Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/15/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen. Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich einige Mitteilungen machen. Der Kollege Georg Fahrenschon hat am 8. November 2007 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin begrüße ich herzlich die Kollegin Marion Seib. ({0}) Frau Seib, da Sie sich hier gut auskennen, verstehen sich die Wünsche für eine möglichst schnelle und reibungslose Einarbeitung fast von selbst. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auswirkungen der Entscheidungslosigkeit der schwarz-roten Koalition ({1}) ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({2}) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Sozialgesetzbuches - Drucksache 16/4808 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Entschädigung von Telekommunikationsunternehmen für die Heranziehung im Rahmen der Strafverfolgung ({4}) - Drucksache 16/7103 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({6}), Irmingard Schewe-Gerigk, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stärkung des parlamentarischen Fragerechts - Drucksache 16/6789 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({7}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Müller ({8}), Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Stärkung europäischer Wettbewerbsfähigkeit ARTEMIS und weitere gemeinsame Technologieinitiativen sinnvoll gestalten - Drucksache 16/7117 Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 4 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes - Drucksachen 16/6292, 16/6570 ({9}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10}) - Drucksache 16/7148 Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Wolfgang Gunkel Petra Pau Silke Stokar von Neuforn ZP 5 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/6543 Erste Beschlussempfehlung und erster Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11}) - Drucksache 16/7166 Berichterstattung: Abgeordnete Bettina Herlitzius - Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7167 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Frank Schmidt Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Anna Lührmann ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen ({13}), Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wertvolle Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken - Drucksache 16/7116 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 7 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 16/6924 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 16/117 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({15}) - Drucksache 16/118 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({16}) - Drucksache 16/7159 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Christian Lange ({17}) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck ({18}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({19}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7162 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Königshofen Gunter Weißgerber Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({20}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neue Strategien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten und durchsetzen - Drucksachen 16/5243, 16/7153 Berichterstattung: Abgeodnete Hartwig Fischer ({21}) Dr. Karl Addicks Thilo Hoppe Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Der Tagesordnungspunkt 4 - Arbeitnehmer-Entsendegesetz - wird abgesetzt. Stattdessen soll als erster Tagesordnungspunkt der Bundeswehreinsatz in AfghanisPräsident Dr. Norbert Lammert tan beraten werden. Außerdem ist beabsichtigt, die Tagesordnungspunkte 5 b, 13, 15 b, 24 und 30 abzusetzen. In der Folge müssen die Tagesordnungspunkte 9, 11, 15 a, 17, 19, 21, 23 und 25 jeweils vorgezogen werden. Der bisher ohne Debatte vorgesehene Tagesordnungspunkt 42 m wird zusammen mit dem Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes beraten. Darüber hinaus sollen morgen die Tagesordnungspunkte 34 und 35, 37 und 38 sowie 39 und 40 jeweils getauscht werden. Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 97. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll nachträglich zusätzlich an den Haushaltsausschuss ({22}) nach § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Entwurf eines Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({23}) - Drucksache 16/5172 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({24}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Darf ich Ihr Einverständnis mit diesen Vereinbarun- gen feststellen? - Das ist der Fall. Dann haben wir so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({25}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({26}) und 1373 ({27}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksachen 16/6939, 16/7140 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen ({28}) Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({29}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({30}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7160 - Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({31}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Monika Knoche, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer ({32}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({33}) und 1373 ({34}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksachen 16/6939, 16/6971, 16/7142 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen ({35}) Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({36}) Ferner liegt zum Antrag der Bundesregierung ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir auch das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion. ({37})

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Beratungen und Entscheidungen über Auslandseinsätze sind nie parlamentarische Spaziergänge; sie sind vielmehr für den Deutschen Bundestag und seine Mitglieder, also für uns, politisch und persönlich immer wieder ein schwieriges Terrain. Das gilt auch und gerade für das Mandat der Operation Enduring Freedom. Ich will nicht verhehlen, dass ich in dieser Rede im Deutschen Bundestag bei unserem durch ein schreckliches Attentat zu Tode gekommenen Kollegen Kasimi bin, den ich kannte. Ich spreche auch in Gedanken an ihn und die Toten dieses schlimmen Anschlags in Baghlan. Opfer dieses Anschlags waren nicht nur Abgeordnete des afghanischen Parlaments. Die SPD-Bundestagsfraktion wird dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung der OEFMission zustimmen. Sie tut dies nach intensiver Vorbereitung und Debatte, auch auf dem SPD-Parteitag in Hamburg. Dies geschieht in der Gewissheit, sich nach bestem Wissen und Gewissen auf diese Entscheidung vorbereitet zu haben. ({0}) Manche aus meiner Fraktion werden ihre Zustimmung auch nach diesem intensiven Beratungsprozess nicht geben können, auch wenn die große Mehrheit meiner Fraktion zu einem anderen Ergebnis kommt. Ich zolle diesen Kolleginnen und Kollegen Respekt. ({1}) Denn es gibt keine leichten Entscheidungen bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte. Hier gilt es, wie wir immer wieder spüren, sehr prinzipielle Fragen zu lösen, die jeder und jede für sich verantworten muss. Das ist und bleibt der Kern der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen. Hier helfen weder antiaufklärerischer Populismus mit Generalverweigerung noch eine unkritische Blankovollmacht. ({2}) Deshalb war es richtig, dass meine Fraktion den Ablauf der Frist für OEF zum Anlass genommen hat - das hat die FDP-Fraktion bereits im Rahmen der Beratungen angesprochen -, sich auf unserem Parteitag in Hamburg mit der Afghanistan-Frage zu befassen. Hier geht es nicht darum, sich einem imperativen Mandat auszusetzen oder die Entscheidungsfreiheit von Abgeordneten einzuengen, sondern darum, Aufklärung, Information, Transparenz und Kommunikation in dem Willensbildungsprozess, für den die politischen Parteien nach unserem Grundgesetz ausdrücklich stehen, zu gewährleisten. ({3}) Zur Sache selbst: Es ist unbestritten, dass OEF am Horn von Afrika und im östlichen Mittelmeer weiter stabilisierenden Einfluss ausüben muss. Auf See müssen die vermuteten Transportwege der terroristischen Kräfte weiter überwacht und somit deren Zugang zu potenziellen Rückzugsgebieten eingeschränkt werden. Die Bedenken, die im Laufe der OEF-Mission in Afghanistan seit 2001 erhoben werden, müssen aber abgearbeitet und Schwächen des Mandats beseitigt werden. Kritische und berechtigte Fragen müssen beantwortet werden, so wie es der Bundesaußenminister am vergangenen Donnerstag von der gleichen Stelle aus für die Bundesregierung in seiner Amtsverantwortung getan hat. Leider hat sich unser Koalitionspartner zu einem ähnlichen Vorgehen im Rahmen eines gemeinsamen Entschließungsantrages nicht bereit erklären können. ({4}) Nichtsdestotrotz haben die veränderten Begründungen im Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des OEF-Mandats und die schon erwähnte Rede des Herrn Außenminister die Abwägungsentscheidung zugunsten einer Zustimmung zur Verlängerung des OperationEnduring-Freedom-Mandats in meiner Fraktion positiv beeinflusst. ({5}) Dabei war uns sehr wichtig, dass es der internationalen Gemeinschaft im Rahmen eines Strategiewechsels gelungen ist, die Veränderungen der Einsatzregeln seit dem 4. August 2007 auch bei OEF durchzusetzen. Die Soldaten sind nach diesen veränderten Tactical Directives ausdrücklich angewiesen, bei ihren Einsätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und die kulturellen Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf ausgerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich konsequent umgesetzt werden. Nach den Berichten, die uns vorliegen, und nach Inaugenscheinnahmen ist dies auch der Fall. ({6}) OEF ist nicht nur in ihrem Umfang auf 10 000 Soldaten halbiert worden, sondern auch ihr Aufgabenschwerpunkt wurde verändert. 80 Prozent der Kräfte arbeiten jetzt für eine unserer Hauptaufgaben in Afghanistan: die Ausbildung von Polizei und Armee. Deswegen wollen wir mit unseren NATO-Partnern - so auch der Herr Bundesaußenminister am vergangenen Donnerstag - prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zukunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusammengezogen werden können. ({7}) Wichtig ist, darauf hinzuarbeiten, den OEF-Einsatz, solange er noch nötig ist, durch einen Beschluss des UNSicherheitsrates mandatieren zu lassen. ({8}) Von der weiteren Zustimmung der afghanischen Regierung - diese Zustimmung war bisher vorhanden - kann, wie der Antragstext ausweist, weiterhin ausgegangen werden. Nicht nur die Opposition geht kritisch damit um, Art. 51 der UN-Charta - das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung - als Rechtsgrundlage für OEF heranzuziehen. Inzwischen ist es herrschende Meinung, dass ein das Selbstverteidigungsrecht auslösender bewaffneter Angriff auch von nichtstaatlichen terroristischen Organisationen ausgehen kann. Unter deutschen Völkerrechtlern ist es hier zu einer Fortentwicklung des Völkerrechts im Rahmen bestehender Normen gekommen. Die Anschläge vom 11. September 2001 waren die ersten Angriffshandlungen, denen weitere - in Anführungszeichen - erfolgreiche Angriffshandlungen in aller Welt - in Madrid und London, aber auch in Afghanistan, zuletzt in einer Zuckerfabrik in Baghlan -, aber auch gescheiterte Angriffe folgten. Wie immer wieder aufgedeckt wird, werden weitere Angriffshandlungen geplant und vorbereitet. Diese Angriffe sind eine Dauergefahr. Die Gefahr von Angriffen muss so lange als andauernd betrachtet werden, bis eine nachhaltige Zerschlagung der Al-Qaida- und TalibanStrukturen erreicht wird und eine Wiederholung der Anschläge vom 11. September 2001 nach Möglichkeit ausgeschlossen ist. Wichtige Voraussetzung hierfür ist weiterhin, dass der al-Qaida und der Taliban Stützpunkte entzogen und Rückzugsgebiete verwehrt werden. Damit besteht das Selbstverteidigungsrecht fort. Es war und ist bis heute die völkerrechtliche Grundlage der Operation Enduring Freedom. ({9}) - Diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage hat bei den Grünen keinen Anklang gefunden. Schauen Sie aber einmal in die veröffentlichte Rechtsdiskussion. ({10}) Schauen Sie auch auf den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der zuerst in der Resolution 1368 aus 2001 und zuletzt in der Resolution 1776 aus 2007 darauf Bezug nahm und damit per se eine Legitimation liefert. Für unser gesamtes Afghanistan-Engagement gilt: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist primär keine militärische Aufgabe. Soldaten sind kein Selbstzweck. Die internationale Gemeinschaft unternimmt daher umfassende Anstrengungen mit dem Ziel einer wirksamen Beseitigung gesellschaftlicher, sozialer, ökonomischer, ökologischer und infrastruktureller Umstände, die das Entstehen von Terrorismus begünstigen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Abschließend sage ich noch einmal für meine Fraktion: Deutschland führt keinen Krieg gegen den internationalen Terrorismus. Wir leisten im Rahmen eines politischen Gesamtkonzepts unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze sowie des Völkerrechts auch mit militärischen Mitteln unseren Beitrag, um der fortbestehenden terroristischen Bedrohung wirksam zu begegnen. ({0}) Wir können den Terror nicht im klassischen Sinne besiegen, aber wir können ihn eindämmen und dafür sorgen, dass die Terroristen ihre Ziele nicht erreichen. Hierfür ist die Operation Enduring Freedom unter den dargestellten Voraussetzungen noch notwendig, auch als wichtiges Signal an unsere Bündnispartner, auch als Zeichen der Solidarität in der internationalen Gemeinschaft. Ich danke für die Geduld. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne hat der Präsident der Nationalversammlung der Demokratischen Volksrepublik Laos, Herr Thammavong, mit seiner Delegation Platz genommen. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich. ({0}) Herr Präsident, wir freuen uns, dass wir Sie hier in Berlin zu Gast haben. Ihr Aufenthalt in Deutschland ist Ausdruck nicht nur der freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern, sondern auch der zunehmend engen Kontakte zwischen unseren Parlamenten. Wir verfolgen mit Interesse, dass das laotische Parlament eine zunehmend wichtige Rolle beim erfolgreichen Reformprozess Ihres Landes einnimmt. Für diese Entwicklung und für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche. Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion. ({1})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Mandatsantrag der Bundesregierung zustimmen. Wir tun dies letztendlich aus den gleichen Gründen, die meine Kolleginnen und Kollegen und ich vor wenigen Wochen hier vorgetragen haben, als es um das ISAF-Mandat ging, auch wenn wir sehen, dass die OEF weit über den ISAF-Einsatz in Afghanistan hinausgeht, gerade was den deutschen Anteil angeht. Aber die Begründungen sind die gleichen. Es ist ja ein einmaliger Vorgang, Herr Kollege Kolbow, dass wir nicht die Gelegenheit hatten, über beide Mandate im Zusammenhang zu diskutieren und zu entscheiden. ({0}) Dieser Zusammenhang besteht allerdings eindeutig. ({1}) Die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus bleibt eine Herausforderung. Auch wenn es - um es plastisch auszudrücken - ein paar Wochen lang in Europa nicht gekracht hat, sollten wir uns nicht vertun, wie gefährlich die Situation nach wie vor ist. Die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus ist weiterhin erforderlich. Es bleibt dabei, dass wir Afghanistan nicht aufgeben dürfen. Die Afghanen, insbesondere diejenigen, die uns vertraut haben, dürfen wir nicht alleinlassen. Und wir dürfen nicht darüber hinwegsehen, dass wir das, was wir in Afghanistan und für Afghanistan zur Bekämpfung des Terrorismus tun, in allererster Linie für unsere eigene Sicherheit tun. Gerade deshalb sind wir unseren Soldatinnen und Soldaten so dankbar. ({2}) Meine Damen und Herren, die Aufbauarbeit in Afghanistan bedingt und erfordert Sicherheit. Deshalb, Kollege Kolbow, kommt es auch im Rahmen von ISAF zu Kampfhandlungen; wir dürfen das nicht kleinreden. Daher wird auch der unmittelbare Kampf gegen den Terror, der unter dem OEF-Mandat stattfindet, weiterhin gebraucht - weit über Afghanistan hinaus. Deswegen ist es Unsinn und unverantwortlich, immer wieder den Eindruck zu erwecken, als könne man zwischen dem „guten“ ISAF-Mandat auf der einen Seite und dem vermeintlich „bösen“ OEF-Mandat auf der anderen Seite unterscheiden. Beide Mandate gehören zusammen. ({3}) Natürlich kann man die Frage stellen: Warum packen wir nicht alles unter ein Mandat? Hier muss man vorsichtig sein. Erstens erfordert dies eine getrennte Lösung im Hinblick auf unser Engagement am Horn von Afrika und im Mittelmeer. Zweitens erfordert dies eine Abstimmung mit unseren Partnern, die nicht ganz einfach ist, wenn man berücksichtigt, wer die Hauptlast des OEFMandats trägt. Angesichts des minimalen Beitrags der Bundeswehr zu OEF in Afghanistan, der gegenwärtig eher virtueller Natur ist, muss man sagen, dass wir keine Veranlassung haben, uns gegenüber einer Nation, die sich im Rahmen von OEF mit mehr als 10 000 Mann in Afghanistan engagiert, zu erheben. Schließlich würde eine totale Integration von OEF und ISAF den Charakter von ISAF erheblich verändern. Wollen wir das wirklich? Sind wir uns darüber klar, dass in diesem vereinten Mandat das relative Gewicht der Bundesrepublik Deutschland sinken würde? Deswegen warne ich Neugierige. Natürlich ist es sinnvoll, die Elemente von OEF, die genauso gut unter dem ISAF-Mandat erledigt werden könnten, dort anzusiedeln. Ich denke, die Bundesregierung ist gut beraten, darüber in aller Ruhe mit unseren Partnern zu reden. Denn auf deren Beitrag und auf deren Umschichtung von OEF zu ISAF käme es im Zweifel an. Der Kollege Stinner wird gleich noch etwas zu den militärischen Aspekten sagen, gegebenenfalls auch zur Frage der Ausbildung; ich will das hier nicht gesondert ansprechen. Die Bundesregierung hat uns die Rechtsgrundlagen in den Ausschüssen überzeugend dargelegt. Deswegen haben wir keinen Zweifel, dass die Entscheidung, die wir heute treffen, auf einer rechtlich sauberen Grundlage steht. Dennoch stellt sich die Frage, ob es auf Dauer möglich ist und sinnvoll sein könnte, anzustreben, dass das, was im Rahmen von OEF passiert, auf eine andere Rechtsgrundlage gestellt wird. Ich denke, wir sind uns darin einig, dass die Berufung auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen - auf die kollektive Selbstverteidigung - zutreffend ist, dass aber auch dies nicht ad calendas graecas trägt. Deswegen finde ich es richtig, dass sich die Bundesregierung Gedanken darüber macht, ob wir hier eine neue Rechtsgrundlage anstreben sollten; das könnte Deutschland natürlich nicht alleine leisten, sondern nur gemeinsam mit seinen Partnern. ({4}) - Ich finde es richtig, dass sich die Bundesregierung Gedanken macht, Herr Kollege Trittin, und ich möchte das unterstützen, weil ich mir durchaus Sorgen mache. Meine Damen und Herren, was die andere rechtliche Diskussion, die in den letzten Tagen aufgeflammt ist, angeht, möchte ich die Bundesregierung und vor allen Dingen die Mehrheit dieses Hauses nachdrücklich bitten, die eigene Position zu überdenken. Amnesty International und Human Rights Watch haben uns mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Bundeswehr Probleme entstehen könnten. Ich habe keinen Beleg dafür, dass das bisher der Fall war. Hier sollten wir aber vorsorgen. Die Fraktion der FDP hat bereits im letzten Jahr einen entsprechenden Antrag eingebracht. Dabei ging es um die Sicherstellung der rechtsstaatskonformen Behandlung der Gefangenen, die von deutschen Kräften gemacht und dann an die Afghanen übergeben werden. Damals hat die Mehrheit der Koalitionsfraktionen aufgrund der Beratung mit der Bundesregierung argumentiert, diese Probleme könnten durch bilaterale Vereinbarungen mit der afghanischen Regierung gelöst werden. Herausgekommen ist, wie wir gestern gehört haben, ein Bemühen darum, dass die afghanische Seite zusichert, dass die Drohung mit der Todesstrafe nicht Anwendung findet für Personen, die von der Bundeswehr an die afghanischen Behörden übergeben werden. Ich muss sagen: Das ist erheblich zu wenig. Wenn es darum geht, die rechtsstaatskonforme Behandlung solcher Gefangener sicherzustellen, müssen wir eine bessere Grundlage haben. Ich möchte Sie von den Koalitionsfraktionen herzlich bitten, noch einmal zu überdenken, ob es richtig war, diesen unseren Antrag, den wir demnächst im Plenum des Bundestages zur Abstimmung stellen, in den Ausschüssen abzulehnen. Ich bin gerne bereit, mit den anderen Fraktionen noch einmal darüber zu reden, wie wir hier eine rechtsstaatlich saubere Lösung gemeinsam hinbekommen. Herzlichen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Andreas Schockenhoff ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Deutschen können der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus nicht ausweichen und wir wollen das auch nicht. Der Deutsche Bundestag hat das nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er für die Solidarität mit den Vereinigten Staaten ausdrücklich auch „die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten“ beschlossen hat. Das hat wörtlich an diesem Pult der ehemalige Bundeskanzler Schröder zur Notwendigkeit von OEF und damit zum - auch militärischen - Kampf gegen den Terrorismus gesagt. Dies ist nach wie vor richtig. Deshalb wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. ({0}) Genauso richtig war auch seine Feststellung, dass wir im Kampf gegen den Terror einen langen Atem brauchen und schnelle Erfolge keineswegs garantiert sind. Nicht nur Madrid und London, sondern auch Länder wie Indien, Indonesien, Jordanien und Russland sind seit dem 11. September 2001 Opfer einer steigenden Zahl terroristischer Angriffe geworden. In Deutschland konnte dies bisher vereitelt werden, nicht zuletzt dank der Arbeit unseres Bundesinnenministers und dank der hervorragenden Arbeit der Sicherheitsdienste. Doch die Bedrohung ist nach wie vor und auch in absehbarer Zukunft hoch. Nach einem terroristischen Angriff würden wir selbst Unterstützung und Solidarität erwarten. Deshalb liegt es in unserem Sicherheitsinteresse, dass wir in der internationalen Gemeinschaft alle gemeinsam den Kampf gegen den Terror fortsetzen. ({1}) Dem dient die Verlängerung des OEF-Mandats in allen seinen Teilen. Auch im Zeitalter der asymmetrischen Bedrohung durch den transnationalen Terrorismus gilt das Recht auf Selbstverteidigung. Heute sind wir weniger durch einen Angriffskrieg eines feindlichen Staates bedroht als durch ein international organisiertes und international agierendes Netzwerk von Terroristen. Mit al-Qaida kooperieren unzählige regionale terroristische Strukturen, von denen aus Angriffe auf unsere Freiheit und unser Wertesystem geplant werden. Diese Angriffe können den Verteidigungs- und Bündnisfall auslösen. Dann müssen wir handlungsfähig bleiben. Für die CDU/CSU-Fraktion gilt ganz klar: Militäreinsätze dürfen nur im Rahmen unseres Grundgesetzes und des Völkerrechtes stattfinden. Aber im Fall der Selbstverteidigung dürfen wir uns nicht davon abhängig machen, ob im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Entscheidung zustande kommt. ({2}) Deshalb hält die CDU/CSU-Fraktion das im Völkerrecht ausdrücklich vorgesehene Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung - Art. 51 der UN-Charta weiterhin für eine legitime und nicht nur vorläufige Rechtsgrundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr. ({3}) Die OEF-Truppen handeln unter dem Oberkommando der damals angegriffenen Amerikaner mit dem Auftrag, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Ihr Einsatz umfasst den gesamten Krisenbogen vom Maghreb über das Horn von Afrika, die arabische Halbinsel und Zentralasien bis zum Nordkaukasus. Insgesamt beteiligen sich rund 20 Staaten an der Durchführung dieser schwierigen Aufgabe. Wir alle sind uns doch darüber einig, dass wir die Gefahr dort bekämpfen müssen, wo sie entsteht - bevor sie zu uns kommt -, natürlich nicht primär, aber lageabhängig auch militärisch. Da vor allem das Grenzgebirge zwischen Afghanistan und Pakistan Ausbildungs- und Ausrüstungsort der Terroristen ist, die den Wiederaufbau des Landes zu verhindern suchen, müssen die OEF-Kräfte auch dort eingesetzt werden. Es reicht nicht aus, den Terroristen einen Rückzugsort zu nehmen, wenn nebenan ein neuer entsteht. Daher bedeuten die besorgniserregenden Entwicklungen in Pakistan, über die wir in der letzten Woche hier diskutiert haben, auch die Gefahr eines Rückschlags im Antiterrorkampf. Pakistan muss schnellstmöglich wieder zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehren - auch damit die Probleme im Grenzgebiet zu Afghanistan nicht weiter anwachsen und sich die pakistanischen Militärs wieder auf die schwierige gemeinsame Grenzkontrolle konzentrieren. In Afghanistan sind die OEF-Truppen ausdrücklich auf Wunsch der demokratisch gewählten afghanischen Regierung im Einsatz. Sie waren es, die den Boden für die Stabilisierung und den Wiederaufbau durch die ISAF bereitet haben. Sie waren es auch, die insbesondere im Osten und Süden des Landes die Taliban zurückgedrängt haben. Erst dadurch konnten hier regionale Wiederaufbauteams Straßen, Brücken und Schulen tatsächlich wieder aufbauen. Erst seit einem Jahr stehen alle 25 Wiederaufbauteams unter dem Oberkommando der NATO. Die ISAF konnte sich erst langsam über die gesamte Landesfläche verteilen. Erst schrittweise übernimmt die NATO mehr Verantwortung für die fünf Säulen der Sicherheitssektorreform, wie zum Beispiel für den Aufbau und die Ausbildung der afghanischen Armee. Von den fünf Lead-Nationen in Afghanistan haben die USA beim Armee- und Polizeiaufbau bisher am meisten erreicht, weil sie unter der OEF sowohl personell und materiell als auch vor allem finanziell die größten Anstrengungen unternehmen. All diejenigen, die ein Ende der Arbeitsteilung zwischen der ISAF und der OEF fordern, sollten zunächst den eigenen Ansatz optimieren und verstärken. ({4}) Wenn wir die Ausbildung bzw. alle Probleme in Afghanistan durch die ISAF bewältigen wollten, dann müssten wir in der EU und in der NATO im Sinne eines fairen Burden-Sharing, also im Sinne einer Zuteilung von mehr Lasten und mehr Kosten, erst einmal die Voraussetzungen dafür schaffen. Sind wir in der Lage, das zu leisten? Wollen wir das? Bei einer Sollstärke der ISAF von lediglich 90 Prozent sehe ich hier große Schwierigkeiten. Es fehlt an Kampftruppen, Hubschraubern, Transportflugzeugen und mehr Trainingsteams zur Ausbildung der afghanischen Armee. Deswegen unterstützen wir es sehr, dass unser Verteidigungsminister zwei Transall-Transportflugzeuge und 130 zusätzliche Armeeausbilder entsendet. Einige Ausbilder mehr in der ISAF bedeuten aber noch lange nicht, dass weniger Ausbilder bei der OEF erforderlich sind. Im Gegenteil: Mindestens 70 000 ANA-Soldaten wollte die internationale Gemeinschaft bis 2010 ausbilden. Heute, Ende 2007, nach sechs Jahren, sind weniger als 20 000 tatsächlich einsatzbereit. Hier müssen wir also deutlich mehr tun. Darum ist es richtig und auch notwendig, dass 8 000 der insgesamt 12 000 OEF-Soldaten Afghanen für den Armeedienst ausbilden. Das alles dient doch auch unserer Exit-Strategie, die erst dann greift, wenn Afghanistan selbst für seine eigene Sicherheit sorgen kann. Deswegen möchte ich unterstreichen, was der Kollege Hoyer vorhin gesagt hat: Mit der irreführenden Unterscheidung in ein gutes ISAFMandat und ein böses OEF-Mandat kommen wir nicht weiter. Wenn die OEF in Afghanistan beendet würde, dann müsste die ISAF die Aufgabe der Terrorbekämpfung übernehmen. Dies würde ganz andere Kompetenzen und auch eine ganz andere Mandatsstruktur erforderlich machen. Bestimmte Herausforderungen in Afghanistan erfordern militärisch robustes Handeln. Auch ISAF-Truppen fordern in Notsituationen Luftunterstützung an. Für alle Streitkräfte ist die Vermeidung ziviler Opfer oberste Prämisse. Dieser Maßstab gilt für die OEF nicht weniger. Es war daher richtig und notwendig, dass die Einsatzregeln zum Schutz der Bevölkerung verbessert wurden. Zum Schluss möchte ich all diejenigen fragen, die OEF in Afghanistan als kontraproduktiv kritisieren und nur noch auf ISAF setzen wollen: Glauben Sie, dass durch einen Ausstieg unser Einfluss auf die Antiterrormission steigt? Unser einseitiger Ausstieg aus der Mission OEF führte dazu, dass wir künftig keine Mitsprache mehr bei OEF und der Operationsführung hätten. Es liegt daher in unserem Interesse, dass durch eine Verlängerung des OEF-Mandats der von uns geforderte multilaterale Charakter von OEF erhalten bleibt. Ein Ausstieg aus OEF bedeutete weder für die Bevölkerung in Afghanistan noch für die ISAF-Truppen ein Mehr an Sicherheit. Ich bitte Sie daher, für die Verlängerung des OEFMandats zu stimmen und damit einen sehr wichtigen Beitrag im Rahmen unserer sehr vielfältigen politischen Maßnahmen gegen den Terrorismus fortzusetzen, in Afghanistan, aber auch an anderen Brennpunkten des Einsatzgebietes. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, dass sich mein Mitleid mit der SPD-Fraktion in sehr engen Grenzen hält. Aber nach der Rede von Walter Kolbow und den Verrenkungen, die er unternommen hat, um zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, sind mir wieder Zweifel gekommen. Lieber Kollege Kolbow, eines hätte man zumindest leisten müssen: der deutschen Bevölkerung die Wahrheit zu sagen, was eigentlich abläuft. Die Operation Enduring Freedom ist ein Kampfeinsatz; das wird niemand leugnen können. Die Operation Enduring Freedom ist Teil des Krieges gegen den Terror. Deutschland ist an dieser Operation beteiligt. Deutschland ist in einem Kampfeinsatz, befindet sich im Krieg gegen den Terror. Also stimmt es nicht, wie Kollege Struck einmal formuliert hat, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wird. Richtig ist - darum können Sie nicht herumreden -: Deutschland führt Krieg am Hindukusch, und das ist schlimm. ({0}) Das ist der Kern der Auseinandersetzung. Daran geht nichts vorbei. Wenn wir an diesem Punkt sind und über die Bevölkerung in Afghanistan nachdenken, ist es notwendig, zu sagen, dass seit 2001 70 000 bis 100 000 Menschen in Afghanistan Opfer dieses Krieges geworden sind. Das finde ich am bedrückendsten. Wir wollen nicht, dass Menschen irgendwo auf der Welt, auch nicht in Afghanistan, Opfer von Terror und Krieg werden. Das ist unsere Grundaussage. ({1}) Die Fraktion Die Linke wird dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen; das hat sowieso niemand erwartet. Wir fordern darüber hinaus, den Bündnisfall in der NATO aufzuheben. ({2}) Herr Kollege Kolbow, es gibt kein Völkerrecht nach Gutsherrenart. Ihre Fraktion kann nicht einfach festlegen, was völkerrechtlich in Ordnung und was völkerrechtswidrig ist. Schauen Sie sich doch Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen einmal genauer an! Dort geht es um das Selbstverteidigungsrecht zur Abwehr eines unmittelbar stattfindenden oder drohenden Angriffs. Ich könnte den Text zitieren, aber Sie kennen ihn. Nun müssen Sie die Frage beantworten, ob nach sieben Jahren Krieg gegen den Terror ein Angriff von Afghanistan auf die USA oder irgendein anderes Land in der Welt droht. Das ist offensichtlich nicht der Fall. ({3}) Eine weitere Festlegung in der Charta der Vereinten Nationen besagt, dass das nur so lange gilt, wie die Vereinten Nationen selbst nicht handlungsfähig sind. Aber die Vereinten Nationen haben - das haben wir nicht unterstützt - ISAF installiert. Sie sind handlungsfähig. Deswegen muss der Bündnisfall aufgehoben werden. Er ist rechtlich nicht mehr zu begründen. ({4}) Dass der Bündnisfall im NATO-Vertrag zeitlich nicht befristet ist, liegt auch daran, dass er zum ersten Mal ausgerufen wurde. Sie können es drehen und wenden, wie Sie es wollen: Sie bewegen sich nicht auf der Basis des Völkerrechtes, sondern operieren gegen das Völkerrecht. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wenn Sie uns das nicht abnehmen, dann schauen Sie sich das an, was Ihnen einmal nahe gewesen ist und heute so fern ist. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat kürzlich eine Denkschrift veröffentlicht. Darin kommt er - das geht aus den Thesen 101 und 106 hervor - zu dem gleichen Ergebnis wie wir als Linke. Auch von daher ist es völlig klar, dass der Zustand, den Sie beibehalten wollen, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. ({6}) In diesem Zusammenhang will ich mit zwei anderen Punkten aufräumen und Klarheit schaffen. In Ihrem Antrag haben Sie verquast und verharmlosend festgestellt, dass im Rahmen des Mandats auch Spezialkräfte eingesetzt werden sollen. Dabei geht es um KSK. ({7}) - Ja, das weiß ich. Man kann es aber deutlicher ausdrücken, Herr von Klaeden. Sie wissen, dass ich meinen Kenntnisstand, inwiefern es sich um KSK handelt, nicht den Kollegen im Plenum mitteilen kann, weil das immer noch der Geheimhaltungspflicht unterliegt. Das bedaure ich sehr. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung den Mut hat, im Zusammenhang mit Afghanistan Klarheit zu schaffen. Die in Ihrem Antrag getroffene Feststellung, dass die Vorsitzenden aller Fraktionen diesen unwürdigen Informationsregelungen zugestimmt hätten, stimmt aber nicht. Die Vorsitzenden meiner Fraktion werden sich an der Vorgehensweise, dem Parlament häppchenweise und nach Entscheidung der Regierung Informationen zukommen zu lassen, nicht weiter beteiligen. ({8}) Wir verlangen auch in diesem Punkt Öffentlichkeit. Die Bevölkerung muss wissen, worum es geht. ({9}) - Meine Fraktion nicht. Abschließend fordere ich Sie auf: Ziehen Sie doch einmal Bilanz über das Ergebnis des Krieges gegen den Terror! Stellen Sie die Frage, ob mit diesem Krieg die Gefahr des Terrorismus kleiner geworden ist! Sie sagen doch selber, dass die Gefahr größer geworden ist. Stellen Sie die Frage, ob die Kriege, die mit dem Ziel der Abrüstung begründet worden sind, tatsächlich zur Abrüstung geführt haben! Im Gegenteil: Sie haben überall in der Welt zur Aufrüstung geführt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Stellen Sie die Frage, ob die Demokratie befördert worden ist! Das ist nicht der Fall. Überall ist Demokratie abgebaut worden. Selbst wenn Sie ihrer eigenen Logik folgen würden, gäbe es keine Begründung, den Krieg gegen Terror fortzusetzen. Man kann gegen Terror kämpfen, aber der Krieg führt ins Elend. Danke sehr. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jürgen Trittin ist der nächste Redner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Gehrcke, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass unter OEF der militärische Beitrag Deutschlands in Afghanistan seit 2005 gleich null ist. Darum geht es heute auch nicht. Es gibt in Afghanistan 3 500 deutsche Soldaten, die im Rahmen eines klaren Mandats der Vereinten Nationen und im Rahmen einer NATO-Operation namens ISAF tätig sind. Aber dieser Einsatz steht heute nicht zur Debatte. Meines Erachtens müssen wir uns heute mit zwei relativ einfachen Fragen auseinandersetzen: Erstens. Gefährdet OEF die Stabilisierung Afghanistans? Dazu gehört auch, ob OEF den Erfolg der NATO-Operation ISAF befördert und stabilisiert oder eher gefährdet. Zweitens. Gibt es für die Operation Enduring Freedom noch eine völkerrechtlich einwandfreie Grundlage? Das sind die beiden Fragen, die wir uns stellen müssen. ({0}) Lieber Frank Steinmeier, Sie haben im Ausschuss starke Worte zur völkerrechtlichen Begründung gefunden. Aber offensichtlich glauben Sie die selbst nicht. Wie könnte es sonst sein, dass die SPD auf ihrem Bundesparteitag forderte, dass das auf die Grundlage eines UNMandats gestellt wird? Die CDU/CSU hat das abgelehnt. Ich frage mich, ob wir nach der innenpolitischen Dauerblockade zur außenpolitischen Selbstblockade kommen. Noch spannender ist die Frage an Sie, lieber Frank Steinmeier, warum Sie als Parteivize auf dem Parteitag in Hamburg zugestimmt haben, dass der OEF-Einsatz auf eine vernünftige völkerrechtliche Grundlage gestellt wird, während Sie hier als Außenminister und künftiger Vizekanzler dagegen argumentieren. ({1}) Ich glaube, das Rätsel löst sich, wenn man die Zeit mit berücksichtigt. Das UN-Mandat vom 12. September 2001 war die Grundlage für OEF. Aber als Grundlage taugt es heute für Afghanistan nicht - ich betone: nicht mehr! ({2}) Selbstverständlich hat der Sicherheitsrat zu Recht den USA das Recht auf Selbstverteidigung zugestanden. Und es war richtig, dass wir ihnen an die Seite getreten sind. Es ist zu Recht geschehen, dass das Taliban Regime gestürzt und die terroristische Infrastruktur von al-Qaida in Afghanistan zerstört worden ist. Zu Recht haben wir uns daran beteiligt, eine verfassungsgebende Versammlung in Afghanistan zu etablieren, sodass sie heute einen gewählten Präsidenten, ein gewähltes Parlament haben. Zu Recht - Herr Schockenhoff hat darauf hingewiesen - hat OEF - übrigens nicht im Norden, das hat ISAF schon selber gemacht - dafür gesorgt, dass die Regierung Afghanistans über das ganze Land und nicht nur über Kabul regiert. Das alles sind die Verdienste von OEF. Ich sage Ihnen: Es sind gerade die Erfolge von OEF, die heute die Rechtsgrundlage für ein weiteres Fortbestehen infrage stellen. ({3}) Denn eines war der Sicherheitsratsbeschluss nicht: Es war keine Ermächtigung, zeitlich und räumlich unbegrenzt überall auf der Welt beliebig Krieg führen zu dürfen. So hat der UN-Sicherheitsrat mit Sicherheit nicht entschieden. ({4}) Ich kann Ihnen das anhand eines einfachen Beispiels erläutern. Nur weil Mohammed Atta sein monströses Verbrechen in Hamburg geplant hat, hat es keinen Grund gegeben, gegen Hamburg Krieg zu führen. Nun werden Sie vielleicht sagen, Kabul ist nicht gleich Hamburg. Das ist richtig. Ich sage Ihnen aber auch: In Kabul hat sich etwas geändert. In Kabul regieren nicht mehr die Taliban; es gibt eine gewählte Regierung; es gibt heute ein Mandat der Vereinten Nationen für ganz Afghanistan, das ist das ISAF-Mandat. Wollen Sie der afghanischen Regierung absprechen, dass Sie ihrer Verpflichtung, nämlich in Afghanistan gegen den Terror und seine Unterstützer vorzugehen, nachkommt? - Ich glaube, das wollen Sie nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Westerwelle?

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gleich. - Dann gibt es aber auch keinen Grund, dass in Afghanistan ohne eine Vereinbarung und ein Stationierungsabkommen heute ausländische Truppen tätig sind. ({0}) Herr Westerwelle.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Trittin, Sie haben sich sehr nachdrücklich auf die Kraft und die Autorität der Regierung, die es jetzt in Kabul für Afghanistan gibt, berufen. Ich hatte vor wenigen Wochen die Gelegenheit, mit einem Vertreter dieser Regierung, nämlich mit dem Außenminister Spanta, in Kabul zu sprechen. Ich möchte nur mit einem Punkt wiedergeben, was diese von Ihnen gerühmte Regierung mir und auch vielen anderen in der Öffentlichkeit gesagt hat. Die Meinung von Außenminister Spanta in Afghanistan war: An dem Tag, wo ihr rausgeht, ist Kabul wieder die Hauptstadt der Terroristen in der Welt, und wir haben nichts mehr zu sagen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Westerwelle, auch ich war in Afghanistan, so wie viele andere von meiner Fraktion auch. Wir haben viele Gespräche mit Herrn Karzai und auch mit Herrn Spanta geführt. Sie sitzen genau der gleichen Verwechselung auf wie der Kollege Gehrcke. Ich habe nicht dafür plädiert, in Afghanistan die militärische Absicherung des Aufbaus zu beenden. Ich habe die Frage gestellt: Gibt es für den Teil der militärischen Operation, der in Afghanistan unter dem Label OEF stattfindet, heute noch eine völkerrechtlich tragfähige Grundlage? Das ist keine Frage, die Sie mit der Tatsache einer umfassenden militärischen Absicherung vermengen können, wie sie ISAF auf der Basis des Mandats der Vereinten Nationen - erst jetzt wieder verlängert - macht. Ich finde, wir sollten aufhören, die relativ beschränkte Frage, auf welcher Rechtsgrundlage OEF stattfindet, mit einer allgemeinen Debatte über Krieg und Frieden in Afghanistan zu verbinden. Das ist der gemeinsame Irrtum von FDP und Linksfraktion. ({0}) Wir sind genau an dieser Stelle. Ich glaube, nein, ich bin davon überzeugt, lieber Herr Außenminister, dass Ihr Parteitag etwas Richtiges beschlossen hat, als er gesagt hat: Wir wollen, dass dieses Mandat, dieser Einsatz in Afghanistan auf eine UN-Grundlage gestellt wird. - Er hat gleichzeitig etwas Falsches beschlossen; denn dieses Mandat gibt es bereits. Es ist das ISAF-Mandat. Ich bedauere Sie schon, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie von der CDU/CSU an die Kette gelegt worden sind, sodass Sie das hier nicht mehr sagen dürfen. ({1}) Wir brauchen in Afghanistan militärische Präsenz unter einem Kommando. Übrigens haben Sie von uns nie das Wort von der bösen OEF und der guten ISAF gehört; wenn ISAF im Sangin-Tal einen Staudamm gegen Terroristen verteidigt, wenn, wie in diesen Tagen, im Nordosten ISAF gegen eingesickerte Militante vorgeht, dann ist das hartes militärisches Vorgehen. Das kann übrigens nur die NATO. Nur sie kann solche multilateralen Einsätze im Verbund durchführen. Aber das, was nicht geht, ist, zuzuschauen, wie durch das Nebeneinander eines militärisch-zivilen Unterstützungseinsatzes - das ist ISAF - und eines davon völlig losgelösten War on Terror der Erfolg der Mission von ISAF gefährdet wird. ({2}) Dafür gibt es in Afghanistan Beispiele zuhauf. Wir haben den Fall Schindand, den wir hier mehrfach diskutiert haben. Dort sind 150 Zivilisten aufgrund einer Operation von OEF ums Leben gekommen, und ISAF musste Soldaten heraushauen. Es ist nicht so, dass OEF ISAF absichert. Es gibt unzählige Fälle, bei denen OEF-Kommandos von ISAF-Truppen gerettet werden mussten. Deswegen sage ich Ihnen: Praktisch ist es so - dem widerspricht auch niemand vor Ort -, dass OEF den Erfolg von ISAF gefährdet. Der Terrorismus muss bekämpft werden, zivil, geheimdienstlich, polizeilich und militärisch. Seine Bekämpfung ist Aufgabe der jeweils gewählten Regierung, und dafür unterstützen wir die afghanische Regierung durch ISAF. Neben ISAF gibt es keinen Raum für in Tampa und Langley geplante Ramboaktionen. Es darf in Afghanistan nur ein Kommando geben. ({3}) Wenn Sie mit Offizieren darüber sprechen, dann stimmen sie in diesem Punkt völlig zu, weil es das Basiswissen jeder Stabsschule ist, dass die Einheitlichkeit des Kommandos in einem Raum, in dem militärische Operationen durchgeführt werden, gewährleistet sein muss. Ich breche damit übrigens nicht den Stab über OEF. OEF macht neben Kommandoaktionen auch sehr Sinnvolles. 6 000 Soldaten von OEF sind mit der Ausbildung afghanischer Soldaten beschäftigt. Nur, die einfache Frage ist: Warum macht das nicht ISAF? Wenn Sie, liebe Bundesregierung, dieser Frage ausweichen, dann will ich Sie gerne vor dem Vorwurf in Schutz nehmen, dass Sie fürchten, dass das Geld kosten würde. Bekanntermaßen scheitert bei der Großen Koalition am Geld rein gar nichts. Nein, der Kern, warum Sie an diese Frage nicht heran wollen, ist, dass das für Sie, Frau Merkel, und für Sie, Herr Steinmeier, unbequem ist. Sie müssten nämlich, wenn Sie sich mit OEF auseinandersetzen, zum Beispiel dem amerikanischen Präsidenten erklären, dass es so in Afghanistan mit OEF nicht weitergeht, dass Terrorismusbekämpfung nur erfolgreich ist, wenn sie auf dem Boden des Völkerrechts stattfindet und wenn man international gemeinsam agiert. ({4}) Genau diesen Konflikt scheuen Sie. Diese Scheu vor einem Konflikt mit den USA in dieser Frage halten Sie für Bündnistreue. In Wahrheit gefährdet in meinen Augen dieser vorauseilende Gehorsam die riskanteste Aktion des Bündnisses NATO, nämlich ISAF. Ich sage: Das ist nicht bündnistreu, das ist nicht klug, und das ist nicht in deutschem Interesse - und deshalb lehnen wir heute dieses Mandat ab. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Rainer Arnold ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit sechs Jahren werden in Afghanistan Soldaten unter dem OEF-Mandat eingesetzt. In diesen sechs Jahren hat sich die Situation in Afghanistan ganz offensichtlich verändert, in vielen Bereichen zum Guten, in vielen Bereichen ist die Situation aber auch ernster geworden. Aber auch das Mandat und die Aufgabenstellung haben sich verändert. Hier wird manchmal diskutiert, als ob wir, wie es am Anfang der Fall war, OEF statisch mandatierten. Die Feststellung, dass ISAF ein aufbauendes Mandat ist und OEF ein Kampfmandat, ist einfach nicht richtig; das wurde hier bereits deutlich gesagt. Warum nicht? Weil man sich bei der Auseinandersetzung in Afghanistan überhaupt nicht aussuchen kann, mit welchen militärischen Herausforderungen man konfrontiert wird. Das bestimmt der Gegner. Selbstverständlich müssen sich auch ISAF-Soldaten in diesem Land nicht nur wehren, sondern, wo es notwendig ist, auch offensiv Sicherheit herstellen. Das heißt, sie dürfen nicht warten, bis sich die Taliban zusammenrotten und Stützpunkte überfallen. Das ist ein Teil der Wahrheit. Deshalb ist die Trennung zwischen OEF und ISAF aus heutiger Sicht natürlich ein Stück weit künstlich. Das, was Herr Gehrcke hier vorgetragen hat, war die übliche Litanei. Herr Gehrcke, ich will mich nicht auf eine Debatte über die völkerrechtliche Legitimation einlassen, und zwar deshalb nicht, weil wir darüber schon sehr häufig debattiert haben. Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass Sie, als es um das ISAF-Mandat ging, genauso argumentiert haben, zum Verfassungsgericht gegangen sind und dort eine eindeutige Niederlage eingefahren haben. An diesem Beispiel sieht man, dass Sie Ihre Argumente an den Haaren herbeiziehen. ({0}) Sie zitieren die Kirchen und andere Organisationen immer wieder gerne. Ich tue das jetzt auch einmal: Human Rights Watch sagt sehr deutlich - diese Organisation ist sicherlich auch aus Ihrer Sicht unverdächtig -, dass für die Taliban jeder, der mit der Zentralregierung in Kabul zusammenarbeitet, ein legitimes Ziel der Gewalt ist. Herr Gehrcke, wollen Sie dieses Land wirklich wieder den Taliban überlassen? Diese Frage müssen Sie hier schon einmal beantworten. Wenn Sie jetzt so tun, als ob OEF das Schlechte und Schlimme ist, während über ISAF der Aufbau geleistet wird, dann müssen Sie auch die Frage beantworten, ob Sie irgendwann einmal wenigstens der Verlängerung des ISAF-Mandates zustimmen und sich der Verantwortung tatsächlich stellen werden. ({1}) Ich will nicht verhehlen, dass es im Zusammenhang mit OEF kritische Fragen zu stellen gibt. Es gibt nichts unter den Teppich zu kehren. Falsch ist allerdings die Aussage, dass wir nicht wissen, was dort passiert. Wir erkennen ausdrücklich an, dass die Partner in Amerika in den letzten Monaten regelrecht eine Informationsoffensive gestartet haben. Viele von uns kennen Details. Herr Gehrcke, wollen Sie wirklich, dass die Taliban den deutschen Zeitungen entnehmen können, wie die Truppen in Afghanistan heute oder morgen operieren? Mit dieser Forderung gefährden Sie das Leben der Soldaten. Deshalb gilt: Ja, wir brauchen so viel Transparenz wie möglich, aber der Schutz der Soldaten hat oberste Priorität. Bei dieser Position werden wir bleiben. ({2}) Die kritischen Fragen wurden von der Regierung aufgenommen. Ich bin sehr froh darüber, dass der Außenminister in seiner Rede zur Einbringung des Antrages auf Verlängerung des Mandates deutlich gemacht hat, dass man das Mandat selbstverständlich im Detail weiterentwickeln muss. Die Position unserer Kollegen in der Koalition verstehe ich insofern nicht so ganz. Der Außenminister hat für die Kanzlerin, für den Verteidigungsminister, für die ganze Regierung gesprochen. Es wäre schön, wenn wir Parlamentarier die Arbeit der Regierung durch einen entsprechenden Antrag hätten unterstützen können. ({3}) Für die Weiterentwicklung ist es selbstverständlich notwendig, dass wir eine differenzierte Debatte führen. Ich bin der Meinung, dass die Aufgabe, die Deutschland mit etwa 300 Soldaten am Horn von Afrika erfüllt, eine langfristige Aufgabe ist und diese Aufgabe auf lange Sicht nicht nur über Art. 51 der UNO-Charta mandatiert werden sollte. Im Klartext heißt das: Wir müssen der Regierung einen Spielraum lassen, damit sie in der internationalen Staatengemeinschaft darauf hinwirken kann, dass es diesbezüglich dauerhaft zu einer Mandatierung durch die Vereinten Nationen kommt, bei der die Anrainerstaaten einbezogen werden. Wir Deutschen haben ein herausragendes Interesse an der Seesicherheit am Horn von Afrika und sollten uns auch auf der langen Zeitschiene dieser Verantwortung stellen. Wenn man die vielen kritischen Fragen abwägt - viele Kollegen machen es sich nicht leicht -, muss man auf der anderen Seite der Waagschale auch die Argumente benennen, die sehr deutlich für eine Mandatierung von OEF sprechen. Aus meiner Sicht müssen wir erstens die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, etwas zu verändern und zu bewegen, sichern. Dabei ist es nicht damit getan, dass die Deutschen immer wissen, wie es genau geht, dass sie aber sagen, das Geschäft und die schwierigen Aufgaben sollen die anderen erledigen. Dann würden der Verteidigungsminister und der Außenminister in der Staatengemeinschaft nicht ganz ernst genommen werden. Die Bereitschaft, etwas zu verändern, setzt deshalb voraus, dass wir auch zukünftig Verantwortung übernehmen. Dies spricht für eine Veränderung und für eine Zustimmung zu diesem Mandat. ({4}) Das Zweite ist mir besonders wichtig. Jeder - abgesehen von den Linken - hat doch erkannt, dass kein Land allein mit der enormen Herausforderung des Terrorismus fertig werden kann. Das heißt, internationale Loyalität und Solidarität sind keine Einbahnstraße. Auch wir können morgen darauf angewiesen sein, dass uns andere helfen. Das ist das eine. Der andere Punkt ist aber, dass die Debatten, die wir im Parlament und in unserer Gesellschaft führen, auch in Kanada, in den Niederlanden, in Italien und bei den Skandinaviern geführt werden. Wir haben keine aktiven Soldaten in Afghanistan bei OEF und führen dennoch diese Debatten. Würden wir OEF beenden, hätte dies angesichts der Bedeutung des deutschen Einsatzes bei ISAF in Afghanistan mit 3 500 Soldaten insgesamt auch Auswirkungen auf die Diskussionen in Kanada und in den Niederlanden. Diese Länder sind jedoch real im Süden von Afghanistan vertreten und übernehmen dort schwierige Aufgaben. Ich mag mir gar nicht ausdenken, was es am Ende für das deutsche Engagement bedeuten würde, wenn sich eines dieser Länder - die Niederlande, Kanada oder ein anderes Land - aus seiner Verantwortung zurückzieht. ({5}) Dies hätte auch Auswirkungen auf uns. Deshalb glaube ich, dass es auch aus dieser Sicht unabdingbar ist, dass wir OEF verlängern. Lassen Sie mich am Ende noch eines sagen. Wir reden immer davon, dass Afghanistan gelingen muss. Das ist ein schönes Postulat, und es muss in der Tat gelingen. Aber Afghanistan kann auch scheitern, und zwar dann, wenn jedes Land glaubt, auf das andere warten zu müssen, bis es das liefert, was zur Sicherheit und zum Aufbau - beides ist in Afghanistan wichtig - tatsächlich erbracht werden muss. Für uns ist die heutige Debatte, in der es darum geht, OEF um ein weiteres Jahr zu verlängern, bei weitem nicht das Ende der Diskussion. Wir gehen davon aus, dass wir uns in den nächsten zwölf Monaten sehr intensiv auch mit der Frage beschäftigen müssen, was in Afghanistan zusätzlich geleistet werden muss. Ich glaube, wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn jedes Land in der NATO und bei den Verbündeten insgesamt entsprechend seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten handelt und ernsthaft prüft, was politisch verantwortbar ist. Diese Prüfung haben wir immer vorzunehmen, wenn wir Soldaten zum Einsatz schicken. Wir sind dazu bereit. Damit will ich Folgendes zum Ausdruck bringen: Ein Einmauern - auch in der Frage, was wir in Zukunft tun - ist nicht sehr hilfreich. Das müssen alle in Afghanistan wissen: Die Zivilgesellschaft muss wissen, dass wir sie nicht im Stich lassen. Aber auch die Taliban müssen wissen, dass ihre Strategie, Unsicherheiten in den westlichen Gesellschaften zu nähren und zu schüren, damit die Kraft nachlässt, um in Afghanistan die Herausforderungen zu bewältigen, nicht aufgehen wird und darf. Herzlichen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der nächste Redner ist Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Fraktion hat vor einem Jahr dem OEFMandat zugestimmt, aber wir haben das unter Vorbehalt und mit Bauchschmerzen getan. Wir hatten erhebliche Kritikpunkte, wir haben damals eine Akzentverschiebung vom Militärischen zum Zivilen angemahnt und zweitens darauf gedrungen, dass die Abstimmung vor Ort zwischen OEF und ISAF wesentlich besser erfolgt. Drittens haben wir angemerkt, dass durch die Art des Vorgehens unter OEF der Gesamterfolg der Operation in Afghanistan eventuell gefährdet wird. Das waren beim letzten Mal drei Kritikpunkt bzw. Forderungen von uns. Wir haben in den letzten zwölf Monaten die Entwicklung in Afghanistan genau beobachtet. Wir müssen konstatieren, auch als Opposition, dass auf allen drei Feldern in den letzten zwölf Monaten deutliche Fortschritte erreicht worden sind. ({0}) Das ist Faktum, Herr Trittin. Meine Kollegin Homburger hat darauf in der letzten Woche schon hingewiesen; ich will es noch einmal betonen. Vor allem möchte ich hervorheben, dass es jetzt einen Fortschritt insofern gibt, als wir in Afghanistan erstmals gemeinsame, gleichlautende Rules of Engagement für ISAF und OEF haben. Das ist ein wesentlicher Fortschritt, auf den wir immer gedrungen haben. Das dürfen wir hier zur Kenntnis nehmen. Leider aber versäumt es die Bundesregierung, die Fortschritte, die wir sowohl diesbezüglich als auch in Afghanistan insgesamt machen, laut und deutlich breit zu kommunizieren. Viele Kolleginnen und Kollegen wissen das nicht, was ich eben gesagt habe, nämlich dass es einen Gleichklang zwischen OEF und ISAF bezüglich des Vorgehens gibt. Die Öffentlichkeit ist über das, was wir in Afghanistan tun, insgesamt völlig uninformiert. Ich fordere die Bundesregierung auf, nach außen hin eine wesentlich offensivere Informationspolitik zu betreiben. ({1}) Aber auch im internen Bereich gibt es Informationsdefizite. Wir haben das angesprochen, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, in dem eine verbesserte Struktur der Information und der Steuerung der sensiblen Einsätze gefordert wird. Leider hat die Mehrheit uns nicht zugestimmt. Ich fordere Sie auf: Überdenken Sie das noch einmal! ({2}) Herr Arnold, wir haben gestern im Ausschuss auch über dieses Thema gesprochen. Wir waren uns einig, dass die Information über das, was in OEF läuft, insgesamt völlig unzureichend ist, und zwar auch für uns Fachpolitiker. Hier müssen wir nachlegen. Wir stimmen heute mit großer Mehrheit zu, aber auch heute haben wir natürlich unsere Anforderungen. Wir stimmen zu, weil wir der Bevölkerung deutlich sagen wollen: Wir tun etwas für Afghanistan, aber wir schützen uns damit selbst. Was wir dort an internationalem Engagement leisten, tun wir für uns. ({3}) Unsere Forderungen sind verschiedenartig. Herr Hoyer hat auf die veränderte Mandatsstruktur hingewiesen und dazu das Notwendige gesagt; das möchte ich jetzt nicht wiederholen. Wir selbst müssen unsere Hausarbeiten machen; das gilt auch für die Bundesregierung und die Bundeswehr. Wir mandatieren heute wieder 100 KSK-Soldaten für Afghanistan. Sie werden im Augenblick nicht eingesetzt. Das wissen wir; das ist auch öffentliches Wissen. Wir müssen uns mit dem Thema KSK aber intensiver beschäftigen. Das Image des KSK als Einheit von Rambosoldaten ist ein völlig falsches. ({4}) Das KSK ist eine Spezialtruppe, die es geradezu erlaubt, größere militärische Operationen zu vermeiden. Das KSK ist eine Spezialeinheit, die es ermöglicht, Kollateralschäden zu vermeiden. Das muss endlich in die Öffentlichkeit hineingetragen werden. Das muss deutlicher werden. ({5}) Wir alle wissen, dass es bei KSK im Augenblick durchaus Probleme gibt, was Rekrutierung angeht. Ich kann hier nicht zu sehr ins Detail gehen; nur so viel: Im Augenblick ist ein Attraktivitätsprogramm KSK in der Behandlung. Es ist dringend notwendig, dass es endlich umgesetzt wird. Herr Minister Jung, ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich in der Bundesregierung durch! Fordern Sie dieses Programm zur Verbesserung der Bedingungen für unsere Soldaten ein! Setzen Sie sich vor allen Dingen gegen Ihren Kollegen, den Antiterrorminister Schäuble, durch! Das Innenministerium blockiert hierbei gegenwärtig. Da muss dringend etwas getan werden. ({6}) Wir brauchen die Verbesserung bei der Personalstruktur. Wir müssen neue, junge Personen für KSK anwerben. Wir müssen vor allen Dingen verhindern - ich sage das sehr deutlich und mit Bedacht -, dass erfahrene Kräfte KSK verlassen. Das ist eine sehr wichtige Baustelle für uns, an der wir arbeiten müssen. Bei KSK geht es nicht nur um Personal; es geht auch um parlamentarische Kontrolle usw. Wenn wir als Bundestag mandatieren, müssen wir auch die Bedingungen dafür schaffen, dass unsere Soldaten den Auftrag erfüllen können. Zu KSK konnte ich hier kurz Stellung nehmen. Wir alle wissen aber auch, dass die Marine mit ihren Einsätzen im Rahmen von UNIFIL und am Horn von Afrika an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angekommen ist, sie zum Teil sogar überschritten hat. Wir müssen konsequent sein. Wenn wir unsere Bundeswehr mandatieren, müssen wir bereit sein, die entsprechenden Ausrüstungen und finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Es gibt eine ganze Reihe von Fähigkeiten, die überall angefordert werden - Sanitätsdienst, Lufttransport, Feldjäger -, und dort haben wir Engpässe. Die müssen beseitigt werden. Wir alle wissen: Mit Militär alleine werden wir die Probleme nicht lösen. Wir alle wissen aber auch - wir müssen dies am heutigen Tage im November 2007 zur Kenntnis nehmen -, dass ohne ein militärisches Vorgehen gegen Terroristen, die es nun einmal gibt, der Kampf gegen den Terrorismus nicht zu gewinnen ist. Deshalb stimmen wir heute in dem Wissen zu, dass die Balance zwischen dem Zivilen und dem Militär zugunsten des Zivilen verändert werden muss. Wir brauchen aber die militärische Komponente. Deshalb stimmen wir heute zu. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ISAF-Mandat und das OEF-Mandat unterscheiden sich voneinander in drei wesentlichen Punkten: in der Rechtsgrundlage, im Auftrag und im Einsatzgebiet. ISAF ist ein Mandat für Afghanistan zur Unterstützung der afghanischen Regierung. OEF bekämpft den Terror in einem Gebiet, das sich vom nördlichen Afrika über das Mittelmeer und die arabische Halbinsel bis hin nach Zentralasien erstreckt. Die Rechtsgrundlage ist hier schon des Öfteren angesprochen worden. Deshalb erlaube ich mir, nicht meine Rechtsansicht, sondern die der Vereinten Nationen hier vorzutragen. Die Vereinten Nationen haben in verschiedenen Resolutionen immer wieder darauf hingewiesen, dass Art. 51 der VN-Charta ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung verbürgt. Dieses Recht ist also in der VN-Charta selbst festgehalten und steht deshalb auch nicht zur Disposition des Sicherheitsrates. Aus diesem Grunde hat der Sicherheitsrat das Recht auf Selbstverteidigung auch nicht gewährt. Aber er hat es in zahlreichen Resolutionen - zuletzt im September dieses Jahres - in diesem Zusammenhang anerkannt und bekräftigt. ({0}) Die weitere Voraussetzung für das Recht auf Selbstverteidigung ist ein bewaffneter Angriff. Es ist unstrittig, dass solche Angriffe, wie wir sie am 11. September 2001 in New York und Washington erlebt haben, auch von nichtstaatlichen, terroristischen Organisationen wie alQaida ausgehen können. Die Zweifel am Vorliegen der weiteren Voraussetzungen von Art. 51 der VN-Charta gründen sich zum einen auf die Frage, ob die Angriffshandlungen fortdauern, und zum anderen auf die Frage, ob der Sicherheitsrat die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, die dazu führen, dass diese Angriffe nicht mehr stattfinden können. ({1}) - Gerne, Herr Kollege Gehrcke. Deswegen spreche ich es ja an. - Ich werde gleich auf die Terroranschläge, die sich nach dem 11. September 2001 ereignet haben, eingehen. Der Sicherheitsrat hat zuletzt in seiner Resolution 1776 vom September dieses Jahres bekräftigt, dass er seine eigenen Maßnahmen nicht für geeignet hält, die terroristischen Angriffe unter anderem auf die Vereinigten Staaten erfolgreich einzudämmen. Denn sonst hätte er in dieser Resolution nicht das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 VN-Charta bestätigt. Schauen wir uns doch einmal die verübten Terroranschläge an. 11. September 2001: fast 3 000 Tote; April 2002: Bombenanschlag auf eine Synagoge in Djerba, Tunesien, 23 Tote, darunter 18 Deutsche; Oktober 2002: Bombenanschlag auf eine Diskothek auf Bali, 202 Tote, darunter 6 Deutsche; Mai 2003: Selbstmordattentat in Casablanca, Maroo, 33 Menschenleben; Juni 2003: Selbstmordanschlag in Kabul, 4 deutsche Soldaten kamen ums Leben; November 2003: 60 Tote bei Bombenanschlägen in Istanbul; März 2004: 192 Tote bei Anschlägen auf Vorortzüge in Madrid; Mai 2004: Überfall von Terroristen in Janbu, Saudi-Arabien, 6 Mitarbeiter westlicher Ölfirmen werden getötet; 50 Ausländer werden in der Ölstadt Chobar als Geiseln genommen, 22 von ihnen sterben bei der Befreiungsaktion.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte zunächst einmal diesen Punkt zu Ende vortragen und dann die Zwischenfrage zulassen. Im August 2004 brechen zwei russische Passagiermaschinen in der Luft auseinander, 89 Tote. In demselben Monat gab es einen Bombenanschlag auf die australische Botschaft in Jakarta, 9 Tote. Einen Monat später kamen 34 Menschen bei Bombenanschlägen auf drei Hotels am Roten Meer ums Leben. Es gab Terroranschläge in London im Juli 2005 und im Mai dieses Jahres einen Selbstmordanschlag in Ankara mit 8 Toten und 121 Verletzen. Und in diesem Jahr fand erneut ein Terroranschlag in Großbritannien statt. Seit dem 11. September 2001 sind bereits mehr Deutsche durch Terroranschläge, die von al-Qaida oder vom internationalen Netzwerk von al-Qaida vorbereitet worEckart von Klaeden den sind, ums Leben gekommen als durch die Terroranschläge der RAF in den 70er-Jahren. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege von Klaeden, ich bin beeindruckt von Ihrer Liste. Die Liste führt aber doch eigentlich zu einer Frage - das ist die Frage, die wir dann auch bezogen auf Afghanistan beantworten müssen -: Wenn Sie auflisten, dass in der Türkei, in Spanien, in Großbritannien, in Indonesien Terroranschläge stattgefunden haben, schließen Sie daraus, dass zum Beispiel die Vereinigten Staaten das Recht hätten, in diesen Ländern, weil es dort diese Anschläge des internationalen Terrorismus gibt, zu intervenieren? Wenn Sie das nicht bejahen, können Sie uns erklären, warum diese allgemeine Liste der Feststellungen über die Untaten des internationalen Terrorismus dazu herhalten muss, dieses Recht in Afghanistan aber anhaltend zuzugestehen?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Trittin, um es einmal ganz klar zu sagen: Sie verwechseln Täter und Opfer. Die Länder, die ich gerade aufgeführt habe, die Toten, die es dort gegeben hat, sind Opfer terroristischer Anschläge geworden. Diese terroristischen Anschläge sind aber nicht in diesen Ländern vorbereitet worden. Ein Grund für die Operation Enduring Freedom ist es, dem internationalen Terrorismus die Nachschubwege abzuschneiden, die es unter anderem am Horn von Afrika gibt. ({0}) Den Zusammenhang herzustellen, den Sie gerade hergestellt haben, ist geradezu perfide. ({1}) Der Grund für meine Aufführung der Anschläge ist lediglich, darauf hinzuweisen - das ist die Rechtsansicht der Vereinten Nationen, bestätigt in den letzten Resolutionen -, dass die Terrorgefahr nach wie vor besteht. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist selber der Ansicht, dass die Maßnahmen, die er bisher getroffen hat, noch nicht ausreichen, um das Terrornetzwerk von alQaida zu zerschlagen. Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, die Terrorgefahr in Afghanistan sei so weit zurückgegangen, dass man auf die Terrorbekämpfung in Afghanistan heute verzichten könnte und dass die afghanische Regierung schon heute in der Lage wäre, Terrorismus und Aufständische tatsächlich so zu bekämpfen, dass wir auf ISAF oder auf OEF verzichten könnten. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt einen weiteren Wunsch nach einer Zwischenfrage, diesmal des Kollegen Gehrcke. Ich will darauf aufmerksam machen, dass ich nur eine begrenzte Neigung habe, Zwischenfragen von Kollegen zuzulassen, die vorher oder nachher ohnehin als Redner in der Debatte gemeldet sind. ({0}) Das ist also die letzte Ausnahme von dieser gerade genannten Regel. Bitte schön.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, herzlichen Dank wegen Ihrer Großmut. Auch Dank an Herrn Kollegen von Klaeden. Es ist ein wichtiger und spannender Punkt, den er angesprochen hat. Es ist einfach notwendig, hier einmal nachzufragen, um Ihre Gedankenführung überhaupt verstehen zu können. Wenn ich es bei der ganzen Liste des Terrors, die Sie aufgezählt haben, und den Opfern, die in der Tat zu beklagen sind - ich denke übrigens, in eine solche Liste gehört Afghanistan unmittelbar immer mit hinein -, richtig verstanden habe, haben Sie gesagt: Durch den Einsatz der Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika werde die Ausübung des Terrors international bekämpft. Können Sie mir sagen, was am Horn von Afrika an terroristischen Strukturen zerschlagen, was an bewaffneten Schiffen aufgebracht worden ist, was an Terroristen festgenommen worden ist? Nichts, weil es das nicht gibt. Aber ich bin gespannt auf Ihre Gedankenführung, darauf, dass Sie mir das beantworten, damit ich das verstehen kann.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Erst einmal, Herr Kollege Gehrcke, habe ich mich nicht Ihrer widersprüchlichen Argumentation bedient. Deshalb bin ich auch nicht bereit, auf ein falsches Zitat zu reagieren und mir unterstellen zu lassen, ich hätte den Zusammenhang zu OEF hergestellt, den Sie gerade behauptet haben. Ich habe gesagt, dass die Vereinten Nationen selber festgestellt haben, dass die Terrorgefahr, die sich vor allem in den Anschlägen vom 11. September manifestiert hat, nach wie vor besteht, und dass die Maßnahmen, die der Sicherheitsrat getroffen hat, noch nicht ausreichen, um den Terrorismus so effektiv zu bekämpfen, dass man annehmen kann, dass von al-Qaida keine Gefahr mehr ausgeht. Um Ihre Frage zu beantworten - Sie haben nach dem Horn von Afrika gefragt -: Zum Beispiel ist Somalia ein Rückzugsraum für den internationalen Terrorismus gewesen. Es ist im vergangenen Jahr glücklicherweise gelungen, die Union der Islamischen Gerichtshöfe aus diesem Land, jedenfalls aus den großen Städten dieses Landes, zu vertreiben. Ich will darauf hinweisen, dass gegenüber, auf der Nordseite des Golfs von Aden, Jemen liegt, dessen östlicher Teil nur eingeschränkt unter Regierungskontrolle steht und deshalb ebenfalls als Rückzugsgebiet für Terroristen gilt. An der östlichen Küste des Jemens haben Terroristen im Oktober 2002 den französischen Tanker „Limbourg“ angegriffen. Vor dem 11. September gab es im Jemen einen Angriff auf den US-Zerstörer „USS Cole“. Dass es nicht zu weiteren solcher Anschläge gekommen ist, ist ein wesentlicher Erfolg des Einsatzes unserer Marine am Horn von Afrika. Die Seewege dort zu sichern, damit internationaler Terrorismus keine weiteren Anschläge dieser Art durchführen kann, ist der Zweck dieses Einsatzes. ({0}) Die Rechtslage ist nach Auffassung der Vereinten Nationen und übrigens auch der afghanischen Regierung - die von mir gerade vorgetragene Rechtsauffassung hat die afghanische Regierung durch die Unterzeichnung des Afghanistan Compact ausdrücklich bestätigt - eindeutig, und kein ernst zu nehmender Vertreter dieses Hauses kann behaupten, dass die Gefahr des internationalen Terrorismus trotz aller Fortschritte, die wir in Afghanistan beobachten können, tatsächlich eingedämmt ist. Daher muss ich sagen: Herr Außenminister, ich habe es für falsch gehalten, dass Sie diese Rechtsgrundlage problematisiert haben. Vor diesem Hintergrund halte ich auch den Beschluss des SPD-Bundesparteitages für falsch. Denn wir haben eine eindeutige völkerrechtliche Grundlage. Wenn diese völkerrechtliche Grundlage problematisiert wird, dann stellt sich die Frage, warum dies geschieht. ({1}) Ich kann mir vorstellen: Ein Grund ist gewesen, mit entsprechenden Beschlüssen über den Bundesparteitag hinwegzukommen. Ein solches Infragestellen unseres internationalen Engagements in Afghanistan droht in der Form missverstanden zu werden - diese Gefahr droht -, dass wir uns aus Afghanistan zurückziehen wollen, bevor die Aufgabe dort erledigt ist. Das erschwert die ohnehin schon bemerkenswerte und schwierige Aufgabe, die unsere Soldatinnen und Soldaten und unsere zivilen Helfer dort zu erledigen haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Paul Schäfer hat das Wort für die Fraktion Die LINKE. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage „Zivilisierung oder Entzivilisierung der internationalen Beziehungen“ wird nicht zuletzt dadurch beantwortet, ob das Völkerrecht strikt umgesetzt wird oder nicht. Enduring Freedom ist eine militärische Koalition der Willigen ohne UN-Mandat, ({0}) und deshalb trägt sie nicht zur Zivilisierung bei. Im Gegenteil: Militärische Macht wird an die Stelle des Rechts gesetzt, und daher lehnen wir entschieden ab, dass sich Deutschland daran weiter beteiligt. ({1}) Lieber Kollege von Klaeden, es gibt eben kein endloses, territorial und zeitlich entgrenztes Verteidigungsrecht. Das Selbstverteidigungsrecht endet in der Tat, wenn die UNO aktiv wird. Das ist der Kern jeder Vorstellung von kollektiver Sicherheit: Die UNO ist zuständig für die Wahrung des Weltfriedens; wenn sie aktiv wird, endet das Selbstverteidigungsrecht. Genau das ist der Punkt. Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen: Kampf gegen Terrorismus ist Kampf gegen Schwerstkriminalität und kein Krieg. Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen. ({2}) Wenn Sie, Herr von Klaeden, diese beeindruckende und erschreckende Liste mit Gewaltakten vorlegen, dann sollten Sie einmal einen Moment innehalten und überlegen, inwieweit diese Zunahme an Gewalttaten auch etwas mit dem Krieg im Irak und in Afghanistan zu tun hat. ({3}) Vielleicht gehört zur Bilanz des War on Terrorism, dass andere westliche Staaten oder wir in Afghanistan zum Beispiel einen Geheimdienst mit aufbauen, der, wie wir jetzt wissen, Gefangene foltert. ({4}) Auch das trägt doch offensichtlich dazu bei, dass Terroristen einen Resonanzboden haben. Ich finde, wir müssen uns zentral mit Afghanistan beschäftigen, aber auch mit dem Einsatz am Horn von Afrika, an dem die Bundesmarine beteiligt ist. Mit der Bekämpfung von Terroristen hat das so gut wie nichts zu tun. Es geht, wie der Minister selber sagt, um die Herstellung der Seesicherheit. Auch da stellt sich die Frage: Wer hat denn diese Militärkoalition damit beauftragt, wer hat sie mandatiert? Das ist doch die entscheidende Frage. Ich kann verstehen, dass der Bundesaußenminister jetzt Skrupel hat und sagt, dass man das gefälligst unter UN-Mandat stellen soll. Aber Skrupel allein genügen nicht. Es geht um konsequentes Verhalten. Das heißt für uns, die deutsche Beteiligung an OEF zu beenden. ({5}) Sie sagen selber, dass es eigentlich nur um den Abschreckungseffekt geht. Konkrete Ergebnisse gibt es nicht beim Einsatz am Horn von Afrika. Sie haben dort keinen Terroristen gefangen genommen. Sie überprüfen aber viele Schiffe. In diesem Zusammenhang wird gern verschwiegen, aber man muss es sagen: Es ging bei OEF in den Jahren 2002 und 2003 darum, den Aufmarsch der US-Militärkoalition im Irak zu decken. Vergessen wir das nicht. Auch die deutsche Marine hat US-Kriegsschiffe eskortiert, die für einen völkerrechtswidrigen Paul Schäfer ({6}) Angriffskrieg in Marsch gesetzt wurden. Im Jahr 2004 hat man das Einsatzgebiet von OEF mir nichts, dir nichts nach Osten hin ausgeweitet, offensichtlich um die USA im Irak zu entlasten, die dort zunehmend unter Druck geraten sind. Auch das gehört zur Wahrheit von OEF. ({7}) Das ist nicht nur Vergangenheit. Wenn die Bush-Regierung sich entschließen sollte, gegen den Iran militärisch vorzugehen, dann wären auch deutsche OEF-Einheiten zumindest mittelbar in Form von Unterstützungsleistungen dabei. Darauf wette ich. Das allein ist für uns ein ausreichender Grund, zu fordern, dass die Fregatte „Augsburg“ und die anderen Schiffe unverzüglich zurückgezogen werden. ({8}) Sie selbst müssen doch in Ihrer Bilanz von OEF Folgendes zugeben: In Somalia hat die tägliche Gewalt zugenommen. In Äthiopien und Eritrea bleiben die Spannungen erhalten. Die Eindämmung der Piraterie - auch das war eine Zeit lang auf Ihrem Ticket; Sie haben gesagt: Dazu tragen wir bei - war nicht erfolgreich. Die Zahlen steigen wieder. Also findet auch das nicht statt. Sie haben also Terroristen nicht gefangen genommen, keine Stabilisierung in der Region erreicht, aber Truppen für Kriege von NATO-Mitgliedstaaten instrumentiert. Man exerziert schon ein bisschen, was die NATO eventuell zukünftig machen will, nämlich Handelswege und Ressourcennachschub für die entwickelten Industriestaaten militärisch abzusichern. Genau das wollen wir nicht. Deshalb ist es höchste Zeit, aus OEF auszusteigen. Danke. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der Kollege Niels Annen ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde, Herr Kollege Schäfer, dass die Debatte den Anforderungen einer Debatte über eine Parlamentsarmee, so wie wir sie in Deutschland haben, bisher gerecht geworden ist. Eine Ausnahme ist bedauerlicherweise Ihr Beitrag. Ich finde, dass Sie die Menschen mit Spekulationen und Wetten über Kriege, die noch gar nicht geführt werden, und Beteiligungen, die an den Haaren herbeigezogen werden, nicht verängstigen sollten. Wir haben es hier mit einer ernsten Frage zu tun, über die wir auch ernsthaft diskutieren sollten. ({0}) Denn es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, dass nicht nur in diesem Hause, sondern auch in der Bevölkerung viele kritische Fragen gestellt werden. Sie haben einige davon aufgeworfen. Tun Sie doch nicht so, als ob über diese Fragen im Deutschen Bundestag nicht ernsthaft diskutiert würde! ({1}) Ich finde es ein wenig merkwürdig, wenn Sie sich hier hinstellen und Ihre Argumentation einzig und allein auf einen formalen Gesichtspunkt stützen und fokussieren, den Sie nicht in der Lage sind zu belegen. Der politischen Frage, die hier im Mittelpunkt steht, müssen Sie sich stellen. Man kann doch gar nicht leugnen, dass sich in den letzten Monaten und Jahren die Praxis von OEF dramatisch zum Positiven hin verändert hat, auch auf Grundlage der Initiative von Abgeordneten aus diesem Hause und der deutschen Bundesregierung. Ich finde, Sie sollten das zur Kenntnis nehmen. ({2}) Wenn wir politisch darüber diskutieren, dann müssen wir die Frage stellen, ob die Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus wirksam sind. Ich finde, es ist nicht ehrlich, sich hier hinzustellen und so zu tun, als ob die Bundesrepublik Deutschland und ihre Regierung die Absicht gehabt hätten, weltweit irgendwo Kriege zu führen. Der Grund dafür, dass sich Deutschland an den internationalen Missionen ISAF und OEF beteiligt, sind die Anschläge vom 11. September; das ist die Wahrheit. Die Wahrheit ist auch, dass wir mit den Ergebnissen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht zufrieden sein können. Die Wahrheit ist auch, dass es Fehlentwicklungen gegeben hat. Und die Wahrheit ist, dass wir diese Fehlentwicklungen benennen müssen. Das ist unsere Politik. Auch ich bekomme Anrufe, Briefe und E-Mails; ich höre kritische Redebeiträge und die Fragen von besorgten Bürgerinnen und Bürgern: Was macht ihr eigentlich in Afghanistan und weltweit? Man muss sich Zeit nehmen, diese Sorgen ernst nehmen und die Fragen beantworten. ({3}) Eine Antwort ist, dass wir einen Strategiewechsel eingeleitet haben; der Außenminister hat sich dafür eingesetzt. Wir stellen uns eben nicht hier hin und sagen, da würden irgendwelche Rechtsgrundlagen infrage gestellt; das hat keiner hier getan. Der SPD-Bundesparteitag hat gesagt - ich bin froh darüber, dass das die Politik der Bundesregierung geworden ist -: Wir bemühen uns darum, eine andere Grundlage zu schaffen. Das ist die Wahrheit; darum geht es. ({4}) Wir bemühen uns darum, die Teile der OEF, die weiterhin notwendig sind, in das unumstrittene ISAF-Mandat zu integrieren. ({5}) Ein Punkt ist entscheidend: Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir uns in Afghanistan nicht - Sie versuchen immer ein wenig, es so darzustellen - in einem Protektorat bewegen. Mit dem Einsatz der Bundesregierung und der deutschen Soldaten haben wir dazu beigetragen, dass es eine souveräne afghanische Regierung gibt. Diese souveräne Regierung hat dem Einsatz zugestimmt. Wir müssen darauf achten, dass wir mit unseren Maßnahmen die Legitimität der Regierung Karzai stärken. Das eröffnet nämlich die einzige Möglichkeit, aus dem Teufelskreis auszubrechen. Dabei bitte ich auch Sie, meine Damen und Herren, um Ihre Unterstützung. Es geht darum, dass der eigentliche Schwerpunkt unserer Bemühungen auf dem zivilen Aufbau liegen muss, und zwar in Afghanistan und darüber hinaus. Das Mandat, über das wir heute zu entscheiden haben, bezieht sich nämlich - das ist gesagt worden - nicht nur auf Afghanistan. Ich möchte einer persönlichen Sorge Ausdruck verleihen. In den letzten Jahren gab es eine Entwicklung im Rahmen dessen, was die amerikanische Administration als Krieg gegen den Terrorismus bezeichnet, die dazu führte, dass es Zweifel an der Art und Weise gibt, wie dort Krieg geführt wird. Sie alle kennen die Beispiele: Guantánamo, Abu Ghureib. Wir dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass wir diejenigen, die unsere demokratische Grundordnung bekämpfen wollen, mit rechtsstaatlichen Mitteln zurückweisen. Ich glaube nicht, dass man einen Krieg gegen den Terrorismus gewinnen kann. Deswegen führen wir keinen Krieg gegen den Terrorismus, ({6}) sondern unterstützen diejenigen, die sich in Afghanistan und weltweit für demokratische Rechte und für eine internationale rechtsstaatliche Ordnung einsetzen. ({7}) Darum geht es; das muss die Botschaft des Deutschen Bundestages sein. Ich möchte Ihnen ganz offen sagen: Ich bedauere es sehr, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSUFraktion nicht bereit waren, den von uns eingebrachten Antrag zu unterstützen; ({8}) denn ich glaube - bitte erlauben Sie mir dieses offene Wort -, dass auch Sie sich den Fragen stellen sollten, die ebenfalls an Sie gerichtet werden. Wir haben an der Stelle etwas vorzuweisen. Der Charakter unseres Engagements hat sich in den letzten Jahren verändert; das sollten auch Sie zur Kenntnis nehmen. Wenn wir heute über ISAF und OEF reden, dann stellen wir das Ziel einer selbsttragenden Sicherheit in den Mittelpunkt; der Bundesverteidigungsminister hat diesbezüglich wichtige Initiativen ergriffen. Es hätte Ihnen gutgetan, dieses Ziel in einen gemeinsamen Antrag einfließen zu lassen. Das hätte für jene Klarheit gesorgt, welche dieses Parlament und die Bundesrepublik benötigen, wenn sie sich auf internationaler Ebene für dieses Ziel einsetzen wollen. Eines möchte ich an dieser Stelle klarstellen: Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, reden immer von internationaler Solidarität und betonen den internationalistischen Aspekt. ({9}) - Natürlich. - Was Sie dabei vergessen, ist, dass sich Deutschland nicht alleine am Wiederaufbau in Afghanistan und an der Operation Enduring Freedom beteiligt hat. ({10}) Wenn wir nicht in der Lage und nicht willens sind, uns mit unseren Bündnispartnern an einen Tisch zu setzen - in Italien, Japan und Kanada werden übrigens ähnliche, zum Teil sogar die gleichen Diskussionen wie bei uns geführt -, dann senden wir ein falsches Signal, Herr Gehrcke. ({11}) Deswegen sage ich Ihnen: Der Weg, den wir auf dem SPD-Bundesparteitag aufgezeigt haben, verlangt vielleicht ein wenig Geduld, auch von Ihnen, und ein wenig Zeit. Er bedeutet aber verantwortliches Handeln. Wenn wir diesen Weg gehen, können wir die Verantwortung, die wir und unser Land an dieser Stelle übernommen haben, wahrnehmen. Nutzen wir die Möglichkeit, die uns die heutige Verlängerung des OEF-Mandats bietet, um diese politischen Schwerpunkte zu setzen, auch im Gespräch mit unseren Bündnispartnern! Benennen wir offen die Probleme! Werden wir den Anforderungen, die die Menschen in Deutschland zu Recht an uns, den Deutschen Bundestag, und an eine Parlamentsarmee stellen, gerecht! Verlängern wir dieses Mandat, befassen wir uns aber auch mit den schwierigen und strittigen Fragen, wie es der Außenminister in seiner Rede deutlich gemacht hat! Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Gert Winkelmeier. ({0})

