Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksachen 16/7075, 16/7111 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Der
Gesetzentwurf auf den Drucksachen 16/7075 und 16/7111
soll an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Änderung
des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gerd Andres. - Bitte,
Herr Staatssekretär.
Danke schön. - Frau Präsidentin, ich bitte Sie im Voraus um ein bis zwei Minuten mehr Redezeit, weil das
eine komplizierte Materie ist, die man etwas näher erläutern muss, damit die Menschen auf den Tribünen und vor
den Fernsehern das ein bisschen verstehen.
Der Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes bewirkt eine Entlastung der Arbeits- und der gegenwärtig
besonders belasteten Sozialgerichtsbarkeit. Er bewirkt
gleichzeitig eine Beschleunigung der Verfahren für die
rechtsschutzsuchenden Betroffenen. Wie Sie wissen,
sind die Sozialgerichte seit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch, den sogenannten Hartz-IV-Verfahren,
zum 1. Januar 2005 erheblich belastet. Im Jahr 2005 sind
bei den Sozialgerichten 56 000 Sozialrechtsverfahren
- das sind Klagen und Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz - anhängig gemacht worden. Diese Zahl stieg im
Jahr 2006 auf 105 000 und verdoppelte sich damit nahezu. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ist
die Zahl der Prozesse im ersten Halbjahr des Jahres 2007
noch einmal angestiegen, und zwar um fast 38 Prozent.
Man muss diese Zahlen natürlich ins Verhältnis setzen. Immer wenn ein neues Rechtsgebiet eingeführt
wird, verzeichnen wir eine Welle von Prozessen. Sind
aber die wesentlichen Auslegungsfragen eines Gesetzes
erst einmal höchstrichterlich geklärt, normalisieren sich
die Eingangszahlen bei den Gerichten schnell. Hinzu
kommt, dass die Länder, die - mit Ausnahme des Bundessozialgerichts - für die Sozialgerichtsbarkeit zuständig sind, bereits über Personalmaßnahmen für eine
Entlastung der Arbeitssituation der Sozialrichterinnen
und -richter gesorgt haben. Es wurden viele neue Stellen
geschaffen, und zwar durch Bewilligung neuer Stellen
oder durch Abordnung aus anderen Rechtszweigen.
Dennoch kann die Bundesregierung über eine Aktualisierung des Sozialprozessrechts das Ihre dazu tun, für
eine weitere Entlastung zu sorgen.
Bevor ich auf die wesentlichen Änderungen im Einzelnen zu sprechen komme, möchte ich den tragenden
Gedanken des Gesetzentwurfs hervorheben: Die notwendige Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit und die
Beschleunigung der Verfahren im Interesse der Rechtsschutzsuchenden dürfen nicht auf Kosten der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Rechtsschutzes vorgenommen werden. Erhalten bleibt also insbesondere die
Klägerfreundlichkeit des Verfahrens, die es den betroffenen Personen ermöglicht, bei niedriger Zugangsschwelle
und größtmöglicher Waffengleichheit in Lebensbereichen, die ihre materielle Existenz unmittelbar betreffen,
Redetext
Rechtsschutz gegen eine hochspezialisierte Verwaltung
zu erhalten.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass viele der
Änderungen - gerade auch die vermeintlich klein scheinenden - auf Anregung und in Kooperation mit der sozialgerichtlichen Praxis entstanden sind. Das ist wichtig;
denn nur so haben wir die Gewissheit, dass die Regelungen ihren guten Zweck erfüllen und in der täglichen Arbeit greifen.
Lassen Sie mich nun ein paar Änderungen skizzieren.
Mit dem Gesetzentwurf wird erstinstanzliche Zuständigkeit für die Landessozialgerichte in solchen Bereichen
begründet, in denen das Verfahren weniger durch schwierige Tatsachenfragen, sondern eher durch komplexe
Rechtsfragen gekennzeichnet ist. Gegenwärtig werden
diese Verfahren von den Sozialgerichten in erster Instanz
umfassend bearbeitet, gehen dann aber, weil die klagenden Parteien eine höchstrichterliche Klärung anstreben,
in der Regel vor die Landessozialgerichte und dann häufig auch weiter zum Bundessozialgericht.
Als eine weitere wesentliche Neuerung möchte ich
die Einführung einer sogenannten Präklusionsregelung
nennen. Es kommt bei den Sozialgerichten manchmal
vor, dass der Kläger beispielsweise behauptet, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, aber nicht bereit ist, den Namen des behandelnden Arztes zu nennen,
damit seine Behauptung überprüft werden kann. In solchen Fällen kann das Sozialgericht den Kläger künftig
auffordern, die entsprechenden Unterlagen vorzulegen,
und ihm hierzu eine Frist mit ausschließender Wirkung
setzen. Unterlässt es der Kläger, die geforderten Beweise
oder Unterlagen binnen dieser Frist beizubringen, kann
das Gericht unter gewissen strengen Voraussetzungen
den späteren Vortrag des Klägers hierzu für verfristet erklären und zurückweisen.
Neu ist auch die Einführung einer fiktiven Klagerücknahme. Die Sozialgerichte sind zum Beispiel damit belastet, dass jemand Klage einlegt, sein rechtliches Anliegen aber nicht weiterverfolgt. Dann kann ihm eine Frist
gesetzt werden. Wenn er nicht entsprechend reagiert, ist
der Fall erledigt.
Ich will zu einigen Änderungen im Arbeitsgerichtsgesetz etwas sagen. Das Verfahren vor den Arbeitsgerichten wird einfacher, schneller und bürgerfreundlicher
gestaltet. Der neu eingeführte Gerichtsstand des Arbeitsortes erleichtert den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Durchsetzung ihrer Ansprüche. Sie können
künftig auch in dem Gerichtsbezirk klagen, in dem sie
gewöhnlich arbeiten. Das kommt vor allem den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute, die ihre Arbeit
im Außendienst tätigen. Die Alleinentscheidungsbefugnis wird in den Fällen erweitert, in denen es um prozesstechnische Fragen geht. So soll der Vorsitzende zum
Beispiel alleine - also ohne in großem Umfang die ehrenamtlichen Richter hinzuzuziehen - entscheiden,
wenn die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt
wurde oder wenn nur noch über die Kosten zu entscheiden ist.
Auch das Verfahren bei der nachträglichen Zulassung
von Kündigungsschutzklagen wird verändert. Hier wird
es künftig so sein, dass die Entscheidung über die nachträgliche Zulassung mit der Kündigungsschutzklage
selbst verbunden wird, sodass keine gesonderten Klageverfahren durchzuführen sind.
So weit mein Bericht. Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass ich meine Redezeit ein bisschen überziehen
durfte.
Es ist ja im Interesse der Sache; also sollten wir das
tolerieren.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde.
Das Wort hat der Kollege Blumentritt.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich selbst bin ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht. Daher kann ich
das, was Sie gerade gesagt haben, ein Stück weit nachvollziehen. Aber eine Frage drängt sich mir auf. Sie haben gesagt, dass beispielsweise die Beibringung der Unterlagen des Hausarztes eine sehr hohe Priorität hat.
Aber ich hoffe, dass die unabhängige Begutachtung
durch die Sozialgerichte davon nicht betroffen ist, weil
sie ein sehr neutraler Schutz für denjenigen ist, der sein
Recht beim Sozialgericht einklagen will. Die entsprechenden Gutachter werden vom Sozialgericht mit Bedacht ausgewählt. Es sollte - ich wiederhole mich nicht alles einseitig dem Hausarzt überlassen werden;
das eine oder andere ist ja unter Umständen auch schon
etwas älter. Die Neutralität der Sozialgerichte muss gewahrt bleiben.
Das ist nicht damit gemeint. Es geht nur darum, dass
man, wenn man bestimmte Tatsachenbehauptungen ins
Verfahren einbringt, diese auch belegen muss.
Ich sehe keine weiteren Meldungen zu diesem Bereich.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist auch nicht der Fall. Dann danke
ich dem Herrn Staatssekretär und unterbreche die Befragung der Bundesregierung, da wir sehr schnell vorangekommen sind und die Vertreter der Bundesregierung, die
auf die Fragen aus den anderen Geschäftsbereichen antworten müssen, noch nicht anwesend sind. Das gilt im
Übrigen zum Teil auch für die Fragestellerinnen und
Fragesteller. Ich bitte die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, diese Nachricht ihren Fraktionen zu überbringen.
Wir unterbrechen die Sitzung für 15 Minuten.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/7051, 16/7092 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10
Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/7092 auf. Die dringlichen Fragen betreffen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Jan
Mücke auf:
Sind Presseberichte zutreffend, nach denen auf Grundlage
der zusätzlich bereitgestellten Mittel in Höhe von insgesamt
1 Milliarde Euro aus dem Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD „Deutschlands Infrastruktur fit machen für den
Logistikstandort Deutschland in der Mitte Europas“ ({0}) ab dem Jahr 2008
genügend Investitionsmittel zur Verfügung stehen, um den
Ausbau der Bahnstrecken Berlin-Dresden und Hof-Plauen
zeitnah realisieren zu können ({1})?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Weil die dringlichen
Fragen 1 und 2 im gleichen Sachzusammenhang stehen,
würde ich sie gerne zusammen beantworten.
Ich rufe zusätzlich die dringliche Frage 2 des Kollegen Jan Mücke auf:
Mit welchen zusätzlichen, im Entwurf zum Bundeshaushalt 2008 noch nicht berücksichtigten Einnahmen können angesichts der Steuerschätzung vom 7. November 2007 die in
Frage 1 genannten sowie weitere vom Antrag „Deutschlands
Infrastruktur fit machen für den Logistikstandort Deutschland
in der Mitte Europas“ erfasste Projekte finanziert werden?
Verehrter Kollege Mücke, der Bundeshaushalt 2008
liegt dem Parlament derzeit zur Beratung vor. Es ist das
ureigene Recht des Deutschen Bundestages, das Haushaltsgesetz zu verabschieden.
Die von Ihnen angesprochene Ausschussdrucksache
enthält detaillierte Vorschläge zur Stärkung von Investitionen in die einzelnen Verkehrsträger. Der Haushaltsausschuss wird die Vorschläge ebenso bewerten wie die
Vorschläge anderer Fachausschüsse des Deutschen Bundestages und dann zu einer abschließenden Beschlussfassung kommen. Ich bin mir sicher, dass das Parlament
eine ausgewogene Entscheidung trifft.
Sie haben jetzt die Möglichkeit zu insgesamt vier
Nachfragen. Bitte, Kollege Mücke.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, zunächst einmal danke ich Ihnen selbstverständlich für diese grundsätzlichen Erläuterungen, die mir nicht gänzlich unbekannt gewesen sind. Sie werden aber verstehen und mir
sicher nachsehen, dass ich angesichts einiger mir vorliegender Zeitungsmeldungen zu dieser Milliarde, um die
es geht und die im Verkehrsetat für dringend notwendige
Investitionen in die Schieneninfrastruktur - insbesondere in Hafenhinterlandverkehre und in andere wichtige
Schienenprojekte - zusätzlich veranschlagt werden soll,
einige Nachfragen habe.
Ich habe diese Fragen insbesondere deshalb, weil einige Projekte, die aus dieser Milliarde angeblich mitfinanziert werden - beispielsweise die Bahnverbindung
Berlin-Dresden -, vor allen Dingen für Abgeordnete aus
den neuen Bundesländern interessant sind. Aus diesem
Grund sind für mich die Fragen von Interesse, ob dem so
ist und wie Sie die Äußerungen des Kollegen Steffen
Kampeter, der für seine Fraktion, die CDU/CSU, Haushälter ist, bewerten, der zu diesem Vorhaben laut Leipziger Volkszeitung vom 12. November 2007 gesagt hat
- ich zitiere mit Ihrer freundlichen Genehmigung, Frau
Präsidentin -, es handele sich um einen „vorgezogenen
Weihnachtswunsch“ und einen „Wunschzettel, der nach
der Steuerschätzung offensichtlich nicht realisierbar ist“.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Lieber
Kollege Mücke, wir befinden uns im Prozess der Haushaltsveranschlagung und der Beantwortung der Frage,
ob wir weitere Mittel zur Verfügung stellen. Vonseiten
des Ministeriums begrüßen wir es natürlich, wenn es
dem Bundestag und insbesondere auch der Opposition,
die immer darauf hinweist, dass Verkehrsinvestitionen
dringlich notwendig sind - insbesondere in die Schiene
und in den neuen Bundesländern -, mithilfe des Haushaltsausschusses gelingt, noch weitere Millionen zu akquirieren.
Danach - das habe ich ausgeführt - wird zu entscheiden sein, welche Priorisierung erfolgt. Der Haushaltsausschuss und auch Herr Kampeter werden im Rahmen
dieser Debatte sicherlich mitentscheiden können, was
prioritär ist. Wir jedenfalls würden uns über weitere Millionen freuen, weil sie dringend notwendig sind.
Sie können eine weitere Zusatzfrage stellen.
Frau Staatssekretärin, jetzt habe ich ein intellektuelles
Problem.
Schade.
Sofern die Steuerschätzung eintrifft, werden Sie voraussichtlich über Steuermehreinnahmen in Höhe von
1,2 Milliarden Euro im gesamten Bundeshaushalt verfügen. Der Haushalt des Bundesverkehrsministeriums ist
klein. Die Investitionen betragen in diesem Jahr insgesamt 10 Milliarden Euro. Diese Summe reicht bei weitem nicht aus. Nun stellt sich die Frage: Wenn die
Steuermehreinnahmen schon nach der Steuerschätzung
so gering ausfallen, wie soll dann im Rahmen der Haushaltsberatungen eine Deckung der von Ihnen geplanten
Mehrausgabe in Höhe von 1 Milliarde erfolgen?
Kollege Mücke, wir planen im Rahmen des Haushaltes. Wenn der Souverän, der Deutsche Bundestag, uns
noch weitere Millionen gibt, können wir weitere Projekte finanzieren. Insofern sind wir auf die weiteren Verhandlungen gespannt und freuen uns, wenn Sie uns im
Haushaltsausschuss unterstützen.
Haben Sie noch weitere Zusatzfragen?
Nein, danke.
Dann hat der Kollege Günther das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine konkrete Nachfrage. Sie haben gesagt, der Bundestag habe das Haushaltsrecht. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie, das
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, zum Beispiel die genannten Strecken unterstützen
und die Sachsen-Franken-Magistrale - das betrifft meine
Region -, die bei den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ verankert ist, in absehbarer Zeit zügig ausbauen,
wenn Sie das Geld bekommen?
Herr Kollege, die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ haben ohnehin Priorität; das wissen Sie. An ihrer
Verwirklichung arbeiten wir. Je nachdem, wie hoch die
Summe sein wird, die wir zur Verfügung haben, werden
wir die Prioritäten setzen. Dann werden wir gegebenenfalls im Verkehrsausschuss gemeinsam mit Ihnen darüber debattieren. Aber zuerst ist der Bundestag an der
Reihe.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet worden sind, rufe ich nun die Fragen auf
Drucksache 16/7051 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Andreae auf:
Wie wurde beim Gespräch vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, mit der Energiewirtschaft gewährleistet, dass insbesondere auch die neuen
Marktteilnehmer und ihre Verbände Einfluss auf die Meinungsbildung des Bundesministers zu den EU-Entflechtungsplänen nehmen können, und warum waren die Unternehmen
Eon, Vattenfall, EnBW und RWE, die derzeit 90 Prozent der
deutschen Stromerzeugung und das gesamte Netz halten und
unter dem Verdacht der Preisabsprache stehen, bevorzugte
Ansprechpartner des Bundesministers zu Fragen der Entflechtung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Kollegin Andreae, Sie fragen nach
einem Gespräch, das der Wirtschaftsminister Michael
Glos mit der Energiewirtschaft am 8. November 2007
geführt hat. Die Antwort lautet: An dem Gespräch am
8. November 2007 mit der Stromwirtschaft nahmen neben Vertretern der vier großen Energieversorgungsunternehmen Vertreter des Verbandes kommunaler Unternehmen e. V., vku, und des neu gebildeten Bundesverbandes
der Energie- und Wasserwirtschaft e. V., BDEW, teil.
Damit war die gesamte deutsche Stromwirtschaft vertreten. Die vier großen Energieversorgungsunternehmen
waren deswegen eingeladen, um sie an ihre Zusagen
zum Netzausbau und Kraftwerksausbau zu erinnern. Zudem wurden sie von Bundesminister Glos aufgefordert,
angesichts der nicht nachvollziehbaren und daher unzumutbaren Strompreiserhöhungen jetzt die notwendige
Transparenz herzustellen.
Entsprechend den Gepflogenheiten hat sich Bundesminister Glos zu den laufenden Verfahren vor dem Bundeskartellamt wegen des Verdachts auf Preisabsprachen
nicht geäußert. In dem Gespräch hat Bundesminister
Glos auch die bekannte Haltung der Bundesregierung
zur Eigentumsentflechtung bekräftigt und erläutert.
Diese lehnt die von der EU-Kommission vorgeschlagene
Eigentumsentflechtung der Stromübertragungs- und Gasfernleitungsnetze ab. Bundesminister Glos unterstrich
jedoch, dass auf EU-Ebene effektive Regelungen geschaffen werden müssen, die eine Neutralität des Marktplatzes „Netz“ ohne Abstriche gewährleisten.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Schauerte. Sie haben in Ihrer Antwort auf meine Frage ausgeführt, dass Herr Minister
Glos bestätigt hat, dass es auf europäischer Ebene Instrumente geben muss, die Wettbewerb auf den Energiemärkten ermöglichen. Können Sie mir erläutern, um
welche Instrumente es sich handelt?
Wir sind im Gespräch, um solche Instrumente zu entwickeln. Wir haben zum Beispiel auf nationaler Ebene
im Wirtschaftsausschuss die Novellierung des WettbeParl. Staatssekretär Hartmut Schauerte
werbsrechts mit dem Kernziel, den Wettbewerb auf den
Energiemärkten zu verbessern, beraten. Das Gesetzesvorhaben soll noch diese Woche nach der zweiten und
dritten Beratung beschlossen werden. Wir haben eine
Anreizregulierung verabredet, und es gibt eine Anschlussverordnung.
In Europa wird es im Wesentlichen darum gehen, dass
wir mit der Netzausweitung bei den grenzüberschreitenden Netzen endlich weiterkommen. Denn nur durch ein
größeres Stromangebot werden wir zu mehr Wettbewerb
kommen, durch den wiederum Preissteigerungen vermieden oder sogar Strompreissenkungen ermöglicht
werden können.
Eine zweite Nachfrage, bitte.
Ich habe eine weitere Nachfrage im Zusammenhang
mit der Entflechtung. Die Bundesregierung hat durchaus
zur Kenntnis gegeben, dass sie die Entflechtungsregelungen der EU-Kommission für falsch hält. Trotzdem
bewegt sich auf dem europäischen Markt etwas. Welche
Vorbereitungen treffen Sie im Hinblick auf eine potenzielle Entflechtung?
Unsere Regierung will möglichst konkret bleiben.
({0})
Deswegen geben wir auf potenzielle Entwicklungen zunächst einmal wenig. Wir sind auch an der Entscheidung
beteiligt, ob es zu einer solchen Entflechtungsregelung
kommt. Sie kennen die Position der Bundesregierung.
Wir werden unsere Linie fortsetzen, mit einer Verschärfung des Wettbewerbsrechts zunächst einmal auszuloten,
inwieweit gute Marktbedingungen, Transparenz und vernünftige Preise auf unserem Strommarkt erreicht werden
können.
Erst wenn das nicht gelingt, sind wir bereit, über Weiterungen nachzudenken.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Bärbel
Höhn das Wort.
Herr Staatssekretär, die Gründe für die Einladung zu
dem Treffen waren bekanntlich, dass die großen Energiekonzerne Strompreiserhöhungen angekündigt haben,
dass es große Zweifel daran gibt, ob diese gerechtfertigt
sind, und dass die Bevölkerung immer stärker darunter
leidet. In diesem Zusammenhang interessiert mich, welche Gründe die großen Energiekonzerne für die Strompreiserhöhungen angegeben haben und ob diese Gründe
überzeugen.
Frau Kollegin Höhn, ich habe bereits in meiner Antwort auf die Frage der Kollegin Andreae ausgeführt:
Zudem wurden sie von Bundesminister Glos aufgefordert, angesichts der nicht nachvollziehbaren und
daher unzumutbaren Strompreiserhöhungen jetzt
die notwendige Transparenz herzustellen.
Die Herstellung der Transparenz ist zugesagt worden.
Da wir uns aber mittlerweile zeitgleich in einem Kartellverfahren zu diesem Thema befinden, können wir das
- dafür haben Sie sicherlich Verständnis - nicht öffentlich erörtern. Vielmehr hat im Falle eines Kartellverfahrens die Kartellbehörde Vorrang, weil deren Ermittlungsund Feststellungsmöglichkeiten hinsichtlich dessen, was
geplant, beabsichtigt und tatsächlich erfolgt ist, viel weiter reichen als die eines Ministeriums.
Für eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Kopp das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
Sie sprachen eben von vernünftigen Preisen und der Herstellung von mehr Wettbewerb. Wie stehen Sie im Rahmen einer Stärkung des von Ihnen angesprochenen Wettbewerbsrechts zu dem von der FDP bereits vor einigen
Monaten beantragten Instrument, eine generelle Entflechtung im GWB zu verankern, um dem Bundeskartellamt zu ermöglichen, bei einer Macht- und Marktkonzentration auf dem Energiemarkt entsprechende
strukturelle Veränderungen vorzunehmen?
Frau Kollegin Kopp, so liebenswert Sie diese Frage
auch vortragen und so sympathisch ihr Vokabular auch
ist, so klar bleibt unsere Linie. Wir haben eindeutig festgelegt, dass wir uns erst dann mit dem Thema Entflechtung befassen wollen, wenn die Instrumente, die wir jetzt
geschärft und zugespitzt auf den Weg gebracht haben,
erkennbar nicht wirken. Die Entflechtung ist eine Ultima
Ratio. Man verunsichert nur alle beteiligten Unternehmen und alle Märkte, wenn man permanent weiter spekuliert.
Ich denke, solche erheblichen Änderungen, wie sie
jetzt im Maßnahmenbündel vorgesehen sind - einschließlich der in dieser Woche zur Abstimmung stehenden GWB-Verschärfung -, müssen erst einmal wirken.
Andernfalls würde es zu einer hektischen, kaum noch
nachvollziehbaren Politik kommen. Wie ich sie kenne,
hat sicherlich auch die FDP daran kein Interesse.
Die Frage 2 der Kollegin Bettina Herlitzius wird
schriftlich beantwortet.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Petra Pau
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Dr. Harald Terpe
auf:
Inwiefern sieht die Bundesregierung nach den Presseveröffentlichungen ({0}), behördlichen Mitteilungen seitens der Stadt und der Polizeidirektion Leipzig und ersten Untersuchungen durch das Bundeskriminalamt über mit Blei verunreinigte Cannabisprodukte
in Leipzig mit der Folge schwerer Vergiftungen Anlass, ihre
in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen ({1}) geäußerte Ansicht, besondere Hinweise auf gesundheitliche Gefahren
durch Beimengungen zu Cannabis seien kein Bestandteil präventiver Maßnahmen, zu revidieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Terpe, die Antwort auf Ihre Frage
lautet wie folgt: Die Bundesregierung begrüßt das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft in Leipzig, die
aufgrund einer bekannt gewordenen Kontaminierung
von Cannabis mit Blei wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Unbekannt ermitteln und vor dem Konsum
von mit Blei verseuchtem Cannabis und Marihuana warnen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Drogenfragen hat bereits vor Bekanntwerden dieses Vorkommnisses auf ihrer Homepage vor den Risiken des
Cannabiskonsums gewarnt und auf die Möglichkeiten
von Verunreinigungen hingewiesen, die das ohnehin
bestehende gesundheitliche Risiko des Konsums von
Cannabisprodukten noch verstärken. Die Bundesregierung hält jedoch im Übrigen an ihrer Haltung fest, besondere Hinweise auf gesundheitliche Gefahren, die speziell durch Beimengungen zu Cannabis entstehen, nicht
zum Bestandteil präventiver Maßnahmen zu machen.
