. Aber wir können jubeln, und die Menschen in den Entwicklungsländern können sich freuen, dass es uns gelungen ist, so einen Aufwuchs im Haushalt zu bekommen. Das sollte uns alle stolz machen, und das können Sie von der Opposition nicht schlechtreden. ({0}) In diesem Sinne sind auch Ihre Zahlenspielereien zu verstehen. In den letzten Jahren haben Sie kritisiert, die Entschuldung von Entwicklungsländern sollte nicht auf die ODA-Quote anrechenbar sein. Dennoch hat das vielen Kindern in Afrika geholfen, zur Schule zu gehen. Jetzt nörgeln Sie, dass die Kosten für Studienplätze angerechnet werden. Es gibt aber sehr viele Menschen aus Entwicklungsländern, die froh sind, dass sie bei uns die Chance haben, eine Ausbildung zu bekommen, und die zum Teil wieder zurück in ihr Heimatland gehen und dort dafür sorgen, dass eine nachhaltige Entwicklung möglich ist. Ich finde, man darf nicht das eine gegen das andere ausspielen. Alle Instrumente, die wir anwenden, sind sinnvoll. Die Mittel, die wir jetzt haben, werden auch in Zukunft sehr helfen. Natürlich ist es so, dass die 9 Milliarden Euro im kommenden Haushalt, die insgesamt als öffentliche Entwicklungszusammenarbeit anrechenbar sein werden, eine Menge Geld sind. Wir brauchen und wollen ja noch mehr, nämlich das Doppelte bis 2015. Da ist zu Recht die Frage zu stellen, wie man das als Entwicklungspolitiker vor den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern rechtfertigt. Unser Fraktionsvorsitzender, Peter Struck, hat heute Morgen gesagt, er wäre gerne einmal Astronaut, um sich den Blauen Planeten von oben anschauen zu können. Dann würde er sich fragen: Was machen wir eigentlich mit unserer Erde und mit den Menschen, die auf ihr leben? Warum zerstören wir die Umwelt, warum müssen durch Kriege Menschen leiden, sterben? Warum leben so viele Menschen in Hunger und Armut? ({1}) Ich glaube, man muss gar nicht ins Weltall fliegen; es reichen ein paar Flugstunden zu unserem Nachbarkontinent Afrika. Da sieht man wirklich eine andere Welt. Ich war, wie viele Kolleginnen und Kollegen in unserem Ausschuss, in diesem Jahr in Afrika, unter anderem in Kenia, Mosambik und Malawi. Es ist in der Tat gut, Deutschland einmal zu verlassen und einen Blick auf die Welt außerhalb zu werfen. Ganz Afrika mit seiner rund 1 Milliarde Menschen steht nicht mehr Einkommen zur Verfügung als den etwa 20 Millionen Einwohnern von Bayern und Niedersachsen. Wenn wir in Deutschland über Probleme reden - sie sind tatsächlich da -, zum Beispiel sagen, es sei ein Problem für uns, dass wir eine älter werdende Gesellschaft haben, die Rente mit 67 sei ein Problem, und es sei schlimm, dass unsere Kinder eine Lebenserwartung von 95 bis 100 Jahren haben, dann will ich dem entgegnen: Man muss einmal mit den Menschen in Malawi sprechen, wo die Lebenserwartung bei durchschnittlich 39 Jahren liegt. Man erfährt dort Armut und Elend; aber man erfährt auch Hoffnung. Woher kommt diese Hoffnung? Sie kommt aus dem Stolz, dass es in vielen Ländern gelingt, dass die Menschen sich selbst helfen, dass es - das wird oft vergessen, wenn wir nach Afrika blicken - in vielen Ländern positive Entwicklungen gibt. Diese Menschen sagen: Wir wollen etwas verändern, wir wollen die Ärmel hochkrempeln. Es gibt viele gute Entwicklungszusammenarbeitsprojekte von der GTZ, von der KfW, von unseren Durchführungsorganisationen, aber auch von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Ich glaube, alle, die wir im Ausschuss sind - egal welcher Partei wir angehören -, haben viele beeindruckende Beispiele erlebt, dass Menschen als Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer ins Ausland gegangen sind, unter schwierigen Bedingungen arbeiten und die Menschen dort aus Hunger und Elend befreien können, ihnen eine Chance geben. Wenn man in die hoffnungsvollen Gesichter dieser Menschen blickt, sieht man, wie sie trotz ihres Elends und ihrer Armut dankbar und froh sind über die Hilfe, die