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Debatte zur Einbringung des Antrags auf Verlängerung des OEF-Mandats am vergangenen Donnerstag hat an einer Stelle ganz deutlich gemacht, wie wenig sich die Koalitionsfraktionen, insbesondere die CDU/CSU, um internationales Recht und Gesetz kümmern. Für seine Kurzintervention in dieser Debatte bin ich dem Kollegen Wolfgang Gehrcke ausgesprochen dankbar. Der Kollege zu Guttenberg hat in seiner Replik nämlich nicht nur die im Hinblick auf den Kriegseinsatz in Afghanistan untauglichen Resolutionen 1368 und 1373 des UN-Sicherheitsrats als Rechtsgrundlagen von seinem Spickzettel abgelesen. Nein, er hat auch noch die Resolutionen 1386 und 1444 genannt, die rein gar nichts mit OEF zu tun haben, sondern die Grundlage für den ISAF-Einsatz bilden. Ich sage das vor einem sehr ernsten Hintergrund; denn auch die Bundesregierung hat in ihrem Antrag die Resolutionen 1368 und 1373 zur Begründung des OEF-Mandats in Afghanistan herangezogen. Es gibt eine exakt formulierte Grenze für exekutives Handeln. Diese Grenze heißt: Es gibt kein exekutives Handeln außerhalb des Rechts. So steht es im Kernartikel des Grundgesetzes, in Art. 20 Abs. 3. Dieser Artikel gilt auch für unser parlamentarisches Handeln. Deswegen müssen wir uns sehr sorgfältig damit auseinandersetzen, ob der OEF-Einsatz rechtmäßig ist. In den beiden genannten Resolutionen steht nichts, aber auch gar nichts von Krieg als Mittel zur Beseitigung des Terrorismus in Afghanistan. Wenn man beide Resolutionen sehr aufmerksam liest - offenkundig hat das aber kaum jemand von der Regierungskoalition getan -, stellt man fest: In keiner der beiden Resolutionen hat der Sicherheitsrat die NATO oder die USA zur Durchführung militärischer Aktionen bzw. zur Anwendung von Gewalt ermächtigt. In Resolution 1368 fordert der Sicherheitsrat - ich zitiere alle Staaten dingend zur Zusammenarbeit auf, um die Täter, Organisatoren und Förderer dieser Terroranschläge vor Gericht zu stellen, und betont, dass diejenigen, die den Tätern, Organisatoren und Förderern dieser Handlungen geholfen, sie unterstützt oder ihnen Unterschlupf gewährt haben, zur Verantwortung gezogen werden … Kein Wort von militärischer Gewalt! Allein der Sicherheitsrat wäre berechtigt, sie anzuordnen. Falls Sie mir darauf entgegnen wollen, dass die USA Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen, also das Recht auf Selbstverteidigung, in Anspruch genommen haben, woraufhin die NATO den Bündnisfall ausgerufen hat, will ich Art. 51 der UN-Charta zitieren: Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält. ({0}) Ich wiederhole den letzten Halbsatz: … jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er - also der Sicherheitsrat zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält. Im Übrigen ist es in der Diskussion unter Völkerrechtlern völlig strittig, ob ein Terroranschlag eines nichtstaatlichen Akteurs das Recht auf Selbstverteidigung begründen darf. Mit seiner Resolution 1373 ist der Sicherheitsrat am 28. September 2001, 17 Tage nach den Anschlägen vom 11. September, seiner Verpflichtung nach Art. 51 der UN-Charta nachgekommen. Auch mit dieser Resolution ermächtigt der Sicherheitsrat nicht zur Anwendung militärischer Gewalt. Vielmehr ruft er die Staatengemeinschaft auf, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf folgenden Gebieten zusammenzuarbeiten: auf politischen, gesetzgeberischen, polizeilichen, wirtschaftlichen und rechtlichen, um den Terrorismus auszutrocknen. Spätestens aber als der Sicherheitsrat am 20. Dezember 2001 mit seiner Resolution 1386 im Einvernehmen mit der provisorischen Regierung Afghanistans die von der NATO geführte ISAF-Mission nach Kapitel VII der Charta zur Anwendung militärischer Gewalt ermächtigte, war jede Legitimationsgrundlage für die Operation Enduring Freedom entfallen ({1}) und auch das Recht auf Selbstverteidigung erschöpft. ({2}) Nun ist ja in der Frage „OEF in Afghanistan“ Bewegung in den Bundestag gekommen: bei den Grünen - wir haben es heute gehört - und auch in der SPD; so interpretiere ich jedenfalls den Gastbeitrag der Kollegen Dr. Bartels und Frau Mogg in der Zeitung Die Welt, in dem es heißt: nachdenken über OEF. Dazu kann ich nur sagen: Machen Sie keine halben Sachen! Werfen Sie den OEF-Einsatz in Afghanistan dorthin, wo er hingehört, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte! ({3}) OEF verschlechtert die Sicherheitslage für die Menschen in Afghanistan. Deshalb kann die Entscheidung heute nur lauten: keine Zustimmung für den OEF-Einsatz! Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch einen Redner. Danach wird abgestimmt. Deswegen empfehle ich doch sehr, bis dahin noch Platz zu nehmen. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch einzelne Plätze. Herr Kollege Ströbele, könnten vielleicht auch Sie als leuchtendes Beispiel für andere Kolleginnen und Kollegen einen der zahlreichen Plätze einnehmen? Präsident Dr. Norbert Lammert Das Wort erhält nun als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Karl Lamers für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! ISAF gut, OEF schlecht - so hört man es, so liest man es. Ich meine, so kann man es nicht stehen lassen. Den Eindruck zu erwecken, die einen bauen das Land auf und die anderen werfen Bomben, das, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir nicht hinnehmen. ({0}) Um gleich der Linken, insbesondere Ihnen, Herr Gehrcke, eine passende Antwort zu geben: Nicht wir führen Krieg am Hindukusch, sondern allein die Taliban, und zwar gegen ihr eigenes Volk. ({1}) Wir kämpfen gegen den Terror, und das ist notwendig. Das ist auch die Antwort auf die Frage, warum wir bei OEF mitmachen: Wir müssen den international agierenden Terrorismus an seinen Wurzeln bekämpfen. Wenn wir eines aus dem 11. September 2001 und aus den vielen nachfolgenden Anschlägen gelernt haben, dann ist es genau das: Kein Staat, keine westliche Demokratie kann sagen, dass sie vor dem Terrorismus sicher ist, auch Deutschland nicht. Als Teil der Weltgemeinschaft und als NATO-Partner sind wir in unserem ureigenen Interesse verpflichtet, einen wirksamen Beitrag zu dem Ziel zu leisten, den Terror entscheidend zu treffen und handlungsunfähig zu machen. ({2}) Genau diesem Ziel dienen die Einsätze im Rahmen der Operation Enduring Freedom: in Afghanistan, am Horn von Afrika sowie im Rahmen der Operation Actice Endeavour im Mittelmeer. Wesentlich ist: Wir dürfen nicht warten, bis terroristische Gewalttäter bei uns zuschlagen. Wir müssen dort einen Beitrag leisten, wo die Bedrohung entsteht. Bedrohungen müssen wir an der Quelle bekämpfen. Wir müssen im Vorfeld verhindern, dass sie uns hier in Berlin, in Heidelberg, in Weinheim oder in München erreichen. Wir dürfen zum Beispiel nicht zulassen, dass die Taliban Afghanistan wieder als Rekrutierungs-, Ausbildungs- und Rückzugsbasis nutzen, wie sie es schon vor dem 11. September 2001 getan haben. Wer heute, wie die Linke, aus populistischen Gründen aus Afghanistan herausgehen will, der macht den Export von Terror erneut möglich. ({3}) Wir wollen die Menschen in Afghanistan weiter auf ihrem Weg begleiten, sich selbst wieder einen Staat aufzubauen, auf den sie stolz sein können. Nation-Building das ist unsere Hauptaufgabe. Die ISAF-Mission zielt darauf ab, den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aufbau des Landes zu unterstützen. Die OEF trägt dazu bei, dass die ISAF diesen Auftrag erfüllen kann. Terroristen wollen all dies nicht. Sie wollen Terror und Zerstörung. Sie sind nicht die Robin Hoods der heutigen Zeit, die das Land befreien wollen. Nehmen Sie nur den letzten Anschlag in Baghlan, bei dem 75 Menschen, darunter 60 Schulkinder, getötet und 100 weitere verletzt wurden. Die Taliban sind Menschen, die keine Rücksicht, keine Grenze und keine Gnade kennen. ({4}) Sie stehen für Zerstörung; wir stehen für Aufbau und eine positive Zukunft Afghanistans. Sie wollen Diktatur; wir wollen Demokratie. Sie wollen Terror und Anarchie; wir wollen Stabilität und Fortschritt. Wir wollen inneren Frieden für Afghanistan. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Lamers, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nachtwei zulassen?

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Kollege Nachtwei.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Karl Lamers, Sie sind der letzte Sprecher der Koalition in der Debatte über die weitere Beteiligung Deutschlands an der Operation Enduring Freedom. Sie haben, wie Ihre Kollegen auch, zum Wofür Stellung genommen. Die Beantwortung einer entscheidenden weiteren Schlüsselfrage vermisse ich bisher aber. Sie lautet: Wie wirksam war und ist die Operation Enduring Freedom in Afghanistan? Ich stelle diese Frage seit zwei Jahren immer wieder an die Bundesregierung, habe bisher aber keine konkrete Antwort darauf bekommen. Sie haben jetzt die Chance, diese meilenweit offene Frage für die Koalition endlich zu beantworten. - Bitte schön.

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Nachtwei, ich danke Ihnen für diese Frage. Wenn Sie noch zwei Minuten Zeit haben und dem Schluss meiner Rede zuhören, dann werden Sie eine direkte, klare und perfekte Antwort auf genau diese Frage bekommen. ({0}) ISAF und OEF sind keine Gegensätze; sie ergänzen sich, ja, sie bedingen einander. Der Aufbau Afghanistans, den wir alle wollen, ist ohne aktive Terrorbekämpfung nicht möglich. Zu Recht beklagen wir Menschenverluste unter der Zivilbevölkerung. Jedes Opfer ist eines zuviel. Wahr ist aber auch: Von unserer Seite wird alles getan, um bei militärischen Operationen - insbesondere in bebauten und bewohnten Gebieten - zivile Opfer zu vermeiden. Anders die Taliban; ihre perfide Vorgehensweise, unbeteiligte Zivilisten bewusst in ihre Dr. Karl A. Lamers ({1}) Aktionen einzuspannen, darf nicht der Operation Enduring Freedom angelastet werden. Herr Kollege Nachtwei, jetzt sprechen wir einmal über die Erfolge, die wir erzielt haben. Dass ISAF und OEF nun enger miteinander verzahnt sind, geht vor allem auf unser Betreiben zurück. Dass Millionen Kinder, darunter Mädchen, wieder zur Schule gehen dürfen und eine Ausbildung erfahren, dass Frauen wieder studieren dürfen, dass Parlamentarierinnen die Zukunft Afghanistans heute aktiv mitgestalten, und das nach nur sechs Jahren, das ist auch ein Erfolg von OEF in Verbindung mit ISAF. So muss man es sehen. ({2}) OEF leistet heute einen großen Teil der Ausbildung der afghanischen Armee. Das ist gut so; denn wir wollen, dass die Menschen in Afghanistan ihr Schicksal bald selber in die Hand nehmen. Am Horn von Afrika leisten wir einen wichtigen Beitrag, indem wir Verbindungswege sichern, strategisch wichtige Seepassagen vor terroristischen Anschlägen schützen und zugleich Terroristen den Weg in Rückzugsgebiete versperren. Herr Kollege Nachtwei, das alles dient letztlich auch unserem Schutz. ({3}) Am Montag dieser Woche beging die Bundeswehr den 52. Jahrestag ihrer Gründung. Ich denke, wir sind uns einig: Unsere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben in diesen Jahrzehnten für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gewirkt und werden dies auch weiter tun. Dafür Dank und Respekt!

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Karl A. Lamers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002716, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Operation Enduring Freedom, das heißt Operation dauerhafte Freiheit. Ich schließe mit dem Satz des Schriftstellers William Allen White: Freiheit ist das Einzige, das man nicht haben kann, wenn man nicht gewillt ist, es andern zu geben. - Wir sind dazu bereit und sagen deshalb Ja zu OEF. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa- che 16/7140 zum Antrag der Bundesregierung auf Fort- setzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA. Dazu liegt mir eine Reihe von persönlichen Erklärungen zur Abstim- mung vor, die dem Protokoll beigefügt werden.1) Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/6939, zuzustimmen. Dazu ist eine namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme bislang nicht hat abgeben können? Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Wie immer werden wir Ihnen das Ergebnis der Ab- stimmung später bekanntgeben.2) Ich setze die Abstimmungen fort, sobald ich den Eindruck habe, dass mindestens die große Mehrheit der Anwesenden nachverfolgen kann und will, worüber jetzt weiter abgestimmt werden soll. - Wer bleibt, möge bitte Platz nehmen. Die anderen mögen bitte den Plenarsaal verlassen. Tagesordnungspunkt 6 b. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/7142 zum Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zum Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte. Der Ausschuss empfiehlt, diesen Entschließungsantrag auf Drucksache 16/6971 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Das Erste war die große Mehrheit. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7161. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Wir setzen unsere Beratungen fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 a auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mahnungen des Sachverständigenrates ernst nehmen - Mehr Freiheit wagen - Drucksache 16/7112 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Das ist offenkundig einvernehmlich und damit so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({1}) 1) Anlagen 2 bis 5 2) Ergebnis Seite 13111 C

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, das Rednerpult ist falsch eingestellt. Waren Sie am Drücker?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, natürlich nicht. Ich war ganz fasziniert, dass Sie Ihre Redezeit durch Spielen mit dem Hebemechanismus des Pultes vertun. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, Ihre sonst scharfe Beobachtungsgabe hat Sie verlassen. Ich habe nämlich gar nichts gemacht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja, aber immerhin reicht mein Beobachtungsvermögen aus, um die Uhr weiter im Blick zu behalten.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Züge im Lande stehen heute still. Darüber ärgern wir uns alle. Es wird höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung endlich intensiv um eine Lösung bemüht. Aber die Oberstreikenden sitzen auf der Regierungsbank. Sie bremsen den Deutschlandexpress. Der Heizer ist von Bord gegangen. Nicht nur die Lokführer sorgen für Stillstand in Deutschland, sondern auch diese Bundesregierung. ({0}) Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat deutliche Worte der Kritik für die Politik dieser Regierung gefunden. Im Jahresgutachten steht es schwarz auf weiß: Die Politik der schwarz-roten Koalition ist konzeptionslos und kurzfristig orientiert. Die Regierung verfängt sich in taktischen Manövern. Die wichtigen Probleme werden nicht gelöst, sie werden zaghaft angegangen oder verdrängt. Eine klare Richtung ist bei Schwarz-Rot nicht erkennbar. Das ist auch ein Grund, weshalb die Akzeptanz von Reformen im Land abnimmt: Es wird kein klarer Kurs gefahren. ({1}) Die Neue Zürcher Zeitung, eine angesehene Schweizer Zeitung, kommentiert dazu: Schwärzer könnte ein Urteil über die wirtschaftspolitische Kompetenz der … Regierungskoalition in Berlin kaum ausfallen. Damit ist im Klartext gesagt, wie die Situation ist. Selbst der Wirtschaftsrat der CDU fordert: Ende der ordnungspolitischen Geisterfahrt! Der Koalitionsausschuss am Montag war ein Beispiel für das Trauerspiel, das die Regierung Woche für Woche aufführt. Manchmal kommt beim koalitionären Kuhhandel nur Unfug raus, oft gar nichts. Der Trost der Wirtschaftsweisen dazu ist: An vielen Stellen ist Stillstand noch besser als alles, was die Bundesregierung sich so ausdenkt. - Von einer Regierung, die gestalten will, ist schon längst nichts mehr übrig. Die inhaltlichen Gemeinsamkeiten sind aufgebraucht, wenn sie überhaupt da waren; die Koalition ist tief gespalten, nur der „Machtkitt“ hält sie noch zusammen. Nehmen wir die Steuerpolitik: große Steuererhöhungen, aber nichts ist vereinfacht, nichts ist verständlicher. Nehmen wir die Arbeitsmarktpolitik: Mindestlöhne, Beschränkung der Zeitarbeit, Verlängerung des Bezugszeitraums des Arbeitslosengeldes. Das sind keine klaren Konzepte für mehr Arbeit und weniger Arbeitslosigkeit. ({2}) Was Schwarz-Rot präsentiert, ist ein Flickenteppich. Patchwork mag für eine Handtasche gut sein, für eine Regierungspolitik ist es untauglich. Dass es - wahrscheinlich noch nicht 2008, aber in den darauffolgenden Jahren - auch wieder einen Abschwung in Deutschland geben wird - hier zitiere ich noch einmal das Sachverständigengutachten -, ist bei aller Unsicherheit der Prognosen eine bedauerliche Gewissheit. Der nächste Abschwung wird kommen, wir sind darauf aber nicht vorbereitet. Niemand sollte glauben, dass eine Große Koalition den Konjunkturzyklus außer Kraft setzen kann. Niemand sollte glauben, die Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten, die Abschwächung der Weltkonjunktur seien schon beendet und würden spurlos an uns vorübergehen. Niemand sollte glauben, die Finanzkrise wäre schon zu Ende. Das wird Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben. Noch sieht die wirtschaftliche Lage in Deutschland rosig aus, und die Versuchung, sich darauf auszuruhen, ist groß. Die Bundesregierung ist dem offensichtlich erlegen. Es wird schon verteilt, was noch gar nicht erwirtschaftet ist. Die Gestaltungsspielräume für morgen, wenn ein Abschwung ansteht, werden der Politik genommen. Dann besteht keine Handlungsmöglichkeit mehr. ({3}) Der Konjunkturhimmel wird grauer. Die Finanzexperten und die Unternehmer, die befragt werden, haben gedämpfte Erwartungen. Manche sprechen schon wieder vom Gespenst der Stagflation. Auch was die Geldentwertung betrifft, verfehlen wir die Ziele der Notenbank. Aber die Bundeskanzlerin scheint das alles nicht zu kümmern. Sie reist lieber wie Humboldt durch die Welt. Statt die Vermessung der Welt nachzuspielen, sollte sie lieber die Reformagenda in Deutschland neu vermessen. Das, was die Koalition jetzt tut, erinnert sehr an die Jahre 1999 und 2000. Damals hat die rot-grüne Koalition die Reform der Vorgängerregierung als unsozial gebrandmarkt und den Aufschwung genutzt, um Reformen zurückzunehmen. Ich erinnere nur an den demografischen Faktor in der Rentenversicherung. Der Sachverständigenrat warnt die Bundesregierung sehr deutlich davor, den Fehler von Rot-Grün der Jahre 1999 und 2000 zu wiederholen und jetzt, da es besser läuft, alles zu verfrühstücken, bei den Reformen einzuschlafen und ihre Politik nicht konsequent fortzuführen. ({4}) Das Wachstumspotenzial hat sich verbessert, es ist aber immer noch sehr bescheiden. Das sagen die Bundesbank und die Sachverständigen. Man müsste einen langen Atem haben und die Politik durchhalten, aber nicht permanent zurückweichen. Es ist jetzt an der Zeit, Vorsorge zu treffen, aber das erfolgt nicht. Wir müssen mehr Freiheit wagen, statt den Bürgern neue Bevormundungen zuzumuten. Ich denke an die Unternehmensteuerreform, Funktionsverlagerungen und andere Dinge, die falsch angepackt wurden. Die Bundeskanzlerin hat einmal davon gesprochen, sie will mehr Freiheit wagen. Das hat sich völlig verflüchtigt. Das Gegenteil ist die Realität. Es wird Freiheit abgebaut, statt Freiheit geschaffen. Wir brauchen mehr Freiheit auf den Güter- und Kapitalmärkten. Wir dürfen keine neuen Mauern errichten. Wir brauchen keinen neuen Protektionismus. Wir sollten froh sein, wenn Ausländer ihr Geld in Deutschland investieren. Wir sollten sie nicht daran hindern und nicht Schutzzäune errichten, damit unfähige und träge DAX-Vorstände vor Wettbewerb geschützt werden. Nein, unsere Wirtschaftsordnung beruht auf Wettbewerb und nicht auf einer Politik, die gegen Wettbewerb gerichtet ist. ({5}) Wenn Sie diese neuen Barrikaden gegen Wettbewerb errichten, dann begraben Sie Ludwig Erhard zum zweiten Mal. ({6}) Auf Märkten, auf denen Wettbewerb herrscht, ist es kein Problem, wenn sich auch ausländische Staatsfonds engagieren, weil der Wettbewerb garantiert, dass sich alle ökonomisch verhalten. Auch Chinesen wollen kein Geld durch Fehlverwendung verlieren. Anders verhält es sich mit natürlichen Monopolen wie dem Schienennetz oder Ähnlichem. ({7}) Da muss man durch Wettbewerbsbehörden stramm regulieren. Das ist der richtige Weg. Der Sachverständigenrat warnt sehr deutlich vor den Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes. Das wäre ein Einfallstor, mehr staatliche Eingriffe in die Wirtschaft vorzunehmen. ({8}) Mehr Wettbewerb wäre die Lösung. Mehr Wettbewerb auf der Schiene hätte Pluralität zur Folge. Wenn wir Wettbewerb statt eines Staatsmonopolisten hätten, hätte der Streik heute nicht so verheerende Auswirkungen. Mehr Wettbewerb würde der Deutschen Post guttun. Aber mit Mindestlöhnen auf dem Niveau des Monopolisten wird genau dieser Wettbewerb verhindert, und Zehntausende von Arbeitsplätzen werden abgebaut. Arbeitsmarktreformen sind Investitionen in die Zukunft.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, auch nach Anrechnung der Zeit, die die Einstellung des Pults gekostet hat, müssen Sie zum Ende kommen.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin beim letzten Satz, Frau Präsidentin. Ihr Vorgänger hat die Zeit, die die Veränderung der Höhe des Pults gekostet hat, nicht angerechnet.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die habe ich bei dem Wettbewerb der Fraktionen um die Redezeit schon angerechnet, Herr Brüderle.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere ist kein Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Herr Müntefering hat völlig recht gehabt. Ich habe mich gefreut, als ich ihn vorhin auf der Regierungsbank gesehen habe. Der Mann hat Charakter und Beständigkeit. Er hat die richtige Formulierung gewählt: Investieren in Arbeit, und nicht Investieren in Finanzierung von Arbeitslosigkeit. Das wäre die richtige Politik. ({0}) Damit kämen wir voran, aber das Gegenteil geschieht.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie müssen umsteuern. Wenn Sie weiter so zaghaft sind und so falsch steuern, wird die Zustimmung zur marktwirtschaftlichen Ordnung im Lande weiter abnehmen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Laurenz Meyer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brüderle, ich will am Anfang meiner Rede zwei Punkte aufgreifen, über die Sie, wie ich denke, wirklich noch einmal nachdenken sollten: Erstens. Sie haben die Bundesregierung aufgefordert, die Tarifauseinandersetzung bei der Bahn zu lösen. ({0}) Wo ist eigentlich das Selbstverständnis der FDP geblieben? ({1}) Das mag zwar blanker Populismus sein; da Sie hier aber ordnungspolitische Sauberkeit anmahnen, sollten Sie noch einmal über das nachdenken, was Sie gerade gefordert haben. Wir sollten stattdessen gemeinsam alle Beteiligten auffordern, die Interessen von kleinen Grüppchen und die unternehmensinternen Auseinandersetzungen nicht auf dem Rücken der Kunden und der deutschen Wirtschaft auszutragen. ({2}) Laurenz Meyer ({3}) Wir sollten den Beteiligten klipp und klar sagen, dass das, was zurzeit stattfindet, so nicht geht. Ich spreche ganz bewusst beide Seiten an. Das Problem muss sich lösen lassen. Ich meine, dass auch die übrigen beteiligten Gewerkschaften einbezogen werden müssen. Zweitens. Herr Brüderle, ich will Sie nach Ihrer Position zu den Staatsfonds fragen. Ich will meine Überzeugung klipp und klar kundtun - vielleicht denken Sie noch einmal über Ihre Positionierung nach -: Der deutsche Staat sollte sich aus deutschen Unternehmen so weit wie möglich zurückziehen und nicht über wirtschaftlichen Einfluss politischen Einfluss ausüben. Staatsbeteiligungen sollten so weit wie möglich abgebaut werden. Wenn ich aber dafür bin, dass der deutsche Staat auf deutsche Unternehmen keinen politischen Einfluss ausüben soll, dann kann ich doch erst recht nicht dafür sein, dass ausländische Staaten auf deutsche Unternehmen einen politischen Einfluss ausüben. Wenn man ausländischen Staatsfonds das Wort redet und ihre Beteiligung an deutschen Unternehmen wünscht, muss zumindest Klarheit herrschen, um was für Beteiligungen es sich handelt: um Mehrheitsbeteiligungen, um politisch relevante Beteiligungen, um eine 10-Prozent-Beteiligung oder sonst etwas. Ich finde den Ansatz, auf diesem Gebiet für Klarheit zu sorgen, völlig in Ordnung und halte ihn geradezu für notwendig, wenn wir unsere Wirtschaftsordnung für die Zukunft stabilisieren wollen. ({4}) Vor welchem Hintergrund ist das Gutachten des Sachverständigenrates zu beurteilen? Für meine Fraktion sage ich ganz bewusst, dass wir die Kernaussage des Sachverständigengutachtens in vollem Umfang unterstützen. Wir sagen ganz klar: Das Ziel, das wir uns gesetzt haben, darf nicht gefährdet werden. Über Einzelheiten kann man wie immer reden. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen, wo wir Anfang des letzten Jahres gestanden haben - das ist ja noch nicht so lange her -: Die Zahlen, die mit Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Wachstum zusammenhängen, brauche ich in diesem Kreis doch nicht in Erinnerung zu rufen. Die Lage war desaströs. Sie hat sich durch und mithilfe der Politik verändert. Das ist ein mehrere Jahre dauernder Prozess. Die Dinge, die wir auf den Feldern Besteuerung, Arbeitsmarkt, soziale Sicherung und Bürokratieabbau getan haben, haben zum wirtschaftlichen Comeback Deutschlands beigetragen. Wie wir Handwerkerleistungen und haushaltsnahe Dienstleistungen steuerlich behandelt haben und weiterhin behandeln wollen, ist ein Aspekt. Wir wollen durch die Regelung der haushaltsnahen Dienstleistungen einen Beitrag zur Bekämpfung der Schwarzarbeit im Bereich der Privathaushalte leisten. Das ist eine der großen Aufgaben, die wir vor uns haben. Wir haben die Ausgabendynamik in den sozialen Sicherungssystemen gebremst. Erstmalig haben wir es geschafft - das war ein Ziel dieser Legislaturperiode -, den Anteil der Sozialabgaben auf unter 40 Prozent zu senken. Dieses Ergebnis müssen wir jetzt sichern. ({5}) Ich finde, das ist ein riesengroßer Erfolg. Die Arbeitnehmer bekommen endlich eine Aufschwungrendite, die wir ihnen auch zugestehen. Wir wollen, dass sie teilhaben können, und zwar, indem es mehr Arbeitsplätze gibt. Das ist das Wichtigste. Wenn mehr als 1 Million Menschen zusätzlich in Arbeit ist, dann stützt das die Inlandsnachfrage, sagt der Sachverständigenrat. In der Tasche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleibt außerdem mehr Geld, weil wir die Sozialabgaben senken. Genau das ist der richtige Weg. Ich plädiere nachhaltig dafür, dass wir uns neben der Haushaltskonsolidierung - das ist das oberste Ziel als weitere Aufgabe vornehmen, versicherungsfremde Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen herauszunehmen. Bezüglich der Leistungen für Kinder haben wir schon einen Markstein gesetzt. Nur durch die Senkung der Sozialversicherungsbeiträge können wir auch für die kleinen und mittleren Einkommen einen Beitrag leisten, was uns ein Anliegen sein muss. ({6}) Deswegen möchte ich für unsere Fraktion die Gruppe von Arbeitnehmern bzw. die Bevölkerungsgruppe benennen, die für uns in den Beratungen der kommenden Monate im Mittelpunkt steht, die im Moment aber noch zu wenig benannt wird. Ich meine diejenigen, die keine Transferleistungen, kein BAföG oder kein Wohngeld erhalten, die keine Leistungen für die Kosten der Unterkunft bekommen und die daher mit ihrer Arbeit den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie verdienen müssen. ({7}) Diese kleinen und mittleren Einkommen kommen in der Diskussion zu kurz, wenn wir fast ausschließlich über Transferleistungen und über ihre Entwicklung sprechen. Wir können nur dann einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung ihrer Situation leisten, wenn es uns gelingt, die Sozialversicherungsabgaben weiter zu senken. Deswegen hilft uns Ihr Populismus überhaupt nicht weiter. In Bezug auf die Diskussion über die Mindestlöhne sind wir nach wie vor der Meinung, dass die Einkommen in den Familien stimmen müssen. Deswegen fordern wir ein Mindesteinkommen für alle. Außerdem benötigen wir eine soziale Grundabsicherung in den verschiedenen Bereichen. Das, was am Montag in der Koalitionsrunde verhandelt worden ist, halte ich - auch in Bezug auf das Arbeitslosengeld I - für eine klare Linie. Der Vorschlag von Herrn Müntefering, einer Verlängerung des Arbeitslosengeldes Weiterbildungsgutscheine voranzustellen, stellt aus meiner Sicht eine zentrale Verbesserung der Konstruktion des Arbeitslosengeldes gerade in Bezug auf Ältere dar. ({8}) Deswegen unterstützen wir diesen Vorschlag nachdrücklich. Wir müssen die Vielzahl der Programme beim Arbeitslosengeld I eindampfen, um eine gewisse Übersichtlichkeit zu schaffen. Ferner müssen wir zusätzlich einen Laurenz Meyer ({9}) Beitrag zur Beseitigung des Fachkräftemangels leisten. Wir haben bereits einen Beitrag für die Beschäftigung Älterer geleistet, indem wir beschlossen haben, die 58erRegelung auslaufen zu lassen und endlich die Verrentungs- oder Sozialplanmodelle der großen Unternehmen auf Kosten der sozialen Sicherungssysteme des Mittelstandes und der Normalarbeitnehmer zu stoppen. Das ist eindeutig eine wichtige Positionierung. ({10}) Wir werden alles tun, um diese Linie zu halten, damit eine der wichtigen, guten Veränderungen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II, dass nämlich die Zeitarbeit als Flexibilisierungsinstrument zusätzliche Möglichkeiten erhalten hat, bestehen bleibt. Wir finden es toll, dass inzwischen der Abfluss aus der Zeitarbeit in die Unternehmen stattfindet. Die Zahl der Zeitarbeitnehmer stagniert im Moment, weil sie zum Teil Arbeitsplätze in den Unternehmen finden, für die sie tätig sind. Deswegen begrüßen wir diese Form der Beteiligung der Arbeitnehmer. Wir werden uns das Thema Arbeitnehmerbeteiligung an Gewinn und Kapital als große und wichtige Aufgabe vornehmen. Wenn die Große Koalition dies schafft, dann würden wir eine Weichenstellung erreichen, über die jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang in Deutschland gestritten worden ist. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt weltwirtschaftliche Risiken: Öl, Dollarkurs, Immobilienkrise; all das haben wir gehört. Vor diesem Hintergrund gilt es, den klaren Kurs fortzusetzen. Wir haben jetzt keine Zeit für Experimente oder für ein Rückwärtsschauen, sondern es muss nach vorne gehen, und zwar vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, der Globalisierung und des Klimawandels. Deswegen sage ich ganz klar: Für uns ist die Koalitionsvereinbarung die verbindliche Linie und nicht Parteitagsbeschlüsse. ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe Ihnen jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt, bei der es um die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 und 1373 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ging. Abgegeben wurden 574 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 414. Mit Nein haben gestimmt 145. Es gab 15 Enthaltungen. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 573; davon ja: 413 nein: 145 enthalten: 15 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({1}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({2}) Dirk Fischer ({3}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({4}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({5}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Siegfried Kauder ({6}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({7}) Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues ({8}) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({9}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({10}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({11}) Stefan Müller ({12}) Bernd Neumann ({13}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({14}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({15}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({16}) Hermann-Josef Scharf Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({17}) Andreas Schmidt ({18}) Ingo Schmitt ({19}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Andreas Storm Thomas Strobl ({20}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({21}) Gerald Weiß ({22}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Niels Annen Ernst Bahr ({23}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Petra Bierwirth Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Bernhard Brinkmann ({24}) Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({25}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Gerd Höfer Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({26}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({27}) Gabriele Lösekrug-Möller Caren Marks Katja Mast Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({28}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({29}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({30}) Michael Roth ({31}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({32}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({33}) Silvia Schmidt ({34}) Renate Schmidt ({35}) Carsten Schneider ({36}) Olaf Scholz ({37}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Simone Violka Jörg Vogelsänger Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({38}) Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({39}) Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({40}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Birgit Homburger Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Michael Link ({41}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({42}) Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({43}) Nein CDU/CSU Wolfgang Börnsen ({44}) Dr. Peter Gauweiler Willy Wimmer ({45}) SPD Dr. Lale Akgün Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Dr. Axel Berg Lothar Binding ({46}) Willi Brase Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Peter Danckert Renate Gradistanac Angelika Graf ({47}) Klaus Hagemann Dr. Reinhold Hemker Petra Hinz ({48}) Christian Kleiminger Ernst Kranz Jürgen Kucharczyk Christine Lambrecht Waltraud Lehn Helga Lopez Dirk Manzewski Lothar Mark Hilde Mattheis Petra Merkel ({49}) Gerold Reichenbach Sönke Rix René Röspel Ortwin Runde Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({50}) Swen Schulz ({51}) Frank Schwabe Wolfgang Spanier Christoph Strässer Dr. Rainer Tabillion Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Lydia Westrich Waltraud Wolff ({52}) FDP Jürgen Koppelin Sabine LeutheusserSchnarrenberger DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Barbara Höll Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Jan Korte Oskar Lafontaine Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({53}) Volker Schneider ({54}) Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({55}) Volker Beck ({56}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Kai Gehring Anja Hajduk Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({57}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth ({58}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({59}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({60}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Enthaltung CDU/CSU Peter Albach Dr. Wolf Bauer Renate Blank Manfred Kolbe SPD Iris Hoffmann ({61}) Dr. Bärbel Kofler Dr. Wilhelm Priesmeier Ottmar Schreiner Ewald Schurer FDP Uwe Barth Joachim Günther ({62}) Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Max Stadler Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Wir kommen zu unserer Debatte zurück. Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Herbert Schui für die Linke. ({63})

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst eine kleine Bemerkung zu den Staatsfonds. Herr Meyer, das Problem ist nicht, dass die Politik auf die Wirtschaft Einfluss nehmen würde, sondern umgekehrt: Die Wirtschaft nimmt Einfluss auf die Politik, und darüber muss nachgedacht werden. Das wäre dann in der Tat auch bei den Staatsfonds der wesentliche Punkt. ({0}) Der Sachverständigenrat mahnt nun: Das Erreichte nicht verspielen. Das ist auch der Titel seines diesjährigen Gutachtens. Fragen wir uns: Worin besteht dann die Freiheit, nach der die FDP strebt? Was genau ist erreicht worden, und was soll nicht verspielt werden? Eine kleine Liste: Erstens. Im Januar dieses Jahres ist der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,2 Prozent gesenkt worden. Für das kommende Jahr ist eine weitere Senkung auf 3,3 Prozent geplant. Für beide Jahre zusammengenommen bringt das den Unternehmen mehr Gewinn in Höhe von 12,25 Milliarden Euro. Sicherlich steigt auch das Netto der abhängig Beschäftigten um denselben Betrag. ({1}) Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Wären diese 12,25 Milliarden Euro in der Kasse der Arbeitslosenversicherung geblieben, dann ginge es den Beschäftigten, die einmal arbeitslos sind, dann wieder eine Beschäftigung haben, besser, um 12,25 Milliarden Euro besser. Sie wären immer noch nicht frei von materieller Not, aber doch etwas freier. ({2}) Mehr Freiheit bedeutet hier: weniger Gewinn, dafür aber mehr Leistungen für Arbeitslose, beispielsweise in Form einer längeren Zahldauer des Arbeitslosengeldes I oder in Form von zusätzlicher beruflicher Qualifizierung. Zweitens. Als weitere Errungenschaft nennt der Sachverständigenrat die „moderaten und flexiblen Lohnvereinbarungen“, damit mehr Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und eine bessere Position im Export. So die Argumente des Sachverständigenrats. Die Welt- und Exportkonjunktur aber sind unsicher. Mehr Binnennachfrage bei höheren Löhnen ist die bessere Konjunkturstütze. ({3}) Was ist bei den Nettolöhnen erreicht worden? Preisbereinigt, real, sind sie von 1991 bis zum Aufschwungjahr 2006 um 1,8 Prozent gefallen - und das, obwohl die Arbeitsproduktivität, also das Produktionsergebnis je Beschäftigtenstunde, um 2,4 Prozent gestiegen ist. Also: ein Manko, ein Minus in der Verteilungsbilanz von 4,2 Prozent. Erreicht hat die CDU/CSU auch, dass es keinen Anfang für einen gesetzlichen Mindestlohn - hier bei den Briefzustellern - gibt. Drittens. Erreicht hat die Koalition die Rente mit 67, also in der Praxis zwei Jahre Arbeitslosigkeit mehr und anschließend eine niedrigere Rente. Auch das soll nicht aufs Spiel gesetzt werden. Weiter nenne ich die Zwangsverrentung der Älteren. Ein Beispiel aus dieser Gesetzgebung: Leute, die Hartz IV bekommen, sollen nach 35 Beitragsjahren schon mit 63 Jahren in Rente gehen. Das bedeutet eine um 7,2 Prozent niedrigere Rente. Wenn an Ihrem Aufschwungmythos wirklich etwas dran wäre, dann brauchten Sie nicht zu diesem lausigen Mittel zu greifen, um die Arbeitslosenstatistik künftig zu verschönern. ({4}) Die Nettorenten sind im vergangenen Juli um 0,5 Prozent erhöht worden. Die Preise für die Lebenshaltung steigen in diesem Jahr um 2,1 Prozent. Also: eine reale Rentensenkung um 1,6 Prozent. Für das kommende Jahr ist eine Rentenerhöhung von 1 Prozent bei einer Preissteigerung von wahrscheinlich 2 Prozent beabsichtigt. Also: reale Rentensenkung um 1 Prozent. „Das Erreichte nicht verspielen“, „Mahnungen des Sachverständigenrates ernst nehmen“: Finden Sie, dass diese Rentenregelung mehr Freiheit bedeutet? Viertens. Was ist sonst noch erreicht worden? 2 Millionen Kinder sind arm. Ihnen fehlt es am Nötigsten, an Nahrung und Kleidung. Der Hartz-IV-Satz liegt unverändert bei 347 Euro im Monat, zum Leben ohnehin zu wenig. Aber selbst dieses geringe ALG II sinkt von Jahr zu Jahr, weil es nicht den Preissteigerungen angeglichen wird. Fünftens. Wie wollen Sie all das nun rechtfertigen? Es bleibt Ihnen nur ein einziges windiges Argument, nämlich der Hinweis auf den Aufschwung und darauf, dass die Arbeitslosigkeit gesunken sei. Bei Licht besehen muss man sagen: Das Einzige, was Aufschwung hat, ist Mythenbildung. Vergleichen wir einmal zwei Perioden miteinander, in denen das Wirtschaftswachstum fast gleich hoch war, nämlich die Jahre 1998 bis 2000 mit den Jahren 2005 bis 2007. Das Wachstum in der ersten Periode betrug real 5,3 Prozent und in der zweiten Periode 5,5 Prozent. Es war also ungefähr gleich hoch. Ursache ist in beiden Fällen der steigende Export und die vorübergehend rasch zunehmenden Bruttoinvestitionen. Der Unterschied ist: Der Zeitraum 1998 bis 2000 liegt vor den Arbeitsmarkt-, den Hartz-Reformen. Warum ist nun die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Zeitraum 1998 bis 2000 um 391 000 und im zweiten Zeitraum - das stellt die Koalition als einen besonderen Erfolg ihrer Reformen dar - um 1 078 000 gesunken? Die Antwort ist einfach: Das Angebot an Arbeitskräften, also das Erwerbspersonenpotenzial, ist in der ersten Periode um 380 000 gestiegen, in der zweiten Periode dagegen um 104 000 Personen gesunken. Die wichtigsten Bestimmungsgründe dieses Arbeitsangebotes sind die Demographie, die Wanderung und vor allem die Erwerbsneigung als Verhaltenskomponente. Das Mitglied des Sachverständigenrates Peter Bofinger hat dies im letzten Gutachten als „Eine andere Meinung“ sehr klar herausgearbeitet: Diese Erwerbsneigung hat im Zeitraum 1998 bis 2000 um 766 000 Personen, im Zeitraum 2005 bis 2007 dagegen nur um 95 000 Personen zugenommen. Wörtlich fährt Herr Bofinger fort: Die Bereitschaft, in einer Aufschwungphase in den Arbeitsmarkt einzutreten, war also vor der Durchführung - vor der Durchführung! der Arbeitsmarktreformen höher als danach. So weit also eine gekürzte Liste der Erfolge, die nicht verspielt werden sollen. Wir sollten uns klar darüber sein, dass diejenigen, die arbeitslos sind, im Erwerbspersonenpotenzial enthalten sind. Das Fördern und Fordern durch die Hartz-Gesetze hat also gar nichts gebracht, außer Armut und Stress für die einen und mehr Gewinn für die anderen. ({5}) Überlassen wir also das Entwerfen von Gesetzen nicht weiter Managern von zweifelhaftem Ruf. Das ist Aufgabe der Referenten in den Ministerien, nach Kräften unterstützt von den Staatssekretären. ({6}) Im vergangenen Juni hat Staatssekretär Otremba vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie von einem - wörtlich - „Tugendzirkel“ geschwärmt, der 2012 verwirklicht werden soll. Schon jetzt, so schrieb er, befänden sich „Staat und Wirtschaft … in einem Tugendkreislauf“. Als einen wichtigen Bestandteil dieser Förderung der allgemeinen Sittlichkeit benennt Otremba die „Anreizverbesserung am Arbeitsmarkt“ im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung. Angesichts der Überlegungen in der Analyse von Bofinger muss ich sagen: In den Müll mit Hartz IV und mit dieser Anreiz-Gesetzgebung! ({7}) Die ganzen Arbeitsmarktreformen im Rahmen der Agenda 2010 haben, wie Bofinger zeigt, das Angebot an Arbeitskräften im Allgemeinen nicht erhöht. Umso weniger tragen sie dazu bei, dass diejenigen, die als Bezieher von ALG I und ALG II bereits auf dem Arbeitsmarkt als Arbeitssuchende sind, tatsächlich eine Arbeit finden. Die ganze Schikaniererei, euphemistisch Anreizverbesserung genannt, hat nur einen Zweck, nämlich die Arbeitslosen für ihre Lage selbst verantwortlich zu machen. Wenn der Sachverständigenrat in seiner Mehrheit nun mahnt, das Erreichte nicht zu verspielen, dann ist klar, wer bei dieser Politik was erreicht hat. Es sind die Unternehmen. Es sind die Vermögenden. Diese haben Freiheit dazugewonnen, sich zu bereichern. ({8}) Anliegen der FDP ist die Verstetigung und Ausweitung dieser Entwicklung - so wörtlich im Antrag -, es soll also noch mehr Freiheit dieser Art gewagt werden. ({9}) „Wieder mutige Reformmaßnahmen“ heißt die Losung. Ich verstehe Ihren Aufruf zu mehr Mut voll und ganz. Denn es gehört Mut dazu, gegen das Interesse der großen Mehrheit der Bevölkerung den Sozialstaat weiter umzukrempeln und zu beseitigen. Es gehört umso mehr Mut dazu, als der Bevölkerung klar wird, dass sie hinters Licht geführt wird. ({10}) Wagen wir mehr Freiheit von materieller Not. Das ist unsere Aufgabe. Freiheit von Behördenstress, dem die Arbeitslosen, die Armen ständig ausgesetzt sind. ({11}) Die Voraussetzungen sind da. Die Produktivität der Arbeit ist hoch und steigt. Sie muss nur vernünftig genutzt werden. Dahin gehört der Mut. Da ist der Schlüssel zur Freiheit. Meine Damen und Herren von der FDP, Ihr Freiheitsbegriff muss dringend revidiert werden. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Dem Kollegen Dr. Rainer Wend gebe ich jetzt für die SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Rainer Wend (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Brüderle, wir haben uns natürlich gefreut, als Sie Franz Müntefering so gelobt haben. Ich will allerdings hinzufügen: Ich kann mich nicht ganz des Verdachts erwehren, dass die Liberalen die Geradlinigkeit der Sozialdemokraten immer erst dann entdecken, wenn sie denn aus ihren Ämtern scheiden. Wir hätten uns gefreut, das etwas früher zu hören. Wahr ist: Franz Müntefering ist nicht nur Identifikationsfigur für die Sozialdemokraten, er ist nicht nur Stabilitätsanker für die Koalition, sondern er ist für die politische Klasse insgesamt wichtig gewesen, weil er in einer Weise Knorrigkeit, Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit verkörpert hat, wie es vielleicht nicht zu viele in unserer politischen Klasse tun. Von daher haben wir in diesem Amt jemanden verloren, der für uns ganz wichtig war und, ich glaube, auch ganz wichtig bleiben wird. Die sozialdemokratischen Wirtschaftspolitiker jedenfalls danken dem Arbeitsminister für seine großartige Arbeit. ({0}) Gestatten Sie mir, dass ich auf einige Punkte der Debatte eingehe. Der Streik der Lokführer wurde erwähnt. Ich sage ausdrücklich: Die Tarifautonomie - dazu gehört das Streikrecht - hat sich in unserer Republik bewährt. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben in den letzten Jahrzehnten Flächentarife abgeschlossen, die sich sehen lassen können. Arbeitskämpfe gehören zu solchen Tarifauseinandersetzungen dazu. Ich mache mir aber Sorgen über die aktuelle Entwicklung im Bereich des Tarifrechtes. Denn wir haben es nicht mehr mit Flächentarifen zu tun. Zunehmend wollen einzelne Interessierte aus Unternehmen, aus Branchen Sonderrechte für sich beanspruchen. Das ist gefährlich. Denn das, was die Lokführer mit einigen tausend Beschäftigten heute machen, könnten morgen die Streckenwärter in ihrem Bereich und übermorgen die Mitarbeiter in den Bahnhöfen bei der Deutschen Bahn machen und jedes Mal für Tage, vielleicht für Wochen den Fernverkehr, den Nahverkehr oder den Güterverkehr mit unabsehbaren Folgen lahmlegen. Das wollte Tarifautonomie nicht. Sondern Tarifautonomie wollte den verantwortlichen Ausgleich von Interessen auf einer Ebene des Flächentarifvertrags. Deswegen appelliere ich an die Lokführer, zu ihrer Verantwortung, die sie haben, zurückzukehren, einen Abschluss zu akzeptieren, der sich im Rahmen des gesamten Unternehmens bewegt. Das ist der richtige Weg. Den gingen die Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten. Den sollten sie auch in Zukunft gehen. Dabei haben sie unsere uneingeschränkte Unterstützung. ({1}) Die Liberalen befürchten, dass wir unseren Wirtschaftsstandort abschotten wollen. ({2}) Diese Sorge ist unbegründet. Ich sage ausdrücklich: Wir heißen ausländische Investoren in Deutschland willkommen. Das Kapital, das sie bei uns investieren, um Gewinne zu machen, ist uns willkommen und soll nicht zurückgewiesen werden. Jetzt kommt ein Aber: Aber es sammelt sich Kapital in einer Größenordnung von Tausenden von Milliarden - sein Umfang ist größer als der von Staatshaushalten -, das einen erheblichen Einfluss auf Wirtschaft und Politik ausüben kann. Zusammen mit unserem Koalitionspartner vertreten wir die Auffassung, dass wir die Möglichkeit haben müssen, ausnahmsweise einmal Nein zu sagen, wenn strategische Interessen des Wirtschaftsstandortes Deutschland berührt sind. Diese Auffassung von einer Ausnahmeregelung teilen wir. Wir werden dies gesetzlich verankern, und das ist auch richtig so. ({3}) Ich möchte noch eines in Richtung Linkspartei sagen. Kollege Schui, ich war von Ihrem Parlamentarierverständnis etwas überrascht. Dass Sie nicht wollen, dass die Manager die Gesetze machen, ist schon okay. Aber dass Sie fordern, dass die Ministerialbürokratie die Gesetze macht, das überrascht mich. ({4}) Im Zweifel sollten wir Abgeordneten das Selbstbewusstsein haben, dafür einzutreten, dass wir selber uns um unsere Gesetze kümmern. Das ist vielleicht doch der richtige Weg, Kollege Schui. ({5}) Ich komme auf das Gutachten des Sachverständigenrates zurück. Wie ich weiß, sucht sich aus diesem Gutachten jeder gern das heraus, was ihm passt. Ich muss zugeben: Auch ich bin dieser Versuchung erlegen. Dafür zitiere ich von der ersten Seite dieses Gutachtens: Die gute Verfassung der deutschen Volkswirtschaft ist nicht nur das Ergebnis der zu Beginn des Jahres 2005 einsetzenden zyklischen Erholung … Die Politik hat mit zum Teil sehr weit reichenden Reformen auf den Feldern der Besteuerung, des Arbeitsmarkts und der Sozialen Sicherung zum wirtschaftlichen Comeback Deutschlands beigetragen … Eine Seite weiter heißt es: Auch eine dem politischen Kompromissgebot geschuldete Politik der kleineren Schritte kann eine gute Politik sein, vorausgesetzt diese kleineren Schritte gehen in die gleiche Richtung … Leider ist - anders als in der letzten Legislaturperiode - eine solche klare Richtung nicht erkennbar. ({6}) Offensichtlich wünscht sich der Sachverständigenrat die rot-grüne Regierungszeit zurück. ({7}) Es ist nicht so, dass ich darüber zu Tode betrübt bin. Ich finde, wir setzen die rot-grüne Regierungspolitik zu einem großen Teil kontinuierlich fort. Ich will das belegen. Der Sachverständigenrat lobt zu Recht die Steuerpolitik, die wir gemacht haben. Rot-Grün hat die Einkommensteuer von 53,9 Prozent auf 42 Prozent in der Spitze und von 25,9 Prozent auf 15 Prozent im Eingangssteuersatz gesenkt. Sozialdemokraten und Grüne haben die Gewerbesteuer mit der Einkommensteuerschuld verrechenbar gemacht - ausgerechnet Sozialdemokraten und Grüne. In dieser Kontinuität bewegt sich die Große Koalition, wenn wir jetzt die Körperschaftsteuer von 25 Prozent auf 15 Prozent senken, um bei den Steuersätzen international wettbewerbsfähig zu sein. Also betone ich: Kontinuität der Großen Koalition. Ähnlich ist es mit der Arbeitsmarktpolitik; die Arbeitsmarktpolitik von Rot-Grün hat der Sachverständigenrat zu Recht gelobt. Wir haben Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengefasst; das war gut. Wir haben die BA flexibilisiert; das war gut. Wir fördern und fordern; das ist gut. Wir senken jetzt, in dieser Legislatur, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag von 6,5 Prozent auf demnächst 3,3 Prozent. ({8}) Das ist Kontinuität rot-grüner Politik. Das sind richtige Schritte, durch die die Unternehmen wettbewerbsfähiger werden und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern netto mehr Geld bleibt. Ich wiederhole: Wir setzen die Regierungspolitik, die die Sozialdemokraten in den letzten Jahren gemacht haben, kontinuierlich fort. Das gilt übrigens auch für die Haushaltskonsolidierung. Die Große Koalition wird es in diesem Jahr zum ersten Mal seit Jahrzehnten schaffen, dass der Staatshaushalt - also der Haushalt von Bund, Ländern, Kommunen und sozialen Sicherungssystemen - ausgeglichen ist. Das hätten wir schon ein bisschen früher haben können. Der von Rot-Grün begonnene Subventionsabbau mit der Abschaffung der Eigenheimzulage und der Kürzung der Pendlerpauschale ist in der letzten Legislaturperiode von der Union blockiert worden. Jetzt haben Sie sich zum Glück überzeugen lassen. Wir haben es gemeinsam gemacht. Es hätte allerdings früher kommen können. Das ist Kontinuität sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. Jetzt empfiehlt der Sachverständigenrat, wir sollten die Reformschraube schneller drehen. Er fordert durch die Blume oder auch ausdrücklich weitere Steuersenkungen und weitere Reduzierung von Sozialleistungen. An dieser Stelle sagen wir als Sozialdemokraten ausdrücklich: Vorsicht! Warum eigentlich? Ich bitte Sie, einen Moment nach Italien und Frankreich zu sehen. In Italien rotten sich Links- und Rechtsextremisten zusammen und kämpfen gegen den Staat. In Frankreich brennen in den Vororten von Paris Autos. Das passiert, weil der Zusammenhalt der Gesellschaften in diesen Ländern gefährdet ist. Nichts gibt uns die Sicherheit, dass so etwas nicht auch bei uns geschieht, es sei denn, es gelingt uns als Große Koalition, den Menschen das Signal zu geben, dass sie an dem stattfindenden Aufschwung teilhaben, dass sie mitverdienen, dass ihre Rechte geachtet werden und dass wir nicht nur auf die schauen, die auf der Sonnenseite unserer Gesellschaft sind, sondern auch auf die anderen. ({9}) Dafür müssen wir konkrete Dinge tun. Ein Stichwort ist der Mindestlohn. ({10}) Ich habe mich heute Morgen gefreut - wenn ich auch etwas irritiert war -, als ich gelesen habe, dass der Vorsitzende der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft, Karl-Josef Laumann, zur Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gesagt hat, dass es zur sozialen Marktwirtschaft gehöre, dass der Wettbewerb über Service, Innovation und Zuverlässigkeit stattfinde und nicht über die Frage: Wer findet den billigsten Arbeitnehmer? - Der Mann hat recht. ({11}) Lasst uns das in die Praxis umsetzen, beispielsweise im Postbereich. Das ist - zumindest vorläufig - am Montag gescheitert. Wir wollen an dem Thema tarifvertraglich weiterarbeiten, bieten in Richtung Koalitionspartner aber heute ausdrücklich an, auch einen anderen Weg zu gehen. Ich darf einmal vorlesen, was in § 6 Abs. 3 Satz 3 des Postgesetzes steht: Die Lizenz - die Bundesnetzagentur vergibt Lizenzen an private Postdienstleister ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die wesentlichen Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich sind, nicht unerheblich unterschreitet. Das ist zum 1. Januar 1998 Gesetz geworden, als die Löhne im Postbereich bei 12 oder 13 Euro pro Stunde lagen. Heute aber haben Unternehmen Lizenzen, die 5,10 Euro pro Stunde zahlen. Wie ist das eigentlich mit diesem Gesetz vereinbar? ({12}) Wenn wir bei den tarifvertraglichen Regelungen nicht weiterkommen, biete ich Ihnen an: Lassen Sie uns über das Postgesetz und die Lizenzierung weiterkommen, damit im Postbereich und darüber hinaus Löhne gezahlt werden, von denen sich die Menschen ernähren können. Eine Gesellschaft kann nur dann zusammenhalten, wenn sich Leistung wirklich lohnt. Daher gehört der Mindestlohn mit in unser Konzept. ({13}) Natürlich hat Herr Meyer recht: Auch das Thema der Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer gehört dazu. Das machen wir als Große Koalition. Wir erhöhen die Investitionen, damit die öffentliche Nachfrage im nächsten Jahr Arbeitsplätze schafft. Wir werden uns den haushaltsnahen Dienstleistungen zuwenden, weil dort ein Arbeitskräftepotenzial steckt. Die Große Koalition hat also noch viele Aufgaben vor sich, die sie bewältigen muss. ({14}) Jenseits aller Sachfragen gehört zu einer Koalition das Vertrauen der Koalitionspartner. ({15}) Dazu sage ich ohne jede Schärfe - es sind schon genug scharfe Worte gefallen -: Die Bundeskanzlerin hat nach den letzten Tagen an dieser Stelle eine Bringschuld. ({16}) Ich hoffe, sie kommt dieser nach und wir leisten gemeinsam gute Politik für unser Land. ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Christine Scheel spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade gab es wieder ein Musterbeispiel: Der eine aus der Koalition, Laurenz Meyer, macht hier Ankündigungen - eine nach der anderen -; der Redner von der SPD richtet Appelle an den Koalitionspartner, sich auf bestimmte Punkte zu einigen. Daran sieht man, dass diese Koalition nicht in der Lage ist, das zu tun, was notwendig ist, nämlich eine konsistente Wirtschafts-, Finanzund Haushaltspolitik mit einer sozialen Flankierung zu betreiben. Vielmehr müssen Sie sich mit gegenseitigen Appellen motivieren, um überhaupt voranzukommen. Der Sachverständigenrat hat letztendlich bestätigt, dass die Große Koalition mit den getroffenen Entscheidungen einen Salto mortale hingelegt hat. Wir haben hier gestern eine Debatte über die Auswirkungen der Beschlüsse des Koalitionsausschusses geführt. Ich sage Ihnen: Das Schönreden der kleinlichen Entscheidungen, die Sie da getroffen haben, macht unsere Konjunktur in den nächsten Jahren nicht besser; diese Entscheidungen werden der Konjunktur eher schaden. ({0}) Wir sehen, dass der Höhepunkt des konjunkturellen Aufschwungs, einer wesentlichen Stütze des Erreichten, bereits überschritten ist. Wir müssen feststellen, dass Sie sich auf den gestiegenen Steuereinnahmen und auf dem, was in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden ist - der Sachverständigenrat hat das eindeutig bestätigt -, ausruhen. Das hat dazu geführt, dass hier im Hause alle davon reden, es gehe unserer Konjunktur ganz gut. Man muss nur überlegen, warum das so ist. Es ist gut, dass der Sachverständigenrat auf Folgendes hingewiesen hat: Nicht nur die Wirtschaft und die Weltkonjunktur bestimmen das Auf und Ab bei den Arbeitsplätzen - in der Bevölkerung wird das manchmal gedacht -; vielmehr ist die Politik mit ihren Entscheidungen etwa zur Hälfte an dem Mehr an Arbeitsplätzen, die entstanden sind, beteiligt. Man muss an dieser Stelle sagen: Dies betrifft vorwiegend die Entscheidungen der rot-grünen Bundesregierung. Es ist deswegen ein Stück weit überraschend, dass die FDP in ihrem Antrag dazu auffordert, die wirksamen Arbeitsmarktreformen, die Rot-Grün durchgeführt hat, nicht zurückzunehmen. Da kann ich mich nur fragen: Was haben Sie, Herr Brüderle, eigentlich getan, als diese Reformen debattiert und verabschiedet wurden? Sie haben sich damals hier hingestellt und gesagt, das sei alles blöd und völlig gaga; es helfe der Konjunktur nicht. Jetzt fordern Sie dazu auf, dass genau das, was gut gelaufen ist, nicht zurückgenommen werden soll. Es ist eine eigenartige Politik, die die FDP insgesamt immer wieder verfolgt. ({1}) Wir stellen auch fest, dass es überhaupt keine nachhaltige Gesamtstrategie auf den Gebieten der Wirtschafts-, der Finanz-, der Haushalts- und der Sozialpolitik gibt. Die Föderalismusreform II steht an. Wie wollen Sie denn dabei ernsthaft zu einem Ergebnis kommen - beispielsweise im Hinblick auf eine Schuldenbremse, die wir dringend brauchen, um die Haushaltsausgaben zu beschränken -, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, das, was der Sachverständigenrat formuliert hat, umzusetzen? Heute findet eine Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses statt. Es ist im Moment völlig unklar, wie sich die Große Koalition dort aufstellen wird, ob mehr gespart oder mehr ausgegeben werden soll. Jetzt haben wir gehört, dass die Ausgaben um 5 Prozent gesteigert werden sollen. Sie sagen, das könne man machen, weil die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht worden ist; im Fahrwasser der Mehrwertsteuererhöhung könne man dank der zusätzlichen Mittel auf der Einnahmeseite nun auch mehr ausgeben. Dazu kann ich nur sagen: Wer nicht in der Lage ist, Strukturreformen positiv anzugehen, der hat ein großes Problem, wenn die konjunkturelle Situation etwas schwieriger wird. Dann werden nämlich die Steuereinnahmen zurückgehen, die strukturellen Probleme aber bleiben. Das wird letztendlich Arbeitsplätze kosten. Ich sage Ihnen ganz offen: Das wollen wir nicht akzeptieren. ({2}) Ich möchte etwas Kritisches zum Sachverständigengutachten sagen. Der Sachverständigenrat mahnt eine Konsolidierung an; der Weg, der begonnen worden ist, solle fortgesetzt werden. Der Rat sagt aber auch: Wenn der Haushalt konsolidiert ist - wir, die Grünen, hoffen, dass das bis 2009 passiert; bislang ist ein konsolidierter Haushalt erst für 2011 geplant -, könnten die Steuern wieder gesenkt werden. Schauen wir uns die Lage in Deutschland einmal an: Wir haben Defizite im Bildungs- und Forschungsbereich. Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Forschungsinvestitionen bei uns gering. Wir haben Probleme mit jungen Menschen, die die Schule abbrechen und keinen geeigneten Zugang zu Bildung bekommen, weil die Infrastruktur, die notwendig ist, um kleine, aber auch ältere Kinder angemessen zu berücksichtigen, nicht vorhanden ist. Wir haben Probleme. Deswegen müssen wir hier mehr investieren. Schon jetzt versprechen einige aus der Union den Leuten mit Blick auf den Wahlkampf, wann auch immer er einsetzen wird, Steuersenkungen; die FDP tut das sowieso. Stattdessen sollte man lieber erst einmal die Probleme lösen, die zu lösen sind. Es muss mehr in Bildung und Forschung investiert werden, damit wir in diesem Land in Zukunft gut aufgestellt sind, damit es Beschäftigungschancen für alle gibt und die Leute das Geld verdienen können, das sie zum Leben brauchen. ({3}) In diesem Kontext ist auch die ökologische Modernisierung durch Investitionen in die Zukunft von Bedeutung; denn auch eine ökologische Modernisierung hilft, volkswirtschaftliche Kosten einzusparen. Hier ist es leider so, dass wir permanent mit Ankündigungen konfrontiert werden, zum Beispiel von der Klimaschutzkanzlerin beim G-8-Gipfel. Demnächst wird der Bundesumweltminister auf Bali darauf hinweisen, wie toll in der Bundesrepublik Deutschland alles ist, und der Weltgemeinschaft erklären, wie sie sich ökologisch zu verhalten hat. Aber wo bleiben die Konsequenzen, die gezogen werden, damit wir auf nationaler Ebene vorankommen? Wie und wo genau sparen wir CO2-Emissionen ein? Welche ordnungspolitischen Rahmenbedingungen brauchen wir in diesem Land? ({4}) Reichen im Hinblick auf die Automobilindustrie Appelle und schöne Ideen aus, oder müssen wir nicht auch einmal überlegen, hier eine klare ordnungspolitische Vorgabe zu machen, damit wir mit dem, was wir uns alle wünschen, schneller vorankommen? Das ist der Punkt, an dem Sie immer wieder versagen. Sie geben nur heiße Luft von sich. Wenn es aber zur Sache geht, sind Sie nicht in der Lage, gemeinsam mit uns gesetzliche Vorgaben auf den Weg zu bringen. ({5}) Das ist an dieser Stelle das Problem. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es gute Gedanken gibt. Aber es gibt keine Gesetze, mit denen diese guten Gedanken in die Tat umgesetzt werden. Wir sind Ihnen dabei sehr gern behilflich. Wie Sie wissen, haben wir etliche Vorschläge auf den Tisch gelegt. ({6}) Ich möchte zur Reform des Arbeitslosengeldes I nicht mehr sehr viel sagen; denn darüber ist in diesem Haus schon gestern sehr intensiv diskutiert worden. Fakt ist, dass viele ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Zuge des Aufschwungs und bedingt durch die gesetzlichen Vorgaben, die im Hinblick auf den Arbeitsmarkt gemacht wurden, wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Das reicht aber noch lange nicht aus; denn es gibt immer noch viele ältere Langzeitarbeitslose. Das Fördern und das Weiterbilden bleiben gerade in diesem Bereich wichtiger als das Alimentieren. Sie alimentieren aber. Sie kürzen die Eingliederungsmittel für Arbeitslose um 600 Millionen Euro. Hier haben Sie die falsche strategische Entscheidung getroffen. Das wird den Menschen leider auch in Zukunft nicht sehr viel helfen. ({7}) Wir halten es für richtig, dass Sie den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung gesenkt haben. Wir sind allerdings der Meinung, dass Sie heute etwas mehr verteilen, als offensichtlich angemessen wäre. Man muss sich überlegen, ob eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent in der Perspektive zu halten ist. Auch der Sachverständigenrat hat davor gewarnt, etwas zu tun, was heute schön, aber nicht solide zu finanzieren ist. Denn das kann schon morgen schaden, wenn Sie den Beitragssatz wieder anheben müssen. Dieses Problem haben Sie auch bei der Pflegeversicherung und bei der Gesundheitsreform, die durchgeführt wurde. Ein Beitragssatz wird gesenkt, obwohl man weiß, dass er bald wieder steigen wird, weil die notwendigen Reformen in den Bereichen Pflege und Gesundheit fehlen. Das Problem ist, dass Sie nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ verfahren. Den Beschäftigten geht es aber darum, dass sie netto mehr in der Tasche haben. Nur dann können sie die Kaufkraft ankurbeln; das interessiert die Leute. Die Grünen haben sehr gute Vorschläge zur zielgenauen Entlastung der unteren Einkommensgruppen vorgelegt. ({8}) Zum Mindestlohn - hier können wir etwas beobachten, das ich für eine große Blamage halte -: Sie heben das Briefmonopol zum 31. Dezember 2007 auf, ({9}) allerdings ohne dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Anbieter faire Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Bleibt es so, wie es ist, dann wird der verschärfte Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Letztendlich sind es die finanziellen Interessen von privaten Briefzustellfirmen gewesen, die die Kanzlerin motiviert haben, zu sagen: Wir machen da nichts. - Es kann nicht angehen, dass das dazu beigetragen hat, die Lobbyinteressen der WAZ Mediengruppe und die Interessen von Friede Springer zu vertreten. Anscheinend gilt die Koalitionsräson nicht mehr. In keinem einzigen Bereich haben Sie es zustande gebracht, einen vernünftigen Mindestlohn einzuführen, der dann auch umgesetzt werden kann. ({10}) Es ist ein Armutszeugnis, dass nicht einmal so ein kleiner Schritt gegangen werden kann. Ich halte es für grottenfalsch, wenn letztendlich allein großkoalitionäre Taktik das wirtschaftspolitische Handeln bestimmt. Das geht nicht gut. Wir sehen den Zustand der Großen Koalition als sehr schwierig an. Das ist nicht gut für unser Land. Vielen ist mittlerweile eingefallen, was Willy Brandt zur Zeit der ersten Großen Koalition einmal gesagt hat: „Ich zähle die Wochen und die Tage.“ Heribert Prantl hat gestern den „Aggregatzustand“ der Großen Koalition wie folgt beschrieben: Das ist der „Übergang vom festen in einen gasförmigen Zustand“. Das ist insgesamt nicht gut für unser Land. Reißen Sie sich zusammen und machen Sie das, was Sie hier immer groß herumposaunen! Tun Sie endlich etwas! ({11})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Alexander Dobrindt redet jetzt für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, ein, zwei Sätze zu meinen Vorrednern anzubringen. Lieber Kollege Wend, sehr geehrte Frau Kollegin Scheel, wenn Sie hier von der Kontinuität rot-grüner Politik sprechen, dann scheint es da ein größeres Wahrnehmungsproblem zu geben. Allein wenn man an den SPD-Parteitag denkt, sieht man, dass Sie sich nicht einmal in der Kontinuität Ihrer eigenen Partei bewegen. ({0}) Die Menschen in Deutschland hatten genug von der hohen Arbeitslosigkeit, die Menschen hatten genug von Rekordschulden, und die Menschen hatten genug von der Perspektivlosigkeit. Deswegen ist Rot-Grün abgewählt worden, und deswegen ist es gut, dass wir uns nicht in der Kontinuität rot-grüner Politik bewegen. ({1}) Wir sind vor zwei Jahren gemeinsam angetreten unter der Überschrift „Sanieren, Investieren und Reformieren“. Dass dieser Kurs unbestreitbar erfolgreich ist, zeigt die deutliche Senkung der Arbeitslosigkeit. 3,4 Millionen Arbeitslose sind es aktuell. Das ist immer noch zu viel; aber damit sind 1,1 Millionen Menschen weniger arbeitslos als noch vor zwei Jahren. Zum ersten Mal haben wir in der Bundesrepublik über 40 Millionen Erwerbstätige. Herr Kollege Schui, wenn Sie davon sprechen, dass dies alles keine ausreichenden Erfolge seien, wenn Sie in Abrede stellen, dass 600 000 Menschen einen neuen Job haben - dahinter stehen Familien, dahinter stehen Einzelschicksale -, dann ist das blanker Hohn in den Augen derer, die wieder eine Zukunftsperspektive in Deutschland bekommen haben. ({2}) Unser Wirtschaftswachstum ist eines der stärksten der letzten Jahrzehnte: 2,9 Prozent im letzten Jahr, 2,7 Prozent in diesem Jahr. Was viel wichtiger ist: Die Menschen - das spürt man, wenn man draußen unterwegs ist - haben wieder eine positive Zukunftserwartung, die Menschen glauben, dass es in den nächsten Jahren auch für sie persönlich vielleicht wieder besser wird. Ich glaube, dass dies den Aufschwung weiter trägt: dass die Menschen uns zutrauen, die Zukunft zu gestalten. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat diese Entwicklung im Vorwort seines aktuellen Gutachtens gewürdigt: … präsentierte sich die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2007 weiterhin in einer guten Verfassung. Im Weiteren heißt es: Unbestreitbar ist …, dass die positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung der letzten zwei Jahre der Politik größere Handlungsspielräume eröffnet hat. Das Wichtigste, das der Sachverständigenrat schreibt: Es wäre falsch, in den Mahnungen einen Hinweis zu sehen, dass der Aufschwung erlahmt oder gar eine Rezession droht. - Gerade deswegen nehmen wir die Mahnungen und Warnungen ernst. Selbstverständlich gilt es, unser Land weiter zu reformieren und vorwärtszubringen. Selbstverständlich wollen wir keine Reformdividende verspielen. Dazu gehört aber auch, dass man die Reformdividende den Menschen in unserem Land ein Stück weit zugänglich macht. Deswegen kann ich es überhaupt nicht verstehen, dass in diesem Gutachten steht, dass die Sachverständigen gegen eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung sind. Angeblich könne das nicht nachhaltig sein. Auch die Grünen stellen das in Abrede. Angeblich müsste er irgendwann wieder erhöht werden. Wo ist denn da der Mut zu mehr Reformen? Wo ist denn da der Mut, den Menschen etwas mehr in der Tasche zu lassen? Wir müssen die Binnenkonjunktur ankurbeln, das heißt, den Menschen etwas mehr in der Tasche lassen. ({3}) Ich frage mich: Wo ist die wirtschaftliche Strategie, die auch in diesem Gutachten angemahnt wird, wenn man sagt, dass man den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung nicht senken kann? Was für eine Strategie ist das denn? Das klingt eher danach, den Sparstrumpf der Oma unter dem Kopfkissen zu lassen. Das ist keine Strategie. Wir brauchen aber mehr Wirtschaftswachstum in Deutschland. Deswegen ist es wichtig, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent zu senken. Das entspricht einem Betrag von 24 Milliarden Euro, den die Menschen mehr in der Tasche haben. Das ist ein Erfolg, den es in dieser Bundesrepublik seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Schui zulassen?

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Herr Schui hat hier wahrlich schon genug Unsinn geredet, aber bitte.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Schui, bitte schön.

