Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/16/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich muss Ihnen mitteilen, dass der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung verabredet hat, dass während der Haushaltsberatungen in der kommenden Sitzungswoche wie üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden durchgeführt werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 sowie den Tagesordnungspunkt 42 m auf: ZP 7 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 16/6924 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 16/117 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0}) - Drucksache 16/118 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) - Drucksache 16/7159 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christian Lange ({2}) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({3}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7162 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Königshofen Gunter Weißgerber Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk 42 m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Ulrich Maurer, Klaus Ernst, Volker Schneider ({5}) und der Fraktion DIE LINKE Privilegien beseitigen - Mitglieder des Deutschen Bundestages in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen - Drucksache 16/7107 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({6}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, über den wir später namentlich abstimmen wollen, liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Es ist verabredet, für die Aussprache eine halbe Stunde vorzusehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/ CSU-Fraktion. ({7}) Redetext

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über die geplante Änderung unserer Entschädigung und unserer Altersversorgung wird in der Bevölkerung, wie ich meine, zu Recht intensiv diskutiert. Das ist für die Abgeordneten, die sich dieser Diskussion stellen, vor allem für diejenigen, die diese Diskussion mit konkreten Vorschlägen begleiten, wie es die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen tun, nicht immer einfach. Ich verstehe aber auch, dass manche Menschen, vor allem diejenigen, die wenig verdienen, in dieser Diskussion ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Gleichwohl will ich deutlich sagen: Bei sachgerechter Betrachtung erkennt man, dass diese Vorschläge ausgewogen sind. Sie sind sachgerecht und verdienen unsere Unterstützung. ({0}) Als Erstes stellt sich die Frage, warum wir selbst entscheiden. Für viele von uns wäre es wesentlich einfacher und bequemer, sich zurückzulehnen und diese Entscheidung anderen zu überlassen. Das ist aber geltende Verfassungslage. Das ist geltendes Recht. Das Verfassungsgericht schreibt vor: Wir sollen entscheiden. Wir sollen vor den Augen der Öffentlichkeit darüber entscheiden. Ich füge hinzu: Ich finde das richtig so; ({1}) denn eine Übertragung der Entscheidung an irgendeine Kommission würde nichts anderes bedeuten, als die Verantwortung abzutreten, sie auf andere abzuwälzen. Sich vor der Entscheidung zu drücken, bedeutet, sich hinter einer Kommission oder einem anderen Gremium zu verstecken. Unser Ansatz ist ein anderer. Unser Ansatz ist ein transparenter Ansatz. Wir wollen öffentlich sagen, was wir warum vorschlagen, dieses auch begründen und mit der Bevölkerung diskutieren. ({2}) Es stellt sich eine zweite Frage: Warum die Diätenanpassung jetzt? - Seit 1995 steht im Abgeordnetengesetz, dass sich die Entschädigung der Abgeordneten am Gehalt eines Bürgermeisters einer Stadt oder Gemeinde in der Größenordnung zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnern zu orientieren hat. Dieser Maßstab ist damals gewählt worden, weil die Tätigkeit, die Verantwortung und die Belastung dieses Personenkreises in etwa mit denen eines Bundestagsabgeordneten vergleichbar sind. Obwohl das seit 1995 im Gesetz verankert ist, sind wir noch weit von dieser Bezugsgröße entfernt. Was nun vorgesehen ist, ist eine Annäherung daran. Selbst mit dieser Änderung wird die genannte Bezugsgröße noch nicht ganz erreicht. Natürlich kann man sich dann fragen: Ist dieser Maßstab richtig? - Jeder könnte sich einen anderen vorstellen. Manche meinen, das persönliche Einkommen sollte der Maßstab sein, andere wieder sagen, das Durchschnittseinkommen sollte der Maßstab sein. Ich gehe nicht so weit, zu sagen, dass zum Beispiel das Einkommen eines Fußballspielers ausschlaggebend sein sollte. Die Ehrlichkeit und Redlichkeit der Debatte verlangt es, dass wir die Tätigkeitsprofile, die Anforderungen, die Belastung und die Verantwortung vergleichen können. Wenn wir dies als Ansatzpunkt nehmen, dann - da bin ich mir sicher - ist dieser gesetzlich fixierte Maßstab nicht zu hoch gegriffen, sondern er ist angemessen und der richtige. ({3}) Bei dieser Gelegenheit, meine liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen und einige Fragen aufwerfen, die nicht nur wir zu beantworten haben, sondern die, wie ich glaube, im Rahmen der Diskussion auch die Bevölkerung zu beantworten hat, nämlich zum Beispiel die Fragen: Was muss uns eigentlich ein unabhängiger Abgeordneter wert sein? Was sollte ein Abgeordneter an Profil, an Eigenschaften, an Fähigkeiten, an Qualifikationen mitbringen? Bei der Beantwortung dieser Fragen sollten wir uns bei objektiver Betrachtung darüber im Klaren sein - ohne jetzt überheblich zu sein -, dass das, was die Abgeordneten zu entscheiden und zu verantworten haben, nicht nur für sie selbst, sondern für das ganze Land, für die gesamte Bevölkerung, von enormer Tragweite ist. Ob es sich hier nun um Entscheidungen handelt über Bundeswehreinsätze im Ausland, über Maßnahmen zur Verbesserung des Klimaschutzes, zur Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung oder zur Verbesserung der sozialen Gerechtigkeit, was immer es auch ist. Wir streiten um die beste Entscheidung zu Recht. Vor diesem Hintergrund kann die Antwort nur lauten: Unsere Demokratie braucht die Besten in unserem Land für die politische Verantwortung. ({4}) Wer die Besten sind, das entscheidet nicht jeder Einzelne, das entscheiden nicht wir, sondern das liegt in der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Nur, wir bekommen die Besten gar nicht in die Auswahl, wenn wir ihnen nicht das Gefühl vermitteln können, dass sie für das, was von ihnen verlangt wird, auch annähernd adäquat bezahlt werden. ({5}) Die Vorschläge umfassen auch eine Reduzierung der Altersversorgung. Sie beinhalten einmal die Senkung der jährlichen Steigerungsrate, die früher bei 4 Prozent lag und mittlerweile 3 Prozent beträgt. Diese wird auf 2,5 Prozent reduziert. Die Senkung der Altersversorgung beinhaltet weiter, dass der Höchstsatz von 69 Prozent auf 67,5 Prozent reduziert wird. Dieser wird auch nicht wie bisher schon nach 23, sondern künftig erst nach 27 Parlamentsjahren erreicht. Außerdem beinhaltet er die Erhöhung der Altersgrenze von 65 Jahren auf 67 Jahre. Wir passen uns hiermit den Regelungen in der gesetzlichen Rentenversicherung an. Wir wollen, dass das, was wir anderen zumuten, auch für uns gilt. Wir wollen uns ganz bewusst diesen Regelungen anschließen. Natürlich taucht da immer wieder die Frage auf: Warum macht ihr keine Systemumstellung, warum nicht höhere Bezüge und davon Beiträge für ein Versorgungswerk? Wir haben auch dies geprüft - die Diskussion läuft ja nicht nur eine Woche, sondern in dieser Legislaturperiode bereits seit eineinhalb Jahren -, und das Ergebnis dieser Prüfung ist Folgendes: Erstens. Es würde eine deutliche Mehrbelastung für den Bundeshaushalt nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig bedeuten. Zweitens gibt es eine Untersuchung einer ebenfalls unabhängigen Kommission aus dem Jahr 1993, der sogenannten Kissel-Kommission, ({6}) die deutlich gemacht hat, dass durch eine solche Umstellung keinerlei Einsparungen zu verzeichnen wären. Drittens entspricht unser jetziges System im Wesentlichen der Versorgung in anderen öffentlichen Bereichen, die mit dem unseren vergleichbar sind; im Übrigen wird es auch in fast allen Landtagen so praktiziert. Außerdem sagt eine reine Systemumstellung doch überhaupt nichts. Ich denke, dass die Bürgerinnen und Bürger auch ein Recht darauf haben, zu wissen, wie hoch die Versorgung dann sein soll. Soll sie, wenn eine solche Systemumstellung kommt, anschließend niedriger oder höher sein, oder soll sie gleichbleiben? Ab welchem Alter soll diese Versorgung dann gelten? Ich meine, die Bürger haben einen Anspruch darauf, dies zu hören und zu wissen. Aber, mit Verlaub, in keinem der Gesetzentwürfe, in keinem der Anträge der Oppositionsfraktionen ist davon nur ein Wörtchen zu lesen. ({7}) Ich frage mich, warum das so ist. Scheuen Sie die Diskussion, wenn es ein wenig konkreter wird? Niemand von uns soll sich hier verstecken, niemand von uns soll sich vor der Verantwortung drücken; vielmehr sollen wir darüber eine offene Diskussion vor den Augen der Öffentlichkeit führen, so wie es uns das Verfassungsgericht aufgibt. Wir haben Ihnen dazu Vorschläge gemacht. Der Gesetzentwurf ist beraten. Er sieht konkrete Vorschläge vor, Vorschläge dazu, die Altersversorgung zu reduzieren, die Entschädigung an einen objektiv vergleichbaren Maßstab anzupassen. Es ist ein Gesetzentwurf, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der unsere Zustimmung verdient. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jörg van Essen spricht jetzt für die FDPFraktion. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den verschiedenen Gremien in der vergangenen Woche die Fragen beraten. Die FDP-Bundestagsfraktion bleibt bei der Ablehnung des Vorschlages der Koalition, weil wir den besseren Vorschlag haben. ({0}) Es gibt erneut keinen Systemwechsel, aber dieser Wechsel ist dringend notwendig, ({1}) denn alles das, was Kollegin Hasselfeldt vorgetragen hat, trägt ja nicht wirklich. Wir merken seit vielen Jahren, dass die Bürger das Gefühl haben, dass das, was mit den Diäten der Abgeordneten geschieht, nicht gerecht ist. Das ist ein Gefühl bei den Bürgern, das wir schon deshalb ernst zu nehmen haben, weil wir merken, wie viele Bürger sich bei uns mit Kritik und mit Vorschlägen melden. Gefreut hat mich in den letzten Tagen, dass es auch eine intensive Debatte in den Medien gegeben hat. Zusätzlich hat mich gefreut, dass es so viel Unterstützung für den Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion gegeben hat, indem die Notwendigkeit des Systemwechsels auch in den Medien herausgestellt worden ist. ({2}) Deshalb will ich noch einmal deutlich machen, was wir wollen. Wir wollen zur Transparenz beitragen, ja, auch wir; denn die unabhängige Kommission, die wir vorschlagen, wird ihre Vorschläge natürlich begründen müssen, wird darlegen müssen, warum sie sagt, die Abgeordneten sollen dies oder jenes verdienen. Ich sage deutlich: Wir werden uns dem unterwerfen. Das kann niedriger sein; dann werden wir uns unterwerfen. Es kann aber auch ein Stück mehr sein; dies werden wir ebenso akzeptieren. Deshalb ist dies aus unserer Sicht der richtige Weg. Alle, die das Hohelied des Mutes singen, den wir haben müssen, seien daran erinnert, dass viele Diätenentscheidungen gar nicht in diesem Hause gefallen sind, sondern in Redaktionsstuben. Ebenso sage ich deutlich: Wir möchten, dass es einen Systemwechsel bei der Altersvorsorge gibt. Wir haben uns in Nordrhein-Westfalen als FDP dafür eingesetzt, dass es zu diesem Systemwechsel gekommen ist. Er ist durchgeführt worden. Das zeigt, dass das Ganze machbar ist. Vor allen Dingen glaube ich, dass wir verantwortlich sind, wenn wir durch eigene Kapitalbeträge für die Altersversorgung sorgen. Wir merken in allen sozialen Sicherungssystemen, dass wir zu solchen Systemänderungen kommen. Der Bundestag muss dabei vorangehen. ({3}) Auch das spricht für den Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion. Von daher aus unserer Sicht noch einmal die klare Ansage: Wir wollen eine Verfassungsänderung. Bisher schreibt das Bundesverfassungsgericht vor, dass wir die Entscheidung über die Höhe der Diäten selbst fällen müssen. Es gibt ein wissenschaftliches Gutachten des Deutschen Bundestages, das deutlich und klar unterstreicht, dass das möglich ist. Dann sollten wir es auch tun. Der Bundespräsident ist eine neutrale Institution, der die Kommission berufen kann. Die Bürger haben dann Vertrauen in diese Kommission. Deshalb ist das der richtige Weg, die Abgeordnetendiäten festzulegen. Wir möchten, dass diese Kommission auch Vorschläge für die Altersversorgung macht. Ich bin nach den guten Erfahrungen, die wir in Nordrhein-Westfalen beispielsweise gemacht haben, ganz sicher, dass die von uns vorgeschlagene Systemänderung geht. Von daher werbe ich für die Unterstützung des Vorschlages der FDP-Bundestagsfraktion. Das ist der richtige Weg für die Festlegung der Diäten, aber auch für die Altersversorgung. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht jetzt die Kollegin Dr. Susanne Kastner für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum besseren Verständnis unserer Bürgerinnen und Bürger hier auf der Tribüne und zu Hause an den Bildschirmen sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Deutsche Bundestag heute in der 16. Legislaturperiode arbeitet. Es mag für einige Bürgerinnen und Bürger im Lande und möglicherweise auch für den einen oder anderen Journalisten oder Kollegen interessant sein, wenn man dazu noch einige Fakten zum Besten gibt. In der letzten vollständigen vierjährigen Wahlperiode, die von 1998 bis 2002 andauerte, kam der Deutsche Bundestag zu 253 Sitzungen zusammen. Während dieser Zeit trafen sich die Fraktionen zu 1 226 Sitzungen, und die 23 Ausschüsse tagten 2 848-mal zu den unterschiedlichsten Themen. Die aktuell 613 Abgeordneten des Deutschen Bundestages betreuen 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger in den 300 vorhandenen Wahlkreisen. Wenn meine Abgeordnetenmitarbeiter und ich am Jahresende Bilanz ziehen - ich weiß, dass es bei anderen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, ganz genauso ist -, staunen wir über mehr als tausend Bürgerfälle, die uns erreicht haben. Hier finden sich langwierige Fälle aus den Wahlkreisen, die Rente, Reha-Maßnahmen oder Asyl betreffen ebenso wie die Betreuung von Firmen in Schwierigkeiten, denen geholfen werden soll, und Arbeitnehmerfragen. Da sind aber auch die rasch zu erledigenden Aufgaben und die Fragen von Schulklassen über Demokratie und Parlament. Über tausend Bürgerkontakte pro Jahr ergeben bei 613 Abgeordneten immerhin 2 452 000 Anfragen aus der Bevölkerung innerhalb einer Wahlperiode. ({0}) Ich denke, das ist wirklich eine beeindruckende Zahl. Ich bin ohnehin der Meinung - das sollte man durchaus sagen -, wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, arbeiten viel intensiver, als manchmal wahrgenommen wird. Deshalb sollten wir uns nicht selber kleinreden. Trotzdem kenne ich keinen Beruf, bei dem man sich wegen seiner Bezahlung so sehr rechtfertigen muss. Die Kampagne der deutschen Boulevardpresse in der Vergangenheit war schon wirklich bemerkenswert, obwohl ich gestern feststellen konnte, dass bei der Boulevardpresse auch schon ein Umdenken eingesetzt hat. Das gibt zu Hoffnung Anlass. Denn in der Vergangenheit war es wirklich so, dass das bloße Erwähnen des Wortes „Diäten“ schon einen richtigen Sturm der Entrüstung ausgelöst hat, der dann mittelfristig auch von der Bevölkerung übernommen worden ist. Nichtsdestotrotz werden wir jetzt einer Erhöhung der Diäten in den Jahren 2008 und 2009 zustimmen. Im Übrigen handelt es sich um die erste Erhöhung seit dem Jahre 2003. Eine gleichmäßige Erhöhung, auf diese sechs Jahre verteilt, hätte eine Steigerung von etwa 1,5 Prozent pro Jahr bedeutet. Das ist - ich glaube, das wissen inzwischen auch viele Bürgerinnen und Bürger nicht maßlos, sondern völlig angemessen. Wir stehen damit nicht in etwa auf der Ebene eines Bill Gates oder anderer Reicher in unserem Land. ({1}) - Ja, der ist nicht aus unserem Land. Das ist egal, Frau Künast. Man wird immer mit Personen der obersten Einkommensschichten verglichen. Es wäre auch unanständig, auf einer Ebene mit den Superreichen zu stehen, weil es sich bei unseren Gehältern um Steuergelder handelt. Wenn wir dort stünden, dann würde man uns mit Recht vorwerfen, die Bodenhaftung zu verlieren. Ich wiederhole: Wir werden 2009 auf derselben Stufe stehen, die Bürgermeister deutscher Gemeinden und deutscher Städte mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern bereits heute erreicht haben. Alle diese 109 Bürgermeister erhalten bereits jetzt diese Bezahlung im Monat. Es handelt sich um die Bürgermeister von Städten wie Plauen, Lippstadt, Celle, Passau und Castrop-Rauxel. Die Bürgermeister der größeren Städte - das sind nochmals 82 beziehen im Übrigen natürlich wesentlich höhere Gehälter. Wir deutschen Abgeordneten betreuen, nebenbei bemerkt, in unseren Wahlkreisen 230 000 Bürgerinnen und Bürger. Auch deshalb halte ich die Erhöhung für vollkommen angemessen. Ich möchte Ihnen noch eine erstaunliche Zahl mitteilen. Ein Bundesbürger gibt zurzeit pro Abgeordneten 60 Cent aus. Nach der Erhöhung werden es 66 Cent sein, und das nicht pro Monat, sondern einmal im Jahr. Ich wiederhole: 66 Cent pro Bürger und Jahr für einen Abgeordneten. Da stellt sich wirklich die Frage nach der Wertigkeit unseres Parlaments und letztendlich auch unserer Demokratie. Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Forderung eines Systemwechsels bei den Altersbezügen von Abgeordneten hört sich für viele vielleicht sehr gut an, weil man gleich an geringere Kosten denkt. Herr van Essen, in Nordrhein-Westfalen ist dieser Systemwechsel in der Tat vollzogen worden. Die Bezüge dort sind von 4 800 Euro auf 9 500 Euro gestiegen. Das ist ein Plus von sage und schreibe 97,9 Prozent. Auf den Bundestag übertragen hieße das eine Erhöhung der Diäten auf 13 871 Euro. Außerdem blieben die erworbenen Ansprüche der bereits im Ruhestand befindlichen Kollegen bestehen und damit auch die damit verbundenen Kosten. Solche Zahlen zeigen sehr schnell, dass es nicht so einfach ist, wie viele denken. Deshalb schließe ich mich den Worten an, die unser Erster Parlamentarischer Geschäftsführer in seiner Einbringungsrede in der vergangenen Woche gesagt hat: Wir müssen unsere Altersbezüge reduzieren; ein Systemwechsel würde das Ganze nur verwässern. Genau diese Senkung der Altersversorgung haben wir durchgeführt. Vor zwölf Jahren hat ein Abgeordneter noch 4 Prozent seiner Diäten als Altersversorgungsanspruch bekommen. Dann haben wir auf 3 Prozent reduziert, und jetzt, beim aktuellen Gesetzentwurf, sind wir bei 2,5 Prozent. ({2}) Außerdem führen wir - wie für alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - auch für uns Abgeordnete die Rente mit 67 ein. Es wird immer wieder behauptet, Mitglieder des Deutschen Bundestages erhielten ab dem ersten Tag eine hohe Rente. Das ist schlichtweg falsch. Wir erwerben lediglich Anwartschaften auf die spätere Rente mit 67, was anderen gegenüber auch keinen Unterschied darstellt. Die Kolleginnen und Kollegen der Grünen fordern in ihrem Antrag die Einrichtung eines Versorgungswerks. Das kennen wir von den Versorgungswerken anderer Berufsgruppen. Es bedeutet doch offensichtlich keinen Systemwechsel. Ein solcher Schritt bringt lediglich Neueinstellungen bei der Bundestagsverwaltung mit sich, die den höheren Verwaltungsaufwand bewältigen muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn Sie schon von einem Versorgungswerk reden und einen Systemwechsel fordern, dann hätte ich von Ihnen eigentlich erwartet, dass Sie verlangen, dass die Abgeordneten bei einem Systemwechsel in die bestehenden Systeme einzahlen, sodass kein neues bürokratisches Monstrum geschaffen werden muss. ({3}) Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht uns diese Vorgehensweise beschrieben hat und dass die Erklärung dafür lautet, dass öffentlich und nicht hinter verschlossenen Türen über Neuregelungen diskutiert werden soll. Richtig ist auch, dass es dementsprechend momentan nicht möglich ist, andere über unsere Gehälter entscheiden zu lassen. Das wäre für uns alle einfacher und die Ergebnisse wären - davon bin ich überzeugt - überraschend. Sie, Herr Kollege Westerwelle, haben in diesem Zusammenhang eine unabhängige Sachverständigenkommission beim Bundespräsidenten vorgeschlagen. Es interessiert mich, wer in einer solchen Kommission sitzen soll. ({4}) Ich frage mich, welches Selbstverständnis wir in unserem Parlament haben, wenn wir solche Entscheidungen in Zukunft einem anderen Verfassungsorgan übertragen. ({5}) Es stellt sich noch eine Frage: Welche Art von Parlament wollen wir in Zukunft eigentlich haben? Ich denke, wir wollen ein unabhängiges Parlament mit Vertretern aus 121 Berufsgruppen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001069, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Einen letzten Satz, Frau Präsidentin. - Im Grundgesetz steht das Wort Entschädigung. Ich sage zum Schluss: Ich bin stolz und dankbar, hier arbeiten zu dürfen, um einen kleinen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten zu können. Dafür bedarf es keineswegs einer Entschädigung, sondern durchaus einer angemessenen Bezahlung. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann für die Linke. ({0})