ihnen gegeben wird. Deshalb sollte das nicht schlechtgeredet werden. ({2}) In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung habe ich neulich einen Artikel über Rupert Neudeck, der durchaus seine Verdienste hat, gelesen. Auch Verdienste in der Vergangenheit rechtfertigen aber nicht einen solchen Schwachsinn, den er da gesagt hat, nach dem Motto: Was haben 40 Jahre staatliche Entwicklungszusammenarbeit denn überhaupt gebracht? ({3}) Man muss sagen: Die Mittel, die wir als Politiker im Haushalt zur Verfügung stellen, dienen einem guten Zweck. Sie haben eine Wirkung vor Ort. Ich glaube, wir müssen deshalb auch bis zum Jahre 2015 weiter dafür werben, mehr Mittel zu bekommen, damit wir noch mehr Menschen helfen können. ({4}) Auch im Wirtschaftsbereich müssen wir natürlich etwas tun; denn es ist klar, dass Menschen nicht allein mit Geld aus Hunger und Armut befreit werden. Das gilt sowohl für die WTO als auch für die Verhandlungen der Europäischen Union mit den karibischen, afrikanischen und pazifischen Staaten. Horst Köhler hat neulich in seiner Berliner Rede gesagt - ich zitiere -: Zum Beispiel subventionieren die Industriestaaten allein ihren Agrarbereich mit fast einer Milliarde US-Dollar pro Tag. Den afrikanischen Staaten geben sie eine Milliarde Dollar Agrarhilfen - pro Jahr. … Auch Europa errichtet Handelsbarrieren gegen die Entwicklungsländer, überschwemmt sie … mit Lebensmitteln zu Dumpingpreisen und zerstört damit dort die Erwerbs- und Lebensgrundlagen der bäuerlichen Gesellschaften. Deshalb bin ich froh, dass wir eine Ministerin haben, die, seit sie das Ressort übernommen hat, nicht nur die wichtigen Projekte der Entwicklungszusammenarbeit weiter in den Vordergrund stellt und betreibt, sondern auch die globale Strukturpolitik ganz stark nach vorne rückt und sich mit vollem Einsatz im Kabinett kohärent dafür einsetzt, dass Deutschland in Europa im Rahmen der Handelspolitik eine andere Rolle spielt. Wenn unsere europäischen Partnerländer es zuließen, würden wir gerne mehr machen. Ich nenne hier einmal die Franzosen und andere agrarlobbyistische Staaten. Wir als Entwicklungspolitiker werden bei den Verhandlungen mit den afrikanisch-karibisch-pazifischen Staaten federführend dafür sorgen, ein Wirtschaftsabkommen auf Augenhöhe und ein partnerschaftlich faires Abkommen abzuschließen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, dass wir dort auf einem guten Weg sind, wenn wir mit diesen Haushaltsmitteln weiterhin gute Projekte direkt unterstützen, aber auch für eine Weltwirtschaft sorgen, in der sich die Menschen selbst fair am Handel und an der Wirtschaft beteiligen können. Deshalb bitte ich um Unterstützung für diesen Haushalt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe dem Kollegen Thilo Hoppe, Bündnis 90/ Die Grünen, das Wort. ({0})

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Allgemeinen und Grundsätzlichen habe ich in der ersten Lesung schon einiges gesagt. Deshalb kann ich es mir jetzt in der Kürze der Zeit erlauben, nur einige Konflikte und Herausforderungen anzureißen, die in der Debatte bisher zu kurz gekommen sind. Erstens: Klimaschutz. Die Ministerin hat die Herausforderungen schon treffend dargestellt. Wir stehen kurz vor der Klimakonferenz von Bali. Ein ganz wichtiger Bereich ist der Schutz der Tropenwälder. Ich weiß, dass das auch dem Kollegen Ruck sehr am Herzen liegt. Um Ihrer Frage zuvorzukommen: Mit dem, was unter Rot-Grün dort erreicht wurde, bin ich nicht zufrieden. Da muss noch kräftig draufgesattelt werden. Sir Nicholas Stern hat es ausgerechnet und beziffert: Wir brauchen 15 Milliarden Dollar pro Jahr für einen effektiven Tropenwaldschutz. Das macht deutlich, wie riesig die Herausforderung ist. 20 Prozent der CO2-Emmissionen resultieren allein aus der Zerstörung der tropischen Regenwälder. Deshalb ist es absolut notwendig, dort sehr viel mehr zu tun. Wir haben das in mehrere Anträge für einen Klimaschutzhaushalt