Dr. Herbert Schui (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003844, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Na gut, ich kommentiere Ihre Bemerkung nicht. Ich habe Zweierlei anzumerken. Punkt eins. Sie haben die Ausführungen von Bofinger gelesen, der anderer Meinung ist. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die sinkende Arbeitslosigkeit während des Aufschwungs, von dem wir hier reden, das Ergebnis dessen ist, dass weniger Leute in den Arbeitsmarkt eingetreten sind? Diese haben nämlich ganz einfach nicht die Entscheidung getroffen, erwerbstätig sein zu wollen. In den Arbeitsmarkt eintreten: Das bezieht sich nicht auf die Arbeitslosen, weil sie bereits auf dem Arbeitsmarkt sind. Ihre Politik hat also keinen Erfolg gehabt, weil die Entwicklung auf individuellen Entscheidungen usw. beruht hat. Das sollten wir einmal klarstellen. Punkt zwei. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Sachverständigenrat sagt, dass die Abgaben an die Arbeitslosenversicherung nicht unter 3,9 Prozent gesenkt werden sollten, weil man sonst zu wenig Rücklagen für den nächsten Abschwung habe, der bestimmt komme?

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Schui, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass zu rot-grünen Zeiten jeden Tag über 1 000 Menschen mehr arbeitslos geworden sind? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass im Gegensatz dazu die Zahl der Beschäftigten bis heute auf über 40 Millionen deutlich gestiegen ist? Das widerlegt Ihre These. ({0}) - Das widerlegt Ihre These: Es sind mehr Menschen in Arbeit als früher. Warum bestreiten Sie das denn? Die Zahlen sind eindeutig. - Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass unsere Politik damit am Schluss erfolgreich sein wird - und nicht Ihre Thesen, die vollkommen verdreht sind. Danke schön. ({1}) Meine Damen und Herren, es ist nicht allein die Politik, die diesen Aufschwung verantwortet hat. Es ist auch nicht allein die Wirtschaft, die diesen Aufschwung verantwortet hat. Es sind zum großen Teil die Menschen in diesem Land, die diesen Aufschwung mit verantwortet haben. Wir müssen sie weiterhin mitnehmen, um den Aufschwung zu gestalten. Das heißt, wir müssen sie auch weiterhin an dem Aufschwung beteiligen. Wir haben das mit Maßnahmen, die in diesem Gutachten leider nicht aufgezeigt werden, vielfältig getan. Durch das CO2-Sanierungsprogramm wurden Investitionen in Milliardenhöhe in die Sanierung von Wohnungen und Häusern gefördert. Das bringt den Handwerkern vor Ort ganz konkret etwas. Das bringt den Kleinen etwas und nicht der Großindustrie. Das Geld bleibt in der Region. Die Menschen können Geld verdienen und davon leben. Wir haben die Absetzbarkeit von Handwerksleistungen eingeführt. Wir wollen, dass auch der Haushalt als Arbeitsplatz mehr Anerkennung findet, um auch dadurch Menschen in Arbeit zu bringen. ({2}) Auch das ist ein wichtiger Beitrag, der zukünftig mehr an Bedeutung gewinnen wird. ({3}) Der Bergführer des Aufschwungs, der Wirtschaftsminister Michael Glos, ({4}) hat recht: Es kommt darauf an, die Konsumlust der Menschen in Deutschland zu stärken. Deswegen müssen wir über weitere Entlastungen nachdenken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Martin Zeil spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schui, Sie sind Vertreter einer Partei in der Nachfolge einer Partei, die 40 Jahre für Unfreiheit in Deutschland gestanden ist. ({0}) Sie brauchen uns über den Freiheitsbegriff nicht zu belehren. ({1}) Es war ja sehr interessant, Herr Kollege Meyer, Sie haben von dem klaren Kurs in der Koalition gesprochen. Man musste aber nur wenige Minuten später die interessante Diskussion über die Themen Tarifautonomie und Arbeitsmarktpolitik verfolgen, um zu erkennen, dass Sie eben nicht zu diesem klaren Kurs in der Koalition finden. Ich habe mich über Ihre Ausführungen zur Tarifautonomie sehr gewundert. Herr Meyer, Sie haben völlig zu unrecht - weil Sie nicht richtig zugehört haben Herrn Brüderle als Feind der Tarifautonomie hingestellt. Aber Sie, Herr Kollege Wend, sprechen einer Gruppe, die im Moment nicht sehr populär ist, den Lokomotivführern, ihre Rechte im Rahmen der Tarifautonomie ab. Was ist das für ein sozialdemokratisches Verständnis? ({2}) - Herr Kollege Stiegler, Sie sollten vielleicht erst einmal zuhören, bevor Sie einen Zuruf machen. Das Sachverständigengutachten zeigt auf, dass zwei Jahre lang eine Politik der kleinen Schritte, der verpassten Möglichkeiten betrieben wurde, dass vor allen Dingen der Anspruch in der Regierungserklärung „mehr Freiheit wagen“ in vielen Bereichen nicht erfüllt wurde und dass wir auf vielen Gebieten eine Rolle rückwärts erleben. Wie sieht es konkret aus? Sie beschließen auf dem letzten SPD-Parteitag quasi den Rückfall in den demokratischen Sozialismus. ({3}) Herr Kollege Stiegler, Wolf Biermann hat Ihnen in einem Spiegel-Essay eine wunderbare Antwort darauf gegeben. Sie sind durch Ihre Regierungsbeteiligung überfordert und suchen im Grunde die Nische der Opposition innerhalb der Regierung. ({4}) Das wäre noch hinzunehmen, wenn Ihre Politik nicht ganz konkrete negative Folgen für die Menschen hätte. Laut einer heute veröffentlichten Stellungnahme liegt Deutschland bei der Kaufkraft nur noch an zehnter Stelle in Europa. Das kommt daher, dass Sie die Bürger hauptsächlich abkassiert und ihnen Kaufkraft entzogen haben. ({5}) Beim Steuerrecht setzt sich das fort. Herr Kollege Stiegler, ich war gestern in unserer gemeinsamen Heimat Bayern und habe dort einen Landrat und einen Bürgermeister getroffen, die weder Ihrer noch meiner Partei angehören. Die haben mich gefragt: Warum haben Sie denn diese unsinnige Unternehmensteuerreform gemacht, mit neuen bürokratischen Belastungen und vor allen Dingen mit diesen unnötigen Regelungen für den Mittelstand gerade in den Innenstadtlagen? Ich habe geantwortet: Wir, die Freie Demokratische Partei, haben dem nicht zugestimmt. Gehen Sie zu Ihren Freunden von der Union und den Sozialdemokraten. ({6}) Noch ein Wort zum Thema Staatsfonds. Das ist eine interessante Auseinandersetzung. Herr Kollege Meyer, ich glaube, dass Sie das Sachverständigengutachten nicht richtig gelesen haben. Die Sachverständigen sagen nämlich, eine Mindestanforderung an ein neues Instrument sei die genauere Beschreibung der tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohung. Man müsse prüfen, ob es über die bestehenden Instrumente hinaus überhaupt einer neuen Vorschrift bedürfe. Diese Dinge sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben. ({7}) Ich kann nur sagen: Ludwig Erhard muss gewusst haben, warum er der Union nie beigetreten ist. Es gibt nur noch eine Partei, die für soziale Marktwirtschaft steht, und das sind die Freien Demokraten. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Edelgard Bulmahn hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000305, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute über das Jahresgutachten des Sachverständigenrates. Deshalb möchte ich mit zwei Zitaten aus dem Gutachten beginnen. Gleich am Anfang stellen die Wirtschaftssachverständigen fest: Nach dem überraschend starken Aufschwung im Jahr 2006 … ({0}) - das sagen die Sachverständigen; wir haben gewusst, dass wir mit unserer Politik einen Aufschwung erreichen werden präsentierte sich die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2007 weiterhin in einer guten Verfassung. Lieber Kollege Dobrindt, ich weiß, dass ein Erfolg immer viele Väter und Mütter hat; das sehen im Übrigen auch die Sachverständigen so. Denn sie fahren fort: Zu einem Teil liegt dies daran, dass sich die Politik namentlich in den Jahren 2001 bis 2006 vielen Herausforderungen erfolgreich gestellt hat … Soweit ich mich erinnere, war die SPD die einzige Fraktion, die in all diesen Jahren die Regierungspolitik mitgestaltet hat. Sie kann deshalb zu Recht feststellen, dass sie diesen Erfolg mitverantwortet und miterreicht hat. ({1}) - Wir teilen auch. Deshalb weise ich auch darauf hin, dass auch die Bündnisgrünen und die CDU/CSU in diesen Jahren mitgewirkt haben. ({2}) Insofern sollten wir feststellen, dass es unser gemeinsamer Erfolg ist. Die Wirtschaft wächst - das ist unser gemeinsamer Erfolg - in diesem Jahr um 2,6 Prozent. Im kommenden Jahr - auch darauf weisen die Wirtschaftsweisen hin wird sie weiter wachsen. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gesunken. Es gibt mehr Menschen, die einen Arbeitsplatz gefunden haben, erwerbstätig sind und ihr Geld selbst verdienen können. Das ist ein Erfolg. Für die Menschen, die einen Arbeitsplatz gefunden haben, ist das gut. Wahr ist allerdings auch - das sollte man nicht verschweigen -, dass der Aufschwung noch nicht alle erreicht hat. Deshalb lohnt es sich, darüber zu streiten, wie wir sicherstellen können, dass der Aufschwung alle erreicht. ({3}) Die Sachverständigen stellen ausdrücklich fest, dass in den kommenden Jahren der Stärkung des Binnenmarktes eine deutlich größere Bedeutung zukommen wird und dass es vom Gelingen dieser Aufgabe mit abhängt, ob die Wirtschaft weiter wachsen und die Arbeitslosigkeit weiter zurückgehen wird, sodass auch diejenigen, die bisher nicht am Aufschwung teilhaben, davon profitieren können. Wir wollen das erreichen. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass der Binnenmarkt in den kommenden Jahren gestärkt wird. Die Koalition hat sich 2005 entschieden, zum einen den Haushalt zu konsolidieren. Das tun wir, und das werden wir auch fortsetzen. Wir haben aber gleichzeitig beschlossen, Investitionen zu tätigen, um den Binnenmarkt zu stärken, damit unser Wirtschaftswachstum nicht allein vom Export abhängig ist. ({4}) Das hat Erfolg. Wir haben mit dem 25-Milliarden-EuroProgramm, das wir derzeit umsetzen und auch fortsetzen werden, sehr viele Arbeitsplätze - zum Beispiel im Handwerk - geschaffen. Der Erfolg ist spürbar. Die Handwerksbetriebe, aber auch die Zulieferbetriebe spüren das bereits. Dass allein das energetische Gebäudesanierungsprogramm zu einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent geführt hat, zeigt, dass die Entscheidung richtig war, auf der einen Seite zu investieren und auf der anderen Seite den Haushalt zu konsolidieren. Wir müssen diese Politik fortsetzen. Es gibt noch sehr viel zu tun. Das Deutsche Institut für Urbanistik schätzt den Investitionsbedarf, um die öffentliche Infrastruktur auf Vordermann zu bringen, in den kommenden Jahren auf 70 Millionen bis 80 Millionen Euro. Es ist richtig, dass wir noch viel stärker zum Beispiel in Schulen und Kindergärten, aber auch in Straßen und andere öffentliche Gebäude investieren müssen. Deshalb müssen wir bereit sein, weiterhin zu investieren und gleichzeitig den Haushalt zu konsolidieren. ({5}) Das muss auch in den Haushaltsberatungen deutlich werden. Sonst können wir nicht den Binnenmarkt stärken und die bereits erreichten Erfolge sichern. Wenn es richtig ist, dass der Binnenmarkt in den kommenden Jahren eine wichtigere Rolle spielen wird, dann ist es auch genauso richtig, dass es notwendig sein wird, dass mehr Menschen auch mehr Kaufkraft haben werden. Wir haben die Kaufkraft bei vielen gestärkt. Die wichtigste Voraussetzung, um Kaufkraft zu haben, ist, einen Arbeitsplatz zu haben. Wenn Menschen aber - wie bei den Postdiensten - jeden Tag, stundenlang, bei Regen, bei Kälte und bei Hitze Kilos herumschleppen, damit wir alle unsere Post pünktlich auf dem Schreibtisch haben, und sie dann mit 5,20 Euro pro Stunde nach Hause gehen, ist das unanständig. Dafür gibt es kein anderes Wort. Das ist unanständig und deshalb muss das geändert werden. ({6}) Meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie sagen, die Einführung beschäftigungs- und wettbewerbsfeindlicher gesetzlicher Mindestlöhne sei abzulehnen, weil sie Lohnfindungsprozesse auf den relevanten Märkten verkennen. ({7}) Was heißt das denn eigentlich? Soziale Marktwirtschaft kann das doch wirklich nicht heißen und das heißt es auch nicht. Soziale Marktwirtschaft ist etwas ganz anderes. Soziale Marktwirtschaft heißt eben nicht, dass sich einige Unternehmen auf Kosten der Steuerzahler ihren Profit erhöhen. Das ist auch unanständig. ({8}) Das ist mit den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft auch nicht vereinbar. Soziale Marktwirtschaft bedeutet auch nicht, dass eine Friseuse in Thüringen einen Bruttoarbeitslohn von 3,18 Euro hat und damit vertröstet wird, dass sie dazu noch ein Trinkgeld bekommt. ({9}) Soziale Marktwirtschaft heißt nicht, vorher Almosen einzusammeln und sie dann zu verteilen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gründungsväter der FDP würden sich im Grab umdrehen, wenn sie Ihre Position hören würden. ({10}) Da möchte ich einmal Friedrich Naumann - zu dem werden Sie sich ja hoffentlich noch bekennen - zitieren. Friedrich Naumann hat ausdrücklich gesagt: Dauerhafte Ware kann anständigen Lohn vertragen. ({11}) Richtig, Herr Naumann, das war ein echter Liberaler. Wenn Sie den Mindestlohn hier als ein marktwidriges Instrument bezeichnen, frage ich mich, was Sie unter sozialer Marktwirtschaft verstehen. Ich frage mich allerdings auch: Was verstehen Sie unter Lohnfindung? Soll das so aussehen, dass die Unternehmer den Menschen Dumpinglöhne zahlen, von denen sie nicht leben können, und den Rest sollen sie auf der Straße finden? Was verstehen Sie denn darunter? Das kann doch wirklich nicht wahr sein. ({12}) Das, was Sie hier vertreten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist nicht Liberalismus, das ist im Übrigen auch nicht Neoliberalismus, das ist Neofeudalismus, nichts anderes. ({13}) Franz Müntefering hat das einmal Staatslohntheorie genannt. Das ist auch richtig. Das ist Staatslohntheorie, bei der darauf gesetzt wird, dass im Grunde genommen der Staat den Lohn bezahlt. Das wird nicht gehen, und das wird auch mit uns nicht zu machen sein. Erstens richtet das jede Volkswirtschaft zugrunde. Zweitens ist es unanständig. Jeder Mensch, der 38 oder 40 Stunden in der Woche harte und gute Arbeitet leistet, muss auch von seinem Einkommen leben können. Da gibt es kein Wenn und Aber, das muss gesichert werden. ({14}) Deshalb ist die Diskussion über Mindestlohn nicht irgendeine sozialromantische Debatte. Mindestlohn ist keine sozialromantische Idee, sondern eine ordnungspolitische Grundlage für eine funktionsfähige soziale Marktwirtschaft, nicht weniger und nicht mehr. ({15}) - Liebe Frau Kopp, was Sie vorschlagen, ist Sozialismus, nämlich dass der Staat die Löhne für die Unternehmen zahlen muss. Sie müssen einmal Ihre eigene Argumentation überdenken! ({16}) Wir setzen auf einen fairen Wettbewerb, und ein fairer Wettbewerb braucht auch Regeln. Jedes Unternehmen, das seinen Leuten faire, anständige und gerechte Löhne zahlt, muss sich doch in Grund und Boden ärgern, wenn es einen Konkurrenten hat, der auf Kosten des Steuerzahlers ein anderes Unternehmen, das faire Löhne zahlt, aus dem Markt rauswirft. Das hat doch überhaupt nichts mehr mit Marktwirtschaft zu tun. Überdenken Sie einmal Ihre eigene Argumentation. Sie stimmt von vorne bis hinten nicht. ({17}) Ich habe am Anfang gesagt, wir wollen - und das sage ich auch noch einmal zum Schluss -, dass alle Menschen am Wohlstand und am Aufschwung teilhaben. Das wird unsere politische Aufgabe auch in den kommenden Monaten und Jahren sein. Es lohnt sich, dafür zu streiten und auch zu arbeiten. Vielen Dank. ({18})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Michael Fuchs hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es gibt eine Reihe von Punkten, die man, wenn man gegen Ende der Debatte spricht, aufgreifen könnte. Verehrte Frau Bulmahn, eines würde ich doch tun: erstens den Tarifvertrag für die Friseurinnen und Friseure in Sachsen lesen. Der Stundenlohn beträgt nämlich nicht 3,14 Euro, sondern 3,82 Euro. ({0}) Zweitens wäre es besser, Sie würden diese Rede an Verdi richten, nicht an die FDP; denn Verdi hat diese Tarifverträge unterschrieben. ({1}) Ihre Rede wundert mich ein bisschen. Die FDP ist der falsche Ansprechpartner; denn die macht noch keine Tarifpolitik. Lieber Kollege Wend, wir sind uns häufig einig, aber heute muss ich einige Punkte kritisieren. ({2}) Ich habe mir gerade eine Rede des heutigen Gasmanns aus Hannover, des damaligen Bundeskanzlers, bringen lassen, der am 31. Mai 2005 auf Ihrem Parteitag zur Pendlerpauschale gesagt hat, dass Frau Merkel in eine völlig andere Richtung wolle und für die Abschaffung der Pendlerpauschale sei. Das stimmt nicht mit dem überein, was Sie uns gerade eben vorgeworfen haben. Das halte ich nicht für richtig. Nun zu diesem Posttarifvertrag. Machen wir uns doch bitte nichts vor. Hier ist doch kein klassischer Tarifvertrag zustande gekommen. ({3}) Ich selber habe in meinem Leben 16 Jahre lang Tarifverträge unterschrieben. Dieser Tarifvertrag beinhaltet erstens eine Klausel, dass er nur dann wirksam wird bzw. von beiden Seiten kündbar ist, wenn er in das Entsendegesetz aufgenommen wird. Ich habe noch nie gesehen, dass sich Tarifpartner vom Gesetzgeber abhängig machen. Das ist für mich der Beweis, dass man diesen Tarifvertrag nicht ernst nehmen kann. Zweiter Punkt: Dieser Tarifvertrag ist ein Vertrag, dem ganze 4 500 Postbedienstete unterliegen. ({4}) Ich erinnere an die Anhörung im Deutschen Bundestag, in der der Vertreter der DPV gesagt hat, dass 4 500 Leute von diesem Tarifvertrag betroffen sind. Und einen solchen Tarifvertrag sollen wir für allgemeinverbindlich erklären? Da machen wir uns lächerlich und höhlen die Tarifautonomie in einer Weise aus, die sträflich ist. Da machen wir nicht mit. ({5}) Das stimmt genau mit den Meseberger Beschlüssen überein. Die Bundeskanzlerin steht dazu. Deswegen ist Ihr Angriff, Herr Kollege Wend, völlig unberechtigt, und ich weise ihn zurück. Wenn es zu einem vernünftigen Tarifvertrag, der mindestens 50 Prozent der Postbediensteten umfasst, kommt, dann kann dieser Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt und damit in das Entsendegesetz aufgenommen werden. Aber das muss erst einmal der Fall sein. Dieser Tarifvertrag ist nichts anderes als ein Monopolverlängerungsvertrag und ein Wettbewerbsverhinderungsvertrag. ({6}) Dabei werden wir nicht mitmachen. Das kommt nicht infrage. ({7}) Ich möchte nicht, dass wir dieselben Verhältnisse, die wir auch in anderen Bereichen haben, in denen es Monopole gibt, auch bei der Post weiter beibehalten. Ich möchte Wettbewerb bei der Post haben. Dann wird es zu neuen Dienstleistungen kommen. Die Telekom hat zur Genüge bewiesen, was es bedeutet, wenn Wettbewerb eingeführt wird. Die Preise sind gesunken, und der Service ist wesentlich besser geworden, als er früher in diesem Lande war. ({8}) Diese Bundesregierung ist auf einem guten Weg. Wir haben es geschafft, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent fast zu halbieren. Lieber Kollege Brüderle, da wäre Anerkennung besser als dieses Gejammer, das ich eben hier hören musste. ({9}) Ihr Kollege Westerwelle hat am Wochenende davon gesprochen, wir hätten keinen ordnungspolitischen Rahmen mehr und es gebe keine Ordnungspolitiker mehr. Manchmal habe ich das Gefühl, er weiß nicht so genau, wovon er redet. ({10}) Herr Brüderle, wir beide sind Rheinland-Pfälzer. Ich habe einfach Folgendes gemacht: Ich habe mir die Zahlen von Rheinland-Pfalz kommen lassen. Das ist nicht so ganz schwierig. Die CDU war zwischen 1947 und 1990, teilweise zusammen mit der FDP, an der Regierung. In diesen Jahren wurden - inklusive der Wiederaufbauzeit 10 Milliarden Euro Schulden gemacht. Jetzt sind Sie 13 Jahre lang zusammen mit Kurt Beck an der Regierung. In diesen 13 Jahren haben Sie 14 Milliarden Euro Schulden gemacht. Das zeigt, dass das ordnungspolitische Verständnis Ihrer Partei nicht gut ausgebildet ist. ({11}) Mit 8,8 Prozent lag das Wirtschaftswachstum in der Phase, in der Sie in Rheinland-Pfalz Wirtschaftsminister waren, deutlich unter dem vieler anderer Bundesländer. Die Zahl der Arbeitslosen ist in Ihrer Zeit als Wirtschaftsminister von 76 000 auf 147 000 angestiegen. Wissen Sie, was dadurch für mich klar wird? Die FDP taugt in einer Regierung nur dann etwas, wenn sie zusammen mit der CDU regiert. ({12}) Darüber sollten Sie einmal ein bisschen nachdenken. Zu dem Sachverständigengutachten: Jeder nimmt sich natürlich das heraus, was er braucht und was er hören mag. Eines steht aber fest, lieber Kollege Brüderle: Wir haben ein Wirtschaftswachstum, das relevant ist und als solches zu bezeichnen ist. ({13}) In diesem Jahr wird das Wachstum bei mindestens 2,6 Prozent liegen. Gestern hat das Statistische Bundesamt die neuesten Zahlen dazu vorgelegt. Das Ergebnis im dritten Quartal ist hervorragend. Trotz der widrigen Weltkonjunkturlage - das wird sicherlich nicht besser werden wir auch im nächsten Jahr ein Wachstum zu verzeichnen haben. ({14}) Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass dieses Wachstum verstetigt wird. Das weiß die Große Koalition. Daran werden wir gemeinsam arbeiten. Ich bin ziemlich sicher, dass uns das gelingen wird. Wir haben mehr als 1,5 Millionen Arbeitslose weniger als vor zwei Jahren. Das ist ein super Erfolg. Den lassen wir uns auch von einer von Herbstdepressionen gezeichneten FDP nicht kaputt reden. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Ute Berg spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war schon interessant, zu beobachten, wie Herr Fuchs seinen Wunschkoalitionär beschimpft hat. ({0}) Ich würde Herrn Brüderle jederzeit als Mensch in Schutz nehmen. Wir haben uns kennengelernt. Er ist ein sehr Netter. Als Politiker und Redner kann ich ihn aber nicht in Schutz nehmen. Herr Brüderle, Sie haben eben wieder gewütet und alles schwarzgemalt. ({1}) Das war Polemik pur. Das wissen alle, die Sie kennen. Der Sachverständigenrat hat uns mit der Überschrift des Gutachtens „Das Erreichte nicht verspielen“ im Prinzip ein Riesenkompliment gemacht. Er hat gesagt: Ihr habt super viel erreicht, aber jetzt seid vorsichtig. - Sie haben die Erfolge, die wir in der Vergangenheit hatten, die von den Sachverständigen so hoch gelobt werden, immer in die Tonne getreten. Deshalb kann ich das, was Sie jetzt gesagt haben, absolut nicht ernst nehmen. ({2}) Zurück zum Gutachten der Sachverständigen. Der Mannheimer Sachverständige, Professor Franz, kalauerte bei einer Debatte über das Gutachten neulich: Prognosen sind immer dann schwierig, wenn sie für die Zukunft gemacht werden. Wie schwierig Zukunftseinschätzungen sind, hat der Sachverständigenrat schon häufig selbst erlebt, wenn seine eigenen Prognosen durch die Realität widerlegt wurden, ({3}) zum Beispiel kürzlich bei der Prognose zum Wirtschaftswachstum 2006. Der Sachverständigenrat ist von einem Wachstum von 1 Prozent ausgegangen. Es wurden schließlich 3 Prozent. In seinem neuen Gutachten hat er sich darüber überrascht gezeigt. ({4}) Das zeigt, dass das, was die Fünf Weisen verkünden, nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist. ({5}) Ich sage das nur, um deutlich zu machen, dass wir nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen. Trotzdem nehmen wir den Rat und die Mahnungen natürlich ernst. Wir können aber Entwarnung geben: Wir setzen durchaus nicht auf reine Wohlfühlpolitik, die Transferleistungen ausweitet und Schuldenabbau verhindert, sondern weiterhin auf aktivierende Maßnahmen. Franz Müntefering wurde hier häufig gelobt. Er ist zuständig für eine ganze Menge von aktivierenden Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, die wir beschlossen haben und selbstverständlich weiterführen werden. Wir setzen auch weiterhin auf Haushaltskonsolidierung. Insofern kann ich Sie durchaus beruhigen, Frau Scheel. Natürlich freuen wir uns auch über das Lob, das der Sachverständigenrat explizit der Regierung Schröder, Herr Dobrindt, aber auch der jetzigen Regierung, an der - wie jeder weiß - die SPD maßgeblich beteiligt ist, ausgesprochen hat. Besonders erfreulich ist die Aussage des Sachverständigenrates, die Herr Wend eben schon zitiert hat, dass unsere Reformen zu einer tiefgreifenden, nicht nur zyklischen Erholung der Wirtschaft beigetragen haben. In der Tat haben wir neben den Arbeitsmarktreformen, die schon mehrfach erwähnt wurden, den Mittelstand unterstützt, die Kommunen gestärkt, Forschungs- und Entwicklungsausgaben erhöht und die Betreuungsangebote für Kinder ausgebaut. Das hat dazu geführt, dass mehr Frauen erwerbstätig sein können, und diese Frauen braucht die Wirtschaft ja nun dringend. ({6}) Nicht zuletzt haben aber auch die Tarifparteien mit den moderaten und flexiblen Lohnabschlüssen der letzten Jahre einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen geleistet. ({7}) „Das Erreichte nicht verspielen“, mahnen die Wirtschaftsweisen nun. Da können wir beruhigen: Das werden wir nicht tun. Aber es ist auch klar, dass Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten darauf achten wollen und müssen, dass nicht Wenige viel und Viele wenig verdienen. ({8}) Wir wollen alle Bürgerinnen und Bürger am Aufschwung beteiligen, auch diejenigen, die Vollzeit arbeiten und bisher von dem Lohn für diese Arbeit nicht leben können. Es kann und darf nicht sein, dass Menschen mit Arbeitslosengeld II und einem Minijob mehr im Portemonnaie haben als Vollzeitbeschäftigte mit niedrigen Löhnen. Mit dem Erwerbstätigenzuschuss wollen wir daher Vollzeitstellen im Niedriglohnbereich attraktiver machen. Es soll sich lohnen zu arbeiten. Peter Bofinger, der schon mehrfach zitiert wurde, wirbt in seinem Minderheitenvotum auch noch einmal für den Erwerbstätigenzuschuss. Zusätzlich hinterfragt er die ablehnende Haltung seiner Kollegen zu Mindestlöhnen. Seine Kollegen nehmen seiner Ansicht nach bewusst in Kauf, dass Niedriglöhne noch weiter sinken. Wir hingegen - das wurde nun schon hinreichend deutlich, nicht zuletzt in der Rede von Edelgard Bulmahn kämpfen für Mindestlöhne und sind in dieser Frage enttäuscht von unserem derzeitigen Koalitionspartner. Mir hat noch niemand erklären können, Herr Fuchs, warum fast alle anderen europäischen Länder ohne die von Kritikern an die Wand gemalten verheerenden Folgen für die Volkswirtschaft Mindestlöhne einführen konnten, nur wir in Deutschland nicht. ({9}) Hingegen sind wir mit den Koalitionspartnern einverstanden bzw. haben dies ganz massiv mit eingebracht, dass eine Mitarbeitergewinn- und -kapitalbeteiligung verstärkt möglich wird. Wir hoffen, dass wir in diesem Bereich zu einem guten Ergebnis kommen werden. Ich spreche einen weiteren Punkt an, der für die einzelnen Menschen, aber auch für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands von entscheidender Bedeutung ist. Das ist der Bereich Ausbildung, Qualifizierung und Bildung insgesamt. Dass das deutsche Bildungssystem die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler unzureichend ausschöpft, ist hinlänglich bekannt. Zu wenig qualifizierte oder hochqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommen auf dem Markt an. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ich möchte das jetzt nicht weiter ausführen, weil es jedem hier im Raum bekannt ist. Gut qualifizierte Menschen suchen aber auch interessante und zukunftsweisende Arbeitsplätze, und die entstehen vor allem in innovativen Unternehmen. Deutsche Unternehmen gehören zu den innovativsten in Europa. Wissenschaft und Forschung in Deutschland gehören zur Weltspitze. Die Produktion in forschungsintensiven Wirtschaftszweigen wächst deutlich schneller als in anderen Bereichen. Ich nenne nur ein Beispiel: die Solarindustrie. Die Produktion von Solarzellen in deutschen Fabriken ist von 1998 bis 2005 um das 156-Fache gestiegen. Die Umsätze mit deutscher Solartechnik haben sich von 1999 bis 2005 mehr als verzehnfacht. Heute arbeiten etwa 42 500 Menschen in diesem Bereich. Eine koordinierte Innovationspolitik ist notwendiger denn je. Nur so können wir die großen Herausforderungen der Zukunft bewältigen, zum Beispiel den Klimawandel, eine finanzierbare Energieversorgung oder die Bekämpfung von Krankheiten wie Alzheimer und Aids. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik müssen dabei gezielt zusammenarbeiten. Kooperation und Vernetzung sind Voraussetzungen für Erfolge.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss. - Die Hightechstrategie und die Exzellenzinitiative sind gute Beispiele für wirkungsvolle Kooperationen. Wenn wir in dieser Weise weiter erfolgreich arbeiten, ist mir um den Standort Deutschland nicht bange. Ich gehe davon aus, dass die Wirtschaftsweisen uns dafür dann auch loben werden. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte hat jetzt das Wort.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Sachverständigenrat hat ein Gutachten vorgelegt. Es hat zwei Aussagen: Die Reformpolitik der Bundesregierung der vergangenen Jahre zahlt sich in einer Reformdividende aus. Das Erreichte darf nicht durch Zurückdrehen der Reformen verspielt werden. - Beiden Aussagen stimmen wir seitens der Bundesregierung uneingeschränkt zu. Was der Sachverständigenrat zur Entwicklung der Wachstumsraten etc. sagt, stimmt mit dem überein, was die Bundesregierung sagt. Wir haben von Anfang an - das zeichnet diese Bundesregierung aus - moderate Schätzungen vorgelegt, weil wir uns lieber von der Wirklichkeit übertreffen lassen wollen, als dass wir uns nach unten korrigieren müssen. In einer solchen Debatte, wie sie gerade geführt worden ist, geben am Ende die Ergebnisse einen wichtigen Hinweis darauf, was richtig und was falsch war. Ich darf im Telegrammstil auf ein paar Ergebnisse zu sprechen kommen. Im Vergleich zum Ende der letzten Regierung von Rot-Grün unter Gerhard Schröder 1 Million Arbeitslose weniger, 1 Million Beschäftigte mehr. 1,25 Millionen offene Stellen - so die Schätzung -; eine sensationelle Zahl. Die Staatsquote sinkt von 47 Prozent in Richtung von 45 Prozent. Die Neuverschuldung pendelt sich bei null ein. Herr Schui, Ihre ganze Zahlenarithmetik zu der Frage, was denn da tatsächlich gewachsen sei, ist falsch und führt auch nicht zu dem Ergebnis, das Sie behaupten. Nur eine Zahl will ich nennen: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik liegt die Zahl der Erwerbstätigen bei nahe 40 Millionen. ({0}) Das ist die entscheidende Größe: Wie viel Menschen sind in Arbeit? 40 Millionen! Das hatten wir noch nie. Wie kommt das nun? Die Politik sollte sich nicht überschätzen, aber auch nicht unterschätzen. Ich will drei, vier Dinge nennen, die ganz wichtig waren, an denen die Politik aber nichts getan hat und bei denen die SPD in dem einen oder anderen Punkt sogar dezidiert anderer Meinung war. Der elende Fehler der 35-Stunden-Woche ist beseitigt. In Deutschland wird wieder länger gearbeitet. Der Durchschnitt liegt bei nahe 40 Stunden die Woche. ({1}) Über den Weg der Veränderung haben wir die größte Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft erreicht; ich sage: mit unserer stillen Unterstützung und gegen die Überzeugung sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik. ({2}) Die Effizienz ist erhöht worden; Sie haben gerade darauf hingewiesen. Ich behaupte: Keine große Volkswirtschaft in Europa produziert so effizient wie Deutschland. Keine große Volkswirtschaft in Europa hat bei ihren Produkten mittlerweile einen so hohen Innovationsanteil wie Deutschland; das macht uns weltweit wettbewerbsfähig. Das sind ganz wichtige Fakten, die ziemlich ohne politische Beeinflussung zustande gekommen sind. Deswegen ist der Streit darüber, ob das alles Schröder zuzuschreiben war oder nicht, auch ziemlich müßig. Lassen wir das einmal weg. ({3}) - Lieber Herr Stiegler, was das Verdienst der SPD angeht, habe ich eine zentrale Frage: Warum gab Gerhard Schröder in der zweiten Wahlperiode nach drei Jahren entnervt auf? Weil er glaubte, diesen Kurs mit Ihnen nicht fortsetzen zu können! ({4}) Das war doch der Grund für die vorgezogene Neuwahl! ({5}) Er hat aufgeben müssen, weil er mit Rot und Grün kein Durchkommen mehr sah. ({6}) Deswegen haben wir die Wahl vorgezogen. Müssen wir das jetzt noch weiter vertiefen? - Wenn Ihnen das nicht reicht, liebe Frau Andreae, sage ich noch: Solange RotGrün regierte - das galt erst recht zum Schluss -, waren alle wichtigen Indikatoren, die etwas über die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit einer Volkswirtschaft aussagen können, stark fallend. ({7}) Seitdem die Union in der Regierung ist - das gilt nicht nur für Rheinland-Pfalz -, sind alle uns bekannten Indikatoren stark steigend. Das ist doch eine gute Bilanz. Warum streiten wir uns also? ({8}) - Doch, das habe ich, und zwar mit allen Varianten. Das Gutachten besagt zum Beispiel, Frau Scheel, dass Ende des Jahres 2007 der Wirtschaftsstandort Deutschland - das ist für die Zukunftsbetrachtung wichtig - wesentlich besser positioniert sein wird, als dies zur Zeit der letzten Aufschwungphase der Fall war. Die Politik hat mit zum Teil sehr weitreichenden Reformen auf den Feldern der Besteuerung, des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherung zum wirtschaftlichen Comeback Deutschlands beigetragen. Eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür haben die Menschen geleistet. ({9}) Wir haben den Menschen etwas zugemutet. Es gab stagnierende Einkommen ({10}) und keine Rentenerhöhungen. Jetzt geht es darum, die Reformdividende, von der der Sachverständigenrat gesprochen hat, auszuschütten. Dazu will ich Ihnen ein paar Zahlen nennen. Eine Reformdividende ist in Maßen erstmals möglich, ohne - das ist die eigentliche Kunst - die Zukunft zu verspielen. Ich sage ganz nüchtern: In diesem Jahr gab es Tarifrunden mit Abschlüssen in Höhe von 2 bis 4,5 Prozent. Der durchschnittliche Abschluss in diesem Jahr betrug etwa 2,5 Prozent. Dies ist eine Reformdividende aufgrund der Anstrengungen der Menschen. In diesem Jahr gibt es aufgrund der Systematik in der Rentenversicherung erstmals wieder eine - wenn auch geringe - Rentenerhöhung in Höhe von 0,5 Prozent. Im kommenden Jahr kann die Steigerung möglicherweise etwas höher, nämlich bei 1 Prozent, liegen. Auch das ist ein Teil der Reformdividende. Auch ich hätte es lieber, sie würde üppiger ausfallen. Aber noch sind die wirtschaftlichen Erfolge nicht so langanhaltend und stabil, dass die Sprünge größer sein könnten. Wenn wir unseren eingeschlagenen Kurs weiter verfolgen, dann wird die Reformdividende eine gewisse Beständigkeit aufweisen. Sie wird höher liegen können, als dies bisher der Fall ist. Dafür lohnt es sich doch zu arbeiten. Die Erfolge darf man nicht kaputtreden. Wir freuen uns über diese ersten Erträge, die sich jetzt ergeben, und hoffen, dass wir den Kurs so fortsetzen können, dass sie nicht nur Eintagsfliegen sind, sondern dass sie sich kontinuierlich zugunsten der Menschen in Deutschland weiterentwickeln. Es lohnt doch, daran zu arbeiten. Ich komme noch ganz kurz zu den aktuellen Punkten, die angesprochen worden sind. Es ging unter anderem darum, wie man die Attacken ausländischer Staatsfonds abwehren kann. Es ist besser, man brauchte in solchen Fällen nicht einzugreifen. Das ist ungefähr vergleichbar mit der Ministererlaubnis im Kartellrecht. ({11}) Es muss aber die Möglichkeit zum Eingreifen geben. Wir arbeiten daran, einen gangbaren Weg zu finden. Ich warne aber vor einer zu starken Normierung, was zu großen Abgrenzungsproblemen führen würde. ({12}) Das wird also nicht weiterhelfen. Es muss eine Möglichkeit zum schnellen und kurzfristigen Eingreifen geben, wenn es Attacken von Staatsfonds auf für Deutschland wichtige Bereiche gibt. ({13}) - Genau das ist der Punkt. Das muss man von Fall zu Fall entscheiden. Es ist klüger, kein allzu enges Korsett anzulegen ({14}) und dafür auf die Vernunft der Regierenden in dieser Frage zu setzen. Ich halte das in einer offenen Gesellschaft für den einzig gangbaren Weg. ({15}) Jeder Versuch, alle Einzelheiten in einem Gesetzes- oder Verordnungswerk regeln zu wollen, wird in die Irre führen. ({16}) Je weniger Leitplanken es gibt, umso seltener wird dies der Fall sein. Eine kritische Öffentlichkeit wird schon dafür sorgen, dass es solche Attacken nicht gibt. Wir haben Gott sei Dank nur wenige Ministererlaubnisse gehabt. Alle Regierungen haben gewusst, dass das ein hochgefährliches Instrument ist. Nun zur Post. Wir greifen nicht in die Tarifautonomie ein. Das ist der Grundsatz der Union. Wir wollen, dass Mindestlöhne, sofern es sie gibt, nach den bekannten Regeln tariflich vereinbart werden, und nichts anderes. ({17}) Was wir nicht wollen können, Herr Stiegler, ({18}) ist, dass zu Beginn der Diskussion über Mindestlöhne der Versuch unternommen wird - das ist der Anfang eines Prozesses, von dem ich nicht weiß, wo er enden wird; ich kann es nicht übersehen -, im Prinzip zuzulassen, dass der Haustarif eines großen und dominanten Wettbewerbers ({19}) zur Messlatte für einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn wird. Damit wird der Mindestlohn als ein Wettbewerbsverhinderungsinstrument missbraucht und sorgt für das Fortbestehen eines Monopols. ({20}) Wenn wir das am Anfang zulassen, werden wir die Mindestlöhne verbrennen. Es wird mehr Schaden als Nutzen stiften. ({21}) Unsere große Bitte an die Beteiligten ist - dann sind wir voll bei dem, was wir in Meseberg beschlossen haben -: Setzt euch an den Tisch, findet einen einvernehmlichen, ({22}) gemeinsamen Mindesttariflohn, und ihr habt die Zustimmung der Union und der Regierung. Das ist unsere Einstellung zu diesem Thema. Ich bedanke mich und wünsche Ihnen weiterhin einen erfolgreichen parlamentarischen Tag. ({23})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7112 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Bevor ich zu den nächsten Tagesordnungspunkten komme, begrüße ich herzlich neben den Gästen aus dem Inland auf unserer Tribüne auch eine Delegation der chilenischen Regierung. Herzlich willkommen hier bei uns! ({0}) Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 l, 42 n und 42 o sowie die Zusatzpunkte 2 a bis c auf: 42 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Otto Fricke, Rainer Brüderle, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der Sozialisierung - Drucksache 16/3301 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fleischgesetzes - Drucksache 16/6964 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({2}) Innenausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen - Drucksache 16/6965 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Rechtsausschuss Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Organisation des Bundesausgleichsamtes - Drucksache 16/7079 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({4}) Innenausschuss Finanzausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Fahrlehrergesetzes - Drucksache 16/7080 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP De-minimis-Beihilfen mittelstandsfreundlicher ausgestalten - Drucksache 16/3149 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gisela Piltz, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Erwerbswirtschaftliche Betätigung der Kommunen durch eine Klarstellung im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb eindämmen - Drucksache 16/5963 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Paul Schäfer ({7}), Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE Keine deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan - Drucksache 16/6098 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({8}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Leutert, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Für die soziale Rehabilitation von Kindersoldaten eintreten - Drucksache 16/6358 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({9}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Obligatorische Haftpflichtversicherung für gewerbliche Binnenschiffe beim Transport gefährlicher Güter - Drucksache 16/6640 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({11}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr ({12}), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Regelung zur Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger praxisnah gestalten - Rechtssicherheit für substituierende Ärzte schaffen - Drucksache 16/6795 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({13}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Döring, Horst Friedrich ({14}), Joachim Günther ({15}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Abschaffung der Vorlagepflicht von Prüfbüchern - Modifikation der §§ 41, 42 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr - Drucksache 16/6797 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({16}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie n) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Ausbau der Schienenwege 2006 - Drucksache 16/3000 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({17}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus o) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen Klimaschutz durch Biomasse - Drucksache 16/6340

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Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 2 a)Erste Beratung des von den Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Sozialgesetzbuches - Drucksache 16/4808 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Entschädigung von Telekommunikationsunternehmen für die Heranziehung im Rahmen der Strafverfolgung ({2}) - Drucksache 16/7103 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({4}), Irmingard Schewe-Gerigk, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stärkung des parlamentarischen Fragerechts - Drucksache 16/6789 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Es handelt sich hierbei um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/5963, Tagesordnungspunkt 42 g, soll federführend vom Rechtsausschuss beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 43 a bis 43 m sowie dem Zusatzpunkt 3. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 43 a: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Patrick Döring, Hans-Michael Goldmann, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Toxische Rückstände in Transport-Containern Herausforderung für Arbeits- und Verbrauchersicherheit - Drucksachen 16/5612, 16/6812 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6812, den Antrag der FDP auf Drucksache 16/5612 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung mit Zustimmung der Großen Koalition und der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6}) - zu der Verordnung der Bundesregierung Achtzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - Verordnung der Bundesregierung Einhundertsechste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - Drucksachen 16/6269, 16/6369 Nr. 2.1, 16/6382, 16/6487 Nr. 2.1, 16/6875 Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6875, die Aufhebung der Verordnungen auf den Drucksachen 16/6269 und 16/6382 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke, keinen Enthaltungen und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 43 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer ({8}), Dr. Heinz Riesenhuber, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Martin Dörmann, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Ditmar Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie sichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Initiative Frankreichs aufgreifen - EADS durch Kapitalerhöhung stärken und staatliche Sperrminorität sicherstellen - Drucksachen 16/5908, 16/6395, 16/7049 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Heinz Riesenhuber Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5908 mit dem Titel „Die Zukunft der deutschen Luftfahrtindustrie sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Große Koalition, Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6395 mit dem Titel „Initiative Frankreichs aufgreifen - EADS durch Kapitalerhöhung stärken und staatliche Sperrminorität sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 43 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 297 zu Petitionen - Drucksache 16/6946 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 43 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 298 zu Petitionen - Drucksache 16/6947 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 43 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 299 zu Petitionen - Drucksache 16/6948 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung von SPD, CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({12}) Sammelübersicht 300 zu Petitionen - Drucksache 16/6949 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 43 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({13}) Sammelübersicht 301 zu Petitionen - Drucksache 16/6950 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Enthaltung der FDP und Zustimmung der übrigen Mitglieder des Hauses ebenfalls angenommen. Tagesordnungspunkt 43 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({14}) Sammelübersicht 302 zu Petitionen - Drucksache 16/6951 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Es gab keine Enthaltungen. Tagesordnungspunkt 43 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 303 zu Petitionen - Drucksache 16/6952 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Sammelübersicht bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Zustimmung des übrigen Hauses ebenfalls angenommen.

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Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({0}) Sammelübersicht 304 zu Petitionen - Drucksache 16/6953 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 43 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({1}) Sammelübersicht 305 zu Petitionen - Drucksache 16/6954 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 43 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({2}) Sammelübersicht 306 zu Petitionen - Drucksache 16/6955 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist bei Zustimmung durch die Koalition und gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen. Zusatzpunkt 3: Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Müller ({3}), Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD Stärkung europäischer Wettbewerbsfähigkeit - ARTEMIS und weitere gemeinsame Technolo- gieinitiativen sinnvoll gestalten - Drucksache 16/7117 - Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Zustimmung im übrigen Haus angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({4}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan ({5}) auf Grundlage der Resolution 1590 ({6}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - Drucksachen 16/6940, 16/7141 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen ({7}) Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({8}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7165 - Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde b) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({10}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur - UNAMID - auf Grundlage der Resolution 1769 ({11}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 - Drucksachen 16/6941, 16/7143 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Gert Weisskirchen ({12}) Wolfgang Gehrcke Kerstin Müller ({13}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({14}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7163 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Lothar Mark Jürgen Koppelin Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Ich weise Sie darauf hin, dass wir über beide Beschlussempfehlungen später namentlich abstimmen werden. Es ist verabredet, über diesen Tagesordnungspunkt eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Brunhilde Irber für die SPD-Fraktion. ({15})

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verhandlungen, die zu mehr Blutvergießen führen, Flüchtlingslager, in denen jeder gegen jeden kämpft, Hunger und Not, die kaum gelindert werden über die Lage im Sudan gibt es wenig Erfreuliches zu berichten. Trotzdem möchte ich gerade deswegen darlegen, warum ich für die Verlängerung der deutschen Beteiligung an UNMIS und für die deutsche Beteiligung an UNAMID eintrete. Zunächst zum Süden. Die Situation im Südsudan ist nach wie vor angespannt. Sie ist geprägt durch den Streit über die Festlegung der Grenzlinie zwischen dem Nordund Südsudan und die Umsetzung des sogenannten umfassenden Friedensabkommens, des Comprehensive Peace Agreement, vom Januar 2005. Präsident Baschir hat zwar dem Abzug der nordsudanesischen Armee aus dem Süden des Landes zugestimmt, doch faktisch hat eine Truppenverstärkung stattgefunden. Vor allem die Ölregionen des Südens befinden sich weiterhin unter seiner Kontrolle. Darüber hinaus hat die SPLM, die wichtigste politische Kraft des Südsudan, ihre Minister aus der Regierung der Nationalen Einheit abgezogen. In Anbetracht dieser Ereignisse überrascht es nicht, dass die Umsetzung des Friedensabkommens in wichtigen Aspekten hinter dem Zeitplan geblieben ist. Dennoch gibt es auch hoffnungsvolle Entwicklungen. Der Aufbau von eigenen Verwaltungsstrukturen im Südsudan schreitet voran. Teile der geflohenen Bevölkerung sind bereits in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Region Kassala im Südosten des Landes gilt als befriedet. UNMIS und mit ihr die derzeit im Sudan eingesetzten Bundeswehrsoldaten haben hierzu einen entscheidenden Beitrag geleistet. Dafür sage ich Dank an unsere Soldaten. ({0}) UNMIS bleibt als stabilisierendes Element unverzichtbar. Die für Februar 2008 geplante Volkszählung muss abgesichert werden; denn ohne Zensus wird es 2009 keine Wahlen geben. Auch das Referendum, das für 2011 geplant ist, wäre gefährdet. Deshalb wäre es fatal, wenn wir den Weg zum Frieden an dieser Stelle abbrechen würden. Es ist konsequent, wenn Deutschland auf der Grundlage der Resolutionen 1590 und 1784 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen das Mandat seiner Soldaten verlängert. Die Rahmenbedingungen des Einsatzes bleiben unverändert. In diesem Zusammenhang ist natürlich die Krisenregion Darfur zu sehen. Die Sicherheitslage dort hat sich nicht verbessert. Ich möchte an dieser Stelle kurz auf die Geschehnisse vor Ort eingehen, um zu verdeutlichen, welche Dimension die humanitäre Katastrophe im Sudan hat. Schätzungen der UNO zufolge wurden in Darfur seit 2003 mindestens 2,3 Millionen Zivilisten vertrieben. Rund 400 000 Menschen kamen ums Leben. John Prendergast von der International Crisis Group hat die Ereignisse in Darfur treffend auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt: „Sudan is Rwanda in slow motion.“ Deutschland hat auf die Ereignisse bereits reagiert und in diesem Jahr rund 19 Millionen Euro für humanitäre Nothilfe in Darfur bereitgestellt. Hilfslieferungen allein bleiben aber wirkungslos, solange vor Ort Anarchie und Willkür herrschen. Die Friedensmission der Afrikanischen Union, AMIS, hat die notwendige Stabilität und Sicherheit nicht herstellen können. Die Realisierung des Darfur-Friedensabkommens vom Mai 2006 scheint heute weiter entfernt denn je. Schlimmer noch, der Bürgerkrieg in Darfur ist ansteckend. Immer mehr Flüchtlinge landen in den Nachbarländern des Sudan: derzeit rund 230 000 im Tschad und mehrere Zehntausend in der Zentralafrikanischen Republik. Mit ihnen kommen auch von Sudans Regierung unterstützte Milizen. Sie tragen den Flüchtlingen den ethnischen Krieg Darfurs hinterher. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nun an uns, die wir seit Jahren ein Ende des Mordens und der Vertreibung in der Region Darfur fordern, unseren Worten Taten folgen zu lassen. ({1}) Mit der Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und des Friedens- und Sicherheitsrats der Afrikanischen Union für UNAMID bietet sich nun endlich die Perspektive, dem Darfur-Friedensabkommen Leben zu verleihen. UNAMID ist die zurzeit einzige realistische Möglichkeit, politischen Druck auf die Konfliktparteien auszuüben und sie wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Dazu wird UNAMID ab dem 1. Januar 2008 für zunächst zwölf Monate die Umsetzung des bestehenden Friedensabkommens unterstützen und die laufenden Friedensverhandlungen absichern. Für diese Aufgabe steht UNAMID das größte Blauhelm-Kontingent in der Geschichte der Vereinten Nationen zur Verfügung. Ab dem 1. Januar des kommenden Jahres werden bis zu 19 555 Soldaten und über 3 770 Polizisten die Zivilbevölkerung vor Überfällen und Vertreibung schützen. Dafür hat der Sicherheitsrat UNAMID mit einem robusten Mandat ausgestattet. Deutschland wird sich daran mit bis zu 250 Soldaten beteiligen. Die Kosten von 2 Millionen Euro sind überschaubar. Die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft um eine Lösung des Darfur-Konflikts befinden sich in einer entscheidenden Phase. Wenn ich „internationale Gemeinschaft“ sage, meine ich nicht nur unsere Partner. Auch wir sind Teil der internationalen Gemeinschaft. Das heißt, wir müssen den Kriegstreibern im Sudan klarmachen, dass sie nicht unbeobachtet sind. Wir müssen Sorge dafür tragen, dass die Vertreibungen im Sudan nicht ohne Folgen bleiben. Wir müssen jetzt ein glaubhaftes Signal setzen, damit sich Präsident Baschir keinen weiteren Wortbruch mehr leisten kann. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wird der Frieden im Sudan in Anbetracht der komplexen Konfliktlage nicht ein Wunschtraum bleiben? Werden wir den Menschen in diesem Land, welches größer ist als Westeuropa, effektiv helfen können? Sie erinnern sich sicherlich, dass wir uns diese Fragen schon einmal gestellt haben, als es galt, die Wahlen im Kongo abzusichern. Heute, über ein Jahr nach den Wahlen, können wir sagen: Unser Einsatz im Kongo hat sich gelohnt. Ebenso muss es unser Interesse sein, den Sudan als Ganzes zu erhalten und zu stabilisieren. Als eines der größten Flächenländer Afrikas, umringt von acht weiteren Staaten, kommt dem Sudan für den Frieden und die Stabilität in der gesamten Region eine Schlüsselrolle zu. Deshalb bitte ich heute um breite Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Verlängerung des Mandats der deutschen UNMIS-Soldaten im Südsudan und für die Beteiligung deutscher Soldaten an der AU/UN-HybridMission UNAMID in Darfur. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Marina Schuster spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines schicke ich gleich vorweg: Die FDPFraktion wird heute beiden Mandaten zustimmen. Meine Kollegin Elke Hoff wird später auf das UNMIS-Mandat eingehen, ich jetzt nur auf das UNAMID-Mandat. Gerade das UNAMID-Mandat erfüllt mich mit großer Sorge. Wir alle hier wissen, dass diese Sorge aus mehreren Gründen berechtigt ist. Erstens. Der Zeitplan für die UNAMID-Mission, aber auch die Truppensteller stehen nach wie vor nicht fest. Außerdem hat das Regime in Khartoum jetzt wieder angekündigt, es wolle doch nur eine rein afrikanische Truppe akzeptieren. Zweitens. Ich warne nochmals vor den logistischen Herausforderungen; in der Plenardebatte letzte Woche wurden diese auch angesprochen. Es gibt bereits jetzt zahlreiche Probleme vor Ort. Der Tagesspiegel hat das in einem Bericht über das geplante Hauptquartier in al-Faschir sehr eindringlich geschildert. Der Bericht zitiert Aussagen von Soldaten der Vorhut: „600 Leute in drei 100-Mann-Zelten. Kein Platz, keine Planung, keine Logistik“ … „Jede einzelne Schraube und jede Flasche Wasser muss da hingebracht werden“ … Das verdeutlicht ein wesentliches Problem: den Transport. Darfur ist so groß wie Frankreich und verfügt quasi über keine Infrastruktur. An Transport- und auch Kampfhubschraubern fehlt es aber nach wie vor. 30 sollen es mindestens sein. Bisher ist aber noch kein einziger zugesagt. Man muss kein Hellseher sein, um sagen zu können: Voll einsatzbereit wird das Mandat bis zum 31. Dezember dieses Jahres nicht sein. Dabei sind gerade die Erwartungen der Flüchtlinge vor Ort, aber auch die der internationalen Gemeinschaft sehr hoch. Der UNAMIDKommandeur, General Martin Agwai, hat in einem Interview bereits davon gesprochen, dass die Erwartungen an dieses Mandat wahrscheinlich zu hoch sind. Wir alle hoffen, dass durch das langerwartete robuste Mandat endlich die Sicherheit und der Schutz der Zivilbevölkerung gewährleistet werden. Wir dürfen aber eines nicht vergessen: Das UNAMID-Mandat ist nur ein Baustein auf dem Weg zu einem friedlichen Darfur. Vor allem dürfen wir nicht blauäugig sein: Ein breit angelegtes Friedensabkommen gibt es nicht. Das DPA wurde nur von einer Rebellengruppe unterzeichnet, und wir wissen, dass die Zersplitterung weitergeht. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich politisch einzusetzen, statt sich hinter AU- und UN-Zuständigkeiten zu verstecken. ({0}) Wenn wir uns finanziell beteiligen und vor allen Dingen Soldaten dorthin schicken, dann haben wir eine große Verantwortung zu tragen. Wir haben die Verantwortung, unsere Soldaten entsprechend auszustatten. Die internationale Gemeinschaft muss verhindern, dass dieses Mandat, dieser Hoffnungsstrang, zum Waterloo für die Vereinten Nationen wird. Vielen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir beschließen heute die Beteiligung deutscher Streitkräfte an zwei Missionen der Vereinten Nationen im Sudan: an UNMIS und UNAMID. Grundsätzlich stellt sich zunächst die Frage, warum der Sudan für uns ein so wichtiges Land ist. Sudan ist der größte Flächenstaat Afrikas. Sudan ist das Scharnier zwischen der afrikanischen Welt und der arabischen Welt. Sudan ist ein Land mit großen Energieressourcen. Sudan ist aber auch ein Land, das inzwischen seit Jahrzehnten von Bürgerkriegen heimgesucht wird. Der Beschluss vom heutigen Morgen zur Verlängerung des OEF-Mandats hat gezeigt, dass ein Zusammenbruch des Sudan bzw. eine weitere chaotische Entwicklung in diesem Land auch im Nahen und Mittleren Osten zu tektonischen Erschütterungen führen kann. Deswegen sind die Herstellung von Stabilität und die Verbesserung der Lage im Sudan für uns und unsere Sicherheit von besonderer Bedeutung. Der Konflikt im Südsudan ist eine der längsten und gewalttätigsten Auseinandersetzungen in Afrika. Dem Anfang der 80er-Jahre ausgebrochenen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd fielen mehr als 2 Millionen Menschen zum Opfer, meist südsudanesische Zivilisten; 4 Millionen Südsudanesen wurden vertrieben. Der erste Bürgerkrieg von 1955 bis 1972 hatte bereits schätzungsweise 500 000 bis 700 000 Todesopfer gefordert. Das Friedensabkommen aus dem Jahre 2005 wird leider nicht so umgesetzt, wie wir es uns wünschen; darauf hat die Kollegin Irber schon hingewiesen. Das liegt insbesondere daran, dass das Regime in Khartoum seine Zusagen nicht einhält. Damit dieser Konflikt nicht wieder ausbricht, ist es erforderlich, dass die Einhaltung dieses Friedensabkommens weiterhin im Rahmen von UNMIS überwacht wird. Die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sich daran mit 75 Soldaten. Vor UNMIS liegen große Aufgaben. Im Jahr 2011 soll ein Referendum über die Unabhängigkeit des Südens vom Norden durchgeführt werden. Es spricht wenig dafür, dass der Norden den ölreichen Süden ohne Weiteres ziehen lassen wird. Auch die Parlamentswahlen, für das Jahr 2009 vorgesehen, werfen ihre Schatten voraus. Dafür braucht man zum einen eine Volkszählung und zum anderen ein Wahlgesetz. Zur Erarbeitung dieses Wahlgesetzes ist wiederum die Kooperation des Regimes in Khartoum erforderlich. Ich will ganz deutlich sagen: Sollte Khartoum trotz der jetzt zögerlich erteilten Zustimmung zur UNAMIDMission dabei nicht kooperieren, muss die Verhängung weiterer Wirtschaftssanktionen im Rahmen des Möglichen bleiben. Mit UNAMID soll das Engagement der Afrikanischen Union in Darfur unterstützt werden. Ziel ist und bleibt, das Darfur-Friedensabkommen umzusetzen, mit dem der Bürgerkrieg in Darfur, dem seit 2003 mehr als 200 000 Menschen zum Opfer gefallen sind und der für etwa 2,5 Millionen Flüchtlinge verantwortlich ist, beendet werden soll. Doch auch hier - darauf haben meine Vorredner schon hingewiesen - zeichnet sich ab, dass das Abkommen nicht so eingehalten wird, wie es erforderlich ist. Die Friedensgespräche, die vor wenigen Wochen im libyschen Sirte stattgefunden haben, müssen wohl als gescheitert gelten. Es ist erforderlich, dass vor allem die größten und wichtigsten Rebellengruppen an den weiteren Verhandlungen teilnehmen, die für Mitte Dezember vorgesehen sind. Die Lage in Darfur ist außerordentlich unübersichtlich. Das beginnt schon mit der Zahl der Rebellengruppen: Mal ist von 20, mal von 40 Gruppen die Rede, und es gibt nicht nur den Konflikt zwischen den Rebellen auf der einen und der Regierung in Khartoum auf der anderen Seite, nein, die Rebellengruppen bekämpfen sich auch untereinander. Gerade diese unübersichtliche Lage ist der Grund dafür, dass die Menschen in dieser Region so leiden müssen. Diese unübersichtliche und schreckliche Lage verpflichtet die Vereinten Nationen, einzugreifen, und verpflichtet auch uns, zu helfen. 26 000 Soldaten und Polizisten sowie 5 500 zivile Kräfte aus über 50 Ländern sollen an UNAMID beteiligt sein. Deswegen ist es richtig und gut, dass sich auch Deutschland mit 250 Einsatzkräften beteiligen wird. Dabei handelt es sich um Einzelpersonal in Stäben, Experten mit Verbindungs-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben sowie um Kräfte, die im Rahmen der Lufttransportunterstützung tätig werden sollen. UNAMID ist mit einem robusten Mandat nach Kap. VII der VN-Charta ausgestattet: Die Einsatzkräfte haben zur Durchsetzung ihrer Aufträge auch das Recht zur Anwendung von Gewalt sowie die Befugnis zur Wahrnehmung des Rechts auf bewaffnete Nothilfe. Bei UNAMID wird es sich um die größte derzeitige Mission der Vereinten Nationen handeln. Sie muss gelingen, allen Widrigkeiten zum Trotz. Wir müssen also mehr tun, damit ein Flächenbrand in der Region und weitere Flüchtlingsströme verhindert werden können. Schon jetzt sind die Nachbarländer des Sudan von dem Konflikt betroffen: Zum Schutz der Lager im Tschad, in denen sich circa 230 000 aus Darfur Vertriebene aufhalten, und weiterer 48 000 Flüchtlinge, die sich in der Zentralafrikanischen Republik aufhalten, hat der VN-Sicherheitsrat auch eine internationale Präsenz in diesen beiden Ländern mandatiert; sie besteht aus einer ESVP-Mission sowie einer Polizeimission der Vereinten Nationen und des Tschad. Auf einen bereits am Anfang erwähnten Punkt will ich noch einmal eingehen: auf die großen Energieressourcen im Sudan, vor allem was die Ölvorkommen angeht. Diese Vorkommen machen den Sudan geradezu zu einem Tummelplatz ausländischer Unternehmen. Das ist wieder einmal ein Beispiel dafür, dass reiche Rohstoffvorkommen für Länder in Afrika häufig nicht ein Segen, sondern ein Fluch sind. In diesem Zusammenhang wird immer wieder zu Recht auf die Rolle Chinas hingewiesen. In der Tat: China hat aufgrund seines ständig steigenden Energiebedarfs ein großes Interesse an den sudanesischen Ölfeldern, und es hat zu lange gedauert, bis China und auch Russland bereit waren, härtere Sanktionen gegen das sudanesische Regime zu verhängen. Doch inzwischen musste auch China - wenn auch zögerlich - erkennen, dass Willkür, Korruption und mangelnde Rechtssicherheit im Sudan auch seinen Interessen abträglich sein können. Nicht zuletzt dieser späten Einsicht Chinas ist es zu verdanken, dass Khartoum der AU/VN-Hybridmission nach langem Sträuben zugestimmt hat. ({0}) Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Wir sind, wie bereits beschrieben, noch lange nicht am Ziel: der Befriedung des Sudan. Aus diesem Grunde müssen wir beide VN-Missionen unterstützen. Ein zerfallender Staat Sudan hätte furchtbare, folgenschwere Auswirkungen, nicht nur für Afrika und die arabische Welt, für unsere Nachbarregionen, den Nahen und Mittleren Osten auch wir würden die Folgen dieser tektonischen Erschütterung zu spüren bekommen. Meine Fraktion wird daher beiden Anträgen zustimmen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat Dr. Norman Paech für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren reden wir an diesem Ort darüber, wie wir dem zerrissenen und verwüsteten Land Sudan eine friedliche und sichere Zukunft garantieren können. Das Ergebnis ist immer das Gleiche: Es wird der Einsatz des Militärs gefordert. Die Mandate werden verlängert, und jetzt wird sogar der größte Militäreinsatz der UNO überhaupt vorbereitet. Sie meinen immer noch, dass das der richtige Weg ist. Wir sagen Ihnen aber: Das ist ein Scheitern der Politik und wird die Situation im Sudan nicht verbessern; ({0}) denn der Schutz von Menschen durch das Militär kann, wenn das überhaupt möglich ist, immer nur von kurzer Dauer sein. Langfristig führt der Einsatz von Militär immer nur zu Destabilisierung, zu Zerstörung der sozialen Strukturen und zu immer mehr Gewalt und weiteren Toten. Sie beteuern dann immer wieder, dass es politischer und ziviler Kräfte zur Lösung dieses Konfliktes bedarf. Wo sind sie? Außer den zahllosen humanitären Organisationen, die die äußerste Not zu bekämpfen versuchen, sehe ich keine weiteren Kräfte. Es gibt keinen zivilen Einsatz, der dem Aufwand des Militärs in irgendeiner Weise vergleichbar ist. Sie berufen sich auf den Friedensvertrag von 2005, der unter starkem Druck der USA geschlossen wurde und dessen Einhaltung die UNMIS nun zu überwachen und zu sichern hat. Wir können doch nicht übersehen, dass durch diesen Vertrag die Abspaltung des Südens vom Norden faktisch vorbereitet wird. Die jüngsten Spannungen, die erneute Eskalation der Gewalt und auch die Blockade des Friedensprozesses sind doch gerade Ergebnisse dieses verfehlten Vertrages. Die wiederaufkeimende Gewalt kann durch UNMIS zwar zeitweilig unterdrückt, aber nie dauerhaft beseitigt werden. UNMIS wird vielmehr - das befürchten wir - zu einer Partei im Sezessionskonflikt, in dem es schließlich um eine heftige Konkurrenz mit China um die Ölressourcen im Süden dieses Landes gehen wird. Deswegen können wir diesen Konflikt nicht isoliert und als internes Problem des Sudans sehen. Warum haben die USA nämlich ein neues afrikanisches Militärkommando - AFRICOM genannt - gegründet, welches alle militärischen Aktivitäten vom Horn von Afrika bis zum Golf von Guinea koordinieren soll? Das geschah doch nicht, um dort Frieden herzustellen und Menschenrechte zu sichern. Machen wir uns doch nichts vor: In der ganzen Region geht es um strategische Rohstoffinteressen. ({1}) Sudans Nachbar Äthiopien - das dürfen wir nicht vergessen - hat seinen Nachbarn Somalia mit Unterstützung der USA - man kann sogar sagen: auf Anregung - überfallen und bietet sich jetzt als Standort für AFRICOM an. So legitim Rohstoffinteressen auch sind: Das Militär hat sich da herauszuhalten. ({2}) Damit komme ich zum zweiten Mandat, zur neuen Mission UNAMID für das verwüstete Darfur. Es mag Ihr Gewissen und das Gewissen vieler beruhigen, mit diesem Mandat wieder etwas getan zu haben. Ich sage Ihnen aber voraus: Auch dieses gewaltige Militärkontingent wird an der desolaten Situation substanziell nichts ändern. Blicken Sie doch einmal in den Kongo. Es ist schon lange kein Krieg der Rebellen von Darfur gegen die Zentralregierung in Khartoum mehr. Die Zahl der Rebellengruppen ist unübersehbar geworden. Sie kämpfen allmählich gegeneinander. Der Friedensvertrag von Abuja ist vollkommen unzureichend, und die Konferenz in Libyen ist ergebnislos geblieben. Warum? Die wichtigsten Rebellengruppen nahmen daran gar nicht mehr teil. Stattdessen haben sie sich zusammengefunden, um die Unabhängigkeit Darfurs vom Sudan zu planen. Das ist unsere Sorge: Wir befürchten die Trennung Darfurs vom Sudan unter dem Schutz der UNO-Truppen, selbst dann, wenn sie dies niemals gewollt haben. Was fehlt und was die Linke fordert, ist ein umfassendes politisches Konzept zur Unterstützung des Friedensprozesses. Wir fordern die Aufnahme von neuen Friedensverhandlungen und ein umfassendes Programm für den Wiederaufbau dieser Region. ({3}) Nur so kann die Einheit des Landes gewahrt werden. Wenn Sie alle Mittel, die Sie nun wieder in ein militärisches Mandat stecken, für ein großes ziviles Friedensund Wiederaufbauprogramm bereitstellten, hätten Sie unsere ungeteilte Zustimmung; denn uns trennt doch nicht die Sorge um die Menschenrechte und das kriegszerrissene Land, ({4}) sondern die Mittel, mit denen Sie jetzt diesem Land und den dort lebenden Menschen zu Leibe rücken. Dafür bekommen Sie die Zustimmung der Linken nicht. Danke schön. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Paech, ich will kurz auf das eingehen, was Sie zuletzt gesagt haben. Sie fordern eine umfassende zivile Mission für Darfur. Sie kommen sehr pazifistisch daher. Aber ich frage mich wirklich, wie Sie in einer Situation, in der wir es mit einem schleichenden Völkermord und Massenvergewaltigungen zu tun haben, in der aus der Luft bombardiert wird, in der also Krieg herrscht, mit einem ausschließlich zivilen Programm überhaupt eine Wirkung erzielen wollen. Nötig ist doch, zuerst die Gewalt einzudämmen und die Menschen zu schützen, die heute noch nicht einmal in den Flüchtlingslagern Schutz haben. ({0}) Sie basteln sich quasi die Mandate so, wie es in Ihre Friedensrhetorik passt. Dass UNMIS die zivile Komponente fehle, ist absurd. Deutschland zum Beispiel stellt im Höchstfall 75 unbewaffnete Beobachter zur Verfügung. Ein großer Teil dieser Mission findet zwar in Uniform statt, ist aber für die Flüchtlingsrückkehr und humanitäre Fragen zuständig. Ich frage Sie: Was hat die Bereitstellung von unbewaffneten Beobachtern im Südsudan, die unter schwierigsten Bedingungen einen Friedensdienst leisten, mit Krieg und mit Militarisierung zu tun? Was Sie sagen, ist nichts anderes als Rhetorik und hat mit der Lage vor Ort nichts zu tun. ({1}) Man kann meinen Ausführungen unschwer entnehmen, dass meine Fraktion den Mandaten für UNMIS und UNAMID zustimmen wird, und zwar UNMIS, weil sie zur Stabilisierung des fragilen Nord-Süd-Friedensabkommens unabdingbar ist, und im Hinblick auf Darfur, weil wir uns schon lange für eine robuste UNO-Friedensmission gerade zum Schutz der Menschen vor Gewalt einsetzen. Allerdings, Herr Außenminister, dürfen wir uns nicht damit zufriedengeben - darüber haben wir im Ausschuss eine Debatte geführt -, dass UNAMID ab dem 1. Januar 2008 offiziell die Verantwortung für die Sicherheit der Menschen übernimmt; denn die tatsächliche Stationierung wird sich - das war heute wieder von der UNO zu vernehmen - mindestens bis Mitte 2008 hinziehen. Der Generalsekretär der UNO, Ban Ki-moon, und der Chef des DPKO, Herr Guéhenno, haben noch einmal vor Verzögerungen bei der UNAMID-Stationierung gewarnt, weil bislang zu wenige Länder bereit sind, Truppen zu stellen. Herr Kollege Fischer, Sie haben in der letzten Debatte dazu gesagt: Wenn wir ein weiteres Jahr debattieren - und sei es auf UNO-Ebene -, dann hat die Weltgemeinschaft wieder einmal bei einem Krisenherd versagt. - Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. ({2}) Diese UNO-Mission braucht eine stärkere Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Ich fordere die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den europäischen Partnern noch einmal darüber zu beraten, wie der Mission schnellstmöglich zum Beispiel die fehlenden 24 Transport- und Kampfhubschrauber sowie Spezialeinheiten zur Verfügung gestellt werden können. Herr Guéhenno hat heute gesagt: Wenn das nicht passiert, dann droht die Mission zu scheitern. - Das darf natürlich nicht passieren. Nach langem Ringen hat sich die internationale Gemeinschaft endlich zu einer robusten Friedenstruppe durchgerungen. Sie darf nicht daran scheitern, dass es zu wenige Länder gibt, die bereit sind, Truppen für diese Mission zu stellen. Als internationale Gemeinschaft sind wir dazu verpflichtet. ({3}) In Darfur - das richte ich auch an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken - ist ein Dreiklang von Friedensgesprächen, Waffenstillstand und Friedensmission notwendig. Einige Rebellenorganisationen kehren deshalb nicht mehr an den Verhandlungstisch zurück, weil sie wollen, dass zuerst die UNO-Truppe ins Land kommt, um die Flüchtlinge und die Bevölkerung zu schützen. Aber nicht nur die Verzögerung auf internationaler Ebene, sondern auch das Verhalten der sudanesischen Regierung führt zurzeit dazu, dass die Stationierung nur schleppend vorankommt. Sie spielt wieder einmal Katz und Maus mit der internationalen Gemeinschaft. Heute zum Beispiel hat das DPKO gemeldet, dass der Sudan die Kontingente aus Thailand, Nepal und Skandinavien nicht akzeptiert. Wir müssen uns, glaube ich, noch einmal die Erfahrungen mit dem Regime in Khartoum in den letzten Monaten und Jahren in Erinnerung rufen. Die Zusagen sind nichts wert. Es reicht nicht, dass die Regierung seinerzeit der UNAMID-Mission zugestimmt hat. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung und uns alle: Auch hier ist die internationale Gemeinschaft nur dann glaubwürdig, wenn wir den Druck auf die sudanesische Regierung, die die Mission offensichtlich nicht will, aufrechterhalten, damit sie die Stationierung nicht hintertreibt. Das dürfen wir alle gemeinsam nicht zulassen. Kerstin Müller ({4}) ({5}) Wir brauchen eine entschlossenere internationale Gemeinschaft, die bereit ist, Konflikte in Afrika nicht einfach treiben zu lassen, und die sich von der sudanesischen Regierung nicht immer wieder an der Nase herumführen lässt. Wir brauchen eine internationale Gemeinschaft, die bereit ist, sich dauerhaft für den Frieden in Darfur und im Südsudan zu engagieren und dazu auch erhebliche Mittel in den Friedensprozess und den Wiederaufbau zu investieren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Ich möchte noch auf das CPA und den Südsudan eingehen. Herr von Klaeden, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass bei einem Scheitern des Nord-Süd-Abkommens das Auseinanderfallen des Sudan mit unabsehbaren Konsequenzen - auch für Europa - droht. Dann ist mit einer Destabilisierung der gesamten Region zu rechnen. Deshalb müssen wir auch das verhindern. Ich erinnere daran, dass die internationale Gemeinschaft die Garantiemacht für das Nord-Süd-Abkommen übernommen hat. Zurzeit ist sie aber ein zahnloser Tiger. Auch dabei ist es unsere Pflicht, Druck auf die Regierung in Khartoum auszuüben und darauf zu drängen, dass das CPA Schritt für Schritt umgesetzt wird, damit es nicht aufgrund von Verzögerungen und Taktiererei scheitert. Das hätte in der Tat unabsehbare Folgen, und zwar nicht nur für das Horn von Afrika, sondern auch für Europa. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Jörn Thießen für die SPD-Fraktion. ({0})

Jörn Thießen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003855, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Mal, wenn der Kollege Paech eine Rede im Deutschen Bundestag hält, beschleicht mich die deutliche Anmutung, dass seine Welt in Hamburg beginnt und in Bremerhaven aufhört. Das sind schöne Städte, aber sie haben mit der Weltlage wenig zu tun. ({0}) In Darfur - das wird in diesem Hause oft beklagt herrscht ein furchtbarer und blutiger Konflikt. Das gilt aber auch für große Teile der Geschichte des Südsudan. Die Kolleginnen Hoff und Mogg und ich haben uns persönlich im Südsudan davon ein Bild gemacht. Wir haben uns auch ein Bild gemacht, wie erfolgreich sich die Vereinten Nationen dort sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich einsetzen. Insofern gebührt den deutschen Soldatinnen und Soldaten und den Vereinten Nationen unser hoher Respekt für ihre Arbeit unter besonders schwierigen Bedingungen. ({1}) Wir haben bereits Militärbeobachter eingesetzt. Wir müssen den anstehenden Dreiklang bedenken und begleiten. Volkszählung, Referendum und Wahlen sind richtige Schritte in dieser furchtbar gebeutelten Region. Ob wir eines Tages vor der Situation stehen, dass sich der Sudan teilen will, ist in der Tat eine Schwierigkeit, der wir begegnen wollen, Frau Kollegin Müller. Das ist aber nicht mit weniger Engagement möglich; notwendig ist vielmehr ein verstärktes Engagement. Deshalb ist das, was wir beschließen wollen, vollständig und richtig. ({2}) Der Beitrag der Hybridmission kommt viel zu spät. Von diesem Ort hier ist viel zu lange ohne großen Druck beklagt worden, wie schwierig die Situation im Sudan ist. Es ist richtig, dass wir jetzt tun, was wir tun können. Deswegen begrüßt die Fraktion der Sozialdemokraten, dass jetzt im Sicherheitsrat auch eine Einigung mit China herbeigeführt werden konnte. Wir wissen, China ist notwendig, um Druck auf Khartoum auszuüben. Wir wissen aber auch, dass China massive Interessen in dieser Region hat. Wir sind das Gegenteil von naiv. Wir werben darum, China als internationalen Partner ernst zu nehmen und China zu ermutigen, in diese Sicherheitsarchitektur mit eigener Autorität einzusteigen. Die frühere Mission der Afrikanischen Union litt darunter, kein robustes Mandat zu haben. Sie hat Morden und Vergewaltigungen tatenlos zugesehen; sie war völlig überfordert. Die jetzige Aktion der UNAMID unterstreicht die Einsicht, dass afrikanische Angelegenheiten federführend von Afrikanern geleitet und geregelt werden müssen. Aber bei dem, was sie nicht schaffen können, muss Hilfe geleistet werden. Deshalb übernimmt die Hybridmission den schwierigen Auftrag von AMIS und versieht ihn mit einem deutlich stärkeren Rückhalt der internationalen Völkergemeinschaft. Diese zwei Mandate sind der richtige Weg, zu dem Deutschland mit Recht Ja sagt. Zur Flankierung der deutschen Beteiligung an den Operationen wäre es sinnvoll, an die deutsche Botschaft in Khartoum einen eigenen Militärstab zu entsenden, Herr Minister. Die Begründung des Bundesministeriums der Verteidigung, warum Sie das nicht wollen, habe ich - mit Verlaub - nicht verstanden. Ich bitte erneut, das zu bewerten, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun die Kollegin Elke Hoff für die FDPFraktion.