Sie vertritt nach wie vor die Meinung, dass gesonderte
Hinweise auf die zusätzliche Gefährlichkeit von verunreinigtem Cannabis als Verharmlosung des Konsums
von Cannabis an sich missverstanden werden könnten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, zunächst vielen Dank für die
Antwort. Ich möchte dann aber doch noch einmal nachbohren und nachfragen, wie Sie den Zusammenhang
herstellen wollen, dass das eine Verharmlosung ist. Bleivergiftungen sind doch nun wirklich sehr starke Gesundheitsgefahren. Wir wissen, dass es nicht nur um Blei
geht, sondern dass auch andere Substanzen beigemengt
worden sind, die das Leben der jungen Leute gefährden
können. Ich denke, es müsste trotzdem das Ziel sein,
dass darauf eindeutig hingewiesen wird, und dass das
andere doch sozusagen eher ein Hilfsargument ist. Können Sie mir das bitte noch einmal auseinandersetzen?
Ich glaube, es liegt in unser aller Interesse, dass keine
widersprüchlich erscheinenden Signale ausgesendet
werden. Die Bundesregierung hat durch das Unterverbotstellen des Cannabiskonsums und auch des Vertreibens die schärfste Art und Weise der Positionierung gewählt. Deshalb sind wir der Auffassung, dass ein solcher
Hinweis in der Tat auch als eine Relativierung dieses
Verbots missverstanden werden könnte.
Eine zweite Nachfrage? - Sie verzichten.
Dann rufe ich die Frage 4 des Kollegen Dr. Harald
Terpe auf:
Welche konkreten Konsequenzen will die Bundesregierung nun nach dem Vorliegen belastbarer Erkenntnisse zu
Verunreinigungen von Cannabis, wie in der Antwort zu
Frage 6 der genannten Kleinen Anfrage in Aussicht gestellt,
ziehen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Es gibt einen engen Bezug zur vorigen Frage. Die
Antwort lautet: Vor einer eingehenden Prüfung und Bewertung der aktuellen Vorkommnisse kann die Bundesregierung keine Aussage zu den vorliegenden Informationen zu Verunreinigungen von Cannabis treffen. Aus
eigenen Sicherstellungen und kriminaltechnischen Untersuchungen liegen konkrete Fallbeispiele zu Verunreinigungen oder Anreicherungen von Cannabis nach wie
vor nicht vor.
Unabhängig davon hält die Bundesregierung es für
fraglich, ob geeignete Maßnahmen durchführbar wären,
mit denen auf Gefährdungen durch solche Produkte aufmerksam gemacht werden kann, ohne zugleich den
falschen Eindruck zu erwecken, dass Cannabis erst
durch Beimengungen zu einem gesundheitsgefährdenden Suchtstoff würde. Ein solcher falscher Eindruck ist
insbesondere bei sehr jungen und unerfahrenen Konsumenten unbedingt zu vermeiden. Um aber die Aktivitäten der Leipziger Behörde zu unterstützen, hat die
Beauftragte der Bundesregierung für Drogenfragen unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorkommnisse auf
ihrer Homepage eine Klarstellung zum Thema „Verunreinigungen von Cannabis“ herausgegeben.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, es gibt auch - auf
jeden Fall aus dem Bereich der Verbände - die Vorstellung, dass es ein geeigneter Weg wäre, Drogen anonym
auf ihre Zusammensetzung zu kontrollieren. Wie stehen
Sie zu solchen Möglichkeiten?
Ich glaube, dass die Grundsatzentscheidung, die wir
durch die rechtliche Regelung des Verbots getroffen haben, in der Tat das schärfste Signal und der beste Schutz
vor dem Konsum von Cannabis inklusive von gegebenenfalls verunreinigtem Cannabis ist.
Haben Sie noch eine weitere Nachfrage?
Ja.
Bitte.
Die Realität sieht doch anders aus, wie wir an diesen
Fällen sehen. Es gibt vergleichbare Fälle auf anderen
Gebieten. Denken Sie beispielsweise an Alkohol im
Straßenverkehr. Auch da ist es so, dass wir sowohl vor
dem einen als auch vor dem anderen warnen. Deswegen
kann ich Ihre Einlassung nicht so ganz verstehen. Können Sie mir das noch einmal auseinandersetzen?
Herr Dr. Terpe, zunächst einmal will ich darauf hinweisen, dass wir diesen Vorgang auch vor dem Hintergrund diskutieren, dass dies ein regionales Ereignis ist.
Der Hintergrund Ihrer Frage waren Ereignisse im Großraum Leipzig, was der Formulierung Ihrer Frage und den
Medien zu entnehmen ist. Dass vor diesem Hintergrund
die Gesundheitsbehörden des Freistaates Sachsen tätig
werden, ist aus unserer Sicht richtig. Es ist ein Unterschied, ob es sich um ein regionales oder ein bundesweites Ereignis handelt.
Darüber hinaus - das will ich ausdrücklich noch einmal sagen; das habe ich in meiner Antwort schon gesagt - muss bei jedem öffentlichen Agieren auch abgewogen werden, welches Signal an potenzielle Konsumenten, insbesondere jüngere Konsumenten, gesendet
wird. Deswegen halte ich es für sachgerecht, dass die
Bundesregierung dabei diese Abwägung trifft und den
Schutz durch das Unterstrafestellen als die umfassendere
Art und Weise des Schutzes empfindet.
Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Volker Beck.
Sie hatten gerade ausgeführt, dass auf die Gefahren
der Droge Cannabis am besten mit dem Verbot geantwortet wird. Wir wissen alle, dass Alkohol Gefahren hat.
Warum reagieren wir beim Thema Alkohol anders und
sagen den Leuten, wie sie sich verhalten sollen, agieren
aber nicht mit einem Verbot? Können Sie angesichts der
Schäden, die Alkohol in unserer Gesellschaft hervorruft,
erklären, warum Sie hier unterschiedlich verfahren und
die Realität im Bereich des Cannabiskonsums systematisch nicht wahrnehmen wollen und deshalb den notwendigen Verbraucher- und Gesundheitsschutz vermissen
lassen?
Kollege Beck, ich möchte zunächst einmal zurückweisen, dass wir die notwendige Sorgfalt beim Verbraucherschutz vermissen lassen. Das Unterstrafestellen des
Konsums ist die rechtlich schärfste Form des Schutzes
der Bürger vor diesem Konsum. Das sehen übrigens
nicht nur wir so; auch andere Länder verfahren in dieser
Situation so. Ich halte das für eine konsequente Vorgehensweise.
Die Frage, warum man sich gegenüber anderen
Suchtstoffen oder anderen Drogen anders verhält, ist
eine Frage, die zunächst einmal auf der geltenden
Rechtslage durch die Bundesregierung zu entscheiden
und mit Handlungen zu untersetzen ist. Die Regelungen
für den Konsum dieser Stoffe sind anders.
Sie können sich vorstellen, dass das Gesundheitsministerium beispielsweise den Konsum von Alkohol
oder Tabak sehr kritisch sieht. Allerdings ist der Rechtsrahmen in Deutschland an dieser Stelle anders.
Danke, Herr Staatssekretär.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Ist die Position der Bundesregierung zum Bau neuer Kohlekraftwerke in dem Hintergrundpapier des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit „Kosten und Nutzen des Energie- und Klimaprogramms der
Bundesregierung“ vom Oktober 2007 zutreffend wiedergegeben mit der Formulierung: „Der Bau neuer Kraftwerke muss
mit dem Klimaschutzziel der Bundesregierung, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 % unter das Niveau von 1990
zu senken, vereinbar sein. Vor diesem Hintergrund existiert
über die bereits im Bau befindlichen Kohlekraftwerke hinaus
kein Spielraum für zusätzliche Kohlekraftwerke, die nicht als
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen realisiert werden oder mit
einer CO2-Abscheidetechnik ausgestattet sind“, und, wenn ja,
welche konkreten rechtlichen Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den Neubau von Kohlekraftwerken an die genannten Bedingungen zu knüpfen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau
Kollegin Höhn, Ihre Frage nach der Vereinbarkeit des
Neubaus von Kohlekraftwerken mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung beantworte ich wie folgt:
Um die vom Europäischen Rat im März 2007 unter deutscher Präsidentschaft verabschiedeten Klimaschutzziele
in Deutschland umsetzen zu können, hat die Bundesregierung in Meseberg 29 Punkte für ein integriertes
Energie- und Klimaprogramm verabschiedet. Darin enthalten ist das Ziel, den Anteil von Strom aus Kraft-WärmeKopplung bis 2020 auf etwa 25 Prozent zu verdoppeln.
In diesem Zusammenhang bereitet die Bundesregierung
derzeit die Novellierung des KWK-Gesetzes vor.
Zudem wird die EU-Kommission im Januar 2008 einen Richtlinienvorschlag zur Weiterentwicklung des
EU-Emissionshandels ab 2013 vorlegen, wonach der
Emissionshandel auf EU-Ebene nochmals deutlich verschärft wird. Diese Rahmenbedingungen werden dazu
führen, dass Kohlekraftwerke so CO2-arm wie möglich
werden. Die Entscheidung über die Investitionen obliegt
jedoch letztlich den Kraftwerksbetreibern.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollegin
Höhn.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, bedeutet das
- das ist eine Aussage dieses Hintergrundpapiers und damit Position der Bundesregierung; dem haben Sie nicht
widersprochen -, dass der Bau neuer Kohlekraftwerke
ohne KWK oder CCS-Technologie - bereits im Bau befindliche Kohlekraftwerke sind nicht betroffen - nicht
genehmigt wird. Das heißt für ungefähr 30 hier in
Deutschland geplante Kohlekraftwerke das Aus. Sehen
Sie damit die Energieversorgung in Deutschland als gefährdet an?
Ihre Unterstellung, dass nur noch Kohlekraftwerke
mit Kraft-Wärme-Kopplung oder mit CCS-Technologie
genehmigt werden, stimmt so nicht. Es ist unser Ziel, in
diesem Bereich deutlich voranzukommen. Deshalb gibt
es das KWK-Gesetz. Ziel ist, den Anteil der
Kraft-Wärme-Kopplung auf 25 Prozent zu verdoppeln.
Wir investieren in die Erforschung der CCS-Technologie. Die EU-Kommission arbeitet an einem europäischen Rechtsrahmen, auf dessen Grundlage wir einen
nationalen Rechtsrahmen schaffen werden. Diese Vorarbeiten der EU-Kommission für diese Technologie, die
sich derzeit noch in einem Erforschungs- und Entwicklungsstadium befindet, müssen wir abwarten.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Ihre Antwort überrascht mich. Ich habe aus einem
Hintergrundpapier des Bundesumweltministers zitiert. In
diesem Hintergrundpapier steht bezüglich der Erreichung des 40-Prozent-Ziels - Zitat -:
Vor diesem Hintergrund existiert über die bereits im
Bau befindlichen Kohlekraftwerke hinaus kein
Spielraum für zusätzliche Kohlekraftwerke, die
nicht als Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen realisiert werden oder mit einer CO2-Abscheidetechnik
ausgestattet sind.
Muss ich Ihre Antwort jetzt so interpretieren, dass der
Bundesumweltminister hier eine Position vertreten hat,
die nicht Position der Bundesregierung ist?
Ich habe eben betont, dass wir an der Weiterentwicklung genau dieser Instrumente arbeiten, etwa mit der
Novelle zum KWK-Gesetz und mit der Schaffung eines
Rechtsrahmens für den Einsatz der CCS-Technologie.
Erst wenn diese Vorarbeiten geleistet sind, wenn das
KWK-Gesetz novelliert und wenn dieser Rechtsrahmen
geschaffen ist, wird man über den Bau neuer Kohlekraftwerke entscheiden können. Bis dahin gilt das, was heute
gilt. Nach heutigen Informationen sind für die Handelsperiode des Emissionshandels 2008 bis 2012 neun neue
Kohlekraftwerke in der Planung, sechs Steinkohlekraftwerke und drei Braunkohlekraftwerke.
Die Fragestellerin darf nach unserer Geschäftsordnung keine weiteren Zusatzfragen stellen. Weitere Fragen liegen nicht vor. Deshalb herzlichen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Andreas
Storm.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Hirsch auf:
Wie haben sich in den letzten beiden Jahren die Zahlen der
Studierenden bzw. Studieninteressierten, die außerhalb ihres
Herkunftsbundeslandes studieren, verändert, und wie erklärt
sich die Bundesregierung diese Veränderung?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Frage der Abgeordneten Hirsch beantworte ich wie folgt: Laut Hochschulstatistik, Fachserie 11, „Studierende und Studienanfänger nach Land des Studienortes und Land des
Erwerbs der Hochschulzugangsberechtigung“, ist der
Anteil der Studierenden, die nicht in dem Bundesland
studieren, in dem sie die Hochschulzugangsberechtigung
erworben haben, in den letzten beiden Jahren im Durchschnitt über alle Bundesländer relativ stabil geblieben.
2005 waren es 29,5 Prozent und 2006 29,8 Prozent. Bezüglich der Studienanfänger und Studienanfängerinnen
liegen die entsprechenden Werte bei 26,7 Prozent im
Jahr 2005 und 27,2 Prozent im Jahr 2006.
Generell zeigen sozialwissenschaftliche Studien, dass
die Wahl eines Studienortes als individuelle Entscheidung von einer Vielzahl unterschiedlicher Motive abhängt.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Besten Dank für die Beantwortung.
Mir liegt ein Artikel der Süddeutschen Zeitung vom
8. November mit dem Titel „Studenten flüchten vor Gebühren“ vor. Ich habe die Frage an Sie, inwieweit die
Bundesregierung überhaupt systematisch erhebt, wie
sich die Studierendenbewegungen durch die Einführung
allgemeiner Gebühren verändert haben. Wie kann sie
feststellen, ob Studierende aus einem Bundesland, in
dem Gebühren erhoben werden, verstärkt in Bundesländer wechseln, in denen keine Gebühren erhoben werden?
Frau Abgeordnete Hirsch, die statistischen Befunde
über den Wechsel des Bundeslandes liegen erst im Folgejahr vor. Derzeit haben wir erst von einem Teil der Bundesländer erste Erhebungen über die Entwicklung der
Zahl der Studienanfänger zum Wintersemester 2007/2008
vorliegen. Daraus geht jedoch hervor, dass beispielsweise in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Bayern
ein signifikanter Anstieg der Zahl der Studienanfänger
zu verzeichnen ist. In beiden Ländern sind Studiengebühren oder Studienbeiträge eingeführt worden. Dies
lässt einen ersten Rückschluss darauf zu, dass die Erhebung von Studiengebühren offenbar keinen Einfluss auf
die Entscheidung für ein Studium in dem jeweiligen
Bundesland hat.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Mich würde noch interessieren, ob die Bundesregierung beabsichtigt, systematische Untersuchungen durchzuführen und in diesem Zusammenhang zum Beispiel
auch zu untersuchen, inwieweit sich diese Bewegungen
unterscheiden, je nachdem, aus welcher sozialen Schicht
Studierende oder Studieninteressierte kommen. Wenn
die Bundesregierung solche Untersuchungen durchführen will, wann und in welcher Form will sie die Ergebnisse vorlegen? Wenn sie beabsichtigt, solche Untersuchungen nicht durchzuführen, wie bringt sie das mit der
vom Bundesverfassungsgericht im Grunde genommen
festgestellten Verpflichtung in Einklang, dass überprüft
werden soll, ob sich die Situation in den einzelnen Bundesländern abhängig von der Einführung allgemeiner
Studiengebühren entwickelt?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung geht
davon aus, dass die derzeit vorliegenden statistischen Erhebungen ausreichen werden, um eine angemessene Abschätzung vornehmen zu können. Das bedeutet aber,
dass wir die Ergebnisse der Untersuchungen über den
Wechsel des Bundeslandes von Hochschulzugangsberechtigten für das Wintersemester 2007/2008 abwarten
müssen und erst im nächsten Jahr aufgrund dieser Ergebnisse Schlussfolgerungen ziehen können.
Wir kommen damit zur Frage 7 der Abgeordneten
Cornelia Hirsch:
Wird die Bundesregierung den nächsten Bericht nach § 35
BAföG zum turnusmäßigen Zeitpunkt - Ende 2008 - vorlegen und, wenn nein, warum nicht?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die für die amtliche BAföG-Statistik erforderlichen
Daten liegen jeweils erst im Sommer des Folgejahres
vor. Die Wirkung der mit dem 22. Gesetz zur Änderung
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes zum Wintersemester 2008/2009 verbundenen Anhebung der Bedarfssätze und Freibeträge wird deshalb erst im Herbst 2009
statistisch aufbereitet werden können.
Die heute in der Beschlussfassung des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung enthaltene Empfehlung zur Verschiebung
des Berichts um ein Jahr soll ermöglichen, wenigstens
das Berichtsjahr 2008 und die Daten des Wintersemesters 2008/2009 einzubeziehen. Nur so wird es zudem möglich, bereits in dem vorzulegenden Bericht
auch unabhängig von der erst im Sommer 2009 vorliegenden BAföG-Statistik für das Jahr 2008 die Wirkungen der mit der BAföG-Novelle einhergehenden strukturellen Änderungen zu dokumentieren. Dies betrifft
insbesondere den zum Jahresbeginn 2008 einzuführenden Kinderbetreuungszuschlag sowie die Verbesserungen bei der Ausländerförderung und der Auslandsförderung.
Ihre erste Nachfrage.
Besten Dank. - Es ist zweifelsohne richtig, dass die
Wirkungen dieser BAföG-Novelle nur dann berücksichtigt werden können, wenn man die Vorlage des Berichtes
verschiebt. Notwendig wäre es jedoch - meine Frage ist
einfach, ob Sie mir darin zustimmen -, sich für diesen
Bericht anzuschauen: Wie haben sich zum Beispiel die
Lebenshaltungskosten von Studierenden entwickelt? Ich
glaube, dass sich die Lebenshaltungskosten von Studierenden unabhängig davon entwickeln, wie sich die
BAföG-Novelle im Einzelnen auswirkt. Da Sie mit der
jetzigen BAföG-Novelle nur auf den Anpassungsbedarf
reagieren, der sich bis Ende 2006 ergeben hat, bedeutet
das faktisch, dass Sie den Studierenden schon jetzt bis
2010 weitere vier Nullrunden klar in Aussicht stellen.
Teilen Sie diese Auffassung und, wenn nein, warum
nicht?
Frau Abgeordnete Hirsch, ich teile diese Auffassung
ausdrücklich nicht. Ihnen ist aus den heutigen Beratungen im zuständigen Fachausschuss des Deutschen Bundestages bekannt, dass beispielsweise durch die in der
BAföG-Novelle vorgesehene Anhebung der Freibeträge
die Zahl der geförderten Studierenden deutlich steigen
wird. Erste Schätzungen gehen davon aus, dass von diesem Effekt bis zu 100 000 Studierende profitieren könnten. Darüber hinaus sind strukturelle Verbesserungen erzielt worden, die beispielsweise für Migrantinnen und
Migranten den Zugang zum BAföG wesentlich erleichtern oder auch eine Förderung von Studierenden ermöglichen, die bereits das erste Semester ihres Studiums im
Ausland absolvieren.
Um all diese Effekte abbilden zu können - nur das
macht bei der Vorlage des nächsten BAföG-Berichts einen Sinn -, müssen uns zwingend die Daten des Jahres
2008 vorliegen. Diese Daten haben wir erst zum Jahreswechsel 2009/10. Ausschließlich das ist der Grund.
Einen Bericht, der dies nicht berücksichtigt, würde keine
angemessene Grundlage für Schlussfolgerungen geben.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Meine zweite Nachfrage ist, wie Sie in einer solchen
Situation sicherstellen wollen, dass das BAföG auch in
den kommenden Jahren kostendeckend ist, oder wie Sie
wenigstens versuchen wollen, es kostendeckend zu halten. Auch wenn Sie die Veränderungen durch die
BAföG-Novelle abbilden wollen, so müssen Sie doch
zugleich berücksichtigen, wie sich die Lebenshaltungskosten entwickeln. Wo tun Sie das, und wie wollen Sie
darauf reagieren?
Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung hat
mit der BAföG-Novelle, zu der heute im Ausschuss eine
Beschlussempfehlung ergangen ist, die größte BAföGNovelle der letzten Jahrzehnte auf den Weg gebracht,
nämlich mit einem Finanzvolumen, das am Ende mehr
als 300 Millionen Euro jährlich beträgt. Sie folgt in vollem Umfang den Empfehlungen des BAföG-Beirats und
erhöht die Sätze um 10 Prozent sowie die Freibeträge
um 8 Prozent. Das macht deutlich, dass die Bundesregierung den notwendigen Anpassungsbedarf in vollem Umfang berücksichtigt hat. Sie dürfen davon ausgehen, dass
die Bundesregierung an dieser Zielsetzung auch in den
kommenden Jahren festhalten wird.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Volker Beck
({0}) zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und
des Bundeskanzleramtes. Diese Frage wird schriftlich
beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister Günter Gloser wird
die Frage beantworten.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Volker Beck ({1})
auf:
Welche Menschenrechtsfragen wurden von Mitgliedern
der Bundesregierung - bitte getrennt für die einzelnen Mitglieder der Bundesregierung, insbesondere für Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, angeben - bei dem Staatsbesuch des
saudischen Königs in Deutschland mit welchen Ergebnissen
angesprochen?
Bitte, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Beck, die Antwort lautet wie folgt:
Zentrales Thema der Erörterungen der Bundeskanzlerin mit dem saudischen König am 7. November 2007 in
Berlin war die Vorbereitung der Nahostkonferenz voraussichtlich Ende November 2007 in Annapolis. Darüber hinaus wurden aber auch Reformen in SaudiArabien und Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, thematisiert.
Über den Inhalt der Gespräche mit König Abdullah
im Einzelnen wurde Vertraulichkeit vereinbart. Ich füge
aber hinzu, dass ein Teil der Delegation des saudischen
Königs Gespräche unter anderem mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin geführt hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollege
Beck.
Ich finde es sehr eigentümlich, dass überhaupt nichts
nach außen dringt, wenn tatsächlich etwas besprochen
worden ist. Es ist nur die angebliche Aussage des Königs
nach außen gedrungen, dass es in Saudi-Arabien Extraräume für Frauen gebe und dass man über ein kommunales Wahlrecht für Frauen nachdenke. Das ist ja
super. Man kann sich nicht über die Menschenrechtsverletzungen im Iran - zu Recht - beschweren und gleichzeitig über die noch schlimmeren Zustände in SaudiArabien schweigen.
Deshalb frage ich Sie: Hat die Praxis der Todesstrafe
in Saudi-Arabien bei dem Gespräch eine Rolle gespielt?
Hat die Nichtunterzeichnung des Zivilpaktes durch
Saudi-Arabien eine Rolle gespielt? Saudi-Arabien gehört zu den letzten drei großen Ländern, die diesen Pakt
noch nicht unterzeichnet haben. Neben der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte, die ja keine juristisch
bindende Wirkung entfaltet, ist dies das wichtigste Menschenrechtsdokument. Es wäre wichtig, über solche Themen zu sprechen und da voranzukommen.
Herr Kollege Beck, ich bitte darum, meine Aussage
zu respektieren, dass Vertraulichkeit vereinbart worden
ist. Unabhängig davon möchte ich feststellen - Sie haben sicherlich die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung in den vergangenen Monaten, gerade während
unserer EU-Präsidentschaft, verfolgt -, dass wir ausdrücklich auch gegenüber Saudi-Arabien die Menschenrechtsposition der Europäischen Union und damit auch
Deutschlands deutlich gemacht haben; denn wir halten
die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien für problematisch. Verschiedene Themen, die Sie erwähnt haben - dazu zählen die Rechte von Frauen, aber auch die
Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung -, sind
angesprochen worden. Sie sind also nicht unter den
Tisch gefallen. Über die Gespräche selbst kann ich Ihnen
allerdings keine Auskunft geben.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nachfrage.