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Ich finde es gut, dass die Koalition namentliche Abstimmung beantragt hat. Das schafft wenigstens Transparenz. ({0}) Wir haben erst in der vergangenen Woche in erster Lesung über die Änderung des Abgeordnetengesetzes gesprochen. Bereits heute, also nach nur einer Woche, wird es den Beschluss dazu geben. So schnell kann es manchmal in der Politik gehen. ({1}) Nun wundern Sie sich, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger über dieses Tempo nicht gerade freuen. Ich denke, die Bürgerinnen und Bürger merken, dass es bei anderen Entscheidungen ganz anders geht. Die Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost und West wurde auf die lange Bank geschoben. Die Aufhebung der Kür13310 zung der Pendlerpauschale wurde inzwischen wieder vertagt. Die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I - darüber werden wir nachher beraten - ist halbherzig. Wirksame Maßnahmen gegen zunehmende Armut werden auf den Sankt-NimmerleinsTag verschoben. Wir hatten hier gestern eine Debatte, in der es um die Anhebung des Arbeitslosengeldes II von 347 Euro auf 435 Euro ging. Es gab einen Antrag auf eine einmalige Weihnachtsbeihilfe für Hartz-IV-Empfänger in Höhe von 40 Euro. Diese Debatte war von Hohn gegenüber den Betroffenen geprägt. Man muss sich schämen, an einer solchen Debatte teilgenommen zu haben. ({2}) Bei den Diäten haben Sie Entschlusskraft und Mut bewiesen. Nun stellen Sie fest, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes Ihnen das nicht gönnen. Was regt die Leute tatsächlich auf? Es ist weniger die aktuelle Höhe der Diäten, sondern vor allen Dingen die Anhebung um monatlich fast 700 Euro in zwei Jahren. Wer trotz Arbeit auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen ist, weil das Einkommen nicht reicht, darf sich, wie ich finde, zu Recht aufregen. Viele empören sich über die Privilegien der Abgeordneten bei der Altersversorgung. Diese bleiben trotz einer marginalen Absenkung bestehen. Abgeordnete werden auch nach dieser Gesetzesänderung nicht in die Altersversorgung einzahlen. Es bleibt dabei, dass Abgeordnete nach wie vor bereits nach acht Jahren Zugehörigkeit zum Bundestag einen Anspruch haben, für den der Durchschnittsrentner etwa 60 Jahre arbeiten muss. Die Rente ab 67 für Abgeordnete, die uns hier verkauft wird, ist ein Feigenblatt. Wer dem Bundestag länger angehört hat, kann ohne Abschläge bereits mit dem 57. Lebensjahr aus dem Berufsleben als Bundestagsabgeordneter ausscheiden. Wer in diesem Jahr mit 0,54 Prozent - das sind 3 bis 5 Euro - mehr für die Rente abgespeist wurde, der darf sich zu Recht aufregen. ({3}) Wer durch Ihre Politik von einer Zwangsverrentung bedroht ist, der versteht die Welt nicht mehr. Wir legen Ihnen heute einen Vorschlag zur Neuregelung der Altersversorgung vor. Frau Hasselfeldt, wir möchten, dass dieser Vorschlag in den Ausschüssen gründlich geprüft wird. Das ist ein Systemwechsel. Wir wollen, dass Abgeordnete künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. ({4}) Herr Kollege Struck hat in der Bild am Sonntag Folgendes gesagt: Die Opposition will dagegenstimmen. Ich gehe davon aus, dass sie das Geld trotzdem gern nimmt und es nicht an bedürftige Dritte spendet. Lieber Peter Struck, dir und allen Kolleginnen und Kollegen darf ich sagen, dass die Abgeordneten der Fraktion Die Linke das Geld aus der Erhöhung der Diäten für soziale Projekte in ihren Wahlkreisen spenden werden. Ich danke Ihnen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat das Wort der Kollege Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein bisschen mehr als nur Empörung von außerhalb des Parlaments in diese Debatte zu tragen, wäre ganz gut und wäre auch der Seriosität des Themas angemessen, Frau Kollegin Enkelmann. ({0}) Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir erläutern würden, warum Abgeordnete eine angemessene Entschädigung und eine angemessene Altersversorgung haben müssen. Dadurch wird die Unabhängigkeit des Mandats gesichert und damit auch die Unabhängigkeit der politischen Entscheidungen des Hohen Hauses. Abgeordnete, die schlecht bezahlt werden, müssen es sich entweder leisten können - das ist der Fall, wenn sie vermögend sind; so war es im 19. Jahrhundert -, oder sie unterliegen den Verlockungen der Lobbyisten, die mit dem Inaussichtstellen von Nebenjobs und Jobs im Anschluss an das politische Mandat politische Entscheidungen beeinflussen. Das ist die teuerste Veranstaltung für die Republik, nämlich wenn nicht nach bestem Wissen und Gewissen entschieden wird. ({1}) Frau Kollegin Kastner, es wäre schön, wenn man die Anträge der Konkurrenz wenigstens liest, ({2}) bevor man sie in der Debatte vom Tisch wischt. Wir haben einen Antrag hinsichtlich eines Altersversorgungswerks vorgelegt. Darin geben wir auch an, wo das Niveau liegen soll. Wir behaupten nicht, dass wir radikal kürzen wollen, sondern wir wollen ein transparenteres und für die Bevölkerung nachvollziehbareres Verfahren. Einen entsprechenden Vorschlag haben wir vorgelegt. Das Gutachten, das der Präsident des Deutschen Bundestages auf unsere Anregung hin in Auftrag gegeben hat, kommt zum Ergebnis, dass wir nicht Diäten in Höhe von 14 000 Euro, sondern einen Altersversorgungsbeitrag von monatlich ungefähr 3 000 Euro pro Abgeordneten brauchen, um das jetzige Versorgungsniveau, dessen Gesamtvolumen ja dem Volumen nicht unähnlich ist, das Sie heute beschließen wollen, zu halten. Insofern erzählen Sie Ammenmärchen. Das Gutachten kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass es für den Haushalt langfristig günstiger ist, die Altersversorgung über ein Versorgungswerk als direkt aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. ({3}) Volker Beck ({4}) Auf diesen Vorschlag sind Sie nicht eingegangen. Sie haben das Gegenteil behauptet. Sie müssen jetzt also ein anderes Gutachten vorlegen, in dem dargelegt wird, dass das, was uns der Bundestagspräsident zur Beratung mitgegeben hat, falsch ist. Bis dahin ist das vorliegende Gutachten die Grundlage der Diskussion. Zu den Vorschlägen der anderen Fraktionen im Hohen Hause. Die FDP möchte die Frage los sein und darüber hier nicht mehr debattieren und die Entscheidung einer Kommission beim Bundespräsidenten überlassen. Wir können aber nicht anders, als darüber selbst zu entscheiden. Denn wir sind der Gesetzgeber. Wir können doch nicht bei unbequemen Fragen sagen, da möge uns ein anderer erlösen. ({5}) Es rettet uns kein höheres Wesen. Die Entscheidung darüber, was angemessen ist, müssen wir selber treffen und vertreten. Die Vorstellung, dass selbst das System der Altersversorgung von einer Kommission festgelegt werden soll, ist nun völlig aberwitzig. Denn Gesetze können die Kommissionen nicht ändern. Sie können vielleicht einen Index nach bestimmten Maßstäben weiterentwickeln, aber sie können keine Strukturreformen vornehmen. Wir könnten ja auch sagen: Warum überlassen wir nicht auch das Thema ALG I und ALG II - weil es die Parteien zerreibt - einer Kommission? Dann wären wir diese unangenehme Frage los. Nein, wir als Gesetzgeber können uns nicht aus der Verantwortung stehlen! Wem das zu schwer ist, der soll sich nicht für ein Mandat im Deutschen Bundestag bewerben! ({6}) Geschätzte Kollegen von der PDS, der Vorschlag, die Abgeordneten unter anderem in die Rentenversicherung einzubeziehen, genießt auch in unserer Fraktion Sympathien. Aber so wie Sie das wollen, geht es gerade nicht. ({7}) Wenn Sie die Abgeordneten in das heutige System der Rentenversicherung - also eines ohne Bürgerversicherung - einbeziehen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis, dass ein Freiberufler, der noch nie in diesem Rentenversicherungssystem versichert war, das Parlament nach vier Jahren als Abgeordneter ohne Altersversorgungsansprüche verlässt. Das funktioniert nur, wenn man es in eine Bürgerversicherung einbezieht. Unser Vorschlag eines Versorgungswerkes ist kompatibel mit den Vorstellungen unserer Arbeitsgruppe Sozialpolitik, die alle Versorgungswerke als Teilkomponente in das System der Bürgerversicherung einbeziehen will. ({8}) Unser Vorschlag ist der erste Schritt dahin. Aber er folgt einer anderen Systematik als Ihr Vorschlag. Deshalb würde ich mich freuen, wenn unser Antrag die Unterstützung des Hauses fände. Denn nur zusammen mit einer Strukturreform der Altersversorgung kann eine angemessene Diätenerhöhung auf Akzeptanz in der Bevölkerung treffen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge- setzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes. Zu dieser Abstimmung liegt eine Reihe von persönlichen Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Es gibt Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen Veronika Bellmann, Swen Schulz, Dr. Matthias Miersch, Garrelt Duin, Marco Bülow, Gerold Reichenbach, Clemens Bollen, Steffen Reiche, Katja Mast, Kerstin Griese, Dr. Carola Reimann und Sabine Bätzing.1) Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Ge- setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/6924 in der Ausschussfassung anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Da- mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom- men mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition. Enthaltungen hat es nicht gegeben. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Hierzu haben die Fraktionen der CDU/CSU und SPD namentliche Abstimmung ver- langt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be- kanntgegeben.2) Wir setzen die Abstimmungen fort. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7185. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegen- stimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der Entschlie- ßungsantrag bei Zustimmung der einbringenden Frak- tion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt. 1) Anlagen 2 bis 4 2) Siehe Seite 13314 D Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes auf Drucksache 16/117. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/117 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt, wobei ich mir nicht ganz sicher über das Abstimmungsverhalten des Kollegen Grund bin. ({0}) - Er hat also abgelehnt; gut. - Damit entfällt nach unse- rer Geschäftsordnung eine weitere Beratung. Ich komme jetzt zur Abstimmung über den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes. Der Aus- schuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord- nung empfiehlt weiterhin unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Ge- setzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/118 abzulehnen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetz- entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist dieser Gesetzentwurf bei Zustimmung der einbringenden Frak- tion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt. Da- mit entfällt die dritte Beratung. Tagesordnungspunkt 42 m. Interfraktionell wird vor- geschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/7107 zur Fe- derführung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immuni- tät und Geschäftsordnung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Drucksache 16/6741 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) - Drucksache 16/7151 ({2}) Berichterstattung: Abgeordneter Stefan Müller ({3}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7164 Berichterstattung: Abgeordnete Peter Weiß ({5}) Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitragszahler zurückgeben - Beitragssenkungspotenziale nutzen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit, für mehr Qualifizierung und eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verwenden - Drucksachen 16/6434, 16/6035, 16/7151 ({7}) Berichterstattung: Abgeordneter Stefan Müller ({8}) Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD vor. Es ist verabredet, eineinviertel Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich gebe als Erstem dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres das Wort.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in dieser Woche öffentlich, aber auch in diesem Haus der eine oder andere Unkenruf laut geworden, die Koalition befinde sich im Winterschlaf oder sie sei in eine Schockstarre verfallen. Ich finde, wir sollten diese Unken ruhig weiter quaken lassen. Denn wir führen mit diesem Gesetz vor, dass wir unmittelbar, rasch und sehr schnell handeln. Wir lösen ein und wir setzen um, was wir versprochen haben. Die Koalition hat sich vor gut zwei Jahren vorgenommen, die Sozialversicherungsbeiträge in der Summe nachhaltig auf unter 40 Prozent zu senken. Mit dem Beschluss, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ab dem 1. Januar 2008 auf 3,3 Prozent abzusenken, werden wir dieses Ziel erreicht haben. Für den Durchschnittsverdiener bedeutet das immerhin eine jährliche Entlastung von 122 Euro. Das ist ein guter Erfolg und ein wichtiger Schritt. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Bundesagentur für Arbeit bis zum Jahre 2011 ohne zusätzliches Geld vom Bund auskommen kann. Die ausreichende FinanParl. Staatssekretär Gerd Andres zierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik und eine nachhaltige und solide aufgestellte Bundesagentur für Arbeit, ein Beitragssatz wie zuletzt zu Zeiten von Helmut Schmidt und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit um mehr als 1,1 Millionen Menschen seit Amtsantritt, das ist eine glänzende Bilanz für einen Arbeitsminister, eine Bilanz, die ihresgleichen sucht. ({0}) Wir profitieren dabei gewiss auch von der guten Entwicklung der Konjunktur. Aber manche Skandalisierungen sind schon befremdlich. Ich sage hier ganz deutlich: Die Bundesagentur, die von der FDP als reformunfähige Mammutbehörde abgestempelt wird und angeblich aufgelöst gehört, ({1}) diese BA hat in den vergangenen Jahren so gut gewirtschaftet, dass zum Jahresende die Rücklage der BA auf rund 18 Milliarden Euro angestiegen sein wird, und das, obwohl für den diesjährigen Haushalt der Bundesagentur ein deutliches Minus prognostiziert worden war. Vielleicht sollten einige Kollegen einmal im Licht der Realitäten überprüfen, was sie da so in die Mikrofone erzählen. Die Realität ist: Die Bundesagentur hat ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Ich füge hinzu: Sie macht einen guten Job. Davon sollen jetzt auch diejenigen profitieren, die dieses Ergebnis mit ermöglicht haben: die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. ({2}) Sie haben es sich verdient, weil sie es sind, die den Aufschwung tragen. Noch etwas sei an dieser Stelle gesagt: Es sind gerade die Erfahrung und das Wissen der Älteren in den Belegschaften, von denen die Unternehmen profitieren. In manchem Unternehmen wird das gesehen, bewegt sich da etwas; bei anderen, die noch immer dem Jugendwahn anhängen, dürfen wir nicht nachlassen in dem Bemühen, sie zum Umdenken zu bewegen. Die Unternehmen brauchen beides: Sie brauchen die jungen Hüpfer, und sie brauchen die alten Hasen. Es ist längst nicht mehr so, wie es einmal war: Arbeitslos zu werden, ist auch für Ältere nicht mehr das Ende. Wir sind da ein gutes Stück vorangekommen: Bei den 55- bis 59-Jährigen haben wir im zweiten Quartal 2007 eine Beschäftigungsquote von sage und schreibe 67,2 Prozent erreicht. Ich denke, dies ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gäbe den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert. Möchten Sie sie zulassen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ja, bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie loben gerade die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit sehr. Können Sie mir bitte einmal erklären, wieso Sie 530 Millionen Euro aus der Eingliederungshilfe wegnehmen wollen, um das Arbeitslosengeld I länger zahlen zu können? Diese sind ja gerade für Menschen gedacht, die es schwerer haben, vermittelt zu werden, bzw. bei denen man weiß - zum Beispiel bei Menschen mit Behinderungen und anderen, die Eingliederungshilfe brauchen -, dass die Vermittlung immer noch sehr viel problematischer als bei anderen ist. Dort fehlt es dann. Wie können Sie mir erklären, dass das für die Menschen vernünftig und sinnvoll ist, die mehr Hilfe für die Eingliederung in den Arbeitsprozess brauchen? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Seifert, ich habe gerade einmal zwei Minuten gesprochen. Ich werde auf den anderen Teil noch zurückkommen und dann Ihre Frage beantworten.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gut, damit bin ich einverstanden.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich war bei den Beschäftigungsquoten Älterer. - Ich finde, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen und auch nicht können. Unser erstes Ziel muss es daher weiter sein, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass ältere Arbeitnehmer in Arbeit bleiben und nicht arbeitslos werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalitionspartner haben sich am Montagabend auf eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitslose geeinigt. Arbeitslose ab 50 Jahren sollen bis zu 15 Monate Arbeitslosengeld I erhalten, wenn sie in den fünf Jahren davor zweieinhalb Jahre einbezahlt haben. Ab 55 Jahren steigt die Dauer auf 18 Monate, wenn drei Jahre Beiträge gezahlt wurden. Schließlich sollen über 58-Jährige bis zu 24 Monate Arbeitslosengeld I erhalten, wenn sie vier der letzten fünf Jahre versichert waren. Ich finde, dass das insgesamt ein tragfähiger Kompromiss ist, durch den auch das Interesse der Versichertengemeinschaft berücksichtigt wird, weil die Mittel der Beitragszahler nur dort eingesetzt werden, wo die Arbeitslosigkeit unvermeidbar fortbesteht. Uns ist dabei vor allem eines wichtig: Wir wollen die Förderung älterer Arbeitsloser verbessern. Unser Ziel bleibt: Perspektive statt Frührente. Wir wollen daher jedem älteren Arbeitslosen ein konkretes Arbeitsplatzangebot machen. Wo dies nicht möglich ist, soll er einen Eingliederungsgutschein erhalten. Nur dann, wenn es ihm trotz aller Bemühungen und Förderungen nicht gelingt, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, wird das Arbeitslosengeld I länger ausgezahlt. Dies entspricht klar unserem Grundsatz „Fördern und Fordern“. Bei alldem muss klar sein: Die Bundesagentur für Arbeit hat zwar Überschüsse, aber wir dürfen diese auch nicht über Gebühr strapazieren. Wir wollen daher keine zusätzlichen Belastungen für die BA. Gleichzeitig - auch das ist mir wichtig zu betonen - darf die Verlängerung der Bezugsdauer für Ältere nicht zulasten der Jüngeren gehen. Auch das ist ein Stück Generationengerechtigkeit. Die Bundesregierung wird zu diesem Kompromiss schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorlegen. Wir werden dann noch ausreichend Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Dann sind auch Sie gefordert, jenseits von Unkenrufen aus der Starre zu erwachen und sich daran zu beteiligen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch geregelt, wie das Verhältnis von Beitragszahlungen und Steuermitteln bei den Eingliederungsmitteln im Bereich des SGB II aussieht. Herr Seifert hat ja darauf hingewiesen, dass wir vorsehen, aus nicht verausgabten Mitteln des Eingliederungstitels zukünftig gut 500 Millionen Euro aufzuwenden, um damit diese zusätzlichen Aktivitäten für Ältere finanzieren zu können. Wir sind in der günstigen Situation, dass wir die Beitragsmehreinnahmen der Bundesagentur für Arbeit für sehr unterschiedliche Dinge - wie ich finde: vernünftig nutzen können. Wir werden erstens einen Pensionsfonds für die beamtenähnlich Beschäftigten bei der Bundesagentur für Arbeit einrichten. Damit erreichen wir ein Stück mehr Generationengerechtigkeit, weil klar ist, dass vorhandene Mittel im Hinblick auf künftige Belastungen für die Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit verwandt werden. Zum Zweiten werden wir dafür sorgen, dass sich die Bundesagentur für Arbeit auch künftig aufgrund entsprechender Regelungen aus ihrem Haushalt an den Eingliederungsmaßnahmen im SGB II beteiligt. Das macht Sinn und ist vernünftig; denn ich muss Ihnen sagen: Bevor wir die Systematik des SGB II eingeführt haben, hat die Bundesagentur für Arbeit für viele Menschen erhebliche Mittel für Eingliederungsmaßnahmen und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik verausgabt. Sie ist diejenige, die betroffene Menschen sozusagen aus dem einen System in das andere System abgibt, und zwar in nicht unerheblichem Maße. In den letzten Monaten haben die Quantitäten abgenommen, was uns sehr freut. Aber es handelt sich noch immer um mehr als eine Viertelmillion Menschen. Angesichts dessen halten wir es für recht und billig und außerordentlich vernünftig, dass die Bundesagentur für Arbeit bei den Beitragsmitteln bzw. durch eine Verrechnung des Zuschusses, den wir ihr aus Steuermitteln gewähren, zur Finanzierung aktivierender Maßnahmen herangezogen wird. Ich sage ausdrücklich, dass der vorliegende Gesetzentwurf neben vielen anderen Sachen, die wir beschlossen haben und noch beschließen werden, zu der außerordentlich erfolgreichen Bilanz von Franz Müntefering gehört. Er hat dies als Arbeitsminister zu verantworten und vorangetrieben. Es ist daher richtig und gut, daran zu erinnern, dass dieser Arbeitsminister nach zwei Jahren eine glänzende Bilanz vorweisen kann. Das unterstreichen alle Zahlen deutlich. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - das sind die Drucksachen 16/6924 und 16/7159 - bekannt: Es wurden abgegeben 557 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 377 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 166 Abgeordnete. Es gab 14 Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 557; davon ja: 377 nein: 166 enthalten: 14 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({1}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Axel E. Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Josef Göppel Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({6}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({11}) Stefan Müller ({12}) Bernd Neumann ({13}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({14}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({17}) Andreas Schmidt ({18}) Ingo Schmitt ({19}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({20}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({21}) Gerald Weiß ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({23}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({24}) Volker Blumentritt Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({25}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Michael Hartmann ({26}) Nina Hauer Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Petra Hinz ({27}) Gerd Höfer Frank Hofmann ({28}) Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Johannes Jung ({29}) Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({31}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Röspel Karin Roth ({32}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({33}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({34}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({35}) Silvia Schmidt ({36}) Renate Schmidt ({37}) Heinz Schmitt ({38}) Carsten Schneider ({39}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({40}) Swen Schulz ({41}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber ({42}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({43}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Nein CDU/CSU Veronika Bellmann Michael Brand Dr. Peter Jahr Manfred Kolbe Katharina Landgraf SPD Bernhard Brinkmann ({44}) Martin Burkert Bettina Hagedorn Gabriele Hiller-Ohm Johannes Kahrs Dirk Manzewski Detlef Müller ({45}) Sönke Rix Michael Roth ({46}) Andreas Steppuhn Jörn Thießen Dr. Wolfgang Wodarg FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({47}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({48}) Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({49}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({50}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({51}) Martin Zeil DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Wolfgang Gehrcke Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Katrin Kunert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({52}) ({53}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({54}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Hans-Josef Fell Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({55}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({56}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({57}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Claudia Roth ({58}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthaltung CDU/CSU Friedrich Merz SPD Clemens Bollen Willi Brase Garrelt Duin Gabriele Frechen Iris Hoffmann ({59}) Josip Juratovic Dr. Matthias Miersch Mechthild Rawert Steffen Reiche ({60}) Gerold Reichenbach Dr. Margrit Spielmann FDP Christian Ahrendt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich gebe das Wort dem Kollegen Dirk Niebel für die FDP-Fraktion. ({61})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Staatssekretär hat gesagt, man werde Wort halten bei dem, was man versprochen habe. Zumindest für einen Teil, über den wir nun debattieren, gilt das für den Staatssekretär ganz persönlich nicht. Ich meine damit die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I. Sie alle erinnern sich sicherlich, dass es zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde gab. Herr Andres hat in dieser Aktuellen Stunde für die Bundesregierung und vermutlich auch für sich selbst geredet. Ich erlaube mir, aus seinen damaligen Ausführungen zu zitieren. Er sagte damals: Ich finde es faszinierend, dass uns jetzt Zahlen und Untersuchungsergebnisse vorliegen, die belegen, dass wir das, was wir mit der Absenkung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erreichen wollten, auch erreichen: ein anderes Verhalten bei den betroffenen Menschen und ein anderes Verhalten bei den beteiligten Betrieben. Völlig zu Recht hat der Staatssekretär festgestellt, dass sich die Erwerbsbeteiligung Älterer - das sagen auch alle Forschungsinstitute - ursächlich durch die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von 38 auf 52 Prozent erhöht hat. Genau das war unser Ziel: Wir wollten die Teilhabechancen verbessern und die Menschen in Arbeit bringen und nicht die Arbeitslosigkeit finanzieren. Das haben wir - übrigens gemeinsam mit der damaligen Opposition - auf den Weg gebracht, um älteren Menschen wieder eine Chance zu geben. Sie sollten nicht ausgegliedert werden. Genau das drehen Sie mit dem, was Sie angeblich versprochen haben, wieder zurück. Sie haben Ihr Versprechen gebrochen. Sie nehmen vielen Menschen die Chance, wieder einen Arbeitsplatz in diesem Land zu bekommen. ({0}) Zudem senken Sie die Beiträge. Das ist anerkennenswert; denn ein Beitragspunkt weniger wird allgemein mit 100 000 mehr Arbeitsplätzen gleichgesetzt. Eine Beitragssenkung ist allein aufgrund der Tatsache, dass Sie zu Beginn des Jahres den Bürgerinnen und Bürgern mit der höchsten Steuererhöhung in der Geschichte der Republik das Geld aus der Tasche gezogen haben, notwendig, um die Kaufkraft der Menschen zu stärken. Die Bevölkerung fragt sich völlig zu Recht: Wo bleibt mein eigener Aufschwung? Es nutzt nichts, wenn brutto viel auf dem Lohnzettel steht, aber netto nichts zum Ausgeben übrig bleibt. Deswegen hätten Sie hier den ganzen Weg gehen müssen. Die zu diesem Thema durchgeführte Anhörung hat gezeigt, dass eine Beitragssenkung auf 3 Prozent trotz einer sinnvollen und von uns geforderten Pensionsrückstellung sachgerecht und realistisch ist. Das IfW in Kiel hält 2,9 Prozent und das Karl-Bräuer-Institut sogar 2,7 Prozent für möglich. Sie könnten also die Beiträge noch weiter senken, Arbeit dadurch noch billiger machen, die Chancen auf Einstellung noch mehr verbessern und so den Menschen zumindest ein Stück weit das Gefühl geben, dass der Aufschwung auch in ihrem eigenen Portemonnaie ankommt. Das machen Sie nicht. Das ist ein großer Fehler. ({1}) Im Gegenteil, Sie belasten die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich weiter mit versicherungsfremden Leistungen. Das hat sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund in der Anhörung beklagt. Nach Angaben des KarlBräuer-Instituts zahlt die Bundesagentur 11,9 Milliarden Euro für Dinge, die nicht Sache der Beitragszahler, sondern Sache der Steuerzahler, also der Gesamtgesellschaft, wären. Zusätzlich übertragen Sie mit einer Beteiligung an den Eingliederungsleistungen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger zusätzliche Lasten in Höhe von 5 Milliarden Euro auf die Beitragszahler und somit auf den Faktor Arbeit. Sie nehmen den Menschen Chancen, statt ihnen Perspektiven zu eröffnen. Deswegen sagen wir: Ihre Arbeitsmarktpolitik geht in die Irre. ({2}) Herr Andres, Sie selbst haben völlig zu Recht gesagt, dass die durchschnittliche Arbeitslosengeldbezugsdauer der 50- bis 55-Jährigen ungefähr sechs Monate beträgt, die der 55- bis 60-Jährigen ungefähr sieben Monate und die der 60- bis 65-Jährigen ungefähr elf Monate. Sie selbst haben folgerichtig daraus geschlossen, dass Sie mit einer gesetzlich geregelten Bezugsdauer bis zu 24 Monaten den Realitäten nicht entsprechen. Sie sollten Ihrer richtigen Schlussfolgerung entsprechende Taten folgen lassen und die richtige Politik daraus entwickeln. Die Menschen in Deutschland wollen die Chance haben, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können. Das bedeutet: Wir müssen die Arbeit billiger machen. Die Bundesregierung hat, obwohl im Koalitionsvertrag vereinbart ist, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu modernisieren, seit eineinhalb Jahren einen Evaluierungsbericht in der Schublade liegen, an den Sie nicht herangehen will. Darin steht, dass ein Großteil der Maßnahmen, die sie mit dem Geld anderer Leute bezahlt, nicht nur nicht hilft, sondern den Betroffenen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz schadet. Ich frage mich, ob das nicht einfach nur ideologisch begründet ist, weil Sie an althergebrachten, geliebten, tradierten Maßnahmen festhalten wollen, damit diejenigen, die im Rahmen der „Arbeitslosenindustrie“ Jahrzehnte Geld verdient haben, weiter daran verdienen werden. Das geht alles auf Kosten der Menschen, die das Ganze mit ihrer Hände Arbeit zu finanzieren haben. ({3}) Aus diesen Gründen können wir Ihren Vorschlägen nicht folgen. Kehren Sie zur Reformpolitik der alten Bundesregierung zurück! Erleichtern Sie uns als legaler Opposition gegenüber dieser Regierung das Leben insofern, als wir nicht in die Lage versetzt werden, ständig die Reformen von Herrn Schröder vertreten zu müssen. Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Peter Rauen spricht jetzt für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Niebel, ich glaube, eine Opposition kann ein Stück glaubwürdiger sein, indem sie in manchen Momenten auch Erreichtes anerkennt. ({0}) Vor fast zwei Jahren ist die Bundesregierung mit zwei überragenden Zielen angetreten: erstens, die Staatsfinanzen zu sanieren und, zweitens, wieder mehr Menschen in Arbeit zu bringen. In diesem Jahr meldet Deutschland zum ersten Mal seit 1989, das erste Mal nach der Wiedervereinigung, wieder ausgeglichene Haushalte nach Brüssel, also Bund, Länder, Gemeinden und die sozialen Kassen. Wir haben auch Wort gehalten, indem wir die Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent gedrückt haben. ({1}) Das aus meiner Sicht Wichtigste aber ist, dass wir wieder mehr Menschen in Arbeit gebracht haben. ({2}) Nach den letzten Meldungen haben wir 864 000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und 1 129 000 weniger Arbeitslose als vor zwei Jahren. Dies alles - gesunde Haushalte, gesenkte Sozialabgaben und funktionierender Arbeitsmarkt - ist nach zwei Jahren erreicht. Wer da noch behauptet, die Regierung sei nicht handlungsfähig, hat offenkundig Probleme mit der Wahrnehmung der Realität. ({3}) Die wichtigste Veränderung ist die Festsetzung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf 3,3 Prozent. Wenn wir im November 2005 gesagt hätten, dass wir zum 1. Januar 2008 die Beiträge von damals 6,5 Prozent fast halbieren werden, hätten Sie uns für verrückt erklärt. Aber nicht nur das. Auch die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer wird verlängert. Die Bundesagentur für Arbeit kann 2,5 Milliarden Euro in einen Versorgungsfonds der BA einstellen. Sie beteiligt sich mit 5 Milliarden Euro an den Eingliederungsbeiträgen und mit 290 Millionen Euro an den Beiträgen während der Kindererziehungszeiten. Ich kenne die Bedenken bezüglich des Verschiebens von steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen auf die beitragsfinanzierte Kasse der Bundesagentur für Arbeit. Ich persönlich teile diese Bedenken. Dennoch bleibt festzustellen: Mit dem heutigen Gesetz wird der Steuerzahler um 5,3 Milliarden Euro entlastet. Darüber hinaus haben wir durch die Beitragssenkung die in die Versicherung Einzahlenden, also Arbeitnehmer und Unternehmer, um insgesamt rund 24 Milliarden Euro entlastet. Die Bundesagentur für Arbeit hatte erfreulicherweise im Jahr 2006 einen Überschuss von 11,2 Milliarden Euro, auch durch den Einmaleffekt durch die vorgezogene Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge. Heute vor einem Jahr ging man davon aus, dass in 2007 ein Minus von 4,2 Milliarden Euro in der Kasse sein würde. In Wahrheit sind es 6,8 Milliarden Euro, die übrig sind. Das ist ein Delta von 11 Milliarden Euro. Wie sind diese gewaltigen finanziellen Änderungen zu erklären? Die positiven Daten des Arbeitsmarktes allein - so schön sie auch sind - erklären nicht diese gewaltige finanzielle Veränderung. Die Bruttolöhne haben sich 2006 um 14 Milliarden Euro und in diesem Jahr weiter erhöht. Die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld hat sich 2006 im Vergleich zum Vorjahr um 282 000 auf 1 446 000 verringert. Im Juni war die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld unter 1 Million gerutscht. Es hat noch andere Veränderungen gegeben, die aus meiner Sicht sehr zu beachten sind. Der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, FrankJürgen Weise, hat diese in der aktuellen Wirtschaftswoche, wie ich finde, beim rechten Namen genannt. Er spricht dort von einer „massiven Verhaltenskomponente“. Es ist etwas geschehen, was man mit Zahlen und Statistiken schwerlich messen kann. In der Bevölkerung ist ein genereller Bewusstseinswandel eingetreten. Die Firmen sind weg vom früheren Jugendwahn und haben wieder die Qualität älterer Arbeitnehmer zu ihrem eigenen Nutzen erkannt. Voraussetzung für diesen Wandel war ein Wechsel im Denken dahin gehend, dass der Staat nicht mehr für jeden allumfassende Fürsorge bis hin zur Rente garantiert und dies auch nicht mehr will. Die Reformen am Arbeitsmarkt läuteten in der Tat eine wahre Revolution in den Köpfen der Menschen ein. Die Person selbst rückte wieder in den Mittelpunkt arbeitsmarktpolitischer Betrachtung, wobei der Staat die flankierenden Maßnahmen trifft. Insofern ist Hartz IV eben nicht die Fortführung des Arbeitslosen- und Sozialhilfesystems; Hartz IV ist ein Paradigmenwechsel ({4}) hin zur selbstbestimmten Persönlichkeit, die aufgefordert ist, sich aktiv dem Arbeitsmarkt zu stellen. ({5}) Der Erfolg dieser Konzeption spiegelt sich in allen Haushalten und in allen sozialen Kassen wider. Herr Andres hat eben bereits erklärt, dass mit Beginn des neuen Jahres die Bezugszeiten für Arbeitslosengeld verlängert werden. Es gibt Bedenken, dass die Verlängerung diese massive Verhaltenskomponente wieder verändern könnte; das muss man sehen. Nicht zuletzt hat unser von mir hochgeschätzter Arbeitsminister Müntefering selbst diese Gefahr gesehen. Wird es dazu kommen? Ich glaube, nicht. Die Tatsache, dass die Vorversicherungszeiten zweieinhalb Jahre, drei Jahre bzw. vier Jahre betragen müssen, deutet darauf hin, dass hier Arbeitnehmer mit einer langen Erwerbsbiografie begünstigt werden; sie haben es auch verdient, dass die Bezugsdauer verlänPeter Rauen gert wird. Aber wenn diesen Leuten gleich die Vermittlungsgutscheine gegeben werden - ich habe mein ganzes Leben mit Arbeitnehmern zusammengearbeitet; diejenigen, die jetzt begünstigt werden, sind nicht darauf aus, arbeitslos zu sein -, werden sie sehr schnell wieder in Arbeit kommen. Wenn das intelligent gemacht wird, dann wird diese Verhaltenskomponente nicht verändert. ({6}) Eines lassen Sie mich, der sich im Prinzip immer noch als Arbeiter fühlt, ganz deutlich sagen: Es ist schon wichtig, dass den Menschen, die ein ganzes Leben lang gearbeitet haben, die Fürsorge betrieben haben, die das getan haben, was wir alle erwarten, nämlich für sich selbst einzustehen, ein Stück Angst davor genommen wird, dass sie vielleicht im höheren Alter noch arbeitslos werden. Ich glaube, hier werden die Richtigen begünstigt. Ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz auf Millionen von Arbeitnehmern eine sehr beruhigende Wirkung haben wird. ({7}) Ich glaube, das war die Mühen wert, die man bei diesem Gesetzentwurf an den Tag gelegt hat. Schönen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort für Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Rauen, ich habe Ihnen gerade zugehört. Sie haben ernsthaft gesagt, dass ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher selbstbestimmt leben können. Ich glaube, Sie haben nie mit einem gesprochen. Ich muss das wirklich einmal so deutlich sagen. ({0}) Dass Sie gestern als christliche Partei auch noch das Weihnachtsgeld für die Leute abgelehnt haben, ebenso, den Regelsatz zu erhöhen, ({1}) das spricht dafür, dass Sie gegen die Selbstbestimmung dieser Leute auftreten. ({2}) Ich finde es übrigens auch erstaunlich, Herr Niebel, dass Sie hier sagen, die arme FDP sei jetzt dazu verurteilt, die Schröder’schen Reformen zu verteidigen. Das macht auch deutlich, warum wir so gegen die Schröder’schen Reformen waren: Es war nämlich genau neoliberale FDP-Politik. ({3}) Dann haben Sie gesagt, Herr Rauen, man müsse würdigen, dass jetzt mehr Leute sozialversicherungspflichtig tätig sind. Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen: 2,5 Millionen Kinder in Armut; 7,4 Millionen Leute, die ausschließlich oder zusätzlich von ALG II leben; ({4}) 1,2 Millionen Vollbeschäftigte, die einen so geringen Lohn beziehen, dass sie zusätzlich Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen, die Aufstocker; ({5}) 5 Millionen in Mini- und Midijobs; 800 000 in Leiharbeit, einer modernen Form der Sklaverei. Diese Zahlen machen deutlich, dass Sie die Arbeitslosenstatistik hier nicht ehrlich beschreiben. ({6}) Aber heute geht es ja um etwas anderes. Es geht um die Verlängerung der Bezugsdauer von ALG I und um Beitragssenkungen. Fangen wir einmal mit dem Ersten an. Da muss ich der Union eines lassen: Hier haben Sie sich im Wesentlichen gegen die SPD durchgesetzt. Die SPD verkauft das ja als großen Erfolg. Ich will einmal vergleichen, was der SPD-Parteitag beschlossen hat und was herausgekommen ist. Ihr Parteitag hat beschlossen, dass die 45- bis 49-jährigen Arbeitslosen 15 Monate lang Arbeitslosengeld I beziehen sollen, 50-Jährige und Ältere sollen 24 Monate lang Arbeitslosengeld I beziehen. Dann haben Sie gesagt, das Ganze solle aus den Überschüssen der Bundesagentur bezahlt werden. Was ist herausgekommen? Für die 45bis 49-Jährigen gar nichts; für sie ändert sich nichts. Für die 50- bis 54-Jährigen kommen statt 24 Monaten nur 15 Monate heraus, das heißt, statt einer Steigerung um 12 Monate kommt nur eine Steigerung um 3 Monate heraus. Das ist gerade einmal ein Viertel. Das ist ein Erfolg für die Union, kein Erfolg für Sie; das muss man ganz klar sagen. Für die 55- bis 57-Jährigen ändert sich nichts. Sie bekommen, wie jetzt, das Arbeitslosengeld I 18 Monate lang. Erst für die 58-Jährigen und Älteren ist eine Bezugsdauer von 24 Monaten eingeführt worden; da sie Arbeitslosengeld I bislang 18 Monate lang bekommen, ist das eine Steigerung um 6 Monate. Das ist alles, was Sie erreicht haben. Dann muss man noch sehen, dass im Vergleich zu dem, was Sie gefordert haben, die Vorversicherungszeiten erhöht worden sind und dass der Arbeitszwang verstärkt wird. Wenn man das alles zusammennimmt, ist kaum eine Besserstellung der Betroffenen eingetreten. Die Union hat sich weitgehend durchgesetzt, nicht die SPD, zumindest nicht mit dem, was sie einmal beschlossen hat. ({7}) Darüber hinaus werden die Kosten nicht aus den Überschüssen der Bundesagentur gedeckt, sondern durch Einsparungen bei ALG II und bei der Eingliederungshilfe. Nun haben Sie, Herr Staatssekretär, von den Überschüssen gesprochen. Ich schildere Ihnen einmal, was mir eine Frau geschrieben hat. Sie ist über 58 und hat unterschrieben, dass sie nicht mehr vermittelt werden, sondern bis zur gesetzlichen Rente ALG II beziehen will. Aber sie hat sich weiterhin beworben, weil sie eigentlich tätig sein wollte. Jetzt hat diese Frau ein Unternehmen gefunden, das sie einstellen wollte. Das Unternehmen wollte aber den Eingliederungszuschuss haben. Die Arge hat gesagt: Nein, Sie haben doch unterschreiben, dass Sie nicht mehr vermittelt werden. Dann bekommt das Unternehmen auch keinen Zuschuss. - So kann man natürlich Zuschüsse sparen. Den Job hat sie nicht bekommen; dafür zahlen wir ihr weiter ALG II. Bekloppter geht es doch gar nicht. Wir hätten diese Frau in Arbeit bringen können, machen das aber nicht. ({8}) Ich habe in vielen Zeitungen gelesen, dass die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für einen Linksruck in der SPD steht. ({9}) Dieses bisschen, über das wir gerade diskutiert haben, soll also einen Linksruck der SPD ausmachen. Meine Damen und Herren von der FDP und von der Union, ich muss Ihnen eines sagen - vielleicht haben Sie es vergessen -: Unter Helmut Kohl haben Ihre Parteien beschlossen, das Arbeitslosengeld bis zu 32 Monate lang zu zahlen. ({10}) Wenn das jetzt ein Linksruck sein soll, dann müssten Sie nach heutigen Maßstäben damals linksextremistisch gewesen sein. Vor diesem Ruf möchte ich Sie dann doch in Schutz nehmen. ({11}) Was hat sich für die ALG-II-Empfänger geändert? Eine Regelsatzerhöhung und die Zahlung von Weihnachtsgeld lehnen Sie ab. Gibt es irgendwelche Veränderungen bei den demütigenden Deklarierungen hinsichtlich Altersvorsorge, Sparguthaben, Wohnung und Auto, die diesen Menschen abverlangt werden? Sie wissen, wie sich Leute fühlen, wenn sie ihren Lebensstandard auf Sozialhilfeniveau reduzieren müssen, um überhaupt ALG II in Anspruch nehmen zu können. Das muss man ändern. ({12}) Die Bundesagentur für Arbeit hat einen Überschuss von 18 Milliarden Euro erwirtschaftet. Nichts davon setzen Sie in diesem Sinne ein. Was müsste man nach unserer Meinung mit diesen Überschüssen machen? Wir müssten die Bezugsdauer von ALG I deutlich verlängern. Beim ALG II müssten wir zumindest den Regelsatz erhöhen und die Kriterien, die Sie erfunden haben und die erfüllt sein müssen, damit man es überhaupt beantragen kann, verändern. Wir müssten Weiterbildungsmaßnahmen und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor finanzieren. ({13}) Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Förderunterricht für Kinder, die entweder besonders begabt sind oder denen es in der Schule schwerer fällt. Sie wissen ganz genau, dass es Eltern gibt, die sich diesen Unterricht leisten können, und andere, die sich das nicht leisten können. Wir könnten einer wichtigen Aufgabe nachkommen und gleichzeitig arbeitslose Lehrerinnen und Lehrer in Beschäftigung bringen. Wir würden endlich Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Sie aber verwenden nichts von dem Geld für derartige Maßnahmen, sondern sagen: Dieses Geld muss an die Unternehmen zurückfließen. Das ist nicht sozialdemokratisch gedacht, im Gegenteil. ({14}) Jetzt kommen wir zur Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Sie sind stolz darauf ({15}) und rechnen immer vor, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon haben. In den Jahren 1995 bis 2006 betrug der Beitrag 6,5 Prozent. Die Große Koalition, also Union und SPD, haben diesen Beitrag auf 4,2 Prozent gesenkt. Intern wurde vereinbart, den Beitrag weiter zu senken, und zwar auf 3,5 Prozent. Wir kennen das ja schon von der Mehrwertsteuer: Die einen wollten eine Erhöhung um 0 Prozent, die anderen um 2 Prozentpunkte. Als Kompromiss sind 3 Prozentpunkte herausgekommen. - Und was ist jetzt bei der Koalitionsverhandlung rausgekommen? Statt der vereinbarten 3,5 Prozent sind es 3,3 Prozent. Wieder hat sich die Union gegenüber der SPD durchgesetzt. Die Frage ist: Was spart man dadurch? Wer spart was? Die Absenkung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent macht für die Unternehmen eine jährliche Einsparung von 25 Milliarden Euro aus. ({16}) - Zu Ihrer Theorie sage ich gleich etwas. Wenn Sie halbe-halbe machen, dann sind es 12,5 Milliarden. Ich mache aber nicht halbe-halbe. Ich werde Ihnen das gleich erklären. - Bei einer Senkung von 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent geht es um 7 Milliarden Euro; nach der Halbe-halbe-Theorie ginge es um 3,5 Milliarden Euro. Ich will Ihnen erklären, warum ich nicht halbe-halbe mache. Es fängt damit an, dass Sie falsch berechnen, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer netto im Vergleich zum Bruttoeinkommen mehr hätten. Eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit 2 300 Euro Bruttoeinkommen monatlich erhält im Jahr netto 124,20 Euro mehr. Bei einem Einkommen in Höhe von 1 000 Euro brutto monatlich sind es im Jahr 54 Euro mehr. Da ist nichts mit 400 Euro mehr. Sie müssten schon ein Spitzenverdiener sein, um so viel davon zu haben. Ich werde Ihnen jetzt einmal verdeutlichen, warum ich der Meinung bin, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten die Unternehmen begünstigt. Darf ich Ihnen das erklären, Herr Niebel? ({17}) Da Sie mir das logischerweise nicht glauben, werde ich die neoliberale Freiburger Schule zitieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, würden Sie vorher noch die Frage des Kollegen Rauen zulassen?

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, selbstverständlich. ({0}) - Aber wirklich schwerwiegend! ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Rauen, bitte.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Gysi, Sie haben eben eine jährliche Entlastung von 123 Euro genannt.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, 124,20 Euro.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme jetzt einmal ein einfaches Beispiel, damit man im Kopf mitrechnen kann: Da ist ein Facharbeiter, der auf 2 500 Euro brutto im Monat kommt. Bei einer Senkung des Satzes um 3,2 Prozentpunkte entfallen auf ihn 1,6 Prozentpunkte. 1,6 Prozent von 2 500 Euro, das bedeutet im Monat 40 Euro. ({0}) Das sind im Jahr 480 Euro. - Diesem Facharbeiter bleiben nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge etwa 2 000 Euro. Dann bezahlt er noch 150 Euro Steuern und muss vielleicht sein Haus mit einer Rate von 500 Euro monatlich abbezahlen. Er liegt mit dem, was er zum Leben zur Verfügung hat, oft unter dem, was der hat, der sozusagen nichts hat, der Arbeitslosengeld II bezieht und Wohngeld in Anspruch nimmt. Ich sage Ihnen eines: Für den Facharbeiter sind 480 Euro im Jahr sehr viel Geld. ({1}) Es gibt noch ein Zweites. Sie haben gesagt, das komme den Unternehmen zugute. Das ist wahr. Bei den 24 Milliarden Euro an Entlastung geht die Hälfte an die Unternehmen. Können Sie sich nicht vorstellen, dass es für einen Handwerksbetrieb, der haushaltsnahe Dienstleistungen erbringt, wichtig ist, die 40 Euro pro Mitarbeiter und Monat weniger an Beiträgen zu zahlen, weil er dadurch vielleicht den Auftrag in Konkurrenz zur Schwarzarbeit bekommt und deshalb Menschen ordentlich beschäftigen kann? Ich bitte Sie, das einfach zur Kenntnis zu nehmen, und bitte um eine Antwort darauf. ({2})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Solange ich antworte, sollen Sie aufgrund irgendeiner Regel stehen bleiben. Das zu bemessen, ist insofern schwer, als Sie gar keine Frage gestellt haben. Sie haben einen kurzen ergänzenden Vortrag gehalten. Das macht nichts; den habe ich mir gern angehört. Ich werde Ihnen jetzt aber belegen - dann können Sie sich auch gerne wieder setzen -, warum das Ganze eine Entlastung der Unternehmen ist. ({0}) Ich komme noch einmal zu der ordoliberalen Freiburger Schule zurück. Der berühmte Autor Alexander Rüstow, der der FDP nahestand, wie Sie wissen, schreibt unter der Überschrift „Mythos Arbeitgeberanteil“ - ich bitte Sie, einfach einmal zu bedenken, was er dazu ausführt -: Denn während man früher glauben konnte und es zum Teil auch so war, dass die Kosten der Sozialpolitik von den Unternehmern getragen wurden, sind ja heute die Summen, um die es sich handelt, viel zu hoch, um das zu ermöglichen, ({1}) vielmehr wird der weitaus größte Teil des Sozialaufwandes direkt und indirekt von den Arbeitern selber getragen. Denn auch der Teil, der formell als Unternehmerbeitrag gezahlt wird, geht ja in Wirklichkeit vom Lohn ab; um so viel, wie der Unternehmer an Sozialbeiträgen zahlen muss, kann er an Lohn weniger zahlen. Auch das geht also auf Kosten der Arbeiter. ({2}) Das sage nicht etwa ich; das sagt Alexander Rüstow. Deshalb waren meine Zahlen richtig. ({3}) Wir sind gegen die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages - ich habe es Ihnen begründet -, weil wir Weiterbildung brauchen, weil wir die Finanzierung von Arbeit statt von Arbeitslosigkeit brauchen ({4}) und weil wir fest davon überzeugt sind, dass man die Bezugsdauer des ALG I verlängern muss und das ALG II grundsätzlich verändern muss. Deshalb ist die Senkung falsch. Sie machen es uns heute hier sehr schwer. Auch wenn die Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I viel zu gering ist, würden wir dazu Ja sagen, damit überhaupt etwas passiert.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen zum Ende kommen, Herr Kollege.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Okay, Frau Präsidentin. - Aber der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages können wir nicht zustimmen. Deshalb müssen wir leider insgesamt Nein sagen. ({0}) Ich danke für Ihr Gehör und bitte Sie, hier im Bundestag sozialere Entscheidungen zu treffen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wenn die Redezeit schon mehr als um ist, ist das mit den Zwischenfragen immer so eine Sache. ({0}) Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Brigitte Pothmer für Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus wissenschaftlicher Perspektive lassen sich keine, aber auch gar keine Gründe finden, mit denen sich eine Verlängerung des ALG I-Bezuges - egal in welcher Variante - rechtfertigen ließe. Sie wiegt die Betroffenen in einer Scheinsicherheit und führt dazu, dass Suchaktivitäten gebremst werden und damit die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt verschleppt wird; es gibt eine Vielzahl von Untersuchungen, die diesen Zusammenhang belegen. Sie schafft Anreize für eine verfehlte Frühverrentungspolitik, und die Zeche zahlen diejenigen, die kürzere Beitragszeiten haben. Es profitieren nur diejenigen davon, die vor der Arbeitslosigkeit relativ gute Löhne bekommen haben. Die Lebensleistungen derjenigen, die zwar lange eingezahlt haben, aber aufgrund ihres geringen Einkommens ergänzend ALG II bekommen, werden nicht anerkannt. Diese Menschen profitieren in keiner Weise. - So äußerte sich Dr. Ulrich Walwei, stellvertretender Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in der Anhörung am Montag dieser Woche zu diesem Gesetzesvorhaben. Es gab keinerlei Reaktion auf der Seite der Vertreter der Koalitionsfraktionen. Ich frage mich wirklich: Warum veranstalten wir überhaupt noch solche Anhörungen? ({0}) Das geht ins eine Ohr hinein und zum anderen wieder heraus. Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist. Sie haben eine interessengeleitete Einsichtsbarriere, und dagegen kommt offenbar kein wissenschaftliches Institut an. ({1}) Sie haben entschieden, sich für eine bestimmte Klientel einzusetzen, die Klientel der Facharbeiter. Auf die Lebensleistung derjenigen, die noch weniger haben - und davon gibt es leider viele -, pfeifen Sie. Das nehme ich Ihnen übel. ({2}) Sie erweisen ja sogar denen einen Bärendienst, von denen Sie behaupten, dass Sie etwas Gutes für sie tun wollen. Tun Sie doch nicht so, als sei eine um sechs Monate verlängerte Bezugsdauer von ALG I in den heutigen Zeiten ein existenzieller Sicherheitsgurt! Wirkliche Sicherheit - das wissen Sie - gibt es nur dann, wenn es auch einen neuen Arbeitsplatz gibt. Deswegen geht es darum, darauf alle, aber auch alle Anstrengungen zu richten. Herr Rauen, die Angst der Menschen - die nehme ich wirklich ernst - kann ihnen doch am ehesten dann genommen werden, wenn Sie aufhören, ihnen die Ersparnisse, die sie für das Alter zurückgelegt haben, wegzunehmen, wenn sie arbeitslos werden. Deswegen sagen wir: Mindestens 3 000 Euro pro Lebensjahr müssen im Falle der Arbeitslosigkeit anrechnungsfrei bleiben. ({3}) Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen: „Leute, ihr müsst privat vorsorgen“, und ihnen das Geld dann in dem Falle, in dem sie es am dringendsten brauchen, wieder wegnehmen. ({4}) So kann man den Menschen die Angst nicht nehmen. Wir sagen: Das ist weder sozial noch gerecht. Woher nehmen Sie jetzt das Geld für die ALG-I-Verlängerung? Schade, Herr Rauen, dass Sie dazu so wenig gesagt haben. Ich finde das ganz besonders dreist: Sie nehmen das Geld im Wesentlichen aus dem Topf, dessen Inhalt dazu dienen soll, diejenigen zu fördern und zu unBrigitte Pothmer terstützen, die Förderung und Qualifizierung brauchen, damit sie überhaupt eine Chance haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. 600 Millionen Euro, das ist ein Sechstel des Eingliederungstitels in diesem Bereich. Wenn Sie den einen geben, dann nehmen Sie den anderen. Dieses Sechstel nehmen Sie denen, die es am dringendsten brauchen, um wieder eine Perspektive zu haben. ({5}) Auch das ist nicht sozial, auch das ist nicht gerecht. Sie kommen zu einer Politik zurück, von der ich gehofft hatte, dass wir sie gemeinsam überwunden haben. Sie alimentieren, statt zu qualifizieren. Sie überweisen, statt zu befähigen. Das ist der falsche Weg, und das wissen Sie eigentlich selbst, insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gleich. - Aber Sie sind getrieben von dem Umfrageelend und von der Sehnsucht nach mehr Wählerinnen und Wählern. Das hat nicht funktioniert. Ich frage Sie: Was machen Sie jetzt? Welche Konsequenz ziehen Sie daraus?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß zulassen?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Pothmer, nachdem Sie behauptet haben, die von der Großen Koalition beabsichtigte Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I und die Einführung des Vermittlungsgutscheins, den wir älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geben wollen, damit sie nicht lange Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen müssen, sondern Arbeit finden, gingen zulasten der Eingliederungstitel im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit, und nachdem der Haushalt der Bundesagentur in dieser Woche verabschiedet worden ist: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass in diesem Jahr die Bundesagentur für Arbeit 2,7 Milliarden Euro für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung hatte und ausgegeben hat, dass sie ausweislich ihres Haushaltes im kommenden Jahr 3,4 Milliarden Euro ausgeben will und das zudem mit dem niedrigen Beitragssatz von 3,3 Prozent durchfinanziert ist. Es steht also mehr Geld für Eingliederung zur Verfügung und nicht weniger.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Weiß, da lacht ja die Koralle. ({0}) Sie sind diejenigen, die immer wieder beklagen, dass es immer noch zu viele gibt, die aus dem ALG-I-Bereich in den ALG-II-Bereich gehen, also zu Langzeitarbeitslosen werden, und sich da zu wenig tut. Wenn die BA das Geld, das ihr für die Integration zur Verfügung gestellt wird, nicht ausgegeben hat, dürfen Sie ihr das doch nicht wegnehmen, sondern dann müssen Sie alles, aber auch alles dafür tun, dass diese Qualifizierung und Förderung, die ja - verdammt noch mal - gebraucht wird, auch wirklich stattfindet. ({1}) - Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir nehmen ihr nichts weg, sie hat nächstes Jahr mehr!) Lassen Sie mich einmal etwas zu dem Vermittlungsgutschein sagen, Herr Kollege Weiß. Das ist doch ein Fake. Ich habe im Ausschuss nachgefragt: Sagen Sie einmal, wie soll das denn mit dem Vermittlungsgutschein funktionieren? Wann soll der denn ausgegeben werden? Da hat der Kollege Brandner zu mir gesagt, ich solle einmal an mich halten und nicht solche Fragen stellen. ({2}) So weit zur Seriosität Ihrer Politik. Ich würde jetzt gern mit meiner Rede fortfahren. Herr Kollege Weiß, Sie dürfen sich gerne wieder setzen. ({3}) Ich möchte betonen, wo wir den Korrekturbedarf sehen. Wir sind ja nicht diejenigen, die sagen, Hartz IV sei sakrosankt, da dürfe man überhaupt nichts ändern. Wirkliche Veränderungen brauchen wir im Arbeitslosengeld-IIBereich. Wir wissen alle: Die Regelsätze sind eindeutig zu niedrig. Die Regelsätze müssen angehoben werden. Es ist überhaupt nicht möglich, ein Kind mit 2,50 Euro am Tag zu ernähren. Es ist schon gar nicht möglich, ein solches Kind dann auch noch gesund zu ernähren. ({4}) Es ist eine Schande, dass diese Kinder am Schulessen nicht teilnehmen können. Es ist falsch, dass im Regelsatz nichts, aber auch gar nichts für Nachhilfe, für musischkulturelle Bildung oder für Betätigung in einem Sportverein vorgesehen ist. Darin ist wirklich gesellschaftlicher Sprengstoff enthalten. Das ist eine soziale Schieflage, die wir beheben müssen. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich dringend eine Veränderung. ({5}) Ich frage Sie einmal: Wo sind Sie eigentlich geblieben? Wo ist Ihre Empörung geblieben? Ich kann mich noch gut erinnern: Die Milchpreise stiegen, und aus den beiden Koalitionsfraktionen kam die Forderung: Da muss man jetzt korrigieren. Wenn ich mir die Haushaltsansätze ansehe: Nichts, gar nichts ist da zu finden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Pothmer, es gibt noch einen Wunsch zu einer Zwischenfrage der Kollegin Höll.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, bitte.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Werte Kollegin, ich teile die von Ihnen so vehement vorgetragene Kritik an den Regelsätzen, an der Streichung der Einmalbeihilfen bei Hartz IV usw. Ich möchte einmal nachfragen: Ist meine Erinnerung richtig, dass Sie das mit diesen Regelsätzen, die so niedrig sind, dass man Kinder nicht gesund ernähren kann, dass es keine Extrazuschüsse für herausragende Ereignisse wie Jugendweihe, Konfirmation, das Weihnachtsfest usw. gibt, hier im Bundestag mit verabschiedet haben?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Höll, haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass wir schon vor längerer Zeit einen Antrag gestellt haben, der genau in diesem Bereich eine Korrektur vorsieht? Nicht alles, was damals beschlossen worden ist, ist aus unserer Sicht in Granit gehauen. Nicht alles, was damals beschlossen worden ist, haben wir mit Zustimmung zur Kenntnis genommen, sondern haben wir auch begleitend kritisiert, haben die entsprechenden Konsequenzen gezogen und tun das auch weiterhin. ({0}) Ich frage noch einmal: Wo ist eigentlich der Haushaltsansatz geblieben, der genau die Kritik, die auch aus Ihren Reihen kommt, aufnimmt? Wir als Grüne haben in unserem Haushaltsänderungsantrag eine Anhebung der Regelsätze auf 420 Euro vorgeschlagen und haben das auch mit einer entsprechenden Gegenfinanzierung begleitet. Für uns hat die Bekämpfung der Armut der Ärmsten nämlich höchste Priorität. Sie kümmern sich leider um eine andere Gruppe. Auch das finden wir nicht sozial, und auch das finden wir nicht gerecht. Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt in diesem Gesetzentwurf kommen. Ich meine den wirklich ungenierten Griff des Bundesfinanzministers in die Kassen der Bundesagentur für Arbeit und damit, Herr Rauen, auch in die Kassen der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Wo ist Ihre Empörung in dieser Frage? Dass der Bundesfinanzminister den Beitragszahlerinnen und -zahlern 5 Milliarden Euro raubt, dass er sie um 5 Milliarden Euro prellt - mit Beitragsgeldern werden Straßen finanziert -, das können Sie, Herr Rauen, doch keinesfalls hinnehmen. Nicht nur der Ehrliche, sondern auch die Beschäftigten sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind hier doch die Dummen. ({1}) Verkäuferinnen und Bauarbeiter werden doppelt zur Kasse gebeten, wenn es darum geht, die Perspektive von Langzeitarbeitslosen zu verbessern: einmal in ihrer Rolle als Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und dann auch noch in ihrer Rolle als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist weder sozial noch gerecht. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Kosten, die entstehen, um Kindererziehungszeiten in der Arbeitslosenversicherung abzusichern. Das, was der Finanzminister hier macht, ist wirklich ein Raubzug zulasten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Der Finanzminister kennt sich gut aus; denn er kommt von der Küste. Er hat uns neulich verraten, dass er früher Pirat, eine Art Störtebeker werden wollte. Wie Sie sich vielleicht erinnern, war Störtebeker ein ziemlich ungehobelter Kerl, vielleicht ein Raufbold. Herr Steinbrück, was Sie und ihn unterscheidet, ist Folgendes: Er hat es den Reichen genommen und den Armen gegeben. Ich bin mir sicher, Herr Störtebeker würde Sie heute nicht wählen, und das ist auch richtig so. Ich danke Ihnen. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Klaus Brandner spricht jetzt für die SPDFraktion. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze zeigt die Große Koalition auch nach schwierigen Verhandlungen im Koalitionsausschuss Handlungsfähigkeit. ({0}) Wir beschließen heute nämlich die Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung und legen gleichzeitig fest, dass wir die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld I für Ältere verlängern. Bei dieser Debatte können wir als Erstes feststellen: Weder gönnt die Linke den Menschen mehr Netto im Portemonnaie - nämlich die Beitragssenkung -, noch gönnt sie den Älteren eine längere Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld I; ansonsten würde sie nicht gegen dieses Gesetz stimmen. ({1}) Liebe Frau Pothmer, wie Sie wissen, schätze ich Sie sehr. Heute haben Sie allerdings eine Menge gewagter Konstruktionen vorgetragen. ({2}) Ich würde gern auf alle eingehen; aber dazu reicht meine Redezeit nicht. Zuallererst möchte ich etwas zum Beitragssatz sagen: Wir senken den Beitragssatz auf 3,3 Prozent. Das ist ambitioniert - das will ich gerne feststellen -; aber es ist das Ergebnis einer erfolgreichen Politik, die reformiert, die saniert, die investiert und die die Arbeitslosigkeit ganz erheblich zurückgeführt hat. ({3}) Die Reformdividende für diesen Rückgang der Arbeitslosigkeit ist unter anderem die Beitragssatzentlastung. ({4}) Ich sage hier an dieser Stelle ganz klar: Eine Senkung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent entspricht 25 Milliarden Euro. Das bedeutet, für Investitionen in Unternehmen stehen 12,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, und auch die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird um 12,5 Milliarden Euro gestärkt. Damit stützen wir die Binnenkonjunktur in einer, wirtschaftlich gesehen, durchaus nicht unambitionierten Art und Weise. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Brandner, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Möller zu?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Brandner, da Sie augenscheinlich unter partiellem Gedächtnisverlust leiden, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich vielleicht an unseren Antrag erinnern, in dem unter anderem die Verlängerung des ALG I gefordert wurde. Außerdem wurde darin gefordert, die Überschüsse der BA auch dafür zu verwenden, Nichtleistungsempfänger und -empfängerinnen besser zu qualifizieren und mehr benachteiligten Jugendlichen zu einer außerbetrieblichen Ausbildung zu verhelfen. Sie haben diesen Antrag abgelehnt. Das heißt, Sie sollten sich zumindest daran erinnern, was Sie abgelehnt haben. ({0})