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute wieder einmal die Gelegenheit haben, unseren Soldaten, die vor Ort im Sudan ihren Dienst als unbewaffnete Militärbeobachter tun, von Herzen zu danken. Denn das, was sie in diesem spannungsgeladenen Bereich unbewaffnet tun, verdient wirklich ein Kompliment und großes Lob. Ich hoffe sehr, dass die Soldaten, die dort ihren Dienst tun, nicht zu unseren vergessenen Soldaten gehören, sondern unsere Anerkennung und unseren Respekt haben. ({0}) Auch meine Fraktion wird der Mandatierung von UNMIS zustimmen. Wir werden UNMIS nicht nur deshalb zustimmen, weil sie eine militärische Komponente, sondern auch deshalb, weil sie eine wichtige politische Komponente hat. Wir nähern uns immer mehr dem Punkt, an dem die Einlösung genau dieses Teils der Mission einen wesentlichen Aspekt unserer politischen Handlung betreffen wird. Wir werden in nächster Zeit im Sudan ein Referendum und Wahlen erleben. Ich bin der festen Überzeugung, dass dazu auch die Bundesregierung einen Beitrag, der über den militärischen Beitrag hinausgeht, leisten muss. Es gibt zunehmende Spannungen im Süden. Wenn die Implementierung des CPA nicht funktioniert, wird dies auch Auswirkungen auf die Umsetzung des Darfur Peace Agreement haben. Wen sollen wir, die internationale Gemeinschaft, davon überzeugen, dass die Schaffung von Frieden in Darfur durch unsere Aktivitäten wichtig ist, wenn wir diesen wichtigen Bereich des CPA vergessen? ({1}) Wir müssen mehr Anstrengungen unternehmen, diesen Prozess zu begleiten. Die Vorbereitung der Volkszählung, die Vorbereitung des Referendums, die Vorbereitung zur Schaffung eines Wahlgesetzes und Einrichtung einer Wahlkommission sind nach meiner Auffassung - auch nach den Erfahrungen, die ich vor Ort gemacht habe - eine der vordringlichsten Aufgaben, die Deutschland begleiten kann. Wer nach Juba reist, wird sehen, dass in dieser Stadt, die der Sitz der südsudanesischen Regierung ist, keine Entwicklung stattgefunden hat. Es gibt keine Infrastruktur und keine Straßen. Es fällt immer schwerer, die Menschen davon zu überzeugen, dass das internationale Engagement über den militärischen Beitrag hinaus zur Verbesserung der Situation der Menschen beiträgt. Deshalb lautet unser Appell an die Bundesregierung, darüber nachzudenken, allmählich einen Dialog mit Vertretern der Verantwortlichen in Khartoum einzuleiten. Nur so können wir gemeinsam nach Wegen suchen, die nicht zu militärischer Eskalation führen. Wenn man sieht, dass heute im Südsudan 50 Prozent des Budgets für Militär ausgegeben werden, aber für Straßenbau und Infrastruktur nichts übrig ist, dann müssen wir uns fragen lassen, ob wir an dieser Stelle nicht begleitend mehr Geld in die Hand nehmen müssen, um die Menschen davon zu überzeugen, dass wir nicht nur Soldaten, sondern auch den Aufbau von Infrastruktur bezahlen. Es muss ein intelligenter Mix aus dem Einsatz beider Mittel sein. Ich hoffe sehr, dass wir hier bald die Gelegenheit haben werden, festzustellen, dass vonseiten der Bundesregierung aktiv dazu beigetragen wird, dass der Sudan stabilisiert wird und von ihm keine weiteren schwerwiegenden Konflikte ausgehen, die wir irgendwann nicht mehr beherrschen können. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Robert Hochbaum für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Robert Hochbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003557, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Medienberichte aus dem Sudan zeigen leider immer noch verheerende Bilder: Frauen, die auf einem Dorfplatz von bewaffneten Reitermilizen öffentlich gequält und erniedrigt werden, Kinder, die 50 Zentimeter groß sind und nur knapp zweieinhalb Kilo wiegen. Internationalen Schätzungen zufolge gibt es mehr als 2,2 Millionen Binnenvertriebene und nicht zuletzt bis heute mehr als 200 000 - es gibt sogar Schätzungen bis zu 400 000 - getötete Menschen. Im flächenmäßig größten Land Afrikas und speziell in Darfur schauen wir der größten menschenrechtlichen und humanitären Krise weltweit ins Gesicht. Wenn wir hin- und nicht wegschauen, dann haben wir bei unserem Verständnis von humanitärer Verpflichtung, bei unserem Verständnis von Demokratie und bei unserem Verständnis von Menschlichkeit einfach die Verpflichtung, zu unterstützen und zu helfen. ({0}) Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass sich auch Deutschland an den Friedensmissionen der Vereinten Nationen beteiligt. Wir stimmen den beiden UN-Resolutionen uneingeschränkt zu und ermutigen die Bundesregierung, ja, fordern sie geradezu auf, den Friedensprozess im Sudan aktiv zu unterstützen. Lassen Sie mich zuerst kurz auf die AMIS-Mission eingehen. Gelegentlich ist zu lesen, dass AMIS trotz der Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft keine Verbesserung der humanitären Situation und der Sicherheitslage in Darfur herbeiführen konnte. Das ist teilweise, vor allem aufgrund fehlender Kräfte, sicherlich richtig; gerade aus diesem Grund ist eine Überführung in eine umfassende UN-Friedensmission im Sudan zwingend notwendig. ({1}) Gerade wenn man die Gesamtsituation vor Ort betrachtet, muss man meiner Meinung nach feststellen, dass ohne die Vorarbeiten der AMIS-Mission UNAMID nicht möglich geworden wäre. Es ist somit auch ein Erfolg von AMIS und ein Erfolg unserer Beteiligung, dass es zukünftig eine UNO-Mission im Sudan gibt. Mit dieser, wie man sagt, Hybridmission, die sowohl eine Zustimmung - das ist ganz wichtig - auf sudanesischer Seite innehat als auch die direkte Beteiligung der Afrikanischen Union vorsieht, besteht nun erstmals die realistische Chance, das menschliche Leid zu lindern und die Grausamkeiten in Darfur zu beenden. Das - und nur das, Herr Paech - ist unser Ziel, dem sich meiner Meinung nach heute alle Mitglieder dieses Hohen Hauses anschließen könnten und müssten. ({2}) Doch wie geht es weiter? In erster Linie gilt es, in Darfur die Weichen für ein umfassendes Friedensabkommen zu stellen. Dabei ist es besonders wichtig, alle Rebellengruppen von der Notwendigkeit eines friedlichen Dialogs zu überzeugen und eine Unterzeichnung des Abkommens durch alle Konfliktparteien anzustreben. Zudem muss schnellstens die humanitäre Situation verbessert und die medizinische Grundversorgung im Land sichergestellt werden. Nicht weniger brisant ist der sudanesische Nord-SüdKonflikt - davon haben wir heute schon gehört -, der mich zum zweiten UNO-Mandat mit deutscher Beteiligung im Sudan bringt, dem UNMIS-Mandat. UNMIS unterstützt seit Jahren die ehemaligen Konfliktparteien bei der Umsetzung des Nord-Süd-Friedensvertrages. Es sind bereits - das wurde heute schon angesprochen erste Erfolge zu verzeichnen. So konnte beispielsweise die Rückverlegung von Truppen beider Seiten gut vorangehen und der Aufbau der Verwaltungsstrukturen im Südsudan - Frau Irber hat das schon angesprochen - forciert werden. Ganz besonders wichtig ist, dass zahlreiche Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren konnten. Sie bauen sich dort eine neue Existenz auf. Trotz dieser ersten Erfolge kann man natürlich wahrlich nicht von einem stabilen Frieden im Sudan sprechen. Dies hat auch der UN-Generalsekretär während seiner letzten Reise in die Region bestätigt. Er hat die internationale Gemeinschaft und damit auch uns aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen. Nicht nur deshalb sollten wir hier und heute das Mandat, welches die Beteiligung von bis zu 75 Militärbeobachtern umfasst, um ein weiteres Jahr verlängern. ({3}) UNMIS und UNAMID bilden ein Konglomerat zur Stabilisierung und Befriedung des Landes Sudan. Es ist zu betonen, dass es wichtig ist, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und den politischen Friedensprozess zu unterstützen. Deutschland und Europa haben ein fundamentales Interesse daran, stabile und friedliche Verhältnisse in Afrika aufzubauen und zu erhalten. Gerade vor dem Hintergrund unseres Verständnisses von der Wahrung der Menschenrechte und von einer demokratischen Grundordnung haben wir eine Verantwortung gegenüber der sudanesischen Zivilbevölkerung und dem Staat Sudan. Dieser Verantwortung sollten wir uns auch in Zukunft stellen. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie sehr herzlich bitten, der letzten Rednerin in dieser Debatte Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. - Ich erteile das Wort der Kollegin Gabriele Groneberg von der SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte unseren Blick an dieser Stelle noch einmal auf den Zusammenhang zwischen der Mission und der konkreten Hilfe für die Bevölkerung richten. Deutschland beteiligt sich an UNMIS vor allen Dingen, um die für humanitäre Maßnahmen notwendige Sicherheit zu schaffen. Mit der Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit im Südsudan 2005 leisteten wir ganz konkret Hilfe: 3 Millionen Euro für den Staatsaufbau und zwei Experten für die Koordination im wichtigen Bereich Wasser; außerdem beteiligten wir uns mit 10 Millionen Euro an dem Fonds, den die internationale Gebergemeinschaft für den Südsudan gebildet hat. All das würde aber keinen Sinn machen, wenn die Bevölkerung keine Sicherheit spüren würde, wenn sie die Friedensdividende, die sie dringend braucht, nicht zu spüren bekommen würde. Ohne die Absicherung durch UNMIS wären die Fortschritte im täglichen Leben nicht erkennbar und könnte der Aufbau keine konkrete Form annehmen. Sicherlich ist das alles zähflüssig und das Risiko, dass die Unruhen wieder ausbrechen, allgegenwärtig. Der heftige Streit um die Implementierung des Nord-Süd-Friedensabkommens zeigt deutlich, dass wir den Schutz der Bevölkerung durch UNMIS noch längere Zeit gewährleisten müssen, damit der Aufbau vorgenommen werden kann. Noch schlimmer steht es aber um die Region Darfur. An dieser Stelle sollten wir uns alle einmal an die eigene Nase fassen. Die im Mai 2005 installierte Mission der Afrikanischen Union, AMIS, ist von uns und der internationalen Gemeinschaft von Anfang an unterstützt worden. Die mangelnde Schutzfunktion dieser Mission und letztlich das Scheitern dieser Mission sind aber nicht allein der ausführenden AU anzulasten. Alle zusammen sind wir offensichtlich nicht in der Lage gewesen, diese Mission so auszustatten, dass sie effektiv wirken konnte. ({0}) Das fängt ganz konkret - das ist schon erwähnt worden - bei der mangelnden Bereitstellung von Personal an und reicht bis zur mangelnden sächlichen Ausstattung. Man darf hier nicht unerwähnt lassen, dass die Regierung in Khartoum ihren Teil der Vereinbarung, die sie mit allen getroffen hat, nicht erfüllt hat. ({1}) Sie hat ihren Arbeitsauftrag nicht erledigt; sie ist ihren Verpflichtungen in diesem Zusammenhang nicht nachgekommen. Die unmenschlichen Vorgänge in der Region Darfur, die hier heute noch einmal geschildert worden sind, müssen aufhören. Dafür ist es zwingend notwendig, dass diese Hybridmission endlich installiert und UNAMID mit einem robusten Mandat für die Sicherheit der Bevölkerung ausgestattet wird, um humanitäre Hilfe erst zu ermöglichen. Zurzeit können dort keine Helfer tätig sein, weil die Sicherheit nicht gewährleistet ist. Herr Paech, ganz ehrlich: An dieser Stelle gerate ich jedes Mal aus der Fasson. Wie kann man hier Frieden und humanitäre Hilfe fordern, wenn man weiß, dass die Helfer dort überhaupt keine Sicherheit haben, also nicht arbeiten können? Ich kann Sie an dieser Stelle nicht verstehen. ({2}) Wir wollen unsere Unterstützung nicht verweigern, weder für dieses Mandat noch für die in Aussicht gestellte Entwicklungszusammenarbeit. Gerne würden wir die Entwicklungszusammenarbeit eher heute als morgen aufnehmen; die Wiederaufnahme ist aber definitiv von einigen Bedingungen abhängig, die die sudanesische Regierung erst einmal erfüllen muss. Wir hoffen, dass endlich auch von uns Druck ausgeht, um die Regierung zum Handeln zu zwingen. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu den Abstimmungen. Zunächst Tagesordnungspunkt 7 a. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/7141 zu dem Antrag der Bundes- regierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Natio- nen im Sudan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/6940 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich mache darauf aufmerksam, dass nach dieser na- mentlichen Abstimmung unmittelbar eine weitere folgen wird. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir fahren nun fort mit einer weiteren namentlichen Abstimmung. Tagesordnungspunkt 7 b. Dabei geht es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/7143 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der gemeinsam von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union geführten Friedensmission in Darfur. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/6941 anzuneh- men. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, damit wir zur weite- ren namentlichen Abstimmung schreiten können. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann eröffne ich die zweite namentliche Ab- stimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich auch diese Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) Bevor wir die Beratungen fortsetzen, bitte ich diejeni- gen Kolleginnen und Kollegen, die der weiteren Bera- tung im Haus nicht folgen wollen, ihre Gespräche vor dem Saal fortzuführen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Vereinbarte Debatte Arbeits- und Legislativprogramm der Europäi- schen Kommission für 2008 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu kei- nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- ner dem Kollegen Michael Roth für die SPD-Fraktion das Wort. 1) Ergebnis Seite 13145 C 2) Ergebnis Seite 13147 D

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir haben heute zum zweiten Mal im Deutschen Bundestag die Gelegenheit, über das sogenannte Arbeits- und Legislativprogramm der Europäischen Kommission zu beraten. Ich finde, diese Debatte gehört in dieses Parlament. Sie eröffnet uns die Chance, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Einfluss auf das zu nehmen, was an Gesetzesinitiativen und Projekten seitens der EUKommission im kommenden Jahr auf den Weg gebracht wird. Der Fahrplan für das kommende Jahr ist ambitioniert. Vor diesem Hintergrund sehe ich es als selbstverständlich an, dass sich nicht nur die Europapolitikerinnen und Europapolitiker des Deutschen Bundestages, sondern auch möglichst viele Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker mit dem Arbeits- und Legislativprogramm beschäftigen. Es freut mich sehr, dass die EU-Kommission offensichtlich eine unserer Erwartungen aus dem vergangenen Jahr erfüllt hat, nämlich: weniger ist oft mehr. Das Strategieprogramm der EU-Kommission vom Februar dieses Jahres sah noch weit mehr Gesetzesinitiativen vor. Es ist sehr wohltuend, wenn man sich jetzt das Programm für das kommende Jahr anschaut. Denn die Europäische Kommission muss nicht in allen Bereichen tätig werden. Es geht in vielen Fällen allein darum, dass man die vorhandenen Gesetze, Verordnungen und Richtlinien besser anwendet. In dem einen oder anderen Fall habe ich auch ein wenig schmunzeln müssen. Ich weiß nämlich nicht, ob es notwendig ist, auf EU-Ebene eine Studie zum Obstverbrauch an den Schulen zu initiieren; dessen bedarf es sicherlich nicht. Auch hier ist mein Appell an die EUKommission, ganz besonders kritisch darauf zu achten, dass man sich mit den eigenen Überlegungen vor Ort nicht lächerlich macht. ({0}) Es ist zwar noch zu früh, eine Bilanz für das Jahr 2007 zu ziehen, aber alles in allem können wir sagen: Das Jahr 2007 ist erfolgreich gewesen, und wir haben zu diesem Erfolg nachhaltig beigetragen. Die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands im ersten Halbjahr 2007 hat hervorragende Ergebnisse erzielt. Wir haben ein klares inhaltliches Signal für den Klimaschutz gesetzt. Es freut mich sehr, dass dieser Beitrag zum Klimaschutz auch von der EU-Kommission in ihrem Arbeitsprogramm für 2008 konstruktiv aufgegriffen und weiterentwickelt wird und damit nicht eine Eintagsfliege bleibt. Wir haben in hervorragender Partnerschaft mit der portugiesischen Präsidentschaft den institutionellen Stillstand endlich beendet. Im März haben wir den 50. Geburtstag der Europäischen Union gefeiert. Von diesem Geburtstag ging ein Startsignal für den Juni-Gipfel aus, der ein klares und eng gefasstes Mandat für die Regierungskonferenz beschließen konnte. Das Ergebnis liegt uns nun vor. Jetzt sind wir gefordert, wir, die nationalen Parlamente, zum Teil auch die Bürgerinnen und Bürger. Denn im nächsten Jahr wird es darum gehen, den Ratifizierungsprozess dieses Reformvertrags zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, damit die Europäische Union nach innen und nach außen endlich handlungsfähiger wird und wir in vielen Politikfeldern, die uns am Herzen liegen, nicht allein in der Außen- und Sicherheitspolitik, besser vorangehen können, als das bislang der Fall war. Wir als Deutscher Bundestag - nicht allein die Bundesregierung, der wir dennoch herzlich danken können feststellen: Es ist auch unser Verdienst, dass wir Europa demokratischer, sozialer gemacht haben und dass Europa vorangekommen ist. ({1}) Neben dem Ratifizierungsprozess - bei dem deutlicher werden muss, dass es dabei nicht um nationale Egoismen, sondern um gesamteuropäische Interessen geht - gibt es zwei weitere große, gewichtige Baustellen. Es ist zum einen der Gesundheitscheck im Bereich der Agrarpolitik. Wie notwendig grundlegende Reformen im Agrarbereich sind, zeigt nicht zuletzt die neu errungene Transparenz, die Offenlegung der Verwendung der Agrarmittel. In den vergangenen Tagen war beispielsweise die Offenlegung für den Agrarbereich im Land Nordrhein-Westfalen Gegenstand der öffentlichen Debatten. Eines ist deutlich geworden: Hier läuft manches falsch: Menschen, Unternehmen profitieren von der Agrarförderung, die diese Förderung nicht benötigen. Deshalb muss für uns zentral sein: Die Agrarpolitik muss reformiert werden. Hier haben wir uns gemeinsam mit den Landwirtschaftspolitikerinnen und Landwirtschaftspolitikern des Bundestages schnell darauf zu verständigen, dass Reformbedarf gegeben ist und dass die EU in der Pflicht steht, die EU-Agrarpolitik im Sinne der Menschen, im Sinne der Landwirtschaft, im Sinne der Umwelt nachhaltig und nachdrücklich zu verbessern. ({2}) Ich sehe zum anderen einen Reformbedarf im Bereich des Finanzrahmens. Im kommenden Jahr wird uns die Zukunft der EU-Finanzen umtreiben. Die Halbzeitbilanz steht an. Auch hier bitte ich Sie alle, sich entsprechend einzubringen. Denn wir müssen mit den vorhandenen Mitteln ordnungsgemäß umgehen. Die Prüfergebnisse des Europäischen Rechnungshofs haben sicherlich nicht nur mich beunruhigt. Da liegt einiges im Argen. Die Haushaltskontrolle muss besser werden. Ich kann nur hoffen, dass die kritischen Berichte des Rechnungshofes von den Verantwortlichen in Brüssel erkannt werden und dass man die entsprechenden Konsequenzen daraus zieht. Lassen Sie mich zum Schluss den Bereich Migration nenne. Ich freue mich, dass die EU-Kommission ihm die entsprechende Aufmerksamkeit schenkt. Wir diskutieren in diesen Wochen nicht allein über die Bluecard; vielmehr geht es darum, wie wir uns als Europäische Union nicht mehr nur allein im Rahmen von nationalen Regelungen, sondern im Rahmen von gemeinsamen europäischen Regelungen im Hinblick auf den demografischen Wandel und im Hinblick darauf, dass wir in unserem Michael Roth ({3}) Land qualifizierte Arbeitskräfte brauchen, zukunftsfest machen können. Eines aber muss der EU-Kommission deutlich gesagt werden: Migration darf niemals ohne den integrativen Aspekt betrachtet werden. Er ist mindestens gleichrangig einzubeziehen. Integration und Migration gehören zusammen. Da sind auch wir hier im Deutschen Bundestag in der Pflicht. Auch da ist manches noch verbesserungswürdig. Wenn wir mit der EU-Kommission in einen offenen und kritischen Dialog eintreten, meine ich schon, darauf hinweisen zu müssen, dass wir im Bereich der Integration unsere Hausaufgaben zu erfüllen haben, zumal hier weniger Kompetenzen der Europäischen Union berührt sind. ({4}) Ich vermisse in diesem Zusammenhang ein stärkeres Engagement gegen die organisierte Kriminalität. Das, muss ich sagen, hat mich enttäuscht. Im Strategieprogramm vom Februar waren noch deutliche Initiativen gegen die organisierte Kriminalität vorgesehen. Bei aller Rechtfertigung der verschiedenen Initiativen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus dürfen wir die wachsende Gefahr durch die organisierte Kriminalität in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht kleinreden. Ganz im Gegenteil: Hier stehen wir gemeinsam in der Verantwortung. Auch das ist kein nationales Problem, ein Problem, das allein national gelöst werden kann. Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten auch hierbei noch besser zusammenarbeiten, damit die Menschen vor mafiösen Strukturen, vor Verbrechen, vor Drogenkriminalität - manche verdienen sich dadurch eine goldene Nase - geschützt werden. Es muss ein klares, entschiedenes Signal geben, nicht nur von den Mitgliedstaaten, sondern auch von der Europäischen Union. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für den Hinweis. Ich hoffe, wir können in einem Jahr sagen: Das Jahr 2008 war ein gutes Jahr für die Europäische Union. Ich hoffe, dass auch die kritische Überprüfung von Rechtsakten gelingt. Eines muss klar sein: Eine kritische Überprüfung der momentan geltenden Rechtsakte auf europäischer Ebene darf nicht zu einem Abbau von sozialen, ökologischen und Verbraucherschutzstandards führen. Auch das sollte in unserem gemeinsamen Interesse liegen. In diesem Sinne hat das Programm der Europäischen Kommission eine ernsthafte und eine konstruktive Debatte verdient. Vielen Dank. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Markus Löning das Wort. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit dem Thema Bürokratieabbau anfangen; Michael Roth hat es hier am Schluss seiner Rede angesprochen. Im Gegensatz zu dem, was hier gerade vorgetragen worden ist, glaube ich, dass man dabei - wie bei allem in der Politik - mit Augenmaß vorgehen muss. Es ist aber falsch, ausgerechnet beim Bürokratieabbau als Allererstes Augenmaß zu fordern. Notwendig ist, dass man an die Sache beherzt herangeht. Ich freue mich schon auf die Auseinandersetzungen zwischen Günter Verheugen und Edmund Stoiber, den beiden Kämpfern gegen die Bürokratie. ({0}) Ich denke nur an das Affentheater, das wir gerade beim Thema Äppelwoi erlebt haben. Mit einer solch unbedachten Geschichte wird sehr schnell so viel politische Initiative kaputtgemacht. Man kann gar nicht so viel wiederaufbauen, wie da ganz schnell eingerissen wurde. Wir brauchen einen vernünftigen Bürokratieabbau. Ich wünsche mir auch von der SPD, dass sie dieses Vorhaben nicht immer wieder hemmt, sondern uneingeschränkt mitträgt, und dass Günter Verheugen uneingeschränkt unterstützt wird. ({1}) Das Legislativ- und Arbeitsprogramm enthält ein eigenes Kapitel zum Thema Bürokratieabbau. Es enthält auch Ausführungen zu einigen anderen Themen. Ich möchte ganz kurz auf den Bereich Verbesserung der Kommunikation eingehen. Meine Erfahrung ist, dass die Europäische Kommission dort sehr viel getan hat, und zwar mit einem enormen Mittelaufwand, und dass durchaus etwas bewirkt wird. In Gesprächen mit Bürgern, Schülern und Studenten habe ich die Erfahrung gemacht, dass es durchaus ein vernünftiges Niveau der Information über die Europäische Union gibt. Dieses Niveau beschränkt sich in der Regel aber auf diejenigen Segmente, die den Einzelnen interessieren. Es gibt wenig abstraktes Wissen darüber, wie der Prozess der europäischen Gesetzgebung funktioniert. Würden wir dazu hier herumfragen, hätten wir, glaube ich, ebenfalls ein paar Ausfälle. Ich möchte aber ausdrücklich loben, dass die Schüler eine sehr gute Kenntnis dessen haben, was für sie relevant ist. Das Kernthema dieses Legislativ- und Arbeitsprogramms - damit werden wir uns im Wesentlichen auseinandersetzen - lautet: Wachstum und Arbeitsplätze. Für Deutschland ist das eine zentrale Frage. Die Bürger erwarten von uns, dass wir uns nach Abschluss der Debatte über den Reformvertrag der wahren Probleme annehmen, dass wir die Politikfelder bearbeiten, durch die Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die OECD hat uns mit einer Reihe von Punkten mitgeteilt, was wir tun müssen, um den Binnenmarkt wieder funktionsfähig zu machen, um die Potenziale des Binnenmarktes endlich voll zu heben. Aus meiner Sicht war das Streichen des Wettbewerbs aus dem Zielkatalog ein schlechtes Signal. Wichtig ist, dass wir uns jetzt auf das konzentrieren, was gemacht werden muss. Im Dienstleistungssektor gibt es ein riesiges Potenzial. Wir hatten eine verheerende Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie. Wenn man das in der Rückschau betrachtet, sieht man: Da wurde nationalistisch, ängstlich und protektionistisch argumentiert. Da wurde gegeneinander argumentiert. Die Debatte über die Dienstleistungsrichtlinie war aus meiner Sicht ein großer Fehler und ein verheerendes Signal für das europäische Zusammenwachsen. ({2}) Eine ganze Reihe anderer Sektoren, in denen wir arbeiten müssen - Strommarkt, Gasmarkt und Finanzsektor -, bedarf einer Öffnung für das weite Publikum, für die Verbraucher. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir aus dem Arbeitsprogramm der Kommission vor allem die Elemente, die den Bürgern nützen, unterstreichen und dass wir sie in unserer Kommunikation mit unseren Bürgern nach vorne stellen. Es bleibt dabei: Der Deutsche Bundestag wird diese Dinge viel stärker begleiten müssen, als wir es, wie man in der Rückschau sehen kann, getan haben. Lieber Michael Roth, leider ist es nicht so, dass sich Fachpolitiker ausreichend mit dem Arbeitsprogramm beschäftigt haben. Ich wünsche mir, dass das in Zukunft noch mehr geschieht. Daran werden wir alle gemeinsam arbeiten müssen. Vielen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich nun als nächster Rednerin der Kollegin Bellmann das Wort erteile, will ich Ihnen die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt geben. Tagesordnungspunkt 7 a: Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan ({0}) auf Grundlage der Resolution 1590 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen“; Drucksachen 16/6940 und 16/7141. Abgegebene Stimmen 572. Mit Ja haben gestimmt 518, mit Nein haben gestimmt 40, Enthaltungen 14. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 571; davon ja: 517 nein: 40 enthalten: 14 CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({2}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({3}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({4}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({5}) Dirk Fischer ({6}) Axel E. Fischer ({7}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({8}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({9}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Siegfried Kauder ({10}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({11}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues ({12}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({13}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Maria Michalk Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({14}) Stefan Müller ({15}) Bernd Neumann ({16}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({17}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({18}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({19}) Hermann-Josef Scharf Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({20}) Andreas Schmidt ({21}) Ingo Schmitt ({22}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Andreas Storm Thomas Strobl ({23}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({24}) Gerald Weiß ({25}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({26}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({27}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({28}) Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({29}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({30}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({33}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({35}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({36}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({40}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({41}) Silvia Schmidt ({42}) Renate Schmidt ({43}) Heinz Schmitt ({44}) Carsten Schneider ({45}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({46}) Swen Schulz ({47}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({48}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({49}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({50}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Mechthild Dyckmans Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({51}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Birgit Homburger Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({52}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({53}) Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({54}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({55}) Volker Beck ({56}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Kai Gehring Anja Hajduk Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({57}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Fritz Kuhn Renate Künast Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({58}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({59}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Dr. Peter Gauweiler Willy Wimmer ({60}) SPD Petra Hinz ({61}) DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Jan Korte Oskar Lafontaine Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Elke Reinke Volker Schneider ({62}) Dr. Ilja Seifert Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich fraktionslos Henry Nitzsche Enthaltung CDU/CSU Dr. Wolf Bauer FDP Joachim Günther ({63}) Dr. Heinrich L. Kolb DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Dr. Martina Bunge Dr. Gregor Gysi Dr. Barbara Höll Dr. Gesine Lötzsch Bodo Ramelow Paul Schäfer ({64}) Dr. Petra Sitte fraktionslos Tagesordnungspunkt 7 b: Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur - UNAMID auf Grundlage der Resolution 1769 ({65}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007“; 16/6941 und 16/7143. Abgegebene Stimmen 569. Mit Ja haben gestimmt 512, mit Nein 45, Enthaltungen 12. Auch diese Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 568; davon ja: 512 nein: 44 enthalten: 12 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({66}) Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({67}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({68}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({69}) Dirk Fischer ({70}) Axel E. Fischer ({71}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({72}) Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({73}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Siegfried Kauder ({74}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({75}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues ({76}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({77}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({78}) Stefan Müller ({79}) Bernd Neumann ({80}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({81}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({82}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({83}) Hermann-Josef Scharf Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({84}) Andreas Schmidt ({85}) Ingo Schmitt ({86}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Andreas Storm Thomas Strobl ({87}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Gerald Weiß ({88}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({89}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({90}) Volker Blumentritt Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({91}) Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Elke Ferner Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Sigmar Gabriel Martin Gerster Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({92}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({93}) Nina Hauer Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({94}) Frank Hofmann ({95}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({96}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({97}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({98}) Ulrike Merten Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({99}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({100}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({101}) Michael Roth ({102}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({103}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({104}) Silvia Schmidt ({105}) Renate Schmidt ({106}) Heinz Schmitt ({107}) Carsten Schneider ({108}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({109}) Swen Schulz ({110}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({111}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({112}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Christian Ahrendt Daniel Bahr ({113}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Mechthild Dyckmans Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({114}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Dr. Christel Happach-Kasan Elke Hoff Birgit Homburger Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({115}) Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({116}) Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({117}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({118}) Volker Beck ({119}) Cornelia Behm Birgitt Bender Grietje Bettin Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Kai Gehring Anja Hajduk Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({120}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Fritz Kuhn Renate Künast Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({121}) Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({122}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Dr. Peter Gauweiler Willy Wimmer ({123}) SPD Petra Hinz ({124}) FDP Jürgen Koppelin DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Jan Korte Oskar Lafontaine Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Elke Reinke Paul Schäfer ({125}) Volker Schneider ({126}) Dr. Ilja Seifert Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Enthaltung CDU/CSU Dr. Wolf Bauer FDP Dr. Karl Addicks Joachim Günther ({127}) Dr. Heinrich L. Kolb DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Dr. Martina Bunge Dr. Gregor Gysi Dr. Barbara Höll Dr. Gesine Lötzsch Bodo Ramelow Dr. Petra Sitte Jetzt muss ich Frau Kollegin Bellmann noch einmal um ein bisschen Geduld bitten. Mir wird soeben gemeldet, dass auf der Besuchertribüne Abgeordnete aus Afghanistan, aus der Mongolei, aus Kasachstan, aus Usbekistan, aus Kirgisistan, aus Turkmenistan und aus Tadschikistan Platz genommen haben. ({128}) Diese Kolleginnen und Kollegen nehmen an einer Tagung des Auswärtigen Amtes zur Sicherheitspolitik in unserem Land teil und werden uns nun ein bisschen bei der Plenardebatte begleiten. Ich begrüße Sie sehr herzlich hier im Plenum des Deutschen Bundestages und wünsche Ihnen, dass Sie einen angenehmen Aufenthalt nicht nur bei Ihrem Seminar, sondern auch in Deutschland haben. Alles Gute! ({129}) So, liebe Frau Bellmann, jetzt haben Sie das Wort. ({130})

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sachsen sind geduldige Menschen. Sie warten schon, bis sie dran sind. - Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte meinen beiden Vorrednern uneingeschränkt recht geben, wenn sie sagen: Dass wir heute über dieses Arbeitsprogramm diskutieren, zeigt die gewachsene Rolle der nationalen Parlamente und auch, dass wir, wie Herr Löning sagte, die Arbeiten aus Europa noch stärker kritisch unter die Lupe nehmen müssen. Kommissionspräsident Barroso sagte, dass das Arbeitsprogramm 2008 sich auf die Verpflichtung stütze, den europäischen Bürgerinnen und Bürgern einen Mehrwert zu bieten. Gerade weil im Zeitalter der Globalisierung Europa wichtiger denn je sei, werde das Hauptaugenmerk auf den Bereichen Wachstum und Beschäftigung, Nachhaltigkeit - insbesondere in der Klima- und Energiepolitik -, Steuerung der Migration sowie der besseren Rechtsetzung liegen. So heißt denn das Programm auch „Globalisierung als Chance nutzen“. In Anbetracht der Tatsache, dass in Deutschland 8 Millionen Arbeitsplätze von 27 Millionen Arbeitsplätzen vom Export abhängig sind, ist es unbestritten, dass die Globalisierung für viele Menschen in unserem Land einen eindeutigen Vorteil und Chancen mit sich bringt. Ebenso unstrittig ist es aber auch, dass der Europäischen Union eine herausragende Bedeutung bei der Wahrung und Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit ihrer 27 Mitgliedstaaten zukommt. Das Urteil der Bürger zur Globalisierung fällt aber ganz anders aus. Sie empfinden die Globalisierung oft als Bedrohung, es gibt diffuse Ängste. Wenn Europa im Zeitalter der Globalisierung - wie Herr Barroso sagt - wichtiger denn je ist, dann muss sich auch das Arbeitsprogramm konsequenter an den dringendsten Sorgen und Nöten der Bürgerinnen und Bürger ausrichten. Politik muss sich den Realitäten anpassen und nicht umgekehrt. Einerseits ist es dringend geboten, dass wir für unsere Arbeitnehmer beschäftigungsfreundliche Rahmenregelungen finden, insbesondere für Frauen und ältere Beschäftigte. Andererseits sind wir gleichzeitig gegenüber den Unternehmen verpflichtet, sie in ihrer Position im internationalen Wettbewerb zu stärken. Kleine und mittelständische Betriebe brauchen unbürokratische Hilfen - auch von Europa -, gezielte Förderung von Innovationen und Zukunftstechnologien und mehr Transparenz bezüglich der Fördermittelvergabe. Selbst wenn Kommissar Spidla gestern verkündet hat, dass dem Grünbuch zum Arbeitsrecht zunächst keine gesetzgeberischen Schritte folgen werden, heißt das Schlagwort für die Zukunft trotzdem „Flexicurity“; dies beinhaltet Flexibilität und Sicherheit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. All diese Aspekte fallen auch unter die Aussage der Kommissionsvizepräsidentin, Kommissarin Wallström, zum Arbeitsprogramm der Union, wonach die EU-Kommission ihre Bemühungen, den Bürgern Europa besser zu vermitteln, intensivieren möchte. Das muss sie auch. Denn nur dadurch lässt sich die Notwendigkeit des riesigen Brüsseler Behördenapparates mit all seinen nachund beigeordneten Einrichtungen einigermaßen glaubwürdig rechtfertigen. Ich komme zu den Stichworten „Glaubwürdigkeit“ und „bessere Rechtsetzung“. ({0}) - Dazu komme ich noch, Herr Kollege. - Die Europäische Union muss ihre Standpunkte glaubhafter und konsequenter vertreten. Bei den Beitrittsverhandlungen darf es keinesfalls immer nur einseitige Zugeständnisse und politische Rabatte geben. Man kann nicht „bessere Rechtsetzung“ über alles ins Arbeitsprogramm schreiben, wenn sich anschließend niemand daran halten muss. So geht das nicht. Alle Vorgaben bleiben wirkungslos, wenn nicht gleichzeitig auch strikt eingefordert wird, dass sie uneingeschränkt zu erfüllen sind. ({1}) Die EU-Kommission sollte stärkere Kontrollen der Verträge ins Pflichtenheft schreiben. Es gibt eine alte Feldherrenweisheit, die lautet: Erlasse nie einen Befehl, den du nicht kontrollieren kannst. - Das gilt auch in diesem Fall. Es wäre schön, wenn aus dem Arbeitsprogramm 2008 ableitbar wäre, dass die EU-Kommission mittelfristig intensiver an der Vertiefung der EU arbeitet statt an ihrer Erweiterung. Das wäre zumindest die logische Folge aus den schwierigen Kompromissverhandlungen, die schließlich zur Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon geführt haben. Diese haben nämlich in erster Linie eines gezeigt: Die Europäische Union bewegt sich in vielen Bereichen bereits an den Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit. ({2}) Das gilt auch hinsichtlich der Verfestigung ganz bestimmter europäischer Strukturen. Stichworte sind: Agenturunwesen, Beobachtungsstellen, europäische Informationszentren, wie sie im Rahmen der Gesundheitsrichtlinie angedacht sind, europäische Kommunikationszentrale im Rahmen des Telekommunikationsüberwachungsgesetzes. ({3}) Wir müssen entschieden der Tendenz der Kommission entgegentreten, derartige Institutionen mit Geldern der Mitgliedstaaten in inflationärer Weise errichten und finanzieren zu wollen. Der Appell geht allerdings nicht nur an die Kommission, sondern auch an die Mitgliedstaaten, die sich mit der Einrichtung solcher Institutionen gern die Zustimmung für Paketlösungen innerhalb der Europäischen Union versüßen lassen. ({4}) Ebenso gilt es zu verhindern, dass die EU-Kommission unter dem Deckmantel der sogenannten Arbeiten zur Gestaltung neuer politischer Konzepte klammheimlich ihre Kompetenzbereiche ausweitet. Auch hier müssen wir unseren kritischen Blick beibehalten. ({5}) Das Subsidiaritätsprinzip ist auch in Zukunft der entscheidende Maßstab, an dem sich das Vorgehen der Europäischen Kommission messen lassen muss; denn die Subsidiarität gewährleistet Bürgernähe. Die Kommunikation zwischen den politischen Ebenen und dem Bürger ist, wie ich eingangs beschrieben habe, der sensibelste Bereich der europäischen Politik. Wir sollten also genau hinschauen, ob, wann und welche Taten die Europäische Kommission ihren Worten aus dem Jahresprogramm 2008 folgen lassen wird. Herzlichen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Jahre lang bestand in diesem Haus Konsens darüber, dass Europa Frieden und Wohlstand schafft. Frei nach dem Motto „Wünsch dir was“ hat jede Seite dieses Hauses ihre eigenen Erwartungen an Europa formuliert. Die eine Seite des Parlaments wollte, dass Deutschland durch Europa stärker wird und die Märkte der europäischen Nachbarn sichert. Die andere Seite verstand Europa als Achse des Friedens und als eine politische Antwort auf die internationalen Märkte. Es war die Bundesregierung, die den Sozialstaat in der europäischen Verfassung bzw. im Vertrag von Lissabon faktisch bekämpfte. ({0}) „Sozialstaat“ wurde durch „wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ ersetzt. Mir hat noch niemand erklären können, was er unter Wettbewerbsfähigkeit versteht. ({1}) Soll das etwa eine Situation wie in Deutschland sein: hohe Arbeitslosigkeit bei großen Exportüberschüssen? Die europäische Verfassung und der Vertrag von Lissabon müssen nicht das Programm meiner Partei sein. Trotz alledem sagen wir: Diese Verträge müssen für den zukünftigen Willen der Europäer offen sein. ({2}) Sie dürfen nicht die Ewigkeitsprinzipien des Grundgesetzes missachten. Kollege Roth, Sie haben ein sehr positives Bild von der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands und davon, wie sich Europa weiterentwickelt hat, gezeichnet. Manchmal wäre es, wie ich glaube, notwendig, auch in diesem Hause ein bisschen realistischer zu sein, wenn man über Europa nachdenkt. ({3}) Wenn sogar ein Linker sagt, der Realismus von Sarkozy würde uns guttun, weil er ein zutreffenderes Bild von Europa zeichnet, hat das schon etwas zu sagen. Gestern hat Sarkozy die Probleme Europas im Europäischen Parlament meines Erachtens gut dargestellt. ({4}) Im Ausschuss haben wir in der letzten Woche eine Debatte über das Arbeitsprogramm geführt. Dort erzählte uns die Bundesregierung durch Sie, Herr Gloser, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft sei der Motor des sozialen Europas gewesen. An den Taten sollte man auch die Bundesregierung und die EU-Kommission messen. Im Februar dieses Jahres unterzeichneten die Arbeitsminister von neun Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter Frankreich, Italien, Spanien und Luxemburg, die Erklärung von Paris. Darin wurden soziale Mindeststandards für Europa gefordert. Der Mann, der vorgestern erklärte, als Vizekanzler zurückzutreten, hat diese Erklärung nicht unterschrieben. Er verweigerte seine Unterschrift. Ich weiß nicht, ob sein Rücktritt, dessen Begründung ich respektiere, an der Ansicht der Bundesregierung etwas ändert. Doch sehr ernst scheinen es Bundesregierung und EU-Kommission nicht zu meinen, wenn es um die soziale Gestaltung der Globalisierung geht, und dies trotz der massiven Zunahme der Armut in Europa. Die Zunahme der Armut unter Kindern und älteren Menschen in der EU ist ein Skandal. Mit dieser Art von Politik schaden Sie der europäischen Idee. ({5}) Frau Bellmann hat schon angesprochen, dass EUKommissar Spidla das Grünbuch „Arbeitsrecht“ scheinbar beerdigt hat; es bleibt abzuwarten, ob das für die Arbeitnehmer eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Dennoch setzt die EU-Kommission weiter auf „Flexicurity“. Sie behauptet nach wie vor, dass durch einen geringen Arbeitnehmerschutz die Arbeitslosigkeit verringert wird. Die OECD hat diese Aussage widerlegt und gezeigt, dass Wachstum und Beschäftigung viel mehr mit öffentlichen Investitionen und mit einer vernünftigen Geldpolitik zu tun haben. Ich hoffe, dass die im internationalen Vergleich immer noch viel zu hohe Zahl von 17 Millionen Arbeitslosen in Europa in der Debatte über den Stabilitätspakt und über die Koordination der Europäischen Zentralbank etwas bewirkt. ({6}) Wenn es um „Flexicurity“ geht, wird gerne auf den geringen Kündigungsschutz in Dänemark verwiesen. ({7}) - Dabei wird die hohe Unterstützung, die Arbeitslose in Dänemark bekommen, allerdings gerne unterschlagen, Herr Löning. In Dänemark gab es außerdem Druck auf Arbeitslose, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. ({8}) Nun einmal zum Vergleich: In Deutschland ist etwa jeder sechste Arbeitsplatz ein Niedriglohnjob, in Dänemark nur jeder elfte. Die Anzahl der sogenannten 0-Euro-Jobs in Dänemark, auf die sich deutsche Politiker so gerne berufen, ({9}) umfasste in der Spitze gerade einmal 267 Fälle. Davon blieben 2005 ganze 8 Fälle übrig. ({10}) Rüttelt es die Bundesregierung eigentlich nicht auf, dass ein tschechischer EU-Kommissar für das Wohl der Arbeitnehmer in Deutschland eintritt, zum Beispiel bei der Bekämpfung der Leiharbeit? Das Gleiche gilt für die Energie- und Klimapolitik. Hier gibt es Licht und Schatten. Die Atomenergie beschert uns zahlreiche internationale Konflikte; das kann man jeden Tag nachlesen. Die deutsche Atomforschung verhindert das von Minister Gabriel hochgepriesene ökologische Wirtschaftswunder. Die Bundesregierung und die Europäische Kommission sollten sich daher von dieser gefährlichen Technologie endlich verabschieden und nicht, wie wieder vorgesehen, sie weiter fördern. ({11}) Die Europäische Kommission und andere haben gefordert, die europäischen Stromgiganten zu zerschlagen. Private Monopole setzen die Preise zu hoch, und sie verhindern den politischen Einfluss auf die Energiewende. Der Vorschlag der Kommission ist ein wichtiger Schritt, reicht aber bei weitem nicht aus. Netzindustrien werden immer zu Monopolen führen. Selbst wenn, wie vorgeschlagen, Kraftwerkskapazitäten der Konkurrenz überlassen werden müssten, verhinderte das weder Preisabsprachen noch - wie es Enron in Kalifornien gemacht hat - die künstliche Verknappung von Kraftwerkskapazitäten. Wir brauchen daher eine öffentliche Kontrolle der Netze. Doch selbst die zaghaften Vorschläge der Kommission lehnt die Bundesregierung ab. Die Bundesregierung kämpft gegen die Kommission und damit für europäische Monopolisten; sie verhindert Mindestlöhne, die vor der Marktmacht der Arbeitgeber schützen; sie kämpft sogar, wie im Falle der Post, gegen Arbeitgeber, die Mindestlöhne wünschen; sie behindert europäische Sozialstandards gegen den Willen wichtiger EU-Partner. Nennen Sie das soziale Marktwirtschaft? Lassen Sie mich hinzufügen: Die Bundesregierung hat die Postliberalisierung gegen den Willen vieler EU-Partner durchgesetzt. Die SPD ist beim Postmindestlohn gescheitert. Deshalb sollte die SPD dem Ende des Postmonopols nicht zustimmen; das wäre konsequent. ({12}) Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt eingehen: 500 Menschen sind allein in diesem Jahr bei dem Versuch ertrunken, die sogenannte Festung Europa und FRONTEX zu überwinden. Die Vereinten Nationen vermuten, dass die Dunkelziffer weit höher liegt. Meine Damen und Herren, Sie diskutieren über eine Bluecard, Sie diskutieren über eine Partnerschaft mit Afrika, weil Afrika Energiequellen besitzt; aber Sie lassen Menschen, die ihre Familien und ihre Herkunft aufgeben, ersaufen wie Tiere. Bevor Sie nicht Boote schicken, um die Menschen wenigstens vor dem Sterben zu retten, sollte man das „christliche Menschenbild Europas“ nie wieder in den Mund nehmen. ({13}) Entscheiden Sie sich, auf welcher Seite Sie stehen! Die Linke steht auf der Seite der Menschen in Europa, der Arbeitnehmer und der Schwachen. Die Linke will ein starkes, ein gerechtes Europa. Welches Europa wollen Sie? Das Arbeitsprogramm der Kommission und die Politik der Bundesregierung geben hierauf eine Antwort, die nichts Gutes für nächstes Jahr erahnen lässt. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Rainder Steenblock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gute Tradition, dass wir im Deutschen Bundestag über das Arbeitsprogramm der Europäischen Union diskutieren. Ich glaube, es ist wichtig für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, dass sich der Deutsche Bundestag nicht nur mit den Visionen von Europa, mit den großen strategischen Entwürfen, die sich im Reformvertrag widerspiegeln, beschäftigt, sondern dass wir hier im Deutschen Bundestag unsere Verantwortung annehmen, über die ganz konkreten Bausteine der europäischen Politik zu diskutieren, auch um dafür zu sorgen, dass in allen Köpfen, auch in diesem Haus, klarer wird, was die Europäische Union leisten kann, was sie sich vorgenommen hat und was nicht. Das geht auch in die linke Richtung. Solche Veranstaltungen wie heute haben auch etwas mit Bildungsarbeit hier zu tun. ({0}) Denn wir wissen genau, dass es wichtig ist, das Thema der konkreten Bausteine in Europa zu transportieren. Ich glaube - da bin ich mir mit dem Kollegen Ulrich völlig einig -: Wenn wir über das soziale Europa sprechen, das die Menschen - auch in diesem Lande - in allen Umfragen als wichtiges Ziel nennen, dann müssen wir auf einer Grundlage darüber sprechen, durch die Vertrauen geschaffen werden kann. Oftmals wird gesagt, dass dieses Europa schuld daran ist, dass sich die Armut vergrößert. Diese Form der Auseinandersetzung - ich will das nur ganz vorsichtig ausdrücken - ist ganz vielen Politikern zu eigen: Sie verkaufen ihre persönlichen Erfolge in Brüssel als europäische Idee. Wenn sie nach Hause kommen und es nicht funktioniert, dann sind die Brüsseler und alle anderen schuld daran, dass das nicht funktioniert. Dass es in Europa Armut gibt und dass die sozialen Verhältnisse in den Ländern nicht so sind, wie wir wollen, hängt am allerwenigsten mit der EU zusammen, weil sie in diesem Bereich kaum Kompetenzen hat; vielmehr hängt das mit nationaler Politik zusammen. ({1}) Lieber Herr Kollege Ulrich, sich hier hinzustellen und Europa die Schuld zuzuschieben, ist nicht nur perfide, sondern es führt die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land auch in die Irre. ({2}) Dadurch wird auch nicht die Debatte über die Frage möglich, wie wir die Europäische Union so gestalten können, dass die Erwartungen der Menschen hinsichtlich der sozialen Sicherungssysteme in Europa besser werden. Das werfe ich Ihnen vor: Sie haben keine Perspektive, Sie instrumentalisieren die Ängste der Menschen in Europa für Ihre Parteipolitik. Das ist unverantwortlich. ({3}) Es ist richtig: Wir müssen über das soziale Europa reden, und wir müssen schauen, welche Möglichkeiten es gibt, größeres Vertrauen der Menschen zu erwerben. Ein Beispiel will ich sehr deutlich benennen: In 20 Ländern der Europäischen Union gibt es den Mindestlohn. Das ist nicht das Allheilmittel - überhaupt nicht -, aber das ist ein Instrument, um Sicherheit in Bezug auf die sozialen Strukturen zu erreichen. Das gilt auch für den Arbeits13154 markt: Die Wachstumsrhetorik allein reicht bei Weitem nicht aus, die Menschen zu überzeugen, dass die Integration in Europa der Weg ist, den wir gehen müssen. ({4}) Deshalb ist es aus meiner Sicht wirklich beschämend, was die deutsche Bundesregierung auf dem wichtigen Feld der europäischen Arbeits- und Sozialpolitik leistet. ({5}) Deutschland ist das Land, das die Sicherheit auf europäischer Ebene am meisten behindert. Das, was die Bundesregierung leistet, ist beschämend. ({6}) Es gibt in diesem Bereich also viel zu tun. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Hinsichtlich des sozialen Europa ist das Arbeitsprogramm der Europäischen Union, über das wir heute hier diskutieren, enttäuschend, weil diese Fragen nicht ausreichend aufgegriffen werden. Es gibt in dem Arbeitsprogramm aber natürlich auch positive Seiten. Der zweite für uns ganz wichtige Themenbereich ist die Nachhaltigkeit der Klima- und Umweltpolitik. Hier werden auf der europäischen Ebene die richtigen Themen angesprochen. Alle wissen: Wenn wir eine ernsthafte Umweltpolitik und eine Politik in Angriff nehmen wollen, um diesen Planeten vor dem drohenden Klimawandel zu retten, dann müssen wir das supranational tun. Die EU ist einer der ganz wenigen Hoffnungsträger auf dieser Welt dafür, dass eine Klimapolitik betrieben wird, durch die tatsächlich Effekte in die Richtung erzielt werden, die wir wollen. Deshalb ist es gut, dass die Prioritäten in diesem Bereich richtig gesetzt werden. Wir haben an dieser Stelle weitergehende Vorstellungen als das, was die EU tut. Wir wollen aber, dass das, was auf dem Klimagipfel beschlossen worden ist, konsequent umgesetzt wird. Dafür gibt es im Arbeits- und Legislativprogramm eine Reihe von konkreten Zielsetzungen. Es muss weitergehen. Wenn das umgesetzt wird, dann bedeutet das, dass die Vorreiterrolle von der Europäischen Union angenommen und von ihr ausgefüllt wird. Es muss an dieser Stelle weitergehen. Es ist ein richtiges Ziel, die Senkung der CO2-Emissionen in den Mittelpunkt zu stellen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ulrich?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber gerne. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Rainder, ich kann ja verstehen, dass man das, wenn man an der nationalen Umsetzung der LissabonStrategie als Regierungspolitiker beteiligt war und jetzt in der Opposition ist, ein bisschen verfälscht. Gibst du mir nicht doch recht, dass das ein bisschen - zum Beispiel mit der Lissabon-Strategie; im sozialen Bereich gilt das natürlich für die nationalen Umsetzungsprogramme - europäisch organisiert worden ist? Bist du nicht auch der Auffassung, dass die Geldpolitik der EZB mit dazu beiträgt, dass man zu wenig für Wachstum und Beschäftigung tun kann? Bist du nicht auch der Auffassung, dass es falsch war, bei der EU-Erweiterung gänzlich auf soziale Mindeststandards in den Mitgliedsländern zu verzichten? Bist du angesichts dessen noch immer der Auffassung, dass die Kritik, die du geübt hast, gerechtfertigt ist?

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Ulrich, in der Kritik an der LissabonStrategie sind wir uns in diesem Punkt einig. Ich habe gerade gesagt, dass Wachstumsrhetorik alleine nicht hilft, die ökonomischen und die sozialen Probleme Europas zu bekämpfen. Deshalb haben wir Grüne sowohl in der Regierung als auch in der Opposition gesagt - ich glaube, wir haben hier eine ganz stromlinienförmige Ausrichtung in der Argumentation; das ist immer sehr klar gewesen -: Wachstumspolitik, wie sie dort von einigen betrieben wird, reicht überhaupt nicht aus, um die Herausforderungen der europäischen Integration im Interesse der Menschen zu bewältigen. Was die EZB angeht, habe ich eine deutlich andere Position. Ich glaube nicht, dass die Achse Sarkozy/ Lafontaine mit der Forderung nach nationalem Protektionismus die europäische Integration auch nur einen Schritt voranbringen kann. Sarkozy und Lafontaine sind in diesem Bereich eine Defensivkonstellation und versuchen nur, nationalen Protektionismus zu organisieren. Das ist falsch. ({0}) Lieber Kollege Ulrich, wir sind uns sicherlich einig, dass wir eine soziale Komponente in Europa brauchen. Die Wege dorthin sind aber bei uns deutlich differenzierter und weisen nicht die Eindimensionalität der Sarkozy/ Lafontaine-Politik auf. - Vielen Dank. Lassen Sie mich zum Schluss einen weiteren Bereich aufgreifen, der in dem angesprochenen Arbeits- und Legislativprogramm eine große Rolle spielt und der für meine Fraktion wichtig ist: die Migration. Sie ist zu Recht ein wichtiger Bestandteil des Programms. Die Kommission plant legislative Vorschläge zur Arbeitsmigration - das wurde schon angesprochen -, aber auch Vorschläge zu einer gemeinsamen Migrationspolitik und Maßnahmen für ein gemeinsames europäisches Asylsystem für 2010. Kollege Ulrich, hier sind unsere Positionen dicht beieinander. Wenn man sich die humanitären Katastrophen in der Mittelmeerregion anschaut, dann weiß man, dass wir handeln müssen; das ist keine Frage. Das bedeutet, dass wir auf europäischer Ebene eine gemeinsame, menschenrechtsorientierte Asyl- und Einwanderungspolitik betreiben müssen. ({1}) Es geht also nicht nur um Arbeitsmigration. Vielmehr brauchen wir eine Politik der Europäischen Union auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist für uns ein zentraler Bezugspunkt. Eine solche Politik bedeutet uneingeschränkten und umfassenden Flüchtlingsschutz in der EU. Dazu gehört die Pflicht der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass Schutzbedürftige tatsächlich den Zugang zur Europäischen Union behalten. Das ist ein zentrales Menschenrecht, das ist ein sozial und humanitär wichtiges Recht. Dafür werden wir kämpfen. Die Themen sind auf der Tagesordnung. Darüber, wie wir alles umsetzen, müssen wir auf nationaler Ebene diskutieren. Aber das gehört dazu. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort Herrn Staatsminister Günter Gloser.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die heutige Debatte über das Arbeits- und Legislativprogramm der EU-Kommission für 2008 ist ein gutes Zeichen; denn es widerspricht dem Vorurteil, dass die EU-Kommission alles in alleiniger Machtfülle entscheidet. Wir, sowohl die Bundesregierung als auch das Parlament, haben die Möglichkeit, rechtzeitig auf verschiedene Aktivitäten Einfluss zu nehmen. In der aktuellen Debatte heißt es häufig, das seien die in Brüssel. Aber niemand führt konkret aus, wer das eigentlich ist. Insofern finde ich es gut, dass der Bundestag schon zum zweiten Mal - das ist schon fast eine Tradition - darüber debattiert. Lieber Herr Kollege Ulrich, ich weiß nicht, warum Sie immer dieses Bild in solchen Debatten malen. Ich bin nicht sehr umfragegläubig, aber in den letzten Monaten gibt es durchaus Signale, dass die Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgerinnen und Bürgern stark gewachsen ist. Herr Ulrich, wie kommt es, dass viele außerhalb der Europäischen Union, zum Beispiel aus der Afrikanischen Union und den ASEAN-Ländern, zu uns kommen und fragen, wie wir diese Europäische Union gestalten und wie man trotz der Unterschiede zwischen den Ländern Strukturpolitik betreiben und Solidarität zeigen kann. Warum kommen Besucher aus mittelamerikanischen Ländern zu uns, die in Gesprächen mit Parlamentariern fragen, was sie - wenn auch nicht unbedingt eins zu eins - übernehmen können? Die Europäische Union ist zwar kein perfektes Modell; sie hat ihre Schwächen, aber sie hat auch Stärken. Es ist meines Erachtens ein Fehler, immer nur die Schwächen herauszugreifen und zu unterstellen, dass die Europäische Union nicht für ein soziales Europa und ein Europa steht, das sich beispielsweise um den Umweltschutz kümmert oder in andere Richtungen öffnet. Bei aller Kritik in einzelnen Punkten - darüber können wir streiten - bitte ich Sie, die Europäische Union nicht immer in ein so düsteres Licht zu stellen. ({0}) Bevor ich einige Punkte aufgreife, möchte ich eine Vorbemerkung machen: Für das Arbeits- und Legislativprogramm liegen viele Einzelheiten vor. Wir werden uns in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich noch im Einzelnen damit befassen. Der wichtigste Punkt ist - das haben Michael Roth und andere bereits angesprochen -, dass im nächsten Jahr in allen Mitgliedstaaten der Reformvertrag ratifiziert wird, damit er, wie beabsichtigt - ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Geburtstagsfeier der EU am 25. März in Berlin -, ein Signal und eine Grundlage für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2009 bieten kann. Das sollte unsere oberste Anstrengung sein. ({1}) Wir bitten die Europäische Kommission, zu berücksichtigen, wie man mit bestimmten Dossiers umgeht. Sie haben vorhin die Dienstleistungsrichtlinie angesprochen, Kollege Löning. Ich finde manche Kritik daran berechtigt. Aber es war sicherlich angesichts der Debatten in der Europäischen Union ein unglücklicher Zeitpunkt, zu dem die Kommission weiter an der Initiative festgehalten hat, die letztlich in unserem Nachbarland, in der die Dienstleistungsrichtlinie quasi als Symbol des damaligen Verfassungsvertrags empfunden wurde, zu Diskussionen geführt hat. Das war falsch. Deshalb ist es richtig, dass die Kommission auch bei ihren Gesetzgebungsaktivitäten darauf Rücksicht nimmt. Der Arbeitskalender wird auch dadurch beeinflusst, dass im Jahr 2009 ein neues Parlament und eine neue Kommission gewählt werden. Einzelne von Ihnen haben diesen Arbeitskalender bereits angesprochen. Ich möchte vier Punkte herausgreifen: Wachstum und Beschäftigung, Orientierung am Bürger, Sicherheit und Freiheit sowie Europas Rolle in der Welt. Ich glaube, dass gerade der letzte informelle Gipfel in Lissabon gezeigt hat, dass viele dieser Bereiche in die Debatte der Europäischen Kommission und auch bei uns eingeführt werden. Sie haben zu Recht die Frage der Migration angesprochen, Kollege Steenblock. Bereits in der nächsten Woche findet ein wichtiger Gipfel statt. Es ist völlig richtig, dass wir einen Gesamtansatz zum Thema Migration brauchen. Insofern spreche ich für die Bundesregierung. Wenn es beispielsweise um die legale Migration und um bestimmte Richtlinienvorschläge geht, analysieren wir zunächst den Mehrwert dieser Vorschläge. Aber die grundsätzliche Zuständigkeit der nationalen Mitgliedstaaten für den Zugang zum Arbeitsmarkt muss beibehalten werden. Das ist unsere feste Überzeugung. Ich komme zu einem anderen wichtigen Punkt. Wir haben im Frühjahr mit der Weichenstellung in der Frage der Energie- und Klimaziele begonnen. Auch deshalb wird es wichtig sein, dass wir das im nächsten Jahr umsetzen. Es trifft eben nicht zu, Herr Kollege Ulrich, dass wir mit einer kritischen Haltung zu einem bestimmten Modell der Kommission allein auf weiter Flur stehen. Diese Position wird oft vertreten: Wir diskutieren einfach über den Nationalstaat und die Kommission. - In der gesamten Debatte ist es wichtig, ab und zu den Blick auf die Nachbarstaaten zu richten. Einige unterstützen die Vorschläge der Kommission; andere vertreten aber - beispielsweise was die Entflechtung der Netze angeht dieselbe Position wie die deutsche Bundesregierung. Kurzum: Ich hoffe, dass wir in einem konstruktiven Dialog die einzelnen Aktivitäten der Kommission offensiv diskutieren können, um zu Recht von einem breiten Spektrum des Parlaments sprechen zu können. Ich glaube, nur so gelingt es uns, bei allen Notwendigkeiten einer zentralen Kommunikationsstrategie auch die Bürgerinnen und Bürger in einzelne Maßnahmen und Gesetzgebungsaktivitäten einzubinden. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion sieht das vorgelegte Arbeitsund Legislativprogramm grundsätzlich als eine gute Arbeitsgrundlage für das Jahr 2008 an. Ich möchte mich deshalb vor allem auf die Punkte konzentrieren, bei denen wir der Meinung sind, dass der Bundestag und die Bundesregierung besonders aufpassen und sich einmischen müssen. Zum Thema Einmischen. Herr Staatsminister, ich freue mich sehr, dass Sie es noch einmal begrüßt haben, dass wir heute diese Debatte führen. Ich würde mir aber noch nachdrücklicher wünschen, dass die Bundesregierung bei den Gelegenheiten, bei denen der Bundestag eine klare Stellungnahme abgibt, diese Linie auch mittragen würde. Die Gelegenheit dazu hatten Sie bei der Errichtung der Grundrechteagentur. Sie haben sie nicht genutzt; da sind die Bedenken des Bundestages nicht beachtet worden. Das ist ein Verständnis, das so nicht funktionieren kann. ({0}) Im Übrigen: Wenn man sich anschaut, wie diese Agentur jetzt arbeitet, muss man sagen, dass das, was der Bundestag damals gesagt hat, zu 100 Prozent richtig war. Die Schwerpunktthemen haben wenig mit der Kontrolle der Einhaltung der Grundrechtecharta zu tun; das geht vielmehr in einen sehr weiten Bereich hinein. Man hat das Gefühl, es gibt da eine gewisse Eigendynamik. Es ist genau das eingetreten, was wir vorher gesagt haben. Hören Sie öfter auf den Bundestag! Das täte uns allen gut. ({1}) - Da waren wir uns aber doch ziemlich einig. Insbesondere die Themen Bürokratieabbau und bessere Rechtssetzung - das begrüßen wir als Liberale natürlich im Besonderen - spielen im neuen Arbeitsprogramm eine große Rolle. Das Europarecht ist gewachsen. Wir wollten vieles, aber auch hier müssen wir uns bei manchen Dingen sehr kritisch fragen, ob das so bleiben kann. Wenn die Kommission sagt, dass die Verwaltungsund Bürokratiekosten in den Unternehmen bis 2012 um 25 Prozent gesenkt werden sollen, ist das ein ehrgeiziges Ziel. Ich glaube, dass das machbar ist. Das bedeutet aber, dass im Bereich Bürokratieabbau ab dem Jahr 2008 auch wirklich gearbeitet werden muss. Ich möchte, dass die Bundesregierung dafür Sorge trägt, dass die Kommission entsprechende Anregungen bekommt. Das kann nicht allein die Entsendung von Herrn Stoiber sein; das müssen auch inhaltliche Vorschläge sein. Gleichzeitig muss natürlich klar sein, dass sich die Kommission einer externen Evaluierung unterzieht. Die Kommission muss bereit sein, die Einsparung bei den Verwaltungskosten um 25 Prozent extern, von Wissenschaftlern, von einer unabhängigen Institution, von einer Unernehmensberatung oder Ähnlichem, überprüfen zu lassen. Ansonsten könnte man solche Ersparnismodelle immer so rechnen, dass es passt. Wenn 25 Prozent versprochen werden, muss es die Kommission auch auf 25 Prozent bringen, belastbar und extern evaluiert. Das ist es, was wir wollen. ({2}) Wir haben im Bereich Inneres und Recht einige Initiativen, die genau das Gegenteil von Bürokratieabbau darstellen. Das Arbeitsprogramm beinhaltet weitere Richtlinien zum Thema Antidiskriminierung, die auf Art. 13 gestützt werden sollen. Da ist aber schon die Rechtsgrundlage fragwürdig. Nach Art. 13 dürfen Antidiskriminierungsmaßnahmen nur dort ergriffen werden, wo die Union nach dem Vertrag zuständig ist. Es gibt keine Berechtigung, Antidiskriminierungsmaßnahmen für Bereiche durchzuführen, in denen es keine vertragliche Zuständigkeit der Union gibt. Das allgemeine Zivilrecht liegt nach dem Vertrag nicht in der Zuständigkeit der Union. Deshalb kann es im Zivilrecht keinen allgemeinen Diskriminierungsschutz auf europarechtlicher Grundlage geben. Ich möchte, dass die Bundesregierung hier auf die mangelnde Kompetenz der Union hinweist. ({3}) Es gibt andere Ideen, beispielsweise im Rahmen der Migrationsbekämpfung den Vorschlag, dass Mutterunternehmen auch für eine illegale Beschäftigung in den Tochterunternehmen haften. Das ist sicherlich gut gemeint. Auch ich bin für Sanktionen gegen Menschen, die gegen Gesetze verstoßen. Wenn man aber solche Pflichten in einem Konzernverbund einführt, kommt es zu einem riesigen Kontroll- und Dokumentationsaufwand, also zu mehr Bürokratiekosten. Wenn wir überall solche Dinge einführen, sind die 25 Prozent Kostenersparnis sicherlich nicht zu erreichen. ({4}) Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis noch ein letzter Gedanke: Wir haben im Strafrecht die Tendenz, dass die Europäische Union materielles Strafrecht, Strafbarkeitsvoraussetzungen und Strafrahmen, immer mehr regeln und vereinheitlichen möchte. Das sollte aber eigentlich die Ausnahme sein und nur dann erfolgen, wenn dies zwingend erforderlich ist, um Europarecht zur Geltung zu bringen. Diese Entwicklung müssen wir kritisch beobachten. Wir hatten auch im letzten Quartal dieses Jahres einige Entscheidungen, die sehr tief in die Kompetenz der Nationalstaaten hineinregiert haben. Das Strafrecht ist grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten; darauf müssen wir achten. Nur wenn es überhaupt nicht anders geht, muss es europaweit einheitlich geregelt werden. In diesem Sinne bitte ich die Bundesregierung, tätig zu werden. Der Bundestag wird daran mitwirken. Wir werden genau schauen, ob Sie das tun, und Sie in diesem Sinne kontrollieren. Hoffen wir, dass das Jahr 2008 ein gutes Jahr für Europa wird. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Bernhard Kaster für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte zunächst einmal begrüßen, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal die Möglichkeit haben, das Arbeits- und Legislativprogramm der Europäischen Kommission für das nächste Jahr hier im Plenum miteinander zu beraten. Damit stärken wir die Europafähigkeit unseres Hauses; denn eines ist in den letzten Jahren immer klarer geworden: Was auf europäischer Ebene entschieden wird, hat ganz konkrete Auswirkungen auf die Menschen vor Ort, auf die Länder und auf die Gemeinden. Diese Debatte bietet deshalb auch die Chance, das Verständnis für europäische Politik zu steigern und das Unbehagen vieler Bürger gegenüber der Europäischen Union abzubauen. Wir müssen die Menschen in der Europapolitik wieder mehr mitnehmen. ({0}) Wir müssen daher die vorgelegten 26 strategischen Initiativen, 61 Initiativen und Vorschläge in insgesamt 49 Maßnahmepaketen und - man höre hin - 45 Vereinfachungsvorschläge und zehn kommunikativen Prioritäten unter drei Hauptkriterien betrachten. Zum einen haben wir das Kriterium der Subsidiarität bzw. Subsidiaritätskontrolle - das ist eine wichtige Aufgabe, die wir hier wahrnehmen -, ich nenne zweitens das Thema Verhältnismäßigkeit und drittens das Thema europäischer Mehrwert. In dieser Hinsicht müssen wir hier beraten. Wenn ich etwa sehe, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Weinmarktordnung als Vereinfachungsvorschlag tituliert wird, dann muss ich manch andere neue Maßnahmen, auch wenn sie unter schönen Überschriften daherkommen, als Drohung verstehen. Ich will ein Beispiel dafür nennen. Die Kommission kündigt für 2008 ein Grünbuch zur Qualitätspolitik für Agrarerzeugnisse an. Die gegenwärtig diskutierte europäische Weinmarktreform verdient aus meiner Sicht eher den Namen Wettbewerbsverzerrungsordnung oder Einheitsweinverordnung. ({1}) Den ersten Entwurf des Arbeitsprogramms haben wir bereits im April beraten, und wir haben kritische Punkte angemerkt. Sehr lobenswert ist - das muss festgestellt werden -, dass die Initiativen unserer Bundeskanzlerin zur Klimaschutzpolitik während der deutschen Präsidentschaft einen bemerkenswerten Niederschlag im Arbeitsprogramm gefunden haben. Man kann also sagen: Die Ratspräsidentschaft unter Leitung unserer Bundeskanzlerin trägt im Arbeitsprogramm für das nächste Jahr Früchte. ({2}) Andererseits verwundert es schon, dass das industriepolitische Arbeitsprogramm oder auch die neue transatlantische Wirtschaftspartnerschaft mehr oder weniger nur am Rande Erwähnung findet. Immerhin tagte letzten Freitag erstmals das transatlantische Wirtschaftsforum, das beim Gipfel der Europäischen Union und der USA am 30. April aus der Taufe gehoben wurde. Ich denke, in diesen Bereichen muss die Kommission noch energischer voranschreiten. ({3}) Seit Wochen beschäftigen wir uns im Europaausschuss mit einem Projekt und seinem bisher unrühmlichen Verlauf, mit dem Projekt Galileo. Das europäische Satellitennavigationsprojekt ist das größte Industrievorhaben, das jemals auf europäischer Ebene auf den Weg gebracht wurde. 30 Satelliten sollen in einer Höhe von 24 000 Kilometern die gesamte Erdoberfläche mit Navigationssignalen versorgen können. Wir brauchen in Europa dieses System mit neuen Anwendungen in den Bereichen Verkehr, Telekommunikation, Sicherheit und Vermessung. Wir brauchen in Europa diese Schlüsseltechnologie, um auch an diesem attraktiven Wachstumsmarkt teilnehmen zu können. Nach dem Scheitern des bisherigen Realisierungs- und Finanzierungskonzeptes auf der Basis einer öffentlich-privaten Partnerschaft drängt nun die Zeit. In 2008 müssen wir hier endlich weiterkommen. Wir brauchen dringend einen akzeptablen Finanzierungsvorschlag, der einerseits die Obergrenzen der finanziellen Vorausschau 2007 bis 2013 unangetastet lässt, andererseits jedoch zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb der Europäischen Union, etwa über die ESA, eröffnet. ({4}) Die von der Kommission vorgeschlagene Beschaffungsstrategie, schlicht und vermeintlich offen auszuschreiben, kann angesichts der Lage auf dem Weltraummarkt im Rahmen dieser Industrie nicht funktionieren. Wenn man die Strukturen kennt, weiß man, dass dies genau das Gegenteil bewirken würde: Durch eine Ausschreibung in der hier vorgeschlagenen Form würden Monopolstrukturen gestärkt werden, und zwar Monopolstrukturen außerhalb unseres Landes. Gerade die deutsche Industrie hat bei diesem Projekt große Vorleistungen erbracht, die beim weiteren Vorgehen angemessen berücksichtigt werden müssen. Deutschland muss industriell und technologisch am Ball bleiben. ({5}) Zu Beginn meiner Rede habe ich darauf hingewiesen, dass die europäische Politik die Menschen mitnehmen muss. Ich will auf ein Thema zu sprechen kommen, in dem es konkret darum geht: die Förderung der Mehrsprachigkeit. Die Kommission will dazu im nächsten Jahr eine Mitteilung vorlegen, was ich ausdrücklich begrüße. Ich komme aus einer Grenzregion, die man heute mit Recht als europäische Modellregion bezeichnen kann, aus der Region Trier/Luxemburg. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es enorm wichtig ist, dass die jungen Menschen auch die Sprache des Nachbarn kennenlernen; bei uns ist das Französisch. Unter dem Stichwort Mehrsprachigkeit rege ich an, darüber nachzudenken, dass in den Schulen neben der heute schon selbstverständlich gewordenen Arbeitssprache Englisch auch die Sprache des Nachbarlandes gelernt wird. Das sollte in Deutschland ebenso wie in ganz Europa gerade in den Grenzregionen üblich sein. Da und dort ist das Französisch, in anderen Regionen Polnisch. In Bayern mag es mit dem Nachbarland Österreich weniger Probleme geben. ({6}) Ich denke, es wäre eine gute Sache, wenn die Sprache des Nachbarlandes auf dem Stundenplan stünde. ({7}) Dadurch würde mit Sicherheit das Zusammenwachsen von grenzüberschreitenden Wirtschaftsräumen gefördert werden. Viel wichtiger ist aber, dass dadurch grenzüberschreitende Kulturräume geschaffen und das grenzüberschreitende Miteinander junger Menschen erheblich gefördert würden. Das ist es, worauf es ankommt. Die europäische Politik muss die Menschen wieder mitnehmen. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Markus Meckel für die SPD-Fraktion. ({0})

