Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich muss Ihnen mitteilen, dass der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung verabredet hat, dass während der
Haushaltsberatungen in der kommenden Sitzungswoche
wie üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine
Fragestunde und keine Aktuellen Stunden durchgeführt
werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden.
Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 sowie den Tagesordnungspunkt 42 m auf:
ZP 7 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 16/6924 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 16/117 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({0})
- Drucksache 16/118 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1})
- Drucksache 16/7159 Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Christian Lange ({2})
Dr. Dagmar Enkelmann
Volker Beck ({3})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/7162 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Königshofen
Gunter Weißgerber
Jürgen Koppelin
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
42 m) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dagmar Enkelmann, Ulrich Maurer, Klaus
Ernst, Volker Schneider ({5}) und der
Fraktion DIE LINKE
Privilegien beseitigen - Mitglieder des Deutschen Bundestages in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen
- Drucksache 16/7107 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({6})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD zur Änderung des Abgeordnetengesetzes,
über den wir später namentlich abstimmen wollen, liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor. Es ist verabredet, für die Aussprache eine
halbe Stunde vorzusehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({7})
Redetext
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über die geplante Änderung unserer Entschädigung und
unserer Altersversorgung wird in der Bevölkerung, wie
ich meine, zu Recht intensiv diskutiert. Das ist für die
Abgeordneten, die sich dieser Diskussion stellen, vor allem für diejenigen, die diese Diskussion mit konkreten
Vorschlägen begleiten, wie es die Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsfraktionen tun, nicht immer einfach. Ich verstehe aber auch, dass manche Menschen,
vor allem diejenigen, die wenig verdienen, in dieser Diskussion ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Gleichwohl will ich deutlich sagen: Bei sachgerechter Betrachtung erkennt man, dass diese Vorschläge ausgewogen
sind. Sie sind sachgerecht und verdienen unsere Unterstützung.
({0})
Als Erstes stellt sich die Frage, warum wir selbst entscheiden. Für viele von uns wäre es wesentlich einfacher
und bequemer, sich zurückzulehnen und diese Entscheidung anderen zu überlassen. Das ist aber geltende Verfassungslage. Das ist geltendes Recht. Das Verfassungsgericht schreibt vor: Wir sollen entscheiden. Wir sollen
vor den Augen der Öffentlichkeit darüber entscheiden.
Ich füge hinzu: Ich finde das richtig so;
({1})
denn eine Übertragung der Entscheidung an irgendeine
Kommission würde nichts anderes bedeuten, als die Verantwortung abzutreten, sie auf andere abzuwälzen. Sich
vor der Entscheidung zu drücken, bedeutet, sich hinter
einer Kommission oder einem anderen Gremium zu verstecken.
Unser Ansatz ist ein anderer. Unser Ansatz ist ein
transparenter Ansatz. Wir wollen öffentlich sagen, was
wir warum vorschlagen, dieses auch begründen und mit
der Bevölkerung diskutieren.
({2})
Es stellt sich eine zweite Frage: Warum die Diätenanpassung jetzt? - Seit 1995 steht im Abgeordnetengesetz,
dass sich die Entschädigung der Abgeordneten am Gehalt eines Bürgermeisters einer Stadt oder Gemeinde in
der Größenordnung zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnern zu orientieren hat. Dieser Maßstab ist damals
gewählt worden, weil die Tätigkeit, die Verantwortung
und die Belastung dieses Personenkreises in etwa mit denen eines Bundestagsabgeordneten vergleichbar sind.
Obwohl das seit 1995 im Gesetz verankert ist, sind wir
noch weit von dieser Bezugsgröße entfernt. Was nun
vorgesehen ist, ist eine Annäherung daran. Selbst mit
dieser Änderung wird die genannte Bezugsgröße noch
nicht ganz erreicht.
Natürlich kann man sich dann fragen: Ist dieser Maßstab richtig? - Jeder könnte sich einen anderen vorstellen. Manche meinen, das persönliche Einkommen sollte
der Maßstab sein, andere wieder sagen, das Durchschnittseinkommen sollte der Maßstab sein. Ich gehe
nicht so weit, zu sagen, dass zum Beispiel das Einkommen eines Fußballspielers ausschlaggebend sein sollte.
Die Ehrlichkeit und Redlichkeit der Debatte verlangt es,
dass wir die Tätigkeitsprofile, die Anforderungen, die
Belastung und die Verantwortung vergleichen können.
Wenn wir dies als Ansatzpunkt nehmen, dann - da bin
ich mir sicher - ist dieser gesetzlich fixierte Maßstab
nicht zu hoch gegriffen, sondern er ist angemessen und
der richtige.
({3})
Bei dieser Gelegenheit, meine liebe Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie mich ein paar grundsätzliche Bemerkungen machen und einige Fragen aufwerfen, die
nicht nur wir zu beantworten haben, sondern die, wie ich
glaube, im Rahmen der Diskussion auch die Bevölkerung zu beantworten hat, nämlich zum Beispiel die Fragen: Was muss uns eigentlich ein unabhängiger Abgeordneter wert sein? Was sollte ein Abgeordneter an
Profil, an Eigenschaften, an Fähigkeiten, an Qualifikationen mitbringen?
Bei der Beantwortung dieser Fragen sollten wir uns
bei objektiver Betrachtung darüber im Klaren sein
- ohne jetzt überheblich zu sein -, dass das, was die Abgeordneten zu entscheiden und zu verantworten haben,
nicht nur für sie selbst, sondern für das ganze Land, für
die gesamte Bevölkerung, von enormer Tragweite ist.
Ob es sich hier nun um Entscheidungen handelt über
Bundeswehreinsätze im Ausland, über Maßnahmen zur
Verbesserung des Klimaschutzes, zur Verbesserung der
wirtschaftlichen Entwicklung oder zur Verbesserung der
sozialen Gerechtigkeit, was immer es auch ist. Wir streiten um die beste Entscheidung zu Recht. Vor diesem
Hintergrund kann die Antwort nur lauten: Unsere Demokratie braucht die Besten in unserem Land für die politische Verantwortung.
({4})
Wer die Besten sind, das entscheidet nicht jeder Einzelne, das entscheiden nicht wir, sondern das liegt in der
Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Nur, wir bekommen die Besten gar nicht in die Auswahl, wenn wir
ihnen nicht das Gefühl vermitteln können, dass sie für
das, was von ihnen verlangt wird, auch annähernd adäquat bezahlt werden.
({5})
Die Vorschläge umfassen auch eine Reduzierung der
Altersversorgung. Sie beinhalten einmal die Senkung
der jährlichen Steigerungsrate, die früher bei 4 Prozent
lag und mittlerweile 3 Prozent beträgt. Diese wird auf
2,5 Prozent reduziert. Die Senkung der Altersversorgung
beinhaltet weiter, dass der Höchstsatz von 69 Prozent
auf 67,5 Prozent reduziert wird. Dieser wird auch nicht
wie bisher schon nach 23, sondern künftig erst nach
27 Parlamentsjahren erreicht. Außerdem beinhaltet er
die Erhöhung der Altersgrenze von 65 Jahren auf
67 Jahre. Wir passen uns hiermit den Regelungen in der
gesetzlichen Rentenversicherung an. Wir wollen, dass
das, was wir anderen zumuten, auch für uns gilt. Wir
wollen uns ganz bewusst diesen Regelungen anschließen.
Natürlich taucht da immer wieder die Frage auf: Warum macht ihr keine Systemumstellung, warum nicht
höhere Bezüge und davon Beiträge für ein Versorgungswerk? Wir haben auch dies geprüft - die Diskussion
läuft ja nicht nur eine Woche, sondern in dieser Legislaturperiode bereits seit eineinhalb Jahren -, und das Ergebnis dieser Prüfung ist Folgendes: Erstens. Es würde
eine deutliche Mehrbelastung für den Bundeshaushalt
nicht nur kurzfristig, sondern auch mittelfristig bedeuten. Zweitens gibt es eine Untersuchung einer ebenfalls
unabhängigen Kommission aus dem Jahr 1993, der sogenannten Kissel-Kommission,
({6})
die deutlich gemacht hat, dass durch eine solche Umstellung keinerlei Einsparungen zu verzeichnen wären. Drittens entspricht unser jetziges System im Wesentlichen
der Versorgung in anderen öffentlichen Bereichen, die
mit dem unseren vergleichbar sind; im Übrigen wird es
auch in fast allen Landtagen so praktiziert.
Außerdem sagt eine reine Systemumstellung doch
überhaupt nichts. Ich denke, dass die Bürgerinnen und
Bürger auch ein Recht darauf haben, zu wissen, wie
hoch die Versorgung dann sein soll. Soll sie, wenn eine
solche Systemumstellung kommt, anschließend niedriger oder höher sein, oder soll sie gleichbleiben? Ab welchem Alter soll diese Versorgung dann gelten? Ich
meine, die Bürger haben einen Anspruch darauf, dies zu
hören und zu wissen. Aber, mit Verlaub, in keinem der
Gesetzentwürfe, in keinem der Anträge der Oppositionsfraktionen ist davon nur ein Wörtchen zu lesen.
({7})
Ich frage mich, warum das so ist. Scheuen Sie die Diskussion, wenn es ein wenig konkreter wird?
Niemand von uns soll sich hier verstecken, niemand
von uns soll sich vor der Verantwortung drücken; vielmehr sollen wir darüber eine offene Diskussion vor den
Augen der Öffentlichkeit führen, so wie es uns das Verfassungsgericht aufgibt. Wir haben Ihnen dazu Vorschläge gemacht. Der Gesetzentwurf ist beraten. Er sieht
konkrete Vorschläge vor, Vorschläge dazu, die Altersversorgung zu reduzieren, die Entschädigung an einen objektiv vergleichbaren Maßstab anzupassen. Es ist ein
Gesetzentwurf, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,
der unsere Zustimmung verdient.
({8})
Der Kollege Jörg van Essen spricht jetzt für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben in den verschiedenen Gremien in der vergangenen Woche die Fragen beraten. Die FDP-Bundestagsfraktion bleibt bei der Ablehnung des Vorschlages der
Koalition, weil wir den besseren Vorschlag haben.
({0})
Es gibt erneut keinen Systemwechsel, aber dieser
Wechsel ist dringend notwendig,
({1})
denn alles das, was Kollegin Hasselfeldt vorgetragen
hat, trägt ja nicht wirklich. Wir merken seit vielen Jahren, dass die Bürger das Gefühl haben, dass das, was mit
den Diäten der Abgeordneten geschieht, nicht gerecht
ist. Das ist ein Gefühl bei den Bürgern, das wir schon
deshalb ernst zu nehmen haben, weil wir merken, wie
viele Bürger sich bei uns mit Kritik und mit Vorschlägen
melden.
Gefreut hat mich in den letzten Tagen, dass es auch
eine intensive Debatte in den Medien gegeben hat. Zusätzlich hat mich gefreut, dass es so viel Unterstützung
für den Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion gegeben
hat, indem die Notwendigkeit des Systemwechsels auch
in den Medien herausgestellt worden ist.
({2})
Deshalb will ich noch einmal deutlich machen, was
wir wollen. Wir wollen zur Transparenz beitragen, ja,
auch wir; denn die unabhängige Kommission, die wir
vorschlagen, wird ihre Vorschläge natürlich begründen
müssen, wird darlegen müssen, warum sie sagt, die Abgeordneten sollen dies oder jenes verdienen.
Ich sage deutlich: Wir werden uns dem unterwerfen.
Das kann niedriger sein; dann werden wir uns unterwerfen. Es kann aber auch ein Stück mehr sein; dies werden
wir ebenso akzeptieren. Deshalb ist dies aus unserer
Sicht der richtige Weg. Alle, die das Hohelied des Mutes
singen, den wir haben müssen, seien daran erinnert, dass
viele Diätenentscheidungen gar nicht in diesem Hause
gefallen sind, sondern in Redaktionsstuben.
Ebenso sage ich deutlich: Wir möchten, dass es einen
Systemwechsel bei der Altersvorsorge gibt. Wir haben
uns in Nordrhein-Westfalen als FDP dafür eingesetzt,
dass es zu diesem Systemwechsel gekommen ist. Er ist
durchgeführt worden. Das zeigt, dass das Ganze machbar ist. Vor allen Dingen glaube ich, dass wir verantwortlich sind, wenn wir durch eigene Kapitalbeträge für die
Altersversorgung sorgen. Wir merken in allen sozialen
Sicherungssystemen, dass wir zu solchen Systemänderungen kommen. Der Bundestag muss dabei vorangehen.
({3})
Auch das spricht für den Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion.
Von daher aus unserer Sicht noch einmal die klare
Ansage: Wir wollen eine Verfassungsänderung. Bisher
schreibt das Bundesverfassungsgericht vor, dass wir die
Entscheidung über die Höhe der Diäten selbst fällen
müssen. Es gibt ein wissenschaftliches Gutachten des
Deutschen Bundestages, das deutlich und klar unterstreicht, dass das möglich ist. Dann sollten wir es auch
tun.
Der Bundespräsident ist eine neutrale Institution, der
die Kommission berufen kann. Die Bürger haben dann
Vertrauen in diese Kommission. Deshalb ist das der richtige Weg, die Abgeordnetendiäten festzulegen.
Wir möchten, dass diese Kommission auch Vorschläge für die Altersversorgung macht. Ich bin nach
den guten Erfahrungen, die wir in Nordrhein-Westfalen
beispielsweise gemacht haben, ganz sicher, dass die von
uns vorgeschlagene Systemänderung geht. Von daher
werbe ich für die Unterstützung des Vorschlages der
FDP-Bundestagsfraktion. Das ist der richtige Weg für
die Festlegung der Diäten, aber auch für die Altersversorgung.
Vielen Dank.
({4})
Es spricht jetzt die Kollegin Dr. Susanne Kastner für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum besseren Verständnis unserer Bürgerinnen und
Bürger hier auf der Tribüne und zu Hause an den Bildschirmen sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der
Deutsche Bundestag heute in der 16. Legislaturperiode
arbeitet. Es mag für einige Bürgerinnen und Bürger im
Lande und möglicherweise auch für den einen oder anderen Journalisten oder Kollegen interessant sein, wenn
man dazu noch einige Fakten zum Besten gibt.
In der letzten vollständigen vierjährigen Wahlperiode,
die von 1998 bis 2002 andauerte, kam der Deutsche
Bundestag zu 253 Sitzungen zusammen. Während dieser
Zeit trafen sich die Fraktionen zu 1 226 Sitzungen, und
die 23 Ausschüsse tagten 2 848-mal zu den unterschiedlichsten Themen.
Die aktuell 613 Abgeordneten des Deutschen Bundestages betreuen 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger
in den 300 vorhandenen Wahlkreisen. Wenn meine Abgeordnetenmitarbeiter und ich am Jahresende Bilanz ziehen - ich weiß, dass es bei anderen Kolleginnen und
Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, ganz genauso
ist -, staunen wir über mehr als tausend Bürgerfälle, die
uns erreicht haben. Hier finden sich langwierige Fälle
aus den Wahlkreisen, die Rente, Reha-Maßnahmen oder
Asyl betreffen ebenso wie die Betreuung von Firmen in
Schwierigkeiten, denen geholfen werden soll, und Arbeitnehmerfragen. Da sind aber auch die rasch zu erledigenden Aufgaben und die Fragen von Schulklassen über
Demokratie und Parlament.
Über tausend Bürgerkontakte pro Jahr ergeben bei
613 Abgeordneten immerhin 2 452 000 Anfragen aus
der Bevölkerung innerhalb einer Wahlperiode.
({0})
Ich denke, das ist wirklich eine beeindruckende Zahl. Ich
bin ohnehin der Meinung - das sollte man durchaus sagen -, wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages,
arbeiten viel intensiver, als manchmal wahrgenommen
wird. Deshalb sollten wir uns nicht selber kleinreden.
Trotzdem kenne ich keinen Beruf, bei dem man sich
wegen seiner Bezahlung so sehr rechtfertigen muss. Die
Kampagne der deutschen Boulevardpresse in der Vergangenheit war schon wirklich bemerkenswert, obwohl
ich gestern feststellen konnte, dass bei der Boulevardpresse auch schon ein Umdenken eingesetzt hat. Das
gibt zu Hoffnung Anlass. Denn in der Vergangenheit war
es wirklich so, dass das bloße Erwähnen des Wortes
„Diäten“ schon einen richtigen Sturm der Entrüstung
ausgelöst hat, der dann mittelfristig auch von der Bevölkerung übernommen worden ist.
Nichtsdestotrotz werden wir jetzt einer Erhöhung der
Diäten in den Jahren 2008 und 2009 zustimmen. Im Übrigen handelt es sich um die erste Erhöhung seit dem
Jahre 2003. Eine gleichmäßige Erhöhung, auf diese
sechs Jahre verteilt, hätte eine Steigerung von etwa
1,5 Prozent pro Jahr bedeutet. Das ist - ich glaube, das
wissen inzwischen auch viele Bürgerinnen und Bürger nicht maßlos, sondern völlig angemessen. Wir stehen damit nicht in etwa auf der Ebene eines Bill Gates oder anderer Reicher in unserem Land.
({1})
- Ja, der ist nicht aus unserem Land. Das ist egal, Frau
Künast. Man wird immer mit Personen der obersten Einkommensschichten verglichen.
Es wäre auch unanständig, auf einer Ebene mit den
Superreichen zu stehen, weil es sich bei unseren Gehältern um Steuergelder handelt. Wenn wir dort stünden,
dann würde man uns mit Recht vorwerfen, die Bodenhaftung zu verlieren.
Ich wiederhole: Wir werden 2009 auf derselben Stufe
stehen, die Bürgermeister deutscher Gemeinden und
deutscher Städte mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern bereits heute erreicht haben. Alle diese 109 Bürgermeister
erhalten bereits jetzt diese Bezahlung im Monat. Es handelt sich um die Bürgermeister von Städten wie Plauen,
Lippstadt, Celle, Passau und Castrop-Rauxel. Die Bürgermeister der größeren Städte - das sind nochmals 82 beziehen im Übrigen natürlich wesentlich höhere Gehälter. Wir deutschen Abgeordneten betreuen, nebenbei bemerkt, in unseren Wahlkreisen 230 000 Bürgerinnen und
Bürger. Auch deshalb halte ich die Erhöhung für vollkommen angemessen.
Ich möchte Ihnen noch eine erstaunliche Zahl mitteilen. Ein Bundesbürger gibt zurzeit pro Abgeordneten
60 Cent aus. Nach der Erhöhung werden es 66 Cent sein,
und das nicht pro Monat, sondern einmal im Jahr. Ich
wiederhole: 66 Cent pro Bürger und Jahr für einen Abgeordneten. Da stellt sich wirklich die Frage nach der
Wertigkeit unseres Parlaments und letztendlich auch
unserer Demokratie.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, die Forderung eines
Systemwechsels bei den Altersbezügen von Abgeordneten hört sich für viele vielleicht sehr gut an, weil man
gleich an geringere Kosten denkt. Herr van Essen, in
Nordrhein-Westfalen ist dieser Systemwechsel in der Tat
vollzogen worden. Die Bezüge dort sind von 4 800 Euro
auf 9 500 Euro gestiegen. Das ist ein Plus von sage und
schreibe 97,9 Prozent. Auf den Bundestag übertragen
hieße das eine Erhöhung der Diäten auf 13 871 Euro.
Außerdem blieben die erworbenen Ansprüche der bereits im Ruhestand befindlichen Kollegen bestehen und
damit auch die damit verbundenen Kosten.
Solche Zahlen zeigen sehr schnell, dass es nicht so
einfach ist, wie viele denken. Deshalb schließe ich mich
den Worten an, die unser Erster Parlamentarischer Geschäftsführer in seiner Einbringungsrede in der vergangenen Woche gesagt hat: Wir müssen unsere Altersbezüge reduzieren; ein Systemwechsel würde das Ganze
nur verwässern.
Genau diese Senkung der Altersversorgung haben wir
durchgeführt. Vor zwölf Jahren hat ein Abgeordneter
noch 4 Prozent seiner Diäten als Altersversorgungsanspruch bekommen. Dann haben wir auf 3 Prozent reduziert, und jetzt, beim aktuellen Gesetzentwurf, sind wir
bei 2,5 Prozent.
({2})
Außerdem führen wir - wie für alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - auch für uns Abgeordnete die Rente mit 67 ein. Es wird immer wieder behauptet, Mitglieder des Deutschen Bundestages erhielten ab
dem ersten Tag eine hohe Rente. Das ist schlichtweg
falsch. Wir erwerben lediglich Anwartschaften auf die
spätere Rente mit 67, was anderen gegenüber auch keinen Unterschied darstellt.
Die Kolleginnen und Kollegen der Grünen fordern in
ihrem Antrag die Einrichtung eines Versorgungswerks. Das kennen wir von den Versorgungswerken anderer Berufsgruppen. Es bedeutet doch offensichtlich
keinen Systemwechsel. Ein solcher Schritt bringt lediglich Neueinstellungen bei der Bundestagsverwaltung mit
sich, die den höheren Verwaltungsaufwand bewältigen
muss. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
wenn Sie schon von einem Versorgungswerk reden und
einen Systemwechsel fordern, dann hätte ich von Ihnen
eigentlich erwartet, dass Sie verlangen, dass die Abgeordneten bei einem Systemwechsel in die bestehenden
Systeme einzahlen, sodass kein neues bürokratisches
Monstrum geschaffen werden muss.
({3})
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht uns diese Vorgehensweise beschrieben hat und dass die Erklärung dafür lautet, dass
öffentlich und nicht hinter verschlossenen Türen über
Neuregelungen diskutiert werden soll. Richtig ist auch,
dass es dementsprechend momentan nicht möglich ist,
andere über unsere Gehälter entscheiden zu lassen. Das
wäre für uns alle einfacher und die Ergebnisse wären
- davon bin ich überzeugt - überraschend.
Sie, Herr Kollege Westerwelle, haben in diesem Zusammenhang eine unabhängige Sachverständigenkommission beim Bundespräsidenten vorgeschlagen. Es interessiert mich, wer in einer solchen Kommission sitzen
soll.
({4})
Ich frage mich, welches Selbstverständnis wir in unserem Parlament haben, wenn wir solche Entscheidungen
in Zukunft einem anderen Verfassungsorgan übertragen.
({5})
Es stellt sich noch eine Frage: Welche Art von Parlament wollen wir in Zukunft eigentlich haben? Ich denke,
wir wollen ein unabhängiges Parlament mit Vertretern
aus 121 Berufsgruppen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Einen letzten Satz, Frau Präsidentin. - Im Grundgesetz steht das Wort Entschädigung. Ich sage zum
Schluss: Ich bin stolz und dankbar, hier arbeiten zu dürfen, um einen kleinen Beitrag für unsere Gesellschaft
leisten zu können. Dafür bedarf es keineswegs einer Entschädigung, sondern durchaus einer angemessenen Bezahlung.
Vielen Dank.
({0})
Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Ich finde es gut,
dass die Koalition namentliche Abstimmung beantragt
hat. Das schafft wenigstens Transparenz.
({0})
Wir haben erst in der vergangenen Woche in erster
Lesung über die Änderung des Abgeordnetengesetzes
gesprochen. Bereits heute, also nach nur einer Woche,
wird es den Beschluss dazu geben. So schnell kann es
manchmal in der Politik gehen.
({1})
Nun wundern Sie sich, dass sich viele Bürgerinnen und
Bürger über dieses Tempo nicht gerade freuen. Ich
denke, die Bürgerinnen und Bürger merken, dass es bei
anderen Entscheidungen ganz anders geht. Die Angleichung der Lebensverhältnisse von Ost und West wurde
auf die lange Bank geschoben. Die Aufhebung der Kür13310
zung der Pendlerpauschale wurde inzwischen wieder
vertagt. Die Verlängerung der Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I - darüber werden wir nachher beraten - ist halbherzig. Wirksame Maßnahmen gegen zunehmende Armut werden auf den Sankt-NimmerleinsTag verschoben.
Wir hatten hier gestern eine Debatte, in der es um die
Anhebung des Arbeitslosengeldes II von 347 Euro auf
435 Euro ging. Es gab einen Antrag auf eine einmalige
Weihnachtsbeihilfe für Hartz-IV-Empfänger in Höhe
von 40 Euro. Diese Debatte war von Hohn gegenüber
den Betroffenen geprägt. Man muss sich schämen, an einer solchen Debatte teilgenommen zu haben.
({2})
Bei den Diäten haben Sie Entschlusskraft und Mut
bewiesen. Nun stellen Sie fest, dass die Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes Ihnen das nicht gönnen. Was regt
die Leute tatsächlich auf? Es ist weniger die aktuelle
Höhe der Diäten, sondern vor allen Dingen die Anhebung um monatlich fast 700 Euro in zwei Jahren. Wer
trotz Arbeit auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen
ist, weil das Einkommen nicht reicht, darf sich, wie ich
finde, zu Recht aufregen.
Viele empören sich über die Privilegien der Abgeordneten bei der Altersversorgung. Diese bleiben trotz
einer marginalen Absenkung bestehen. Abgeordnete
werden auch nach dieser Gesetzesänderung nicht in die
Altersversorgung einzahlen. Es bleibt dabei, dass Abgeordnete nach wie vor bereits nach acht Jahren Zugehörigkeit zum Bundestag einen Anspruch haben, für den
der Durchschnittsrentner etwa 60 Jahre arbeiten muss.
Die Rente ab 67 für Abgeordnete, die uns hier verkauft
wird, ist ein Feigenblatt. Wer dem Bundestag länger angehört hat, kann ohne Abschläge bereits mit dem
57. Lebensjahr aus dem Berufsleben als Bundestagsabgeordneter ausscheiden. Wer in diesem Jahr mit
0,54 Prozent - das sind 3 bis 5 Euro - mehr für die Rente
abgespeist wurde, der darf sich zu Recht aufregen.
({3})
Wer durch Ihre Politik von einer Zwangsverrentung bedroht ist, der versteht die Welt nicht mehr.
Wir legen Ihnen heute einen Vorschlag zur Neuregelung der Altersversorgung vor. Frau Hasselfeldt, wir
möchten, dass dieser Vorschlag in den Ausschüssen
gründlich geprüft wird. Das ist ein Systemwechsel. Wir
wollen, dass Abgeordnete künftig in die gesetzliche
Rentenversicherung einzahlen.
({4})
Herr Kollege Struck hat in der Bild am Sonntag Folgendes gesagt:
Die Opposition will dagegenstimmen. Ich gehe davon aus, dass sie das Geld trotzdem gern nimmt und
es nicht an bedürftige Dritte spendet.
Lieber Peter Struck, dir und allen Kolleginnen und Kollegen darf ich sagen, dass die Abgeordneten der Fraktion
Die Linke das Geld aus der Erhöhung der Diäten für soziale Projekte in ihren Wahlkreisen spenden werden.
Ich danke Ihnen.
({5})
Jetzt hat das Wort der Kollege Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein bisschen mehr als nur Empörung von außerhalb des Parlaments in diese Debatte zu tragen, wäre ganz gut und
wäre auch der Seriosität des Themas angemessen, Frau
Kollegin Enkelmann.
({0})
Ich glaube, dass wir gut beraten sind, wenn wir erläutern würden, warum Abgeordnete eine angemessene
Entschädigung und eine angemessene Altersversorgung
haben müssen. Dadurch wird die Unabhängigkeit des
Mandats gesichert und damit auch die Unabhängigkeit
der politischen Entscheidungen des Hohen Hauses. Abgeordnete, die schlecht bezahlt werden, müssen es sich
entweder leisten können - das ist der Fall, wenn sie vermögend sind; so war es im 19. Jahrhundert -, oder sie
unterliegen den Verlockungen der Lobbyisten, die mit
dem Inaussichtstellen von Nebenjobs und Jobs im Anschluss an das politische Mandat politische Entscheidungen beeinflussen. Das ist die teuerste Veranstaltung für
die Republik, nämlich wenn nicht nach bestem Wissen
und Gewissen entschieden wird.
({1})
Frau Kollegin Kastner, es wäre schön, wenn man die
Anträge der Konkurrenz wenigstens liest,
({2})
bevor man sie in der Debatte vom Tisch wischt. Wir haben einen Antrag hinsichtlich eines Altersversorgungswerks vorgelegt. Darin geben wir auch an, wo das Niveau liegen soll. Wir behaupten nicht, dass wir radikal
kürzen wollen, sondern wir wollen ein transparenteres
und für die Bevölkerung nachvollziehbareres Verfahren.
Einen entsprechenden Vorschlag haben wir vorgelegt.
Das Gutachten, das der Präsident des Deutschen Bundestages auf unsere Anregung hin in Auftrag gegeben
hat, kommt zum Ergebnis, dass wir nicht Diäten in Höhe
von 14 000 Euro, sondern einen Altersversorgungsbeitrag von monatlich ungefähr 3 000 Euro pro Abgeordneten brauchen, um das jetzige Versorgungsniveau, dessen
Gesamtvolumen ja dem Volumen nicht unähnlich ist, das
Sie heute beschließen wollen, zu halten. Insofern erzählen Sie Ammenmärchen. Das Gutachten kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass es für den Haushalt langfristig günstiger ist, die Altersversorgung über ein
Versorgungswerk als direkt aus dem Bundeshaushalt zu
finanzieren.
({3})
Volker Beck ({4})
Auf diesen Vorschlag sind Sie nicht eingegangen. Sie
haben das Gegenteil behauptet. Sie müssen jetzt also ein
anderes Gutachten vorlegen, in dem dargelegt wird, dass
das, was uns der Bundestagspräsident zur Beratung mitgegeben hat, falsch ist. Bis dahin ist das vorliegende
Gutachten die Grundlage der Diskussion.
Zu den Vorschlägen der anderen Fraktionen im Hohen
Hause. Die FDP möchte die Frage los sein und darüber
hier nicht mehr debattieren und die Entscheidung einer
Kommission beim Bundespräsidenten überlassen. Wir
können aber nicht anders, als darüber selbst zu entscheiden. Denn wir sind der Gesetzgeber. Wir können doch
nicht bei unbequemen Fragen sagen, da möge uns ein
anderer erlösen.
({5})
Es rettet uns kein höheres Wesen. Die Entscheidung darüber, was angemessen ist, müssen wir selber treffen und
vertreten.
Die Vorstellung, dass selbst das System der Altersversorgung von einer Kommission festgelegt werden soll,
ist nun völlig aberwitzig. Denn Gesetze können die
Kommissionen nicht ändern. Sie können vielleicht einen
Index nach bestimmten Maßstäben weiterentwickeln,
aber sie können keine Strukturreformen vornehmen. Wir
könnten ja auch sagen: Warum überlassen wir nicht auch
das Thema ALG I und ALG II - weil es die Parteien zerreibt - einer Kommission? Dann wären wir diese unangenehme Frage los. Nein, wir als Gesetzgeber können
uns nicht aus der Verantwortung stehlen! Wem das zu
schwer ist, der soll sich nicht für ein Mandat im Deutschen Bundestag bewerben!
({6})
Geschätzte Kollegen von der PDS, der Vorschlag, die
Abgeordneten unter anderem in die Rentenversicherung
einzubeziehen, genießt auch in unserer Fraktion Sympathien. Aber so wie Sie das wollen, geht es gerade nicht.
({7})
Wenn Sie die Abgeordneten in das heutige System der
Rentenversicherung - also eines ohne Bürgerversicherung - einbeziehen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis,
dass ein Freiberufler, der noch nie in diesem Rentenversicherungssystem versichert war, das Parlament nach
vier Jahren als Abgeordneter ohne Altersversorgungsansprüche verlässt. Das funktioniert nur, wenn man es in
eine Bürgerversicherung einbezieht.
Unser Vorschlag eines Versorgungswerkes ist kompatibel mit den Vorstellungen unserer Arbeitsgruppe Sozialpolitik, die alle Versorgungswerke als Teilkomponente in das System der Bürgerversicherung
einbeziehen will.
({8})
Unser Vorschlag ist der erste Schritt dahin. Aber er folgt
einer anderen Systematik als Ihr Vorschlag. Deshalb
würde ich mich freuen, wenn unser Antrag die Unterstützung des Hauses fände. Denn nur zusammen mit
einer Strukturreform der Altersversorgung kann eine angemessene Diätenerhöhung auf Akzeptanz in der Bevölkerung treffen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes.
Zu dieser Abstimmung liegt eine Reihe von persönlichen
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Es
gibt Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen
Veronika Bellmann, Swen Schulz, Dr. Matthias Miersch,
Garrelt Duin, Marco Bülow, Gerold Reichenbach,
Clemens Bollen, Steffen Reiche, Katja Mast, Kerstin
Griese, Dr. Carola Reimann und Sabine Bätzing.1)
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 16/6924 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom-
men mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition. Enthaltungen hat es nicht gegeben.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Hierzu haben die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD namentliche Abstimmung ver-
langt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen
besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich hiermit die
Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgeben konnte? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis wird Ihnen später be-
kanntgegeben.2)
Wir setzen die Abstimmungen fort.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7185. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegen-
stimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist der Entschlie-
ßungsantrag bei Zustimmung der einbringenden Frak-
tion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt.
1) Anlagen 2 bis 4
2) Siehe Seite 13314 D
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Abgeordnetengesetzes auf Drucksache 16/117.
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/117
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Die Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
in zweiter Beratung bei Zustimmung der FDP-Fraktion
und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt, wobei
ich mir nicht ganz sicher über das Abstimmungsverhalten des Kollegen Grund bin.
({0})
- Er hat also abgelehnt; gut. - Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung eine weitere Beratung.
Ich komme jetzt zur Abstimmung über den von der
Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes. Der Aus-
schuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung empfiehlt weiterhin unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7159, den Ge-
setzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/118
abzulehnen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Die
Gegenstimmen? - Die Enthaltungen? - Damit ist dieser
Gesetzentwurf bei Zustimmung der einbringenden Frak-
tion und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt. Da-
mit entfällt die dritte Beratung.
Tagesordnungspunkt 42 m. Interfraktionell wird vor-
geschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/7107 zur Fe-
derführung an den Ausschuss für Wahlprüfung, Immuni-
tät und Geschäftsordnung und zur Mitberatung an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zu überweisen. Gibt
es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten
Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 16/6741 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1})
- Drucksache 16/7151 ({2}) Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller ({3})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/7164 Berichterstattung:
Abgeordnete Peter Weiß ({5})
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit
an Beitragszahler zurückgeben - Beitragssenkungspotenziale nutzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit
zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit, für mehr Qualifizierung und eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes
verwenden
- Drucksachen 16/6434, 16/6035, 16/7151 ({7}) Berichterstattung:
Abgeordneter Stefan Müller ({8})
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD vor. Es ist verabredet, eineinviertel Stunden zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich gebe als Erstem dem Kollegen Parlamentarischen
Staatssekretär Gerd Andres das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist in dieser Woche öffentlich, aber auch in diesem Haus der eine oder andere Unkenruf laut geworden,
die Koalition befinde sich im Winterschlaf oder sie sei in
eine Schockstarre verfallen. Ich finde, wir sollten diese
Unken ruhig weiter quaken lassen. Denn wir führen mit
diesem Gesetz vor, dass wir unmittelbar, rasch und sehr
schnell handeln. Wir lösen ein und wir setzen um, was
wir versprochen haben.
Die Koalition hat sich vor gut zwei Jahren vorgenommen, die Sozialversicherungsbeiträge in der Summe
nachhaltig auf unter 40 Prozent zu senken. Mit dem Beschluss, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ab
dem 1. Januar 2008 auf 3,3 Prozent abzusenken, werden
wir dieses Ziel erreicht haben. Für den Durchschnittsverdiener bedeutet das immerhin eine jährliche Entlastung
von 122 Euro. Das ist ein guter Erfolg und ein wichtiger
Schritt.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Bundesagentur
für Arbeit bis zum Jahre 2011 ohne zusätzliches Geld
vom Bund auskommen kann. Die ausreichende FinanParl. Staatssekretär Gerd Andres
zierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik und eine nachhaltige und solide aufgestellte Bundesagentur für Arbeit,
ein Beitragssatz wie zuletzt zu Zeiten von Helmut
Schmidt und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit um mehr
als 1,1 Millionen Menschen seit Amtsantritt, das ist eine
glänzende Bilanz für einen Arbeitsminister, eine Bilanz,
die ihresgleichen sucht.
({0})
Wir profitieren dabei gewiss auch von der guten Entwicklung der Konjunktur. Aber manche Skandalisierungen sind schon befremdlich. Ich sage hier ganz deutlich:
Die Bundesagentur, die von der FDP als reformunfähige
Mammutbehörde abgestempelt wird und angeblich aufgelöst gehört,
({1})
diese BA hat in den vergangenen Jahren so gut gewirtschaftet, dass zum Jahresende die Rücklage der BA auf
rund 18 Milliarden Euro angestiegen sein wird, und das,
obwohl für den diesjährigen Haushalt der Bundesagentur
ein deutliches Minus prognostiziert worden war. Vielleicht sollten einige Kollegen einmal im Licht der Realitäten überprüfen, was sie da so in die Mikrofone erzählen. Die Realität ist: Die Bundesagentur hat ein sehr
gutes Ergebnis erzielt. Ich füge hinzu: Sie macht einen
guten Job. Davon sollen jetzt auch diejenigen profitieren, die dieses Ergebnis mit ermöglicht haben: die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.
({2})
Sie haben es sich verdient, weil sie es sind, die den Aufschwung tragen.
Noch etwas sei an dieser Stelle gesagt: Es sind gerade
die Erfahrung und das Wissen der Älteren in den Belegschaften, von denen die Unternehmen profitieren. In
manchem Unternehmen wird das gesehen, bewegt sich
da etwas; bei anderen, die noch immer dem Jugendwahn
anhängen, dürfen wir nicht nachlassen in dem Bemühen,
sie zum Umdenken zu bewegen. Die Unternehmen brauchen beides: Sie brauchen die jungen Hüpfer, und sie
brauchen die alten Hasen. Es ist längst nicht mehr so,
wie es einmal war: Arbeitslos zu werden, ist auch für Ältere nicht mehr das Ende. Wir sind da ein gutes Stück
vorangekommen: Bei den 55- bis 59-Jährigen haben wir
im zweiten Quartal 2007 eine Beschäftigungsquote von
sage und schreibe 67,2 Prozent erreicht. Ich denke, dies
ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann.
({3})
Herr Kollege, es gäbe den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Ilja Seifert. Möchten Sie sie zulassen?
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie loben gerade die Leistungen
der Bundesagentur für Arbeit sehr. Können Sie mir bitte
einmal erklären, wieso Sie 530 Millionen Euro aus der
Eingliederungshilfe wegnehmen wollen, um das Arbeitslosengeld I länger zahlen zu können? Diese sind ja
gerade für Menschen gedacht, die es schwerer haben,
vermittelt zu werden, bzw. bei denen man weiß - zum
Beispiel bei Menschen mit Behinderungen und anderen,
die Eingliederungshilfe brauchen -, dass die Vermittlung
immer noch sehr viel problematischer als bei anderen ist.
Dort fehlt es dann.
Wie können Sie mir erklären, dass das für die Menschen vernünftig und sinnvoll ist, die mehr Hilfe für die
Eingliederung in den Arbeitsprozess brauchen?
({0})
Herr Seifert, ich habe gerade einmal zwei Minuten
gesprochen. Ich werde auf den anderen Teil noch zurückkommen und dann Ihre Frage beantworten.
Gut, damit bin ich einverstanden.
Ich war bei den Beschäftigungsquoten Älterer. - Ich
finde, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen und
auch nicht können. Unser erstes Ziel muss es daher weiter sein, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass ältere
Arbeitnehmer in Arbeit bleiben und nicht arbeitslos werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koalitionspartner haben sich am Montagabend auf eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für
ältere Arbeitslose geeinigt. Arbeitslose ab 50 Jahren sollen bis zu 15 Monate Arbeitslosengeld I erhalten, wenn
sie in den fünf Jahren davor zweieinhalb Jahre einbezahlt haben. Ab 55 Jahren steigt die Dauer auf
18 Monate, wenn drei Jahre Beiträge gezahlt wurden.
Schließlich sollen über 58-Jährige bis zu 24 Monate
Arbeitslosengeld I erhalten, wenn sie vier der letzten
fünf Jahre versichert waren.
Ich finde, dass das insgesamt ein tragfähiger Kompromiss ist, durch den auch das Interesse der Versichertengemeinschaft berücksichtigt wird, weil die Mittel der
Beitragszahler nur dort eingesetzt werden, wo die Arbeitslosigkeit unvermeidbar fortbesteht. Uns ist dabei
vor allem eines wichtig: Wir wollen die Förderung älterer Arbeitsloser verbessern. Unser Ziel bleibt: Perspektive statt Frührente.
Wir wollen daher jedem älteren Arbeitslosen ein konkretes Arbeitsplatzangebot machen. Wo dies nicht möglich ist, soll er einen Eingliederungsgutschein erhalten.
Nur dann, wenn es ihm trotz aller Bemühungen und Förderungen nicht gelingt, auf dem Arbeitsmarkt wieder
Fuß zu fassen, wird das Arbeitslosengeld I länger ausgezahlt. Dies entspricht klar unserem Grundsatz „Fördern
und Fordern“.
Bei alldem muss klar sein: Die Bundesagentur für Arbeit hat zwar Überschüsse, aber wir dürfen diese auch
nicht über Gebühr strapazieren. Wir wollen daher keine
zusätzlichen Belastungen für die BA. Gleichzeitig
- auch das ist mir wichtig zu betonen - darf die Verlängerung der Bezugsdauer für Ältere nicht zulasten der
Jüngeren gehen. Auch das ist ein Stück Generationengerechtigkeit.
Die Bundesregierung wird zu diesem Kompromiss
schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorlegen. Wir
werden dann noch ausreichend Gelegenheit haben, darüber zu diskutieren. Dann sind auch Sie gefordert, jenseits von Unkenrufen aus der Starre zu erwachen und
sich daran zu beteiligen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch geregelt, wie das Verhältnis von Beitragszahlungen und
Steuermitteln bei den Eingliederungsmitteln im Bereich des SGB II aussieht. Herr Seifert hat ja darauf hingewiesen, dass wir vorsehen, aus nicht verausgabten
Mitteln des Eingliederungstitels zukünftig gut 500 Millionen Euro aufzuwenden, um damit diese zusätzlichen Aktivitäten für Ältere finanzieren zu können.
Wir sind in der günstigen Situation, dass wir die Beitragsmehreinnahmen der Bundesagentur für Arbeit für
sehr unterschiedliche Dinge - wie ich finde: vernünftig nutzen können. Wir werden erstens einen Pensionsfonds
für die beamtenähnlich Beschäftigten bei der Bundesagentur für Arbeit einrichten. Damit erreichen wir ein
Stück mehr Generationengerechtigkeit, weil klar ist,
dass vorhandene Mittel im Hinblick auf künftige Belastungen für die Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit verwandt werden.
Zum Zweiten werden wir dafür sorgen, dass sich die
Bundesagentur für Arbeit auch künftig aufgrund entsprechender Regelungen aus ihrem Haushalt an den Eingliederungsmaßnahmen im SGB II beteiligt. Das macht Sinn
und ist vernünftig; denn ich muss Ihnen sagen: Bevor
wir die Systematik des SGB II eingeführt haben, hat die
Bundesagentur für Arbeit für viele Menschen erhebliche
Mittel für Eingliederungsmaßnahmen und für eine aktive
Arbeitsmarktpolitik verausgabt. Sie ist diejenige, die betroffene Menschen sozusagen aus dem einen System in
das andere System abgibt, und zwar in nicht unerheblichem Maße. In den letzten Monaten haben die Quantitäten abgenommen, was uns sehr freut. Aber es handelt
sich noch immer um mehr als eine Viertelmillion Menschen. Angesichts dessen halten wir es für recht und billig und außerordentlich vernünftig, dass die Bundesagentur für Arbeit bei den Beitragsmitteln bzw. durch
eine Verrechnung des Zuschusses, den wir ihr aus Steuermitteln gewähren, zur Finanzierung aktivierender
Maßnahmen herangezogen wird.
Ich sage ausdrücklich, dass der vorliegende Gesetzentwurf neben vielen anderen Sachen, die wir beschlossen haben und noch beschließen werden, zu der außerordentlich erfolgreichen Bilanz von Franz Müntefering
gehört. Er hat dies als Arbeitsminister zu verantworten
und vorangetrieben. Es ist daher richtig und gut, daran
zu erinnern, dass dieser Arbeitsminister nach zwei Jahren eine glänzende Bilanz vorweisen kann. Das unterstreichen alle Zahlen deutlich.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - das sind die Drucksachen 16/6924
und 16/7159 - bekannt: Es wurden abgegeben
557 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 377 Abgeordnete,
mit Nein haben gestimmt 166 Abgeordnete. Es gab
14 Enthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 557;
davon
ja: 377
nein: 166
enthalten: 14
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({0})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({1})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({2})
Dirk Fischer ({3})
Axel E. Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({11})
Stefan Müller ({12})
Bernd Neumann ({13})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({14})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({17})
Andreas Schmidt ({18})
Ingo Schmitt ({19})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({20})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({21})
Gerald Weiß ({22})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({23})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({24})
Volker Blumentritt
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({26})
Nina Hauer
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Frank Hofmann ({28})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Johannes Jung ({29})
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({31})
Ulrike Merten
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Karin Roth ({32})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({33})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({34})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({35})
Silvia Schmidt ({36})
Renate Schmidt ({37})
Heinz Schmitt ({38})
Carsten Schneider ({39})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({40})
Swen Schulz ({41})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({42})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({43})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Nein
CDU/CSU
Veronika Bellmann
Michael Brand
Dr. Peter Jahr
Manfred Kolbe
Katharina Landgraf
SPD
Bernhard Brinkmann
({44})
Martin Burkert
Bettina Hagedorn
Gabriele Hiller-Ohm
Johannes Kahrs
Dirk Manzewski
Detlef Müller ({45})
Sönke Rix
Michael Roth ({46})
Andreas Steppuhn
Jörn Thießen
Dr. Wolfgang Wodarg
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({47})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({48})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({49})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({50})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({51})
Martin Zeil
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Wolfgang Gehrcke
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Katrin Kunert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({52})
({53})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({54})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Hans-Josef Fell
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({55})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({56})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({57})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({58})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthaltung
CDU/CSU
Friedrich Merz
SPD
Clemens Bollen
Willi Brase
Garrelt Duin
Gabriele Frechen
Iris Hoffmann ({59})
Josip Juratovic
Dr. Matthias Miersch
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({60})
Gerold Reichenbach
Dr. Margrit Spielmann
FDP
Christian Ahrendt
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zurück zu unserer Debatte. Ich gebe das
Wort dem Kollegen Dirk Niebel für die FDP-Fraktion.