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin Möller, Sie wissen, dass wir eine solide Politik machen, die durchfinanziert ist, die sich - das habe ich gerade gesagt - darin zeigt, dass wir den Menschen erstens Beiträge zurückgeben und damit ihre individuelle Kaufkraft erhöhen. Zweitens verlängern wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere, da, wo besondere Risiken bestehen. Drittens haben wir genügend Geld für Aktivierungsmaßnahmen, das nach jetzigem Stand in beiden Haushaltstiteln - diese betreffen sowohl SGB III als auch SGB II - nicht annähernd ausgeschöpft wird. Insofern sind wir auf einem soliden Kurs und brauchen auf Ihre populistischen Anträge nicht weiter einzugehen. ({0}) Lassen Sie mich an dieser Stelle in meiner Rede fortfahren. Die Entlastung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist hier deutlich geworden. Man kann die Durchschnittseinkommenssituation ein bisschen ambitionierter sehen. Bei jemandem, der pro Monat ein Einkommen von 3 000 Euro hat, ergibt dies im Vergleich zwischen den Jahren 2005 und 2008 immerhin 576 Euro. Wir haben den Beitragssatz fast halbiert. Eine so große Nettoentlastung kann sich sehen lassen. Ich habe über den Nachfrageimpuls und die Unterstützung der Binnenkonjunktur gesprochen. In dem Zusammenhang sage ich auch, dass das DIW zum Beispiel jetzt gerade aktuell titelt: Konjunktur in kraftvoller Verfassung. Deshalb haben wir keine Sorge, dass wir den Beitragssatz so ambitioniert auf 3,3 Prozent absenken. Wir machen unsere Politik mit Zuversicht. Es hat sich gezeigt, dass sie am Ende erfolgreich ist. Wir machen uns keine Sorgen bezüglich der zukünftigen Finanzverfassung der BA, die für 2007 einen Überschuss in Höhe von 18 Milliarden Euro ausweist. ({1}) Es gibt Medienberichte, in denen von erheblichen Defiziten in 2008 gesprochen wird. Das Handelsblatt beispielsweise titelt heute: „Arbeitsagentur erwartet Milliarden-Defizit“. Die Süddeutsche Zeitung schreibt heute: „Nürnberg erwartet Milliardenloch“. Ich könnte noch weitere Beispiele nennen. Wir müssen uns fragen: Ist das ein Grund zur Panik? Wie gehen wir solide damit um? Wir müssen an dieser Stelle deutlich machen, dass in der öffentlichen Debatte übersehen wird, dass wir erstens eine Liquiditätsreserve von 6 Milliarden Euro schaffen; die BA wünscht sich sogar eine von 9 Milliarden Euro. Sie hat unsere volle Unterstützung, wenn sie eine solche Liquiditätsreserve aufbaut. Zweitens sorgen wir mit einem Versorgungsfonds dafür, dass die Beamtenpensionen in der Zukunft durch entsprechende Rückstellungen abgesichert werden. Drittens werden wir einen Eingliederungsbeitrag von 5 Milliarden Euro vorsehen. All das im Haushalt 2008 berücksichtigt bringt bei der jährlichen Betrachtungsweise durchaus ein Defizit. Insgesamt gesehen übersieht es aber, dass wir die Spielräume systematisch nutzen, um Vorsorge zu treffen. Wir müssen deutlich machen, dass mit der Liquiditätsreserve genügend arbeitsmarktpolitische Spielräume in den Zeiträumen entstehen, in denen die Konjunktur zurückfahren kann. Das ist uns wichtig. Wir wollen keine Stop-andgo-Politik. Wir wollen verantwortliche Politik und Si13326 cherheit für die Menschen. Daher müssen wir zum richtigen Zeitpunkt genügend finanzielle Mittel haben, um sie zu unterstützen. Deshalb sage ich klar an Frau Pothmer und andere, die dies kritisch angesprochen haben: Wir nehmen keinem etwas weg. 12,6 Milliarden Euro für aktivierende Maßnahmen stehen im Haushalt 2008 zur Verfügung. Sie werden nicht annähernd ausgeschöpft; das muss ich Ihnen sagen. Wir sorgen vor, und zwar erstens dadurch, dass wir Rücklagen schaffen, dass wir Reserven bilden. Zweitens sorgen wir vor, indem genügend Mittel zur Verfügung gestellt werden, sodass in die Zukunft investiert werden kann, in Weiterbildung, in Qualifizierung, in die Köpfe. Das ist ein komplett richtiges Vorsorgeprogramm und keine - wenn man es so nennen will - gefährliche Politik, die wir betreiben. ({2}) Wegen dieser Finanzlage können wir uns erlauben, Spielräume beim Arbeitslosengeldbezug für Ältere zu nutzen. Ich will an dieser Stelle erstens ganz deutlich sagen, dass die Menschen, die hart gearbeitet haben, es verdient haben. Zweitens finde ich es gut, dass wir uns in der Koalition darauf verständigen konnten, dass die Sorgen Älterer ernst genommen werden, dass nach einer langen Erwerbs- und Arbeitstätigkeitsphase die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlängert wird. Denn das Risiko, arbeitslos zu werden, ist für Ältere einfach größer. Deshalb will ich an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Es war uns wichtig, diesen Schritt zu gehen. An dieser Stelle haben wir uns von unserem Koalitionspartner durchaus unterschieden. Wir wollten, dass die finanziellen Leistungen aus den Überschüssen der Bundesagentur finanziert werden. Das ist uns nicht hundertprozentig gelungen. Aber es ist gut, dass es uns gelungen ist, die CDU vollständig davon zu überzeugen, dass sie auf den Rüttgers-Plan verzichtet. Den Älteren geben und den Jüngeren nehmen, das war mit uns nicht zu machen. Das ist uns wichtig, und das möchte ich an dieser Stelle deutlich zum Ausdruck bringen. ({3}) Uns ist auch wichtig, dass die Chancen auf Weiterbildung nicht zulasten von Familien, Frauen und von Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien geschmälert werden. Im Gegenteil: Es ist unser Verständnis von Solidarität, diejenigen, die ein erhöhtes Risiko haben, arbeitslos zu werden, entsprechend zu unterstützen. Durch eine Förderung muss dieses Risiko in der Zukunft minimiert werden. ({4}) Ich will an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Der Grundsatz einer solidarischen Risikoversicherung bleibt für uns uneingeschränkt bestehen. Die Solidarität - der Stärkere tritt für den Schwächeren ein - hält die Gewerkschaft - ich meine, die Gesellschaft - zusammen. ({5}) - Herr Kollege, herzlichen Dank, dass Sie meinen Versprecher so freundlich bejubeln. Es zeigt Ihre Kollegialität. Ich bedanke mich dafür. Ich will an dieser Stelle deutlich sagen, dass nicht nur Rüttgers, sondern auch Lafontaine und heute Gysi falsch liegen, wenn sie dem Motto frönen „Wer viel einzahlt, muss auch viel rauskriegen“. Das ist ein Bild von einer völlig entsolidarisierten Gesellschaft, in der es nur darauf ankommt, dass sich jeder Einzelne selbst ausreichend versorgt. Für uns gilt nicht das Motto „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“. Solidarität ist unser Grundsatz. Diesen Grundsatz werden wir auch in der Arbeitsmarktpolitik weiterhin mit Leben erfüllen. ({6}) Wir verfügen nun über ein großes Finanzvolumen dank einer erheblich geringeren Zahl von Arbeitslosen. Das schafft Spielräume, um Langzeitarbeitslose stärker zu fördern. An dieser Stelle will ich die Bundesagentur für ihre Arbeit loben. Wir haben immer zu ihr gestanden. Viele wollten sie plattmachen und haben sie von diesem Pult aus häufig sehr negativ dargestellt. Ich sage sehr klar: Wir stehen zur Bundesagentur für Arbeit, aber wir erwarten auch, dass die dort zur Verfügung stehenden Mittel offensiv ausgegeben werden, um denen in diesem Land, die der Unterstützung bedürfen, zu helfen. Dies ist ein Aufruf an die Kolleginnen und Kollegen dort, die Spielräume, die durch die Haushalte eröffnet worden sind, zu nutzen. ({7}) Mit diesem Gesetz justieren wir den Aussteuerungsbetrag neu. ({8}) Wir schaffen damit eine neue Finanzarchitektur. Das ist hier auch schon angesprochen worden. Frau Pothmer, der Aussteuerungsbetrag ist durchaus ambivalent zu bewerten. ({9}) Das wissen wir. Der positive Aspekt war, dass durch eine schnelle Vermittlung viele Menschen erst gar nicht in Langzeitarbeitslosigkeit gekommen sind. ({10}) Aber für diejenigen - das ist der negative Aspekt -, die nicht schnell vermittelt werden konnten und die arbeitslos geblieben sind, hat der Aussteuerungsbetrag genau das Gegenteil bewirkt. Denn man hat die Förderung aufgegeben, wenn Langzeitarbeitslosigkeit drohte. Eine entsprechende Verzahnung hat nicht geklappt. Diese Fehlentwicklung wollen wir stoppen. Wir sorgen dafür, dass der Aussteuerungsbetrag abgeschafft wird und dass sich die Bundesagentur zu 50 Prozent an dem Eingliederungstitel des SGB II - das ist der Rahmen, der Grundlage für die Finanzierung von Langzeitarbeitslosen ist - beteiligt. ({11}) Das ist richtig und verantwortungsvoll. Es zeigt auch, dass wir die BA nicht aus der Verantwortung entlassen. ({12}) Vieles ist uns in den letzten Verhandlungen gut gelungen. Aber zwei Punkte sind noch nicht erledigt, die in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode mit unserem Koalitionspartner zu regeln sind. Es geht erstens um die sogenannte Zwangsrente. Es ist wichtig, von dieser Stelle aus zu sagen: Es darf keinen Automatismus geben, dass man aus der Langzeitarbeitslosigkeit direkt in die Rente geschickt wird. ({13}) Wer arbeiten will und kann, muss eine besondere Förderung erfahren. Mit 60 gehört man eben nicht zum alten Eisen. Wir haben dazu einen vernünftigen Vorschlag vorgelegt. Wir erwarten von unserem Koalitionspartner, dass er sich aktiv an einer Lösung beteiligt. Wir wissen aber auch, dass die Zeit drängt. Ich bitte Sie daher, dass wir an diesem Punkt recht bald eine sachgerechte Lösung finden. Genauso offen will ich einen zweiten Punkt ansprechen: den Mindestlohn für Briefdienstleister. Die Bundeskanzlerin hat zugesagt, dass die Briefzusteller parallel zur Postliberalisierung ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Aus unserer Sicht liegen die Voraussetzungen dafür eindeutig vor. Wir müssen Lohndumping in diesem Land gemeinsam bekämpfen. ({14}) Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass man zu der Vereinbarung über die Briefdienstleister steht und nicht zu viele Menschen aufgrund eines zu niedrigen Lohnniveaus auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Das ist unwürdig, und das wollen wir bekämpfen. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. Herr Kollege Brandner, auch wenn dieses Thema gar nicht auf der Tagesordnung steht, haben Sie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die Postdienstleistungsbranche angesprochen. Können Sie mir erklären, warum Sie, nachdem Ihr Parteitag einen Mindestlohn von 7,50 Euro beschlossen hat, das Angebot der Union, 8 Euro als Mindestlohn festzusetzen, abgelehnt haben? ({0}) Sind Sie tatsächlich der Ansicht, dass dieses Thema, auch wenn es nicht auf der Tagesordnung steht, auch von den Kollegen von der Union so gesehen wird, wie Sie es verkündet haben?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Niebel, erstens wissen Sie, dass wir eindeutig zur Tarifautonomie stehen, dass wir ganz deutlich darauf bauen, dass branchenspezifische Tarifabschlüsse ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden, und dass wir auf dem Parteitag einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro beschlossen haben. Das ist ein großer Unterschied. Ich hoffe, dass Sie diese Differenzierung kennen ({0}) und die Tarifautonomie als ein grundgesetzlich geschütztes Gut auch zukünftig Ihre Unterstützung finden wird. Wir wollen gerade nicht in die Tarifautonomie eingreifen. ({1}) Unser Koalitionspartner irrt - zumindest was seine Forderung angeht -, wenn er glaubt, dass es eine Möglichkeit wäre, einen Mindestlohn von 8 Euro zu vereinbaren. Der Gesetzgeber sollte sich aus der Tarifautonomie heraushalten. Wir halten die Voraussetzungen für eine Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für gegeben. Die Tarifvertragsparteien haben ihre Schularbeiten gemacht. Da werden und wollen wir ihnen nicht hineinreden. Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn wird auf der Tagesordnung bleiben. Er ist aktueller denn je. In den letzten Tagen haben Gutachten die Runde gemacht, wonach ein Mindestlohn grundsätzlich keine negativen beschäftigungspolitischen Wirkungen hat. Für die Baubranche hat das IAB eine entsprechende Studie vorgelegt. Darüber wird kritisch diskutiert. Es ist bekannt, Herr Niebel, dass es im überwiegenden Teil der europäischen Länder einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Wir werden nicht locker lassen, bis wir auch in Deutschland einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn haben, ({2}) weil das die einzige Chance ist, eine Lohnuntergrenze einzuziehen und zumindest für soziale Gerechtigkeit im unteren Lohnsegment zu sorgen. ({3}) Ich will ganz klar sagen, dass der scheidende Bundesarbeitsminister Franz Müntefering das Thema Mindestlohn massiv vorangetrieben hat. Er hat an dieser Stelle als engagierter Debattenredner sehr häufig auf dieses Thema hingewiesen. Ich möchte ihm nicht nur für das danken - wie der Herr Staatssekretär das bereits richtig gemacht hat -, was er an unterschiedlichen Stellen in diesem Parlament sowie im nordrhein-westfälischen Parlament für die Menschen in diesem Land geleistet hat. Vielmehr sind wir ihm insgesamt für seine Fairness und für sein erfolgreiches Engagement für die Menschen in diesem Land zu Dank verpflichtet. Das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich erwähnen. ({4}) Das Thema fairer Löhne wird auf der Tagesordnung bleiben, da soll sich niemand täuschen. Ich bin überzeugt, dass der kommende Verantwortliche im Arbeitsund Sozialministerium, Olaf Scholz, dieses Thema ebenso offensiv vorantreiben wird wie Franz Müntefering. Wir verabschieden heute wichtige Änderungen beim Beitragssatz, bei der Finanzarchitektur der BA und bei der Verlängerung der Bezugsdauer Älterer. Wir wollen keinen Wettlauf um die niedrigsten Beitragssätze. Wir wollen einen Wettlauf um die besten Leistungen für die Menschen in diesem Land. Das ist das Anliegen, dafür treten wir an. Ich hoffe, dass wir dabei auf viel Unterstützung in diesem Haus treffen. Herzlichen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Debatte heute markiert einen Wendepunkt in der Arbeitsmarktpolitik. Eine mutlose Koalition nutzt Senkungspotenzial beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag allenfalls halbherzig und öffnet gleichzeitig wieder die Schleusen für soziale Leistungen, die aus Mitteln der Beitragszahler bezahlt werden sollen. ({0}) Nach dem, was Sie, Herr Kollege Brandner, am Ende Ihrer Rede angekündigt haben, ({1}) muss einem angst und bange werden, was die zukünftige Politik der Koalition in diesem Bereich anbelangt. ({2}) Der Herr Kollege Rauen hat gesagt, man müsse das Erreichte anerkennen. ({3}) In der Tat, Kollege Brauksiepe: Die Senkung ist erfreulich. Nur, wer zu spät kommt, der kann nicht erwarten, dafür gelobt zu werden. ({4}) Das ist doch der Punkt. ({5}) Sie geben den Beitragszahlern immer nur das zurück, was ohne besondere Anstrengungen möglich ist. Sie nutzen die konjunkturell bedingten Windfall-Profits für Beitragssatzsenkungen. ({6}) Sie gehen aber nicht an die Kernbereiche heran, auf die in der Anhörung deutlich hingewiesen wurde, zum Beispiel an die versicherungsfremden Leistungen. ({7}) Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung ist zweifelsohne gesenkt worden. Zur Wahrheit gehört aber auch - hier neigen Sie ja ein bisschen zur Verdrängung -, dass in allen anderen Bereichen der Sozialversicherung Erhöhungen stattfanden. ({8}) Bei der Rentenversicherung war es eine Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte, bei der Krankenversicherung um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte, bei der Pflegeversicherung - das ist bereits beschlossen - werden es 0,25 Prozentpunkte sein, ({9}) und nicht zu vergessen ist die Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte. Das führt im Saldo zu einer Mehrbelastung der Menschen in unserem Lande. ({10}) Fragen Sie die Bürgerinnen und Bürger doch einmal, ob in ihrem Portemonnaie wirklich mehr angekommen ist. ({11}) Gefühlt ist da Ebbe. Das ist die Wahrheit. ({12}) Herr Kollege Rauen - Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr schätze -, Sie haben gesagt, dass Sie die Lohnzusatzkosten jetzt auf unter 40 Prozent gesenkt haben; es wurde berechnet, dass wir jetzt bei 39,77 Prozent liegen. ({13}) - Das mag ja sein, lieber Herr Kollege Müller. Aber in Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie die Lohnzusatzkosten dauerhaft auf unter 40 Prozent senken wollen. ({14}) Ab dem 1. Juli 2008 wird der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,25 Prozentpunkte angehoben; das ist bereits beschlossen. Dann werden Sie wieder bei über 40 Prozent sein. ({15}) Deswegen haben wir im Ausschuss einen Änderungsantrag eingebracht. Wir haben Sie aufgefordert, jetzt alle Potenziale zu nutzen, um dauerhaft unterhalb von 40 Prozent zu bleiben. Darum geht es doch in Wirklichkeit. ({16}) Sollen wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, etwa dafür loben, dass Sie jetzt einen Eingliederungsbeitrag kreiert haben? ({17}) Er löst den wahrscheinlich verfassungswidrigen Aussteuerungsbetrag ab; insoweit kommen Sie Karlsruhe zuvor. ({18}) Ich sage Ihnen - hier stimme ich Ihnen zu, Frau Kollegin Pothmer -: Auch dieser Eingliederungsbeitrag ist mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. ({19}) Aus meiner Sicht ist darauf hinzuweisen, dass die BA, die Bundesagentur, im Saldo mit 3 Milliarden Euro belastet wird. Das, was Sie mit diesem Eingliederungsbeitrag betreiben, ist nichts anderes als Haushaltssanierung auf Kosten der Beitragszahler. Dabei machen wir nicht mit. ({20}) Es mag schön sein, dass jetzt mehr Geld als je zuvor für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung steht. Es bleibt aber vollkommen unklar, wofür dieses Geld eigentlich verwendet werden soll. ({21}) Eine grundlegende Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist überfällig. In Ihrem Koalitionsvertrag heißt es wörtlich: Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft. Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein. Das wäre Ende 2006 gewesen. Jetzt sind wir bereits am Ende des Jahres 2007. Aber diese Frage ist noch immer unbeantwortet. ({22}) Man kann wirklich nicht so vorgehen, wie es Herr Kollege Brandner gesagt hat. Er sagte: Wir legen hier Vorräte an. ({23}) Sie verhalten sich wie ein Hamster, wenn der Winter bevorsteht. ({24}) Sie sollen keine Vorräte anlegen, sondern den Beitragszahlern das Geld zurückgeben. Das wäre die richtige Vorgehensweise. ({25}) Herr Brandner, besonders dreist ist: Noch bevor der Eingliederungsbeitrag gesetzestechnisch beschlossen war, wurde er schon in Teilen verschoben. Er soll nämlich zur Deckung der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I dienen. ({26}) Dazu kann ich nur sagen: Während bei der Bahn gestreikt wird, herrscht auf den Verschiebebahnhöfen der Großen Koalition rege Betriebsamkeit. Das ist ein Muster, das wir in der Vergangenheit leider schon öfter beobachten mussten. ({27}) Ich glaube, dass die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I eine falsche Entscheidung ist. Sie führt in der Tat zur Verringerung der Suchaktivitäten älterer Arbeitnehmer. Ich glaube nicht, dass man damit, wie der Kollege Rauen gesagt hat, den Versicherten mit langen Vorversicherungszeiten wirklich hilft. Es sind doch gerade diese Menschen mit langen Erwerbsbiografien, die hohe Rentenansprüche haben, die bisher aus den Betrieben herausgedrängt worden sind. ({28}) Genau das wird in Zukunft wieder passieren. Ich halte das für falsch. Wir wollen, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst lange am Erwerbsleben teilhaben; das ist der Kerngedanke unserer Politik. Sie verfallen zurück in Zeiten der Frühverrentung. Das findet unsere Zustimmung nicht. Vielen Dank. ({29})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute im Zusammenhang mit dem Ent13330 wurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze über die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages bzw. die Bildung einer Rücklage für die Pensionsverpflichtungen und darüber hinaus sicherlich auch über die Verlängerung der Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld I, welche mit einem noch zu erarbeitenden Gesetzentwurf umgesetzt werden wird. Vor zwei Jahren hätten wir uns nicht vorstellen können, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag, der damals bei 6,5 Prozent lag, zum 1. Januar 2008 auf 3,3 Prozent abgesenkt werden kann. Dies ist letztendlich der Erfolg dieser Bundesregierung, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz auf unter 40 Prozent zu senken. Dieses Ziel wird mit dem heutigen Tag erreicht. ({0}) Dass dieses Ziel erreicht werden konnte, ist den Bemühungen der Bundesregierung nach dem Motto „Sanieren, Investieren und Reformieren“ zu verdanken. Dafür sind die Bundeskanzlerin und im Besonderen auch der Bundesarbeitsminister, Franz Müntefering, mit verantwortlich. Ich danke ausdrücklich Bundesminister Franz Müntefering für die Arbeit, die er zur Belebung des Arbeitsmarktes geleistet hat. ({1}) Damit sind vielen Menschen neue Chancen eröffnet worden. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass 1,5 Millionen Erwerbstätige mehr zu verzeichnen sind als vor zwei Jahren. Das ist ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit dieser Bundesregierung. ({2}) Dieser Weg wird mit der Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages fortgesetzt, weil auch das ein Faktor ist, mehr Beschäftigung in Deutschland zu bekommen. Wenn in der Vergangenheit manchmal bezweifelt worden ist, dass die Senkung von Lohnnebenkosten hierzu einen Beitrag leisten kann, so muss man feststellen: Die Ergebnisse der vergangenen beiden Jahre zeigen, dass, wenn Sozialversicherungsbeiträge abgesenkt werden, mehr Beschäftigung erreicht und vor allen Dingen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe verbessert wird. Herr Kollege Dr. Gysi, wenn Sie dies als Zuckerl für die Arbeitgeber darstellen, möchte ich sagen: Entscheidend ist letztendlich, dass wir Arbeitsplätze haben. Deshalb ist es eine große Chance für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Sie wollen ihnen diese Chancen verwehren, wenn Sie heute diesem Antrag nicht zustimmen und sich im Gegenteil für höhere Beitragszahlungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aussprechen. Das ist letztendlich die Abkassierpolitik sozialistischen Gedankenguts, die Sie umsetzen wollen. ({3}) Ich glaube, dass wir hiermit einen wichtigen Schritt für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft machen. Vor allen Dingen werden damit auch zukünftige Ziele erreicht: Mit der Versorgungsrücklage, die gebildet wird, leisten wir einen wichtigen Beitrag, dass auch Versorgungsansprüche zukünftig gesichert sind. Darüber hinaus ist all dies solide finanziert. Dies wird ja ab und zu in Zweifel gezogen. Kollege Klaus Brandner hat vorhin bereits auf die Überschriften in den Tagesmeldungen verwiesen. Ich möchte nur an den Beginn des Jahres 2007 erinnern. Wir und die BA haben damals mit einem Defizit von 4 Milliarden Euro für dieses Jahr gerechnet. Am Ende dieses Jahres können wir feststellen, dass bei der BA ein Überschuss von 7 Milliarden Euro erwirtschaftet wurde. Das ist eine weite Spannbreite von über 11 Milliarden Euro. Das zeigt, dass die Maßnahmen der Vergangenheit gegriffen haben. In dem Jahreswirtschaftsgutachten wird wiederum von einem Wirtschaftswachstum ausgegangen, wenn es auch nicht mehr so kräftig wie im letzten oder diesem Jahr sein wird. ({4}) Ich bin überzeugt, dass damit auch zukünftig positive Arbeitsmarkteffekte verbunden sind, die Arbeitslosigkeit in unserem Land dementsprechend weiter sinken und die Erwerbstätigkeit steigen wird, sodass wir für das Ende des Jahres 2008 gegenüber den jetzigen Planungen wieder ein ausgeglichenes Ergebnis bei der BA erwarten können. Ich bin hier sehr optimistisch. Wir sind die Optimisten in unserem Land. Es sind viele Pessimisten unterwegs, aber wir werden sie mit unseren Ergebnissen zum Schluss wieder überzeugen. ({5}) Es ist hier natürlich auch darzustellen, dass zukünftige Entscheidungen anstehen. Ich möchte hier durchaus auch auf das eingehen, was Klaus Brandner in Bezug auf einen Mindestlohn für Briefdienstleister und zum Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Rente gesagt hat, obwohl das heute nicht das Thema ist. Ich wünsche mir einfach, dass hier das Angebot der Union angenommen wird. Wir stehen nicht für niedrige Löhne, sondern wir stehen für hohe Löhne. Diese können auch erreicht werden. Wenn hier für einzelne Bereiche Grundlagen dafür geschaffen werden müssen, dass die Löhne nicht massiv absinken, so reichen wir dafür die Hand. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist und dass sich vor allen Dingen auch die SPD zu bewegen hat. Ich glaube, hier ist festzustellen: Für diejenigen, die überwiegend Briefdienstleistungen erbringen, muss eine Untergrenze geschaffen werden. Dazu reichen wir die Hand. Dies müssen aber natürlich die Tarifparteien erarbeiten und in einem vernünftigen Tarifvertrag vereinbaren. Wir werden dieses Ziel angehen und unterstützen. ({6}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wird auch vielfältig über den zukünftigen Übergang vom Bezug des Arbeitslosengeldes I in den Bezug des Arbeitslosengeldes II und die damit verbundene Inanspruchnahme eigener Leistungsfähigkeit und Mittel - sei es in Form von Sparguthaben, sei es in Form eines vorgezogenen Renteneintritts - gestritten. Dies ist sicherlich ein wichtiges Thema. Ich glaube aber, dass es hier völlig überzeichnet und überhöht dargestellt wird, weil sehr viele Menschen die Chance wahrnehmen, lieber eine höhere Rente als niedrigstes Arbeitslosengeld II zu beziehen. Es ist schon bemerkenswert, dass gerade die linke Fraktion hier einen längeren ALG-II-Bezug fordert, obwohl sie doch immer sagt, dass die Hartz-Gesetze und das ALG II abgeschafft gehören. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, der Herr Kollege Schneider von der linken Fraktion würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, Herr Schneider. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Straubinger, weil Sie das am Schluss angesprochen haben, möchte ich Sie erstens darauf hinweisen - ich denke, Sie wissen das und können mir das auch bestätigen -, dass man bei seinen Überlegungen hinsichtlich der vorgezogenen Rente immer betrachten muss, was man in der Zeit, während der man die vorgezogene Rente bezieht, gegenüber dem ALG II möglicherweise mehr hat und was man später, während des Rentenbezugs, insgesamt weniger hat. Können Sie mir bestätigen, dass das Minus für einen Rentner, der zehn Jahre lang Rente bezieht, selbst bei einer Rente von 1 000 Euro bei circa 2 000 Euro liegt? Zweiter Punkt. Nachdem Sie das jetzt angesprochen haben: Haben Sie die Absicht, die Zwangsverrentung so einzuführen, wie das geschehen wird, wenn die 58erRegelung einfach ausläuft, oder dürfen wir damit rechnen, dass es hier noch zu Abmilderungen für die Betroffenen kommt? Wenn ja: Wann dürfen wir damit rechnen?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schneider, Sie stellen das völlig falsch dar, auch in der Öffentlichkeit. Keinem Rentner wird etwas entzogen. Bei dem, was Sie angesprochen haben, handelt es sich um den normalen Abschlag, der sich aus der längeren Rentenbezugsdauer ergibt. Aber den Rentnern wird nichts weggenommen. ({0}) Das ist das Entscheidende. ({1}) Ich sage ganz offen: Es kann nicht sein, dass Sie von der Linksfraktion auf Möglichkeiten aufmerksam machen, die es zu nutzen gilt, und gleichzeitig keine Hemmungen haben, abzuräumen, wenn es um Sparbücher geht. ({2}) - Genau so ist es. Das ist meines Erachtens nicht richtig. Auch in einem Sozialstaat müssen die Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten herangezogen werden, bevor sie ALG II auf Kosten der Steuerzahler beziehen. Das ist meines Erachtens das Entscheidende. Darüber werden wir sicherlich noch eine intensive Diskussion führen. Aber ich bin sehr dafür, dass wir uns dabei an der Sache orientieren. Lieber Kollege Klaus Brandner, ich bin überzeugt, dass die in der Öffentlichkeit dargestellten Probleme die Menschen nicht sehr berühren. Die meisten, wenn nicht alle, werden sich für die Rente entscheiden und zusätzlich eine Hinzuverdienstmöglichkeit in Anspruch nehmen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es stimmt, ich bin der letzte Redner. ({0}) Der Hauptpunkt der heutigen Debatte ist - das werden wir gleich beschließen - eine erneute Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um weitere 0,9 Prozentpunkte zum 1. Januar 2008. Das ist ein riesengroßer Erfolg der Großen Koalition. ({1}) Ein Wort an Sie, meine Damen und Herren von der PDS. Entschuldigung, ich muss ja jetzt Die Linke sagen. Das ist eine Kombinatslösung aus Alt-SED, WASG und PDS. ({2}) - Das muss man jedes Mal sagen. Sie wechseln dauernd den Mantel, sodass man nicht mehr erkennt, wer alles sich darunter noch verbirgt. Ich will heute nicht zu viel Zeit auf Sie verwenden. Um es deutlich zu sagen: Sie sind nicht die zukunftstreibende Kraft, sondern rückwärts gewandt. So wichtig sind Sie nun auch nicht. ({3}) Ich will vielmehr über das reden, was wir erreicht haben, was wir beschließen und was wir vorhaben. Unsere Politik ist eine klare und real existierende Alternative zu Ihrer „Wünsch dir was“-Politik. Diese Koalition hat Wirtschaftswachstum ermöglicht. Wir werden die jährliche Nettoneuverschuldung beenden. Das ist mit dieser Koalition erreichbar. Wir haben zudem schon einiges auf dem Arbeitsmarkt bewegt. ({4}) Es gab einmal 5 Millionen Arbeitslose. Nun sind es 3,5 Millionen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beträgt wieder 27 Millionen. Das sind die Stellen, an denen man sieht, dass sich wirklich etwas auf dem Arbeitsmarkt bewegt. Die Zahl der Beitragszahler, die in die Sozialversicherung einzahlen, ist ebenfalls gestiegen. Es muss weniger Arbeitslosengeld ausgezahlt werden, weil wieder mehr Menschen in Arbeit gekommen sind. Aufgrund dieser Politik sind wir in der Lage, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu senken. Kurz gesagt - ich zitiere nun Herrn Steinbrück von gestern Abend -: „Dieses Land ist nach zwei Jahren stärker als vor zwei Jahren.“ Wo er recht hat, hat er recht. ({5}) - Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hätten ruhig mitklatschen dürfen. Ich habe bewusst Herrn Steinbrück zitiert, um die Möglichkeiten der Koalition zu verbessern. Wir verstärken die dargelegten positiven Tendenzen mit dem, was wir heute beschließen. Wir haben ergänzend einen Antrag vorgelegt, der eine noch stärkere Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung als ursprünglich geplant vorsieht. Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt - den sollten wir vielleicht dann näher behandeln, wenn er ansteht -, in dem geht es vor allen Dingen um die Verlängerung des Arbeitslosengeld-I-Bezuges. Ich finde, das, was Peter Rauen heute zu Beginn gesagt hat, sollte noch einmal klar werden. Durch die drei Möglichkeiten des ArbeitslosengeldI-Bezuges und die entsprechenden Vorversicherungszeiten bin ich relativ sicher, dass wir diejenigen erreichen, die wir auch erreichen wollen. Das sind nämlich diejenigen mit den längeren Beitragszeiten, das sind diejenigen, die es sehr ungerecht fänden, wenn sie gegenüber anderen anders behandelt würden. Ich glaube, da gibt es eine ganz große Trefferquote. Darüber sollten wir aber reden, wenn wir so weit sind und den Gesetzentwurf vorliegen haben. Die Regierung hat versprochen, ihn so schnell wie möglich auf den Tisch zu legen. Zu dem Gesetz, das wir heute beschließen werden: Es geht um diese Rücklage von 18 Milliarden Euro, die da ist. Ich finde, wir gehen damit sehr sinnvoll um. Wir geben sie nicht für staatliche Bewirtschaftung aus - ich glaube, das wäre Ihnen auf der linken Seite das Liebste -, sondern wir wollen sie sinnvoll einsetzen. Wir nehmen 2,5 Milliarden Euro aus der Rücklage für den Vorsorgefonds, der gebildet wird. Diese Basis ist für die Versorgung der zurzeit 8 000 Versorgungsempfänger und der 22 000 Beamtinnen und Beamten, die demnächst bei der Bundesanstalt Empfänger werden, hilfreich. Wir haben den Eingliederungsbeitrag der BA für Langzeitarbeitslose im Arbeitslosengeld II und wollen 5 Milliarden Euro als Eingliederungsbetrag für Hartz-IVEmpfänger dorthin geben. ({6}) Das kann man strittig sehen, und ich möchte das heute nicht weiter vertiefen. Wir haben das mit der FDP ein bisschen diskutiert. Ich glaube schon, dass man das vertreten kann. Das ist übrigens gesetzlich über den § 340 SGB III - ich sage das noch einmal - abgesichert, in dem steht, dass diese Mittel, die als Versicherungsbeiträge gezahlt werden, auch zur Arbeitsförderung genutzt werden können. Wir befinden uns da also auf relativ sicherem Terrain. Ich glaube, wenn man das anders wieder hinbekommt, wenn die Situation insgesamt noch besser wird, haben wir da auch mit Ihnen kein Problem mehr. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, da Sie beim letzten Mal das Gefühl hatten, dass ich Sie vielleicht zu schonend behandelt habe - ich hatte den Eindruck, die SPD war an der Stelle ein bisschen traurig -, möchte ich das heute wettmachen. Ich will noch einmal deutlich sagen: Wir haben jetzt in der zweiten Stufe, beide Stufen zusammengenommen, im Vergleich des 1. Januar dieses Jahres mit dem 1. Januar des kommenden Jahres eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von 6,5 auf 3,3 Prozent. Das ist fast eine Halbierung dieses Beitrages. Wir rutschen damit in die Zeiten der 80er-Jahre zurück, in denen es solche Beitragszahlungen gab. Das ist ein Erfolg, und das wird uns auf dem Arbeitsmarkt weiterhelfen. ({7}) Das ist ein Gesamtbetrag von 25 Milliarden Euro. Da sich Milliarden so schlecht vorstellen lassen, mache ich es noch einmal deutlich: Diese Gesamtsenkung bedeutet bei den Arbeitnehmern durchschnittlich 430 Euro netto mehr in der Tasche. Das ist so ähnlich wie eine Lohnerhöhung, die im Jahr 430 Euro ausmacht. Das ist der Effekt, und das hat auch Wirkung. Nun zu Ihnen von der FDP. Da gibt es ja den Streit über die Mehrwertsteuer. Ich sage einmal deutlich: Wir hätten den ersten Schritt, die erste Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages, ohne die Mehrwertsteuererhöhung nicht hinbekommen. Wir hätten das nicht hinbekommen, nach der damaligen Planung schon gar nicht. Wir hätten es jetzt auch nicht geschafft, dass wir bei 3,3 Prozent landen; ursprünglich hatten wir 3,5 Prozent vor. Interessanterweise haben Sie ja auch sehr schnell nachgelegt, das ist erst zwei oder drei Tage her. Bisher hatten Sie auch nur den Mut, 3,5 Prozent zu fordern. ({8}) Wissen Sie, bei dem Eiertanz, den Sie zu den Beitragsabsenkungen aufführen, hat man manchmal das Gefühl, Sie wollen bei einem Minusbeitrag landen. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, gern.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Meckelburg, es kann ja sein, dass Sie die Anhörung zu diesem Thema deshalb am Dienstagabend durchgeführt haben, damit Sie sich bis Mittwochmorgen nicht mit den Ergebnissen konfrontiert sehen müssen. Wir allerdings haben die Anhörung aufmerksam verfolgt, auch das, was das Karl-Bräuer-Institut gesagt hat. Nicht nur 3,0 Prozent - wie wir es sagen - sind ohne Weiteres möglich, sondern sogar 2,9 oder auch 2,7 Prozent sind nach den Aussagen des Karl-Bräuer-Institutes ohne Weiteres machbar - und nicht nur nach den Aussagen des Karl-Bräuer-Institutes. ({0}) Da war für uns doch klar, dass wir im Lichte der Anhörung sagen: Jetzt kann der Beitrag noch weiter gesenkt werden. - Warum haben Sie sich denn nicht ähnliche Gedanken gemacht? Ich verstehe das nicht. Warum machen wir dann überhaupt Anhörungen?

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin bei der Anhörung dabei gewesen. Es hat auch kritischere Stimmen gegeben - die hören auch Sie sonst manchmal gerne -, die aus der Wirtschaft gekommen sind, wonach man vorsichtig sein sollte. Ich finde, dass wir sehr verantwortlich handeln, wenn wir bei 3,3 Prozent landen; ({0}) denn wir hatten uns bereits im Vorfeld darauf verständigt, ({1}) die Beiträge von 3,9 Prozent auf 3,3 Prozent zu senken. Sie hatten nichts Besseres zu tun, als diesen Eiertanz fortzusetzen. Warum haben Sie von der FDP nicht einfach die Kraft, mal zu sagen: „Mensch, das habt ihr gut gemacht“? ({2}) Zuletzt will ich aus der Anhörung zitieren, weil strittig war, ob die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für den Arbeitsmarkt hilfreich sei. Ich sage das vor allem an die Linke gerichtet, die das bei meiner letzten Rede durch Zwischenrufe wie „Woher wissen Sie das?“ bestritten hat. Ich habe bewusst nachgefragt und biete Ihnen jetzt eine ganze Sammlung von Zitaten von Experten an. Sie können nicht nur die BDA, sondern Sie können auch die Bundesagentur für Arbeit oder das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, das Sie sonst gern zitieren, fragen. Ich lese drei Stellen vor. Die erste Stelle lautet: Die Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung wird sich positiv auf die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland auswirken. Das ist ein wörtliches Zitat aus der Stellungnahme des IAB. Warum? Auch das wird hier erklärt: Sie vermindern ... Arbeitskosten, wodurch die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt. Andererseits führen sie ... zu höheren Nettoeinkommen, wodurch die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen steigt. Das sagt das IAB, das auch Sie sonst gerne zitieren. Zuletzt wird gesagt, dass eine Beitragssenkung um 0,7 Prozentpunkte zu etwa 100 000 neuen Arbeitsplätzen führen wird. Die Anhörung ist eine Lehrstunde für Sie gewesen. Ich hoffe, Sie nehmen diese Aussagen statt des Buches, das Sie immer mit sich herumtragen, mit in die Fraktion und reden darüber. Dann wären wir ein Stück weiter. Wir jedenfalls sind auf einem guten Weg und werden weitermachen. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7151({0}), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6741 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Unter Nr. II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7151({1}) empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Drucksache 16/7190. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Tagesordnungspunkt 33 b: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. III seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7151({2}) die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6434 mit dem Titel „Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitragszahler zurückgeben - Beitragssenkungspotenziale nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Unter Ziffer IV empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6035 mit dem Titel „Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit, für mehr Qualifizierung und eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verwenden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes - Drucksache 16/1444 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes - Drucksache 16/3015 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3}) - Drucksache 16/5524 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Mechthild Dyckmans Wolfgang Nešković Jerzy Montag Über den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/3015 werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({4})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die nächste halbe Stunde bereitet uns - das möchte ich nicht verhehlen - durchaus Vergnügen. Wir sind auch nicht nur in lauterer Absicht hier; denn wir wollen Sie heute vorführen. ({0}) Es geht nämlich darum, dass nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt viele Menschen sich darüber beklagen, wie die Einkommen auseinanderklaffen, dass insbesondere im Management in aller Welt, auch in Deutschland, mittlerweile Gehälter gezahlt werden, die von der großen Mehrheit der Bevölkerung schlicht als unanständig empfunden werden. ({1}) Warum wir Sie heute vorführen wollen und zur namentlichen Abstimmung einladen, hat folgenden Grund: Immer dann, wenn es irgendwelche Skandale gibt, wenn zum Beispiel Managergehälter nach allgemeiner Meinung viel zu hoch sind, wenn Abfindungen viel zu hoch sind, treten die Empörungspolitiker aller Fraktionen an und beklagen sich in der Boulevardpresse darüber, wie unverschämt das sei. Das war etwa damals bei der Abfindung von Esser bei MAN so. Quer durch alle Fraktionen gab es da eine große Empörung. Auch wenn über die Vorstandsgehälter der Deutschen Bank berichtet wird, gibt es quer durch die Fraktionen Leute, die sagen, das sei so nicht mehr hinnehmbar; teilweise wird das als obszön bezeichnet. Ihre große Empörung wird in der Boulevardzeitung zitiert. Nun werden die normalen Bürgerinnen und Bürger sagen, wenn die Fraktionen über eine solche ungerechtfertigte Selbstbereicherung so empört sind, dann wird sicherlich irgendetwas unternommen werden. Das ist der Punkt, warum wir Sie heute zur namentlichen Abstimmung bitten: Sie wollen nichts unternehmen. Sie sind an dieser Stelle total unglaubwürdig. Während sich auf der einen Seite der Sektor der Löhne, von denen man nicht leben kann, immer weiter ausbreitet, tun Sie nichts dagegen, dass sich auf der anderen Seite die Managergehälter immer schamloser nach oben bewegen. ({2}) Wir machen Ihnen zwei Vorschläge. Der eine Vorschlag ist, die Managergehälter zu begrenzen. Ich zitiere den amerikanischen Banker Morgan, der bereits im vorletzten Jahrhundert gesagt hat: Ich möchte nicht, dass in meiner Bank ein Manager mehr verdient als das 20-Fache dessen, was derjenige erhält, der das niedrigste Einkommen in meiner Bank hat. Nun lachen Sie darüber. ({3}) Aber ich möchte Ihnen den Zusammenhang darstellen, der aus unserer Sicht besteht. Eine soziale Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn sie auf einem ethischen Fundament beruht. ({4}) Das heißt, es muss gewisse Grundüberzeugungen geben, von denen alle ausgehen können, die sich an dieser sozialen Marktwirtschaft beteiligen. ({5}) Eine der Grundüberzeugungen ist, dass es einigermaßen gerecht zugeht. Jedem in Deutschland kann man erklären, dass qualifizierte Manager beispielsweise das 20-Fache dessen erhalten, was derjenige erhält, der das niedrigste Einkommen im Unternehmen hat. Das ist noch vermittelbar. Wenn aber heute Vorstandsvorsitzende das 150-Fache eines Facharbeiters haben, dann ist das nicht mehr vermittelbar. Das ist nicht mehr leistungsgerecht und hat auch mit Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun. ({6}) Es ist bedauerlich, dass Sie hier wieder zu feige sein werden, irgendetwas zu beschließen. ({7}) Sie können ja einen besseren Vorschlag machen. Aber Sie werden in der namentlichen Abstimmung heute - und das bereitet Vergnügen - deutlich machen, dass alle Ihre Reden draußen völlig unglaubwürdig sind. Dasselbe gilt für die Aktienoptionen. Ein Mann wie Heiner Geißler, bei dem ich bedaure, dass er nicht mehr hier in diesem Hause sprechen kann, ({8}) hat immer wieder darauf hingewiesen, wie obszön es ist, dass die Aktienkurse steigen, wenn Manager ankündigen, dass Tausende Arbeitsplätze abgebaut werden. Jawohl, dieser Zusammenhang ist nach Auffassung der Linken obszön. Noch obszöner ist es aber, wenn man dadurch auch noch viel Geld verdient. Deshalb schlagen wir vor - das wäre mein zweiter Vorschlag -, die Belohnung von Managern mit Aktienoptionen zu untersagen; denn sie werden dadurch geradezu angereizt, Massenentlassungen anzukündigen, um das eigene Einkommen zu vermehren. ({9}) Es ist bedauerlich, dass dies bei Ihnen zu Gelächter führt. ({10}) Das ist eine der Ursachen dafür, dass Sie im Volk immer mehr Glaubwürdigkeit verlieren. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Herr Lafontaine, es ist bemerkenswert, dass Sie im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich bescheidener geworden sind. Sie waren ja einmal - die älteren Kollegen in diesem Haus erinnern sich vielleicht noch - Finanzminister einer Bundesregierung. Damals wollten Sie noch die Weltmärkte regulieren. Heute begnügen Sie sich wenigstens damit, die Vorstandsgehälter regulieren zu wollen. ({0}) Die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe spiegeln nicht nur ein tiefes Misstrauen, sondern eine klare Ablehnung des Systems der sozialen Marktwirtschaft wider. ({1}) - Es ist interessant, dass Sie diese Aussage in Ihrem Zwischenruf infrage stellen. Ich habe bei der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe vor ziemlich genau einem Jahr gesagt, dass ich bei Ihnen ein Misstrauen gegenüber der sozialen Marktwirtschaft erkenne. Im Protokoll kann man nachlesen, dass es einen Aufruhr bei der Linksfraktion gab. Sie haben damals gesagt, dass Sie die soziale Marktwirtschaft ablehnen. Offenbar sehen Sie und einige andere das inzwischen wieder anders. Das spricht für die Geschichtsvergessenheit Ihrer Partei. Sie erinnern sich nicht einmal mehr daran, was von Ihnen vor einem Jahr gesagt worden ist. Soziale Marktwirtschaft bedeutet in unserer Gesellschaft: Schutz der Schwachen. ({2}) Der Schutz der Schwachen steht im Mittelpunkt unserer sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet aber nicht, das Einkommen derjenigen, die mehr verdienen, zu deckeln. Die Schwachen in unserer Gesellschaft, diejenigen, die in den unteren Lohngruppen sind, würden keinen einzigen Euro mehr verdienen, wenn man bei den Vorständen eine Deckelung vornähme. Kein einziger Arbeitnehmer würde etwas davon haben. Sie geben Steine statt Brot. ({3}) Die Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel nach dem Motto: Was man oben abschneidet, kommt unten an. Unsere Volkswirtschaft, unsere soziale Marktwirtschaft, ist eine dynamische Veranstaltung. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich daher gegen einen solchen billigen Populismus entschieden wehren. ({4}) Unterstellen wir doch einmal für einen Augenblick, dass die Manager in der Breite so charakterlos sind, wie Sie das in Ihrem Gesetzentwurf zugrunde legen. Wenn man das Gehalt der Manager an die unteren Lohngruppen koppeln würde, hieße das doch, dass der Manager in den unteren Lohngruppen nur Arbeitsplätze wegrationalisieren oder ins Ausland verlagern müsste, und schon könnte er sich sein Gehalt erhöhen. Ihr Ansatz kann doch gar nicht funktionieren. ({5}) Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass man einerseits die Einzelfälle sehen muss, in denen es - teilweise in den USA, teilweise auch in Deutschland - zu Missständen gekommen ist. Diese werden zu Recht, auch von unserer Fraktion, kritisiert. Andererseits muss man sehen, was der Gesetzgeber sinnvollerweise durch Verbotsgesetze regeln kann. Nicht jede falsche Unternehmensentscheidung kann Anlass für ein Verbotsgesetz sein. Es gibt in Deutschland Grundrechte - Art. 2, Art. 12, Unternehmerfreiheit -, die zu beachten sind. Dass Sie mit diesen Grundrechten nicht viel am Hut haben, wissen wir. Das haben Sie hier eindrucksvoll bestätigt. Kern Ihres Gesetzentwurfs ist der alte Gedanke vom gerechten Lohn. Dieser Gedanke wurde bereits im Mittelalter diskutiert. ({6}) Ziemlich genau ausgangs des Mittelalters hat man festgestellt, dass man hierfür keine, zumindest keine gesetzlichen Vorgaben finden kann. Sie greifen offenbar auf die Zeit davor zurück. Das lässt Rückschlüsse auf den Stand Ihrer Politik und Ihre wirtschaftspolitische Denkweise zu. Herr Lafontaine, Sie haben behauptet, wir würden nicht handeln und hätten die Missbrauchsfälle nicht zum Gegenstand der Gesetzgebung gemacht. Das ist schlichtweg falsch. In der letzten Wahlperiode gab es in diesem Haus keine Linksfraktion; die brauchten wir nicht; die brauchen wir auch heute noch nicht. ({7}) Da haben wir, CDU/CSU, SPD und Grüne gemeinsam, ein Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz beschlossen, ({8}) weil wir ja wissen, dass Sonnenlicht das beste Reinigungsmittel für solche Missbrauchsfälle ist. Wenn man Missbrauchsfälle dieser Art möglichst zurückdrängen will, dann muss man verhindern, dass überhöhte Vorstandsvergütungen im Stillen gezahlt werden; man muss es offenlegen. Das haben wir durch dieses Gesetz erreicht. ({9}) Die Bundesregierung hat außerdem eine KodexKommission, die sogenannte Cromme-Kommission, eingesetzt. Von ihr gibt es klare und sinnvolle Empfehlungen zur Gehaltsstruktur in deutschen Unternehmen. Über 90 Prozent der DAX-Unternehmen befolgen diese Empfehlungen bereits. Ich habe bisher hauptsächlich zur Deckelung der Gehälter gesprochen; vielleicht noch ein paar Worte zum Thema Aktienoptionen. Das ist fast noch abstruser. Sie wollen Aktienoptionen für Vorstände verbieten. ({10}) Übrigens hat die Cromme-Kommission, die KodexKommission, vorgeschlagen, dass sich gerade bei Vorständen die Vergütungen aus einem festen und einem variablen Bestandteil zusammensetzen sollten. Warum? Weil variable Bestandteile wie vor allem Aktienoptionen die Verantwortung und das Engagement eines Managers noch einmal steigern. Das gilt übrigens für alle Ebenen eines Unternehmens. Wir wollen mehr Beteiligung, mehr Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand, und zwar auf allen Stufen des Unternehmens, von den unteren und mittleren Lohngruppen bis hin zu den Vorständen. Wer das ablehnt, wer Leistungsanreize auch durch Aktienoptionen ablehnt, der ist gegen Leistung in Unternehmen und der gefährdet damit letztlich Arbeitsplätze, weil Leistungschancen nicht ausgeschöpft werden. ({11}) Der Staat kann einiges tun; das haben wir gesehen. Wir haben auch schon einiges gemacht. Wir haben die Vorstandsvergütungsoffenlegung beschlossen. Wir haben eine Kommission eingesetzt, die konkrete Empfehlungen formuliert hat, die in weiten Teilen der Wirtschaft auch befolgt werden. Der Staat kann aber eines nicht machen: Er kann sich nicht an die Stelle der Eigentümer setzen; die Aktionäre müssen konkret festlegen, welche Vergütung gezahlt wird. Aktiengesellschaften in einer sozialen Marktwirtschaft sind vom Willen der Eigentümer abhängig. Es sind keine volkseigenen Betriebe, auch wenn Sie das gern hätten. Sie haben in Ihrem Entwurf unter der Überschrift „Alternativen“ - diese Zeile kennen wir alle - natürlich geschrieben: Keine. - Im tiefsten Herzen hätten Sie natürlich gern die Alternative: Umwandlung der Aktiengesellschaften in volkseigene Betriebe. ({12}) Dann sollten Sie so mutig sein, das auch offen zu sagen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({13}) In den Aktiengesellschaften in Deutschland kann und soll jeder Aktionär in der Hauptversammlung mitreden. Jeder, der sich eine Aktie kauft, auch ein Mitglied Ihrer Partei, kann mitreden, kann Einfluss ausüben. In den Verwaltungsräten sind die Aktionäre vertreten, übrigens auch die Arbeitnehmer; Arbeitnehmermitbestimmung. Die Arbeitnehmervertreter in Aktiengesellschaften in Deutschland haben mittelbar oder unmittelbar Einfluss darauf, wie die Vergütung ausfällt. Wenn Sie das offenbar nicht für ausreichend halten, ist das auch Ausdruck eines Misstrauens gegen die Arbeitnehmermitbestimmung in Deutschland. Offenbar haben Sie auch damit ein Problem. ({14}) Die Verantwortung der Unternehmensführer in Deutschland ist groß. Sie sind nicht nur für die Bilanzzahlen und für die Aktienkurse verantwortlich; sie haben auch Verantwortung für ihre Mitarbeiter. Sie tragen letztlich auch für deren Familien Verantwortung, die vom Einkommen der Mitarbeiter abhängen. Nötig sind daher engagierte und qualifizierte Mitarbeiter und Vorstände.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Krings, Ihr Kollege Grund würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber sehr gern. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Herr Kollege Krings, ist Ihnen ein Beispiel dafür bekannt, dass der rot-rote Berliner Senat auch nur in einem Fall bei Unternehmen, an denen er beteiligt ist und bei denen er eine Mehrheit hat, die Gehälter der Geschäftsführer gedeckelt hat? ({0}) Ist Ihnen bekannt, ob der rot-rote Senat in Berlin in den letzten Jahren die Einkommen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Berlin massiv gekürzt hat?