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon gesagt worden, dass es wichtig ist, über das Arbeitsprogramm der Kommission zu diskutieren. Die Nationalstaaten müssen es sich zur Aufgabe machen, die Akteure der EU - in diesem Fall ist das die Kommission - zu fragen, was sie konkret tun bzw. was sie unterstützen. Der Kollege Michael Roth hat die beeindruckende Fülle des Arbeitsprogramms bereits dargestellt. Gleichzeitig hat er deutlich gemacht, dass es darauf ankommt, Schwerpunkte zu setzen. Wir müssen schauen, was konkret passiert und welche Schwerpunkte gesetzt werden. Ich wende mich der Außenpolitik zu. Ich denke, dass dies eine gewichtige Aufgabe für die Fraktionen ist. Im Rahmen der Vorbereitung der Erweiterung der Europäischen Union müssen beispielsweise die Verträge mit der Türkei und Kroatien ausgehandelt werden. Aber auch bei dem Abschluss der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit den Staaten auf dem westlichen Balkan spielen wir eine ganz zentrale Rolle; darauf komme ich gleich zurück. Während der portugiesischen Präsidentschaft wurde ein Schwerpunkt auf das Vertragsmanagement gelegt, insbesondere auf das Aushandeln, aber auch die Begleitung der Verträge im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den AKP-Staaten und der Europäischen Union. Im Zusammenhang mit der Außen- und Sicherheitspolitik gibt es eine zentrale Aufgabe - unser Staatsminister, der auf den Reformvertrag hinwirkt, hat darauf hingewiesen -: Die zwischen Kommission und Rat gesplittete Verantwortung muss mit Einsetzung des Hohen Beauftragten endlich aufhören, damit Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik ein Stück weit sichtbarer wird. Ich glaube, auf diese zentrale Aufgabe müssen wir uns angemessen vorbereiten. Die Frage ist natürlich, wie die außenpolitische Verantwortung konkret gestaltet wird: Wie sieht das Verhältnis des europäischen Außenministers - der nicht so heißen darf - zum neuen Präsidenten der Kommission bzw. des Rates aus? Es wird darauf ankommen, beim Aufbau der Administration, des neuen europäischen diplomatischen Dienstes, unsere eigenen Analysen zur Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung zusammenzuführen. Für uns alle wird es wichtig sein, in den nächsten Monaten hier konkret nachzufragen und den Prozess der Bildung einer neuen Struktur, die für uns entscheidend sein wird, parlamentarisch zu begleiten. Es ist völlig klar: Europäische Außenpolitik ist zuallererst eine Frage des politischen Willens, der Fähigkeit der Mitgliedstaaten, eine gemeinsame Außenpolitik zu betreiben. Strukturen können dabei helfen oder hinderlich sein. Wir hoffen, dass wir Strukturen finden, die wirklich helfen. Die EU-Mission im Kosovo ist eine zentrale Aufgabe, vor der wir stehen, ohne dass wir heute sagen könnten, wie sie genau strukturiert sein wird. Wir alle wissen, dass das auf uns zukommt. Wir wissen noch nicht, auf welche Art wir vorgehen, welche Grundlage der Sicherheitsrat schaffen wird. Die Aufgabe ist aber abzusehen; die Europäische Union bereitet sich seit 18 Monaten darauf vor. Die Frage ist natürlich - gerade im Hinblick auf die Verteilung der Verantwortung -, wie die Aufgabe konkret umgesetzt werden soll. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, hier Strukturen zu finden, die dazu führen, dass die EU-Mission im Kosovo nicht das gleiche Schicksal erleidet wie die UNMIK, wo der Vertrauensverlust so immens groß war, dass sie nach wenigen Jahren infrage gestellt wurde. Am Anfang haben wir die Arbeit von UNMIK mit großer Bewunderung betrachtet. Hier wird es sehr auf uns ankommen, aber auch darauf, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen erfüllt sind. Der Erfolg der Mission im Kosovo wird wesentlich davon abhängen, ob es uns gelingt, mit konkreten Schritten eine realistische Integrationsperspektive für den westlichen Balkan zu entwickeln. Wir müssen deutlich machen, dass die Integration des westlichen Balkans in die Europäische Union nicht nur eine vage Perspektive darstellt, sondern unserem Willen entspricht, um Stabilität in Europa zu gewährleisten. Ein anderer zentraler Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die europäische Nachbarschaftspolitik. Hier hat es manchen Fortschritt, manche Initiative - auch manche deutsche Initiative im Rahmen der deutschen Präsidentschaft - gegeben. Wir alle wissen, dass wir dabei noch immer vor großen Schwierigkeiten stehen. Zur Balance der Nachbarschaftspolitik im Hinblick auf den südlichen und den östlichen Flügel muss man sagen: Bisher gibt es ein klares Ungleichgewicht. Viele Bemühungen konzentrieren sich auf den südlichen Flügel. Wir brauchen Konzepte, müssen aber auch entsprechenden Druck aufbauen, damit die Nachbarschaftspolitik im Hinblick auf den östlichen Flügel gestärkt wird. Gleichzeitig muss die Nachbarschaftspolitik sehr viel differenzierter betrieben werden. Mit den Aktionsplänen und Verträgen richten wir den Blick unmittelbar auf die Staaten und vernachlässigen dabei zu sehr die Gesellschaften. Wir müssen in Zukunft stärker auf die Balance achten. Manchmal stehen wir uns auch selbst im Weg. Hier möchte ich an ein Papier erinnern, das die Kommission Ende letzten Jahres selbst veröffentlicht hat. Dort wird auf den Widerspruch zwischen den Aufgaben im Bereich der Nachbarschaftspolitik und unserer eigenen Visapolitik aufmerksam gemacht, durch den wir die Erfüllung unserer Aufgaben selbst erschweren. Wir müssen ein Interesse daran haben, dass Menschen zu uns kommen - junge Menschen, Wissenschaftler -, dass es zu einem Austausch, zu menschlichen Beziehungen kommt. Im Hinblick auf die Stabilität dieser Länder ist es eine zentrale Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Länder ein europäisches Bild erhalten, dass sie wissen, wo es langgeht. Die Transformationsstaaten, die neuen Mitgliedstaaten können ein Lied davon singen, wie wichtig es ist, dass die Menschen Europa unterstützen. Hier blockieren wir uns selbst. Frau Präsidentin, ich bin gleich am Ende meiner Rede. - Zu Belarus möchte ich sagen: Lukaschenko hat natürlich überhaupt kein Interesse daran, dass Menschen in die Europäische Union, in die Nachbarländer reisen. Er wird also keinen Antrag stellen, die Gebühren für Visa zu verringern. Die Gebühren werden nun erhöht, weil die Nachbarländer Mitglieder des Schengen-Raums sind. Ich glaube, wir müssen noch intensiv daran arbeiten, dass Menschen nach Europa, in die Europäische Union, kommen können: Schüler, Studenten, Kulturschaffende und Wissenschaftler. Dieser Aufgabe müssen wir uns widmen, um uns nicht selbst im Weg zu stehen. Ich danke Ihnen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere heutige Diskussion über das Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2008 wird wohl über 2008 hinaus Bedeutung haben. Im Jahr 2009 findet die Europawahl statt und endet die Amtszeit der Barroso-Kommission, sodass die Prioritäten für das nächste Jahr wohl auch die Prioritäten für das Jahr 2009 sein werden. Insoweit begrüße ich es ausdrücklich, dass wir heute über dieses Legislativ- und Arbeitsprogramm ausführlich diskutieren können. Zum Thema „Wachstum und Beschäftigung“ möchte ich anmerken: Ich halte die Idee der Kommission, die Wirtschafts- und Währungsunion nach ihrem zehnjährigen Bestehen einer strategischen Überprüfung zu unterziehen, für gut. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die unabhängige Geldpolitik der Europäischen Zentralbank der wesentliche Grund dafür ist, dass wir heute einen stabilen Euro haben, der international als Reserveund Anlagewährung zunehmend an Gewicht gewinnt. ({0}) Deswegen müssen wir allen Versuchen widerstehen, durch politische Einflussnahme protektionistisch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank zu gefährden. Wir müssen die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung und das Erfolgsprojekt der Währungsunion weiter festigen. Unter dem Stichwort „Wachstum und Beschäftigung“ diskutiert die Kommission auch die Zukunft der gemeinsamen Agrarpolitik. Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass damit nicht die nächste finanzielle Vorausschau ab dem Jahr 2014 vorweggenommen werden kann. Ich möchte aber auch davor warnen, die gemeinsame Agrarpolitik und ihre Finanzierung als Steinbruch für Einsparungen oder Umschichtungen im EU-Haushalt misszuverstehen. ({1}) Wir müssen schon sehr klar sehen, dass sich die Rolle der Landwirtschaft verändert. Wir stehen vor einem weltweit wachsenden Bedarf an qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln. ({2}) Wir sehen, dass die Landwirtschaft zunehmend Bedeutung bei der Gewinnung erneuerbarer Energien hat, mit denen wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Deswegen ist es sicherlich notwendig, dass wir in der Landwirtschaft mehr Effizienz erreichen. Wir müssen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft weiter verbessern und sicherstellen. Einige kritische Anmerkungen möchte ich zum integrierten Konzept der Kommission zur Migration machen. Wenn Kommissar Frattini darüber spekuliert, wir brauchten in Europa 20 Millionen Hochqualifizierte, dann möchte ich doch dazu raten, einmal die Realität zu betrachten. ({3}) Wir haben in Deutschland und auch in ganz Europa meines Erachtens keinen begründeten Bedarf an zusätzlicher Zuwanderung, vor allem nicht an Zuwanderung in soziale Sicherungssysteme. Wir haben im Gegenteil vielleicht ein gewisses wirtschaftlich motiviertes Interesse daran, billigere Arbeitskräfte von außerhalb der Europäischen Union in die Europäische Union hereinzuholen. Ich rate, dazu auch einmal den Blick in südliche Mitgliedstaaten wie Spanien oder Italien zu werfen und in Erfahrung zu bringen, zu welchen Konditionen dort in der Wirtschaft gearbeitet wird. Wenn bei uns in Deutschland über einen Fachkräftemangel - beispielsweise bei den Ingenieuren - gesprochen wird, dann möchte ich daran erinnern, dass noch vor nicht allzu langer Zeit große Unternehmen einen Einstellungsstopp für Ingenieure hatten. Deswegen braucht man sich nicht darum zu sorgen, dass jetzt offenbar der Nachwuchs nicht da ist; man hat ja über Jahre nicht eingestellt. ({4}) Gleichzeitig muss man in Rechnung stellen, dass viele Ingenieure, die frühverrentet worden sind, derzeit noch bei der Bundesagentur für Arbeit gelistet sind. Der Vorrang muss sein, bei uns im Lande auszubilden und Arbeitnehmer zu qualifizieren. Erst dann kann man darüber nachdenken, zusätzlichen Bedarf von außen zu decken. ({5}) Deswegen ist es wichtig, dass in dieser europäischen Debatte über die Migrationspolitik das Ausmaß von legaler Migration und damit der Zugang zum Arbeitsmarkt in den Mitgliedstaaten in der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten verbleibt, dass auf europäischer Ebene nicht ein neues Recht auf dauerhaften Aufenthalt geschaffen wird und damit neue Anreize für Zuwanderung in soziale Sicherungssysteme gesetzt werden. Ich meine auch, dass das Paket der Europäischen Kommission zum Asylrecht kritisch hinterfragt werden muss. Ich erkenne durchaus einige Argumente dafür an, die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen zu vereinheitlichen sowie über einen einheitlichen Rechtsstatus nachzudenken. Ich bitte aber zu bedenken, dass wir in Deutschland die Besonderheit haben, Asylsuchenden ein individuelles Grundrecht auf Asyl zu gewähren. Das ist europaweit einmalig. Wir sollten dieses Recht nicht dadurch infrage stellen, indem jetzt über einen einheitlichen Rechtsstatus auf europäischer Ebene nachgedacht wird. Was nationale Asylverfahren und Aufnahmebedingungen angeht, will ich durchaus einräumen, dass man hier zu einer Angleichung kommen kann. Aber ich meine, auch da muss man sehr kritisch hinschauen, wenn beispielsweise die Praxis mancher Mitgliedstaaten darin besteht, Legalisierungsaktionen durchzuführen, die im Ergebnis eine gemeinsame europäische Politik unterlaufen würden. Ein letzter Punkt. Dass die Europäische Union eine europäische Unterstützungsagentur für das Asylwesen gründen will, ist genauso überflüssig wie viele andere europäische Einrichtungen. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung - sie ist da offensichtlich die einzige Regierung - explizit Bedenken dagegen angemeldet hat. Es ist im Informationszeitalter nicht wichtig, dass wir neue Einrichtungen und neue Hierarchieebenen schaffen. Wir sollten vielmehr die Möglichkeiten der erleichterten Kommunikation nutzen und das, was vorhanden ist, besser vernetzen, statt immer neue Einrichtungen zu schaffen. ({6}) Zum Schluss möchte ich sagen: Das Anliegen der Europäischen Kommission hinsichtlich einer besseren Rechtssetzung findet grundsätzlich meine Unterstützung. Aber eine bessere Rechtssetzung durch die Europäische Union darf nicht einfach bedeuten: Besser ist es, wenn wir es in der Europäischen Union selbst machen. Eine bessere Rechtssetzung muss den Mitgliedstaaten ausreichende Handlungsspielräume lassen. Deswegen ist es wichtig, dass der Deutsche Bundestag in Zusammenarbeit mit allen anderen nationalen Parlamenten seine Rolle als Wahrer des Subsidiaritätsprinzips ernst nimmt, die uns im Reformvertrag von Lissabon zugeschrieben wird. In diesem Sinne freue ich mich auf ein für die europäische Politik spannendes Jahr 2008. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Regelsätze erhöhen - Dynamisierung anpassen - Kosten für Schulbedarfe abdecken - Drucksache 16/7040 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einführung einer Weihnachtsbeihilfe für Grundsicherungsbezieherinnen und -bezieher - Drucksache 16/7041 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Irmingard ScheweGerigk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regelsätze bedarfsgerecht anpassen - Drucksache 16/7113 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Katja Kipping, Fraktion Die Linke, das Wort. ({3})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Abgeordnete reagieren nur noch genervt, wenn die Rede auf Hartz IV kommt. Auch die Reihen der SPD durchzieht in diesem Fall meist ein Raunen „Schon wieder die Linke mit ihrer Kritik an Hartz IV und ihrer Klage über Armut“. ({0}) Es gibt sogar Abgeordnete, die demonstrativ das Plenum verlassen, wann immer es um Hartz IV geht. ({1}) Ich kann verstehen, dass die Auseinandersetzung mit Armut eher deprimierend ist. Auch ich würde lieber optimistisch mit Ihnen über Luxus für alle philosophieren. ({2}) Fakt ist aber: 7 Millionen Menschen in diesem Land müssen mit Hartz IV leben. Während es einigen offensichtlich zu viel ist, sich auch nur fünf Minuten mit den Auswirkungen von Hartz IV auseinanderzusetzen, müssen 7 Millionen mit Hartz IV leben, und das 24 Stunden am Tag. ({3}) Fakt ist auch: Das Leben mit Hartz IV ist nicht einfacher, sondern schwerer geworden. Die Kosten für Strom und Lebensmittel sind gestiegen. Seit letzter Woche ist es nun dank der Untersuchungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auch amtlich: Orientiert man sich nur an der Preisentwicklung, müsste der Regelsatz um rund 20 Euro aufgestockt werden. Das heißt, seit Festlegung des Hartz-IV-Regelsatzes ist dieser um 5 Prozent entwertet worden. Wenn wir also das Arbeitslosengeld II auf seiner jetzigen Höhe belassen, bedeutet das schlicht und ergreifend nichts anderes, als dass die Menschen jeden Monat faktisch 20 Euro weniger in der Tasche haben. Vor diesem Hintergrund ist es für mich völlig unverständlich, wieso der noch amtierende Bundesminister für Arbeit und Soziales trotz dieser Erkenntnis gesagt hat, es bestehe kein Handlungsbedarf. Ich hoffe, der neue Minister wird sich dieses Themas annehmen. ({4}) Für uns Linke ist es nicht hinnehmbar, dass Hartz-IVBetroffene immer weniger in der Tasche haben. Aufschwung für alle: Das war die Losung auf dem SPD-Parteitag. Ehrlicherweise hätten Sie hinzufügen müssen: Aufschwung für alle, nur nicht für Erwerbslose, für Niedriglöhner und für Rentner. ({5}) Denn die SPD ist offensichtlich noch nicht einmal bereit, den realen Kaufkraftverlust auszugleichen. Nötig wäre so viel mehr, denn der Regelsatz war von Anfang an viel zu niedrig. Werfen wir nur einmal einen Blick nach Skandinavien. Dort orientiert sich das Grundsicherungsniveau an der Armutsrisikogrenze. Für Deutschland liegt die Armutsrisikogrenze laut den neuesten offiziellen Berechnungen bei 1 000 Euro. Von skandinavischen Verhältnissen sind wir also noch wirklich weit entfernt. In der Praxis reicht das Geld meistens so für 20 Tage, erzählen mir immer wieder Erwerbslose und fragen mich dann: Was tun, wenn am Ende des Geldes noch so viel vom Monat übrig ist? ({6}) Der Paritätische Wohlfahrtsverband bestätigt dieses Alltagswissen. Deswegen schlagen wir, die Linke, Ihnen vor, den Regelsatz auf 435 Euro zu erheben, und zwar umgehend. ({7}) Sie von SPD und von CDU/CSU können es doch als Chance begreifen. Sie können nun auf die vielen Bekundungen, man müsse über die Höhe des Regelsatzes nachdenken, der Regelsatz gehöre auf den Prüfstand, Handlungen folgen lassen. In einem zweiten Antrag schlägt Ihnen meine Fraktion, die Linke, vor, für Arbeitslosengeld-II-Beziehende, für Sozialhilfebeziehende und für Asylsuchende eine Weihnachtsbeihilfe von 40 Euro einzuführen. ({8}) Das alte Bundessozialhilfegesetz sah eine solche Weihnachtsbeihilfe vor, und das aus gutem Grund. Denn Weihnachten ist für viele ein wichtiges, ja sogar das wichtigste Familienfest. Für viele ist es darüber hinaus ein zentraler Bestandteil ihres religiösen Lebens. Ein solches Fest ist mit höheren Ausgaben verbunden, mit Ausgaben, die vom Regelsatz nicht zu bestreiten sind. So sieht die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, die Hartz IV zugrunde liegt, für Geschenke an Kinder gerade einmal 1,47 Euro vor. 1,47 Euro, meine Damen und Herren, Hand aufs Herz: Welches Geschenk für Kinder fällt Ihnen ein, das man davon kaufen kann? ({9}) Zu einem besinnlichen Weihnachtsfest gehört nun wahrlich mehr als Geld. Das ist mir bewusst. Aber so ganz ohne Geld lässt sich ein Fest auch nicht ausrichten. Auch Menschen, die auf Arbeitslosengeld II oder auf Asyl angewiesen sind, sollten die Möglichkeit haben, mit ihrer Familie oder mit ihren Freunden ein schönes Weihnachtsfest zu begehen. ({10}) Insofern appelliere ich an Sie, liebe Christ-Demokraten, und an Sie, liebe Sozial-Demokraten: Geben Sie sich einen Ruck und erwärmen Sie sich für die Idee der Weihnachtsbeihilfe! Stimmen Sie für den Antrag der Linken! Besten Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Max Straubinger, CDU/ CSU-Fraktion.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zum wiederholten Male setzen wir uns heute in diesem Haus mit den wahlkampfbedingten Anträgen der Linken auseinander. ({0}) Wir tun das in dem Bewusstsein, dass Deutschland ein sehr soziales Land ist und dass Deutschland und insbesondere diese Bundesregierung den sozialhilfebedürftigen Menschen in besonderer Weise beisteht. ({1}) Dies können wir mit der wirtschaftlichen Entwicklung untermauern, die seit zwei Jahren eingesetzt hat. Wir zählen in Deutschland 1,5 Millionen mehr Erwerbstätige. Damit haben wir die Chancen der Menschen großartig verbessert. ({2}) Somit haben wir auch mehr Zukunftszutrauen bei den Menschen erarbeitet. ({3}) Sozialpolitik, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, misst sich nicht an der höchsten Geldleistung, ({4}) die in diesem Regelsatz zum Ausdruck gebracht wird, sondern Sozialpolitik misst sich im Besonderen daran, wie viele Chancen die Menschen haben, ihr Leben in Eigenverantwortung zu gestalten. Dafür tragen wir besonders Verantwortung. Daran arbeiten wir zuvörderst. ({5}) Werte Damen und Herren, Linke wie auch Bündnis 90/ Die Grünen fordern mit ihren Anträgen letztlich eine pauschale Erhöhung der Regelsätze bzw. der Regelleistungen im SGB II: Die Linke auf 435 Euro und Bündnis 90/Die Grünen auf 420 Euro. Darüber hinaus wird gefordert, dass die Bemessung dieser Sätze an den Lebenshaltungskostenindexen ausgerichtet wird. Außerdem sollen weitere Einmalleistungen im Falle der Einschulung von Kindern erbracht werden. Die Linken möchten, dass für Schülerinnen und Schüler jedes halbe Jahr zusätzliche Leistungen erbracht werden. ({6}) Wir müssen bei den Linken feststellen: Sie haben nicht kapiert, dass wir eine Reform durchgeführt haben, die darauf abzielt, dass die Empfänger von Transferleistungen mit ihrer finanziellen Unterstützung letztendlich eigenverantwortlich umzugehen haben. ({7}) Der Weg führt weg von Einzelleistungen und Einzeltatbeständen und hin zum selbstverantwortlichen Umgang mit dem erhaltenen Geld. Im Juli, im August und auch im September ist über den Anstieg der Lebensmittelpreise in unserem Land verstärkt diskutiert worden. Die Regelsätze bemessen sich allerdings nicht nur an den Lebensmittelpreisen, sondern an den Gesamtkosten eines Einpersonenhaushalts. Die Höhe des letztendlich beschlossenen Regelsatzes ist nur 20 Prozent niedriger als die unteren 20 Prozent der Einkommen in Deutschland. ({8}) Dieser Abstand ist meines Erachtens notwendig und sachgerecht. Er wird auch in der Einkommens- und Verbrauchsstatistik - sie wird alle fünf Jahre erstellt, also 2008 wieder; zuletzt geschah dies 2003 - abgebildet. Wir geben zu, dass mit den nach diesem Regelsatz gezahlten finanziellen Mitteln kein üppiges Leben geführt werden kann; aber damit kann ein menschenwürdiges Leben geführt werden. ({9}) Jeder - ob ein Geringverdiener, ein Höchstverdiener oder ein ALG-II-Empfänger - muss sein persönliches Ausgabeverhalten nach dem ausrichten, was er zur Verfügung hat. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist. ({10}) Wir sollten hier nicht immer nur den Regelsatz von 347 Euro betrachten. Hinzu kommen die finanziellen Mittel zur Deckung der Kosten für die Unterkunft. Ich habe es ausrechnen lassen. Eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren, in der beide Elternteile ALG-IIEmpfänger sind, erhält 625 Euro ALG-II-Leistungen plus 416 Euro für die Kinder; das Kindergeld wird abgezogen, ({11}) also minus 308 Euro. Die durchschnittlichen Kosten für eine Wohnung liegen bei 628 Euro. Das bedeutet letztendlich eine Nettounterstützung von rund 1 360 Euro. ({12}) Ein Facharbeiter muss schon gehörig arbeiten, um netto so viel Geld zur Verfügung zu haben. ({13}) Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie fordern einen Mindestlohn von 8 Euro. ({14}) Selbst wenn dies umgesetzt würde, würde kein Lohn in dieser Höhe ausgezahlt werden. Wenn jemand nämlich 178 Stunden im Monat arbeitet, dann erhält er bei einem Stundenlohn von 8 Euro brutto 1 424 Euro. Wenn man davon 20 Prozent Sozialversicherungsbeiträge abzieht, was geschieht, dann kommt man netto auf 1 139 Euro. ({15}) - Mit Kindergeld ist man dann genauso gestellt. - Allerdings hat der eine 40 Stunden in der Woche gearbeitet, während der andere keine Arbeitsleistung erbracht hat. Es geht hier auch um das Lohnabstandsgebot. Der, der tagtäglich in der Früh aufsteht und hart arbeitet, muss zum Schluss mehr haben als jemand, der von Sozialleistungen lebt. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. ({0})

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Straubinger, ich habe mit Interesse Ihre Berechnungen verfolgt und habe in diesem Zusammenhang eine Frage an Sie. Sind Sie bereit, zuzugeben, dass Sie bei Ihrer Rechnung zwei Fakten außen vor gelassen haben: zum einen, dass Sie bei dem von Ihnen beschriebenen Arbeitenden das Kindergeld, welches obendrauf kommt, nicht eingerechnet haben, und zum anderen, dass Ihre Berechnung davon ausgeht, dass nur einer in der Familie arbeitet, Sie also immer noch das vollkommen altmodische und überkommene Bild vom alleinernährenden Mann in einer Familie zur Grundlage genommen haben, das nicht den modernen Realitäten entspricht und auch nicht entsprechen sollte?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kipping, dass Sie den Menschen nicht die Wahlfreiheit lassen wollen, wie sie ihr eigenes Leben einrichten, ist ja bekannt. ({0}) Ich wollte nur darstellen, dass die Mindestlohnforderung nicht einmal ausreicht, die jetzigen Regelsätze zu erreichen. Regelsätze, wie Sie sie in Ihren Anträgen fordern, würden bedeuten, dass ein noch weit höherer Mindestlohn zu schaffen wäre. Das kann meines Erachtens nicht richtig sein. Es würde auch bedeuten, dass die Menschen eigentlich von der Arbeit abgehalten werden. Das kann es meines Erachtens nicht sein. ({1}) Ich glaube auch, dass es richtig ist, dass die Regelsätze gemäß der Steigerung der Rente angepasst werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Frau Kipping möchte noch eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie das?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das lassen wir jetzt. Dass die Steigerung der Regelsätze der Entwicklung der Rente entspricht, ist, glaube ich, sehr sachgerecht. ({0}) - Das hat nichts mit Abgeordnetengehältern zu tun, Herr Schneider. - Diese Anpassung ist sehr sachgerecht, weil die Rente sich letztendlich so entwickelt, wie sich die Löhne entwickeln. Wenn die Löhne steigen, dann gibt es eine Rentensteigerung. Das wird dann auch in den Regelsätzen unterlegt. Alles andere wäre meines Erachtens gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern, die die Preissteigerungen des normalen Lebens genauso bewältigen müssen, oder auch gegenüber den Niedrigverdienern, die ebenfalls mit diesen Preissteigerungen konfrontiert sind, nicht zu verantworten. ({1}) Auch sie müssen dies bewältigen. Deshalb ist es meines Erachtens sehr sachgerecht, wie über zehn Jahre hinweg die Anpassungen der Regelsätze erfolgten. Es ist für uns vielleicht auch von Bedeutung, die Lebensverhältnisse zukünftig etwas zeitnäher zu überprüfen. Dies ist möglich, indem wir die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nicht wie bisher alle fünf Jahre, sondern alle drei Jahre erheben, um damit eine zeitnähere Betrachtungsweise der Lebensverhältnisse in unserem Land zu gewinnen. Wir sind bereit, dies umzusetzen. Aber ich warne davor, zukünftig wieder Sondertatbestände bzw. Einzelleistungen ins Auge zu fassen. Wir haben bei der Reform bewusst vom mündigen Bürger gesprochen und gesagt, dass der mündige Bürger seine Finanzzuweisung selbst einteilen muss. Die Kritik in der Vergangenheit lautete doch immer, die Sozialämter schnüffelten sozusagen in den Haushalten. Dies wurde mit den Pauschalsätzen - damals wurden sie von 295 auf 345 Euro erhöht - abgeschafft. Ich glaube, das ist gut so. Aber ich warne davor, hier neue Einzeltatbestände aufzunehmen. Außerdem möchte ich anmerken, dass dies in Bayern gar nicht notwendig ist. In Bayern ist die Schulwegkostenfreiheit für ALG-II-Empfänger gewährleistet. In Bayern ist die Befreiung vom Büchergeld und von Sonstigem gewährleistet. In Bayern ist auch in vielen anderen Bereichen eine gute soziale Unterstützung gegeben. Hier könnte sich die Linke vor allen Dingen dort, wo sie in unserem Land mitregiert, also in Berlin, wahrscheinlich eine gute Scheibe von der Sozialpolitik in Bayern abschneiden. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Heinz-Peter Haustein, FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über die ALGII-Regelsätze. Wir leben in einem reichen Land. Deutschland ist reich. Ich lebe gern hier und stehe zu meinem deutschen Vaterland. Trotzdem gibt es unübersehbare Probleme. Obwohl wir die Hälfte des Haushaltes des Bundes für soziale Leistungen ausgeben und aus allen Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen 686 Milliarden Euro dafür aufwenden, gibt es Ungerechtigkeiten. Heute sprechen wir über die Bezieherinnen und Bezieher der Grundsicherung. Das sind Menschen, die es allein nicht schaffen, sich zu ernähren und für sich zu sorgen. Dafür muss die Gesellschaft aufkommen. Das ist richtig so. Ich will einmal beleuchten, was zur Grundsicherung gehört. Zum einen ist das die Miete. Die Miete wird bezahlt, unabhängig davon, ob sie steigt oder nicht. Zum anderen sind es die Mietnebenkosten. Die Heizkosten werden unabhängig von der Ökosteuer oder der steigenden Mehrwertsteuer bezahlt. Das ist in Ordnung. Ferner gibt es Sonderbedarfe, zum Beispiel wenn jemand einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine braucht. ({0}) Es gibt außerdem Zuschüsse und Vergünstigungen für Volkshochschulkurse oder Museumsbesuche. Der Staat kümmert sich auch um diese Menschen. ({1}) Damit stehen über die Grundsicherung ungefähr 1 200 Euro zur Verfügung. Dafür muss der Empfänger keine Minute arbeiten. Zum Vergleich schauen wir uns jetzt einmal die Menschen an, die jeden Morgen zwischen fünf und sechs Uhr aufstehen und die ganze Woche arbeiten. Sie fahren zum Beispiel 30 Kilometer zur Arbeit - die Pendlerpauschale wurde ja zum Teil gestrichen, sodass sie die Kosten dafür selbst tragen müssen -, sie müssen zudem für den teuren Sprit, die Winterreifen und die Versicherung aufkommen, und sie müssen ihre Miete und die erhöhten Mietnebenkosten selbst bezahlen. Niemand gibt ihnen dazu einen Zuschuss. Bei einem Stundenlohn von 8 Euro kommen sie damit ebenfalls auf ungefähr 1 200 Euro. ({2}) Ich halte es nicht für gerecht, wenn jemand den ganzen Monat arbeitet und fast das Gleiche erhält wie - zumindest nicht mehr - jemand, der von der Grundsicherung lebt. ({3}) Deshalb müssen wir daran etwas ändern. ({4}) Dazu haben wir auch die Möglichkeit, indem wir mit den richtigen Reformen dafür sorgen, dass in erster Linie mehr Arbeitsplätze entstehen. Wie diese entstehen können, wissen Sie. Eine Reform des Steuersystems und Bürokratieabbau sind die wichtigsten Punkte. ({5}) - Dass die Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen, ist auch klar. - Wenn uns das gelingen würde, müssten wir nicht immer wieder über zusätzliche 20 oder 40 Euro an dieser oder jener Stelle sprechen. Es gibt sogar noch eine bessere Möglichkeit, nämlich die Zusammenfassung aller Transferleistungen zu einem Bürgergeld. ({6}) Das Bürgergeld würde dem Staat Einsparungen in Höhe von 40 Milliarden Euro bringen, und es wäre gerechter, weil alle es in gleicher Weise erhalten. Denjenigen, die viel haben, wird es als negative Einkommensteuer angerechnet. ({7}) Das Bürgergeld wäre eine richtige Maßnahme. Aber warum setzen Sie es in der Großen Koalition nicht um? Weil Sie sich nur streiten und sich nicht einig werden. Was sollen die Menschen denken, wenn wir uns im Bundestag nur herumstreiten, statt dieses Land zukunftssicher zu machen und nach vorn zu bringen? ({8}) Schließlich fordern Sie in Ihrem Antrag noch eine Weihnachtsbeihilfe. Das klingt ja im ersten Moment ganz gut. Sie begründen Ihren Antrag mit dem religiösen Weihnachtsfest. ({9}) Beim Lesen habe ich mich aber daran erinnert, wie das zu DDR-Zeiten so war. Damals war es ein Fest des Friedens, ({10}) von der Geburt Christi war keine Rede. ({11}) Sie haben es nicht einmal fertig gebracht, einen Weihnachtsengel auch als „Engel“ zu bezeichnen. Bei Ihnen war das eine „Jahresendfigur mit Flügeln“. So sieht sie aus! ({12}) Und jetzt reden Sie von der religiösen Bedeutung des Weihnachtsfestes. ({13}) Ihr Antrag ist scheinheilig. Sie streuen den Leuten Sand in die Augen, ohne ihnen eine Perspektive aufzuzeigen. In diesem Sinne ein herzliches Glückauf! ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weihnachten steht vor der Tür. Damit wir das ja nicht vergessen, wird von der Linksfraktion rechtzeitig der passende Weihnachtsantrag vorgelegt. Sie fordern für alle Bezieher der Grundsicherung die Einführung einer Weihnachtsbeihilfe von 40 Euro. Wenn das kein schönes Weihnachtsgeschenk ist! Praktisch ist es auch, da es die Linksfraktion keinen einzigen Cent kostet. Über die Finanzierung dieser Forderung schweigt sich die Linksfraktion nämlich, wie sie es immer tut, aus. ({0}) Bezahlen müssten das Ganze Bund, Länder und Kommunen. Mit dem Titel Ihres Antrags erwecken Sie zudem den Eindruck, als gäbe es in Deutschland überhaupt keine Weihnachtsbeihilfe. Das ist falsch. Die Weihnachtsbeihilfe ist im Zuge der Sozialreformen in den Jahren 2004 und 2005 in einen erhöhten pauschalierten Regelsatz eingeflossen. ({1}) Es wurde also nichts gestrichen oder gekürzt. Erst im letzten Jahr haben wir sogar Erhöhungen bei der Weihnachtsbeihilfe vorgenommen. ({2}) Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, haben sich dabei verweigert. ({3}) Sie haben unserer Initiative nicht Ihre Zustimmung gegeben. ({4}) So sehen Ihr soziales Gewissen und Ihre soziale Verantwortung aus. ({5}) Was den zweiten Antrag der Linksfraktion angeht, sieht es nicht besser aus. Darin wird eine Erhöhung der Regelsätze auf pauschal 435 Euro gefordert - eine wirklich mitreißende Forderung. ({6}) Denn wer möchte denen, die am wenigsten haben, nicht mehr geben? ({7}) Wie diese Erhöhung finanziert und woher das dafür benötigte Geld genommen werden soll, darüber erfahren wir leider auch in diesem Antrag nichts. ({8}) Wir werden diese Forderung der Linksfraktion ablehnen, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens. Die Finanzierung ist völlig offen. Allein die Anhebung des Regelsatzes kostet mehr als 10 Milliarden Euro. Die Weihnachtsbeihilfe käme noch hinzu. Die Gegenfinanzierung bleibt offen. Zweitens. Die Aussagen der Linksfraktion sind widersprüchlich und unglaubwürdig. ({9}) Gerade erst haben wir im Bundestag über den Entwurf eines Gesetzes, in dem die Kosten der Unterkunft geregelt werden sollen, debattiert. In diesem Zusammenhang hat die Linksfraktion beklagt, dass die Kommunen mit Sozialleistungen übermäßig belastet würden. In ihren heutigen Anträgen sattelt sie noch ordentlich drauf und fordert für Bund, Länder und Kommunen Mehrbelastungen in Milliardenhöhe. ({10}) Was hier geschieht, das ist reiner Populismus. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, Sie fordern in Ihrem Antrag neben der Erhöhung der Regelsätze eine jährliche Anpassung der Grundsicherungsleistungen an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Hier sehen auch wir Handlungsbedarf. ({11}) Alle fünf Jahre ermittelt das Statistische Bundesamt im Rahmen einer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, wie die Situation im untersten Einkommensfünftel der Gesellschaft aussieht und wofür dieser Personenkreis Geld ausgibt. Dieses Verfahren hat sich grundsätzlich bewährt. Es gibt aber ein Problem: Der Abstand von fünf Jahren zwischen zwei Stichproben ist zu groß. Wir haben in den letzten Jahren erfahren, dass dadurch nicht schnell genug auf Verteuerungen der Lebenshaltungskosten reagiert werden kann. Zu Verteuerungen kam es zum Beispiel aufgrund der gestiegenen Gesundheits- und Energiekosten sowie im Zuge der Mehrwertsteuererhöhungen. Im Moment ist die jährliche Anpassung der Leistungen an die Entwicklung der Renten gekoppelt. Ein Ausgleich für steigende Verbrauchspreise ist dadurch jedoch nicht sichergestellt; denn leider gab es in den letzten Jahren auch bei den Renten Nullrunden. Hier brauchen wir eine Neuregelung, um das Existenzminimum zu sichern. Das Sozialministerium bereitet zurzeit an genau dieser Stelle Änderungen vor. Ein Vorschlag ist, den Zeitraum zwischen zwei Einkommens- und Verbrauchsstichproben von fünf Jahren auf drei Jahre zu reduzieren. ({12}) Dies wäre ein ganz deutlicher Fortschritt und würde den Handlungsdruck bei der jährlichen Anpassung entschärfen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Ihrem Antrag fordern Sie außerdem eine verstärkte Abdeckung der Kosten für Schulbedarf. Offensichtlich haben Ihnen die Vorschläge, die unser Parteivorsitzender Kurt Beck im Bundesrat gemacht hat, so gut gefallen, dass Sie diese gleich abgeschrieben haben. ({13}) Wie Sie sich vorstellen können, sind die Anregungen des Landes Rheinland-Pfalz bei uns und im Ministerium angekommen. Es ist völlig richtig, die Bildungschancen der Kinder gerechter zu gestalten. Ich habe aber Zweifel, dass sich dieses Ziel allein durch immer höhere individuelle Geldleistungen, wie Sie von der Linksfraktion sie fordern, erreichen lässt. Denn wie stellen Sie sicher, dass das Geld auch bei den Kindern ankommt und für Schulbedarf eingesetzt wird? ({14}) Neben Geldleistungen müssen wir vor allem die soziale Infrastruktur stärken. Im Hinblick auf die Kinder heißt das: Wir brauchen ein qualifiziertes Bildungs- und Betreuungsangebot einschließlich gemeinschaftlich organisiertem Essen, mehr und bessere Gesundheitsdienstleistungen, Freizeitmöglichkeiten, zum Beispiel an Schulen, in Jugendklubs und Sportvereinen. ({15}) Das Lebensumfeld der von Armut betroffenen Menschen muss verbessert werden. Das gilt nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen. Wir müssen verstärkt in Aus- und Weiterbildung investieren oder öffentlich geförderte Beschäftigung anbieten. Wenn die Linksfraktion jetzt mehr als 10 Milliarden Euro in höhere Regelsätze investieren will, dann fehlt genau an dieser Stelle das Geld. Die Menschen werden bei Ihnen finanziell abgespeist, anstatt über eine verbesserte soziale Infrastruktur aktive Hilfe zu bekommen. Falsch ist auch die übertriebene Fixierung auf den Bund. In Deutschland sind Länder und Kommunen für die Bildung zuständig. ({16}) Wir dürfen diese Ebenen nicht aus der Verantwortung entlassen. Auch sie müssen die notwendige Infrastruktur schaffen, um Chancenungerechtigkeit und Armut vor Ort zu verhindern. Der Bund unterstützt Länder und Kommunen schon heute durch eine verbesserte Finanzzuweisung, zum Beispiel durch das 4-Milliarden-EuroProgramm zum Ausbau von Ganztagsschulen oder durch das vor kurzem beschlossene Programm zum Ausbau von Krippen. Künftig müssen Bund, Länder und Kommunen noch stärker an einem Strang ziehen. Wir brauchen in Deutschland einheitliche Standards für mehr Bildungsgerechtigkeit und zur Verhinderung von Armut insbesondere bei den Kindern. Ein Bündnis gegen Kinderarmut ist überfällig. Die SPD hat deshalb die Einrichtung einer Kommission beschlossen. Diese soll ein Gesamtkonzept für ein Bündnis gegen Kinderarmut ausarbeiten. Auch Minister Müntefering hat Initiativen angekündigt. Ich bin sicher, dass der neue Minister, Scholz, diese Anregungen aufnehmen und die Landessozialminister ins Boot holen wird. Ich fasse zusammen: Wir brauchen ein Gesamtkonzept gegen Armut in Deutschland. Alle staatlichen Ebenen sind gefordert, alle politischen Ressorts müssen mitarbeiten. Zu diesem Konzept gehört sicherlich auch eine Überarbeitung des Modus für die Ermittlung des Regelsatzes. Die Anträge der Linksfraktion greifen hier aber zu kurz. Sie blenden zum Beispiel den Ausbau der sozialen Infrastruktur komplett aus. ({17}) Die Vorschläge sind auch finanzpolitisch unseriös: Die Linksfraktion verspricht wieder einmal die Verteilung von finanziellen Hilfen aus dem Füllhorn, ohne auch nur anzudeuten, woher das Geld kommen soll. ({18}) Deshalb lehnen wir die Anträge ab. Zu dem Antrag der Grünen bin ich jetzt leider nicht mehr gekommen; meine Redezeit ist abgelaufen. ({19}) Ich muss sagen, Herr Kurth, ich fand es nicht richtig, dass Sie Ihren Antrag zu einem so wichtigen Thema so kurzfristig vorgelegt haben. ({20}) Das finde ich nicht angemessen. Aber wir werden ja im Ausschuss noch Gelegenheit haben, ihn zu behandeln. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort erteile ich nun Kollegen Markus Kurth, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hiller-Ohm, ich kann Sie trösten: Wir werden sicherlich nicht den letzten Antrag zu den Regelsätzen vorgelegt haben. Uns wäre es allerdings lieber, wir müssten nicht immer wieder auf dieses Thema hinweisen. Um es vorweg zu sagen: Auch wir sind der Auffassung, dass Armut nicht alleine mit Geldleistungen dauerhaft bekämpft werden kann und dass es eine soziale Infrastruktur braucht. ({0}) Wir wollen den Regelsatz bedarfsgerecht angepasst sehen und ihn nicht gegen eine soziale Infrastruktur ausspielen. Herr Straubinger, nachdem Sie so viel von eigenverantwortlichem Umgang mit dem Budget gesprochen haben - es ist ja im Prinzip richtig, das zu pauschalieren -, sollte man sich ein paar Fakten zu der Höhe des Budgets und zu der Entwicklung in den vergangenen Jahren ansehen. Fakt Nummer 1. Das Statistische Bundesamt hat heute, am 15. November 2007, mitgeteilt, dass der Verbraucherpreisindex in Deutschland von Oktober 2006 bis Oktober 2007 um 2,4 Prozent gestiegen ist. ({1}) Das geht insbesondere auf den Anstieg der Nahrungsmittelpreise und der Preise für alkoholfreie Getränke zurück, der 4,6 Prozent beträgt. Fakt Nummer 2. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung hat schon vor einiger Zeit eine umfangreiche Studie vorgelegt, wonach es unmöglich ist, mit den geltenden Anteilen des Regelsatzes, die für Ernährung vorgesehen sind, Kinder zu ernähren. Selbst wer nur beim Discounter kauft - ich zitiere -, muss im Schnitt 4,68 Euro täglich bezahlen, um den Appetit eines Teenagers mit einer ausgewogenen Kost zu stillen. Fakt Nummer 3. Es kann auch nicht verwundern - ich zitiere jetzt aus dem Siebten Familienbericht der Bundesregierung, also aus einem Dokument, das Sie selbst 2006 vorgelegt haben -, dass Sie in Ihrer eigenen Berichterstattung zu dem Schluss kommen: Allerdings gibt zu denken, dass auch ausgebildete Oekotrophologinnen und Oekotrophologen nicht im Stande waren, die Familienhaushalte mit dem verfügbaren Sozialhilfebudget länger als bis zum 24. Tag eines laufenden Monats … zu beköstigen. Da muss man doch stutzig werden. ({2}) Die Erkenntnisse liegen also auf der Hand. Am 2. November 2007 sagte der jetzt zurückgetretene Bundesminister Müntefering in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung: „Wir sammeln Erkenntnisse zu den Preisentwicklungen“. Ich weiß nicht, wieso man noch Erkenntnisse sammeln muss, wenn die Fakten, die ich gerade genannt habe, so klar auf dem Tisch liegen. ({3}) Nun gut, das Ministerium sammelt also erst einmal. Ein vorläufiges Resultat ist ein interner Bericht, der offensichtlich für den Koalitionsausschuss angefertigt worden ist. Auch in diesem internen Bericht kommt man zu dem Schluss, dass der Regelsatz alleine dann, wenn man die Inflationsanpassung vornehmen würde, bei 367 Euro bzw., wenn man das gewichtet, bei 359 Euro liegen müsste. ({4}) Ist die Konsequenz wenigstens die, dass Sie die Erhöhung des Regelsatzes zumindest um die Inflationsrate planen? Nein. Sie schreiben: Die weitere Verwendung des Rentenanpassungswertes für die Fortschreibung des Eckregelsatzes ist sachgerecht. Wie kann man angesichts der eigenen Zahlen, die man hier festgestellt hat, nur zu dieser Konsequenz kommen? Wie kann man dann sagen - das treibt ja jedem Sozialrechtler die Tränen in die Augen -, dass man die Anpassung an den Rentenwert weiter vornehmen will, weil man sonst ungerechtfertigte Vorteile für Sozialhilfebeziehende bzw. Beziehende von ALG II gegenüber den Rentnern schaffen würde? Das kann doch wohl nicht wahr sein. Die Rente ist ein politisch definierter Wert. Sie wurde mit Dämpfungsfaktoren versehen, und die Rente ist in vielen Fällen auch nicht das einzige Einkommen. Wenn die Rente so niedrig ist, dass man auf Grundsicherungsleistungen angewiesen ist, dann profitiert man schließlich auch von einem höheren Regelsatz. Sie sollten also wenigstens sozialrechtlich konsistent argumentieren und die Fakten nicht ignorieren. Das Mindeste wäre es, die Regelsätze um das Niveau der Inflation, die es in den letzten Jahren gab, anzuheben. Nehmen Sie sich das bitte zu Herzen, sonst bekommen Sie noch viele Anträge von uns. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Da ich das vorhin übersehen habe, erteile ich jetzt der Kollegin Katja Kipping das Wort für eine Kurzintervention auf die Rede von Kollegin Hiller-Ohm.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Hiller-Ohm, Sie haben zu Recht die Finanzierung angesprochen. Ich möchte gerne noch einmal auf zwei Fakten verweisen. Erstens. Ihnen ist doch auch bekannt, dass wir im Zuge der Haushaltsberatungen entsprechende Einsparungsvorschläge unterbreitet haben, zum Beispiel den Verzicht auf die Unternehmensteuerreform, welche die öffentliche Kasse viel Geld kostet, oder Einsparungen im Militärhaushalt. ({0}) Ihnen müssen unsere Vorschläge nicht gefallen, und Sie können sagen, dass unsere Einsparungsvorschläge nicht Ihre politische Zustimmung finden, aber zu behaupten, wir würden nicht sagen, wie man das finanzieren kann, ist eine Verdrehung der Tatsachen. ({1}) Zweitens - auch zur Einsparung. Wenn es einen Mindestlohn gäbe, dann könnten wir jede Menge Kosten einsparen. Bisher zahlen wir jedes Jahr 8 Milliarden Euro an die sogenannten Aufstocker. Das sind Menschen, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind, obwohl sie arbeiten gehen. Wenn ordentliche Löhne gezahlt würden, dann könnten wir in diesem Bereich sehr viel einsparen. Frau Hiller-Ohm, abschließend möchte ich Ihnen folgendes Zitat aus der Rede Ihres Spitzenkandidaten in Hamburg, die auf dem SPD-Parteitag viel Beifall gefunden hat, nicht vorenthalten, weil Sie uns in Ihrer Rede angegriffen und gesagt haben, wir machten uns zu sehr für Verteilungsgerechtigkeit stark: Wer Verteilungsgerechtigkeit als altsozialistische Ideologie denunziert, verabschiedet sich in Wirklichkeit aus der politischen und ökonomischen Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik und gefährdet den sozialen Frieden in unserer Zukunft … ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, in den Punkten 2 und 3 stimme ich Ihnen zu. Auch wir kämpfen für Mindestlöhne, wie Sie wissen. Wir sehen die Problematik. ({0}) Dass es zunehmend mehr Aufstocker gibt, ist uns bekannt. Darüber brauchen Sie uns nicht zu belehren. ({1}) Zu Punkt 1: Finanzierung Ihrer Wohltaten. Sicherlich haben Sie Vorschläge vorgelegt, aber nicht immer zu den konkreten Anträgen. Wenn man die Forderungen aus Ihren Anträgen zusammennimmt und Ihre Vorschläge zur Gegenfinanzierung sieht, dann stellt man fest, dass man unter dem Strich nicht zu einer Null kommt. Ihre Rechnung geht nicht auf. Sie können sich nicht bei jedem Antrag, bei dem Sie nichts zur Gegenfinanzierung sagen, auf die Unternehmensteuerreform beziehen. Sie können das Geld nur einmal ausgeben. Sie geben es aber immer wieder aus. Ich finde es unseriös, dass Sie nicht konkret sagen, wie Sie es machen wollen. Sie bleiben das immer schuldig und verweisen nur auf die Unternehmensteuerreform. Dem werden wir uns nicht anschließen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/7040, 16/7041 und 16/7113 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels - Drucksache 16/5847 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) - Drucksache 16/7156 Berichterstattung: Abgeordneter Reinhard Schultz ({1}) Es liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Albert Rupprecht, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Position ist durch die Ereignisse und auch durch die Debatten in den letzten Wochen in der Sache bestätigt worden. Es gibt kurzfristig keine Alternative zur Verschärfung der Missbrauchsaufsicht. Wer unseren Gesetzentwurf heute ablehnt, akzeptiert, dass den Verbrauchern jährlich bis zu 9,5 Milliarden Euro aus den Taschen gezogen werden, zum Leidwesen der Privathaushalte und der stromintensiven Industrien. Es besteht die reale Gefahr, dass Produktionslinien und Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Wir haben vor einigen Wochen zu Recht moniert, dass Eon die Strompreise um 10 Prozent erhöht, und zwar ohne vernünftige ökonomische Begründung. Wir hören gestern, dass die Gewinne von Eon im Jahr 2007 bisher um 22 Prozent gestiegen sind. Ein erheblicher Teil dieser Gewinne stammt aus der Quasimonopolstellung. Das ist Hohn gegenüber den Verbrauchern in unserem Lande. Das Bundeskartellamt muss solche Fälle schlagkräftig untersuchen und erfolgreich gegen Monopolgewinne vorgehen können. Dazu müssen wir heute die Verschärfung der Missbrauchsaufsicht beschließen. Künftig wird die Beweislast umgekehrt. Die Energieversorger müssen ihre Preiserhöhungen begründen. Wenn sie das nicht können, wird das Bundeskartellamt eine sofortige Preissenkung anordnen. Die Grünen und die FDP haben angekündigt, gegen unseren Gesetzentwurf zu stimmen. Frau Andreae, Sie sagen, die Grünen stimmten nicht zu, weil sonst der Druck aus dem Kessel genommen werde, um die eigentumsrechtliche Entflechtung durchzusetzen. ({0}) Frau Andreae, Sie fügen den Verbrauchern bewusst Schaden zu, statt sie kurzfristig zu entlasten. Sie tun das, um politische Maßnahmen zu erzwingen, die, wenn überhaupt, frühestens in zehn Jahren wirken werden. Ich glaube kaum, dass Sie das den Bürgern im Land erklären können. In der Diskussion gab es in der Tat auch kritische Punkte. Eine Sorge war, dass die Gesetzesnovelle das Auftreten neuer Anbieter verhindert und dass Investitionen in neue Kraftwerke reduziert werden. Das kann aber aus logischen Gründen nicht der Fall sein: Wer im Jahr 2008 entscheidet, zu investieren, wird frühestens 2012 ans Netz gehen; Ende 2012 gilt aber der § 29 ({1}) GWB nicht mehr, weil wir ihn zeitlich befristet haben. Wir gehen nämlich davon aus, dass wir bis 2012 einen funktionierenden Wettbewerb im Energiebereich geschaffen haben werden; dann ist die verschärfte Form der Missbrauchsaufsicht nicht mehr notwendig. Natürlich kann ein Versorger, der investiert, einen höheren Preis ansetzen. Wenn er die Investitionen gegenüber dem Kartellamt erklärt, ist das kein Problem. Es gibt hier keine Preisdeckelung. Es gibt auch keine schädliche flächendeckende staatliche Preiskontrolle. Wir beschließen heute die einzelfallbezogene, nachträgliche, aber scharfe Prüfung, ob überhöhte Monopolpreise verlangt werden. Wir beschließen heute, dass überhöhte Preise sofort gesenkt werden müssen. Wir haben zudem die Kritik, soweit sie überzeugend und berechtigt war, in den Gesetzentwurf eingearbeitet. Insbesondere Professor Weizsäcker hat darauf hingewiesen, dass die Preise nicht unter die Grenzkosten gedrückt werden dürfen, weil sonst die Produktion einer zusätzlichen Kilowattstunde mehr kostet, als sie einbringt. Das Ergebnis wäre in der Tat, dass die Produktion heruntergefahren würde. Das wollen wir aber nicht. Deswegen haben wir in die Gesetzesbegründung den Hinweis aufgenommen, dass sich das Kartellamt bei der Anwendung insbesondere an den Grenzkosten orientieren muss. Eine große Sorge der Energieversorger war, dass es zu einer Prozessflut kommen könnte, wenn das Gesetz nicht Albert Rupprecht ({2}) nur für die Kartellbehörden gilt, sondern auch zivilrechtlichen Auseinandersetzungen als Grundlage dient. Das war und ist nicht unsere Intention. Wir wollen keine Prozessflut bei den Zivilgerichten, sondern wir wollen ein scharfes Schwert für die Kartellbehörden. Deswegen haben wir beschlossen, die Novelle ausschließlich auf kartellrechtliche Verfahren zu begrenzen. Die Verschärfung der Missbrauchsaufsicht ist eine, wie es der Präsident des Bundeskartellamtes, Dr. Heitzer, ausgedrückt hat, notwendige Operation. Sie beseitigt nicht die Ursachen der Krankheit, aber sie lindert die Schmerzen erheblich. Die Ursachen für den fehlenden Wettbewerb bekämpfen wir mittelfristig mit einem ganzen Maßnahmenbündel. Dazu hat Minister Glos in den vergangenen Monaten ein Paket für die Bereiche Anreizregulierung, Kraftwerksanschlussverordnung, Europäisierung des Wettbewerbs usw. auf den Weg gebracht. Dieses Paket wirkt aber erst Schritt für Schritt in den nächsten Jahren. Die Verbraucher erwarten in den Jahren 2008 und 2009 allerdings zu Recht eine Linderung der Schmerzen. Das erreichen wir mit der Verschärfung der Missbrauchsaufsicht, die wir heute hier beschließen werden. Neben dem Energiebereich gibt es in der Novelle einen weiteren Schwerpunkt: den § 20 GWB, Diskriminierungsverbot für marktbeherrschende Unternehmen. Unser Leitbild ist ein fairer Wettbewerb. Unsere Vorstellung ist auch hier, dass der Leistungsträger faire Bedingungen vorfindet und Leistung belohnt wird, sodass der Mächtige nicht der Gewinner ist. Es hat nichts mit fairem Wettbewerb zu tun, wenn große Discounter mit Lockvogelangeboten, wie billiger Butter, die Kunden anlocken und dann das Defizit auf andere Produkte umlegen. Davon hat der Verbraucher nichts, weil er das eine Produkt zwar billiger bekommt, aber das andere überteuert ist. Diese Masche ist auch gegenüber dem mittelständischen Einzelhandel um die Ecke nicht fair. Der Mittelstand kann mit der Marktmacht der großen Anbieter nicht mithalten und verliert Kunden, und zwar nicht, weil er schlechte Leistung liefert, sondern weil er dieser Marktmacht, dieser Werbemacht nichts entgegenzusetzen hat. Hinzu kommt die unfaire Praxis, die Preise der Landwirte zu drücken. Deshalb verbieten wir im Nahrungsmittelbereich künftig den Verkauf unter Einstandspreis, es sei denn, es gibt eine sachliche Rechtfertigung wie Verderb der Ware oder Saisonartikel im Schlussverkauf. Das schafft faire Bedingungen für die Landwirtschaft und den Mittelstand im Einzelhandel. Es hat auch nichts mit fairem Wettbewerb zu tun, wenn die mächtigen Discounter ihren Lieferanten ungünstige Konditionen diktieren. Darunter leiden namhafte kleine und große Markenartikler ganz enorm. Deshalb ändern wir den § 20 Abs. 3. In Zukunft wird es marktmächtigen Discountern und Ketten untersagt, von ihren Lieferanten ungünstige Bedingungen zu erzwingen, unabhängig davon, ob diese Lieferanten kleine oder große Unternehmen sind. Die großen Mineralölkonzerne haben eine mächtige Doppelrolle. Auf der einen Seite beliefern sie die freien Tankstellen, auf der anderen Seite sind sie aber mit ihren eigenen Tankstellen auch Konkurrenten für die freien Tankstellen. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit fairem Wettbewerb zu tun, dass die großen Mineralölkonzerne, wie in der Vergangenheit mehrfach geschehen, an den eigenen Tankstellen den Sprit billiger verkaufen, als sie ihn an die freien mittelständischen Tankstellen liefern. Das ruiniert die freien Tankstellen. Deshalb ändern wir den § 20 Abs. 4 dahin gehend, dass diese Preis-/Kosten-Schere zukünftig nicht mehr zulässig ist. Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir verbessern mit den Änderungen des § 20 die Rahmenbedingungen hin zu einem fairen Wettbewerb. Im Energiebereich schaffen wir heute die Voraussetzungen dafür, dass das Bundeskartellamt ab dem 1. Januar 2008 scharf gegen überhöhte Preise im Strombereich zum Wohle der Verbraucher vorgehen kann. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Martin Zeil, FDP-Fraktion. ({0})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz sicher ist es eine besonders wichtige Aufgabe in der Marktwirtschaft, das Kartellrecht zu stärken, auch innerhalb des Kartellrechts die Missbrauchsaufsicht zu stärken und so für mehr Wettbewerb zu sorgen. Aber hier wird Sonderkartellrecht für einen bestimmten Sektor geschaffen. Das ist ein Rückfall gegenüber dem, was man bei der ersten Reform des Wettbewerbsrechts gemacht hat. Man macht das Schwert auch noch stumpf, indem man das Ganze zeitlich befristet, um hier einen gewissen Aktionismus zu zeigen. Es zeigt sich aber in der aktuellen Diskussion zu anderen Themen, wie zum Beispiel zu möglichen Preisabsprachen, dass das bestehende Instrumentarium, gerade auch im Zuge des Amtsermittlungsgrundsatzes des Bundeskartellamtes, durchaus greift. Wir sehen diese Novelle, die Sie hier vorschlagen, nicht so, wie Sie das hier dargestellt haben, als sei mit ein bisschen Preiskontrolle mehr Wettbewerb zu schaffen. Im Grunde verkaufen Sie den Leuten ein Placebo, und die wirklichen Themen, mit denen man mehr Wettbewerb schaffen könnte, gerade im Energiebereich, lassen Sie aus. ({0}) Wir hatten eine sehr ausführliche Anhörung, die für klare Stellungnahmen gesorgt hat. Nahezu alle Sachverständigen haben sich der Auffassung der Monopolkommission angeschlossen. Ich zitiere: Das vorgelegte Gesetz ist mindestens verfehlt, wenn nicht gar kontraproduktiv. ({1}) Anstatt die Ursachen des fehlenden Wettbewerbs zu adressieren, sollen die Symptome bekämpft werden, was nicht gelingen wird. - So weit die Experten. ({2}) Das Interessante ist, die Sachverständigen haben auch gesagt: Dadurch, dass Sie die Preiskontrolle in dieser Form ausgestalten, schaffen Sie auf der Erzeugerseite letztlich eine Barriere für den Markteintritt zusätzlicher Bewerber. Sie haben außerdem gesagt, dass der gewählte Kostenbegriff erhebliche Rechtsunsicherheiten schafft. Wir begrüßen, dass Sie in letzter Minute auf einige unserer Vorstellungen eingegangen sind, was die Beweislastumkehr und den Sofortvollzug angeht. Wir hätten uns darüber hinaus durchaus noch ein bisschen mehr Bewegung beim Erheblichkeitszuschlag gewünscht. Auch das von Herrn Kollegen Rupprecht angesprochene Thema Behinderungsverbot bei der Kosten-Preis-Schere begrüßen wir. Aber Sie sollten insgesamt aufhören, sich nur mit den Symptomen zu befassen, und stattdessen die ökonomischen Ursachen für den fehlenden Wettbewerb anpacken. Ich habe vor wenigen Tagen einen sehr guten Vorschlag des hessischen Ministers für Wirtschaft, Herrn Rhiel, zur Änderung des GWB vorgefunden. Der Vorschlag zur Entflechtungsnorm kommt dem sehr nahe, was wir vorgeschlagen haben. Über Details muss man noch reden. Er will das auf der Kraftwerksebene, während wir das gerne auf der Unternehmensebene hätten. Mit diesem Vorschlag sollten Sie sich einmal auseinandersetzen. Herr Rhiel legt in seiner Erklärung den Finger in die Wunde. Er sagt, auch der Staat habe durch höhere Abgaben und Steuern erheblich zum Anstieg der Strompreise beigetragen. ({3}) Die Politik soll vor der eigenen Haustür kehren. Er übernimmt unseren Vorschlag. Da sollten Sie mitmachen. Die Stromsteuer sollte mindestens halbiert werden. Dadurch spart ein Durchschnittshaushalt erhebliche Mittel. ({4}) Sie sollten auf die Vorschläge aus den eigenen Reihen hören. Ich sage das zur Union, weil Sie bei den entscheidenden Dingen herumeiern und keine klare Position haben. ({5}) Noch ein Wort zum Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen. Die Experten in der Anhörungsrunde haben sehr deutlich gemacht, dass ein solches Verbot zu steigenden und nicht zu sinkenden Endverbraucherpreisen führen wird. Damit zahlt wieder einmal der Verbraucher die Zeche für einen solchen Aktionismus. Ich darf Ihnen zum Abschluss den schönen Appell eines Sachverständigen wiedergeben. So hat Herr Professor Möschel Ihnen zugerufen: Wenn wir unter Indianern wären, dann würde ich jetzt sagen: „Steig ab, bevor das Pferd tot ist!“ ({6}) Diesem Urteil zu Ihrem Gesetzentwurf möchte ich mich ausdrücklich anschließen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Schultz, SPDFraktion. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die GWB-Novelle, die Reform des Kartellrechts war ein langwieriger Prozess. Das lag nicht zuletzt daran, dass es auch innerhalb der Koalition sehr sorgfältige Beratungen und sehr unterschiedliche Ausgangspositionen gegeben hat, ({0}) die sich aufeinander zubewegen mussten. Letztendlich sind wir zu ordentlichen Ergebnissen gekommen. Herr Zeil, ich bin ausdrücklich nicht der Auffassung, dass die Stellungnahme von Verbänden, insbesondere von solchen des Einzelhandels, die im Wesentlichen durch große Handelsgruppen majorisiert werden - Metro allein dominiert im Grunde genommen die Stellungnahme eines der Verbände -, aussagekräftig dafür sind, ({1}) was im ortsansässigen Lebensmittelhandel tatsächlich los ist. ({2}) Gerade Sie als Liberaler werden mir zustimmen, dass dann, wenn man Preisdumping zulässt - egal ob bei Lebensmitteln, Markenartikeln, Benzin oder Diesel -, am Ende eine noch stärkere Vermachtung des Marktes stehen wird und wir am Ende hohe Preise haben werden; denn das ist das Ziel. Jeder Kiosk strebt zum Monopol - das ist ein ökonomisches Prinzip - mit dem Ziel, die Preise selbst ohne Wettbewerb festsetzen zu können. Die großen Handelsketten machen Dumpingangebote, um die Konsumenten von dem ortsansässigen kleinteiligen Einzelhandel wegzulocken. Das Ergebnis können wir schon besichtigen: In vielen Ortsteilen gibt es keine ortsnahe Versorgung mit Lebensmitteln mehr. Wir haben einen erheblichen Druck auf die Anbieter von Markenartikeln im Fachhandel, weil die großen Gruppen selbst Fachartikel billiger anbieten, ob das Lederwaren, Elektronikartikel oder sonstige Artikel sind. Sie bieten teilweise unter Einstandspreis an, um dem ortsansässigen Fachhandel das Wasser abzugraben. Das ist die Situation. Natürlich kann man sagen, dass das für den Konsumenten kurzfristig gut ist; nach dem Reinhard Schultz ({3}) Motto: Geiz ist geil. Der Kunde geht in den Media Markt; dafür geht sein Elektronikhändler in Oberammergau pleite. Am Ende wird die Preispolitik der großen Gruppen dann aber auch anders aussehen. Ziel ist es nämlich, die Preise selbst bestimmen zu können. Insofern finde ich es gut, dass wir uns dazu durchgerungen haben, nicht nur im Bereich der Lebensmittel Untereinstandspreise grundsätzlich zu untersagen, sondern auch bei allen anderen Waren und Dienstleistungen, es sei denn, sie sind sachlich gerechtfertigt, zum Beispiel weil es sich um Vorjahresartikel handelt. Genau das Gleiche gilt für die aktuelle Diskussion über die Spritpreise. Die Preise sind gegenwärtig extrem hoch, allerdings gibt es Preisschwankungen mit einer Bandbreite von bis zu 30 Cent pro Liter. Das können Sie feststellen, wenn Sie durch Berlin fahren. Jeder Autofahrer hat die Chance, günstiger zu tanken. Er muss sich nur Zeit nehmen, was sich bei 30 Cent pro Liter durchaus lohnt. Er muss nicht zum Signalpreis tanken. Woran liegt das? Der Wettbewerb findet nicht in erster Linie zwischen den großen Mineralölkonzernen und ihren Vertragstankstellen statt. Die kleinen Vertragstankstellen und die freien Tankstellen stehen vielmehr im Wettbewerb mit den großen Vertragstankstellen und den dahinterstehenden Konzernen. Deswegen bieten die Mineralölkonzerne über ihre eigenen Vertragstankstellen den Endverbrauchern den Sprit häufig günstiger an als dem Zwischenhändler „freie Tankstelle“. Ziel ist natürlich, den freien Wettbewerb auszutrocknen. Ich finde es gut, dass die Große Koalition die Kraft und den Mut gefunden hat, dagegen anzugehen. Ich habe das jahrelang gefordert, aber das Kartellamt war grundsätzlich dagegen. Die jetzige Situation macht besonders deutlich, dass wir mehr und nicht weniger Wettbewerb brauchen. ({4}) Beim Thema Energiemärkte sind wir, wie ich finde, vernünftigerweise aufeinander zugerobbt. Es geht nicht um eine generelle Preisregulierung. Das wäre ein Rückfall in die Zeit vor 1998. Es geht um eine spezifische Missbrauchsaufsicht, damit man in den Situationen einschreiten kann, in denen ein übermächtiges, großes Unternehmen seine Marktmacht missbraucht, um auf die eine oder andere Weise Preise zu diktieren, die extrem viel höher sind als auf dem Vergleichsmarkt. Das wird die Ausnahme sein. Damit wird nicht alles eingefangen werden können. Das ist auch kein Ersatz für einen stärkeren Wettbewerb, den wir durch Anreizregulierung, Kraftwerksanschlussverordnung und viele andere Mechanismen im europäischen Strom- und Gasmarkt erreichen wollen. Für den Extremfall des Preisdiktates ist jetzt aber eine schärfere Waffe gefunden worden. Das halte ich für gerechtfertigt. Davor braucht kein neuer Anbieter Angst zu haben. Die Ausgangslage ist anders im Referentenentwurf. Wir haben eine maßvolle Zuspitzung der Instrumente des Kartellamtes gefunden. Das hilft, den extremen Missbrauch abzustellen. Wir dürfen aber deshalb nicht darauf verzichten, eine größere Marktbreite und Marktliquidität im Strom- und Gasbereich zu fordern bzw. anzuschieben. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Auch wir begrüßen die Untersagung von Verkäufen unter Einstandspreis. Das ist ein Grund, warum wir dieser Gesetzesvorlage zustimmen. Eine solche Verschärfung ist tatsächlich im Interesse der letzten verbliebenen kleinen Tante-Emma-Läden und des Fachhandels. Sie ist richtig, weil Preisdumping die Versorgung auf dem Land schon erheblich gefährdet hat. Kollege Zeil, ich glaube, auch Ihnen ist bekannt, dass gerade die Discountunternehmen die Verbraucherinnen und Verbraucher oft mit Lockangeboten in die Läden locken. Hinterher zahlen die aber drauf. Insofern ist es eine Schutzmaßnahme für die Verbraucherinnen und Verbraucher, diese Lockvogelangebote unter Einstandspreis zu untersagen. ({0}) Allerdings wären weitere Schritte notwendig, zum Beispiel eine Stärkung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher, ein Verbandsklagerecht der Verbraucherverbände sowie schärfere Qualitätskontrollen. Wir unterstützen auch die Missbrauchskontrolle der Energiepreise. Jedes Instrument gegen den Marktmissbrauch durch die großen Vier ist besser, als überhaupt nichts zu tun. Deren Oligopolstellung, Kollege Zeil, ist eine Sondersituation, die allerdings auch Sondermaßnahmen hervorrufen muss. Für völlig absurd halten wir das Gegenargument, die Missbrauchskontrolle verhindere Wettbewerb, weil der Markt für neue Anbieter geschlossen würde. Ein Recht auf überhöhte Preise hat ein Investor tatsächlich nicht. Aber, Kollege Rupprecht, dieser Schritt ist kein Grund, sich zur Ruhe zu setzen. Es kann nur ein weiterer Schritt von Maßnahmen sein, nicht aber der Endpunkt, wie Sie es wollen. ({1}) - Doch, Sie sagen sehr deutlich: Wir wollen bis 2012 abwarten, was aus diesen Maßnahmen folgt, und erst dann wollen wir weiter überlegen. Es gibt kein Recht auf Monopolpreise, aber ein Recht auf Zugang zu Strom. Strom gehört zu den Gütern der Daseinsvorsorge. Wer keinen Strom hat, kann nicht produzieren oder sitzt im Dunkeln. Im Dunkeln wird es dazu noch kalt. Der Mieterbund schätzt, dass die durchschnittlichen Heizkosten für eine 70-QuadratmeterWohnung infolge der gestiegenen Energiekosten um 150 Euro steigen werden. Die Decke wird also noch vielen die Heizung ersetzen. ({2}) Angesichts dieser Situation ist es tatsächlich notwendig, Menschen und Betrieben den Zugang zu Strom zu sichern. Deshalb fordern wir nach wie vor die Rückkehr zur staatlichen Preiskontrolle und Sozialtarife und nicht nur die Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt. ({3}) Das wäre auch kurzfristig die bessere Lösung, Kollege Rupprecht. Dies hat nichts mit der uns in diesem Zusammenhang immer wieder vorgeworfenen Staatsgläubigkeit zu tun, sondern das ist das Abc des Sozialstaats. Aber in dieser Frage gehören Sie alle zurück auf die Grundschulbank. ({4}) Die Missbrauchsaufsicht ersetzt erst recht keine strukturellen Maßnahmen, Kollege Rupprecht. Die Monopolstellung selber ist das Problem, nicht nur in der Folge die Monopolpreise. Aber an den Monopolpreisen trifft es die Menschen. Eine Familie zahlt pro Jahr 400 Euro alleine an Monopolaufschlag. 13 Prozent des Preises gehen auf die Monopolstellung zurück. Auch das berichtete einer der Sachverständigen. Deshalb ist es dringend notwendig, ergänzend tatsächlich Entflechtungsmaßnahmen zuzustimmen, wie sie die europäische Wettbewerbskommission vorgeschlagen hat. Diese lehnen Sie jedoch nach wie vor ab. Anfang Dezember soll darüber im Europäischen Rat beraten werden. Für eine Entscheidung reicht die qualifizierte Mehrheit der Länder. Es gibt eine Menge Länder, die dafür sind oder die solche Maßnahmen bereits realisiert haben. Mit Ihrer Politik im Interesse der vier großen Energiekonzerne zerstören Sie auch den europäischen Zusammenhalt in dieser Frage. Deshalb fordern wir Sie noch einmal auf, der Trennung von Netz und Stromerzeugung zuzustimmen, wie sie die Europäische Kommission vorgeschlagen hat. Damit die Netze dann nicht in die Hände von Heuschrecken geraten, müssen sie dringend in die öffentliche Hand überführt werden. Danke. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Rupprecht, Sie haben gesagt, wenn die Grünen - das haben wir angekündigt, und wir werden auch so handeln - dieser Novelle nicht zustimmten, hieße das, dass wir den Verbrauchern 9,5 Milliarden Euro aus der Tasche ziehen. ({0}) Ich finde es extrem mutig, dass Sie sich hier hinstellen und behaupten, Sie könnten mit dieser GWB-Novelle die Strompreise so senken, dass die Verbraucher zukünftig um 9,5 Milliarden Euro entlastet werden. Darüber reden wir in einem Jahr noch einmal, und dann nagele ich Sie auf diese Zahl fest. ({1}) Sie haben mich dann zitiert. Ich bleibe bei diesem Zitat: Mit dieser GWB-Novelle nehmen Sie den Druck für mehr Wettbewerb aus den Energiemärkten heraus. Sie sagen: zunächst bis 2012, und dann schauen wir einmal, wie das alles greift. - Ich gebe zu, dass in einzelnen Bereichen der GWB-Novelle interessante Aspekte enthalten sind, nur ist es meines Erachtens sehr fraglich, ob sie greifen. ({2}) Mit der Preiskontrolle, mit der Preisdeckelung haben Sie nach wie vor ein Problem: Sie ermöglichen nicht, dass effizientere Anbieter, neue Anbieter auf den Markt kommen. Sie schotten den Markt ab und wirken damit kontraproduktiv im Hinblick auf mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten. ({3}) Wir sind uns einig, dass wir uns im Hinblick auf die vermachteten Marktstrukturen, die nicht erst seit heute bestehen, sondern die wir schon seit längerem beobachten können, etwas einfallen lassen müssen. Instrumente, Vorschläge und Debattenpunkte liegen auf dem Tisch. Das müssen wir jetzt angehen. Aber wo ist Ihre Diskussion über die Frage der Entflechtung? ({4}) Wo ist denn Ihre Diskussion darüber, das Problem der vermachteten Marktstrukturen anzugehen? ({5}) Wo ist denn Ihre Diskussion über den Vorschlag des hessischen Wirtschaftsministers Rhiel, der uns gezeigt hat, was wir tun könnten, um die Monopolstrukturen aufzulösen? Sie führen diese Diskussionen nicht! Sie schmieden mit der GWB-Novelle ein stumpfes Schwert, behaupten, damit könnten Sie kurzfristig die Preise senken - ich glaube, Sie schaffen es damit nicht -, wirken aber nicht darauf hin, dass wir mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten bekommen, und das ist falsch. Ihr Handeln an dieser Stelle ist nicht langfristig ausgerichtet. Ihr Handeln an dieser Stelle geht nicht an die Ursache heran. Die Ursache ist, dass es zu wenig Wettbewerber auf dem Energiemarkt gibt. ({6}) Wettbewerb braucht Wettbewerber. Das ist eine alte Regel. Dafür müssen Sie etwas tun. Das heißt, Sie müssen sich mit allen erdenklichen Instrumenten auseinandersetzen, die geeignet sein könnten, mehr Wettbewerb herzustellen. Dann werden Sie auch niedrigere Preise bekommen. Niedrigere Preise erreichen Sie, wenn es einen Wettbewerb gibt und wenn es Anbieter gibt, die niedrigere Preise anbieten können. Wenn Sie wirklich Preisbildung auf den Märkten haben, dann sind Sie auf dem richtigen Weg, aber nicht mit dieser GWB-Novelle. ({7}) Ich will einen Punkt wirklich noch einmal deutlich machen. Sie sagen, mit der Preisdeckelung könnten am Ende niedrigere Strompreise erreicht werden. Bei der Anhörung ist aber dargelegt worden, dass Sie mit der Preisdeckelung neuen Anbietern den Zutritt zum Markt erschweren, wenn nicht sogar verwehren. Das bedeutet, dass es effizientere Anbieter schwer haben werden. Das ist das Problem, mit dem Sie sich auseinandersetzen müssen. Wir sagen: Diese GWB-Novelle ist ein stumpfes Schwert. Wir sagen: Setzen Sie sich mit den Vorschlägen auseinander, die für mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt sorgen! Wir sagen: Das zögerliche Handeln, das Sie an den Tag legen, wird sich negativ auswirken. Wettbewerb braucht Wettbewerber. Tun Sie etwas dafür! Dann gehen Sie einen deutlich besseren Weg. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Rolf Hempelmann, SPDFraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir stehen nach einem Jahr Diskussion - so kann man, glaube ich, sagen - nun vor der Verabschiedung für eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. In verschiedenen Redebeiträgen ist deutlich geworden, dass dies das einzige Instrument ist - das hat sich auch bei der Anhörung herausgeschält -, das jedenfalls kurzfristig wettbewerbliche Wirkungen entfalten kann. Ich sage ausdrücklich, dass ich manches von der Kritik, die angebracht worden ist, nachvollziehen kann. Auch die Anhörung hat ergeben, dass in der Anwendung eines solchen Instruments immer auch Risiken stecken; völlig klar. Wir versuchen, unsere marktentwickelnden und wettbewerbsentwickelnden Politiken, die aber nur mittel- und langfristig wirken können, jetzt sozusagen durch ein Mittel zu ergänzen, das eigentlich nicht unmittelbar in ein solches Marktinstrumentarium hineinpasst; das sei zugestanden. Deswegen haben wir uns sehr viel Mühe gegeben und lange miteinander darüber diskutiert, wie die Ausgestaltung im Einzelnen sein muss. Herr Schultz hat es eben auch angesprochen. Ich denke, wir sind zu einem ausgewogenen Ergebnis gekommen. Ich will ausdrücklich der These widersprechen, dass wir diese Novelle beschließen, um weitergehende wettbewerbliche Politiken zu vermeiden. Dem ist nicht so. Wir haben seit Jahren auf diesem Gebiet eine ganze Menge getan. Beispielsweise haben wir vor zwei Jahren das Energiewirtschaftsgesetz novelliert. Daran waren alle vier Fraktionen des Deutschen Bundestages - die Fraktion Die Linke war damals nicht im Deutschen Bundestag vertreten ({0}) beteiligt: zum einen die rot-grüne Mehrheit im Deutschen Bundestag und zum anderen die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat. Wir haben damals eine operationelle und rechtliche Entflechtung auf der Basis einer europäischen Richtlinie beschlossen. Die Bundesnetzagentur selbst spricht davon, dies sei ausreichend, damit könne man einen diskriminierungsfreien Netzzugang durchsetzen und es bedürfe keiner eigentumsrechtlichen Entflechtung, in der - auch das sollte man letztlich nicht verschweigen - eine ganze Menge Risiken stecken würden. Entsprechende Maßnahmen können überhaupt erst nach sehr langer Frist - da hat Herr Rupprecht recht - wirken. Ich glaube, dass unser Weg der richtige ist. Wer im Übrigen das Hohelied der eigentumsrechtlichen Entflechtung singt und dafür die Kommission lobt, der sollte einmal ganz genau hinschauen, was sie denn vorhat. Es ist beileibe nicht so, dass es zu einer echten eigentumsrechtlichen Entflechtung in Ländern mit Staatsmonopolisten wie etwa in Frankreich kommen würde. Wenn ein solches Instrument geschaffen wird, dann sollten wir schon darauf bestehen, dass sozusagen eine ebene Spielfläche entsteht und dass die Deutschen nicht schlechter gestellt werden als andere in Europa. ({1}) Wir haben noch eine ganze Menge an Hausaufgaben zu erledigen, was das Thema Wettbewerbspolitik angeht. Die Kraftwerksanschlussverordnung ist bereits verabschiedet, die Anreizregulierungsverordnung ebenso. Was den Netzausbau angeht, werden wir über das Infrastrukturbeschleunigungsgesetz hinaus noch einiges tun müssen. Die Monopolkommission hat weiter gehende Vorschläge gemacht. Einige davon, wie etwa zum Regelenergiemarkt, werden wir aufgreifen. Ich denke, all das im Paket kann dazu beitragen, dass wir möglicherweise in einigen Jahren auf eine solche verschärfte Missbrauchsaufsicht verzichten können. Eines will ich noch ganz klar sagen: Wir dürfen die Hoffnungen, was dieses Instrument betrifft, nicht allzu sehr in die Höhe jubeln, Herr Rupprecht, auch wenn die Zahl von 9 Milliarden Euro Monopolgewinne im Raum steht. Wir werden diese Summe durch eine solche Maßnahme nicht eintreiben können. Unabhängig davon, ob es sich um Monopole oder um Oligopole handelt, sollten wir immer schauen, um welche Märkte es sich handelt. Mein Blick richtet sich zunehmend nicht mehr allein auf den deutschen, sondern auch auf den europäischen Markt. Diesen Markt mit seinen großen und kleinen Wettbewerbern wollen wir weiterentwickeln. ({2}) Das ist der beste Weg, um für die Verbraucher langfristig faire Preise zu erzielen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7156, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5847 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und der Linken gegen die Stimmen von FDP und Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7181? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung von Linkspartei und Grünen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7180? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen bei Enthaltung der Fraktionen der FDP und der Linken abgelehnt. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Klimaverhandlungen in Bali zum Erfolg machen - Glaubwürdig handeln und verhandeln für den Klimaschutz - Drucksache 16/6960 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Spanien sitzen Wissenschaftler zusammen und beraten über die letzten Einzelheiten des 4. IPCC-Berichts, der am Samstag veröffentlicht werden soll. Die Nachrichten in diesem IPCC-Bericht sind alarmierend. Der Klimawandel geht schneller voran als bisher angenommen. Auch wenn Länder wie China und die USA momentan noch versuchen, die Ergebnisse ein Stück zu verwässern, wird deutlich: Die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, sind sehr viel einschneidender als das, was bisher immer gesagt worden ist. Wir müssen für den Klimaschutz mehr tun. ({0}) Dieser Bericht wird nach Bali übermittelt und Grundlage der dortigen Verhandlungen sein. Es wird wichtig sein, dass wir in Bali zu einem Ergebnis kommen. Denn da geht es darum, dass wir die Weichen für ein Nachfolgeabkommen für das Kioto-Protokoll stellen, das 2012 ausläuft. Das wird ein enorm schwieriger Verhandlungsprozess, da natürlich all die Bremser, die das nicht wollen, mit am Verhandlungstisch sitzen. Deshalb hat die Bundesregierung bei diesen Verhandlungen die Unterstützung unserer Fraktion. Wir wollen, dass mehr für den Klimaschutz getan wird. ({1}) Erfolgreich für Klimaschutz werben kann aber nur, wer im eigenen Land seine Klimahausaufgaben macht. Es kann nicht sein, dass man auf dem internationalen Parkett Wasser predigt und zu Hause Wein trinkt. Das ist nicht überzeugend. Das funktioniert nicht. Genau da liegt das Problem dieser Bundesregierung: Zwischen den Worten und den Taten klaffen Welten. Das ist das Problem. Das müssen wir ändern. ({2}) Sie reden vom Klimaschutz, aber dann kämpfen Sie in der EU dafür, dass deutsche Autos mehr CO2 ausstoßen dürfen. Sie reden vom Klimaschutz, aber Sie verteilen die Emmissionsrechte so, dass die schmutzigsten Kraftwerke die meisten erhalten. Sie reden vom Klimaschutz, und dann reist Ihr Umweltminister durchs Land und schwört seine Partei auf neue Kohlekraftwerke ein, wie das in Krefeld geschehen ist. Sie reden vom Klimaschutz, aber bei Tempo 130 auf Autobahnen, wo Sie sofort etwas tun und 2,5 Millionen Tonnen CO2 einsparen könnten, kneifen Sie. Das geht nicht. Sie müssen Ihren Worten Taten folgen lassen. ({3}) Sie reden anders, als Sie handeln. Jeder Vorschlag für mehr Klimaschutz wird im Dauerstreit der Koalition zerredet. Das schadet Ihrer Glaubwürdigkeit. Das untergräbt auch die Verhandlungsposition in Bali. Da ist ganz wichtig, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer sehen, dass wir hier etwas tun. Die Financial Times hat am Dienstag zusammengefasst: Klima leidet unter Glos und Gabriel. - Dem ist praktisch nichts hinzuzufügen. Monitor wird heute Abend einen Bericht mit dem Titel senden: „Merkels Klimapolitik: Die Uhr tickt, die Regierung bremst.“ Auch das beschreibt die Situation gut. Wenn Sie der Presse und der Opposition nicht glauben, glauben Sie vielleicht dem Kollegen Kelber von der SPD. Der wurde nämlich gestern in der Berliner Zeitung mit den Worten zitiert: Die Union muss jetzt klären, wer beim Klimaschutz den Ton angibt; während die Kanzlerin Sonntagsreden halte, gehe die Fraktion auf Distanz. ({4}) Das ist genau die Kluft zwischen Reden und Handeln, die ich meine. Die Kritik von Herrn Kelber richtet sich gegen die Weigerung der Union, für Deutschland ein CO2-Minderungsziel von 80 Prozent bis 2050 festzulegen. Das ist in der Tat ein klimapolitisches Armutszeugnis. Da hat der Kollege Kelber recht. Aber - das muss ich auch sagen anspruchsvolle Ziele bis 2050 sind eine Sache, wichtiger aber sind konkrete Taten in 2007, in dem Jahr, in dem wir uns heute befinden. ({5}) Meine Damen und Herren von der Koalition, bekennen Sie sich - da unterstütze ich Herrn Kelber - eindeutig zu dem 80-Prozent-Reduktionsziel bis 2050 ohne Wenn und Aber. Bekennen Sie sich dazu! Bessern Sie bei Ihren Klimabeschlüssen nach und setzen Sie sie um! Stoppen Sie den Neubau von Kohlekraftwerken! Nur dann, wenn wir keine neuen Kohlekraftwerke bauen, werden wir im Bereich Klimaschutz einen wichtigen Schritt vorankommen. ({6}) Setzen Sie sich für Tempo 130 auf Autobahnen ein! 2,5 Millionen Tonnen zu reduzieren, das ist eine Menge. Also, machen Sie endlich etwas! Beginnen Sie endlich, zu handeln! Eines gilt: Ankündigungen und Sonntagsreden haben wir jetzt genug gehört. Wir wollen, dass etwas geschieht. Wir wollen, dass der Klimaschutz in Deutschland endlich vorankommt. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Andreas Jung, CDU/CSUFraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Höhn, zunächst möchte ich Ihnen zumindest in einem Punkt recht geben. Sie haben gesagt: Die Klimaverhandlungen in Bali müssen zu konkreten Ergebnissen führen. ({0}) - Auf Deutschland, Herr Kollege, komme ich gleich zu sprechen. Zunächst möchte ich aber auf die Klimaverhandlungen in Bali eingehen, um die es in Ihrem Antrag geht. - Ich bin überzeugt: Wir können uns in der Tat kein zweites Nairobi leisten. Wir sind mit großen Hoffnungen nach Nairobi gefahren und sind enttäuscht zurückgekommen, weil die Ergebnisse nicht so waren, wie wir es uns erhofft hatten. Dort herrschte ein anderer Geist, und die Weltgemeinschaft hat nicht beschlossen: Wir packen dieses Problem gemeinsam an und machen uns gemeinsam auf den Weg. Frau Höhn, ich gebe Ihnen in diesem Punkt ausdrücklich recht: Wir brauchen Ergebnisse. Auch wir wollen diese Ergebnisse. ({1}) Sie haben gesagt: Wir unterstützen die Positionen und die Bemühungen der Bundesregierung. Das fand ich gut. Ich kann Ihnen versichern: Niemand unterstützt die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin - gerade in diesen Fragen - mehr als die Fraktion der CDU/CSU. ({2}) Es war die Bundeskanzlerin, die den Klimaschutz zum Topthema gemacht hat, international, im Rahmen der EU- und der G-8-Präsidentschaft, aber auch national. Wir haben uns von Anfang an dazu bekannt, dass Deutschland eine Vorreiterrolle hat und schneller vorangeht, um die anderen mit ins Boot zu holen. ({3}) Sie haben eben gesagt, bei uns passten Reden und Handeln nicht zusammen. Ich muss Ihnen sagen: Das, was Sie heute gesagt haben, passt nicht zu dem, was Sie gemacht haben, als Rot-Grün regiert hat. ({4}) Andreas Jung ({5}) Ich will Ihnen die Richtigkeit meiner Behauptung an ganz konkreten Punkten belegen. Wir tun schon heute mehr für den Klimaschutz, als Rot-Grün je gemacht hat. ({6}) Wir haben alles, was Sie im Bereich erneuerbare Energien gemacht haben, fortgeführt und sogar verbessert. ({7}) Wir tun mehr zur Förderung der regenerativen Wärme. Sie haben die Kohlekraftwerke angesprochen. Frau Kollegin, vergleichen Sie einmal den Nationalen Allokationsplan, den Ihr Kollege Jürgen Trittin für die rotgrüne Bundesregierung verantwortet hat, ({8}) mit dem, den die Große Koalition in diesem Jahr auf den Weg gebracht hat. Sie werden feststellen: Sie haben bei weitem mehr Verschmutzungsrechte verteilt als die Große Koalition. ({9}) Die rechtlichen Bestimmungen für Kohlekraftwerke in Deutschland waren noch nie so hart wie heute. Wir tun auch in diesem Bereich mehr für den Klimaschutz, als Rot-Grün getan hat. ({10}) Im Übrigen haben wir das Gebäudesanierungsprogramm - Gebäudesanierung ist der effizienteste Weg, das Klima zu schützen - nicht nur fortgeführt, sondern, was seinen Umfang angeht, mehr als verdreifacht. Wir tun damit bei weitem mehr für CO2-Einsparung, als Sie es jemals getan haben. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, der Kollege Göppel hat gesagt, durch die Investition von 1 Milliarde Euro für das Gebäudesanierungsprogramm werde der CO2-Ausstoß um 1 Million Tonnen reduziert. Durch das Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen könnten wir, ohne dass wir Geld investieren, 2,5 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Warum sorgt die Bundesregierung nicht dafür, dass das Zweieinhalbfache dessen eingespart wird, was durch das Gebäudesanierungsprogramm erreicht wird, und zwar ohne dass wir Geld investieren müssen? ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, entscheidend ist, was am Ende herauskommt. ({0}) Diese Bundesregierung hat sich dazu bekannt, Vorreiter zu sein. Sie hat sich dazu bekannt, 40 Prozent CO2Emissionen einzusparen, wenn es in der Europäischen Union gelingt - wofür wir eintreten -, eine Reduktion von 30 Prozent herbeizuführen. Wir werden jetzt ganz konkret. Wir machen mit dem Programm von Meseberg das ehrgeizigste Klimaschutzpaket, das es in der Bundesrepublik jemals gegeben hat. Das ist ohne Beispiel. Auch Rot-Grün hat das nicht gemacht. Ich könnte Sie fragen: Warum haben Sie das Tempolimit eigentlich nicht mit Rot-Grün eingeführt, wenn es so eine gute Idee ist? ({1}) Entscheidend ist: Wir sparen mit dem Programm von Meseberg mehr ein als jemals zuvor. Ich finde, wir bringen ein gutes Paket auf den Weg. Im Übrigen gebe ich Ihnen recht: Es ist notwendig, hier so weit wie möglich zu kommen, um vor der Konferenz in Bali so viel wie möglich auf den Weg zu bringen, ({2}) um mit Nachdruck und glaubwürdig in die Verhandlungen gehen und den anderen sagen zu können: Seht her, was wir machen! Jetzt macht mit! Damit bin ich bei der Konferenz von Bali. Wir unterstützen die Position der Bundesregierung ohne Vorbehalte, mit Nachdruck und mit ganzem Herzen. Das Wichtigste ist aus unserer Sicht, dass es ein Abkommen geben wird. Wir brauchen das Kioto-Folgeabkommen für die Zeit nach 2012 unter dem Dach der Vereinten Nationen. Es muss unter dem Dach der UN sein. Wir werden nicht hinnehmen, wenn versucht wird, irgendwelche Gegenmodelle aufzubauen, wenn von den Vereinigten Staaten mit einigen Beteiligten unter dem Ausschluss anderer versucht wird, etwas anderes aufzubauen. Es muss unter dem Dach der Vereinten Nationen sein. ({3}) Zweitens. Wir wollen, dass das 2-Grad-Ziel international verbindlich festgelegt wird. Dafür ist die Bundeskanzlerin immer eingetreten. Selbstverständlich unterstützen wir auch ihren Vorschlag, dass Grundlage für ein gerechtes internationales Klimaschutzabkommen sein sollte, dass wir herunterbrechen und sagen, dass jeder Mensch auf der Welt das gleiche Recht hat, CO2 auszustoßen. Wir wissen: Wenn wir das 2-Grad-Ziel erreichen Andreas Jung ({4}) wollen, dann bedeutet das, dass wir bis 2050 weltweit die CO2-Emissionen halbieren müssen. Das heißt, dass wir in etwa einen Ausstoß von 2 Tonnen CO2 pro Kopf erreichen müssen. ({5}) Wir wissen, es sind noch erhebliche Anstrengungen nötig. Wichtig für Bali ist jetzt das 40-Prozent-Ziel bis 2020. Darauf müssen wir aufbauen. Drittens. Es ist notwendig, dass es endlich gelingt, die, die beim internationalen Klimaschutz bisher nicht mitmachen, allen voran die Amerikaner und die Chinesen, in dieses Programm zu holen. Sie haben die aktuelle Diskussion angesprochen. Ich finde es wenig hilfreich, wenn jetzt zurückgeschaut wird und von den USA und China die Frage gestellt wird: Liegt das Fortschreiten des Klimawandels, das wir in den letzten Jahren beobachten, daran, dass China seit einigen Jahren erheblich mehr Emissionen hat als zuvor, oder liegt es daran, dass die USA vor vielen Jahrzehnten viel ausgestoßen hat? Wir dürfen den Blick auch bei diesem Punkt nicht nach hinten richten; wir müssen nach vorne schauen. Denn die Konsequenz ist entscheidend. Alle müssen mitmachen: die USA, China und alle Industrie- und Schwellenländer. Wir wollen, dass alle Staaten bei diesem Klimaschutzabkommen dabei sind. Dafür hat die Bundeskanzlerin wie keine andere in den letzten Monaten bei all ihren unterschiedlichen Aufgaben geworben. Wir haben auf diesem Weg schon ganz erhebliche Fortschritte erzielt. ({6}) Der nächste Punkt ist, dass wir nicht nur mehr Staaten einbeziehen wollen, sondern auch mehr Sektoren. Wir halten es für notwendig, dass es gelingt, den internationalen Schiffsverkehr und - das ist ganz wichtig - den internationalen Flugverkehr in das Emissionshandelssystem einzubeziehen, dass es gelingt, einen weltweiten Kohlenstoffmarkt - ausgehend von unserem Emissionshandel in der Europäischen Union - aufzubauen, und dass es gelingt, eine Grundlage für ein weltweit umspannendes CO2-Handelssystem zu schaffen. ({7}) Bei der Konferenz in Nairobi ist deutlich geworden, dass wir die Entwicklungsländer in ihren Bemühungen, den Klimawandel zu bekämpfen, aber auch in ihren Bemühungen, sich an den Klimawandel anzupassen, stärker unterstützen müssen. ({8}) Das, was in Nairobi beschlossen wurde, kann nur ein erster Schritt gewesen sein. Selbstverständlich brauchen wir mehr Geld, um die Entwicklungsländer zu unterstützen. Deshalb haben wir beschlossen, dass wir einen Teil der Mittel, die wir durch die Auktionierung der Emissionsrechte einnehmen, in internationale Klimaschutzprojekte investieren. Das halte ich für richtig. Das muss der Einstieg sein. ({9}) Wir müssen darauf aufbauen und die flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls, CDM und JI, weiterentwickeln und auch sie zu einer Finanzierungsquelle für derartige Maßnahmen machen. Aus unserer Sicht und aus Sicht der Bundesregierung, muss ein Schwerpunkt auf all das gelegt werden, was dem Erhalt und der Aufforstung der Wälder in den Entwicklungsländern dient. Das ist neben der Frage, wie wir die Entwicklungsländer an ein solches Modell heranführen können, ein ganz wichtiger Punkt der internationalen Klimaschutzpolitik. Das alles zeigt: Wir haben große Ziele vor uns und große Aufgaben zu bewältigen. Wir wünschen uns kein zweites Nairobi. Wir wünschen uns vielmehr, dass es in Bali gelingt, einen Durchbruch zu erzielen und einen konkreten Fahrplan zu beschließen, damit wir im Jahr 2009 ein Klimaschutzabkommen ausgehandelt und bis 2012 in aller Welt ratifiziert haben werden. Das ist notwendig. Die Zeit drängt. Wir, die Bundesregierung und die sie stützende CDU/CSU-Fraktion, tun alles dafür, diese Ziele zu erreichen. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Michael Kauch, FDP-Fraktion. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war eben etwas verwundert, Frau Höhn. Ihr Antrag befasst sich eigentlich mit den Verhandlungen auf Bali. Aber von der Verhandlungslinie, die wir Deutschen dort vertreten sollen, habe ich in Ihrer Rede leider nicht viel gehört. ({0}) Stattdessen haben Sie uns erzählt, dass wir in Deutschland jetzt ein Tempolimit einführen sollen, womit Ihrer Meinung nach 2,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten. Das hört sich viel an. Aber es entspricht weniger als 0,3 Prozent der deutschen Emissionen und macht weniger als 0,009 Prozent der globalen Emissionen aus. Mit Ihrem Tempolimit retten Sie die Welt also nicht. Das ist reine Symbolpolitik, die Sie hier mit Ihrer grünen Ideologie machen. Damit ändern Sie auf der Welt nichts, aber auch gar nichts. ({1}) Deshalb sollten wir uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir tatsächlich zu wirksamen Vereinbarungen im internationalen Kontext kommen. Zunächst einmal ist es entscheidend, auf Bali zu erreichen, dass sich viele Länder zu dem 2-Grad-Ziel der Europäischen Union bekennen, also dazu, die Erderwärmung in diesem Jahrhundert auf 2 Grad zu beschränken. Für uns hier im Deutschen Bundestag ist dieses Ziel vielleicht selbstverständlich, global ist es das aber nicht. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir in dieser Richtung weiterkommen würden. ({2}) Weiterhin ist es wichtig, ein Verhandlungsmandat unter dem Dach der Klimarahmenkonvention zu erreichen. Das würde bedeuten, dass sich auch Länder wie China und Indien zu etwas verpflichten müssten und es nicht bei einem unverbindlichen Dialog bliebe. Auch das ist noch lange nicht selbstverständlich. Es kommt darauf an, dass wir diese Länder einbeziehen. Wir müssen uns klarmachen: Auch wenn wir eine Vorreiterrolle einnehmen und das auch wollen, ({3}) ist Deutschland nur für 3 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, die Europäische Union für weniger als 20 Prozent. Vorreiter zu sein ist gut und richtig. Aber wir sollten vielleicht auch noch einmal zurückschauen, ob ein paar andere mitkommen. Ihr Tempolimit wird das nicht erreichen. ({4}) Das Leitbild für die Verhandlungen muss es sein, einen globalen Kohlenstoffdioxidmarkt für alle Länder und alle Sektoren mit ehrgeizigen Reduktionszielen zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist es kontraproduktiv, wenn die Koalition - wie zuletzt - Erneuerungen des EU-Emissionshandelssystems rundweg ablehnt. Wir haben beantragt, den Emissionshandel auf die Bereiche Verkehr und Wärme auszudehnen. Daraufhin sagte mir die Kollegin Flachsbarth von der CDU, das gehe gar nicht, was wir hier aufschrieben. Genau das, was die FDP beantragt hat, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen als das zielführende Instrument zum Beispiel zur Förderung der Biomasse und der erneuerbaren Energien vorgeschlagen. Wenn Sie schon der FDP nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens den Umweltsachverständigen, die die Bundesregierung berufen hat. ({5}) - Doch! Sie sollten das Gutachten einmal lesen. Ich spreche von der zweiten Stufe, die darin vorgeschlagen wird. Das habe ich Ihren Kollegen im Umweltausschuss vorgelesen; Sie waren nicht da. Das hole ich aber gerne noch einmal privat für Sie nach. ({6}) Kommen wir zum nächsten Etikettenschwindel der Bundesregierung, nämlich dem Anpassungsfonds. Herr Jung hat gesagt: Einen Teil der Versteigerungserlöse in Höhe von 400 Millionen Euro geben wir den Entwicklungsländern. - Das hat die Kanzlerin schon vor Monaten versprochen, ohne dafür eine Finanzierungsgrundlage gehabt zu haben. Dann hat der Umweltminister gesagt: Mit diesen 400 Millionen Euro fördern wir die erneuerbaren Energien in Deutschland, insbesondere die erneuerbare Wärme. Was ist jetzt herausgekommen? Jedes Ressort hat sich etwas von diesen 400 Millionen Euro geschnappt. Der Umweltminister erhält für die Förderung der erneuerbaren Energien gerade einmal 180 Millionen Euro, der Wirtschaftsminister hat sich ein bisschen Geld für die KMU-Förderung geschnappt, und mit dem Rest bezahlen wir die Versprechungen von Frau Merkel. Auf diese Art und Weise in der Welt Versprechungen zu machen, ist keine seriöse Politik. ({7}) Wir sollten die anderen Fehler, die die Bundesregierung in den Verhandlungen mit der Europäischen Union gemacht hat, jetzt nicht auf die globale Ebene heben. Es ist richtig, dass die Kanzlerin sehr erfolgreich war, als es in der Europäischen Union um die Vereinbarung der Ziele ging, die den Klimaschutz, die Reduzierung der CO2-Emissionen und die Förderung der erneuerbaren Energien betrafen. ({8}) Aber die Kanzlerin hat in diese Politik einen großen Konstruktionsfehler eingebaut, nämlich eine gesonderte Zielquote für die Biokraftstoffe. Auch hier empfehle ich Ihnen, sich anzuschauen, wie sich die Sachverständigen, die Sie als Bundesregierung benannt haben, dazu äußern. Sie sagen: Diese Quote ist verfehlt, und sie sollte nach unten korrigiert werden, weil Biokraftstoffe unter allen Alternativen in der Biomasse zur geringsten Einsparung an CO2-Emissionen führen und weil sie außerdem ökologische Probleme mit sich bringen. Das müssen Sie ernst nehmen, meine Damen und Herren. ({9}) In den weiteren Verhandlungen müssen wir die technologiepolitische Seite des Klimaschutzes stärker gewichten. Wir werden die Chinesen und die Inder nur dann ins Boot holen können, wenn sie mit einem wirksamen Technologietransfer rechnen können. Das wird der Staat nicht allein finanzieren können. Dafür fehlen uns die Haushaltsmittel. Deshalb ist es entscheidend, dass wir die Instrumente des Kioto-Protokolls - Clean-Development-Mechanism und Entwicklungsprojekte im Bereich des Klimaschutzes - voranbringen. Es muss Vertrauen in diese Projekte geschaffen werden. Sie müssen reformiert und wirksam gestaltet werden. Wir dürfen nicht blauäugig sein. Wir sollten diese Instrumente aber auch nicht, wie es manche auf der linken Seite dieses Hauses tun, einfach vom Tisch wischen. So werden wir die Schwellenländer nämlich nicht ins Boot holen können. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun die Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug. ({0})