hineingeschrieben. Wir sehen, dass es ermutigende Ansätze gibt, aber das reicht bei weitem nicht aus. ({0}) Notwendig sind auch Pilotprojekte, damit die finanzielle Kompensierung und Honorierung von vermiedener Entwaldung weiterentwickelt werden kann. Dort steckt der Teufel im Detail, und es ist sehr schwierig, die richtigen Instrumente zu finden, mit denen keine falschen Anreize geschaffen werden. Die Einbeziehung des Tropenwaldschutzes in ein Kioto-II-Abkommen und in den Clean-Development-Mechanism ist notwendig. Hier muss es viel mehr Rückenwind geben. Zweitens. Der Bereich Bio- oder Agrartreibstoffe hängt damit zusammen. Heike Hänsel hat deutlich auf die negativen Erscheinungen in Indonesien hingewiesen. Sie sind wirklich himmelschreiend und müssen gestoppt werden. Daraus kann aber nicht gefolgert werden - für Indonesien natürlich schon -, die Entwicklung jetzt einfach anzuhalten. Durch ein Moratorium für fünf Jahre wird das Ganze nicht aufgehalten. Es ist notwendig, sich jetzt ganz schnell einzuklinken, mit Hochdruck den Ausbau der Biotreibstoffe mit ökologischen und sozialen Leitplanken zu versehen und ein Zertifizierungssystem hochzuziehen, das nicht nur die einzelnen Plantagen im Blick hat, sondern auch die Verdrängungsmechanismen. ({1}) Deshalb bin ich sehr froh, dass es nach langer Zeit erstmals wieder gelungen ist, für den 23. Januar 2008 eine gemeinsame Anhörung von drei Ausschüssen - Agrarausschuss, Umweltausschuss und Entwicklungsausschuss - anzusetzen, auf der genau dieses Thema beleuchtet werden soll. Hier wird es um die Fragen gehen, wie die Biotreibstoffe so ausgebaut werden können, dass es nicht zulasten der Hungernden und zulasten des Klimas geht, wie Klimaschutzeffekte genutzt werden können und welche Leitplanken eingezogen werden müssen. Zum Schluss - die Zeit läuft ab - möchte ich den Konflikt ansprechen, der hier immer zwischen den Zeilen zum Ausdruck kam. Herr Kollege Koppelin hat mehrfach eingefordert, dass die Ministerin mehr auf das Parlament hören und das Parlament ernster nehmen soll. ({2}) - Ja, natürlich. - Zum Parlament gehört aber nicht nur der Haushaltsausschuss, sondern natürlich auch der entsprechende Fachausschuss. ({3}) In vielen Konfliktpunkten kommen unsere Ausschüsse zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Auch das muss hier einmal diskutiert werden und sollte auch in allen Fraktionen offener diskutiert werden. ({4}) Ich nenne einige Konfliktpunkte: Erstens. Zum Thema Budgetfinanzierung haben wir eine große Anhörung durchgeführt, die nicht zu dem Ergebnis kam, dass dies alles schlecht ist und die Mittel dafür gesperrt werden sollten. Zweitens. Auch beim Thema multilaterale und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit sind wir zu einer anderen Bewertung gekommen und können die Verteidigung der anachronistischen Zweidrittel-/Eindrittelregelung nicht verstehen. Drittens. Ich bin der FDP dankbar, dass sie eine Anhörung ansetzen möchte, die sich mit der Frage befasst, wann Außenwirtschaftsförderung sinnvoll und legitim ist und wann sie Missbrauch von Steuergeldern darstellt, etwa wenn ein einzelnes Unternehmen den Zuschlag bekommt. ({5}) Wenn Sie das genannte Projekt von Siemens als Klimaschutzmaßnahme verkaufen wollen, muss auf Folgendes hingewiesen werden: Es wird so oder so realisiert; wenn nicht von Siemens, dann von einem anderen Konsortium. ({6}) Das Vorhaben, Steuermittel dafür aufzuwenden, damit ein deutsches Unternehmen den Zuschlag bekommt, hat ein Vertreter von Transparency International schon einmal vorsichtig als Staatskorruption bezeichnet. Ich denke also, dass eine Diskussion zwischen Außenwirtschaftsförderern und Entwicklungspolitikern dringend notwendig ist. Das Ganze wird auch nicht dadurch besser, dass jetzt ein Neben-Entwicklungsminister, nämlich Herr Glos, ({7}) Projekte der finanziellen Zusammenarbeit am BMZ vorbei realisiert. Da möchten wir noch ganz große Fragezeichen setzen. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jochen Borchert, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, viel deutlicher als in diesem Haushalt hätte das Bekenntnis Deutschlands zu seiner Verantwortung für die Bekämpfung der weltweiten Armut und für die Entwicklungszusammenarbeit nicht ausfallen können. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben bewiesen, dass die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele weiter im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen. Die Mittel für den Einzelplan 23 sind überproportional gestiegen. Noch nie wurde Entwicklungszusammenarbeit so intensiv diskutiert und gefördert. Die Bundeskanzlerin nutzt ihren außenpolitischen Einfluss immer wieder, um sehr nachdrücklich sowohl entwicklungspolitische als auch menschenrechtspolitische Akzente zu setzen. ({0}) Die Ministerin verfügt heute über einen Etat, der knapp 1,3 Milliarden Euro über dem letzten der alten Bundesregierung aus dem Jahr 2005 liegt. Das ist ein Anstieg von gut 33 Prozent in drei Jahren. Ich halte das für ein positives Signal. Unkenrufe sind da völlig fehl am Platz. Sehr geehrte Frau Ministerin, herzlichen Glückwunsch zu diesem Etat! ({1}) Mehr als 14 Prozent Steigerung im Haushalt 2008, eine dreieinhalb Mal höhere Wachstumsrate im Vergleich zum Gesamthaushalt, das ist - ich wiederhole mich gern - ein überaus positives Signal. Damit macht Deutschland unmissverständlich klar, dass die Betonung der Entwicklungspolitik kein Lippenbekenntnis ist. Gut 700 Millionen Euro Aufwuchs - das ist alles andere als ein Lippenbekenntnis. Das ist ein Bekenntnis zu unserer Verantwortung. Für den Erfolg von Entwicklungszusammenarbeit ist ganz entscheidend, dass Sie die Zivilgesellschaft mit einbinden und sie - auch finanziell - an dem positiven Trend beteiligen; denn eine gute Öffentlichkeitsarbeit, die Präsenz dieses Themas in der Gesellschaft ist, wie ich denke, dem Engagement der zivilgesellschaftlichen Initiativen geschuldet. Deshalb haben wir bei den diesjährigen Haushaltsberatungen wieder zugunsten zivilgesellschaftlicher Organisationen umgeschichtet, allerdings in Maßen. Denn auch hier muss gelten: Qualität geht vor Quantität. Die Mittel müssen sinnvoll eingesetzt werden. Die Planung braucht einen gewissen Vorlauf. Ein plötzlicher Geldregen wäre nicht hilfreich. Wenn man sich den Regierungsentwurf des Einzelplans ansieht, fällt einem deutlich auf: Die Erhöhung von gut 700 Millionen Euro kommt hauptsächlich vier Titeln zugute. Erstens profitieren die Vereinten Nationen davon. Bei den Mitteln für den GFATM gibt es eine Erhöhung um 113 Millionen Euro auf nunmehr 200 Millionen Euro. Das ist eine Steigerung um 125 Prozent. Dies zeigt, dass wir unsere Zusagen von Heiligendamm ernst nehmen. Ich bin der Ansicht, dass wir unserer Verantwortung bei der Bekämpfung der drei schlimmsten Immunkrankheiten - Aids, Tuberkulose und Malaria - damit sehr deutlich gerecht werden. Das wird auch zukünftig so sein. Wir müssen aber genau hinsehen, wie diese Mittel in den Ländern eingesetzt werden und ob der Einsatz wirklich überall zweckentsprechend und effizient ist. ({2}) Denn ein solcher Aufwuchs ist auch für eine Organisation wie den GFATM nicht leicht zu schultern. Hierauf werden wir unser Augenmerk richten müssen. Zweitens. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der Weltbank. Sie ist ein weiterer multilateraler Geber, der von der Erhöhung profitiert. Hier handelt es sich um planmäßige Abrufe unserer Verpflichtungen aus früheren Jahren. Auch hier spiegelt sich das deutsche Engagement in der Entschuldungsinitiative wider. Neben dem Europäischen Entwicklungsfonds profitiert dann auch noch die Finanzielle Zusammenarbeit mit einem Plus von knapp 300 Millionen Euro. Das ist ein Aufwuchs von gut 26 Prozent. Dies ist ein wichtiges Signal, ein wichtiges Instrument zur Erreichung unserer entwicklungspolitischen Ziele. Hier können wir mit bilateralen Mitteln ganz gezielt und mit großem Hebel deutsche Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit setzen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Koczy?