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Die Frage spricht für sich. Sie war nicht bestellt, aber trotzdem sehr aufschlussreich. Erstens ist mir sehr wohl bekannt, dass die Linkspartei oder PDS - irgendwie heißt sie jeden Monat anders im Berliner Senat vertreten ist. Zweitens ist mir bekannt, dass die Linkspartei offenbar keine Anstalten gemacht hat, höhere Einkommen für Arbeitnehmer in den unteren Lohngruppen oder eine Deckelung der Vorstandsgehälter durchzusetzen. Insofern: Herzlichen Dank für diese Frage. Sie bestätigt wirklich, wie bigott diese Forderungen sind, die Sie hier gestellt haben. ({0}) Lassen Sie mich zum Kerngedanken kommen: Wir brauchen engagierte und qualifizierte Unternehmensführer für die Arbeitsplätze und für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Es ist richtig, dass nicht alle diesen Anforderungen gerecht werden. Nicht alle werden diesen Anforderungen gerecht, aus Unvermögen, die wenigsten wahrscheinlich aus Unwillen. Aber es ist ja geradezu grotesk, anzunehmen, dass dann, wenn wir Aktienoptionen verbieten und Vorstandsgehälter deckeln, auf einmal die Qualität dieser Vorstände besser würde, dass sie bessere Arbeit leisten und mehr Arbeitsplätze in Deutschland schaffen und erhalten würden. Alles in allem, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind dies Vorschläge aus der sozialistischen Mottenkiste. Es sind Vorschläge, die schon einmal in einer deutschen Wirtschaftsordnung nicht funktioniert haben. Wir alle in diesem Hause tun gut daran, wenn wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland, wenn wir den Menschen in Deutschland weitere Experimente à la PDS/Linkspartei ersparen. Entsprechend werden wir diesen Gesetzentwürfen selbstverständlich nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild Dyckmans, FDP-Fraktion. ({0})

Mechthild Dyckmans (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003752, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei Ihren Anträgen und Gesetzentwürfen der letzten Zeit, werte Kolleginnen und Kollegen der Linken, muss man sich wirklich fragen, was Sie eigentlich wollen; denn dass es Ihnen nicht um inhaltliche Regelungen geht, ist mittlerweile den meisten bekannt. Es sind nichts als Schaufenstervorlagen, die Sie hier vorbringen; das haben Sie, Herr Kollege Lafontaine, auch ganz deutlich und ganz offen so ausgesprochen. Denn warum beantragen Sie nicht, wenn Sie eine Mehrheit zum Beispiel für Ihren Vorschlag zum Verbot der Aktienoptionen haben wollen, eine Anhörung im Rechtsausschuss? Warum laden Sie nicht zu einem Berichterstattergespräch ein oder machen wenigstens Ihre Position in der Sitzung des Rechtsausschusses deutlich? Nichts von alledem haben Sie getan, nichts. ({0}) Es geht Ihnen nur um eine populistische Debatte hier im Plenum. ({1}) - Wenn Sie jemanden testen oder vorführen wollen, dann machen Sie das bitte woanders. Das Plenum ist nicht der geeignete Ort dafür. ({2}) Statt zum Beispiel die Aktienoptionspläne als Gehaltsbestandteile der Vorstände zu bekämpfen, könnten Sie ja auch einmal darüber nachdenken, was Sie für die finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn der Unternehmen tun könnten. Es wäre einmal eine besondere Sache, wenn wir positive Vorlagen, bei denen für die Arbeitnehmer auch etwas herauskommt, von Ihnen bekämen. ({3}) Außerdem vielleicht eine kleine Nachhilfestunde: Die auf Aktienoptionen basierenden Vergütungen für Vorstände sind nicht nur in den USA, sondern auch in Europa längst wieder rückläufig. So ist in Deutschland der Anteil der Optionsprogramme an den Managervergütungen bei den DAX-30-Unternehmen um fast 40 Prozent gesunken. Der Markt regelt sich durchaus selber; man muss ihn eben nur lassen. ({4}) Unternehmen machen schon heute ihre Entscheidungen transparenter und verständlicher. Das sehen wir an der Existenz und der ständigen Weiterentwicklung des Corporate Governance Kodexes. In diesem Kodex finden sich klare Regelungen zu Vorstandsvergütungen und Aktienoptionen. Er ergänzt damit die Vorgaben des § 87 Aktiengesetz. Wie Kollege Krings bereits sagte, halten sich die Unternehmen zu über 95 Prozent an diese Sollbestimmungen des Kodexes. Wir sehen also: Transparenz und gesellschaftliche Normen haben einen gewichtigen Einfluss auf die Höhe der Entlohnung. ({5}) Damit bin ich bei der Höhe der Vorstandsvergütungen. Wir können ja durchaus darüber klagen, dass die Vorstandsvergütungen zu hoch sind. Aber wenn Sie die Strukturen der Vorstandsvergütung ändern, wenn Sie diesbezüglich etwas regeln wollen, dann bedenken Sie doch bitte, dass es in Deutschland circa 16 000 Aktiengesellschaften und eben nicht nur die des DAX 30 gibt. Sie stellen aber immer nur auf die Managergehälter dieser 30 Unternehmen ab. Extremfälle dienen Ihnen als Argument. Die Gesetzgebung richtet sich aber an die Allgemeinheit und hat sich nicht an solchen Sondergruppen zu orientieren. ({6}) Ein großer Teil der Vorstandsvergütungen bei deutschen Aktiengesellschaften ist wesentlich geringer als bei den DAX-30-Unternehmen. Was wäre denn die Folge Ihrer Vorschläge? Dies wäre ein Abwandern guter Vorstände aus Deutschland in andere Länder, ({7}) wo ihnen für dieselbe Tätigkeit und Verantwortung mehr gezahlt wird. Wir liegen schon heute mit unseren durchschnittlichen Vorstandsvergütungen in Deutschland unter dem europäischen Maß und unter dem amerikanischen allemal. Es ist doch realitätsfern, zu glauben, dass wir mit einer gesetzlichen Deckelung der Vorstandsgehälter gute Manager in Deutschland halten könnten. Eine Obergrenze auf nationaler Ebene einzuführen, macht gerade wegen der hohen Mobilität dieser Berufsgruppe keinen Sinn. Der Markt für die besten Manager ist - ähnlich wie für die weltbesten Fußballspieler - global und nicht auf ein einziges Land beschränkt. ({8}) Ihnen geht es mit Ihren Vorschlägen doch im Grunde nur um staatliche Reglementierung und Staatseinfluss. Sie wollen eine Staatswirtschaft à la DDR. Dies hat aber in der Vergangenheit noch in keinem Land zu besseren Lebensbedingungen für Bürgerinnen und Bürger geführt. ({9}) Für die FDP sage ich ganz klar: Wir wollen diese staatliche Einschränkung der unternehmerischen Freiheit nicht. Wenn gesetzliche Regelungen in diesem Bereich erforderlich sein sollten, dann ist für uns der einzige Weg die Stärkung der Aktionärsrechte. ({10}) Denn die Aktionäre und nicht der Gesetzgeber oder die Öffentlichkeit sind die Eigentümer der Gesellschaften. Nur sie haben über die Geschicke der Unternehmen und gegebenenfalls über die Managergehälter zu entscheiden. Wenn Sie einen Kleinaktionär fragen, dann wird er Ihnen genau das sagen: Es ist nicht Aufgabe des Staates, diese Fragen gesetzlich zu regeln, sondern es ist seine eigene Aufgabe als Eigentümer der Gesellschaft. Danke schön. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus Uwe Benneter, SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Zugegeben, auch mir wird schwindlig, wenn ich mir die Gehälter des einen oder anderen Topmanagers anschaue. 15 Millionen Euro kassierte der Vorstandsvorsitzende von RWE, Harry Roels, im vergangenen Jahr, dicht gefolgt von Josef Ackermann, der es immerhin auf 13,2 Millionen Euro brachte. Das ist maßlos, das ist unverfroren, und das ist dreist. ({0}) Das ist empörend, Herr Lafontaine. Maßlos, unverfroren und dreist ist auch, dass solche Gehälter in keinem Verhältnis mehr zur Lage der jeweiligen Aktiengesellschaft und zur tatsächlichen Leistung dieser Vorstände stehen. ({1}) Es trifft ebenfalls zu, die Entwicklung der Managergehälter der letzten Jahre als geradezu obszön zu bezeichnen. ({2}) Natürlich empört es mich, wenn ein Friseur in Sachsen nach Tarif 3,82 Euro pro Stunde verdient und diese Manager im gleichen Zeitraum 1 700 Euro einstreichen. Aber was machen nun unsere PDS-Empörer vom Dienst daraus? ({3}) Sie schlagen vor, die Vorstandsbezüge durch Gesetz zu deckeln und durch ein weiteres Gesetz Aktienoptionen für Vorstände zu verbieten. Mit zwei Gesetzentwürfen auf sechs Seiten erklären Sie uns, wie wir soziale Gerechtigkeit per Gesetz herstellen können. ({4}) Schön, dass das Leben zumindest für unsere PDS-Empörer vom Dienst so einfach ist. Nur schade, dass die Vorstellungen dieser Kollegen mit der Realität wenig zu tun haben. Die Wirklichkeit ist halt komplizierter als ein Sozialismus nach zentralen Planvorgaben. ({5}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, Sie fordern, per Gesetz dafür zu sorgen, dass unverschämt überbezahlte Manager nicht mehr als das 20-Fache des am schlechtesten bezahlten Angestellten verdienen dürfen. Alles verfassungswidrig; das wissen Sie auch. Aber weil Sie wissen, dass das nur Propaganda ist, ({6}) fordern Sie auch noch, dass wir diesen Unsinn in namentlicher Abstimmung zurückweisen. Kein Sorge, wir werden Ihnen diesen Gefallen tun. Schauen Sie sich unsere vorhandenen Gesetze doch erst einmal an, bevor Sie mit Ihren abstrusen Ideen um die Ecke kommen und damit wieder einmal die Lufthoheit über den Stammtischen erobern wollen. ({7}) Wir sind geduldig und erklären Ihnen immer wieder: Wir leben jetzt in einer sozialen Marktwirtschaft; über die Vergütung des Vorstands einer Aktiengesellschaft bestimmt sein Aufsichtsrat. § 87 des Aktiengesetzes legt schon heute fest, dass die Gesamtbezüge eines Vorstandsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft zu stehen haben. ({8}) Die erforderliche Angemessenheit bezieht sich dabei gerade nicht auf die Höhe der Gesamtbezüge, sondern auf deren Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Aktiengesellschaft. Es müsste doch auch einem PDS-Empörer vom Dienst einleuchten, dass die internationale Konkurrenz auf dem Markt der Vorstandsmitglieder es nicht ermöglicht, in Deutschland durch ein nationales Gesetz absolute Höchstgrenzen für die Bezüge von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften einzuführen. ({9}) - Das müsste auch Ihnen, Herr Lafontaine, einleuchten. ({10}) Die Aufgaben der einzelnen Vorstandsmitglieder und die Lage der jeweiligen Aktiengesellschaft sind viel zu verschieden, als dass man per Gesetz eine Höchstgrenze für Vorstandsbezüge festlegen könnte. Wir haben es hier eben nicht mehr mit Kombinaten zu tun. Wir müssen hier einmal mehr die Auswirkungen der Globalisierung zur Kenntnis nehmen und uns darauf einrichten, nicht indem wir Fensteranträge für die Stammtische schreiben, sondern indem wir seriös und ernsthaft einen Rahmen für die Bezügekriterien vorgeben. Meine Kollegen Vorrednerinnen und Vorredner haben schon darauf hingewiesen, dass wir da in den letzten Jahren nicht untätig waren. Der Vorwurf, dass die Höhe von Vorstandsbezügen unanständig, ja geradezu obszön und unverantwortlich ist, ({11}) ist berechtigt. Er betrifft zuerst die Aufsichtsräte ({12}) und damit leider auch viele dort vertretene Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in diesen Aufsichtsräten. ({13}) Heute gilt: Der Aufsichtsrat muss die Angemessenheit sorgfältig prüfen. Wenn er dieser Pflicht nicht nachkommt, macht er sich schadensersatzpflichtig, genau wie Vorstandsmitglieder, die sich begünstigen lassen. All das ist schon heute im Gesetz geregelt. Hier sind verantwortliches Verhalten, vor allen Dingen Selbstkontrolle der Aufsichtsräte, der Verbandsfunktionäre und der Vorstände gefragt. ({14}) Herr Lafontaine, das hat übrigens schon der Bankier und Vordenker des PDS-Gesetzenwurfs, John Morgan, gewusst, als er bei einer Anhörung im amerikanischen Kongress erklärte, dass in erster Linie der Charakter zähle. Das zu bedenken, würde ich auch dem einen oder anderen hier empfehlen. ({15}) Zur Stärkung ebendieser Selbstkontrolle haben wir 2002 den Corporate Governance Kodex auf den Weg gebracht. Außerdem haben wir per Gesetz - die Kollegen haben das erwähnt - die Offenlegung der Vorstandsvergütungen beschlossen. Durch Offenlegung wird transparent, ob die im Aktiengesetz verankerten Vorgaben - insbesondere seitens der Aufsichtsräte - eingehalten werden. Beides, der Corporate Governance Kodex und das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz, sind wichtige Instrumente, um die Gier dreister Vorstände ausbremsen zu können. Nun komme ich auf Ihren Gesetzentwurf zu sprechen, in dem der Umgang mit Aktienoptionen behandelt wird. Wenn ich lese, dass sich der Wert von Aktienoptionen des ehemaligen Daimler-Chrysler-Chefs Schrempp auf mehr als 50 Millionen Euro belaufen soll, dann kann auch ich einen dicken Hals bekommen, und zwar nicht aus Neid, sondern aus Wut über die Dreistigkeit, mit der ein erwiesen unfähiger Manager, der Tausende Arbeitsplätze vernichtet hat, sich selbst bedient. ({16}) Aber abschaffen per Gesetz, meine Kollegen von der PDS, funktioniert auch hier nicht so einfach, wie sich das Klein Fritzchen oder Klein Oskarchen so vorstellt. Aktienoptionen haben sich mittlerweile leider zu einem festen Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitgliedern entwickelt. Sie sind international weit verbreitet. Sicher, Aktienoptionen sind ein ökonomischer Anreiz, den Unternehmenswert zu erhöhen. Das birgt Missbrauchsgefahren wie die meisten anderen Vergütungsformen auch. Ich habe es Ihnen aber schon einmal erklärt: Es gibt in Deutschland längst eine ganze Reihe von Regelungen, die diesem Missbrauch vorbeugen. Es ist nämlich falsch, zu behaupten, dass Aktienoptionen, so wie unser Aktiengesetz sie zulässt, systematisch die kurzfristige Unternehmensausrichtung auf Gewinnmaximierung und Renditesteigerung allein fördern würden. Aktienoptionsprogramme können bei uns nur unter der Mitwirkung der Hauptversammlung und damit in voller Transparenz beschlossen werden. Es kann also offen von allen Aktionären erörtert werden, ob das Programm den langfristigen Aktionärsinteressen entspricht. Außerdem dürfen Aufsichtsräte nicht Begünstigte solcher Programme sein. Es gibt gesetzlich vorgeschrieben die Möglichkeit einer zweijährigen Wartezeit, damit mit solchen Optionen nicht kurzfristig agiert werden kann. All das steht schon heute im Gesetz. Mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz haben wir für mehr Transparenz bei den Aktienoptionen gesorgt. Wenn man Aktienoptionsprogramme abschafft, dann lassen sich die Vorstände etwas anderes einfallen und weichen auf Phantom-Stock-Programme oder Ähnliches aus. Sie, meine lieben PDS-Empörer vom Dienst, müssen sich mit uns und den Gewerkschaften schon etwas Intelligenteres einfallen lassen, wenn Sie diesen tatsächlich üblen Missständen beikommen wollen. ({17}) Gestalten, meine Kolleginnen und Kollegen PDS-Empörer, ist schwieriger, als Menschen aufzuwiegeln und Empörung zu organisieren. Das unterscheidet Sozialdemokraten von der PDS, mit oder ohne Lafontaine. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Gerhard Schick, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da läuft die Große Koalition schön in die Falle. Sie sagen im Endeffekt - ich fasse das einmal zusammen -: Die soziale Marktwirtschaft, so wie wir sie haben, ist in Ordnung. Dann gibt es das große Klagen über ein paar Manager, die aus dem Rahmen fallen. Aber die Feststellung, Herr Benneter, die Sie selber getroffen haben, dass das Verhältnis zwischen der Situation der Gesellschaft und den Aufgaben der Vorstände einerseits und den Entlohnungen andererseits nicht mehr stimmt, sagt doch nichts anderes, als dass die Regelung im Aktiengesetz nicht ausreichend ist. Deswegen ist die Kritik, die die Linkspartei vorträgt, richtig. Man kann nicht nur klagen, sondern es muss, wenn der Rahmen nicht mehr stimmt, gesetzlich etwas geändert werden. Wir sind dafür, das zu tun. ({0}) Nun zu Ihren Ausführungen zur sozialen Marktwirtschaft, Herr Krings. Ich habe mir einmal überlegt, was die meisten Mitglieder Ihrer Partei wohl darüber denken. Sie waren einmal die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Schauen Sie sich einmal an, was soziale Marktwirtschaft bedeutet. Das heißt doch nicht nur: Wir machen einen Grundsockel für die Schwächsten, ansonsten kann passieren was will. ({1}) Schauen Sie sich genau an, was die Vordenker Ihrer Partei früher geschrieben haben. ({2}) Bei Walter Eucken steht eindeutig: Man muss etwas gegen die Auseinanderentwicklung bei den Einkommen tun. ({3}) Dort steht etwas über Leistung und Gegenleistung. Ich frage Sie: Wo ist die Gegenleistung, wenn ein 44-jähriger Manager nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen jedes Jahr noch 400 000 Euro bekommt? Das ist keine soziale Marktwirtschaft. Sie müssen etwas tun, ({4}) wenn Sie weiterhin die Partei der sozialen Marktwirtschaft bleiben wollen. ({5}) Wir lehnen den konkreten Vorschlag ab, weil wir meinen, dass er zu kleinteilig ist und dass Sie mit dem Faktor 20 die Frage nach der Gerechtigkeit, nach der Lohnspreizung nicht richtig beantworten. ({6}) Wir müssen vielmehr an folgende Frage herangehen: Warum klappt es eigentlich nicht, dass die Aufsichtsräte wirksam Kontrolle ausüben? Deswegen wollen wir kleinere, effektivere Aufsichtsräte. Wir wollen mehr Transparenz schaffen. Das Offenlegungsgesetz war gut, ({7}) aber es ist nicht ausreichend. Wir müssen es weiterentwickeln und darauf reagieren, dass neue Schlupflöcher gefunden worden sind. Wir brauchen natürlich auch Leistung und Gegenleistung und eine klare Haftungsregel für Manager, damit dem etwas entgegensteht. ({8}) Wir müssen die Klagerechte für einzelne Aktionärinnen und Aktionäre für den Fall verbessern, dass der Vorstand und der Aufsichtsrat nicht im Interesse der Gesellschaft handeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Großen Koalition, einfach nur zu sagen, alles sei gut, und dann wieder Empörung zu äußern, wird nicht ausreichen. ({9}) Wir fordern Sie auf: Tun Sie etwas gegen Exzesse, damit unsere Marktwirtschaft eine soziale Marktwirtschaft bleibt! ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Aktien- gesetzes auf Drucksache 16/1444. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/5524, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist in zweiter Beratung bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hauses im Übrigen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge- schäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Aktiengesetzes auf Druck- sache 16/3015. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/5524, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke abzulehnen. Die Fraktion Die Linke verlangt namentli- che Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.1) Bevor wir die Beratungen fortsetzen, möchte ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre Plätze wieder ein- zunehmen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({0}) - Drucksache 16/5172 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) - Drucksache 16/7214 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Renate Schmidt ({2}) Cornelia Hirsch - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7215 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Willsch Klaus Hagemann Ulrike Flach Dr. Gesine Lötzsch Anna Lührmann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer 1) Ergebnis Seite 13343 D Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Renate Schmidt ({5}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD BAföG an neue Entwicklungen anpassen Auszubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufenthalte erleichtern, Migrantenförderung verbessern und Hinzuverdienstgrenzen erhöhen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Uwe Barth, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Studierende Mütter durch die Sofortmaßnahme Baby-BAföG unterstützen - zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Statt Nullrunde - BAföG angleichen - zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sofortmaßnahmen beim BAföG - Für mehr Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungsbeteiligung - Drucksachen 16/4162, 16/3142, 16/4157, 16/4158, 16/7214 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothee Bär Renate Schmidt ({7}) Cornelia Hirsch c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({8}) und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Ausbildungsförderungsbedarfs - Drucksache 16/5808 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Annette Schavan.

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr Geld für BAföG-Empfänger, mehr Schüler und Studierende, die BAföG bekommen werden, und Schritte zur Modernisierung und Internationalisierung - das ist die dreifache Botschaft, die mit der heute zu beratenden und zu verabschiedenden BAföG-Novelle verbunden ist. Wir werden damit die erste substanzielle Erhöhung seit 2001 beschließen. Wir erhöhen die Bedarfssätze um 10 Prozent und die Freibeträge um 8 Prozent. ({0}) Das heißt, Schüler und Studierende bekommen eine spürbar höhere Förderung. Bei Studierenden steigt der derzeitige Höchstsatz von 585 Euro monatlich auf künftig 643 Euro. Der Bund wird - die Voraussetzungen dafür sind in dieser Woche im Haushaltsausschuss geschaffen worden - allein im ersten vollen Jahr nach Inkrafttreten der Novelle, also im Jahre 2009, über 300 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. ({1}) Wir rechnen mit 18,5 Prozent mehr Geförderten, also rund 100 000 zusätzlichen Schülern und Studierenden, die eine Förderung erhalten werden. Das heißt, dass der Anteil der durch BAföG Geförderten erstmals bei fast 30 Prozent liegen wird. ({2}) Das ist möglich durch ein hohes Engagement beider Regierungsfraktionen und beider Partner in der Regierung. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken, nicht zuletzt auch für den Verlauf der Haushaltsberatungen in dieser Woche. Denn es ist ja kein Geheimnis, dass wir uns zu Beginn dieses Jahres, als wir uns im Kabinett mit Impulsen für die Modernisierung und Internationalisierung im Bildungsbereich beschäftigt haben, noch nicht sicher waren, ob es im Laufe des Jahres eine BAföG-Erhöhung geben kann. Ich habe damals genau das vertreten, was wir im Kabinett besprochen und beschlossen hatten. Wir haben im Laufe des Jahres gesehen, dass die Konjunktur sich gut entwickelt und mehr möglich ist, als wir dachten. Deshalb sage ich noch einmal Dank an diejenigen, die dazu beigetragen haben, dass wir nun gemeinsam diese positive Botschaft an die Schüler und Studierenden in Deutschland richten können. Modernisierung und Internationalisierung waren Elemente, die wir bereits im Frühjahr im Kabinett verabschiedet haben. Ich glaube, dass sie sehr wichtig sind. Dazu gehört die Familienförderung. Die Zahlung eines Kinderbetreuungszuschlages für das erste Kind in Höhe von 113 Euro und für jedes weitere Kind in Höhe von 85 Euro monatlich - es handelt sich um einen Vollzuschuss ohne Darlehensanteil ({3}) ist ein nächster wichtiger Impuls unserer Familienpolitik. ({4}) Ebenso bedeutsam ist im Kontext unserer integrationspolitischen Debatten und des Nationalen Integrationsplanes, dass künftig alle Studierenden mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben und voraussichtlich auch bleiben werden, BaföG-berechtigt werden. Dieser Schritt ist nach so vielen Jahren, in denen es schon ausländische Studierende in Deutschland gibt, überfällig. Nun ist nicht mehr wie in der Vergangenheit die Mindesterwerbsdauer der Eltern ausschlaggebend, sondern lediglich die Bleibeperspektive der Studierenden. Das ist ein wichtiger Impuls im Rahmen unserer Integrationspolitik. ({5}) Zur Internationalisierung. Früher wurde ein Studium in der Regel in Deutschland begonnen, und dann wurden Auslandssemester eingelegt. Wir wissen aber: Der Anteil derer, die daran interessiert sind, ihr Studium im Ausland zu beginnen, nimmt zu. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir künftig keine Orientierungsphase mehr verlangen bzw. dass die sogenannte obligatorische Orientierungsphase wegfällt und ein Studium von Beginn an, auch wenn es außerhalb Deutschlands begonnen wird, gefördert wird. Das ist ein wichtiger Schritt zur Internationalisierung. ({6}) Schließlich werden die Hinzuverdienstgrenzen für alle Auszubildenden vereinheitlicht und angehoben. Das heißt, künftig können alle Auszubildenden einheitlich und ohne Differenzierung nach Ausbildungsart - das gilt also für Schüler und Studenten gleichermaßen - ohne Anrechnung auf das BAföG 400 Euro netto pro Monat hinzuverdienen. Das gilt für das klassische Beispiel: Wer nebenher regelmäßig einem Minijob nachgeht, wird künftig keine Kürzung des BAföGs mehr zu befürchten haben. ({7}) Meine Damen und Herren, es wird zwei Zeitpunkte für die Einführung dieser Regelungen geben. Die von mir zuletzt genannten Impulse zur Modernisierung und Internationalisierung werden unmittelbar nach Verkündung des Gesetzes in Kraft treten. Die Anhebung der Freibeträge und der Bedarfssätze wird zum Beginn des kommenden Wintersemesters, also im Jahre 2008, eingeführt werden. Das, was wir heute hier beraten und beschließen, ist also ein zweigestuftes Verfahren. Dadurch wird die Bundesausbildungsförderung modernisiert, und es werden wichtige Impulse gesetzt. Vor allen Dingen werden die Mittel, die die Bundesregierung bereitstellt übrigens unter Beteiligung der Länder; denn bekanntlich sind beim BAföG Bund und Länder gemeinsame Akteure -, ({8}) im nächsten und übernächsten Jahr erheblich erhöht. Mit Blick auf die Kurve der Studienanfängerzahlen glaube ich, dass wir dies zum richtigen Zeitpunkt tun. Vermutlich werden wir zum Wintersemester dieses Jahres die Abwärtskurve in Deutschland erstmals gestoppt haben. Es gibt also wieder mehr Studierende in Deutschland; das ist wichtig. ({9}) Die Stimmung für das Studieren wird besser; auch das ist wichtig. Dieses Gesetz ist unser Signal an die Studierenden, dass wir ihre Bemühungen unterstützen und dass uns wichtig ist, ihnen nicht nur eine gute Ausbildung zu ermöglichen und Exzellenz an unseren Hochschulen zu gewährleisten, sondern ihnen auch vernünftige Möglichkeiten zu geben, ihr Studium zu finanzieren. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 35 zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Aktiengesetzes bekannt, Drucksachen 16/3015 und 16/5524: Abgegebene Stimmen 536. Mit Ja haben gestimmt 50, mit Nein haben gestimmt 481, Enthaltungen 5. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 536; davon ja: 50 nein: 481 enthalten: 5 Ja DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Wolfgang Gehrcke Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Katrin Kunert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({0}) ({1}) Dr. Herbert Schui Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Renate Blank Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({2}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({3}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({4}) Dirk Fischer ({5}) Axel E. Fischer ({6}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({7}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Peter Hintze Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({8}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernd Neumann ({14}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Andreas Schmidt ({17}) Ingo Schmitt ({18}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({19}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({20}) Gerald Weiß ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({22}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({23}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({24}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf ({25}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({26}) Nina Hauer Dr. Reinhold Hemker Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({27}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({28}) Frank Hofmann ({29}) Eike Hovermann Christel Humme Brunhilde Irber Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({30}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({31}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({32}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Mechthild Rawert Steffen Reiche ({33}) Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Karin Roth ({34}) Michael Roth ({35}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({36}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({37}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({38}) Silvia Schmidt ({39}) Renate Schmidt ({40}) Heinz Schmitt ({41}) Carsten Schneider ({42}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz ({43}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Petra Weis Gunter Weißgerber ({44}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({45}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({46}) Angelika Brunkhorst Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({47}) Dr. Edmund Peter Geisen Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({48}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({49}) Martin Zeil BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({50}) Volker Beck ({51}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Hans-Josef Fell Anja Hajduk Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({52}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({53}) Anna Lührmann Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller ({54}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Claudia Roth ({55}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Enthaltung BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bettina Herlitzius Dr. Anton Hofreiter Monika Lazar Hans-Christian Ströbele Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege Uwe Barth, FDP-Fraktion. ({56})

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von allen Änderungen, die in der 22. Novelle zum Bundesausbildungsförderungsgesetz enthalten sind, ist die wesentliche und für die von diesem Gesetz Betroffenen interessanteste mit Sicherheit die Erhöhung der Bedarfssätze und der Freibeträge um 10 bzw. 8 Prozent. ({0}) Dieses Vorhaben ist gut, weil hier dringender Bedarf besteht; die letzte Erhöhung datiert schließlich noch aus dem Jahr 2001. Trotz allem ist das aber nicht genug, weil wir mit diesem Gesetz ein angestaubtes und in der Tat unzeitgemäßes Förderinstrument nur ein klein wenig aufpeppen. ({1}) Dass das so ist, wissen insbesondere Sie, Frau Ministerin, sehr gut. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Sie von Spiegel Online noch damit zitiert, Sie hätten die KfW-Kredite als „Meilenstein in der Studentenförderung“ gefeiert. Außerdem hieß es dort, Sie seien keine flammende Befürworterin des BAföGs, sondern hielten, ganz im Gegenteil, seine Abschaffung durchaus für möglich. ({2}) Daher frage ich Sie: Warum halten Sie trotz dieser Erkenntnis an diesem Gesetz fest? ({3}) Der wirtschaftliche Aufschwung und die damit zusammenhängenden Steuermehreinnahmen haben nun die Möglichkeit eröffnet, diesen alten Karren sozusagen mit einer neuen Lackschicht zu versehen. Natürlich freut es die FDP, uns Bildungspolitiker und wohl am meisten die BAföG-berechtigten Schüler, Studenten und Auszubildenden - natürlich jeweils auch in der weiblichen Form -, dass sie nun etwas mehr Geld zur Sicherung ihres Lebensunterhalts in der Tasche haben. ({4}) Dies ist mit der Gesetzesänderung erst einmal gesichert. Wenn man sich den langen, verschlungenen und in der Tat von vielen Änderungen begleiteten Weg dieses Gesetzentwurfes einmal ansieht, könnte man sogar zu der Auffassung gelangen, das sei schon viel. Mit Blick auf die Realität des Jahres 2007 muss man allerdings sagen: Es ist schlicht und ergreifend nicht genug. ({5}) Mit einer Erhöhung der Bedarfssätze und den weiteren vorgesehenen Änderungen ist es nicht getan. Ich will Ihnen auch zeigen, warum das so ist: Insgesamt bekommen derzeit etwa 25 Prozent der Studenten BAföG. Knapp die Hälfte davon bekommt den Höchstsatz. Das heißt, dass etwas mehr als 10 Prozent aller Studenten den BAföG-Höchstsatz bekommen. Doch angesichts der Tatsache, dass laut einer Erhebung des Studentenwerkes 20 Prozent aller Studenten - jeder Fünfte! - mit weniger als dem BAföG-Höchstsatz ihr Leben bestreiten müssen, wird klar, dass hier etwas im Argen liegt. Denn wie kann es sein, dass doppelt so viele Studenten mit weniger Geld auskommen müssen als die 10 Prozent, die den BAföG-Höchstsatz bekommen? ({6}) Gerade die SPD wird immer wieder zitiert, dass sie das BAföG vor allem als sozialpolitisches Instrument betrachtet. ({7}) Das heißt, Ihr Fokus liegt auf den 10 Prozent der Studierenden aus den einkommensschwächsten Schichten. Sie vernachlässigen dabei aber die deutlich größere Gruppe von Studierenden, die aus marginal einkommensstärkeren Schichten der Bevölkerung kommen, aber aufgrund der Förderstruktur des BAföG durch den Rost fallen. ({8}) Das ändern Sie auch mit einer permanenten Erhöhung der Freibeträge nicht. Deswegen wiederhole ich, was ich bereits im Ausschuss gesagt habe: Unser Problem sind nicht die Studenten, die den Höchstsatz bekommen - unsere Aufmerksamkeit brauchen diejenigen, die aus Familien mit mittlerem Einkommen, mit einem Arbeitseinkommen kommen und von ihren Eltern eben nicht adäquat unterstützt werden können. ({9}) An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen, kulminieren in der Hochschulpolitik die gesammelten Fehlleistungen dieser Koalition. ({10}) Angefangen bei der Mehrwertsteuererhöhung bis hin zur Frage der Verwendung der sogenannten Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit wird immer wieder klar: Sie nehmen den Menschen so viel von ihrem Erarbeiteten weg, dass es inzwischen nicht einmal der Mittelschicht mehr möglich ist, ihre Kinder in ihrer Ausbildung adäquat zu unterstützen. ({11}) Das ist nicht nur sozialpolitisch, das ist auch bildungspolitisch ein Skandal. ({12}) Die Koalition bietet uns mit diesem Gesetz den Spatz in der Hand. Den nehmen wir; wir sollten aber weiter nach der Taube auf dem Dach trachten. Der Systemwechsel zu einer elternunabhängigen, individuell bedarfsorientierten Bildungsfinanzierung - natürlich mit einem erhöhten Darlehensanteil, gleichzeitig aber mit einer Verbesserung der Beratung der Studierenden über die Möglichkeiten der Studienfinanzierung, über Stipendien und Darlehen - ist das Modell der Zukunft. ({13}) Angesichts einer Koalition der Stellschraubendreher ist eine echte Reform leider nicht zu haben. Um zumindest Härten zu vermeiden, werden wir uns jedoch, wie wir im Ausschuss klargemacht haben, nicht verweigern, zumal einige unserer Änderungsanträge und Änderungsvorschläge in der Novelle Berücksichtigung gefunden haben. Was wir beim Thema „studierende Mütter“ zu kritisieren haben, wird meine Kollegin Lenke nachher noch vortragen. Ich will hier jedoch sagen: Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen, den Systemwechsel jedoch weiterhin mit Nachdruck verfolgen. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Renate Schmidt, SPD-Fraktion. ({0})