Astrid Klug (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003567

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bali wird tatsächlich die hier beschriebene Nagelprobe, bei der die Staaten, sowohl die Industrie- als auch die Entwicklungsländer, zeigen müssen, wie ernst es ihnen mit dem Klimaschutz ist. Das Jahr 2007 stand und steht nach wie vor ganz im Zeichen des Klimaschutzes: von den historischen Beschlüssen auf europäischer Ebene im Frühjahr über die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Weltklimarat und Al Gore bis zur im Dezember dieses Jahres in Bali stattfindenden Weltklimakonferenz. Die Aussagen der Wissenschaftler sind eindeutig. Alle Berichte liegen vor. Alle Reden sind gehalten. Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen. ({0}) Ein besseres Zeitfenster als die Weltklimakonferenz in Bali wird es nicht geben, um eine internationale Verständigung über den Klimaschutz zu erzielen. Deutschland wird bei den Verhandlungen in Bali gemeinsam mit der EU Vorreiter und Antreiber für mehr globalen Klimaschutz sein. Wir brauchen auf der bevorstehenden Weltklimakonferenz vor allem den offiziellen Startschuss für umfassende Verhandlungen. Nur wenn diese Verhandlungen bis 2009 abgeschlossen sind, haben wir die Chance, vor 2013 ein Folgeabkommen zum KiotoProtokoll in Kraft zu setzen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, dass die USA und alle anderen Industrieländer, vor allem aber auch die Schwellenländer mitmachen. Wenn es gelingt, die Blockade zwischen den USA und einigen anderen Industrieländern einerseits und den Schwellenländern andererseits aufzubrechen, dann stehen die Chancen nicht schlecht. Wir werden wie in den letzten Monaten alles, was in unserer Macht steht, tun, um diese Verhandlungen zum Erfolg zu führen. ({1}) Die Kollegen von den Grünen greifen mit den Forderungen und Maßnahmen, die sie in ihrem Antrag beschreiben, fast eins zu eins die Politik der Bundesregierung auf. Wir werten das als Zustimmung zur grundsätzlichen Linie unserer Klimaschutzpolitik. Viele der in diesem Antrag beschriebenen Maßnahmen sind eins zu eins aus den europäischen Beschlüssen, die ja unter unserer Federführung zustande gekommen sind, abgeschrieben. So hat sich die Europäische Union bereit erklärt, die Emission von Treibhausgasen bis 2020 im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 30 Prozent zu reduzieren, wenn es in diesem internationalen Prozess, für den wir alles tun, gelingt, dass andere in das Klimaschutzboot einsteigen und sich zu vergleichbaren Zielen verpflichten. Aber selbst wenn niemand in der Welt beim Klimaschutz mitmacht, Frau Kollegin Höhn, findet Klimaschutz in Europa statt, werden wir in Europa unseren Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um mindestens 20 Prozent reduzieren. Wir haben in Europa die dafür notwendigen Instrumente beschlossen, nämlich 20 Prozent mehr Energieeffizienz bis 2020 und einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Deckung des gesamten Energiebedarfs in Europa in Höhe von 20 Prozent. Mit diesem sehr anspruchsvollen Paket übernimmt Europa beim Klimaschutz eine Führungsrolle in der Welt. Keine andere Region in der Welt hat sich bisher zu solch ambitionierten Klimaschutzzielen bekannt. Deshalb kann ich die Kritik an diesen Beschlüssen im Antrag der Grünen nicht nachvollziehen. ({2}) Die europäischen Beschlüsse sind ein Meilenstein. Denn wenn wir die Blockaden bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen überwinden wollen, braucht es Vorreiter, braucht es Industrieländer, die den Beweis antreten, dass Klimaschutz und erfolgreiche nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung miteinander vereinbar sind. Deutschland und Europa sind diese Vorreiter. Wir müssen auch die Schrittmacher und Innovationstreiber sein; denn wenn wir es nicht sind, wird es in der Welt - insbesondere bei den anstehenden Verhandlungen - niemanden geben. Die Welt schaut in dieser Frage auf Europa und auf Deutschland. Zur Glaubwürdigkeit bei den internationalen Verhandlungen gehört ein ambitioniertes nationales Klimaschutzpaket. Wir werden Anfang Dezember mit der Umsetzung der Meseberg-Beschlüsse beginnen und ein erstes Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, das uns in die Lage versetzen wird, unser eigenes Ziel - 40 Prozent Minderung der Emissionen bis 2020 - zu erreichen. Damit sind wir Vorreiter. Wir tun dies nicht nur aus ökologischen und klimaschutzpolitischen Gründen, sondern auch in ökonomischer Verantwortung, in Verantwortung für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. ({3}) So wird uns die Umsetzung des Klimaschutzprogrammes der Bundesregierung über den Klimaschutzeffekt hinaus in die Lage versetzen, 2020 5 Milliarden Euro einzusparen. Wir haben mit unserer Klimaschutzpolitik also eine dreifache Dividende: eine ökologische, eine ökonomische und - angesichts knapper werdender Ressourcen - übrigens auch eine Friedensdividende. Deshalb kämpft die Bundesregierung, deshalb kämpft der Bundesumweltminister in Bali für einen nicht rückholParl. Staatssekretärin Astrid Klug baren Verhandlungspfad, für einen ambitionierten globalen Klimaschutz. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es gehört: In Bali muss im Hinblick auf die Zeit nach 2012 dringend etwas passieren. Wir brauchen verbindliche Ziele für die wichtigsten Emittenten, klare Mechanismen mit Sanktionen und tatsächlich wirkende ökologische Instrumente. Wenn wir bis 2009 ein PostKioto-Abkommen erreichen wollen, dann muss die Europäische Union hierbei eine Vorreiterrolle übernehmen. ({0}) Wir haben schon in einigen Anträgen gefordert, dass sich die EU bedingungslos zu einem Minderungsziel von 30 Prozent gegenüber 1990 bekennt. Wir können das nicht, wie Sie es immer noch tun, davon abhängig machen, dass andere Industrieländer mitspielen. Dies ist inzwischen nicht mehr notwendig. Denn Klimaschutz ist eben kein Wettbewerbsnachteil, er bringt sogar Geld; Minister Gabriel hat dazu ja in der vorletzten Woche eine Pressekonferenz abgehalten. Die Bundesregierung hat sich inzwischen wenigstens dazu bekannt, die Emissionen um 40 Prozent senken zu wollen, und eiert hier nicht mehr herum. Herumeiern tut die Koalition allerdings, wie wir gestern auch in der Süddeutschen Zeitung lesen durften, beim Langfristziel von minus 80 Prozent bis 2050. Wie ich lesen konnte, gibt es auch aus diesem Grund keinen Koalitionsantrag. Herr Jung hat sich dazu leider nicht geäußert. Das wäre sehr interessant für uns gewesen. Ich frage mich allerdings, wie die Bundeskanzlerin die Einhaltung des globalen 2-Grad-Zieles für Deutschland gewährleisten will, wenn dies nicht in konkrete Zahlen hinsichtlich der Minderungspflichten im eigenen Land gegossen wird. Das ist notwendig. ({1}) Genauso unglaubwürdig ist es, wenn die Beschlüsse von Meseburg sukzessive wieder aufgeweicht werden. Das Regenerative-Wärme-Gesetz ist gegenüber dem ersten Entwurf bereits bis zur Unkenntlichkeit zerschossen worden. Im Übrigen ist es am unglaubhaftesten, wenn Frau Merkel als Klimaengel in der Welt herumreist und zu Hause munter 30 neue Kohlekraftwerke geplant werden. ({2}) Herr Jung, Sie haben das verteidigt. Das ist schlimm. Glauben Sie doch nicht, dass die Welt nicht auch auf Deutschland schaut und verfolgt, was hier passiert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Antrag der Grünen ist unter anderem davon die Rede, dass neue Finanzierungsmechanismen zum Schutz der Tropenwälder etabliert werden müssen - sehr richtig. Die indonesische Regierung hat bereits vorgeschlagen, die restlichen Wälder gegen einen finanziellen Ausgleich unter Schutz zu stellen. Es geht um einmalig rund 1 Milliarde bis 1,3 Milliarden Euro, um den dortigen Restbestand von circa 90 Millionen Hektar Tropenwälder für die Nachwelt zu schützen - mit all den Waldelefanten, OrangUtans und sonstigen Tieren sowie natürlich auch zum Nutzen der lokalen Bevölkerung, etwa in Borneo. Ich finde, das sind im Vergleich zum ökologischen Nutzen fast schon Peanuts. ({3}) Heute Vormittag haben wir darüber gesprochen. Ich meine, hier könnte sich Deutschland profilieren und eine relevante Summe davon übernehmen. Das würde uns in der Welt wirklich gut dastehen lassen. Grundsätzlich halten wir ein solches System für wirkungsvoller als die Einbeziehung der Wälder in den CDM. Das sieht man unter anderem auch an der traurigen Bilanz. Ich habe schon darüber gesprochen. Eine Anhörung unserer Fraktion Anfang September ergab, dass 30 bis 50 Prozent der gegenwärtigen Projekte in Asien nicht zusätzlich durchgeführt werden; das heißt, ein zusätzlicher Klimaschutz ist hier nicht nachweisbar. Die auf dieser faulen Basis ausgegebenen Emissionsgutschriften führen aber zu einem Mehrausstoß in den Industrieländern. Das ist Gift für den Klimaschutz. Zum Schluss noch - ich habe nur wenig Zeit - zur Anpassung: Hier muss Geld her. Wir können nicht nur etwas versprechen, sondern es muss jetzt wirklich Geld in die Hand genommen werden. ({4}) Ich denke, das ist dringend notwendig; denn nur so können wir etwas erreichen. Wir hoffen, dass wir auf Bali gemeinsam etwas erreichen. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Ulrich Kelber, SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Klimaschutz ist so wichtig, dass bestimmte Rituale in den Debatten unterbleiben sollten. Das erste Ritual ist, dass sich die FDP grundsätzlich fast mit dem Anspruch, eine heilbringende Sekte zu sein, hier hinstellt und sagt - egal, wie erfolgreich bestimmte Instrumente sind -, man müsse nur alles über Bord werfen, auf die FDP hören und alles wäre noch besser. Herr Kauch, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze; aber wenn Sie der Großen Koalition hier heute vorwerfen, sie würde die Biokraftstoffe zu sehr fördern, während Ihre eigene Fraktion im Deutschen Bundestag gerade den Antrag eingebracht hat, die Biokraftstoffe völlig von der Steuer zu befreien und mehr als heute zu fördern, passt das vorne und hinten nicht zusammen. Sie haben das Gegenteil Ihres eigenen Antrags erzählt. ({0}) Das zweite langweilige Ritual ist, dass CDU/CSU und Grüne sich immer gegenseitig vorwerfen, zu ihren jeweiligen Regierungszeiten nichts für den Klimaschutz getan zu haben bzw. zu tun. Ich würde mich freuen, wenn die CDU/CSU anerkennen würden, dass zu rot-grünen Zeiten viele Klimaschutzinstrumente geschaffen wurden, auf die wir heute aufsetzen können - übrigens auch welche, gegen die die CDU/ CSU-Opposition damals gestimmt hat; Sie haben ja gegen alle 18 Klimaschutzinstrumente im Zeitraum von 1998 bis 2005 gestimmt - und die Sie heute mit uns gemeinsam weiterentwickeln. ({1}) Hinsichtlich der Grünen würde ich mich freuen, wenn man anerkennen würde, dass viele dieser Instrumente ausgebaut worden sind: mehr Geld für die Gebäudesanierung, mehr Geld für erneuerbare Energien im Wärmebereich, mehr Geld für Forschung auf dem Feld der erneuerbaren Energien. Sie wissen genau, dass das Kabinett am 5. Dezember einen Gesetzentwurf beschließen wird, der weitere wichtige Klimaschutzinstrumente vorsieht. ({2}) - Dies ist wichtig, Frau Höhn. Auf Bali müssen wir zwei Dinge tun: Wir müssen erstens gute Vorschläge für die internationale Klimaschutzpolitik machen und zweitens glaubwürdig sein und entsprechende nationale Maßnahmen ergreifen. ({3}) Das Klimaschutzprogramm von Meseberg, mit dem wir eine Minderung der CO2-Emissionen von über 30 Prozent erreichen werden, ist ein erster Schritt. Wir werden mit weiteren Maßnahmen ab 2008 bzw. 2009 die angestrebten 40 Prozent erreichen müssen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kelber, Sie haben gerade den Wunsch geäußert, wir von der Grünen-Fraktion sollten anerkennen, dass es eine Verbesserung bereits gemeinsam implementierter Instrumente durch die Große Koalition gegeben habe. Sie haben dabei das Altbausanierungsprogramm angesprochen. Wir stellen zu unserem Bedauern fest, dass in diesem Jahr die Neuinvestitionen im Rahmen dieses Programms um 60 Prozent zurückgegangen sind. Eine ähnliche Entwicklung gibt es in anderen Bereichen. So sind die Investitionen im Bereich von Solarkollektoren um über 30 Prozent zurückgegangen. Auch bei den Biogasanlagen gibt es einen Rückgang von circa 50 Prozent. Ich könnte diese Liste fortsetzen. Wie können Sie angesichts dieser Situation behaupten, dass es eine Verbesserung gebe? Wir sehen einen starken Einbruch in bestimmten Branchen, die für den Klimaschutz äußerst wichtig sind.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das sind drei gute Beispiele. Die Verbesserung besteht zuerst einmal darin, dass mehr Geld zur Verfügung gestellt wird. Wenn wir uns an gemeinsame Regierungszeiten erinnern, wissen wir, dass auch wir Schwankungen im Rahmen der infrage stehenden Programme hatten und reagiert haben, zum Beispiel im Bereich der Solarkollektoren mit einer erhöhten Förderung. Das tun wir auch jetzt. Im Bereich der Gebäudedämmung müssen wir feststellen, dass der erste Anfangsschwung dahin ist, dass frühe Adaptierer solcher Maßnahmen gehandelt haben. Wir müssen nun dafür sorgen, dass dieses Programm attraktiv bleibt und zu weiteren Aufträgen führt. Der gestiegene Ölpreis lässt die Anmeldezahlen wieder steigen. Die Betreiber von Biogasanlagen haben aufgrund der deutlich gestiegenen Agrar- und Rohstoffpreise ein großes Problem. Deswegen plädieren wir dafür, dass die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Verbesserungen zugunsten der Betreiber von Biogasanlagen vorsieht, schon zum 1. Januar 2008 in Kraft treten soll. Am 5. Dezember könnten wir somit durch einen Kabinettsbeschluss das klare Signal geben, dass es sich lohnt, in Biogasanlagen in Deutschland zu investieren. So kann Deutschland seine Technik- und Marktführerschaft behalten und ausbauen. Das sind drei typische Modelle, mit denen man auf Marktveränderungen reagieren kann. ({0}) Ich komme zurück zur Konferenz auf Bali und zu der Frage nach der internationalen Glaubwürdigkeit im Zusammenhang damit, dass man auf nationaler Ebene Maßnahmen ergriffen hat. Der erste Punkt ist: Wir müssen Druck auf die Vereinigten Staaten ausüben. Der zweite Punkt ist: Die USA in der Zeit nach der Bush-Regierung werden wir nur ins Boot bekommen, wenn auch die Entwicklungs- und Schwellenländer entsprechend Verantwortung übernehmen. In der Vergangenheit waren vor allem die Industriestaaten für den Emissionsausstoß verantwortlich. Aber auch in den Schwellen- und EntUlrich Kelber wicklungsländern muss eine Entwicklung stattfinden, die Klimaschutz ermöglicht. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben als deutsche Position festgehalten - darüber haben wir im Bundestag mehrfach diskutiert -: Auf Dauer muss es ein globales Emissionsbudget pro Kopf geben. Jeder hat das gleiche Recht. Das ist die einzige Chance, die Schwellen- und Entwicklungsländer davon zu überzeugen, dass wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen, dass es sich nicht um eine neue Idee von Kolonialismus und Unterdrückung von Entwicklung handelt. Auf Dauer müssen alle die gleichen Rechte haben. Es ist im Hinblick auf Bali wichtig, dass wir darüber debattiert haben und dass die Bundesregierung die deutsche Position präzisiert hat. Denn Indien, China und andere Schwellen- und Entwicklungsländer haben daraufhin gesagt: Wir glauben, dass ihr es ernst meint; dies ist eine Grundlage für Verhandlungen. Diese Länder haben vor der Konferenz auf Bali und in Nairobi Verhandlungen grundsätzlich abgelehnt und gesagt: Handelt ihr erst einmal alleine; wir schauen später. Nun sagen sie: Ihr müsst handeln, aber wir sind bereit, zu verhandeln. In der Tat hat es mich gestern sehr geärgert, als es so aussah, dass wir nicht in der Lage sein werden, diese wichtige Position der Bundesregierung mit einem Beschluss des Deutschen Bundestages zu unterstützen. Ich freue mich, dass es nun anders aussieht. Wir werden in der nächsten Woche klarmachen, dass ein Emissionsbudget von 2 Tonnen pro Kopf, also eine gerechte Lastenverteilung auf der Welt, das Ziel der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages und damit der Bundesrepublik Deutschland ist; das ist ein entscheidender Punkt. Genauso wie es die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen, wollen wir 2020 das 40-Prozent-Ziel und mit der Reduzierung von heute 10 Tonnen Emissionen pro Kopf auf 2 Tonnen 2050 das 80-Prozent-Ziel erreichen. Folgendes bleibt festzuhalten: Als Umweltpolitiker und auch als Vertreter einer Seite der Koalition würde ich mir wünschen, dass manche Dinge noch schneller umgesetzt werden; das war zu Zeiten von Rot-Grün nicht anders. Das, was diese Bundesregierung und die sie stützende Koalition jetzt vorgelegt haben, ist das ambitionierteste Klimaschutzpaket nicht nur in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern auch in Europa. Auf internationalen Konferenzen merkt man, dass hiervon das Signal an die Entwicklungs- und Schwellenländer ausgeht: Deutschland meint es ernst. Diese Länder sind bereit, mit Deutschland eine Klimaschutzvereinbarung zu treffen, weil wir glaubwürdig und seriös auftreten. Wir sollten die deutsche Position im Bundestag gemeinsam unterstützen, damit die Bali-Konferenz ein Erfolg wird. Vielen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6960 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 16/6774 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksachen 16/7075, 16/7111 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/7149 Berichterstattung: Abgeordnete Katja Kipping - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7150 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundestag und Bundesrat haben sich 2004 im Vermittlungsausschuss darauf verständigt, dass die Kommunen im Zuge der Einführung der sozialen Grundsicherung um insgesamt 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Die Kosten für Unterkunft und Heizung von SGB-II-Beziehern sind nach dem Gesetz von den Kommunen zu tragen. Um das Ziel der Entlastung zu erreichen, haben Bundestag und Bundesrat vereinbart, dass sich der Bund an diesen Kosten beteiligt. Daneben trägt der Bund - bis auf wenige Ausnahmen - die gesamten Kosten für passive Leistungen und Eingliederungsleistungen im Bereich der Grundsicherung. Auch die Anhebungen gehen zulasten des Bundes. Im ersten SGB-II-Änderungsgesetz wurde im Dezember 2005 für die Jahre 2005 und 2006 die Bundesbeteiligung an den Wohnkosten abschließend auf 29,1 Prozent festgelegt. Für das Jahr 2007 wurde nach langen Verhandlungen mit den Ländern im letzten Herbst eine Vereinbarung getroffen. Dabei sind zwei Punkte entscheidend: Erstens. Die Bundesbeteiligung an den Leistungen der Kommunen für Unterkunft und Heizung wurde für das Jahr 2007 im Bundesdurchschnitt auf 31,8 Prozent festgelegt. Aus Sicht des Bundes ergibt sich daraus eine Entlastung, die deutlich höher als die zugesagten 2,5 Milliarden Euro ist. Für 14 Länder wurde die Bundesbeteiligung auf 31,2 Prozent festgelegt, für BadenWürttemberg auf 35,2 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 41,2 Prozent. Zweitens. Die Berechnung zur Be- und Entlastung der Gesamtheit der Kommunen wurde geändert. Es war ein Vorschlag der Länder, eine Berechnungsformel zu finden, die künftig Streit vermeiden soll. Wir haben deshalb vereinbart, dass die weitere Anpassung von der Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II abhängen sollte. Um es klar zu sagen: Der Bund steht zu seiner Zusage, die Kommunen insgesamt um 2,5 Milliarden Euro jährlich zu entlasten. ({0}) Das Wort „insgesamt“ ist dabei wichtig; denn der Bund kann nicht die Entlastung jeder einzelnen Kommune garantieren. Die Länder müssen im Zuge des kommunalen Finanzausgleichs für einen angemessenen Ausgleich sorgen. Für die Höhe der Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung im Jahr 2008 ist die gesetzliche Anpassungsformel maßgebend, auf die wir uns im vergangenen Jahr in Bundestag und Bundesrat geeinigt haben. Der Mechanismus ist klar: Die durchschnittliche Zahl der Bedarfsgemeinschaften hat sich um 3,7 Prozent verringert. Damit sinkt die Bundesbeteiligung für das Jahr 2008 um 2,6 Prozentpunkte auf durchschnittlich 29,2 Prozent. Das entspricht dem Auftrag des Gesetzes. Die vereinbarten Beteiligungen für einzelne Länder führen dazu, dass die Bundesbeteiligung gemäß der Anpassungsformel in 2008 für 14 Länder auf eine Höhe von 28,6 Prozent, für Baden-Württemberg auf 32,6 Prozent und für Rheinland-Pfalz auf 38,6 Prozent festzulegen ist. Das kann jeder nachrechnen; diese Formel steht so im Gesetz. Das ist das, worauf wir uns Ende 2006 geeinigt haben. Diese gemeinsam gefundene Regelung wird im vorgelegten Gesetzentwurf eins zu eins umgesetzt. Im Bundesrat wurde diesem Berechnungsmodus mit klarer Mehrheit zugestimmt, und er wurde so verabschiedet. Deshalb verstehe ich die Stellungnahme des Bundesrates nicht. Dort wird nach wenigen Monaten eine Änderung der Anpassungsformel gefordert, obwohl diese Regelung nur bis 2010 gelten sollte. Nach einer Überprüfung wäre ab 2011 sowieso eine Neuregelung möglich. Die vom Bundesrat jetzt geforderte Änderung würde nach Auffassung des Bundes außerdem dazu führen, dass es für die Kommunen kaum Anreize gäbe, die Kosten der Unterkunft pro Bedarfsgemeinschaft zu begrenzen. Bei der von den Ländern geforderten neuen Berechnungsgrundlage müsste der Bund auch Mehrausgaben bei Leistungen tragen, die im Wesentlichen von den Kommunen gesteuert werden. Der Bund selbst hätte damit kein Steuerungsinstrument. Der Bund kann aber nicht das finanzielle Risiko von Entwicklungen übernehmen, auf die er kaum Einfluss nehmen kann. Das kann niemanden verwundern und auch niemand wollen. Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für die nach langen Verhandlungen gefundene Regelung und für die Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Heinz-Peter Haustein, FDP-Fraktion. ({0})

Heinz Peter Haustein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003765, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer die Musik bestellt, bezahlt die Kapelle. ({0}) Das ist ein Grundsatz, den jeder kennt. Niemand käme doch auf den Gedanken, zu sagen: Ich bezahle nur die erste Stimme mit den Trompeten, die Altstimme mit den Waldhörnern und den Tenor mit den Tenorhörnern; den Bass und den Tiefbass bezahlt jemand anderes. ({1}) Niemand würde das tun. Bei den Kosten der Unterkunft, über die wir heute reden, ist das aber genau so. ({2}) Der Bund hat, mit heißer Nadel gestrickt, ein Gesetz gemacht, das einen riesigen bürokratischen Aufwand bedeutet. Er lässt die Kommunen letztlich auf einem Teil ihrer Kosten sitzen. Das ist so nicht in Ordnung; so kann das nicht gehen. ({3}) Im Haushaltsansatz des letzten Jahres waren 2 Milliarden Euro veranschlagt, die kommunalen Spitzenverbände haben 5,3 Milliarden Euro gefordert, und man hat sich auf 4,3 Milliarden Euro geeinigt. Hier werden wie auf dem orientalischen Basar die Milliarden hin und her geschoben. Das kann nicht Grundlage eines Gesetzes sein. ({4}) Den Kommunen wurden die Aufgaben übertragen, und eine Kostenübernahme wurde versprochen. Es war eine Entlastung von 2,5 Milliarden Euro geplant. Alleinige Grundlage dieser Berechnungen sind die Bedarfsgemeinschaften. Das ist falsch, genau das ist der Kardinalfehler. Denn obwohl die Zahl der Bedarfsgemeinschaften zurückgegangen ist, sind die Kosten gestiegen. Es wird immer wieder gesagt: Die Kommunen sollten sparen. Wie denn, wenn die Energiepreise hochgehen? Darauf haben die Kommunen keinen Einfluss. ({5}) So kann es doch nicht gehen. Die Anhörung im Ausschuss hat gezeigt, dass diese 2,5 Milliarden Euro nicht ausreichend sind. ({6}) Die Kommunen bleiben also auf einem Teil der Kosten sitzen. Die Kommunen sind aber der wichtigste Teil unseres Staates, sie sind die Säulen unseres Staates. Sie müssen entlastet und nicht belastet werden. ({7}) Was passiert im Moment? Ich habe es einmal ausrechnen lassen: Im Landkreis Freiberg - ich meine die Universitätsstadt Freiberg in Sachsen - bedeutet das für dieses Jahr eine Mehrbelastung von 500 000 Euro. ({8}) Was machen die Landkreise? Sie holen sich das Geld über die Kreisumlage von den Kommunen wieder. Was macht die Kommune, was macht die Gemeinde? Sie hat nur zwei Möglichkeiten: Sie kann die Steuern erhöhen - da bleibt nur die Gewerbesteuer oder die Grundsteuer B ; die Grundsteuer A spielt ja kaum eine Rolle -, oder sie kann freiwillige Leistungen einschränken - das will niemand -, was in der Folge zum Beispiel die Kitagebühren steigen lässt; auch das will niemand. Es ist nicht fair, dass der Bund ein Gesetz macht und die Kommunen letztlich auf den Kosten sitzen bleiben. So kann es nicht gehen, Herr Staatssekretär. ({9}) Es wird immer wieder ins Feld geführt, die Gemeinden müssten stärker dafür Sorge tragen, dass die Kosten sinken. Aber in der Expertenanhörung der letzten Woche ist mehrfach deutlich geworden, dass die Einflussmöglichkeiten der Kommunen sehr gering sind. Erschwerend kommt für die Kommunen hinzu, dass die unter 25-Jährigen wieder bei ihren Eltern wohnen müssen. Dadurch ging zwar die Zahl der Bedarfsgemeinschaften zurück, die Unterkunftskosten in den verbleibenden Bedarfsgemeinschaften steigen aber zwangsläufig an, weil mehr Personen in diesen Haushalten leben. Das Argument, die Kommunen ließen die Kosten explodieren, weil sie nicht dafür aufkommen müssten, greift nicht. Schließlich liegt die Kostenverteilung zwischen Bund und Kommunen schon heute bei 30 : 70, sodass ein ausreichender Anreiz zu Einsparungen bei den Kommunen gegeben ist. Ich kann hier als Konsequenz nur fordern und bitten: Lassen Sie die Kommunen und Landkreise nicht auf den Kosten sitzen! Entlasten Sie sie! Selbst wenn Sie etwas mehr Geld zur Verfügung stellen würden, so ist das Geld gut angelegt. Ich danke Ihnen und schließe mit einem herzlichen Glückauf aus dem Erzgebirge. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Haustein, um im Bild zu bleiben: Wir bleiben im System. Die Kapelle haben nämlich beide bestellt, Bund und Länder. Wir haben nur nicht unterschieden, wer welches Instrument spielt. Aber dass die Kapelle gemeinsam bezahlt werden muss, war eindeutig. Im Gesetzentwurf wird das auch in dieser Weise geregelt. ({0}) Im vorliegenden Gesetzentwurf wird die Beteiligung des Bundes an den kommunalen Kosten für Unterkunft und Heizung für die Empfänger der Grundsicherung für das Jahr 2008 neu festgesetzt. Das geschieht auf der gesetzlichen Grundlage des Zweiten Sozialgesetzbuches. Auch im Gesetzentwurf wird das Ziel verfolgt, die Kommunen weiterhin jährlich um 2,5 Milliarden Euro bundesweit zu entlasten. Es wurde verabredet, dass die Kommunen mit Einführung des SGB II im Jahr 2005 jährlich deswegen um diesen Betrag entlastet werden, damit sie dieses Geld in den Ausbau der Kinderbetreuung investieren. Um das Ziel der Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr zu erreichen, wurde mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Zweiten Sozialgesetzbuches für die Jahre 2005 und 2006 eine Bundesbeteiligung auf jeweils 29,1 Prozent vereinbart. Um die Angemessenheit des Bundesanteils gab es jedoch wiederholt Auseinandersetzungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Für das Jahr 2007 wurde nach langen Verhandlungen mit den Ländern eine Vereinbarung getroffen, die im Dezember des letzten Jahres mit den Stimmen aller Länder im Bundesrat gesetzlich umgesetzt wurde. Mit dieser Vereinbarung wurde die Höhe der Bundesbeteiligung für das Jahr 2007 auf bundesdurchschnittlich 31,8 Prozent angehoben. ({1}) In dem Anpassungsgesetz wurde nach einem langen politischen Abstimmungsprozess festgelegt, dass die Höhe der Bundesbeteiligung in den Jahren 2008 bis 2010 gemäß der gesetzlich verankerten Anpassungsformel anhand der Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu bestimmen ist. Das heißt: mehr Bedarfsgemeinschaften - mehr Bundeszuschuss, weniger Bedarfsgemeinschaften - weniger Bundeszuschuss. Wir haben zurzeit weniger Bedarfsgemeinschaften. Die Zahl lag im Juni 2007 8,9 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Das ist eine gute Entwicklung, an der der Bund wesentlich mitgewirkt hat. ({2}) Diese Entwicklung hat zwei wesentliche Gründe. Der erste ist, dass wir im SGB-II-Änderungsgesetz geregelt haben, dass Jugendliche unter 25 Jahren nicht mehr so einfach auf Kosten des Staates aus dem Elternhaus ausziehen können, um eine eigene Bedarfsgemeinschaft zu gründen. Mittlerweile ist die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung in diesen Fällen von der Zustimmung des kommunalen Trägers abhängig. Der zweite Grund ist erfreulich. Seit Oktober 2006 haben wir circa 380 000 Langzeitarbeitslose weniger. Das beste Programm, mit dem man Kosten senken und Menschen eine Perspektive geben kann, ist, Beschäftigung zu schaffen. Auch das schlägt sich in dieser Form nieder. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf setzen wir die gemeinsam verabschiedete Regelung um. Länder und Kommunen wollen die Anpassungsformel nun aber verändern. In der Anhörung haben die Vertreter der Kommunen und der Länder immer wieder das Argument vorgebracht, die Anpassungsformel bilde nicht die tatsächliche Entwicklung der Kosten ab. ({3}) Wie viele von Ihnen habe auch ich Briefe von Landräten erhalten, in denen darauf hingewiesen wird, dass die Kosten trotz der gesunkenen Anzahl von Bedarfsgemeinschaften steigen. ({4}) Als Gründe für die Kostensteigerung führen sie unter anderem die gestiegenen Energiepreise an. Die nun von Kommunen und Ländern geforderte Anpassung auf der Basis der Ausgaben wird unter anderem mit den im Jahr 2006 gestiegenen Ausgaben pro Bedarfsgemeinschaft begründet. Der Anstieg dieser Kosten war aber ebenso wie die Folgen des im Jahr 2006 geänderten Umzugsrechts von unter 25-Jährigen allen Beteiligten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bekannt. ({5}) Es fällt mir deshalb schwer, die nachträglich vorgetragene Argumentation nachzuvollziehen. Ohne die Regelung für unter 25-Jährige wären nämlich viele von ihnen zusätzlich mit eigenen Wohnkostenansprüchen an die Kommunen herangetreten. Die Kommunen müssen nun ein Interesse daran haben, die Wohnkosten einer Bedarfsgemeinschaft tatsächlich zu kontrollieren. Wenn die Wohnkosten einer Bedarfsgemeinschaft extrem - ich betone: extrem - über dem Durchschnitt liegen, muss die Angemessenheit der Wohnung überprüft werden. Das werden sie aus Eigeninteresse machen; denn schließlich tragen die Kommunen über 70 Prozent der Kosten. ({6}) Der Bund wird sich auch weiterhin an den Kosten für Unterkunft und Heizung beteiligen. Er tut dies, um sicherzustellen, dass die Kommunen im Zuge der SGB-IIEinführung um insgesamt 2,5 Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden. Sollte dies nachweislich nicht geschehen, bin ich allerdings der Auffassung, dass die Bemessungsgrundlage überprüft werden muss. Der Bund hat sich an die politische Vereinbarung gehalten. Aus diesem Grunde werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält die Kollegin Katrin Kunert, Fraktion Die Linke. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus dieser Debatte kann ich nur ein Fazit ableiten: Der Bund will sich aus der Verantwortung rechnen. Das kann nicht sein! ({0}) Herr Andres, den Beweis für eine Entlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro sind Sie bis heute schuldig geblieben. ({1}) - Das ist kein Quatsch. Sie müssen das einmal belegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Staatssekretär, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass ein Zuruf von der Regierungsbank selbst dann unzulässig bliebe, wenn er in der Sache richtig wäre. ({0})

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Seit Inkrafttreten des SGB II ist die Kostenbeteiligung des Bundes zwischen Bund und Kommunen umstritten. Regelmäßig gab es lange Debatten darüber, wie hoch der Bundesanteil sein soll. Regelmäßig standen die Spitzenverbände auf der Matte, weil die Belastungen vor allem auf die Kommunen abgewälzt werden. Nun wollen Sie mit einer Anpassungsformel den künftigen Bundesanteil errechnen: Je weniger Bedarfsgemeinschaften, desto geringer ist der Bundesanteil, heißt es. Sie alle wissen, dass die Kosten der Kommunen trotz einer sinkenden Zahl von Bedarfsgemeinschaften gleichgeblieben bzw. gestiegen sind. Durchschnittlich sind die Kosten für Unterkunft um 10 Prozent gestiegen. Da sich der Anteil des Bundes nach der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften richtet, hat der Bund einfach ihre Anzahl per Gesetz gesenkt: Junge Erwachsene bis 25 Jahre dürfen nur in Ausnahmefällen eine eigene Bedarfsgemeinschaft bilden. Das ist Nesthockerei per Gesetz. Es ist außerdem Betrug, weil die Kosten für die bestehenden Bedarfsgemeinschaften dadurch steigen. Für den Landkreis Stendal, aus dem ich komme und in dem ich selbst kommunale Mandatsträgerin bin, würde Ihre Formel bedeuten, dass künftig 900 000 Euro weniger als im Jahre 2007 fließen. Legt man jedoch die tatsächlichen Kosten zugrunde, wäre stattdessen eine zusätzliche Bundesbeteiligung in Höhe von 1,2 Millionen Euro erforderlich. Damit ergibt sich für den Landkreis Stendal eine Finanzierungslücke von 2,1 Millionen Euro für 2008. Hier erweist sich Ihre Anpassungsformel als falsch; denn die Faktoren stehen in keinem sachlichen Zusammenhang. Ihre Formel ist einfach praxisuntauglich. ({0}) Herr Andres, Sie sollten angesichts dieses Defizits in der Finanzierung einmal deutlich machen, wie man noch Anreize schaffen will. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, möchten Sie denn jetzt durch eine Zwischenfrage vielleicht ein bisschen zusätzliche Redezeit?

Katrin Kunert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003795, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, das möchte ich nicht. Ich denke, dass ich sehr deutlich bin. Die Linke fordert, die realen Kosten von Unterkunft und Heizung als Basis für die weitere Berechnung des Anteils zu nehmen. Eines wird an dieser Stelle wiederum deutlich: Hätten die Kommunen von Anfang an mit am Verhandlungstisch gesessen, wären beim Bund wenig Ärger und auch wenig Arbeit entstanden. Man kann nicht mit den Ländern einen Deal zulasten der Kommunen schließen und sich dann darüber wundern, wenn es Stress gibt. Herr Kollege Stöckel von der SPD, im Gegensatz zu Ihnen halte ich die Forderungen der Kommunen nicht für Propaganda. ({0}) - Er hat es gestern im Ausschuss so gesagt. - Weil es hier um Menschen und nicht um Zahlen geht, nehme ich die Forderungen sehr ernst. Es ist sehr bemerkenswert: Eigentlich müssten Ihnen die Probleme, was die Kosten der Unterkunft angeht, bekannt sein. Der Kreis Unna ist bundesweit einer der Kreise mit den meisten Zwangsumzügen. Auch der Landkreistag des Landes NordrheinWestfalen hat dieses Problem festgestellt. ({1}) Der Vorsitzende des Sozial- und Jugendausschusses des Landkreistages NRW sagte, bei Umsetzung der Quotenabsenkung drohe den 54 Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen im nächsten Jahr ein Verlust von mehr als 130 Millionen Euro. Sie müssten diese Probleme in Nordrhein-Westfalen eigentlich kennen. ({2}) Die Linke fordert ein einklagbares Mitwirkungs- und Beteiligungsrecht für die kommunalen Spitzenverbände ohne Wenn und Aber. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Vorwurf der Koalition an die Kommunen, sie gingen nicht verantwortungsvoll mit den Kosten der Unterkunft um, ist Unsinn. Die Kommunen finanzieren bereits heute einen Anteil der Kosten von bis zu 70 Prozent und gehen demzufolge in ihrem eigenen Interesse und im Interesse der Betroffenen vernünftig damit um. Aber der Rückzug des Bundes aus der Finanzierung treibt die Kommunen dazu, die Kürzungen an die Betroffenen weiterzugeben, und das lehnen wir ab. ({3}) Wenn Sie so wenig Vertrauen in die Kommunen haben, später vielleicht verlässliche Zahlen für die Kosten der Unterkunft zu bekommen, dann erlassen Sie doch einfach bundesweite Mindeststandards für die Berechnung der Kosten der Unterkunft, die dann auch belastbar sind. Vorschläge dazu haben wir unterbreitet; sie liegen auf dem Tisch. Sie haben diese Vorschläge abgelehnt. Dass es geht, zeigt der rot-rote Senat in Berlin. Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ich bin der Auffassung, dass der Grundsatz, dass derjenige, der bestellt, auch bezahlen soll, endlich auch im Bundestag in die Praxis umgesetzt werden sollte. Also: Das Konnexitätsprinzip einhalten! Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.