({61})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kollege Staatssekretär hat gesagt, man
werde Wort halten bei dem, was man versprochen habe.
Zumindest für einen Teil, über den wir nun debattieren,
gilt das für den Staatssekretär ganz persönlich nicht. Ich
meine damit die Verlängerung der Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I. Sie alle erinnern sich sicherlich,
dass es zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde gab. Herr
Andres hat in dieser Aktuellen Stunde für die Bundesregierung und vermutlich auch für sich selbst geredet. Ich
erlaube mir, aus seinen damaligen Ausführungen zu zitieren. Er sagte damals:
Ich finde es faszinierend, dass uns jetzt Zahlen und
Untersuchungsergebnisse vorliegen, die belegen,
dass wir das, was wir mit der Absenkung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erreichen wollten, auch erreichen: ein anderes Verhalten bei den
betroffenen Menschen und ein anderes Verhalten
bei den beteiligten Betrieben.
Völlig zu Recht hat der Staatssekretär festgestellt, dass
sich die Erwerbsbeteiligung Älterer - das sagen auch
alle Forschungsinstitute - ursächlich durch die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von
38 auf 52 Prozent erhöht hat. Genau das war unser Ziel:
Wir wollten die Teilhabechancen verbessern und die
Menschen in Arbeit bringen und nicht die Arbeitslosigkeit finanzieren. Das haben wir - übrigens gemeinsam
mit der damaligen Opposition - auf den Weg gebracht,
um älteren Menschen wieder eine Chance zu geben. Sie
sollten nicht ausgegliedert werden. Genau das drehen
Sie mit dem, was Sie angeblich versprochen haben, wieder zurück. Sie haben Ihr Versprechen gebrochen. Sie
nehmen vielen Menschen die Chance, wieder einen Arbeitsplatz in diesem Land zu bekommen.
({0})
Zudem senken Sie die Beiträge. Das ist anerkennenswert; denn ein Beitragspunkt weniger wird allgemein
mit 100 000 mehr Arbeitsplätzen gleichgesetzt. Eine
Beitragssenkung ist allein aufgrund der Tatsache, dass
Sie zu Beginn des Jahres den Bürgerinnen und Bürgern
mit der höchsten Steuererhöhung in der Geschichte der
Republik das Geld aus der Tasche gezogen haben, notwendig, um die Kaufkraft der Menschen zu stärken. Die
Bevölkerung fragt sich völlig zu Recht: Wo bleibt mein
eigener Aufschwung? Es nutzt nichts, wenn brutto viel
auf dem Lohnzettel steht, aber netto nichts zum Ausgeben übrig bleibt. Deswegen hätten Sie hier den ganzen
Weg gehen müssen. Die zu diesem Thema durchgeführte
Anhörung hat gezeigt, dass eine Beitragssenkung auf
3 Prozent trotz einer sinnvollen und von uns geforderten
Pensionsrückstellung sachgerecht und realistisch ist. Das
IfW in Kiel hält 2,9 Prozent und das Karl-Bräuer-Institut
sogar 2,7 Prozent für möglich. Sie könnten also die Beiträge noch weiter senken, Arbeit dadurch noch billiger
machen, die Chancen auf Einstellung noch mehr verbessern und so den Menschen zumindest ein Stück weit das
Gefühl geben, dass der Aufschwung auch in ihrem eigenen Portemonnaie ankommt. Das machen Sie nicht. Das
ist ein großer Fehler.
({1})
Im Gegenteil, Sie belasten die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich weiter mit versicherungsfremden Leistungen. Das hat sogar der Deutsche Gewerkschaftsbund
in der Anhörung beklagt. Nach Angaben des KarlBräuer-Instituts zahlt die Bundesagentur 11,9 Milliarden
Euro für Dinge, die nicht Sache der Beitragszahler,
sondern Sache der Steuerzahler, also der Gesamtgesellschaft, wären. Zusätzlich übertragen Sie mit einer Beteiligung an den Eingliederungsleistungen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger zusätzliche Lasten in Höhe von
5 Milliarden Euro auf die Beitragszahler und somit auf
den Faktor Arbeit. Sie nehmen den Menschen Chancen,
statt ihnen Perspektiven zu eröffnen. Deswegen sagen
wir: Ihre Arbeitsmarktpolitik geht in die Irre.
({2})
Herr Andres, Sie selbst haben völlig zu Recht gesagt,
dass die durchschnittliche Arbeitslosengeldbezugsdauer
der 50- bis 55-Jährigen ungefähr sechs Monate beträgt,
die der 55- bis 60-Jährigen ungefähr sieben Monate und
die der 60- bis 65-Jährigen ungefähr elf Monate. Sie
selbst haben folgerichtig daraus geschlossen, dass Sie
mit einer gesetzlich geregelten Bezugsdauer bis zu
24 Monaten den Realitäten nicht entsprechen. Sie sollten
Ihrer richtigen Schlussfolgerung entsprechende Taten
folgen lassen und die richtige Politik daraus entwickeln.
Die Menschen in Deutschland wollen die Chance haben, ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können.
Das bedeutet: Wir müssen die Arbeit billiger machen.
Die Bundesregierung hat, obwohl im Koalitionsvertrag
vereinbart ist, die arbeitsmarktpolitischen Instrumente
zu modernisieren, seit eineinhalb Jahren einen Evaluierungsbericht in der Schublade liegen, an den Sie nicht
herangehen will. Darin steht, dass ein Großteil der Maßnahmen, die sie mit dem Geld anderer Leute bezahlt,
nicht nur nicht hilft, sondern den Betroffenen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz schadet. Ich frage mich, ob
das nicht einfach nur ideologisch begründet ist, weil Sie
an althergebrachten, geliebten, tradierten Maßnahmen
festhalten wollen, damit diejenigen, die im Rahmen der
„Arbeitslosenindustrie“ Jahrzehnte Geld verdient haben, weiter daran verdienen werden. Das geht alles auf
Kosten der Menschen, die das Ganze mit ihrer Hände
Arbeit zu finanzieren haben.
({3})
Aus diesen Gründen können wir Ihren Vorschlägen
nicht folgen. Kehren Sie zur Reformpolitik der alten
Bundesregierung zurück! Erleichtern Sie uns als legaler
Opposition gegenüber dieser Regierung das Leben insofern, als wir nicht in die Lage versetzt werden, ständig
die Reformen von Herrn Schröder vertreten zu müssen.
Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe.
({4})
Der Kollege Peter Rauen spricht jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Niebel, ich glaube, eine Opposition kann
ein Stück glaubwürdiger sein, indem sie in manchen
Momenten auch Erreichtes anerkennt.
({0})
Vor fast zwei Jahren ist die Bundesregierung mit zwei
überragenden Zielen angetreten: erstens, die Staatsfinanzen zu sanieren und, zweitens, wieder mehr Menschen in
Arbeit zu bringen. In diesem Jahr meldet Deutschland
zum ersten Mal seit 1989, das erste Mal nach der Wiedervereinigung, wieder ausgeglichene Haushalte nach
Brüssel, also Bund, Länder, Gemeinden und die sozialen
Kassen. Wir haben auch Wort gehalten, indem wir die
Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent gedrückt
haben.
({1})
Das aus meiner Sicht Wichtigste aber ist, dass wir wieder mehr Menschen in Arbeit gebracht haben.
({2})
Nach den letzten Meldungen haben wir 864 000
mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und 1 129 000 weniger Arbeitslose als vor
zwei Jahren. Dies alles - gesunde Haushalte, gesenkte
Sozialabgaben und funktionierender Arbeitsmarkt - ist
nach zwei Jahren erreicht. Wer da noch behauptet, die
Regierung sei nicht handlungsfähig, hat offenkundig
Probleme mit der Wahrnehmung der Realität.
({3})
Die wichtigste Veränderung ist die Festsetzung des
Arbeitslosenversicherungsbeitrages auf 3,3 Prozent.
Wenn wir im November 2005 gesagt hätten, dass wir
zum 1. Januar 2008 die Beiträge von damals 6,5 Prozent
fast halbieren werden, hätten Sie uns für verrückt erklärt.
Aber nicht nur das. Auch die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer wird verlängert. Die
Bundesagentur für Arbeit kann 2,5 Milliarden Euro in
einen Versorgungsfonds der BA einstellen. Sie beteiligt
sich mit 5 Milliarden Euro an den Eingliederungsbeiträgen und mit 290 Millionen Euro an den Beiträgen während der Kindererziehungszeiten.
Ich kenne die Bedenken bezüglich des Verschiebens
von steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen auf die beitragsfinanzierte Kasse der Bundesagentur für Arbeit. Ich
persönlich teile diese Bedenken. Dennoch bleibt festzustellen: Mit dem heutigen Gesetz wird der Steuerzahler
um 5,3 Milliarden Euro entlastet. Darüber hinaus haben
wir durch die Beitragssenkung die in die Versicherung
Einzahlenden, also Arbeitnehmer und Unternehmer, um
insgesamt rund 24 Milliarden Euro entlastet. Die Bundesagentur für Arbeit hatte erfreulicherweise im
Jahr 2006 einen Überschuss von 11,2 Milliarden Euro,
auch durch den Einmaleffekt durch die vorgezogene
Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge. Heute vor einem Jahr ging man davon aus, dass in 2007 ein Minus
von 4,2 Milliarden Euro in der Kasse sein würde. In
Wahrheit sind es 6,8 Milliarden Euro, die übrig sind. Das
ist ein Delta von 11 Milliarden Euro.
Wie sind diese gewaltigen finanziellen Änderungen
zu erklären? Die positiven Daten des Arbeitsmarktes allein - so schön sie auch sind - erklären nicht diese gewaltige finanzielle Veränderung. Die Bruttolöhne haben
sich 2006 um 14 Milliarden Euro und in diesem Jahr
weiter erhöht. Die Zahl der Empfänger von Arbeitslosengeld hat sich 2006 im Vergleich zum Vorjahr um
282 000 auf 1 446 000 verringert. Im Juni war die Zahl
der Bezieher von Arbeitslosengeld unter 1 Million gerutscht. Es hat noch andere Veränderungen gegeben, die
aus meiner Sicht sehr zu beachten sind.
Der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, FrankJürgen Weise, hat diese in der aktuellen Wirtschaftswoche, wie ich finde, beim rechten Namen genannt. Er
spricht dort von einer „massiven Verhaltenskomponente“. Es ist etwas geschehen, was man mit Zahlen und
Statistiken schwerlich messen kann. In der Bevölkerung
ist ein genereller Bewusstseinswandel eingetreten. Die
Firmen sind weg vom früheren Jugendwahn und haben
wieder die Qualität älterer Arbeitnehmer zu ihrem eigenen Nutzen erkannt. Voraussetzung für diesen Wandel
war ein Wechsel im Denken dahin gehend, dass der Staat
nicht mehr für jeden allumfassende Fürsorge bis hin zur
Rente garantiert und dies auch nicht mehr will. Die Reformen am Arbeitsmarkt läuteten in der Tat eine wahre
Revolution in den Köpfen der Menschen ein. Die Person
selbst rückte wieder in den Mittelpunkt arbeitsmarktpolitischer Betrachtung, wobei der Staat die flankierenden
Maßnahmen trifft. Insofern ist Hartz IV eben nicht die
Fortführung des Arbeitslosen- und Sozialhilfesystems;
Hartz IV ist ein Paradigmenwechsel
({4})
hin zur selbstbestimmten Persönlichkeit, die aufgefordert ist, sich aktiv dem Arbeitsmarkt zu stellen.
({5})
Der Erfolg dieser Konzeption spiegelt sich in allen
Haushalten und in allen sozialen Kassen wider. Herr
Andres hat eben bereits erklärt, dass mit Beginn des
neuen Jahres die Bezugszeiten für Arbeitslosengeld verlängert werden. Es gibt Bedenken, dass die Verlängerung
diese massive Verhaltenskomponente wieder verändern
könnte; das muss man sehen. Nicht zuletzt hat unser von
mir hochgeschätzter Arbeitsminister Müntefering selbst
diese Gefahr gesehen. Wird es dazu kommen? Ich
glaube, nicht. Die Tatsache, dass die Vorversicherungszeiten zweieinhalb Jahre, drei Jahre bzw. vier Jahre betragen müssen, deutet darauf hin, dass hier Arbeitnehmer
mit einer langen Erwerbsbiografie begünstigt werden;
sie haben es auch verdient, dass die Bezugsdauer verlänPeter Rauen
gert wird. Aber wenn diesen Leuten gleich die Vermittlungsgutscheine gegeben werden - ich habe mein ganzes Leben mit Arbeitnehmern zusammengearbeitet;
diejenigen, die jetzt begünstigt werden, sind nicht darauf
aus, arbeitslos zu sein -, werden sie sehr schnell wieder
in Arbeit kommen. Wenn das intelligent gemacht wird,
dann wird diese Verhaltenskomponente nicht verändert.
({6})
Eines lassen Sie mich, der sich im Prinzip immer
noch als Arbeiter fühlt, ganz deutlich sagen: Es ist schon
wichtig, dass den Menschen, die ein ganzes Leben lang
gearbeitet haben, die Fürsorge betrieben haben, die das
getan haben, was wir alle erwarten, nämlich für sich
selbst einzustehen, ein Stück Angst davor genommen
wird, dass sie vielleicht im höheren Alter noch arbeitslos
werden. Ich glaube, hier werden die Richtigen begünstigt. Ich bin mir sicher, dass dieses Gesetz auf Millionen
von Arbeitnehmern eine sehr beruhigende Wirkung haben wird.
({7})
Ich glaube, das war die Mühen wert, die man bei diesem
Gesetzentwurf an den Tag gelegt hat.
Schönen Dank.
({8})
Jetzt hat der Kollege Dr. Gregor Gysi das Wort für
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Rauen, ich habe Ihnen gerade zugehört. Sie haben ernsthaft gesagt, dass ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher
selbstbestimmt leben können. Ich glaube, Sie haben nie
mit einem gesprochen. Ich muss das wirklich einmal so
deutlich sagen.
({0})
Dass Sie gestern als christliche Partei auch noch das
Weihnachtsgeld für die Leute abgelehnt haben, ebenso,
den Regelsatz zu erhöhen,
({1})
das spricht dafür, dass Sie gegen die Selbstbestimmung
dieser Leute auftreten.
({2})
Ich finde es übrigens auch erstaunlich, Herr Niebel,
dass Sie hier sagen, die arme FDP sei jetzt dazu verurteilt, die Schröder’schen Reformen zu verteidigen. Das
macht auch deutlich, warum wir so gegen die
Schröder’schen Reformen waren: Es war nämlich genau
neoliberale FDP-Politik.
({3})
Dann haben Sie gesagt, Herr Rauen, man müsse würdigen, dass jetzt mehr Leute sozialversicherungspflichtig
tätig sind. Ich nenne Ihnen einmal ein paar Zahlen, die
Sie zur Kenntnis nehmen müssen: 2,5 Millionen Kinder
in Armut; 7,4 Millionen Leute, die ausschließlich oder
zusätzlich von ALG II leben;
({4})
1,2 Millionen Vollbeschäftigte, die einen so geringen
Lohn beziehen, dass sie zusätzlich Sozialleistungen in
Anspruch nehmen müssen, die Aufstocker;
({5})
5 Millionen in Mini- und Midijobs; 800 000 in Leiharbeit, einer modernen Form der Sklaverei. Diese Zahlen
machen deutlich, dass Sie die Arbeitslosenstatistik hier
nicht ehrlich beschreiben.
({6})
Aber heute geht es ja um etwas anderes. Es geht um
die Verlängerung der Bezugsdauer von ALG I und um
Beitragssenkungen. Fangen wir einmal mit dem Ersten
an. Da muss ich der Union eines lassen: Hier haben Sie
sich im Wesentlichen gegen die SPD durchgesetzt.
Die SPD verkauft das ja als großen Erfolg. Ich will
einmal vergleichen, was der SPD-Parteitag beschlossen
hat und was herausgekommen ist. Ihr Parteitag hat beschlossen, dass die 45- bis 49-jährigen Arbeitslosen
15 Monate lang Arbeitslosengeld I beziehen sollen,
50-Jährige und Ältere sollen 24 Monate lang
Arbeitslosengeld I beziehen. Dann haben Sie gesagt, das
Ganze solle aus den Überschüssen der Bundesagentur
bezahlt werden. Was ist herausgekommen? Für die 45bis 49-Jährigen gar nichts; für sie ändert sich nichts. Für
die 50- bis 54-Jährigen kommen statt 24 Monaten nur
15 Monate heraus, das heißt, statt einer Steigerung um
12 Monate kommt nur eine Steigerung um 3 Monate
heraus. Das ist gerade einmal ein Viertel. Das ist ein Erfolg für die Union, kein Erfolg für Sie; das muss man
ganz klar sagen. Für die 55- bis 57-Jährigen ändert sich
nichts. Sie bekommen, wie jetzt, das Arbeitslosengeld I
18 Monate lang. Erst für die 58-Jährigen und Älteren ist
eine Bezugsdauer von 24 Monaten eingeführt worden;
da sie Arbeitslosengeld I bislang 18 Monate lang bekommen, ist das eine Steigerung um 6 Monate. Das ist
alles, was Sie erreicht haben.
Dann muss man noch sehen, dass im Vergleich zu
dem, was Sie gefordert haben, die Vorversicherungszeiten erhöht worden sind und dass der Arbeitszwang
verstärkt wird. Wenn man das alles zusammennimmt, ist
kaum eine Besserstellung der Betroffenen eingetreten.
Die Union hat sich weitgehend durchgesetzt, nicht die
SPD, zumindest nicht mit dem, was sie einmal beschlossen hat.
({7})
Darüber hinaus werden die Kosten nicht aus den Überschüssen der Bundesagentur gedeckt, sondern durch
Einsparungen bei ALG II und bei der Eingliederungshilfe.
Nun haben Sie, Herr Staatssekretär, von den Überschüssen gesprochen. Ich schildere Ihnen einmal, was
mir eine Frau geschrieben hat. Sie ist über 58 und hat unterschrieben, dass sie nicht mehr vermittelt werden, sondern bis zur gesetzlichen Rente ALG II beziehen will.
Aber sie hat sich weiterhin beworben, weil sie eigentlich
tätig sein wollte. Jetzt hat diese Frau ein Unternehmen
gefunden, das sie einstellen wollte. Das Unternehmen
wollte aber den Eingliederungszuschuss haben. Die
Arge hat gesagt: Nein, Sie haben doch unterschreiben,
dass Sie nicht mehr vermittelt werden. Dann bekommt
das Unternehmen auch keinen Zuschuss. - So kann man
natürlich Zuschüsse sparen. Den Job hat sie nicht bekommen; dafür zahlen wir ihr weiter ALG II. Bekloppter
geht es doch gar nicht. Wir hätten diese Frau in Arbeit
bringen können, machen das aber nicht.
({8})
Ich habe in vielen Zeitungen gelesen, dass die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für einen Linksruck in der SPD steht.
({9})
Dieses bisschen, über das wir gerade diskutiert haben,
soll also einen Linksruck der SPD ausmachen. Meine
Damen und Herren von der FDP und von der Union, ich
muss Ihnen eines sagen - vielleicht haben Sie es vergessen -: Unter Helmut Kohl haben Ihre Parteien beschlossen, das Arbeitslosengeld bis zu 32 Monate lang zu zahlen.
({10})
Wenn das jetzt ein Linksruck sein soll, dann müssten Sie
nach heutigen Maßstäben damals linksextremistisch gewesen sein. Vor diesem Ruf möchte ich Sie dann doch in
Schutz nehmen.
({11})
Was hat sich für die ALG-II-Empfänger geändert?
Eine Regelsatzerhöhung und die Zahlung von Weihnachtsgeld lehnen Sie ab. Gibt es irgendwelche Veränderungen bei den demütigenden Deklarierungen hinsichtlich Altersvorsorge, Sparguthaben, Wohnung und Auto,
die diesen Menschen abverlangt werden? Sie wissen,
wie sich Leute fühlen, wenn sie ihren Lebensstandard
auf Sozialhilfeniveau reduzieren müssen, um überhaupt
ALG II in Anspruch nehmen zu können. Das muss man
ändern.
({12})
Die Bundesagentur für Arbeit hat einen Überschuss
von 18 Milliarden Euro erwirtschaftet. Nichts davon setzen Sie in diesem Sinne ein. Was müsste man nach unserer Meinung mit diesen Überschüssen machen? Wir
müssten die Bezugsdauer von ALG I deutlich verlängern. Beim ALG II müssten wir zumindest den Regelsatz erhöhen und die Kriterien, die Sie erfunden haben
und die erfüllt sein müssen, damit man es überhaupt beantragen kann, verändern. Wir müssten Weiterbildungsmaßnahmen und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor finanzieren.
({13})
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Förderunterricht für
Kinder, die entweder besonders begabt sind oder denen
es in der Schule schwerer fällt. Sie wissen ganz genau,
dass es Eltern gibt, die sich diesen Unterricht leisten
können, und andere, die sich das nicht leisten können.
Wir könnten einer wichtigen Aufgabe nachkommen und
gleichzeitig arbeitslose Lehrerinnen und Lehrer in Beschäftigung bringen. Wir würden endlich Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Sie aber verwenden nichts
von dem Geld für derartige Maßnahmen, sondern sagen:
Dieses Geld muss an die Unternehmen zurückfließen.
Das ist nicht sozialdemokratisch gedacht, im Gegenteil.
({14})
Jetzt kommen wir zur Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Sie sind stolz darauf
({15})
und rechnen immer vor, was die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer davon haben. In den Jahren 1995 bis 2006
betrug der Beitrag 6,5 Prozent. Die Große Koalition,
also Union und SPD, haben diesen Beitrag auf 4,2 Prozent gesenkt. Intern wurde vereinbart, den Beitrag weiter
zu senken, und zwar auf 3,5 Prozent. Wir kennen das ja
schon von der Mehrwertsteuer: Die einen wollten eine
Erhöhung um 0 Prozent, die anderen um 2 Prozentpunkte. Als Kompromiss sind 3 Prozentpunkte herausgekommen. - Und was ist jetzt bei der Koalitionsverhandlung rausgekommen? Statt der vereinbarten
3,5 Prozent sind es 3,3 Prozent. Wieder hat sich die
Union gegenüber der SPD durchgesetzt.
Die Frage ist: Was spart man dadurch? Wer spart
was? Die Absenkung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent
macht für die Unternehmen eine jährliche Einsparung
von 25 Milliarden Euro aus.
({16})
- Zu Ihrer Theorie sage ich gleich etwas. Wenn Sie
halbe-halbe machen, dann sind es 12,5 Milliarden. Ich
mache aber nicht halbe-halbe. Ich werde Ihnen das
gleich erklären. - Bei einer Senkung von 4,2 Prozent auf
3,3 Prozent geht es um 7 Milliarden Euro; nach der
Halbe-halbe-Theorie ginge es um 3,5 Milliarden Euro.
Ich will Ihnen erklären, warum ich nicht halbe-halbe
mache. Es fängt damit an, dass Sie falsch berechnen,
was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer netto im Vergleich zum Bruttoeinkommen mehr hätten. Eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit 2 300 Euro Bruttoeinkommen monatlich erhält im Jahr netto 124,20 Euro
mehr. Bei einem Einkommen in Höhe von 1 000 Euro
brutto monatlich sind es im Jahr 54 Euro mehr. Da ist
nichts mit 400 Euro mehr. Sie müssten schon ein Spitzenverdiener sein, um so viel davon zu haben.
Ich werde Ihnen jetzt einmal verdeutlichen, warum
ich der Meinung bin, dass eine Senkung der Lohnnebenkosten die Unternehmen begünstigt. Darf ich Ihnen das
erklären, Herr Niebel?
({17})
Da Sie mir das logischerweise nicht glauben, werde ich
die neoliberale Freiburger Schule zitieren.
Herr Kollege, würden Sie vorher noch die Frage des
Kollegen Rauen zulassen?
Ja, selbstverständlich.
({0})
- Aber wirklich schwerwiegend!
({1})
Herr Rauen, bitte.
Herr Gysi, Sie haben eben eine jährliche Entlastung
von 123 Euro genannt.
Ja, 124,20 Euro.
Ich nehme jetzt einmal ein einfaches Beispiel, damit
man im Kopf mitrechnen kann: Da ist ein Facharbeiter,
der auf 2 500 Euro brutto im Monat kommt. Bei einer
Senkung des Satzes um 3,2 Prozentpunkte entfallen auf
ihn 1,6 Prozentpunkte. 1,6 Prozent von 2 500 Euro, das
bedeutet im Monat 40 Euro.
({0})
Das sind im Jahr 480 Euro. - Diesem Facharbeiter bleiben nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge etwa
2 000 Euro. Dann bezahlt er noch 150 Euro Steuern und
muss vielleicht sein Haus mit einer Rate von 500 Euro
monatlich abbezahlen. Er liegt mit dem, was er zum Leben zur Verfügung hat, oft unter dem, was der hat, der
sozusagen nichts hat, der Arbeitslosengeld II bezieht und
Wohngeld in Anspruch nimmt. Ich sage Ihnen eines: Für
den Facharbeiter sind 480 Euro im Jahr sehr viel Geld.
({1})
Es gibt noch ein Zweites. Sie haben gesagt, das
komme den Unternehmen zugute. Das ist wahr. Bei den
24 Milliarden Euro an Entlastung geht die Hälfte an die
Unternehmen. Können Sie sich nicht vorstellen, dass es
für einen Handwerksbetrieb, der haushaltsnahe Dienstleistungen erbringt, wichtig ist, die 40 Euro pro Mitarbeiter und Monat weniger an Beiträgen zu zahlen, weil
er dadurch vielleicht den Auftrag in Konkurrenz zur
Schwarzarbeit bekommt und deshalb Menschen ordentlich beschäftigen kann?
Ich bitte Sie, das einfach zur Kenntnis zu nehmen,
und bitte um eine Antwort darauf.
({2})
Solange ich antworte, sollen Sie aufgrund irgendeiner
Regel stehen bleiben. Das zu bemessen, ist insofern
schwer, als Sie gar keine Frage gestellt haben. Sie haben
einen kurzen ergänzenden Vortrag gehalten. Das macht
nichts; den habe ich mir gern angehört. Ich werde Ihnen
jetzt aber belegen - dann können Sie sich auch gerne
wieder setzen -, warum das Ganze eine Entlastung der
Unternehmen ist.
({0})
Ich komme noch einmal zu der ordoliberalen Freiburger Schule zurück. Der berühmte Autor Alexander
Rüstow, der der FDP nahestand, wie Sie wissen, schreibt
unter der Überschrift „Mythos Arbeitgeberanteil“ - ich
bitte Sie, einfach einmal zu bedenken, was er dazu ausführt -:
Denn während man früher glauben konnte und es
zum Teil auch so war, dass die Kosten der Sozialpolitik von den Unternehmern getragen wurden, sind
ja heute die Summen, um die es sich handelt, viel
zu hoch, um das zu ermöglichen,
({1})
vielmehr wird der weitaus größte Teil des Sozialaufwandes direkt und indirekt von den Arbeitern
selber getragen. Denn auch der Teil, der formell als
Unternehmerbeitrag gezahlt wird, geht ja in Wirklichkeit vom Lohn ab; um so viel, wie der Unternehmer an Sozialbeiträgen zahlen muss, kann er an
Lohn weniger zahlen. Auch das geht also auf Kosten der Arbeiter.
({2})
Das sage nicht etwa ich; das sagt Alexander Rüstow. Deshalb waren meine Zahlen richtig.
({3})
Wir sind gegen die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages - ich habe es Ihnen begründet -, weil
wir Weiterbildung brauchen, weil wir die Finanzierung
von Arbeit statt von Arbeitslosigkeit brauchen
({4})
und weil wir fest davon überzeugt sind, dass man die Bezugsdauer des ALG I verlängern muss und das ALG II
grundsätzlich verändern muss. Deshalb ist die Senkung
falsch.
Sie machen es uns heute hier sehr schwer. Auch wenn
die Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I viel zu gering ist, würden wir dazu Ja sagen, damit überhaupt etwas passiert.
Sie müssen zum Ende kommen, Herr Kollege.
Okay, Frau Präsidentin. - Aber der Senkung des
Arbeitslosenversicherungsbeitrages können wir nicht zustimmen. Deshalb müssen wir leider insgesamt Nein sagen.
({0})
Ich danke für Ihr Gehör und bitte Sie, hier im Bundestag sozialere Entscheidungen zu treffen.
({1})
Wenn die Redezeit schon mehr als um ist, ist das mit
den Zwischenfragen immer so eine Sache.
({0})
Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Brigitte Pothmer
für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus
wissenschaftlicher Perspektive lassen sich keine, aber
auch gar keine Gründe finden, mit denen sich eine Verlängerung des ALG I-Bezuges - egal in welcher Variante - rechtfertigen ließe. Sie wiegt die Betroffenen in
einer Scheinsicherheit und führt dazu, dass Suchaktivitäten gebremst werden und damit die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt verschleppt wird; es gibt eine Vielzahl
von Untersuchungen, die diesen Zusammenhang belegen. Sie schafft Anreize für eine verfehlte Frühverrentungspolitik, und die Zeche zahlen diejenigen, die kürzere Beitragszeiten haben. Es profitieren nur diejenigen
davon, die vor der Arbeitslosigkeit relativ gute Löhne
bekommen haben. Die Lebensleistungen derjenigen, die
zwar lange eingezahlt haben, aber aufgrund ihres geringen Einkommens ergänzend ALG II bekommen, werden
nicht anerkannt. Diese Menschen profitieren in keiner
Weise. - So äußerte sich Dr. Ulrich Walwei, stellvertretender Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in der Anhörung am Montag dieser Woche zu diesem Gesetzesvorhaben.
Es gab keinerlei Reaktion auf der Seite der Vertreter
der Koalitionsfraktionen. Ich frage mich wirklich: Warum veranstalten wir überhaupt noch solche Anhörungen?
({0})
Das geht ins eine Ohr hinein und zum anderen wieder
heraus. Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist. Sie
haben eine interessengeleitete Einsichtsbarriere, und dagegen kommt offenbar kein wissenschaftliches Institut
an.
({1})
Sie haben entschieden, sich für eine bestimmte Klientel einzusetzen, die Klientel der Facharbeiter. Auf die
Lebensleistung derjenigen, die noch weniger haben
- und davon gibt es leider viele -, pfeifen Sie. Das
nehme ich Ihnen übel.
({2})
Sie erweisen ja sogar denen einen Bärendienst, von denen Sie behaupten, dass Sie etwas Gutes für sie tun wollen. Tun Sie doch nicht so, als sei eine um sechs Monate
verlängerte Bezugsdauer von ALG I in den heutigen
Zeiten ein existenzieller Sicherheitsgurt! Wirkliche Sicherheit - das wissen Sie - gibt es nur dann, wenn es
auch einen neuen Arbeitsplatz gibt. Deswegen geht es
darum, darauf alle, aber auch alle Anstrengungen zu
richten.
Herr Rauen, die Angst der Menschen - die nehme ich
wirklich ernst - kann ihnen doch am ehesten dann genommen werden, wenn Sie aufhören, ihnen die Ersparnisse, die sie für das Alter zurückgelegt haben, wegzunehmen, wenn sie arbeitslos werden. Deswegen sagen
wir: Mindestens 3 000 Euro pro Lebensjahr müssen im
Falle der Arbeitslosigkeit anrechnungsfrei bleiben.
({3})
Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen: „Leute,
ihr müsst privat vorsorgen“, und ihnen das Geld dann in
dem Falle, in dem sie es am dringendsten brauchen, wieder wegnehmen.
({4})
So kann man den Menschen die Angst nicht nehmen.
Wir sagen: Das ist weder sozial noch gerecht.
Woher nehmen Sie jetzt das Geld für die ALG-I-Verlängerung? Schade, Herr Rauen, dass Sie dazu so wenig
gesagt haben. Ich finde das ganz besonders dreist: Sie
nehmen das Geld im Wesentlichen aus dem Topf, dessen
Inhalt dazu dienen soll, diejenigen zu fördern und zu unBrigitte Pothmer
terstützen, die Förderung und Qualifizierung brauchen, damit sie überhaupt eine Chance haben, auf dem
ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. 600 Millionen Euro, das ist ein Sechstel des Eingliederungstitels in
diesem Bereich. Wenn Sie den einen geben, dann nehmen Sie den anderen. Dieses Sechstel nehmen Sie denen, die es am dringendsten brauchen, um wieder eine
Perspektive zu haben.
({5})
Auch das ist nicht sozial, auch das ist nicht gerecht.
Sie kommen zu einer Politik zurück, von der ich gehofft hatte, dass wir sie gemeinsam überwunden haben.
Sie alimentieren, statt zu qualifizieren. Sie überweisen,
statt zu befähigen. Das ist der falsche Weg, und das wissen Sie eigentlich selbst, insbesondere die Kolleginnen
und Kollegen von der SPD.
Ja, gleich. - Aber Sie sind getrieben von dem Umfrageelend und von der Sehnsucht nach mehr Wählerinnen
und Wählern. Das hat nicht funktioniert. Ich frage Sie:
Was machen Sie jetzt? Welche Konsequenz ziehen Sie
daraus?
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Weiß zulassen?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Frau Kollegin Pothmer, nachdem Sie behauptet haben, die von der Großen Koalition beabsichtigte Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I und
die Einführung des Vermittlungsgutscheins, den wir älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geben wollen, damit sie nicht lange Arbeitslosengeld in Anspruch
nehmen müssen, sondern Arbeit finden, gingen zulasten
der Eingliederungstitel im Haushalt der Bundesagentur
für Arbeit, und nachdem der Haushalt der Bundesagentur in dieser Woche verabschiedet worden ist: Nehmen
Sie bitte zur Kenntnis, dass in diesem Jahr die Bundesagentur für Arbeit 2,7 Milliarden Euro für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung hatte und ausgegeben
hat, dass sie ausweislich ihres Haushaltes im kommenden Jahr 3,4 Milliarden Euro ausgeben will und das zudem mit dem niedrigen Beitragssatz von 3,3 Prozent
durchfinanziert ist. Es steht also mehr Geld für Eingliederung zur Verfügung und nicht weniger.
Herr Kollege Weiß, da lacht ja die Koralle.
({0})
Sie sind diejenigen, die immer wieder beklagen, dass es
immer noch zu viele gibt, die aus dem ALG-I-Bereich in
den ALG-II-Bereich gehen, also zu Langzeitarbeitslosen
werden, und sich da zu wenig tut. Wenn die BA das
Geld, das ihr für die Integration zur Verfügung gestellt
wird, nicht ausgegeben hat, dürfen Sie ihr das doch nicht
wegnehmen, sondern dann müssen Sie alles, aber auch
alles dafür tun, dass diese Qualifizierung und Förderung,
die ja - verdammt noch mal - gebraucht wird, auch
wirklich stattfindet.
({1}) -
Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir
nehmen ihr nichts weg, sie hat nächstes Jahr
mehr!)
Lassen Sie mich einmal etwas zu dem Vermittlungsgutschein sagen, Herr Kollege Weiß. Das ist doch ein
Fake. Ich habe im Ausschuss nachgefragt: Sagen Sie
einmal, wie soll das denn mit dem Vermittlungsgutschein funktionieren? Wann soll der denn ausgegeben
werden? Da hat der Kollege Brandner zu mir gesagt, ich
solle einmal an mich halten und nicht solche Fragen stellen.
({2})
So weit zur Seriosität Ihrer Politik.
Ich würde jetzt gern mit meiner Rede fortfahren. Herr
Kollege Weiß, Sie dürfen sich gerne wieder setzen.
({3})
Ich möchte betonen, wo wir den Korrekturbedarf sehen. Wir sind ja nicht diejenigen, die sagen, Hartz IV sei
sakrosankt, da dürfe man überhaupt nichts ändern. Wirkliche Veränderungen brauchen wir im Arbeitslosengeld-IIBereich. Wir wissen alle: Die Regelsätze sind eindeutig
zu niedrig. Die Regelsätze müssen angehoben werden.
Es ist überhaupt nicht möglich, ein Kind mit 2,50 Euro
am Tag zu ernähren. Es ist schon gar nicht möglich, ein
solches Kind dann auch noch gesund zu ernähren.
({4})
Es ist eine Schande, dass diese Kinder am Schulessen
nicht teilnehmen können. Es ist falsch, dass im Regelsatz
nichts, aber auch gar nichts für Nachhilfe, für musischkulturelle Bildung oder für Betätigung in einem Sportverein vorgesehen ist. Darin ist wirklich gesellschaftlicher Sprengstoff enthalten. Das ist eine soziale Schieflage, die wir beheben müssen. Deswegen brauchen wir
in diesem Bereich dringend eine Veränderung.
({5})
Ich frage Sie einmal: Wo sind Sie eigentlich geblieben? Wo ist Ihre Empörung geblieben? Ich kann mich
noch gut erinnern: Die Milchpreise stiegen, und aus den
beiden Koalitionsfraktionen kam die Forderung: Da
muss man jetzt korrigieren. Wenn ich mir die Haushaltsansätze ansehe: Nichts, gar nichts ist da zu finden.
Frau Pothmer, es gibt noch einen Wunsch zu einer
Zwischenfrage der Kollegin Höll.
Ja, bitte.
Werte Kollegin, ich teile die von Ihnen so vehement
vorgetragene Kritik an den Regelsätzen, an der Streichung der Einmalbeihilfen bei Hartz IV usw. Ich möchte
einmal nachfragen: Ist meine Erinnerung richtig, dass
Sie das mit diesen Regelsätzen, die so niedrig sind, dass
man Kinder nicht gesund ernähren kann, dass es keine
Extrazuschüsse für herausragende Ereignisse wie Jugendweihe, Konfirmation, das Weihnachtsfest usw. gibt,
hier im Bundestag mit verabschiedet haben?
Frau Kollegin Höll, haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass wir schon vor längerer Zeit einen Antrag
gestellt haben, der genau in diesem Bereich eine Korrektur vorsieht? Nicht alles, was damals beschlossen worden ist, ist aus unserer Sicht in Granit gehauen. Nicht alles, was damals beschlossen worden ist, haben wir mit
Zustimmung zur Kenntnis genommen, sondern haben
wir auch begleitend kritisiert, haben die entsprechenden
Konsequenzen gezogen und tun das auch weiterhin.
({0})
Ich frage noch einmal: Wo ist eigentlich der Haushaltsansatz geblieben, der genau die Kritik, die auch aus
Ihren Reihen kommt, aufnimmt? Wir als Grüne haben in
unserem Haushaltsänderungsantrag eine Anhebung der
Regelsätze auf 420 Euro vorgeschlagen und haben das
auch mit einer entsprechenden Gegenfinanzierung begleitet. Für uns hat die Bekämpfung der Armut der
Ärmsten nämlich höchste Priorität. Sie kümmern sich
leider um eine andere Gruppe. Auch das finden wir nicht
sozial, und auch das finden wir nicht gerecht.
Lassen Sie mich noch zu einem anderen Punkt in diesem Gesetzentwurf kommen. Ich meine den wirklich ungenierten Griff des Bundesfinanzministers in die Kassen
der Bundesagentur für Arbeit und damit, Herr Rauen,
auch in die Kassen der Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler. Wo ist Ihre Empörung in dieser Frage?
Dass der Bundesfinanzminister den Beitragszahlerinnen
und -zahlern 5 Milliarden Euro raubt, dass er sie um
5 Milliarden Euro prellt - mit Beitragsgeldern werden
Straßen finanziert -, das können Sie, Herr Rauen, doch
keinesfalls hinnehmen. Nicht nur der Ehrliche, sondern
auch die Beschäftigten sowie die Arbeitgeberinnen und
Arbeitgeber sind hier doch die Dummen.
({1})
Verkäuferinnen und Bauarbeiter werden doppelt zur
Kasse gebeten, wenn es darum geht, die Perspektive von
Langzeitarbeitslosen zu verbessern: einmal in ihrer Rolle
als Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und dann
auch noch in ihrer Rolle als Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist weder sozial noch gerecht. Das Gleiche
gilt übrigens auch für die Kosten, die entstehen, um Kindererziehungszeiten in der Arbeitslosenversicherung abzusichern. Das, was der Finanzminister hier macht, ist
wirklich ein Raubzug zulasten der Beitragszahlerinnen
und Beitragszahler.
Der Finanzminister kennt sich gut aus; denn er
kommt von der Küste. Er hat uns neulich verraten, dass
er früher Pirat, eine Art Störtebeker werden wollte. Wie
Sie sich vielleicht erinnern, war Störtebeker ein ziemlich
ungehobelter Kerl, vielleicht ein Raufbold. Herr
Steinbrück, was Sie und ihn unterscheidet, ist Folgendes:
Er hat es den Reichen genommen und den Armen gegeben. Ich bin mir sicher, Herr Störtebeker würde Sie heute
nicht wählen, und das ist auch richtig so.
Ich danke Ihnen.
({2})
Der Kollege Klaus Brandner spricht jetzt für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur
Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze zeigt die Große Koalition auch nach
schwierigen Verhandlungen im Koalitionsausschuss
Handlungsfähigkeit.
({0})
Wir beschließen heute nämlich die Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung und legen
gleichzeitig fest, dass wir die Dauer des Bezuges von
Arbeitslosengeld I für Ältere verlängern.
Bei dieser Debatte können wir als Erstes feststellen:
Weder gönnt die Linke den Menschen mehr Netto im
Portemonnaie - nämlich die Beitragssenkung -, noch
gönnt sie den Älteren eine längere Dauer des Bezugs von
Arbeitslosengeld I; ansonsten würde sie nicht gegen dieses Gesetz stimmen.
({1})
Liebe Frau Pothmer, wie Sie wissen, schätze ich Sie
sehr. Heute haben Sie allerdings eine Menge gewagter
Konstruktionen vorgetragen.
({2})
Ich würde gern auf alle eingehen; aber dazu reicht meine
Redezeit nicht.
Zuallererst möchte ich etwas zum Beitragssatz sagen: Wir senken den Beitragssatz auf 3,3 Prozent. Das
ist ambitioniert - das will ich gerne feststellen -; aber es
ist das Ergebnis einer erfolgreichen Politik, die reformiert, die saniert, die investiert und die die Arbeitslosigkeit ganz erheblich zurückgeführt hat.
({3})
Die Reformdividende für diesen Rückgang der Arbeitslosigkeit ist unter anderem die Beitragssatzentlastung.
({4})
Ich sage hier an dieser Stelle ganz klar: Eine Senkung
von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent entspricht 25 Milliarden
Euro. Das bedeutet, für Investitionen in Unternehmen
stehen 12,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, und
auch die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird um 12,5 Milliarden Euro gestärkt. Damit
stützen wir die Binnenkonjunktur in einer, wirtschaftlich
gesehen, durchaus nicht unambitionierten Art und
Weise.
({5})
Herr Kollege Brandner, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Möller zu?
Bitte.
Herr Kollege Brandner, da Sie augenscheinlich unter
partiellem Gedächtnisverlust leiden, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich vielleicht an unseren Antrag erinnern, in
dem unter anderem die Verlängerung des ALG I gefordert wurde. Außerdem wurde darin gefordert, die Überschüsse der BA auch dafür zu verwenden, Nichtleistungsempfänger und -empfängerinnen besser zu
qualifizieren und mehr benachteiligten Jugendlichen zu
einer außerbetrieblichen Ausbildung zu verhelfen. Sie
haben diesen Antrag abgelehnt. Das heißt, Sie sollten
sich zumindest daran erinnern, was Sie abgelehnt haben.
({0})
Frau Kollegin Möller, Sie wissen, dass wir eine solide
Politik machen, die durchfinanziert ist, die sich - das
habe ich gerade gesagt - darin zeigt, dass wir den Menschen erstens Beiträge zurückgeben und damit ihre individuelle Kaufkraft erhöhen. Zweitens verlängern wir die
Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere, da, wo
besondere Risiken bestehen. Drittens haben wir genügend Geld für Aktivierungsmaßnahmen, das nach jetzigem Stand in beiden Haushaltstiteln - diese betreffen sowohl SGB III als auch SGB II - nicht annähernd
ausgeschöpft wird. Insofern sind wir auf einem soliden
Kurs und brauchen auf Ihre populistischen Anträge nicht
weiter einzugehen.
({0})
Lassen Sie mich an dieser Stelle in meiner Rede fortfahren. Die Entlastung für die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer ist hier deutlich geworden. Man kann die
Durchschnittseinkommenssituation ein bisschen ambitionierter sehen. Bei jemandem, der pro Monat ein Einkommen von 3 000 Euro hat, ergibt dies im Vergleich
zwischen den Jahren 2005 und 2008 immerhin 576 Euro.
Wir haben den Beitragssatz fast halbiert. Eine so große
Nettoentlastung kann sich sehen lassen. Ich habe über
den Nachfrageimpuls und die Unterstützung der Binnenkonjunktur gesprochen.
In dem Zusammenhang sage ich auch, dass das DIW
zum Beispiel jetzt gerade aktuell titelt: Konjunktur in
kraftvoller Verfassung. Deshalb haben wir keine Sorge,
dass wir den Beitragssatz so ambitioniert auf 3,3 Prozent
absenken. Wir machen unsere Politik mit Zuversicht. Es
hat sich gezeigt, dass sie am Ende erfolgreich ist. Wir
machen uns keine Sorgen bezüglich der zukünftigen Finanzverfassung der BA, die für 2007 einen Überschuss
in Höhe von 18 Milliarden Euro ausweist.