Wie würden Sie dem Eindruck entgegentreten, dass
man deshalb über das Gespräch nichts sagt, weil nicht
viel besprochen worden ist? Denn ansonsten legt die
Bundeskanzlerin eine offensive Pressearbeit in Sachen
Menschenrechte an den Tag. Könnte es sein, dass es in
den Beziehungen zu Saudi-Arabien eine gewisse Inkonsistenz im Vergleich zur sonstigen Politik des Kanzleramtes gibt?
Herr Kollege Beck, ich habe in meiner ersten Antwort
gesagt, dass über innere Reformen in Saudi-Arabien gesprochen worden ist, dass aber auch Vertraulichkeit vereinbart worden ist. Daraus mögen Sie jetzt bitte nicht die
Konsequenz ziehen, dass über diese Themen nicht gesprochen worden ist.
({0})
Danke, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen beantwortet
die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Welche Auswirkungen hat nach Ansicht der Bundesregierung die sich abzeichnende Fusion der deutschen Strombörse
EEX mit der französischen Powernext - insbesondere die Verlagerung des Spothandels nach Paris - auf die staatliche Aufsicht über den Stromhandel?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Höhn, die
Bundesregierung ist grundsätzlich der Auffassung, dass
die Entscheidung über eine Fusion oder enge Kooperation von EEX, der deutschen Strombörse, mit
Powernext, der französischen Strombörse, allein bei den
beteiligten Unternehmen und ihren Anteilseignern liegt.
Hinsichtlich der Auswirkungen auf die staatliche Aufsicht über den Stromhandel ist es zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch zu früh, konkrete Aussagen zu treffen, da
der Ausgang der Verhandlungen zwischen EEX und
Powernext noch offen ist. Die Bundesregierung sieht
eine effiziente Aufsicht als elementare Voraussetzung
für den börslichen Stromhandel an.
Im Falle einer möglichen Verlagerung von Aktivitäten könnte es deshalb erforderlich sein, dass die beteiligten Aufseher Vereinbarungen zur Zusammenarbeit
schließen, um dadurch eine wirksame Aufsicht sicherzustellen. Im Übrigen muss der Stromhandel in Deutschland selbstverständlich weiterhin den kartellrechtlichen
Anforderungen genügen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollegin
Höhn.
Danke schön. - Das Land Sachsen hat im Bundesrat
eine Initiative gestartet, dass in Leipzig an der EEX
strengere Meldepflichten und Transparenzvorschriften
eingeführt werden sollen. Wie steht die Bundesregierung
zu dieser Initiative des Landes Sachsen? Wann will sie
diese Initiative umsetzen?
Das Land Sachsen hat die Aufsicht über die Börse
und über den Börsenhandel im engeren Sinne, wohingegen die BaFin für die Aufdeckung möglicher Missbräuche wie beispielsweise des verbotenen Insiderhandels
zuständig ist. Insofern sieht die Bundesregierung zurzeit
nach meinem Kenntnisstand dort keinen weiter gehenden Handlungsbedarf.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Danke schön. - Die Experten gehen davon aus, dass
in Leipzig aufgrund des eingeschränkten Stromangebots
und der geringen Kaufabsichten Veränderungen des
Preises zugunsten der Gewinne der großen Energiekonzerne bewirkt werden. Die greifen also ein, um ihre
Gewinne zu erhöhen. Experten gehen davon aus, dass
ungefähr 20 bis 30 Prozent der Gewinne Spekulationsgewinne sind. Ist es da nicht notwendig, mehr Transparenz und Regulierung einzuführen, um einen Teil dieser
Spekulationsgewinne, die letzten Endes einen höheren
Strompreis für die Verbraucherinnen und Verbraucher
und damit soziale Probleme bewirken, nicht zuzulassen?
Zum einen ist das Wesen von Börsen natürlich, dass
man auch auf Spekulationsgewinne setzt. Das ist nun
einmal auch Gegenstand börslichen Handelns. Dass das
gerade beim Strom nicht auf Gegenliebe stößt, verstehe
ich wohl. Sollte es zum anderen zum Beispiel Marktmissbrauch der großen Energieanbieter, etwa verbotenes
Acting in Concert und anderes, geben, so ist dies Gegenstand der Untersuchungen durch die BaFin.
Wir kommen damit zur Frage 11 des Kollegen Lothar
Binding:
Welche konkreten Schritte plant die Bundesregierung, um
gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern eine einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage zu erreichen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Der Kollege Binding fragt nach den Fortschritten in
der Erarbeitung einer gemeinsamen konsolidierten
Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage auf der europäischen Ebene. Die Bundesregierung arbeitet bei der
Entwicklung der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage in der dafür geschaffenen Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz der EU-Kommission und in den unterstützenden Unterarbeitsgruppen
intensiv mit. Die Vertreter in diesen Gruppen sind Experten, die der Kommission bei der Entwicklung eines
Richtlinienvorschlages zur Seite stehen. Erst wenn die
Kommission Ende 2008 einen Vorschlag auf den Tisch
legt, wird Deutschland sich formal positionieren. Die
Positionen der deutschen Vertreter werden innerhalb der
Bundesregierung und mit den Ländern weitestmöglich
abgestimmt.
Letztlich dienen die Diskussionen dem Ziel, es der
Kommission zu ermöglichen, einen für alle Mitgliedstaaten konsensfähigen Vorschlag vorzulegen. Die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen ist deshalb eine wichtige
Voraussetzung zur Erreichung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.
Ich habe eine kurze Nachfrage: Wenn man sieht, welche unterschiedlichen Steuersätze es in Europa gibt, zum
Beispiel in Estland 0 Prozent und in Deutschland bei der
Einkommensteuer gegenwärtig einen Steuersatz von noch
40 Prozent und bei der Körperschaftsteuer von 25 und im
nächsten Jahr von 15 Prozent - da sind wir gut aufgestellt -, glauben Sie dann, dass es eine große Wahrscheinlichkeit gibt, dass wir eine gemeinsame Bemessungsgrundlage finden werden?
Es ist in der Tat problematisch, anzunehmen, dass
man eine gemeinsame und noch dazu konsolidierte Bemessungsgrundlage findet, wenn zugleich weiterhin ein
Wettbewerb über die Steuersätze stattfindet. Die Bundesregierung ist schon der Auffassung - sie hat dies immer zum Ausdruck gebracht -, dass eine gemeinsame
Bemessungsgrundlage mit Mindeststeuersätzen versehen sein muss. Dies ist nicht dasselbe wie einheitliche
Steuersätze in Europa, wobei man wissen muss, dass
noch die Frage offen ist, ob es zu einer gemeinsamen
Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage kommt oder
ob sie gar noch konsolidiert werden soll, was hieße, dass
man gleichsam über die Grenzen hin das Aufkommen
austauschen müsste, so wie man das zum Beispiel bei
der Gewerbesteuer nach der Lohnsumme macht.
Dies ist in der Tat ein Unterfangen, das die Dinge zusätzlich komplizieren würde; denn man müsste natürlich
europaweit einen allgemein anerkannten Maßstab für
diese Zerlegung der Körperschaftsteuer finden. Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland als föderales
System und im Rahmen der Selbstverwaltung der Gemeinden allgemein anerkannte Grundsätze der Verteilung von Steuern oder der Zerlegung von Steuern gefunden. Dies ist in den europäischen Ländern alles andere
als selbstverständlich.
({0})
Der Kollege Binding verzichtet auf seine zweite
Nachfrage.
Wir kommen damit zur Frage 12 des Kollegen
Dr. Hans-Ulrich Krüger:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht derjenigen Berufsverbände und Teile der Medien, die trotz Verabschiedung des
Gesetzes zur Unternehmensteuerreform eine angebliche Mittelstandslücke beklagen und behaupten, der Wirtschaftsstandort Deutschland sei nach wie vor insbesondere für kleine und
mittlere Unternehmen unattraktiv?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Kollege Krüger fragt danach, ob die häufig geäußerte
Kritik von Berufsverbänden und Lobbyistengruppen zutreffend sei, dass der Mittelstand in Deutschland zu hoch
besteuert werde.
({0})
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Deutschland als Standort für Unternehmen gleich welcher Größe
sehr attraktiv ist und bleiben wird. Sie wird in dieser
Meinung von den Ergebnissen internationaler Standortrankings gestützt, die dem Standort Deutschland ein
sehr gutes Zeugnis ausstellen. Gerade auch die steuerlichen Rahmenbedingungen tragen zu diesem Ergebnis
bei. Die steuerliche Belastung der Personenunternehmen
wurde in der Vergangenheit bereits deutlich gesenkt. Die
Unternehmensteuerreform wird nun auch die steuerlichen Rahmenbedingungen für die Kapitalgesellschaften
und damit auch für die kleinen und mittelständischen
Unternehmen in dieser Rechtsform deutlich verbessern.
({1})
Dies belegt das aktuelle Jahresgutachten des Sachverständigenrats. Mit der Tarifbegünstigung für thesaurierte
Gewinne und dem Investitionsabzugsbetrag werden Personenunternehmen im Rahmen der Unternehmensteuerreform weiter entlastet.
Mit der Unternehmensteuerreform ist es der Bundesregierung gelungen, die Wettbewerbsfähigkeit des
Standortes Deutschland weiter zu verbessern. Dabei
wurde finanzpolitischen Erfordernissen Rechnung getragen, indem die Reform im Hinblick auf die Konsolidierungserfordernisse bei überschaubarem Finanzierungsaufwand den Verlust von Steuersubstrat einschränkt und
zugleich die Finanzausstattung der Kommunen verstetigt. Eine „Mittelstandslücke“ ist keinesfalls erkennbar.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Die Antwort war derart lückenlos und vollständig,
dass ich auf Nachfragen verzichte.
Aber es gibt eine Nachfrage von Frau Westrich. Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, Sie haben den Sachverhalt ausführlich dargelegt. Können Sie sich vorstellen, warum
sich die Mittelständler immer beschweren, von uns steuerpolitisch schlecht behandelt zu werden?
({0})
Frau Kollegin Westrich, ich bin viel im Land unterwegs, nehme an vielen Podiumsdiskussionen teil und
halte Vorträge vor wirtschaftlich tätigen Menschen.
Manchmal wundere ich mich darüber, dass viele von denen, die sich beschweren, die Sachverhalte nicht kennen.
Das bedeutet natürlich nicht, dass ihre Steuerberater die
positiven Sachverhalte nicht für sie in Anspruch nehmen
würden; das ist selbstverständlich. Die Steuerberater
müssen das tun. Sie würden sich sonst einer Pflichtverletzung schuldig machen.
Andererseits gehört es offenbar aber nicht zum Berufskanon der Steuerberater, ihren mittelständischen Klienten mitzuteilen, was sich in positiver Hinsicht geändert hat, und ihnen zu sagen: Aus dem Grund wirst du
zukünftig weniger Steuern zahlen. - Das ist bei den
Steuerberatern offenbar nicht üblich. So gibt es beispielsweise auch heute noch Inhaber von mittelständischen Personenunternehmen, die nicht wissen, dass man
die Gewerbesteuerschuld in pauschaler Weise mit der
Einkommensteuerschuld verrechnen kann. Obwohl das
seit fünf Jahren möglich ist, ist das noch immer nicht bei
allen angekommen.
Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Schäffler.
({0})
Wenn ich die Gelegenheit habe, eine Frage an die
scheidende Staatssekretärin zu stellen, will ich das natürlich tun.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade das Hohelied
der Steuergerechtigkeit gesungen. Wenn das, was Sie gerade beschrieben haben, zutrifft, frage ich mich, warum
die Koalition im Jahressteuergesetz 2008 die Möglichkeit der Hinzurechnung von Mieten und Pachten bei der
Gewerbesteuer von 75 auf 65 Prozent reduziert hat.
Wenn das alles nicht notwendig war und die Steuerpolitik so erfolgreich ist, hätten Sie das doch eigentlich nicht
korrigieren müssen.
Herr Kollege Schäffler, die Klagen, die vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels erhoben worden
sind, waren nach meinem Dafürhalten in der Tat im Wesentlichen unbegründet. Im Ergebnis führt die 75-prozentige Hinzurechnung dazu, dass 2,6 Prozent der gezahlten Miete an zusätzlicher Steuer im Rahmen der
Gewerbesteuer gezahlt werden muss; aber natürlich nur
jenseits eines Freibetrages von 100 000 Euro, den man
berücksichtigen muss. Im Regelfall wird der Freibetrag
wirken, weswegen überhaupt keine Hinzurechnungsbesteuerung stattfinden wird.
Die Beispiele, die uns der Hauptverband des Einzelhandels vorgelegt hat, waren in der Tat extrem. Manche
Firmen waren im Grunde sowieso schon insolvent. Sie
würden nicht wegen einer Hinzurechnungsbesteuerung
insolvent werden. In den Beispielen, die uns genannt
worden sind, lag die Umsatzrendite im Schnitt allenfalls
bei 0,7 Prozent. Die Umsatzrendite im deutschen Einzelhandel liegt demgegenüber im Durchschnitt - sie ist
zwar in der Tat gering, aber trotzdem doppelt so hoch bei 1,5 Prozent. Uns wurden Beispiele dargelegt, in denen pro eingesetzten Arbeitnehmer ein Gewinn zwischen, wie ich glaube, 78 und 280 Euro pro Jahr erzielt
wurde. Man kann sich nicht vorstellen, dass man ein Geschäft vernünftig betreibt, wenn man einen Menschen
einstellt, mit dem man im ganzen Jahr zwischen unter
100 und 300 Euro Gewinn machen kann. Dann ist die
Zukunft des Geschäftes von vielen Zufällen abhängig.
Das hat mit der Besteuerung gar nichts zu tun.
Gleichwohl haben wir es für möglich gehalten, die
Hinzurechnungsbesteuerung etwas günstiger zu gestalten, sodass keine Maximalbelastung von 2,6 Prozent zusätzlich entstehen kann. Wir haben überlegt, ob man eine
Mischung aus Immobilien- und Bodenwert heranziehen
kann. Da der Bodenwert keinerlei Abschreibung unterliegt, haben wir es noch einmal berechnet und sind zu
dem Ergebnis gekommen, dass es möglich ist, statt der
75-prozentigen eine 65-prozentige Hinzurechnung vorzusehen. Wenn der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels weiter klagt, so klagt er mit gesunden Knochen.
({0})
Wir kommen damit zur Frage 13 der Kollegin Nina
Hauer:
Wie ist aus der heutigen Sicht der Bundesregierung der Erfolg der Finanzmarktförderungsgesetze, insbesondere des
Dritten und des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes, zu
werten, und erfuhr der Finanzstandort Deutschland hierdurch
eine nachhaltige Stärkung durch wettbewerbsfähige und moderne gesetzliche Regelungen?
Sie haben das Wort, Frau Staatssekretärin.
Durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz von
1998 wurden die Geschäftsmöglichkeiten für Investmentfonds erweitert. Zum einen wurden neue Fondstypen wie zum Beispiel Dachfonds und Aktienindexfonds
eingeführt, zum anderen wurden die Handlungsspielräume der Fonds zur Nutzung von Derivaten vergrößert.
Im Rahmen des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes von 2002 wurden vor allem die Anlagemöglichkeiten für offene Immobilienfonds flexibilisiert, um den
Entwicklungen auf den Immobilienmärkten Rechnung
zu tragen. Diese gesetzlichen Maßnahmen haben zu einer Fortentwicklung und Stärkung des Investmentstandortes Deutschland wesentlich beigetragen.
Die Finanzmärkte befinden sich in einem ständigen
Veränderungsprozess. Die deutsche Fondsindustrie steht
in einem intensiven Wettbewerb mit anderen europäischen Standorten. Daher müssen die Rahmenbedingungen für Investmentfonds stetig auf den Prüfstand gestellt
werden, um sie an die geänderten Verhältnisse anzupassen. Dies hat der Gesetzgeber mit dem Investmentmodernisierungsgesetz im Jahr 2003 und dem Investmentänderungsgesetz im Jahr 2007 mit Erfolg getan.
Durch das Investmentmodernisierungsgesetz wurde im
Jahre 2003 der gesetzliche Rahmen für Investmentfonds
vollständig neu geordnet und grundlegend modernisiert.
Hierauf baut das Investmentänderungsgesetz, das wir in
der letzten Woche verabschiedet haben, auf.
In diesem Zusammenhang darf ich sagen, dass die
Bundesregierung außerordentlich erfreut ist, dass dieses
Hohe Haus in den wesentlichen Fragen des Finanzmarktes fast immer einstimmig oder nahezu einstimmig die
Gesetze verabschiedet. Denn es geht einerseits um das
Funktionieren des Finanzmarktes und andererseits um
die Gewährleistung von Verbraucherschutz bei Finanzmarktprodukten. Dies sind so sensible Themen, dass das
Hohe Haus sich glücklich schätzen kann, dort so großes
Einvernehmen zu haben.
Ihre erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, sind Sie der Auffassung, dass
neben der Einigkeit, die bei Themen bezüglich des Finanzmarktes im Hause in der Regel herrscht, das Bestreben - gerade hinsichtlich der Oppositionsfraktionen war
dies oft sehr mühsam -, mehr Anlegerschutz und mehr
Transparenz für Anlegerinnen und Anleger am Finanzmarkt zu erreichen, im Wesentlichen dazu beigetragen
hat, dass wir auf dem deutschen Finanzmarkt mehr
Wachstum und letztendlich mehr Arbeitsplätze haben?
Ja, Frau Kollegin Hauer, das kann ich bestätigen.
({0})
Es ist in der Tat so, dass der Anlegerschutz Bedingung
dafür ist, dass die Menschen den Produkten auf den
Finanzmärkten vertrauen können. Das bedeutet, dass
sich auch Anleger mit mittlerem Einkommen am Finanzmarkt bewegen können, weil sie sicher sind, dass sie in
ihren jeweiligen Einkommensverhältnissen, denen die
Anlagemöglichkeiten entsprechen, so geschützt sind,
dass sie nicht mit Totalverlust zu rechnen haben.
In dem Zusammenhang darf man den Bürgerinnen
und Bürgern noch einmal sagen, sie mögen sich am besten vom grauen Kapitalmarkt fernhalten. Denn dort ist
man vor Totalverlust nicht geschützt.
Sie verzichten auf eine zweite Nachfrage. - Eine
Nachfrage der Kollegin Westrich.
Frau Staatssekretärin, ich habe noch eine Nachfrage.
Sie arbeiten ja jetzt schon lange im Bereich des Finanzmarktes und kennen die Gegebenheiten. Was würden Sie
uns auf den Weg mitgeben, wie wir die Menschen besser
schützen können vor den Risiken im Bereich Private
Equity und Hedgefonds? Nur zu sagen, dass man das
nicht kaufen soll, ist, glaube ich, nicht die einzige Lösung in diesem Bereich.
Sowohl die Unternehmen, die im Private-Equity-Bereich tätig sind, als auch die Hedgefonds arbeiten gewöhnlich nur mit institutionellen Anlegern zusammen,
weil sie in solchen Größenordnungen arbeiten, dass der
Normalanleger dort gar nicht tätig werden kann. Daher
ist der Anlegerschutz dort nicht der wesentliche Punkt.
Denn dort finden meist Mindestbeteiligungen statt, bei
denen der Mensch wissen muss, was er tut. Er muss also
einfach so viel Geld haben, dass er es im Zweifelsfall
verschmerzt, zum Beispiel 100 000 Euro zu verlieren.
Wenn er sich auf so risikoreiche Geschäfte einlässt, hat
er natürlich die Chance, einen besonders großen Gewinn
zu machen; es besteht aber auch die Gefahr für ihn, tatsächlich einen Totalverlust zu erleiden.
Die andere Frage ist, wie sich das Wirken von Private-Equity-Unternehmen und Hedgefonds auf das Gefüge der deutschen Wirtschaft auswirkt. Das ist eine
Frage, die die Bürgerinnen und Bürger auch in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr
beschäftigt und auch im deutschen Mittelstand durchaus
schon für Beunruhigung gesorgt hat. Denn es gibt durchaus unterschiedliche Unternehmen dieser Art.
Es gibt Private-Equity-Unternehmen, die sich mit einer langfristigen Orientierung an Unternehmen des deutschen Mittelstandes beteiligen, ihnen Eigenkapital zur
Verfügung stellen und dabei helfen, sich für die Zukunft
gut aufzustellen. Das ist nicht zu bestreiten. Es gibt aber
andererseits Unternehmen der Private-Equity-Branche,
die nichts anderes wollen, als ihr Zielunternehmen in
kürzester Zeit auszusaugen, und gleichsam eine leere
Unternehmenshülle zurücklassen. Die diesbezüglich gebrauchten Worte sind manchmal sehr verschleiernd.
Wenn zum Beispiel von „Rekapitalisierung“ die Rede
ist, geht es eigentlich darum, dem Unternehmen Kapital
zu entziehen. Rekapitalisiert wird dann nur der Anleger,
der eine besonders hohe Rendite in kurzer Zeit erreichen
will. Das Unternehmen bleibt möglicherweise nur als
leere Hülle bestehen.
An diesen Problemen arbeitet die Bundesregierung,
und sie hat dem Hohen Haus auch schon einen Gesetzentwurf über die Begrenzung der mit derartigen Finanzinvestitionen verbundenen Risiken vorgelegt. Ich bin
sehr zuversichtlich, dass wir da vorankommen werden.
Im Übrigen hat schon die vorherige Bundesregierung
unter der Verantwortung von Gerhard Schröder - so wie
die jetzige Bundesregierung unter der Kanzlerschaft von
Frau Merkel - auf die besonderen Gefahren hingewiesen, die zum Beispiel mit der Intransparenz von Hedgefonds verbunden sein können. Bundeskanzler Gerhard
Schröder hatte dies schon im Sommer 2005 auf dem
Weltwirtschaftsgipfel in Gleneagles in Schottland angesprochen. Aber unsere angelsächsischen Freunde waren
zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, darüber auch nur zu reden. Wir sind aber nicht untätig geblieben. Der Bundesfinanzminister hat dieses Thema im Zusammenhang mit
dem G-7-Finanzministertreffen im Februar in Essen und
dem G-8-Finanzministertreffen im Mai bei Potsdam angesprochen. Dies hat dann auf der Ebene des Weltwirtschaftsgipfels in Heiligendamm in diesem Sommer Niederschlag gefunden.
Im Übrigen gibt es mittlerweile eine Initiative in
Großbritannien, die vom ehemaligen britischen Notenbankpräsidenten Large geleitet wird. In deren Rahmen
sind die Hedgefonds dabei, sich selber einen Code of
Conduct zu geben. Das sind Schritte, die wir mit Beharrlichkeit aus dem Bundesministerium der Finanzen heraus angestoßen haben und die jetzt sowohl in Großbritannien als auch in einer President’s Working Group in
den USA erstmals Niederschlag finden. Gerade diese
beiden Länder sind die entscheidenden, weil die Hedgefonds in ihnen ihren Sitz haben. Tätig werden sie zwar
auf der ganzen Welt, ihren Sitz haben sie aber in Großbritannien oder den USA.
({0})
Der Kollege Schäffler hat eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade dargestellt,
welche Rolle die Bundesregierung der Private-EquityBranche zumisst. Sie haben auch an den Gesetzentwurf
zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken und den Entwurf zum Wagniskapitalbeteiligungsgesetz erinnert. Jetzt haben die Regierungsfraktionen das Verfahren aber erst einmal auf Eis gelegt. Wann
ist denn aus Sicht der Bundesregierung mit einer Beschlussfassung hier im Deutschen Bundestag zu rechnen?
Herr Kollege Schäffler, Sie werden sich vorstellen
können, dass ich dazu keine Aussage machen kann, weil
das ja im parlamentarischen Verfahren ist. Die erste Lesung des Wagniskapitalbeteiligungsgesetzes und die
erste Behandlung desselben im Finanzausschuss haben
stattgefunden. Wie Sie als Mitglied des Finanzausschusses wissen, ruht die Behandlung im Finanzausschuss
momentan in der Tat. Der Gesetzentwurf zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken
ist im Kabinett bereits verabschiedet worden und kann in
diesem Jahr noch in erster Lesung behandelt werden,
wenn die Koalitionsfraktionen dies wollen. Nach meinem Eindruck wollen die Koalitionsfraktionen die beiden Gesetzgebungsvorhaben zeitlich zusammenführen.