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Manche mögen sich gewundert haben, wieso ausgerechnet ich in den Bildungsausschuss - und dies als Berichterstatterin für das BAföG - wollte. ({0}) Der Grund ist ein ganz einfacher: Ich wollte zurück zu meinen parlamentarischen Wurzeln. Diese sind neben der Familienpolitik das BAföG, wofür ich von 1980 bis 1987 Berichterstatterin war. ({1}) In diesen Jahren haben sich die jeweiligen Koalitionen ganz schön gefetzt, und die FDP war auf jeder Seite immer mit dabei. ({2}) Da sprach der damalige Unionskollege Klaus Daweke vom „Engholm’schen Steckrüben-Winter“ und die SPDAbgeordnete Renate Schmidt von der „Wilms’schen Wassersuppe“, als die Union und die FDP beim Regierungswechsel 1982 das Schüler-BAföG weitestgehend abgeschafft und das Studenten-BAföG verschlechtert hatten. ({3}) Bei allem ehemaligen Streit, den wir miteinander hatten, sollten wir nicht vergessen: Das BAföG ist ein gemeinsames Kind von SPD und Union. ({4}) Es wurde 1969 durch die erste Große Koalition gezeugt. ({5}) Es wurde vielfach verändert: Es wurde verbessert, verschlechtert, gänzlich infrage gestellt, ausgezehrt und von Edelgard Bulmahn dann wieder aufgepäppelt. ({6}) Ich wollte mit dieser Entscheidung aber nicht nur zu meinen Wurzeln zurück, sondern das BAföG gemeinsam mit meiner Fraktion und der Koalition in dieser Legislaturperiode auch deutlich erhöhen. Das habe ich im ersten Berichterstattergespräch sehr deutlich gemacht. Frau Ministerin, ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit uns gemeinsam an der Spitze der Bewegung für das BAföG gekämpft hätten und nicht im Regelfall als Nachhut hinterhergelaufen wären. ({7}) Dennoch verkenne ich nicht, Frau Ministerin, dass es für Sie ein langer, schwieriger und sicherlich nicht ganz einfacher Weg war: angefangen von Ihrer Absicht im April 2005, das BAföG auslaufen zu lassen und stattdessen Studienkredite anzubieten, wie es der Kollege Barth gerade gefordert hat, über die ursprünglich beabsichtigte kleine Novelle ohne jegliche Erhöhung und die dann vorgesehene zweistufige Anpassung von Freibeträgen und Bedarfssätzen bis hin zur heute hier vorliegenden 22. Novelle, in der eine Erhöhung der Freibeträge um 8 Prozent und der Bedarfssätze um 10 Prozent in einem Schritt ab dem Wintersemester 2008 vorgesehen ist. ({8}) Es war für Sie auch ein nicht ganz einfacher und wahrscheinlich schwieriger Weg von dem Schreiben der damaligen baden-württembergischen Bildungsministerin Schavan an ihre Länderkollegen, für die Förderung beim zweiten Bildungsweg über Kollegs, Berufsoberschulen und Abendgymnasien eine dreijährige vorherige Erwerbstätigkeit zu fordern, bis hin zu dem heute hier vorliegenden Status quo, das heißt der uneingeschränkten Aufrechterhaltung der Förderung beim zweiten Bildungsweg ohne jegliche zusätzliche Bedingungen. Weil Ihr Weg von der Absicht des Auslaufenlassens des BAföG über Ihre ziemlich zurückhaltende Bescheidenheit bei den Reformbemühungen bis hin zur Einsicht der Notwendigkeit einer deutlichen Erhöhung so weit war, bedanke ich mich - das ist ernst gemeint - bei Ihnen, Frau Ministerin Schavan, dafür, dass Sie uns, die SPD, als BAföG-Fraktion nach einem gewissen Zögern letztendlich unterstützt haben. ({9}) Renate Schmidt ({10}) Ich danke natürlich auch meiner eigenen Fraktion - allen voran Peter Struck und unserem Haushälter Klaus Hagemann ({11}) und unserem Koalitionspartner, die mitgeholfen haben, unser gemeinsames Kind BAföG deutlich zu verschönern. ({12}) Vor allen Dingen danke ich aber dem Bundesfinanzminister, der trotz seiner berechtigten Bemühungen, den vielfältigen Ausgabenwünschen entgegenzutreten, deutlich gemacht hat, dass die zusätzlichen Ausgaben für das BAföG Investitionen in die Zukunft sind, ({13}) Investitionen, die dringend notwendig sind, und zwar in dem Sinne, Not zu wenden; denn im internationalen Vergleich haben wir zu wenig Studierende, und wir verschwenden Talente, wenn wir es weiter zulassen, dass trotz gleicher Begabung in so hohem Ausmaß aus Arbeiterkindern Arbeiter und aus Akademikerkindern Akademiker werden. ({14}) Bildung - das war einmal ein Aufstiegsversprechen. Das ist es nicht mehr. Wir haben dafür zu sorgen - gerade auch hier im Deutschen Bundestag -, dass es das wieder wird. ({15}) Das BAföG ist dafür selbstverständlich nicht das einzige Instrument, aber ein wichtiges. Es ist ein Instrument für Chancengleichheit und höhere Studierendenzahlen. Durch eine Kombination von Begabtenförderung und Studienkrediten - so sinnvoll diese ergänzend auch sein mögen - kann es nicht ersetzt werden. ({16}) Kredite sind immer die schlechtere Lösung, weil dadurch junge Menschen mit einem Schuldenberg, der bis auf 120 000 Euro anwachsen kann, in ihr Berufsleben entlassen werden. ({17}) Berufliche Unabhängigkeit, Familiengründung, Schaffung von Eigentum - all das wird vor einem solchen Hintergrund zu einem unerfüllbaren Wunschtraum. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Koalition, dass das ganze Parlament am BAföG festhält, dass der Anteil der Geförderten nicht sinkt, sondern ansteigt und dass sich die Notwendigkeit des Nebenherjobbens vor allem in Zeiten von Bachelor und Master in Grenzen hält. ({18}) Deshalb ist die Anhebung der Freibeträge um 8 Prozent und der Bedarfssätze um 10 Prozent ab dem Wintersemester 2008 ein wichtiger und großer Schritt nach vorne. Rund 100 000 Studierende werden - Frau Ministerin hat es gerade erwähnt - zusätzlich gefördert, und das mit höheren Beträgen, genauso wie all diejenigen, die bislang gefördert wurden. ({19}) Natürlich wünscht sich die Opposition mehr, und das sofort. Das ist ihr gutes Recht. Unsere Pflicht als Regierungskoalition ist aber, aus dem Wünschenswerten das Machbare zu machen und dies in den finanziellen Kontext einzubetten. Lassen Sie mich deshalb noch auf zwei Punkte der Vorlagen der Linken eingehen. Erstens. Wir halten Studiengebühren für einen Irrweg. ({20}) Wir halten es für einen doppelten Irrweg, diese falschen, auf Landesebene erhobenen Studiengebühren vom Bund finanzieren zu lassen ({21}) und dann den Versuch zu unternehmen, die Länder dafür in Anspruch zu nehmen. Dies kann nur scheitern. ({22}) Zweitens. Es ist mindestens ein dreifacher Irrweg, ein elternunabhängiges BAföG als vollen Zuschuss für alle Studierenden zu fordern. Dies wäre mit 20 Milliarden Euro Mehrkosten nicht nur unfinanzierbar, sondern auch sozial ungerecht; denn mit den Steuermitteln von Verkäuferinnen finanzierten sich die Millionärssöhne dann ihr Sportwägelchen. ({23}) Das hätte eine Zerstörung der Akzeptanz des BAföG zur Folge und würde es sturmreif für diejenigen schießen, die es in Wirklichkeit gar nicht wollen. ({24}) Ein richtiger Schritt - in diesem Fall zurück, weg von der ursprünglichen Novelle - ist ebenfalls, den zweiten Bildungsweg nicht durch zusätzliche Bedingungen zu erschweren. Auch hier gilt: Wir können uns eine Verschwendung von Talenten nicht leisten. Wir haben zu wenige Studierende auch deshalb, weil wir zu wenige Abiturienten und Abiturientinnen haben. Die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems nach unten funktioniert hervorragend. Die Durchlässigkeit nach oben herzustellen, ist mühsam und beschwerlich. ({25}) Deshalb dürfen wir jungen, ehrgeizigen Berufsaufsteigerinnen und -aufsteigern keine zusätzlichen Steine in den Weg legen. Lassen Sie mich auf zwei weitere wichtige Verbesserungen der 22. BaföG-Novelle eingehen. Die zusätzliche Förderung von Studierenden mit Kindern ist eine längst überfällige Verbesserung. Hier danke ich vor allem der Kollegin Bär, die sich dies genauso wie die SPD-Fraktion zu einem Herzensanliegen gemacht hat. ({26}) Renate Schmidt ({27}) Diese neue Familienförderung wird das Zeitfenster für die Familiengründung ein Stück weiter öffnen - das ist dringend notwendig -, wenn es gelingt - das ist wichtig -, eine verbesserte Kinderbetreuung an den Hochschulen anzubieten. Hier sind vor allen Dingen die Länder gefordert. Es gibt zudem Verbesserungen für Migranten und Migrantinnen sowie Auslandsstudierende. Letztere können künftig ab dem ersten Semester BAföG-gefördert im Ausland studieren. Auslandsstudien werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Deshalb hat sich die Koalition vorgenommen, zeitnah - ich hätte gern, dass wir das bis zum Sommersemester 2008 unter Dach und Fach bringen - zinsbegünstigte Studienkredite der KfW auch für Auslandsstudierende anzubieten. Sehr geehrte Frau Ministerin, die 22. BAföG-Novelle ist letztendlich von einem Reförmchen zu einer ausgewachsenen Reform mit einem Finanzvolumen von mehr als einer halben Milliarde Euro geworden. ({28}) Die SPD als BAföG-Partei beansprucht einen wesentlichen Anteil an diesem Werdegang. ({29}) Dennoch ist damit aus meiner Sicht nicht alles erledigt. Wir werden uns umgehend an die Erarbeitung des Entwurfs eines BAföG-Modernisierungsgesetzes machen, das noch vorhandene Ungereimtheiten beseitigen und der Umstellung auf Bachelor und Master überall Rechnung tragen wird. Für uns wird das BAföG immer ein zentraler Punkt bei der Herstellung von Chancengleichheit bleiben, für die Kinder unseres Volkes, aber vor allen Dingen für die Zukunft unseres Volkes. ({30})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schmidt, die Linke hält die heute diskutierte BAföG-Novelle nicht für eine ausgewachsene Reform, wie Sie sie bezeichnet haben. Wir sind der Auffassung, diese Reform ist - wenn überhaupt - eine Reparaturmaßnahme. Außerdem ärgert uns, dass Sie diese Reparaturmaßnahme erstens viel zu spät ausführen und zweitens auch noch ganz, ganz empfindliche Lücken darin sind. ({0}) Sie sprechen hier immer wieder von der großen Bedeutung der Bildung, von den Zukunftschancen der jungen Generation. Jetzt zeigt sich, dass diese Worte in der Großen Koalition doch eher leere Phrasen sind und nicht wirklich etwas dahintersteckt. ({1}) - Herr Tauss, wir können uns das ganz konkret anschauen. Ich möchte die Punkte aufnehmen, die auch von Ihnen, Frau Ministerin, angeführt worden sind. Sie haben sehr, sehr stark die Anhebung der Bedarfssätze gelobt und hochgejubelt. Ich finde, man muss noch einmal ganz genau unter die Lupe nehmen, was die Große Koalition hier vorschlägt. Die Erhöhung soll sein ({2}) - richtig, Herr Kollege Brase -: 10 Prozent. Allerdings soll diese zehnprozentige Erhöhung zum 1. Oktober 2008 erfolgen. Der BAföG-Beirat der Bundesregierung hatte gefordert, diese Erhöhung bereits Ende des letzten Jahres, Ende 2006, durchzuführen. Wenn Sie diese Erhöhung jetzt nach hinten verschieben und erst zum 1. Oktober 2008 durchführen, würde das bedeuten, dass mindestens - aber wirklich mindestens! - noch einmal 2 Prozent draufgelegt werden müssen, ansonsten höhlen Sie das BAföG einfach weiter aus. Das ist keine verlässliche, keine sichere und keine kostendeckende Studienfinanzierung. ({3}) Das wäre schon schlimm genug, aber Sie setzen noch eins drauf: Wenn Sie wenigstens diese Erhöhung zum 1. Oktober beschließen und die Bedarfssätze dann regelmäßig einfach anpassen würden, wäre das zumindest eine Perspektive, die man den Studierenden geben könnte. Sie schlagen aber mit der Novelle vor, dass der nächste BAföG-Bericht erst ein Jahr später vorgelegt werden soll, also nicht Ende 2008, sondern Ende 2009. ({4}) Das bedeutet in der Konsequenz, dass in diesem Parlament über eine BAföG-Erhöhung das nächste Mal erst im Jahr 2010 diskutiert werden wird. Sie orientieren sich jetzt an einer Erhöhung, die schon Ende 2006 notwendig gewesen wäre, und sagen zugleich - Schwarz auf Weiß den Studierenden, dass es vor 2010 auch keine weitere Erhöhung geben wird. Das sind faktisch also vier Nullrunden, die Sie den Studierenden zumuten. So etwas lehnt die Linke nun definitiv ab. ({5}) Frau Ministerin, Sie haben von der Studierendenschaft und dem wichtigen Signal gesprochen, das Sie hier jetzt aussenden wollen, sodass mehr junge Menschen ein Studium aufnehmen wollen, daher möchte ich Ihnen nur eine der vielen, vielen Mails, die uns und sicherlich auch Sie erreicht haben, zur Kenntnis geben. Sie gibt vielleicht ein bisschen die Stimmung in der Studierendenschaft wieder. Da schreibt ein Student aus Dresden: „Diese Erhöhung, die die Große Koalition vorschlägt, ist ein Hohn für alle, die BAföG beziehen. Die Sätze sind zurzeit so viel zu niedrig, dass 10 Prozent einfach nur ein Witz sind.“ - Ich glaube, das trifft die Situa13350 tion der Studierendenschaft sehr klar und zeigt, vor welchen Herausforderungen wir stehen. ({6}) - Herr Schulz, Sie fragen, ob das mein Ernst ist. Man kann sich anschauen, was zum Beispiel die Vorgaben der Familiengerichte sind. Es ist keine Fantasterei, was die Linken hier machen, wenn wir eine Erhöhung der Bedarfssätze um 19 Prozent noch in diesem Jahr fordern. ({7}) Wenn wir diese Erhöhung von 19 Prozent beschließen würden, dann würden wir die Vorgaben der Familiengerichte für kostendeckende Bedarfssätze erfüllen. Das wäre der richtige Schritt. ({8}) Ich möchte noch einen weiteren Punkt nennen, der uns stört. Es ist nämlich nicht nur so, dass aktuell die Situation der Studierenden an den Hochschulen schlechter wird, auch die große Herausforderung von der sozialen Öffnung wird nicht wirklich angegangen. Es gibt zwar die Erhöhung der Freibeträge - es ist auch ein richtiger Schritt, dass das überhaupt angegangen wird -, ({9}) was aber fehlt, sind ganz entscheidende Punkte, über die man weiter diskutieren müsste. Frau Schmidt, Sie haben schon angesprochen, was da alles Anfang der 80er-Jahre abgeschafft wurde. Man müsste dann aber auch sagen, was Anfang der 70er-Jahre da war. Das war beispielsweise ein umfassendes Schüler-BAföG, was bedeutete, dass man sich ab der zehnten Klasse nicht zwischen einer ausfinanzierten Form der Ausbildung und der Möglichkeit entscheiden musste, weiter zur Schule zu gehen und eben keine Finanzierung zu bekommen. Es ist doch klar, dass sich sehr viele Schülerinnen und Schüler gerade aus armen Schichten für den ersteren Weg entscheiden müssen. Der Ausbau des Schülerinnen- und Schüler-BAföGs wäre eine Perspektive, wirklich einen Schritt nach vorne zu kommen. ({10}) Es gibt eine zweite Möglichkeit, wie Sie das Problem hätten angehen können. Die rot-grüne Bundesregierung hat den Schritt gemacht und die Verschuldung nach dem Studium bei einem Betrag von 10 000 Euro gedeckelt. ({11}) Genau in dieser Richtung müsste man jetzt weiterdiskutieren. Man kann doch nicht bei einem solchen Schritt stehenbleiben. Genau deshalb fordert die Linke einen Vollzuschuss und lehnt das Darlehen ab. ({12}) Als Nächstes möchte ich auf die Studiengebühren eingehen, weil dieser Punkt hier angesprochen wurde. Ich halte es für ziemlich verlogen, dass die SPD hier immer wieder als großer Gegner von Studiengebühren auftritt, sie es aber war, die mit der Einführung von Studienkonten den Weg für die Einführung allgemeiner Studiengebühren geebnet hat. Das muss man hier festhalten. ({13}) Man muss sich außerdem die Frage stellen, ob es richtig ist, dass Studierende, die BAföG beziehen, jetzt auch noch Studiengebühren bezahlen sollen. Es ist doch absurd, den Studierenden zwar die Sozialleistung BAföG zu geben, sie aber gleichzeitig Studiengebühren zahlen zu lassen. ({14}) Sie bieten den Studierenden als Lösung an, mehr hinzuverdienen zu können. ({15}) Sie dürfen jetzt 400 Euro mehr verdienen. Dann ist ja alles wunderbar, und dann klappt alles. Das kann doch wirklich nicht die Lösung des Problems der Studiengebühren sein. ({16}) Es ist vollkommen richtig, gemeinsam dafür zu streiten - wir freuen uns, wenn die SPD unser Bündnispartner ist -, dass die Studiengebühren abgeschafft werden. Aber es müsste ein erster Schritt sein, den Studierenden jetzt zu helfen. Deshalb schlägt die Linke vor, dass die Kosten für Studiengebühren bei dem Bedarf für das BAföG berücksichtigt werden. Das würde sehr vielen Studierenden helfen. Deshalb haben wir heute diesen Antrag vorgelegt. ({17}) Letzter Punkt. Es wird immer wieder die Frage gestellt, wie das alles finanziert werden soll. Sie, Frau Schmidt, haben gesagt, die Aufgabe der Koalition sei es, das Machbare möglich zu machen. Sie haben sich sehr dafür gelobt, 300 Millionen Euro mehr für das BAföG bereitzustellen. 300 Millionen Euro mehr klingen für alle, die hier zuhören, nach unheimlich viel Geld. Es ist aber wichtig, diese Summe in Relation zu setzen, und zwar in Relation dazu, dass 2008 wegen der Steuergeschenke für Großkonzerne und Unternehmen, die beschlossen sind, 8 Milliarden Euro zum Fenster herausgeschmissen werden. Man muss also die 300 Millionen Euro den 8 Milliarden Euro gegenüberstellen. Das zeigt, welche Priorität junge Menschen in der Großen Koalition haben. Besten Dank. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die BAföG-Debatten der letzten Monate haben mindestens eine überraschende und erfreuliche Botschaft: Selbst die Große Koalition ist fähig zum lebenslangen Lernen. ({0}) Im Februar beschloss das schwarz-rote Kabinett eine Nullrunde für Schülerinnen, Schüler und Studierende. Vieles, was wir heute von Ihnen hören, klang vor kurzem noch ganz anders. Da hieß es, für eine BAföG-Erhöhung stehe kein Geld zur Verfügung. Um der jungen Generation weniger Staatsschulden aufzubürden, wollten Sie bei der jungen Generation sparen - ein wahrlich merkwürdiges Verständnis von Generationengerechtigkeit. Gut, dass es anders gekommen ist. Der träge Tanker bewegt sich doch. Den weiten Weg, den gerade auch Bildungsministerin Schavan zurückgelegt hat, hat Frau Schmidt bereits treffend beschrieben. Unterm Strich kann man sagen: Die Große Koalition hat sich auf uns Grüne und auf die Opposition zubewegt. ({1}) Daher tragen wir zahlreiche Änderungen, die Sie an Ihrer eigenen Novelle vornehmen, weitgehend mit, aber eben nur weitgehend; denn das, was Sie zum Beispiel mit dem neuen Kinderzuschlag betreiben, ist Augenwischerei. ({2}) Nach allem, was Sie bisher verkündet haben, glaubt doch jetzt jeder: Bald gibt es für alle BAföG-Empfänger mit einem Kind 113 Euro zusätzlich. - Pustekuchen. Mit Ihrem Änderungsantrag, den Sie in letzter Minute eingebracht haben, haben Sie dafür gesorgt, dass nur diejenigen Eltern den vollen Zuschuss bekommen, die den BAföG-Höchstsatz erhalten. Wer Pech hat, bekommt für sein Kind nicht 113 Euro, sondern 1,13 Euro. Das muss man wissen. Dafür lässt sich keine Kinderbetreuung organisieren. Das ist ganz offensichtlich. Für jedes weitere Kind gibt es dann nur noch 0 bis 85 Euro. Wir fordern dagegen: Für jedes Kind von BAföG-Empfängern muss es 113 Euro geben - ohne Wenn und Aber! ({3}) Auch bei der - grundsätzlich sehr lobenswerten - Anpassung der Fördersätze und Freibeträge können die Schüler und Studierenden nicht ganz zufrieden sein. Dass Sie sie um 10 bzw. 8 Prozent erhöhen, ist gut. Das findet ausdrücklich unsere Anerkennung, ja sogar ein kleines Lob. Dass Sie die Erhöhung aber um ein Jahr verschieben, ist halbherzig, unnötig und inakzeptabel. Die vom BAföG-Beirat empfohlene Erhöhung trägt ausdrücklich das Haltbarkeitsdatum Herbst 2007. Wenn Sie jetzt erst im Herbst 2008 anpassen, dreht das BAföG bis dahin ohne Not eine weitere Nullrunde. ({4}) Warum geben Sie den Schülern und Studierenden nicht, wie von uns beantragt, wenigstens zum 1. April 2008 die dringend benötigten Mittel zum Lebensunterhalt? Auch wenn wir Ihre Novelle im Grundsatz mittragen, ({5}) will ich im Interesse der Studierenden noch ein paar Fragen stellen. Es geht mir dabei um eher kleine, aber für die Betroffenen doch zentrale Korrekturen, um die Beseitigung von Fehlern und Gerechtigkeitslücken. Warum halten Sie zum Beispiel an den starren Obergrenzen beim Unterkunftszuschuss fest? Warum übernehmen Sie nicht unseren Vorschlag, angemessene Mietund Heizkosten komplett zu übernehmen, sodass man auch in München und Düsseldorf vom BAföG leben kann? ({6}) Warum schaffen Sie den Kinderdarlehensteilerlass für studierende Eltern völlig übereilt ab? Warum gewähren Sie keine großzügigen Übergangsfristen, damit junge Eltern Vertrauen in geltende Regelungen haben können? ({7}) Warum stellen Sie Lebenspartnerinnen und Lebenspartner nicht endlich auch im BAföG mit Ehegattinnen und Ehegatten gleich, sondern schreiben Diskriminierung fort? ({8}) Warum verweigern Sie sich der simplen Klarstellung im Gesetz, dass Studierende nicht benachteiligt werden dürfen, wenn die Hochschule ihre Studiengänge verpflichtend von Diplom auf Bachelor umstellt und das BAföG-Amt dies als förderschädlichen Fachrichtungswechsel wertet? ({9}) Die Schreiben der betroffenen Studierenden liegen doch auch Ihnen vor. Sie hätten das also in der Novelle ändern können. Angesichts all dieser Fragen verstehe ich nicht, warum Sie unsere konkreten Verbesserungsvorschläge einfach vom Tisch wischen. Es hilft sicherlich nicht weiter, gegenüber den realen BAföG-Problemen eine Vogel13352 Strauß-Politik zu betreiben. Hier hätten Sie den Studierenden das Leben leichter machen können. Wenn wir über die Lage und die Bedürfnisse der Studierenden sprechen, können wir das BAföG nicht isoliert betrachten. Wir müssen in dem Zusammenhang ebenso über Studiengebühren reden, auch wenn Union und FDP das nicht passt. Denn während wir im Bund dafür sorgen, dass die Studierenden endlich wieder so viel Geld im Portemonnaie haben wie zu rot-grünen Zeiten, greifen schwarz-gelb regierte Länder gleichzeitig den Studierenden mit Studiengebühren tief in die Tasche. ({10}) Wenn zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Minister Pinkwart die Forderung nach mehr BAföG stellt, ist das wirklich ein starkes Stück. ({11}) Wir sagen als Grüne klipp und klar: Die Campus-Maut der Neoliberalen ist abwählbar! Die Landtagswahlen in Hamburg, Hessen und Niedersachsen entscheiden maßgeblich darüber, ob Hochschulen wieder studiengebührenfreie Zonen werden können. ({12}) Studiengebühren wirken sozial selektiv, schrecken ab und grenzen aus. Deshalb müssen sie abgeschafft werden. ({13}) Solange es Studiengebühren gibt, müssen wir jedoch auch im BAföG damit umgehen. Wir haben daher vorgeschlagen, den Studierenden einen entsprechend höheren Zuverdienst anrechnungsfrei einzuräumen. Wer nebenher jobben muss, um Studiengebühren zu finanzieren, der soll dafür nicht auch noch beim BAföG-Bezug bestraft werden. Diesen Vorschlag, vielleicht auch den der Linken, hätten Sie wenigstens einmal prüfen können. Es wird schnell deutlich, dass kleinteilige Reparaturen am BAföG mittelfristig nicht ausreichen. Denn viele Regeln der Ausbildungsförderung werden den langfristigen Trends in Hochschulpolitik und Studierverhalten der jungen Menschen immer weniger gerecht: Stichwort neue Studienstrukturen: Ein Masterstudium wird nur dann gefördert, wenn es auf einen Bachelor aufbaut. Aber wann genau ist das der Fall, und warum ist das überhaupt so? Stichwort lebenslanges Lernen: Wer direkt nach dem Bachelor weiterstudiert, kann gefördert werden; wer erst ein paar Jahre Berufserfahrung sammelt und dann mit 32 Jahren den Master nachholen will, bekommt kein BAföG. Stichwort Teilzeitstudium: Wer Kinder erzieht, Praxiserfahrung sammelt oder Angehörige pflegt und deshalb nur Teilzeit studieren kann, obwohl er oder sie Vollzeit studieren möchte, darf seinen BAföG-Bezug nicht über einen längeren Zeitraum strecken. Die Beispiele zeigen: Notwendig ist eine grundlegende Reform der Lebensunterhaltsfinanzierung von jungen Menschen in Aus- und Weiterbildung. Das zentrale Ziel und die Leitlinie der Grünen ist: Wir wollen den Hochschulzugang für junge Menschen aus allen Einkommensschichten, insbesondere aber aus einkommensschwächeren und hochschulfernen Bildungsmilieus erleichtern. ({14}) Wenn man rein schuldenbasierte Ansätze zur Studiumsfinanzierung wie Kredite heranzieht - etliche Kolleginnen und Kollegen in diesem Raum schwebt das ja vor -, fallen diese jungen Menschen von vornherein raus. Liebe Koalitionäre, bevor Sie nach Ihrer Last-MinuteEinigung beim BAföG die Hände beruhigt in den Schoß legen und gemeinsam feiern, muss ich Ihnen noch sagen: Die Debatte über eine moderne Studienfinanzierung, die für mehr Chancengerechtigkeit sorgt, ist mit dem heutigen Tag nicht beendet. Sie muss weitergeführt werden. Wenn man sich die schwarz-rote Meinungsvielfalt anschaut, stellt man fest, dass das wohl heißen muss: Nach dem BAföG-Streit ist vor dem BAföG-Streit. Vielen Dank. ({15}))

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin in der Tat kein so guter Kenner der Materie wie Frau Renate Schmidt. Ich kann mich an den Zeugungsvorgang des BAföG im Jahr 1969 nicht so genau erinnern. ({0}) - Habt ihr etwas Unanständiges gesagt? ({1}) - Da ich keinen Ordnungsruf der Präsidentin höre, scheint sich das noch im Rahmen des Erlaubten zu bewegen. ({2}) Ich will mit zwei Bemerkungen sehr deutlich machen, warum ein Haus wie das Bundesfinanzministerium seine Hand reicht, um beim BAföG zu Verbesserungen zu kommen. ({3}) Der erste Hinweis lautet: Wir brauchen in Deutschland nicht weniger, sondern deutlich mehr Studierende und Akademiker. ({4}) Wir haben es bereits heute mit einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu tun. Dieses Land wird seinen Standard hinsichtlich des materiellen Wohlstands und der sozialen Wohlfahrt im globalen Wettbewerb nur halten können, wenn wir über die Qualität im Wettbewerb bestehen. Wir werden im Wettbewerb niemals bestehen können, wenn wir versuchen, billiger zu sein. Wenn wir in diesem Wettbewerb aber durch bessere Qualität bestehen wollen, brauchen wir eine höhere Akademikerquote und nicht eine stagnierende oder abnehmende Akademikerquote. ({5}) Zurzeit nehmen nur 35 Prozent eines Jahrgangs ein Hochschulstudium auf. Diese Quote ist deutlich zu gering. Wir brauchen mindestens 40, in meinen Augen sogar an die 45 Prozent, was in etwa dem Standard skandinavischer Gesellschaften entsprechen würde. Sie wissen, dass wir bereits heute einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften haben. Das gilt insbesondere für die Naturwissenschaften und die Ingenieurwissenschaften. Ich halte die Meldung, dass uns bereits heute ungefähr 50 000 Ingenieure fehlen, für eine absolute Alarmmeldung. Es gibt fast die gleiche Anzahl offener Ingenieurstellen. Das bedeutet, dass uns ein ganzer Jahrgang an Universitätsabsolventen fehlt. Es gibt bemerkenswerte Berechnungen, nach denen dies zu einem volkswirtschaftlichen Schaden in einer Größenordnung von 3,5 Milliarden Euro führt. Wir müssen diesbezüglich den europäischen Standard erreichen. Das bedeutet, dass wir bei den jungen Menschen Ängste abbauen müssen. Es darf nicht sein, dass sie aus rein materiellen Gründen ein Studium nicht aufnehmen. Das wiederum bedeutet, dass das BAföG eine konstitutive, grundlegende Bedeutung hat. ({6}) Mein zweiter Hinweis - dies ist kein günstiges Zeugnis für diese Gesellschaft -: Die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems ist mit Blick auf die Kinder, die aus einkommensschwächeren bzw. bildungsferneren Schichten kommen, nicht in der Form gegeben, wie es sein müsste. Wir machen die Erfahrung - das ist statistisch, empirisch belegt -, dass im Vergleich zum Durchschnitt viel zu wenig junge Leute, die erkennbar nicht aus einem Akademikerhaushalt kommen, ein Studium beginnen. Dadurch geht dieser Gesellschaft eine Vielzahl von Begabungen verloren. Viele nehmen ein Studium leider nicht auf, weil die materielle Frage in der Tat eine entscheidende Rolle spielt. Ich muss zugeben, dass die Einführung von Studiengebühren diesbezüglich eine prohibitive Wirkung hat. Die Einführung von Studiengebühren spielt gerade vor diesem Hintergrund eine große Rolle. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich in meiner Funktion als Landespolitiker gegen die Einführung von Studiengebühren gewesen bin. ({7}) - Ich glaube nicht, dass das der Grund ist, warum ich abgewählt worden bin. ({8}) - Ich glaube auch nicht, dass das einer der Gründe war. Da bin ich mir ziemlich sicher. ({9}) In Gesprächen mit Studenten und ihren Eltern habe ich sehr oft die Erfahrung gemacht, dass es jemandem, der mit rund 2 000 Euro netto nach Hause kommt, eine Tochter und einen Sohn hat, sehr schwerfällt, zweimal 600 oder 500 Euro im Jahr zu bezahlen, weil das ungefähr 100 Euro im Monat entspricht. ({10}) Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter! Auch wenn er mit 1 500 oder 1 600 Euro nach Hause kommt, muss er rund 100 Euro abzwacken. Die Kreditkonditionen, die da genannt werden, sind auch nicht so, wie ich mir das gewünscht habe. In der Ankündigung hieß es ja, es werde relativ leicht sein, solche Kredite zu günstigen Zinskonditionen aufzunehmen. Ich stelle fest: Da muss ganz kräftig gezahlt werden. Ob es je andere Modelle dafür geben wird, will ich dahingestellt sein lassen. Ich will darauf hinaus, dass wir mehr junge Leute, vor allen Dingen junge Frauen, aus den vermeintlich bildungsferneren Schichten, aus den Familien, in denen bisher erkennbar noch nicht akademische Laufbahnen absolviert worden sind, in den Stand versetzen müssen, jedenfalls materiell gesichert ein Studium aufzunehmen, um damit in Deutschland ein Begabungspotenzial zu heben, das uns sonst verloren ginge, was sträflich wäre. ({11}) Deshalb ist es richtig, dass wir die Bedarfssätze und die Freibeträge erhöhen. Dass man so etwas immer überbieten kann, Frau Hirsch, ist mir sehr klar. Aus Ihrer etwas schrillen Rede sind bei mir eigentlich nur zwei Dinge hängen geblieben, nämlich: Sie wollen immer noch mehr, und Sie haben die Großkonzerne auch bei diesem Thema wieder irgendwie hineingeschwurbelt. So ganz nachvollziehbar ist das für mich nicht. Ich muss aus Gründen der Fairness und des Anstands eine Bemerkung machen; daran liegt mir. Die Tatsache, dass wir im Regierungsentwurf von etwas anderen Daten und Sätzen ausgegangen sind, lag schon an dem nicht leicht zu übergehenden Finanzminister und nicht an Frau Schavan. ({12}) Das war die Debatte, die ich mit ihr geführt habe und in der sich der Bundesfinanzminister durchgesetzt hat. Das zu sagen ist eine Frage des Anstands, der an dieser Stelle auch gewahrt werden soll, damit das niemand in den falschen Hals bekommt. ({13}) Ich will abschließend sagen, dass ich, auch überzeugt von der Meinungsbildung in der Fraktion, zu diesem Projekt stehe. Das gilt ebenfalls für das, was das Parlament in eigener Zuständigkeit bei den Freibeträgen und Bedarfssätzen erneut geändert hat. Noch einmal zu meinem Verständnis von einer gestaltenden Finanzpolitik. All denjenigen, die glauben, dass alle Steuermehreinnahmen und Entlastungseffekte an anderer Stelle ausschließlich zur Senkung der Nettokreditaufnahme eingesetzt werden sollten, sage ich: Nein, ein Teil davon muss in die Gestaltung der Zukunft dieses Landes gehen. ({14}) Welches sind die Hauptfelder, um Zukunft für dieses Land zu gestalten? Das hat überwiegend mit Bildung zu tun. Sie wissen, dass ich das nicht eng meine, also nicht bezogen nur auf die allgemeinbildenden Schulen. Wir reden hier über Kinderbetreuung, vorschulische Angebote, allgemeinbildende Schulen, Ganztagsbetreuung, akademische Bildung, berufliche Bildung, Weiterbildung, über die gesamte Bandbreite. Will sagen: Es muss Geld in die Köpfe und die Fähigkeiten der Menschen hineingesteckt werden. ({15}) Wohl wissend, dass Sie alle kundige Thebanerinnen und Thebaner sind: Das Groteske ist, dass die Mittel, die wir dort aufwenden, nach dem geltenden Haushaltsrecht konsumtive Ausgaben sind, obwohl ich mir bessere investive Ausgaben für die Zukunft dieses Landes nicht vorstellen kann. ({16}) Ich würde mir wünschen, dass wir uns über die Debatte zur Föderalismusreform II und die Frage der Schuldenbremse hinaus intensiv darüber auseinandersetzen, ob wir nicht eine Lösung vermeiden sollten, die von einem falschen Investitionsbegriff ausgeht. ({17}) Wenn man zum Beispiel einen Quader Beton auf einen Vorplatz setzt, ist das investiv, und man könnte die Neuverschuldensregelung im Sinne einer Erweiterung der Kreditaufnahme in Anspruch nehmen. Dagegen ist das BAföG konsumtiv und verschlechtert die Kreditaufnahmemöglichkeiten des Bundeshaushaltes. Dies ist schlicht und einfach Unsinn; deshalb müssen wir diese Frage weiterhin aufgreifen. ({18}) Aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums ist es eine richtige Investition, eine Zukunftsinvestition, eine klassische Investition und nicht Konsum. Ich würde mir wünschen, dass die Verbesserung der BAföG-Rahmenbedingungen dazu führt, dass mehr junge Menschen denn je das Studium aufnehmen. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede des Kollegen Kai Gehring gebe ich dem Kollegen Jörg Tauss. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich freue mich, dass Sie sich so freuen; das ist ja fast wie in alten Zeiten. Gestatten Sie, Herr Minister, dass ich an dieser Stelle sage: Es ist gut, in dieser Sache einen Finanzminister an seiner Seite zu haben. Insofern sage ich auch herzlichen Dank. ({0}) Aber nun zu Ihnen, Kollege Gehring: Es ist in der Tat so, dass das BAföG ein sehr komplexes, in seiner Systematik auch nicht sofort durchschaubares Gesetz ist. Hinsichtlich eines Punktes bitte ich Sie, sich ein wenig zu korrigieren. Es ging um die 113 Euro für die Kinder Studierender. Nur zur Klarstellung: Diese 113 Euro bekommen im Grunde genommen alle; der Bedarf erhöht sich für alle um diesen Betrag. Für fast alle BAföG-Empfänger bleiben in der Praxis letztlich diese 113 Euro übrig. Wer bisher kein BAföG bekam, weil das Einkommen knapp darüber lag, höher lag als der Bedarf, der bekommt künftig etwas mehr BAföG. Insofern haben wir in der Tat auf beiden Seiten eine Verbesserung. Daraus resultiert meine herzliche Bitte, dass wir an dieser Stelle nicht zu falschen Interpretationen kommen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Gehring, Sie können antworten.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich gehe darauf sehr gern ein, weil ich es immer schade finde, wenn Regierungsfraktionen nicht genau wissen, was sie mit ihren eigenen Änderungsanträgen beschließen wollen. ({0}) Wir haben diese Frage am vergangenen Mittwoch sowohl im Familienausschuss als auch im Bildungsausschuss thematisiert, und die jeweiligen Staatssekretäre haben genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie geKai Gehring rade geschildert haben. Von daher gibt es hier offensichtlich in der Großen Koalition noch dringenden Gesprächsbedarf. ({1}) Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes geht es um die Frage, dass dieser Kinderzuschlag eben nicht nur nach Bedarf, sondern auch einkommensabhängig gezahlt werden soll, also genauso einkommensabhängig, wie das BAföG selber auch gezahlt werden wird. Deshalb ist es ganz offensichtlich ein richtiges Beispiel gewesen, dass eben nicht jeder Studierende 113 Euro bekommt, sondern es nur diejenigen mit dem BAföGHöchstsatz erhalten. Uns ist erläutert worden, dass nicht jeder BAföG-berechtigte Studierende den vollen Zuschuss von 113 Euro bekommt, sondern nur diejenigen, die den Höchstsatz bekommen. Daneben gibt es Studierende mit einem niedrigeren Satz, die dann vielleicht 12 Euro oder 57 Euro bekommen. Mit dem Fakt, dass Sie hier im Vergleich zu Ihrem ersten Vorschlag durchaus eine Änderung, nämlich eine Verschlechterung, vorgenommen haben, sollte man ganz offen und ehrlich umgehen. Diese Frage der Einkommensabhängigkeit sollte geklärt werden. Ich habe aber eben auch Frau Schmidt so verstanden, dass Sie als SPD ohnehin Überlegungen hinsichtlich eines BAföG-Modernisierungsgesetzes anstellen. Deshalb sind das Punkte, die in diesem Zusammenhang noch einmal dringend aufgegriffen werden sollten, ({2}) um eine bessere Förderung von Studierenden mit Kindern gestalten zu können. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDPFraktion. ({0})

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst wundert es mich sehr, Herr Steinbrück, dass Sie sich zum Verfechter von sozialen Leistungen für Mütter ausrufen. Sie wissen ganz genau, dass Sie derjenige waren, der die 4 Milliarden Euro für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren bis zum Schluss nicht zahlen wollte; davon mussten Sie erst einmal überzeugt werden. ({0}) Frau Schavan, Sie haben sich und die Regierung heute Morgen im Deutschlandfunk sehr gelobt und ausgeführt, wie eklatant das BAföG erhöht wird. Ich will mich hier jedoch auf den geringen Kinderbetreuungszuschlag von 113 Euro konzentrieren. Wo waren Sie eigentlich, und Frau Schmidt, wo waren Sie eigentlich, als das Elterngeld konzipiert worden ist und durch diese Neukonzeption des Elterngeldes die Studentinnen mit Kind nur die Hälfte dessen bekamen, was sie beim Bezug von Erziehungsgeld erhalten hätten? Mit dem Erziehungsgeld bekamen die Studentinnen 24 Monate lang 300 Euro; mit dem Elterngeld wurde das Ganze halbiert. Das macht 3 600 Euro für jede Studentin mit Kind aus. ({1}) Sie sollten sich also doch überlegen, ob Sie etwas mehr oder doch etwas weniger für die Studentinnen mit Kind getan haben. Die FDP hat deshalb schon bei der Verabschiedung des Elterngeldes einen Antrag für die Studentinnen mit Kind eingebracht; wir haben das BabyBAföG genannt. Wir wollen jedem Kind ab Geburt 280 Euro geben, und wir wollen das durch den Darlehensteilerlass finanzieren, der damit verrechnet werden würde. Meine Damen und Herren, es wird hier so viel davon geredet, dass so wenige Studentinnen Kinder bekämen. Im Jahr 2000 waren es 7,1 Prozent. Wenn wir sagen: „Wir wollen Studentinnen unterstützen, wenn sie Kinder haben“, müssen wir angesichts dieser niedrigen Geburtenrate mehr Wahlfreiheit geben. Das haben Sie mit dem verringerten Kinderbetreuungszuschlag einfach nicht gemacht. Diese Streichung bleibt einfach bestehen. Es sind 3 600 Euro Verlust für die Studentinnen mit Kindern. Ich finde, wir sollten die Studentinnen eher ermutigen, im Studium Kinder zu bekommen; denn wenn die Kinder dann drei Jahre alt sind und die Berufstätigkeit beginnt, gibt es Ganztagsbetreuungsplätze und die Ganztagsschule. Hier haben Sie wirklich nichts Gutes für die Studentinnen getan. ({2}) Deshalb will ich zum Schluss sagen: Durch Ihre Politik, durch Ihr Gesetz machen Sie es den Studentinnen wesentlich schwerer, Studium und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Auch die katholische Kirche hat das gemerkt. Sie hat gesagt, die geplanten Verbesserungen sind ein Armutszeugnis für diese Regierung. Das Forum Hochschule und Kirche startet eine Postkartenkampagne, um Sie auf diese Differenzen in Ihrer angeblich kinderfreundlichen Politik in diesem Bereich aufmerksam zu machen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schmidt, ich habe Ihnen ganz genau zugehört. Ich fand es total nett, dass Sie gesagt haben, dass das BAföG 1969 ge13356 zeugt wurde und es heute gleichzeitig noch ein Kind ist. Da möchte man gerne mit dem BAföG tauschen. ({0}) Das einzig Positive 1969 war, dass es da die Grünen noch nicht gab. Bei der Historie, die Sie hier vorgetragen haben, hat eine kleine Verkehrung der Vergangenheit stattgefunden, besonders was das letzte Jahr betrifft. Ich bin sehr froh, dass der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die Großmut hatte anzuerkennen, ({1}) dass es nicht an unserer Ministerin lag, dass es nicht zu einer sofortigen Erhöhung kam. ({2}) Dafür bedanke ich mich ausdrücklich. Annette Schavan war nämlich von Anfang an eine ganz große Kämpferin und hat uns da unterstützt. ({3}) Lieber Peer Steinbrück, in den letzten Tagen wurde oft davon gesprochen, dass die Verlässlichkeit der SPD etwas abhanden gekommen ist. Ich kann nur sagen: Mit Ihrer Großmut, dass Sie zugegeben haben, dass Sie einen Fehler gemacht haben, sind Sie nicht nur - wie ich lesen konnte - Europas tollster Finanzminister, sondern auch Europas ehrlichster Finanzminister. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bär, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rossmann?