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gern.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte, Frau Koczy.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke sehr. - Herr Kollege Borchert, Sie sprachen von einer Erhöhung der Mittel für die Weltbank und dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung. Nun wissen wir, dass der ursprüngliche Entwurf der Regierung mehr Mittel vorsah und der Ansatz für die Weltbank von den Haushältern der Koalitionsfraktionen um 100 Millionen Euro gekürzt wurde. Wie rechtfertigen Sie das vor dem Hintergrund der sechs Herausforderungen, die global bewältigt werden müssen, von denen Robert Zoellick, der neue Weltbankpräsident, gesprochen hat? Er ist ja sogar, weil er wohl schon etwas ahnte, hierhin gereist, um über dieses Thema zu diskutieren. Warum haben Sie sich trotz seiner guten Argumente entschieden, die Mittel zu kürzen?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ich habe eben von den Barmittelansätzen gesprochen. Diese haben wir nicht verringert. Vielmehr gibt es hier einen deutlichen Aufwuchs zugunsten der Weltbank. Ich denke, dies darf man dann hier auch ausführlich erwähnen. Das, was Sie ansprechen, sind Veränderungen bei Verpflichtungsermächtigungen, auf die ich gleich im Detail eingehen werde. Ich denke, auch hier haben wir im Haushaltsausschuss eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen. ({0}) Wichtig ist der verantwortungsbewusste Umgang mit Steuergeldern. Der Bundesrechnungshof prüft bei der Budgetfinanzierung - genauso wie in anderen Bereichen -, ob Steuergelder sparsam und effizient eingesetzt werden. Herr Kollege Hoppe, Sie haben erklärt, dass in der Anhörung des Fachausschusses zur Budgetfinanzierung festgestellt worden sei, dass nicht alles schlecht sei. Das haben wir nicht erklärt. Wir haben im Haushaltsausschuss auch nicht gesagt, dass hier gespart werden soll. Wir haben lediglich darauf hingewiesen, dass wir die Prüfung des Bundesrechnungshofes im Bereich der Budgetfinanzierung unterstützen. ({1}) Denn wir tragen gegenüber dem Bürger die Verantwortung dafür, dass die Mittel effizient eingesetzt werden. Deswegen haben wir einen Teil der Mittel für finanzielle und technische Zusammenarbeit bis zur Vorlage des Berichtes des Bundesrechnungshofes zur Budgetfinanzierung gesperrt. Damit die Dimensionen deutlich werden: Bei der finanziellen Zusammenarbeit sind von 1,4 Milliarden Euro 40 Millionen Euro gesperrt - das sind weniger als 3 Prozent -, und bei der technischen Zusammenarbeit sind von 730 Millionen Euro 6,5 Millionen Euro gesperrt das ist weniger als 1 Prozent. ({2}) Wenn dann erklärt wird, die 2007 mit Afghanistan geschlossenen Regierungsverträge könnten nicht erfüllt werden, so ist zu sagen, dass die Zusagen von 2007 von dieser Sperre nicht betroffen sind. Ich sehe auch für die Verhandlungen 2008 keine konkrete Gefahr. Die Regierungskonsultationen werden erst Anfang des Jahres 2008 beginnen. Sollte es wider Erwarten vor der generellen Aufhebung der Sperre, das heißt vor Februar oder März - wir werden über die Aufhebung ja im Frühjahr beraten -, zu einem Abschluss der Regierungsverhandlungen kommen, so wird der Antrag auf Entsperrung der Mittel im Haushaltsausschuss sicher eine genauso große Mehrheit finden wie die Zustimmung zur zivilen Hilfe für Afghanistan hier im Parlament. Aber wir werden Risiken und Chancen und die Rahmenbedingungen der Budgethilfe weiter diskutieren müssen. Ich denke, neben dem effizienten Einsatz der Mittel müssen die Vorteile der Budgethilfe schon erheblich sein, wenn wir auf die sonst mögliche Hebelwirkung bei der finanziellen Zusammenarbeit verzichten wollen. ({3}) Wir haben noch an einer anderen Stelle gesperrt, nämlich bei den freiwilligen Beiträgen an internationale