Wir kommen damit zur Frage 14 der Kollegin Nina
Hauer:
Welchen Anklang finden die im Basler Ausschuss für
Bankenaufsicht ausgearbeiteten internationalen Regeln zur
Eigenkapitalausstattung von Banken, die am 1. Januar 2007 in
Deutschland in Kraft getreten sind, in der Finanzbranche, und
welche Erfahrungen konnten aus den internationalen, europäischen und nationalen Verhandlungen zu Basel II für zukünftige internationale Gespräche zu Eigenkapitalstandards für
Banken gewonnen werden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Den ersten Teil Ihrer Frage möchte ich wie folgt beantworten: Nach unserem Eindruck stoßen die neuen
Eigenkapitalregeln für Banken, die man gemeinhin als
Basel II bezeichnet, im Kreditgewerbe inzwischen auf
breite Akzeptanz. Sie werden gegenüber dem Basel-IStandard, der bis dahin galt, als deutlicher Fortschritt
empfunden. Insbesondere besteht vor dem Hintergrund
der seit Sommer dieses Jahres andauernden Diskussionen über die Turbulenzen an den Finanzmärkten und
ihre Auswirkungen auf den Verbriefungsmarkt die Überzeugung, dass durch Basel II einige dieser Probleme
wahrscheinlich hätten begrenzt werden können. Zum
Beispiel dürfen Verbriefungen nach Basel II nicht mehr
außerbilanziell erfolgen; dies war eines der Probleme,
das auch in dem einen oder anderen deutschen Kreditinstitut zu Beunruhigung geführt hat.
Aufgrund der bis 2006 bestehenden Unsicherheit, wie
die Regeln im Detail ausgestaltet werden, haben viele
Kreditinstitute in Deutschland die Implementierung von
Basel II nicht zum 1. Januar 2007 abschließen können.
Sie haben daher von der eingeräumten Übergangsregelung Gebrauch gemacht, die neuen Eigenkapitalregeln
erst ab dem 1. Januar 2008 anzuwenden.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen mitteilen: Sowohl auf internationaler als auch auf europäischer
und nationaler Ebene hat sich gezeigt, dass im Hinblick
auf die sachgerechte Ausgestaltung und Formulierung
der neuen Eigenkapitalanforderungen ein enger Dialog
mit der Kreditwirtschaft von großem Nutzen ist. Diese
Erfahrung wird von den entsprechenden Gremien bei der
Weiterentwicklung der Bankenregulierung berücksichtigt.
Auf nationaler Ebene haben BaFin und Deutsche
Bundesbank bereits frühzeitig einen Arbeitskreis mit
nachgeordneten Fachgremien ins Leben gerufen. Auf
diesem Wege kann mit der Kreditwirtschaft laufend über
Fragen der Implementierung der bestehenden Regelung
diskutiert werden. Außerdem konnten und können dadurch Überlegungen vonseiten der Banken zu anstehenden Regulierungsvorhaben berücksichtigt werden.
Was die internationalen Verhandlungen zu Basel II
angeht, hat sich erwiesen, dass durch die frühzeitige und
sehr sachkundige Beratung dieses Themas im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages und durch die
daraus folgenden Entschließungen des Deutschen Bundestages in den Jahren 2000 und 2001, die in diesem
Hause mit großer Mehrheit verabschiedet worden sind,
den Verhandlungsführern von Bundesbank und BaFin
eindeutig der Rücken gestärkt wurde. Mit diesem Mandat haben sie gute Verhandlungserfolge erzielen können.
Die Tatsache, dass Basel II in den Vereinigten Staaten
noch immer nicht eingeführt wurde und dass zurzeit
fraglich ist, wann es eingeführt wird - sicherlich wird es
irgendwann eingeführt -, ist nicht zuletzt dem Umstand
geschuldet, dass sich der amerikanische Kongress mit
diesen Fragen erstens viel zu spät und zweitens nach
meinem Eindruck zu wenig sachkundig befasst hat.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Auffassung, dass die Aktivitäten der Bundesregierung und des
deutschen Parlaments inklusive des Geschicks der damaligen Verhandlungsführer dazu beigetragen haben, dass
die Regelungen zu Basel II, die wir mittlerweile in nationales Recht umgesetzt haben, eine deutliche Mittelstandskomponente aufweisen bzw. eine große Mittelstandsfreundlichkeit zum Ausdruck bringen?
Ja, Frau Kollegin Hauer, das kann ich bestätigen. Es
ist so, dass Bankkredite in Höhe von bis zu 1 Million
Euro in den sogenannten Retail-Bereich fallen. Die
Kreditnehmer werden also behandelt, als wären sie Privatkunden und nicht Unternehmenskunden, und Privatkunden müssen weniger Eigenkapital hinterlegen als
Unternehmenskunden. Das hat zur Folge, dass die Bedingungen im Hinblick auf Kredite in der Größenordnung von bis zu 1 Million Euro im Vergleich zum bisher
geltenden Recht verbessert worden sind. Kredite in dieser Größenordnung sind für den ganz überwiegenden
Teil der mittelständischen Unternehmen völlig ausreichend. Die meisten dieser Unternehmen leihen nicht
mehr als 1 Million Euro aus. Allerdings hätten sie die
Möglichkeit, sich bei verschiedenen Banken jeweils
1 Million Euro zu leihen. Selbst dann würden ihre Kredite noch wie Privatkredite behandelt werden; denn
diese Kredite bilden das Verhältnis des Kunden zur einzelnen Bank ab. Wenn sich ein Unternehmen zum Beispiel bei drei Banken jeweils 1 Million Euro leihen
würde, würde es immer noch wie ein Privatkunde behandelt werden.
Diese Regelung beruht in der Tat auf dem Geschick
der deutschen Verhandlungsführer, namentlich des Präsidenten der BaFin, Herrn Sanio, und des damals zuständigen Mitglieds des Vorstands der Deutschen Bundesbank,
Dr. Edgar Meister.
Im Übrigen ist es gelungen, die deutsche Kreditvergabekultur in den Regelungen zu Basel II abgebildet zu bekommen. Die angelsächsische Kreditvergabekultur ist
eine Kurzfristkultur; in diesen Ländern werden nur sehr
kurzfristige Kredite vergeben. Deshalb hat man unsere
Kreditvergabekultur misstrauisch beäugt. Man wollte
langfristige Kredite eigentlich mit mehr Eigenkapital
hinterlegt sehen als kurzfristige. Vor dem angelsächsischen Hintergrund kann man das verstehen. Unsere
Kultur ist aber geradezu umgekehrt: Wenn eine in
Deutschland ansässige Bank oder Sparkasse einem Geschäftskunden einen langfristigen Kredit gibt, bringt sie
damit gerade zum Ausdruck, dass sie ihm traut. Insofern
muss es dann nach unserer Auffassung keine extra hohe
Eigenkapitalhinterlegung geben. Dies ist in den Verhandlungen auch durchgesetzt worden.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Schäffler hat eine Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade das Hohelied auf die deutsche Kreditwirtschaft gesungen. Können Sie mir erklären, wieso die IKB, an der der Bund
eine 38-prozentige Beteiligung hält, an ihre irländische
Zweckgesellschaft Rhineland Funding Kreditlinien mit
einer Fristigkeit von 364 Tagen vergeben hat, also auch
sehr kurzfristige, mit dem einzigen Ziel, diese Kredite
nicht mit Eigenkapital zu unterlegen? Ist das aus Sicht
der Bundesregierung ein vernünftiger Umgang mit Risiken? Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung
daraus?
Die Bundesregierung zieht daraus die Schlussfolgerung, dass außerbilanzielle Verbriefungen nicht mehr
stattfinden sollen. Dies ist in Basel II geregelt, sodass die
Risiken durch die Aufsicht in der Tat besser abgebildet
werden können.
Auch die Wirtschaftsprüfer, die uneingeschränkte
Testate gegeben haben, haben die Risiken offenbar nicht
gesehen; das muss man leider sagen. Es handelte sich
letztlich um die Auswirkungen der Subprime-Krise in
den Vereinigten Staaten. So hat es in den Vereinigten
Staaten, zum Beispiel im Immobilienmarkt, Kreditlinien
bis zu 130 Prozent des Wertes gegeben, sodass die Menschen noch anderen Konsum damit finanzieren konnten.
Ferner hat es in den USA die sogenannten Liars’ Loans
gegeben, also an Lügner verliehenes Geld. Die Verleihenden haben das selber so genannt. Sie haben nämlich
ihre Kunden gefragt: Wie viel verdienen Sie denn so,
was ist Ihr regelmäßiges Einkommen? Aber so genau
müssen Sie das nicht sagen. - So ist das sinngemäß gelaufen, so sind diese sogenannten Liars’ Loans zustande
gekommen, vermehrt seit dem Jahre 2006. Dies hat in
der Tat mit dem Verbriefungsgeschäft zu tun gehabt und
mit dem Hunger nach neuen Produkten, die insbesondere von den Hedgefonds nachgefragt worden sind. Es
sind also schlechte Kredite vergeben worden, um diese
in Päckchen zusammenzupacken und an Hedgefonds zu
verkaufen, die wiederum ein neues Finanzmarktprodukt
daraus machen.
({0})
Das ist jetzt etwas vereinfacht ausgedrückt; aber es stellt
den Mechanismus einigermaßen dar.
Solches Handeln ist in Deutschland zum Glück unüblich - es ist in Europa eher wenig gebräuchlich - und
wird sich nach dieser Subprime-Krise sicherlich nicht
weiter verbreiten. Im Übrigen haben wir auch dafür den
Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung von Risiken auf
dem Kapitalmarkt vorgelegt.
Wir kommen damit zur Frage 15 des Kollegen JörgOtto Spiller:
Warum tragen die Briefmarken des börsennotierten Unternehmens Deutsche Post AG die Aufschrift „Deutschland“,
und wie lange wird es solche Briefmarken noch geben?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Die Befugnis, Postwertzeichen mit dem Aufdruck
„Deutschland“ herauszugeben, ist gemäß § 43 Postgesetz allein dem Bundesministerium der Finanzen vorbehalten. Der Deutschen Post AG steht gemäß § 54 Postgesetz für die Zeit der gesetzlichen Exklusivlizenz das
Recht zu, die nach § 43 Postgesetz vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenen Postwertzeichen zu
verwenden. Aufgrund der Tatsache, dass das Bundesministerium der Finanzen gemäß § 43 Postgesetz alleiniger Herausgeber der Postwertzeichen mit dem Aufdruck
„Deutschland“ ist und in absehbarer Zeit nicht daran gedacht ist, das Postgesetz zu ändern, bleibt die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Finanzen für die hoheitlich herausgegebenen Postwertzeichen erhalten.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, auf den Marken steht „Deutschland“, und es gibt in unserem schönen Lande eine breite
Vielfalt. Spiegeln sich in der Motivauswahl, an der das
Bundesministerium der Finanzen ja wohl beteiligt ist,
die Regionen unseres Landes einigermaßen ausgewogen
wider? Am liebsten wäre es mir, wenn Sie das am Beispiel des Niederrheins erläutern könnten.
({0})
Herr Kollege, die Regionen haben in der Tat eine herausragende Bedeutung, weil wir mit den Sonderpostwertzeichen, von denen wir im Jahr ungefähr 50 herausgeben, auf Ereignisse, Jubiläen und auch besondere
Landschaften oder Bauwerke aufmerksam machen, die
sich naturgemäß irgendwo in der Bundesrepublik
Deutschland befinden.
Es gibt zum Beispiel eine Serie über Leuchttürme.
Diese wird man nicht am Niederrhein, aber an allen Küsten finden. Irgendwann werden alle Leuchttürme von der
Nordseeküste bis zur Ostseeküste abgebildet sein.
Es gibt auch eine wunderbare Serie über Brücken.
Von der Kaiser-Wilhelm-Brücke in Wilhelmshaven bis
zum Blauen Wunder in Dresden sind schon sehr vielfältige Brücken abgebildet worden. Obwohl ich mir das gewünscht habe, ist die Rheinbrücke Kleve-Emmerich leider noch nicht abgebildet worden;
({0})
mein Einfluss ist hier beschränkt. Die Rheinbrücke
Kleve-Emmerich ist übrigens die längste Hängebrücke
in Deutschland. Sie hätte also durchaus ein Anrecht darauf, auf einer Briefmarke abgebildet zu werden. Das
kann aber demnächst passieren, da dies erneut beantragt
wurde - nicht von mir, sondern von einem Bürger meines Wahlkreises. Im Jahr gehen ungefähr 600 bis
800 Vorschläge ein. Der Programmbeirat beim Bundesminister der Finanzen kann aber nur circa 50 Vorschläge
auswählen, sodass nicht alle Wünsche erfüllt werden
können.
Der Niederrhein im weiteren Sinne ist vor einiger Zeit
auf einer Briefmarke abgebildet worden, und zwar zum
Jahrestag der Entdeckung des Neandertalers. Wie Sie
wissen, liegt das Neandertal in der Nähe von Düsseldorf,
im Bergischen Land.
({1})
Es gehört aber auch zum Niederrhein. Zudem hatte ich
in diesem Jahr die Freude, ein Sonderpostwertzeichen
zum Schloss Moyland - 700 Jahre Schloss Moyland am
Niederrhein - vorstellen zu können.
({2})
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage. - Ich sehe auch ansonsten keinen weiteren Fragebedarf und danke der Parlamentarischen Staatssekretärin
Dr. Barbara Hendricks für diesen kurzen Abriss durch
die vielfältigen Tätigkeitsfelder einer Staatssekretärin im
Bundesministerium der Finanzen seit 1998.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen beantwortet die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen.
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Hans-Josef Fell
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Wie verbindlich ist nach Auffassung der Bundesregierung
die Aussage des hessischen Ministerpräsidenten Roland
Koch, dass die Festlegung der EU, die mit einer neuen EUWeinmarktordnung den Begriff „Wein“ ausschließlich für
Traubenprodukte für zulässig erklärt, zurückgezogen ist?
Ich bitte darum, beide Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Frage 19 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke auf:
Welche Maßnahmen ist die Bundesregierung bereit zu ergreifen, um der Europäischen Kommission deutlich zu machen, dass Apfelwein nicht nur bekanntermaßen das südhessische Nationalgetränk ist - der Apfelwein war schon zu
Goethes Zeiten Frankfurts Nationalgetränk -, sondern zur
kulturellen Identität Hessens gehört?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Kollege Gehrcke, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Das Anliegen, auch künftig das Wort „Wein“ für die Bezeichnung von Fruchtweinen verwenden zu dürfen, ist in
den letzten Wochen in den Beratungen über den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Reform
der Weinmarktorganisation nachdrücklich verfolgt worden. Deutschland wie auch andere Mitgliedstaaten haben
wiederholt gefordert, den Vorschlag abzuändern und die
bisherige Vorschrift aufzunehmen, wonach die Mitgliedstaaten die Verwendung des Wortes „Wein“ für Fruchtweine und andere zusammengesetzte Bezeichnungen mit
„Wein“ erlauben können.
Von verschiedener Seite ist der Kommission deutlich
gemacht worden, dass ein Wegfall von Bezeichnungen
wie „Apfelwein“ für Deutschland nicht hinnehmbar ist.
Der Forderung, Bezeichnungen mit dem Zusatz „Wein“
beibehalten zu können, will die Kommission nun entsprechen. Frau Kommissarin Fischer Boel hat Herrn
Bundesminister Seehofer in einem Gespräch am
6. November, also in der vergangenen Woche, zugesagt,
dass auch Wein aus anderen Früchten als Trauben weiterhin den Zusatz „Wein“ tragen darf. Beide Gesprächspartner haben dies in Presseverlautbarungen bestätigt.
Sie sehen also, Kollege Gehrcke: Die Aussage des
Ministerpräsidenten Koch kann danach als verbindlich
angesehen werden.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, mich als Urhessen, wie man
zweifellos an meinem Dialekt erkennen kann, und alle
anderen Bürgerinnen und Bürger in diesem Bundesland
bewegt diese Frage. Da die EU-Kommission erst am
16. Dezember dieses Jahres, glaube ich, endgültig beschließen wird, war es einfach wichtig, festzustellen, ob
der hessische Ministerpräsident, der bekanntermaßen oft
eine sehr vorlaute bzw. voreilige Art und Weise hat, in
den Wind gesprochen hat oder ob es eine verbindliche
Erklärung gibt. Ich verstehe Ihre Erklärung so, dass man
alle Bürgerinnen und Bürger in Hessen beruhigen kann.
Der Äppelwoi wird weiterhin so heißen. Richtig?
Ist das eine Frage?
Ja, das ist die Frage.
({0})
Kollege Gehrcke, ich denke, dass man dem absolut
zustimmen kann. Bundesminister Seehofer hat sich in
dieser Frage eng mit dem hessischen Ministerpräsidenten abgestimmt. Es gibt die Zusage der zuständigen
Kommissarin. Insofern kann man den Hessen deutlich
mitteilen, dass es den Apfelwein auch künftig als Bezeichnung weiter geben wird.
Haben Sie noch eine weitere Nachfrage?
Nein. Damit hat sich eigentlich auch meine zweite
Frage erledigt, wobei ich Ihre Ausführungen, Frau
Heinen, zur Kultur des Landes Hessen im Zusammenhang mit Apfelwein und Widerstand gerne gehört hätte.
Herzlichen Dank.
Bitte.
Nach diesen guten Nachrichten kommen wir damit
zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Die Fragen beantwortet
die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth.
Die Fragen 20 und 21 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Wie ist der Stand bei der Auftragsvergabe zur variantenunabhängigen Untersuchung des Donauausbaus, für die die
Bundesregierung 33 Millionen Euro bei der Europäischen
Kommission beantragt hat, und ist diese Untersuchung EUweit ausgeschrieben worden?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Hofreiter, ich kann
Ihnen mitteilen, dass nach Vorlage der Entscheidung der
EU-Kommission die Ausschreibung für die Untersuchung EU-weit erfolgen wird. Derzeit bereitet die
Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH das Untersuchungsprogramm vor. Wir warten zuerst auf die EU wegen der TEN-Mittel. Danach wird ausgeschrieben.
Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage.
Könnte meine zweite Frage gleich im Zusammenhang
beantwortet werden? Schließlich besteht ein enger Sachzusammenhang zwischen diesen beiden Fragen. Dann
möchte ich gerne nachfragen.
Sind Sie damit einverstanden, Frau Staatssekretärin?
Das mache ich gerne.
Ich rufe nun auch die Frage 23 des Kollegen
Dr. Anton Hofreiter auf:
Was ist Gegenstand der Untersuchung, die angeblich wohl
drei Jahre in Anspruch nehmen soll ({0}), und inwieweit ist die RMD Wasserstraßen GmbH bzw. die RMD-Consult GmbH Wasserbau und
Energie in das Verfahren der Untersuchungsvergabe eingebunden?
Die Untersuchung gliedert sich neben einer Datenerhebung sowohl in ökologische als auch in technische
Fragestellungen. Aufgrund der bestehenden Verträge
zum Donauausbau koordiniert die Rhein-Main-Donau
Wasserstraßen GmbH die variantenunabhängige Untersuchung zum Ausbau der Donau zwischen Straubing
und Vilshofen.
Sie haben jetzt die Möglichkeit zu insgesamt vier
Nachfragen, bitte.
Die Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH ist
nicht neutral. Meine erste Nachfrage lautet: Wie soll
denn sichergestellt werden, dass das Untersuchungsprogramm, das ausgeschrieben wird, der Problemlage gegenüber angemessen ist? Es ist allgemein bekannt, dass
die Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH das Interesse hat, eine bestimmte Variante, nämlich C 280,
durchzusetzen.
Herr Hofreiter, die Rhein-Main-Donau Wasserstraßen
GmbH hat den Auftrag, dafür zu sorgen - auch aufgrund
von Verträgen mit der Bundesregierung -, die Unterlagen - dazu gehört auch die Untersuchung - zu erstellen.
Auch die EU-weite Ausschreibung wird von der RheinMain-Donau Wasserstraßen GmbH koordiniert und entschieden. Dafür ist diese Organisation zuständig.
Ihre zweite Nachfrage, bitte, Kollege Hofreiter.
Ich weiß, dass diese Organisation dafür zuständig ist.
Danach habe ich nicht gefragt. Meine Nachfrage war,
wie die Bundesregierung sicherstellen will, dass das
neutral gehandhabt wird. Schließlich handelt es sich bei
dieser Organisation nicht um einen neutralen Spieler.
Welche Sicherungen sehen Sie vor, sodass es nicht eine
Pseudountersuchung wird und das Ergebnis von vornherein feststeht? Es ist ja bekannt, welches Ergebnis
diese Organisation haben will.
Die Bundesregierung teilt Ihre Unterstellung nicht.
Ihre dritte Nachfrage.
Weiß die Bundesregierung, wann das Untersuchungsprogramm der Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH
veröffentlicht wird, und ist es der RMD völlig selbst
überlassen, die Ausschreibungsunterlagen zu erstellen
und festzulegen, wer letztendlich die Ausschreibung gewinnt?
Herr Kollege Hofreiter, die RMD wurde beauftragt,
das Programm zu erstellen und die Vorbereitungen für
die Ausschreibung zu treffen; es ist schließlich ein kompliziertes Untersuchungsverfahren. Das wird auch mit
unserer Fachebene abgesprochen. Wir haben keinen Anlass, zu glauben, dass die RMD im Auftrag der Bundesregierung keine variantenunabhängige Untersuchung gewährleistet.
Sie haben die Möglichkeit zu einer vierten Frage.
Stimmen Sie mir zu - ich glaube allerdings nicht, dass
Sie das tun -, dass das Bundesverkehrsministerium wunderbar naiv vorgeht und Ihnen in Niederbayern noch
nicht einmal Ihre eigenen SPD-Abgeordneten glauben,
dass Sie die RMD für neutral halten?
Die Bundesregierung geht aufgrund des Vertrags, der
mit der RMD geschlossen worden ist, davon aus, dass
das, was die Bundesregierung verlangt, nämlich eine variantenunabhängige Untersuchung des Donauausbaus zu
gewährleisten, auch erfolgt. Ich gehe davon aus, dass sozialdemokratische Abgeordnete in Bayern diesen Vorgang mit Interesse verfolgen und dabei auch deutlich
machen werden, dass wir im Interesse dieses Ausbaus
die variantenunabhängige Untersuchung begleiten. Auch
Sie werden das sicherlich tun.
Wir kommen damit zu Frage 24 des Kollegen Rainder
Steenblock:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Einschätzung des niedersächsischen Landwirtschaftsministers
Hans-Heinrich Ehlen, CDU, dass die geplante Elbvertiefung
die Elbfischerei bedrohe ({0})?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Sehr verehrter Kollege Steenblock, Sie haben schon
eine ganze Reihe von Fragen zur Anpassung der Fahrrinnen der Elbe gestellt. Ihre vorliegende Frage beantworte
ich wie folgt: Ein fischereiwirtschaftliches Gutachten ist
Bestandteil des Planfeststellungsverfahrens für die Fahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe für tiefgehende Containerschiffe bis zu 14,5 Metern. Es beruht
neben der Auswertung von wissenschaftlichen Erkenntnissen maßgeblich auf der Befragung von Fischern.
Nach dem Gutachten sind keine andauernden negativen
wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Fischereiwirtschaft durch die Fahrrinnenanpassung zu erwarten. Die
Belange der Fischerei werden im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens in die Abwägung und Entscheidung
durch die Planfeststellungsbehörde miteinbezogen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, zunächst einmal vielen Dank
für die Antwort. Meine Frage bezog sich stärker auf die
Äußerung des niedersächsischen Landwirtschaftsministers, Herrn Ehlen von der CDU, aus Sicht der Fischerei
sei die Elbvertiefung abzulehnen. Ihre Antwort auf
meine Frage muss ich so interpretieren, dass der niedersächsische Landwirtschaftsminister, der für die Fischerei
zuständig ist, die Gutachten der Bundesregierung nicht
richtig versteht; sonst würde er zu einer anderen Auffassung kommen. Aber sämtliche Elbfischer, die bei dem
Termin mit dem niedersächsischen Landwirtschaftsminister anwesend waren, haben diese Aussagen bekräftigt.