({1})
Es gibt Medienberichte, in denen von erheblichen Defiziten in 2008 gesprochen wird. Das Handelsblatt beispielsweise titelt heute: „Arbeitsagentur erwartet Milliarden-Defizit“. Die Süddeutsche Zeitung schreibt
heute: „Nürnberg erwartet Milliardenloch“. Ich könnte
noch weitere Beispiele nennen. Wir müssen uns fragen:
Ist das ein Grund zur Panik? Wie gehen wir solide damit
um?
Wir müssen an dieser Stelle deutlich machen, dass in
der öffentlichen Debatte übersehen wird, dass wir erstens eine Liquiditätsreserve von 6 Milliarden Euro
schaffen; die BA wünscht sich sogar eine von
9 Milliarden Euro. Sie hat unsere volle Unterstützung,
wenn sie eine solche Liquiditätsreserve aufbaut. Zweitens sorgen wir mit einem Versorgungsfonds dafür, dass
die Beamtenpensionen in der Zukunft durch entsprechende Rückstellungen abgesichert werden. Drittens
werden wir einen Eingliederungsbeitrag von 5 Milliarden Euro vorsehen.
All das im Haushalt 2008 berücksichtigt bringt bei
der jährlichen Betrachtungsweise durchaus ein Defizit.
Insgesamt gesehen übersieht es aber, dass wir die Spielräume systematisch nutzen, um Vorsorge zu treffen. Wir
müssen deutlich machen, dass mit der Liquiditätsreserve
genügend arbeitsmarktpolitische Spielräume in den Zeiträumen entstehen, in denen die Konjunktur zurückfahren
kann. Das ist uns wichtig. Wir wollen keine Stop-andgo-Politik. Wir wollen verantwortliche Politik und Si13326
cherheit für die Menschen. Daher müssen wir zum richtigen Zeitpunkt genügend finanzielle Mittel haben, um
sie zu unterstützen.
Deshalb sage ich klar an Frau Pothmer und andere,
die dies kritisch angesprochen haben: Wir nehmen keinem etwas weg. 12,6 Milliarden Euro für aktivierende
Maßnahmen stehen im Haushalt 2008 zur Verfügung.
Sie werden nicht annähernd ausgeschöpft; das muss ich
Ihnen sagen.
Wir sorgen vor, und zwar erstens dadurch, dass wir
Rücklagen schaffen, dass wir Reserven bilden. Zweitens
sorgen wir vor, indem genügend Mittel zur Verfügung
gestellt werden, sodass in die Zukunft investiert werden
kann, in Weiterbildung, in Qualifizierung, in die Köpfe.
Das ist ein komplett richtiges Vorsorgeprogramm und
keine - wenn man es so nennen will - gefährliche Politik, die wir betreiben.
({2})
Wegen dieser Finanzlage können wir uns erlauben,
Spielräume beim Arbeitslosengeldbezug für Ältere zu
nutzen. Ich will an dieser Stelle erstens ganz deutlich sagen, dass die Menschen, die hart gearbeitet haben, es
verdient haben. Zweitens finde ich es gut, dass wir uns
in der Koalition darauf verständigen konnten, dass die
Sorgen Älterer ernst genommen werden, dass nach einer
langen Erwerbs- und Arbeitstätigkeitsphase die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I verlängert wird. Denn
das Risiko, arbeitslos zu werden, ist für Ältere einfach
größer. Deshalb will ich an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Es war uns wichtig, diesen Schritt zu gehen.
An dieser Stelle haben wir uns von unserem Koalitionspartner durchaus unterschieden. Wir wollten, dass
die finanziellen Leistungen aus den Überschüssen der
Bundesagentur finanziert werden. Das ist uns nicht hundertprozentig gelungen. Aber es ist gut, dass es uns gelungen ist, die CDU vollständig davon zu überzeugen,
dass sie auf den Rüttgers-Plan verzichtet. Den Älteren
geben und den Jüngeren nehmen, das war mit uns nicht
zu machen. Das ist uns wichtig, und das möchte ich an
dieser Stelle deutlich zum Ausdruck bringen.
({3})
Uns ist auch wichtig, dass die Chancen auf Weiterbildung nicht zulasten von Familien, Frauen und von Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien geschmälert
werden. Im Gegenteil: Es ist unser Verständnis von Solidarität, diejenigen, die ein erhöhtes Risiko haben, arbeitslos zu werden, entsprechend zu unterstützen. Durch
eine Förderung muss dieses Risiko in der Zukunft minimiert werden.
({4})
Ich will an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Der
Grundsatz einer solidarischen Risikoversicherung bleibt
für uns uneingeschränkt bestehen. Die Solidarität - der
Stärkere tritt für den Schwächeren ein - hält die Gewerkschaft - ich meine, die Gesellschaft - zusammen.
({5})
- Herr Kollege, herzlichen Dank, dass Sie meinen Versprecher so freundlich bejubeln. Es zeigt Ihre Kollegialität. Ich bedanke mich dafür.
Ich will an dieser Stelle deutlich sagen, dass nicht nur
Rüttgers, sondern auch Lafontaine und heute Gysi falsch
liegen, wenn sie dem Motto frönen „Wer viel einzahlt,
muss auch viel rauskriegen“. Das ist ein Bild von einer
völlig entsolidarisierten Gesellschaft, in der es nur darauf ankommt, dass sich jeder Einzelne selbst ausreichend versorgt. Für uns gilt nicht das Motto „Wenn jeder
an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“. Solidarität ist
unser Grundsatz. Diesen Grundsatz werden wir auch in
der Arbeitsmarktpolitik weiterhin mit Leben erfüllen.
({6})
Wir verfügen nun über ein großes Finanzvolumen
dank einer erheblich geringeren Zahl von Arbeitslosen.
Das schafft Spielräume, um Langzeitarbeitslose stärker
zu fördern. An dieser Stelle will ich die Bundesagentur
für ihre Arbeit loben. Wir haben immer zu ihr gestanden.
Viele wollten sie plattmachen und haben sie von diesem
Pult aus häufig sehr negativ dargestellt. Ich sage sehr
klar: Wir stehen zur Bundesagentur für Arbeit, aber wir
erwarten auch, dass die dort zur Verfügung stehenden
Mittel offensiv ausgegeben werden, um denen in diesem
Land, die der Unterstützung bedürfen, zu helfen. Dies ist
ein Aufruf an die Kolleginnen und Kollegen dort, die
Spielräume, die durch die Haushalte eröffnet worden
sind, zu nutzen.
({7})
Mit diesem Gesetz justieren wir den Aussteuerungsbetrag neu.
({8})
Wir schaffen damit eine neue Finanzarchitektur. Das ist
hier auch schon angesprochen worden. Frau Pothmer,
der Aussteuerungsbetrag ist durchaus ambivalent zu bewerten.
({9})
Das wissen wir. Der positive Aspekt war, dass durch
eine schnelle Vermittlung viele Menschen erst gar nicht
in Langzeitarbeitslosigkeit gekommen sind.
({10})
Aber für diejenigen - das ist der negative Aspekt -, die
nicht schnell vermittelt werden konnten und die arbeitslos geblieben sind, hat der Aussteuerungsbetrag genau
das Gegenteil bewirkt. Denn man hat die Förderung aufgegeben, wenn Langzeitarbeitslosigkeit drohte. Eine entsprechende Verzahnung hat nicht geklappt. Diese Fehlentwicklung wollen wir stoppen.
Wir sorgen dafür, dass der Aussteuerungsbetrag abgeschafft wird und dass sich die Bundesagentur zu
50 Prozent an dem Eingliederungstitel des SGB II - das
ist der Rahmen, der Grundlage für die Finanzierung von
Langzeitarbeitslosen ist - beteiligt.
({11})
Das ist richtig und verantwortungsvoll. Es zeigt auch,
dass wir die BA nicht aus der Verantwortung entlassen.
({12})
Vieles ist uns in den letzten Verhandlungen gut gelungen. Aber zwei Punkte sind noch nicht erledigt, die in
der zweiten Hälfte der Legislaturperiode mit unserem
Koalitionspartner zu regeln sind. Es geht erstens um die
sogenannte Zwangsrente. Es ist wichtig, von dieser
Stelle aus zu sagen: Es darf keinen Automatismus geben,
dass man aus der Langzeitarbeitslosigkeit direkt in die
Rente geschickt wird.
({13})
Wer arbeiten will und kann, muss eine besondere Förderung erfahren. Mit 60 gehört man eben nicht zum alten
Eisen. Wir haben dazu einen vernünftigen Vorschlag
vorgelegt. Wir erwarten von unserem Koalitionspartner,
dass er sich aktiv an einer Lösung beteiligt. Wir wissen
aber auch, dass die Zeit drängt. Ich bitte Sie daher, dass
wir an diesem Punkt recht bald eine sachgerechte Lösung finden.
Genauso offen will ich einen zweiten Punkt ansprechen: den Mindestlohn für Briefdienstleister. Die Bundeskanzlerin hat zugesagt, dass die Briefzusteller parallel
zur Postliberalisierung ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz
aufgenommen werden. Aus unserer Sicht liegen die Voraussetzungen dafür eindeutig vor. Wir müssen Lohndumping in diesem Land gemeinsam bekämpfen.
({14})
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass man zu der
Vereinbarung über die Briefdienstleister steht und nicht
zu viele Menschen aufgrund eines zu niedrigen Lohnniveaus auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen
sind. Das ist unwürdig, und das wollen wir bekämpfen.
({15})
Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel.
Bitte.
Vielen Dank. Herr Kollege Brandner, auch wenn dieses Thema gar nicht auf der Tagesordnung steht, haben
Sie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und die Postdienstleistungsbranche angesprochen. Können Sie mir
erklären, warum Sie, nachdem Ihr Parteitag einen Mindestlohn von 7,50 Euro beschlossen hat, das Angebot
der Union, 8 Euro als Mindestlohn festzusetzen, abgelehnt haben?
({0})
Sind Sie tatsächlich der Ansicht, dass dieses Thema,
auch wenn es nicht auf der Tagesordnung steht, auch von
den Kollegen von der Union so gesehen wird, wie Sie es
verkündet haben?
Herr Niebel, erstens wissen Sie, dass wir eindeutig
zur Tarifautonomie stehen, dass wir ganz deutlich darauf
bauen, dass branchenspezifische Tarifabschlüsse ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden, und
dass wir auf dem Parteitag einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro beschlossen haben.
Das ist ein großer Unterschied. Ich hoffe, dass Sie diese
Differenzierung kennen
({0})
und die Tarifautonomie als ein grundgesetzlich geschütztes Gut auch zukünftig Ihre Unterstützung finden
wird. Wir wollen gerade nicht in die Tarifautonomie eingreifen.
({1})
Unser Koalitionspartner irrt - zumindest was seine
Forderung angeht -, wenn er glaubt, dass es eine Möglichkeit wäre, einen Mindestlohn von 8 Euro zu vereinbaren. Der Gesetzgeber sollte sich aus der Tarifautonomie heraushalten. Wir halten die Voraussetzungen für
eine Aufnahme in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für
gegeben. Die Tarifvertragsparteien haben ihre Schularbeiten gemacht. Da werden und wollen wir ihnen nicht
hineinreden.
Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn wird auf der
Tagesordnung bleiben. Er ist aktueller denn je. In den
letzten Tagen haben Gutachten die Runde gemacht, wonach ein Mindestlohn grundsätzlich keine negativen
beschäftigungspolitischen Wirkungen hat. Für die Baubranche hat das IAB eine entsprechende Studie vorgelegt. Darüber wird kritisch diskutiert. Es ist bekannt,
Herr Niebel, dass es im überwiegenden Teil der europäischen Länder einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Wir werden nicht locker lassen, bis wir auch in
Deutschland einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn haben,
({2})
weil das die einzige Chance ist, eine Lohnuntergrenze
einzuziehen und zumindest für soziale Gerechtigkeit im
unteren Lohnsegment zu sorgen.
({3})
Ich will ganz klar sagen, dass der scheidende Bundesarbeitsminister Franz Müntefering das Thema Mindestlohn massiv vorangetrieben hat. Er hat an dieser Stelle
als engagierter Debattenredner sehr häufig auf dieses
Thema hingewiesen. Ich möchte ihm nicht nur für das
danken - wie der Herr Staatssekretär das bereits richtig
gemacht hat -, was er an unterschiedlichen Stellen in
diesem Parlament sowie im nordrhein-westfälischen
Parlament für die Menschen in diesem Land geleistet
hat. Vielmehr sind wir ihm insgesamt für seine Fairness
und für sein erfolgreiches Engagement für die Menschen
in diesem Land zu Dank verpflichtet. Das möchte ich an
dieser Stelle ausdrücklich erwähnen.
({4})
Das Thema fairer Löhne wird auf der Tagesordnung
bleiben, da soll sich niemand täuschen. Ich bin überzeugt, dass der kommende Verantwortliche im Arbeitsund Sozialministerium, Olaf Scholz, dieses Thema ebenso
offensiv vorantreiben wird wie Franz Müntefering.
Wir verabschieden heute wichtige Änderungen beim
Beitragssatz, bei der Finanzarchitektur der BA und bei
der Verlängerung der Bezugsdauer Älterer. Wir wollen
keinen Wettlauf um die niedrigsten Beitragssätze. Wir
wollen einen Wettlauf um die besten Leistungen für die
Menschen in diesem Land. Das ist das Anliegen, dafür
treten wir an. Ich hoffe, dass wir dabei auf viel Unterstützung in diesem Haus treffen.
Herzlichen Dank.
({5})
Als Nächster hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für
die FDP-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich finde, die Debatte heute markiert einen Wendepunkt
in der Arbeitsmarktpolitik. Eine mutlose Koalition nutzt
Senkungspotenzial beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag allenfalls halbherzig und öffnet gleichzeitig wieder
die Schleusen für soziale Leistungen, die aus Mitteln der
Beitragszahler bezahlt werden sollen.
({0})
Nach dem, was Sie, Herr Kollege Brandner, am Ende Ihrer Rede angekündigt haben,
({1})
muss einem angst und bange werden, was die zukünftige
Politik der Koalition in diesem Bereich anbelangt.
({2})
Der Herr Kollege Rauen hat gesagt, man müsse das
Erreichte anerkennen.
({3})
In der Tat, Kollege Brauksiepe: Die Senkung ist erfreulich. Nur, wer zu spät kommt, der kann nicht erwarten,
dafür gelobt zu werden.
({4})
Das ist doch der Punkt.
({5})
Sie geben den Beitragszahlern immer nur das zurück,
was ohne besondere Anstrengungen möglich ist. Sie nutzen die konjunkturell bedingten Windfall-Profits für
Beitragssatzsenkungen.
({6})
Sie gehen aber nicht an die Kernbereiche heran, auf die
in der Anhörung deutlich hingewiesen wurde, zum Beispiel an die versicherungsfremden Leistungen.
({7})
Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung ist
zweifelsohne gesenkt worden. Zur Wahrheit gehört aber
auch - hier neigen Sie ja ein bisschen zur Verdrängung -,
dass in allen anderen Bereichen der Sozialversicherung
Erhöhungen stattfanden.
({8})
Bei der Rentenversicherung war es eine Erhöhung um
0,5 Prozentpunkte, bei der Krankenversicherung um
durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte, bei der Pflegeversicherung - das ist bereits beschlossen - werden es
0,25 Prozentpunkte sein,
({9})
und nicht zu vergessen ist die Mehrwertsteuererhöhung
um 3 Prozentpunkte. Das führt im Saldo zu einer Mehrbelastung der Menschen in unserem Lande.
({10})
Fragen Sie die Bürgerinnen und Bürger doch einmal, ob
in ihrem Portemonnaie wirklich mehr angekommen ist.
({11})
Gefühlt ist da Ebbe. Das ist die Wahrheit.
({12})
Herr Kollege Rauen - Sie wissen, dass ich Sie persönlich sehr schätze -, Sie haben gesagt, dass Sie die Lohnzusatzkosten jetzt auf unter 40 Prozent gesenkt haben;
es wurde berechnet, dass wir jetzt bei 39,77 Prozent liegen.
({13})
- Das mag ja sein, lieber Herr Kollege Müller. Aber in
Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass Sie die Lohnzusatzkosten dauerhaft auf unter 40 Prozent senken wollen.
({14})
Ab dem 1. Juli 2008 wird der Beitragssatz zur Pflegeversicherung um 0,25 Prozentpunkte angehoben; das ist bereits beschlossen. Dann werden Sie wieder bei über
40 Prozent sein.
({15})
Deswegen haben wir im Ausschuss einen Änderungsantrag eingebracht. Wir haben Sie aufgefordert, jetzt alle
Potenziale zu nutzen, um dauerhaft unterhalb von
40 Prozent zu bleiben. Darum geht es doch in Wirklichkeit.
({16})
Sollen wir Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, etwa dafür loben, dass Sie jetzt einen Eingliederungsbeitrag kreiert haben?
({17})
Er löst den wahrscheinlich verfassungswidrigen Aussteuerungsbetrag ab; insoweit kommen Sie Karlsruhe
zuvor.
({18})
Ich sage Ihnen - hier stimme ich Ihnen zu, Frau Kollegin
Pothmer -: Auch dieser Eingliederungsbeitrag ist mit
hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig.
({19})
Aus meiner Sicht ist darauf hinzuweisen, dass die BA,
die Bundesagentur, im Saldo mit 3 Milliarden Euro belastet wird. Das, was Sie mit diesem Eingliederungsbeitrag betreiben, ist nichts anderes als Haushaltssanierung
auf Kosten der Beitragszahler. Dabei machen wir nicht
mit.
({20})
Es mag schön sein, dass jetzt mehr Geld als je zuvor
für Eingliederungsmaßnahmen zur Verfügung steht. Es
bleibt aber vollkommen unklar, wofür dieses Geld eigentlich verwendet werden soll.
({21})
Eine grundlegende Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist überfällig. In Ihrem Koalitionsvertrag heißt es wörtlich:
Das, was unwirksam und ineffizient ist, wird abgeschafft. Diese Überprüfung soll bis Ende kommenden Jahres abgeschlossen sein.
Das wäre Ende 2006 gewesen. Jetzt sind wir bereits am
Ende des Jahres 2007. Aber diese Frage ist noch immer
unbeantwortet.
({22})
Man kann wirklich nicht so vorgehen, wie es Herr
Kollege Brandner gesagt hat. Er sagte: Wir legen hier
Vorräte an.
({23})
Sie verhalten sich wie ein Hamster, wenn der Winter bevorsteht.
({24})
Sie sollen keine Vorräte anlegen, sondern den Beitragszahlern das Geld zurückgeben. Das wäre die richtige
Vorgehensweise.
({25})
Herr Brandner, besonders dreist ist: Noch bevor der
Eingliederungsbeitrag gesetzestechnisch beschlossen
war, wurde er schon in Teilen verschoben. Er soll nämlich zur Deckung der Verlängerung der Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I dienen.
({26})
Dazu kann ich nur sagen: Während bei der Bahn gestreikt wird, herrscht auf den Verschiebebahnhöfen der
Großen Koalition rege Betriebsamkeit. Das ist ein Muster, das wir in der Vergangenheit leider schon öfter beobachten mussten.
({27})
Ich glaube, dass die Verlängerung der Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes I eine falsche Entscheidung ist.
Sie führt in der Tat zur Verringerung der Suchaktivitäten
älterer Arbeitnehmer. Ich glaube nicht, dass man damit,
wie der Kollege Rauen gesagt hat, den Versicherten mit
langen Vorversicherungszeiten wirklich hilft. Es sind
doch gerade diese Menschen mit langen Erwerbsbiografien, die hohe Rentenansprüche haben, die bisher aus
den Betrieben herausgedrängt worden sind.
({28})
Genau das wird in Zukunft wieder passieren. Ich halte
das für falsch. Wir wollen, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer möglichst lange am Erwerbsleben
teilhaben; das ist der Kerngedanke unserer Politik. Sie
verfallen zurück in Zeiten der Frühverrentung. Das findet unsere Zustimmung nicht.
Vielen Dank.
({29})
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Max
Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute im Zusammenhang mit dem Ent13330
wurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze über die
Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages bzw.
die Bildung einer Rücklage für die Pensionsverpflichtungen und darüber hinaus sicherlich auch über die Verlängerung der Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld I,
welche mit einem noch zu erarbeitenden Gesetzentwurf
umgesetzt werden wird.
Vor zwei Jahren hätten wir uns nicht vorstellen können, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag, der
damals bei 6,5 Prozent lag, zum 1. Januar 2008 auf
3,3 Prozent abgesenkt werden kann. Dies ist letztendlich
der Erfolg dieser Bundesregierung, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz auf
unter 40 Prozent zu senken. Dieses Ziel wird mit dem
heutigen Tag erreicht.
({0})
Dass dieses Ziel erreicht werden konnte, ist den Bemühungen der Bundesregierung nach dem Motto „Sanieren,
Investieren und Reformieren“ zu verdanken. Dafür sind
die Bundeskanzlerin und im Besonderen auch der Bundesarbeitsminister, Franz Müntefering, mit verantwortlich. Ich danke ausdrücklich Bundesminister Franz
Müntefering für die Arbeit, die er zur Belebung des Arbeitsmarktes geleistet hat.
({1})
Damit sind vielen Menschen neue Chancen eröffnet
worden. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass
1,5 Millionen Erwerbstätige mehr zu verzeichnen sind
als vor zwei Jahren. Das ist ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit dieser Bundesregierung.
({2})
Dieser Weg wird mit der Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages fortgesetzt, weil auch das ein
Faktor ist, mehr Beschäftigung in Deutschland zu bekommen. Wenn in der Vergangenheit manchmal bezweifelt worden ist, dass die Senkung von Lohnnebenkosten hierzu einen Beitrag leisten kann, so muss man
feststellen: Die Ergebnisse der vergangenen beiden Jahre
zeigen, dass, wenn Sozialversicherungsbeiträge abgesenkt werden, mehr Beschäftigung erreicht und vor allen
Dingen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe verbessert wird.
Herr Kollege Dr. Gysi, wenn Sie dies als Zuckerl für
die Arbeitgeber darstellen, möchte ich sagen: Entscheidend ist letztendlich, dass wir Arbeitsplätze haben. Deshalb ist es eine große Chance für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland. Sie wollen ihnen
diese Chancen verwehren, wenn Sie heute diesem Antrag nicht zustimmen und sich im Gegenteil für höhere
Beitragszahlungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aussprechen. Das ist letztendlich die Abkassierpolitik sozialistischen Gedankenguts, die Sie umsetzen
wollen.
({3})
Ich glaube, dass wir hiermit einen wichtigen Schritt für
die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft machen.
Vor allen Dingen werden damit auch zukünftige Ziele
erreicht: Mit der Versorgungsrücklage, die gebildet
wird, leisten wir einen wichtigen Beitrag, dass auch Versorgungsansprüche zukünftig gesichert sind. Darüber hinaus ist all dies solide finanziert. Dies wird ja ab und zu
in Zweifel gezogen. Kollege Klaus Brandner hat vorhin
bereits auf die Überschriften in den Tagesmeldungen
verwiesen. Ich möchte nur an den Beginn des
Jahres 2007 erinnern. Wir und die BA haben damals mit
einem Defizit von 4 Milliarden Euro für dieses Jahr gerechnet. Am Ende dieses Jahres können wir feststellen,
dass bei der BA ein Überschuss von 7 Milliarden Euro
erwirtschaftet wurde. Das ist eine weite Spannbreite von
über 11 Milliarden Euro. Das zeigt, dass die Maßnahmen
der Vergangenheit gegriffen haben.
In dem Jahreswirtschaftsgutachten wird wiederum
von einem Wirtschaftswachstum ausgegangen, wenn
es auch nicht mehr so kräftig wie im letzten oder diesem
Jahr sein wird.
({4})
Ich bin überzeugt, dass damit auch zukünftig positive
Arbeitsmarkteffekte verbunden sind, die Arbeitslosigkeit
in unserem Land dementsprechend weiter sinken und die
Erwerbstätigkeit steigen wird, sodass wir für das Ende
des Jahres 2008 gegenüber den jetzigen Planungen wieder ein ausgeglichenes Ergebnis bei der BA erwarten
können. Ich bin hier sehr optimistisch. Wir sind die Optimisten in unserem Land. Es sind viele Pessimisten unterwegs, aber wir werden sie mit unseren Ergebnissen zum
Schluss wieder überzeugen.
({5})
Es ist hier natürlich auch darzustellen, dass zukünftige Entscheidungen anstehen. Ich möchte hier durchaus
auch auf das eingehen, was Klaus Brandner in Bezug auf
einen Mindestlohn für Briefdienstleister und zum Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Rente gesagt hat,
obwohl das heute nicht das Thema ist.
Ich wünsche mir einfach, dass hier das Angebot der
Union angenommen wird. Wir stehen nicht für niedrige
Löhne, sondern wir stehen für hohe Löhne. Diese können auch erreicht werden. Wenn hier für einzelne Bereiche Grundlagen dafür geschaffen werden müssen, dass
die Löhne nicht massiv absinken, so reichen wir dafür
die Hand. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist und
dass sich vor allen Dingen auch die SPD zu bewegen
hat.
Ich glaube, hier ist festzustellen: Für diejenigen, die
überwiegend Briefdienstleistungen erbringen, muss eine
Untergrenze geschaffen werden. Dazu reichen wir die
Hand. Dies müssen aber natürlich die Tarifparteien erarbeiten und in einem vernünftigen Tarifvertrag vereinbaren. Wir werden dieses Ziel angehen und unterstützen.
({6})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wird auch
vielfältig über den zukünftigen Übergang vom Bezug
des Arbeitslosengeldes I in den Bezug des Arbeitslosengeldes II und die damit verbundene Inanspruchnahme eigener Leistungsfähigkeit und Mittel - sei es in Form von
Sparguthaben, sei es in Form eines vorgezogenen Renteneintritts - gestritten. Dies ist sicherlich ein wichtiges
Thema. Ich glaube aber, dass es hier völlig überzeichnet
und überhöht dargestellt wird, weil sehr viele Menschen
die Chance wahrnehmen, lieber eine höhere Rente als
niedrigstes Arbeitslosengeld II zu beziehen.
Es ist schon bemerkenswert, dass gerade die linke
Fraktion hier einen längeren ALG-II-Bezug fordert, obwohl sie doch immer sagt, dass die Hartz-Gesetze und
das ALG II abgeschafft gehören.
({7})
Herr Kollege, der Herr Kollege Schneider von der linken Fraktion würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte, Herr Schneider.
({0})
Herr Kollege Straubinger, weil Sie das am Schluss angesprochen haben, möchte ich Sie erstens darauf hinweisen - ich denke, Sie wissen das und können mir das auch
bestätigen -, dass man bei seinen Überlegungen hinsichtlich der vorgezogenen Rente immer betrachten
muss, was man in der Zeit, während der man die vorgezogene Rente bezieht, gegenüber dem ALG II möglicherweise mehr hat und was man später, während des
Rentenbezugs, insgesamt weniger hat. Können Sie mir
bestätigen, dass das Minus für einen Rentner, der zehn
Jahre lang Rente bezieht, selbst bei einer Rente von
1 000 Euro bei circa 2 000 Euro liegt?
Zweiter Punkt. Nachdem Sie das jetzt angesprochen
haben: Haben Sie die Absicht, die Zwangsverrentung
so einzuführen, wie das geschehen wird, wenn die 58erRegelung einfach ausläuft, oder dürfen wir damit rechnen, dass es hier noch zu Abmilderungen für die Betroffenen kommt? Wenn ja: Wann dürfen wir damit rechnen?
Herr Kollege Schneider, Sie stellen das völlig falsch
dar, auch in der Öffentlichkeit. Keinem Rentner wird etwas entzogen. Bei dem, was Sie angesprochen haben,
handelt es sich um den normalen Abschlag, der sich aus
der längeren Rentenbezugsdauer ergibt. Aber den Rentnern wird nichts weggenommen.
({0})
Das ist das Entscheidende.
({1})
Ich sage ganz offen: Es kann nicht sein, dass Sie von
der Linksfraktion auf Möglichkeiten aufmerksam machen, die es zu nutzen gilt, und gleichzeitig keine Hemmungen haben, abzuräumen, wenn es um Sparbücher
geht.
({2})
- Genau so ist es. Das ist meines Erachtens nicht richtig.
Auch in einem Sozialstaat müssen die Menschen im
Rahmen ihrer Möglichkeiten herangezogen werden, bevor sie ALG II auf Kosten der Steuerzahler beziehen.
Das ist meines Erachtens das Entscheidende. Darüber
werden wir sicherlich noch eine intensive Diskussion
führen. Aber ich bin sehr dafür, dass wir uns dabei an der
Sache orientieren. Lieber Kollege Klaus Brandner, ich
bin überzeugt, dass die in der Öffentlichkeit dargestellten Probleme die Menschen nicht sehr berühren. Die
meisten, wenn nicht alle, werden sich für die Rente entscheiden und zusätzlich eine Hinzuverdienstmöglichkeit
in Anspruch nehmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es stimmt, ich bin der letzte Redner.
({0})
Der Hauptpunkt der heutigen Debatte ist - das werden
wir gleich beschließen - eine erneute Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um weitere 0,9 Prozentpunkte zum 1. Januar 2008. Das ist ein riesengroßer
Erfolg der Großen Koalition.
({1})
Ein Wort an Sie, meine Damen und Herren von der
PDS. Entschuldigung, ich muss ja jetzt Die Linke sagen.
Das ist eine Kombinatslösung aus Alt-SED, WASG und
PDS.
({2})
- Das muss man jedes Mal sagen. Sie wechseln dauernd
den Mantel, sodass man nicht mehr erkennt, wer alles
sich darunter noch verbirgt.
Ich will heute nicht zu viel Zeit auf Sie verwenden.
Um es deutlich zu sagen: Sie sind nicht die zukunftstreibende Kraft, sondern rückwärts gewandt. So wichtig
sind Sie nun auch nicht.
({3})
Ich will vielmehr über das reden, was wir erreicht haben,
was wir beschließen und was wir vorhaben. Unsere Politik ist eine klare und real existierende Alternative zu Ihrer „Wünsch dir was“-Politik. Diese Koalition hat Wirtschaftswachstum ermöglicht. Wir werden die jährliche
Nettoneuverschuldung beenden. Das ist mit dieser Koalition erreichbar. Wir haben zudem schon einiges auf
dem Arbeitsmarkt bewegt.
({4})
Es gab einmal 5 Millionen Arbeitslose. Nun sind es
3,5 Millionen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten beträgt wieder 27 Millionen. Das sind die
Stellen, an denen man sieht, dass sich wirklich etwas auf
dem Arbeitsmarkt bewegt. Die Zahl der Beitragszahler,
die in die Sozialversicherung einzahlen, ist ebenfalls gestiegen. Es muss weniger Arbeitslosengeld ausgezahlt
werden, weil wieder mehr Menschen in Arbeit gekommen sind. Aufgrund dieser Politik sind wir in der Lage,
den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu senken. Kurz
gesagt - ich zitiere nun Herrn Steinbrück von gestern
Abend -: „Dieses Land ist nach zwei Jahren stärker als
vor zwei Jahren.“ Wo er recht hat, hat er recht.
({5})
- Meine Damen und Herren von der SPD, Sie hätten ruhig mitklatschen dürfen. Ich habe bewusst Herrn
Steinbrück zitiert, um die Möglichkeiten der Koalition
zu verbessern.
Wir verstärken die dargelegten positiven Tendenzen
mit dem, was wir heute beschließen. Wir haben ergänzend einen Antrag vorgelegt, der eine noch stärkere Senkung des Beitragssatzes in der Arbeitslosenversicherung
als ursprünglich geplant vorsieht. Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt - den sollten wir vielleicht
dann näher behandeln, wenn er ansteht -, in dem geht es
vor allen Dingen um die Verlängerung des Arbeitslosengeld-I-Bezuges. Ich finde, das, was Peter Rauen
heute zu Beginn gesagt hat, sollte noch einmal klar werden. Durch die drei Möglichkeiten des ArbeitslosengeldI-Bezuges und die entsprechenden Vorversicherungszeiten bin ich relativ sicher, dass wir diejenigen erreichen,
die wir auch erreichen wollen. Das sind nämlich diejenigen mit den längeren Beitragszeiten, das sind diejenigen,
die es sehr ungerecht fänden, wenn sie gegenüber anderen anders behandelt würden. Ich glaube, da gibt es eine
ganz große Trefferquote. Darüber sollten wir aber reden,
wenn wir so weit sind und den Gesetzentwurf vorliegen
haben. Die Regierung hat versprochen, ihn so schnell
wie möglich auf den Tisch zu legen.
Zu dem Gesetz, das wir heute beschließen werden: Es
geht um diese Rücklage von 18 Milliarden Euro, die da
ist. Ich finde, wir gehen damit sehr sinnvoll um. Wir geben sie nicht für staatliche Bewirtschaftung aus - ich
glaube, das wäre Ihnen auf der linken Seite das Liebste -, sondern wir wollen sie sinnvoll einsetzen. Wir nehmen 2,5 Milliarden Euro aus der Rücklage für den Vorsorgefonds, der gebildet wird. Diese Basis ist für die
Versorgung der zurzeit 8 000 Versorgungsempfänger
und der 22 000 Beamtinnen und Beamten, die demnächst bei der Bundesanstalt Empfänger werden, hilfreich. Wir haben den Eingliederungsbeitrag der BA für
Langzeitarbeitslose im Arbeitslosengeld II und wollen
5 Milliarden Euro als Eingliederungsbetrag für Hartz-IVEmpfänger dorthin geben.
({6})
Das kann man strittig sehen, und ich möchte das heute
nicht weiter vertiefen. Wir haben das mit der FDP ein
bisschen diskutiert. Ich glaube schon, dass man das vertreten kann. Das ist übrigens gesetzlich über den § 340
SGB III - ich sage das noch einmal - abgesichert, in
dem steht, dass diese Mittel, die als Versicherungsbeiträge gezahlt werden, auch zur Arbeitsförderung genutzt
werden können. Wir befinden uns da also auf relativ sicherem Terrain. Ich glaube, wenn man das anders wieder
hinbekommt, wenn die Situation insgesamt noch besser
wird, haben wir da auch mit Ihnen kein Problem mehr.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, da
Sie beim letzten Mal das Gefühl hatten, dass ich Sie vielleicht zu schonend behandelt habe - ich hatte den Eindruck, die SPD war an der Stelle ein bisschen traurig -,
möchte ich das heute wettmachen. Ich will noch einmal
deutlich sagen: Wir haben jetzt in der zweiten Stufe,
beide Stufen zusammengenommen, im Vergleich des
1. Januar dieses Jahres mit dem 1. Januar des kommenden Jahres eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages von 6,5 auf 3,3 Prozent. Das ist fast eine Halbierung dieses Beitrages. Wir rutschen damit in die
Zeiten der 80er-Jahre zurück, in denen es solche Beitragszahlungen gab. Das ist ein Erfolg, und das wird uns
auf dem Arbeitsmarkt weiterhelfen.
({7})
Das ist ein Gesamtbetrag von 25 Milliarden Euro. Da
sich Milliarden so schlecht vorstellen lassen, mache ich
es noch einmal deutlich: Diese Gesamtsenkung bedeutet
bei den Arbeitnehmern durchschnittlich 430 Euro netto
mehr in der Tasche. Das ist so ähnlich wie eine Lohnerhöhung, die im Jahr 430 Euro ausmacht. Das ist der
Effekt, und das hat auch Wirkung.
Nun zu Ihnen von der FDP. Da gibt es ja den Streit
über die Mehrwertsteuer. Ich sage einmal deutlich: Wir
hätten den ersten Schritt, die erste Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages, ohne die Mehrwertsteuererhöhung nicht hinbekommen. Wir hätten das nicht hinbekommen, nach der damaligen Planung schon gar
nicht. Wir hätten es jetzt auch nicht geschafft, dass wir
bei 3,3 Prozent landen; ursprünglich hatten wir
3,5 Prozent vor. Interessanterweise haben Sie ja auch
sehr schnell nachgelegt, das ist erst zwei oder drei Tage
her. Bisher hatten Sie auch nur den Mut, 3,5 Prozent zu
fordern.
({8})
Wissen Sie, bei dem Eiertanz, den Sie zu den Beitragsabsenkungen aufführen, hat man manchmal das Gefühl,
Sie wollen bei einem Minusbeitrag landen.
({9})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
Ja, gern.
Herr Kollege Meckelburg, es kann ja sein, dass Sie
die Anhörung zu diesem Thema deshalb am Dienstagabend durchgeführt haben, damit Sie sich bis Mittwochmorgen nicht mit den Ergebnissen konfrontiert sehen
müssen. Wir allerdings haben die Anhörung aufmerksam
verfolgt, auch das, was das Karl-Bräuer-Institut gesagt
hat. Nicht nur 3,0 Prozent - wie wir es sagen - sind ohne
Weiteres möglich, sondern sogar 2,9 oder auch 2,7 Prozent sind nach den Aussagen des Karl-Bräuer-Institutes
ohne Weiteres machbar - und nicht nur nach den Aussagen des Karl-Bräuer-Institutes.
({0})
Da war für uns doch klar, dass wir im Lichte der Anhörung sagen: Jetzt kann der Beitrag noch weiter gesenkt
werden. - Warum haben Sie sich denn nicht ähnliche
Gedanken gemacht? Ich verstehe das nicht. Warum machen wir dann überhaupt Anhörungen?
Ich bin bei der Anhörung dabei gewesen. Es hat auch
kritischere Stimmen gegeben - die hören auch Sie sonst
manchmal gerne -, die aus der Wirtschaft gekommen
sind, wonach man vorsichtig sein sollte. Ich finde, dass
wir sehr verantwortlich handeln, wenn wir bei
3,3 Prozent landen;
({0})
denn wir hatten uns bereits im Vorfeld darauf verständigt,
({1})
die Beiträge von 3,9 Prozent auf 3,3 Prozent zu senken.
Sie hatten nichts Besseres zu tun, als diesen Eiertanz
fortzusetzen. Warum haben Sie von der FDP nicht einfach die Kraft, mal zu sagen: „Mensch, das habt ihr gut
gemacht“?
({2})
Zuletzt will ich aus der Anhörung zitieren, weil strittig war, ob die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für den Arbeitsmarkt hilfreich sei. Ich sage das
vor allem an die Linke gerichtet, die das bei meiner letzten Rede durch Zwischenrufe wie „Woher wissen Sie
das?“ bestritten hat. Ich habe bewusst nachgefragt und
biete Ihnen jetzt eine ganze Sammlung von Zitaten von
Experten an. Sie können nicht nur die BDA, sondern Sie
können auch die Bundesagentur für Arbeit oder das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, das
Sie sonst gern zitieren, fragen. Ich lese drei Stellen vor.
Die erste Stelle lautet:
Die Absenkung des Beitragssatzes zur Arbeitsförderung wird sich positiv auf die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland auswirken.
Das ist ein wörtliches Zitat aus der Stellungnahme des
IAB. Warum? Auch das wird hier erklärt:
Sie vermindern ... Arbeitskosten, wodurch die
Nachfrage nach Arbeitskräften steigt. Andererseits
führen sie ... zu höheren Nettoeinkommen, wodurch
die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen
steigt.
Das sagt das IAB, das auch Sie sonst gerne zitieren. Zuletzt wird gesagt, dass eine Beitragssenkung um
0,7 Prozentpunkte zu etwa 100 000 neuen Arbeitsplätzen führen wird. Die Anhörung ist eine Lehrstunde für
Sie gewesen. Ich hoffe, Sie nehmen diese Aussagen statt
des Buches, das Sie immer mit sich herumtragen, mit in
die Fraktion und reden darüber. Dann wären wir ein
Stück weiter. Wir jedenfalls sind auf einem guten Weg
und werden weitermachen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter Nr. I seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/7151({0}), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6741 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen
der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Gesetzentwurf in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Unter Nr. II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7151({1}) empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Drucksache 16/7190. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Tagesordnungspunkt 33 b: Der Ausschuss empfiehlt
unter Nr. III seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7151({2}) die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6434 mit dem Titel
„Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit an Beitragszahler zurückgeben - Beitragssenkungspotenziale nutzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Unter Ziffer IV empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
16/6035 mit dem Titel „Überschüsse der Bundesagentur
für Arbeit zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit,
für mehr Qualifizierung und eine längere Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes verwenden“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes
- Drucksache 16/1444 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine,
Dr. Barbara Höll, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes
- Drucksache 16/3015 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3})
- Drucksache 16/5524 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
Über den Gesetzentwurf auf Drucksache 16/3015
werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
({4})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die nächste halbe Stunde bereitet uns - das
möchte ich nicht verhehlen - durchaus Vergnügen. Wir
sind auch nicht nur in lauterer Absicht hier; denn wir
wollen Sie heute vorführen.
({0})
Es geht nämlich darum, dass nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt viele Menschen sich darüber
beklagen, wie die Einkommen auseinanderklaffen, dass
insbesondere im Management in aller Welt, auch in
Deutschland, mittlerweile Gehälter gezahlt werden, die
von der großen Mehrheit der Bevölkerung schlicht als
unanständig empfunden werden.
({1})
Warum wir Sie heute vorführen wollen und zur namentlichen Abstimmung einladen, hat folgenden Grund:
Immer dann, wenn es irgendwelche Skandale gibt, wenn
zum Beispiel Managergehälter nach allgemeiner Meinung viel zu hoch sind, wenn Abfindungen viel zu hoch
sind, treten die Empörungspolitiker aller Fraktionen an
und beklagen sich in der Boulevardpresse darüber, wie
unverschämt das sei. Das war etwa damals bei der Abfindung von Esser bei MAN so. Quer durch alle Fraktionen gab es da eine große Empörung. Auch wenn über die
Vorstandsgehälter der Deutschen Bank berichtet wird,
gibt es quer durch die Fraktionen Leute, die sagen, das
sei so nicht mehr hinnehmbar; teilweise wird das als
obszön bezeichnet. Ihre große Empörung wird in der
Boulevardzeitung zitiert.
Nun werden die normalen Bürgerinnen und Bürger
sagen, wenn die Fraktionen über eine solche ungerechtfertigte Selbstbereicherung so empört sind, dann wird sicherlich irgendetwas unternommen werden. Das ist der
Punkt, warum wir Sie heute zur namentlichen Abstimmung bitten: Sie wollen nichts unternehmen. Sie sind an
dieser Stelle total unglaubwürdig. Während sich auf der
einen Seite der Sektor der Löhne, von denen man nicht
leben kann, immer weiter ausbreitet, tun Sie nichts dagegen, dass sich auf der anderen Seite die Managergehälter
immer schamloser nach oben bewegen.
({2})
Wir machen Ihnen zwei Vorschläge. Der eine Vorschlag ist, die Managergehälter zu begrenzen. Ich zitiere
den amerikanischen Banker Morgan, der bereits im vorletzten Jahrhundert gesagt hat: Ich möchte nicht, dass in
meiner Bank ein Manager mehr verdient als das 20-Fache dessen, was derjenige erhält, der das niedrigste Einkommen in meiner Bank hat.
Nun lachen Sie darüber.
({3})
Aber ich möchte Ihnen den Zusammenhang darstellen,
der aus unserer Sicht besteht. Eine soziale Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn sie auf einem ethischen Fundament beruht.
({4})
Das heißt, es muss gewisse Grundüberzeugungen geben,
von denen alle ausgehen können, die sich an dieser sozialen Marktwirtschaft beteiligen.
({5})
Eine der Grundüberzeugungen ist, dass es einigermaßen
gerecht zugeht. Jedem in Deutschland kann man erklären, dass qualifizierte Manager beispielsweise das
20-Fache dessen erhalten, was derjenige erhält, der das
niedrigste Einkommen im Unternehmen hat. Das ist
noch vermittelbar. Wenn aber heute Vorstandsvorsitzende das 150-Fache eines Facharbeiters haben, dann ist
das nicht mehr vermittelbar. Das ist nicht mehr leistungsgerecht und hat auch mit Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun.
({6})
Es ist bedauerlich, dass Sie hier wieder zu feige sein
werden, irgendetwas zu beschließen.
({7})
Sie können ja einen besseren Vorschlag machen. Aber
Sie werden in der namentlichen Abstimmung heute
- und das bereitet Vergnügen - deutlich machen, dass
alle Ihre Reden draußen völlig unglaubwürdig sind.
Dasselbe gilt für die Aktienoptionen. Ein Mann wie
Heiner Geißler, bei dem ich bedaure, dass er nicht mehr
hier in diesem Hause sprechen kann,
({8})
hat immer wieder darauf hingewiesen, wie obszön es ist,
dass die Aktienkurse steigen, wenn Manager ankündigen, dass Tausende Arbeitsplätze abgebaut werden. Jawohl, dieser Zusammenhang ist nach Auffassung der
Linken obszön.
Noch obszöner ist es aber, wenn man dadurch auch
noch viel Geld verdient. Deshalb schlagen wir vor - das
wäre mein zweiter Vorschlag -, die Belohnung von Managern mit Aktienoptionen zu untersagen; denn sie werden dadurch geradezu angereizt, Massenentlassungen
anzukündigen, um das eigene Einkommen zu vermehren.
({9})
Es ist bedauerlich, dass dies bei Ihnen zu Gelächter
führt.
({10})
Das ist eine der Ursachen dafür, dass Sie im Volk immer
mehr Glaubwürdigkeit verlieren.
({11})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Günter Krings,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Herr Lafontaine, es ist bemerkenswert,
dass Sie im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich bescheidener geworden sind. Sie waren ja einmal - die älteren Kollegen in diesem Haus erinnern sich vielleicht
noch - Finanzminister einer Bundesregierung. Damals
wollten Sie noch die Weltmärkte regulieren. Heute begnügen Sie sich wenigstens damit, die Vorstandsgehälter
regulieren zu wollen.
({0})
Die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe spiegeln
nicht nur ein tiefes Misstrauen, sondern eine klare Ablehnung des Systems der sozialen Marktwirtschaft wider.