Britta Haßelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003764, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär! Es wird hier von Kapellen gesprochen und davon, wer sie bestellt und bezahlt. Fazit: Nach Ihrem Vorschlag - das sollten wir festhalten zahlen die Kommunen. Ich gestehe Ihnen meine Verwunderung darüber. Ich wundere mich deshalb, weil meine Partei doch nicht die einzige ist, die eine kommunale Basis hat. Schreiben Ihnen die vielen redlichen christdemokratischen und sozialdemokratischen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die vor Ort mit spitzem Bleistift kalkulieren - übrigens rechnen sie mit der BA spitz ab, um ihre Gemeinde vor der Haushaltssicherung zu bewahren; das sind keine Wolkenkuckucksheime -, eigentlich nicht? Rufen sie nicht bei Ihnen an? Erklären sie Ihnen nicht, dass das föderale Fundament weggespart wird, wenn Sie den Bundeszuschuss zu den Kosten der Unterkunft um 400 Millionen Euro reduzieren, während die realen Kosten für die Kommunen um 10 Prozent gestiegen sind? Herr Staatssekretär, Ihre Botschaft lautet an dieser Stelle ganz einfach: Einmal vereinbart, immer vereinbart. Über Veränderungen sprechen wir ab 2011, egal wie die harten Zahlen jetzt sind. - Ich sage nur: 10 Prozent Kostensteigerung für die Kommunen. Wie wir alle wissen, wurde dieser Bundeszuschuss in einem langwierigen, zum Teil abenteuerlichen Verfahren verhandelt. Dabei wurde die Zahl der Bedarfsgemeinschaften als Maßstab herangezogen, von dem zu erwarten war, dass er die reale Kostenentwicklung nicht abbilden kann. Dann hat man noch über Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz geredet, die einen kräftigen Abschlag bekommen haben. - So soll es auch bleiben. Kein Mensch kann bis heute erklären, warum Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg eine höhere prozentuale Beteiligung an den Kosten der Unterkunft bekommen als die anderen 14 Bundesländer. Um eine Begründung, meine Damen und Herren, kommen Sie an der Stelle nicht herum. Sie wissen: Zwar ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften gesunken, aber dafür ist ihre Größe gestiegen. Das ist ein Resultat der unsäglichen Regelung - das sage ich im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schiewerling -, unter 25-Jährige nicht mehr als eigene Bedarfsgemeinschaft anzuerkennen und zurück zu ihren Eltern zu schicken. Sie können nicht ernsthaft bestreiten, dass die Kosten für Miete und Heizung gestiegen sind. Wenn Sie also wirklich zu dem Versprechen stehen, die Kommunen um 2,5 Milliarden Euro zu entlasten, wenn die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Ihnen als Maßstab gedacht war, um wirklich die reale Ausgabenentwicklung abzubilden, sich nun aber erwiesen hat, dass dieser Maßstab nicht geeignet ist, warum ändern Sie ihn dann nicht, sondern warten erst einmal ab? ({0}) Außerdem müssen wir etwas tun - das sage ich auch ganz deutlich -, um die massive Verlagerung vom Wohngeld zu den Kosten der Unterkunft zu korrigieren. ({1}) Hier sind alle gefordert, alle, die Einfluss auf die Länder haben; denn es ist nicht hinnehmbar, wie sich die Länder an dieser Stelle positionieren. Beim Wohngeld gibt es einen Rückgang von 5,18 Millionen Euro auf 1,16 Millionen Euro und eine absolute Verlagerung hin zu den Kosten der Unterkunft, die wir jetzt bei den Kommunen abladen. Das wissen alle, die darüber heute hier diskutieren. ({2}) Ich bin gespannt, wie Sie das Ihren Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern vor Ort erklären. Die Länder - das ist ganz eindeutig - dürfen nicht aus der Verantwortung entlassen werden. ({3}) Aber auch wir können nicht einfach sagen: Weil es mit den Ländern so kompliziert ist, lassen wir das Problem bei den Kommunen; in Klammern: 10 Prozent Kostensteigerung. Ein weiterer Beleg für diese Problematik vor Ort ist aus meiner Sicht, dass wir nicht genügend vorgelagerte Sicherungssysteme wie etwa den Mindestlohn haben. Wir wissen, dass die größte Problematik die der Aufstocker ist. ({4}) Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass für Menschen, die nicht genug Geld haben oder nicht genug für ihre Arbeit bekommen, auch Kosten der Unterkunft anfallen. Dafür haben wir eine Verantwortung. Auch dieses Problem wälzen wir auf die Kommunen ab, indem wir sagen: Der Schlüssel, wie er vereinbart ist, wird einfach fortgeschrieben. Es ist an dieser Stelle den Kommunen gegenüber als letztem Glied in der Kette nicht fair - wir reden doch gern von der Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen -, die Verantwortung abzuschieben, uns auf einen Schlüssel zu beziehen, der in einem komplizierten Verfahren vereinbart wurde, und so zu tun, als gehe uns das nichts an. Lassen Sie mich zum Schluss sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Konrad Adenauer hat die Ministerpräsidenten der Länder gern als Zaunkönige bezeichnet. Wenn Sie so beschließen, wie hier vorgesehen, beweisen Sie heute, dass die Kommunen bei Ihnen noch nicht einmal Zaunkönige, sondern allenfalls Zaungäste sind. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes erhält der Kollege Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz vor Weihnachten haben wir hier einige Märchen aus dem Erzgebirge gehört. ({0}) Das war Geschichtsklitterung pur. Sie wissen genau, wie im Vermittlungsausschuss nach langer Vorbereitung und mit der Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und der Länder das Gesetz zur Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe entstanden ist und dass die Aufteilung der finanziellen Lasten nicht etwa willkürlich erfolgt ist oder mit heißer Nadel gestrickt war. Es gab komplizierte Berechnungen der Steuerfachleute der gesamten Republik. Für das erste Geltungsjahr des Gesetzes, das Jahr 2005, haben wir eine Beteiligung des Bundes an den Unterkunftskosten von 29,1 Prozent vereinbart - mit Billigung des Bundesrates und der entsprechenden Verbände. Wenn dieses neue Gesetz in Kraft getreten sein wird und wirken wird, ist eine Absenkung von 31,8 Prozent im Schnitt auf dann 29,2 Prozent im Schnitt zu konstatieren; immerhin noch eine höhere Beteiligung des Bundes als im Jahr 2005. Ich will dann etwas zu Frau Kunert sagen, die hier zu Recht auf die Steigerung der Kosten der Unterkunft bei den Kommunen hingewiesen hat. Ich finde gut, dass sie sich auch um die Zahlen im Kreis Unna kümmert. Ich könnte das noch genauer darlegen. Ich habe nicht nur einen Brief meines Landrates bekommen, sondern ich werde in der nächsten Woche auch an einer Veranstaltung mit meiner Kreistagsfraktion teilnehmen, bei der es genau um dieses Thema gehen wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen, auch aus der Linkspartei, bin ich nicht bereit, auf kommunaler Ebene anders zu reden als im Bundestag. Denn wir tragen gemeinsam die Verantwortung für den Bundeshaushalt. Auf der einen Seite fordern Sie die Erhöhung der Regelsätze und die Erweiterung der Rechtsansprüche im Bereich des SGB II. Auf der anderen Seite rechnen Sie aber nicht aus, welche Kostensteigerungen dem Bund, was die Passivleistungen und die Eingliederungsleistungen angeht, und welche Kostensteigerung Ihren Kommunen durch die Übernahme der Kosten für die Unterkunft entstehen würden. ({1}) Da Sie nach dem Motto „Kann es noch ein Viertelpfund mehr sein?“ verantwortungslos diese Forderungen aufstellen, sollten Sie einmal sagen, was Ihre Forderung nach einer Steigerung der Regelsätze kosten würde. Man muss deutlich sagen, dass der Bund wegen seines prozentualen Anteils - in diesem Punkt möchte ich Sie einmal aufklären - an den Kostensteigerungen für die Kommunen bereits beteiligt ist. Wir müssen mit den Ländern, die diesen Schlüssel einstimmig beschlossen haben, verhandeln. ({2}) Dass man sich dabei an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften orientiert, halte ich für ausgesprochen richtig. Wir halten uns selbstverständlich an diese Vereinbarung. Der Kollege Schiewerling hat hier sehr gut begründet, warum es darauf ankommt, die Kosten vor allem durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik zu senken, die Zahl der Bedarfsgemeinschaften zu verringern und die Zahl der Langzeitarbeitslosen zu senken, indem wir sie qualifizieren und in Arbeit bringen. Außerdem müssen wir vernünftige Angebote für Jugendliche in Sachen Bildung und Ausbildung machen. Auch da sind Länder und Kommunen in der Verantwortung. Damit verhindern wir, dass weitere Bedarfsgemeinschaften und -dynastien entstehen. Wir hatten eine Anhörung, in der nicht seriös nachgewiesen werden konnte, wie die aktuellen Kostensteigerungen in den Kommunen sind. Es konnte nicht dargelegt werden, ob die Länder ihre Einsparungen beim Wohngeld an die Kommunen weitergeben. Es konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass es einen vernünftigen kommunalen Finanzausgleich in den Ländern vor allem für die besonders betroffenen Kommunen - dazu gehört auch der Kreis Unna - gibt. Ich komme zum Schluss. Der Bund hilft den Kommunen vor allen Dingen dadurch, dass er die Eingliederungsmittel im Haushalt 2008 erhöht hat, dass er die durch den Kommunalkombi öffentlich geförderte Beschäftigung unterstützt und bei der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen mit besonderen Vermittlungshemmnissen Hilfe leistet. Mit Blick auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie auf die Beitrags- und Steuerzahler in dieser Republik muss er eine abgewogene Überprüfung der Regelsätze und der Regelsatzanpassung und damit der Rechtsansprüche im Rahmen des SGB II vornehmen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregie- rung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/7149, die gleich- lautenden Gesetzentwürfe auf Drucksachen 16/6774, 16/7075 und 16/7111 als Drittes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch unverändert anzu- nehmen. Hierzu liegen mir persönliche Erklärungen zur Abstimmung der Kollegen Dr. Peter Jahr und Manfred Kolbe vor.1) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen 1) Anlage 6 Präsident Dr. Norbert Lammert die Stimmen der Opposition und einer Stimme aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie zuvor angenommen. Ich lasse nun über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7189 abstimmen. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Opferinteressen ernst nehmen - Opferschutz stärken - Drucksache 16/7004 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für diese Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich hören keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion. ({1})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diesen Antrag vorgelegt, weil wir die Debatte um den Opferschutz im Deutschen Bundestag wieder neu beleben wollen. Ich glaube, es ist uns in den letzten Jahren gelungen, in diesem Bereich eine Menge zu erreichen. Insbesondere das Gesetz von 2004 hat eine erhebliche Verbesserung des Opferschutzes gebracht. Ich stelle auch fest, dass beispielsweise die Webseite des Justizministeriums in besonderer Weise den Interessen der Opfer gerecht wird und dass das Bundesjustizministerium eine Opferfibel herausgegeben hat. Ich freue mich über diese Entwicklung ganz außerordentlich. Die Opfer sind immer diejenigen gewesen, die vergessen werden, die insbesondere auch bei der Presseberichterstattung vergessen werden. Wir lesen immer sehr viel über die schlechte Jugend von Tätern. Aber welche Folgen eine Tat bei den Opfern, bei den Angehörigen von Opfern verursacht, darüber lesen wir nur sehr wenig. Deshalb finde ich es gut, dass wir uns in der Politik gemeinsam darum bemühen, die Rolle der Opfer im Strafprozess zu verbessern. Ich bin den Kollegen, die sich mit auf diesem Feld engagieren - ich sehe den Kollegen Kauder, ich sehe den Kollegen Montag, aber auch Kollegen der SPD gehören dazu -, dankbar dafür. Wir sollten uns gemeinsam darum bemühen, das weiter voranzutreiben. ({0}) Deshalb haben wir in unserem Antrag einige Punkte aufgeführt, von denen wir glauben, dass die Chance bestehen sollte, gemeinsam an einer Fortentwicklung der Opferinteressen zu arbeiten. Deshalb gilt unser Antrag als Einladung an die anderen Fraktionen, das gemeinsam zu versuchen. Ich will nicht alle Punkte ansprechen, die wir in unserem Antrag aufgelistet haben. Ein paar sind mir allerdings besonders wichtig. Diejenigen, die die entsprechenden Debatten in der Vergangenheit verfolgt haben, wissen, dass mir ein Thema ganz besonders am Herzen liegt, nämlich die Situation derer, die Opfer von Attentaten im Ausland geworden sind. Ich erinnere etwa an die Anschläge auf Djerba, auf Bali oder in anderen Orten. Die Deutschen sind Reiseweltmeister. Deshalb sind immer auch Deutsche von diesen Attentaten betroffen gewesen. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir insbesondere die Rolle dieser Opfer stärken. Dazu sind einige Maßnahmen ergriffen worden. Das sehe ich. Aber ich hätte es gern, dass diese Opfer wirklich Rechtsansprüche haben. ({1}) Dass das möglich ist, zeigt beispielsweise unser Nachbarland Österreich, das eben keinen Unterschied macht, wo man Opfer eines Anschlags geworden ist. Das sucht man sich selbst ja auch nicht aus. ({2}) Es ist schlimm genug, wenn man Opfer eines Anschlags geworden ist. Dann darf es keinen Unterschied machen, ob dieser Anschlag im Inland oder im Ausland passiert ist. Dann muss man gleiche Rechte und Ansprüche haben. ({3}) Ein zweiter Punkt, der mir auch außerordentlich wichtig ist, hängt mit meiner dienstlichen Tätigkeit als Oberstaatsanwalt zusammen. Wer mit Angehörigen gesprochen hat, deren Kind ermordet worden ist, weiß, welche Belastung das für die Familien bedeutet, nicht nur unmittelbar nach der Tat, sondern auch noch lange danach. Hier sollten wir darüber nachdenken, wie wir die Möglichkeiten, zu Hilfen für die Angehörigen zu kommen, verbessern können. Ich glaube, sie haben es verdient, ({4}) dass wir alle Anstrengungen unternehmen, um deren Rechtsposition zu verbessern. Ein dritter Punkt - auch er ist mir besonders wichtig ist die Arbeit der Opferschutzorganisationen. Der Kollege Kauder ist in einer wichtigen Opferschutzorganisation, nämlich im Weißen Ring, in verantwortlicher Stellung tätig. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er dieses ehrenamtliche Engagement ausübt. Ehrenämter von Abgeordneten werden gerade in diesen Tagen immer wieder kritisch beleuchtet. Ich glaube, dass die Tätigkeit von Herrn Kauder beispielhaft dafür ist, wie sich ein Kollege von uns im Interesse aller in einer ehrenamtlichen Funktion einsetzt. Wir alle wissen, dass es im Bereich der Opferschutzorganisationen viele Ehrenamtliche gibt, die wertvolle Hilfe leisten: Sie sind Ansprechpartner und stützen Menschen. Alle Opferschutzorganisationen haben erhebliche finanzielle Probleme. Wir möchten hier anstoßen, darüber nachzudenken, wie es zu einer besseren finanziellen Ausstattung der Opferschutzorganisationen kommen kann. Angesichts der finanziellen Lage der Länder muss man dafür Verständnis haben, dass die Justizministerien der Länder möchten, dass beispielsweise die Einnahmen aus Geldstrafen in die Länderhaushalte fließen. Es dient uns allen, darüber nachzudenken, wie Strafgelder in diesem Zusammenhang genutzt werden können. Unser Antrag enthält eine Fülle von Anregungen. Ich hoffe, dass wir ins Gespräch kommen und dass das, was in der Vergangenheit gelungen ist, nämlich gemeinsam über vernünftige Lösungen zu streiten, eine Fortsetzung findet. Dafür einzutreten, das ist meine Bitte. Diese Debatte soll der erste Anstoß dafür sein. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Siegfried Kauder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege van Essen, wenn uns der Antrag der FDP auf einem gemeinsamen Weg zur Verbesserung von Opferrechten verbinden würde, dann wäre er gut. Aber er spaltet schon beim Titel: „Opferinteressen ernst nehmen Opferschutz stärken“. Das impliziert, dass diejenigen, die diesem Antrag zustimmen, Opferinteressen ernst nehmen, und dass diejenigen, die ihn ablehnen, Opferinteressen nicht ernst nehmen. Dieser Antrag kam mir von Anfang an bekannt vor. Ich kam auch schnell dahinter, warum: Man hat wortgetreu aus den Strafrechtspolitischen Forderungen des Weißen Ringes, Stand 20. März 2007, abgeschrieben. Die Forderung 6 - dabei geht es um die Beteiligung des Opfers am Deal im Strafverfahren - wurde ausgelassen, aber sei’s drum. Ich glaube, wir sollten nicht spalten. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion brauchen uns den Vorwurf, Opferinteressen nicht ernst zu nehmen, sicherlich nicht gefallen zu lassen. ({0}) Der erste Schritt zur Verbesserung des Opferschutzes wurde im Jahr 1986 mit der Verabschiedung des Opferschutzgesetzes getan, und dann geschah viele Jahre nichts, weil sich bei Rechtspolitikern, bei Staatsanwälten, bei Richtern, aber auch bei Anwälten erst die Erkenntnis einstellen musste, dass ein Strafverfahren eben nicht nur ein Verfahren um die Unschuld oder Schuld eines Angeklagten, sondern auch um das Schicksal eines Opfers ist. Ich wäre froh, wenn von diesem Hause die Botschaft ausginge, dass wir alle redlich und ernsthaft bemüht sind, die Situation von Opfern im Strafverfahren noch weiter zu verbessern, als wir es in letzter Zeit ohnehin schon geschafft haben. ({1}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Jahr 2003 den Entwurf eines 2. Opferschutzgesetzes eingebracht. Dieser Gesetzentwurf mündete im Jahr 2004 in das sogenannte Opferrechtsreformgesetz, durch das wesentliche Verbesserungen der Position des Opfers erreicht wurden, insbesondere was das Adhäsionsverfahren anbelangt. Für ein Opfer ist es inzwischen wesentlich leichter, direkt im Strafverfahren Schmerzensgeldansprüche durchzusetzen. Aber eine große Baustelle blieb: der Opferschutz im Jugendstrafverfahren. Auch das ist inzwischen geregelt, nämlich im 2. Justizmodernisierungsgesetz, das im Jahr 2006 verabschiedet wurde. Seither gibt es auch im Jugendstrafverfahren einen umfassenden Opferschutz mit der Möglichkeit der Nebenklage. Natürlich kann man immer noch etwas verbessern; das ist überhaupt keine Frage. Herr Kollege van Essen, der Weiße Ring darf strafrechtliche Forderungen erheben und darf sich damit an die Politik wenden. Es ist aber Aufgabe der Politik, so etwas umzusetzen. Wenn man sich Ihren Antrag anschaut, stellt man sehr schnell fest, dass er Forderungen enthält, die ohne das Mitwirken der Länder nicht erfüllt werden können. So verlangen Sie beispielsweise eine Ausweitung des Katalogs und wollen den Opferanwalt auf Staatskosten, § 397 a der Strafprozessordnung. Diese Forderung ist sicherlich berechtigt. Nur, zahlen müssen die dadurch anfallenden Mehrkosten die Länder. Herr van Essen, Sie haben das Glück, dass Sie in einem Bundesland, in Baden-Württemberg, den Justizminister stellen. ({2}) Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Minister Goll den Finger gehoben hat, als diese Forderungen im Raum standen. Das Gleiche gilt für die Forderung, 10 Prozent der Geldstrafen Opferschutzorganisationen zuzuführen. Natürlich würden wir uns darüber freuen; das ist überhaupt keine Frage. Ich kann mich sehr wohl daran erinnern, als die Bundesjustizministerin in der 14. Legislaturperiode auf der Grundlage des EU-Rahmenbeschlusses vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Straf13192 Siegfried Kauder ({3}) verfahren diese Forderung erhoben hat und in die Länder zu transportieren versuchte. Auch da hat sich kein Landesjustizminister gemeldet und gesagt: Die Forderung finde ich berechtigt. Die fiskalischen Interessen gingen vor. Die Bundesjustizministerin hat reagiert und in der nächsten Legislaturperiode, also in der 15., die Forderung, 10 Prozent der Geldstrafen Opferschutzorganisationen zuzuführen, auf 5 Prozent reduziert. Auch da gab es keine große Freude bei den Landesjustizministern. Daraus sieht man, dass es nur im Gleichklang mit den Ländern etwas geben wird. ({4}) Wir dürfen nicht verkennen, dass die Länder inzwischen zahlreiche Initiativen gestartet haben. Am letzten Freitag ist eine Initiative durch den Bundesrat gelaufen: Gesetzentwurf zur Stärkung des Opferschutzes im Strafprozess. ({5}) Wenn Sie diesen Entwurf mit dem abgleichen, was Sie hier fordern, werden Sie feststellen, dass auch dort Kernstück die Forderung nach einem Opferanwalt auf Staatskosten ist, dass aber zwei Strafvorschriften, die Sie gern eingebunden hätten, in diesem Entwurf nicht enthalten sind. Den Opferanwalt auf Staatskosten wird es nach Vorstellung der Länder beim schweren Raub und bei der räuberischen Erpressung nicht geben. Sie sehen daran, dass wir gar nicht so weit voneinander entfernt sind, dass wir deswegen mit einem überzogenen Antrag, der sich in der Politik nicht umsetzen lassen wird, den Ländern nicht in den Rücken fallen, sondern wohlwollend deren Anliegen prüfen sollten. So fand ich beispielsweise die Idee des Landes Schleswig-Holstein bemerkenswert, das Adhäsionsverfahren, also das Verfahren, in dem Schmerzensgeld im Strafverfahren geltend gemacht werden kann, auch auf das Strafbefehlsverfahren auszuweiten. Diejenigen, die es zu bezahlen haben, haben innovative Ideen. Wir sollten die Länder in ihren Anliegen unterstützen. Ich freue mich auf eine gute Beratung, wenn dieser Gesetzentwurf eingebracht wird. Zum Antrag der FDP kann ich leider nur sagen: Gut, dass darüber gesprochen wurde. Mehr kommt dabei nicht heraus. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke spricht sich eindeutig für die Stärkung des Opferschutzes aus. Welche psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen ein Gewalterlebnis für Betroffene und deren Angehörige haben kann - Herr van Essen hat eben darüber gesprochen -, was diese Betroffenen empfinden, darf nicht unterschätzt werden. Gewaltopfer benötigen Hilfe, und zwar schnell und unbürokratisch. Deshalb begrüßen wir hier heute den Antrag der FDP-Fraktion. ({0}) Es geht hier tatsächlich einmal darum, Opfern zu helfen. Denn zu dem, was uns die Große Koalition bisher vorgelegt hat, Herr Kauder, muss man leider sagen, dass immer wieder die Forderung nach längeren Strafen erhoben wird, aber keine wirklichen Hilfen für die Opfer vorgeschlagen werden. ({1}) Aber von härteren Strafen können sich die Opfer nichts kaufen. Deswegen treten wir dafür ein, dass die Gesellschaft mit den Opfern solidarisch ist, ihr Leid anerkennt und praktisch und unbürokratisch geholfen wird. Der Antrag der FDP-Fraktion spricht viele wichtige und richtige Punkte an. Gewaltopfer und ihre Angehörigen brauchen zum Beispiel einen leichteren Zugang zu psychotherapeutischen Behandlungen. Den Behörden muss ein größerer Spielraum eingeräumt werden, um minderjährigen Opfern schnell und unbürokratisch ärztlich und psychologisch helfen zu können. Ich finde auch sehr wichtig: Wer im Ausland Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist, darf nicht schlechter gestellt werden, als wenn er im Inland die gleiche Schädigung erleidet. ({2}) Meiner Ansicht nach gibt es dennoch einige offene Punkte, die ich hier heute nur kurz anreißen kann. Erstens bestehen für Touristen aus dem außereuropäischen Ausland Regelungslücken. Gerade dann, wenn sie zum Beispiel Opfer rassistischer Gewalt in Deutschland werden, sollten sie einfachen Zugang zur Entschädigung erhalten. Das Gleiche gilt übrigens für Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus. Ich kann einfach nicht einsehen, warum gerade diejenigen, die ohnehin schon von überholten Ausländergesetzen diskriminiert werden, auch noch beim Opferschutz schlechter gestellt werden sollen. ({3}) Zweitens muss die weiter bestehende Ungleichheit bei der Opferentschädigung von Ost- und Westdeutschen endlich aufhören. Die Linke wird sich dafür einsetzen, dass es diesbezüglich keine Unterschiede mehr gibt. ({4}) Was endlich abgeschafft werden sollte, ist zum Beispiel der Ausschlussgrund der politischen Betätigung im Ausland. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Dieser Ausschlussgrund betrifft Menschen, die in Deutschland Opfer von Racheakten werden, weil sie im Ausland poliUlla Jelpke tisch aktiv gewesen sind, unter Umständen sogar wegen dieser Aktivität hier in Deutschland Asyl gefunden haben. Jedenfalls können wir nicht einsehen, warum die Opfer politischer Gewalt hinter den Opfern sogenannter normaler Kriminalität zurückstehen sollen. Darüber hinaus fehlt es noch an Hilfe - wahrscheinlich ist sie nicht einmal angedacht worden - für die Opfer von Gewalt, die im staatlichen Auftrag ausgeführt wird. Als Beispiel nenne ich den Fall Khaled el-Masri, den Sie alle kennen. Niemand hat Herrn el-Masri geholfen, als er aus der Folterhölle wieder herauskam. Sie alle kennen die Situation, in der er sich befunden hat. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, auch solchen Opfern Hilfe aus einem Opferfonds zukommen zu lassen bzw. sie im Gesetz zu berücksichtigen. Danke schön. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD hat jetzt der Kollege Matthias Miersch das Wort. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das heutige Thema verdient eine sachliche Auseinandersetzung. Herr Kollege Kauder, ich bin mir sicher, dass wir das Anliegen der FDP in der Großen Koalition sorgfältig prüfen ({0}) und die unterschiedlichen Standpunkte in den vor uns liegenden Beratungen sorgsam abwägen werden. Rot-Grün hat mit dem Opferrechtsreformgesetz wichtige Opferrechte gestärkt. Ich bin dem Kollegen van Essen dankbar, dass er darauf hingewiesen hat. Das Adhäsionsverfahren wurde etabliert, und wichtige Informations- und Beteiligungsrechte wurden eingeführt. Somit wurde der Opferschutz eindeutig gestärkt. Auch die jetzige Koalition, Herr Kollege Kauder, arbeitet an Problemen wie beispielsweise der Entschädigung von Opfern von Terrorakten im Ausland. Auch die Bundesjustizministerin hat mehrfach deutlich gemacht, dass das ein Thema ist. Insofern verdient dieser Antrag eine sorgfältige Beratung. Das sind wir allen schuldig. ({1}) Der Antrag setzt an zwei Hauptpunkten an: der Strafprozessordnung und dem Opferentschädigungsgesetz. Eine Forderung ist, den Katalog des § 397 a der Strafprozessordnung um die Delikte Raub, Geiselnahme und schwere Körperverletzung zu erweitern, also auch in diesen Fällen einen Opferanwalt auf Staatskosten zur Verfügung zu stellen. Als Strafverteidiger bin ich der Auffassung, dass wir sehr sorgfältig prüfen müssen, ob wir mit diesem Instrumentarium tatsächlich eine Verbesserung erreichen. Ich war selbst gemäß § 397 a der Strafprozessordnung mehrfach beigeordneter Anwalt in Menschenhandelsprozessen und weiß, wie wichtig es beispielsweise ist, die Interessen von Opfern, die sich nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, auf diese Art und Weise wahrzunehmen. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber fragen, was Aufgabe des Strafprozesses ist. Wir müssen aufpassen, dass wir die Funktion des Strafprozesses mit dieser Forderung nicht unterlaufen. Wir haben die Funktion der Nebenklage, wir haben die Funktion der Beiordnung nach § 397 a der Strafprozessordnung in bestimmten Konstellationen, und wir haben die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe nebst der Möglichkeit des Zeugenbeistands. Das alles sind Punkte, die in der Praxis heute eine durchaus wichtige Rolle spielen. Außerdem gibt es die Staatsanwaltschaften, die im Strafprozess eigentlich die Hauptrolle spielen und den Strafanspruch des Staates prüfen und durchsetzen müssen. Wenn ich mir die Bundesratsinitiativen bestimmter Bundesländer vor Augen halte, habe ich an dieser Stelle durchaus Zweifel. Denn meines Erachtens kann man sich nicht für die Erweiterung der Opferrechte, beispielsweise durch eine Ausdehnung von § 397 a der Strafprozessordnung, aussprechen und gleichzeitig die Staatsanwaltschaften in ihrer mehr als unzulänglichen personellen Situation belassen. ({2}) Gerade Niedersachsen - Herr van Essen, dort ist Ihre Partei ja an der Regierung beteiligt - hat, was die personelle Ausstattung der Staatsanwaltschaften und der Gerichte anbelangt, seine Hausaufgaben leider nicht gemacht. ({3}) Der Niedersächsische Richterbund spricht davon, dass Hunderte von Richtern und Staatsanwälten fehlen. Hier muss an die Bundesländer appelliert werden. An dieser Stelle wäre der Opferschutz auch dadurch zu verbessern, dass man die Institutionen stärkt und sie personell angemessen ausstattet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass Opferschutz bei der Frage beginnen muss: Wie kommt es überhaupt zu Straftaten? Es ist wichtig, dass wir dieses Thema nicht nur begutachten, indem wir uns dem Strafprozess nähern, sondern auch, indem wir uns den Fragen zuwenden: Was hat es mit der Prävention auf sich? Was hat es mit Projekten im Bereich der Jugendarbeit auf sich? An vielen Stellen sind die Länder gefordert. Auch hier muss man, wie ich glaube, an sie appellieren. ({4}) Wenn es um die Opferrechte geht, muss man sich auch sehr sorgsam mit dem Täter-Opfer-Ausgleich beschäftigen. ({5}) Denn gerade hier finden wir eine Konstellation vor, die auf Ausgleich und nicht auf Konfrontation zielt. In diesen enorm wichtigen Diskussionsprozess müssen wir eintreten. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie im Zusammenhang mit den Hinweispflichten bei der Nebenklage einen Bereich aufgezeigt haben, der tatsächlich regelungsbedürftig ist. Ich bin aber bereit, das in den Ausschussberatungen sehr sorgfältig zu prüfen. Ich glaube, dass man auch das Opferentschädigungsgesetz näher betrachten sollte, beispielsweise im Hinblick auf Opfer terroristischer Angriffe im Ausland. Allerdings warne ich davor, hier Erwartungen zu wecken, die wir letztlich nicht erfüllen können. Wir müssen genau überprüfen, an welchen Stellen der Staat überhaupt eintreten kann und an welchen Stellen wir den Zivilprozess ersetzen können. Das wäre beispielsweise dadurch möglich, dass in Konstellationen, in denen zivilprozessual nichts durchzusetzen ist, die Allgemeinheit bzw. der Staat eintritt. Djerba hat Lücken aufgezeigt. Djerba hat aber auch klargemacht, dass nicht alle Risiken versicherbar und durch die Allgemeinheit abzudecken sind. Hier müssen wir, wie ich glaube, sehr sorgfältig beraten. Ich habe meine Zweifel, ob es möglich ist, die Interessen von mittelbar Geschädigten im Rahmen der Opferentschädigung zu berücksichtigen. Wo sind die Grenzen? Wo gibt es Regelungslücken? All dies müssen wir bei der Beratung Ihres Antrags sorgfältig prüfen. Noch eine Bemerkung zu Ihrer Forderung, die Opferorganisationen finanziell zu stärken. Die Länder können und dürfen sich nicht verabschieden, wenn es zum Beispiel um die Förderung freier Träger geht. Hier sind auch die Länder gefordert. ({6}) Ich weise darauf hin, dass es schon zahlreiche Möglichkeiten gibt, Opferorganisationen angemessen zu unterstützen; als Beispiele nenne ich die Bewährungsauflagen und Einstellungen nach § 153 a der Strafprozessordnung. Dann ist es Aufgabe der Gerichte bzw. der am Strafprozess Beteiligten, adäquate Lösungen zu finden. Ich bin mir nicht sicher, ob wir an dieser Stelle tatsächlich den richtigen Weg beschreiten, wenn wir sogar auf noch weiter gehende Möglichkeiten abstellen. Wie gesagt, es gibt schon zahlreiche Möglichkeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ich glaube, dass ich deutlich gemacht habe, dass ich von vielen Dingen, die in dem Antrag stehen, bislang nicht überzeugt bin. Ich meine aber, dass wir hier einen Bereich haben, wo sich die Diskussion lohnt, ({7}) gerade wenn es - ich betone das noch einmal - um Menschen geht, die im Ausland Opfer terroristischer Akte geworden sind. Hier haben wir Beispiele dafür, dass es Regelungslücken gibt. Insofern freue ich mich auf eine angemessene, sachgerechte Diskussion. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jerzy Montag spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder, der hier einen Antrag oder einen Gesetzentwurf einbringt, der sich mit Opferinteressen und Opferschutz beschäftigt, bekommt für den Grundansatz offensichtlich den Beifall des ganzen Hauses. So haben wir heute erleben können, dass selbst Frau Jelpke und Herr Kauder in dieser Sache in ihren Beiträgen im Ansatz übereinstimmen konnten. Trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, dass manche der Versuche, dieses Thema hier noch einmal und noch einmal zur Diskussion zu bringen, etwas wohlfeil sind. Ich habe mich, als ich diesen Antrag gelesen habe, ganz konkret gefragt: Warum kommt er eigentlich jetzt, und was soll es bedeuten, wenn Vorschläge gebracht werden, wie im Bereich der Strafprozessordnung noch ein paar vermeintliche oder tatsächliche Lücken geschlossen werden können? Herr Kollege van Essen, ich traue Ihnen zu, dass Sie uns in einer halben Stunde einen Gesetzentwurf dazu vorlegen können, zwei oder drei Stellen zu ändern. Einen solchen Antrag oder Gesetzentwurf hätten Sie vorlegen können. Soweit es sich um Vorschläge zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes handelt, wissen wir alle in diesem Hause: Es gibt einen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen mit ausgefeilten Formulierungen. Wir haben diesen Gesetzentwurf in der letzten Legislaturperiode eingebracht, und wir haben ihn auch in dieser Legislaturperiode eingebracht. Wir haben hier am 30. November 2006 darüber diskutiert. Ich verweise darauf, dass der Parlamentarische Staatssekretär vom Arbeits- und Sozialministerium, Herr Thönnes, in seiner Rede in Erwiderung auf mich gesagt hat: Ein sehr diskutabler Gesetzentwurf mit guten Vorschlägen. - Er hat vorgeschlagen, sich rasch zusammenzusetzen und darüber zu diskutieren. Seit einem Jahr ist von seinem Büro aus zweimal der Versuch unternommen worden, einen Termin zu finden, und zweimal hat das Ministerium den Termin wieder abgesagt. ({0}) Da liegen die Probleme, meine Damen und Herren: Die Große Koalition bewegt sich in diesen Fragen nicht. ({1}) Aber, lieber Kollege van Essen, wenn Sie diese beiden Themen - die Änderung der §§ 397 a und 406 h Strafprozessordnung auf der einen Seite und des Opferentschädigungsgesetzes auf der anderen Seite - in einer parlamentarischen Aktion wie hier in diesem Antrag bündeln, dann führt alleine die Zuweisung - entweder an den Ausschuss für Arbeit und Soziales oder an den Rechtsausschuss - dazu, dass wir die jeweils andere Seite nicht richtig bearbeiten werden können.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, der Kollege Kauder hat den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Möchten Sie sie zulassen?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber sehr gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Montag, darf ich Sie etwas beruhigen?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn Sie eine Frage stellen, dann schon. ({0}) - Das war schon die Frage?

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit dem Opferentschädigungsgesetz befassen wir uns in der Tat schon seit längerem, nicht erst seit dieser Legislaturperiode. Ich kann mich daran erinnern, dass ich einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf im Jahr 2002 vorgelegt habe. Die zentrale Frage ist, ob wir eine Anspruchslösung zustande bekommen oder eine Billigkeitsentschädigung. Ich darf Sie beruhigen: Wir werden in allerkürzester Zeit einen entsprechenden Entwurf vorlegen können, der den Interessen der Opfer mehr dient, als sich mancher das vorstellt. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Kauder, beruhigt wäre ich erst dann, wenn ich diesen Vorschlag hätte. ({0}) Ankündigungen haben wir nämlich genug gehört. Wenn Ihr Antrag oder Ihr Gesetzentwurf, den Sie jetzt ankündigen, auch nur halb so gut ist wie der von uns Grünen, der seit einem halben Jahr im Parlament liegt, ({1}) dann werden wir, so glaube ich, sehr schnell zu einer guten Lösung für alle Beteiligten kommen. ({2}) - Ja, Sie haben einen Antrag gestellt und damit eine Debatte provoziert. Das ist gut. Ob er bei den einzelnen Fragen in der Sache weiterführt, will ich doch bestreiten, weil ich das Gefühl habe, dass Sie in der Strafprozessordnung mit der Lupe nach Lücken suchen. ({3}) Ob es Sinn macht, jeden Punkt, den Sie angesprochen haben, auch noch anzugehen, hängt auch damit zusammen, welche Struktur und Rolle wir der Strafprozessordnung insgesamt zuweisen wollen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Strafprozessordnung, die in der Hauptsache ja immer noch ein Werk ist, mit dem die Staatsmacht gegenüber einem Beschuldigten in grundrechtliche Schranken gewiesen wird und durch das die Rechte des Beschuldigten in einem Ermittlungs- und Strafverfahren normiert werden, durch Formulierungen hinsichtlich der Ansprüche des Opfers in eine solche Disproportionalität gesetzt wird, dass wir die Ausgangsposition des Strafprozesses gar nicht mehr erkennen. Meine Damen und Herren, sei es im Ausschuss für Arbeit und Soziales, sei es im Rechtsausschuss - je nachdem, wem die Große Koalition den Antrag zuweist -: Wir werden über diesen Antrag zu diskutieren haben. Dabei werden wir alle Probleme, die Sie angesprochen haben, im Einzelnen aufgreifen. Wir Grünen werden uns an dieser Debatte selbstverständlich gerne und inhaltlich beteiligen. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7004 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln ({0}) - Drucksache 16/3658 13196 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) - Drucksache 16/7157 Berichterstattung: Abgeordneter Martin Dörmann - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7158 - Berichterstattung: Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Volker Kröning Ulrike Flach Roland Claus Anna Lührmann Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie- ren. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle- ginnen und Kollegen Dr. Martina Krogmann, Martin Dörmann, Martin Zeil, Sabine Zimmermann und Kerstin Andreae.1) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7157, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/3658 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustimmung der Koalition gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und des Bündnisses 90/ Die Grünen und bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norman Paech, Monika Knoche, HüseyinKenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Einmarsch der Türkei in den Irak verhindern - Drucksache 16/7039 Hierzu ist ebenfalls verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Kollegen Hüseyin-Kenan Aydin für die Linksfraktion das Wort. ({3}) 1) Anlage 11

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein persönliches Wort: Terror ist keine Lösung. Das sage ich als jemand mit kurdischem Hintergrund. Seit 23 Jahren versucht der türkische Staat, die Kurdenfrage mit rein militärischen Mitteln zu lösen - vergeblich. Bis heute steckt die Türkei in einem Krieg fest, den sie nicht gewinnen kann. Statt den Kurden verfassungsmäßig garantierte Rechte einzuräumen, verbreitet man die Auffassung: Kurden gleich PKK gleich Terror. So rechtfertigt man Angriffe auf die Vertreter eines Volkes, das als nationale Minderheit zum großen Teil rechtlos ist. Fest steht: Die ganze Hochrüstung der türkischen Armee konnte nicht verhindern, dass eine kleine PKKGruppe einen türkischen Posten überfiel, dabei zwölf Soldaten tötete und acht verschleppte. Das ist eine Folge der nicht geklärten Kurdenfrage. Auch der drohende Einmarsch in den Nordirak wird den Konflikt mit der PKK nicht lösen. Er wird nur noch mehr Leid über die Kurden und die Irakis, aber auch über die Türken bringen; denn ein Einmarsch in den Nordirak würde das von der US-amerikanischen Invasion angezettelte Blutbad im Irak zunächst auf IrakischKurdistan ausdehnen. Es wäre dann nur noch eine Frage der Zeit, bis der Krieg auch über die Grenzen in die Türkei getragen wird. Ein solcher Einmarsch wird scheitern, selbst wenn die Türkei alle PKK-Kämpfer umbringt oder vertreibt; denn ein Krieg sät immer neuen Hass. Er bringt Armut und Elend. So schafft das Vorgehen der türkischen Armee selbst den Nährboden, auf dem ihr Gegner neu rekrutiert. Die Tatsache, dass die unmittelbare Gefahr eines Einmarsches gebannt zu sein scheint, kann uns nicht beruhigen. Noch immer stehen 100 000 türkische Soldaten an der Grenze zum Irak. Auch nach dem Treffen mit USPräsident Bush spricht Premierminister Erdogan davon, man müsse die PKK auslöschen. Diese Sprache führt nicht zum Ziel. Ich sage: Es ist Zeit, eine friedliche Lösung zu finden, ({0}) eine friedliche Lösung, die dauerhafte Aussöhnung und den Kurden politische und soziale Rechte bringt. Kurden sind nach meinem Verständnis ein Teil der türkischen Bevölkerung und müssen genauso behandelt werden. Das heißt, am Ende muss eine Verfassungsreform durchgeführt werden, die in der Türkei ein föderales System nach deutschem Vorbild etabliert, ein System, in dem es keine Strafe ist, wenn ein Bezirksbürgermeister in Diyarbakir Informationen in Türkisch und Kurdisch anbietet. Als erster Schritt zu einer dauerhaften Lösung müssen selbstverständlich die Waffen schweigen. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die PKK hat einen Waffenstillstand erklärt. ({1}) Sie muss ihn auch umsetzen. Ich fordere die PKK auf, auf Dauer von Waffengewalt Abstand zu nehmen. Das setzt aber voraus, dass die türkische Regierung klare Signale für Verhandlungen setzt. ({2}) Sie muss endlich auf die 20 Abgeordneten der kurdischen Partei DTP zugehen; denn die DTP könnte eine Vermittlerrolle spielen. Doch was erleben wir? Das Gegenteil! Die DTP wird verfolgt, weil sie sich für die Freilassung der acht verschleppten Soldaten eingesetzt hat. Vizepremierminister Çiçek bezeichnete dies als „Propaganda für die Terroristen“. Schlimmer noch: Justizminister Sahin erklärte, er könne sich nicht über die Freilassung der acht verschleppten Soldaten freuen. Die türkische Tageszeitung Hürriyet nannte es eine Schande, dass sich die acht Soldaten nicht haben totschießen lassen. Nein, es ist eine Schande, wie Medien bereitwillig die Menschen aufstacheln, um das Land auf einen möglichen Krieg einzustimmen. Diese Hasspropaganda vergiftet das Klima. Aber: Mehrere Zehntausend Türken und Kurden haben bereits in Ankara und anderen Städten für den Frieden demonstriert. Noch übertönt das Kriegsgeschrei diese Stimmen. Es kommt darauf an, dass wir diese Stimmen des Friedens in Deutschland unterstützen. Warum hat Frau Merkel beim Besuch des US-Präsidenten nicht klar gesagt, dass die US-amerikanische Hilfe bei der Bombardierung von kurdischen Stellungen keine Lösung ist? Ich sage von hier aus an die Adresse von Herrn Erdogan: Stoppen Sie die Kriegsvorbereitungen! Seit 23 Jahren versucht die türkische Regierung, den Kurdenkonflikt rein militärisch zu lösen. ({3}) 37 000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Es ist höchste Zeit, dem Morden auf beiden Seiten ein Ende zu setzen. Ohne ein gleichberechtigtes Miteinander wird es keinen dauerhaften Frieden zwischen Kurden und Türken in der Türkei geben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ruprecht Polenz spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren über einen Antrag der Fraktion Die Linke. Dabei bedarf es zunächst einmal einer Klarstellung: Der Antrag verklärt die Rolle der PKK. Das ist das Allerletzte, was einer Lösung des Konflikts dient. ({0}) Ihre Formulierung, man solle die PKK auffordern, „vom bewaffneten Kampf Abstand zu nehmen“, passt in diesen Jargon. Sie sprechen zwar davon, dass dieser Kampf „auch Opfer in der Zivilbevölkerung“ fordere, unterschlagen aber, dass die PKK zu Recht sowohl in Deutschland als auch in Europa als eine terroristische Organisation eingestuft wird. Deshalb ist es falsch, wenn Sie in Ihrem Statement sagen, das Abstandnehmen vom bewaffneten Kampf setze voraus, dass dieses oder jenes geschehe. Nein, es setzt gar nichts voraus! Die PKK soll endlich mit ihren terroristischen Aktivitäten aufhören. ({1}) Das ist eine Vorbedingung für alles Weitere, das im politischen Prozess erfolgen kann. ({2}) - Nein, das haben Sie so nicht gesagt. ({3}) Die PKK agiert auch in Deutschland mit kriminellen Methoden, etwa beim Geldeintreiben. Sie destabilisiert, wie Sie etwa den Aussagen von Talabani entnehmen können, den Nordirak. Wenn man sich die Schönrederei der terroristischen Organisation PKK in Ihrem Antrag anschaut und sich dann an den Terrorismusvorwurf erinnert, den Ihr Fraktionsvorsitzender gegenüber der NATO erhoben hat, dann muss man schon feststellen, dass Ihnen bei der Frage des Terrorismus die Maßstäbe völlig durcheinandergeraten sind. ({4}) Natürlich ist die türkische Regierung durch die Anschläge der PKK unter großen Druck geraten. Über 100 Tote werden beklagt; Teile der Armee nutzen die Empörung darüber gegenüber der türkischen Regierung aus. Lassen Sie auch mich eine Anmerkung zu der Diskussion um die acht gefangenen Soldaten machen: Es hat mich schon sehr verwundert, dass die türkische Regierung hier zu erkennen gegeben hat, ihr wäre es fast lieber gewesen, diese Soldaten wären gefallen. Die Türkei ist ein NATO-Partner. Ich erwarte von NATO-Partnern, dass sie die Werte, die unserem Bündnis zugrunde liegen, auch in Äußerungen zum Umgang mit eigenen Soldaten zu erkennen geben. ({5}) Ich sehe auch, dass es in der Türkei eine nationalistische Aufwallung gibt, die von der MHP und von Teilen der Medien gesteuert wird. Das macht die Sache in der Tat brisant. Natürlich stimme ich der These zu, dass die Kurdenfrage nur politisch gelöst werden kann. Dazu gehört sicherlich auf der einen Seite, dass der Nordirak jetzt alles unternimmt, damit die Strategie der PKK nicht aufgeht, die am besten in einer Karikatur zusammengefasst ist, die in einer Zeitung erschienen ist: Ein türkischer Panzer wird an einem Seil in den Nordirak gezogen; an dem Seil ziehen die PKK-Kämpfer. Denn es ist ihr Interesse, dass ein militärischer Angriff der Türkei im Nordirak vorgenommen wird. Damit will die PKK verloren gegangenes politisches Terrain wettmachen, denn die AKP, die jetzige Regierungspartei, hatte bei den Wahlen gerade auch in den Kurdengebieten Erfolg. Man versucht jetzt, auf diese Weise verloren gegangene politische Bedeutung zurückzugewinnen. ({6}) Auf dieses Spiel sollte die türkische Regierung nicht hereinfallen. Sie sollte eine Strategie verfolgen, die darauf abzielt, einerseits eine effektive Terrorbekämpfung zu gewährleisten, aber andererseits nie aus dem Auge zu verlieren, dass es darauf ankommt, die kurdische Bevölkerung weiter von der PKK zu trennen. ({7}) Das erreicht man am besten dadurch, dass man eben nicht in den Nordirak einmarschiert; denn das würde der PKK zweifellos neue Rekrutierungsmöglichkeiten eröffnen. ({8}) Ich will die Gelegenheit nutzen, um auf den EU-Fortschrittsbericht zu verweisen, der der Türkei erneut gravierende Versäumnisse bei der Integration und bei der Lösung des Kurdenproblems ins Stammbuch schreibt. Natürlich - was heißt „natürlich“? - hat die Türkei nach wie vor ihren Minderheitenbegriff nicht verändert. Er bleibt ein religiöser Minderheitenbegriff. Aber selbst das sollte - wie die EU richtig ausführt - nicht davon abhalten, Sprache, Kultur, Organisations-, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie eine effektive Teilhabe aller Bürger in öffentlichen Angelegenheiten zu gewährleisten. Es war auch bedenklich, dass der Hohe Kommissar für Nationale Minderheiten der OSZE bei seinem letzten Besuch in Ankara keine Erlaubnis erhalten hat, in den Südosten der Türkei zu reisen. ({9}) - Lieber Kollege, ich zeige Ihnen ja nur, dass wir uns beide Seiten kritisch anschauen, dass uns aber dabei nicht die Maßstäbe verloren gehen, wie das bei Ihnen offensichtlich der Fall ist. ({10}) - Nein, das war bei Ihnen schon der Fall. Es gibt Fortschritte bei der Pflege des Kurdischen in Radio- und Fernsehprogrammen; allerdings ist die rigide Sprachpolitik der türkischen Regierung im Kern unverändert. Es gibt nach wie vor keine Möglichkeit, im öffentlichen oder privaten Schul- oder Erziehungssystem Kurdisch zu lernen. Auch im öffentlichen Bereich ist jede andere Sprache als die Türkische als illegal angesehen. Natürlich bleibt die Situation im Südosten der Türkei ökonomisch und politisch schwierig, vor allen Dingen deshalb, weil es kaum politische Initiativen gibt, um die Kluft zwischen dem Südosten der Türkei und dem Rest des Landes zu schließen. Man muss auch darauf hinweisen, dass der berüchtigte § 301 des türkischen Strafgesetzbuches auch bei gewaltfreien politischen Meinungsäußerungen etwa zum Kurdenproblem angewandt wird. Umso wichtiger ist es, dass dieser Paragraf jetzt endlich aus dem türkischen Strafgesetzbuch verschwindet. ({11}) Die Lösungsansätze liegen, wenn man diese Mängelliste beschreibt, auf der Hand: sprachliche und kulturelle Freiheiten, mehr kommunale Selbstverwaltung, wirtschaftliche und soziale Programme zur Entwicklung des Südostens - das ist das, was eigentlich passieren muss. Ich hoffe, dass die AKP-Regierung hierzu die Kraft findet. Gerade diese Regierung hat vielleicht erstmals die Chance, diesen Aussöhnungsprozess tatsächlich einzuleiten. Sie spielt eine hervorragende Rolle im Nahostprozess. Der Besuch von Abbas und Peres gerade im Parlament in Ankara ist dafür ein Beleg. Die Türkei spielt eine wichtige Rolle in Afghanistan, und sie ist - das will ich hier hinzufügen - ein notwendiger Bestandteil jeder Iran-Strategie, die wir verfolgen wollen. ({12}) Von daher ist - das möchte ich hier an die Adresse wessen auch immer sagen - die Europaorientierung der Türkei in beiderseitigem Interesse, im Interesse der Türkei und in unserem Interesse. ({13}) Sie hat eine Schlüsselrolle für die Energiefragen Europas inne, und deshalb muss es uns darum gehen, die Türkei so nah wie möglich an Europa heranzuführen, was immer dann das Ende dieses Prozesses sein mag. Eine letzte Bemerkung anlässlich der Vorkommnisse, die wir in Deutschland erlebt haben, als es in der Türkei im Zusammenhang mit diesen Fragen sehr hoch herging. Es gibt überhaupt keine, nicht die geringste Legitimation für in Deutschland lebende Türkischstämmige oder Kurdischstämmige - oder wie immer man sich definiert -, diesen Krieg sozusagen als Stellvertreterkrieg in Deutschland zu führen - nicht die geringste! ({14}) Das Grundgesetz garantiert hier ein friedliches Zusammenleben aller Menschen, egal woher sie kommen und wie sie sich sonst noch definieren mögen. Im Übrigen haben wir während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien gesehen, dass es für die Kroaten, für die Serben und für die Bosniaken in Deutschland möglich war, hier friedlich zusammenzuleben, obwohl ihre ethnischen Brüder und Schwestern im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien im Krieg gegeneinander gestanden haben. Ich erwarte, dass es keine Gesinnungsrabatte auf Straftaten gibt und dass der Rechtsstaat mit aller gebotenen Härte auch gegen Anwandlungen, den Konflikt aus dem Südosten der Türkei auf die deutschen Straßen zu bringen, vorgeht und wir uns dagegen zur Wehr setzen, dass wir aber die türkische Regierung bei ihrem Bemühen unterstützen, zu einem friedlichen Ausgleich, zu einem Aussöhnungsprozess, mit den Kurden zu kommen. Das ist die Lösung. In diesem Sinne werden wir uns politisch auch weiter verhalten. Der Entschließungsantrag der Fraktion der Linken ist keine geeignete Basis dafür. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt kommt der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion zu Wort.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube nicht, dass es einen einzigen Kollegen oder eine einzige Kollegin hier im Hohen Hause gibt, der bzw. die einem Einmarsch der Amerikaner in den Norden des Irak das Wort reden würde. ({0}) - Entschuldigung, der Türken. Das war ein Freud’scher Versprecher. Danke für den Hinweis. Es geht darum, dass nicht auch noch die Türken dort einmarschieren. Das andere war schlimm genug. ({1}) Die Debatte hat jetzt ein bisschen Schieflage bekommen durch das, was der Kollege von den Kommunisten hier eben gesagt hat. Ich finde, es ist ziemlich abenteuerlich, zu sagen: Wir fordern die PKK auf, die Waffen niederzulegen, ({2}) aber die Voraussetzung dafür ist, dass die Türken ihrerseits dieses und jenes machen. ({3}) Diese Konditionierung kann ich nicht akzeptieren. ({4}) Ich erwarte, dass die PKK die Waffen ohne Bedingung niederlegt und sie liegen lässt. - Ich glaube, der Kollege möchte eine Frage stellen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Und Sie möchten diese zulassen?

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja klar, ich habe sonst zu wenig Redezeit.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Hoyer, nehmen Sie zur Kenntnis, dass die türkische Regierung seit mehr als 23 Jahren die Kurdenfrage in der Türkei nur mit repressiven, militärischen Mitteln angegangen ist? ({0}) - Das tut sie weiterhin, ganz aktuell. Ich weiß, wovon ich spreche. ({1}) Solange der türkische Staat die kurdische Minderheit wie bisher ignoriert und keine politischen Schritte einleitet, wird die PKK nicht von der Bildfläche verschwinden. Das ist das Ergebnis der türkischen Politik. Die PKK ist ein Erzeugnis dieser Politik. ({2})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich bin wie wahrscheinlich sehr viele hier im Hause keineswegs unkritisch, was die Haltung verschiedener türkischer Regierungen gegenüber den Kurden gerade in der Vergangenheit angeht. Aber ich muss schon feststellen, dass sich in den letzten Jahren einiges verändert hat. ({0}) Es ist nicht weitgehend genug; das füge ich hinzu. Aber einfach zu negieren, dass sich von der Verfassungs- und Gesetzeslage her einiges zum Besseren verändert hat, finde ich unfair. Unabhängig davon, wie der Prozess der Gewährung von kultureller und sonstiger Autonomie für die kurdische Minderheit in der Türkei weitergeht, ist es doch völlig unakzeptabel, dass ein Teil einer Minderheit zu den Waffen greift, um seine Ansprüche durchzusetzen, und diese Waffen auch noch außerhalb der Türkei einsetzt. Das ist ein völlig inakzeptabler Vorgang. Sie müssten Ihre Position klarstellen. Lesen Sie im Protokoll nach, was Sie vorhin gesagt haben. Das war kein Freud’scher Versprecher wie bei mir mit Amerikanern und Türken; Sie haben den Verzicht der PKK auf den Gebrauch von Waffen an bestimmte Verhaltensweisen der türkischen Regierung gebunden. Das kann ich nicht akzeptieren. ({1}) Wir teilen mit der Türkei und vielen anderen Staaten in der Region das Interesse, dass die territoriale Integrität des Irak gewahrt wird. Das Problem ist aber doch, dass die Gefahr für die territoriale Integrität des Irak gegenwärtig nicht in erster Linie von der Türkei ausgeht, sondern von der PKK. Diese Dinge darf man nicht vermischen. Mit der Türkei steht ein Verbündeter der Bundesrepublik Deutschland vor der Situation, terroristischen Übergriffen ausgesetzt zu sein, die von dem Territorium eines anderen Staates ihren Ausgang nehmen; das dürfen wir nicht übersehen. Wir stehen im Übrigen vor der Gefahr, dass die PKK ihre Aktivitäten auch hier in Deutschland forcieren wird. Die Innenbehörden könnten uns wahrscheinlich, Herr Staatssekretär Altmaier, einiges Beunruhigendes dazu mitteilen. Die Vorgänge, die in verschiedenen deutschen und anderen europäischen Städten in den letzten Wochen stattgefunden haben, sprechen eine klare Sprache. Ich schließe mich dem Wunsch des Kollegen Polenz an, die Aktivitäten der PKK und den Charakter dieser Organisation nicht zu verklären. Ich wehre mich auch dagegen, die Umkehrung dessen vorzunehmen, was Sie uns vorwerfen, Herr Kollege Aydin. Sie haben gesagt, wir setzten die Kurden mit der PKK gleich. ({2}) - Dieser Vorwurf wäre vollkommen unbegründet. Sie haben das im Übrigen vorhin so gesagt. Umgekehrt kann man natürlich auch nicht sagen, dass das, was die PKK tut, durch die Interessen der Kurden in der Türkei, im Irak oder in anderen Gebieten, in denen sie leben, zu legitimieren ist. Es ist interessant - Herr Polenz hat darauf hingewiesen -, dass die AKP in Gebieten mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit erstaunlich erfolgreich ist - die Wahlergebnisse weisen darauf hin und dass die Sympathie für die PKK in den sogenannten Migrationsstädten im Westen der Türkei und in vielen europäischen Städten größer ist als in der Ost-Türkei. Das ist ein Fakt, den man nachweisen kann. Das sollte einem zu denken geben. Wir reden hier nicht allgemein über die Rolle der Kurden in der Türkei, sondern über einen möglichen Einmarsch der Türkei in den Irak. Daher möchte ich gerne jenseits des Aspekts der Verklärung anmerken, dass ich dagegen bin, diese aktuelle Frage mit dem Thema einer möglichen EU-Mitgliedschaft der Türkei in Verbindung zu bringen. Wenn man das miteinander vermischt, führt das zu einer unguten Diskussion in Deutschland. Die Türkei hat nach meiner Auffassung einen berechtigten Anspruch darauf, dass ihre Partner und Verbündeten in Europa sie bei der Auseinandersetzung mit der PKK unterstützen. Die Türkei ist gut beraten, das Problem dadurch zu entschärfen, dass sie weiter auf die kurdische Minderheit zugeht. Ich finde, es sind beachtliche erste Schritte gemacht worden. Die Implementierung dessen, was im Gesetzestext steht, mag manchmal zu wünschen übrig lassen; aber es ist viel geleistet worden. Es ist nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages, vorzugeben, ob der nächste Schritt in einer Verfassungsrevision bestehen sollte oder ob im Rahmen der geltenden Verfassung ein Fortschritt bei der Integration der Kurden erzielt werden sollte. Jenseits der Frage, was für unsere innere Sicherheit aus diesem Konflikt resultiert - ich komme aus einer Stadt, die von der Auseinandersetzung zwischen kurdischen Türken und türkischen Türken sehr stark geprägt ist -, muss die Frage angesprochen werden, inwiefern die Bundesrepublik Deutschland an den Waffenlieferungen an die PKK beteiligt ist. Hierzu liegen beunruhigende Daten vor. Im Juni dieses Jahres hat Die Welt berichtet, dass 60 Prozent der von der türkischen Gendarmerie bei der PKK beschlagnahmten Landminen aus Italien stammen und immerhin 6 Prozent aus Deutschland. Das sind, wenn man das hochrechnet, 1 000 Stück. Hinzu kommt, dass 8 Prozent der beschlagnahmten Handgranaten deutscher Produktion entspringen sollen. Das sind ziemlich beunruhigende Fakten. Ich bitte die Bundesregierung, uns über die Fakten aufzuklären und uns zu berichten, was man gegen diesen auch im Hinblick auf das deutsch-türkische Verhältnis unerträglichen Zustand zu tun gedenkt. ({3}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich glaube, dass die Debatte über die Zukunft der Kurden in der Türkei wichtig ist - dies ist alle Anstrengungen wert -, aber die Art und Weise, wie diese Diskussion heute in Schieflage geraten ist, finde ich nicht angemessen. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Uta Zapf hat jetzt das Wort für die SPDFraktion. ({0})

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich brauche das, was hier gesagt wurde, nicht noch einUta Zapf mal zu betonen: Wir alle sind beunruhigt darüber, dass mit einem Einmarsch gedroht wird. Wir sind beunruhigt darüber, dass 100 000 Soldaten an der irakischen Grenze stehen. Es wird auch von bis zu 250 000 Soldaten gesprochen; die Zahlen, die in diesem Zusammenhang genannt werden, schwanken dauernd. Wir sind beunruhigt darüber, dass die türkische Nationalversammlung dieses militärische Vorgehen am 17. Oktober autorisiert hat. Ich glaube, wir müssen den politischen Hintergrund beleuchten, vor dem es zu dieser Eskalation kam, die sich über mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre hingezogen hat. Man muss genau hinschauen. Es handelt sich hier um einen Machtkampf in der Türkei. Es geht darum, die Reformpolitik von Erdogan und seiner Regierung gegen die alten Strukturen zu verteidigen. Es geht um Privilegien des Militärs und des Beamtentums, die angegriffen werden. Gleichzeitig sind viele Menschen verunsichert, weil die Regierung verdächtigt wird, die Säkularisierung des Staates schleichend durch eine Islamisierungspolitik unterlaufen zu wollen. Wenn wir in die Türkei kommen und dort mit den Kolleginnen und Kollegen der Parteien sprechen, die immer noch an diesem kemalistischen Hintergrund festhalten, hören wir genau diese Argumente. Sie sind ein bisschen taub gegenüber der Tatsache, dass diese Regierung etwas geschafft hat, was bisher keine Regierung zuvor geschafft hat, nämlich endlich die Europäisierung wahr zu machen und Reformen einzuleiten. Es wurde heute schon gesagt: Nein, wir sind nicht zufrieden. In diesem Zusammenhang ist auch der Fortschrittsbericht genannt worden. Niemand kann mit dem Fortschrittsbericht zufrieden sein, schon gar nicht derjenige, der öfter in die Türkei reist und sieht, dass die Reformen stagnieren. Ich selber habe das erlebt. Wir haben vor ungefähr zwei Jahren in der Türkei mit Vertretern des Menschenrechtsvereins gesprochen, die uns gesagt haben, dass es wunderbare Fortschritte gegeben habe, dass sie ganz zufrieden seien, dass sozusagen etwas ausgelöst worden sei. Beim nächsten Mal hatte bereits die erwähnte Stagnation stattgefunden, und es wurden wieder Klagen über Menschenrechtsverletzungen und über die „alte Politik“ erhoben. Die Menschen in der Türkei haben doch durch die Wahlen am 22. Juli gezeigt, dass sie den bewaffneten Kampf der PKK satt haben. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die AKP in den kurdischen Gebieten einen höheren Zuspruch bekommen hat als die kurdischen Parteien. Ihr gutes Wahlergebnis in der gesamten Türkei hat gezeigt, dass man diese Reformpolitik wünscht und akzeptiert. Ich halte das, was von Vorrednern bereits gesagt wurde, durchaus für richtig: Die PKK benutzt die Situation des politischen Machtkampfes in der Türkei, um mit ihren Provokationen eine rückwärtsgewandte Politik anzustacheln. Es ist sehr traurig, dass viele türkische Medien dieses Spiel mitmachen und die nationalistische Rhetorik weitertreiben. Mich als Sozialdemokratin macht es überaus traurig, dass die CHP in genau dasselbe Horn bläst. Das tut mir weh; denn es ist meine Schwesterpartei in der Türkei. Aber wir sind im Moment im Umgang miteinander sprachlos, weil es dort keinen Weg gibt. Der Anschlag vom 21. Oktober in Hakkari mit zwölf Toten und acht Verschleppten ist ganz eindeutig eine solche Provokation gewesen. Die PKK muss begreifen, dass sie mit ihren Anschlägen aufhören muss. Allein in diesem Jahr waren es mehr als 100 Anschläge, und zwar in der gesamten Türkei. Das ist keine Harmlosigkeit, lieber Herr Aydin. ({0}) - Ja, aber Sie hätten das vielleicht einmal anführen können. ({1}) Diese Situation löst nicht nur bei uns Besorgnis aus, sondern auch im kurdischen Teil des Irak, da die türkische Regierung jetzt alle Schuld auf die Kurden im Irak projiziert, indem sie sagt, dass sie die PKK nicht ausreichend bekämpfen. Das haben sie in der Vergangenheit vielleicht nicht getan, aber ich erinnere daran, dass die PKK mit etwa 3 500 bis 3 800 Personen - die Zahlen schwanken - in einer Ecke des Irak sitzt, die ziemlich weit von der türkischen Grenze entfernt ist. Dort gibt es durchaus ein gewisses Monitoring durch die kurdische Administration und durch die USA. Leider ist dort aber zu beobachten, dass eine Instrumentalisierung dieser „Kämpfer“ gegenüber dem Iran stattfindet, was im Übrigen von den USA unterstützt wird. Ich bin der Meinung, wir sollten deutlich darauf hinweisen, dass dies die Situation insgesamt destabilisiert. ({2}) Ein weiteres Argument: Die Türkei hat 1 500 Soldaten im Nordirak stehen; das geht auf ein altes Abkommen mit Saddam Hussein zurück. Später waren sie dort als Friedensmonitoring-Truppen. Mittlerweile sind sie gebeten worden, sich aus dem Irak zurückzuziehen; das haben sie nicht gemacht. Wir beobachten auch, dass die türkischen Truppen in schöner Regelmäßigkeit kurdische Dörfer im Nordirak bombardieren. Die nordirakischen Kurden selber haben mir in den letzten Gesprächen, die wir geführt haben, erklärt, dass sie das um Gottes willen nicht an die große Glocke hängen möchten, weil sie keine Destabilisierung der Region wollen. Die irakischen Kurden wären von einer Destabilisierung natürlich am meisten betroffen, im Übrigen auch der Irak insgesamt. Heute war in der Zeit zu lesen, dass sich die Situation verbessert hat. Das ist etwas, das wir gar nicht wahrnehmen, vielleicht auch nicht wahrzunehmen bereit sind. Ich möchte noch auf Folgendes eingehen: Vor zwei Tagen hat die Istanbuler Konferenz stattgefunden. Talabani hat anlässlich dieser Konferenz zwischen den USA, der Türkei und dem Irak erklärt, dass der Konflikt wohl einer Lösung zugeführt würde, und zwar einer friedlichen Lösung. Das ist etwas, was wir sehr unterstützen sollten. ({3}) Ich denke auch, dass wir das Überschwappen eines solchen Konfliktes auf unser Land nicht akzeptieren sollten. Seit ich im Deutschen Bundestag bin, seit 1990, mache ich Türkei- und Kurdenpolitik. Ich habe in dieser ganzen Zeit engen Kontakt zu den kurdischen Organisationen gehabt. Ich habe den Transformationsprozess der demokratischen kurdischen Organisationen hier miterlebt. Ich habe mich mit ihnen in der Vergangenheit darüber gestritten, wie man mit der Türkei umgeht. Ich habe immer gesagt: Wir müssen die Türkei in ihrem Reformprozess unterstützen - das heißt, wir müssen diesen Prozess überhaupt erst einmal anstoßen -; es hat keinen Sinn, dort mit Sanktionen vorzugehen. Vor etlichen Jahren haben diese kurdischen Organisationen zu mir gesagt: Uta, du hast recht. Es geht darum, die Türkei in Europa zu integrieren, ihr diese Perspektive zu geben; dann wird es auch zu Reformen kommen. Ich stimme mit meinen beiden Vorrednern voll überein, die die Unterstützung des Reformprozesses gefordert haben. Wir müssen jetzt verhindern, dass Organisationen wie die Grauen Wölfe und möglicherweise militante Organisationen der PKK hier wieder Konflikte anstacheln. Das nützt niemandem. Das nützt nicht uns, das nützt nicht Europa, das nützt nicht der Türkei, das nützt auch nicht der gesamten Region. ({4}) Deshalb sollten wir alle Anstrengungen unternehmen, einen friedlichen Prozess zu unterstützen. Ich danke Ihnen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Claudia Roth. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das war ja Beifall von unerwarteter Seite. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die anhaltenden Kämpfe zwischen der PKK und der türkischen Armee machen sehr deutlich, dass die Krise keineswegs vorbei ist. Sie zeigen, dass die drohende militärische Intervention nicht abgewandt ist. Ein solcher Einmarsch aber wäre verhängnisvoll, weil er innerhalb der Türkei eine gewalttätige Re-Ethnisierung und eine Konfrontation befördern würde, bei der plötzlich wieder von enormer Bedeutung wäre, ob der eine Türke und der andere Kurde ist. Eine Folge wäre, dass sich die Spirale der Gewalt in der türkischen Innenpolitik weiter drehen würde. Ein Einmarsch wäre verhängnisvoll, weil der einzige relativ stabile, relativ sichere Teil des Iraks - das ist nun einmal der Nordirak - dadurch destabilisiert würde, mit nicht absehbaren, sehr gefährlichen Folgen für eine ganze, sehr fragile Region. Er wäre verhängnisvoll und gefährlich in den Auswirkungen auf das Verhältnis EU/Türkei. Gerade wenn man die Rechte der Kurden stärken will, ist dieses Verhältnis wichtig; denn der Weg der Türkei nach Europa führt über Diyarbakir. Eines der Kopenhagener Kriterien umfasst gerade die kurdische Frage und die Rechte der Kurden in der Türkei. Uta Zapf hat recht; man muss die Gründe für diesen Konflikt benennen. Lieber Herr Aydin, das haben Sie nicht getan. Zum einen gibt es die große Konfrontation zwischen den Kräften der alten Türkei, den Nationalisten, den Chauvinisten, den Militaristen, der CHP, der MHP und der Armee auf der einen Seite und der mit einem sehr umfangreichen Reformprogramm angetretenen pro-europäischen AKP auf der anderen Seite. Es ist wichtig, festzustellen, dass die AKP, die Regierungspartei und die Partei des Staatspräsidenten Gül, erdrutschartige Erfolge gerade in den kurdischen Gebieten erzielt hat. Das macht deutlich, welche Erwartungen die Menschen dort haben. ({0}) Zum anderen - ich hätte erwartet, dass Sie diese Gründe klar benennen - setzen die Anschläge der PKK, die unter der Zivilbevölkerung viele Opfer gefordert haben und bei denen in den letzten Wochen über 100 Soldaten getötet wurden, die Regierung massiv unter Zugzwang. Dieser Druck verstärkt sich täglich in der Öffentlichkeit zu einem großen propagandistischen Sturm. Auch ich bin über Äußerungen von Regierungsmitgliedern nach der Freilassung von acht türkischen Soldaten, die positiv zu bewerten ist, erschrocken. Die türkische Regierung darf nicht in diese Falle gehen und von dieser Welle aus Nationalismus und Chauvinismus beeinflusst werden. ({1}) Für meine Fraktion sage ich klar und deutlich: Das Agieren der PKK ist durch nichts, aber auch durch gar nichts zu rechtfertigen. Ein Waffenstillstand kann nicht an Vorbedingungen geknüpft werden. Das muss klar sein. Ich hoffe, dass das Konsens in diesem Hause ist. ({2}) Die Kurden brauchen keine Gewalt, keine Bomben und keinen Krieg. Sie brauchen endlich Frieden und ein Recht auf Zukunft. Genau das fordere ich von der türkischen Regierung ein. Es darf kein Säbelrasseln und kein Setzen auf eine militärische Lösung, die keine Lösung sein kann, geben. Man muss mit Besonnenheit reagieren; es ist legitim, wenn eine Regierung versucht, mit Besonnenheit terroristische Mordanschläge zu verhindern. Claudia Roth ({3}) Ich fordere von der türkischen Regierung und von der türkischen Politik ein, dass der Demokratisierungsprozess fortgesetzt wird und dass endlich konkrete Reformschritte zur Anerkennung der legitimen Rechte der Kurden und zur Anerkennung der kurdischen Realität hinsichtlich der Sprache, der Bildung und der Medien unternommen werden. Diese sehr zerstörte und unterentwickelte Region, die viele Jahre unter einem schmutzigen Krieg gelitten hat, muss wiederaufgebaut werden. Ich fordere von der türkischen Regierung und von der türkischen Politik ein, dass es keine Kriminalisierung der kurdischen Partei, der DTP, gibt. Ich fordere einen Aussöhnungsprozess, mit dem Parlamentarier wie Ahmed Türk und Akin Birdal als Brückenbauer in diesen Prozess konstruktiv einbezogen werden. Ich fordere, dass es umfassende Gespräche der türkischen Regierung mit der irakischen Regierung und der kurdischen Regionalverwaltung gibt. Ich fordere aber auch die kurdischen Verantwortlichen im Irak auf, nicht länger, wie bisher, die Augen vor Gewaltaktionen zu verschließen, sondern ihnen tatsächlich etwas entgegenzusetzen. ({4}) Ich fordere außerdem die USA auf, die ganz offensichtliche Unterstützung für den iranischen PKK-Ableger, die PJAK, einzustellen. Auch das bedeutet verantwortungsvolle Politik. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme zum Ende. Was dringend gebraucht wird, ist ein politischer Prozess zwischen der Türkei und dem Nordirak. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Ihnen sagen, dass ich die völlige Abwesenheit deutscher Politik gerade im Nordirak - keine konsularische Vertretung, keine Unterstützung beim wirtschaftlichen Aufbau und bei Entwicklungsprojekten zum kulturellen Aufbau, keine Unterstützung von Tausenden von Flüchtlingen - nicht verstehe.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da wäre eine Stabilisierungsmaßnahme angesagt. Auf jeden Fall wäre das glaubwürdiger als eine Politik, wie sie jetzt schon wieder zu hören war. Sie benutzt diese schwere Krise dazu, die grundsätzliche Ablehnung gegenüber der Türkei zu begründen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das unterstützt nicht die Reformkräfte und die demokratischen Kräfte. Eine relativierende Haltung zur Gewalt der PPK dient den Kurden ganz sicher am allerwenigsten. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7039 mit dem Titel „Einmarsch der Türkei in den Irak verhindern“. Es liegt eine Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Hakki Keskin vor.1) Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt bei Zu- stimmung der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen des übrigen Hauses. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b sowie den Zusatzpunkt 4 auf: 19 a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. Juli 2007 zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen ({0}) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security ({1}) ({2}) - Drucksache 16/6750 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) - Drucksache 16/7144 - Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Wolfgang Gunkel Ernst Burgbacher Silke Stokar von Neuforn b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäische Datenschutzstandards bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA sicherstellen 1) Anlage 10 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt - zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Stärkung des Daten- und Rechtsschutzes bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA - Drucksachen 16/4445, 16/4577, 16/5929 Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp Wolfgang Gunkel Ernst Burgbacher Silke Stokar von Neuforn ZP 4 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes - Drucksachen 16/6292, 16/6570({6}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7}) - Drucksache 16/7148 Berichterstattung: Abgeordnete Ralf Göbel Wolfgang Gunkel Petra Pau Silke Stokar von Neuforn Zu dem Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung zum PNR-Abkommen 2007 sowie zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann eröffne ich jetzt die Aussprache und gebe dem Kollegen Parlamentarischen Staatssekretär Peter Altmaier das Wort.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Abschluss des Fluggastdatenabkommens zwischen der Europäischen Union und den USA hat die Bundesregierung eine der schwierigsten, der anspruchsvollsten, aber auch der wichtigsten Aufgaben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und der transatlantischen Partnerschaft erfolgreich gelöst. ({0}) Die Aufgabe ist so wichtig und das Abkommen hat deshalb eine so große Bedeutung, weil die Mobilität in unserer modernen Gesellschaft, insbesondere im Bereich des Luftverkehrs, einen überragenden Stellenwert hat. Allein vom Flughafen Frankfurt am Main starten jeden Tag 145 000 Passagiere, 174 Millionen im Jahr. Zwischen Europa und den USA gibt es täglich 55 000 Flugbewegungen, 20 Millionen jedes Jahr. Diese Zahl, lieber Kollege Montag, macht deutlich, vor welch schwieriger Aufgabe wir stehen. Einerseits ist diese Mobilität eine Voraussetzung des Funktionierens unserer Gesellschaft, andererseits macht sie uns anfällig für terroristische Anschläge. Jede Störung dieser Mobilität, jeder erfolgreiche Anschlag würde automatisch dazu führen, dass wir weitreichenden Forderungen nach Kontrollen und verstärkten Sicherheitsmaßnahmen gegenüberstünden. Wir sind in der Pflicht, die sensiblen und hochanfälligen Verkehrsinfrastrukturen wirksam zu schützen, ohne die Mobilität der Menschen mehr zu beeinträchtigen, als unbedingt notwendig ist. Aus diesem scheinbaren Dilemma hilft uns die moderne Informationstechnologie, indem sie uns die Möglichkeit gibt, die Mobilität der Menschen zu erhalten, sogar auszubauen und gleichzeitig wirksam gegen internationalen Terrorismus und Verbrechen vorzugehen. Beispiele sind das Schengener Informationssystem, das Visa-Informationssystem, das ebenfalls unter deutscher Präsidentschaft zustande gekommen ist, das Eurodac-System für Asylbewerber, die Diskussion über elektronische Grenzen und eben auch und nicht zuletzt die Frage der Verwendung von Fluggastdaten, die nicht speziell zu Sicherheitszwecken erhoben werden, sondern ohnehin bei den Fluggesellschaften vorhanden sind. Die USA und Kanada praktizieren dies seit Jahren. Die Europäische Kommission hat in der vergangenen Woche einen Vorschlag für ein europäisches Fluggastdatensystem vorgelegt. Das zeigt, dass wir es hier mit einer Entwicklung zu tun haben, die allgemein vonstatten geht, die weltweit im Gang ist und die dazu beitragen soll, dass Millionen von Menschen sicherer und unbeschwerter reisen können. Aber wie überall, wo Daten ausgetauscht werden, wie überall, wo der Staat Zugriff auf Informationen der Bürger hat, muss dies im Rahmen von rechtsstaatlichen Strukturen geschehen, insbesondere dann, wenn diese Daten über Grenzen hinweg ausgetauscht werden. Wir brauchen Datenschutz, und wir brauchen Rechtssicherheit für die Betroffenen. ({1}) Das war der Grund, warum die Europäische Union und insbesondere die Bundesrepublik Deutschland von Anfang an darauf bestanden haben, dass wir mit den USA in einem Abkommen die damit zusammenhängenden Fragen des Datenschutzes regeln. Das alte Abkommen, das Bestand hatte, ist vom Europäischen Gerichtshof aufgehoben worden, nicht etwa wegen Verstoßes gegen Grund- oder Menschenrechte, auch nicht wegen Verstoßes gegen Datenschutzbestimmungen, sondern schlicht und ergreifend, weil es auf eine fehlerhafte Rechtsgrundlage gestützt war. Deshalb stand die deutsche EU-Präsidentschaft vor der schwierigen Aufgabe, in Verhandlungen mit unseren amerikanischen Partnern für ein neues Abkommen zu sorgen und dafür zu sorgen, dass auch in Zukunft ein Höchstmaß an Datenschutz und Rechtssicherheit gewährleistet ist. Ich sage Ihnen freimütig: Diese Aufgabe war nicht einfach, weil die amerikanischen Partner lange Zeit der Auffassung waren, dass es eines internationalen Abkommens in diesem Bereich nicht bedarf und dass sie den Austausch dieser Daten mit den Fluggesellschaften bilateral regeln könnten und sollten. Das war unsere Auffassung nicht. ({2}) Ich bin sehr froh und auch ein wenig stolz, dass es nach langen zähen und schwierigen Verhandlungen gelungen ist, zu einem Ergebnis zu kommen, das von beiden Seiten getragen wird und mit dem eine Reihe wichtiger Ziele der Europäischen Union erreicht werden konnte. Es bleibt bei der Zweckbindung für die Nutzung der Daten. Sensible Daten werden grundsätzlich nicht genutzt. Sie sind zu filtern und unverzüglich zu löschen, wenn sie nicht ausnahmsweise zur Abwendung einer Gefährdung oder schweren Beeinträchtigungen von Leben benötigt werden. Es ist richtig, dass die Speicherdauer länger ist als beim ursprünglichen Abkommen. Aber im Hinblick auf die ursprünglichen Vorstellungen der USA, diese Daten bis zu 40 Jahre speichern zu können, ist das, was wir erreicht haben, nämlich eine aktive, das heißt voll nutzbare Speicherung für sieben Jahre und eine daran anschließende acht Jahre lang ruhende Speicherung, ein wesentlicher Fortschritt. Wichtig ist, dass die Bürger der Europäischen Union die gleichen Rechte wie die US-Bürger erhalten, ohne jede Diskriminierung aufgrund von Staatsangehörigkeit oder Wohnland. Es ist auch wichtig, dass die Fluggesellschaften nun endlich von dem sogenannten Pull-System auf das Push-System umstellen können. Das heißt, die Daten werden von den USA nicht einseitig abgerufen, sondern sie werden von den Fluggesellschaften übermittelt. 13 Fluggesellschaften haben diese Umstellung bereits vorgenommen. ({3}) Die großen Fluggesellschaften sind dabei, die technischen Vorbereitungen zu treffen. Die USA haben sich bereit erklärt, den Grundsatz der Gegenseitigkeit voll und ganz anzuwenden. Das heißt, wenn die Europäische Union ein ähnliches System einführen sollte, werden wir diese Daten von amerikanischer Seite selbstverständlich erhalten und auswerten können. Meine Damen und Herren, ich bin mir dessen bewusst, dass nicht alle Wünsche, die es im Vorfeld gegeben hat, bis ins kleinste Detail erfüllt werden konnten. Internationale Verhandlungen haben es nun einmal so an sich, dass zwei dazugehören, um zu einem Ergebnis zu kommen. Ich frage Sie: Wie hätten wir uns denn verhalten sollen, nachdem wir sechs Monate intensivster Verhandlungen unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft hinter uns gebracht hatten, mit wesentlichen, substanziellen Fortschritten, die noch im April oder Mai kaum jemand für möglich gehalten hätte? Bereits damals gab es Schlagzeilen in der Zeitung, dass die Verhandlungen vor dem Scheitern stehen. Es ist uns gelungen, etwas in der Substanz wirklich Vorzeigbares zu erreichen. Hätten wir dann sagen sollen: „Wir kippen nun sämtliche Verhandlungen unserer Nachfolgepräsidentschaft vor die Füße, stehlen uns aus der Verantwortung und tun so, als wäre nichts gewesen“? Glauben Sie, dass es dann möglich gewesen wäre, zu einem besseren Abkommen zu gelangen? Ich glaube dies nicht. Vor allen Dingen unsere Partner in der Europäischen Union haben dies zu keinem Zeitpunkt geglaubt. Deshalb hatten wir die Rückendeckung und die Unterstützung aller Innen- und Justizminister der 27 EUStaaten, dieses Abkommen unter deutscher Präsidentschaft abzuschließen. Es hat in erheblicher Weise zur Rechtssicherheit beigetragen. Wir beraten und entscheiden heute auch über die Umsetzung einer EU-Richtlinie, die die Beförderungsunternehmen dazu verpflichtet, auf Anforderung der jeweiligen nationalen Grenzschutzbehörden bei Flügen aus Drittstaaten in die Europäische Union bestimmte Passagierdaten innerhalb der EU zu übermitteln. Dies zeigt, dass die Praxis der USA kein isoliertes Vorgehen ist, sondern dass wir uns die Möglichkeiten und Chancen der modernen Informationsmedien zunutze machen müssen. Das Gleiche gilt für die maßvolle Verlängerung der Speicherung der Daten von Videoaufzeichnungen der Bundespolizei. Alle drei Vorhaben, die wir heute verabschieden, zeigen eindeutig, dass wir einerseits die Informationstechnologien nutzen, dass wir andererseits aber auch bestrebt sind, dies mit einem hohen Maß an Datenschutz und Sicherheit für den einzelnen Bürger zu verbinden. Ich bin überzeugt, dass mit den drei Maßnahmen, die wir heute verabschieden, ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung und zum Ausbau der inneren Sicherheit in unserem Land geleistet wird. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDPFraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorgelegte Regierungsentwurf soll der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität dienen. Das hören wir häufiger. Ein wichtiger Teilaspekt soll dabei jetzt der Austausch von Daten sein, um mögliche Attentäter von Anfang an daran zu hindern, terroristische Anschläge zu begehen. Das ist sicherlich ein Ziel, das wir alle teilen können. Seit März 2003 verlangen die USA nun den Onlinezugriff auf den Buchungsdatensatz, den sogenannten Passenger Name Record, PNR. Dieses Vorgehen war von Anfang an erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Wir haben die Bundesregierung in der Vergangenheit häufig aufgefordert, auf Augenhöhe mit den Partnern aus den USA zu verhandeln. Mehrfach haben wir den jetzigen Innenminister, aber auch den vorherigen aufgefordert, für einen umfassenden Datenschutz einzutreten. Herr Staatssekretär, ich gebe gerne zu, dass es, nachdem Rot-Grün das ganze Projekt versemmelt und schon einmal zugestimmt hat, natürlich sehr schwierig war, das Ganze zurückzuholen. Im Ergebnis müssen wir aber leider feststellen, dass die Verhandlungen nicht zu dem Ergebnis geführt haben, das wir uns vorgestellt haben. Das war sicherlich auch nicht einfach; das will ich gerne zugestehen. Ich glaube auch, dass Sie sich Mühe gegeben haben. Aber wie heißt es in einem Werbespot? Mühe allein genügt nicht, Herr Altmaier. ({0}) Der jetzt zur Abstimmung vorgesehene Regierungsentwurf stellt eine wesentliche Verschlechterung im Vergleich zum Interimsabkommen vom Oktober 2006 dar, weil die Datenschutzgarantien noch weiter gelockert worden sind. Führen wir uns in diesem Zusammenhang einmal vor Augen, welche Informationen diese Datensätze eigentlich enthalten. Das sind zum Beispiel Essenswünsche, Informationen - weil wir gerade an dieser Stelle darüber reden - über Ihren Vielfliegerstatus, Gepäckinformationen, alle verfügbaren Kontaktinformationen einschließlich Zahlungs- und Abrechnungsinformationen. ({1}) Das sind sensible Daten, denen man mehr als nur das Reiseziel entnehmen kann. Solche Daten werden richtigerweise in dieser Masse nicht einmal vom deutschen Staat erhoben. Die Bundesregierung will aber die Übermittlung dieser Daten an die USA gestatten. Das ist aus unserer Sicht ein Dammbruch im Datenschutzrecht in Deutschland. ({2}) Die von Bundesinnenminister Schäuble erhobene Forderung nach einer weitgehenden Überwachung europäischer Fluggäste hat bereits der EU-Innenkommissar Frattini aufgenommen und letzte Woche in Brüssel der Öffentlichkeit präsentiert. Dies zeigt natürlich auch, welche Richtung Europa einschlagen wird. Die Übermittlung dieser riesigen Datenflut ist aus unserer Sicht ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Rechte der Bürger. Die festgelegte Speicherfrist ist viel zu lang. Die vom Europäischen Datenschutzbeauftragten geforderte Speicherdauer von dreieinhalb Jahren hat die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft nicht im mindestens durchsetzen können. Künftig werden die Daten sieben Jahre lang in einer aktiven Datenbank und noch einmal acht Jahre lang in einer ruhenden Datenbank gespeichert. Es ist sehr interessant, wie das so unterschieden wird. Insgesamt sind es also 15 Jahre. Zum Vergleich für diejenigen, die sich nicht so gut damit auskennen: 15 Jahre beträgt auch die Tilgungsfrist beim Bundeszentralregister bei schweren Straftaten. Ich finde, das ist kaum vergleichbar und macht das Problem sehr deutlich. ({3}) Die dem Bürger als Erfolg verkaufte Reduzierung der zu übermittelnden Datensätze ist eigentlich auch eine Mogelpackung. Die Anzahl hat sich nur reduziert, weil man verschiedene Dinge zusammengefasst hat, weil Datengruppen gebündelt wurden. So kann man auch etwas als Erfolg verkaufen, was gar keiner ist. Insgesamt werden zukünftig 34 Daten von täglich circa 50 000 Passagieren an die USA übermittelt werden. Auf diese Weise entstehen für die Fluggesellschaften und damit auch für die Passagiere nicht unerhebliche Kosten. Die grundsätzlichen Fragen werden von der Bundesregierung aber gar nicht beantwortet. Welchen Zugewinn an Sicherheit gibt es eigentlich? Welcher Beitrag wird denn eigentlich zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus geleistet? Diese Fragen muss die Bundesregierung allein schon deshalb beantworten, wenn sie sich dafür einsetzt, dass wir auch auf europäischer Ebene eine Regelung zur Fluggastdatenübermittlung bekommen. Wir haben eine Evaluierung der Praxis gefordert, damit die genannten Fragen endlich geklärt werden können. Auch mit dem zweiten Gesetz, das uns heute vorliegt, dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes, sollen Fluggastdaten erhoben werden können. Danach können auf Anordnung der Bundespolizei personenbezogene Daten von Flugreisenden, die von außerhalb des Schengen-Gebietes nach Deutschland kommen, erhoben und gespeichert werden. Diese Vorabübermittlung wird Kraft und Zeit von Personal binden, das man vielleicht auch sinnvoller an den Grenzen vor Ort einsetzen könnte. Denn wer sich in Datensätzen umschaut, der kann nicht an der Grenze kontrollieren. Es ist auch klar, dass sich die Kosten der Luftfahrtgesellschaften für das Projekt, die Sie im Moment bei 100 000 Euro ansetzen, am Ende im Zweifel deutlich höher darstellen werden. Wir haben daher gesagt, dass Sie eine Kompensationsregelung vorsehen müssen, wenn Sie die Fluggesellschaften als verlängerten Arm der Bundespolizei benutzen wollen. Eine solche haben Sie verweigert; das halten wir aus wirtschaftlicher Sicht nicht für richtig. Mit der FDP ist dieses Sammeln, Horten und Weitergeben von Fluggastdaten ohne Antritt des Beweises eines echten Sicherheitsgewinns in Deutschland nicht zu machen. Die informationelle Selbstbestimmung darf nicht ins Hintertreffen geraten. Daher lehnen wir diese Gesetzentwürfe ab. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. CarlChristian Dressel das Wort. ({0})