Wie können Sie den Widerspruch zwischen den Aussagen der Fischer und des zuständigen Ministers und Ihren
Ausführungen eben erklären?
Kollege Steenblock, die Bundesregierung nimmt keine
Stellung zu Aussagen von Landesministern und nachgeordneten Dienststellen.
Was den Inhalt Ihrer Frage angeht, so ist zu sagen,
dass es vier Fischer gewesen sein sollen - ich war nicht
dabei -, die die Möglichkeit hatten, sich im Rahmen des
Gutachtens zu äußern.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, einmal angenommen - wir können das heute nicht endgültig entscheiden -, weitere Prüfungen während des Planfeststellungsverfahrens würden
ergeben, dass die Fischerei tatsächlich unter der Elbvertiefung leidet: Stellt die Bundesregierung Überlegungen
an, der Fischerei eine Entschädigung - einen Ausgleich
oder eine Kompensation - zu zahlen, falls Beeinträchtigungen tatsächlich nachgewiesen werden sollten?
Herr Kollege Steenblock, im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens werden auch die Argumente im Gutachten einbezogen werden. Sollte es so sein, dass Nachteile für die Fischerei entstehen, werden im Rahmen des
Planfeststellungsverfahrens - ich glaube, das wissen
Sie - auch Maßnahmen erörtert, die gegebenenfalls zu
Entschädigungsleistungen führen. Aber im Moment gibt
es dazu keinen Anlass.
Damit kommen wir zur Frage 25 des Kollegen
Rainder Steenblock.
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Forderung des niedersächsischen Umweltministers Hans-Heinrich
Sander, FDP, nach Vermessungen der Elbe, um die tatsächliche Tiefe der Fahrrinnen festzustellen ({0})?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Diese Frage ist ebenfalls nicht ganz einfach zu beantworten. - Die Fahrrinne der Elbe wird im Rahmen der
Verkehrssicherungspflicht der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung regelmäßig gepeilt. Den Planungen für die
Anpassung der Fahrrinnen von Unter- und Außenelbe
für 14,5 Meter tief gehende Containerschiffe liegen daher genaue Kenntnisse der Tiefensituation der Elbe zugrunde. Aus den Planungsunterlagen wird ersichtlich,
dass eine Vertiefung nur in einzelnen Abschnitten vorgesehen ist; in anderen Bereichen sind größere natürliche
Tiefen vorhanden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Es geht - um das anzufügen - nicht nur um eine Vertiefung, sondern auch um eine Verbreiterung der Elbe;
das ist für die Schiffe relevant.
Frau Staatssekretärin, ich kenne mich in der Region
relativ gut aus. Sie waren ja auch schon einmal dicht
dran, in Hamburg. Ich weiß nicht, ob Sie Kontakt zu
Leuten haben, die die Elbe ständig befahren. Man hört
eigentlich von allen Praktikern, dass die Karten, die vom
Bund zur Verfügung gestellt werden, nicht die realen
Tiefenverhältnisse der Elbe aufzeigen. Die Leute, die
sich damit besser auskennen als ich - ich vermesse nicht
immer den Grund der Elbe -, sind sich sehr einig, dass
die Planungsgrundlagen völlig falsch sind. Die Elbe hat
sich durch die Vertiefung verändert, und die aktuellen
Unterlagen geben das nicht wieder. Wenn das so ist, ist
das für den Bund, der hier immerhin eine halbe Milliarde
Euro ausgibt, entscheidend, weil nämlich aufgrund nicht
festgestellter Tiefen geplant wird. Können Sie sagen,
wann die letzten Vermessungen der Elbe an den relevanten Punkten, wo ausgebaggert werden soll, stattgefunden
haben?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Steenblock, ich habe gerade ausgeführt,
dass die Elbe regelmäßig gepeilt wird, nicht nur aktuell
vor dem Hintergrund des Planfeststellungsverfahrens.
Natürlich wissen wir, dass sich die Elbe durch den Wasserverlauf verändert. Deshalb ist die ständige Peilung
nötig; das wird regelmäßig gemacht. Wir gehen davon
aus, dass im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens die
Daten, die dafür notwendig waren, vorgelegt worden
sind.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Frage.
Frau Staatssekretärin, das mit der Regelmäßigkeit
habe ich verstanden. Regelmäßig kann aber heißen: zum
1. Januar der Dekade, zu jedem 1. Januar des Jahres, alle
14 Tage oder alle zwei Stunden. Das ist ein Begriff, der
wenig fassbar ist. Könnten Sie noch einmal ein bisschen
deutlicher darstellen, in welchen konkreten Zeitabschnitten welche Teile der Elbe hinsichtlich der Tiefe untersucht werden? Wenn das heute nicht möglich ist, könnten Sie uns diese Daten dann nachträglich zur Verfügung
stellen?
Herr Kollege Steenblock, ich werde das Wasser- und
Schifffahrtsamt bitten, Ihnen über mich die Information
zuzuleiten, wann die letzten Peilungen erfolgt sind, und
auch genau zu sagen, in welchen Abschnitten.
Danke schön.
Dann danke ich der Parlamentarischen Staatssekretärin Karin Roth für die Beantwortung und das Versprechen der Übermittlung der weiteren Informationen.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der
Aktuellen Stunde um 15.35 Uhr.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen FDP, DIE LINKE
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Auswirkungen der Entscheidungslosigkeit der
schwarz-roten Koalition
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Es wäre schlechterdings undenkbar, dass ein Ereignis wie das, das in den letzten 24 Stunden stattgefunden hat, parlamentarisch nicht aufgearbeitet wird. Ich
bin der Überzeugung: Es ist notwendig und richtig, dass
die Opposition hier gemeinsam eine Aktuelle Stunde beantragt hat.
Bevor ich etwas zu den Ergebnissen, besser gesagt:
Nichtergebnissen der Koalitionsrunde sage, möchte ich
- ganz sicher auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen - Herrn Arbeitsminister Müntefering unseren Respekt zum Ausdruck bringen. Wir wünschen ihm persönlich sehr viel Kraft. Wir hoffen von Herzen - ich denke,
wir dürfen das so sagen -, dass seine Familie diese
schweren Stunden gut überstehen wird. Wir fühlen mit
ihm. Das möchte ich gleich am Anfang über die Parteigrenzen hinweg sagen.
({0})
Herr Minister Müntefering hat für seinen Entschluss,
aus dem Amt zu scheiden, familiäre Gründe angegeben.
Dieser Entschluss wird - das ist unumstritten - erhebliche politische Auswirkungen haben. Man kann lange
über die Ursachen reden. Die politischen Folgen dieses
Rücktritts sind ganz offensichtlich. Wir werden feststellen, dass diese Koalition weiter destabilisiert wird. Sie
hat sich schon am Montagabend im Wesentlichen nicht
mehr bei dem einigen können, was zur Einigung anstand. Diese Koalition verwaltet sich mittlerweile. Sie
trifft sich darin, dass sie einig ist, uneinig zu sein, und sie
hält es schon für einen politischen Erfolg, dass sie nicht
auseinanderplatzt.
({1})
Die Tatsache, dass diese Regierung noch im Amt ist,
ist bedauerlich, aber noch kein Erfolg der Koalition. Ein
Erfolg der Koalition wird daran gemessen, ob etwas Gescheites für Deutschland herauskommt.
({2})
Dass die Koalition ihren eigenen Erfolg augenscheinlich aufgegeben hat und sich letzten Endes nur noch auf
den Wahlkampf vorbereitet bzw. in den Wahlkampf verabschiedet, kann man daran erkennen, dass der SPDVorsitzende, Kurt Beck, nicht in das Kabinett eintreten
will. Er hat das gestern im RTL-Nachtjournal interessant
begründet: Er wolle nicht in die Kabinettsdisziplin von
Frau Merkel eingebunden werden; denn als Minister von
Frau Merkel könne er auch entlassen werden. Das ist
eine wunderbare Charakterisierung dieser Koalition und
ihrer Selbstbefindlichkeit.
({3})
Was haben Sie alles an die Adresse von Herrn Stoiber
gesagt, als er nicht von München nach Berlin gehen
wollte? Der eine will nicht von München nach Berlin
und verweigert sich der Verantwortung, und der andere
will nicht von Mainz nach Berlin und verweigert sich der
Verantwortung. Wo ist der Unterschied? Ihr Stoiber heißt
Beck, meine Damen und Herren von der SPD.
({4})
Sie verwalten sich. Sie sind nicht mehr in der Lage,
zusammenzufinden. Sie haben den Wahlkampf eröffnet.
Das ist mit Sicherheit nicht das, was Deutschland
braucht. Ein Dauerwahlkampf von zwei Jahren, was für
eine schreckliche Vorstellung, nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger, sondern mit Sicherheit auch für viele
Betrachter außerhalb unseres Landes, die sich überlegen,
ob sie in Deutschland investieren und Arbeitsplätze
schaffen sollen!
Meine Damen und Herren, am Montagabend haben
Sie sich in einer Frage geeinigt. Es ist interessant, was
Sie mittlerweile „seriöse Gegenfinanzierung“ nennen.
Sie haben sich darauf geeinigt, dass das Arbeitslosengeld etwas länger gezahlt wird. Dazu will ich zunächst
eine Vorbemerkung machen: Viel vernünftiger als die
längere Begleitung von Arbeitslosigkeit wäre es, alle
Möglichkeiten für eine Beitragssenkung zu nutzen, damit Menschen, die Arbeit suchen, auch Arbeit finden.
({5})
Nicht die längere Begleitung von Arbeitslosigkeit, sondern die Verkürzung von Arbeitslosigkeit ist das Gebot
der Stunde.
Sie haben eine Gegenfinanzierung beschlossen, die
allerdings wirklich ihresgleichen sucht. Sie sagen, es sei
eine solide Gegenfinanzierung, dass Sie die Altersstaffelung verändert haben, sodass 300 Millionen Euro nicht
mehr anfallen. Das heißt, wenn Sie im Gegensatz zu
dem, was Sie ursprünglich beabsichtigt haben,
300 Millionen Euro weniger ausgeben, als Sie ausgeben
wollten, nennen Sie das schon Gegenfinanzierung. Jeder
Unternehmer, der so rechnen würde, wäre längst pleite.
Das ist nur noch absurd.
({6})
Sie wollen jetzt 500 Millionen Euro finanzieren, indem Sie das Geld aus nicht abgerufenen Mitteln der
Bundesagentur beiziehen. Sie vergessen dabei jedoch,
dass es sich hierbei schließlich nicht um Mittel handelt,
die frei sind, sondern dass es sich um Mittel handelt, die
aufgebracht worden sind. Das Allerschlimmste aber ist,
dass es in Wahrheit Einmalerscheinungen im Haushalt
sind. Dass Sie damit Dauerleistungen finanzieren wollen, zeigt, dass Sie sich eine solide Finanzpolitik nicht
einmal vorstellen können, geschweige denn sich darauf
einigen könnten.
({7})
Ich komme zum Schluss. Was die Frage des Mindestlohns angeht - -
Herr Kollege, Sie müssten langsam zum Schluss
kommen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich komme zum letzten Gedanken.
Zum letzten Satz.
Zum letzten Satz. - Ich will dazu einen letzten Satz
sagen. Herr Kollege Lafontaine, meine Damen und Herren, was nützt den Bürgern ein höherer Bruttomindestlohn, wenn diese Regierung den Bürgern netto immer
weniger lässt? Dass jetzt Tarifverhandlungen im Kanzleramt geführt werden sollen, schafft Arbeitslosigkeit,
weil es der Abschied von der Tarifautonomie ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute Morgen hat der federführende Ausschuss für Arbeit und Soziales, wie von den Koalitionsparteien im
Koalitionsausschuss vereinbart, die weitere Senkung des
Beitrags zur Arbeitslosenversicherung auf jetzt 3,3 Prozent beschlossen.
({0})
Wenige Stunden später beantragt die vereinigte Opposition eine Aktuelle Stunde zum Thema „Entscheidungslosigkeit der schwarz-roten Koalition“. Da sollte der unbefangene Zuschauer oder Zuhörer meinen, dass
zumindest diese Entscheidung im Ausschuss einstimmig
gefallen ist, weil die Opposition ja zur Entscheidung
drängte. Aber das Gegenteil war der Fall. Diese weitere
Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags mussten
wir gegen den Widerstand der kompletten Opposition in
diesem Hause im Ausschuss durchsetzen. Das ist die
Wahrheit.
({1})
Selten ist so dreist versucht worden, die Tatsachen zu
verdrehen, wie mit dem Titel dieser Aktuellen Stunde.
Zum 1. Januar 2008 sinken damit die Beiträge zur Sozialversicherung insgesamt auf rund 39,7 Prozent. Sie
werden damit auf deutlich unter 40 Prozent gesenkt und
werden dort auch bleiben. Herr Westerwelle sprach gerade davon, dass die Nettobelastungen immer größer
werden. Seit dem 1. Januar dieses Jahres haben wir mit
der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags von
6,5 Prozent auf 3,3 Prozent die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber um fast 25 Milliarden Euro entlastet. Das sind die
Entscheidungen, die wir treffen. So handeln wir im Interesse dieses Landes, gegen Ihren entschiedenen Widerstand. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
({2})
Wir haben einen weiteren Beschluss gefasst. Dazu
kann die FDP in der Tat sagen - wir haben es gerade gehört -, dass sie immer dagegen war. Wir haben für ältere
langjährige Beitragszahler die Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I kostenneutral verlängert. Das ist im
Koalitionsausschuss beschlossen worden, und wir haben
heute beschlossen, dass dies unverzüglich in einem Bundesgesetz umgesetzt wird. Auch da - jenseits dessen,
was sonst in der Öffentlichkeit behauptet wird - hat die
Große Koalition die Verlängerung der Bezugsdauer für
Ältere gegen den Widerstand der kompletten Opposition
im Deutschen Bundestag beschlossen. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
({3})
Ich sage ganz deutlich: Wir sind dafür, dass die Menschen aktiviert werden. Das war auch immer ein ganz
wesentlicher Punkt in der Argumentation von Franz
Müntefering - ich will mich an dieser Stelle den Worten
von Guido Westerwelle, was den respektablen Abgang
von Franz Müntefering angeht, ausdrücklich anschließen -: Wir müssen die Menschen aktivieren, dürfen sie
nicht in der Passivität belassen.
Der Sozialstaat wird aber nicht ausgebeutet und nicht
überfordert, wenn Menschen, die ein paar Jahrzehnte
lang Beiträge bezahlt haben, ein paar Monate länger Arbeitslosengeld bekommen. Das ist nichts weiter als sozial gerecht. Deswegen haben wir das beschlossen.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Thema Post-Mindestlohn noch etwas sagen. Es ist ja besonders interessant, dass auch von der FDP diese Aktuelle Stunde unter der Überschrift „Entscheidungslosigkeit“ beantragt worden ist. Sie von der FDP haben uns
über Monate aufgefordert, unter allen Umständen
- komme, was da wolle - eine Entscheidung zu einem
Mindestlohn für Briefträger nicht zu treffen. Unsere
Position als Unionsfraktion war immer eine andere. Wir
haben immer zu dem gestanden, was die Große Koalition im Koalitionsausschuss und was die Regierung in
Meseberg vereinbart hat.
Deswegen haben wir angeboten und vorgeschlagen,
tarifliche Mindestlohnregelungen für diejenigen zu treffen, die überwiegend Briefdienstleistungen erbringen.
Ich frage mich auch im Hinblick auf das, was der SPDVorsitzende dazu gesagt hat: Was ist eigentlich so unglaublich daran, einen Mindestlohn für Briefdienstleister
auf diejenigen zu erstrecken, die überwiegend Briefdienstleistungen erbringen? Ja, für wen denn sonst? Um
die geht es doch! Unser Vorschlag war, das genau so zu
machen.
({5})
Die Tür steht an dieser Stelle offen. Wir sind weiter
bereit, auf der Basis dessen, was wir in Meseberg dazu
vereinbart haben und was wir vorgeschlagen haben, hier
zu einer Lösung zu kommen; denn wir verkennen nicht,
dass es Probleme gibt. Wir sagen ganz deutlich: Wir
wollen in diesem Land einen Wettbewerb um Qualität,
um Innovation, nicht einen Wettbewerb um möglichst
niedrige Löhne. Deswegen stehen wir bereit für eine Regelung für diejenigen, die überwiegend Briefdienstleistungen erbringen.
({6})
Der Vorrat an Gemeinsamkeiten in der Großen Koalition ist nach meiner Einschätzung auch auf dem Gebiet
„Arbeit und Soziales“ noch lange nicht aufgebraucht.
({7})
Wir sitzen zusammen, auch in einer Runde, die sich um
das Thema der Mitarbeiterbeteiligung kümmert. Herr
Kollege Scholz ist dort Verhandlungsführer für die Sozialdemokraten. Das ist eine sehr konstruktive Verhandlung, ein konstruktives Miteinander. In diesem Sinne
freue ich mich auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit
auch mit einem neuen Minister.
Diese Koalition hält Kurs. CDU und CSU sorgen dafür, dass diese Regierung, die in der Arbeitsmarktpolitik
erfolgreich ist, auch weiter eine stabile, erfolgreiche
Politik macht.
({8})
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kollege Oskar Lafontaine.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Für unsere Fraktion möchte ich Sie durchaus
vom Vorwurf der Entscheidungslosigkeit freisprechen.
Sie haben Entscheidungen getroffen, aber es waren, wie
üblich, die falschen Entscheidungen.
({0})
Über Ihre falschen Entscheidungen möchte ich jetzt
sprechen.
Erste Entscheidung: Arbeitslosengeld I. Es ist zwar
zu begrüßen, wenn eine leichte Verbesserung eintritt,
aber diese leichte Verbesserung wird wiederum mit einer
ganzen Reihe von Erschwernissen erkauft, die sozialpolitisch überhaupt nicht gerechtfertigt sind.
({1})
Ich wiederhole: Wenn ein älterer Arbeitnehmer, der
einen Durchschnittslohn bezieht, in seinem langen Arbeitsleben, über 50 Jahre, 60 000 Euro einbezahlt und
nach Ihrer Regelung im Fall der Arbeitslosigkeit nur
10 000 Euro zurückbekommt - jetzt soll es etwas mehr
werden -, dann ist das nach wie vor ein absolut unbefriedigender Zustand. Wir werden uns mit dieser Enteignung der älteren Arbeitnehmer nicht abfinden. Die
älteren Arbeitnehmer müssen länger und mehr Arbeitslosengeld erhalten.
({2})
Zweiter Punkt: gesetzlicher Mindestlohn, in diesem
Fall bei der Post. Dies ist schon gravierender. Da haben
Sie tatsächlich wiederum eine Entscheidung getroffen,
die allerdings sehr nachdenklich stimmt. Sie haben diesen Mindestlohn abgelehnt und tragen dafür die volle
Verantwortung. Wenn ein Koalitionspartner in dieser
Frage der Kanzlerin Wortbruch vorwirft, dann stellt sich
doch die Frage, ob man mit jemandem als Regierungschef zusammenarbeitet, den man des Wortbruchs bezichtigt. Wer nämlich dazu in einer so wichtigen Frage fähig
ist, der wird sich auch weiterhin so verhalten. Aber das
ist Ihre Angelegenheit. Ein solches Verhalten ist aber
nicht verwunderlich: Wer am Beginn gegenüber allen
Wählerinnen und Wählern - Stichwort Mehrwertsteuererhöhung - im großen Umfang Wortbruch begangen hat,
der wird auch untereinander so handeln. Genau das ist
Ihr Problem.
({3})
Verlässlichkeit und Geradlinigkeit sind bei dieser Koalition nicht festzustellen.
Nach wie vor ist es so, dass in Deutschland Ausbeuterlöhne gezahlt werden. Die Verantwortung trägt dafür
im Wesentlichen die Christlich Demokratische Union.
Wenn ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Christlich Demokratischen Union, eine
Empfehlung geben darf: Lesen Sie einmal nach, was in
der christlichen Soziallehre über den gerechten Lohn
steht! Sie verhindern seit vielen Jahren einen gerechten
Lohn in Deutschland. Sie sind für Ausbeuterlöhne verantwortlich und sollten sich einmal darauf besinnen, was
Christentum eigentlich in der Politik heißt.
({4})
- „Ausgerechnet Sie!“ Sie wissen doch überhaupt nicht
mehr, was in der christlichen Soziallehre steht. Ihre
ganze Politik steht im eklatanten Widerspruch zur christlichen Soziallehre.
({5})
Zum letzten Punkt. Sie verkünden mit Stolz, dass Sie
die gesetzlichen Lohnnebenkosten gesenkt haben, indem
der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf
3,3 Prozent verringert wird. Es handelt sich um eine Entlastung in Höhe von 25 Milliarden Euro. Sie haben aber
vergessen, was dies eigentlich heißt; Sie verdrängen es
regelrecht. In fast allen Interviews, die ich an diesem Tag
gehört habe, war nur von der Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Rede. Damit es in diesem Hause einmal gesagt wird, lese ich vor, was die
Schule des Ordoliberalismus zu diesem Mythos Arbeitgeberanteil schreibt - das ist Ihnen, Herr Kollege
Westerwelle persönlich gewidmet -:
... heute wird vielmehr der weitaus größte Teil des
Sozialaufwandes direkt und indirekt von den Arbeitern selber getragen.
Denn auch der Teil, der formell als Unternehmerbeitrag
gezahlt wird, geht in Wirklichkeit vom Lohn ab. Um so
viel, wie der Unternehmer an Sozialbeiträgen zahlen
muss, kann er an Lohn weniger zahlen.
({6})
Auch das geht also auf Kosten der Arbeiter. Das sagt
Alexander Rüstow. Das ist skandalös. Sie haben es überhaupt nicht verstanden. Sie sind eine brutale Koalition
der Umverteilung. Ohne jeden Grund werfen Sie Milliarden den Arbeitgebern hinterher, die ordentliche Gewinne erwirtschaftet haben. Dies geht ausschließlich zulasten der Arbeitnehmer. Sie merken es noch nicht
einmal. Das ist Ihr Problem in der Großen Koalition.
({7})
Es besteht ein großes Ausmaß an Umverteilung - Sie
haben die Zahlen selbst genannt -: rund 13 Milliarden
Euro für die Unternehmer aufgrund der Senkung bei den
Lohnnebenkosten, rund 8 Milliarden Euro Entlastung
aufgrund der Unternehmensteuerreform und auf der anderen Seite die Erhöhung der Mehrwertsteuer in der gleichen Größenordnung. Das ist nichts anderes als eine brutale Umverteilung. Das Schlimme dabei ist: Sie merken
es noch nicht einmal.
Wenn Sie darauf verweisen, dass die Arbeitnehmer
jetzt einen geringeren Beitrag zahlen, so muss man sagen, dass dies letztendlich die Arbeitslosen mit dem Bezug geringerer Leistungen und die jetzt aktiv Beschäftigten bezahlen, wenn sie einmal arbeitslos werden.
Deshalb möchte ich mit der Bemerkung schließen:
Für Millionen Arbeitnehmer und Arbeitslose waren dies
schlechte Entscheidungen. Sie verweigern nach wie vor
einen gesetzlichen Mindestlohn - auch für die Postbediensteten -, der für uns ein Anliegen der Menschenwürde ist. Was es mit den sogenannten Lohnnebenkosten
auf sich hat, dazu habe ich Ihnen die Stellungnahme einer unverdächtigen Quelle vorgetragen. Das ist eine brutale Umverteilung. Sie sind aber nicht in der Lage, dies
zu begreifen.
({8})
Nun erteile ich für die Bundesregierung das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Gerd Andres.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will zunächst ein Wort an die Adresse von
Herrn Westerwelle sagen. Ich fand Ihre Worte des Respekts für meinen Minister zu Beginn Ihrer Rede richtig
und gut. Aber ich hätte mir gewünscht, Sie hätten gestern mit Ihrem Generalsekretär gesprochen, bevor er sich
öffentlich geäußert hat.