({1})
- Es ist interessant, dass Sie diese Aussage in Ihrem
Zwischenruf infrage stellen. Ich habe bei der ersten Lesung dieser Gesetzentwürfe vor ziemlich genau einem
Jahr gesagt, dass ich bei Ihnen ein Misstrauen gegenüber
der sozialen Marktwirtschaft erkenne. Im Protokoll kann
man nachlesen, dass es einen Aufruhr bei der Linksfraktion gab. Sie haben damals gesagt, dass Sie die soziale
Marktwirtschaft ablehnen. Offenbar sehen Sie und einige andere das inzwischen wieder anders. Das spricht
für die Geschichtsvergessenheit Ihrer Partei. Sie erinnern
sich nicht einmal mehr daran, was von Ihnen vor einem
Jahr gesagt worden ist.
Soziale Marktwirtschaft bedeutet in unserer Gesellschaft: Schutz der Schwachen.
({2})
Der Schutz der Schwachen steht im Mittelpunkt unserer
sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet aber nicht, das
Einkommen derjenigen, die mehr verdienen, zu deckeln.
Die Schwachen in unserer Gesellschaft, diejenigen, die
in den unteren Lohngruppen sind, würden keinen einzigen Euro mehr verdienen, wenn man bei den Vorständen
eine Deckelung vornähme. Kein einziger Arbeitnehmer
würde etwas davon haben. Sie geben Steine statt Brot.
({3})
Die Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel nach dem
Motto: Was man oben abschneidet, kommt unten an. Unsere Volkswirtschaft, unsere soziale Marktwirtschaft, ist
eine dynamische Veranstaltung. Die CDU/CSU-Fraktion
wird sich daher gegen einen solchen billigen Populismus
entschieden wehren.
({4})
Unterstellen wir doch einmal für einen Augenblick,
dass die Manager in der Breite so charakterlos sind, wie
Sie das in Ihrem Gesetzentwurf zugrunde legen. Wenn
man das Gehalt der Manager an die unteren Lohngruppen koppeln würde, hieße das doch, dass der Manager in
den unteren Lohngruppen nur Arbeitsplätze wegrationalisieren oder ins Ausland verlagern müsste, und schon
könnte er sich sein Gehalt erhöhen. Ihr Ansatz kann
doch gar nicht funktionieren.
({5})
Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass man einerseits die Einzelfälle sehen muss, in denen es - teilweise in den USA, teilweise auch in Deutschland - zu
Missständen gekommen ist. Diese werden zu Recht,
auch von unserer Fraktion, kritisiert. Andererseits muss
man sehen, was der Gesetzgeber sinnvollerweise durch
Verbotsgesetze regeln kann. Nicht jede falsche Unternehmensentscheidung kann Anlass für ein Verbotsgesetz
sein. Es gibt in Deutschland Grundrechte - Art. 2,
Art. 12, Unternehmerfreiheit -, die zu beachten sind.
Dass Sie mit diesen Grundrechten nicht viel am Hut haben, wissen wir. Das haben Sie hier eindrucksvoll bestätigt.
Kern Ihres Gesetzentwurfs ist der alte Gedanke vom
gerechten Lohn. Dieser Gedanke wurde bereits im Mittelalter diskutiert.
({6})
Ziemlich genau ausgangs des Mittelalters hat man festgestellt, dass man hierfür keine, zumindest keine gesetzlichen Vorgaben finden kann. Sie greifen offenbar auf
die Zeit davor zurück. Das lässt Rückschlüsse auf den
Stand Ihrer Politik und Ihre wirtschaftspolitische Denkweise zu.
Herr Lafontaine, Sie haben behauptet, wir würden
nicht handeln und hätten die Missbrauchsfälle nicht zum
Gegenstand der Gesetzgebung gemacht. Das ist schlichtweg falsch.
In der letzten Wahlperiode gab es in diesem Haus
keine Linksfraktion; die brauchten wir nicht; die brauchen wir auch heute noch nicht.
({7})
Da haben wir, CDU/CSU, SPD und Grüne gemeinsam,
ein Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz beschlossen,
({8})
weil wir ja wissen, dass Sonnenlicht das beste Reinigungsmittel für solche Missbrauchsfälle ist. Wenn man
Missbrauchsfälle dieser Art möglichst zurückdrängen
will, dann muss man verhindern, dass überhöhte Vorstandsvergütungen im Stillen gezahlt werden; man muss
es offenlegen. Das haben wir durch dieses Gesetz erreicht.
({9})
Die Bundesregierung hat außerdem eine KodexKommission, die sogenannte Cromme-Kommission,
eingesetzt. Von ihr gibt es klare und sinnvolle Empfehlungen zur Gehaltsstruktur in deutschen Unternehmen.
Über 90 Prozent der DAX-Unternehmen befolgen diese
Empfehlungen bereits.
Ich habe bisher hauptsächlich zur Deckelung der Gehälter gesprochen; vielleicht noch ein paar Worte zum
Thema Aktienoptionen. Das ist fast noch abstruser. Sie
wollen Aktienoptionen für Vorstände verbieten.
({10})
Übrigens hat die Cromme-Kommission, die KodexKommission, vorgeschlagen, dass sich gerade bei Vorständen die Vergütungen aus einem festen und einem variablen Bestandteil zusammensetzen sollten. Warum?
Weil variable Bestandteile wie vor allem Aktienoptionen
die Verantwortung und das Engagement eines Managers
noch einmal steigern. Das gilt übrigens für alle Ebenen
eines Unternehmens. Wir wollen mehr Beteiligung,
mehr Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand, und zwar auf
allen Stufen des Unternehmens, von den unteren und
mittleren Lohngruppen bis hin zu den Vorständen. Wer
das ablehnt, wer Leistungsanreize auch durch Aktienoptionen ablehnt, der ist gegen Leistung in Unternehmen
und der gefährdet damit letztlich Arbeitsplätze, weil
Leistungschancen nicht ausgeschöpft werden.
({11})
Der Staat kann einiges tun; das haben wir gesehen.
Wir haben auch schon einiges gemacht. Wir haben die
Vorstandsvergütungsoffenlegung beschlossen. Wir haben eine Kommission eingesetzt, die konkrete Empfehlungen formuliert hat, die in weiten Teilen der Wirtschaft
auch befolgt werden. Der Staat kann aber eines nicht
machen: Er kann sich nicht an die Stelle der Eigentümer
setzen; die Aktionäre müssen konkret festlegen, welche
Vergütung gezahlt wird.
Aktiengesellschaften in einer sozialen Marktwirtschaft sind vom Willen der Eigentümer abhängig. Es
sind keine volkseigenen Betriebe, auch wenn Sie das
gern hätten. Sie haben in Ihrem Entwurf unter der Überschrift „Alternativen“ - diese Zeile kennen wir alle - natürlich geschrieben: Keine. - Im tiefsten Herzen hätten
Sie natürlich gern die Alternative: Umwandlung der Aktiengesellschaften in volkseigene Betriebe.
({12})
Dann sollten Sie so mutig sein, das auch offen zu sagen,
meine sehr verehrten Damen und Herren.
({13})
In den Aktiengesellschaften in Deutschland kann und
soll jeder Aktionär in der Hauptversammlung mitreden.
Jeder, der sich eine Aktie kauft, auch ein Mitglied Ihrer
Partei, kann mitreden, kann Einfluss ausüben. In den
Verwaltungsräten sind die Aktionäre vertreten, übrigens
auch die Arbeitnehmer; Arbeitnehmermitbestimmung.
Die Arbeitnehmervertreter in Aktiengesellschaften in
Deutschland haben mittelbar oder unmittelbar Einfluss
darauf, wie die Vergütung ausfällt. Wenn Sie das offenbar nicht für ausreichend halten, ist das auch Ausdruck
eines Misstrauens gegen die Arbeitnehmermitbestimmung in Deutschland. Offenbar haben Sie auch damit
ein Problem.
({14})
Die Verantwortung der Unternehmensführer in
Deutschland ist groß. Sie sind nicht nur für die Bilanzzahlen und für die Aktienkurse verantwortlich; sie haben
auch Verantwortung für ihre Mitarbeiter. Sie tragen letztlich auch für deren Familien Verantwortung, die vom
Einkommen der Mitarbeiter abhängen. Nötig sind daher
engagierte und qualifizierte Mitarbeiter und Vorstände.
Herr Kollege Krings, Ihr Kollege Grund würde gern
eine Zwischenfrage stellen.
Aber sehr gern.
({0})
Vielen Dank. - Herr Kollege Krings, ist Ihnen ein
Beispiel dafür bekannt, dass der rot-rote Berliner Senat
auch nur in einem Fall bei Unternehmen, an denen er beteiligt ist und bei denen er eine Mehrheit hat, die Gehälter der Geschäftsführer gedeckelt hat?
({0})
Ist Ihnen bekannt, ob der rot-rote Senat in Berlin in den
letzten Jahren die Einkommen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Berlin massiv gekürzt hat?
Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Die Frage spricht
für sich. Sie war nicht bestellt, aber trotzdem sehr aufschlussreich.
Erstens ist mir sehr wohl bekannt, dass die Linkspartei oder PDS - irgendwie heißt sie jeden Monat anders im Berliner Senat vertreten ist. Zweitens ist mir bekannt,
dass die Linkspartei offenbar keine Anstalten gemacht
hat, höhere Einkommen für Arbeitnehmer in den unteren
Lohngruppen oder eine Deckelung der Vorstandsgehälter durchzusetzen. Insofern: Herzlichen Dank für diese
Frage. Sie bestätigt wirklich, wie bigott diese Forderungen sind, die Sie hier gestellt haben.
({0})
Lassen Sie mich zum Kerngedanken kommen: Wir
brauchen engagierte und qualifizierte Unternehmensführer für die Arbeitsplätze und für den Wirtschaftsstandort
Deutschland. Es ist richtig, dass nicht alle diesen Anforderungen gerecht werden. Nicht alle werden diesen Anforderungen gerecht, aus Unvermögen, die wenigsten
wahrscheinlich aus Unwillen. Aber es ist ja geradezu
grotesk, anzunehmen, dass dann, wenn wir Aktienoptionen verbieten und Vorstandsgehälter deckeln, auf einmal
die Qualität dieser Vorstände besser würde, dass sie bessere Arbeit leisten und mehr Arbeitsplätze in Deutschland schaffen und erhalten würden.
Alles in allem, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind dies Vorschläge aus der sozialistischen Mottenkiste. Es sind Vorschläge, die schon einmal in einer deutschen Wirtschaftsordnung nicht funktioniert haben. Wir
alle in diesem Hause tun gut daran, wenn wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland, wenn
wir den Menschen in Deutschland weitere Experimente
à la PDS/Linkspartei ersparen. Entsprechend werden wir
diesen Gesetzentwürfen selbstverständlich nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Mechthild
Dyckmans, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei Ihren Anträgen und Gesetzentwürfen der letzten Zeit, werte Kolleginnen und Kollegen der Linken,
muss man sich wirklich fragen, was Sie eigentlich wollen; denn dass es Ihnen nicht um inhaltliche Regelungen
geht, ist mittlerweile den meisten bekannt.
Es sind nichts als Schaufenstervorlagen, die Sie hier
vorbringen; das haben Sie, Herr Kollege Lafontaine,
auch ganz deutlich und ganz offen so ausgesprochen.
Denn warum beantragen Sie nicht, wenn Sie eine Mehrheit zum Beispiel für Ihren Vorschlag zum Verbot der
Aktienoptionen haben wollen, eine Anhörung im
Rechtsausschuss? Warum laden Sie nicht zu einem Berichterstattergespräch ein oder machen wenigstens Ihre
Position in der Sitzung des Rechtsausschusses deutlich?
Nichts von alledem haben Sie getan, nichts.
({0})
Es geht Ihnen nur um eine populistische Debatte hier im
Plenum.
({1})
- Wenn Sie jemanden testen oder vorführen wollen,
dann machen Sie das bitte woanders. Das Plenum ist
nicht der geeignete Ort dafür.
({2})
Statt zum Beispiel die Aktienoptionspläne als Gehaltsbestandteile der Vorstände zu bekämpfen, könnten
Sie ja auch einmal darüber nachdenken, was Sie für die
finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer am Gewinn
der Unternehmen tun könnten. Es wäre einmal eine besondere Sache, wenn wir positive Vorlagen, bei denen
für die Arbeitnehmer auch etwas herauskommt, von Ihnen bekämen.
({3})
Außerdem vielleicht eine kleine Nachhilfestunde: Die
auf Aktienoptionen basierenden Vergütungen für Vorstände sind nicht nur in den USA, sondern auch in Europa längst wieder rückläufig. So ist in Deutschland der
Anteil der Optionsprogramme an den Managervergütungen bei den DAX-30-Unternehmen um fast 40 Prozent
gesunken. Der Markt regelt sich durchaus selber; man
muss ihn eben nur lassen.
({4})
Unternehmen machen schon heute ihre Entscheidungen transparenter und verständlicher. Das sehen wir an
der Existenz und der ständigen Weiterentwicklung des
Corporate Governance Kodexes. In diesem Kodex finden sich klare Regelungen zu Vorstandsvergütungen und
Aktienoptionen. Er ergänzt damit die Vorgaben des § 87
Aktiengesetz. Wie Kollege Krings bereits sagte, halten
sich die Unternehmen zu über 95 Prozent an diese Sollbestimmungen des Kodexes. Wir sehen also: Transparenz und gesellschaftliche Normen haben einen gewichtigen Einfluss auf die Höhe der Entlohnung.
({5})
Damit bin ich bei der Höhe der Vorstandsvergütungen. Wir können ja durchaus darüber klagen, dass die
Vorstandsvergütungen zu hoch sind. Aber wenn Sie die
Strukturen der Vorstandsvergütung ändern, wenn Sie
diesbezüglich etwas regeln wollen, dann bedenken Sie
doch bitte, dass es in Deutschland circa
16 000 Aktiengesellschaften und eben nicht nur die des
DAX 30 gibt. Sie stellen aber immer nur auf die Managergehälter dieser 30 Unternehmen ab. Extremfälle dienen Ihnen als Argument. Die Gesetzgebung richtet sich
aber an die Allgemeinheit und hat sich nicht an solchen
Sondergruppen zu orientieren.
({6})
Ein großer Teil der Vorstandsvergütungen bei deutschen Aktiengesellschaften ist wesentlich geringer als
bei den DAX-30-Unternehmen. Was wäre denn die
Folge Ihrer Vorschläge? Dies wäre ein Abwandern guter
Vorstände aus Deutschland in andere Länder,
({7})
wo ihnen für dieselbe Tätigkeit und Verantwortung mehr
gezahlt wird.
Wir liegen schon heute mit unseren durchschnittlichen Vorstandsvergütungen in Deutschland unter dem
europäischen Maß und unter dem amerikanischen allemal. Es ist doch realitätsfern, zu glauben, dass wir mit
einer gesetzlichen Deckelung der Vorstandsgehälter gute
Manager in Deutschland halten könnten. Eine Obergrenze auf nationaler Ebene einzuführen, macht gerade
wegen der hohen Mobilität dieser Berufsgruppe keinen
Sinn. Der Markt für die besten Manager ist - ähnlich wie
für die weltbesten Fußballspieler - global und nicht auf
ein einziges Land beschränkt.
({8})
Ihnen geht es mit Ihren Vorschlägen doch im Grunde
nur um staatliche Reglementierung und Staatseinfluss.
Sie wollen eine Staatswirtschaft à la DDR. Dies hat aber
in der Vergangenheit noch in keinem Land zu besseren
Lebensbedingungen für Bürgerinnen und Bürger geführt.
({9})
Für die FDP sage ich ganz klar: Wir wollen diese
staatliche Einschränkung der unternehmerischen Freiheit
nicht. Wenn gesetzliche Regelungen in diesem Bereich
erforderlich sein sollten, dann ist für uns der einzige
Weg die Stärkung der Aktionärsrechte.
({10})
Denn die Aktionäre und nicht der Gesetzgeber oder die
Öffentlichkeit sind die Eigentümer der Gesellschaften.
Nur sie haben über die Geschicke der Unternehmen und
gegebenenfalls über die Managergehälter zu entscheiden. Wenn Sie einen Kleinaktionär fragen, dann wird er
Ihnen genau das sagen: Es ist nicht Aufgabe des Staates,
diese Fragen gesetzlich zu regeln, sondern es ist seine eigene Aufgabe als Eigentümer der Gesellschaft.
Danke schön.
({11})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus Uwe
Benneter, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Zugegeben, auch mir wird schwindlig, wenn ich
mir die Gehälter des einen oder anderen Topmanagers
anschaue. 15 Millionen Euro kassierte der Vorstandsvorsitzende von RWE, Harry Roels, im vergangenen Jahr,
dicht gefolgt von Josef Ackermann, der es immerhin auf
13,2 Millionen Euro brachte. Das ist maßlos, das ist unverfroren, und das ist dreist.
({0})
Das ist empörend, Herr Lafontaine. Maßlos, unverfroren
und dreist ist auch, dass solche Gehälter in keinem Verhältnis mehr zur Lage der jeweiligen Aktiengesellschaft
und zur tatsächlichen Leistung dieser Vorstände stehen.
({1})
Es trifft ebenfalls zu, die Entwicklung der Managergehälter der letzten Jahre als geradezu obszön zu bezeichnen.
({2})
Natürlich empört es mich, wenn ein Friseur in Sachsen nach Tarif 3,82 Euro pro Stunde verdient und diese
Manager im gleichen Zeitraum 1 700 Euro einstreichen.
Aber was machen nun unsere PDS-Empörer vom
Dienst daraus?
({3})
Sie schlagen vor, die Vorstandsbezüge durch Gesetz zu
deckeln und durch ein weiteres Gesetz Aktienoptionen
für Vorstände zu verbieten. Mit zwei Gesetzentwürfen
auf sechs Seiten erklären Sie uns, wie wir soziale Gerechtigkeit per Gesetz herstellen können.
({4})
Schön, dass das Leben zumindest für unsere PDS-Empörer vom Dienst so einfach ist. Nur schade, dass die Vorstellungen dieser Kollegen mit der Realität wenig zu tun
haben. Die Wirklichkeit ist halt komplizierter als ein Sozialismus nach zentralen Planvorgaben.
({5})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der PDS, Sie
fordern, per Gesetz dafür zu sorgen, dass unverschämt
überbezahlte Manager nicht mehr als das 20-Fache des
am schlechtesten bezahlten Angestellten verdienen dürfen. Alles verfassungswidrig; das wissen Sie auch. Aber
weil Sie wissen, dass das nur Propaganda ist,
({6})
fordern Sie auch noch, dass wir diesen Unsinn in namentlicher Abstimmung zurückweisen. Kein Sorge, wir
werden Ihnen diesen Gefallen tun.
Schauen Sie sich unsere vorhandenen Gesetze doch
erst einmal an, bevor Sie mit Ihren abstrusen Ideen um
die Ecke kommen und damit wieder einmal die Lufthoheit über den Stammtischen erobern wollen.
({7})
Wir sind geduldig und erklären Ihnen immer wieder:
Wir leben jetzt in einer sozialen Marktwirtschaft; über
die Vergütung des Vorstands einer Aktiengesellschaft
bestimmt sein Aufsichtsrat. § 87 des Aktiengesetzes legt
schon heute fest, dass die Gesamtbezüge eines Vorstandsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu
seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft zu stehen haben.
({8})
Die erforderliche Angemessenheit bezieht sich dabei gerade nicht auf die Höhe der Gesamtbezüge, sondern auf
deren Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Aktiengesellschaft.
Es müsste doch auch einem PDS-Empörer vom
Dienst einleuchten, dass die internationale Konkurrenz
auf dem Markt der Vorstandsmitglieder es nicht ermöglicht, in Deutschland durch ein nationales Gesetz absolute Höchstgrenzen für die Bezüge von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften einzuführen.
({9})
- Das müsste auch Ihnen, Herr Lafontaine, einleuchten.
({10})
Die Aufgaben der einzelnen Vorstandsmitglieder und die
Lage der jeweiligen Aktiengesellschaft sind viel zu verschieden, als dass man per Gesetz eine Höchstgrenze für
Vorstandsbezüge festlegen könnte. Wir haben es hier
eben nicht mehr mit Kombinaten zu tun.
Wir müssen hier einmal mehr die Auswirkungen der
Globalisierung zur Kenntnis nehmen und uns darauf einrichten, nicht indem wir Fensteranträge für die Stammtische schreiben, sondern indem wir seriös und ernsthaft
einen Rahmen für die Bezügekriterien vorgeben. Meine
Kollegen Vorrednerinnen und Vorredner haben schon
darauf hingewiesen, dass wir da in den letzten Jahren
nicht untätig waren. Der Vorwurf, dass die Höhe von
Vorstandsbezügen unanständig, ja geradezu obszön und
unverantwortlich ist,
({11})
ist berechtigt. Er betrifft zuerst die Aufsichtsräte
({12})
und damit leider auch viele dort vertretene Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in diesen Aufsichtsräten.
({13})
Heute gilt: Der Aufsichtsrat muss die Angemessenheit sorgfältig prüfen. Wenn er dieser Pflicht nicht nachkommt, macht er sich schadensersatzpflichtig, genau wie
Vorstandsmitglieder, die sich begünstigen lassen. All das
ist schon heute im Gesetz geregelt. Hier sind verantwortliches Verhalten, vor allen Dingen Selbstkontrolle der
Aufsichtsräte, der Verbandsfunktionäre und der Vorstände gefragt.
({14})
Herr Lafontaine, das hat übrigens schon der Bankier
und Vordenker des PDS-Gesetzenwurfs, John Morgan,
gewusst, als er bei einer Anhörung im amerikanischen
Kongress erklärte, dass in erster Linie der Charakter
zähle. Das zu bedenken, würde ich auch dem einen oder
anderen hier empfehlen.
({15})
Zur Stärkung ebendieser Selbstkontrolle haben wir
2002 den Corporate Governance Kodex auf den Weg gebracht. Außerdem haben wir per Gesetz - die Kollegen
haben das erwähnt - die Offenlegung der Vorstandsvergütungen beschlossen. Durch Offenlegung wird transparent, ob die im Aktiengesetz verankerten Vorgaben
- insbesondere seitens der Aufsichtsräte - eingehalten
werden. Beides, der Corporate Governance Kodex und
das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz, sind
wichtige Instrumente, um die Gier dreister Vorstände
ausbremsen zu können.
Nun komme ich auf Ihren Gesetzentwurf zu sprechen,
in dem der Umgang mit Aktienoptionen behandelt wird.
Wenn ich lese, dass sich der Wert von Aktienoptionen
des ehemaligen Daimler-Chrysler-Chefs Schrempp auf
mehr als 50 Millionen Euro belaufen soll, dann kann
auch ich einen dicken Hals bekommen, und zwar nicht
aus Neid, sondern aus Wut über die Dreistigkeit, mit der
ein erwiesen unfähiger Manager, der Tausende Arbeitsplätze vernichtet hat, sich selbst bedient.
({16})
Aber abschaffen per Gesetz, meine Kollegen von der
PDS, funktioniert auch hier nicht so einfach, wie sich
das Klein Fritzchen oder Klein Oskarchen so vorstellt.
Aktienoptionen haben sich mittlerweile leider zu einem
festen Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitgliedern entwickelt. Sie sind international weit verbreitet.
Sicher, Aktienoptionen sind ein ökonomischer Anreiz,
den Unternehmenswert zu erhöhen. Das birgt Missbrauchsgefahren wie die meisten anderen Vergütungsformen auch.
Ich habe es Ihnen aber schon einmal erklärt: Es gibt in
Deutschland längst eine ganze Reihe von Regelungen,
die diesem Missbrauch vorbeugen. Es ist nämlich falsch,
zu behaupten, dass Aktienoptionen, so wie unser Aktiengesetz sie zulässt, systematisch die kurzfristige Unternehmensausrichtung auf Gewinnmaximierung und Renditesteigerung allein fördern würden.
Aktienoptionsprogramme können bei uns nur unter
der Mitwirkung der Hauptversammlung und damit in
voller Transparenz beschlossen werden. Es kann also offen von allen Aktionären erörtert werden, ob das Programm den langfristigen Aktionärsinteressen entspricht.
Außerdem dürfen Aufsichtsräte nicht Begünstigte solcher Programme sein. Es gibt gesetzlich vorgeschrieben
die Möglichkeit einer zweijährigen Wartezeit, damit mit
solchen Optionen nicht kurzfristig agiert werden kann.
All das steht schon heute im Gesetz. Mit dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz haben wir für mehr
Transparenz bei den Aktienoptionen gesorgt.
Wenn man Aktienoptionsprogramme abschafft, dann
lassen sich die Vorstände etwas anderes einfallen und
weichen auf Phantom-Stock-Programme oder Ähnliches aus. Sie, meine lieben PDS-Empörer vom Dienst,
müssen sich mit uns und den Gewerkschaften schon etwas Intelligenteres einfallen lassen, wenn Sie diesen tatsächlich üblen Missständen beikommen wollen.
({17})
Gestalten, meine Kolleginnen und Kollegen PDS-Empörer, ist schwieriger, als Menschen aufzuwiegeln und Empörung zu organisieren. Das unterscheidet Sozialdemokraten von der PDS, mit oder ohne Lafontaine.
({18})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Gerhard Schick, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Da läuft die Große Koalition schön in die Falle. Sie sagen im Endeffekt - ich fasse das einmal zusammen -:
Die soziale Marktwirtschaft, so wie wir sie haben, ist in
Ordnung. Dann gibt es das große Klagen über ein paar
Manager, die aus dem Rahmen fallen. Aber die Feststellung, Herr Benneter, die Sie selber getroffen haben, dass
das Verhältnis zwischen der Situation der Gesellschaft
und den Aufgaben der Vorstände einerseits und den Entlohnungen andererseits nicht mehr stimmt, sagt doch
nichts anderes, als dass die Regelung im Aktiengesetz
nicht ausreichend ist. Deswegen ist die Kritik, die die
Linkspartei vorträgt, richtig. Man kann nicht nur klagen,
sondern es muss, wenn der Rahmen nicht mehr stimmt,
gesetzlich etwas geändert werden. Wir sind dafür, das zu
tun.
({0})
Nun zu Ihren Ausführungen zur sozialen Marktwirtschaft, Herr Krings. Ich habe mir einmal überlegt, was
die meisten Mitglieder Ihrer Partei wohl darüber denken.
Sie waren einmal die Partei der sozialen Marktwirtschaft. Schauen Sie sich einmal an, was soziale Marktwirtschaft bedeutet. Das heißt doch nicht nur: Wir machen einen Grundsockel für die Schwächsten, ansonsten
kann passieren was will.
({1})
Schauen Sie sich genau an, was die Vordenker Ihrer Partei früher geschrieben haben.
({2})
Bei Walter Eucken steht eindeutig: Man muss etwas gegen die Auseinanderentwicklung bei den Einkommen
tun.
({3})
Dort steht etwas über Leistung und Gegenleistung. Ich
frage Sie: Wo ist die Gegenleistung, wenn ein 44-jähriger Manager nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen jedes Jahr noch 400 000 Euro bekommt? Das ist
keine soziale Marktwirtschaft. Sie müssen etwas tun,
({4})
wenn Sie weiterhin die Partei der sozialen Marktwirtschaft bleiben wollen.
({5})
Wir lehnen den konkreten Vorschlag ab, weil wir meinen, dass er zu kleinteilig ist und dass Sie mit dem Faktor 20 die Frage nach der Gerechtigkeit, nach der Lohnspreizung nicht richtig beantworten.
({6})
Wir müssen vielmehr an folgende Frage herangehen:
Warum klappt es eigentlich nicht, dass die Aufsichtsräte
wirksam Kontrolle ausüben? Deswegen wollen wir kleinere, effektivere Aufsichtsräte. Wir wollen mehr Transparenz schaffen. Das Offenlegungsgesetz war gut,
({7})
aber es ist nicht ausreichend. Wir müssen es weiterentwickeln und darauf reagieren, dass neue Schlupflöcher
gefunden worden sind. Wir brauchen natürlich auch
Leistung und Gegenleistung und eine klare Haftungsregel für Manager, damit dem etwas entgegensteht.
({8})
Wir müssen die Klagerechte für einzelne Aktionärinnen
und Aktionäre für den Fall verbessern, dass der Vorstand
und der Aufsichtsrat nicht im Interesse der Gesellschaft
handeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Großen Koalition, einfach nur zu sagen, alles sei gut, und dann wieder Empörung zu äußern, wird nicht ausreichen.
({9})
Wir fordern Sie auf: Tun Sie etwas gegen Exzesse, damit
unsere Marktwirtschaft eine soziale Marktwirtschaft
bleibt!
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Aktien-
gesetzes auf Drucksache 16/1444. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/5524, den Gesetzentwurf der
Fraktion Die Linke abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hauses im
Übrigen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
Die Linke zur Änderung des Aktiengesetzes auf Druck-
sache 16/3015. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/5524, den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke
abzulehnen. Die Fraktion Die Linke verlangt namentli-
che Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekanntgegeben.1)
Bevor wir die Beratungen fortsetzen, möchte ich die
Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre Plätze wieder ein-
zunehmen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
({0})
- Drucksache 16/5172 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
- Drucksache 16/7214 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Renate Schmidt ({2})
Cornelia Hirsch
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/7215 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Dr. Gesine Lötzsch
Anna Lührmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee
Bär, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer
1) Ergebnis Seite 13343 D
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Renate Schmidt
({5}), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Jörg
Tauss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
BAföG an neue Entwicklungen anpassen Auszubildende mit Kindern unterstützen,
Auslandsaufenthalte erleichtern, Migrantenförderung verbessern und Hinzuverdienstgrenzen erhöhen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Uwe Barth, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Studierende Mütter durch die Sofortmaßnahme Baby-BAföG unterstützen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Statt Nullrunde - BAföG angleichen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Sofortmaßnahmen beim BAföG - Für mehr
Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungsbeteiligung
- Drucksachen 16/4162, 16/3142, 16/4157, 16/4158,
16/7214 Berichterstattung:
Abgeordnete Dorothee Bär
Renate Schmidt ({7})
Cornelia Hirsch
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider
({8}) und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Ausbildungsförderungsbedarfs
- Drucksache 16/5808 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({9})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Annette Schavan.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr Geld für
BAföG-Empfänger, mehr Schüler und Studierende, die
BAföG bekommen werden, und Schritte zur Modernisierung und Internationalisierung - das ist die dreifache
Botschaft, die mit der heute zu beratenden und zu verabschiedenden BAföG-Novelle verbunden ist.
Wir werden damit die erste substanzielle Erhöhung
seit 2001 beschließen. Wir erhöhen die Bedarfssätze um
10 Prozent und die Freibeträge um 8 Prozent.
({0})
Das heißt, Schüler und Studierende bekommen eine
spürbar höhere Förderung. Bei Studierenden steigt der
derzeitige Höchstsatz von 585 Euro monatlich auf künftig 643 Euro. Der Bund wird - die Voraussetzungen dafür sind in dieser Woche im Haushaltsausschuss geschaffen worden - allein im ersten vollen Jahr nach
Inkrafttreten der Novelle, also im Jahre 2009, über
300 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen.
({1})
Wir rechnen mit 18,5 Prozent mehr Geförderten, also
rund 100 000 zusätzlichen Schülern und Studierenden,
die eine Förderung erhalten werden. Das heißt, dass der
Anteil der durch BAföG Geförderten erstmals bei fast
30 Prozent liegen wird.
({2})
Das ist möglich durch ein hohes Engagement beider
Regierungsfraktionen und beider Partner in der Regierung. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken, nicht
zuletzt auch für den Verlauf der Haushaltsberatungen in
dieser Woche. Denn es ist ja kein Geheimnis, dass wir
uns zu Beginn dieses Jahres, als wir uns im Kabinett mit
Impulsen für die Modernisierung und Internationalisierung im Bildungsbereich beschäftigt haben, noch nicht
sicher waren, ob es im Laufe des Jahres eine BAföG-Erhöhung geben kann. Ich habe damals genau das vertreten, was wir im Kabinett besprochen und beschlossen
hatten. Wir haben im Laufe des Jahres gesehen, dass die
Konjunktur sich gut entwickelt und mehr möglich ist, als
wir dachten. Deshalb sage ich noch einmal Dank an diejenigen, die dazu beigetragen haben, dass wir nun gemeinsam diese positive Botschaft an die Schüler und
Studierenden in Deutschland richten können.
Modernisierung und Internationalisierung waren Elemente, die wir bereits im Frühjahr im Kabinett verabschiedet haben. Ich glaube, dass sie sehr wichtig sind.
Dazu gehört die Familienförderung. Die Zahlung eines
Kinderbetreuungszuschlages für das erste Kind in Höhe
von 113 Euro und für jedes weitere Kind in Höhe von
85 Euro monatlich - es handelt sich um einen Vollzuschuss ohne Darlehensanteil ({3})
ist ein nächster wichtiger Impuls unserer Familienpolitik.
({4})
Ebenso bedeutsam ist im Kontext unserer integrationspolitischen Debatten und des Nationalen Integrationsplanes, dass künftig alle Studierenden mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben und
voraussichtlich auch bleiben werden, BaföG-berechtigt
werden. Dieser Schritt ist nach so vielen Jahren, in denen
es schon ausländische Studierende in Deutschland gibt,
überfällig. Nun ist nicht mehr wie in der Vergangenheit
die Mindesterwerbsdauer der Eltern ausschlaggebend,
sondern lediglich die Bleibeperspektive der Studierenden. Das ist ein wichtiger Impuls im Rahmen unserer Integrationspolitik.
({5})
Zur Internationalisierung. Früher wurde ein Studium
in der Regel in Deutschland begonnen, und dann wurden
Auslandssemester eingelegt. Wir wissen aber: Der Anteil derer, die daran interessiert sind, ihr Studium im
Ausland zu beginnen, nimmt zu. Deshalb halte ich es für
richtig, dass wir künftig keine Orientierungsphase mehr
verlangen bzw. dass die sogenannte obligatorische
Orientierungsphase wegfällt und ein Studium von Beginn an, auch wenn es außerhalb Deutschlands begonnen
wird, gefördert wird. Das ist ein wichtiger Schritt zur Internationalisierung.
({6})
Schließlich werden die Hinzuverdienstgrenzen für
alle Auszubildenden vereinheitlicht und angehoben. Das
heißt, künftig können alle Auszubildenden einheitlich
und ohne Differenzierung nach Ausbildungsart - das gilt
also für Schüler und Studenten gleichermaßen - ohne
Anrechnung auf das BAföG 400 Euro netto pro Monat
hinzuverdienen. Das gilt für das klassische Beispiel: Wer
nebenher regelmäßig einem Minijob nachgeht, wird
künftig keine Kürzung des BAföGs mehr zu befürchten
haben.
({7})
Meine Damen und Herren, es wird zwei Zeitpunkte
für die Einführung dieser Regelungen geben. Die von
mir zuletzt genannten Impulse zur Modernisierung und
Internationalisierung werden unmittelbar nach Verkündung des Gesetzes in Kraft treten. Die Anhebung der
Freibeträge und der Bedarfssätze wird zum Beginn des
kommenden Wintersemesters, also im Jahre 2008, eingeführt werden. Das, was wir heute hier beraten und beschließen, ist also ein zweigestuftes Verfahren. Dadurch
wird die Bundesausbildungsförderung modernisiert, und
es werden wichtige Impulse gesetzt. Vor allen Dingen
werden die Mittel, die die Bundesregierung bereitstellt übrigens unter Beteiligung der Länder; denn bekanntlich
sind beim BAföG Bund und Länder gemeinsame Akteure -,
({8})
im nächsten und übernächsten Jahr erheblich erhöht.
Mit Blick auf die Kurve der Studienanfängerzahlen
glaube ich, dass wir dies zum richtigen Zeitpunkt tun.
Vermutlich werden wir zum Wintersemester dieses Jahres die Abwärtskurve in Deutschland erstmals gestoppt
haben. Es gibt also wieder mehr Studierende in Deutschland; das ist wichtig.
({9})
Die Stimmung für das Studieren wird besser; auch das
ist wichtig.
Dieses Gesetz ist unser Signal an die Studierenden,
dass wir ihre Bemühungen unterstützen und dass uns
wichtig ist, ihnen nicht nur eine gute Ausbildung zu ermöglichen und Exzellenz an unseren Hochschulen zu
gewährleisten, sondern ihnen auch vernünftige Möglichkeiten zu geben, ihr Studium zu finanzieren.
Vielen Dank.
({10})
Ich komme zu Tagesordnungspunkt 35 zurück und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Aktiengesetzes bekannt, Drucksachen 16/3015
und 16/5524: Abgegebene Stimmen 536. Mit Ja haben
gestimmt 50, mit Nein haben gestimmt 481, Enthaltungen 5. Der Gesetzentwurf ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 536;
davon
ja: 50
nein: 481
enthalten: 5
Ja
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Wolfgang Gehrcke
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Katrin Kunert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Petra Pau
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({0})
({1})
Dr. Herbert Schui
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Renate Blank
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({2})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({3})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({4})
Dirk Fischer ({5})
Axel E. Fischer ({6})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({7})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({8})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({10})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({15})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({16})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Andreas Schmidt ({17})
Ingo Schmitt ({18})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({19})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth WinkelmeierBecker
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({22})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({23})
Volker Blumentritt
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({24})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({25})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({26})
Nina Hauer
Dr. Reinhold Hemker
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({27})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({28})
Frank Hofmann ({29})
Eike Hovermann
Christel Humme
Brunhilde Irber
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({30})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({31})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({32})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({33})
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Karin Roth ({34})
Michael Roth ({35})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({36})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({37})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({38})
Silvia Schmidt ({39})
Renate Schmidt ({40})
Heinz Schmitt ({41})
Carsten Schneider ({42})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({43})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({44})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({45})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({46})
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({47})
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({48})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({49})
Martin Zeil
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({50})
Volker Beck ({51})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Hans-Josef Fell
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({52})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({53})
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({54})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Claudia Roth ({55})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Enthaltung
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Bettina Herlitzius
Dr. Anton Hofreiter
Monika Lazar
Hans-Christian Ströbele
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nächster Redner in unserer Debatte ist der Kollege
Uwe Barth, FDP-Fraktion.
({56})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Von allen Änderungen, die in der 22. Novelle zum Bundesausbildungsförderungsgesetz enthalten sind, ist die
wesentliche und für die von diesem Gesetz Betroffenen
interessanteste mit Sicherheit die Erhöhung der Bedarfssätze und der Freibeträge um 10 bzw. 8 Prozent.
({0})
Dieses Vorhaben ist gut, weil hier dringender Bedarf besteht; die letzte Erhöhung datiert schließlich noch aus
dem Jahr 2001. Trotz allem ist das aber nicht genug, weil
wir mit diesem Gesetz ein angestaubtes und in der Tat
unzeitgemäßes Förderinstrument nur ein klein wenig
aufpeppen.
({1})
Dass das so ist, wissen insbesondere Sie, Frau Ministerin, sehr gut. Vor nicht allzu langer Zeit wurden Sie
von Spiegel Online noch damit zitiert, Sie hätten die
KfW-Kredite als „Meilenstein in der Studentenförderung“ gefeiert. Außerdem hieß es dort, Sie seien keine
flammende Befürworterin des BAföGs, sondern hielten,
ganz im Gegenteil, seine Abschaffung durchaus für
möglich.
({2})
Daher frage ich Sie: Warum halten Sie trotz dieser Erkenntnis an diesem Gesetz fest?
({3})
Der wirtschaftliche Aufschwung und die damit zusammenhängenden Steuermehreinnahmen haben nun die
Möglichkeit eröffnet, diesen alten Karren sozusagen mit
einer neuen Lackschicht zu versehen. Natürlich freut es
die FDP, uns Bildungspolitiker und wohl am meisten die
BAföG-berechtigten Schüler, Studenten und Auszubildenden - natürlich jeweils auch in der weiblichen Form -,
dass sie nun etwas mehr Geld zur Sicherung ihres Lebensunterhalts in der Tasche haben.
({4})
Dies ist mit der Gesetzesänderung erst einmal gesichert.
Wenn man sich den langen, verschlungenen und in
der Tat von vielen Änderungen begleiteten Weg dieses
Gesetzentwurfes einmal ansieht, könnte man sogar zu
der Auffassung gelangen, das sei schon viel. Mit Blick
auf die Realität des Jahres 2007 muss man allerdings sagen: Es ist schlicht und ergreifend nicht genug.
({5})
Mit einer Erhöhung der Bedarfssätze und den weiteren
vorgesehenen Änderungen ist es nicht getan. Ich will Ihnen auch zeigen, warum das so ist: Insgesamt bekommen derzeit etwa 25 Prozent der Studenten BAföG.
Knapp die Hälfte davon bekommt den Höchstsatz. Das
heißt, dass etwas mehr als 10 Prozent aller Studenten
den BAföG-Höchstsatz bekommen. Doch angesichts der
Tatsache, dass laut einer Erhebung des Studentenwerkes
20 Prozent aller Studenten - jeder Fünfte! - mit weniger
als dem BAföG-Höchstsatz ihr Leben bestreiten müssen,
wird klar, dass hier etwas im Argen liegt. Denn wie kann
es sein, dass doppelt so viele Studenten mit weniger
Geld auskommen müssen als die 10 Prozent, die den
BAföG-Höchstsatz bekommen?
({6})
Gerade die SPD wird immer wieder zitiert, dass sie
das BAföG vor allem als sozialpolitisches Instrument
betrachtet.
({7})
Das heißt, Ihr Fokus liegt auf den 10 Prozent der Studierenden aus den einkommensschwächsten Schichten. Sie
vernachlässigen dabei aber die deutlich größere Gruppe
von Studierenden, die aus marginal einkommensstärkeren Schichten der Bevölkerung kommen, aber aufgrund
der Förderstruktur des BAföG durch den Rost fallen.
({8})
Das ändern Sie auch mit einer permanenten Erhöhung
der Freibeträge nicht. Deswegen wiederhole ich, was ich
bereits im Ausschuss gesagt habe: Unser Problem sind
nicht die Studenten, die den Höchstsatz bekommen - unsere Aufmerksamkeit brauchen diejenigen, die aus Familien mit mittlerem Einkommen, mit einem Arbeitseinkommen kommen und von ihren Eltern eben nicht
adäquat unterstützt werden können.
({9})
An dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kollegen,
kulminieren in der Hochschulpolitik die gesammelten
Fehlleistungen dieser Koalition.
({10})
Angefangen bei der Mehrwertsteuererhöhung bis hin zur
Frage der Verwendung der sogenannten Überschüsse der
Bundesagentur für Arbeit wird immer wieder klar: Sie
nehmen den Menschen so viel von ihrem Erarbeiteten
weg, dass es inzwischen nicht einmal der Mittelschicht
mehr möglich ist, ihre Kinder in ihrer Ausbildung adäquat zu unterstützen.
({11})
Das ist nicht nur sozialpolitisch, das ist auch bildungspolitisch ein Skandal.
({12})
Die Koalition bietet uns mit diesem Gesetz den Spatz
in der Hand. Den nehmen wir; wir sollten aber weiter
nach der Taube auf dem Dach trachten. Der Systemwechsel zu einer elternunabhängigen, individuell bedarfsorientierten Bildungsfinanzierung - natürlich mit
einem erhöhten Darlehensanteil, gleichzeitig aber mit einer Verbesserung der Beratung der Studierenden über
die Möglichkeiten der Studienfinanzierung, über Stipendien und Darlehen - ist das Modell der Zukunft.
({13})
Angesichts einer Koalition der Stellschraubendreher
ist eine echte Reform leider nicht zu haben. Um zumindest Härten zu vermeiden, werden wir uns jedoch, wie
wir im Ausschuss klargemacht haben, nicht verweigern,
zumal einige unserer Änderungsanträge und Änderungsvorschläge in der Novelle Berücksichtigung gefunden
haben. Was wir beim Thema „studierende Mütter“ zu
kritisieren haben, wird meine Kollegin Lenke nachher
noch vortragen. Ich will hier jedoch sagen: Wir werden
dem Gesetzentwurf zustimmen, den Systemwechsel jedoch weiterhin mit Nachdruck verfolgen.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich gebe das Wort der Kollegin Renate Schmidt,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Manche
mögen sich gewundert haben, wieso ausgerechnet ich in
den Bildungsausschuss - und dies als Berichterstatterin
für das BAföG - wollte.
({0})
Der Grund ist ein ganz einfacher: Ich wollte zurück zu
meinen parlamentarischen Wurzeln. Diese sind neben
der Familienpolitik das BAföG, wofür ich von 1980 bis
1987 Berichterstatterin war.
({1})
In diesen Jahren haben sich die jeweiligen Koalitionen ganz schön gefetzt, und die FDP war auf jeder Seite
immer mit dabei.
({2})
Da sprach der damalige Unionskollege Klaus Daweke
vom „Engholm’schen Steckrüben-Winter“ und die SPDAbgeordnete Renate Schmidt von der „Wilms’schen
Wassersuppe“, als die Union und die FDP beim Regierungswechsel 1982 das Schüler-BAföG weitestgehend
abgeschafft und das Studenten-BAföG verschlechtert
hatten.
({3})
Bei allem ehemaligen Streit, den wir miteinander hatten, sollten wir nicht vergessen: Das BAföG ist ein gemeinsames Kind von SPD und Union.
({4})
Es wurde 1969 durch die erste Große Koalition gezeugt.
({5})
Es wurde vielfach verändert: Es wurde verbessert, verschlechtert, gänzlich infrage gestellt, ausgezehrt und von
Edelgard Bulmahn dann wieder aufgepäppelt.
({6})
Ich wollte mit dieser Entscheidung aber nicht nur zu
meinen Wurzeln zurück, sondern das BAföG gemeinsam
mit meiner Fraktion und der Koalition in dieser Legislaturperiode auch deutlich erhöhen. Das habe ich im ersten
Berichterstattergespräch sehr deutlich gemacht. Frau Ministerin, ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit uns gemeinsam an der Spitze der Bewegung für das BAföG gekämpft hätten und nicht im Regelfall als Nachhut
hinterhergelaufen wären.