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich erlaube deswegen keine Zwischenfrage, weil ich nicht möchte, dass die Kollegen Rossmann und Tauss, obwohl sie von ihrer Fraktion keine Redezeit bekommen haben, trotzdem reden. ({0}) Ich finde es auch spannend - muss ich ganz ehrlich sagen -, dass sich die SPD hier als BAföG-Fraktion oder BAföG-Partei bezeichnet hat. Meine Fraktion, meine Partei und sicherlich auch die CDU, lieber Fraktionsvorsitzender, haben einen allgemeinpolitischen Anspruch. Wenn Sie sich als BAföG-Partei bezeichnen, heißt das, dass Sie, wenn 25 Prozent aller Studenten BAföG bekommen, wahrscheinlich nur noch 25 Prozentpunkte bei den Wahlen erreichen möchten. ({1}) - Für Bayern wäre es gut. Ja, das stimmt. - Das ist aber nicht der Anspruch. Wir kämpfen zwar für das BAföG, aber wir sind doch eine Partei, die sich auch noch anderen Themen widmet. Wenn man das auf die Begrifflichkeit bringt, die hier im Raum ist, kann man feststellen: Wir haben große Kämpfer und große Unterstützung. Vorhin hat einer der Kollegen gerufen: Nach der RiesterRente kommt das Schavan-BAföG. - Das wäre ein Begriff, den man einführen könnte. ({2}) Frau Kollegin Hirsch, zu Ihnen möchte ich Folgendes sagen - zu Ihren abstrusen Forderungen komme ich nachher -: Sie haben angeprangert, dass die nächste Diskussion erst 2010 möglich wäre. ({3}) - Real stattfinden würde. Das muss man noch einmal genau nachprüfen. Es wäre natürlich wünschenswert, dass eine solche Diskussion in diesem Hause im Jahre 2010 - wenn es denn dazu kommt - ohne Ihre Fraktion stattfinden kann. ({4}) Sie stellen sich hier hin und sagen, dass die 300 Millionen Euro, die der Bund zusätzlich zur Verfügung stellt, überhaupt nicht viel Geld sind. Gegenüber jedem, der hier oben auf der Zuschauertribüne sitzt oder dieser Debatte am Fernseher folgt, ist es eine wahnsinnige Arroganz, wenn hier ein Politiker, der gerade einmal über 20 Jahre ist, behauptet: 300 Millionen Euro, das ist überhaupt nicht viel Geld. - Das ist eine Arroganz sondergleichen. ({5}) Angeblich sind Sie immer für den kleinen Mann. Ich verstehe: Wenn man zwei Fraktionsvorsitzende hat, die Bonzen und Millionäre sind, dann sind 300 Millionen Euro wahrscheinlich wirklich nicht viel Geld. ({6}) Diese 300 Millionen Euro betreffen nur den Bundesanteil. Sie haben nicht berücksichtigt, dass es im Jahr 2009 zusammen mit den Mitteln der Länder insgesamt über 540 Millionen Euro sind. Angesichts unserer angespannten Haushaltslage ({7}) - wir alle verpflichten uns immer wieder dazu, den nachfolgenden Generationen keine Schulden zu hinterlassen sind über 540 Millionen Euro wirklich ein ganz großer Batzen Geld. ({8}) Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, einen stärkeren Zuwachs zu bekommen, als es im Jahr 2001 der Fall war. Wir konnten aufgrund der Haushaltslage seit 2001 leider keine Erhöhung mehr vornehmen. Jetzt gibt es eine 10-prozentige Erhöhung. Ich denke, das ist ein ganz wichtiges Signal. Ich wünsche mir, dass diese 10-prozentige BAföG-Erhöhung das Signal ist, das von hier heute ausgeht. ({9}) Es war für uns völlig selbstverständlich, dass die Bedarfssätze jetzt an die gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst werden müssen. Wir haben eine sehr gute Lösung gefunden. In Ihren Anträgen, Frau Kollegin Hirsch, ist von 19 Prozent die Rede. Sie bauen hier wirklich Luftschlösser. Ich höre von Ihnen immer nur: noch mehr, noch mehr, noch mehr, noch mehr, noch mehr. Sie machen nie einen konkreten Vorschlag. Der einzige konkrete Vorschlag, den Sie gemacht haben, hätte - die Kollegin Schmidt hat es im Ausschuss schon betont - eine Erhöhung um 20 Milliarden Euro zur Folge. Forderungen wie diese kann eine Fraktion immer dann leicht stellen, wenn sie sich ganz sicher ist, dass sie in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nie Regierungsverantwortung tragen wird. ({10}) Wenn Ihre Forderungen aber bewirken, dass Sie nie regieren, dann ertragen wir das hier auch noch. Sie haben auf verschiedene Erhöhungen, die CDU/ CSU und SPD in der laufenden Legislaturperiode vorgenommen haben, geschimpft. Sie wollen trotzdem, dass Steuergelder ausgegeben werden. Allerdings sagen Sie nicht, woher das Geld genommen werden soll. Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen, die schon genannt wurden. Im Namen unserer Sprecherin, Ilse Aigner, aber auch im Namen unserer ganzen Fraktion und auch der Fraktion der SPD möchte ich sagen: Wir haben uns sehr darum bemüht, die Kollegiatenförderung zu erhalten. Das war ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Für die Kollegschüler ist dies sehr wichtig. Es hat sich gezeigt, dass in den letzten Monaten der Diskussion noch etwas erreicht wurde. Oft heißt es: Am Gesetzentwurf wird nichts mehr geändert. Wir haben uns eng an den Bitten orientiert, die von den Kollegiaten an uns herangetragen wurden. Unsere Koalition hat hier einen Riesenerfolg erzielt. ({11}) Das BAföG wird internationaler; auch dazu wurde schon viel gesagt. Frau Schmidt, Sie haben gesagt: Die Einführung des Kinderbetreuungszuschlags ist für mich eine Herzensangelegenheit. - Genauso ist es für mich. Kollege Tauss hat mit dem, was er in seiner Kurzintervention vorhin erklärt hat, völlig recht gehabt: 113 Euro werden allen gezahlt, die jetzt studieren und ein Kind haben, egal wie hoch ihr BAföG ist. Wer jetzt studiert, erhält für das erste Kind 113 Euro und 85 Euro für jedes weitere Kind. An Sie, Frau Kollegin Lenke: Es ist wunderbar; auch ich sehe das so. Auch ich würde mir wünschen, dass es haushaltspolitisch möglich wäre, da noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen. ({12}) - Das ist nicht weniger. Sie bekommen mehr Geld. Es geht darum, positive Zeichen zu setzen. Ich unterstütze Ihre Forderung, junge Frauen dazu zu bewegen, schon während des Studiums Kinder zu bekommen. Denn auch wenn man es während des Studiums nicht so sieht, im Nachhinein weiß man, dass das Studium die beste Zeit dafür ist. Es ist wesentlich leichter, Familie und Studium unter einen Hut zu bekommen, als später Familie und Beruf.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Bär, Frau Kollegin Lenke würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Bär, ich gehe davon aus, dass Sie bei meiner Rede zugehört haben. Sie wissen, dass Studentinnen bisher für 24 Monate 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat bekommen haben. Durch die Einführung des Elterngeldes, das es seit dem 1. Januar 2007 gibt, bekommen sie jetzt insgesamt nur noch 3 600 Euro. Das habe ich zu dem Betreuungszuschlag für Studentinnen, der jetzt nur 113 Euro pro Monat beträgt, ins Verhältnis gesetzt. Sie haben hier gesagt: Die Studentinnen, die zukünftig Kinder bekommen, bekommen das Geld BAföG-abhängig. - Das finde ich noch wunderlicher. Dazu würde ich gern um Ihre Meinung bitten; das ist meine Frage.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es geht jetzt um BAföG und um diejenigen, die BAföG erhalten. Diejenigen, die jetzt BAföG erhalten und Kinder haben, bekommen - anders als vom Kollegen Gehring behauptet wurde - die vollen 113 Euro, und zwar unabhängig davon, wie hoch das BAföG ist. Wir machen hier einen ganz wichtigen und entscheidenden Schritt. Wir setzen ein wichtiges Signal. Ich denke, dass Sie durch Ihre ständige Schlechtrederei unserer guten Initiativen eher dafür sorgen, dass weniger Kinder geboren werden. ({0}) Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft nicht mehr „Studium oder Kinder“ heißt, sondern dass es in Zukunft in Deutschland für jede Studentin, aber auch für jeden Studenten „Studium und Kind“ heißt. Denn die Kinderlosenquote bei Akademikerinnen und Akademikern ist alarmierend. Noch alarmierender ist sie bei denjenigen, die unter 30 sind. Es wäre wünschenswert, wenn nicht nur mehr Kinder geboren werden würden, sondern die Frauen auch jünger wären, wenn sie ihr erstes Kind bekommen; denn dann ist die Wahrscheinlichkeit, sich für weitere Kinder zu entscheiden, größer. Herr Präsident, Sie erlauben doch sicherlich angesichts dieses wichtigen Themas, dass ich noch einen Satz dazu sage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erlaube Ihnen nur noch einen Abschlusssatz.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Satz noch. - Ich denke, wir haben eine gute Möglichkeit geschaffen, Studium und Familienplanung zu vereinbaren. Ich denke, dass wir alle heute sagen sollten: Den Koalitionsfraktionen ist ein sehr wichtiger Schritt gelungen. Es wäre wichtig, dass auch die Oppositionsfraktionen positive Signale aussenden. ({0}) Denn Kinderkriegen fängt im Kopf an. ({1}) - Ich erkläre es Ihnen nachher noch einmal persönlich. ({2}) Ich hoffe, dass ich bei meiner nächsten Rede im Deutschen Bundestag Frau Schavan, Herrn Steinbrück, den Staatssekretären und dem ganzen Haus dafür danken darf, dass die Geburtenzahlen in die Höhe gesprungen sind. Das hätte man dann uns zu verdanken. Danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich mache jetzt eine Kurzintervention, weil es bemerkenswert ist, wenn in einer Debatte zwei Minister das Wort ergreifen. ({0}) Es ist genauso bemerkenswert, dass zum Parlamentarismus gehört, dass Abgeordnete manchmal von sich aus, weil sie von einer Sache zutiefst überzeugt sind, sagen, dass sie auf volles Risiko gehen, und für eine Sache arbeiten, die ihnen wichtig ist. Das wird bei der Koalitionsfraktion der CDU/CSU beim Thema BAföG sicherlich auch der Fall gewesen sein, und zwar so diskret, dass sie es selber kaum gemerkt hat. Es ist an anderer Stelle so gewesen, dass die sozialdemokratischen Bildungspolitiker Anfang des Jahres für sich gesagt haben: Das wollen wir ändern. Das machen wir öffentlich. Wir werben um Zustimmung dafür. Wir gehen mit vollem Risiko in unsere Fraktion. Dort wollen wir dafür sorgen, dass sich etwas bei einer solchen Schlüsselfrage ändert. Das wurde vom Fraktionsvorsitzenden aufgenommen, der noch im Sommer Häme dafür erfahren hat; ich will gar nicht sagen, von welcher Seite. Daher sollte man an dieser Stelle sagen, dass es auch zum Parlamentarismus gehört, wenn ein Fraktionsvorsitzender in Rücksprache mit seinen Arbeitsgruppen sagen kann: Das ist mir, das ist uns als Fraktion so wichtig, dass wir uns dafür vehement einsetzen. Ich finde, es ist im Parlamentarismus nicht das Schlechteste, wenn es nicht nur Danksagungen - das sage ich bei aller Wertschätzung - an die Regierung gibt, sondern wenn sich fachkundige Abgeordnete aus innerer Überzeugung das Recht nehmen, sich für eine Sache einzusetzen. Das wollte ich hiermit dokumentieren. Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Frau Kollegin Bär.

Dorothee Mantel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003586, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich mit voller parlamentarischer Überzeugung bei meinem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der sich in dieser Frage ebenfalls eingesetzt hat, meinem Landesgruppenchef Peter Ramsauer, meiner Ministerin Annette Schavan sowie meinen Staatssekretären Thomas Rachel und Andreas Storm. ({0}) Ich danke auch den Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe Bildung und Forschung, weil sie von Anfang an dahinterstand. Ich freue mich, dass wir unsere Regierung von der Wichtigkeit dieses Themas nicht erst noch überzeugen mussten. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7214, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5172 in der Ausschussfassung anzunehmen. - Ich bitte diejenigen, die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/7214 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4162 mit dem Titel „BAföG an neue Entwicklungen anpassen - Auszubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufenthalte erleichtern, Migrantenförderung verbessern und Hinzuverdienstgrenzen erhöhen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung, wenn ich das Abstimmungsverhalten der Grünen richtig interpretiere, einstimmig angenommen worden. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3142 mit dem Titel „Studierende Mütter durch die Sofortmaßnahme Baby-BAföG unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4157 mit dem Titel „Statt Nullrunde - BAföG angleichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7214 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4158 mit dem Titel „Sofortmaßnahmen beim BaföG - Für mehr Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungsbeteiligung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 34 c. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/5808 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 sowie den Zusatzpunkt 8 auf: 36 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer ({1}), Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Bärbel Kofler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Für eine intensive wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe - Drucksachen 16/5257, 16/6800 Berichterstattung: Abgeordnete Hartwig Fischer ({2}) Dr. Karl Addicks Ute Koczy ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neue Strategien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten und durchsetzen - Drucksachen 16/5243, 16/7153 Berichterstattung: Abgeordnete Hartwig Fischer ({4}) Dr. Karl Addicks Hüseyin-Kenan Aydin Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Gabriele Groneberg von der SPDFraktion das Wort. ({5}) - Sie haben jetzt Gelegenheit, hier zu sprechen, wenn Sie es wünschen. ({6})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Entschuldigen Sie vielmals, Herr Präsident, aber Herr Kollege Tauss ist immer so überzeugend, dass ich mich ihm schlecht entziehen kann. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich will nur sagen: Bei uns geht die Tagesordnung aber immer noch dem Kollegen Tauss vor. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag, über den wir heute reden, ist gekennzeichnet von einer Verantwortung, die wir hier in Deutschland gegenüber unserem Nachbarkontinent Afrika empfinden. Diese Verantwortung ist aber auch mit einem hohen Respekt verbunden. Denn mit Respekt müssen wir die durchaus positive wirtschaftliche und politische Entwicklung, die einige Regionen Afrikas in den letzten Jahren durchlaufen haben, anerkennen. Gekennzeichnet ist dieser Prozess durch ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum von rund 5 Prozent, verminderte Inflationsraten und demokratische Reformen. Natürlich gibt es Krisensituationen auf dem Kontinent Afrika. Erst gestern haben wir über die schreckliche Situation in Darfur gesprochen, aber auch über den Hoffnungsschimmer, der im Süden des Sudans auftaucht. Wir haben darüber zu reden, dass es zahlreiche und ermutigende Beispiele der Überwindung von Krieg und der Linderung von Elend und Armut gibt. Auch sind bei der Bekämpfung von HIV/Aids erhebliche Anstrengungen unternommen worden. Ghana ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung mutiger Zivilgesellschaften, die Durchführung fairer demokratischer Wahlen, gute Regierungsführung sowie für eine positive, dynamische Wirtschaftsentwicklung, wovon auch die Bevölkerung im Lande profitiert. Ghana hat das hohe Ziel der Selbstkontrolle durch den African Peer Review Mechanism, kurz APRM, erreicht. Bei dem APRM handelt es sich um ein von der afrikanischen NEPAD-Initiative initiiertes Instrument der Selbstevaluation und -reformierung afrikanischer Gesellschaften von Afrikanern für Afrikaner. Ferner muss erwähnt werden, dass einige Länder Afrikas vorbildlich sind bei der Korruptionsbekämpfung, der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, der Partizipation von Parlamenten und dem Aufbau zivilgesellschaftlicher Institutionen. Natürlich ist es erfreulich, dass der Anteil von Frauen in den nationalen Parlamenten signifikant gestiegen ist. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass dieses positive Bild des modernen Afrika in Deutschland und in Europa stärker wahrgenommen wird und sich in den Köpfen der Menschen festsetzt. ({0}) Die eingangs erwähnte Verantwortung, die wir gegenüber Afrika tragen, spiegelt sich natürlich auch in der Agenda wider, mit der wir uns während unserer Doppelpräsidentschaft im Rat der Europäischen Union und in der G 8 befasst haben. Wir haben in Heiligendamm unsere Partnerschaft mit Afrika bekräftigt. Denn wir haben ein Interesse an einem stabilen, demokratischen und aufstrebenden Afrika. Die G-8-Regierungen bekennen sich zu ihrer Verantwortung und zu den beim Gipfel von Gleneagles 2005 eingegangenen Verpflichtungen. Zum ersten Mal waren diesmal Entwicklungs- und Schwellenländer eingeladen. Damit haben wir verdeutlicht: Wir reden nicht über euch. Wir reden mit euch. ({1}) Im Mittelpunkt der gemeinsamen Bemühungen steht ein langfristiges, nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Afrika. Deshalb unterstützen wir unsere afrikanischen Partner in folgenden Bereichen: bei der guten Regierungsführung, bei der regionalen Integration und beim Ausbau des Privatsektors, bei Maßnahmen zur Entwicklung der afrikanischen Finanzmärkte und beim Ausbau der regionalen Infrastruktur, um Afrika für Investoren attraktiver zu machen. Unsere Botschaft lautet: Afrika ist ein Kontinent der Chancen. Allerdings: Ohne Frieden und Sicherheit ist eine nachhaltige Entwicklung des afrikanischen Kontinents nicht möglich. Deshalb muss der Ausbau der afrikanischen Sicherheitsarchitektur weiter gefördert werden. Neben der Unterstützung der afrikanischen Bereitschaftstruppe legen die G 8 besonderes Augenmerk auf zivile Elemente wie die Polizeiausbildung und technische Expertise. Ganz wichtig: In Heiligendamm haben wir uns verpflichtet, zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria sowie zur Stärkung der Gesundheitssysteme in den Ländern Afrikas in den kommenden Jahren rund 60 Milliarden US-Dollar zusätzlich bereitzustellen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, damit Afrika die Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 erreichen kann. Auch während unserer EU-Ratspräsidentschaft haben wir unsere Beziehungen zu Afrika auf ein stabiles Fundament gestellt. Die EU-Afrika-Strategie, die wir gemeinsam mit der AU und mit unseren afrikanischen Partnern erarbeitet haben, ist geprägt von den gemeinsamen Interessen Europas und Afrikas in der Klima- und Energiepolitik. Wir wollen eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Energiesicherheit, beim Zugang zu Energie, beim Klimawandel und bei der Bewältigung seiner Folgen, ebenso bei der Förderung günstiger Rahmenbedingungen für Investitionen sowie bei der Förderung von erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz. Die EU-Afrika-Partnerschaft soll Teil der gemeinsamen EUAfrika-Strategie werden. Sie wird auf dem EU-AfrikaGipfel Ende 2007 förmlich verabschiedet. Jetzt komme ich zu den Wermutstropfen. Leider findet sich im Energieaktionsplan ein Passus, in dem von einem Dialog über die friedliche Nutzung der Nuklearenergie die Rede ist. Deutschland hat sich dafür eingeGabriele Groneberg setzt, dass es sich dabei um einen wertfreien Dialog handelt, der die Nichtverbreitung mit einschließt und den Fokus auf höchste Sicherheitsstandards legt, der also nicht notwendigerweise zur Förderung der Nuklearenergie führt. Nuklearenergie ist für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit keine Option. In diesem Bereich findet keine Zusammenarbeit statt. Diese Position versuchen wir bei der Weltbank, in multilateralen Einrichtungen und in der EU durchzusetzen. ({2}) Wir halten es für sinnvoller, zur Verbesserung der Energieinfrastruktur beizutragen; hier sind substanzielle Investitionen dringend erforderlich. Dies ist ein Ziel, auf das wir zusammen mit unseren afrikanischen Partnern intensiv hinarbeiten. Zudem sind die beschleunigte Nutzung lokaler erneuerbarer Energieressourcen und die Steigerung der Energieeffizienz nach unserer Auffassung vielversprechendere Ansätze für Afrikas Entwicklung und für die Zusammenarbeit zwischen Europa und Afrika als die Förderung von Nuklearenergie. Ich weiß, dass in diesen Diskussionen immer gerne mit dem Finger auf einen gezeigt und gefragt wird: Was macht ihr denn selbst? - Wir reden hier nicht aus dem hohlen Bauch. Deutschland hat den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen; das haben wir übrigens in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben. - Herr Ruck, ich weiß, dass es Ihnen schwerfällt, das anzuerkennen; aber de facto ist es so, und wir sind darüber sehr froh. Danach richten wir natürlich auch unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit aus. Wichtig ist - das sage ich hier ganz deutlich -: Wir verlangen von anderen nichts, was wir nicht selbst zu leisten bereit sind. Die Bilanz unserer Doppelpräsidentschaft kann sich sehen lassen. Es freut mich, feststellen zu können, dass die vom Bundestag erhobenen Forderungen Berücksichtigung gefunden haben. Im Nachgang zu diesem fast abgeschlossenen Jahr und zu den Debatten, die wir geführt haben, kann ich feststellen: So viel Afrika hatten wir auf unserer Tagesordnung noch nie. Auch so viele positive und richtungweisende Beschlüsse - sowohl vom Bundestag als auch von der Bundesregierung -, die Afrika betrafen, gab es bisher noch nie. Ich hoffe, dass sich das in den nächsten Jahren kontinuierlich fortsetzt, dass das also nicht nur ein Strohfeuer ist und dass wir die Freude haben werden, daran gemeinsam weiterarbeiten zu können. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Karl Addicks von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Karl Addicks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003713, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Anträge - Ihr Antrag ebenso wie unserer wurden vor dem G-8-Gipfel formuliert; das merkt man Ihrem Antrag deutlich an. Frau Groneberg, Sie haben gesagt, dass etliche Punkte Berücksichtigung gefunden haben. Wir sind, ehrlich gesagt, gespannt darauf, ob sie, da sie Berücksichtigung gefunden haben, letztendlich auch umgesetzt werden. Es stimmt, was Sie gesagt haben: Afrika ist auf einem richtigen Weg. Aber Afrika ist noch lange nicht auf dem Weg, den wir uns wünschen; es gibt leider einige Wermutstropfen. ({0}) Hinsichtlich der Konsequenzen, die aus den Feststellungen zu ziehen sind, unterscheiden sich unsere Anträge erheblich. Wir sind der Auffassung, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit viel mehr die der Armut breiter Bevölkerungsschichten zugrunde liegenden Ursachen bekämpfen muss; das haben wir schon oft gesagt. ({1}) Worin liegen die Ursachen der Armut? Sie liegen unserer Auffassung nach darin - ich hoffe, Sie werden mir da folgen -, dass breite Bevölkerungsteile, im Grunde der gesamte informelle Sektor - er macht in den meisten afrikanischen Entwicklungsländern, gerade in Subsahara-Afrika, mehr als zwei Drittel aus - keine Möglichkeit hat, am Marktgeschehen teilzunehmen. Das ist es, was sich in Afrika entwickeln muss. Das schaffen wir nur durch wirtschaftliche Entwicklung. Die war für uns einmal so wichtig, dass wir sie in den Namen dieses Ministeriums aufgenommen haben. Das kommt in Ihrem Antrag leider viel zu kurz. ({2}) Im Haushalt haben Sie für die Außenwirtschaftsförderung, die in diesem Bereich extrem wichtig ist, ganze 2 Millionen Euro mehr vorgesehen. Ich denke, es ist jedermann bekannt, dass Entwicklung nicht von oben nach unten verläuft; Entwicklung verläuft von unten nach oben, sie setzt unten an. Da, wo die Wertschöpfungsketten beginnen, muss unsere Entwicklungspolitik ansetzen. Das sind der ländliche Raum, die Agrarwirtschaft, das sind Kleinhandel, Kleingewerbe und Handwerk; das setzt sich fort zu immer größeren Einheiten. So fängt ein volkswirtschaftliches Rad an, sich zu drehen. Deshalb sind die Mikrofinanzkredite ja so erfolgreich. Allerdings war die westliche Entwicklungszusammenarbeit in den letzten 25 Jahren gerade in diesen Bereichen viel zu wenig präsent. Unsere Ausgaben für Agrarentwicklung sind seit 1980 leider rückläufig; zuletzt lagen sie im unteren einstelligen Prozentbereich, bei gerade einmal bei 1,5 Prozent, wenn ich mich recht entsinne. An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Weltentwicklungsbericht erwähnen, in dem die Feststellung getroffen wird - Sie haben das alle zur Kenntnis genommen -, dass man durch die Entwicklung der Agrarwirtschaft, des ländlichen Raumes einen um den Faktor vier höheren Entwicklungserfolg hätte erzielen können als durch die Förderung anderer Wirtschaftsbereiche. Das stellen wir nach 25 Jahren fest! Ich muss Ihnen sagen, ich fand diesen Bericht einigermaßen bestürzend. Ich hoffe, dass wir nicht in 25 Jahren hier stehen und sagen, wir hätten das zum Klimawandel und zur Entwicklung des privaten Sektors ganz anders machen sollen. Wir predigen seit Jahren, dass die Basissektoren die wichtigsten sind. Übrigens ist auch die Bildung in unserer Entwicklungszusammenarbeit bisher zu kurz gekommen. ({3}) Natürlich ist die Förderung von Kleinhandel, Kleingewerbe etc. nicht das Alleinseligmachende. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sind Maßnahmen, die zu Investitionen der Privatwirtschaft führen, die den Unternehmergeist, den entstehenden Mittelstand in Afrika fördern und beflügeln, egal ob in kleinem oder großem Maßstab. Das wird zu einer nachhaltigen Entwicklung führen. Afrika kann nicht von außen entwickelt werden. Afrika wird und muss sich letztlich aus sich selbst heraus entwickeln. Diese Selbsthilfekräfte müssen wir viel stärker fördern. Alles andere ist im Grunde vergebliche Liebesmüh. In diesem Zusammenhang ist übrigens auch unser Wirtschaftsministerium viel stärker gefordert. Wir hatten früher ein Afrika-Referat im Wirtschaftsministerium. Lieber Kollege Fischer, leiern Sie doch einmal an, dass wir wieder so ein Referat bekommen! Das würde der Komplementarität unserer EZ gut tun. ({4}) Bevor meine Redezeit abgelaufen ist, möchte ich sagen, dass ich der Auffassung bin, dass auch unsere afrikanischen Partner gefordert sind. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der Koalition, bezieht sich auf eine Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe. Dann müssen wir unseren Partnern aber auch ganz deutlich sagen, dass sie endlich ihre Hausaufgaben machen müssen, und zwar schnell, indem sie die notwendigen Rahmenbedingungen setzen, die letztlich dazu führen, dass die Privatwirtschaft in ihren Ländern anspringt. Wer investiert denn Geld in ein Land, in dem die Bürokratien aufgebläht sind, in dem jeder Fortschritt eher verschleppt als vorangetrieben wird, in dem man für die Erteilung einer Lizenz monatelang braucht, in dem man seine Lieferungen nicht aus dem Zoll bekommt und in dem die Verwaltungsmitarbeiter so mies bezahlt werden, dass sie korrupt werden müssen? Das ist in vielen Ländern immer noch so. Einige Länder sind auf dem richtigen Weg; das wollen wir hier nicht unterschlagen. Wir müssen hier endlich Reformen abverlangen. Noch ganz kurz ein paar Worte zur Budgethilfe. Dazu kann ich an dieser Stelle nur sagen: Kommt drauf an, mit wem man es macht! - Die Länder, die ihre Parlamente nicht an Haushaltsentscheidungen beteiligen, können kein Partner für Budgethilfe sein. Im Grunde können es auch nicht Länder sein, in denen es kein Privateigentum an Grund und Boden gibt. Wie soll das denn gehen? Mosambik kann von daher keine Budgethilfe bekommen, auch deshalb nicht, weil die derzeitige Regierung die Opposition offenbar gar nicht als Teil des demokratischen Geschehens begreift. Ich hoffe, dass wir hier bald zusammen mit unseren Partnern zu einer Änderung kommen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hartwig Fischer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Addicks, ich bin Ihnen dankbar für Ihre Ehrlichkeit hinsichtlich der 25 Jahre. 16 Jahre davon war die FDP mit in der Verantwortung, sodass wir alle in diesem Parlament wohl Verantwortung dafür tragen. ({0}) Ich will Ihnen ausdrücklich bescheinigen - das haben wir im Ausschuss schon gesagt -: Der FDP-Antrag ist gut, aber er ist nicht gut und nicht umfassend genug. Wir sind der Überzeugung, dass Sie unserem Antrag beitreten können; denn er ist kohärent und auf Nachhaltigkeit sowie auf die Eigenverantwortlichkeit des Kontinents ausgerichtet. Kollegin Groneberg hat es schon deutlich gemacht: Wir haben uns gestern mit UNMIS und UNAMID zum Thema Darfur befasst. Vorgestern mussten wir uns im Menschenrechtsausschuss über Massenvergewaltigungen und Zwangskannibalismus an Kindern im Krisengebiet Kivu im Kongo informieren lassen, einem Land, in dem andere Regionen auf einem guten Weg sind, und wir erleben Herrn Mugabe, wie er sein Volk unterdrückt. Ich sage aber ganz deutlich: Wir debattieren im Augenblick über 47 Länder in Subsahara-Afrika, von denen drei negative Schlagzeilen machen. Das bedeutet, dass viele Länder deutlich mehr Licht als Schatten zeigen. 13 Länder sind dem Peer-Review beigetreten, in 8 Ländern wird er implementiert, in 4 Ländern wurde er inzwischen durchgeführt. Mehr als die Hälfte der Länder in Subsahara-Afrika ist also auf einem guten Weg. Der Peer-Review ist eine der Grundlagen für die Entwicklung von Eigenverantwortlichkeit in Afrika. Diesen demokratischen und wirtschaftlichen Reformprozess wollen wir gemeinsam unterstützen. Es war gut, dass die Bundeskanzlerin Professor Appiah auf Vorschlag der Afrikastiftung für seine Verdienste um den African-PeerReview ausgezeichnet hat; denn er hat die Zivilgesellschaft in Ghana einbezogen und ist damit einen neuen Weg gegangen, der Grundlage für dieses offene Verfahren ist. ({1}) Ich will jetzt nicht auf jedes Thema eingehen. Zum Thema Aids, dem wir uns besonders widmen - auch in Hartwig Fischer ({2}) diesem Antrag -, kann ich nur sagen: Im Bereich der Prävention müssen wir noch mehr gemeinsam leisten. ({3}) Ich will auf den Themenbereich eingehen, den auch der Kollege Addicks angesprochen hat, auf die Budgethilfe. Die Budgethilfe dient der Eigenverantwortlichkeit in den afrikanischen Ländern. Wir müssen uns aber einig sein, dass es für die Budgethilfe bestimmter Grundvoraussetzungen bedarf. Diese Grundvoraussetzungen heißen: Der Staat muss zeigen, dass er auf dem Weg von Good Governance ist. Der Staat muss zeigen, dass er bereit ist, sich dem Peer-Review-Prozess zu unterwerfen. Der Staat muss zeigen, dass er gegen Korruption vorgeht und das Parlament an der Bereitstellung der Budgethilfe beteiligt, wie bei uns üblich ist. Das sind die Grundvoraussetzungen, um Demokratie zu entwickeln. ({4}) Lieber Kollege Addicks, Sie haben das Thema der Eigenverantwortlichkeit schwerpunktmäßig angesprochen. Ich kann dazu nur sagen: Das ist doch einer der Schwerpunkte des Regierungs- und Koalitionsprogramms. ({5}) - Das bringe ich ihm nachher bei. - Wir haben deutlich gemacht, dass wir einen Schwerpunkt auf die Mikrofinanzen legen. Wir haben nicht umsonst Herrn Kaberuka von der Afrikanischen Entwicklungsbank angehört. Wir sehen, dass der beschriebene Prozess dazu führt, dass sich langsam, aber sicher ein Mittelstand entwickelt, dass zunehmend mehr aus dem informellen in den formellen Sektor überführt wird und dass dadurch mittelstandsfreundliche Strukturen aufgebaut werden. Da viele Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, worum es bei den Mikrofinanzen geht, möchte ich ein Beispiel nennen. Wir haben einen Betrieb gesehen, der von jemandem gegründet wurde, der sich für 100 Dollar Schraubenzieher und anderes Werkzeug gekauft hat, um Autos zu reparieren. Diesen Mann haben wir nach vier Jahren wieder besucht. Er hatte den nächsten Kredit bekommen, weil er immer pünktlich zurückzahlte, und war nicht mehr alleine, sondern hatte acht Beschäftigte, weil seine Werkstatt inzwischen Autos besser reparieren konnte. - Eine ähnliche Erfolgsgeschichte haben wir auch bei einem Betrieb erlebt, der Mais zu Mehl mahlt. Das ist der richtige Weg, um vom informellen in den formellen Sektor zu überführen. Wir haben des Weiteren Schwerpunkte in den Bereichen regenerative Energien und Biodiversität gesetzt. Das Thema Klimawandel spielt gerade seit Heiligendamm eine besondere Rolle. Ich bin froh, dass wir nicht nur in Heiligendamm mit einigen afrikanischen Regierungschefs in Dialog treten konnten, sondern dass auch der Folgeprozess in Lissabon am 8. und 9. Dezember dieses Jahres in Richtung eines partnerschaftlichen Miteinanders gehen wird. Das gilt genauso für die Transparenzinitiative EITI. Wer sich die Rohstoffsituation in vielen Ländern anschaut, der weiß, dass wir voneinander lernen müssen, zum Beispiel von Botswana. Dieses Land zertifiziert seit zehn Jahren seine Rohstoffe, bietet sie auf dem Weltmarkt zu fairen Preisen an, berücksichtigt den daraus erzielten Erlös in seinem Budget und hat das Geld für die Einführung der Schulpflicht eingesetzt. Das ist der Weg, den auch andere afrikanische Länder gehen müssen und bei dem wir sie begleiten können. Das wird in Regierungsverhandlungen durchgesetzt; darüber bin ich froh. Lassen Sie mich noch auf die Umwelt zu sprechen kommen. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Befassen Sie sich mit Lagos, der früheren Hauptstadt von Nigeria! Niemand weiß, wie viele Menschen in dieser Stadt leben. Die Angaben schwanken zwischen 16 Millionen und 18 Millionen. Diese Stadt ist auf Lagunen gebaut. Wenn Sie dorthin kommen, sehen Sie als Erstes Schiffe, die in keinem europäischen Hafen mehr anlanden dürfen und teilweise nur noch zur Hälfte aus dem Wasser herausragen. Alte Ladungen verrotten. Trotzdem sind Menschen froh, wenn sie solche Schiffe betreten dürfen, weil sie dort einen Lebensraum finden. Sie fischen von diesen Schiffen aus und verkaufen die gefangenen Fische auf dem Markt. Aber diese Fische sind in der Regel krank, sodass häufig Kinder erkranken. Angesichts dessen muss es in unserem Interesse liegen, solche Staaten beim vorbeugenden Umweltschutz zu unterstützen. Genau das fordern wir in unserem Antrag. ({6}) Lassen Sie mich noch einmal auf die Krisengebiete zurückkommen. Ich bin sehr froh darüber, dass Deutschland seit einigen Jahren afrikanische Länder und die Afrikanische Union unterstützt, eigene Friedenstruppen aufzubauen. Ich bin dankbar, dass das Kofi-AnnanPeacekeeping-Center, von der vorherigen Regierung genauso gefördert wie von der jetzigen, nun errichtet ist und zum Aufbau afrikanischer Kapazitäten beiträgt. So soll erreicht werden, dass die Afrikaner auch in Krisensituationen eigenverantwortlich und auf der Grundlage von internationalen Mandaten arbeiten können. Afrika hat viel mehr Licht als Schatten. Ich wünsche mir, dass auch bei solchen Debatten die Tribüne für die Journalisten einmal voll ist. Wir wünschen uns natürlich, dass über die Krisenherde berichtet wird, um das Elend der Menschen und unsere gemeinsame Verantwortung deutlich zu machen. Aber ich wünsche mir auch eine Berichterstattung darüber, wie die Afrikaner ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Herr Kaberuka hat uns deutlich gemacht: Die Afrikaner, die in der Bundesrepublik Deutschland in der Diaspora leben, schicken inzwischen unglaublich viel Geld in ihre Länder, nicht nur um ihre Familien zu unterstützen und humanitäre Hilfe zu leisten, sondern auch um ihre Heimatländer über PPP-Projekte voranzubringen. In diesem Sinne sollten wir sie unterstützen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Aydin von der Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen heute zwei Anträge vor, über die wir beraten. Die FDP schreibt in ihrem vorliegenden Antrag, fünf Jahrzehnte weltweite Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe hätten an der Armut in Afrika nichts geändert. Das ist ein Kurzschluss, lieber Kollege Addicks; denn die Ursachen für die unbefriedigende Entwicklung verschweigen Sie in Ihrem Antrag. ({0}) Sie verschweigen den Schuldendienst und die Zinslast, die die afrikanischen Länder zu tragen haben und hatten. Sie verschweigen, dass seit den 70er-Jahren insgesamt 400 Milliarden US-Dollar aus Afrika herausgeschafft worden sind. ({1}) Sie verschweigen, dass Privatbanken, IWF und die Weltbank Afrika über Jahrzehnte in einem Würgegriff hielten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das, was Sie fordern, nämlich Liberalisierung und Marktöffnung, wurde den Afrikanern unter dem Begriff Strukturanpassung längst aufgedrückt. Aber all das ist gescheitert. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! ({2}) Wer die Entwicklungszusammenarbeit infrage stellt, ist zynisch. ({3}) Sie bringt etwas, wenn sie richtig angesetzt wird. So hat Sansibar - Herr Fischer, Sie fischen dort gelegentlich bedeutsame Fortschritte bei der Bekämpfung der Kindersterblichkeit erreicht. Entscheidend dafür war eine Aufklärungskampagne der WHO. Die WHO stellte kostenlos Medikamente und Moskitonetze zur Verfügung; die Malariainfektionen gingen dort um 90 Prozent zurück. Die Arbeit der WHO ist erfolgreiche Entwicklungshilfe, mitfinanziert durch deutsche Entwicklungsgelder. Andere haben weniger Glück. In Westafrika sterben jedes Jahr Hunderttausende an der dort verbreiteten Schlafkrankheit. Der Grund: Für die Pharmaindustrie ist Westafrika kein lukrativer Markt, weil die Menschen dort die Medikamente nicht bezahlen können. Die Linke sagt: Der Zugang zu Gesundheit, zu Bildung und zu Trinkwasser ist ein Menschenrecht. ({4}) Entwicklungspolitik muss auf die Etablierung der sozialen Sicherungssysteme ausgerichtet sein. Doch von einer systematischen Ausrichtung auf dieses Ziel sind wir meilenweit entfernt. In die Grundbildung fließt gerade einmal 1 Prozent der bilateralen Entwicklungshilfe. Im Antrag der Regierungsfraktionen finden wir zu dieser Problematik nichts. Es gibt nur Allgemeinplätze. Sie fordern die Effizienzsteigerung der Entwicklungszusammenarbeit, aber Sie benennen keine konkreten Strategien; sie fehlen in Ihrem Antrag. Stattdessen langweilen Sie uns auf elf Seiten vor allem mit Blabla. ({5}) Interessant an Ihrem Antrag ist nur, was nicht erscheint, zum Beispiel etwas zur Steigerung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ihr Antrag ist ein Paradebeispiel dafür, wie man alle Probleme beschönigt, ohne sich auf irgendetwas festzulegen. Besonders skandalös ist Ihr Umgang mit einem der dringendsten Probleme. Ich spreche von Ihrem Verhältnis zu dem Flüchtlingsdrama vor den Toren Europas. Sie fordern ernsthaft, Deutschland müsse sich - ich zitiere aus Ihrem Antrag - „weiterhin für die wirkungsvolle und humanitäre Eindämmung der anhaltenden Flüchtlingsströme einsetzen“. ({6}) Aufgrund dieser sogenannten Eindämmung kamen allein in den letzten vier Wochen über 300 Afrikaner bei dem Versuch der Einreise nach Europa auf hoher See um. ({7}) Halten Sie das für humanitär, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition? ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Aydin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Raabe?