({0})
Ich fand bestimmte Teile seiner Äußerungen und seinen
Versuch, diese politisch zu unterlegen, schlicht unanständig.
({1})
Es gibt für diese Aktuelle Stunde drei Antragsteller.
Einer hat sich sozusagen von der Entscheidungslosigkeit
schon verabschiedet. Denn zu behaupten, es gebe eine
Entscheidungslosigkeit, ist schlichter Unsinn.
({2})
Am Montag sind nämlich eine ganze Reihe von Entscheidungen gefallen. Es sind Entscheidungen zum
Arbeitslosengeld I gefallen, es sind Entscheidungen zur
Unfallversicherung und zur Einführung eines Bonus für
Arbeit, eines Erwerbstätigenzuschusses, gefallen.
Zunächst einmal zu den Veränderungen beim Arbeitslosengeld I. Hier haben die Koalitionspartner eine längere Zahldauer verabredet: 15 Monate für über 50-Jährige, 18 Monate für über 55-Jährige und 24 Monate für
über 58-Jährige. Dieser Beschluss ist gekoppelt an zusätzliche Anstrengungen bei der Aktivierung älterer Arbeitsloser. Von den bisher nicht verwendeten Eingliederungsmitteln bei der Bundesagentur in Höhe von rund
700 Millionen Euro wird ein Betrag von rund 500 Millionen Euro dafür eingesetzt, dass jeder Anspruchsberechtigte einen Eingliederungsgutschein bekommt. Das
ist entweder mit einem konkreten Arbeitsangebot oder
mit dem Auftrag gekoppelt, sich um dessen Einlösung
zu bemühen. Gelingt dies dem Arbeitslosen nicht, wird
für ihn die Verlängerung der Zahlung des Arbeitslosengeldes I durchgeführt.
Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Akzent. Er macht
deutlich: Wir wollen, dass Menschen in Arbeit kommen
und nicht bloß mit Sozialleistungen versorgt werden.
({3})
Teilhabe ist für uns ganz entscheidend.
Die politische Absicht, diese Veränderungen vorzunehmen, ist Gegenstand eines Änderungsantrages zum
Sechsten SGB-III-Änderungsgesetz, das in dieser Woche
hier beraten wird. Wir werden dazu gleichzeitig einen
entsprechenden Entschließungsantrag einbringen.
Ebenfalls in den Anträgen enthalten sein wird die
weitere Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversi13068
cherung; es ist schon darauf hingewiesen worden. Noch
2005 lag der Arbeitslosenversicherungsbeitrag bei
6,5 Prozent. Wenn wir diesen jetzt zum 1. Januar 2008
auf 3,3 Prozent senken, dann bedeutet dies gegenüber
2005 eine Entlastung von 23,4 Milliarden Euro für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber.
Damit ist am Binnenmarkt mehr Geld für Investitionen
und Konsum und damit für steigende Chancen auf Arbeit verfügbar.
Ich muss mich schon sehr wundern: Ich kann mich an
Zeiten erinnern, in denen der Massenkaufkraftökonom
Oskar Lafontaine über eine solche Entwicklung öffentlich in jeder Rede, die er dazu gehalten hätte, gejubelt
hätte.
({4})
- Ja, das ist schon lange her. Man trifft sich ja im Leben
häufig mehrmals. Ich kann mich an viele nette Reden
und Begegnungen erinnern. - Ich finde, wir haben hier
einen ziemlich großen Erfolg vorzuweisen.
Außerdem wurde am Montagabend eine politische
Einigung darüber getroffen, dass wir einen Erwerbstätigenzuschuss mit Kinderkomponente schaffen. Wir haben damit politisch festgelegt, dass wir dieses Instrument einsetzen, um Erwerbsarbeit attraktiver zu machen,
und dass wir dieses Instrument mit dem schon bewährten
Kinderzuschlag verbinden wollen. Wir werden dafür
1 Milliarde Euro aus dem Haushalt der Bundesagentur
und weitere 200 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung stellen. Die Arbeitsgruppe der beteiligten Ministerien wird weiter an diesem Projekt arbeiten.
Als ein weiteres Projekt, das das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales betrifft, ist am Montagabend die
Reform der Organisation der gesetzlichen Unfallversicherung in ihren Grundzügen gebilligt worden. Die Vorbehalte, die es insbesondere von bayerischer Seite gegeben hat, konnten ausgeräumt werden.
Sie sehen, diese Koalition trifft Entscheidungen im
Interesse des Landes und der Menschen.
({5})
Aber ich will Ihnen nicht verhehlen, dass die Ergebnisse
des Koalitionsausschusses in anderen Punkten für mich
nicht zufriedenstellend sind. Das gilt auch für das Ressort, das ich hier vertrete.
({6})
Dass es keine Einigung beim Mindestlohn für Briefzusteller gegeben hat, wird der Herausforderung, vor der
wir stehen, meiner Meinung nach nicht gerecht.
({7})
Zum 1. Januar 2008 fällt in Deutschland das Monopol
für Briefdienstleistungen. Andere europäische Länder
haben das um mehrere Jahre nach hinten verschoben wir nicht. Das heißt, nach dem 1. Januar 2008 können
ausländische Unternehmen auf dem deutschen Markt aktiv werden; ich füge hinzu: auch mit Dumpinglöhnen.
Dem sollte die Ausweitung des Entsendegesetzes einen
Riegel vorschieben. Das haben wir auch in der Koalition
vereinbart. Dann hat es einen Tarifvertrag und einen Antrag auf Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit gegeben. Wir haben das Weitere in die Wege geleitet. Für das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales nehme ich
ausdrücklich in Anspruch, dass wir dabei sauber gearbeitet haben.
({8})
Dass sich der Koalitionspartner offensichtlich für
Lobbyinteressen einspannen lässt und eine Lösung für
die Betroffenen verweigert, ist aus unserer Sicht ärgerlich.
({9})
Ich bleibe bei der Auffassung, dass wir die betroffenen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Branche
nicht im Stich lassen dürfen.
Ein zweites Thema haben wir im Koalitionsausschuss
nicht klären können. Es geht dabei um die Frage, wie wir
nach Auslaufen der 58er-Regelung zum 1. Januar 2008
mit den Arbeitslosen verfahren, die in einem Alter sind,
in dem sie bereits Anspruch auf Rente haben.
({10})
Aufgrund der gegenwärtigen Regelung gilt künftig: Wer
Anspruch auf eine Rente hat, wenn auch mit Abschlägen, wird auf diese Rente verwiesen; denn Leistungen
nach dem SGB II - Stichwort „Sozialsystem“ - sind
grundsätzlich nachrangig. Es greift erst, wenn alle anderen Systeme nicht herangezogen werden können. Ich
will ausdrücklich sagen, dass die Nachrangigkeit dieses
Systems mit Parteien, die sich heute in der Opposition
befinden, früher verabredet worden ist.
({11})
Das BMAS hat einen Vorschlag hierzu gemacht, um
Härten zu mildern. Wir wollen, dass die Betroffenen auf
jeden Fall ein Jobangebot bekommen und diejenigen, die
binnen sechs Monaten Aussicht auf Vermittlung oder
Anspruch auf eine abschlagsfreie Rente haben, ausgenommen werden.
({12})
Der Koalitionspartner wollte diesen Vorschlag nicht mittragen. Weitere Gespräche sind zwischen den Fraktionen
aber vereinbart worden.
({13})
Im Sinne der betroffenen Menschen wollen und müssen
wir zu einer Regelung kommen.
Jedermann kann sehen, dass wir in der Koalition an
der Lösung konkreter Probleme arbeiten. In dieser Woche haben wir eine ganze Menge Probleme gelöst.
({14})
Wir haben aber auch noch offene Probleme vor uns, mit
denen wir uns auseinandersetzen müssen. Ich finde, wir
sind entscheidungsfähig. Wir treffen Entscheidungen. Es
gibt aber auch Bereiche, die auf der Tagesordnung bleiben müssen, weil die Koalitionspartner diesbezüglich
noch nicht zu einer Einigung gekommen sind. Ich sage
Ihnen: Diese Koalition hat die Kraft, die Dinge zu gestalten. Wir müssen diese Kraft einsetzen und dürfen
nicht hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben.
Ich appelliere an alle, ihre Kraft für gemeinsame Lösungen im Sinne der betroffenen Bürgerinnen und Bürger einzusetzen. Herr Brauksiepe beispielsweise hat gesagt, dass wir weiter darüber reden werden. Ich finde,
das ist genau das Gegenteil von Entscheidungslosigkeit.
Das ist vielmehr ein vernünftiger Weg, auf dem man
Stück für Stück zu Entscheidungen kommt. Wir arbeiten
an der Lösung der Probleme und werden Entscheidungen treffen.
Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Andres, das, was Sie hier bieten, ist ein Stück aus dem
Tollhaus. Sie nehmen die Redezeit der Bundesregierung,
um hier neun Minuten zu sprechen und wie ein Abgeordneter Ihren Koalitionspartner zu beschimpfen. Das stört
mich nicht weiter;
({0})
Sie nicht und Sie auch nicht. Das ist aber ein Sinnbild
dafür, wie tief diese Koalition mittlerweile zerrüttet ist.
({1})
Sie sprechen als Vertreter der Bundesregierung, beschimpfen aber den Koalitionspartner.
Das passt zu einem anderen Beispiel, zu der Entscheidung von Kurt Beck heute Nacht. Ich persönlich verstehe ja, warum er sich nicht in die Kabinettsdisziplin
einbinden lassen will; denn wenn Frau Merkel die Kühlschranktür aufmacht und soziale Kälte herausströmt, hat
er ein Problem.
({2})
- So ist es in Wahrheit. - Die Tatsache, dass er gesagt
hat, er könnte ja von ihr entlassen werden, zeigt doch,
wie viel Misstrauen es in dieser Koalition gibt. Im normalen Leben lassen sich Menschen bei so etwas scheiden.
({3})
Ich sage Ihnen einmal ganz ehrlich: Das Volk da draußen hat die Nase voll von dem, was Sie seit einigen Wochen hier zur Vorführung bringen. Der Wahlkampf hat
begonnen, kaum dass Sie die Hälfte dieser Legislaturperiode hinter sich haben. Sie haben aber noch eine
Menge Arbeit vor sich. Nach all den Ankündigungen
und der Scheinpolitik sollten Sie endlich anfangen, für
dieses Land und nicht nur für Ihre Wählerklientel zu arbeiten.
({4})
Gerade in Ihre Richtung sage ich: Wir wussten schon
lange - das schrieben alle -, dass von dieser Koalition
eigentlich nach zwei Jahren nichts mehr zu erwarten ist.
Aber dass es so schlimm kommt wie letzten Montag,
war eigentlich auch nicht zu erwarten. Wochenlang haben Sie es hochgezogen und so getan, als würde etwas
kommen, und am Ende haben Sie doch wieder alles vertagt. Das, was Sie getan haben, ist das Gegenteil von
dem, was Sie hier immer behauptet haben.
({5})
- Bei Potemkin - das war Ihr Zwischenruf - stand ja wenigstens noch ein Scheindorf. Das ist der Unterschied.
Hier steht nicht einmal mehr ein Scheindorf.
({6})
Die Bundeskanzlerin hat uns hier und in vielen öffentlichen Ankündigungen gesagt: Alle sollen am Wohlstand teilhaben. - Wenn alle am Wohlstand teilhaben
sollen, dann muss das mehr bedeuten, als dass in dieser
Woche für die Abgeordneten die Diäten erhöht werden.
({7})
Ich stehe dazu, dass wir wie Bundesrichter bezahlt werden sollen. Aber diese Woche ist kein Ruhmesblatt für
die Koalition. Das passt einfach nicht zusammen. Wo ist
denn der Wohlstand für alle? Was ist mit denen, die wenig haben? Was ist mit denen, die bedürftig sind? Für sie
haben Sie gar nichts getan.
({8})
Das sage ich gerade in Richtung der Christlich-Sozialen.
Es ist sehr schön, dass wir Beitragssenkungen auf
3,3 Prozent haben.
({9})
- Warum haben wir dagegengestimmt? Herr Brauksiepe,
so viel Zeit für eine Antwort muss sein. Wir haben dagegengestimmt, weil Sie in diesem Paket noch das eine
oder andere Verbrechen oder die eine oder andere Fehlleistung, zum Beispiel beim ALG I, mit verpackt haben.
({10})
Ich sage Ihnen dazu: Wir sind der Auffassung - auch
wenn ich vielen das Geld gönne -, dass das nicht der
zentrale Punkt war. Was ist mit den Bedürftigen, die
noch heute ohne eine bedarfsdeckende Regelleistung leben? Was ist mit der Tatsache, dass jedes zehnte Kind in
Armut lebt? Was sagen die Christsozialen dazu? Das ist
die Frage dieser Woche.
({11})
Deshalb ist es richtig, zu sagen: In dieser Woche gleichzeitig die Diäten zu erhöhen, geht einfach nicht.
({12})
In Wahrheit steckt immer noch die Attitüde einer Angela
Merkel vom Leipziger Parteitag dahinter, auf dem sie
gesagt hat: Das Soziale muss man sich erst mit Profiten
erarbeiten.
({13})
Dahinter steckt immer noch eine neoliberale Attitüde der
CDU/CSU, auch wenn Sie sich immer anders gerieren.
({14})
Was ist bei Ihrem Koalitionsausschuss herausgekommen? Vielleicht nicht ganz das, was Sie sich wünschen.
Gott sei Dank!
({15})
- Herr Westerwelle, das sei mir erlaubt: In dem, was die
beschlossen haben, steckt nicht mehr, als das, was dieser
selbsternannte Arbeiterführer in Gestalt des NRW-Ministerpräsidenten von sich gibt.
({16})
Wohlstand für alle heißt bei Ihnen: Verteilungspolitisch geht es erst einmal zugunsten der gut verdienenden
Arbeitnehmer. Sie werden beim ALG I bessergestellt.
ALG-II-Empfänger erhalten weiterhin die niedrigen Regelleistungen, und es bleibt bei der drohenden Zwangsverrentung. Was haben Sie getan? Sie haben geschoben.
({17})
- Nein, das haben wir nicht beschlossen.
({18})
Sie haben jetzt angekündigt, wie die rigide Praxis bei
der Zwangsverrentung sein soll. Das heißt für jemanden,
der 1 000 Euro Rente erhalten wird, dass er in 15 Jahren
ungefähr 32 000 Euro verliert. Das ist Christlich-Soziale
Union. Bewegen Sie sich endlich! Entscheiden Sie einmal etwas, und zwar für die Ärmsten der Armen, auch
für diese Rentner.
({19})
Man könnte das noch weiterführen bezüglich des Erwerbszuschusses für Geringverdiener und bei der Frage,
wann Sie endlich beschließen, die 200 Millionen Euro
für die Kinder auszugeben. Sozialpolitik und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert müssten heißen, unten abzusichern, einen Mindestlohn, ein Progressivmodell und eine
gute Existenzsicherung zu schaffen.
Stattdessen ist Angela Merkel quasi als Naturalleistung gegenüber den Medien, die sie unterstützen, in die
Knie gegangen. Sie haben immer gesagt: Schröder ist
der Kanzler der Bosse. Ich sage: Das, was Frau Merkel
und die CDU/CSU gemacht haben, ist der größtmögliche Bückling, der im Kanzleramt jemals gemacht wurde.
({20})
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Das ist mein letzter Satz. - Sie verweigern den Mindestlohn zugunsten der PIN AG, zugunsten von Springer
und Holtzbrinck. Schauen Sie einmal, in wessen Anwaltsbüro Herr Pofalla, der sich da einmischt, arbeitet.
Dann können Sie das zur WAZ-Gruppe weiterverfolgen,
die bei der PIN AG Hauptanteilseigner ist. Das ist das
Soziale bei Ihnen. Sie unterstützen die, die Hungerlöhne
zahlen und ihre Arbeitnehmer zu Demonstrationen zwingen.
Frau Kollegin.
Ich sage Ihnen: Tun Sie endlich einmal etwas fürs
Land. Jeder Tag, den wir einem Wahltag näher kommen,
nach dem diese Koalition aufhört, ist ein guter Tag für
Deutschland.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Michael Fuchs das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Verehrter
Herr Kollege Andres, zunächst zu Ihnen. Ich stimme Ihnen völlig zu, wenn Sie den Kollegen Westerwelle für
seine Äußerungen zu Franz Müntefering loben.
({0})
Ich stimme Ihnen ferner zu, wenn Sie gleichzeitig Herrn
Niebel tadeln. Aber dann möchte ich auch, dass Sie Ihren Parteifreund Thierse tadeln. Ich zitiere aus dem Interview von Herrn Thierse in der Leipziger Volkszeitung:
Es ist eine unpolitische Entscheidung, dass Franz
Müntefering seine Frau in der letzten Phase ihres
Lebens direkt begleiten will. Seine Frau im Dunklen in Ludwigshafen sitzen zu lassen, wie es
Helmut Kohl gemacht hat, ist kein Ideal.
({1})
Meine Damen und Herren, Herr Thierse sollte sich schämen. Das ist eines Bundestagsvizepräsidenten unwürdig.
Daher sollte er zurücktreten.
({2})
So geht es wirklich nicht. Wir sind uns darin einig, dass
das, was Herr Niebel gesagt hat, nicht in Ordnung ist.
Das, was Herr Thierse geäußert hat, ist aber mindestens
genau so widerlich.
({3})
Aber zum Thema. Verehrter Herr Kollege
Westerwelle, ich bin mir sehr häufig mit Ihnen einig,
aber nicht immer. Am vergangenen Wochenende habe
ich ein Interview mit Ihnen gelesen, in dem Sie mit
wahrhaft biblischen Worten den Linksruck der Koalition
prophezeit haben. Aber wie so häufig haben Sie sich getäuscht. Sie haben in diesem Interview auch behauptet,
die CDU/CSU sei vom „Lafontaine-Virus“ befallen.
Dies können Sie allenfalls bei Frau Künast, wie man an
ihrer Rede sehen konnte, feststellen, aber sicherlich nicht
bei uns.
({4})
Es ist Herbst, da werden manche depressiv, vor allen
Dingen diejenigen, die schon etwas länger auf der Oppositionsbank sitzen. Der eine oder andere bekommt vielleicht auch die Grippe. Aber Sie können davon ausgehen, dass wir gegen linke Bazillen absolut resistent sind.
({5})
Meine Damen und Herren, zu den Beschlüssen der
Koalition möchte ich Folgendes sagen - ({6})
- Wenn ich von Bazillen spreche, meine ich Krankheitserreger.
({7})
Aber zu den Beschlüssen des Koalitionsausschusses
von diesem Wochenende: Ich bin froh, dass diese Beschlüsse gefasst wurden. Wir haben endlich etwas erreicht, das wirklich allen Menschen in diesem Lande zugutekommt, die arbeiten und damit den Aufschwung
überhaupt erst ermöglichen. Das ist wichtig. Wir haben
die Lohnzusatzkosten um 3,2 Prozentpunkte gesenkt.
Von 6,5 Prozent kommen wir jetzt auf 3,3 Prozent. Das
hilft allen. Schauen Sie nur in die Bild. Frau Köttker und
Herr Hoeren haben eine wunderschöne Tabelle mit dem
Titel „So viel mehr bleibt netto übrig!“ gemacht. Genau
das wollen wir erreichen, und genau das haben wir erreicht. Das scheint Ihnen, Herr Westerwelle, entgangen
zu sein.
({8})
Zum Thema Postmonopol. Frau Nahles, ich habe auf
Spiegel Online gerade eine Aussage von Ihnen gelesen,
wonach „die Schonfrist vorbei“ sei, wenn Zusagen nicht
mehr eingehalten würden.
({9})
Welche Zusagen sind denn nicht eingehalten worden?
({10})
Ich zitiere aus dem Koalitionsbeschluss von Meseberg:
Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der
Postmärkte zum 1.1.2008 wird die Branche der
Postdienstleistungen noch in 2007 in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen, wenn die
Tarifpartner einen entsprechenden gemeinsamen
Antrag stellen. Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass über 50 % der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in der Postbranche tarifgebunden
sind.
Dies ist aber nicht der Fall. Wir hatten letzte Woche
im Deutschen Bundestag eine Anhörung. Dort hat ein
Vertreter des DPV gesagt, dass nur 4 500 Mitarbeiter
diesem Tarifvertrag unterliegen würden. Gott sei Dank
gibt es noch ein paar Menschen mehr, die im Postzustellungsbereich tätig sind. Damit ist aber die 50-ProzentHürde nicht erfüllt. Somit hat der Koalitionsausschuss
mit der Entscheidung, die Postbranche nicht ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen, einen weisen Beschluss getroffen. Ich fordere die Tarifpartner - dazu gehören die Deutsche Post AG, die PIN Group, TNT und
alle anderen, die in diesem Markt tätig sind - dazu auf,
einen vernünftigen Tarifvertrag auszuhandeln. Dann
kann diese Branche auch ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden. Die CDU/CSU bleibt auch
in diesem Fall dem Koalitionsbeschluss von Meseberg
treu, und das wird auch weiterhin so sein.
({11})
Meine Damen und Herren, mittlerweile sind mehr als
1,5 Millionen Menschen mehr in Arbeit als vor rund
zwei Jahren. Das war das Ziel der Großen Koalition, und
dieses Ziel haben wir erreicht. Diesen Weg sollten wir
gemeinsam weitergehen. Die Beschlüsse, die der Koalitionsausschuss am letzten Wochenende gefasst hat, sind
richtig. Diese Beschlüsse sollten wir alle unterstützen.
Dadurch würden wir den Arbeitslosen am allermeisten
helfen, viel mehr als mit allen möglichen Programmen,
die wir auflegen.
Vielen Dank.
({12})
Herr Kollege, Sie haben im Eifer des Gefechts den
Ausdruck „linke Bazille“ verwandt.
({0})
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich diesen Ausdruck in unserem parlamentarischen Sprachgebrauch lieber nicht hören möchte.
({1})
Nun hat der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die FDPFraktion das Wort.
({2})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Herr Andres - das erkläre
ich wie Guido Westerwelle für die gesamte FDP-Fraktion -, wir haben Respekt vor der persönlichen Entscheidung von Franz Müntefering; dementsprechend hat sich
Dirk Niebel geäußert. Wir wünschen Franz Müntefering
persönlich und seiner Frau alles Gute.
({0})
Viele Menschen haben nach der Wahl gedacht, dass
die Große Koalition in der Lage sei, große Probleme zu
lösen. Jetzt stellen sie allerdings fest: Die Große Koalition ist die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen
Nenner. Die Klammer dieser Koalition war lange Zeit
Franz Müntefering: mit dem Herzen Sozialdemokrat,
mit dem Kopf für die soziale Marktwirtschaft. Nach dem
Rücktritt von Franz Müntefering ist diese Klammer weg.
Die Fliehkräfte innerhalb der Koalition werden größer.
Das werden wir alle spüren, und das wird leider auch unser Volk spüren.
Die SPD hat in dieser Wahlperiode schon ihren dritten
Vorsitzenden. Herr Beck, der gerade mit 94 Prozent zum
Parteivorsitzenden gewählt worden ist, hatte die Möglichkeit, in das Bundeskabinett einzutreten: Vizekanzler
zu werden und das Ressort Arbeit und Soziales zu übernehmen. Als der Vorsitzende der SPD gefragt wurde, ob
er dieses Amt annimmt, hat er erklärt, dass er das nicht
tut. Das ist nicht hinnehmbar, das muss gerügt werden,
und das wird die FDP weiterhin rügen. Denn die SPD
scheint dazu nicht in der Lage zu sein.
({1})
Es hat schon Parteivorsitzende gegeben, die zu Zeiten, als die SPD regiert hat, in das Kabinett eingetreten
sind; das hat zum Beispiel Herr Lafontaine gemacht.
({2})
Sie sind eingetreten und haben Verantwortung übernommen, auch wenn Sie - diese persönliche Anmerkung
werden Sie mir gestatten - zum Glück nicht allzu lange
im Kabinett geblieben sind. Kurt Beck aber übernimmt
diese Verantwortung erst gar nicht, sondern er handelt
wie Edmund Stoiber. Der einzige Grund, nicht ins Kabinett zu gehen, besteht für ihn darin, dass er so besser Opposition gegen die eigene Regierung betreiben kann. Das
kann es nicht sein. Das ist schizophren. Das versteht kein
Mensch. Er könnte gestalten, aber er will opponieren.