({7})
Dennoch verkenne ich nicht, Frau Ministerin, dass es
für Sie ein langer, schwieriger und sicherlich nicht ganz
einfacher Weg war: angefangen von Ihrer Absicht im
April 2005, das BAföG auslaufen zu lassen und stattdessen Studienkredite anzubieten, wie es der Kollege Barth
gerade gefordert hat, über die ursprünglich beabsichtigte
kleine Novelle ohne jegliche Erhöhung und die dann
vorgesehene zweistufige Anpassung von Freibeträgen
und Bedarfssätzen bis hin zur heute hier vorliegenden
22. Novelle, in der eine Erhöhung der Freibeträge um
8 Prozent und der Bedarfssätze um 10 Prozent in einem
Schritt ab dem Wintersemester 2008 vorgesehen ist.
({8})
Es war für Sie auch ein nicht ganz einfacher und
wahrscheinlich schwieriger Weg von dem Schreiben der
damaligen baden-württembergischen Bildungsministerin
Schavan an ihre Länderkollegen, für die Förderung beim
zweiten Bildungsweg über Kollegs, Berufsoberschulen
und Abendgymnasien eine dreijährige vorherige Erwerbstätigkeit zu fordern, bis hin zu dem heute hier vorliegenden Status quo, das heißt der uneingeschränkten
Aufrechterhaltung der Förderung beim zweiten Bildungsweg ohne jegliche zusätzliche Bedingungen.
Weil Ihr Weg von der Absicht des Auslaufenlassens
des BAföG über Ihre ziemlich zurückhaltende Bescheidenheit bei den Reformbemühungen bis hin zur Einsicht
der Notwendigkeit einer deutlichen Erhöhung so weit
war, bedanke ich mich - das ist ernst gemeint - bei Ihnen, Frau Ministerin Schavan, dafür, dass Sie uns, die
SPD, als BAföG-Fraktion nach einem gewissen Zögern
letztendlich unterstützt haben.
({9})
Renate Schmidt ({10})
Ich danke natürlich auch meiner eigenen Fraktion
- allen voran Peter Struck und unserem Haushälter
Klaus Hagemann ({11})
und unserem Koalitionspartner, die mitgeholfen haben,
unser gemeinsames Kind BAföG deutlich zu verschönern.
({12})
Vor allen Dingen danke ich aber dem Bundesfinanzminister, der trotz seiner berechtigten Bemühungen, den
vielfältigen Ausgabenwünschen entgegenzutreten, deutlich gemacht hat, dass die zusätzlichen Ausgaben für das
BAföG Investitionen in die Zukunft sind,
({13})
Investitionen, die dringend notwendig sind, und zwar in
dem Sinne, Not zu wenden; denn im internationalen Vergleich haben wir zu wenig Studierende, und wir verschwenden Talente, wenn wir es weiter zulassen, dass
trotz gleicher Begabung in so hohem Ausmaß aus Arbeiterkindern Arbeiter und aus Akademikerkindern Akademiker werden.
({14})
Bildung - das war einmal ein Aufstiegsversprechen.
Das ist es nicht mehr. Wir haben dafür zu sorgen - gerade auch hier im Deutschen Bundestag -, dass es das
wieder wird.
({15})
Das BAföG ist dafür selbstverständlich nicht das einzige
Instrument, aber ein wichtiges. Es ist ein Instrument für
Chancengleichheit und höhere Studierendenzahlen.
Durch eine Kombination von Begabtenförderung und
Studienkrediten - so sinnvoll diese ergänzend auch sein
mögen - kann es nicht ersetzt werden.
({16})
Kredite sind immer die schlechtere Lösung, weil dadurch junge Menschen mit einem Schuldenberg, der bis
auf 120 000 Euro anwachsen kann, in ihr Berufsleben
entlassen werden.
({17})
Berufliche Unabhängigkeit, Familiengründung, Schaffung von Eigentum - all das wird vor einem solchen
Hintergrund zu einem unerfüllbaren Wunschtraum.
Deshalb ist es so wichtig, dass diese Koalition, dass
das ganze Parlament am BAföG festhält, dass der Anteil
der Geförderten nicht sinkt, sondern ansteigt und dass
sich die Notwendigkeit des Nebenherjobbens vor allem
in Zeiten von Bachelor und Master in Grenzen hält.
({18})
Deshalb ist die Anhebung der Freibeträge um 8 Prozent
und der Bedarfssätze um 10 Prozent ab dem Wintersemester 2008 ein wichtiger und großer Schritt nach vorne.
Rund 100 000 Studierende werden - Frau Ministerin hat
es gerade erwähnt - zusätzlich gefördert, und das mit höheren Beträgen, genauso wie all diejenigen, die bislang
gefördert wurden.
({19})
Natürlich wünscht sich die Opposition mehr, und das
sofort. Das ist ihr gutes Recht. Unsere Pflicht als Regierungskoalition ist aber, aus dem Wünschenswerten das
Machbare zu machen und dies in den finanziellen Kontext einzubetten. Lassen Sie mich deshalb noch auf zwei
Punkte der Vorlagen der Linken eingehen.
Erstens. Wir halten Studiengebühren für einen Irrweg.
({20})
Wir halten es für einen doppelten Irrweg, diese falschen,
auf Landesebene erhobenen Studiengebühren vom Bund
finanzieren zu lassen
({21})
und dann den Versuch zu unternehmen, die Länder dafür
in Anspruch zu nehmen. Dies kann nur scheitern.
({22})
Zweitens. Es ist mindestens ein dreifacher Irrweg, ein
elternunabhängiges BAföG als vollen Zuschuss für alle
Studierenden zu fordern. Dies wäre mit 20 Milliarden
Euro Mehrkosten nicht nur unfinanzierbar, sondern auch
sozial ungerecht; denn mit den Steuermitteln von Verkäuferinnen finanzierten sich die Millionärssöhne dann
ihr Sportwägelchen.
({23})
Das hätte eine Zerstörung der Akzeptanz des BAföG zur
Folge und würde es sturmreif für diejenigen schießen,
die es in Wirklichkeit gar nicht wollen.
({24})
Ein richtiger Schritt - in diesem Fall zurück, weg von
der ursprünglichen Novelle - ist ebenfalls, den zweiten
Bildungsweg nicht durch zusätzliche Bedingungen zu
erschweren. Auch hier gilt: Wir können uns eine Verschwendung von Talenten nicht leisten. Wir haben zu
wenige Studierende auch deshalb, weil wir zu wenige
Abiturienten und Abiturientinnen haben. Die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems nach unten funktioniert
hervorragend. Die Durchlässigkeit nach oben herzustellen, ist mühsam und beschwerlich.
({25})
Deshalb dürfen wir jungen, ehrgeizigen Berufsaufsteigerinnen und -aufsteigern keine zusätzlichen Steine in den
Weg legen.
Lassen Sie mich auf zwei weitere wichtige Verbesserungen der 22. BaföG-Novelle eingehen. Die zusätzliche
Förderung von Studierenden mit Kindern ist eine längst
überfällige Verbesserung. Hier danke ich vor allem der
Kollegin Bär, die sich dies genauso wie die SPD-Fraktion zu einem Herzensanliegen gemacht hat.
({26})
Renate Schmidt ({27})
Diese neue Familienförderung wird das Zeitfenster für
die Familiengründung ein Stück weiter öffnen - das ist
dringend notwendig -, wenn es gelingt - das ist wichtig -,
eine verbesserte Kinderbetreuung an den Hochschulen
anzubieten. Hier sind vor allen Dingen die Länder gefordert.
Es gibt zudem Verbesserungen für Migranten und Migrantinnen sowie Auslandsstudierende. Letztere können
künftig ab dem ersten Semester BAföG-gefördert im
Ausland studieren. Auslandsstudien werden in Zukunft
an Bedeutung gewinnen. Deshalb hat sich die Koalition
vorgenommen, zeitnah - ich hätte gern, dass wir das bis
zum Sommersemester 2008 unter Dach und Fach bringen - zinsbegünstigte Studienkredite der KfW auch für
Auslandsstudierende anzubieten.
Sehr geehrte Frau Ministerin, die 22. BAföG-Novelle
ist letztendlich von einem Reförmchen zu einer ausgewachsenen Reform mit einem Finanzvolumen von mehr
als einer halben Milliarde Euro geworden.
({28})
Die SPD als BAföG-Partei beansprucht einen wesentlichen Anteil an diesem Werdegang.
({29})
Dennoch ist damit aus meiner Sicht nicht alles erledigt.
Wir werden uns umgehend an die Erarbeitung des Entwurfs eines BAföG-Modernisierungsgesetzes machen,
das noch vorhandene Ungereimtheiten beseitigen und
der Umstellung auf Bachelor und Master überall Rechnung tragen wird. Für uns wird das BAföG immer ein
zentraler Punkt bei der Herstellung von Chancengleichheit bleiben, für die Kinder unseres Volkes, aber vor allen Dingen für die Zukunft unseres Volkes.
({30})
Ich gebe das Wort der Kollegin Cornelia Hirsch,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Schmidt, die Linke hält die heute diskutierte
BAföG-Novelle nicht für eine ausgewachsene Reform,
wie Sie sie bezeichnet haben. Wir sind der Auffassung,
diese Reform ist - wenn überhaupt - eine Reparaturmaßnahme. Außerdem ärgert uns, dass Sie diese Reparaturmaßnahme erstens viel zu spät ausführen und zweitens
auch noch ganz, ganz empfindliche Lücken darin sind.
({0})
Sie sprechen hier immer wieder von der großen Bedeutung der Bildung, von den Zukunftschancen der jungen Generation. Jetzt zeigt sich, dass diese Worte in der
Großen Koalition doch eher leere Phrasen sind und nicht
wirklich etwas dahintersteckt.
({1})
- Herr Tauss, wir können uns das ganz konkret anschauen. Ich möchte die Punkte aufnehmen, die auch
von Ihnen, Frau Ministerin, angeführt worden sind. Sie
haben sehr, sehr stark die Anhebung der Bedarfssätze
gelobt und hochgejubelt. Ich finde, man muss noch einmal ganz genau unter die Lupe nehmen, was die Große
Koalition hier vorschlägt. Die Erhöhung soll sein
({2})
- richtig, Herr Kollege Brase -: 10 Prozent. Allerdings
soll diese zehnprozentige Erhöhung zum 1. Oktober
2008 erfolgen. Der BAföG-Beirat der Bundesregierung
hatte gefordert, diese Erhöhung bereits Ende des letzten
Jahres, Ende 2006, durchzuführen. Wenn Sie diese Erhöhung jetzt nach hinten verschieben und erst zum
1. Oktober 2008 durchführen, würde das bedeuten, dass
mindestens - aber wirklich mindestens! - noch einmal
2 Prozent draufgelegt werden müssen, ansonsten höhlen
Sie das BAföG einfach weiter aus. Das ist keine verlässliche, keine sichere und keine kostendeckende Studienfinanzierung.
({3})
Das wäre schon schlimm genug, aber Sie setzen noch
eins drauf: Wenn Sie wenigstens diese Erhöhung zum
1. Oktober beschließen und die Bedarfssätze dann regelmäßig einfach anpassen würden, wäre das zumindest
eine Perspektive, die man den Studierenden geben
könnte. Sie schlagen aber mit der Novelle vor, dass der
nächste BAföG-Bericht erst ein Jahr später vorgelegt
werden soll, also nicht Ende 2008, sondern Ende 2009.
({4})
Das bedeutet in der Konsequenz, dass in diesem Parlament über eine BAföG-Erhöhung das nächste Mal erst
im Jahr 2010 diskutiert werden wird. Sie orientieren sich
jetzt an einer Erhöhung, die schon Ende 2006 notwendig
gewesen wäre, und sagen zugleich - Schwarz auf Weiß den Studierenden, dass es vor 2010 auch keine weitere
Erhöhung geben wird. Das sind faktisch also vier Nullrunden, die Sie den Studierenden zumuten. So etwas
lehnt die Linke nun definitiv ab.
({5})
Frau Ministerin, Sie haben von der Studierendenschaft und dem wichtigen Signal gesprochen, das Sie
hier jetzt aussenden wollen, sodass mehr junge Menschen ein Studium aufnehmen wollen, daher möchte ich
Ihnen nur eine der vielen, vielen Mails, die uns und sicherlich auch Sie erreicht haben, zur Kenntnis geben. Sie
gibt vielleicht ein bisschen die Stimmung in der Studierendenschaft wieder. Da schreibt ein Student aus Dresden: „Diese Erhöhung, die die Große Koalition vorschlägt, ist ein Hohn für alle, die BAföG beziehen. Die
Sätze sind zurzeit so viel zu niedrig, dass 10 Prozent einfach nur ein Witz sind.“ - Ich glaube, das trifft die Situa13350
tion der Studierendenschaft sehr klar und zeigt, vor welchen Herausforderungen wir stehen.
({6})
- Herr Schulz, Sie fragen, ob das mein Ernst ist. Man
kann sich anschauen, was zum Beispiel die Vorgaben der
Familiengerichte sind. Es ist keine Fantasterei, was die
Linken hier machen, wenn wir eine Erhöhung der Bedarfssätze um 19 Prozent noch in diesem Jahr fordern.
({7})
Wenn wir diese Erhöhung von 19 Prozent beschließen
würden, dann würden wir die Vorgaben der Familiengerichte für kostendeckende Bedarfssätze erfüllen. Das
wäre der richtige Schritt.
({8})
Ich möchte noch einen weiteren Punkt nennen, der
uns stört. Es ist nämlich nicht nur so, dass aktuell die Situation der Studierenden an den Hochschulen schlechter
wird, auch die große Herausforderung von der sozialen
Öffnung wird nicht wirklich angegangen. Es gibt zwar
die Erhöhung der Freibeträge - es ist auch ein richtiger
Schritt, dass das überhaupt angegangen wird -,
({9})
was aber fehlt, sind ganz entscheidende Punkte, über die
man weiter diskutieren müsste.
Frau Schmidt, Sie haben schon angesprochen, was da
alles Anfang der 80er-Jahre abgeschafft wurde. Man
müsste dann aber auch sagen, was Anfang der 70er-Jahre
da war. Das war beispielsweise ein umfassendes Schüler-BAföG, was bedeutete, dass man sich ab der zehnten
Klasse nicht zwischen einer ausfinanzierten Form der
Ausbildung und der Möglichkeit entscheiden musste,
weiter zur Schule zu gehen und eben keine Finanzierung
zu bekommen. Es ist doch klar, dass sich sehr viele
Schülerinnen und Schüler gerade aus armen Schichten
für den ersteren Weg entscheiden müssen. Der Ausbau
des Schülerinnen- und Schüler-BAföGs wäre eine Perspektive, wirklich einen Schritt nach vorne zu kommen.
({10})
Es gibt eine zweite Möglichkeit, wie Sie das Problem
hätten angehen können. Die rot-grüne Bundesregierung
hat den Schritt gemacht und die Verschuldung nach dem
Studium bei einem Betrag von 10 000 Euro gedeckelt.
({11})
Genau in dieser Richtung müsste man jetzt weiterdiskutieren. Man kann doch nicht bei einem solchen Schritt
stehenbleiben. Genau deshalb fordert die Linke einen
Vollzuschuss und lehnt das Darlehen ab.
({12})
Als Nächstes möchte ich auf die Studiengebühren eingehen, weil dieser Punkt hier angesprochen wurde. Ich
halte es für ziemlich verlogen, dass die SPD hier immer
wieder als großer Gegner von Studiengebühren auftritt,
sie es aber war, die mit der Einführung von Studienkonten den Weg für die Einführung allgemeiner Studiengebühren geebnet hat. Das muss man hier festhalten.
({13})
Man muss sich außerdem die Frage stellen, ob es richtig
ist, dass Studierende, die BAföG beziehen, jetzt auch
noch Studiengebühren bezahlen sollen. Es ist doch absurd, den Studierenden zwar die Sozialleistung BAföG
zu geben, sie aber gleichzeitig Studiengebühren zahlen
zu lassen.
({14})
Sie bieten den Studierenden als Lösung an, mehr hinzuverdienen zu können.
({15})
Sie dürfen jetzt 400 Euro mehr verdienen. Dann ist ja alles wunderbar, und dann klappt alles. Das kann doch
wirklich nicht die Lösung des Problems der Studiengebühren sein.
({16})
Es ist vollkommen richtig, gemeinsam dafür zu streiten - wir freuen uns, wenn die SPD unser Bündnispartner ist -, dass die Studiengebühren abgeschafft werden.
Aber es müsste ein erster Schritt sein, den Studierenden
jetzt zu helfen. Deshalb schlägt die Linke vor, dass die
Kosten für Studiengebühren bei dem Bedarf für das
BAföG berücksichtigt werden. Das würde sehr vielen
Studierenden helfen. Deshalb haben wir heute diesen
Antrag vorgelegt.
({17})
Letzter Punkt. Es wird immer wieder die Frage gestellt, wie das alles finanziert werden soll. Sie, Frau
Schmidt, haben gesagt, die Aufgabe der Koalition sei es,
das Machbare möglich zu machen. Sie haben sich sehr
dafür gelobt, 300 Millionen Euro mehr für das BAföG
bereitzustellen. 300 Millionen Euro mehr klingen für
alle, die hier zuhören, nach unheimlich viel Geld. Es ist
aber wichtig, diese Summe in Relation zu setzen, und
zwar in Relation dazu, dass 2008 wegen der Steuergeschenke für Großkonzerne und Unternehmen, die beschlossen sind, 8 Milliarden Euro zum Fenster herausgeschmissen werden. Man muss also die 300 Millionen
Euro den 8 Milliarden Euro gegenüberstellen. Das zeigt,
welche Priorität junge Menschen in der Großen Koalition haben.
Besten Dank.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die BAföG-Debatten der letzten Monate haben mindestens eine überraschende und erfreuliche Botschaft:
Selbst die Große Koalition ist fähig zum lebenslangen
Lernen.
({0})
Im Februar beschloss das schwarz-rote Kabinett eine
Nullrunde für Schülerinnen, Schüler und Studierende.
Vieles, was wir heute von Ihnen hören, klang vor kurzem
noch ganz anders. Da hieß es, für eine BAföG-Erhöhung
stehe kein Geld zur Verfügung. Um der jungen Generation weniger Staatsschulden aufzubürden, wollten Sie
bei der jungen Generation sparen - ein wahrlich merkwürdiges Verständnis von Generationengerechtigkeit.
Gut, dass es anders gekommen ist. Der träge Tanker
bewegt sich doch. Den weiten Weg, den gerade auch Bildungsministerin Schavan zurückgelegt hat, hat Frau
Schmidt bereits treffend beschrieben. Unterm Strich
kann man sagen: Die Große Koalition hat sich auf uns
Grüne und auf die Opposition zubewegt.
({1})
Daher tragen wir zahlreiche Änderungen, die Sie an Ihrer eigenen Novelle vornehmen, weitgehend mit, aber
eben nur weitgehend; denn das, was Sie zum Beispiel
mit dem neuen Kinderzuschlag betreiben, ist Augenwischerei.
({2})
Nach allem, was Sie bisher verkündet haben, glaubt
doch jetzt jeder: Bald gibt es für alle BAföG-Empfänger
mit einem Kind 113 Euro zusätzlich. - Pustekuchen. Mit
Ihrem Änderungsantrag, den Sie in letzter Minute eingebracht haben, haben Sie dafür gesorgt, dass nur diejenigen Eltern den vollen Zuschuss bekommen, die den
BAföG-Höchstsatz erhalten. Wer Pech hat, bekommt für
sein Kind nicht 113 Euro, sondern 1,13 Euro. Das muss
man wissen. Dafür lässt sich keine Kinderbetreuung organisieren. Das ist ganz offensichtlich. Für jedes weitere
Kind gibt es dann nur noch 0 bis 85 Euro. Wir fordern
dagegen: Für jedes Kind von BAföG-Empfängern muss
es 113 Euro geben - ohne Wenn und Aber!
({3})
Auch bei der - grundsätzlich sehr lobenswerten - Anpassung der Fördersätze und Freibeträge können die
Schüler und Studierenden nicht ganz zufrieden sein.
Dass Sie sie um 10 bzw. 8 Prozent erhöhen, ist gut. Das
findet ausdrücklich unsere Anerkennung, ja sogar ein
kleines Lob. Dass Sie die Erhöhung aber um ein Jahr
verschieben, ist halbherzig, unnötig und inakzeptabel.
Die vom BAföG-Beirat empfohlene Erhöhung trägt ausdrücklich das Haltbarkeitsdatum Herbst 2007. Wenn Sie
jetzt erst im Herbst 2008 anpassen, dreht das BAföG bis
dahin ohne Not eine weitere Nullrunde.
({4})
Warum geben Sie den Schülern und Studierenden nicht,
wie von uns beantragt, wenigstens zum 1. April 2008 die
dringend benötigten Mittel zum Lebensunterhalt?
Auch wenn wir Ihre Novelle im Grundsatz mittragen,
({5})
will ich im Interesse der Studierenden noch ein paar Fragen stellen. Es geht mir dabei um eher kleine, aber für
die Betroffenen doch zentrale Korrekturen, um die Beseitigung von Fehlern und Gerechtigkeitslücken.
Warum halten Sie zum Beispiel an den starren Obergrenzen beim Unterkunftszuschuss fest? Warum übernehmen Sie nicht unseren Vorschlag, angemessene Mietund Heizkosten komplett zu übernehmen, sodass man
auch in München und Düsseldorf vom BAföG leben
kann?
({6})
Warum schaffen Sie den Kinderdarlehensteilerlass für
studierende Eltern völlig übereilt ab? Warum gewähren
Sie keine großzügigen Übergangsfristen, damit junge Eltern Vertrauen in geltende Regelungen haben können?
({7})
Warum stellen Sie Lebenspartnerinnen und Lebenspartner nicht endlich auch im BAföG mit Ehegattinnen
und Ehegatten gleich, sondern schreiben Diskriminierung fort?
({8})
Warum verweigern Sie sich der simplen Klarstellung
im Gesetz, dass Studierende nicht benachteiligt werden
dürfen, wenn die Hochschule ihre Studiengänge verpflichtend von Diplom auf Bachelor umstellt und das
BAföG-Amt dies als förderschädlichen Fachrichtungswechsel wertet?
({9})
Die Schreiben der betroffenen Studierenden liegen doch
auch Ihnen vor. Sie hätten das also in der Novelle ändern
können.
Angesichts all dieser Fragen verstehe ich nicht, warum Sie unsere konkreten Verbesserungsvorschläge einfach vom Tisch wischen. Es hilft sicherlich nicht weiter,
gegenüber den realen BAföG-Problemen eine Vogel13352
Strauß-Politik zu betreiben. Hier hätten Sie den Studierenden das Leben leichter machen können.
Wenn wir über die Lage und die Bedürfnisse der Studierenden sprechen, können wir das BAföG nicht isoliert
betrachten. Wir müssen in dem Zusammenhang ebenso
über Studiengebühren reden, auch wenn Union und FDP
das nicht passt. Denn während wir im Bund dafür sorgen, dass die Studierenden endlich wieder so viel Geld
im Portemonnaie haben wie zu rot-grünen Zeiten, greifen schwarz-gelb regierte Länder gleichzeitig den Studierenden mit Studiengebühren tief in die Tasche.
({10})
Wenn zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen Minister
Pinkwart die Forderung nach mehr BAföG stellt, ist das
wirklich ein starkes Stück.
({11})
Wir sagen als Grüne klipp und klar: Die Campus-Maut
der Neoliberalen ist abwählbar! Die Landtagswahlen in
Hamburg, Hessen und Niedersachsen entscheiden maßgeblich darüber, ob Hochschulen wieder studiengebührenfreie Zonen werden können.
({12})
Studiengebühren wirken sozial selektiv, schrecken ab
und grenzen aus. Deshalb müssen sie abgeschafft werden.
({13})
Solange es Studiengebühren gibt, müssen wir jedoch
auch im BAföG damit umgehen. Wir haben daher vorgeschlagen, den Studierenden einen entsprechend höheren
Zuverdienst anrechnungsfrei einzuräumen. Wer nebenher jobben muss, um Studiengebühren zu finanzieren,
der soll dafür nicht auch noch beim BAföG-Bezug bestraft werden. Diesen Vorschlag, vielleicht auch den der
Linken, hätten Sie wenigstens einmal prüfen können.
Es wird schnell deutlich, dass kleinteilige Reparaturen am BAföG mittelfristig nicht ausreichen. Denn viele
Regeln der Ausbildungsförderung werden den langfristigen Trends in Hochschulpolitik und Studierverhalten der
jungen Menschen immer weniger gerecht:
Stichwort neue Studienstrukturen: Ein Masterstudium
wird nur dann gefördert, wenn es auf einen Bachelor
aufbaut. Aber wann genau ist das der Fall, und warum ist
das überhaupt so?
Stichwort lebenslanges Lernen: Wer direkt nach dem
Bachelor weiterstudiert, kann gefördert werden; wer erst
ein paar Jahre Berufserfahrung sammelt und dann mit
32 Jahren den Master nachholen will, bekommt kein
BAföG.
Stichwort Teilzeitstudium: Wer Kinder erzieht, Praxiserfahrung sammelt oder Angehörige pflegt und deshalb
nur Teilzeit studieren kann, obwohl er oder sie Vollzeit
studieren möchte, darf seinen BAföG-Bezug nicht über
einen längeren Zeitraum strecken.
Die Beispiele zeigen: Notwendig ist eine grundlegende Reform der Lebensunterhaltsfinanzierung von
jungen Menschen in Aus- und Weiterbildung. Das zentrale Ziel und die Leitlinie der Grünen ist: Wir wollen
den Hochschulzugang für junge Menschen aus allen Einkommensschichten, insbesondere aber aus einkommensschwächeren und hochschulfernen Bildungsmilieus erleichtern.
({14})
Wenn man rein schuldenbasierte Ansätze zur Studiumsfinanzierung wie Kredite heranzieht - etliche Kolleginnen und Kollegen in diesem Raum schwebt das ja vor -,
fallen diese jungen Menschen von vornherein raus.
Liebe Koalitionäre, bevor Sie nach Ihrer Last-MinuteEinigung beim BAföG die Hände beruhigt in den Schoß
legen und gemeinsam feiern, muss ich Ihnen noch sagen:
Die Debatte über eine moderne Studienfinanzierung, die
für mehr Chancengerechtigkeit sorgt, ist mit dem heutigen Tag nicht beendet. Sie muss weitergeführt werden.
Wenn man sich die schwarz-rote Meinungsvielfalt anschaut, stellt man fest, dass das wohl heißen muss: Nach
dem BAföG-Streit ist vor dem BAföG-Streit.
Vielen Dank.
({15}))
Das Wort hat der Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
in der Tat kein so guter Kenner der Materie wie Frau
Renate Schmidt. Ich kann mich an den Zeugungsvorgang des BAföG im Jahr 1969 nicht so genau erinnern.
({0})
- Habt ihr etwas Unanständiges gesagt?
({1})
- Da ich keinen Ordnungsruf der Präsidentin höre,
scheint sich das noch im Rahmen des Erlaubten zu bewegen.
({2})
Ich will mit zwei Bemerkungen sehr deutlich machen,
warum ein Haus wie das Bundesfinanzministerium seine
Hand reicht, um beim BAföG zu Verbesserungen zu
kommen.
({3})
Der erste Hinweis lautet: Wir brauchen in Deutschland nicht weniger, sondern deutlich mehr Studierende
und Akademiker.
({4})
Wir haben es bereits heute mit einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu tun. Dieses Land wird seinen
Standard hinsichtlich des materiellen Wohlstands und
der sozialen Wohlfahrt im globalen Wettbewerb nur halten können, wenn wir über die Qualität im Wettbewerb
bestehen. Wir werden im Wettbewerb niemals bestehen
können, wenn wir versuchen, billiger zu sein. Wenn wir
in diesem Wettbewerb aber durch bessere Qualität bestehen wollen, brauchen wir eine höhere Akademikerquote
und nicht eine stagnierende oder abnehmende Akademikerquote.
({5})
Zurzeit nehmen nur 35 Prozent eines Jahrgangs ein
Hochschulstudium auf. Diese Quote ist deutlich zu gering. Wir brauchen mindestens 40, in meinen Augen sogar an die 45 Prozent, was in etwa dem Standard skandinavischer Gesellschaften entsprechen würde.
Sie wissen, dass wir bereits heute einen Mangel an
qualifizierten Arbeitskräften haben. Das gilt insbesondere für die Naturwissenschaften und die Ingenieurwissenschaften. Ich halte die Meldung, dass uns bereits
heute ungefähr 50 000 Ingenieure fehlen, für eine absolute Alarmmeldung. Es gibt fast die gleiche Anzahl offener Ingenieurstellen. Das bedeutet, dass uns ein ganzer
Jahrgang an Universitätsabsolventen fehlt. Es gibt bemerkenswerte Berechnungen, nach denen dies zu einem
volkswirtschaftlichen Schaden in einer Größenordnung
von 3,5 Milliarden Euro führt. Wir müssen diesbezüglich den europäischen Standard erreichen.
Das bedeutet, dass wir bei den jungen Menschen
Ängste abbauen müssen. Es darf nicht sein, dass sie aus
rein materiellen Gründen ein Studium nicht aufnehmen.
Das wiederum bedeutet, dass das BAföG eine konstitutive, grundlegende Bedeutung hat.
({6})
Mein zweiter Hinweis - dies ist kein günstiges Zeugnis für diese Gesellschaft -: Die Durchlässigkeit unseres
Bildungssystems ist mit Blick auf die Kinder, die aus
einkommensschwächeren bzw. bildungsferneren Schichten kommen, nicht in der Form gegeben, wie es sein
müsste. Wir machen die Erfahrung - das ist statistisch,
empirisch belegt -, dass im Vergleich zum Durchschnitt
viel zu wenig junge Leute, die erkennbar nicht aus einem
Akademikerhaushalt kommen, ein Studium beginnen.
Dadurch geht dieser Gesellschaft eine Vielzahl von Begabungen verloren. Viele nehmen ein Studium leider
nicht auf, weil die materielle Frage in der Tat eine entscheidende Rolle spielt. Ich muss zugeben, dass die Einführung von Studiengebühren diesbezüglich eine prohibitive Wirkung hat.
Die Einführung von Studiengebühren spielt gerade
vor diesem Hintergrund eine große Rolle. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich in meiner Funktion als Landespolitiker gegen die Einführung von Studiengebühren
gewesen bin.
({7})
- Ich glaube nicht, dass das der Grund ist, warum ich abgewählt worden bin.
({8})
- Ich glaube auch nicht, dass das einer der Gründe war.
Da bin ich mir ziemlich sicher.
({9})
In Gesprächen mit Studenten und ihren Eltern habe ich
sehr oft die Erfahrung gemacht, dass es jemandem, der
mit rund 2 000 Euro netto nach Hause kommt, eine
Tochter und einen Sohn hat, sehr schwerfällt, zweimal
600 oder 500 Euro im Jahr zu bezahlen, weil das ungefähr 100 Euro im Monat entspricht.
({10})
Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter! Auch
wenn er mit 1 500 oder 1 600 Euro nach Hause kommt,
muss er rund 100 Euro abzwacken.
Die Kreditkonditionen, die da genannt werden, sind
auch nicht so, wie ich mir das gewünscht habe. In der
Ankündigung hieß es ja, es werde relativ leicht sein, solche Kredite zu günstigen Zinskonditionen aufzunehmen.
Ich stelle fest: Da muss ganz kräftig gezahlt werden. Ob es je andere Modelle dafür geben wird, will ich dahingestellt sein lassen.
Ich will darauf hinaus, dass wir mehr junge Leute, vor
allen Dingen junge Frauen, aus den vermeintlich bildungsferneren Schichten, aus den Familien, in denen
bisher erkennbar noch nicht akademische Laufbahnen
absolviert worden sind, in den Stand versetzen müssen,
jedenfalls materiell gesichert ein Studium aufzunehmen,
um damit in Deutschland ein Begabungspotenzial zu heben, das uns sonst verloren ginge, was sträflich wäre.
({11})
Deshalb ist es richtig, dass wir die Bedarfssätze und
die Freibeträge erhöhen. Dass man so etwas immer überbieten kann, Frau Hirsch, ist mir sehr klar. Aus Ihrer etwas schrillen Rede sind bei mir eigentlich nur zwei
Dinge hängen geblieben, nämlich: Sie wollen immer
noch mehr, und Sie haben die Großkonzerne auch bei
diesem Thema wieder irgendwie hineingeschwurbelt. So ganz nachvollziehbar ist das für mich nicht.
Ich muss aus Gründen der Fairness und des Anstands
eine Bemerkung machen; daran liegt mir. Die Tatsache,
dass wir im Regierungsentwurf von etwas anderen Daten
und Sätzen ausgegangen sind, lag schon an dem nicht
leicht zu übergehenden Finanzminister und nicht an Frau
Schavan.
({12})
Das war die Debatte, die ich mit ihr geführt habe und in
der sich der Bundesfinanzminister durchgesetzt hat. Das
zu sagen ist eine Frage des Anstands, der an dieser Stelle
auch gewahrt werden soll, damit das niemand in den falschen Hals bekommt.
({13})
Ich will abschließend sagen, dass ich, auch überzeugt
von der Meinungsbildung in der Fraktion, zu diesem
Projekt stehe. Das gilt ebenfalls für das, was das Parlament in eigener Zuständigkeit bei den Freibeträgen und
Bedarfssätzen erneut geändert hat. Noch einmal zu meinem Verständnis von einer gestaltenden Finanzpolitik.
All denjenigen, die glauben, dass alle Steuermehreinnahmen und Entlastungseffekte an anderer Stelle ausschließlich zur Senkung der Nettokreditaufnahme eingesetzt werden sollten, sage ich: Nein, ein Teil davon muss
in die Gestaltung der Zukunft dieses Landes gehen.
({14})
Welches sind die Hauptfelder, um Zukunft für dieses
Land zu gestalten? Das hat überwiegend mit Bildung zu
tun. Sie wissen, dass ich das nicht eng meine, also nicht
bezogen nur auf die allgemeinbildenden Schulen. Wir
reden hier über Kinderbetreuung, vorschulische Angebote, allgemeinbildende Schulen, Ganztagsbetreuung,
akademische Bildung, berufliche Bildung, Weiterbildung, über die gesamte Bandbreite. Will sagen: Es muss
Geld in die Köpfe und die Fähigkeiten der Menschen hineingesteckt werden.
({15})
Wohl wissend, dass Sie alle kundige Thebanerinnen
und Thebaner sind: Das Groteske ist, dass die Mittel, die
wir dort aufwenden, nach dem geltenden Haushaltsrecht
konsumtive Ausgaben sind, obwohl ich mir bessere investive Ausgaben für die Zukunft dieses Landes nicht
vorstellen kann.
({16})
Ich würde mir wünschen, dass wir uns über die Debatte zur Föderalismusreform II und die Frage der
Schuldenbremse hinaus intensiv darüber auseinandersetzen, ob wir nicht eine Lösung vermeiden sollten, die von
einem falschen Investitionsbegriff ausgeht.
({17})
Wenn man zum Beispiel einen Quader Beton auf einen
Vorplatz setzt, ist das investiv, und man könnte die Neuverschuldensregelung im Sinne einer Erweiterung der
Kreditaufnahme in Anspruch nehmen. Dagegen ist das
BAföG konsumtiv und verschlechtert die Kreditaufnahmemöglichkeiten des Bundeshaushaltes. Dies ist
schlicht und einfach Unsinn; deshalb müssen wir diese
Frage weiterhin aufgreifen.
({18})
Aus der Sicht des Bundesfinanzministeriums ist es
eine richtige Investition, eine Zukunftsinvestition, eine
klassische Investition und nicht Konsum. Ich würde mir
wünschen, dass die Verbesserung der BAföG-Rahmenbedingungen dazu führt, dass mehr junge Menschen
denn je das Studium aufnehmen.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
({19})
Das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede des
Kollegen Kai Gehring gebe ich dem Kollegen Jörg
Tauss.
({0})
Ich freue mich, dass Sie sich so freuen; das ist ja fast
wie in alten Zeiten.
Gestatten Sie, Herr Minister, dass ich an dieser Stelle
sage: Es ist gut, in dieser Sache einen Finanzminister an
seiner Seite zu haben. Insofern sage ich auch herzlichen
Dank.
({0})
Aber nun zu Ihnen, Kollege Gehring: Es ist in der Tat
so, dass das BAföG ein sehr komplexes, in seiner Systematik auch nicht sofort durchschaubares Gesetz ist. Hinsichtlich eines Punktes bitte ich Sie, sich ein wenig zu
korrigieren. Es ging um die 113 Euro für die Kinder Studierender. Nur zur Klarstellung: Diese 113 Euro bekommen im Grunde genommen alle; der Bedarf erhöht sich
für alle um diesen Betrag. Für fast alle BAföG-Empfänger bleiben in der Praxis letztlich diese 113 Euro übrig.
Wer bisher kein BAföG bekam, weil das Einkommen
knapp darüber lag, höher lag als der Bedarf, der bekommt künftig etwas mehr BAföG. Insofern haben wir
in der Tat auf beiden Seiten eine Verbesserung. Daraus
resultiert meine herzliche Bitte, dass wir an dieser Stelle
nicht zu falschen Interpretationen kommen.
({1})
Herr Kollege Gehring, Sie können antworten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich gehe darauf sehr
gern ein, weil ich es immer schade finde, wenn Regierungsfraktionen nicht genau wissen, was sie mit ihren eigenen Änderungsanträgen beschließen wollen.
({0})
Wir haben diese Frage am vergangenen Mittwoch sowohl im Familienausschuss als auch im Bildungsausschuss thematisiert, und die jeweiligen Staatssekretäre
haben genau das Gegenteil von dem gesagt, was Sie geKai Gehring
rade geschildert haben. Von daher gibt es hier offensichtlich in der Großen Koalition noch dringenden Gesprächsbedarf.
({1})
Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfes
geht es um die Frage, dass dieser Kinderzuschlag eben
nicht nur nach Bedarf, sondern auch einkommensabhängig gezahlt werden soll, also genauso einkommensabhängig, wie das BAföG selber auch gezahlt werden wird.
Deshalb ist es ganz offensichtlich ein richtiges Beispiel
gewesen, dass eben nicht jeder Studierende 113 Euro bekommt, sondern es nur diejenigen mit dem BAföGHöchstsatz erhalten. Uns ist erläutert worden, dass nicht
jeder BAföG-berechtigte Studierende den vollen Zuschuss von 113 Euro bekommt, sondern nur diejenigen,
die den Höchstsatz bekommen. Daneben gibt es Studierende mit einem niedrigeren Satz, die dann vielleicht
12 Euro oder 57 Euro bekommen.
Mit dem Fakt, dass Sie hier im Vergleich zu Ihrem
ersten Vorschlag durchaus eine Änderung, nämlich eine
Verschlechterung, vorgenommen haben, sollte man ganz
offen und ehrlich umgehen. Diese Frage der Einkommensabhängigkeit sollte geklärt werden.
Ich habe aber eben auch Frau Schmidt so verstanden,
dass Sie als SPD ohnehin Überlegungen hinsichtlich eines BAföG-Modernisierungsgesetzes anstellen. Deshalb sind das Punkte, die in diesem Zusammenhang
noch einmal dringend aufgegriffen werden sollten,
({2})
um eine bessere Förderung von Studierenden mit Kindern gestalten zu können.
({3})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst wundert es mich sehr, Herr Steinbrück, dass Sie
sich zum Verfechter von sozialen Leistungen für Mütter
ausrufen. Sie wissen ganz genau, dass Sie derjenige waren, der die 4 Milliarden Euro für die Betreuung von
Kindern unter drei Jahren bis zum Schluss nicht zahlen
wollte; davon mussten Sie erst einmal überzeugt werden.
({0})
Frau Schavan, Sie haben sich und die Regierung
heute Morgen im Deutschlandfunk sehr gelobt und ausgeführt, wie eklatant das BAföG erhöht wird. Ich will
mich hier jedoch auf den geringen Kinderbetreuungszuschlag von 113 Euro konzentrieren.
Wo waren Sie eigentlich, und Frau Schmidt, wo waren Sie eigentlich, als das Elterngeld konzipiert worden
ist und durch diese Neukonzeption des Elterngeldes die
Studentinnen mit Kind nur die Hälfte dessen bekamen,
was sie beim Bezug von Erziehungsgeld erhalten hätten?
Mit dem Erziehungsgeld bekamen die Studentinnen
24 Monate lang 300 Euro; mit dem Elterngeld wurde das
Ganze halbiert. Das macht 3 600 Euro für jede Studentin
mit Kind aus.
({1})
Sie sollten sich also doch überlegen, ob Sie etwas mehr
oder doch etwas weniger für die Studentinnen mit Kind
getan haben. Die FDP hat deshalb schon bei der Verabschiedung des Elterngeldes einen Antrag für die Studentinnen mit Kind eingebracht; wir haben das BabyBAföG genannt. Wir wollen jedem Kind ab Geburt
280 Euro geben, und wir wollen das durch den Darlehensteilerlass finanzieren, der damit verrechnet werden
würde.
Meine Damen und Herren, es wird hier so viel davon
geredet, dass so wenige Studentinnen Kinder bekämen.
Im Jahr 2000 waren es 7,1 Prozent. Wenn wir sagen:
„Wir wollen Studentinnen unterstützen, wenn sie Kinder
haben“, müssen wir angesichts dieser niedrigen Geburtenrate mehr Wahlfreiheit geben. Das haben Sie mit dem
verringerten Kinderbetreuungszuschlag einfach nicht gemacht. Diese Streichung bleibt einfach bestehen. Es sind
3 600 Euro Verlust für die Studentinnen mit Kindern.
Ich finde, wir sollten die Studentinnen eher ermutigen, im Studium Kinder zu bekommen; denn wenn die
Kinder dann drei Jahre alt sind und die Berufstätigkeit
beginnt, gibt es Ganztagsbetreuungsplätze und die Ganztagsschule. Hier haben Sie wirklich nichts Gutes für die
Studentinnen getan.
({2})
Deshalb will ich zum Schluss sagen: Durch Ihre Politik, durch Ihr Gesetz machen Sie es den Studentinnen
wesentlich schwerer, Studium und Familie besser miteinander zu vereinbaren. Auch die katholische Kirche
hat das gemerkt. Sie hat gesagt, die geplanten Verbesserungen sind ein Armutszeugnis für diese Regierung. Das
Forum Hochschule und Kirche startet eine Postkartenkampagne, um Sie auf diese Differenzen in Ihrer angeblich kinderfreundlichen Politik in diesem Bereich aufmerksam zu machen.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schmidt,
ich habe Ihnen ganz genau zugehört. Ich fand es total
nett, dass Sie gesagt haben, dass das BAföG 1969 ge13356
zeugt wurde und es heute gleichzeitig noch ein Kind ist.
Da möchte man gerne mit dem BAföG tauschen.
({0})
Das einzig Positive 1969 war, dass es da die Grünen
noch nicht gab. Bei der Historie, die Sie hier vorgetragen
haben, hat eine kleine Verkehrung der Vergangenheit
stattgefunden, besonders was das letzte Jahr betrifft. Ich
bin sehr froh, dass der Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück die Großmut hatte anzuerkennen,
({1})
dass es nicht an unserer Ministerin lag, dass es nicht zu
einer sofortigen Erhöhung kam.
({2})
Dafür bedanke ich mich ausdrücklich. Annette Schavan
war nämlich von Anfang an eine ganz große Kämpferin
und hat uns da unterstützt.
({3})
Lieber Peer Steinbrück, in den letzten Tagen wurde oft
davon gesprochen, dass die Verlässlichkeit der SPD etwas abhanden gekommen ist. Ich kann nur sagen: Mit
Ihrer Großmut, dass Sie zugegeben haben, dass Sie einen
Fehler gemacht haben, sind Sie nicht nur - wie ich lesen
konnte - Europas tollster Finanzminister, sondern auch
Europas ehrlichster Finanzminister.
({4})
Frau Kollegin Bär, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dr. Rossmann?
Ich erlaube deswegen keine Zwischenfrage, weil ich
nicht möchte, dass die Kollegen Rossmann und Tauss,
obwohl sie von ihrer Fraktion keine Redezeit bekommen
haben, trotzdem reden.
({0})
Ich finde es auch spannend - muss ich ganz ehrlich
sagen -, dass sich die SPD hier als BAföG-Fraktion oder
BAföG-Partei bezeichnet hat. Meine Fraktion, meine
Partei und sicherlich auch die CDU, lieber Fraktionsvorsitzender, haben einen allgemeinpolitischen Anspruch.
Wenn Sie sich als BAföG-Partei bezeichnen, heißt das,
dass Sie, wenn 25 Prozent aller Studenten BAföG bekommen, wahrscheinlich nur noch 25 Prozentpunkte bei
den Wahlen erreichen möchten.
({1})
- Für Bayern wäre es gut. Ja, das stimmt. - Das ist aber
nicht der Anspruch. Wir kämpfen zwar für das BAföG,
aber wir sind doch eine Partei, die sich auch noch anderen Themen widmet. Wenn man das auf die Begrifflichkeit bringt, die hier im Raum ist, kann man feststellen:
Wir haben große Kämpfer und große Unterstützung. Vorhin hat einer der Kollegen gerufen: Nach der RiesterRente kommt das Schavan-BAföG. - Das wäre ein Begriff, den man einführen könnte.
({2})
Frau Kollegin Hirsch, zu Ihnen möchte ich Folgendes
sagen - zu Ihren abstrusen Forderungen komme ich
nachher -: Sie haben angeprangert, dass die nächste Diskussion erst 2010 möglich wäre.
({3})
- Real stattfinden würde. Das muss man noch einmal genau nachprüfen. Es wäre natürlich wünschenswert, dass
eine solche Diskussion in diesem Hause im Jahre 2010
- wenn es denn dazu kommt - ohne Ihre Fraktion stattfinden kann.
({4})
Sie stellen sich hier hin und sagen, dass die
300 Millionen Euro, die der Bund zusätzlich zur Verfügung stellt, überhaupt nicht viel Geld sind. Gegenüber
jedem, der hier oben auf der Zuschauertribüne sitzt oder
dieser Debatte am Fernseher folgt, ist es eine wahnsinnige Arroganz, wenn hier ein Politiker, der gerade einmal über 20 Jahre ist, behauptet: 300 Millionen Euro,
das ist überhaupt nicht viel Geld. - Das ist eine Arroganz
sondergleichen.
({5})
Angeblich sind Sie immer für den kleinen Mann. Ich
verstehe: Wenn man zwei Fraktionsvorsitzende hat, die
Bonzen und Millionäre sind, dann sind
300 Millionen Euro wahrscheinlich wirklich nicht viel
Geld.
({6})
Diese 300 Millionen Euro betreffen nur den Bundesanteil. Sie haben nicht berücksichtigt, dass es im
Jahr 2009 zusammen mit den Mitteln der Länder insgesamt über 540 Millionen Euro sind. Angesichts unserer
angespannten Haushaltslage
({7})
- wir alle verpflichten uns immer wieder dazu, den nachfolgenden Generationen keine Schulden zu hinterlassen sind über 540 Millionen Euro wirklich ein ganz großer
Batzen Geld.
({8})
Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, einen stärkeren Zuwachs zu bekommen, als es im Jahr 2001 der
Fall war. Wir konnten aufgrund der Haushaltslage seit
2001 leider keine Erhöhung mehr vornehmen. Jetzt gibt
es eine 10-prozentige Erhöhung. Ich denke, das ist ein
ganz wichtiges Signal. Ich wünsche mir, dass diese
10-prozentige BAföG-Erhöhung das Signal ist, das von
hier heute ausgeht.
({9})
Es war für uns völlig selbstverständlich, dass die Bedarfssätze jetzt an die gestiegenen Lebenshaltungskosten
angepasst werden müssen. Wir haben eine sehr gute Lösung gefunden.
In Ihren Anträgen, Frau Kollegin Hirsch, ist von
19 Prozent die Rede. Sie bauen hier wirklich Luftschlösser. Ich höre von Ihnen immer nur: noch mehr, noch
mehr, noch mehr, noch mehr, noch mehr. Sie machen nie
einen konkreten Vorschlag. Der einzige konkrete Vorschlag, den Sie gemacht haben, hätte - die Kollegin
Schmidt hat es im Ausschuss schon betont - eine Erhöhung um 20 Milliarden Euro zur Folge. Forderungen wie
diese kann eine Fraktion immer dann leicht stellen, wenn
sie sich ganz sicher ist, dass sie in den nächsten Jahren
und Jahrzehnten nie Regierungsverantwortung tragen
wird.
({10})
Wenn Ihre Forderungen aber bewirken, dass Sie nie regieren, dann ertragen wir das hier auch noch.
Sie haben auf verschiedene Erhöhungen, die CDU/
CSU und SPD in der laufenden Legislaturperiode vorgenommen haben, geschimpft. Sie wollen trotzdem, dass
Steuergelder ausgegeben werden. Allerdings sagen Sie
nicht, woher das Geld genommen werden soll.
Ich möchte auf ein paar Punkte eingehen, die schon
genannt wurden. Im Namen unserer Sprecherin, Ilse
Aigner, aber auch im Namen unserer ganzen Fraktion
und auch der Fraktion der SPD möchte ich sagen: Wir
haben uns sehr darum bemüht, die Kollegiatenförderung
zu erhalten. Das war ein ganz wichtiger Schritt in die
richtige Richtung. Für die Kollegschüler ist dies sehr
wichtig. Es hat sich gezeigt, dass in den letzten Monaten
der Diskussion noch etwas erreicht wurde. Oft heißt es:
Am Gesetzentwurf wird nichts mehr geändert. Wir haben uns eng an den Bitten orientiert, die von den Kollegiaten an uns herangetragen wurden. Unsere Koalition
hat hier einen Riesenerfolg erzielt.
({11})
Das BAföG wird internationaler; auch dazu wurde
schon viel gesagt.
Frau Schmidt, Sie haben gesagt: Die Einführung des
Kinderbetreuungszuschlags ist für mich eine Herzensangelegenheit. - Genauso ist es für mich.
Kollege Tauss hat mit dem, was er in seiner Kurzintervention vorhin erklärt hat, völlig recht gehabt:
113 Euro werden allen gezahlt, die jetzt studieren und
ein Kind haben, egal wie hoch ihr BAföG ist. Wer jetzt
studiert, erhält für das erste Kind 113 Euro und 85 Euro
für jedes weitere Kind.
An Sie, Frau Kollegin Lenke: Es ist wunderbar; auch
ich sehe das so. Auch ich würde mir wünschen, dass es
haushaltspolitisch möglich wäre, da noch mehr Geld zur
Verfügung zu stellen.
({12})
- Das ist nicht weniger. Sie bekommen mehr Geld.
Es geht darum, positive Zeichen zu setzen. Ich unterstütze Ihre Forderung, junge Frauen dazu zu bewegen,
schon während des Studiums Kinder zu bekommen.
Denn auch wenn man es während des Studiums nicht so
sieht, im Nachhinein weiß man, dass das Studium die
beste Zeit dafür ist. Es ist wesentlich leichter, Familie
und Studium unter einen Hut zu bekommen, als später
Familie und Beruf.
Frau Kollegin Bär, Frau Kollegin Lenke würde gern
eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
({0})
Bitte schön, Frau Lenke.
Frau Bär, ich gehe davon aus, dass Sie bei meiner
Rede zugehört haben. Sie wissen, dass Studentinnen bisher für 24 Monate 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat
bekommen haben. Durch die Einführung des Elterngeldes, das es seit dem 1. Januar 2007 gibt, bekommen sie
jetzt insgesamt nur noch 3 600 Euro. Das habe ich zu
dem Betreuungszuschlag für Studentinnen, der jetzt nur
113 Euro pro Monat beträgt, ins Verhältnis gesetzt. Sie
haben hier gesagt: Die Studentinnen, die zukünftig Kinder bekommen, bekommen das Geld BAföG-abhängig. - Das finde ich noch wunderlicher. Dazu würde ich
gern um Ihre Meinung bitten; das ist meine Frage.
Es geht jetzt um BAföG und um diejenigen, die
BAföG erhalten. Diejenigen, die jetzt BAföG erhalten
und Kinder haben, bekommen - anders als vom Kollegen Gehring behauptet wurde - die vollen 113 Euro, und
zwar unabhängig davon, wie hoch das BAföG ist. Wir
machen hier einen ganz wichtigen und entscheidenden
Schritt. Wir setzen ein wichtiges Signal. Ich denke, dass
Sie durch Ihre ständige Schlechtrederei unserer guten
Initiativen eher dafür sorgen, dass weniger Kinder geboren werden.
({0})
Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft nicht
mehr „Studium oder Kinder“ heißt, sondern dass es in
Zukunft in Deutschland für jede Studentin, aber auch für
jeden Studenten „Studium und Kind“ heißt. Denn die
Kinderlosenquote bei Akademikerinnen und Akademikern ist alarmierend. Noch alarmierender ist sie bei denjenigen, die unter 30 sind. Es wäre wünschenswert,
wenn nicht nur mehr Kinder geboren werden würden,
sondern die Frauen auch jünger wären, wenn sie ihr erstes Kind bekommen; denn dann ist die Wahrscheinlichkeit, sich für weitere Kinder zu entscheiden, größer.
Herr Präsident, Sie erlauben doch sicherlich angesichts dieses wichtigen Themas, dass ich noch einen Satz
dazu sage.
Ich erlaube Ihnen nur noch einen Abschlusssatz.
Einen Satz noch. - Ich denke, wir haben eine gute
Möglichkeit geschaffen, Studium und Familienplanung
zu vereinbaren. Ich denke, dass wir alle heute sagen sollten: Den Koalitionsfraktionen ist ein sehr wichtiger
Schritt gelungen. Es wäre wichtig, dass auch die Oppositionsfraktionen positive Signale aussenden.
({0})
Denn Kinderkriegen fängt im Kopf an.
({1})
- Ich erkläre es Ihnen nachher noch einmal persönlich.
({2})
Ich hoffe, dass ich bei meiner nächsten Rede im Deutschen Bundestag Frau Schavan, Herrn Steinbrück, den
Staatssekretären und dem ganzen Haus dafür danken
darf, dass die Geburtenzahlen in die Höhe gesprungen
sind. Das hätte man dann uns zu verdanken.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({3})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Ernst Dieter Rossmann von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich mache jetzt eine Kurzintervention, weil es
bemerkenswert ist, wenn in einer Debatte zwei Minister
das Wort ergreifen.
({0})
Es ist genauso bemerkenswert, dass zum Parlamentarismus gehört, dass Abgeordnete manchmal von sich aus,
weil sie von einer Sache zutiefst überzeugt sind, sagen,
dass sie auf volles Risiko gehen, und für eine Sache arbeiten, die ihnen wichtig ist.
Das wird bei der Koalitionsfraktion der CDU/CSU
beim Thema BAföG sicherlich auch der Fall gewesen
sein, und zwar so diskret, dass sie es selber kaum gemerkt hat. Es ist an anderer Stelle so gewesen, dass die
sozialdemokratischen Bildungspolitiker Anfang des Jahres für sich gesagt haben: Das wollen wir ändern. Das
machen wir öffentlich. Wir werben um Zustimmung dafür. Wir gehen mit vollem Risiko in unsere Fraktion.
Dort wollen wir dafür sorgen, dass sich etwas bei einer
solchen Schlüsselfrage ändert.
Das wurde vom Fraktionsvorsitzenden aufgenommen, der noch im Sommer Häme dafür erfahren hat; ich
will gar nicht sagen, von welcher Seite. Daher sollte man
an dieser Stelle sagen, dass es auch zum Parlamentarismus gehört, wenn ein Fraktionsvorsitzender in Rücksprache mit seinen Arbeitsgruppen sagen kann: Das ist
mir, das ist uns als Fraktion so wichtig, dass wir uns dafür vehement einsetzen.
Ich finde, es ist im Parlamentarismus nicht das
Schlechteste, wenn es nicht nur Danksagungen - das
sage ich bei aller Wertschätzung - an die Regierung
gibt, sondern wenn sich fachkundige Abgeordnete aus
innerer Überzeugung das Recht nehmen, sich für eine
Sache einzusetzen. Das wollte ich hiermit dokumentieren.
Danke schön.
({1})
Zur Erwiderung Frau Kollegin Bär.
Ich bedanke mich mit voller parlamentarischer Überzeugung bei meinem Fraktionsvorsitzenden Volker
Kauder, der sich in dieser Frage ebenfalls eingesetzt hat,
meinem Landesgruppenchef Peter Ramsauer, meiner
Ministerin Annette Schavan sowie meinen Staatssekretären Thomas Rachel und Andreas Storm.
({0})
Ich danke auch den Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe Bildung und Forschung, weil sie von Anfang an
dahinterstand. Ich freue mich, dass wir unsere Regierung
von der Wichtigkeit dieses Themas nicht erst noch überzeugen mussten.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Der
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7214, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/5172 in der Ausschussfassung anzunehmen. - Ich bitte diejenigen, die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDPFraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und
Enthaltung des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 16/7214 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4162 mit dem
Titel „BAföG an neue Entwicklungen anpassen - Auszubildende mit Kindern unterstützen, Auslandsaufenthalte erleichtern, Migrantenförderung verbessern und
Hinzuverdienstgrenzen erhöhen“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung, wenn ich das Abstimmungsverhalten der
Grünen richtig interpretiere, einstimmig angenommen
worden.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/3142 mit dem Titel „Studierende Mütter durch die Sofortmaßnahme Baby-BAföG
unterstützen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4157 mit dem Titel „Statt Nullrunde - BAföG angleichen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7214 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/4158 mit dem Titel „Sofortmaßnahmen beim BaföG - Für mehr Zugangsgerechtigkeit und höhere Bildungsbeteiligung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 34 c. Interfraktionell wird die
Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/5808
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 sowie den Zusatzpunkt 8 auf:
36 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Hartwig
Fischer ({1}), Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele
Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Bärbel Kofler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Für eine intensive wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit dem
afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe
- Drucksachen 16/5257, 16/6800 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer ({2})
Dr. Karl Addicks
Ute Koczy
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({3})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl
Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neue Strategien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten
und durchsetzen
- Drucksachen 16/5243, 16/7153 Berichterstattung:
Abgeordnete Hartwig Fischer ({4})
Dr. Karl Addicks
Hüseyin-Kenan Aydin
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Gabriele Groneberg von der SPDFraktion das Wort.
({5})
- Sie haben jetzt Gelegenheit, hier zu sprechen, wenn
Sie es wünschen.
({6})
Entschuldigen Sie vielmals, Herr Präsident, aber Herr
Kollege Tauss ist immer so überzeugend, dass ich mich
ihm schlecht entziehen kann.
({0})
Ich will nur sagen: Bei uns geht die Tagesordnung
aber immer noch dem Kollegen Tauss vor.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag, über den wir heute reden, ist gekennzeichnet von einer Verantwortung, die wir
hier in Deutschland gegenüber unserem Nachbarkontinent Afrika empfinden. Diese Verantwortung ist aber
auch mit einem hohen Respekt verbunden. Denn mit Respekt müssen wir die durchaus positive wirtschaftliche
und politische Entwicklung, die einige Regionen Afrikas
in den letzten Jahren durchlaufen haben, anerkennen.
Gekennzeichnet ist dieser Prozess durch ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum von rund 5 Prozent,
verminderte Inflationsraten und demokratische Reformen.
Natürlich gibt es Krisensituationen auf dem Kontinent Afrika. Erst gestern haben wir über die schreckliche
Situation in Darfur gesprochen, aber auch über den
Hoffnungsschimmer, der im Süden des Sudans auftaucht. Wir haben darüber zu reden, dass es zahlreiche
und ermutigende Beispiele der Überwindung von Krieg
und der Linderung von Elend und Armut gibt. Auch sind
bei der Bekämpfung von HIV/Aids erhebliche Anstrengungen unternommen worden.
Ghana ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung mutiger Zivilgesellschaften, die Durchführung fairer demokratischer Wahlen, gute Regierungsführung sowie für
eine positive, dynamische Wirtschaftsentwicklung, wovon auch die Bevölkerung im Lande profitiert. Ghana
hat das hohe Ziel der Selbstkontrolle durch den African
Peer Review Mechanism, kurz APRM, erreicht. Bei dem
APRM handelt es sich um ein von der afrikanischen
NEPAD-Initiative initiiertes Instrument der Selbstevaluation und -reformierung afrikanischer Gesellschaften von Afrikanern für Afrikaner.
Ferner muss erwähnt werden, dass einige Länder
Afrikas vorbildlich sind bei der Korruptionsbekämpfung, der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit, der Partizipation von Parlamenten und dem Aufbau zivilgesellschaftlicher Institutionen. Natürlich ist es erfreulich,
dass der Anteil von Frauen in den nationalen Parlamenten signifikant gestiegen ist. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass dieses positive Bild des modernen
Afrika in Deutschland und in Europa stärker wahrgenommen wird und sich in den Köpfen der Menschen
festsetzt.
({0})
Die eingangs erwähnte Verantwortung, die wir gegenüber Afrika tragen, spiegelt sich natürlich auch in der
Agenda wider, mit der wir uns während unserer Doppelpräsidentschaft im Rat der Europäischen Union und in
der G 8 befasst haben. Wir haben in Heiligendamm unsere Partnerschaft mit Afrika bekräftigt. Denn wir haben
ein Interesse an einem stabilen, demokratischen und aufstrebenden Afrika.
Die G-8-Regierungen bekennen sich zu ihrer Verantwortung und zu den beim Gipfel von Gleneagles 2005
eingegangenen Verpflichtungen. Zum ersten Mal waren
diesmal Entwicklungs- und Schwellenländer eingeladen.
Damit haben wir verdeutlicht: Wir reden nicht über
euch. Wir reden mit euch.
({1})
Im Mittelpunkt der gemeinsamen Bemühungen steht
ein langfristiges, nachhaltiges Wirtschaftswachstum in
Afrika. Deshalb unterstützen wir unsere afrikanischen
Partner in folgenden Bereichen: bei der guten Regierungsführung, bei der regionalen Integration und beim
Ausbau des Privatsektors, bei Maßnahmen zur Entwicklung der afrikanischen Finanzmärkte und beim Ausbau
der regionalen Infrastruktur, um Afrika für Investoren attraktiver zu machen.
Unsere Botschaft lautet: Afrika ist ein Kontinent der
Chancen. Allerdings: Ohne Frieden und Sicherheit ist
eine nachhaltige Entwicklung des afrikanischen Kontinents nicht möglich. Deshalb muss der Ausbau der afrikanischen Sicherheitsarchitektur weiter gefördert werden. Neben der Unterstützung der afrikanischen
Bereitschaftstruppe legen die G 8 besonderes Augenmerk auf zivile Elemente wie die Polizeiausbildung und
technische Expertise.
Ganz wichtig: In Heiligendamm haben wir uns verpflichtet, zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose
und Malaria sowie zur Stärkung der Gesundheitssysteme
in den Ländern Afrikas in den kommenden Jahren rund
60 Milliarden US-Dollar zusätzlich bereitzustellen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, damit Afrika die
Millenniumsentwicklungsziele bis 2015 erreichen kann.
Auch während unserer EU-Ratspräsidentschaft haben wir unsere Beziehungen zu Afrika auf ein stabiles
Fundament gestellt. Die EU-Afrika-Strategie, die wir gemeinsam mit der AU und mit unseren afrikanischen
Partnern erarbeitet haben, ist geprägt von den gemeinsamen Interessen Europas und Afrikas in der Klima- und
Energiepolitik. Wir wollen eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Energiesicherheit, beim Zugang zu Energie,
beim Klimawandel und bei der Bewältigung seiner Folgen, ebenso bei der Förderung günstiger Rahmenbedingungen für Investitionen sowie bei der Förderung von
erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz. Die
EU-Afrika-Partnerschaft soll Teil der gemeinsamen EUAfrika-Strategie werden. Sie wird auf dem EU-AfrikaGipfel Ende 2007 förmlich verabschiedet.
Jetzt komme ich zu den Wermutstropfen. Leider findet sich im Energieaktionsplan ein Passus, in dem von
einem Dialog über die friedliche Nutzung der Nuklearenergie die Rede ist. Deutschland hat sich dafür eingeGabriele Groneberg
setzt, dass es sich dabei um einen wertfreien Dialog handelt, der die Nichtverbreitung mit einschließt und den
Fokus auf höchste Sicherheitsstandards legt, der also
nicht notwendigerweise zur Förderung der Nuklearenergie führt. Nuklearenergie ist für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit keine Option. In diesem Bereich
findet keine Zusammenarbeit statt. Diese Position versuchen wir bei der Weltbank, in multilateralen Einrichtungen und in der EU durchzusetzen.
({2})
Wir halten es für sinnvoller, zur Verbesserung der
Energieinfrastruktur beizutragen; hier sind substanzielle
Investitionen dringend erforderlich. Dies ist ein Ziel, auf
das wir zusammen mit unseren afrikanischen Partnern
intensiv hinarbeiten. Zudem sind die beschleunigte Nutzung lokaler erneuerbarer Energieressourcen und die
Steigerung der Energieeffizienz nach unserer Auffassung vielversprechendere Ansätze für Afrikas Entwicklung und für die Zusammenarbeit zwischen Europa und
Afrika als die Förderung von Nuklearenergie.
Ich weiß, dass in diesen Diskussionen immer gerne
mit dem Finger auf einen gezeigt und gefragt wird: Was
macht ihr denn selbst? - Wir reden hier nicht aus dem
hohlen Bauch. Deutschland hat den Ausstieg aus der
Kernenergie beschlossen; das haben wir übrigens in unserem Koalitionsvertrag festgeschrieben. - Herr Ruck,
ich weiß, dass es Ihnen schwerfällt, das anzuerkennen;
aber de facto ist es so, und wir sind darüber sehr froh. Danach richten wir natürlich auch unsere entwicklungspolitische Zusammenarbeit aus. Wichtig ist - das sage
ich hier ganz deutlich -: Wir verlangen von anderen
nichts, was wir nicht selbst zu leisten bereit sind.
Die Bilanz unserer Doppelpräsidentschaft kann sich
sehen lassen. Es freut mich, feststellen zu können, dass
die vom Bundestag erhobenen Forderungen Berücksichtigung gefunden haben. Im Nachgang zu diesem fast abgeschlossenen Jahr und zu den Debatten, die wir geführt
haben, kann ich feststellen: So viel Afrika hatten wir auf
unserer Tagesordnung noch nie. Auch so viele positive
und richtungweisende Beschlüsse - sowohl vom Bundestag als auch von der Bundesregierung -, die Afrika
betrafen, gab es bisher noch nie. Ich hoffe, dass sich das
in den nächsten Jahren kontinuierlich fortsetzt, dass das
also nicht nur ein Strohfeuer ist und dass wir die Freude
haben werden, daran gemeinsam weiterarbeiten zu können.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Karl Addicks von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren, die Anträge - Ihr Antrag ebenso wie unserer wurden vor dem G-8-Gipfel formuliert; das merkt man
Ihrem Antrag deutlich an. Frau Groneberg, Sie haben gesagt, dass etliche Punkte Berücksichtigung gefunden haben. Wir sind, ehrlich gesagt, gespannt darauf, ob sie, da
sie Berücksichtigung gefunden haben, letztendlich auch
umgesetzt werden.
Es stimmt, was Sie gesagt haben: Afrika ist auf einem
richtigen Weg. Aber Afrika ist noch lange nicht auf dem
Weg, den wir uns wünschen; es gibt leider einige Wermutstropfen.
({0})
Hinsichtlich der Konsequenzen, die aus den Feststellungen zu ziehen sind, unterscheiden sich unsere Anträge
erheblich.
Wir sind der Auffassung, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit viel mehr die der Armut breiter Bevölkerungsschichten zugrunde liegenden Ursachen bekämpfen muss; das haben wir schon oft gesagt.
({1})
Worin liegen die Ursachen der Armut? Sie liegen unserer Auffassung nach darin - ich hoffe, Sie werden mir da
folgen -, dass breite Bevölkerungsteile, im Grunde der
gesamte informelle Sektor - er macht in den meisten
afrikanischen Entwicklungsländern, gerade in Subsahara-Afrika, mehr als zwei Drittel aus - keine Möglichkeit hat, am Marktgeschehen teilzunehmen. Das ist
es, was sich in Afrika entwickeln muss. Das schaffen wir
nur durch wirtschaftliche Entwicklung. Die war für uns
einmal so wichtig, dass wir sie in den Namen dieses Ministeriums aufgenommen haben. Das kommt in Ihrem
Antrag leider viel zu kurz.
({2})
Im Haushalt haben Sie für die Außenwirtschaftsförderung, die in diesem Bereich extrem wichtig ist, ganze
2 Millionen Euro mehr vorgesehen. Ich denke, es ist jedermann bekannt, dass Entwicklung nicht von oben nach
unten verläuft; Entwicklung verläuft von unten nach
oben, sie setzt unten an. Da, wo die Wertschöpfungsketten beginnen, muss unsere Entwicklungspolitik ansetzen. Das sind der ländliche Raum, die Agrarwirtschaft,
das sind Kleinhandel, Kleingewerbe und Handwerk; das
setzt sich fort zu immer größeren Einheiten. So fängt ein
volkswirtschaftliches Rad an, sich zu drehen. Deshalb
sind die Mikrofinanzkredite ja so erfolgreich.
Allerdings war die westliche Entwicklungszusammenarbeit in den letzten 25 Jahren gerade in diesen Bereichen viel zu wenig präsent. Unsere Ausgaben für
Agrarentwicklung sind seit 1980 leider rückläufig; zuletzt lagen sie im unteren einstelligen Prozentbereich,
bei gerade einmal bei 1,5 Prozent, wenn ich mich recht
entsinne.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Weltentwicklungsbericht erwähnen, in dem die Feststellung getroffen wird - Sie haben das alle zur Kenntnis genommen -, dass man durch die Entwicklung der
Agrarwirtschaft, des ländlichen Raumes einen um den
Faktor vier höheren Entwicklungserfolg hätte erzielen
können als durch die Förderung anderer Wirtschaftsbereiche. Das stellen wir nach 25 Jahren fest! Ich muss Ihnen sagen, ich fand diesen Bericht einigermaßen bestürzend. Ich hoffe, dass wir nicht in 25 Jahren hier stehen
und sagen, wir hätten das zum Klimawandel und zur
Entwicklung des privaten Sektors ganz anders machen
sollen. Wir predigen seit Jahren, dass die Basissektoren
die wichtigsten sind. Übrigens ist auch die Bildung in
unserer Entwicklungszusammenarbeit bisher zu kurz gekommen.
({3})
Natürlich ist die Förderung von Kleinhandel, Kleingewerbe etc. nicht das Alleinseligmachende. Mindestens
ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger sind Maßnahmen, die zu Investitionen der Privatwirtschaft führen,
die den Unternehmergeist, den entstehenden Mittelstand
in Afrika fördern und beflügeln, egal ob in kleinem oder
großem Maßstab. Das wird zu einer nachhaltigen Entwicklung führen.
Afrika kann nicht von außen entwickelt werden. Afrika
wird und muss sich letztlich aus sich selbst heraus entwickeln. Diese Selbsthilfekräfte müssen wir viel stärker
fördern. Alles andere ist im Grunde vergebliche Liebesmüh. In diesem Zusammenhang ist übrigens auch unser
Wirtschaftsministerium viel stärker gefordert. Wir hatten
früher ein Afrika-Referat im Wirtschaftsministerium.
Lieber Kollege Fischer, leiern Sie doch einmal an, dass
wir wieder so ein Referat bekommen! Das würde der
Komplementarität unserer EZ gut tun.
({4})
Bevor meine Redezeit abgelaufen ist, möchte ich sagen, dass ich der Auffassung bin, dass auch unsere afrikanischen Partner gefordert sind. Ihr Antrag, meine
Damen und Herren von der Koalition, bezieht sich auf
eine Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe.
Dann müssen wir unseren Partnern aber auch ganz deutlich sagen, dass sie endlich ihre Hausaufgaben machen
müssen, und zwar schnell, indem sie die notwendigen
Rahmenbedingungen setzen, die letztlich dazu führen,
dass die Privatwirtschaft in ihren Ländern anspringt. Wer
investiert denn Geld in ein Land, in dem die Bürokratien
aufgebläht sind, in dem jeder Fortschritt eher verschleppt als vorangetrieben wird, in dem man für die Erteilung einer Lizenz monatelang braucht, in dem man
seine Lieferungen nicht aus dem Zoll bekommt und in
dem die Verwaltungsmitarbeiter so mies bezahlt werden,
dass sie korrupt werden müssen? Das ist in vielen Ländern immer noch so. Einige Länder sind auf dem richtigen Weg; das wollen wir hier nicht unterschlagen. Wir
müssen hier endlich Reformen abverlangen.
Noch ganz kurz ein paar Worte zur Budgethilfe. Dazu
kann ich an dieser Stelle nur sagen: Kommt drauf an, mit
wem man es macht! - Die Länder, die ihre Parlamente
nicht an Haushaltsentscheidungen beteiligen, können
kein Partner für Budgethilfe sein. Im Grunde können es
auch nicht Länder sein, in denen es kein Privateigentum
an Grund und Boden gibt. Wie soll das denn gehen? Mosambik kann von daher keine Budgethilfe bekommen,
auch deshalb nicht, weil die derzeitige Regierung die
Opposition offenbar gar nicht als Teil des demokratischen Geschehens begreift. Ich hoffe, dass wir hier bald
zusammen mit unseren Partnern zu einer Änderung
kommen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hartwig Fischer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Kollege Addicks, ich bin Ihnen dankbar für Ihre
Ehrlichkeit hinsichtlich der 25 Jahre. 16 Jahre davon war
die FDP mit in der Verantwortung, sodass wir alle in diesem Parlament wohl Verantwortung dafür tragen.
({0})
Ich will Ihnen ausdrücklich bescheinigen - das haben
wir im Ausschuss schon gesagt -: Der FDP-Antrag ist
gut, aber er ist nicht gut und nicht umfassend genug. Wir
sind der Überzeugung, dass Sie unserem Antrag beitreten können; denn er ist kohärent und auf Nachhaltigkeit
sowie auf die Eigenverantwortlichkeit des Kontinents
ausgerichtet.
Kollegin Groneberg hat es schon deutlich gemacht:
Wir haben uns gestern mit UNMIS und UNAMID zum
Thema Darfur befasst. Vorgestern mussten wir uns im
Menschenrechtsausschuss über Massenvergewaltigungen und Zwangskannibalismus an Kindern im Krisengebiet Kivu im Kongo informieren lassen, einem Land, in
dem andere Regionen auf einem guten Weg sind, und
wir erleben Herrn Mugabe, wie er sein Volk unterdrückt.
Ich sage aber ganz deutlich: Wir debattieren im Augenblick über 47 Länder in Subsahara-Afrika, von denen
drei negative Schlagzeilen machen. Das bedeutet, dass
viele Länder deutlich mehr Licht als Schatten zeigen.
13 Länder sind dem Peer-Review beigetreten, in
8 Ländern wird er implementiert, in 4 Ländern wurde er
inzwischen durchgeführt. Mehr als die Hälfte der Länder
in Subsahara-Afrika ist also auf einem guten Weg.
Der Peer-Review ist eine der Grundlagen für die Entwicklung von Eigenverantwortlichkeit in Afrika. Diesen
demokratischen und wirtschaftlichen Reformprozess
wollen wir gemeinsam unterstützen. Es war gut, dass die
Bundeskanzlerin Professor Appiah auf Vorschlag der
Afrikastiftung für seine Verdienste um den African-PeerReview ausgezeichnet hat; denn er hat die Zivilgesellschaft in Ghana einbezogen und ist damit einen neuen
Weg gegangen, der Grundlage für dieses offene Verfahren ist.
({1})
Ich will jetzt nicht auf jedes Thema eingehen. Zum
Thema Aids, dem wir uns besonders widmen - auch in
Hartwig Fischer ({2})
diesem Antrag -, kann ich nur sagen: Im Bereich der
Prävention müssen wir noch mehr gemeinsam leisten.
({3})
Ich will auf den Themenbereich eingehen, den auch
der Kollege Addicks angesprochen hat, auf die Budgethilfe. Die Budgethilfe dient der Eigenverantwortlichkeit
in den afrikanischen Ländern. Wir müssen uns aber einig
sein, dass es für die Budgethilfe bestimmter Grundvoraussetzungen bedarf. Diese Grundvoraussetzungen heißen: Der Staat muss zeigen, dass er auf dem Weg von
Good Governance ist. Der Staat muss zeigen, dass er bereit ist, sich dem Peer-Review-Prozess zu unterwerfen.
Der Staat muss zeigen, dass er gegen Korruption vorgeht
und das Parlament an der Bereitstellung der Budgethilfe
beteiligt, wie bei uns üblich ist. Das sind die Grundvoraussetzungen, um Demokratie zu entwickeln.
({4})
Lieber Kollege Addicks, Sie haben das Thema der
Eigenverantwortlichkeit schwerpunktmäßig angesprochen. Ich kann dazu nur sagen: Das ist doch einer der
Schwerpunkte des Regierungs- und Koalitionsprogramms.
({5})
- Das bringe ich ihm nachher bei. - Wir haben deutlich
gemacht, dass wir einen Schwerpunkt auf die Mikrofinanzen legen. Wir haben nicht umsonst Herrn Kaberuka
von der Afrikanischen Entwicklungsbank angehört. Wir
sehen, dass der beschriebene Prozess dazu führt, dass
sich langsam, aber sicher ein Mittelstand entwickelt,
dass zunehmend mehr aus dem informellen in den formellen Sektor überführt wird und dass dadurch mittelstandsfreundliche Strukturen aufgebaut werden.
Da viele Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, worum es bei den Mikrofinanzen geht, möchte ich ein Beispiel nennen. Wir haben einen Betrieb gesehen, der von
jemandem gegründet wurde, der sich für 100 Dollar
Schraubenzieher und anderes Werkzeug gekauft hat, um
Autos zu reparieren. Diesen Mann haben wir nach vier
Jahren wieder besucht. Er hatte den nächsten Kredit bekommen, weil er immer pünktlich zurückzahlte, und war
nicht mehr alleine, sondern hatte acht Beschäftigte, weil
seine Werkstatt inzwischen Autos besser reparieren
konnte. - Eine ähnliche Erfolgsgeschichte haben wir
auch bei einem Betrieb erlebt, der Mais zu Mehl mahlt.
Das ist der richtige Weg, um vom informellen in den formellen Sektor zu überführen.
Wir haben des Weiteren Schwerpunkte in den Bereichen regenerative Energien und Biodiversität gesetzt.
Das Thema Klimawandel spielt gerade seit Heiligendamm eine besondere Rolle. Ich bin froh, dass wir nicht
nur in Heiligendamm mit einigen afrikanischen Regierungschefs in Dialog treten konnten, sondern dass auch
der Folgeprozess in Lissabon am 8. und 9. Dezember
dieses Jahres in Richtung eines partnerschaftlichen Miteinanders gehen wird. Das gilt genauso für die Transparenzinitiative EITI. Wer sich die Rohstoffsituation in
vielen Ländern anschaut, der weiß, dass wir voneinander
lernen müssen, zum Beispiel von Botswana. Dieses
Land zertifiziert seit zehn Jahren seine Rohstoffe, bietet
sie auf dem Weltmarkt zu fairen Preisen an, berücksichtigt den daraus erzielten Erlös in seinem Budget und hat
das Geld für die Einführung der Schulpflicht eingesetzt.
Das ist der Weg, den auch andere afrikanische Länder
gehen müssen und bei dem wir sie begleiten können.
Das wird in Regierungsverhandlungen durchgesetzt;
darüber bin ich froh.
Lassen Sie mich noch auf die Umwelt zu sprechen
kommen. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Befassen Sie
sich mit Lagos, der früheren Hauptstadt von Nigeria!
Niemand weiß, wie viele Menschen in dieser Stadt leben. Die Angaben schwanken zwischen 16 Millionen
und 18 Millionen. Diese Stadt ist auf Lagunen gebaut.
Wenn Sie dorthin kommen, sehen Sie als Erstes Schiffe,
die in keinem europäischen Hafen mehr anlanden dürfen
und teilweise nur noch zur Hälfte aus dem Wasser herausragen. Alte Ladungen verrotten. Trotzdem sind
Menschen froh, wenn sie solche Schiffe betreten dürfen,
weil sie dort einen Lebensraum finden. Sie fischen von
diesen Schiffen aus und verkaufen die gefangenen Fische
auf dem Markt. Aber diese Fische sind in der Regel
krank, sodass häufig Kinder erkranken. Angesichts dessen muss es in unserem Interesse liegen, solche Staaten
beim vorbeugenden Umweltschutz zu unterstützen. Genau das fordern wir in unserem Antrag.
({6})
Lassen Sie mich noch einmal auf die Krisengebiete
zurückkommen. Ich bin sehr froh darüber, dass Deutschland seit einigen Jahren afrikanische Länder und die
Afrikanische Union unterstützt, eigene Friedenstruppen
aufzubauen. Ich bin dankbar, dass das Kofi-AnnanPeacekeeping-Center, von der vorherigen Regierung genauso gefördert wie von der jetzigen, nun errichtet ist
und zum Aufbau afrikanischer Kapazitäten beiträgt. So
soll erreicht werden, dass die Afrikaner auch in Krisensituationen eigenverantwortlich und auf der Grundlage
von internationalen Mandaten arbeiten können.
Afrika hat viel mehr Licht als Schatten. Ich wünsche
mir, dass auch bei solchen Debatten die Tribüne für die
Journalisten einmal voll ist. Wir wünschen uns natürlich,
dass über die Krisenherde berichtet wird, um das Elend
der Menschen und unsere gemeinsame Verantwortung
deutlich zu machen. Aber ich wünsche mir auch eine Berichterstattung darüber, wie die Afrikaner ihr Schicksal
selbst in die Hand nehmen. Herr Kaberuka hat uns deutlich gemacht: Die Afrikaner, die in der Bundesrepublik
Deutschland in der Diaspora leben, schicken inzwischen
unglaublich viel Geld in ihre Länder, nicht nur um ihre
Familien zu unterstützen und humanitäre Hilfe zu leisten, sondern auch um ihre Heimatländer über PPP-Projekte voranzubringen. In diesem Sinne sollten wir sie unterstützen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Aydin von der Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Uns liegen heute zwei Anträge vor, über die wir beraten.
Die FDP schreibt in ihrem vorliegenden Antrag, fünf
Jahrzehnte weltweite Entwicklungshilfe in Milliardenhöhe hätten an der Armut in Afrika nichts geändert. Das
ist ein Kurzschluss, lieber Kollege Addicks; denn die
Ursachen für die unbefriedigende Entwicklung verschweigen Sie in Ihrem Antrag.
({0})
Sie verschweigen den Schuldendienst und die Zinslast,
die die afrikanischen Länder zu tragen haben und hatten.
Sie verschweigen, dass seit den 70er-Jahren insgesamt
400 Milliarden US-Dollar aus Afrika herausgeschafft
worden sind.
({1})
Sie verschweigen, dass Privatbanken, IWF und die Weltbank Afrika über Jahrzehnte in einem Würgegriff hielten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
FDP, das, was Sie fordern, nämlich Liberalisierung und
Marktöffnung, wurde den Afrikanern unter dem Begriff
Strukturanpassung längst aufgedrückt. Aber all das ist
gescheitert. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis!
({2})
Wer die Entwicklungszusammenarbeit infrage stellt,
ist zynisch.
({3})
Sie bringt etwas, wenn sie richtig angesetzt wird. So hat
Sansibar - Herr Fischer, Sie fischen dort gelegentlich bedeutsame Fortschritte bei der Bekämpfung der Kindersterblichkeit erreicht. Entscheidend dafür war eine
Aufklärungskampagne der WHO. Die WHO stellte kostenlos Medikamente und Moskitonetze zur Verfügung;
die Malariainfektionen gingen dort um 90 Prozent zurück. Die Arbeit der WHO ist erfolgreiche Entwicklungshilfe, mitfinanziert durch deutsche Entwicklungsgelder.
Andere haben weniger Glück. In Westafrika sterben
jedes Jahr Hunderttausende an der dort verbreiteten
Schlafkrankheit. Der Grund: Für die Pharmaindustrie ist
Westafrika kein lukrativer Markt, weil die Menschen
dort die Medikamente nicht bezahlen können. Die Linke
sagt: Der Zugang zu Gesundheit, zu Bildung und zu
Trinkwasser ist ein Menschenrecht.
({4})
Entwicklungspolitik muss auf die Etablierung der sozialen Sicherungssysteme ausgerichtet sein. Doch von einer
systematischen Ausrichtung auf dieses Ziel sind wir
meilenweit entfernt. In die Grundbildung fließt gerade
einmal 1 Prozent der bilateralen Entwicklungshilfe.
Im Antrag der Regierungsfraktionen finden wir zu
dieser Problematik nichts. Es gibt nur Allgemeinplätze.
Sie fordern die Effizienzsteigerung der Entwicklungszusammenarbeit, aber Sie benennen keine konkreten Strategien; sie fehlen in Ihrem Antrag. Stattdessen langweilen Sie uns auf elf Seiten vor allem mit Blabla.
({5})
Interessant an Ihrem Antrag ist nur, was nicht erscheint,
zum Beispiel etwas zur Steigerung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ihr
Antrag ist ein Paradebeispiel dafür, wie man alle Probleme beschönigt, ohne sich auf irgendetwas festzulegen.
Besonders skandalös ist Ihr Umgang mit einem der
dringendsten Probleme. Ich spreche von Ihrem Verhältnis zu dem Flüchtlingsdrama vor den Toren Europas. Sie
fordern ernsthaft, Deutschland müsse sich - ich zitiere
aus Ihrem Antrag - „weiterhin für die wirkungsvolle und
humanitäre Eindämmung der anhaltenden Flüchtlingsströme einsetzen“.
({6})
Aufgrund dieser sogenannten Eindämmung kamen allein
in den letzten vier Wochen über 300 Afrikaner bei dem
Versuch der Einreise nach Europa auf hoher See um.
({7})
Halten Sie das für humanitär, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition?
({8})
Herr Kollege Aydin, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Raabe?
Nein, die Kollegen können gleich in ihren Reden auf
mich eingehen.
Kommen wir zum Kernstück der deutschen Afrikapolitik. Ich spreche von dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den afrikanischen Staaten. Da sie es nicht
unterschreiben wollen, droht der EU-Handelskommissar Mandelson diesen Ländern, die Entwicklungshilfe zu
kürzen. Mit einem Dialog auf Augenhöhe, den Sie in Ihrem Antrag fordern, hat das nun wirklich nichts zu tun.
Von der Ministerin Wieczorek-Zeul hätte ich erwartet
- das wäre durchaus angebracht -, dass sie etwas lauter
als bisher gegen die Erpressungspolitik ihres Kollegen
Mandelson protestiert.
Ich fasse zusammen: Die FDP will Entwicklung
durch mehr ruinösen Wettbewerb erreichen, die Regierungsparteien haben nicht mehr als Phrasen zu bieten.
Zu solch einer Position können wir unsere Zustimmung
nicht geben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Sascha Raabe von der SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Kollege Aydin, wenn Sie sagen,
wir würden die Problematik der Flüchtlinge, die aus
Afrika aufgrund einer Vielzahl gewalttätiger, sehr dramatischer Konflikte nach Europa fliehen, nicht ernst
nehmen, dann erzürnt mich das sehr. Denn Ihre Partei ist
es, die jeden Einsatz und jeden militärischen Schutz, den
wir bieten wollen, um Flüchtlingen Schutz vor Mord,
Vergewaltigung und zum Teil vor Abschlachtung zu geben, ablehnt, selbst dann, wenn es darum geht, UNFlüchtlingslager in Afrika zu schützen. Sie sehen zu, wie
in Afrika Menschen von marodierenden Banden hingemetzelt werden, weshalb die Menschen natürlich flüchten müssen. Dann werfen Sie uns vor, dass wir gegen das
Flüchtlingsdrama nichts tun. Das ist wirklich zynisch,
Herr Aydin.
({0})
Sie sollten einmal für den Schutz dieser Menschen in
Afrika sorgen.
({1})
Zur Erwiderung Herr Kollege Aydin.
Lieber Kollege Sascha Raabe, Sie sollten zur Kenntnis genommen haben, dass meine Fraktion Militäreinsätze zur Eindämmung von Fluchtbewegungen nicht als
das geeignete Mittel ansieht. Das haben wir immer gesagt. Ich glaube auch nicht, dass wir selbst mit Militäreinsätzen in Darfur, im Südsudan oder im Kongo die
Flüchtlingsströme an den Grenzen Europas aufgehalten
hätten. Was mir in Ihrem Antrag vor allem fehlt, ist, Kollege Raabe - das erwarte ich zumindest von der sozialdemokratischen Fraktion -, dass Sie die offizielle, legale
Einwanderung in die Europäische Union zum Gegenstand Ihrer Regierungspolitik machen, damit die Menschen nicht auf hoher See ertrinken. Das wäre Ihre Aufgabe.
({0})
Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf
die Responsibility to protect werde ich noch zu sprechen
kommen, aber zunächst zum Koalitionsantrag.
Die Koalition hat einen Antrag zur Afrikapolitik vorgelegt, der viele Wahrheiten enthält. Auch ich als Oppositionspolitiker kann dort kaum ein Haar in der Suppe
finden.
({0})
Trotzdem reicht es für uns nicht zur Zustimmung.
({1})
Wir werden uns der Stimme enthalten, und zwar aus folgendem Grunde: Trotz der Vielzahl von 32 Spiegelstrichen und Einzelforderungen fehlt Entscheidendes.
Sie drücken sich vor einigen unbequemen Themen, und
das sind gerade die Themen, bei denen Kurskorrekturen
dringend erforderlich sind.
Erstens der Agrarbereich. Zumindest die hauseigene
Evaluierungsabteilung der Weltbank hat gestern vorgemacht, dass es möglich ist, aus Fehlern zu lernen und
eine Kurskorrektur zumindest zu beschreiben. Das, was
die Weltbank in den letzten 20 oder 25 Jahren auf dem
Agrarsektor in Afrika gemacht hat, ist - das sagt die eigene Selbstkontrolle - unter dem Strich betrachtet an der
Hauptzielgruppe, an den Ärmsten der Armen und an den
Hungernden, völlig vorbeigegangen. Daraus folgert die
Evaluierungsabteilung, dass künftig nicht mehr das
Agrobusiness, also die Konzentration auf Großplantagen
für das Exportgeschäft, im Mittelpunkt der Entwicklungszusammenarbeit stehen sollte, sondern endlich die
gezielte Förderung von Kleinbauern. Denn gerade die
Kleinbauern, die nachhaltig heimische Produkte für regionale und lokale Märkte anbauen, sind das Rückgrat
der Ernährungssicherheit.
({2})
Ich werde nicht müde, hier in jeder Debatte zu betonen, dass trotz aller Erfolgsmeldungen, trotz guter
Wachstumsraten die Zahl der Hungernden in vielen
Staaten Subsahara-Afrikas parallel dazu ansteigt. Das
zeigt, dass Afrika nicht auf dem richtigen Weg ist.
Die deutsche und die europäische Entwicklungszusammenarbeit haben auf dem Agrarsektor die gleichen
Fehler gemacht wie die Weltbank. Die Weltbank hat
diese Fehler jetzt zumindest erkannt. Diese kritische
Selbsterkenntnis und eine Kurskorrektur stehen bei der
Bundesregierung und der Europäischen Union noch aus.
({3})
Zweitens. Das Kohärenzproblem, das insbesondere
die Europäische Union hat, wird im Koalitionsantrag
kleinlaut in einem Spiegelstrichlein angedeutet, wenn es
heißt, es sei ein Problem, dass die Küsten vor Ghana und
Mauretanien überfischt seien. Da hätten Sie sich ein Beispiel an unserem Bundespräsidenten nehmen können,
der dieses Problem sehr viel deutlicher und mutiger an13366
gesprochen hat. Er hat sogar von Schandverträgen gesprochen, die den Staaten Afrikas aufgezwungen wurden.
({4})
Er hat die doppelten Standards verurteilt. Die Verträge,
die dort abgeschlossen werden, dienen nicht einer nachhaltigen Entwicklung, sondern Partikularinteressen, vielleicht einigen korrupten Ministerialbeamten in Afrika
und einigen Fischereiunternehmen, überwiegend aus den
Niederlanden.
({5})
Das, was die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union und der Bundesregierung gutgemeint
aufgebaut hat, wird durch andere Politikbereiche der Europäischen Union - die Handelspolitik, die Agrarpolitik wieder zerstört. Wir erwarten, dass bei der Gipfelkonferenz, die jetzt in Lissabon stattfinden wird, diese furchtbaren Widersprüche klar, mutig und frei angesprochen
und diskutiert werden.
Das Gleiche gilt für das Thema Menschenrechte. Wir
halten nichts von dem britischen Vorschlag, den ganzen
Gipfel platzen zu lassen, wenn der grausame Diktator
Robert Mugabe am Tisch Platz nimmt. Es wäre aber genauso fatal, Mugabe kommen zu lassen und dann so zu
tun, als sei in Simbabwe nichts geschehen.
({6})
Es ist absolut notwendig - das erwarten wir von der
Bundesregierung -, die Menschenrechtsverletzungen in
Simbabwe klar auf die Tagesordnung zu bringen,
({7})
genauso wie die Menschenrechtsverletzungen in Darfur
und im Kongo; der Kollege Fischer ist darauf eingegangen.
Die internationale Gemeinschaft hat durch die Responsibility to protect einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Nicht die Einmischung in die inneren Angelegenheiten, nicht die Souveränität ist das oberste Gut,
sondern dort, wo Menschen wirklich an Leib und Leben
bedroht werden, wo ihnen ihre Existenzgrundlage entzogen wird, hat die internationale Gemeinschaft die
Pflicht, einzugreifen, zu intervenieren, den Bedrängten
und Notleidenden beizustehen. Doch diese Erkenntnis
ist noch nicht überall angekommen. Das Engagement
der internationalen Gemeinschaft muss immer wieder
neu betont und verteidigt werden gegenüber ganz unterschiedlichen Interessen aus ganz unterschiedlichen
Lagern, gegenüber Wirtschaftsinteressen von großen
Unternehmen, aber auch gegenüber ehemaligen Freiheitskämpfern, die als Befreiungskämpfer gestartet sind
und jetzt als grausame Despoten ihr Dasein fristen.
Wir müssen wirklich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir müssen Kurskorrekturen klar benennen,
unabhängig von Ideologien und Positionen, die wir früher eingenommen haben; denn nur wenn die Wahrheit
auf den Tisch kommt, ist eine Kurskorrektur möglich.
({8})
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
rate sehr dazu, diese Debatte auf ihren vernünftigen
Kern zurückzuführen und nicht beispielsweise das
Schicksal der Flüchtlinge zu instrumentalisieren. Darum
würde ich herzlich bitten. Die Lissaboner Gipfelkonferenz wird dann Sinn machen, wenn die Fragen, mit
denen auch Europa im Südosten und im Süden dieses
Kontinents konfrontiert wird, vernünftig beantwortet
werden.
In erster Linie leiden die Menschen, die versuchen,
aus Mauretanien mit Booten zu den Kanarischen Inseln
oder von der Nordküste Afrikas nach Malta oder Spanien zu kommen. Ich fände es sehr gut, wenn die Europäische Union nicht versuchen würde, diese Ströme so
zu interpretieren, dass es darum ginge, eine Festung
Europa aufzubauen. Ich fände es gut, wenn die Europäer
verstehen würden, dass das ein Alarmzeichen dafür ist,
dass es auf dem afrikanischen Kontinent Probleme gibt,
die Afrikaner und Europäer nur gemeinsam lösen können.
Wenn wir diese Aufgabe als eine gemeinsame interpretieren, dann, so glaube ich, wird es möglich sein, die
positiven Prozesse, die es in Afrika auch gibt, zu verstärken und zu beschleunigen. Dann können wir mit dafür
sorgen, dass die Menschen aus dem Kongo, aus Failing
States nicht flüchten müssen, sondern eine Chance sehen, in ihren Nationalstaaten zu bleiben, ihr Schicksal in
die Hand zu nehmen und das eigene Leben vernünftig zu
gestalten. Das ist Aufgabe der Partnerschaft zwischen
Europa und Afrika. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundeskanzlerin und Frau Wieczorek-Zeul das Problem so
deuten und den Gipfel in Lissabon zum Erfolg führen
werden.
({0})
Herr Kollege Weisskirchen, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kerstin Müller?
Bitte schön.
Herr Kollege Weisskirchen, ich bin Ihrer Meinung,
dass es notwendig ist, die Fluchtursachen zu bekämpfen,
damit die Menschen künftig in ihren Ländern bleiben
können. Ich möchte noch einmal auf das von Herrn
Hoppe angesprochene Thema Simbabwe zu sprechen
kommen und eine ganz konkrete Frage stellen. Die BunKerstin Müller ({0})
desregierung hat die Absicht, auch dann an dem Gipfel
teilzunehmen, wenn Mugabe kommt. Ich frage Sie: Wie
wird die Bundesregierung Sorge dafür tragen, dass die
Situation in Simbabwe offensiv Thema des Gipfels wird
und man nicht einfach „business as usual“ betreibt?
Frau Müller, ich kann dem, was Sie damit zum Ausdruck bringen, nur zustimmen. Ich hoffe sehr, dass die
Bundeskanzlerin oder wer auch immer von der Bundesregierung an dem Gipfel in Lissabon teilnehmen wird,
sehr klar sagt, dass das, was in Simbabwe vor sich geht
und das Verhalten von Mugabe von uns nicht hingenommen werden können.
({0})
Die Europäische Union muss klar und deutlich sagen:
Wenn du, Mugabe, diese Form der Diktatur fortsetzt,
dann kannst du mit uns nicht rechnen. Wir Europäer verurteilen das, was dort vor sich geht. Wir unterstützen
alle, besonders die demokratische Opposition, die in diesem Land versuchen, einen Weg in die Zukunft zu finden,
Frau Kollegin Müller, ich bin sicher, dass die Bundeskanzlerin dieses Thema aufgreifen wird. Ich würde es
für fatal halten, wenn die Frau Bundeskanzlerin die
Menschenrechte anderswo auf der Erde in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellt - mit Recht -, aber gerade an diesem Punkt sagen würde: Mugabe, du bist
herzlich willkommen. Das darf nicht sein.
({1})
An dieser Stelle möchte ich noch etwas hinzufügen:
Herr Kollege Hoppe, Sie haben mit Recht den Bericht
der World Bank erwähnt. Wenn Sie in den Bericht
schauen, werden Sie feststellen, dass die ökonomische
Entwicklung in Afrika sehr differenziert beurteilt werden muss. Es gibt eine positive Entwicklung. Nicht allein in den Ländern Afrikas, die über große Bodenschätze verfügen, hat sich das Wirtschaftswachstum im
Laufe einer Dekade um jährlich mehr als 5 Prozent erhöht, sondern auch in den Ländern, die über gar keine
Bodenschätze verfügen. Ich finde, das ist ermutigend.
Das zeigt, dass kleine Unternehmen und Bauern auch
durch die Mittel, die wir im Rahmen der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit zur Verfügung stellen, die Möglichkeit
erhalten, die Entwicklung in ihrer schwierigen Region
positiv zu beeinflussen und sich durchzusetzen.
Ich würde mir sehr wünschen, Frau Kollegin
Kortmann, dass es zuletzt gelingt, das, was am Ende dieses Jahres als Gefahr droht, nämlich dass wir unsere
Märkte nicht öffnen gegenüber den Kleinbauern, gegenüber denjenigen, die Handel treiben, gegenüber denjenigen, die den Marktzugang nach Europa suchen, über das
Landwirtschaftsministerium oder über das Wirtschaftsministerium zu verhindern. Wenn es nötig ist, muss eben
die Frist noch einmal verlängert werden, in das Jahr
2008 hinein.
Ich würde mir weiter wünschen, dass eine solche Verlängerung dann auch eine Entsprechung in den Ländern
Afrikas selbst findet. Dort muss für eine Anpassung gesorgt werden, sodass die Länder eine bessere Chance haben, ihre Produkte auf unseren Märkten zu verkaufen.
Der entscheidende Schlüssel ist - da gebe ich Ihnen
recht -: dass sie ihre Produkte auf unseren Märkten verkaufen können. Das ist ein Ansporn dafür, dass sie eigene ökonomische Entwicklungen in ihren Ländern vorantreiben. Das wünsche ich mir sehr.
({2})
Herr Kollege Weisskirchen, ich darf Sie noch einmal
unterbrechen. Der Kollege Hoppe würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Kollege Hoppe.
Ich stimme Ihren Forderungen bezüglich des Marktzugangs zu. Es gibt aber ein Phänomen, das im neuen
Evaluierungsbericht der Weltbankabteilung beschrieben
wurde - es ist nicht der gesamte Bericht -: In mehreren
afrikanischen Staaten sind einerseits erfreuliche Raten
beim Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, andererseits
gibt es eine Gruppe von verletzlichen und hungernden
Menschen; die Zahl der Hungernden ist ebenso angestiegen.
Leider!
Teilweise werden aufgrund von wirtschaftlichen Aktivitäten im Goldbergbau sogar Flüsse vergiftet, und Menschen, die vorher von der Subsistenzlandwirtschaft oder
von der Fischerei gelebt haben und statistisch bettelarm
waren, sich aber selbst ernähren konnten, haben diese
Möglichkeiten nicht mehr.
Das war der Kern meiner Botschaft: Es gibt Bevölkerungsgruppen in vielen afrikanischen Ländern, die vom
Fortschritt abgekoppelt werden und denen es aufgrund
wirtschaftlicher Aktivitäten einiger Firmen sogar
schlechter geht als vorher. Das war das Problem.
Ich stimme Ihnen zu, gerade auch was den Anteil der
wachsenden Probleme betrifft. Ich will das, was Sie sagen, lieber Herr Kollege Hoppe, nicht verharmlosen: Es
ist virulent, und es ist dramatisch, was sich dort abzeichnet. Aber es ist auch ein Hinweis darauf, dass innerhalb
Afrikas die ökonomische Entwicklung mit sozialen
Polarisierungsprozessen einhergeht.
Wir reden doch jetzt schon von African Ownership,
von der Verantwortungsübernahme durch die Afrikaner
selbst. Deshalb gibt es eine gute Chance, diesen Proble13368
Gert Weisskirchen ({0})
men in den Ländern zu begegnen, indem Good Governance, also gute Regierungsführung, stärker vorangebracht wird und sich zivilgesellschaftliche Gruppen zum
Aufbau der Demokratien ausprägen. Dann kann es gelingen, über die Zeit hinweg die dramatischen Probleme,
die Sie hier mit Recht beschrieben haben, positiv aufzunehmen und ins Gute zu wenden. Der afrikanische Kontinent hat es verdient, dass wir ihm bei diesem schwierigen Entwicklungsprozess helfend zur Seite stehen.
Lissabon kann ein gutes Signal dafür werden.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Holger Haibach von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht besonders wahrscheinlich, dass allzu viele Menschen in
Afrika diese Debatte verfolgen. Nachdem ich mir den
Beitrag des Kollegen Aydin angehört habe, ist das - um
es vorweg ganz deutlich zu sagen - auch gut so.
({0})
Man muss sich entlang seines Beitrags einmal anschauen, wie deutsche Entwicklungszusammenarbeit,
deutsche wirtschaftliche Zusammenarbeit funktioniert
und wie sie mit der Außen- und Menschenrechtspolitik
ineinandergreift. Da wird von dieser Koalition und von
der Bundesregierung, wie ich finde, eine zunehmend kohärente Politik betrieben.
({1})
Das muss auch unser Anspruch sein.
Der Kollege Fischer hat zu Recht gesagt: Es gibt
Schatten, aber es gibt auch Licht. - Ich finde es richtig,
bei einer solchen Debatte auch einmal über Licht zu reden.
({2})
Sie haben uns vorgeworfen, wir würden zu wenig tun,
wenn es um den Zugang zu Bildung und Wasser geht. Zu
den Punkten Bildung und Wasser können Sie als dritten
Punkt noch angemessenen Wohnraum hinzunehmen. Sie
sind auch stellvertretendes Mitglied im Menschenrechtsausschuss. Ich empfehle Ihnen, ab und zu einmal zu dessen Sitzungen zu kommen.
({3})
Dann könnten Sie wissen, dass es im Wesentlichen diese
Bundesregierung gewesen ist, die bei den letzten Sitzungen der alten Menschenrechtskommission und bei den
Sitzungen des Menschenrechtsrates daran beteiligt war,
genau diese drei Themen in Form von Resolutionen immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, dass sie mit
dafür gesorgt hat, dass dies internationale Standards werden.
({4})
Der zweite Punkt betrifft die Frage: Was tun wir zur
Bekämpfung von Krankheiten? Was tun bei den Medikamentenpreisen? Ich weise nur einmal darauf hin, dass es
auf diesem Gebiet sehr viel freiwillige Zusammenarbeit
- freiwillige Zusammenarbeit ist mir an dieser Stelle sogar lieber - mit hier in Deutschland bestehenden Firmen
gibt. Ich denke zum Beispiel an die Firma Boehringer
Ingelheim, die Aidsmedikamente in Afrika sehr kostengünstig auf den Markt bringt. Ich könnte viele andere
Firmen nennen. Auf jeden Fall halte ich den Vorwurf an
dieser Stelle in seiner Pauschalität für nicht richtig.
Dritter Punkt: Sie haben gesagt, Deutschland tut,
wenn es um die Frage von Gewalt geht, zu wenig. Es ist
schon vom Kollegen Raabe darauf hingewiesen worden,
dass es durchaus ein gewisser Gegensatz ist, auf der einen Seite zu sagen, wir beteiligen uns an keiner Stelle an
friedenssichernden Maßnahmen, und auf der anderen
Seite den Vorwurf zu erheben, die Regierung tut zu wenig gegen Gewalt. Das ist Double Standard und in einer
solchen Debatte auf jeden Fall nicht angebracht.
({5})
Wer bei der Anhörung im Menschenrechtsausschuss
war - ich glaube, Frau Schuler-Dschryver war auch im
Entwicklungshilfeausschuss - und gehört hat, welch
schreckliche Dinge im Kongo geschehen, der muss betroffen sein und auch erkennen, dass wir vor der Notwendigkeit stehen, dort weiter tätig zu sein. Aber er
muss auch anerkennen, dass es die GTZ ist, die im Wesentlichen dort die Arbeit macht, und dass die Situation
besser wäre, wenn es mehr solche Organisationen und
mehr Länder wie Deutschland gäbe. Auch da hat
Deutschland meiner Auffassung nach eine Vorreiterrolle,
und auch das könnten Sie ruhig anerkennen.
({6})
Über Ihre - ist es postkommunistische? - Rhetorik
zum Thema „Würgegriff des IWF und der Weltbank“
will ich mich hier nicht weiter verbreiten.
({7})
Nur noch eine Bemerkung zur Problematik der Einwanderung und zu den Menschen, die an den Grenzen
der Europäischen Union nach Europa drängen: Jawohl,
das ist ein ganz großes Problem, eines, dem wir uns verantwortlich stellen müssen. Aber was ist denn die beste
Lösung? Die beste Lösung kann nur sein, dass wir die
Bedingungen der Menschen vor Ort so verbessern, dass
es für sie nicht die Notwendigkeit gibt, nach Europa zu
gehen, weil die Bedingungen bei uns wesentlich besser
sind. Das muss doch unsere Aufgabe sein. Das ist Entwicklungshilfe auf gleicher Augenhöhe.
({8})
Das Verteilen von Wohltaten hier und da, wenn der gute
weise Buana irgendwann vorbeikommt, kann dagegen
nicht die richtige Art und Weise sein.
Zu dem, was Herr Kollege Hoppe in einer meines Erachtens sehr vernünftigen Art und Weise gesagt hat, will
ich noch das eine oder andere anmerken. Sie haben beklagt, dass wir uns in dem Antrag, den die Koalition vorgelegt hat, zu drei Themen nicht hinreichend geäußert
hätten, nämlich zu WTO, Überfischung und Umwelt. Ich
darf Sie nur auf die Absätze 10 und 16 des Antrages hinweisen. Das ist bei uns Thema gewesen. Nun kann man
über die Gewichtung diskutieren, aber es ist jedenfalls
ein Thema.
Frau Müller, wenn Sie die Bundeskanzlerin auffordern, bei dem Afrika-Gipfel, wenn Herr Mugabe auftaucht, deutliche Worte zu finden, dann bin ich bei Ihnen; das will ich auf jeden Fall sagen. Aber ich denke,
die Bundeskanzlerin hat bei ihrer Reise und bei ihren
Gesprächen mit der Afrikanischen Union mehr als einmal deutlich gemacht, dass es nicht darum geht, Herrn
Mugabe einzuladen, um ihm einen Persilschein auszustellen, sondern darum, ihn einzuladen, um ihn nicht aus
der Verantwortung zu lassen und ihn auf dem AfrikaGipfel zu stellen. Das ist an dieser Stelle auch unsere
Aufgabe.
({9})
Das Wahrnehmen von Verantwortung ist keine Sache,
die nur auf einer Seite geschieht. Afrika und die Afrikanische Union haben eine Verantwortung, und wir sind
dafür aufgefordert, diese Verantwortung zu stärken und
die Menschen dort in die Lage zu versetzen, ihr Leben
selbst zu bestimmen, ihre Staatlichkeit selber zu führen,
damit der afrikanische Kontinent ein Hort von wirtschaftlicher Prosperität, von Menschenrechten, von Demokratie und von Rechtsstaatlichkeit wird.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD mit dem Titel „Für eine intensive wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit
dem afrikanischen Kontinent auf Augenhöhe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6800, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5257 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem
Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Neue Strategien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
mit Afrika erarbeiten und durchsetzen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7153, den Antrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 16/5243 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion
angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Marieluise Beck ({0}), Volker Beck ({1}),
Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Aktuelle Entwicklungen in Russland und ihre
Auswirkung auf die Beziehungen zwischen der
EU und Russland
- Drucksachen 16/4932, 16/6241 Es liegen zwei Entschließungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Antwort der Regierung auf unsere Große Anfrage ist
schwammig, und der Beobachter kann daraus schließen,
was auch die Spatzen von den Dächern pfeifen: Diese
Regierung ist eben in sich widersprüchlich und hat keine
wirklich gemeinsame Haltung in Bezug auf Russland.
Dann kann man natürlich auch keine stringente Politik
entwickeln.
({0})
Man kann grosso modo feststellen, dass, was die innenpolitische Entwicklung in Russland anbelangt, die
Antwort der Bundesregierung sehr wohl kritisch ausfällt
und dabei, was wichtig ist, die OSZE eindeutig gestärkt
und gegen die Angriffe verteidigt wird, die insbesondere
aus Russland kommen. Aber wirklich klar zu benennen,
was für eine Entwicklung sich derzeit in Russland abspielt, davor drückt sich die Regierung. Wenn wir uns
anschauen, was sich gerade jetzt im Vorfeld der Wahlen
abspielt, welche Tendenzen sich zeigen, dann muss man
Marieluise Beck ({1})
sagen: Die Demokratie bleibt in Russland zunehmend
auf der Strecke.
({2})
Gänzlich zurückgenommen bei ihrer Beantwortung
ist die Regierung beim ganzen Komplex Energie- und
Umweltpolitik. Dabei stehen wir vor ganz wichtigen
Entscheidungen. Wie soll eine Energiepartnerschaft mit
Russland aussehen? Weitgehend keine Vorstellungen.
Wie soll der Investitionszugang geregelt werden? Auch
da hält sich die Bundesregierung bedeckt. Vor allen Din-
gen: Wie kann eine gemeinsame europäische Energie-
politik umgesetzt werden?
Die Bundesregierung bezeichnet Russland weiterhin
als „strategischen Partner“ und verdeckt damit, dass sie
Russland zu einem Partner erklärt, ein Land, das offen-
sichtlich viele unserer Werte verletzt und nicht teilt. Wir
sind nach wie vor der Meinung, dass die Regierung rich-
tiger beraten wäre, zu sagen: Die strategische Partner-
schaft ist ein Ziel, aber derzeit ist sie keine Realität.
Wir stehen in Russland kurz vor Wahlen. Die Nach-
richten, die zu uns dringen, und die Entwicklungen sind
ausgesprochen besorgniserregend. Unter Putin hat die
Justiz zunehmend an Unabhängigkeit verloren. Am al-
lerdeutlichsten wird das bei der Behandlung des Falles
Chodorkowski. Die Zivilgesellschaft ist durch das NGO-
Gesetz stark eingeschränkt worden, und zwar vor allen
Dingen durch die Vorfeldwirkung dieses Gesetzes. Es
gibt kaum mehr eine unabhängige Berichterstattung in
den Medien, vor allen Dingen nicht in den Telemedien.
Die Einschüchterung von Journalisten - sie gipfelte im
Mord an vielen Journalisten - haben wir alle verfolgt.
Oppositionelle Parteien werden a) kaum zugelassen
und b) dort, wo sie noch zugelassen sind, massiv behindert. Ein Höhepunkt dieser Entwicklung ist, dass von
Mitgliedern der Partei Union der rechten Kräfte vor kurzem 14 Millionen Broschüren unter dem Vorwand eingesammelt worden sind, dieses Material müsse staatsanwaltschaftlich dahin gehend überprüft werden, ob es
Verunglimpfungen der Politik oder des Kremls enthalte.
Hinzu kommt die massive Einschränkung der OSZE.
Wir haben darüber gestern Abend gesprochen. Soeben
lief über den Ticker, dass sich die OSZE unter den von
der russischen Regierung gesetzten Bedingungen - sie
gestatten keine wirkliche Wahlbeobachtung mehr - entschieden hat, auf die Entsendung von Wahlbeobachtern
zu verzichten. Ich halte das für eine richtige Entscheidung; denn sonst würde die OSZE zum Feigenblatt.
Die russische Außenpolitik ist ein Spiegel der innenpolitischen Entwicklung. Der Kreml ist offensichtlich
bereit, für die Durchsetzung der Interessen nach innen
manche außenpolitische Krise anzuheizen. Das gilt einmal für das Kosovo - Russland ist aus der gemeinsamen
Linie der Kontaktgruppe ausgeschieden -, und das gilt
auch für das iranische Atomprogramm. Putins Einladung
an den Präsidenten Ahmadinedschad hat diesen wieder
ein Stück weit hoffähig gemacht. Das ist eine sehr prekäre Strategie.
Das jüngste Beispiel ist das skandalöse Vorgehen gegen die Lufthansa in Bezug auf die Überflugrechte. Da
ist massiv Vertrauen zerstört worden, was jeder Investor,
der nach Russland geht, natürlich sehr genau mitbekommt, sodass er sich fragen muss: Wie verlässlich ist
der Handelspartner Russland, wenn so agiert wird, wie
es bezüglich der Lufthansa geschehen ist? Hinzu kommt,
dass sich die Bundesregierung - nach einem Anruf aus
Rheinland-Pfalz, wie wir lernen konnten - weggeduckt
hat. Es zeigt sich, wie widersprüchlich die russische Politik ist.
Unter dem Strich ist festzustellen, dass nur ein gemeinsames Auftreten der EU gegenüber Russland - wir
brauchen es, auch zur Lösung außenpolitischer Fragen
und Krisen - Erfolg haben kann. Dort liegt der Schlüssel. Deswegen muss jedem „divide et impera“, das von
russischer Seite versucht wird, mit einer ganz großen
Geschlossenheit begegnet werden. Wie das gehen soll,
wenn nicht einmal zwischen dem Auswärtigen Amt und
dem Kanzleramt Geschlossenheit besteht, ist allerdings
die Frage. Deshalb bleibt unsere Forderung: Wir brauchen in diesem wichtigen Bereich der Außenpolitik eine
feste Haltung, die in eine wirklich kohärente Strategie
der EU eingebettet ist. Sonst wird uns dieser Partner immer weiter entgleiten und sich immer weiter in Richtung
eines autoritären Regimes entfernen.
Schönen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Grund
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wer in den letzten Tagen und Wochen Gesprächspartner aus Russland zu Besuch gehabt hat oder an
Diskussionen mit russischen Gesprächspartnern teilgenommen hat - ob es Regierungsmitglieder, Abgeordnete
der Staatsduma oder Politologen gewesen sind -, wird
festgestellt haben: Die Russen sind als Gesprächspartner
im Moment „auf Krawall gebürstet“. Sie werfen uns vor:
Ihr wollt uns nicht verstehen; ihr redet uns schlecht; ihr
wollt uns unseren guten Präsidenten kaputtmachen; ihr
wollt nicht, dass Russland zu seiner alten Stärke zurückfindet.
Das Problem ist nicht, dass Russland zu einer bestimmten Stärke findet, dass es ein in jeder Hinsicht auf
gleicher Augenhöhe handelnder Partner wird. Was uns
wirklich irritiert, liebe Marieluise Beck, sind die Widersprüche in der aktuellen russischen Entwicklung, in der
russischen Innen- und Außenpolitik. Widersprüche gibt
es weniger aufseiten der Bundesregierung als vielmehr
auf russischer Seite. Nicht jedem Haken, der dort geschlagen wird, kann die deutsche Außenpolitik in dem
Maße folgen, dass sie tatsächlich immer sofort eine Antwort geben kann.
Widersprüchlich ist, dass uns gesagt wird: Präsident
Putin ist Hüter der Verfassung. Er wird die Verfassung
nicht manipulieren, nicht brechen, er wird sich nicht
noch einmal zur Präsidentschaftswahl stellen, aber er
wird an der Spitze der Partei „Einiges Russland“, deren
Mitglied er nicht ist, kandidieren. Kremlastrologen sagen uns: Er wird dann versuchen, eine Stellung einzunehmen, die ihn, obwohl es nicht in der Verfassung steht,
über das Amt des Präsidenten erhebt. Danach wird er
eine bestimmende Rolle in der Innenpolitik und der Außenpolitik Russlands einnehmen.
Dazu kommt, dass wir es mit einer inszenierten russischen Gesellschaft zu tun haben. Inszeniert ist sowohl
die Regierungspartei - sie ist eine Retortenpartei, eine
künstliche Partei, eine Kremlpartei - als auch die zweite
Partei, die vom Kreml ins Leben gerufen wurde, um
quasi ein Gegengewicht oder ein Feigenblatt zu bilden.
Es ist eine inszenierte Gesellschaft. Die einen tun so, als
würden sie demokratische Politik betreiben, die anderen
tun so, als wären sie demokratisch legitimierte Gesellschaft. Das ist eine Tradition, die bis zu Katharina II. zurückreicht; insgesamt ist das also nicht allzu neu.
Es gibt eine Jugendorganisation, die sich „Die Unsrigen“ - im Russischen: Naschi - nennt. Diese Jugendorganisation mit durchaus militanten Anklängen ist sich
nicht zu schade, die eine oder andere Veranstaltung von
Regimekritikern zu stören.
Das sind die Widersprüche in der Innenpolitik.
Es gibt auch Widersprüche in vielen Bereichen der
Außenpolitik. Präsident Putin war vor wenigen Wochen
in Teheran und hat dort am Rande einer Konferenz der
Anrainer dieser Region umfangreiche Vereinbarungen
mit dem iranischen Präsidenten getroffen, unter anderem
dahin gehend, dass das Atomkraftwerk Busher mit russischer Hilfe und Unterstützung weitergebaut bzw. fertiggestellt wird. Es gibt Verträge über die Lieferung von bis
zu 50 Kampfflugzeugen MiG-29 an den Iran und einen
Vertrag über ein gemeinsames Projekt raumfahrttauglicher Raketen. Es ist eine Horrorvorstellung, dass der
Iran von Ahmadinedschad mit der Perspektive auf
Atomwaffen dann über raumfahrttaugliche Interkontinentalraketen verfügt und es damit genau zu der Bedrohung kommt, für die der amerikanische Schutzschirm
gedacht ist, über den hier so viel diskutiert wird. Das ist
der erste Widerspruch.
Zweiter Widerspruch in der Außenpolitik: Russland
versucht, die Region Iran-Mittel-/Zentralasien einzubinden, und zwar ausschließlich im russischen Interesse. Es
geht hier um Öl, Gas und letztendlich um die Verfügungsgewalt über diese Ressourcen. Es geht Russland
darum, dass es turkmenisches Gas nach wie vor durch
seine Pipelines in Richtung Osteuropa, in Richtung
Ukraine, Belarus, Moldau leiten und es zu einem Vielfachen des Aufkaufpreises verkaufen kann, weil Turkmenistan nicht über eigene Pipelines verfügt. Es geht darum, kasachisches Öl und Erdgas genauso, also
ausschließlich über russische Pipelines, in Richtung Europa zu transportieren. Deshalb gab es auch viele Versuche Russlands, den Bau einer Pipeline, die den Namen
Nabucco tragen soll, zu verhindern, die Gas an der russischen Einflusssphäre vorbei in Richtung Europa transportieren und damit einen Teil der Unabhängigkeit, die
wir brauchen, um nicht gänzlich von Russland energiepolitisch an die Kette gelegt zu werden, schaffen soll.
Interessanterweise ist es Aserbaidschan und Georgien
vor drei Jahren gelungen, sich mit einer Ölpipeline, die
von Baku über Tiflis nach Ceyhan in der Türkei reicht,
aus der Ölabhängigkeit von Russland herauszuarbeiten.
Nun gibt es viele Versuche Russlands, eigenständige
Pipelines zu verhindern, sowohl in dieser Region als
auch bis hin zu Europa, um die Vormachtstellung, die es
hat, zu zementieren. Die Vormachtstellung zementiert
natürlich auch eine Pipeline, die wir als Ostseepipeline
kennen, die Nord-Stream-Pipeline, die die direkte Verbindung der deutschen Energieverbraucher an Russland
gewährleistet, aber - hier nehme ich auf, was Marieluise
Beck gesagt hat - Europa spaltet. In dem Moment, in
dem jeder Abnehmer an einer eigenen Pipeline hängt,
fällt es wesentlich einfacher, den Hahn zuzudrehen,
wenn sich ein Land wie die Ukraine oder möglicherweise auch Polen erdreistet, etwas anderes zu denken
oder zu tun, als in Moskau erwartet wird. Es gibt also
große Probleme in dem Bereich der Energiesicherheit.
Andere Punkte wurden schon angesprochen. Georgien gehört dazu. Es gibt keinen Konflikt, den Georgien
in den letzten 16, 17 Jahren in Ossetien und in Abchasien erlebt hat, wo nicht in irgendeiner Weise Russland die Finger im Spiel hatte. Dasselbe gilt für die
Ukraine und für die Republik Moldau, die zu einem Plan
aus Moskau - das war das sogenannte Kozak-Memorandum - gesagt hat: Wir sind damit nicht einverstanden;
denn wir können nicht ein Fünftel unseres Territoriums
- einen Streifen, der sich Transnistrien nennt - auf Dauer
unter russischer Hoheit lassen. Es ist ein Teil unseres
Territoriums.
Als Antwort konnten moldauische Waren nicht mehr
nach Russland exportiert werden. Dadurch sind ein Drittel der moldauischen Staatseinnahmen verloren gegangen. Wir können diese Ausfälle nicht ausgleichen. Es ist
ein großes Problem, dass die Transformationsländer, die
sich in Richtung Demokratie und in Richtung Europa bewegen wollen, abgestraft werden können, wir aber kaum
einen Ausgleich für die Sanktionen aus Moskau gewähren können. Dies alles gehört in den Kontext dieser Debatte hinein.
Ich habe nicht - vorhin ist es aber angeklungen - über
die Verletzung der Menschenrechte gesprochen. Die Inhaftierung von Chodorkowski gehört dazu. Andere neureiche Milliardäre, die wesentlich regimefreundlicher
sind, werden an der langen Leine geführt und kaufen in
Großbritannien Fußballvereine auf. Kritische Leute hingegen werden inhaftiert. Wir wissen von Auftragsmorden. Der Mord an der Journalistin Politkowskaja ist uns
allen noch in Erinnerung. All das gehört zu diesem widersprüchlichen Bild, das Russland zurzeit abgibt.
Wir sind gut beraten, erstens alles zu tun, damit wir zu
einem kollektiven Sicherheitssystem mit Russland zurückfinden. Es wird in Europa keine Sicherheit ohne
Russland geben. Das heißt, vertrauensbildende Maßnahmen im politischen Bereich sind von uns vielleicht sogar
als Vorleistungen zu erbringen.
Zweitens. Es gibt keine abgestimmte europäische
Energiepolitik. Daran mangelt es; Frau Kollegin Beck
hat richtigerweise schon darauf hingewiesen. Deswegen
sind wir gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen dringend eine abgestimmte europäische Energiepolitik. Die
Bundesregierung geht auf diesem Weg voran. Wir müssen Russland dazu bringen, zu den Normen zurückzukehren, die im freien Welthandel gelten. Das gilt für die
Energiecharta, die Russland noch zu unterzeichnen hat.
Erst dann besteht für getätigte Investitionen - Gasprom
braucht in den nächsten Jahren 70 Milliarden Dollar an
Investitionen, um neue Öl- und Gasfelder zu erschließen Rechtssicherheit. Ein negatives Beispiel ist das Unternehmen Shell, das auf Sachalin investiert hat und quasi
enteignet worden ist.
Es muss Rechtssicherheit geben. Wir müssen eine gemeinsame und stringente Energiepolitik machen. Dann
können wir versuchen, auf gleicher Augenhöhe mit
Russland ins Gespräch zu kommen. Das ist Teil der
deutschen Regierungspolitik. Wir unterstützen das Handeln der Bundesregierung auf diesem Gebiet.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Beim Tagesordnungspunkt „Aktuelle Entwicklung in Russland“ muss ich eines vorwegschicken:
Nicht alles ist verhandelbar. Menschenrechte, Demokratie, aber auch der Punkt Vertragstreue stehen für uns
nicht zur Disposition.
Wenn wir uns die Äußerungen und das Verhalten von
Putin anschauen, dann können wir den Eindruck gewinnen, er würde fast alles für verhandelbar halten. Denn
seit Monaten wirft er uns immer neue Brocken hin.
Meine Vorredner haben die Punkte bereits angesprochen: KSE, OSZE, Kosovo und - das hat Frau Beck
schon erwähnt - die Luftfrachtverträge.
Ich sehe mit großer Sorge, dass sich Russland seit einigen Jahren in nahezu allen staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen, was die Modernisierung angeht,
rückwärts entwickelt. In dem Entschließungsantrag, den
die Grünen heute vorgelegt haben, sind Beispiele dafür
genannt worden; sie kamen in dieser Debatte auch schon
zur Sprache.
Ich möchte nur ein paar Punkte herausgreifen: Es gibt
erhebliche Behinderungen der Zivilgesellschaft, beispielsweise durch das NGO-Gesetz. Auch die Vertreter
unserer Stiftungen in Moskau, aber auch anderswo in
Russland, haben damit sehr stark zu kämpfen.
({0})
- Ja, sehr richtig, auch die Botschaften. - Bei der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es massive Einschränkungen. Ferner erfolgt - Frau Beck hat das schon
angesprochen - eine direkte oder indirekte Kontrolle eines großen Teils vor allem der elektronischen Medien,
aber auch der Printmedien.
Diese Liste könnte man um aktuelle Geschehnisse erweitern. Wir müssen uns nur die Tickermeldungen zum
Thema OSZE und Russland ansehen. Erst gestern Abend
haben wir darüber debattiert. Frau Beck, Sie haben angesprochen, dass ursprünglich 70 Wahlbeobachter für
95 000 Wahllokale zugelassen werden sollten. Jetzt stellen wir fest, dass es diesen Wahlbeobachtern gar nicht
möglich sein wird, ins Land zu gelangen, weil die russische Regierung die Visa verweigert. Das ist eine sehr
traurige und einmalige Entwicklung im Rahmen der
OSZE. Das muss man hier noch einmal ganz deutlich
kritisieren.
({1})
Die russische Regierung scheint zu vergessen, dass berechenbare und verlässliche Partner gefragt sind, dass Vertrauen eine elementare Größe in der internationalen Politik ist und dass man dieses Vertrauen auch verspielen
kann.
Meine Fraktion - das gilt sicherlich für die Mehrheit
in diesem Haus - steht an der Seite derer, die ein offenes,
verlässliches und freies Russland anstreben, ein Russland, das seiner Verantwortung in der Welt gerecht werden kann. Deswegen sagen wir auch ganz offen, dass wir
uns nicht unter Druck setzen lassen werden, nicht bei
den anstehenden Verhandlungen, aber auch nicht bei den
Grundlagen des Entspannungsprozesses und den Grundlagen von Freiheit und Demokratie.
Wir haben heute zu Recht Kritik an Russland geübt.
Ich möchte aber auch ein klares Fragezeichen hinter die
Politik setzen, die nichts anderes kennt als einen Rückfall in die Mechanismen des Kalten Krieges. Ich habe
leider den Eindruck, dass zum Beispiel die USA immer
noch keinen Ansatz dafür gefunden haben, wie sie jetzt
mit Russland umgehen möchten. Wir dürfen nicht in die
Zeiten der Blockkonfrontation zurückfallen. Dazu
möchte ich zwei Beispiele nennen:
Wir haben 1999 zusammen mit den anderen NATOStaaten den adaptierten KSE-Vertrag unterzeichnet. Ratifiziert haben wir ihn im Gegensatz zu Russland nicht.
({2})
Wir können zu Recht über seine inhaltlichen Details
streiten. Aber das politische Signal, das davon ausgegangen ist, ist auch klar. Das war politisch eindeutig ein
Fehler. Weil wir damit eine politische Front aufmachen,
sollten wir diesen Fehler korrigieren.
Frau Kollegin Schuster, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Grund?
Nein.
Zum Schluss möchte ich noch das leidige Thema der
Raketenstationierung erwähnen. Ich verstehe bis heute
nicht, wie es sein kann, dass man über Europas Sicherheit redet, aber nicht mit Europa darüber redet. Es ist an
der Zeit, dass wir uns nicht als Spielball sehen, sondern
klare Positionen beziehen. Das liegt vor allem auch im
europäischen Interesse. Es gilt, endlich eine europäische
Position zu definieren und diese dann auch gegenüber
der NATO und gegenüber Russland zu vertreten.
Ich freue mich, dass wir diese Debatte heute führen.
Die Entschließungsanträge der Grünen sind insoweit
sehr wichtig. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Gert Weisskirchen von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was ist denn eigentlich unser langfristiges Ziel? Unser
langfristiges Ziel - das hat die Frau Bundeskanzlerin
beim Sankt Petersburger Dialog in Wiesbaden noch einmal unterstrichen - ist eine strategische Partnerschaft
zwischen Deutschland und Russland.
({0})
- Ja, das ist das Ziel.
({1})
Dieses Ziel, liebe Kollegin Beck, hat zum Inhalt, dass
wir natürlich offen über die Probleme debattieren. Im
Rahmen des Sankt Petersburger Dialogs haben wir das
vor wenigen Wochen getan. In unseren Diskussionen
ging es zum Beispiel darum, dass wir die innere Entwicklung Russlands für nicht glücklich halten. Der Mord
an Anna Politkowskaja und andere Ereignisse sind schon
erwähnt worden, zum Beispiel die gesetzliche Einengung der politischen Parteien und die gesetzliche Einengung bzw., wenn man so will, die Bürokratisierung
der Zivilgesellschaft.
Immerhin hat die mutige Frau Pamfilowa deutlich gemacht - wir waren mit dabei, Frau Beck -: Wir werden
uns dieser Aufgabe stellen und, wenn nötig, eine Gesetzesinitiative auf den Weg bringen, damit die Bürokratisierung abgebaut wird. Denn die Zivilgesellschaft - das
ist ihr eigenes Zitat - braucht Luft zum Atmen und die
Freiheit, sich zu entwickeln.
({2})
- Frau Beck, entschuldigen Sie: Auch Sie waren dabei,
als Wladimir Putin in jener Podiumsdiskussion in Wiesbaden gesagt hat: Lasst uns darüber reden. Wo nötig,
muss die Gesetzeslage zugunsten der Nichtregierungsorganisationen geändert werden. - Was ich damit sagen
will, ist nichts anderes als dies: Man könnte die Liste der
Defizite erweitern und das Bild zeichnen, dass die Demokratie in Russland in höchstem Maße gefährdet ist;
das könnte man ohne Probleme so darstellen.
({3})
Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen: Können
wir das Bild, das wir entwerfen, mit dem Ziel der strategischen Partnerschaft in Übereinstimmung bringen? Es
kommt darauf an, dass wir unseren Partnern in Russland
sagen: Haltet euch an die Verpflichtungen bzw. an die
Commitments, die ihr eingegangenen seid, zum Beispiel
an die Übereinkunft des Europarates. Darin heißt es zum
Beispiel: Jetzt wäre es notwendig, das 14. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention umzusetzen.
Herr Kollege Weisskirchen, der Kollege Beck würde
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Darf ich aus diesem Anlass darum bitten, wegen der
fortgeschrittenen Zeit von nun an auf Zwischenfragen
und Kurzinterventionen zu verzichten?
({0})
Bitte schön, Herr Beck.
Herr Kollege Weisskirchen, Sie haben gerade gesagt,
die russische Demokratie sei gefährdet; das hat mich
völlig durcheinander gebracht. Ich glaube, dort gibt es
nichts Demokratisches mehr, was gefährdet werden
könnte. Denn von demokratischen Verhältnissen ist in
Russland nichts übriggeblieben.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie folgende Meinung teilen:
Die Duma ist im Wesentlichen eine vom Kreml organisierte Schau von Demokratie. Das verschärfte Wahlgesetz sieht vor, dass nur die Parteien zur bevorstehenden
Wahl zugelassen werden, die mindestens 50 000 Mit13374
Volker Beck ({0})
glieder haben, und es verlangt, dass jede Partei in jedem
der Föderationssubjekte bestimmte Mindestmitgliedszahlen nachweisen kann; diese Regelung hat zum Verbot
der Republikanischen Partei von Wladimir Ryschkow
geführt.
Darüber hinaus mischt sich der Kreml in die Listenaufstellungen der Parteien „Union Rechter Kräfte“ und
„Jabloko“ ein und verhindert dadurch, dass ein unabhängiger Duma-Abgeordneter einen Listenplatz erhält. Dadurch, dass die Hürde auf 7 Prozent erhöht wurde, ist es
faktisch ausgeschlossen, dass der nächsten Duma eine
demokratische, nicht vom Kreml gesteuerte Partei angehört. Von einer Demokratie nach unserem Verständnis
kann nicht die Rede sein.
Die gelenkte bzw. souveräne Demokratie in Russland,
wie Putin sie selbst bezeichnet hat, verfügt weder über
eine freie Zivilgesellschaft - das sieht man am NGO-Gesetz -, noch finden dort freie und faire demokratische
Wahlen statt. Vor diesem Hintergrund ergibt es auch einen Sinn, dass man versucht, die OSZE-Wahlbeobachter
fernzuhalten. Denn man möchte sich nicht durch internationale Beobachtung einschränken lassen. All das bedeutet, dass der Zugang zu den Wahlen nicht frei ist und
dass der Ablauf der Wahlen nicht fair und demokratisch
sein wird.
Lieber Kollege Beck, von all dem, was Sie gerade gesagt bzw. gefragt haben, greife ich ein einziges Detail
auf. Die Stichworte sind: Jabloko, SPS und Ryschkow.
Ich würde die These formulieren: Wenn es den demokratisch orientierten Parteien wie Jabloko und SPS - das
gilt auch für einen Teil der Republikanischen Partei - gelungen wäre, sich zu einer überzeugenden demokratischen Plattform zusammenzutun, dann wären ebenjene
Demokraten, mit denen wir eng kooperieren und mit denen wir partnerschaftliche Beziehungen pflegen, in der
nächsten Duma; das sagen Ihnen die Kollegen selbst,
wenn Sie sie fragen.
({0})
Nur, Sie wissen genauso wie ich, lieber Kollege Beck
- lassen Sie mich das offen sagen -, dass Russland nur
einen winzigen Moment in der Geschichte - das war in
den wenigen Wochen der Zeit des Übergangs vom Zarenreich zur Revolution - überhaupt die Chance hatte,
eine Demokratie aufzubauen. Das ist doch das Dilemma
der russischen Demokratie. Ich meine, wir sollten bei aller Kritik - was Sie sagen, ist ja berechtigt - die historischen Zusammenhänge erkennen.
Deshalb ist mein Schluss: Wir sollten mit den Partnern, die wir haben, geduldig zusammenarbeiten, damit
die Chance auf eine innere Entwicklung Russlands genutzt wird, damit Russland hoffentlich bald, so schnell
wie möglich, ein demokratisches Land wird, und zwar
so, wie wir Westeuropäer Demokratie verstehen. Das
würde ich mir sehr wünschen. Bitte deshalb nicht allein
und ausschließlich schwarze Gemälde entwerfen - auch
wenn die in vielen Punkten sicherlich ihre Berechtigung
haben -, sondern der russischen Demokratie helfen, das
zu werden, was sie werden will, nämlich eine europäische Demokratie, vergleichbar mit unseren!
({1})
- Ich will das ganz ernsthaft so beschreiben. Wenn Sie
sich nämlich die Umfragen vom Lewada-Institut anschauen, wenn Sie die Böll-Stiftung fragen, wenn Sie die
Kollegen von Memorial fragen, dann werden Sie erkennen, dass die innere Entwicklung Russlands, wie Herr
Kollege Grund richtig gesagt hat, höchst widerspruchsvoll, höchst ambivalent ist. Aber wenn sie widerspruchsvoll ist, dann wäre es doch klug, sich zu überlegen, wo
man an den positiven Elementen dieser Entwicklung anknüpfen kann, sie verstärken kann, damit Russland in
der Tat eine Chance hat - ich wiederhole es -, das zu
werden, was es in sich selber auch werden will: ein europäischer Staat.
({2})
Das ist das, was die Europäer in Russland wollen. Wir
müssen ihnen dabei helfen, dass sie es auch werden; das
ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Lieber Kollege Beck, ich will Ihnen auch sagen: Ich
verstehe ja, dass Sie bei dieser Auseinandersetzung in
Russland besondere Erfahrungen gemacht haben. Doch
wenn Sie diese Form der Kritik fortsetzen, landen Sie relativ schnell bei dem Problem, das Dimitri Simes in
Foreign Affairs in seinem jüngsten Artikel „Losing
Russia“ beschrieben hat: Russland wird verloren gehen.
Er sagt deutlich, warum jetzt die Gefahr besteht, dass
Russland die innere Kohärenz und die inneren Stabilitätsfunktionen verliert, die die Demokratie ausmachen:
weil die USA es in dem Triumphgefühl nach dem Ende
des Kalten Krieges versäumt haben, die inneren demokratischen Strukturen zu unterstützen und den Demokraten zu helfen. Stattdessen ist man Russland mit dem
Gestus gegenübergetreten: Ihr müsst schön das lernen,
was wir für Demokratie halten. - Jeffrey Sachs zum Beispiel hat nichts anderes gemacht, als zu versuchen, den
Neoliberalismus in Russland durchzusetzen.
Das alles sind Faktoren, die herangezogen werden
müssen, um deutlich zu machen: Lasst uns dem, was in
Russland geschieht, mit einer Haltung der Geduld begegnen! Damit meine ich mitnichten eine Haltung des
passiven Entgegennehmens, der Permissivität. Lasst uns
aber alles daran setzen, mitzuhelfen, dass dieses Land,
das größte Land der Erde, kein Petrostaat wird - vor dieser Gefahr steht Russland gegenwärtig -, der vollständig
von den großen Rohstoffreserven - von Öl und von Gas abhängig wird, sondern dass dieses Land auf dem Pfad
der Modernisierung, den es ja bereits beschritten hat, beschleunigt vorankommt.
Dann wird relativ rasch die russische Elite vor der
zentralen und entscheidenden Aufgabe stehen, auch die
Ökonomie zu modernisieren. Wenn Russland Mitglied
der WTO ist, dann wird es dem Wettbewerb ausgesetzt
sein. Russland kann mit seinen Industrien und DienstGert Weisskirchen ({3})
leistern dem rauen Sturm des Weltmarktes nicht standhalten, ohne dass es sich ökonomisch modernisiert, die
Produktivitätsraten vorantreibt und die entsprechende
Infrastruktur bereitstellt: Bildung, Verkehr, Gesundheit,
Rentensysteme. Das alles sind große Reformaufgaben,
die der politischen Elite Russlands bevorstehen.
Man kann solche großen Reformschritte aber nicht
gehen, wenn man Barrieren aufrichtet und das politische
System kanalisiert und einengt, sondern man kann solche großen Reformaufgaben nur bewältigen, wenn die
Demokratie die Chance hat, sich zu entfalten, wenn die
Zivilgesellschaft die Freiheit hat, selbst zu handeln, und
wenn den Menschen in Russland die Chance gegeben
wird, sich an dem Wohlstand und Reichtum zu beteiligen. Das ist die zentrale Aufgabe, vor der die politische
Elite in Russland steht.
Den Russen muss deutlich gemacht werden, dass es
nicht gut wäre, wenn sie aus ihrem Land fliehen und sich
am Mittelmeer oder anderswo, zum Beispiel am Schwarzen Meer, in Zypern,
({4})
in Karlsbad oder auch bei uns in Deutschland, in BadenBaden, wunderbare Häuser kaufen würden. Das alles
sind magische Orte für die russische Intelligenz. Wenn
die russische Elite erkennt, dass sie eine große Reformaufgabe vor sich hat und dass sie sie nur bewältigen
kann, wenn sie mit Verantwortungsbewusstsein an ihre
Aufgabe, die Gestaltung der Zukunft ihres Landes, herangeht, dann wird Demokratie sozusagen die zwangsläufige Folge dieser Entwicklung sein, lieber Kollege
Beck.
Das jetzige politische System der gelenkten Demokratie, die Putin erfunden hat und in der die Menschen
eingegrenzt bzw. eingeschränkt werden, ist nämlich ein
Hemmnis für eine solche positive Entwicklung. Das
können und dürfen wir nicht wollen.
({5})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Schönen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es ist ein Verdienst der Fraktion der Grünen, dass sie die Große Anfrage gestellt und damit auch
eine Debatte hier im Plenum des Bundestages herbeigeführt hat. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass eine
solche Debatte bei vollerem Haus und zu einer günstigeren Zeit stattgefunden hätte, weil die Beziehungen zu
Russland wirklich eines der Grundthemen der deutschen
und der europäischen Außenpolitik sind. Das ist überhaupt keine Frage.
Ich finde, das Ergebnis, das sich in Ihrem Entschließungsantrag niederschlägt, wird diesem Anspruch überhaupt nicht gerecht. Ich gebe zu - das ist auch mein Eindruck -, dass das, was von der Regierung hinsichtlich
der strategischen Partnerschaft immer verbreitet wird, so
etwas wie eine Blackbox ist. Es wird nie inhaltlich beschrieben. Das, was die Grünen in ihrem Entschließungsantrag anbieten, ist aber überhaupt keine Strategie.
Insofern nimmt das eine dem anderen nichts.
Aus meiner Sicht muss man auf einer vernünftigen
Grundlage noch einmal darüber nachdenken, wie eine
außenpolitische Philosophie gegenüber Russland gestaltet werden kann. Ein Ergebnis des neuen Denkens, das ja
auch ein wenig mit einem russischen Politiker zusammenhängt, ist, dass man die Interessen des Partners, des
Kontrahenten oder des Gegners immer in die eigenen
Überlegungen mit einbezieht, sie also nicht nur konträr
betrachtet. Eine der großen Erfahrungen in der Außenpolitik - und nicht nur dort - ist, dass man Demütigungen immer vermeiden muss, egal, ob man sie bewusst
herbeiführt oder ob sie herbeigeführt worden sind. Das
wäre eine außenpolitische Philosophie, über die es sich
nachzudenken lohnte.
Ich sage Ihnen ganz nüchtern: Ohne eine wirkliche
strategische Partnerschaft mit Russland gibt es keine
Europapolitik. Eine Europapolitik ohne Russland ist
nicht denkbar. Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland werden Sie kein außenpolitisches
Problem lösen können. Darauf mussten Sie erst aufmerksam gemacht werden. Ohne eine wirkliche strategische Partnerschaft mit Russland wird es keine stabile
Entwicklung geben, auch keine ökonomische.
Der Ansatzpunkt meiner Überlegungen ist, ob nicht
auf der Basis der OSZE eine Zweitauflage der großen
Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa, auf der man sich durchaus mit den drei Körben
der KSZE befassen könnte, notwendig ist. Ich will Ihnen
ein paar Dinge vorhalten. Entschuldigung, Frau Beck,
wenn ich das so zuspitze, aber der rote Faden, der sich
durch Ihre Vorlagen zieht, ist der erhobene Zeigefinger.
Das finde ich am schlimmsten. Wenn ich über die deutsche Politik gegenüber Russland, Israel und Polen nachdenke, dann werde ich nie die deutsche Vergangenheit
ausblenden.
({0})
Ein erhobener Zeigefinger bringt überhaupt nichts. Aber
genau das tun Sie. Lesen Sie doch einmal Ihren Text!
Ich bitte Sie, unter Berücksichtigung des Selbstverständnisses der russischen Politik darüber nachzudenken, ob das Gefühl der Einkreisung durch die Ausdehnung der NATO an die Grenzen Russlands im Westen
und nun zunehmend auch im Süden - das liegt auf der
Hand; die Avancen der USA an Georgien, Aserbaidschan und Armenien, Mitglied der NATO zu werden,
sind doch bekannt - tatsächlich aus der Luft gegriffen
ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, ob das System
der Raketenabwehr in Polen und Tschechien Europa
nicht erneut spaltet.
({1})
Ich bitte Sie, darüber nachzudenken - das brauchen wir
jetzt nicht auszudiskutieren; Frau Schuster ist darauf bereits ausführlich eingegangen -, ob das Scheitern des
KSE-Vertrages - weil die NATO ihn nicht ratifiziert hat nicht ein solches Gefühl verstärken muss. Ich bitte Sie,
darüber nachzudenken, ob das von Russland artikulierte
ökonomische Interesse daran, dass die neuen Pipelines
nicht an seinen Grenzen vorbeigehen - das nehmen Sie
in der Energiepolitik bei anderen Staaten immer hin -,
nicht berechtigt ist. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken,
ob nicht gerade das Vorgehen in der Kosovo-Politik die
Spaltung in Europa vertieft und ob Russland in dieser
Frage nicht eine vernünftige, weitsichtige Position bezieht. Wenn Sie das alles ausblenden, werden Sie nicht
zu einer strategischen Partnerschaft mit Russland kommen.
Ich will abschließend sagen: Ich bin ein Gegner der
Innenpolitik und der strategischen Orientierung der Politik unter Putin. Das hat mit meinen politischen Vorstellungen überhaupt nichts zu tun. Ich kritisiere die russische Innenpolitik, aber von einem anderen Standpunkt
aus. Ich kritisiere sie, weil sie zu wenig sozial und demokratisch ist. Aber ich nehme immer eine Position der Gemeinsamkeit mit Russland und nicht eine Position des
erhobenen Zeigefingers ein.
Schönen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/7187 soll zur federfüh-
renden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte
und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Aus-
wärtigen Ausschuss, den Innenausschuss und den
Rechtsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlos-
sen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/7186. Wer stimmt dafür? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Frak-
tion Die Linke bei Zustimmung der FDP-Fraktion und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a und 37 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian
Ruck, Dr. Wolf Bauer, Hartwig Fischer ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele
Groneberg, Dr. Sascha Raabe, Dr. Axel Berg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Energie- und Entwicklungspolitik stärker ver-
zahnen - Synergieeffekte für die weltweite
Energie- und Entwicklungsförderung besser
nutzen
- Drucksachen 16/4045, 16/5275 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Ruck
Dr. Karl Addicks
Heike Hänsel
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({2})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian
Ruck, Dr. Wolf Bauer, Klaus Brähmig, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gabriele Groneberg,
Dr. Sascha Raabe, Stephan Hilsberg, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Klimawandel global und effizient eindämmen Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in
Entwicklungsländern entschieden voranbringen
- Drucksachen 16/5740, 16/6962 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christian Ruck
Hellmut Königshaus
Heike Hänsel
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Gabriele Groneberg von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat geht es um zwei Anträge der Koalitionsfraktionen, zum einen um die effizientere Verzahnung von
Energie- und Entwicklungspolitik und zum anderen um
Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern. Beide beinhalten aktuelle Problematiken,
die unweigerlich miteinander zusammenhängen und nur
global lösbar sind. Da es zu beiden Anträgen schon ausführliche Debatten gegeben hat, fasse ich mich kurz was Sie mit Sicherheit freuen wird.
Der erste Antrag zielt darauf ab, die Energiegewinnung mit den Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit zu verknüpfen. Das bedeutet zunächst
einmal, dass Einnahmen aus der Rohstoffgewinnung in
Entwicklungsländern in armutsrelevanten Bereichen wie
Bildung und Gesundheit Verwendung finden. Beispielsweise verfügt Afrika, das über ein Zehntel der weltweit
bekannten Ölreserven beheimatet, über ein enormes
Potenzial. Doch gerade Beispiele wie Angola und Nigeria zeigen, dass Bodenschätze allein nicht ausreichen.
Hier, wie in so vielen anderen Entwicklungsländern
auch, verhindert hauptsächlich Korruption eine breite
wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Autokratische Regierungen und diverse Machtcliquen sind
in der Regel die Profiteure der vorherrschenden intransparenten Strukturen und eben nicht die Bevölkerung.
Deshalb sind wir aufgefordert, mit den rohstofffördernden Staaten bei ihren Bestrebungen nach einem transparenten Abbau ihrer Rohstoffe zusammenzuarbeiten.
Wir fordern daher in unserem Antrag, dass die Initiative EITI, die die Offenlegung der Einnahmen aus der
Rohstoffwirtschaft fordert, um durch Transparenz die
Korruption zu bekämpfen, von uns weiterhin politisch,
organisatorisch und finanziell unterstützt wird.
Angesichts der steigenden Ressourcenknappheit und
des wachsenden Bedarfes, der vor allen Dingen auch die
Entwicklungsländer betreffen wird, ist es an uns, den Industrieländern, den Aufbau nachhaltiger Energiesysteme
sowie die Entwicklung klimafreundlicher Technologien
zu unterstützen. Frau Koczy, tatsächlich fördern wir mit
1,6 Milliarden Euro Projekte im Bereich erneuerbarer
Energien in rund 40 Partnerländern. Damit zählt dieses
Gebiet zu den Schwerpunkten unserer Zusammenarbeit.
Eine effiziente und kostengünstige Energieversorgung, liebe Kolleginnen und Kollegen - darin sind wir
uns sicher einig -, ist als ein weiteres daran gekoppeltes
Ziel gerade für Entwicklungsländer ein vorrangiges Anliegen. Wir wollen damit natürlich vor allem auch das lokale Wirtschaftswachstum unterstützen. In unserem Antrag fordern wir aus diesem Grund, Entwicklungspolitik
als ein eigenständiges, nachhaltiges Element in eine umfassende, langfristig angelegte Energieaußenpolitik einzubeziehen.
Diese Problematik ist noch vor einem ganz anderen
Hintergrund zu sehen, nämlich vor dem Hintergrund des
Klimawandels. Wir haben uns in unserem Antrag mit
den Folgen des Klimawandels in den Entwicklungsländern intensiv auseinandergesetzt. Obwohl sie kaum einen Beitrag dazu geleistet haben, dass sich das Klima
zurzeit so stark wandelt, werden sie massiv von den Folgen betroffen sein. Wir sprechen hier von der besonderen Verwundbarkeit der Entwicklungsländer, zum einen
weil deren Volkswirtschaften und staatliche Institutionen
zumeist fragil sind, und zum anderen, weil die meisten
Ökonomien agrarisch geprägt sind und sich somit Wetterextreme gravierend auswirken können. Auf diese Problematik wird mein Kollege Sascha Raabe nachher intensiver eingehen.
({0})
- Ja, natürlich, wir praktizieren das, von dem wir reden.
Das habe ich vorhin schon einmal erwähnt.
Weiter sprechen wir davon, dass die zunehmende Verknappung von Boden und Trinkwasser auch immer Ursache von politischen Krisen und Konflikten war und ist
und sich dieser Zustand sicherlich weiter verstärken
wird. Aus diesem Grund muss Klima- und Anpassungspolitik auch als Element präventiver Sicherheitspolitik
verstanden werden. Wir fordern in unserem zweiten Antrag deshalb auch, dass wirksame Instrumente zur Finanzierung der enorm hohen Anpassungskosten weiterentwickelt werden. Wir brauchen eine kohärente Strategie,
die unsere umfassenden klima- und entwicklungspolitischen Forderungen bündelt und somit die Wechselwirkungen ausreichend berücksichtigt. Ich erwarte, dass der
Teil der Einnahmen aus dem Emissionshandel, der für
Maßnahmen in Entwicklungs- und Schwellenländern
vorgesehen wird, in absoluter Übereinstimmung mit unserer entwicklungspolitischen Arbeit eingesetzt wird.
({1})
Wir müssen Energiesicherheit und Klimaschutz als
gemeinsame Herausforderung begreifen. Deshalb brauchen wir auf internationaler Ebene wirkungsvolle Instrumentarien und Strategien, wie wir sie in den Anträgen
fordern, die der Komplexität dieser unmittelbar miteinander verknüpften Problematiken unserer Meinung
nach angemessen Rechnung tragen.
Vielen Dank.
({2})
Die Rede des Kollegen Michael Kauch von der FDP-
Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) Deswegen hat jetzt
der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren!
20 Jahre lang haben wir diskutiert, ob es tatsächlich so
etwas wie einen von Menschen herbeigeführten Klimawandel gibt. Ich glaube, wir müssen jetzt aufpassen, dass
wir uns nicht in Diskussionen verfangen, in denen es darum geht, welche Ziele wir uns setzen, und dass wir
nicht anfangen, uns gegenseitig mit Zielvorgaben zu
überbieten.
({0})
Wir sollten vielmehr die Frage stellen, was wir für einen
weitgehenden Klimaschutz tun können und welche Voraussetzungen dafür vorhanden sein müssen. Ich meine,
an erster Stelle braucht Klimaschutz Akzeptanz,
({1})
zuallererst natürlich bei uns im Land. Wenig helfen Pu-
blikationen, wenig helfen Vorgaben irgendwelcher Ziele,
und es helfen schon gar keine Predigten, auf was man in
Zukunft alles verzichten sollte. Vielmehr geht es darum,
dass wir Ökonomie und Ökologie miteinander vereinba-
ren, damit die Leute draußen akzeptieren, dass wir den
Klimaschutz in Deutschland zu einem ganz wichtigen
politischen Tagesordnungspunkt machen.
Wachstum und Wahrung der Schöpfung gehören für
uns von der Union zusammen. Nur wenn es uns gelingt,
hier bei uns zu zeigen, dass man auf der einen Seite Res-
sourcen schonen und das Klima schützen und auf der an-
deren Seite weiter wachsen kann, wird das alles akzep-
1) Anlage 5
tiert. Dazu gehört, dass wir uns an die Spitze der
Technologieentwicklung setzen. Umwelttechnik und
Automobiltechnik sind die Techniken, die Deutschland
stark gemacht haben. Bei den Energietechnologien sind
wir mittlerweile in weiten Bereichen Marktführer. Das
sind die Dinge, die man bei uns in erster Linie voranbringen muss.
Sie werden sich jetzt fragen, was meine Ausführungen mit der entwicklungspolitischen Debatte zu tun haben. Es gibt Menschen, die sagen, dass Deutschland für
3,2 Prozent der weltweiten klimaschädlichen Emissionen verantwortlich ist und dass in China die CO2-Emissionen pro Jahr um mehr zunehmen, als was wir in
Deutschland insgesamt emittieren. Nun sage ich: Das ist
richtig, aber nichtsdestoweniger oder gerade deshalb
müssen wir zeigen, dass man für den Klimaschutz etwas
tun und trotzdem wachsen kann; denn die Entwicklungsländer haben einen Anspruch - das wird hier keiner bestreiten - auf Wachstum. Wir müssen zeigen, dass das
geht, ohne dass sie dieselben Fehler wiederholen.
({2})
- Die FDP sagt gerade, auch wir hätten einen Anspruch
auf Wachstum. Weil auch wir diesen Anspruch haben
und ihn erfüllen wollen, müssen wir klug mit diesem
Thema umgehen und überlegen, wie man Technologie
effizient einsetzen kann, um das Klima zu schützen.
Die Entwicklungsländer brauchen den Transfer von
angepasster Technologie. Ein ausgebautes Instrumentarium der Entwicklungszusammenarbeit gibt es in diesem
Zusammenhang. Ich nenne als Beispiel die 4E-Fazilität,
mit der die Nutzung von Technologien aus dem Bereich
der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, die
wir exportieren können, gefördert wird. Das ist aus meiner Sicht ganz entscheidend.
Es geht aber nicht nur um Hochtechnologie, um Hightech, sondern es geht auch um die Frage, was in den Entwicklungsländern sonst noch passieren kann. In diesem
Zusammenhang möchte ich auf einen ganz entscheidenden Eigenbeitrag der Entwicklungsländer aufmerksam
machen. Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen entsteht aufgrund der Rodung von Wäldern und der Beseitigung von Torfböden. Auch da müssen wir nach meiner
Meinung ansetzen. Indonesien ist allein wegen der Abholzung der Wälder der drittgrößte Emittent nach den
USA und China. Da muss man sich überlegen, wie wir
mit diesem Thema umgehen. Ich sage: Wir müssen einen
ökonomischen Ansatz wählen und dürfen diesen Ländern nichts verbieten. Wir müssen diesen Wäldern einen
ökonomischen Eigenwert geben. Wir müssen letztendlich eine finanzielle Inwertsetzung des Nichtrodens in
Gang setzen. Das wird im Schwerpunkt nicht aus staatlichen Haushalten finanziert werden können, sondern wir
müssen uns dabei insbesondere am globalen Emissionshandel orientieren. Diesen müssen wir weltweit und umfassend ausbauen und die Gelder hier zielgenau einsetzen.
Was den Emissionshandel angeht, so sind wir mittlerweile auf dem Weg, von den 400 Millionen Euro voraussichtlichen Veräußerungserlösen pro Jahr 120 Millionen
Euro international einzusetzen. Das ist ökonomisch sinnvoll. Ebenso ökonomisch sinnvoll ist es, dabei die EZKapazitäten zu nutzen, statt parallele Ressorts aufzubauen und das Rad neu zu erfinden.
({3})
Lassen Sie uns an dieser Stelle, wo wir sehr erfolgreich
und sehr gut sind, entsprechend weitermachen.
({4})
Wir müssen und wollen darauf achten, dass die Maßnahmen ODA-fähig sind, insbesondere im Bereich der
Energieversorgung und bei den notwendigen Anpassungen an den Klimawandel. Denn eines ist auch klar: Niemand ist vom Klimawandel so stark betroffen wie die
Entwicklungsländer.
Ein entscheidendes Instrument in diesem Rahmen ist
der Clean-Development-Mechanism, und zwar deshalb,
weil er einen Technologietransfer impliziert. Auch das
muss man sich vergegenwärtigen. Aber wir müssen aus
einem solchen Mechanismus erst einmal etwas machen.
Da gibt es etliche Kritikpunkte, die wir zeitnah ausräumen müssen, insbesondere beim Thema Bürokratie. Wir
müssen methodische Klarheit bei der Anrechnung von
Projekten schaffen. Wir sollten meiner Überzeugung
nach das Augenmerk auf Afrika richten. Bei alledem
sollten wir nicht versäumen, Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen. CDM-Investitionen sind langfristige Investitionen, für die die Industriestaaten politische
Sicherheit brauchen. Dies sollte man bei den Post-2012Verhandlungen berücksichtigen. Auf der anderen Seite
müssen wir uns sehr genau überlegen, wo wir solche
Projekte umsetzen, wie man dort noch einen Beitrag zu
Good Governance leisten kann, um auch da entsprechende Projektsicherheit zu erreichen.
Was die Themen Energiepolitik und Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland angeht, muss man differenzieren. Es gibt eine Reihe energiereicher Entwicklungsländer, die wir dazu anhalten sollten, ihre
Entwicklung mehr aus ihrem Energiereichtum zu fördern. Mit „anhalten“ meine ich nicht, dass wir uns auf
moralische Vorgaben und Aufforderungen beschränken
sollten, sondern wir sind in besonderer Weise als Abnehmer gefragt; da sollten wir uns einem entsprechenden
Verhaltenskodex anschließen.
Es ist an uns, in erster Linie Länder zu stabilisieren,
die uns Energie liefern. Das ist ein Eigeninteresse, dem
wir, wie ich meine, nachgeben dürfen.
({5})
- Saudi-Arabien ist aufgefordert, seinerseits Entwicklungspolitik zu machen mit dem vielen Geld, das es demonstrativ mit den Ölexporten macht. Aber das ist etwas, lieber Kollege, was wir im Deutschen Bundestag
leider nicht beschließen können.
Wir sollten meiner Meinung nach aber auch an die
Entwicklungsländer denken, die nicht in großem Umfang über Ressourcen verfügen. Diese haben ein ernstDr. Georg Nüßlein
haftes Problem mit dem Anstieg der Energiepreise; da
können wir beim Beispiel Saudi-Arabien bleiben. Ich
bin der festen Überzeugung, dass wir ihnen durch einen
angepassten Technologietransfer helfen müssen, damit
sie nicht länger von Energieimporten abhängig sind.
Dazu müssen wir in unserem Land die entsprechende
Politik betreiben. Ich bin der festen Überzeugung, dass
wir da auf einem guten Weg und für Bali entsprechend
aufgestellt sind.
Vielen herzlichen Dank.
({6})
Die Rede der Kollegin Heike Hänsel von der Fraktion
Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1)
Damit hat das Wort die Kollegin Ute Koczy von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte mich bei der Diskussion über diesen Antrag vor allem auf die Unterschiede zu unserem
Antrag konzentrieren; denn vier Minuten Redezeit sind
wenig.
Zunächst einmal fällt das Datum des Antrages auf:
17. Januar 2007. Das heißt, Sie hatten elf Monate Zeit,
mit diesem Antrag umzugehen. Der Titel dieses Antrages lautet: „Energie- und Entwicklungspolitik stärker
verzahnen - Synergieeffekte für die weltweite Energieund Entwicklungsförderung besser nutzen“. Das ist ein
wichtiges Thema. Ich frage mich, warum wir über dieses
Thema heute so spät diskutieren. Warum diskutieren wir
überhaupt so spät über einen Antrag, der eigentlich darauf abzielte, die G-8- und die EU-Präsidentschaft voranzutreiben?
({0})
Sie haben einen Antrag vorgelegt, um im Nachhinein bestimmte Dinge klarzustellen. Ich finde das äußerst merkwürdig.
({1})
- Ich kenne das Prozedere. Umso schlimmer ist es, dass
es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre Regierung adäquat voranzutreiben.
({2})
Ein paar Punkte weisen darauf hin, dass Sie nicht so er-
folgreich waren, wie dieser Antrag vorgaukelt.
1) Anlage 5
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir Grünen einen
Antrag mit dem Titel „Rohstoffeinnahmen für nachhaltige Entwicklung nutzen“ vorgelegt haben, über den wir
hier am 10. Mai 2007 diskutiert haben. Energie, Rohstoffe und Klima sind Themen, die zusammengehören.
Ich bin sehr froh darüber, dass hier im Rahmen der Entwicklungspolitik darüber diskutiert wird. Wenn man den
Antrag der Grünen liest, weiß man, warum wir dem
Koalitionsantrag nicht zustimmen werden: Sie sind,
auch im Rahmen der Diskussion, auf bestimmte Punkte,
die ich wichtig finde, nicht eingegangen.
Die Bundesregierung muss aufgefordert werden, dafür zu sorgen, dass keine Kredite der Weltbank und der
Entwicklungsbanken für Erdöl- und Gasprojekte vergeben werden. Die Umsetzung des Salim-Berichts ist nach
wie vor sehr wichtig. Davon steht kein Wort in Ihrem
Antrag.
({3})
Wir brauchen mehr Transparenz bei Bürgschaftsentscheidungen der Bundesregierung. Diesbezüglich ist
nichts von der Bundesregierung zu erwarten. Nichts ist
getan worden. Die Gewinne aus den sogenannten Konfliktrohstoffen müssen sanktioniert werden. Auch das
haben wir bislang nicht großartig thematisiert. Außerdem ist zu fragen, was mit dem Geld passiert, das durch
Erdöl- und Gasprojekte eingenommen wird.
Wir haben gerade über das Thema Russland gesprochen. Ich weise darauf hin, dass die Deutsche Bank Gelder des verstorbenen Diktators des zentralasiatischen
Landes Turkmenistan verwaltet und wir immer noch
keine Möglichkeit haben, an diese Gelder heranzukommen.
({4})
Auch dieses Thema wird von den Koalitionsfraktionen
ignoriert.
Das Schöne an diesem Antrag ist, dass man Sie an
den Erwartungen messen kann, die Sie dort formuliert
haben. In Punkt 18 haben Sie einen solchen Einspruch
formuliert.
({5})
Wenn man genau liest, stellt man fest, dass Sie nicht sehr
weit gekommen sind. Sie fordern zum Beispiel:
Die Bundesregierung muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 und die
deutsche G8-Präsidentschaft 2007 dazu nutzen, die
europäische Entwicklungs-, Energie- und Klimaschutzpolitik auf das gemeinsame strategische Ziel,
die Verzahnung von Energiesicherheit, Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz, auszurichten und in den internationalen Harmonisierungsprozess der Entwicklungspolitik einzubetten.
Davon habe ich nichts mitbekommen.
({6})
Zum Zweiten fordern Sie die Bundesregierung unter
Punkt 13 auf, den von Ihnen „eingeforderten Bericht zur
stärkeren Verzahnung von Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit dem Ansatz der Exportunterstützung für Erneuerbare Energien spätestens bis zum
Frühjahr 2007 dem Deutschen Bundestag vorzulegen“.
Auch diesbezüglich bitte ich darum, dass Sie das nachbearbeiten. Lesen Sie Ihren Antrag noch einmal, und sagen Sie dann, was Sie erreichen wollen.
({7})
Dieser Antrag macht mich vor allem nervös, weil Sie
sagen, dass Sie einen „ausgewogenen Energiemix“ anstreben. Sie sagen, dass Sie - ich zitiere - „über alle
Energieträger hinweg Spitzentechnologien“ entwickeln
wollen, „um weltweit eine nachhaltige Energieversorgung zu gewährleisten.“ Wir wissen - Herr Ruck hat das
gestern gesagt -, dass Atompolitik für eine Seite der
Koalition nicht tabu ist. Das hätte zum Tabu gemacht
werden müssen.
({8})
Wir sagen Nein zu dieser Ausrichtung. Ich bitte Sie, dabei zu bleiben und das nicht zu forcieren; denn es wäre
eine fatale Fehlleistung in der Entwicklungspolitik,
wenn Sie diesen Schritt täten.
({9})
Das Wort als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Dr. Sascha Raabe von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegin Koczy, es geht heute nicht nur
um einen Antrag, sondern es geht um zwei Anträge. Das
sollte Ihnen aufgefallen sein, wenn Sie sich schon so
akribisch mit der Chronologie befasst und darauf hingewiesen haben, wann die Einbringung war. Sie wissen,
dass es im parlamentarischen Prozess vor allem wichtig
ist, wann man einen Antrag einbringt. Wir haben diese
beiden Anträge, den zum Klimaschutz und auch den zur
Energiepolitik, an sehr prominenter Stelle, nämlich in
der Kernzeit, noch vor den G-8-Debatten, eingebracht.
Wenn wir als Koalitionsfraktionen einen Antrag einbringen, ist es so, dass wir die Bundesregierung motivieren, das, was in den Anträgen gefordert wird, zu machen,
noch bevor wir den Antrag hier in zweiter und dritter Beratung beschlossen haben.
({0})
Das lässt sich auch an Zahlen festmachen, die ganz evident sind.
({1})
Eine Initiative im Rahmen der G-8-Präsidentschaft
war zum Beispiel darauf gerichtet, dass die Weltbank einen Vorstoß in der Frage unternimmt, wie man mit einem internationalen Fonds Tropenwälder schützen kann.
Die Mittel eines solchen Fonds können für die Entschädigung der Nichtnutzung verwendet werden. Natürlich
müssen Entwicklungsländer das Recht haben, ihre Tropenwälder wirtschaftlich zu nutzen. Davon leben Menschen.
Frau Koczy, noch vor unserem Beschluss hier hat die
Bundesregierung 55 Millionen US-Dollar für einen
Fonds zugesagt, der insgesamt nur ein Volumen von
250 Millionen US-Dollar hat. Wir sind neben Großbritannien die Einzigen, die dafür im Rahmen der G-8-Präsidentschaft eine konkrete Zusage gemacht haben. Daran
sieht man: Die Regierung handelt, auch weil wir sie mit
guten Anträgen unterstützen.
({2})
Wir hätten uns diese Schnelligkeit manchmal gewünscht, als wir noch mit Ihnen in einer Koalition gewesen sind.
({3})
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir in unserer Entwicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt sehr ernst
nehmen, den auch Herr Nüßlein in seiner Rede genannt
hat, nämlich die Frage, wie wir die tropischen Regenwälder in ihrer Biodiversität schützen. Es ist schon angesprochen worden, dass in den tropischen Regenwäldern
ein Fünftel der CO2-Emissionen entstehen. Aber auch
fast 90 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten kommen in
diesen Wäldern vor. Wir reden hier über ein Problem,
das wirklich sehr ernst ist und schnell gelöst werden
muss.
Der Kollege Ruck und ich waren mit zwei weiteren
Kollegen in Indonesien und haben uns vor Ort angesehen, wie schnell dort Ölpalmenplantagen tropische Regenwälder vernichten und ersetzen. Natürlich sagt ein
armes Land wie Indonesien: Wenn ihr nicht wollt, dass
wir unsere Wälder in Ölpalmenplantagen umwandeln,
dann müsst ihr uns Einkommensalternativen bieten.
In unserem Antrag haben wir übrigens auch geschrieben, dass zu prüfen ist, inwieweit wir einen Mechanismus und einen Fonds im Rahmen der Initiative REDD
unterstützen können, die der lokalen Bevölkerung einen
Ausgleich geben können. Denn es gibt nicht nur Tiere
oder Pflanzen, sondern auch viele Menschen, die in und
von den Wäldern leben. An dieser Stelle geht die Bundesregierung mit gutem Beispiel voran. Wir werden das
auch weiter fordern und die Mittel dafür zur Verfügung
stellen.
Ebenso sind wir seit 1992 in Brasilien mit
330 Millionen Euro der wichtigste Geber in dem Programm mit dem Ziel, die amazonischen Regenwälder zu
schützen; wir tragen fast die Hälfte der Kosten des gesamten Programms. Das nützt uns etwas; denn es geht
um das Klima, die Luft und die Temperatur - was wir
alle brauchen. Es geht im Rahmen der Biodiversität
nicht nur darum, ein paar hübsche Tierarten zu schützen.
Es ist zwar schön, einen Puma und andere Tiere zu sehen; aber dort leben Pflanzen- und Tierarten, die uns im
medizinischen Bereich hilfreich sein können, weil sie für
die Behandlung von Krebs und anderen Krankheiten
wichtig sind. Es geht also darum, dass wir dieses Erbe
schützen und diese Potenziale ausnutzen können.
Im Rahmen der WTO müssen wir dafür sorgen, dass
die Patente, die daraus entwickelt werden, nicht allein
von den internationalen Pharmakonzernen abgeschöpft
werden, sondern auch der lokalen Bevölkerung ein Nutzen bleibt. Denn dann hat man auch eine Motivation der
Menschen, diese Wälder zu schützen.
In diesem Sinne, glaube ich, machen wir eine kohärente und gute Politik. Ich bitte Sie deshalb, beiden Anträgen zuzustimmen, Frau Koczy. Wenn man Ihrer Rede
genau zugehört hat, hat man herausgehört, dass Sie das
alles eigentlich richtig und gut finden.
({4})
In Wirklichkeit müssen Sie Ihre Kritik an den Einbringungsdaten festmachen. Geben Sie sich einen Ruck und
stimmen Sie unseren Anträgen zu. Ansonsten machen
wir das allein und schützen die Welt und das Klima
selbst.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD mit dem Titel „Energie- und Entwicklungspolitik stärker verzahnen - Synergieeffekte für die weltweite
Energie- und Entwicklungsförderung besser nutzen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/5275, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4045 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke
angenommen.
Zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem
Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem
Titel „Klimawandel global und effizient eindämmen Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern entschieden voranbringen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6962, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5740 anzunehmen. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 40 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel
Bahr ({0}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad
Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
GKV-eigene Tarife durch Kooperation von
GKV und PKV beim Wahltarif zur Kosten-
erstattung ersetzen
- Drucksache 16/6794 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Alle Reden sollen zu Protokoll genommen werden. Es
handelt sich um die Reden der Kollegen Dr. Hans Georg
Faust, CDU/CSU, Dr. Karl Lauterbach, SPD, Daniel
Bahr, FDP, Frank Spieth, Die Linke, und Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6794 an den Ausschuss für Gesundheit
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 39 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht
- Drucksache 16/6562 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen
werden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen
Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU, Joachim Stünker, SPD,
Jörg van Essen, FDP, Wolfgang Nešković, Die Linke,
Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen, und der Bundes-
ministerin Brigitte Zypries.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6562 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 41 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({2}),
1) Anlage 6
2) Anlage 7
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zugang zu Rentenleistungen für ehemalige
Ghetto-Insassen erleichtern
- Drucksache 16/6437 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({3})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Irmingard Schewe-Gerigk von Bündnis 90/Die Grünen
das Wort,
({4})
die bereits am Rednerpult steht und jetzt auch reden darf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als RotGrün 2002 das Ghettorentengesetz vorlegte, das in diesem Hause einstimmig beschlossen wurde, glaubten wir,
wir hätten ein Stück mehr Gerechtigkeit geschaffen, Gerechtigkeit für Menschen, die während des Nationalsozialismus in Ghettos gezwungen wurden, Gerechtigkeit
für Menschen, die dort eine Erwerbsarbeit annahmen,
oft, um dem Hungertod zu entgehen, und dafür bis heute
keinen Ausgleich erhalten haben.
Ich finde, es ist eine echte Schande, was nun passiert.
Von 70 000 Anträgen auf eine solche Rente wurden nur
5 Prozent positiv beschieden. Derzeit sind vor Sozialgerichten noch 10 000 Streitfälle anhängig. Nichts kann bei
der Auszahlung der Rente für Ghettoarbeit unangebrachter sein als Geiz.
({0})
Es geht oft um hochbetagte, traumatisierte Menschen.
Sie dürfen nicht in kräftezehrende, langwierige Verfahren getrieben werden.
Ich will Ihnen ein Beispiel einer heute in Israel lebenden 81-jährigen Dame schildern. Sie wurde 1926 in der
Ukraine geboren. Ihr Dorf wurde Mitte Juli 1941 von
deutschen Truppen besetzt. Unmittelbar danach begann
das Morden. Das junge Mädchen verlor über 100 Familienangehörige. Auch ihre Eltern und ihre vier Geschwister überlebten die deutsche Besatzung nicht. Sie
selbst kam in ein Ghetto und fand durch die Vermittlung
des sogenannten Judenrates Arbeit. Sie bekam kein
Geld, aber immerhin so viele Lebensmittel, dass sie sich
und ihren damals noch lebenden kleinen Bruder ernähren konnte. Später gelang ihr die Flucht. Mehrere Jahre
lebte sie unter schrecklichsten Bedingungen in einem
Heuschober versteckt, aber sie überlebte.
Ihr Antrag nach dem Ghettorentengesetz wurde abgelehnt. Nach Aktenlage wurde entschieden: Die Antragstellerin habe in den 50er-Jahren in ihrem damaligen
Entschädigungsantrag nur von Zwangsarbeit gesprochen. Auch seien Lebensmittel, Holzkohle und Kleidung
kein Entgelt. Zudem gebe es Widersprüche über die genauen Zeiträume der Ghettohaft. Werte Kolleginnen und
Kollegen, ist das nach 60 Jahren eigentlich ein Wunder?
Gott sei Dank entscheiden nicht alle Gerichte nach
Aktenlage. Das Landessozialgericht NRW hat einen anderen Weg gefunden. Der Berichterstatter Dr. von
Renesse hat die betroffene Dame in Israel aufgesucht
und befragt. Er hat Gutachter hinzugezogen. Am Ende
kam das Gericht zu völlig anderen Ergebnissen als die
Rentenversicherung. Solch engagierten Richtern kann
gar nicht genug gedankt werden.
({1})
Die Rentenversicherungsträger haben viel zu hohe
Hürden aufgebaut. Sie können doch für die Situation, der
Menschen in einem Ghetto zur Zeit des Nationalsozialismus ausgesetzt waren, nicht die gleichen Kriterien von
Freiwilligkeit und Entgelt anlegen wie für die heutige
Arbeitswelt in einem demokratischen Staat. Ich wiederhole: Was hier passiert, empfinde ich als eine echte
Schande.
({2})
In den letzten Monaten hat sich die Rechtsprechung
aber zugunsten der Betroffenen bewegt. Das Bundessozialgericht hat eindringlich eine angemessene Würdigung der historischen Tatsachen verlangt. Die Rentenversicherungsträger sind aber offenbar nicht bereit,
etwas zu ändern. Sie gehen regelmäßig durch alle Instanzen. Das dürfen wir nicht länger zulassen.
Dass die Bundesregierung im September eine Härterichtlinie zum Ghettorentengesetz verabschiedet hat, war
ein erster Schritt. Darauf können Sie sich aber nicht ausruhen, und Sie können die Hände nicht in den Schoß legen; denn diese Richtlinie reicht nicht aus. Auch die
Jewish Claims Conference ist der Meinung, dass die Berechtigungskriterien unklar und restriktiv sind. Sie fordert, dass sie noch überarbeitet und klarer formuliert
werden. Das sehen wir genauso.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Einmalzahlung
von 2 000 Euro ist kein angemessener Ausgleich. Dadurch wird man dem Verfolgungsschicksal ehemaliger
Ghettoinsassen nicht gerecht. Ich zitiere Robert Probst
von der Süddeutschen Zeitung: Es ist ein Billigfonds, der
niemanden zufriedenstellen kann.
Zudem bringt die Richtlinie keine Änderung der
Missstände beim eigentlichen Ghettorentengesetz. Unter
Antrag sieht daher vor:
Erstens. Der Personenkreis, den die Richtlinie der
Bundesregierung im Blick hat, erhält pauschalierte laufende Leistungen von monatlich 150 Euro.
Zweitens. Parallel wird der Zugang zum eigentlichen
Ghettorentengesetz erleichtert, damit anspruchsberechtigte Betroffene Leistungen in vollem Umfang geltend
machen können.
Vordringlichstes Ziel muss es sein, die hochbetagten
ehemaligen Ghettoinsassen schnell zu ihrem Recht kommen zu lassen, und dazu dienen die Pauschalleistungen.
Schnelle Hilfe darf aber nicht dazu führen, Menschen
vom Verfolgen ihres vollen Rentenanspruchs abzuhalten. Deshalb wollen wir die Klarstellung im Gesetz.
Meine Damen und Herren, das Ghettorentengesetz
wurde 2002 einstimmig beschlossen. Ich würde mich
sehr freuen, wenn wir die notwendigen Korrekturen hier
ebenso einmütig vornehmen würden.
Vielen Dank.
({3})
Die Reden der Kollegen Peter Weiß ({0}),
CDU/CSU, Dr. Heinrich Kolb, FDP, und Klaus
Brandner, SPD, nehmen wir zu Protokoll.1)
Deshalb hat jetzt das Wort der Kollege Jan Korte von
der Fraktion Die Linke.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Fraktion Die Linke unterstützt ausdrücklich den hier
vorliegenden Antrag, weil es gerade angesichts des Al-
ters der Betroffenen einer schnellen und unbürokrati-
schen Lösung bedarf. Der Antrag hat also unsere volle
Zustimmung.
Auf das Problem wurde schon hingewiesen. Das
Ghettorentengesetz wurde damals vom ganzen Hause
verabschiedet. Das war richtig und gut gemeint; aber in
der Praxis hat sich nun gezeigt, dass es sich nicht be-
währt hat und im Übrigen für die Betroffenen unzumut-
bar ist.
Die Formulierungen im Gesetz und erst recht die da-
raus abgeleiteten Entscheidungen zahlreicher Sozialge-
richte, die die Anträge der Betroffenen reihenweise ab-
lehnten, zeigen eine Unsensibilität gegenüber der realen
Situation der vom NS-Faschismus verfolgten Ghettobe-
wohner. Das stellt vielleicht den eigentlichen Skandal
dar. Der vorliegende Antrag ist richtig, um diesen Skan-
dal zu beenden. Die Arbeitsaufnahme müsse - so heißt
es im Gesetz - „aus eigenem Willensentschluss zustande
gekommen“ und „gegen Entgelt ausgeübt“ worden sein.
Die Anforderungen der Freiwilligkeit und eines Entgelts
mögen für normale Arbeitsverhältnisse unter heutigen
Bedingungen zutreffende Beschreibungen sein. Für die
Situation in einem Ghetto - das ist hier zu Recht darge-
stellt worden - treffen sie aber nicht zu.
1) Anlage 8
Es geht auch darum, politisch anzuerkennen, dass es
sich hier um gesetzliches Unrecht handelt. Dem zollt
dieser Antrag den entsprechenden Respekt.
Ich will abschließend darstellen, wie dies aus Sicht
der Betroffenen wahrgenommen wird. Wie die im Gesetz genannten Voraussetzungen auf die Betroffenen gewirkt haben, macht eine Petition deutlich, die eingereicht
wurde. Der Petent beklagt, die im ZRBG genannten Kriterien verlangten aus der Sicht der Antragsteller, also der
Opfer, das Eingeständnis eines gewissen Maßes an Eigenbeteiligung an ihrem Verfolgungsschicksal. Das Gesetz wird so verstanden, dass die Frage, ob eine Anspruchsberechtigung besteht oder nicht, allein davon
abhängt, ob und in welchem Umfang die Opfer bereit
sind, zuzugeben, ihr Verfolgungsschicksal aktiv mitgestaltet zu haben, indem sie ein Entgelt entgegengenommen oder sich freiwillig zu einer Beschäftigung gemeldet haben. Dieses Eingeständnis - so wird in der Petition
ausgeführt - ist für die meisten ehemals Verfolgten mit
einem Verrat an ihrem eigenen Opferdasein gleichzusetzen und - wenn man sich das einmal konkret vorstellt überhaupt nicht zu verstehen. Auch deswegen ist der
vorliegende Antrag richtig und im Sinne der Opfer.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in diesem
Hause eine Einstimmigkeit darüber erzielen könnten,
diesen Vorgang im Sinne der noch wenigen lebenden
Betroffenen abzuschließen. Wir sollten das gesetzliche
Unrecht, das damals herrschte, anerkennen, und den
Opfern zu ihrem Recht verhelfen.
Ich fände es auch sinnvoll, wenn wir die Debatten
über das Ghettorentengesetz dazu nutzen würden, vergangenheitspolitisch darüber zu diskutieren, wer von
dem damaligen Unrecht profitiert hat. Wir sollten zum
einen den Opfern zu ihrem Recht verhelfen und ihnen
Anerkennung zollen, zum anderen aber deutlich machen,
wer damals die Täter waren und wer davon profitiert hat.
Dies könnte im Rahmen einer Debatte hier im Bundestag
geschehen.
Schönen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6437 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 27. November 2007, 10 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.