Organisationen. ({4}) Diese Sperrungen werden aber in Kürze aufgehoben werden können, und zwar für den Einzelplan 05 und den Einzelplan 23, nämlich dann, wenn sich die Häuser mit dem Bundesrechnungshof über die Art der Evaluierung geeinigt haben. Frau Kollegin, Sie haben darauf hingewiesen, dass zurzeit Verhandlungen über die Wiederauffüllung bei der Weltbank laufen. Wir haben die VE von 1,9 Milliarden um 100 Millionen Euro abgesenkt und diesen Betrag auf die technische und finanzielle Zusammenarbeit verteilt. ({5}) Man muss sehen, dass zu Beginn der Verhandlungen drei Szenarien diskutiert wurden, nämlich eine Aufstockung von IDA 15 im Vergleich zu IDA 14 um 10,4 Prozent, 20 Prozent oder 30 Prozent. Im März hatte man sich in Paris auf eine Aufstockung um 20 Prozent verständigt. Dafür reichen die Verpflichtungsermächtigungen bei vergleichbaren Rahmenbedingungen aus, die jetzt im Haushalt stehen. Wir werden jetzt abwarten müssen, zu welchen Ergebnissen die Verhandlungen Anfang Dezember führen. Die Verhandlungen erfolgen unter Parlamentsvorbehalt. ({6}) Das ist nicht nur in Deutschland so. Wir wollen die wichtige Arbeit der Weltbank weiter unterstützen, und dazu gehört natürlich ein ausreichender finanzieller Beitrag. Den werden wir auch leisten. Grundlage unserer Entwicklungspolitik ist aber die Kombination von bilateraler und multilateraler Zusammenarbeit. Beide Bereiche leisten ihren spezifischen Beitrag zur Erreichung der Millenniumsziele. ({7}) Ich begrüße, dass die Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht jetzt das Thema ländliche Entwicklung wieder stärker betont und in den Mittelpunkt rückt. Auch wenn sich hier schon die ersten Kritiker zu Wort gemeldet haben, so herrscht Einigkeit darüber, dass ländliche Entwicklung ein Schlüsselfaktor für die nachhaltige Bekämpfung von Armut, Krankheit und Hunger ist. Deswegen begrüße ich den Trend, der in diesem Bericht deutlich wird. Wir haben gerade in diesem Bereich einen großen Hebel zur Bekämpfung des Hungers. ({8}) Ich begrüße den neuen Freiwilligendienst des BMZ, der im Haushalt mit 25 Millionen Euro finanziert wird. Wenn wir es jungen Menschen erleichtern, Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit zu machen, dann werden diese jungen Menschen, die zwischen sechs und 24 Monate als Entwicklungshelfer gearbeitet haben, wenn wir es richtig anstellen, die besten Botschafter für die Entwicklungszusammenarbeit sein. Dies ist eine gute Chance, die Akzeptanz und die Unterstützung in der Bevölkerung hierfür zu erhöhen. ({9}) Ich will abschließend auf einen weiteren Beschluss im Haushaltsausschuss aufmerksam machen. Von vielen Seiten haben wir immer wieder gehört, dass der Außenauftritt des BMZ einheitlicher gestaltet werden müsse und dass selbst die staatliche EZ nicht mit einem einheitlichen Logo auftritt. ({10}) Zuletzt kam dieser Ruf aus dem BMZ selbst. Demnach lag nichts näher, als genau dies durch einen parlamentarischen Beschluss sicherzustellen. Deswegen haben wir beschlossen: Die Bundesregierung wird aufgefordert, in der staatlichen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit ausschließlich mit einem einheitlichen Logo nach außen aufzutreten, damit Projekte und Programme deutlich als Projekte/Programme Deutschlands gekennzeichnet werden. Die Durchführungsorganisationen sind als solche kenntlich zu machen. Sehr geehrte Frau Ministerin, ich bedanke mich bei Ihnen und Ihrem Haus für die intensive Zusammenarbeit, für die offene, gelegentlich auch kontroverse Debatte. Ich möchte mich bei meiner Kollegin Iris Hoffmann sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken und danke allen übrigen Berichterstattern für die konstruktive Zusammenarbeit im Kreis der Berichterstatter. Ich darf Sie alle herzlich bitten, dem Einzelplan 23 in der vom Ausschuss beschlossenen Form zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. November 2007, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.