Das kann nicht funktionieren. Ich kann nur auf Rheinland-Pfälzisch sagen: Das merken die Leut’!
({3})
Diese Negativentscheidung von Kurt Beck ist die
Vorbereitung der SPD auf die Opposition. Die Aufgabe
der Politik besteht nicht darin, Verantwortung abzulehnen. Sie besteht darin, Verantwortung zu übernehmen. In
der Koalitionsvereinbarung haben Union und SPD beschlossen, sich den großen Herausforderungen zu stellen. In gemeinsamer Verantwortung wollten sie das Land
voranbringen. Beide haben erklärt - Zitat -:
Wir werden unsere parlamentarische Mehrheit für
strukturelle Reformen in Deutschland nutzen, Mut
machen zur Anstrengung und das Vertrauen der
Menschen in die Zukunftsfähigkeit des Landes stärken.
Drei Personen haben den Koalitionsvertrag für die
SPD unterschrieben: Matthias Platzeck, Franz Müntefering
und Elke Ferner. Herr Platzeck ist zurückgetreten, Herr
Müntefering ist zurückgetreten und Frau Ferner läuft innerhalb der SPD nur noch unter „ferner liefen“. So hat
sich die SPD inzwischen auch in ihrer Partei von dieser
Koalition verabschiedet.
Am Montag ist beschlossen worden, dass Ältere länger Arbeitslosengeld I bekommen. Wir als FDP sagen:
Wir wollen Arbeit finanzieren. Hätte man beschlossen,
den Arbeitslosenversicherungsbeitrag deutlicher zu senken, wäre dadurch mehr Arbeit geschaffen worden. Das
ist der Weg, der gegangen werden muss, und diesen Weg
halten wir als FDP für richtig.
({4})
In der Endphase der Regierung Kohl galt das Motto
„Aussitzen!“, in der Endphase der Regierung Schröder
wurde eine ruhige Kugel geschoben.
({5})
In der Stillstandsphase der Großen Koalition sucht Frau
Merkel verstärkt die Flucht von der Innen- in die Außenpolitik.
({6})
In der Innenpolitik sind die Union und Frau Merkel, von
der beispiellosen Steuererhöhungspolitik, die es in den
vergangenen Jahren gegeben hat, abgesehen, ohne Kompass. Die Union ist für Reformen gestartet; doch jetzt, in
der Regierung angekommen, ist sie Verwalter des Status
quo und bewegt sich gemeinsam mit der SPD weiter
nach links. Wir brauchen aber gerade in guten Zeiten
strukturelle Reformen, damit Wachstum und Beschäftigung dauerhaft sind. Was in guten Zeiten nicht gemacht
wird, wird in schlechteren Zeiten nicht geleistet werden
können. Deshalb muss diese Stillstandspolitik ein Ende
haben. Wir brauchen Reformen, wir brauchen mehr
netto, wir brauchen niedrigere Steuern und Abgaben. In
diesem Sinne müssten Sie sich auf den Weg machen.
In der nächsten Sitzungswoche findet die Haushaltsdebatte statt. In den zwei Jahren 2006 und 2007 werden
die Ausgaben des Bundes nicht etwa gesenkt, sondern
um 8,5 Prozent erhöht. Sie müssen sparen, Sie müssen
die Bürger entlasten. Die Zahlen mögen derzeit kaschieren, wenn Sie das Gegenteil davon machen; aber die
Wirklichkeit wird uns alle einholen. Deshalb: Haben Sie
Mut zu Reformen, und setzen Sie sich als Union das eine
oder andere Mal noch für das ursprünglich von Ihnen als
richtig Erkannte ein!
Herzlichen Dank.
({7})
Nun hat das Wort für die SPD-Fraktion die Kollegin
Andrea Nahles.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer eröffnet hier eigentlich den Wahlkampf?
({0})
Wer die Oppositionsredner gehört hat, musste den Eindruck gewinnen, dass ein Teil ihrer Diäten Gagen sind;
denn nichts anderes als Auftritte waren das.
({1})
- Sie sind ja satisfaktionsfähig, Herr Westerwelle. - Sie
können hier noch so sehr das Totenglöcklein der Großen
Koalition läuten, es bleibt dabei: Da ist der Wunsch Vater des Gedankens. Ich möchte das vergleichen mit einem Spiel, das ich aus der Grundschule kenne: Wenn wir
hitzefrei wollten, es aber noch nicht ganz so warm war,
wie wir es gerne gehabt hätten, sind wir gerne mit einem
Feuerzeug an das Thermometer gegangen.
({2})
Aber dieser Trick ist alt, und er ist unserem Lehrer regelmäßig aufgefallen. Also machen Sie sich bitte nicht zu
früh Hoffnungen!
Ich möchte darüber hinaus zur Sache reden; sie ist
heute ein bisschen kurz gekommen. Wir haben festzustellen, dass die FDP die Verlängerung des Bezuges von
Arbeitslosengeld für Ältere allein deswegen ablehnt,
weil ihr alles, was sozial ist, querkommt.
({3})
Wir haben festzustellen, dass die Grünen dem Gespenst der Frühverrentung das Wort reden. Doch diese
haben wir durch die Reformen der letzten Jahre längst
abgeschafft.
({4})
Wir erleben, wie sich die Linkspartei über die Verlängerung des Bezugs des Arbeitslosengeldes I ärgert, weil
wir dies gemacht haben und nicht sie.
({5})
Deswegen sagen wir ganz klar: Wir entscheiden zugunsten der Menschen. Ältere Arbeitslose werden länger
Arbeitslosengeld beziehen; das ist eine gute Nachricht,
die heute nicht untergehen sollte.
({6})
Ich will hier auch klar sagen: Niemand wird dadurch
schlechter gestellt.
({7})
Wir werden die Generationen nicht gegeneinander ausspielen, wie das Jürgen Rüttgers mit seinem Vorschlag
„Jüngere gegen Ältere“ gemacht hat. Wir haben vielmehr in dem entsprechenden Entschließungsantrag ganz
klar vereinbart: Wir werden an dieser Stelle ein positives
Signal setzen, und niemand wird darunter zu leiden haben.
({8})
Die zweite Sache. Frau Künast, lesen Sie doch bitte
einmal, was wir am Montagabend entschieden bzw. beschlossen haben. Sie werfen uns hier vor, wir würden
diejenigen, die von Armut bedroht sind, nicht im Auge
haben. Zwischen den Koalitionsparteien wurde ganz
konkret die Bereitstellung von 200 Millionen Euro für
die Erhöhung des Kinderzuschlages vereinbart.
({9})
Das ist eine ganz zentrale Maßnahme, um gerade in Bezug auf die Kinderarmut etwas Positives zu erreichen.
({10})
- Sie hören das nicht gerne, aber das ist ein konkreter
Punkt, den Sie gerade mal eben unterschlagen haben,
Frau Künast.
({11})
Dritter Punkt. Ich muss ganz ehrlich sagen: Herr
Fuchs, ich bin froh, dass in Ihrer Fraktion auch noch andere Stimmen zum Thema Postmindestlohn zu hören
sind.
({12})
Am 25. Oktober 2007 war zum Beispiel Ihr Kollege
Gerald Weiß zu hören. Er hat hier Folgendes erklärt:
Es geht darum, dort tarifliche Mindestlöhne zu ermöglichen, wo wir sie aus Wettbewerbsordnungsgründen brauchen. Vieles spricht dafür, dass der
Postdienstleistungsmarkt ein Markt ist, auf den das
zutrifft.
Es spricht nicht nur vieles dafür, es spricht alles dafür,
meine Kolleginnen und Kollegen von der Union. Deswegen muss ich Ihnen auch sagen: Ich glaube Ihnen
nicht mehr - Herr Brauksiepe hat das eben erzählt -,
dass die Union etwas gegen den Wettlauf um niedrigste
Löhne unternimmt. Nein, das tut sie nicht, sonst hätte sie
den Zusagen von Frau Merkel auch Taten folgen lassen
müssen. Das ist nicht geschehen.
({13})
Ich sage auch sehr deutlich: Wir haben an dieser
Stelle überhaupt keinen Nachholbedarf hinsichtlich der
Faktizität der Ausgangslage. Es geht nicht um die
50 Prozent, Herr Fuchs. 90 Prozent der Postdienstleister
sind bei der Post AG. Die Tarifgebundenheit beträgt
63 Prozent. Wir haben das von der Definition her ans
Postgesetz gekoppelt. Sie wollen es nicht; das ist mehr
als deutlich geworden.
({14})
Wir sagen den Kolleginnen und Kollegen von Verdi,
die jeden Tag in diesem Bereich ihre Arbeit machen
- das ist eine harte Arbeit -: Wir werden nicht locker lassen. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Union,
das Thema Mindestlohn ist noch nicht vom Tisch. Machen Sie sich da bitte keine Hoffnungen. Wir werden
dies weiter auf die Tagesordnung setzen.
({15})
Letzte Bemerkung. Glauben Sie mir: Es rumst schon
einmal. Ich weiß, dass die Opposition dann immer einen
Hoffnungsschimmer in die Augen bekommt. Auch wenn
es einmal rumst:
({16})
Wir wissen, dass wir vom Bürger eine Verantwortung
übertragen bekommen haben, und dieser Verantwortung
werden wir in der Großen Koalition auch in Zukunft gerecht werden.
({17})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Schneider für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
72 Prozent der Deutschen äußerten in einer Zeit-Umfrage im August, die Bundesregierung tue zu wenig für
soziale Gerechtigkeit. Prompt erklärte die Kanzlerin,
dass vom Aufschwung alle profitieren sollten und niemand zurückgelassen werden dürfe. Schließlich weiß
Frau Merkel, dass man in Deutschland derzeit keine
Wahlen mehr mit sozialer Kälte gewinnen kann. Auch
die SPD reklamiert für sich wieder, Partei der sozialen
Gerechtigkeit zu sein.
Nur: Von dieser sozialen Gerechtigkeit spüren viele
hierzulande nichts. Die Menschen sehen, dass die Große
Koalition vielleicht die Verpackung, aber nicht die Inhalte ihrer Politik verändert hat. Vollmundig erklären
Sie, dass man von einer Arbeit leben können muss. Der
Koalitionsausschuss stoppt aber den Mindestlohn für die
Post. Sogar Kollege Andres schnaubt da empört. Herr
Staatssekretär, wenn Sie hier erklären, dass Ihr Koalitionspartner das Wort gebrochen hat, dann stehen Sie in
dieser Frage in der Koalition nicht mehr im Wort. Deshalb frage ich Sie: Warum nutzen Sie nicht die Mehrheit
für einen Mindestlohn hier in diesem Haus?
({0})
Volker Schneider ({1})
Schauen wir uns einmal an, worauf sich CDU, CSU
und SPD in der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses geeinigt haben bzw. worauf sie sich nicht einigen
konnten.
Kollegin Nahles, Sie haben die 200 Millionen Euro
angesprochen - ich zitiere einmal -, um die Familien am
unteren Rand besserzustellen. 200 Millionen Euro für
2,5 Millionen Kinder und Jugendliche, die in Deutschland am Sozialhilfeniveau oder darunter leben müssen:
Das sind sage und schreibe 80 Euro mehr pro Jahr für jedes betroffene Kind und für jeden betroffenen Jugendlichen. Das sind gerade einmal 6,67 Euro im Monat. Das
sind die Erfolge, die Sie hier feiern!
({2})
Mindestens 20 000 Arbeitslosengeldbeziehern droht
laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- laut DGB sind es sogar über 300 000 - ab dem
1. Januar 2008 das, was Sie nicht gerne hören, nämlich
die Zwangsverrentung. Monitor dokumentierte den Fall
einer Frau, der im nächsten Jahr eine Zwangsverrentung
mit 60 Jahren bei 18 Prozent Abschlägen droht. Bei einer Rente von 1 500 Euro sind dies 270 Euro Abschlag,
und das für die gesamte Dauer des Rentenbezugs. Dabei
will diese Frau arbeiten. Sie schreibt Bewerbung auf Bewerbung, findet aber keine Stelle. Diese Frau soll nicht
davor geschützt werden, zwangsweise frühverrentet zu
werden? Das nenne ich einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Das ist ein Angriff auf die Würde dieser
Frau.
({3})
Die SPD versucht wenigstens noch, Lösungen, wenn
auch unzureichende, für diese Problematik anzubieten.
Die CDU/CSU stellt sich nur stur. So sieht das konkret
aus, wenn vom Aufschwung alle profitieren und niemand zurückgelassen wird.
Zurück zum Postmindestlohn: Viele der Beschäftigten bei den Mitbewerbern erhalten weniger als 6 Euro in
der Stunde. 7,33 Euro sind es im Schnitt. Das sind
1 270 Euro brutto im Monat. Bei der Post wird im Briefdienst durchschnittlich 11,29 Euro in der Stunde verdient. Warum dieses Lohngefälle: wegen des Wettbewerbs oder weil der Kunde davon profitiert? Der
Postkonkurrent im Saarland transportiert einen Brief für
53 statt für 55 Cent wie die Post. Das ist wahrlich kein
gigantischer Vorteil für die Kunden, zumindest kein Vorteil, der es rechtfertigte, dass Löhne gezahlt werden, von
denen die Menschen nicht mehr leben können, es sei
denn, dass sie ergänzend ALG II beziehen. Das tun immerhin 10 000 Vollzeitbeschäftigte bei den Postkonkurrenten. Diese Form der Subventionierung von Arbeitgebern, die gute Arbeit mit miesen Arbeitsbedingungen
und schlechter Bezahlung honorieren, ist unerträglich.
({4})
Wenn Sie schon keinen Mindestlohn hinbekommen,
dann ist das Vorziehen der Liberalisierung des Postmarkts schlicht ein Unding, ein Programm zur inflationären Ausbreitung von Billigjobs.
({5})
Noch ein Wort zum Prestigeobjekt der SPD, zur Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I für Ältere. Zumindest dort will sich die SPD in der Koalition durchgesetzt haben. Was wollte die SPD erreichen? Ein Ziel
war: drei Monate länger ALG I ab 45. Erreicht wurde
null. Ein weiteres Ziel war: sechs bzw. zwölf Monate
mehr - je nach Vorversicherungszeit - ab 50. Erreicht
wurden drei Monate. Sechs bzw. zwölf Monate mehr
gibt es zwar auch, aber erst ab 55 bzw. 58. Das alles soll
auch noch kostenneutral sein. Wahrlich beeindruckend,
wie Sie sich in dieser Frage durchgesetzt haben!
Wie profitieren alle vom Aufschwung? Stimmt, die
Arbeitslosenbeiträge sinken um 0,9 Prozent. Millionen
Beschäftigte haben ab Januar mehr netto vom Brutto, so
CSU-Chef Huber. Für die Beschäftigten beim Postdienstleister, die im Schnitt 1 270 Euro verdienen, sind
das 5,72 Euro netto mehr. Im Januar steigen die Gaspreise. Bei einer 75-Quadratmeter-Wohnung frisst allein
die Heizung diese 5,72 Euro. So viel zu mehr netto vom
Brutto!
({6})
Nach der letzten, düsteren Koalitionsnacht bleibt es
dabei: Vom Aufschwung profitiert nur eine Minderheit.
Die Mehrheit schaut in die Röhre. Die Schere zwischen
Arm und Reich öffnet sich weiter. Das Sozialstaatsgebot
in Art. 20 des Grundgesetzes, das den Staat verpflichtet,
für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit
für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, ist wieder
einmal im Dunkel einer Koalitionsnacht verschwunden.
Danke schön.
({7})
Nun hat das Wort der Kollege Stefan Müller für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute dreht sich alles um die angebliche Entscheidungslosigkeit der schwarz-roten Koalition bei verschiedenen
Themen. Das ist umso bemerkenswerter, als man sich
vor Augen führen muss, dass es noch am Dienstag hieß,
es seien zwei Aktuelle Stunden beantragt. Zwei Stunden
später war sogar von einer dritten die Rede. Dann waren
es doch nur zwei. Schließlich haben sich die drei Oppositionsfraktionen auf eine Aktuelle Stunde verständigt,
die alles zusammenfassen soll. So viel zum Thema Entscheidungslosigkeit in der Opposition. Ich finde es sehr
bemerkenswert, dass Sie uns Entscheidungslosigkeit
vorwerfen.
({0})
Offensichtlich haben wir beim Thema Entscheidungslosigkeit unterschiedliche Definitionen, was Entscheidungen sind.
Stefan Müller ({1})
({2})
Wenn Sie uns Entscheidungslosigkeit vorwerfen, unterstellen Sie uns, dass wir am vergangenen Montag keine
Entscheidungen getroffen haben.
Ich habe, Ihre Anregung vorwegnehmend, Herr Kollege Schneider, das Bedeutungswörterbuch des Dudens
herangezogen und nachgeschlagen, was unter dem Eintrag „Entscheidung“ steht. Da heißt es:
Entscheidung, die; … Lösung eines Problems durch
eine hierfür zuständige Person oder Instanz …
Insofern frage ich Sie: Was war denn das anderes als
eine Entscheidung, was wir am Montag im Koalitionsausschuss gemeinsam auf den Weg gebracht haben?
({3})
Es kann niemand verhehlen, dass wir uns insbesondere mit zwei großen Problemen auseinandersetzen müssen. Erstens sind in Deutschland die Sozialabgaben zu
hoch, auch wenn Sie das bestreiten, Herr Schneider. Wir
mögen in der Sache unterschiedliche Auffassungen haben; ich verstehe das nicht, aber ich respektiere es. Ich
bin der Auffassung - das hat auch unser Parteivorsitzender festgestellt -, dass insbesondere bei den Arbeitnehmern netto zu wenig vom Bruttolohn übrig bleibt. Die
Differenz zwischen dem, was oben auf dem Gehaltszettel steht, und dem, was unten herauskommt, ist zu groß.
Weil wir der Auffassung sind, dass diese Differenz zu
groß ist, tun wir etwas dafür, diese Differenz zu verringern, damit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
in Deutschland mehr Geld bleibt.
({4})
Zweitens. Die Belastung der Unternehmen ist in der
Tat zu hoch. Auch das ist ein wesentliches Einstellungshemmnis, gegen das wir etwas tun werden. Der Kollege
Lafontaine hat uns sozusagen gebrandmarkt, wir würden
nur den Unternehmen Geld hinterherwerfen. Dem muss
ich entgegenhalten, dass die Finanzierung paritätisch erfolgt. Die Unternehmen haben dasselbe bekommen wie
die Arbeitnehmer. Insofern finde ich es unredlich, wenn
Sie davon reden, dass nur den Arbeitgebern etwas hinterhergeworfen wird.
({5})
Wir werden mit der Beitragssatzsenkung, die wir am
nächsten Freitag beschließen wollen, innerhalb von
zwölf Monaten und einem Tag die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent senken. Das entspricht einer Entlastung der Beitragszahler
um über 23 Milliarden Euro und ist die größte Entlastung der Beitragszahler in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Es war ein wesentliches Versprechen der Großen Koalition, die Sozialabgabenquote zu senken.
Wir führen ja mit den Kolleginnen und Kollegen von
der FDP immer eine rege Debatte darüber, was wir alles
im Wahlkampf versprochen haben.
({7})
Es gibt immer wieder Zwischenfragen. In diesem Zusammenhang bitte ich Sie: Sie müssen uns nicht gleich
gratulieren, aber seien Sie wenigstens so anständig, zuzugeben, dass wir unser Ziel, die Sozialabgabenquote
auf unter 40 Prozent zu senken, erreicht haben.
({8})
Es ist immer wieder die Rede davon, dass zwar eine
Sozialabgabensenkung positive Wirkung für die Beschäftigung habe, dass wir das alles aber durch die
Mehrwertsteuererhöhung zunichte gemacht hätten. Ihre
Kollegen im Sozialausschuss haben gestern mit uns gemeinsam eine Anhörung durchgeführt, die sie sehr gepriesen haben, weil sie wider Erwarten vom Vertreter
des DGB sehr wohlwollende Antworten bekommen haben. Was die positive Beschäftigungswirkung angeht,
({9})
hat Herr Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung einen Zusammenhang zwischen einer Sozialabgabensenkung und einer gleichzeitigen Mehrwertsteuererhöhung hergestellt. In diesem Zusammenhang
hat er festgestellt - Zitat -:
Da kommt es ganz darauf an, welche Steuer herangezogen wird. Da haben wir ganz differenzierte Ergebnisse. Beispielsweise eine Sozialabgabensenkung bei gleichzeitiger Mehrwertsteuererhöhung
hat auch ein positives Vorzeichen.
Sie werden es erleben. Sie haben uns schon ausführlich prophezeit, welche negativen Beschäftigungswirkungen uns noch blühen werden. In den letzten zwei
Jahren haben Sie jedenfalls kontinuierlich nicht recht behalten.
({10})
Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zu unseren
Freunden von der SPD.
({11})
Ich kann verstehen, dass ihr darüber enttäuscht seid, dass
über den Postmindestlohn noch keine Entscheidung getroffen worden ist.
({12})
Ich kann auch so manche Unruhe verstehen. Das sollte
uns aber nicht dazu bringen, dass wir nicht auch das
Positive herausstellen, das wir in den letzten zwei Jahren
für dieses Land erreicht haben. Ich finde, wir haben in
den letzten zwei Jahren gemeinsam viel Gutes für unser
Land erreicht, und ich meine, dass wir diese Zusammenarbeit auch in den nächsten zwei Jahren fortsetzen sollten.
({13})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Brigitte Pothmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es lässt sich nicht leugnen - und der scheidende
Arbeitsminister Franz Müntefering weiß es auch und hat
es immer betont -: Die arbeitsmarktpolitischen Beschlüsse vom letzten Montag sind falsch und sind auch
ungerecht. Franz Müntefering hat in seiner Partei und in
seiner Koalition wirklich dafür gestritten, dass sich
Sachverstand und Gerechtigkeit durchsetzen. Leider hat
er diesen Streit verloren. Ich kann nur sagen, ich bedaure
das sehr.
({0})
Die Ergebnisse vom Montag zeigen: Der Postmindestlohn kommt nicht. Er kommt nicht jetzt, und ich behaupte, er kommt nicht, solange diese Große Koalition
regiert, weil die Union ihn einfach nicht will.
Es hat der Kanzlerin gefallen, ihren Vizekanzler und
die gesamte SPD-Fraktion in einer Frage abzukanzeln,
die zum Kernbestandteil sozialdemokratischer Politik
und zum Kernbestandteil insbesondere der Politik ihres
Vizekanzlers und Arbeitsministers gehört. Sie hat dafür
doppelten Wortbruch begangen und damit eigentlich die
Grundlage jeder Zusammenarbeit, einer Partnerschaft,
zerstört.
Die Frage ist aber: Wieso kann die Kanzlerin sich das
eigentlich erlauben, mit ihrem Koalitionspartner - von
dem man eigentlich nicht sagen kann, das ist ein kleiner
Koalitionspartner - so umzuspringen, gefahrlos so umzuspringen?
({1})
Das hat damit zu tun, dass sich die SPD - eingeschüchtert durch schlechte Umfragewerte - in einer Phase der
Schwäche befindet. Ich möchte einmal sagen: Ich freue
mich darüber nicht. Die Frage ist nur: Wie kommt ihr da
raus?
({2})
Und die Frage ist auch, ob die Strategie, sich wegzuducken, sich weiter demütigen zu lassen, ob diese Strategie
euch wirklich stärker macht, ob es euch hilft, in einer
Koalition zu bleiben, in der ihr quasi nur noch vorgeführt werdet und eure Politik nicht mehr umsetzen
könnt.
({3})
Es ist ja nicht meine Aufgabe, mir Sorgen um die SPD
zu machen, aber ich mache mir Sorgen, ob die Politik
gerade auch in Sachen Durchsetzung des Mindestlohns
vorangetrieben wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie
mögen es sich im Moment vielleicht machtpolitisch leisten können, mit den Sozialdemokraten so umzuspringen
und das Thema Mindestlohn so zu behandeln, wie Sie es
behandeln, aber der Verantwortung einer Regierungsfraktion werden Sie damit jedenfalls nicht gerecht. Ich
sage Ihnen: Auf die Dauer wird auch eine falsche Politik
für Sie machtpolitisch zum Problem.