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, die Kollegen können gleich in ihren Reden auf mich eingehen. Kommen wir zum Kernstück der deutschen Afrikapolitik. Ich spreche von dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den afrikanischen Staaten. Da sie es nicht unterschreiben wollen, droht der EU-Handelskommissar Mandelson diesen Ländern, die Entwicklungshilfe zu kürzen. Mit einem Dialog auf Augenhöhe, den Sie in Ihrem Antrag fordern, hat das nun wirklich nichts zu tun. Von der Ministerin Wieczorek-Zeul hätte ich erwartet - das wäre durchaus angebracht -, dass sie etwas lauter als bisher gegen die Erpressungspolitik ihres Kollegen Mandelson protestiert. Ich fasse zusammen: Die FDP will Entwicklung durch mehr ruinösen Wettbewerb erreichen, die Regierungsparteien haben nicht mehr als Phrasen zu bieten. Zu solch einer Position können wir unsere Zustimmung nicht geben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Aydin, wenn Sie sagen, wir würden die Problematik der Flüchtlinge, die aus Afrika aufgrund einer Vielzahl gewalttätiger, sehr dramatischer Konflikte nach Europa fliehen, nicht ernst nehmen, dann erzürnt mich das sehr. Denn Ihre Partei ist es, die jeden Einsatz und jeden militärischen Schutz, den wir bieten wollen, um Flüchtlingen Schutz vor Mord, Vergewaltigung und zum Teil vor Abschlachtung zu geben, ablehnt, selbst dann, wenn es darum geht, UNFlüchtlingslager in Afrika zu schützen. Sie sehen zu, wie in Afrika Menschen von marodierenden Banden hingemetzelt werden, weshalb die Menschen natürlich flüchten müssen. Dann werfen Sie uns vor, dass wir gegen das Flüchtlingsdrama nichts tun. Das ist wirklich zynisch, Herr Aydin. ({0}) Sie sollten einmal für den Schutz dieser Menschen in Afrika sorgen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung Herr Kollege Aydin.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Kollege Sascha Raabe, Sie sollten zur Kenntnis genommen haben, dass meine Fraktion Militäreinsätze zur Eindämmung von Fluchtbewegungen nicht als das geeignete Mittel ansieht. Das haben wir immer gesagt. Ich glaube auch nicht, dass wir selbst mit Militäreinsätzen in Darfur, im Südsudan oder im Kongo die Flüchtlingsströme an den Grenzen Europas aufgehalten hätten. Was mir in Ihrem Antrag vor allem fehlt, ist, Kollege Raabe - das erwarte ich zumindest von der sozialdemokratischen Fraktion -, dass Sie die offizielle, legale Einwanderung in die Europäische Union zum Gegenstand Ihrer Regierungspolitik machen, damit die Menschen nicht auf hoher See ertrinken. Das wäre Ihre Aufgabe. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe vom Bündnis 90/Die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Responsibility to protect werde ich noch zu sprechen kommen, aber zunächst zum Koalitionsantrag. Die Koalition hat einen Antrag zur Afrikapolitik vorgelegt, der viele Wahrheiten enthält. Auch ich als Oppositionspolitiker kann dort kaum ein Haar in der Suppe finden. ({0}) Trotzdem reicht es für uns nicht zur Zustimmung. ({1}) Wir werden uns der Stimme enthalten, und zwar aus folgendem Grunde: Trotz der Vielzahl von 32 Spiegelstrichen und Einzelforderungen fehlt Entscheidendes. Sie drücken sich vor einigen unbequemen Themen, und das sind gerade die Themen, bei denen Kurskorrekturen dringend erforderlich sind. Erstens der Agrarbereich. Zumindest die hauseigene Evaluierungsabteilung der Weltbank hat gestern vorgemacht, dass es möglich ist, aus Fehlern zu lernen und eine Kurskorrektur zumindest zu beschreiben. Das, was die Weltbank in den letzten 20 oder 25 Jahren auf dem Agrarsektor in Afrika gemacht hat, ist - das sagt die eigene Selbstkontrolle - unter dem Strich betrachtet an der Hauptzielgruppe, an den Ärmsten der Armen und an den Hungernden, völlig vorbeigegangen. Daraus folgert die Evaluierungsabteilung, dass künftig nicht mehr das Agrobusiness, also die Konzentration auf Großplantagen für das Exportgeschäft, im Mittelpunkt der Entwicklungszusammenarbeit stehen sollte, sondern endlich die gezielte Förderung von Kleinbauern. Denn gerade die Kleinbauern, die nachhaltig heimische Produkte für regionale und lokale Märkte anbauen, sind das Rückgrat der Ernährungssicherheit. ({2}) Ich werde nicht müde, hier in jeder Debatte zu betonen, dass trotz aller Erfolgsmeldungen, trotz guter Wachstumsraten die Zahl der Hungernden in vielen Staaten Subsahara-Afrikas parallel dazu ansteigt. Das zeigt, dass Afrika nicht auf dem richtigen Weg ist. Die deutsche und die europäische Entwicklungszusammenarbeit haben auf dem Agrarsektor die gleichen Fehler gemacht wie die Weltbank. Die Weltbank hat diese Fehler jetzt zumindest erkannt. Diese kritische Selbsterkenntnis und eine Kurskorrektur stehen bei der Bundesregierung und der Europäischen Union noch aus. ({3}) Zweitens. Das Kohärenzproblem, das insbesondere die Europäische Union hat, wird im Koalitionsantrag kleinlaut in einem Spiegelstrichlein angedeutet, wenn es heißt, es sei ein Problem, dass die Küsten vor Ghana und Mauretanien überfischt seien. Da hätten Sie sich ein Beispiel an unserem Bundespräsidenten nehmen können, der dieses Problem sehr viel deutlicher und mutiger an13366 gesprochen hat. Er hat sogar von Schandverträgen gesprochen, die den Staaten Afrikas aufgezwungen wurden. ({4}) Er hat die doppelten Standards verurteilt. Die Verträge, die dort abgeschlossen werden, dienen nicht einer nachhaltigen Entwicklung, sondern Partikularinteressen, vielleicht einigen korrupten Ministerialbeamten in Afrika und einigen Fischereiunternehmen, überwiegend aus den Niederlanden. ({5}) Das, was die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union und der Bundesregierung gutgemeint aufgebaut hat, wird durch andere Politikbereiche der Europäischen Union - die Handelspolitik, die Agrarpolitik wieder zerstört. Wir erwarten, dass bei der Gipfelkonferenz, die jetzt in Lissabon stattfinden wird, diese furchtbaren Widersprüche klar, mutig und frei angesprochen und diskutiert werden. Das Gleiche gilt für das Thema Menschenrechte. Wir halten nichts von dem britischen Vorschlag, den ganzen Gipfel platzen zu lassen, wenn der grausame Diktator Robert Mugabe am Tisch Platz nimmt. Es wäre aber genauso fatal, Mugabe kommen zu lassen und dann so zu tun, als sei in Simbabwe nichts geschehen. ({6}) Es ist absolut notwendig - das erwarten wir von der Bundesregierung -, die Menschenrechtsverletzungen in Simbabwe klar auf die Tagesordnung zu bringen, ({7}) genauso wie die Menschenrechtsverletzungen in Darfur und im Kongo; der Kollege Fischer ist darauf eingegangen. Die internationale Gemeinschaft hat durch die Responsibility to protect einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Nicht die Einmischung in die inneren Angelegenheiten, nicht die Souveränität ist das oberste Gut, sondern dort, wo Menschen wirklich an Leib und Leben bedroht werden, wo ihnen ihre Existenzgrundlage entzogen wird, hat die internationale Gemeinschaft die Pflicht, einzugreifen, zu intervenieren, den Bedrängten und Notleidenden beizustehen. Doch diese Erkenntnis ist noch nicht überall angekommen. Das Engagement der internationalen Gemeinschaft muss immer wieder neu betont und verteidigt werden gegenüber ganz unterschiedlichen Interessen aus ganz unterschiedlichen Lagern, gegenüber Wirtschaftsinteressen von großen Unternehmen, aber auch gegenüber ehemaligen Freiheitskämpfern, die als Befreiungskämpfer gestartet sind und jetzt als grausame Despoten ihr Dasein fristen. Wir müssen wirklich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir müssen Kurskorrekturen klar benennen, unabhängig von Ideologien und Positionen, die wir früher eingenommen haben; denn nur wenn die Wahrheit auf den Tisch kommt, ist eine Kurskorrektur möglich. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich rate sehr dazu, diese Debatte auf ihren vernünftigen Kern zurückzuführen und nicht beispielsweise das Schicksal der Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Darum würde ich herzlich bitten. Die Lissaboner Gipfelkonferenz wird dann Sinn machen, wenn die Fragen, mit denen auch Europa im Südosten und im Süden dieses Kontinents konfrontiert wird, vernünftig beantwortet werden. In erster Linie leiden die Menschen, die versuchen, aus Mauretanien mit Booten zu den Kanarischen Inseln oder von der Nordküste Afrikas nach Malta oder Spanien zu kommen. Ich fände es sehr gut, wenn die Europäische Union nicht versuchen würde, diese Ströme so zu interpretieren, dass es darum ginge, eine Festung Europa aufzubauen. Ich fände es gut, wenn die Europäer verstehen würden, dass das ein Alarmzeichen dafür ist, dass es auf dem afrikanischen Kontinent Probleme gibt, die Afrikaner und Europäer nur gemeinsam lösen können. Wenn wir diese Aufgabe als eine gemeinsame interpretieren, dann, so glaube ich, wird es möglich sein, die positiven Prozesse, die es in Afrika auch gibt, zu verstärken und zu beschleunigen. Dann können wir mit dafür sorgen, dass die Menschen aus dem Kongo, aus Failing States nicht flüchten müssen, sondern eine Chance sehen, in ihren Nationalstaaten zu bleiben, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und das eigene Leben vernünftig zu gestalten. Das ist Aufgabe der Partnerschaft zwischen Europa und Afrika. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundeskanzlerin und Frau Wieczorek-Zeul das Problem so deuten und den Gipfel in Lissabon zum Erfolg führen werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weisskirchen, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kerstin Müller?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Weisskirchen, ich bin Ihrer Meinung, dass es notwendig ist, die Fluchtursachen zu bekämpfen, damit die Menschen künftig in ihren Ländern bleiben können. Ich möchte noch einmal auf das von Herrn Hoppe angesprochene Thema Simbabwe zu sprechen kommen und eine ganz konkrete Frage stellen. Die BunKerstin Müller ({0}) desregierung hat die Absicht, auch dann an dem Gipfel teilzunehmen, wenn Mugabe kommt. Ich frage Sie: Wie wird die Bundesregierung Sorge dafür tragen, dass die Situation in Simbabwe offensiv Thema des Gipfels wird und man nicht einfach „business as usual“ betreibt?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Müller, ich kann dem, was Sie damit zum Ausdruck bringen, nur zustimmen. Ich hoffe sehr, dass die Bundeskanzlerin oder wer auch immer von der Bundesregierung an dem Gipfel in Lissabon teilnehmen wird, sehr klar sagt, dass das, was in Simbabwe vor sich geht und das Verhalten von Mugabe von uns nicht hingenommen werden können. ({0}) Die Europäische Union muss klar und deutlich sagen: Wenn du, Mugabe, diese Form der Diktatur fortsetzt, dann kannst du mit uns nicht rechnen. Wir Europäer verurteilen das, was dort vor sich geht. Wir unterstützen alle, besonders die demokratische Opposition, die in diesem Land versuchen, einen Weg in die Zukunft zu finden, Frau Kollegin Müller, ich bin sicher, dass die Bundeskanzlerin dieses Thema aufgreifen wird. Ich würde es für fatal halten, wenn die Frau Bundeskanzlerin die Menschenrechte anderswo auf der Erde in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellt - mit Recht -, aber gerade an diesem Punkt sagen würde: Mugabe, du bist herzlich willkommen. Das darf nicht sein. ({1}) An dieser Stelle möchte ich noch etwas hinzufügen: Herr Kollege Hoppe, Sie haben mit Recht den Bericht der World Bank erwähnt. Wenn Sie in den Bericht schauen, werden Sie feststellen, dass die ökonomische Entwicklung in Afrika sehr differenziert beurteilt werden muss. Es gibt eine positive Entwicklung. Nicht allein in den Ländern Afrikas, die über große Bodenschätze verfügen, hat sich das Wirtschaftswachstum im Laufe einer Dekade um jährlich mehr als 5 Prozent erhöht, sondern auch in den Ländern, die über gar keine Bodenschätze verfügen. Ich finde, das ist ermutigend. Das zeigt, dass kleine Unternehmen und Bauern auch durch die Mittel, die wir im Rahmen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zur Verfügung stellen, die Möglichkeit erhalten, die Entwicklung in ihrer schwierigen Region positiv zu beeinflussen und sich durchzusetzen. Ich würde mir sehr wünschen, Frau Kollegin Kortmann, dass es zuletzt gelingt, das, was am Ende dieses Jahres als Gefahr droht, nämlich dass wir unsere Märkte nicht öffnen gegenüber den Kleinbauern, gegenüber denjenigen, die Handel treiben, gegenüber denjenigen, die den Marktzugang nach Europa suchen, über das Landwirtschaftsministerium oder über das Wirtschaftsministerium zu verhindern. Wenn es nötig ist, muss eben die Frist noch einmal verlängert werden, in das Jahr 2008 hinein. Ich würde mir weiter wünschen, dass eine solche Verlängerung dann auch eine Entsprechung in den Ländern Afrikas selbst findet. Dort muss für eine Anpassung gesorgt werden, sodass die Länder eine bessere Chance haben, ihre Produkte auf unseren Märkten zu verkaufen. Der entscheidende Schlüssel ist - da gebe ich Ihnen recht -: dass sie ihre Produkte auf unseren Märkten verkaufen können. Das ist ein Ansporn dafür, dass sie eigene ökonomische Entwicklungen in ihren Ländern vorantreiben. Das wünsche ich mir sehr. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weisskirchen, ich darf Sie noch einmal unterbrechen. Der Kollege Hoppe würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Hoppe.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme Ihren Forderungen bezüglich des Marktzugangs zu. Es gibt aber ein Phänomen, das im neuen Evaluierungsbericht der Weltbankabteilung beschrieben wurde - es ist nicht der gesamte Bericht -: In mehreren afrikanischen Staaten sind einerseits erfreuliche Raten beim Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, andererseits gibt es eine Gruppe von verletzlichen und hungernden Menschen; die Zahl der Hungernden ist ebenso angestiegen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Leider!

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Teilweise werden aufgrund von wirtschaftlichen Aktivitäten im Goldbergbau sogar Flüsse vergiftet, und Menschen, die vorher von der Subsistenzlandwirtschaft oder von der Fischerei gelebt haben und statistisch bettelarm waren, sich aber selbst ernähren konnten, haben diese Möglichkeiten nicht mehr. Das war der Kern meiner Botschaft: Es gibt Bevölkerungsgruppen in vielen afrikanischen Ländern, die vom Fortschritt abgekoppelt werden und denen es aufgrund wirtschaftlicher Aktivitäten einiger Firmen sogar schlechter geht als vorher. Das war das Problem.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stimme Ihnen zu, gerade auch was den Anteil der wachsenden Probleme betrifft. Ich will das, was Sie sagen, lieber Herr Kollege Hoppe, nicht verharmlosen: Es ist virulent, und es ist dramatisch, was sich dort abzeichnet. Aber es ist auch ein Hinweis darauf, dass innerhalb Afrikas die ökonomische Entwicklung mit sozialen Polarisierungsprozessen einhergeht. Wir reden doch jetzt schon von African Ownership, von der Verantwortungsübernahme durch die Afrikaner selbst. Deshalb gibt es eine gute Chance, diesen Proble13368 Gert Weisskirchen ({0}) men in den Ländern zu begegnen, indem Good Governance, also gute Regierungsführung, stärker vorangebracht wird und sich zivilgesellschaftliche Gruppen zum Aufbau der Demokratien ausprägen. Dann kann es gelingen, über die Zeit hinweg die dramatischen Probleme, die Sie hier mit Recht beschrieben haben, positiv aufzunehmen und ins Gute zu wenden. Der afrikanische Kontinent hat es verdient, dass wir ihm bei diesem schwierigen Entwicklungsprozess helfend zur Seite stehen. Lissabon kann ein gutes Signal dafür werden. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht besonders wahrscheinlich, dass allzu viele Menschen in Afrika diese Debatte verfolgen. Nachdem ich mir den Beitrag des Kollegen Aydin angehört habe, ist das - um es vorweg ganz deutlich zu sagen - auch gut so. ({0}) Man muss sich entlang seines Beitrags einmal anschauen, wie deutsche Entwicklungszusammenarbeit, deutsche wirtschaftliche Zusammenarbeit funktioniert und wie sie mit der Außen- und Menschenrechtspolitik ineinandergreift. Da wird von dieser Koalition und von der Bundesregierung, wie ich finde, eine zunehmend kohärente Politik betrieben. ({1}) Das muss auch unser Anspruch sein. Der Kollege Fischer hat zu Recht gesagt: Es gibt Schatten, aber es gibt auch Licht. - Ich finde es richtig, bei einer solchen Debatte auch einmal über Licht zu reden. ({2}) Sie haben uns vorgeworfen, wir würden zu wenig tun, wenn es um den Zugang zu Bildung und Wasser geht. Zu den Punkten Bildung und Wasser können Sie als dritten Punkt noch angemessenen Wohnraum hinzunehmen. Sie sind auch stellvertretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss. Ich empfehle Ihnen, ab und zu einmal zu dessen Sitzungen zu kommen. ({3}) Dann könnten Sie wissen, dass es im Wesentlichen diese Bundesregierung gewesen ist, die bei den letzten Sitzungen der alten Menschenrechtskommission und bei den Sitzungen des Menschenrechtsrates daran beteiligt war, genau diese drei Themen in Form von Resolutionen immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, dass sie mit dafür gesorgt hat, dass dies internationale Standards werden. ({4}) Der zweite Punkt betrifft die Frage: Was tun wir zur Bekämpfung von Krankheiten? Was tun bei den Medikamentenpreisen? Ich weise nur einmal darauf hin, dass es auf diesem Gebiet sehr viel freiwillige Zusammenarbeit - freiwillige Zusammenarbeit ist mir an dieser Stelle sogar lieber - mit hier in Deutschland bestehenden Firmen gibt. Ich denke zum Beispiel an die Firma Boehringer Ingelheim, die Aidsmedikamente in Afrika sehr kostengünstig auf den Markt bringt. Ich könnte viele andere Firmen nennen. Auf jeden Fall halte ich den Vorwurf an dieser Stelle in seiner Pauschalität für nicht richtig. Dritter Punkt: Sie haben gesagt, Deutschland tut, wenn es um die Frage von Gewalt geht, zu wenig. Es ist schon vom Kollegen Raabe darauf hingewiesen worden, dass es durchaus ein gewisser Gegensatz ist, auf der einen Seite zu sagen, wir beteiligen uns an keiner Stelle an friedenssichernden Maßnahmen, und auf der anderen Seite den Vorwurf zu erheben, die Regierung tut zu wenig gegen Gewalt. Das ist Double Standard und in einer solchen Debatte auf jeden Fall nicht angebracht. ({5}) Wer bei der Anhörung im Menschenrechtsausschuss war - ich glaube, Frau Schuler-Dschryver war auch im Entwicklungshilfeausschuss - und gehört hat, welch schreckliche Dinge im Kongo geschehen, der muss betroffen sein und auch erkennen, dass wir vor der Notwendigkeit stehen, dort weiter tätig zu sein. Aber er muss auch anerkennen, dass es die GTZ ist, die im Wesentlichen dort die Arbeit macht, und dass die Situation besser wäre, wenn es mehr solche Organisationen und mehr Länder wie Deutschland gäbe. Auch da hat Deutschland meiner Auffassung nach eine Vorreiterrolle, und auch das könnten Sie ruhig anerkennen. ({6}) Über Ihre - ist es postkommunistische? - Rhetorik zum Thema „Würgegriff des IWF und der Weltbank“ will ich mich hier nicht weiter verbreiten. ({7}) Nur noch eine Bemerkung zur Problematik der Einwanderung und zu den Menschen, die an den Grenzen der Europäischen Union nach Europa drängen: Jawohl, das ist ein ganz großes Problem, eines, dem wir uns verantwortlich stellen müssen. Aber was ist denn die beste Lösung? Die beste Lösung kann nur sein, dass wir die Bedingungen der Menschen vor Ort so verbessern, dass es für sie nicht die Notwendigkeit gibt, nach Europa zu gehen, weil die Bedingungen bei uns wesentlich besser sind. Das muss doch unsere Aufgabe sein. Das ist Entwicklungshilfe auf gleicher Augenhöhe. ({8}) Das Verteilen von Wohltaten hier und da, wenn der gute weise Buana irgendwann vorbeikommt, kann dagegen nicht die richtige Art und Weise sein. Zu dem, was Herr Kollege Hoppe in einer meines Erachtens sehr vernünftigen Art und Weise gesagt hat, will ich noch das eine oder andere anmerken. Sie haben beklagt, dass wir uns in dem Antrag, den die Koalition vorgelegt hat, zu drei Themen nicht hinreichend geäußert hätten, nämlich zu WTO, Überfischung und Umwelt. Ich darf Sie nur auf die Absätze 10 und 16 des Antrages hinweisen. Das ist bei uns Thema gewesen. Nun kann man über die Gewichtung diskutieren, aber es ist jedenfalls ein Thema. Frau Müller, wenn Sie die Bundeskanzlerin auffordern, bei dem Afrika-Gipfel, wenn Herr Mugabe auftaucht, deutliche Worte zu finden, dann bin ich bei Ihnen; das will ich auf jeden Fall sagen. Aber ich denke, die Bundeskanzlerin hat bei ihrer Reise und bei ihren Gesprächen mit der Afrikanischen Union mehr als einmal deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, Herrn Mugabe einzuladen, um ihm einen Persilschein auszustellen, sondern darum, ihn einzuladen, um ihn nicht aus der Verantwortung zu lassen und ihn auf dem AfrikaGipfel zu stellen. Das ist an dieser Stelle auch unsere Aufgabe. ({9}) Das Wahrnehmen von Verantwortung ist keine Sache, die nur auf einer Seite geschieht. Afrika und die Afrikanische Union haben eine Verantwortung, und wir sind dafür aufgefordert, diese Verantwortung zu stärken und die Menschen dort in die Lage zu versetzen, ihr Leben selbst zu bestimmen, ihre Staatlichkeit selber zu führen, damit der afrikanische Kontinent ein Hort von wirtschaftlicher Prosperität, von Menschenrechten, von Demokratie und von Rechtsstaatlichkeit wird. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Für eine intensive wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6800, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5257 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neue Strategien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten und durchsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7153, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5243 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Marieluise Beck ({0}), Volker Beck ({1}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland - Drucksachen 16/4932, 16/6241 Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort der Regierung auf unsere Große Anfrage ist schwammig, und der Beobachter kann daraus schließen, was auch die Spatzen von den Dächern pfeifen: Diese Regierung ist eben in sich widersprüchlich und hat keine wirklich gemeinsame Haltung in Bezug auf Russland. Dann kann man natürlich auch keine stringente Politik entwickeln. ({0}) Man kann grosso modo feststellen, dass, was die innenpolitische Entwicklung in Russland anbelangt, die Antwort der Bundesregierung sehr wohl kritisch ausfällt und dabei, was wichtig ist, die OSZE eindeutig gestärkt und gegen die Angriffe verteidigt wird, die insbesondere aus Russland kommen. Aber wirklich klar zu benennen, was für eine Entwicklung sich derzeit in Russland abspielt, davor drückt sich die Regierung. Wenn wir uns anschauen, was sich gerade jetzt im Vorfeld der Wahlen abspielt, welche Tendenzen sich zeigen, dann muss man Marieluise Beck ({1}) sagen: Die Demokratie bleibt in Russland zunehmend auf der Strecke. ({2}) Gänzlich zurückgenommen bei ihrer Beantwortung ist die Regierung beim ganzen Komplex Energie- und Umweltpolitik. Dabei stehen wir vor ganz wichtigen Entscheidungen. Wie soll eine Energiepartnerschaft mit Russland aussehen? Weitgehend keine Vorstellungen. Wie soll der Investitionszugang geregelt werden? Auch da hält sich die Bundesregierung bedeckt. Vor allen Din- gen: Wie kann eine gemeinsame europäische Energie- politik umgesetzt werden? Die Bundesregierung bezeichnet Russland weiterhin als „strategischen Partner“ und verdeckt damit, dass sie Russland zu einem Partner erklärt, ein Land, das offen- sichtlich viele unserer Werte verletzt und nicht teilt. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Regierung rich- tiger beraten wäre, zu sagen: Die strategische Partner- schaft ist ein Ziel, aber derzeit ist sie keine Realität. Wir stehen in Russland kurz vor Wahlen. Die Nach- richten, die zu uns dringen, und die Entwicklungen sind ausgesprochen besorgniserregend. Unter Putin hat die Justiz zunehmend an Unabhängigkeit verloren. Am al- lerdeutlichsten wird das bei der Behandlung des Falles Chodorkowski. Die Zivilgesellschaft ist durch das NGO- Gesetz stark eingeschränkt worden, und zwar vor allen Dingen durch die Vorfeldwirkung dieses Gesetzes. Es gibt kaum mehr eine unabhängige Berichterstattung in den Medien, vor allen Dingen nicht in den Telemedien. Die Einschüchterung von Journalisten - sie gipfelte im Mord an vielen Journalisten - haben wir alle verfolgt. Oppositionelle Parteien werden a) kaum zugelassen und b) dort, wo sie noch zugelassen sind, massiv behindert. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung ist, dass von Mitgliedern der Partei Union der rechten Kräfte vor kurzem 14 Millionen Broschüren unter dem Vorwand eingesammelt worden sind, dieses Material müsse staatsanwaltschaftlich dahin gehend überprüft werden, ob es Verunglimpfungen der Politik oder des Kremls enthalte. Hinzu kommt die massive Einschränkung der OSZE. Wir haben darüber gestern Abend gesprochen. Soeben lief über den Ticker, dass sich die OSZE unter den von der russischen Regierung gesetzten Bedingungen - sie gestatten keine wirkliche Wahlbeobachtung mehr - entschieden hat, auf die Entsendung von Wahlbeobachtern zu verzichten. Ich halte das für eine richtige Entscheidung; denn sonst würde die OSZE zum Feigenblatt. Die russische Außenpolitik ist ein Spiegel der innenpolitischen Entwicklung. Der Kreml ist offensichtlich bereit, für die Durchsetzung der Interessen nach innen manche außenpolitische Krise anzuheizen. Das gilt einmal für das Kosovo - Russland ist aus der gemeinsamen Linie der Kontaktgruppe ausgeschieden -, und das gilt auch für das iranische Atomprogramm. Putins Einladung an den Präsidenten Ahmadinedschad hat diesen wieder ein Stück weit hoffähig gemacht. Das ist eine sehr prekäre Strategie. Das jüngste Beispiel ist das skandalöse Vorgehen gegen die Lufthansa in Bezug auf die Überflugrechte. Da ist massiv Vertrauen zerstört worden, was jeder Investor, der nach Russland geht, natürlich sehr genau mitbekommt, sodass er sich fragen muss: Wie verlässlich ist der Handelspartner Russland, wenn so agiert wird, wie es bezüglich der Lufthansa geschehen ist? Hinzu kommt, dass sich die Bundesregierung - nach einem Anruf aus Rheinland-Pfalz, wie wir lernen konnten - weggeduckt hat. Es zeigt sich, wie widersprüchlich die russische Politik ist. Unter dem Strich ist festzustellen, dass nur ein gemeinsames Auftreten der EU gegenüber Russland - wir brauchen es, auch zur Lösung außenpolitischer Fragen und Krisen - Erfolg haben kann. Dort liegt der Schlüssel. Deswegen muss jedem „divide et impera“, das von russischer Seite versucht wird, mit einer ganz großen Geschlossenheit begegnet werden. Wie das gehen soll, wenn nicht einmal zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Kanzleramt Geschlossenheit besteht, ist allerdings die Frage. Deshalb bleibt unsere Forderung: Wir brauchen in diesem wichtigen Bereich der Außenpolitik eine feste Haltung, die in eine wirklich kohärente Strategie der EU eingebettet ist. Sonst wird uns dieser Partner immer weiter entgleiten und sich immer weiter in Richtung eines autoritären Regimes entfernen. Schönen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Grund von der CDU/CSU-Fraktion.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer in den letzten Tagen und Wochen Gesprächspartner aus Russland zu Besuch gehabt hat oder an Diskussionen mit russischen Gesprächspartnern teilgenommen hat - ob es Regierungsmitglieder, Abgeordnete der Staatsduma oder Politologen gewesen sind -, wird festgestellt haben: Die Russen sind als Gesprächspartner im Moment „auf Krawall gebürstet“. Sie werfen uns vor: Ihr wollt uns nicht verstehen; ihr redet uns schlecht; ihr wollt uns unseren guten Präsidenten kaputtmachen; ihr wollt nicht, dass Russland zu seiner alten Stärke zurückfindet. Das Problem ist nicht, dass Russland zu einer bestimmten Stärke findet, dass es ein in jeder Hinsicht auf gleicher Augenhöhe handelnder Partner wird. Was uns wirklich irritiert, liebe Marieluise Beck, sind die Widersprüche in der aktuellen russischen Entwicklung, in der russischen Innen- und Außenpolitik. Widersprüche gibt es weniger aufseiten der Bundesregierung als vielmehr auf russischer Seite. Nicht jedem Haken, der dort geschlagen wird, kann die deutsche Außenpolitik in dem Maße folgen, dass sie tatsächlich immer sofort eine Antwort geben kann. Widersprüchlich ist, dass uns gesagt wird: Präsident Putin ist Hüter der Verfassung. Er wird die Verfassung nicht manipulieren, nicht brechen, er wird sich nicht noch einmal zur Präsidentschaftswahl stellen, aber er wird an der Spitze der Partei „Einiges Russland“, deren Mitglied er nicht ist, kandidieren. Kremlastrologen sagen uns: Er wird dann versuchen, eine Stellung einzunehmen, die ihn, obwohl es nicht in der Verfassung steht, über das Amt des Präsidenten erhebt. Danach wird er eine bestimmende Rolle in der Innenpolitik und der Außenpolitik Russlands einnehmen. Dazu kommt, dass wir es mit einer inszenierten russischen Gesellschaft zu tun haben. Inszeniert ist sowohl die Regierungspartei - sie ist eine Retortenpartei, eine künstliche Partei, eine Kremlpartei - als auch die zweite Partei, die vom Kreml ins Leben gerufen wurde, um quasi ein Gegengewicht oder ein Feigenblatt zu bilden. Es ist eine inszenierte Gesellschaft. Die einen tun so, als würden sie demokratische Politik betreiben, die anderen tun so, als wären sie demokratisch legitimierte Gesellschaft. Das ist eine Tradition, die bis zu Katharina II. zurückreicht; insgesamt ist das also nicht allzu neu. Es gibt eine Jugendorganisation, die sich „Die Unsrigen“ - im Russischen: Naschi - nennt. Diese Jugendorganisation mit durchaus militanten Anklängen ist sich nicht zu schade, die eine oder andere Veranstaltung von Regimekritikern zu stören. Das sind die Widersprüche in der Innenpolitik. Es gibt auch Widersprüche in vielen Bereichen der Außenpolitik. Präsident Putin war vor wenigen Wochen in Teheran und hat dort am Rande einer Konferenz der Anrainer dieser Region umfangreiche Vereinbarungen mit dem iranischen Präsidenten getroffen, unter anderem dahin gehend, dass das Atomkraftwerk Busher mit russischer Hilfe und Unterstützung weitergebaut bzw. fertiggestellt wird. Es gibt Verträge über die Lieferung von bis zu 50 Kampfflugzeugen MiG-29 an den Iran und einen Vertrag über ein gemeinsames Projekt raumfahrttauglicher Raketen. Es ist eine Horrorvorstellung, dass der Iran von Ahmadinedschad mit der Perspektive auf Atomwaffen dann über raumfahrttaugliche Interkontinentalraketen verfügt und es damit genau zu der Bedrohung kommt, für die der amerikanische Schutzschirm gedacht ist, über den hier so viel diskutiert wird. Das ist der erste Widerspruch. Zweiter Widerspruch in der Außenpolitik: Russland versucht, die Region Iran-Mittel-/Zentralasien einzubinden, und zwar ausschließlich im russischen Interesse. Es geht hier um Öl, Gas und letztendlich um die Verfügungsgewalt über diese Ressourcen. Es geht Russland darum, dass es turkmenisches Gas nach wie vor durch seine Pipelines in Richtung Osteuropa, in Richtung Ukraine, Belarus, Moldau leiten und es zu einem Vielfachen des Aufkaufpreises verkaufen kann, weil Turkmenistan nicht über eigene Pipelines verfügt. Es geht darum, kasachisches Öl und Erdgas genauso, also ausschließlich über russische Pipelines, in Richtung Europa zu transportieren. Deshalb gab es auch viele Versuche Russlands, den Bau einer Pipeline, die den Namen Nabucco tragen soll, zu verhindern, die Gas an der russischen Einflusssphäre vorbei in Richtung Europa transportieren und damit einen Teil der Unabhängigkeit, die wir brauchen, um nicht gänzlich von Russland energiepolitisch an die Kette gelegt zu werden, schaffen soll. Interessanterweise ist es Aserbaidschan und Georgien vor drei Jahren gelungen, sich mit einer Ölpipeline, die von Baku über Tiflis nach Ceyhan in der Türkei reicht, aus der Ölabhängigkeit von Russland herauszuarbeiten. Nun gibt es viele Versuche Russlands, eigenständige Pipelines zu verhindern, sowohl in dieser Region als auch bis hin zu Europa, um die Vormachtstellung, die es hat, zu zementieren. Die Vormachtstellung zementiert natürlich auch eine Pipeline, die wir als Ostseepipeline kennen, die Nord-Stream-Pipeline, die die direkte Verbindung der deutschen Energieverbraucher an Russland gewährleistet, aber - hier nehme ich auf, was Marieluise Beck gesagt hat - Europa spaltet. In dem Moment, in dem jeder Abnehmer an einer eigenen Pipeline hängt, fällt es wesentlich einfacher, den Hahn zuzudrehen, wenn sich ein Land wie die Ukraine oder möglicherweise auch Polen erdreistet, etwas anderes zu denken oder zu tun, als in Moskau erwartet wird. Es gibt also große Probleme in dem Bereich der Energiesicherheit. Andere Punkte wurden schon angesprochen. Georgien gehört dazu. Es gibt keinen Konflikt, den Georgien in den letzten 16, 17 Jahren in Ossetien und in Abchasien erlebt hat, wo nicht in irgendeiner Weise Russland die Finger im Spiel hatte. Dasselbe gilt für die Ukraine und für die Republik Moldau, die zu einem Plan aus Moskau - das war das sogenannte Kozak-Memorandum - gesagt hat: Wir sind damit nicht einverstanden; denn wir können nicht ein Fünftel unseres Territoriums - einen Streifen, der sich Transnistrien nennt - auf Dauer unter russischer Hoheit lassen. Es ist ein Teil unseres Territoriums. Als Antwort konnten moldauische Waren nicht mehr nach Russland exportiert werden. Dadurch sind ein Drittel der moldauischen Staatseinnahmen verloren gegangen. Wir können diese Ausfälle nicht ausgleichen. Es ist ein großes Problem, dass die Transformationsländer, die sich in Richtung Demokratie und in Richtung Europa bewegen wollen, abgestraft werden können, wir aber kaum einen Ausgleich für die Sanktionen aus Moskau gewähren können. Dies alles gehört in den Kontext dieser Debatte hinein. Ich habe nicht - vorhin ist es aber angeklungen - über die Verletzung der Menschenrechte gesprochen. Die Inhaftierung von Chodorkowski gehört dazu. Andere neureiche Milliardäre, die wesentlich regimefreundlicher sind, werden an der langen Leine geführt und kaufen in Großbritannien Fußballvereine auf. Kritische Leute hingegen werden inhaftiert. Wir wissen von Auftragsmorden. Der Mord an der Journalistin Politkowskaja ist uns allen noch in Erinnerung. All das gehört zu diesem widersprüchlichen Bild, das Russland zurzeit abgibt. Wir sind gut beraten, erstens alles zu tun, damit wir zu einem kollektiven Sicherheitssystem mit Russland zurückfinden. Es wird in Europa keine Sicherheit ohne Russland geben. Das heißt, vertrauensbildende Maßnahmen im politischen Bereich sind von uns vielleicht sogar als Vorleistungen zu erbringen. Zweitens. Es gibt keine abgestimmte europäische Energiepolitik. Daran mangelt es; Frau Kollegin Beck hat richtigerweise schon darauf hingewiesen. Deswegen sind wir gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen dringend eine abgestimmte europäische Energiepolitik. Die Bundesregierung geht auf diesem Weg voran. Wir müssen Russland dazu bringen, zu den Normen zurückzukehren, die im freien Welthandel gelten. Das gilt für die Energiecharta, die Russland noch zu unterzeichnen hat. Erst dann besteht für getätigte Investitionen - Gasprom braucht in den nächsten Jahren 70 Milliarden Dollar an Investitionen, um neue Öl- und Gasfelder zu erschließen Rechtssicherheit. Ein negatives Beispiel ist das Unternehmen Shell, das auf Sachalin investiert hat und quasi enteignet worden ist. Es muss Rechtssicherheit geben. Wir müssen eine gemeinsame und stringente Energiepolitik machen. Dann können wir versuchen, auf gleicher Augenhöhe mit Russland ins Gespräch zu kommen. Das ist Teil der deutschen Regierungspolitik. Wir unterstützen das Handeln der Bundesregierung auf diesem Gebiet. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster von der FDP-Fraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Tagesordnungspunkt „Aktuelle Entwicklung in Russland“ muss ich eines vorwegschicken: Nicht alles ist verhandelbar. Menschenrechte, Demokratie, aber auch der Punkt Vertragstreue stehen für uns nicht zur Disposition. Wenn wir uns die Äußerungen und das Verhalten von Putin anschauen, dann können wir den Eindruck gewinnen, er würde fast alles für verhandelbar halten. Denn seit Monaten wirft er uns immer neue Brocken hin. Meine Vorredner haben die Punkte bereits angesprochen: KSE, OSZE, Kosovo und - das hat Frau Beck schon erwähnt - die Luftfrachtverträge. Ich sehe mit großer Sorge, dass sich Russland seit einigen Jahren in nahezu allen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen, was die Modernisierung angeht, rückwärts entwickelt. In dem Entschließungsantrag, den die Grünen heute vorgelegt haben, sind Beispiele dafür genannt worden; sie kamen in dieser Debatte auch schon zur Sprache. Ich möchte nur ein paar Punkte herausgreifen: Es gibt erhebliche Behinderungen der Zivilgesellschaft, beispielsweise durch das NGO-Gesetz. Auch die Vertreter unserer Stiftungen in Moskau, aber auch anderswo in Russland, haben damit sehr stark zu kämpfen. ({0}) - Ja, sehr richtig, auch die Botschaften. - Bei der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es massive Einschränkungen. Ferner erfolgt - Frau Beck hat das schon angesprochen - eine direkte oder indirekte Kontrolle eines großen Teils vor allem der elektronischen Medien, aber auch der Printmedien. Diese Liste könnte man um aktuelle Geschehnisse erweitern. Wir müssen uns nur die Tickermeldungen zum Thema OSZE und Russland ansehen. Erst gestern Abend haben wir darüber debattiert. Frau Beck, Sie haben angesprochen, dass ursprünglich 70 Wahlbeobachter für 95 000 Wahllokale zugelassen werden sollten. Jetzt stellen wir fest, dass es diesen Wahlbeobachtern gar nicht möglich sein wird, ins Land zu gelangen, weil die russische Regierung die Visa verweigert. Das ist eine sehr traurige und einmalige Entwicklung im Rahmen der OSZE. Das muss man hier noch einmal ganz deutlich kritisieren. ({1}) Die russische Regierung scheint zu vergessen, dass berechenbare und verlässliche Partner gefragt sind, dass Vertrauen eine elementare Größe in der internationalen Politik ist und dass man dieses Vertrauen auch verspielen kann. Meine Fraktion - das gilt sicherlich für die Mehrheit in diesem Haus - steht an der Seite derer, die ein offenes, verlässliches und freies Russland anstreben, ein Russland, das seiner Verantwortung in der Welt gerecht werden kann. Deswegen sagen wir auch ganz offen, dass wir uns nicht unter Druck setzen lassen werden, nicht bei den anstehenden Verhandlungen, aber auch nicht bei den Grundlagen des Entspannungsprozesses und den Grundlagen von Freiheit und Demokratie. Wir haben heute zu Recht Kritik an Russland geübt. Ich möchte aber auch ein klares Fragezeichen hinter die Politik setzen, die nichts anderes kennt als einen Rückfall in die Mechanismen des Kalten Krieges. Ich habe leider den Eindruck, dass zum Beispiel die USA immer noch keinen Ansatz dafür gefunden haben, wie sie jetzt mit Russland umgehen möchten. Wir dürfen nicht in die Zeiten der Blockkonfrontation zurückfallen. Dazu möchte ich zwei Beispiele nennen: Wir haben 1999 zusammen mit den anderen NATOStaaten den adaptierten KSE-Vertrag unterzeichnet. Ratifiziert haben wir ihn im Gegensatz zu Russland nicht. ({2}) Wir können zu Recht über seine inhaltlichen Details streiten. Aber das politische Signal, das davon ausgegangen ist, ist auch klar. Das war politisch eindeutig ein Fehler. Weil wir damit eine politische Front aufmachen, sollten wir diesen Fehler korrigieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Schuster, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grund?

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Zum Schluss möchte ich noch das leidige Thema der Raketenstationierung erwähnen. Ich verstehe bis heute nicht, wie es sein kann, dass man über Europas Sicherheit redet, aber nicht mit Europa darüber redet. Es ist an der Zeit, dass wir uns nicht als Spielball sehen, sondern klare Positionen beziehen. Das liegt vor allem auch im europäischen Interesse. Es gilt, endlich eine europäische Position zu definieren und diese dann auch gegenüber der NATO und gegenüber Russland zu vertreten. Ich freue mich, dass wir diese Debatte heute führen. Die Entschließungsanträge der Grünen sind insoweit sehr wichtig. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ist denn eigentlich unser langfristiges Ziel? Unser langfristiges Ziel - das hat die Frau Bundeskanzlerin beim Sankt Petersburger Dialog in Wiesbaden noch einmal unterstrichen - ist eine strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland. ({0}) - Ja, das ist das Ziel. ({1}) Dieses Ziel, liebe Kollegin Beck, hat zum Inhalt, dass wir natürlich offen über die Probleme debattieren. Im Rahmen des Sankt Petersburger Dialogs haben wir das vor wenigen Wochen getan. In unseren Diskussionen ging es zum Beispiel darum, dass wir die innere Entwicklung Russlands für nicht glücklich halten. Der Mord an Anna Politkowskaja und andere Ereignisse sind schon erwähnt worden, zum Beispiel die gesetzliche Einengung der politischen Parteien und die gesetzliche Einengung bzw., wenn man so will, die Bürokratisierung der Zivilgesellschaft. Immerhin hat die mutige Frau Pamfilowa deutlich gemacht - wir waren mit dabei, Frau Beck -: Wir werden uns dieser Aufgabe stellen und, wenn nötig, eine Gesetzesinitiative auf den Weg bringen, damit die Bürokratisierung abgebaut wird. Denn die Zivilgesellschaft - das ist ihr eigenes Zitat - braucht Luft zum Atmen und die Freiheit, sich zu entwickeln. ({2}) - Frau Beck, entschuldigen Sie: Auch Sie waren dabei, als Wladimir Putin in jener Podiumsdiskussion in Wiesbaden gesagt hat: Lasst uns darüber reden. Wo nötig, muss die Gesetzeslage zugunsten der Nichtregierungsorganisationen geändert werden. - Was ich damit sagen will, ist nichts anderes als dies: Man könnte die Liste der Defizite erweitern und das Bild zeichnen, dass die Demokratie in Russland in höchstem Maße gefährdet ist; das könnte man ohne Probleme so darstellen. ({3}) Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Können wir das Bild, das wir entwerfen, mit dem Ziel der strategischen Partnerschaft in Übereinstimmung bringen? Es kommt darauf an, dass wir unseren Partnern in Russland sagen: Haltet euch an die Verpflichtungen bzw. an die Commitments, die ihr eingegangenen seid, zum Beispiel an die Übereinkunft des Europarates. Darin heißt es zum Beispiel: Jetzt wäre es notwendig, das 14. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention umzusetzen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Weisskirchen, der Kollege Beck würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Darf ich aus diesem Anlass darum bitten, wegen der fortgeschrittenen Zeit von nun an auf Zwischenfragen und Kurzinterventionen zu verzichten? ({0}) Bitte schön, Herr Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben gerade gesagt, die russische Demokratie sei gefährdet; das hat mich völlig durcheinander gebracht. Ich glaube, dort gibt es nichts Demokratisches mehr, was gefährdet werden könnte. Denn von demokratischen Verhältnissen ist in Russland nichts übriggeblieben. Ich möchte Sie fragen, ob Sie folgende Meinung teilen: Die Duma ist im Wesentlichen eine vom Kreml organisierte Schau von Demokratie. Das verschärfte Wahlgesetz sieht vor, dass nur die Parteien zur bevorstehenden Wahl zugelassen werden, die mindestens 50 000 Mit13374 Volker Beck ({0}) glieder haben, und es verlangt, dass jede Partei in jedem der Föderationssubjekte bestimmte Mindestmitgliedszahlen nachweisen kann; diese Regelung hat zum Verbot der Republikanischen Partei von Wladimir Ryschkow geführt. Darüber hinaus mischt sich der Kreml in die Listenaufstellungen der Parteien „Union Rechter Kräfte“ und „Jabloko“ ein und verhindert dadurch, dass ein unabhängiger Duma-Abgeordneter einen Listenplatz erhält. Dadurch, dass die Hürde auf 7 Prozent erhöht wurde, ist es faktisch ausgeschlossen, dass der nächsten Duma eine demokratische, nicht vom Kreml gesteuerte Partei angehört. Von einer Demokratie nach unserem Verständnis kann nicht die Rede sein. Die gelenkte bzw. souveräne Demokratie in Russland, wie Putin sie selbst bezeichnet hat, verfügt weder über eine freie Zivilgesellschaft - das sieht man am NGO-Gesetz -, noch finden dort freie und faire demokratische Wahlen statt. Vor diesem Hintergrund ergibt es auch einen Sinn, dass man versucht, die OSZE-Wahlbeobachter fernzuhalten. Denn man möchte sich nicht durch internationale Beobachtung einschränken lassen. All das bedeutet, dass der Zugang zu den Wahlen nicht frei ist und dass der Ablauf der Wahlen nicht fair und demokratisch sein wird.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Beck, von all dem, was Sie gerade gesagt bzw. gefragt haben, greife ich ein einziges Detail auf. Die Stichworte sind: Jabloko, SPS und Ryschkow. Ich würde die These formulieren: Wenn es den demokratisch orientierten Parteien wie Jabloko und SPS - das gilt auch für einen Teil der Republikanischen Partei - gelungen wäre, sich zu einer überzeugenden demokratischen Plattform zusammenzutun, dann wären ebenjene Demokraten, mit denen wir eng kooperieren und mit denen wir partnerschaftliche Beziehungen pflegen, in der nächsten Duma; das sagen Ihnen die Kollegen selbst, wenn Sie sie fragen. ({0}) Nur, Sie wissen genauso wie ich, lieber Kollege Beck - lassen Sie mich das offen sagen -, dass Russland nur einen winzigen Moment in der Geschichte - das war in den wenigen Wochen der Zeit des Übergangs vom Zarenreich zur Revolution - überhaupt die Chance hatte, eine Demokratie aufzubauen. Das ist doch das Dilemma der russischen Demokratie. Ich meine, wir sollten bei aller Kritik - was Sie sagen, ist ja berechtigt - die historischen Zusammenhänge erkennen. Deshalb ist mein Schluss: Wir sollten mit den Partnern, die wir haben, geduldig zusammenarbeiten, damit die Chance auf eine innere Entwicklung Russlands genutzt wird, damit Russland hoffentlich bald, so schnell wie möglich, ein demokratisches Land wird, und zwar so, wie wir Westeuropäer Demokratie verstehen. Das würde ich mir sehr wünschen. Bitte deshalb nicht allein und ausschließlich schwarze Gemälde entwerfen - auch wenn die in vielen Punkten sicherlich ihre Berechtigung haben -, sondern der russischen Demokratie helfen, das zu werden, was sie werden will, nämlich eine europäische Demokratie, vergleichbar mit unseren! ({1}) - Ich will das ganz ernsthaft so beschreiben. Wenn Sie sich nämlich die Umfragen vom Lewada-Institut anschauen, wenn Sie die Böll-Stiftung fragen, wenn Sie die Kollegen von Memorial fragen, dann werden Sie erkennen, dass die innere Entwicklung Russlands, wie Herr Kollege Grund richtig gesagt hat, höchst widerspruchsvoll, höchst ambivalent ist. Aber wenn sie widerspruchsvoll ist, dann wäre es doch klug, sich zu überlegen, wo man an den positiven Elementen dieser Entwicklung anknüpfen kann, sie verstärken kann, damit Russland in der Tat eine Chance hat - ich wiederhole es -, das zu werden, was es in sich selber auch werden will: ein europäischer Staat. ({2}) Das ist das, was die Europäer in Russland wollen. Wir müssen ihnen dabei helfen, dass sie es auch werden; das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Lieber Kollege Beck, ich will Ihnen auch sagen: Ich verstehe ja, dass Sie bei dieser Auseinandersetzung in Russland besondere Erfahrungen gemacht haben. Doch wenn Sie diese Form der Kritik fortsetzen, landen Sie relativ schnell bei dem Problem, das Dimitri Simes in Foreign Affairs in seinem jüngsten Artikel „Losing Russia“ beschrieben hat: Russland wird verloren gehen. Er sagt deutlich, warum jetzt die Gefahr besteht, dass Russland die innere Kohärenz und die inneren Stabilitätsfunktionen verliert, die die Demokratie ausmachen: weil die USA es in dem Triumphgefühl nach dem Ende des Kalten Krieges versäumt haben, die inneren demokratischen Strukturen zu unterstützen und den Demokraten zu helfen. Stattdessen ist man Russland mit dem Gestus gegenübergetreten: Ihr müsst schön das lernen, was wir für Demokratie halten. - Jeffrey Sachs zum Beispiel hat nichts anderes gemacht, als zu versuchen, den Neoliberalismus in Russland durchzusetzen. Das alles sind Faktoren, die herangezogen werden müssen, um deutlich zu machen: Lasst uns dem, was in Russland geschieht, mit einer Haltung der Geduld begegnen! Damit meine ich mitnichten eine Haltung des passiven Entgegennehmens, der Permissivität. Lasst uns aber alles daran setzen, mitzuhelfen, dass dieses Land, das größte Land der Erde, kein Petrostaat wird - vor dieser Gefahr steht Russland gegenwärtig -, der vollständig von den großen Rohstoffreserven - von Öl und von Gas abhängig wird, sondern dass dieses Land auf dem Pfad der Modernisierung, den es ja bereits beschritten hat, beschleunigt vorankommt. Dann wird relativ rasch die russische Elite vor der zentralen und entscheidenden Aufgabe stehen, auch die Ökonomie zu modernisieren. Wenn Russland Mitglied der WTO ist, dann wird es dem Wettbewerb ausgesetzt sein. Russland kann mit seinen Industrien und DienstGert Weisskirchen ({3}) leistern dem rauen Sturm des Weltmarktes nicht standhalten, ohne dass es sich ökonomisch modernisiert, die Produktivitätsraten vorantreibt und die entsprechende Infrastruktur bereitstellt: Bildung, Verkehr, Gesundheit, Rentensysteme. Das alles sind große Reformaufgaben, die der politischen Elite Russlands bevorstehen. Man kann solche großen Reformschritte aber nicht gehen, wenn man Barrieren aufrichtet und das politische System kanalisiert und einengt, sondern man kann solche großen Reformaufgaben nur bewältigen, wenn die Demokratie die Chance hat, sich zu entfalten, wenn die Zivilgesellschaft die Freiheit hat, selbst zu handeln, und wenn den Menschen in Russland die Chance gegeben wird, sich an dem Wohlstand und Reichtum zu beteiligen. Das ist die zentrale Aufgabe, vor der die politische Elite in Russland steht. Den Russen muss deutlich gemacht werden, dass es nicht gut wäre, wenn sie aus ihrem Land fliehen und sich am Mittelmeer oder anderswo, zum Beispiel am Schwarzen Meer, in Zypern, ({4}) in Karlsbad oder auch bei uns in Deutschland, in BadenBaden, wunderbare Häuser kaufen würden. Das alles sind magische Orte für die russische Intelligenz. Wenn die russische Elite erkennt, dass sie eine große Reformaufgabe vor sich hat und dass sie sie nur bewältigen kann, wenn sie mit Verantwortungsbewusstsein an ihre Aufgabe, die Gestaltung der Zukunft ihres Landes, herangeht, dann wird Demokratie sozusagen die zwangsläufige Folge dieser Entwicklung sein, lieber Kollege Beck. Das jetzige politische System der gelenkten Demokratie, die Putin erfunden hat und in der die Menschen eingegrenzt bzw. eingeschränkt werden, ist nämlich ein Hemmnis für eine solche positive Entwicklung. Das können und dürfen wir nicht wollen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Verdienst der Fraktion der Grünen, dass sie die Große Anfrage gestellt und damit auch eine Debatte hier im Plenum des Bundestages herbeigeführt hat. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass eine solche Debatte bei vollerem Haus und zu einer günstigeren Zeit stattgefunden hätte, weil die Beziehungen zu Russland wirklich eines der Grundthemen der deutschen und der europäischen Außenpolitik sind. Das ist überhaupt keine Frage. Ich finde, das Ergebnis, das sich in Ihrem Entschließungsantrag niederschlägt, wird diesem Anspruch überhaupt nicht gerecht. Ich gebe zu - das ist auch mein Eindruck -, dass das, was von der Regierung hinsichtlich der strategischen Partnerschaft immer verbreitet wird, so etwas wie eine Blackbox ist. Es wird nie inhaltlich beschrieben. Das, was die Grünen in ihrem Entschließungsantrag anbieten, ist aber überhaupt keine Strategie. Insofern nimmt das eine dem anderen nichts. Aus meiner Sicht muss man auf einer vernünftigen Grundlage noch einmal darüber nachdenken, wie eine außenpolitische Philosophie gegenüber Russland gestaltet werden kann. Ein Ergebnis des neuen Denkens, das ja auch ein wenig mit einem russischen Politiker zusammenhängt, ist, dass man die Interessen des Partners, des Kontrahenten oder des Gegners immer in die eigenen Überlegungen mit einbezieht, sie also nicht nur konträr betrachtet. Eine der großen Erfahrungen in der Außenpolitik - und nicht nur dort - ist, dass man Demütigungen immer vermeiden muss, egal, ob man sie bewusst herbeiführt oder ob sie herbeigeführt worden sind. Das wäre eine außenpolitische Philosophie, über die es sich nachzudenken lohnte. Ich sage Ihnen ganz nüchtern: Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland gibt es keine Europapolitik. Eine Europapolitik ohne Russland ist nicht denkbar. Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland werden Sie kein außenpolitisches Problem lösen können. Darauf mussten Sie erst aufmerksam gemacht werden. Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland wird es keine stabile Entwicklung geben, auch keine ökonomische. Der Ansatzpunkt meiner Überlegungen ist, ob nicht auf der Basis der OSZE eine Zweitauflage der großen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auf der man sich durchaus mit den drei Körben der KSZE befassen könnte, notwendig ist. Ich will Ihnen ein paar Dinge vorhalten. Entschuldigung, Frau Beck, wenn ich das so zuspitze, aber der rote Faden, der sich durch Ihre Vorlagen zieht, ist der erhobene Zeigefinger. Das finde ich am schlimmsten. Wenn ich über die deutsche Politik gegenüber Russland, Israel und Polen nachdenke, dann werde ich nie die deutsche Vergangenheit ausblenden. ({0}) Ein erhobener Zeigefinger bringt überhaupt nichts. Aber genau das tun Sie. Lesen Sie doch einmal Ihren Text! Ich bitte Sie, unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses der russischen Politik darüber nachzudenken, ob das Gefühl der Einkreisung durch die Ausdehnung der NATO an die Grenzen Russlands im Westen und nun zunehmend auch im Süden - das liegt auf der Hand; die Avancen der USA an Georgien, Aserbaidschan und Armenien, Mitglied der NATO zu werden, sind doch bekannt - tatsächlich aus der Luft gegriffen ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob das System der Raketenabwehr in Polen und Tschechien Europa nicht erneut spaltet. ({1}) Ich bitte Sie, darüber nachzudenken - das brauchen wir jetzt nicht auszudiskutieren; Frau Schuster ist darauf bereits ausführlich eingegangen -, ob das Scheitern des KSE-Vertrages - weil die NATO ihn nicht ratifiziert hat nicht ein solches Gefühl verstärken muss. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob das von Russland artikulierte ökonomische Interesse daran, dass die neuen Pipelines nicht an seinen Grenzen vorbeigehen - das nehmen Sie in der Energiepolitik bei anderen Staaten immer hin -, nicht berechtigt ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob nicht gerade das Vorgehen in der Kosovo-Politik die Spaltung in Europa vertieft und ob Russland in dieser Frage nicht eine vernünftige, weitsichtige Position bezieht. Wenn Sie das alles ausblenden, werden Sie nicht zu einer strategischen Partnerschaft mit Russland kommen. Ich will abschließend sagen: Ich bin ein Gegner der Innenpolitik und der strategischen Orientierung der Politik unter Putin. Das hat mit meinen politischen Vorstellungen überhaupt nichts zu tun. Ich kritisiere die russische Innenpolitik, aber von einem anderen Standpunkt aus. Ich kritisiere sie, weil sie zu wenig sozial und demokratisch ist. Aber ich nehme immer eine Position der Gemeinsamkeit mit Russland und nicht eine Position des erhobenen Zeigefingers ein. Schönen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/7187 soll zur federfüh- renden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Aus- wärtigen Ausschuss, den Innenausschuss und den Rechtsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlos- sen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7186. Wer stimmt dafür? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak- tion Die Linke bei Zustimmung der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Hartwig Fischer ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Energie- und Entwicklungspolitik stärker ver- zahnen - Synergieeffekte für die weltweite Energie- und Entwicklungsförderung besser nutzen - Drucksachen 16/4045, 16/5275 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christian Ruck Dr. Karl Addicks Heike Hänsel b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, Klaus Brähmig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Klimawandel global und effizient eindämmen Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern entschieden voranbringen - Drucksachen 16/5740, 16/6962 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christian Ruck Hellmut Königshaus Heike Hänsel Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Gabriele Groneberg von der SPD-Fraktion.

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat geht es um zwei Anträge der Koalitionsfraktionen, zum einen um die effizientere Verzahnung von Energie- und Entwicklungspolitik und zum anderen um Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern. Beide beinhalten aktuelle Problematiken, die unweigerlich miteinander zusammenhängen und nur global lösbar sind. Da es zu beiden Anträgen schon ausführliche Debatten gegeben hat, fasse ich mich kurz was Sie mit Sicherheit freuen wird. Der erste Antrag zielt darauf ab, die Energiegewinnung mit den Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit zu verknüpfen. Das bedeutet zunächst einmal, dass Einnahmen aus der Rohstoffgewinnung in Entwicklungsländern in armutsrelevanten Bereichen wie Bildung und Gesundheit Verwendung finden. Beispielsweise verfügt Afrika, das über ein Zehntel der weltweit bekannten Ölreserven beheimatet, über ein enormes Potenzial. Doch gerade Beispiele wie Angola und Nigeria zeigen, dass Bodenschätze allein nicht ausreichen. Hier, wie in so vielen anderen Entwicklungsländern auch, verhindert hauptsächlich Korruption eine breite wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Autokratische Regierungen und diverse Machtcliquen sind in der Regel die Profiteure der vorherrschenden intransparenten Strukturen und eben nicht die Bevölkerung. Deshalb sind wir aufgefordert, mit den rohstofffördernden Staaten bei ihren Bestrebungen nach einem transparenten Abbau ihrer Rohstoffe zusammenzuarbeiten. Wir fordern daher in unserem Antrag, dass die Initiative EITI, die die Offenlegung der Einnahmen aus der Rohstoffwirtschaft fordert, um durch Transparenz die Korruption zu bekämpfen, von uns weiterhin politisch, organisatorisch und finanziell unterstützt wird. Angesichts der steigenden Ressourcenknappheit und des wachsenden Bedarfes, der vor allen Dingen auch die Entwicklungsländer betreffen wird, ist es an uns, den Industrieländern, den Aufbau nachhaltiger Energiesysteme sowie die Entwicklung klimafreundlicher Technologien zu unterstützen. Frau Koczy, tatsächlich fördern wir mit 1,6 Milliarden Euro Projekte im Bereich erneuerbarer Energien in rund 40 Partnerländern. Damit zählt dieses Gebiet zu den Schwerpunkten unserer Zusammenarbeit. Eine effiziente und kostengünstige Energieversorgung, liebe Kolleginnen und Kollegen - darin sind wir uns sicher einig -, ist als ein weiteres daran gekoppeltes Ziel gerade für Entwicklungsländer ein vorrangiges Anliegen. Wir wollen damit natürlich vor allem auch das lokale Wirtschaftswachstum unterstützen. In unserem Antrag fordern wir aus diesem Grund, Entwicklungspolitik als ein eigenständiges, nachhaltiges Element in eine umfassende, langfristig angelegte Energieaußenpolitik einzubeziehen. Diese Problematik ist noch vor einem ganz anderen Hintergrund zu sehen, nämlich vor dem Hintergrund des Klimawandels. Wir haben uns in unserem Antrag mit den Folgen des Klimawandels in den Entwicklungsländern intensiv auseinandergesetzt. Obwohl sie kaum einen Beitrag dazu geleistet haben, dass sich das Klima zurzeit so stark wandelt, werden sie massiv von den Folgen betroffen sein. Wir sprechen hier von der besonderen Verwundbarkeit der Entwicklungsländer, zum einen weil deren Volkswirtschaften und staatliche Institutionen zumeist fragil sind, und zum anderen, weil die meisten Ökonomien agrarisch geprägt sind und sich somit Wetterextreme gravierend auswirken können. Auf diese Problematik wird mein Kollege Sascha Raabe nachher intensiver eingehen. ({0}) - Ja, natürlich, wir praktizieren das, von dem wir reden. Das habe ich vorhin schon einmal erwähnt. Weiter sprechen wir davon, dass die zunehmende Verknappung von Boden und Trinkwasser auch immer Ursache von politischen Krisen und Konflikten war und ist und sich dieser Zustand sicherlich weiter verstärken wird. Aus diesem Grund muss Klima- und Anpassungspolitik auch als Element präventiver Sicherheitspolitik verstanden werden. Wir fordern in unserem zweiten Antrag deshalb auch, dass wirksame Instrumente zur Finanzierung der enorm hohen Anpassungskosten weiterentwickelt werden. Wir brauchen eine kohärente Strategie, die unsere umfassenden klima- und entwicklungspolitischen Forderungen bündelt und somit die Wechselwirkungen ausreichend berücksichtigt. Ich erwarte, dass der Teil der Einnahmen aus dem Emissionshandel, der für Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern vorgesehen wird, in absoluter Übereinstimmung mit unserer entwicklungspolitischen Arbeit eingesetzt wird. ({1}) Wir müssen Energiesicherheit und Klimaschutz als gemeinsame Herausforderung begreifen. Deshalb brauchen wir auf internationaler Ebene wirkungsvolle Instrumentarien und Strategien, wie wir sie in den Anträgen fordern, die der Komplexität dieser unmittelbar miteinander verknüpften Problematiken unserer Meinung nach angemessen Rechnung tragen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede des Kollegen Michael Kauch von der FDP- Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Deswegen hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! 20 Jahre lang haben wir diskutiert, ob es tatsächlich so etwas wie einen von Menschen herbeigeführten Klimawandel gibt. Ich glaube, wir müssen jetzt aufpassen, dass wir uns nicht in Diskussionen verfangen, in denen es darum geht, welche Ziele wir uns setzen, und dass wir nicht anfangen, uns gegenseitig mit Zielvorgaben zu überbieten. ({0}) Wir sollten vielmehr die Frage stellen, was wir für einen weitgehenden Klimaschutz tun können und welche Voraussetzungen dafür vorhanden sein müssen. Ich meine, an erster Stelle braucht Klimaschutz Akzeptanz, ({1}) zuallererst natürlich bei uns im Land. Wenig helfen Pu- blikationen, wenig helfen Vorgaben irgendwelcher Ziele, und es helfen schon gar keine Predigten, auf was man in Zukunft alles verzichten sollte. Vielmehr geht es darum, dass wir Ökonomie und Ökologie miteinander vereinba- ren, damit die Leute draußen akzeptieren, dass wir den Klimaschutz in Deutschland zu einem ganz wichtigen politischen Tagesordnungspunkt machen. Wachstum und Wahrung der Schöpfung gehören für uns von der Union zusammen. Nur wenn es uns gelingt, hier bei uns zu zeigen, dass man auf der einen Seite Res- sourcen schonen und das Klima schützen und auf der an- deren Seite weiter wachsen kann, wird das alles akzep- 1) Anlage 5 tiert. Dazu gehört, dass wir uns an die Spitze der Technologieentwicklung setzen. Umwelttechnik und Automobiltechnik sind die Techniken, die Deutschland stark gemacht haben. Bei den Energietechnologien sind wir mittlerweile in weiten Bereichen Marktführer. Das sind die Dinge, die man bei uns in erster Linie voranbringen muss. Sie werden sich jetzt fragen, was meine Ausführungen mit der entwicklungspolitischen Debatte zu tun haben. Es gibt Menschen, die sagen, dass Deutschland für 3,2 Prozent der weltweiten klimaschädlichen Emissionen verantwortlich ist und dass in China die CO2-Emissionen pro Jahr um mehr zunehmen, als was wir in Deutschland insgesamt emittieren. Nun sage ich: Das ist richtig, aber nichtsdestoweniger oder gerade deshalb müssen wir zeigen, dass man für den Klimaschutz etwas tun und trotzdem wachsen kann; denn die Entwicklungsländer haben einen Anspruch - das wird hier keiner bestreiten - auf Wachstum. Wir müssen zeigen, dass das geht, ohne dass sie dieselben Fehler wiederholen. ({2}) - Die FDP sagt gerade, auch wir hätten einen Anspruch auf Wachstum. Weil auch wir diesen Anspruch haben und ihn erfüllen wollen, müssen wir klug mit diesem Thema umgehen und überlegen, wie man Technologie effizient einsetzen kann, um das Klima zu schützen. Die Entwicklungsländer brauchen den Transfer von angepasster Technologie. Ein ausgebautes Instrumentarium der Entwicklungszusammenarbeit gibt es in diesem Zusammenhang. Ich nenne als Beispiel die 4E-Fazilität, mit der die Nutzung von Technologien aus dem Bereich der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, die wir exportieren können, gefördert wird. Das ist aus meiner Sicht ganz entscheidend. Es geht aber nicht nur um Hochtechnologie, um Hightech, sondern es geht auch um die Frage, was in den Entwicklungsländern sonst noch passieren kann. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen ganz entscheidenden Eigenbeitrag der Entwicklungsländer aufmerksam machen. Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen entsteht aufgrund der Rodung von Wäldern und der Beseitigung von Torfböden. Auch da müssen wir nach meiner Meinung ansetzen. Indonesien ist allein wegen der Abholzung der Wälder der drittgrößte Emittent nach den USA und China. Da muss man sich überlegen, wie wir mit diesem Thema umgehen. Ich sage: Wir müssen einen ökonomischen Ansatz wählen und dürfen diesen Ländern nichts verbieten. Wir müssen diesen Wäldern einen ökonomischen Eigenwert geben. Wir müssen letztendlich eine finanzielle Inwertsetzung des Nichtrodens in Gang setzen. Das wird im Schwerpunkt nicht aus staatlichen Haushalten finanziert werden können, sondern wir müssen uns dabei insbesondere am globalen Emissionshandel orientieren. Diesen müssen wir weltweit und umfassend ausbauen und die Gelder hier zielgenau einsetzen. Was den Emissionshandel angeht, so sind wir mittlerweile auf dem Weg, von den 400 Millionen Euro voraussichtlichen Veräußerungserlösen pro Jahr 120 Millionen Euro international einzusetzen. Das ist ökonomisch sinnvoll. Ebenso ökonomisch sinnvoll ist es, dabei die EZKapazitäten zu nutzen, statt parallele Ressorts aufzubauen und das Rad neu zu erfinden. ({3}) Lassen Sie uns an dieser Stelle, wo wir sehr erfolgreich und sehr gut sind, entsprechend weitermachen. ({4}) Wir müssen und wollen darauf achten, dass die Maßnahmen ODA-fähig sind, insbesondere im Bereich der Energieversorgung und bei den notwendigen Anpassungen an den Klimawandel. Denn eines ist auch klar: Niemand ist vom Klimawandel so stark betroffen wie die Entwicklungsländer. Ein entscheidendes Instrument in diesem Rahmen ist der Clean-Development-Mechanism, und zwar deshalb, weil er einen Technologietransfer impliziert. Auch das muss man sich vergegenwärtigen. Aber wir müssen aus einem solchen Mechanismus erst einmal etwas machen. Da gibt es etliche Kritikpunkte, die wir zeitnah ausräumen müssen, insbesondere beim Thema Bürokratie. Wir müssen methodische Klarheit bei der Anrechnung von Projekten schaffen. Wir sollten meiner Überzeugung nach das Augenmerk auf Afrika richten. Bei alledem sollten wir nicht versäumen, Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen. CDM-Investitionen sind langfristige Investitionen, für die die Industriestaaten politische Sicherheit brauchen. Dies sollte man bei den Post-2012Verhandlungen berücksichtigen. Auf der anderen Seite müssen wir uns sehr genau überlegen, wo wir solche Projekte umsetzen, wie man dort noch einen Beitrag zu Good Governance leisten kann, um auch da entsprechende Projektsicherheit zu erreichen. Was die Themen Energiepolitik und Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland angeht, muss man differenzieren. Es gibt eine Reihe energiereicher Entwicklungsländer, die wir dazu anhalten sollten, ihre Entwicklung mehr aus ihrem Energiereichtum zu fördern. Mit „anhalten“ meine ich nicht, dass wir uns auf moralische Vorgaben und Aufforderungen beschränken sollten, sondern wir sind in besonderer Weise als Abnehmer gefragt; da sollten wir uns einem entsprechenden Verhaltenskodex anschließen. Es ist an uns, in erster Linie Länder zu stabilisieren, die uns Energie liefern. Das ist ein Eigeninteresse, dem wir, wie ich meine, nachgeben dürfen. ({5}) - Saudi-Arabien ist aufgefordert, seinerseits Entwicklungspolitik zu machen mit dem vielen Geld, das es demonstrativ mit den Ölexporten macht. Aber das ist etwas, lieber Kollege, was wir im Deutschen Bundestag leider nicht beschließen können. Wir sollten meiner Meinung nach aber auch an die Entwicklungsländer denken, die nicht in großem Umfang über Ressourcen verfügen. Diese haben ein ernstDr. Georg Nüßlein haftes Problem mit dem Anstieg der Energiepreise; da können wir beim Beispiel Saudi-Arabien bleiben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ihnen durch einen angepassten Technologietransfer helfen müssen, damit sie nicht länger von Energieimporten abhängig sind. Dazu müssen wir in unserem Land die entsprechende Politik betreiben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir da auf einem guten Weg und für Bali entsprechend aufgestellt sind. Vielen herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede der Kollegin Heike Hänsel von der Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) Damit hat das Wort die Kollegin Ute Koczy von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich bei der Diskussion über diesen Antrag vor allem auf die Unterschiede zu unserem Antrag konzentrieren; denn vier Minuten Redezeit sind wenig. Zunächst einmal fällt das Datum des Antrages auf: 17. Januar 2007. Das heißt, Sie hatten elf Monate Zeit, mit diesem Antrag umzugehen. Der Titel dieses Antrages lautet: „Energie- und Entwicklungspolitik stärker verzahnen - Synergieeffekte für die weltweite Energieund Entwicklungsförderung besser nutzen“. Das ist ein wichtiges Thema. Ich frage mich, warum wir über dieses Thema heute so spät diskutieren. Warum diskutieren wir überhaupt so spät über einen Antrag, der eigentlich darauf abzielte, die G-8- und die EU-Präsidentschaft voranzutreiben? ({0}) Sie haben einen Antrag vorgelegt, um im Nachhinein bestimmte Dinge klarzustellen. Ich finde das äußerst merkwürdig. ({1}) - Ich kenne das Prozedere. Umso schlimmer ist es, dass es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre Regierung adäquat voranzutreiben. ({2}) Ein paar Punkte weisen darauf hin, dass Sie nicht so er- folgreich waren, wie dieser Antrag vorgaukelt. 1) Anlage 5 Ich möchte darauf hinweisen, dass wir Grünen einen Antrag mit dem Titel „Rohstoffeinnahmen für nachhaltige Entwicklung nutzen“ vorgelegt haben, über den wir hier am 10. Mai 2007 diskutiert haben. Energie, Rohstoffe und Klima sind Themen, die zusammengehören. Ich bin sehr froh darüber, dass hier im Rahmen der Entwicklungspolitik darüber diskutiert wird. Wenn man den Antrag der Grünen liest, weiß man, warum wir dem Koalitionsantrag nicht zustimmen werden: Sie sind, auch im Rahmen der Diskussion, auf bestimmte Punkte, die ich wichtig finde, nicht eingegangen. Die Bundesregierung muss aufgefordert werden, dafür zu sorgen, dass keine Kredite der Weltbank und der Entwicklungsbanken für Erdöl- und Gasprojekte vergeben werden. Die Umsetzung des Salim-Berichts ist nach wie vor sehr wichtig. Davon steht kein Wort in Ihrem Antrag. ({3}) Wir brauchen mehr Transparenz bei Bürgschaftsentscheidungen der Bundesregierung. Diesbezüglich ist nichts von der Bundesregierung zu erwarten. Nichts ist getan worden. Die Gewinne aus den sogenannten Konfliktrohstoffen müssen sanktioniert werden. Auch das haben wir bislang nicht großartig thematisiert. Außerdem ist zu fragen, was mit dem Geld passiert, das durch Erdöl- und Gasprojekte eingenommen wird. Wir haben gerade über das Thema Russland gesprochen. Ich weise darauf hin, dass die Deutsche Bank Gelder des verstorbenen Diktators des zentralasiatischen Landes Turkmenistan verwaltet und wir immer noch keine Möglichkeit haben, an diese Gelder heranzukommen. ({4}) Auch dieses Thema wird von den Koalitionsfraktionen ignoriert. Das Schöne an diesem Antrag ist, dass man Sie an den Erwartungen messen kann, die Sie dort formuliert haben. In Punkt 18 haben Sie einen solchen Einspruch formuliert. ({5}) Wenn man genau liest, stellt man fest, dass Sie nicht sehr weit gekommen sind. Sie fordern zum Beispiel: Die Bundesregierung muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 und die deutsche G8-Präsidentschaft 2007 dazu nutzen, die europäische Entwicklungs-, Energie- und Klimaschutzpolitik auf das gemeinsame strategische Ziel, die Verzahnung von Energiesicherheit, Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz, auszurichten und in den internationalen Harmonisierungsprozess der Entwicklungspolitik einzubetten. Davon habe ich nichts mitbekommen. ({6}) Zum Zweiten fordern Sie die Bundesregierung unter Punkt 13 auf, den von Ihnen „eingeforderten Bericht zur stärkeren Verzahnung von Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Ansatz der Exportunterstützung für Erneuerbare Energien spätestens bis zum Frühjahr 2007 dem Deutschen Bundestag vorzulegen“. Auch diesbezüglich bitte ich darum, dass Sie das nachbearbeiten. Lesen Sie Ihren Antrag noch einmal, und sagen Sie dann, was Sie erreichen wollen. ({7}) Dieser Antrag macht mich vor allem nervös, weil Sie sagen, dass Sie einen „ausgewogenen Energiemix“ anstreben. Sie sagen, dass Sie - ich zitiere - „über alle Energieträger hinweg Spitzentechnologien“ entwickeln wollen, „um weltweit eine nachhaltige Energieversorgung zu gewährleisten.“ Wir wissen - Herr Ruck hat das gestern gesagt -, dass Atompolitik für eine Seite der Koalition nicht tabu ist. Das hätte zum Tabu gemacht werden müssen. ({8}) Wir sagen Nein zu dieser Ausrichtung. Ich bitte Sie, dabei zu bleiben und das nicht zu forcieren; denn es wäre eine fatale Fehlleistung in der Entwicklungspolitik, wenn Sie diesen Schritt täten. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Dr. Sascha Raabe von der SPD-Fraktion.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Koczy, es geht heute nicht nur um einen Antrag, sondern es geht um zwei Anträge. Das sollte Ihnen aufgefallen sein, wenn Sie sich schon so akribisch mit der Chronologie befasst und darauf hingewiesen haben, wann die Einbringung war. Sie wissen, dass es im parlamentarischen Prozess vor allem wichtig ist, wann man einen Antrag einbringt. Wir haben diese beiden Anträge, den zum Klimaschutz und auch den zur Energiepolitik, an sehr prominenter Stelle, nämlich in der Kernzeit, noch vor den G-8-Debatten, eingebracht. Wenn wir als Koalitionsfraktionen einen Antrag einbringen, ist es so, dass wir die Bundesregierung motivieren, das, was in den Anträgen gefordert wird, zu machen, noch bevor wir den Antrag hier in zweiter und dritter Beratung beschlossen haben. ({0}) Das lässt sich auch an Zahlen festmachen, die ganz evident sind. ({1}) Eine Initiative im Rahmen der G-8-Präsidentschaft war zum Beispiel darauf gerichtet, dass die Weltbank einen Vorstoß in der Frage unternimmt, wie man mit einem internationalen Fonds Tropenwälder schützen kann. Die Mittel eines solchen Fonds können für die Entschädigung der Nichtnutzung verwendet werden. Natürlich müssen Entwicklungsländer das Recht haben, ihre Tropenwälder wirtschaftlich zu nutzen. Davon leben Menschen. Frau Koczy, noch vor unserem Beschluss hier hat die Bundesregierung 55 Millionen US-Dollar für einen Fonds zugesagt, der insgesamt nur ein Volumen von 250 Millionen US-Dollar hat. Wir sind neben Großbritannien die Einzigen, die dafür im Rahmen der G-8-Präsidentschaft eine konkrete Zusage gemacht haben. Daran sieht man: Die Regierung handelt, auch weil wir sie mit guten Anträgen unterstützen. ({2}) Wir hätten uns diese Schnelligkeit manchmal gewünscht, als wir noch mit Ihnen in einer Koalition gewesen sind. ({3}) Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in unserer Entwicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt sehr ernst nehmen, den auch Herr Nüßlein in seiner Rede genannt hat, nämlich die Frage, wie wir die tropischen Regenwälder in ihrer Biodiversität schützen. Es ist schon angesprochen worden, dass in den tropischen Regenwäldern ein Fünftel der CO2-Emissionen entstehen. Aber auch fast 90 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten kommen in diesen Wäldern vor. Wir reden hier über ein Problem, das wirklich sehr ernst ist und schnell gelöst werden muss. Der Kollege Ruck und ich waren mit zwei weiteren Kollegen in Indonesien und haben uns vor Ort angesehen, wie schnell dort Ölpalmenplantagen tropische Regenwälder vernichten und ersetzen. Natürlich sagt ein armes Land wie Indonesien: Wenn ihr nicht wollt, dass wir unsere Wälder in Ölpalmenplantagen umwandeln, dann müsst ihr uns Einkommensalternativen bieten. In unserem Antrag haben wir übrigens auch geschrieben, dass zu prüfen ist, inwieweit wir einen Mechanismus und einen Fonds im Rahmen der Initiative REDD unterstützen können, die der lokalen Bevölkerung einen Ausgleich geben können. Denn es gibt nicht nur Tiere oder Pflanzen, sondern auch viele Menschen, die in und von den Wäldern leben. An dieser Stelle geht die Bundesregierung mit gutem Beispiel voran. Wir werden das auch weiter fordern und die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Ebenso sind wir seit 1992 in Brasilien mit 330 Millionen Euro der wichtigste Geber in dem Programm mit dem Ziel, die amazonischen Regenwälder zu schützen; wir tragen fast die Hälfte der Kosten des gesamten Programms. Das nützt uns etwas; denn es geht um das Klima, die Luft und die Temperatur - was wir alle brauchen. Es geht im Rahmen der Biodiversität nicht nur darum, ein paar hübsche Tierarten zu schützen. Es ist zwar schön, einen Puma und andere Tiere zu sehen; aber dort leben Pflanzen- und Tierarten, die uns im medizinischen Bereich hilfreich sein können, weil sie für die Behandlung von Krebs und anderen Krankheiten wichtig sind. Es geht also darum, dass wir dieses Erbe schützen und diese Potenziale ausnutzen können. Im Rahmen der WTO müssen wir dafür sorgen, dass die Patente, die daraus entwickelt werden, nicht allein von den internationalen Pharmakonzernen abgeschöpft werden, sondern auch der lokalen Bevölkerung ein Nutzen bleibt. Denn dann hat man auch eine Motivation der Menschen, diese Wälder zu schützen. In diesem Sinne, glaube ich, machen wir eine kohärente und gute Politik. Ich bitte Sie deshalb, beiden Anträgen zuzustimmen, Frau Koczy. Wenn man Ihrer Rede genau zugehört hat, hat man herausgehört, dass Sie das alles eigentlich richtig und gut finden. ({4}) In Wirklichkeit müssen Sie Ihre Kritik an den Einbringungsdaten festmachen. Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie unseren Anträgen zu. Ansonsten machen wir das allein und schützen die Welt und das Klima selbst. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Energie- und Entwicklungspolitik stärker verzahnen - Synergieeffekte für die weltweite Energie- und Entwicklungsförderung besser nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5275, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4045 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke angenommen. Zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Klimawandel global und effizient eindämmen Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern entschieden voranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6962, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5740 anzunehmen. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 40 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Bahr ({0}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP GKV-eigene Tarife durch Kooperation von GKV und PKV beim Wahltarif zur Kosten- erstattung ersetzen - Drucksache 16/6794 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Dr. Hans Georg Faust, CDU/CSU, Dr. Karl Lauterbach, SPD, Daniel Bahr, FDP, Frank Spieth, Die Linke, und Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6794 an den Ausschuss für Gesundheit vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 39 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht - Drucksache 16/6562 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU, Joachim Stünker, SPD, Jörg van Essen, FDP, Wolfgang Nešković, Die Linke, Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, und der Bundes- ministerin Brigitte Zypries.2) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6562 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 41 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({2}), 1) Anlage 6 2) Anlage 7 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zugang zu Rentenleistungen für ehemalige Ghetto-Insassen erleichtern - Drucksache 16/6437 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von Bündnis 90/Die Grünen das Wort, ({4}) die bereits am Rednerpult steht und jetzt auch reden darf.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als RotGrün 2002 das Ghettorentengesetz vorlegte, das in diesem Hause einstimmig beschlossen wurde, glaubten wir, wir hätten ein Stück mehr Gerechtigkeit geschaffen, Gerechtigkeit für Menschen, die während des Nationalsozialismus in Ghettos gezwungen wurden, Gerechtigkeit für Menschen, die dort eine Erwerbsarbeit annahmen, oft, um dem Hungertod zu entgehen, und dafür bis heute keinen Ausgleich erhalten haben. Ich finde, es ist eine echte Schande, was nun passiert. Von 70 000 Anträgen auf eine solche Rente wurden nur 5 Prozent positiv beschieden. Derzeit sind vor Sozialgerichten noch 10 000 Streitfälle anhängig. Nichts kann bei der Auszahlung der Rente für Ghettoarbeit unangebrachter sein als Geiz. ({0}) Es geht oft um hochbetagte, traumatisierte Menschen. Sie dürfen nicht in kräftezehrende, langwierige Verfahren getrieben werden. Ich will Ihnen ein Beispiel einer heute in Israel lebenden 81-jährigen Dame schildern. Sie wurde 1926 in der Ukraine geboren. Ihr Dorf wurde Mitte Juli 1941 von deutschen Truppen besetzt. Unmittelbar danach begann das Morden. Das junge Mädchen verlor über 100 Familienangehörige. Auch ihre Eltern und ihre vier Geschwister überlebten die deutsche Besatzung nicht. Sie selbst kam in ein Ghetto und fand durch die Vermittlung des sogenannten Judenrates Arbeit. Sie bekam kein Geld, aber immerhin so viele Lebensmittel, dass sie sich und ihren damals noch lebenden kleinen Bruder ernähren konnte. Später gelang ihr die Flucht. Mehrere Jahre lebte sie unter schrecklichsten Bedingungen in einem Heuschober versteckt, aber sie überlebte. Ihr Antrag nach dem Ghettorentengesetz wurde abgelehnt. Nach Aktenlage wurde entschieden: Die Antragstellerin habe in den 50er-Jahren in ihrem damaligen Entschädigungsantrag nur von Zwangsarbeit gesprochen. Auch seien Lebensmittel, Holzkohle und Kleidung kein Entgelt. Zudem gebe es Widersprüche über die genauen Zeiträume der Ghettohaft. Werte Kolleginnen und Kollegen, ist das nach 60 Jahren eigentlich ein Wunder? Gott sei Dank entscheiden nicht alle Gerichte nach Aktenlage. Das Landessozialgericht NRW hat einen anderen Weg gefunden. Der Berichterstatter Dr. von Renesse hat die betroffene Dame in Israel aufgesucht und befragt. Er hat Gutachter hinzugezogen. Am Ende kam das Gericht zu völlig anderen Ergebnissen als die Rentenversicherung. Solch engagierten Richtern kann gar nicht genug gedankt werden. ({1}) Die Rentenversicherungsträger haben viel zu hohe Hürden aufgebaut. Sie können doch für die Situation, der Menschen in einem Ghetto zur Zeit des Nationalsozialismus ausgesetzt waren, nicht die gleichen Kriterien von Freiwilligkeit und Entgelt anlegen wie für die heutige Arbeitswelt in einem demokratischen Staat. Ich wiederhole: Was hier passiert, empfinde ich als eine echte Schande. ({2}) In den letzten Monaten hat sich die Rechtsprechung aber zugunsten der Betroffenen bewegt. Das Bundessozialgericht hat eindringlich eine angemessene Würdigung der historischen Tatsachen verlangt. Die Rentenversicherungsträger sind aber offenbar nicht bereit, etwas zu ändern. Sie gehen regelmäßig durch alle Instanzen. Das dürfen wir nicht länger zulassen. Dass die Bundesregierung im September eine Härterichtlinie zum Ghettorentengesetz verabschiedet hat, war ein erster Schritt. Darauf können Sie sich aber nicht ausruhen, und Sie können die Hände nicht in den Schoß legen; denn diese Richtlinie reicht nicht aus. Auch die Jewish Claims Conference ist der Meinung, dass die Berechtigungskriterien unklar und restriktiv sind. Sie fordert, dass sie noch überarbeitet und klarer formuliert werden. Das sehen wir genauso. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Einmalzahlung von 2 000 Euro ist kein angemessener Ausgleich. Dadurch wird man dem Verfolgungsschicksal ehemaliger Ghettoinsassen nicht gerecht. Ich zitiere Robert Probst von der Süddeutschen Zeitung: Es ist ein Billigfonds, der niemanden zufriedenstellen kann. Zudem bringt die Richtlinie keine Änderung der Missstände beim eigentlichen Ghettorentengesetz. Unter Antrag sieht daher vor: Erstens. Der Personenkreis, den die Richtlinie der Bundesregierung im Blick hat, erhält pauschalierte laufende Leistungen von monatlich 150 Euro. Zweitens. Parallel wird der Zugang zum eigentlichen Ghettorentengesetz erleichtert, damit anspruchsberechtigte Betroffene Leistungen in vollem Umfang geltend machen können. Vordringlichstes Ziel muss es sein, die hochbetagten ehemaligen Ghettoinsassen schnell zu ihrem Recht kommen zu lassen, und dazu dienen die Pauschalleistungen. Schnelle Hilfe darf aber nicht dazu führen, Menschen vom Verfolgen ihres vollen Rentenanspruchs abzuhalten. Deshalb wollen wir die Klarstellung im Gesetz. Meine Damen und Herren, das Ghettorentengesetz wurde 2002 einstimmig beschlossen. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die notwendigen Korrekturen hier ebenso einmütig vornehmen würden. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Reden der Kollegen Peter Weiß ({0}), CDU/CSU, Dr. Heinrich Kolb, FDP, und Klaus Brandner, SPD, nehmen wir zu Protokoll.1) Deshalb hat jetzt das Wort der Kollege Jan Korte von der Fraktion Die Linke. ({1})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke unterstützt ausdrücklich den hier vorliegenden Antrag, weil es gerade angesichts des Al- ters der Betroffenen einer schnellen und unbürokrati- schen Lösung bedarf. Der Antrag hat also unsere volle Zustimmung. Auf das Problem wurde schon hingewiesen. Das Ghettorentengesetz wurde damals vom ganzen Hause verabschiedet. Das war richtig und gut gemeint; aber in der Praxis hat sich nun gezeigt, dass es sich nicht be- währt hat und im Übrigen für die Betroffenen unzumut- bar ist. Die Formulierungen im Gesetz und erst recht die da- raus abgeleiteten Entscheidungen zahlreicher Sozialge- richte, die die Anträge der Betroffenen reihenweise ab- lehnten, zeigen eine Unsensibilität gegenüber der realen Situation der vom NS-Faschismus verfolgten Ghettobe- wohner. Das stellt vielleicht den eigentlichen Skandal dar. Der vorliegende Antrag ist richtig, um diesen Skan- dal zu beenden. Die Arbeitsaufnahme müsse - so heißt es im Gesetz - „aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen“ und „gegen Entgelt ausgeübt“ worden sein. Die Anforderungen der Freiwilligkeit und eines Entgelts mögen für normale Arbeitsverhältnisse unter heutigen Bedingungen zutreffende Beschreibungen sein. Für die Situation in einem Ghetto - das ist hier zu Recht darge- stellt worden - treffen sie aber nicht zu. 1) Anlage 8 Es geht auch darum, politisch anzuerkennen, dass es sich hier um gesetzliches Unrecht handelt. Dem zollt dieser Antrag den entsprechenden Respekt. Ich will abschließend darstellen, wie dies aus Sicht der Betroffenen wahrgenommen wird. Wie die im Gesetz genannten Voraussetzungen auf die Betroffenen gewirkt haben, macht eine Petition deutlich, die eingereicht wurde. Der Petent beklagt, die im ZRBG genannten Kriterien verlangten aus der Sicht der Antragsteller, also der Opfer, das Eingeständnis eines gewissen Maßes an Eigenbeteiligung an ihrem Verfolgungsschicksal. Das Gesetz wird so verstanden, dass die Frage, ob eine Anspruchsberechtigung besteht oder nicht, allein davon abhängt, ob und in welchem Umfang die Opfer bereit sind, zuzugeben, ihr Verfolgungsschicksal aktiv mitgestaltet zu haben, indem sie ein Entgelt entgegengenommen oder sich freiwillig zu einer Beschäftigung gemeldet haben. Dieses Eingeständnis - so wird in der Petition ausgeführt - ist für die meisten ehemals Verfolgten mit einem Verrat an ihrem eigenen Opferdasein gleichzusetzen und - wenn man sich das einmal konkret vorstellt überhaupt nicht zu verstehen. Auch deswegen ist der vorliegende Antrag richtig und im Sinne der Opfer. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in diesem Hause eine Einstimmigkeit darüber erzielen könnten, diesen Vorgang im Sinne der noch wenigen lebenden Betroffenen abzuschließen. Wir sollten das gesetzliche Unrecht, das damals herrschte, anerkennen, und den Opfern zu ihrem Recht verhelfen. Ich fände es auch sinnvoll, wenn wir die Debatten über das Ghettorentengesetz dazu nutzen würden, vergangenheitspolitisch darüber zu diskutieren, wer von dem damaligen Unrecht profitiert hat. Wir sollten zum einen den Opfern zu ihrem Recht verhelfen und ihnen Anerkennung zollen, zum anderen aber deutlich machen, wer damals die Täter waren und wer davon profitiert hat. Dies könnte im Rahmen einer Debatte hier im Bundestag geschehen. Schönen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6437 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 27. November 2007, 10 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.