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben gerade gemerkt, das Thema der Übermittlung von Fluggastdatensätzen an die Vereinigten Staaten ist durchaus kontrovers. Aber, Frau Piltz, lassen Sie uns doch einmal bei der Realität bleiben. Realität ist, dass die Fluggesellschaften nach innerstaatlichem US-amerikanischem Recht verpflichtet sind, im Einreisefall die Datensätze an das United States Department of Homeland Security zu übermitteln. Tun sie das nicht, kommt es nicht zur Einreise, und die Flugunternehmen geraten in Schwierigkeiten. Frau Piltz, wollen wir in eine Situation kommen, in der es Probleme beim Verkehr zwischen den europäischen Mitgliedstaaten und den Vereinigten Staaten von Amerika gibt? Wir sollten dafür sorgen, dass die bisherige Praxis vom Kopf auf die Füße gestellt wird und dass wir die Interessen der Vereinigten Staaten in einer Art und Weise berücksichtigen, die einen möglichst geringen Grundrechtseingriff bei den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland zur Folge hat. Dieser Begründungszusammenhang ist von seiner Ursache her klar. Die Übermittlung und Auswertung dient nach dem Verständnis der Vereinigten Staaten von Amerika der Bekämpfung von Terrorismus und sonstiger schwerer Straftaten grenzüberschreitender Art einschließlich der organisierten Kriminalität. Wenn ich mir das Übereinkommen in seiner Gesamtheit anschaue, muss ich den Verhandlungsleitern, die mit dem United States Department of Homeland Security um diese Vereinbarung gerungen haben, wirklich zugestehen, dass sie nach Lage der Dinge wohl ein Optimum erreicht haben. Das ist keine leichte Aufgabe gewesen. Gerade aus dem hochsensiblen Bereich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus kennen wir alle genügend Beispiele, dass sich die Vereinigten Staaten von Amerika nicht gerade sehr verhandlungsbereit gezeigt haben. Insgesamt können wir mit dem Ergebnis einigermaßen - ich wiederhole: einigermaßen - zufrieden sein. Das Abkommen garantiert eine Rechtssicherheit, die es ohne diese Vereinbarung nicht gegeben hätte. Das bestehende Abkommen wurde im vergangenen Jahr nach der von Herrn Staatssekretär Altmaier bereits erwähnten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für nichtig erklärt. Die Europäische Union rutschte dadurch in eine defensive Rolle und musste die Initiative ergreifen. Trotzdem gelang es, für alle Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Vertrag abzuschließen. Herr Staatssekretär Altmaier, Herr Staatsminister Gloser, dies ist vor allem der deutschen Ratspräsidentschaft zu verdanken. Vom Gesichtspunkt des Datenschutzes aus bin ich ausgesprochen zufrieden, dass im Zusammenhang mit der Datenübermittlung ein konkreter Zeitpunkt für die Umstellung vom Pull-Verfahren auf das datenschutzfreundlichere Push-Verfahren festgesetzt wurde, nämlich der 1. Januar 2008. Ich denke, das war ein gewaltiger Schritt nach vorn. Die Datensätze werden nunmehr von den Fluggesellschaften an die Vereinigten Staaten übermittelt und nicht selbst recherchiert. Dies war eine zentrale europäische Forderung. Die Betroffenen werden im Hinblick auf ihre Rechtsbehelfe und Möglichkeiten USamerikanischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Wir geben keine offenen Bücher zur unbeschränkten Einsicht frei. Sensible Daten wie zum Beispiel politische Meinungen, religiöse Überzeugungen oder Daten über die Gesundheit und Ähnliches werden nicht gespeichert, sondern automatisch gelöscht. Nur in Ausnahmefällen kann auf diese Daten zugegriffen werden. In solchen Ausnahmefällen geht es um das Leben betroffener Personen oder um die Gefährdung bzw. die ernsthafte Beeinträchtigung Dritter. Damit können wir leben. Problematisch ist freilich die festgelegte Dauer. Mir erscheint die Dauer von 15 Jahren als sehr lang. Wir müssen aber einmal den Ausgang der Verhandlungen mit dem Beginn der Verhandlungen vergleichen. Wenn ich sehe, dass die Vereinigten Staaten zunächst eine Dauer von 40 Jahren forderten, sich dann nicht auf eine Dauer von unter 20 Jahren festlegen wollten und dennoch 15 Jahre erreicht wurden, so kann ich mit dieser Reduzierung, die im Ergebnis unterhalb der Hälfte der Ausgangsposition liegt, durchaus zufrieden sein. Die Verlängerung der Speicherdauer der auswertungsfähigen Daten von bisher dreieinhalb Jahren auf sieben Jahre begrüße ich ausdrücklich nicht. In dem dazwischen liegenden Zeitraum sind die Datensätze gewissermaßen archiviert und nur unter zusätzlichen Datenschutzvorkehrungen zugänglich. Mir ist nicht klar, warum die USamerikanische Seite dennoch auf einer so langen Gesamtspeicherzeit beharrt. Als zumindest mit einem gewissen Beigeschmack versehen betrachte ich weiterhin, dass die konkreten Vereinbarungen hinsichtlich der Datenübertragung nicht Bestandteil des Vertrages sind, sondern in einem Briefwechsel zwischen dem United States Department of Homeland Security und der Europäischen Kommission festgehalten wurden; sie ergänzen den Vertrag. Dieser Briefwechsel hat natürlich die gleiche Rechtskraft. Ich meine aber, solch zentrale Regelungen sollten nicht auf diese Art und Weise abgehandelt werden. So etwas gehört in das Abkommen aufgenommen. Wenn ich mir das Abkommen unter der von mir eingangs meiner Rede gesetzten Prämisse, die Praxis vom Kopf auf die Füße zu stellen, insgesamt ansehe, muss ich feststellen: Schlussendlich überwiegen die positiven Aspekte die negativen. Wir kamen nicht umhin, ein Abkommen mit den USA zu schließen, und ich freue mich, dass es ein gesamteuropäisches Abkommen ist und nicht eines einzelner EU-Mitgliedstaaten mit den Vereinigten Staaten. Wir müssen abwägen, ob wir das gesamte Abkommen für zustimmungsfähig erachten oder ob wir das Abkommen ablehnen, nur weil einige Regelungen unseren europäischen Vorstellungen nicht entsprechen. Ich sage Ihnen: Die Ablehnung wäre die schlechteste der Möglichkeiten. Dieses Abkommen verschafft die notwendige Rechtssicherheit, die es ohne diese Grundlage nicht geben würde. Die SPD-Bundestagsfraktion wird daher der Beschlussempfehlung des Innenausschusses, den Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika anzunehmen, zustimmen. Ich hoffe, die Damen und Herren der Oppositionsfraktionen überlegen sich diesen wichtigen Schritt nochmals. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat der Kollege Jan Korte für die Fraktion Die Linke das Wort. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst das Gute: Es ist erfreulich, dass wir darüber jetzt hier im Plenum diskutieren ({0}) und nicht, wie in der ersten Lesung, möglichst morgens um 4 Uhr, was sicherlich kein Zufall gewesen ist. Vielleicht noch einmal zum Verfahren: Auch die Linken hätten Ihre Anstrengungen gerne gewürdigt - wenn ich denn Belege dafür hätte, dass es Anstrengungen in unsere Richtung, also für mehr datenschutzrechtliche Standards, gegeben hätte. Aber Sie waren ja nicht bereit, den Innenausschuss bzw. den Bundestag detailliert zu informieren, wie diese Verhandlungen denn abgelaufen sind. Sie haben auf eine Kleine Anfrage und auf unsere Bitte hin nur mitgeteilt, dass so etwas prinzipiell nicht üblich ist. Da Nichtwissen noch keinem genützt hat, muss ich mich darauf konzentrieren, was als Ergebnis vorliegt, und kann Sie an dieser Stelle leider nicht loben, selbst wenn Sie sich in unserem Sinne eingesetzt hätten. Es ist schon zu Recht angesprochen worden, dass es mehrere Punkte gibt, die dieses Abkommen als nicht gut erscheinen lassen. Es ist sogar noch schlechter als das Interimsabkommen, das wir vorher hatten. Es ist ganz offensichtlich - das ist der zweite Kritikpunkt -, dass sich die USA mit ihrer ganzen Schlagkraft, die sie im Kampf gegen den Terrorismus gezeigt haben auch bei ihren Datenschutzstandards, die kaum vorhanden sind, durchgesetzt haben. Auch der dritte Kritikpunkt ist schon angesprochen worden: eine angebliche Reduzierung der Datensätze. Ich weiß noch, wie Minister Schäuble bei uns im Innenausschuss gesagt hat: Das entscheidende Erfolgskriterium bei diesem PNR-Abkommen ist, dass die Anzahl der Datensätze von ehemals 34 auf 19 begrenzt worden ist. Formal ist das ja richtig. Nur, der Witz dabei ist: Zum Beispiel Name und Anschrift, die vorher als zwei Daten gezählt wurden, sind jetzt zu einem Datum zusammengefasst worden. Von einer qualitativen Reduzierung der Datensätze kann daher keine Rede sein. Real wurde ein Datum reduziert - immerhin! -; aber von der Substanz her ist es geblieben wie vorher. Der vierte Kritikpunkt ist natürlich die Speicherdauer. Sie lag vorher bei 3,5 Jahren. Jetzt ist sie faktisch auf 15 Jahre ausgedehnt worden. Ich kann nur nochmals wiederholen, dass ich nicht weiß, was dort verhandelt worden ist. Sie haben nur gesagt, die USA wollten 40 Jahre. Das kann ich mir gut vorstellen. Aber da ich nicht weiß, wie die Verhandlungen abgelaufen sind, kann ich auch nicht wissen, ob nicht vielleicht mehr hätte herausgeholt werden können, wenn man denn gewollt hätte. Der fünfte Punkt, den wir schwer kritisieren, betrifft die Weitergabe an Drittstaaten. Wie das in diesem Abkommen geregelt ist, ist völlig inakzeptabel. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren ja nun mehrfach Fälle erlebt - auf der ganzen Welt -, wie Leute in eine Maschinerie geraten sind und nicht mehr nachvollzogen werden konnte, wer welche Daten wem gegeben hat und was das an Aktionen nach sich gezogen hat. Das ist hochgradig problematisch; das muss man zumindest einmal erwähnen. Der sechste Punkt, den wir kritisieren, ist, dass es ganz im Ermessen der Dienste der Vereinigten Staaten von Amerika wie CIA, NSA und vielen anderen liegt, ob und wann sie auf diese Daten zugreifen. Wenn man sich die Terrorhysterie der Bush-Administration ansieht, dann kann man sich in etwa vorstellen, in welchem Umfang diese Daten auch von den Diensten in den USA genutzt werden und welche fatalen Folgen das auch für völlig unschuldige Leute haben kann. Auch das ist ein Punkt, weswegen wir nicht zustimmen können. ({1}) Besonders bedenklich ist, dass im Rahmen dieser ganzen Debatten offensichtlich schon Parallelplanungen stattgefunden haben, das Ganze auch auf innereuropäische Flüge umzusetzen. Diese sind ja wohl schon recht weit gediehen. Auch darüber wurden wir nicht vernünftig informiert. Auch das finde ich schade; denn wir hätten Sie gerne dabei unterstützt, dieses Ding zu verhindern oder zumindest vernünftige datenschutzrechtliche Standards einzuhalten. Das, was Herrn Frattini vorschwebt, sind nun wirklich Orwell’sche Fantasien. Wir fordern Sie eindeutig auf, nicht auch in dieser Frage nachzugeben, sondern hier einen deutlichen Standpunkt einzunehmen, mit dem Sie das verneinen. Es ist stattdessen wichtig, dass wir bei solchen Debatten auch einmal eine wirkliche Evaluierung von Ihnen darüber bekommen, ob das eigentlich etwas nützt. Sind durch diese Datensammelorgien wirklich Terroristen herauszufiltern und Anschläge zu verhindern oder nicht? Das müsste doch einmal geschehen und dem Parlament, dem dafür zuständigen Gremium, vorgelegt werden. Das hat es bisher noch nie gegeben, übrigens bei allen sicherJan Korte heitspolitischen Verschärfungen der letzten Jahre nicht, die Sie hier im Wochenrhythmus vorlegen. Deswegen muss es darum gehen, eine Reduzierung der Datensätze zu erreichen und - dazu fordern wir Sie auch auf - der Totalausforschung der Flugreisenden nun auch innereuropäisch - einen Riegel vorzuschieben. Das, was hier offensichtlich schlecht ausgehandelt wurde, ist ein weiterer tiefer Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte und wird von uns selbstverständlich abgelehnt. Schönen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns liegt jetzt ein Abkommen vor, in das wir nur einmal hineinschauen müssen, um zu sehen, dass sich zumindest die Verhandlungsführer seitens der EU nicht wirklich mit Ruhm bekleckert haben. Der Grund dafür ist eindeutig und auch vom Kollegen Altmaier gerade benannt worden: Wenn man in eine Verhandlung geht und bestimmte Optionen von vornherein ausschließt, zum Beispiel eine kritische Auseinandersetzung mit den Datenschutzstandards der Vereinigten Staaten, dann kann eigentlich auch nur ein solches Ergebnis herauskommen. Vom Kollegen Dressel ist gerade gesagt worden, es ginge um den Schutz der europäischen Luftfahrtgesellschaften. Ich kann nur sagen: Man sieht heutzutage in einem anderen Bereich, wie dieser Schutz aussieht. Dazu muss man sich nur ansehen, wie die Lufthansa von Russland behandelt wird. Daran kann man erkennen, dass die Luftfahrtgesellschaften zumindest bei der Bundesregierung nicht wirklich gut aufgehoben sind. ({0}) Die Kooperation mit den USA bei der Bekämpfung des Terrorismus und natürlich auch in Sicherheitsfragen ist und bleibt richtig. Die Frage ist aber, welchen Preis wir hinsichtlich unserer eigenen Standards beim Datenschutz und bei den Bürgerrechten eigentlich bezahlen. Der Preis, der hier bezahlt wurde, ist aus meiner Sicht völlig inakzeptabel. Das Dokument ist von Ignoranz gegenüber dem Datenschutz und den Datenschützern in der EU geprägt. Nationale Datenschutzbeauftragte, das Europäische Parlament und der Europäische Datenschutzbeauftragte, sie alle haben das Abkommen kritisiert. Aber nicht nur das: Sie haben mit sehr konkreten und konstruktiven Verbesserungsvorschlägen auch dargelegt, wie es ginge. Ich kann nur ein Beispiel nennen und dabei den Europäischen Datenschutzbeauftragten Peter Johan Hustinx zitieren, der klargemacht hat, dass das Abkommen mit Kanada, das sehr ähnlich ist, eigentlich ein sehr gutes Beispiel ist. Er hat zwei klare Aspekte genannt: Der eine ist eine kleinere Liste der PNR-Daten, der andere ist eine Kontrolle für diejenigen, die Datenschutz betreiben. Beides finden wir hier nicht. Zum ersten Punkt ist gerade gesagt worden, dass die Liste nicht wesentlich verkürzt wurde. Zum Beispiel wird all das, was vorher über das persönliche Umfeld von Flugpassagieren darin stand, nun mit „Kontakte“ bezeichnet. Darunter sind ganz einfach viele Merkmale zusammengefasst worden. Die Zahl ist also nicht wirklich substanziell verkleinert worden. Zum zweiten Punkt. Es gibt keine effektive Datenschutzkontrolle. Wir wissen, dass es einmal im Jahr eine Evaluation geben wird. Dazu wird es aber keine Konsultation von Datenschützern geben. Das ist einfach ein Skandal und eine Katastrophe für den Datenschutz in diesem Bereich. ({1}) Wofür gibt es eigentlich die entsprechenden Institutionen? Wofür gibt es die Datenschutzgruppe nach Art. 29? Wofür gibt es Datenschutzbeauftragte? Ich weiß, dass das auch etwas mit den Institutionen zu tun hat. Wofür gibt es eigentlich das Europäische Parlament? So viel Ignoranz gegenüber dem Datenschutz zeigt, dass die Bürgerrechte gefährdet werden, dass aber auch Vertrauen verspielt wird. Ein Filter für die Software - eigentlich ein Technikum, das kein Problem gewesen wäre, weil es dem Abkommen nicht widerspricht - ist nicht durchgesetzt worden. Ein solcher Filter hätte sichergestellt, dass die Daten so übermittelt werden, wie es das Abkommen vorsieht. Nun gibt es noch nicht einmal eine technische Absicherung, die dafür sorgt, dass das beschlossene Abkommen eingehalten wird. Auf das Problem mit der Datenspeicherzeit wurde bereits hingewiesen. So kann es eigentlich nicht weitergehen, weil wir hier mit unserem Datenschutz spielen. In blindem Kopiereifer machen wir das demnächst in der Europäischen Union anscheinend nach. Mir ist noch immer nicht klar, ob es eine Evaluation gibt. Ich habe mehrfach nachgefragt, wo ich nachlesen kann, was die Europäische Union aus dem, was die Amerikaner machen, lernen kann. Wir haben den Prümer Vertrag, APIS und ein erweitertes Abkommen für Europol. Name, Geburtsdatum, Nationalität, Passnummer, Geschlecht und biometrische Daten werden schon jetzt erfasst. Wozu brauchen wir dann noch ein EU-PNR? Das ist überhaupt nicht sinnvoll. Wir schaffen zunehmend mehr Datenbanken. Gleichzeitig bauen wir Personal in den Ländern ab. Es gibt mittlerweile nicht mehr genügend Polizistinnen und Polizisten, die in all diesen Datenbanken nachschauen könnten. Sie bauen nicht nur Bürgerrechte ab, sondern schaffen auch weniger Sicherheit mit Ihrer Datensammelwut. So geht es nicht weiter. Ihrem Gesetzentwurf können wir nicht zustimmen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich unseren Antrag durchzulesen. Dort steht, wie man es besser machen kann. Sicherheit und Freiheit lassen sich durchaus miteinander vereinbaren, aber nicht mit dem vorliegenden Abkommen. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7144, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6750 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Zustimmung der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7182. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist damit gegen die Stimmen der Antragsteller, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 16/5929. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4445 mit dem Titel „Europäische Datenschutzstandards bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA sicherstellen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4577 mit dem Titel „Stärkung des Daten- und Rechtsschutzes bei der Weitergabe von Fluggastdaten an die USA“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Wir kommen zum Zusatzpunkt 4. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundespolizeigesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7148, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6292 und 16/6570 ({0}) in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDPFraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7183. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! Gibt es Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Bildungspolitische Katastrophe verhindern Betreuungsgeld eine Absage erteilen - Drucksache 16/7114 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Finanzausschuss Haushaltsausschuss Wir nehmen die Reden des Kollegen Thomas Bareiß aus der Unionsfraktion, der Kollegin Marlene Rupprecht aus der SPD-Fraktion, der Kollegin Ina Lenke aus der FDP-Fraktion, der Kollegin Diana Golze aus der Frak- tion Die Linke und der Kollegin Britta Haßelmann aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.1) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf Drucksache 16/7114 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zur Mitberatung an den Finanz- ausschuss und den Haushaltsausschuss. Gibt es dazu an- derweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer ({3}), Andreas G. Lämmel, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Andrea Wicklein, Doris Barnett, Engelbert Wistuba, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD 1) Anlage 12 Vizepräsidentin Petra Pau Die wirtschaftlichen und arbeitsplatzschaffen- den Erfolge der Gemeinschaftsaufgabe „Ver- besserung der regionalen Wirtschaftsstruk- tur“ nutzen - Regionales Wachstum und Beschäftigungseffekte intensivieren - Drucksachen 16/5607, 16/6837 - Berichterstattung: Abgeordnete Doris Barnett b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Fördermittel Aufbau Ost in voller Höhe beibe- halten - Geplante Kürzung der Gemein- schaftsaufgabe von 100 Mio. Euro zurückneh- men - Drucksache 16/7042 - Auch hier nehmen wir die Redebeiträge zu Protokoll. Das betrifft den Kollegen Andreas Lämmel aus der Unionsfraktion, die Kollegin Doris Barnett und die Kol- legin Andrea Wicklein aus der SPD-Fraktion, die Kolle- gin Gudrun Kopp aus der FDP-Fraktion, die Kollegin Sabine Zimmermann aus der Fraktion Die Linke und die Kollegin Cornelia Behm aus der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.1) Wir kommen damit zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit dem Titel „Die wirtschaftlichen und arbeitsplatzschaffenden Erfolge der Gemeinschaftsaufgabe ‚Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur‘ nutzen - Regionales Wachstum und Beschäftigungseffekte intensivieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6837, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/5607 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7042 mit dem Titel „Fördermittel Aufbau Ost in voller Höhe beibehalten Geplante Kürzung der Gemeinschaftsaufgabe von 100 Mio. Euro zurücknehmen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Link ({4}), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Das Instrument der Wahlbeobachtungen durch die OSZE darf nicht geschwächt wer- den - ODIHR muss handlungsfähig und unab- hängig bleiben - Drucksache 16/7001 - 1) Anlage 13 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Es gibt inzwischen eine neue Verabredung zur Rednerreihenfolge. Deshalb wird nicht der Kollege Link für die Antragsteller als Erster sprechen, sondern es hat der Kollege Manfred Grund für die Unionsfraktion das Wort. ({6})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute aus einem sehr aktuellen Anlass einen Antrag, den die FDP nachher vorstellen wird. Es geht um die Beibehaltung der uneingeschränkten Wahlbeobachtung durch die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Aktueller Anlass ist folgender: Am 2. Dezember 2007 wird es in Russland zu Wahlen zur Staatsduma kommen, und die russische Regierung hat bis heute nicht zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, in Russland eine uneingeschränkte Wahlbeobachtungsmission der OSZE durchführen zu lassen. Die Geschichte der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, ist eine Erfolgsgeschichte. Sie nahm am 3. Juli 1973 mit dem Beginn der Helsinki-Konferenz ihren Anfang. In der Abfolge dieser Konferenz haben die damaligen europäischen Staaten und die Sowjetunion gemeinsam mehrere Abkommen getroffen. Diese Abkommen waren in der Folge sehr wichtig, insbesondere sehr wichtig für die Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs. Es gab insgesamt drei sogenannte Körbe. Von diesen drei Körben hat sich der dritte Korb mit den Menschenrechten beschäftigt. Letztendlich haben die Ostblockstaaten ein Tauschgeschäft gemacht. Sie haben die Anerkennung ihrer staatlichen Souveränität und ihrer Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg quasi gegen das Zugeständnis eingetauscht, dass sie sich im Bereich der Menschenrechte, also der Religionsfreiheit, der Pressefreiheit, der Informationsfreiheit und der Reisefreiheit, auf Standards verpflichten, die im freien Teil Europas schon immer gegolten haben. Diese Standards wurden - wenn auch zunächst nur theoretisch und auf dem Papier - verpflichtend eingegangen. Für mich, der ich in der ehemaligen DDR aufgewachsen bin, war es sehr wichtig, dass die Ostblockstaaten, auch die DDR, verpflichtet waren, diese Standards, diese Vereinbarung, abzudrucken. Wir konnten das nehmen und konnten sagen: Hier steht es im Neuen Deutschland. Ihr dürft uns nicht wegen unserer Kirchenzugehörigkeit von der Weiterbildung, vom Studium ausschließen; ihr dürft uns nicht verfolgen, weil wir Informationen, Druckschriften aus dem westlichen Teil Europas besitzen oder weitergeben; und ihr dürft uns nicht an der Berliner Mauer erschießen. Das war sehr wichtig. Von diesem Prozess des dritten Korbes ausgehend, haben sich in den Ostblockstaaten viele Menschenrechtsorganisationen gefunden und darauf gegründet: die Charta 77 in der ČSSR, die polnischen und sowjetischen Menschenrechtsorganisationen und natürlich auch die Bürgerrechtsbewegung in der damaligen DDR. Infolge dieses KSZE-Prozesses, der seit 1995 der OSZE-Prozess ist, kam es zu einem Wandel durch Annäherung, der letztendlich 1989 mit dem Fall der Mauer, mit dem Fall des Eisernen Vorhangs seinen Höhepunkt gefunden hat. Möglicherweise sind es diese durchaus dramatischen Entwicklungen, die durch die Anerkennung der Menschenrechte und die Informationsfreiheit eingetreten sind, die dazu beitragen, dass heute Russland unter dem Präsidenten Putin mit diesem OSZE-Prozess und mit den Wahlbeobachtungsmissionen, die sich darauf gründen, sehr restriktiv umgeht. Das betrifft nicht allein Russland. 2004 haben sich in Astana die GUSStaaten mit einem Appell an die anderen Mitgliedstaaten dieses OSZE-Prozesses - das sind 56; alle Staaten Europas, Kanada und die USA sowie ein Teil der asiatischen Staaten - gewandt, der darauf hinausläuft, dass eine freie und faire Berichterstattung und eine Wahlbeobachtungsmission erschwert werden. Wir müssen ein großes Interesse daran haben, dass Wahlbeobachtungsmissionen nicht nur jetzt bei der Dumawahl in Russland, sondern bei allen Wahlen in den Ländern, die OSZE-Vereinbarungen abgeschlossen und versprochen haben, Standards einzuhalten, stattfinden können. ({0}) Das sind wir nicht nur uns selbst und dem Wandel schuldig, den KSZE und OSZE in den ehemaligen Ostblockstaaten verursacht haben, sondern auch den Erwartungen der Menschen in den Transformationsländern. Diese Transformationsländer, die postkommunistischen Staaten, haben ganz unterschiedliche Erwartungen an uns. Es besteht durchaus die Erwartung, dass wir durch Wahlbeobachtungsmissionen den Weg bestätigen, den sie in Richtung Demokratie, Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit genommen haben, was manchmal ein qualvoller Prozess für die Staaten ist, weil sie einen ganz anderen Hintergrund haben. Wer - manche von uns sind als Wahlbeobachter unterwegs - in diesen Ländern gewesen ist, weiß auch, dass diejenigen, die als Büroleiter in den Wahlbüros, zu denen wir kommen, tätig sind und dort ihre Arbeit machen, froh und dankbar sind, wenn wir nach der Prüfung, nach dem Checken all dessen, was mit der Wahlbeobachtungsmission zusammenhängt, sagen können: Besser als ihr die Wahlen vorbereitet und durchgeführt habt, hätten auch wir in Deutschland es nicht machen können. - Es ist also in vielerlei Hinsicht wichtig, dass wir in Wahlbeobachtungsmissionen unterwegs sind. Deswegen geben wir unsere Zustimmung zu diesem Teil des Antrags der FDP. Der Antrag beinhaltet aber eines, dem wir bzw. ich nicht zustimmen kann. Es steht darin, dass die Bewerbung Kasachstans um den Vorsitz der OSZE in nächster Zeit nicht von der Bundesregierung unterstützt werden soll. Ich meine, wir sollten gerade die Bewerbung Kasachstans für den OSZE-Vorsitz unterstützen. Zum einen wäre damit zum ersten Mal ein postkommunistisches Transformationsland mit dem Vorsitz der OSZE beauftragt. Zum anderen würde man anerkennen, dass insbesondere Kasachstan bei der Respektierung der Menschenrechte Fortschritte gemacht hat, wenn auch nicht in dem Maße, wie es wünschenswert wäre. Ich selbst war am 18. August im Rahmen einer Wahlbeobachtungsmission in Astana, als das kasachische Parlament gewählt wurde. Ich kann sagen: Für mich und viele der Wahlbeobachter - ich war mit einem Kollegen aus Österreich unterwegs - war die Vorbereitung und die Durchführung der Wahl in Ordnung. Das war weitestgehend frei und fair. Das sollte man anerkennen. In diesem Prozess sollten wir ein Land wie Kasachstan unterstützen. ({1}) Ich finde, es würde Russland wesentlich schwerer fallen, fundamentale Kritik an der OSZE und an Wahlbeobachtungsmissionen zu üben, wenn ein Land wie Kasachstan, ein Transformationsland, mit dem temporären Vorsitz beauftragt wird. Ein Letztes: Es gibt den Vorwurf, dass die OSZE und ODIHR doppelte Standards anlegen. Da müssen wir wirklich sehr aufpassen, dass diesem Vorwurf nicht Nahrung gegeben wird. Die Standards, die in Kasachstan gelten sollen, müssen natürlich genauso in Italien gelten. Wenn wir wollen, dass unabhängige Wahlbeobachter in Transformationsländern einen Zugang zu Wahllokalen erhalten, muss dieser Zugang auch in allen anderen OSZE-Staaten gewährleistet werden. Nur so können wir Vertrauen in diesen Prozess schaffen und die Länder ermutigen, die sich auf dem Weg in Richtung Europa befinden. Manchmal ist dieser Weg steinig und schwierig. Wir begrüßen die Intention, die dem Antrag der FDP innewohnt, teilen aber auch die Sorge über eine sehr autoritäre und restriktive Entwicklung in Russland. Wir haben die Hoffnung, dass Russland sehr bald eine Wahlbeobachtungsmission der OSZE, von ODIHR, zulässt. Je mehr Tage vergehen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass das organisatorisch noch zu leisten ist. Von hier aus appelliere ich daher an Russland, die OSZE-Verpflichtungen möglichst bald zu erfüllen. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat der Kollege Michael Link für die FDP-Fraktion das Wort.

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen! Geehrte Kollegen! Herr Grund ist auf Kasachstan eingegangen; darauf will ich zum Schluss zu sprechen kommen. Ich Michael Link ({0}) möchte vorweg ein paar allgemeine Bemerkungen zur OSZE machen, die uns zur Formulierung dieses Antrags veranlasst haben. Die FDP legt dem Haus heute einen Antrag zum Schutz und Ausbau der Wahlbeobachtungsinstrumente der OSZE vor. Anlass sind die Forderungen einer Reihe von OSZE-Mitgliedern - an der Spitze steht Russland -, Wahlbeobachtungsmissionen der OSZE substanziell zu erschweren. Wir meinen, es ist höchste Zeit für den Bundestag, sich wieder einmal intensiv mit dem Thema OSZE zu befassen. Das ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit zu Unrecht ein Schattendasein führt. Dabei ist die OSZE die einzige gesamteuropäische Organisation zwischenstaatlicher Art, die aktiv arbeitet, und zwar nicht nur auf europäischer Ebene, sondern - das ist ein oft bemühtes Bild - von Vancouver bis Wladiwostok. Durch die aktive Mitarbeit Kanadas und der USA als Vollmitglieder ist die OSZE ein wichtiger Teil der transatlantischen Zusammenarbeit in Ergänzung zur NATO, zugegebenermaßen auf einem ganz anderen Gebiet, aber auf einem sehr wichtigen. Die OSZE hat viele Tätigkeitsbereiche. Aus unserer Sicht ist die sogenannte humane, die menschliche Dimension der OSZE, also der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte, das Wichtigste. Jetzt komme ich zum entscheidenden Teil des Antrages: Mit der Begründung des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte - die englische Abkürzung ODIHR steht für Office for Democratic Institutions and Human Rights wurde 1990 ein wichtiges und entscheidendes Instrument für den Aufbau demokratischer Institutionen und für Wahlbeobachtung geschaffen. Das Instrument der Wahlbeobachtungen, das dem institutionell und vertraglich bisher unabhängigen ODIHR mit Sitz in Warschau zur Verfügung steht, ist eines der schärfsten Schwerter, über das die OSZE heute verfügt. Die langfristig angelegten Wahlbeobachtermissionen der OSZE über ODIHR leisten einen ganz entscheidenden Beitrag zum Ansehen dieser Organisation. Leider hat Russland seit den von Moskau aufs Heftigste kritisierten OSZE-Wahlbeobachtungen im Umfeld der Rosenrevolution in Georgien und der Orangenen Revolution in der Ukraine nie verhehlt, dass es eine starke und unabhängige Position der OSZE-Wahlbeobachter und des ODIHR ablehnt. Die jüngste Ankündigung des Vorsitzenden der russischen Wahlkommission, Wladimir Tschurow, die Zahl der OSZE-Wahlbeobachter für Russland auf 50 zu begrenzen, zeigt deutlich, wie entschlossen die Regierenden in Moskau sind, sicherzustellen, dass die internationale Gemeinschaft bei den anstehenden Dumawahlen am 2. Dezember nicht genau hinschauen kann. Die Motivation des Machterhalts in der gelenkten Demokratie demonstriert, wie unglaubwürdig die russische Kritik an den Wahlbeobachtermissionen der OSZE ist. Bei diesem Vorgehen, bei der Forderung nach einer Schwächung des ODIHR wird Russland von Kasachstan unterstützt. Herr Grund, damit komme ich zu dem Punkt, den Sie angesprochen haben. Kasachstan ist ein von uns geschätzter Partner in Zentralasien. Kasachstan ist ein Land, dessen Parlamentswahlen weder frei noch fair waren. Hier sind wir wahrscheinlich unterschiedlicher Meinung. Aber der Abschlussbericht der OSZE-Wahlbeobachter vom 18. August 2007 - auch ich habe an der Wahlbeobachtung teilgenommen - zeigt gerade durch die von den OSZE-Wahlbeobachtern gewählte Terminologie deutlich, dass sich hier mitnichten eine Demokratie um den OSZE-Vorsitz bewirbt. Kasachstan ist ein Staat, dessen Präsidialpartei bei dieser Wahl ein Traumergebnis von 90 Prozent für sich reklamiert und als einzige Partei ins Parlament eingezogen ist. Kasachstan ist ein Staat, der sich nun für das Jahr 2009 um den OSZE-Vorsitz beworben hat. Die Bundesregierung unterstützt diese Bewerbung bisher. Ich denke, es ist aufgrund des nicht akzeptablen Ablaufs der kasachischen Wahlen vom August 2007 höchste Zeit, dass die Bundesregierung diese Unterstützung überdenkt. ({1}) Kasachstans OSZE-Vorsitz könnte nur dann eines Tages infrage kommen, wenn es sich zukünftig demokratisch entwickelt. Eine Demokratie auf dem Papier kann und darf von Berlin keine Unterstützung für das hohe Amt des OSZE-Vorsitzes bekommen, bei allen Anreizen, die auch ich akzeptiere und die auch wir sehen. Aber es geht nicht um Mitgliedschaft, sondern es geht um die bedeutende Frage des Vorsitzes in der OSZE. Ich erinnere in diesem Zusammenhang einmal daran, wofür die OSZE steht. Herr Grund, Sie haben es mit beredten Worten selbst gesagt: Die OSZE steht für eine lange und erfolgreiche Geschichte der Wahlbeobachtung. Häufig wird vergessen, dass alle heutigen EU-Mitglieder in Mittel- und Osteuropa in den 90er-Jahren OSZE-Beobachtermissionen hatten, die auch eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Kopenhagener Kriterien gespielt haben, zum Beispiel gerade in den drei baltischen Staaten. Die OSZE hat in den 90er-Jahren eine wichtige Rolle bei der Heranführung dieser Staaten an die EU gespielt. Übrigens spielt sie heute gerade auch im Kosovo, in Albanien und in Mazedonien durch ihre dortigen Missionen immer noch eine wichtige Rolle. Vieles von dem Positiven, was wir im Kosovo, in Albanien und in Mazedonien erreicht haben - wir wissen, dass beileibe nicht alles positiv ist -, haben wir aufgrund der OSZE-Missionen erreicht, die oft von Deutschen geleitet werden und wurden. Aus meiner Sicht gibt es also genügend Gründe, dass wir das wichtige Amt des OSZE-Vorsitzes - ich wiederhole: es geht nicht um Mitgliedschaft, sondern um den Vorsitz - nicht einer Demokratie auf dem Papier, wie es Kasachstan zurzeit leider noch ist, übertragen. Am 29. November 2007 steht in Madrid der nächste Ministerrat der OSZE an. Damit, Herr Staatsminister, kommen wir zum aktuellen Teil unseres Antrags. Der Antrag enthält viele Punkte, die einer generellen Diskussion würdig sind. Schon Ende November steht die Entscheidung über den Vorschlag unter anderem Russlands an, die ODIHR-Beobachtungen neu zu regeln. Dieser konkrete Vorschlag Russlands, Armeniens, Kasachstans, Michael Link ({2}) Kirgistans, Tadschikistans, Usbekistans und Weißrusslands, also zumindest entwicklungsbedürftiger Demokratien, darf in dieser Form nicht angenommen werden. Würde er angenommen, dann würde das Instrument der Wahlbeobachtung der OSZE zur Farce verkommen. Ich komme zum Schluss. Herr Grund hat zu Recht gesagt, dass die KSZE für viele engagierte Bürgerrechtler in der damaligen DDR ein wichtiger Punkt war, um Hoffnung zu schöpfen und an den menschenrechtlichen Korb der KSZE anzuknüpfen. Heute ist die OSZE für viele Bürgerrechtler unter anderem in Usbekistan und in Weißrussland, aber auch in Russland nicht minder wichtig. Wir sollten deshalb gemeinsam daran arbeiten, die OSZE nicht ihres Sinns zu berauben. Danke. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Den Beitrag der Kollegin Heike Hänsel von der Frak- tion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat der Kollege Rolf Kramer für die SPDFraktion. ({0})

Rolf Kramer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Manfred Grund hat in aus meiner Sicht richtigen Worten den Prozess der KSZE aus östli- cher Sicht dargestellt. Wir können konstatieren, dass der KSZE-Prozess in den 70er-Jahren zu einer Auflösung der Blöcke beigetragen hat und letzten Endes auch zu der Situation geführt hat, dass sich die beiden deutschen Staaten wiedervereinigt haben und dass die Konfronta- tion der ehemaligen Blöcke nicht mehr besteht. Wir stehen jetzt vor der Frage, was in Zukunft mit den verschiedenen OSZE-Aktivitäten geschehen soll. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik fragte 2006: Ist die OSZE-Wahlbeobachtung ein Opfer ihres eigenen Erfolgs? Damals wie heute ging es darum, wie die Zukunft der Wahlbeobachtermissionen im Rahmen der OSZE ausse- hen soll. Eine Gruppe von Staaten um Russland forderte damals wie auch heute, dass sich die OSZE weniger um die Wahlbeobachtung, um die Beachtung demokrati- scher Standards und um die Einhaltung der Menschen- rechte kümmern sollte. Das darf aber nicht geschehen. Notwendige Verände- rungen und verstärkte Aktivitäten der OSZE in den Be- reichen Sicherheit, Wirtschaft und Umweltschutz dürfen keinesfalls zulasten der menschlichen Dimension gehen und die Werte und Überzeugungen der OSZE schwä- chen. 1) Anlage 14 Die OSZE hat Aufgaben wahrzunehmen, die auch zukünftig von zentraler Bedeutung sein werden, zum Beispiel ihre Teilnehmerstaaten immer wieder an die eingegangenen Verpflichtungen zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie Abrüstung und Rüstungskontrolle zu erinnern und sie bei deren Umsetzung zu unterstützen. Mit ihren Wahlbeobachtungsmissionen leistet die OSZE einen entscheidenden Beitrag zur Legitimität der Parlamente und der Regierungen ihrer Mitgliedstaaten. Wer an der Unabhängigkeit dieser Mission rüttelt und die Wahlstandards infrage stellt, der erschüttert aus meiner Sicht auch die Grundfesten der OSZE. Gerade die Entwicklung in der Ukraine im Jahre 2004 hat uns allen ganz deutlich gemacht, dass wir in Europa und in der OSZE zu den Grundsätzen der Demokratie stehen müssen. Wahlen dürfen nicht verfälscht werden, und ein Ergebnis muss den Mehrheitswillen des Volkes ehrlich zum Ausdruck bringen. Die russische Regierung bezeichnet die Orangene Revolution in der Ukraine demgegenüber als Beispiel dafür, wie mithilfe der OSZE und ihrer Wahlbeobachter ein Regimewechsel initiiert worden sei. Richtig ist dagegen, dass diese Wahlbeobachter zahlreiche Manipulationen und Verstöße der Regierung des damaligen Präsidenten Kutschma dokumentiert hatten und so die Vorwürfe der Opposition glaubhaft belegen konnten. Der schließlich korrekt verlaufene dritte Wahlgang wäre ohne die technische Unterstützung und weiterhin erfolgte Beobachtung durch die OSZE kaum möglich gewesen. In diesem Wahlgang hatte der von Moskau unterstützte Kandidat Janukowitsch eine deutliche Niederlage gegen den heutigen Präsidenten Juschtschenko erlitten. Ähnlich verlief aus Moskauer Sicht der Machtwechsel in Georgien, der mit Präsident Saakaschwili einen ebenfalls westlich orientierten Politiker an die Spitze gebracht hatte. Gleichzeitig kam der OSZE die Rolle eines Katalysators zu, als ihre Beobachter die Wahlfälschung des ehemaligen kirgisischen Präsidenten Akajew dokumentierten und so dessen Ablösung beförderten. Alle diese Beispiele zeigen aus meiner Sicht, trotz der vorgebrachten Kritik: Die Wahlbeobachtung der OSZE ist ein allgemeines Gütesiegel geworden. Das beweist nicht zuletzt das große Interesse anderer Länder in Ost und West an ihr, so auch bei den Präsidentschaftswahlen in Afghanistan. Hier wurden von der OSZE und dem zuständigen, unabhängig agierenden Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, ODIHR, in Warschau Maßstäbe gesetzt. Deshalb sollte die Wahlbeobachtung, die die Organisation auch für die Öffentlichkeit in allen Mitgliedstaaten sichtbar macht, beibehalten und ausgebaut werden. Die intensive Wahlbeobachtung kann dabei als wichtiges Merkmal für die OSZE und Vorteil gegenüber anderen internationalen Akteuren begriffen werden und sollte nicht vernachlässigt werden. Eine verstärkte Beteiligung der Parlamentarischen Versammlung kann die Transparenz der Wahlbeobachtung durch die Organisation nur erhöhen. Ähnliches gilt für die OSZE-Feldmissionen, die weiter ausgebaut und deren Teilnehmer noch professioneller werden sollten. Freie und korrekte Wahlen bilden einen der Grundpfeiler jedes demokratischen Regimes. Doch setzen sie auch das Vorhandensein einer demokratischen Kultur voraus. Hier muss eingeräumt werden, dass eine solche, eben eine demokratische Kultur, aus Gründen, die im Erbe der Vergangenheit und in Schwierigkeiten der Gegenwart liegen, in manchen Mitgliedstaaten der OSZE noch fehlt. Aus diesem Grund ist die von der OSZE durchgeführte Wahlbeobachtung absolut unerlässlich, um den korrekten Ablauf der Wahlen zu gewährleisten. ({0}) Überdies wurde Anfang der 90er-Jahre beschlossen, dass die OSZE die Transformationsstaaten beim Aufbau demokratischer Strukturen unterstützen sollte. Diese Aufgabe ist aus meiner Sicht weiter erforderlich. Die OSZE kommt hier ihrer originären Aufgabe nach, die von allen 55 OSZE-Staaten freiwillig übernommenen Verpflichtungen - hier die Achtung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie - zu überwachen. Diese Tätigkeit findet auf zwei Ebenen statt. Die von der OSZE durchgeführte Wahlbeobachtung erfolgt im Allgemeinen gemäß einer Kooperationsvereinbarung, die vom Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und dem amtierenden Vorsitzenden der OSZE am 2. September 1997 unterzeichnet wurde. Die Aufgabe der OSZE besteht darin, demokratische Wahlprozesse durch genaue Beobachtung nationaler und lokaler Wahlgänge zu fördern. Das ODIHR muss ebenfalls Wahlhilfeprojekte durchführen, die eine echte partizipatorische Demokratie begünstigen und die Teilnehmerstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen in der menschlichen Dimension unterstützen, indem es sein Fachwissen einbringt und praktische Unterstützung bei der Festigung der demokratischen Institutionen leistet. Die Parlamentarische Versammlung der OSZE wird dann im Wahlvorgang tätig, indem sie Beobachter entsendet, die überprüfen, ob die Wahlen ordnungsgemäß ablaufen. Wichtig ist dabei, dass so bald wie möglich nach Abschluss des Wahlganges eine Beurteilung darüber veröffentlicht wird, ob die Wahlen demokratisch waren oder nicht. Aus meinen bisherigen Ausführungen entnehmen Sie sicherlich, dass der Antrag der FDP auch bei uns durchaus auf Sympathie trifft. Von den acht Forderungen, die im zweiten Teil des Antrages an die Bundesregierung gerichtet werden, trifft die überwiegende Zahl auf unsere Zustimmung. Etwas genauer hinsehen müssen wir unter anderem bei den Forderungen nach dem Status der von der OSZE-PV und von ODIHR eingesetzten Wahlbeobachter sowie der Stellung der Parlamentarierversammlung innerhalb der OSZE-Organisation. Ich glaube aber, dass wir in den Ausschussberatungen zu einem konstruktiven Ergebnis kommen können. Der Erhalt und der Ausbau der OSZE und ihrer Einrichtungen sind in unser aller Interesse. Es geht dabei um die Erneuerung und um den Erhalt des bisher Erreichten. Diese Herausforderung können wir allerdings nur gemeinsam meistern. Sie erfordert unser aller Engagement. Herzlichen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Marieluise Beck das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte es sehr gut gefunden, wenn diese Debatte, die auch uns Parlamentarier und unsere Präsenz innerhalb der OSZE betrifft, von unseren Delegationsleitern begleitet worden wäre. Das wäre dieser Debatte angemessen und würde zeigen, dass wir alle sehr gut beraten wären, uns noch einmal über unser Engagement in der Parlamentarischen Versammlung zu verständigen. Diese Arbeit erledigen wir manchmal nur nebenbei. Obwohl wir alle sehr wichtige Geschäfte zu erledigen haben, sollten wir uns alle - ich nehme mich da gar nicht aus - darüber verständigen, dass unsere aktive Mitarbeit in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE unglaublich wichtig ist. Das gilt besonders in dieser Zeit - das ist von der FDP in ihrem Antrag zu Recht dokumentiert worden -, in der die Angriffe auf die OSZE immer massiver werden. ({0}) Die Entscheidung Russlands, die Begleitung und Beobachtung der Wahlen auf diese massive Weise einzuschränken, ist einmalig in der Geschichte der OSZE. Anlässlich der Wahlen in diesem Land mit 95 000 Wahllokalen sind 70 Beobachter der OSZE von russischer Seite zugelassen. Selbst wir OSZE-Parlamentarier können zum Teil als Wahlbeobachter nicht fungieren. Das ist schlichtweg skandalös. Russland hat sowohl 1999 in Istanbul als auch im Dezember 2006 das Konsensprinzip anerkannt und sich verpflichtet, die Wahlbeobachtung und auch ODIHR zu stärken. Noch eine Bemerkung zu ODIHR. Wenn Parlamentarier freitags anreisen und montags wieder fahren, können sie Wahlbeobachtung nur oberflächlich durchführen. Die eigentliche Arbeit wird von ODIHR geleistet. Dazu werden der freie Zugang zu Medien, der Zugang der einzelnen Parteien zu den Wahlen, die Kandidatenkür und die Art der Auseinandersetzung über einen langen Zeitraum überprüft. Dafür gibt es ein international anerkanntes Benchmarking-Verfahren. Das ist die eigentliche Grundlage, auf der letztlich die Fairness und die Freiheit der Wahlen beurteilt werden. Marieluise Beck ({1}) Wir können beobachten, dass systematisch die Axt an ODIHR gelegt wird, sowohl von russischer Seite, aber auch von anderen GUS-Nachfolgestaaten. Offensichtlich ist erkannt worden, dass faire und freie Wahlen tatsächlich dazu führen können, dass Regierungen an die Macht gelangen, die nicht von denjenigen gewollt sind, die glaubten, fest im Sattel zu sitzen, auch über - so will ich in diesem Zusammenhang einmal sagen - prekäre Wahlverfahren. Mit den Wahlen in der Ukraine und mit dem Erfolg wirklich freier und fairer Wahlen und einem Regimewechsel dort ist offensichtlich innerhalb von GUS-Ländern und in Russland ein systematischer Versuch losgetreten worden, dieser Form von Wahlbeobachtung zu Leibe zu rücken. Dem müssen wir uns mit aller Entschiedenheit entgegenstellen; denn sonst wird eines der zentralen Instrumente der OSZE kaputtgemacht. ({2}) Ein kurzer Satz zu Kasachstan. Auch wir waren der Meinung, dass es eigentlich gut ist, wenn die zentralasiatischen Länder über so einen Vorsitz eingebunden werden. Wenn sich Kasachstan aber in dieser Weise an dem Schleifen der eigentlichen Aufgabe, nämlich Wahlbeobachtung, beteiligt, haben wir allen Grund, darüber mit Kasachstan zu sprechen und untereinander zu beraten, ob wir das wirklich so aufrechterhalten können. Ich glaube, wir haben in den Ausschüssen noch einmal Gelegenheit, uns darüber auszutauschen. Schönen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7001 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes - Drucksachen 16/6518, 16/6966 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({0}) - Drucksache 16/7152 - Berichterstattung: Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Ulrich Krüger Frank Schäffler Dr. Gerhard Schick Wir nehmen die Reden der Kollegen Klaus-Peter Flosbach für die Unionsfraktion, Dr. Hans-Ulrich Krüger für die SPD-Fraktion, Frank Schäffler für die FDP-Frak- tion, Axel Troost für die Fraktion Die Linke, Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und den Beitrag der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zu Protokoll.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7152, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6518 und 16/6966 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Verbraucherfreundliche Lebensmittelkennzeichnung einführen - Drucksache 16/6788 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Auch hier nehmen wir die Beiträge zu Protokoll. Das betrifft die Kollegin Uda Heller für die Unionsfraktion, die Kollegin Dr. Marlies Volkmer für die SPD-Fraktion, den Kollegen Michael Goldmann für die FDP-Fraktion, die Kollegin Karin Binder für die Fraktion Die Linke und die Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6788 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2008 ({2}) - Drucksache 16/6565 - 1) Anlage 15 2) Anlage 16 Vizepräsidentin Petra Pau Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({3}) - Drucksache 16/7154 - Berichterstattung: Abgeordneter Martin Zeil Auch hier gehen die Beiträge zu Protokoll. Der Kol- lege Hans Michelbach hat für die Unionsfraktion seine Rede zu Protokoll gegeben, der Kollege Garrelt Duin für die SPD-Fraktion, der Kollege Martin Zeil für die FDP- Fraktion, der Kollege Dr. Herbert Schui für die Fraktion Die Linke und der Kollege Hans-Josef Fell für die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen.1) Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines ERP- Wirtschaftsplangesetzes 2008. Der Ausschuss für Wirt- schaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/7154, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6565 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Frak- tion angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({4}), Hans-Josef Fell, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nanotechnologie - Forschung verstärken und Vorsorgeprinzip anwenden - Drucksache 16/7115 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung Bericht der Bundesregierung zum Verände- rungsbedarf des bestehenden Rechtsrahmens für Anwendungen der Nanotechnologie - Drucksache 16/6337 - 1) Anlage 17 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Der Kollege Johann-Henrich Krummacher für die Unionsfraktion, der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion, die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion, die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke und die Kollegin Priska Hinz ({7}) für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/7115 und 16/6337 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Produkte ({8}) - Drucksache 16/6651 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({9}) - Drucksache 16/7155 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen vor. Die Fraktionen haben sich darauf geeinigt, dass auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll gehen. Das betrifft die Redebeiträge des Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für die Unionsfraktion, des Kolle- gen Dr. Axel Berg für die SPD-Fraktion, der Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion, des Kollegen Hans- Kurt Hill für die Fraktion Die Linke und des Kollegen Hans-Josef Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen.3) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die umweltgerechte Gestaltung energiebetriebener Pro- dukte. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/7155, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6651 in der Ausschussfassung anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung 2) Anlage 18 3) Anlage 19 Vizepräsidentin Petra Pau der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7184. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Antragsteller und die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften - Drucksache 16/6543 Erste Beschlussempfehlung und erster Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({10}) - Drucksache 16/7166 Berichterstattung: Abgeordnete Bettina Herlitzius - Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7167 Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Frank Schmidt Dr. Claudia Winterstein Dr. Gesine Lötzsch Anna Lührmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth. ({12})

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach Jahren und Jahrzehnten vergeblicher Bemühungen ist es jetzt gelungen, eine für den Bund günstige Lösung bei der Beendigung des Treuhandverhältnisses im Hinblick auf das Bergmannssiedlungsvermögen mit dem Wohnungsunternehmen THS zu erreichen. Für die Ablösung seiner Rechte erhält der Bund insgesamt 450 Millionen Euro von der THS, die in vier Jahresraten ab Ende 2008 bis 2011 ausgezahlt werden. Die Bundesregierung hat sich - vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und das Bundesministerium der Finanzen - mit dem Wohnungsunternehmen THS durch Vergleichsvertrag über die Beendigung des Treuhandverhältnisses und den Ablösebetrag in Höhe von 450 Millionen Euro geeinigt. Der Vertrag ist aber erst dann wirksam, wenn das nach § 2 Abs. 2 des Gesetzes über Bergmannssiedlungen begründete Treuhandverhältnis aufgehoben ist. Daher wird die THS durch den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf aus der Auflistung der Treuhandstellen, die das Bergmannssiedlungsvermögen verwalten, gestrichen und damit aus dem Regelungsbereich des Gesetzes entlassen. Mit dem Wirksamwerden des Vergleichs ist der Ablösebetrag zu verzinsen, und zwar mit dem Zinssatz des Bundes für eine Laufzeit von vier Jahren. Dies sind derzeit immerhin 4 Prozent, sodass dem Bund ab dem Wirksamwerden täglich Zinsen in Höhe von rund 50 000 Euro zufallen. Je früher das Gesetz in Kraft tritt, desto besser für den Bund. Daher wollen wir im Bundesrat noch Ende November, spätestens aber Mitte Dezember erreichen, dass das Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Welchen Erfolg dieser Vergleich darstellt, kann man erst ermessen, wenn man sich die komplexen und zwischen den Beteiligten streitigen Rechtsgrundlagen im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse am Bergmannssiedlungsvermögen, das nach dem Ersten Weltkrieg zwischen 1920 und 1923 entstanden ist, vor Augen führt. Denn die Frage, wer Eigentümer des Bergmannssiedlungsvermögens ist, ist strittig. Dazu liegen entgegengesetzte Gutachten namhafter Professoren vor. Darüber hinaus ist auch höchst umstritten, welchen Wert und Umfang das Bergmannssiedlungsvermögen heute, rund 90 Jahre nach seiner Entstehung, hat, da neben der Kohleabgabe von 1920 bis 1923 in dieser langen Zeit weitere Kapitalzuflüsse erfolgt sind, die dem Bergmannssiedlungsvermögen nicht zugerechnet werden können. Diese Rechtsunsicherheit konnte nur durch einen Vergleich beendet werden. Auch der Versuch eines langen und kostspieligen gerichtlichen Verfahrens wäre letztlich nach allen Erfahrungen in einem Vergleich gemündet, aber verbunden mit erheblichen Prozesskosten. Eine Ablösesumme von 450 Millionen Euro ist für den Bund also ein gutes Ergebnis. Sie repräsentiert gut ein Drittel des Unternehmenswertes. Neben dem Treuhandvermögen gibt es zwei wirtschaftliche Inhaber der THS GmbH - das Unternehmen Evonik, vormals RAG, sowie die Gewerkschaft IG BCE -, die diese Ablösesumme auch akzeptieren mussten. Sie haben es erst nach komplizierten und langwierigen Verhandlungen getan. Wir sollten das Ergebnis daher nicht infrage stellen. In den Ausschussberatungen ist immer wieder die Befürchtung geäußert worden, dass der Bund mit dem Vergleich Wohnungsvermögen an „Heuschrecken“ verschleudern würde. Ich möchte ausdrücklich erklären: Der Bund verkauft die Wohnungen nicht, sondern er beendet ein Treuhandverhältnis. ({0}) Eigentümer der Wohnungen sind und bleiben die IG BCE und die ehemalige RAG. ({1}) Für die Mieter ändert sich dadurch gar nichts. Das ist sehr wichtig, und ich habe das auch im Ausschuss klargestellt. Bindungen der sozialen Wohnraumförderung und des Bergarbeiterwohnungsbaus, die nach 1945 entstanden sind, bleiben vollständig erhalten. Außerdem ist ein sogenannter Besserungsschein vereinbart worden, der sicherstellt, dass der Bund bei einem Weiterverkauf von Gesellschaftsanteilen an der THS an einem eventuell höheren Verkaufserlös partizipiert. Der Besserungsschein hat Gültigkeit bis 2011. Sie sehen, dass wir auch für diesen Fall Vorsorge getroffen haben. Zusammengefasst: Mit dem Vergleich werden ein bisher unlösbar erscheinendes Problem rechtlicher und wirtschaftlicher Natur endlich geklärt und günstige Bedingungen für den Bund erhalten. Ich bitte Sie daher eindringlich, die gesetzlichen Bestimmungen zu schaffen, mit denen wir dieses Problem aus Sicht des Bundes in einer guten Art und Weise lösen können. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Döring das Wort. ({0})

Patrick Döring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003748, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, wenn Sie sich so sicher sind, dass das ein gutes Geschäft ist und dass jener Tag, an dem die Gesetzesänderung in Kraft tritt, ein guter Tag für die Bundesregierung und die Bundesrepublik ist, dann frage ich mich Folgendes: Warum sind vom Tag des Abschlusses des Vergleichsvertrages bis zur Einbringung dieses Gesetzes mehr als drei Monate vergangen? Warum haben Sie versucht, die beiden Artikel zu den Bergmannssiedlungen und zum Bergarbeiterwohnungsbau zusammen mit den wohngeldrechtlichen Änderungen durchzuschieben? Und warum warten Sie vor allen Dingen nicht den Bericht des Bundesrechnungshofes ab, der, soweit ich weiß, in 14 Tagen vorliegen wird, um diese komplizierten Fragen zu klären? Auch die FDP-Fraktion ist dafür, die stillen Reserven des Treuhandsiedlungsvermögens zu heben. Da gibt es überhaupt keinen Dissens; das habe ich auch im Ausschuss gesagt. Die Frage ist, ob der Ablösebetrag tatsächlich in einer Größenordnung vereinbart wurde, die den Anteil der Bundesrepublik widerspiegelt. Noch einmal: 1981 hat die Bundesrepublik Deutschland - dieser Vertrag liegt vor - eine stille Einlage in Höhe von mehr als 50 Millionen DM zum Aufbau der THS GmbH erbracht, die IG BCE und die RAG jeweils 3,7 Millionen DM. Mit diesem belastbaren Vermögen in Höhe von 61 Millionen DM in der Bilanz - die Wohnungen waren nämlich unbelastet - konnte man wohnungswirtschaftlich erfolgreich arbeiten und ein großes, bedeutendes Immobilienunternehmen aufbauen. Aus diesem Vermögen des Bundes - Frau Roth, Sie haben die Entstehungsgeschichte des Bergmannssiedlungsvermögens dargestellt - ist ein hochprofitabler, wertvoller Unternehmensbereich entstanden. Zu den Zahlen: Das Unternehmen hat ausweislich seiner Bilanz ein Grundstücksvermögen von 2,4 Milliarden Euro. Das Unternehmen macht rund 400 Millionen Euro Umsatz und knapp 40 Millionen Euro Gewinn pro Jahr. ({0}) Das Unternehmen hat eine Gewinnrücklage von 600 Millionen Euro. Das sind die Zahlen, über die wir sprechen. Im Hinblick auf dieses Unternehmen geben wir unser Sicherungsvermögen und all unsere Möglichkeiten auf. ({1}) Wir haben einmal 87 Prozent des Stammkapitals eingebracht. Deshalb haben wir in den Debatten im Haushaltsausschuss und im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung über die Frage nachgedacht: Ist es vernünftig, sich mit einem Drittel des von der Bundesregierung festgestellten Wertes auszahlen zu lassen? Ich finde, diese Frage ist auch um 20.30 Uhr noch berechtigt. ({2}) Da wir letztlich ein Drittel bekommen, glauben wir, die Freien Demokraten, dass der Wunsch der Bundesregierung absolut nicht zu unterstützen ist. Es gibt aber Unklarheiten im Hinblick auf den Wert des Unternehmens und die Drittelregelung. Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade klargestellt, dass Gutachten mit unterschiedlicher Aussagekraft vorliegen. Jetzt bin ich beruhigt. Am Mittwoch haben Sie das nämlich noch anders gesehen. Diese Gutachten möchte der Bundesrechnungshof sehen. Erst gestern ist mir gesagt worden, dass sie dem Bundesrechnungshof vorenthalten werden; auch das ist noch ungeklärt. ({3}) In dieser Situation sagen Sie, es sei ein guter Tag, wenn wir heute dafür sorgen würden, dass dieses Gesetz schnell in Kraft trete. Meinetwegen kann die Regierung das so sehen. Das Parlament - das ist jedenfalls meine Überzeugung und die Überzeugung der FDP-Fraktion sollte das nicht so sehen. ({4}) Eine letzte Bemerkung. Wem nützt das Ganze eigentlich? Wir vermuten - dieser Verdacht liegt nahe -, dass mit der Ablösung unseres Anteils alle eigentumsrechtlichen Streitigkeiten beseitigt werden und IG BCE und RAG ein hochprofitables und voller Vermögen bzw. stiller Reserven steckendes Unternehmen zu einem relativ geringen Preis vor die Füße gelegt bekommen. ({5}) Die Union hält die Steigbügel, um die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie zu einer der wohlhabendsten, streikfähigsten und vermögendsten Gewerkschaften zu machen. Denn die Gewinnrücklage von 600 Millionen Euro, auf die wir auch verzichten, kann jederzeit zu gleichen Teilen an RAG und IG BCE ausgezahlt und das Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von über 1 Milliarde Euro jederzeit zusätzlich belastet werden. Der IG BCE wird sozusagen ein trockener Schwamm hingelegt, der jederzeit befeuchtet und, um mehr Liquidität zu erhalten, ausgequetscht werden kann. Das kann man so machen. Als Regierung würde ich diesen Gedanken sogar weiterverfolgen. Man darf aber nicht erwarten, dass das Parlament und die Opposition im Parlament dabei mitmachen. Ich komme zum Schluss. Wir lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf ab, weil wir die offenen Fragen noch hätten klären können. Wenn es Ihnen so wichtig ist, dass dieses Gesetz in Kraft tritt, dann müssen Sie dem Bundesrechnungshof die Gutachten vorlegen und unmittelbar nach Vergleichsschluss ein Gesetzgebungsverfahren einleiten; damit dürfen Sie nicht mehr als drei Monate warten. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann für die Unionsfraktion. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bergmannssiedlungen. Ich möchte Wiederholungen vermeiden, da die Staatssekretärin - sie ist noch kurzfristig in die Rednerliste aufgenommen worden - schon zu den grundsätzlichen Problemstellungen Ausführungen gemacht hat. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass es im vorliegenden Fall nicht um den Verkauf von Wohnungen geht. Es geht ausschließlich um einen Vergleichsvertrag mit der Treuhandstelle. Der Kollege Döring von der FDP hat hier sehr wortreich erklärt, dass er mit dem Verhandlungsergebnis nicht zufrieden ist. Ich erinnere mich an viele ähnliche Deals, auch in Schleswig-Holstein, bei denen wir als Opposition nie mit dem Ergebnis zufrieden waren und das auch herausgestellt haben. Das ist auch Ihr gutes Recht. In der Sache möchte ich aber sagen, dass der Bund nicht Eigentümer dieser Wohnungen ist. Gesellschafter der THS sind vielmehr je zur Hälfte die Ruhrkohle AG und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Aufgrund der in der Vergangenheit vom Bund geleisteten Subventionen gibt es jetzt keine Wohnungsbindung mehr. Seit über 20 Jahren ist daher versucht worden, einen Vergleich herbeizuführen. Das zeigt, wie schwierig die Materie zu beurteilen ist. Aufgrund des geplanten Börsenganges der Ruhrkohle AG ist jetzt endlich eine Einigung erreicht worden, die einen Ablösebetrag in Höhe von 450 Millionen Euro vorsieht. Hierzu hat es im Vorfeld Gutachten gegeben. Dass es unterschiedliche Aussagen gab, ist, glaube ich, normal. Diese Gutachten hatten einerseits den Wert der THS zum Gegenstand; andererseits wurde begutachtet, welcher Anteil dieses Wertes auf den in der Vergangenheit gezahlten Subventionen beruhe. Wie uns gestern im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung von der Bundesregierung glaubhaft versichert wurde, sieht die Bundesregierung den erzielten Vergleich als einen Erfolg an. Nach übereinstimmender Auffassung des Bundesfinanzministeriums und des Bundesverkehrsministeriums ist der Vergleich eine Chance, einen Teil der gewährten Subventionen zurückzuholen. Die Vergleichssumme - so die Bundesregierung - sei vor dem Hintergrund des Wertes der THS und des Umfangs der gezahlten Subventionen angemessen. Ich sagte schon, es ist schwierig, den heutigen Wert der in der Vergangenheit gezahlten Subventionen festzustellen. Zudem sei bei weiteren Verhandlungen eine Erhöhung nicht mehr zu erwarten. Wir können gerne Wünsche äußern; aber drei Vertragspartner müssen sich hier einigen. Darüber hinaus hat die Bundesregierung darauf aufmerksam gemacht, dass Verzögerungen bei der Umsetzung dieses Vergleichs Nachteile für den Bund nach sich ziehen. Es ist gesagt worden, dass dem Bund täglich Zinsen in Höhe von mehr als 50 000 Euro verloren gehen würden, wenn das Gesetz verspätet in Kraft träte. Der Haushaltsausschuss hat nach seinen Beratungen empfohlen, das Gesetz in der nun vorliegenden Form anzunehmen. Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wird deshalb diesem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bergmannssiedlungen ihre Zustimmung geben. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Staatssekretärin Roth, Sie haben in Ihren Ausführungen eben noch einmal darauf hingewiesen, dass der Bund keine Wohnungen verkauft, sondern ein Treuhandverhältnis beendet. Wir sind uns sicher einig darüber, dass wir über eine Wohnungsgesellschaft reden, eine Gesellschaft also, die Wohnungen verwaltet, in die der Bund einmal - Herr Döring hat das eben eindrucksvoll dargestellt - 87 Prozent der Eigentümeranteile eingebracht hat. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Muttergesellschaft kurz vor dem Börsengang steht. Wenn Sie dann darstellen, dass Sie ein Treuhandverhältnis beenden wollen, stelle ich schon einmal die Frage - ich habe sie auch am Mittwoch im Ausschuss gestellt -: Wem gehören denn die Wohnungen, wer steht als Eigentümer im Grundbuch? Denn Immobilien werden ja letztlich immer im Grundbuch verzeichnet, sodass man ablesen kann, wer der Eigentümer ist. Selbst wenn es sich um eine Gesellschaft handelt, an der wir nur Gesellschafteranteile haben, sind wir durch diese Gesellschaft anteilig Eigentümer dieser Wohnungen; so habe ich das zumindest gelernt, als ich mich vor über 16 Jahren selbstständig gemacht habe. Die Bundesregierung hat dazu ihren Anteil an der Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten, THS, abgetreten und soll nunmehr im Gegenzug 450 Millionen Euro als Ablösebetrag bekommen. Für mich ist das ein Immobiliengeschäft, das durch den Bund beendet wird. Ich möchte hier vor allem für meine Fraktion zum Ausdruck bringen, dass wir Wohnungsprivatisierungen und Börsengänge von Wohnungsunternehmen, die der öffentlichen Daseinsvorsorge widersprechen, natürlich strikt ablehnen. Es ist also zu befürchten, dass die sozialen Orientierungen der THS unter Druck geraten werden. Mietervereine im Ruhrgebiet wie das Mieterforum Ruhr verweisen darauf, dass der Bergarbeiterwohnungsbau bis heute sozial gebunden ist. Kann der Schutz der Mieter und der Siedlungen durch diese Bindungen auch nach dem Börsengang noch gewährleistet werden? Das ist ebenfalls eine Frage, die die Linke stellt. Meine Damen und Herren, der Deutsche Mieterbund hat bereits im August dieses Jahres die völlige Intransparenz des Abtretungsvorganges scharf kritisiert und von einer Nacht-und-Nebel-Aktion gesprochen. Dieser Kritik schließen wir uns an. Über die Abtretung, den Vergleichsvertrag und die Abfindung ist damals im Parlament nicht diskutiert worden. Wir sollen heute den Weg für einen Vorgang freimachen, an dem das Parlament bislang nicht beteiligt worden ist und der dann auch noch in der Novelle zum Wohngeldgesetz versteckt wurde. ({0}) In der gestrigen Ausschussberatung sind dazu eine Menge Fragen offengeblieben oder konnten gar nicht gestellt werden, da auch dieser Deal nunmehr in Eile durchgezogen werden soll. In der THS ist das aus Steuergeldern finanzierte sogenannte Bergmannssiedlungsvermögen enthalten. Wir, die Linke, stellen fest: Erstens. Es hat hinter dem Rücken des Parlaments eine bisher unentgeltliche Eigentumsübertragung in Bezug auf 78 000 Wohnungen gegeben. Zweitens. Dieser Tatbestand sollte mit der Novelle zum Wohngeldgesetz - einem Artikelgesetz - klammheimlich bereinigt werden. Nur weil das Parlament diese Novelle nicht durchgewunken hat, ist dieser Deal nun zutage getreten. Drittens. Der Bundesrechnungshof hat im Zuge seines Prüfungsverfahrens Bedenken zur Höhe der Geldzahlungen geäußert. Eigentlich kann man aus diesen Gründen nur ablehnen. Die Linke enthält sich jedoch in dieser Abstimmung der Stimme, weil der Bund sonst gegebenenfalls Gefahr läuft, nicht einmal mehr diese 450 Millionen Euro zu erhalten; denn das Vermögen des Bundes und damit des Steuerzahlers ist längst weg. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Bettina Herlitzius für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen! Auch wenn es der Titel des Gesetzentwurfes nicht vermuten lässt, beschäftigen wir uns jetzt mit der Privatisierung von öffentlichem Wohnungsvermögen. Dabei geht es nicht um einzelne Verkäufe von Wohnungen, sondern um ein Vermögen, das der Bund an dieser Stelle freigibt. Still und leise und mit unzureichenden Informationen und verwirrenden Fachauskünften in den Ausschüssen versuchen die Koalitionspartner, diesen Verkauf von Bergmannssiedlungen aus dem Bundesvermögen zu einem Schnäppchenpreis von 450 Millionen Euro durchzuwinken. Ich bin zwar neu im Bundestag, aber in meiner bisherigen politischen Praxis in der Kommune ist mir so etwas noch nicht vorgekommen. Es kann doch nicht sein, dass ein solcher Beschluss über so schlechte Vorlagen ohne vernünftige Informationen und dann auch noch fast ohne Debatte in einer derartigen Geschwindigkeit gefasst werden soll. Dieses Verhalten macht misstrauisch ich denke, nicht zu Unrecht, da vor allen Dingen dann, wenn Fragen gestellt werden, immer größere Ungereimtheiten auftauchen. Noch einmal zurück zu dem, worum es hier geht. 90 Jahre lang hat der Bund im Ruhrgebiet Siedlungen für Bergleute gefördert. Daraus ist nach dem Krieg die THS, die Treuhandstelle für Bergmannswohnstätten, entstanden. Mittlerweise ist aus der THS ein recht respektables Wohnungsbauunternehmen mit 80 000 Wohnungen und einem Bilanzwert im Jahre 2006 von 2,6 Milliarden Euro geworden. Gesellschafter der THS mit jeweils hälftigem Stimmrecht sind die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie und das Nachfolgeunternehmen der RAG, die Evonik. Wir, der Bund, waren nett und haben einfach nur Geld gegeben: einmal Stammkapital und dann viele Jahre lang Geld über den Kohlepfennig, den sozialen Wohnungsbau und diverse weitere Förderungen. ({0}) Doch leider hat wohl niemand aufgeschrieben, was wir die ganze Zeit gezahlt haben. Das verwundert mich etwas. Ich bin mit großen Erwartungen in den Bundestag gegangen. Ich dachte nicht, dass so etwas passieren kann. Aber offensichtlich hat niemand Buch darüber geführt, sodass wir heute nicht mehr wissen, welches Vermögen wir eingebracht haben. Wir können es daher auch nicht verzinsen. Wir haben also dieser Gesellschaft Geld gegeben und wissen nicht mehr, wie viel es ist. Wir können auch nicht mehr genau sagen, ob es uns oder anteilig mehr den anderen gehört. Gutachten sind erstellt worden. Die beiden vorliegenden Gutachten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das scheint wirklich schwierig zu sein. Aber auch die Vermögensbewertung der aktuellen THS ist unklar. Das entscheidende Gutachten liegt nicht vor; der Kollege hat es lang und breit ausgeführt. Trotzdem sollen wir entscheiden. Das ist einfach ein Unding. ({1}) Aber die Kollegen von der Großen Koalition scheint das nicht zu stören. Sie unterstützen dieses unseriöse Vorgehen weiter. Hier soll das Bundesvermögen zu einem niedrigen Preis verschleudert werden. Eine Ablösesumme von 450 Millionen Euro ist offensichtlich eine politische und keine wirtschaftliche Lösung. Legt man die Zahlen der FDP-Kollegen zugrunde, kann man davon ausgehen, dass der Wert der Wohnungen mit einem Quadratmeterpreis von 300 Euro berechnet wird. Das ist richtig günstig; vielleicht sollten wir uns das noch einmal überlegen. Man kann davon ausgehen, dass der tatsächliche Wert der 78 000 Wohnungen wesentlich höher ist als der geschätzte Vermögenswert, von dem wir nur ein Drittel bekommen. Dieser merkwürdige Vorgang kann nicht Grundlage einer vernünftigen Berechnung von Vermögensverhältnissen sein. ({2}) Seit nunmehr 20 Jahren verhandelt man; Sie haben das eindrucksvoll dargelegt, Frau Staatssekretärin. Es verwundert, dass man gerade jetzt, kurz vor dem Börsengang der Evonik, zu einer Einigung kommt. Der Verdacht, dass man damit das Grundkapital der RAG/Evonik noch einmal aufbessert, liegt nahe. Ich glaube, mit dieser bösen Vermutung liegen wir nicht ganz daneben. Ganz nebenbei werden die Wohnungen durch den Rückzug des Bundes privatisiert. Man muss das so nennen, auch wenn es nur um den Verlust bzw. den günstigen Verzicht auf öffentliches Eigentum geht. Zurzeit sind die Mietverhältnisse der ehemaligen Bergarbeiter noch geschützt. Aber mit dem Börsengang der RAG wird auch die THS unter Renditedruck kommen. Sie mögen jetzt noch abwinken und sagen, alles sei gesichert. Aber wir wissen, wie viele Gesellschaften sich in solchen Situationen relativ schnell verändert haben. Die THS muss nun die 450 Millionen Euro aufbringen. Es kommt noch einiges hinzu: Steuern, Zinsen usw. Die THS ist bisher ein sehr solide aufgestelltes Unternehmen, das relativ geringe Rücklagen gebildet und seine Einnahmen immer recht schnell in den Wohnungsbestand investiert hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Herlitzius, auch wenn Sie Ihr Manuskript darüber halten: Das Blinklicht sagt Ihnen, wie weit Sie über die Redezeit sind. ({0})

Bettina Herlitzius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003887, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich dachte, zu so später Stunde könnte ich ein bisschen tricksen. Wir sind nach wie vor der Meinung - deshalb stimmen wir gegen die geplante schnelle Teilprivatisierung -, dass Wohnungen im öffentlichen Bestand ein wichtiges Element der Stadtentwicklung und der Stadtgestaltung sind. Auch der Bund sollte Unternehmen, die so wichtig sind wie die THS für das Ruhrgebiet, nicht im Regen stehen lassen. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das war die erste Rede der Kollegin Herlitzius im Deutschen Bundestag. ({0}) Wir gratulieren Ihnen herzlich zu dieser Premiere und wünschen Ihnen alles Gute für die Arbeit im Hohen Hause und darüber hinaus. ({1}) Das Wort hat der Kollege Sören Bartol für die SPDFraktion.

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte schon immer einmal der letzte Redner an einem anstrengenden Tag sein. Ich freue mich, dass noch so viele gekommen sind, um mir zuzuhören. Ich glaube, die Grunddetails, um die es geht, sind von den verschiedenen Rednern in dieser Debatte schon dargelegt worden. Ich möchte daher auf ein paar kleinere Punkte eingehen. Ich kann verstehen, dass die Opposition dazu neigt, zu skandalisieren. ({0}) Offizielle Missstände sollen aufgedeckt werden, um der Öffentlichkeit klarzumachen: Hier ist etwas völlig faul im Staate. Fast alle Redner von der Opposition - nicht Frau Bluhm - haben sich darüber beschwert, dass dieser Gesetzentwurf plötzlich über sie gekommen sei. Jetzt muss ich Ihnen sagen - Sie sind genau wie ich Berichterstatter im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung -: Wir haben den Entwurf einer Wohnrechtsnovelle seit Monaten auf dem Tisch. ({1}) - Ja, gut, von mir aus. Den Regierungsfraktionen liegt er schon ein bisschen länger vor. Trotzdem: Nach dem 26. September war genug Zeit, den „Skandal“ sofort zu entdecken. ({2}) Wir haben im Ausschuss über eine Verschiebung geredet und dann gemeinsam beschlossen, dass es, weil das Wohngeldrecht eine so wichtige Angelegenheit ist, am 12. Dezember eine Anhörung geben muss. Jetzt ist die Frage: Wo ist der Skandal? Wir haben dann gesagt: Weil es eine Anhörung geben soll, wir aber aufgrund des drohenden Zinsverlustes gezwungen sind, Art. 4 und 5 der Wohnrechtsnovelle zügig zu verabschieden, wollen wir diese Artikel aus der Novelle herauslösen. - Das ist allerdings Knall auf Fall erfolgt - das ist richtig -, damit wir möglichst schnell fertig werden und eine Verabschiedung vor Anfang nächsten Jahres erreichen. Das ist der „Skandal“, um den es Ihnen anscheinend geht. Eigentlich hatte jeder genug Zeit, sich ausführlich damit auseinanderzusetzen. Kurz zum Inhalt. Klar ist, dass wir hier etwas geschafft haben. Es geht nicht darum, den Eigentümer zu ermitteln, sondern darum, ein Treuhandverhältnis zu beenden. Man kann jetzt skandalisieren und spekulieren, hier würden 78 000 Wohnungen privatisiert, an Heuschrecken abgegeben. ({3}) Ich kann an dieser Stelle eigentlich nur dem letzten Satz von Frau Bluhm zustimmen: Würden wir die Novelle nicht verabschieden, bekämen wir gar nichts, weil es jahrelang umstritten war, ob wir überhaupt Eigentum haben. ({4}) Es gibt dazu unterschiedliche Rechtsauffassungen. Es ist eine schwierige Materie; denn alles liegt schon sehr lange zurück. Es gab sehr viele unterschiedliche Förderungen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, herauszustellen: Hierbei geht es auch um ein starkes Stück Sozialpartnerschaft. Die Wohnungsbaugesellschaft geht an die RAG, jetzt Evonik, und die IG BCE. Ich glaube, es ist gut, dass sich der Bund hier zurückzieht. Ich glaube auch, dass es gut ist, dass der Bund, obwohl alles völlig strittig ist, noch 450 Millionen Euro herausgehandelt hat. Es ist vernünftig und auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse, dass wir keinen Zinsverlust in Kauf nehmen. Es ist die Rede von Zinsen in Höhe von ungefähr 50 000 Euro pro Tag. Da lohnt es sich, zu versuchen, zügig einen Beschluss zu fassen. Frau Bluhm, die Linke hat sich übrigens im Haushaltsausschuss unserer Meinung angeschlossen. Dort wurde mit den Stimmen der Koalition und der Linksfraktion zugestimmt. Deswegen hoffe ich, dass Sie Ihr Abstimmungsverhalten überdenken. Etwas weniger Skandalisierung täte gut. Ich glaube, die Gesellschaft ist bei den Sozialpartnern gut aufgehoben. Mit der Summe von 450 Millionen Euro fahren wir sehr gut. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede des Kollegen Bartol war die letzte zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner zunächst vorgelegten ersten Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7166, Art. 4 und 5 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 16/6543 als Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bergmannssiedlungen in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenprobe! - Wer möchte sich enthalten? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7166 empfiehlt der Ausschuss, den übrigen Teil des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6543 einer späteren Beschlussfassung vorzubehalten. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Vizepräsidentin Petra Pau Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - Drucksache 16/6815 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Hier wurde vereinbart, die Reden zu Protokoll zu neh- men. Wir nehmen die Beiträge der Kollegin Ute Granold von der Unionsfraktion, der Kollegin Christine Lambrecht von der SPD-Fraktion, der Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP-Fraktion, des Kollegen Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke, des Kollegen Jerzy Montag von der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen und die Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Alfred Hartenbach zu Protokoll. 1) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/6815 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts ({1}) - Drucksache 16/7076 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. Das betrifft die Beiträge des Kollegen Ralf Göbel von der Unions- fraktion, des Kollegen Siegmund Ehrmann von der SPD- Fraktion, des Kollegen Dr. Max Stadler von der FDP- Fraktion, der Kollegin Silke Stokar von Neuforn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und von Petra Pau von der Fraktion Die Linke.2) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/7076 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes - Drucksache 16/7077 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({3}) Rechtsausschuss 1) Anlage 20 2) Anlage 21 Auch hier wurde vereinbart, die Reden zu Protokoll zu nehmen. Dies gilt für die Beiträge der Kollegin Antje Tillmann von der Unionsfraktion, der Kollegin Lydia Westrich von der SPD-Fraktion, des Kollegen Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke und der Kollegin Christine Scheel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.3) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/7077 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erhaltung der Weinbaukultur durch vernünftige Reform der EU-Weinmarktordnung - Drucksache 16/6959 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({4}) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Dies gilt für die Beiträge der Kollegin Julia Klöckner von der Unionsfraktion, des Kollegen Gustav Herzog von der SPD-Fraktion, des Kollegen Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke und der Kollegin Ulrike Höfken von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.4) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6959 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Aufsichtsstruktur der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ({5}) - Drucksache 16/7078 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({6}) Haushaltsausschuss Wir nehmen die Reden des Kollegen Leo Dautzenberg von der Unionsfraktion, des Kollegen Jörg- Otto Spiller von der SPD-Fraktion, des Kollegen Frank Schäffler von der FDP-Fraktion, des Kollegen Dr. Axel Troost von der Fraktion Die Linke und des Kollegen Dr. Gerhard Schick von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.5) 3) Anlage 22 4) Anlage 23 5) Anlage 24 Vizepräsidentin Petra Pau Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/7078 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dorothee Bär, Wolfgang Börnsen ({7}), Peter Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Wertvolle Computerspiele fördern, Medienkompetenz stärken - Drucksache 16/7116 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Auch hierzu nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das betrifft die Beiträge der Kollegin Dorothee Bär für die Unionsfraktion, der Kollegin Monika Griefahn für die SPD-Fraktion, des Kollegen Christoph Waitz für die FDP-Fraktion, des Kollegen Dr. Lothar Bisky für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Grietje Bettin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7116 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. November 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.