({4})
Das Thema Mindestlohn ist in der Bevölkerung zum
Symbol für den Mangel an Gerechtigkeit geworden, den
es in diesem Land gibt.
({5})
Sie werden sich auf Dauer nicht dagegen stemmen können. Davon bin ich fest überzeugt.
Wenn Sie den Mindestlohn - der in der Kombination
der Liberalisierung des Post- und Briefmarktes mit einer
sozialpolitischen Flankierung vereinbart wurde - jetzt
nicht einführen, wissen Sie genau, dass Sie Gefahr laufen, dass die Konkurrenz nicht mehr über Qualität und
Leistung, sondern nur noch über Armutslöhne stattfinden wird. Gut bezahlte und unbefristete Vollzeittätigkeiten werden zu schlecht bezahlten und befristeten Jobs.
Die Zeche zahlen dann die Steuerzahler, weil diese geringen Löhne durch das Arbeitslosengeld II aufgestockt
werden müssen.
({6})
Das sind die Ergebnisse einer Arbeitsmarktpolitik à la
Union. Immer weniger Briefzusteller werden noch von
ihrer Arbeit leben können. Unternehmen, die jetzt auf
den neuen Markt drängen, werden ihre Profite zulasten
der Steuerzahler einkassieren.
Ich sage Ihnen: Das ist eine völlig inakzeptable Situation. Solange Sie die Problematik Mindestlohn nicht
gelöst haben, sollten wir hier noch einmal über die Liberalisierung des Postmarktes reden. Das war in der Vergangenheit immer ein Junktim.
({7})
Franz Müntefering hat zum Abschluss gesagt: Die
Koalition bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. - Ich
finde, das ist tatsächlich die Untertreibung des Jahres.
Sie bleibt nicht nur hinter ihren Möglichkeiten zurück,
sondern sie verspielt die Möglichkeiten für die Geringverdiener, sie verspielt die Möglichkeiten für Niedriglöhner. Aufschwung, Teilhabe und Wohlstand sind
versprochen worden; bekommen haben wir stattdessen
Ausgrenzung, Theater und Wahlkampf.
Ich danke Ihnen.
({8})
Nächster Redner ist nun der Kollege Wolfgang
Grotthaus für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich hierher gekommen bin, habe ich mir noch einmal die Überschrift der Aktuellen Stunde angeschaut. Sie heißt:
„Auswirkungen der“ - jetzt kommt es - „Entscheidungslosigkeit der schwarz-roten Koalition“. Was ich zu diesem Tagesordnungspunkt alles gehört habe, war ganz
toll. Die Grünen machen sich darüber Gedanken, dass
wir in die Bedeutungslosigkeit versinken. Herzlichen
Dank, Frau Pothmer, aber so weit ist es noch nicht. Wir
nehmen Ihre Ratschläge nicht an, aber wir hören Ihnen
zumindest zu. Vielleicht können auch wir Ihnen demnächst gute Ratschläge geben, wie Sie wieder ein bisschen wachsen können.
({0})
Zur Entscheidungslosigkeit sagen die Linken: Ihr entscheidet wohl, aber es sind nicht die richtigen Entscheidungen. - Das mag aus Ihrer Sicht, Herr Lafontaine,
richtig sein, aber das hat nichts mit Entscheidungslosigkeit zu tun, sondern es handelt sich um eine unterschiedliche politische Bewertung von Entscheidungen. Die Bewertung ist unterschiedlich, aber entschieden wird.
Deswegen stimmt die Überschrift zur Aktuellen Stunde
nicht.
Die FDP wirft uns vor, wir würden in einen zweijährigen Wahlkampf eintreten, aber der Kollege Westerwelle
und der Kollege Thiele halten hier die ersten Wahlkampfreden. Ich frage mich, was das soll. Wenn Sie etwas an den Entscheidungen herumzumäkeln haben,
dann hätten Sie dafür sorgen müssen, dass die Aktuelle
Stunde unter einer anderen Überschrift firmiert.
Diese Koalition hat am Montag - da stimme ich mit
den Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU überein - einige gute Entscheidungen getroffen.
({1})
Wir haben die Ängste von älteren Kolleginnen und Kollegen - Sie können noch so laut rufen -, die in Deutschland arbeitslos sind und ALG I beziehen, ein wenig reduziert. Natürlich geht es dabei auch um gefühlte
Ängste, aber auch darauf muss Politik reagieren.
({2})
Wir werden den Erwerbstätigenzuschuss und den Kinderzuschlag überprüfen, und wir werden diesen Betrag
um 200 Millionen Euro erhöhen.
({3})
Herr Kollege Schneider, Sie müssten sich einmal angewöhnen, in Ihrer Politik eine klare Linie zu formulieren. Sie haben uns noch heute Morgen vorgehalten, dass
80 Euro weniger pro Jahr den Arbeitslosen wehtun. Dem
stimme ich ohne Weiteres zu. Dann müssen Sie bitte
auch sagen, dass 80 Euro mehr den Arbeitslosen guttun.
({4})
Das sagen Sie aber nicht, sondern Sie drehen Ihr Fähnchen nach dem Wind. Das ist reine Oppositionspolitik,
ohne dass Sie sachlichen Argumenten gegenüber aufgeschlossen wären. Das akzeptiere ich; denn ich habe von
Ihrer Fraktion nichts anderes erwartet.
Wir haben heute Morgen beschlossen, dass der Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 3,3 Prozent gesenkt
wird. Interessant war, dass die FDP einen Antrag vorgelegt hatte, den Beitrag auf 3,3 Prozent - vorher standen
3,9 Prozent im Gesetzentwurf - zu senken. Als sie dann
gelesen hat, dass die Koalitionsfraktionen den Beitrag
auf 3,3 Prozent senken wollen, hat sie wie beim Haseund-Igel-Rennen gerufen: „Ich bin schon da!“ und gefordert, den Beitrag auf 3,0 Prozent zu senken.
({5})
Das machen wir natürlich nicht mit. Wir wollen hinsichtlich der Arbeitslosenversicherungsbeiträge keine Schaukelpolitik betreiben, wie Ihnen das vielleicht vorschwebt. Möglicherweise steckt als Hintergedanke
dahinter: Damit kommen die nicht hin. Entweder sie
kürzen bei den Arbeitslosen - da habe ich manchmal das
Empfinden, dass Ihnen das recht wäre -, oder sie müssen
kurz vor den Wahlen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöhen. - Ich sage Ihnen einmal auf Ruhrgebietsplatt: So bescheuert sind wir nun nicht, dass wir die
Vorschläge, die Sie angebracht haben, annehmen. ({6})
Lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was hier schon
des Öfteren eine Rolle gespielt hat. Was uns bitter enttäuscht hat, war die Entscheidung zum Mindestlohn im
Postbereich. Das, was Herr Fuchs hier vorgetragen hat,
entbehrt jeglicher Systematik in der Argumentation der
mit uns befreundeten Fraktion. Es wird immer wieder
gefordert, die Tarifhoheit nach dem Motto aufrechtzuerhalten: Das ist das höchste Gut in dieser Republik, und
deswegen können wir keinen Forderungen nach einem
Mindestlohn zustimmen. - Jetzt vereinbart eine Branche
mit christlichen Gewerkschaften und mit Gewerkschaften, die dem DGB angehören, einen Mindestlohn; es
kommt also zu einer Einigung zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern. Die Arbeitgeber laden die freien
Briefzusteller dazu ein, sich dieser Vereinbarung anzuschließen; allerdings lehnen die es ab, sich daran zu beteiligen. Schließlich vereinbart man einen Mindestlohn
von etwas mehr als 9 Euro. Nun kommt Herr Fuchs und
sagt: Das alles akzeptieren wir nicht; wir akzeptieren
also auch nicht die Tarifhoheit; vielmehr verlangen wir,
dass sich alle Arbeitgeber noch einmal an einen Tisch
setzen.
({7})
Was denn nun? Tarifhoheit, ja oder nein?
Ich sage Ihnen, den Mitgliedern unserer befreundeten
Fraktion: Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass die
Arbeitgeberseite eine Gewerkschaft gründet Wolfgang Grotthaus
({8})
- das akzeptiere ich, Kollege -, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die sozialen Standards in dieser Republik noch
weiter zu senken. Es ist eine Einmaligkeit in dieser Republik, dass es aufseiten der Arbeitnehmer Forderungen
gibt, den Mindestlohn in einem bestimmten Bereich
niedriger anzusetzen, als es ausgehandelt worden ist.
Diese Dinge können wir nicht durchgehen lassen. Darüber müssen wir uns noch einmal unterhalten.
Wir sagen Ja zum Mindestlohn, Ja zu dem Mindestlohn, der von den Tarifvertragsparteien im Postdienstgewerbe beschlossen worden ist. Wir werden weiter darum
kämpfen.
Ich kann allen nur den guten Tipp geben. Weisen Sie
den Mindestlohn nicht weit von sich! Wir werden ihn zu
gegebener Zeit wieder thematisieren. Es wäre zu schade,
wenn er Wahlkampfthema würde.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Gerald Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will zunächst auf die wichtigste Entscheidung für 27 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
und ihre Arbeitgeber eingehen: Wir werden den Arbeitslosenversicherungsbeitrag - vor einem Jahr lag er bei
6,5 Prozent - innerhalb eines Jahres zum 1. Januar 2008
in zwei Schritten auf 3,3 Prozent senken. Das bedeutet
für den durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmer
- Herr Schneider, Sie haben hier so verächtlich über die
Nettowirkung dieser Entscheidung geredet - 440 Euro
pro Jahr mehr. Das „kein Geld“ zu nennen, bleibt Ihnen
vorbehalten.
({0})
Das ist für die Wirtschaft eine Gesamtentlastung von
25 Milliarden Euro.
Ich wundere mich über Herrn Thiele von der FDP, der
gesagt hat: Ihr müsst einmal anfangen, die Menschen zu
entlasten. - Das, was am 1. Januar 2008 in Kraft tritt, ist
die größte Senkung eines Sozialversicherungsbeitrags in
der Geschichte dieser Republik. Wenn das keine Entlastung ist, dann weiß ich es wirklich nicht. Wo schlafen
Sie? Wissen Sie, wovon Sie reden? Was die Opposition
in der Quersumme ihrer Beiträge hier vorgetragen hat,
ist wirklich dilettantisch.
({1})
Wir machen die richtige Wirtschaftspolitik. Wir stärken die Nettokaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das stabilisiert die Konjunktur. Wir tun etwas für die Massenkaufkraft. Außerdem verbessern wir
die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitgeber, indem wir sie
bei den Lohnnebenkosten entlasten.
Herr Lafontaine, Sie sind ein intelligenter, vernunftbegabter Mensch.
({2})
- Ich möchte nicht, dass das jetzt bestritten wird. - In
Hessen sagen wir „e schlau Kerlsche“. Sie als schlaues
Kerlchen haben gefragt: Wer zahlt diese Entlastung? Haben Sie denn nicht mitbekommen, dass die Verbesserung
am Arbeitsmarkt es möglich macht, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag signifikant in zwei entscheidenden
Schritten zu senken?
({3})
Wir können diesen Beitrag senken, weil 1,1 Millionen
Menschen mehr in Arbeit sind, seitdem diese Regierung
und die Große Koalition ihre Arbeit für Deutschland tun.
({4})
Frau Künast, Sie behaupten, dass Sie der Senkung des
Arbeitslosenversicherungsbeitrages nicht zustimmen
konnten, weil Sie die Verbrechen nicht mitmachen wollten. Meinen Sie, dass es ein Verbrechen ist, wenn wir mit
dem Ziel der Leistungsgerechtigkeit lebensälteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die arbeitslos geworden sind und die unter Umständen jahrzehntelang in
die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, länger
Arbeitslosengeld I zahlen, und das auch noch kostenneutral vom System gedeckt? Nennen Sie es ein Verbrechen,
wenn wir an dieser Stelle ein Stück Leistungsgerechtigkeit realisieren?
({5})
Das kann man doch überhaupt nicht nachvollziehen.
({6})
Ich will die letzte Minute meiner Redezeit nutzen, um
etwas zum Mindestlohn zu sagen - das ist für Sie, Frau
Nahles, beruhigend und für Frau Pothmer aufklärend -:
Die Union steht zu ihrem Wort. Das hätte Herr Fuchs genauso sagen können, wie ich es jetzt sage; er hat mich
dazu ermächtigt, bevor er gehen musste. Wir wollen tarifliche Mindestlöhne dort, wo wir sie brauchen, möglich
machen, und zwar über die Ausweitung des Entsendegesetzes oder über das revitalisierte Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen. Aber das Verfahren muss in Ordnung sein, und die Kriterien müssen
eingehalten werden. Es gab ernsthafte, begründete Zweifel daran, dass wir das 50-Prozent-Quorum, das wir
brauchen, um den Weg des Entsendegesetzes entsprechend den Beschlüssen von Meseberg zu gehen, erreichen können. Wir haben Ihnen das Angebot unterbreitet
- Frau Nahles, da verstehe ich Sie nicht -, den Begriff
der überwiegenden Tätigkeit als Briefzusteller - bitte
herhören - aus dem ursprünglichen Entsendegesetz, das
1996 unter Norbert Blüm verabschiedet worden ist, zu
übernehmen. Dieses klare und - wie ich meine - im Übrigen zu administrierende Kriterium haben wir Ihnen
„zugemutet“. Dass Sie diese ausgestreckte Hand nicht
Gerald Weiß ({7})
ergriffen haben, macht mich teils ängstlich, teils besorgt.
Jedenfalls war es in der Sache unangemessen.
({8})
Ich sage Ihnen aber dazu: Die Tür ist offen. Wenn wir
über ein sauberes, klares Verfahren zu einer wirklich
notwendigen Lohnuntergrenze auf dem Briefdienstleistungsmarkt kommen, können wir diesen Weg gehen. Die
Tür ist noch offen.
Danke schön.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Anette
Kramme das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren von
der FDP, eine Aktuelle Stunde zu den Auswirkungen der
Entscheidungslosigkeit der schwarz-roten Koalition wissen Sie, was Sie hier betreiben? Das kann man Parlamentsblockade oder Beschäftigungstherapie für Abgeordnete nennen. Sie wollen doch gar nicht, dass die
Koalition handelt.
({0})
Mir ist nicht bekannt, dass Sie neuerdings Mindestlöhne
für Briefzusteller wollen.
Richtig ist allerdings, dass wir als SPD-Fraktion über
das Verhalten der Union im Koalitionsausschuss stark
verärgert sind.
({1})
Meine Damen und Herren von der Union, das war so
nicht verabredet. Es war verabredet, dass das Postmonopol zum Ende des Jahres fällt und dass es dafür im Gegenzug einen Mindestlohn für die Briefzusteller gibt.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der
Union, Sie können kein einziges fachliches Argument
anführen.
({3})
Bereits jetzt wird der Wettbewerb bei der Briefzustellung über die Lohn- und Arbeitsbedingungen ausgetragen. Klar ist, dass die Branche mit erheblichem Personalkostenaufwand arbeitet. Die durchschnittlichen
Lohnkosten bei PIN Group und TNT liegen - je nach
Beschäftigtengruppe - zwischen 30 und 60 Prozent unter denen der Deutschen Post AG. Selbst bei Vollzeitbeschäftigten müssen zum Teil dauerhaft staatliche Transferleistungen gezahlt werden, weil die Stundenlöhne so
niedrig sind. Bei den Wettbewerbern des Arbeitgeberverbandes Postdienste werden zu 60 Prozent geringfügig
Beschäftigte eingesetzt. Demgegenüber haben wir bei
der Deutschen Post AG die Situation, dass 95 Prozent aller Beschäftigten sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden, was an dieser Stelle auch einmal positiv hervorzuheben ist.
Meine Damen und Herren von der Union, ein Zweites: Sie machen sich ohne jedes kritische Hinterfragen
die Mondzahlen des Arbeitgeberverbandes der neuen
Brief- und Zustelldienste zu eigen. Aber zuvor eine Zwischenbemerkung: Meines Erachtens haben wir mit Ihnen
gar nicht mehr über Zahlen zu reden. Es gibt im Juristischen den sogenannten Tatsachenvergleich. Wenn man
sich die Formulierung in der Abrede anschaut, stellt man
fest: Beide gehen davon aus, dass die Bedingungen als
solche erfüllt sind. Das heißt, wir haben mit Ihnen gar
nicht mehr über Zahlen zu reden.
({4})
Die Neuen Brief- und Zustelldienste behaupten, bei
ihnen seien 270 000 Beschäftigte mit der Briefzustellung
befasst. Wie gehen Sie, meine Damen und Herren der
Union, damit um, dass der Marktanteil der Deutschen
Post bei den Briefsendungen bei 91 Prozent liegt? Zur
Bedienung dieses Marktanteils werden 173 000 Arbeitnehmer und Beamte benötigt. Bereits die Gesetze der
Denklogik sagen: Die Angaben können nicht stimmen.
Wie gehen Sie damit um, dass beispielsweise der
Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste selbst
sagt, nur 0,2 Prozent seines Umsatzes - das sind 6 Millionen Euro - mit Briefdienstleistungen zu erzielen?
Auch hier behauptet man, Zehntausende von Beschäftigten seien mit der Briefzustelldienstleistung befasst. Die
Gesetze der Denklogik sagen auch hier: Die Angaben
können nicht stimmen.
Ich sage nur: Wer sich die Zahlen des Arbeitgeberverbandes Neue Brief- und Zustelldienste zu eigen macht,
macht sich lächerlich.
({5})
Im Übrigen hat keiner der an der Sachverständigenanhörung Beteiligten - außer dem hier gut bekannten
Herrn Göhner - behauptet, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz verlangt, 50 Prozent der Beschäftigten
müssten durch den Mindestlohntarifvertrag gebunden
sein. Die herrschende juristische Meinung geht davon
aus, dass nur ein öffentliches Interesse vorliegen muss.
Dass ein öffentliches Interesse gegeben ist, ist, denke
ich, völlig unstreitig.
Juristerei wird häufig genutzt, um politisches Agieren
auszuschließen. Ein solches Vorgehen läuft hier wegen
Offensichtlichkeit leer. Das Bundesverfassungsgericht
hat mehrfach entschieden, dass in der Allgemeinverbindlichkeitserklärung und seiner Bindungswirkung für
nicht tarifgebundene oder anderweitig tarifgebundene
Arbeitgeber keine Verletzung der negativen und positiven Koalitionsfreiheit liegt. Die Hürde des Art. 9
Grundgesetz ist ohnehin nicht sehr hoch. Ein Eingriff in
die Berufsausübungsregelung ist bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zu rechtfertigen.
Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist nicht gegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen darauf
achten, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nicht durch ruinösen Wettbewerb kaputt gemacht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir müssen Schluss damit machen, dass sich einige Unternehmen ihre Dumpinglöhne sozusagen noch vom
Steuerzahler bezahlen lassen. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir müssen erreichen, dass jemand, der Vollzeit arbeitet, auch anständig davon leben kann. Wir müssen Lohn- und Sozialdumping die Stirn bieten.
In diesem Sinne sollten Sie Ihr Handeln noch einmal
sorgfältig überdenken.
({6})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Katja Mast für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Soziale Sicherheit geben - trotz Globalisierung
und demografischem Wandel“, das ist meine Überschrift
für neun Jahre Regierungsverantwortung der SPD in
Deutschland. Seit 1998 bringt die SPD Reformen auf
den Weg, Reformen, die den gegenwärtigen Aufschwung befördern.
({0})
Heute hat die FDP-Bundestagsfraktion zu einer
Aktuellen Stunde zusammengerufen und wirft der Großen Koalition Entscheidungslosigkeit vor. Es ist die FDP,
die in der politischen Geschichte der Bundesrepublik vor
allem durch ihre schnellen Entscheidungs- und Positionswechsel bekannt ist, die wegen ihrer Rolle als Mehrheitsbeschafferin geschätzt ist, die mit ihrer Oppositionsarbeit bisweilen noch nach ihrer Rolle sucht. Alternative
und tragfähige Konzepte? Fehlanzeige! Mit ihrer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nahe bei den Menschen?
Fehlanzeige! Soziale Sicherheit? Fehlanzeige! Es ist also
eine FDP, die mit der Überschrift ihrer Aktuellen Stunde
nur eines dokumentiert: Sie wäre gerne dabei, wenn sich
montags nachts der Koalitionsausschuss trifft, und ist beleidigt, weil sie das nicht darf.
({1})
Wir, die SPD, stehen zu unserer Verantwortung in der
Regierung. Wir stehen für erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik und wirtschaftliche Stärke für die Menschen, für das
Recht auf Kinderkrippenplätze und das Elterngeld, für
Klimaschutz und Atomausstieg sowie für besonnene Sicherheitspolitik und Frieden als Leitbild unserer Außenpolitik. Die sozialdemokratische Handschrift in der Großen Koalition ist unverkennbar.
({2})
Was haben wir in den ersten beiden Jahren der Großen Koalition erreicht?
({3})
Die Bilanz kann sich sehen lassen. Da hilft kein Meckern und kein Mäkeln. Das gilt sowohl für die Talkshowsozialisten in unserem Haus als auch für die Liberalen. In der Großen Koalition wird ordentlich gearbeitet.
Dafür gebe ich neun Beispiele:
29. Juni 2006 Einführung des Elterngeldes und damit
bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Anfang an.
29. Juni 2006 Mittelstandsentlastungsgesetz I, Reduzierung der Bürokratiekosten für den Mittelstand.
30. Juni 2006 Föderalismusreform, Transparenz bei
der Gesetzgebung, Stärkung der Landesparlamente. Nur
noch ein Viertel aller Gesetze sind sowohl im Bundestag
als auch im Bundesrat zu entscheiden. Vorher waren es
über die Hälfte.
2. Februar 2007 Gesundheitsreform. Jeder und jede
ist künftig gegen das Risiko Krankheit versichert.
({4})
9. März 2007 Stabilisierung der Rentenversicherung
und Initiative „50 plus“, die Ältere in Jobs bringt.
9. März 2007 Aufnahme des Gebäudereinigerhandwerks in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und damit
verbindlicher Mindestlohn für rund 850 000 Menschen.
({5})
25. Mai 2007 Unternehmensteuerreform. Es wurden
Steuerschlupflöcher gestopft, und es wurde mehr Steuergerechtigkeit in der Globalisierung geschaffen.
25. Mai 2007 Nichtraucherschutz in Bundeseinrichtungen und öffentlichen Verkehrsmitteln, konsequentes
Einsetzen für den Schutz vor den Folgen des Passivrauchens.
6. Juli 2007 Jobperspektiven für Langzeitarbeitslose
und Quali-Kombilohn für langzeitarbeitslose Jugendliche.
Wir tun viel für die Menschen, wir handeln und machen es der Opposition schwer, zu kritisieren.
({6})
Was wahr ist, muss wahr bleiben. Ja, wir haben unterschiedliche Positionen in der Großen Koalition, unserem
Regierungsbündnis auf Zeit.
({7})
Natürlich will die SPD eine bessere Nachfolgeregelung
der 58er-Regelung. Natürlich will die SPD den Mindestlohn. Natürlich will die SPD den Postmindestlohn bei
Akzeptanz der Tarifautonomie. Das fällt der Union eben
schwer. Natürlich will die SPD einen anderen Sozialstaat
als die Union. Natürlich haben wir von der SPD ein anderes Familienbild als die Union. Natürlich will die SPD
die Bürgerversicherung.
Aber Deutschland braucht nicht täglich Wahlkampf,
sondern Deutschland braucht eine stabile Regierung.
Dafür gibt es den Koalitionsvertrag; daran halten wir Sozialdemokraten uns. Die Menschen wollen Kontinuität
und Verlässlichkeit. Dafür steht seit neun Jahren die SPD
in der Regierung. Wir regieren weiter.
({8})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. November
2007, 9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung.