Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/8/2007

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns gute Beratungen. Es gibt eine Reihe von Mitteilungen zu machen, bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten. Ich beginne mit einer rundum erfreulichen Mitteilung. Der Kollege Dr. Konrad Schily feierte gestern seinen 70. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich herzlich und wünsche alles Gute. ({0}) Die Fraktion der FDP teilt mit, dass der Kollege Christian Ahrendt sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Michael Link ({1}) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Link zum Schriftführer gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({2}), Dr. Norbert Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto ({3}), Christoph Waitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Errichtung eines Freiheits- und EinheitsDenkmals - Drucksache 16/6925 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die friedliche Revolution 1989 - Drucksache 16/6926 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Diskussionsprozess über ein Freiheits- und Einheitsdenkmal unter breit angelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren - Drucksache 16/6927 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zu den durch die Bundeskartellbehörde festgestellten Preisund Marktabsprachen der vier großen deutschen Stromkonzerne ({4}) ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({5}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksache 16/5811 Redetext

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({1}), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksache 16/5968 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksache 16/6945 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jüngste Entwicklungen in Pakistan ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({5}), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose verhindern - Drucksache 16/6933 Beschlussfassung/Überweisung ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private Arbeitsvermittlung stärken - Drucksachen 16/1675, 16/6987 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung bei tierischen Produkten ermöglichen - Drucksache 16/6944 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnikfreier Produktion im Gentechnikrecht bewahren - Drucksache 16/6943 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einführen - Drucksache 16/6894 Beschlussfassung/Überweisung Präsident Dr. Norbert Lammert ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schnellstmögliche Einführung eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf Bundesautobahnen - Drucksache 16/6932 Beschlussfassung/Überweisung ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 16/6924 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({9}) Innenausschuss Rechtsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 14 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes - Drucksache 16/5052 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({10}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 15 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG - Drucksache 16/5846 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Jerzy Montag, HansChristian Ströbele, Wolfgang Wieland, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Telekommunikationsüberwachung ({11}) - Drucksache 16/3827 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({12}) - Drucksache 16/6979 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({13}) Joachim Stünker Klaus Uwe Benneter Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({14}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Reform der Telefonüberwachung zügig umsetzen - Drucksachen 16/1421, 16/6979 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({15}) Joachim Stünker Klaus Uwe Benneter Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit - Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan drastisch beschleunigen - Drucksache 16/6931 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({16}) Innenausschuss ({17}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Federführung strittig ZP 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts - Drucksache 16/1830 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({18}) - Drucksache 16/6980 - Berichterstattung: Abgeordnete Ute Granold Christine Lambrecht Joachim Stünker Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jörn Wunderlich b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle Präsident Dr. Norbert Lammert Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern sozial und verantwortungsbewusst den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen - Drucksachen 16/891, 16/6980 Berichterstattung: Abgeordnete Ute Granold Christine Lambrecht Joachim Stünker Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jörn Wunderlich ZP 18 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes - Drucksache 16/1829 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({20}) - Drucksache 16/5444 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eva Möllring Helga Lopez Jörn Wunderlich Ekin Deligöz - Bericht des Haushaltsausschusses ({21}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/5446 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Frank Schmidt Dr. Ole Schröder Otto Fricke Roland Claus Anna Lührmann Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Die Tagesordnungspunkte 8, 23, 28, 30, 34, 35 a, 36, 38, 39 und 40 werden abgesetzt. Die Tagesordnungspunkte 24 - hierbei handelt es sich um einen Antrag zur europäischen Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik - und 25 - zweite und dritte Beratung des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes - werden getauscht. Der Tagesordnungspunkt 35 b - zweite und dritte Beratung eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes - soll ohne Debatte abgeschlossen werden. Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Verteidigungsausschuss ({22}) zur Mitberatung überwiesen werden: Gesetzentwurf der Bundesregierung über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln ({23}) - Drucksache 16/3658 überwiesen: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({24}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Ich darf Sie fragen, ob Sie mit den vorgetragenen Vereinbarungen einverstanden sind. - Das sieht so aus. Dann können wir das als beschlossen festhalten. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({25}) und 1373 ({26}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 16/6939 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({27}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass bei einem schrecklichen Anschlag im Norden Afghanistans, in der Nähe von Baghlan, 40 Menschen zu Tode gekommen sind. Unter den Opfern waren - Sie wissen es - sechs afghanische Abgeordnete; darunter auch der frühere Handelsminister Kasimi, den viele von Ihnen bei seinen häufigen Besuchen in Deutschland kennengelernt haben. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich den Hinterbliebenen der Opfer unser tiefes Mitgefühl ausBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier spreche und den vielen Verletzten, die es darüber hinaus gegeben hat, baldige und vollständige Genesung wünsche. ({0}) Seien wir uns bewusst: Das war kein Anschlag auf einen militärischen Konvoi. Das war kein Anschlag auf die Repräsentanten ausländischer Streitkräfte in Afghanistan. Das war ein Anschlag auf das Leben von afghanischen Männern, Frauen und Kindern. Dieser Anschlag war möglicherweise gemeint als Anschlag auf ein gelungenes, mit deutscher Hilfe zustande gekommenes Wiederaufbauprojekt im Norden Afghanistans, das mehr als 2 000 Menschen Brot und Einkommen gesichert hat: die Zuckerfabrik in Baghlan. Ich erinnere daran, weil uns dieses schreckliche Ereignis mahnt, dass die Bekämpfung des fundamentalistischen Terrors in Afghanistan eine der Aufgaben bleibt, denen sich die internationale Staatengemeinschaft in Afghanistan zu stellen hat. Bevor Sie es gleich sagen, will ich es sagen: natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln. ({1}) Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal - damals unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge in New York und Washington - hier im Deutschen Bundestag ein OEF-Mandat beschlossen. Ich darf sagen: Trotz aller Schwierigkeiten, die ich sehe, die wir sehen und über die wir hier vielfach diskutiert haben, ist ein wichtiges Ziel dieser Einsätze erreicht. Afghanistan ist heute nicht mehr das Ausbildungszentrum für islamistischen Terrorismus weltweit. Aber natürlich gilt auch: Die konkrete Gefahr durch fanatisierte Terroristen in Afghanistan ist keineswegs gebannt. Sie wissen: Wir haben von Anfang an unseren Beitrag geleistet. Wir haben nicht nur mit Soldaten reagiert und agiert; unser Ansatz war vielmehr ein politischer. Der Schwerpunkt lag und - das darf ich gerade aufgrund der Entscheidungen der Bundesregierung aus den jüngsten Tagen sagen - liegt immer stärker auf dem zivilen Wiederaufbau. Darum haben wir eben nicht nur Soldaten geschickt, sondern von Anfang an auch Entwicklungshelfer, Ingenieure, Polizeiausbilder, Regierungsberater, Lehrer und viele andere mehr. Sie wissen: Dieser Ansatz wird inzwischen von der internationalen Staatengemeinschaft nicht nur geteilt, sondern auch von vielen gestützt und in gleicher Weise dort umgesetzt. Sie haben gehört: Wir haben uns in Verfolgung unseres Afghanistan-Konzeptes entschlossen, unser Engagement neu zu justieren und stärker in die Infrastruktur, in die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Polizei und Armee zu investieren. Mittlerweile zeigt sich das auch deutlich an den Veränderungen der Strukturen in Afghanistan. Ich hatte hier in diesem Hause schon einmal berichtet: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren die ISAF-Kontingente von 10 000 auf 40 000 ausgebaut. Gleichzeitig haben wir die Zahl derjenigen, die unter dem OEF-Mandat eingesetzt werden, von 20 000 auf 10 000 halbiert. Diese Entwicklung, die wir gerne zur Kenntnis nehmen, entlastet uns aber nicht von den Problemen, von denen zu berichten ist, erst recht nicht von denen im Kampf gegen ideologisch unbeugsame Terroristen. Deshalb können wir - auch wenn sich viele das wünschen auf eines dieser Instrumente internationaler Politik nicht verzichten. Deshalb ist die kleiner gewordene OEF-Mission in Afghanistan auch im nächsten Jahr noch notwendig. Sie ist aber nicht nur wegen des Kampfes gegen Terrorismus notwendig; denn 80 Prozent der OEF-Soldaten arbeiten bereits heute für einen der Schwerpunkte auch unserer Ziele in Afghanistan. Das ist, wie ich gesagt habe, die Ausbildung der afghanischen Armee und Polizei. Wir werden unsere Ausbildungsleistung weiter verstärken. Wir sollten mit unseren NATO-Partnern - auch mit den USA - prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zukunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusammengezogen werden können. ({2}) Ich weiß, dass es nicht nur hier im Hause kritische und berechtigte Fragen gibt. Ich will den Fragen nicht ausweichen. Deshalb sage ich: Natürlich darf ein solcher OEF-Einsatz nicht dazu führen, dass unser gemeinsames vorrangiges Ziel, nämlich den Menschen dort zu helfen, an Glaubwürdigkeit verliert oder gar ganz verloren geht. Darum haben wir uns mit vielen Verbündeten bei unseren Gesprächspartnern innerhalb der NATO für die Veränderung der Einsatzregeln nicht nur bei ISAF, sondern auch bei OEF eingesetzt. Die Soldaten - Sie wissen das - sind jetzt ausdrücklich angewiesen, bei ihren Einsätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf ausgerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich - wir werden darauf achten - konsequent umgesetzt werden. ({3}) Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv - ich hoffe, es ist unser gemeinsames Leitmotiv für die Afghanistan-Politik; Sie kennen es - lautet, sich weder kopflos rauszuhalten noch kopflos drinzubleiben. Und was für den Gesamt-Afghanistan-Einsatz gilt, das gilt auch für das OEF-Mandat: Wir wollen diese Strategie in Afghanistan weiter mit beeinflussen. Das heißt auch, jetzt nicht Hals über Kopf aus diesem Mandat auszusteigen. Wir werden die nächsten Monate vielmehr aktiv nutzen und wollen eine aktive Rolle bei der Überprüfung einnehmen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir eine Überprüfung des Afghanistan Compact - damit meine ich nicht nur die militärischen, sondern auch die zivilen Anteile - im Rahmen einer Konferenz in Europa - und falls es gewünscht wird, dann auch in Deutschland - in der nächsten Zeit vornehmen. ({4}) Die Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz ist und bleibt vorläufig Art. 51 der VN-Charta. Der Sicherheitsrat hat diese Bestimmung bei seinen Beschlüssen immer wieder als Rechtsgrundlage genannt und in Anspruch genommen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die Mandatierung des OEF-Einsatzes - oder zunächst nur Teile davon - durch einen eigenen Beschluss des Sicherheitsrates erfolgt. Wir werden mit unseren Partnern darüber sprechen - sprechen müssen, meine Damen und Herren. Ich jedenfalls baue auf eine breite Zustimmung des Bundestages für eine Verlängerung des OEF-Mandats. Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Soldaten. Ich weise auch darauf hin: Darauf hofft nicht nur Präsident Karzai, sondern darauf hofft die gesamte afghanische Regierung. Meiner Meinung nach sollten wir versuchen, eine möglichst breite Zustimmung für die Verlängerung dieses OEF-Mandats hier im Deutschen Bundestag zu erwirken. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Homburger, FDPFraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Bundesaußenminister für seine Worte, die er zu diesem furchtbaren Anschlag gefunden hat, sehr dankbar. Die afghanische Regierung und das afghanische Volk sollen wissen, dass der Deutsche Bundestag, aber auch das deutsche Volk diesen barbarischen Anschlag verurteilen und mit ihnen trauern. ({0}) Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit hier im Hause die Bekämpfung des internationalen Terrorismus weiterhin als notwendig ansieht. Das ist aber nicht primär eine militärische Aufgabe. Vielmehr sind umfassende Anstrengungen zur Beseitigung der gesellschaftlichen, sozialen und auch ökonomischen Ursachen des Terrorismus zu treffen. Wer allerdings behauptet, der Wiederaufbau sei schon heute ohne militärische Absicherung möglich, ist entweder gutgläubig, naiv oder will den Menschen Sand in die Augen streuen. ({1}) Eines will ich ausdrücklich sagen: Wenn wir jetzt in unseren Bemühungen nachlassen, dann bewirkt das nicht nur einen Rückschlag bei der Entwicklung in Afghanistan, sondern dann wird auch die Lage hier bei uns unsicherer. ({2}) Es ist ein Gebot der Vernunft, dem Politischen stets Vorrang vor dem Militärischen zu geben. Deswegen war der NATO-Gipfel in Riga im Januar so wichtig; denn dort ist der Strategiewechsel beschlossen worden. Jetzt erwarten wir - ich denke, dies tun wir gemeinsam, liebe Kolleginnen und Kollegen - von der Bundesregierung, dass dieser Strategiewechsel auch umgesetzt wird. Was bedeutet dies? Es bedeutet, dass der Wiederaufbau und die Schaffung eigener afghanischer staatlicher Strukturen bei der Polizei, in der Justiz und in den Vollzugssystemen im Zentrum der Bemühungen stehen müssen. Vor diesem Hintergrund sage ich klipp und klar: Es war ein grober Fehler der Koalition, die Debatte über Afghanistan wegen parteiinterner Querelen in der SPD in ISAF und OEF zu trennen. ({3}) Dadurch ist der völlig falsche Eindruck entstanden, OEF stehe singulär und das Militärische stehe im Zentrum. Das ist kontraproduktiv, und das hätten Sie, Frau Bundeskanzlerin, niemals zulassen dürfen. Von Folgendem bin ich überzeugt: Wer über die Bekämpfung des Terrorismus und die Zukunft Afghanistans spricht, muss deutlich machen, dass er im Rahmen eines Gesamtkonzepts handelt. Sonst wird er scheitern. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Polizeiausbildung machen. Wir begrüßen die Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Bemühungen in diesem Bereich zu verstärken und auch die finanziellen Mittel hierfür aufzustocken. Ich möchte aber deutlich sagen: Das reicht nicht aus. Es gibt nämlich noch ganz erhebliche organisatorische Probleme. Dabei geht es um die Fragen: Haben wir überhaupt genügend Kapazitäten? Haben wir genügend Leute ausgebildet, die wir zur Wahrnehmung solcher Aufgaben ins Ausland entsenden können? Wie ist die organisatorische Struktur zwischen Bund und Ländern geregelt? - Diesen Fragen muss sich die Bundesregierung endlich stellen. Sonst wird ein Engagement im nötigen Umfang nicht möglich sein. Dann wird all das ein Lippenbekenntnis bleiben. Das können wir uns nicht erlauben. ({4}) In der Debatte der letzten Wochen ist immer wieder der Eindruck erweckt worden, es gebe ein „gutes“ ISAFMandat, unter dem der Wiederaufbau stattfindet, und ein „böses“ OEF-Mandat, das aufgrund des militärischen Vorgehens hauptsächlich für die zivilen Opfer verantwortlich ist. Es wird Zeit, mit diesem Märchen aufzuräumen. Beide Mandate haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert, auch was ihr Verhältnis zueinander betrifft. ISAF deckt längst ganz Afghanistan ab, und natürlich kommt es unter ISAF zu Kampfhandlungen. Umgekehrt werden 80 Prozent der Soldaten, die unter dem OEF-Mandat zum Einsatz kommen, bei der Ausbildung des afghanischen Militärs eingesetzt. Wer OEF in Afghanistan beenden will, der muss sagen, wer diese Aufgaben übernehmen soll; denn die Aufgaben werden bleiben. Das bedeutet nicht, dass es keine Kritikpunkte gebe. Wir alle wissen um die Akzeptanzprobleme der Einsätze. Deshalb haben wir stets gefordert, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um zivile Opfer zu vermeiden, und dass vor allen Dingen auf die kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen in Afghanistan Rücksicht zu nehmen ist. Hier gibt es Fortschritte. So wurden für ISAF neue Verhaltensregeln festgelegt. Als wir vor kurzem Afghanistan besucht haben, hat uns General McNeal bestätigt, dass diese auch von der Operation Enduring Freedom in vollem Umfang übernommen worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Das ist ein Erfolg der beharrlichen politischen Diskussion, die hier zu einem Umdenken geführt hat. ({5}) Es muss mit einem weiteren falschen Eindruck aufgeräumt werden. Beim OEF-Mandat geht es längst nicht mehr nur um Afghanistan. Die meisten deutschen Soldatinnen und Soldaten werden bei der Marineoperation am Horn von Afrika eingesetzt. Auch die NATO-geführte Seeraumüberwachung im Rahmen der Operation Active Endeavour gehört dazu. Diese Einsätze werden kaum thematisiert. Allerdings stellt sich, insbesondere was die Operation am Horn von Afrika angeht, die Frage, um was es hierbei eigentlich geht. Geht es noch um die Bekämpfung des Terrorismus, oder hat sich die Mission, dieses Mandats nicht faktisch weiterentwickelt, und zwar in Richtung Sicherung der Handelswege? Ich erwarte, dass sich die Bundesregierung diesen Fragen endlich stellt und sie gemeinsam mit den Partnern Deutschlands erörtert. Das ist zwingend notwendig, wenn sie zukünftig Unterstützung erhalten möchte. Meine Damen und Herren, ich denke, das Ziel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist unbestritten. Wir brauchen den Vorrang des Politischen vor dem Militärischen. Ohne militärische Absicherung geht es jedoch nicht. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, auf dem weiteren Weg für die richtige Gewichtung zu sorgen. Für die FDP-Bundestagfraktion sage ich: Wir sind bereit, Sie dabei parlamentarisch zu unterstützen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte den Deutschen Bundestag um Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung, den Beitrag der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen Terrorismus um zwölf Monate zu verlängern. Wir haben gerade erst erlebt, dass auch wir von Anschlägen in Afghanistan direkt betroffen sind. Ich glaube, dies hat uns deutlich vor Augen geführt: Solange es terroristische Aktivitäten wie die, die jetzt konkret in Afghanistan zu beobachten waren, gibt, ist es notwendig, das OEF-Mandat zur Bekämpfung des Terrorismus zu verlängern. Dieses Mandat stellt einen Beitrag zur Unterstützung unserer Bemühungen zur Gewährleistung von Sicherheit und Wiederaufbau dar. OEF und ISAF bedingen einander. OEF ist eine Grundlage für die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Mandats. ({0}) Im Rahmen des OEF-Mandats operieren wir zum einen in Afghanistan, zum anderen am Horn von Afrika; das konzediere ich gerne, Frau Kollegin Homburger. Ich war gerade mit Kollegen aus dem Deutschen Bundestag in Akaba. Dort waren auch Soldaten zugegen, die im Rahmen von OEF ihren Dienst tun. Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin Homburger: Unsere Soldatinnen und Soldaten sichern am Horn von Afrika die Seewege und verwehren so erstens Terroristen den Zugang zu Rückzugsgebieten, und zweitens leisten sie damit einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit dieser Seepassage. 80 Prozent unseres Handels erfolgen ja über See. Sie wissen: Es ist ein großes Seegebiet, vom Zugang zum Roten Meer über die Küste Somalias, die Seewege vor Jemen und Oman bis hin zur Straße von Hormus, in dem unsere Marinesoldatinnen und -soldaten Sicherheit gewährleisten und terroristischen Aktivitäten entgegentreten. Im letzten Jahr haben sie zum Beispiel 900 Schiffe im Hinblick auf derartige Aktivitäten untersucht. Das ist ein Beitrag zur Terrorismusbekämpfung, aber eben auch ein Beitrag zur Herstellung der Seesicherheit im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Im Rahmen der Operation Active Endeavour im Mittelmeer treten unsere Marinekräfte ebenfalls terroristischen Aktivitäten entgegen und gewährleisten auch dort die Seesicherheit. Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir unsere Grundkonzeption der vernetzten Sicherheit weiter umsetzen und durchsetzen. Die umfassende Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowohl mit politischen, mit entwicklungspolitischen und mit polizeilichen als auch mit militärischen Maßnahmen bleibt notwendig. Deshalb bedingen die Mandate einander. Ich halte es für wichtig, dass es uns gelungen ist, in Afghanistan eine Koordinierung zwischen ISAF und OEF vorzunehmen und mit konkreten Weisungen darauf hinzuwirken, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Verhältnismäßigkeit ist ja ein Punkt, der gerade in den vergangenen Wochen in der Diskussion eine Rolle gespielt hat. Wenn Sie einmal die Situation im ersten Halbjahr mit der in diesem Halbjahr vergleichen, dann kommen auch Sie, denke ich, zu dem Schluss: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Wir müssen aber auch terroristische Aktivitäten zu12730 rückdrängen. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, wenn wir der Strategie der Taliban, zivile Opfer zu verursachen, um damit die politische Diskussion zu bestimmen, entgegenwirken wollen. Deshalb ist diese Koordinierung zwischen ISAF und OEF in Afghanistan, die wir in concreto durchsetzen konnten, so wichtig. Das alles sind Punkte, die aus meiner Sicht zu einer wirkungsvollen und entschiedenen Terrorismusbekämpfung dazugehören. Wir können es uns erlauben, den Personalumfang des Mandats von 1 800 auf 1 400 Soldatinnen und Soldaten zu verringern. Dies reicht sowohl für unseren Auftrag in Afghanistan als auch für unseren Auftrag am Horn von Afrika als auch für unseren Auftrag im Mittelmeer im Rahmen von Active Endeavour. Konkret besteht unsere Beteiligung aus folgenden Teilkontingenten: 1 000 Soldaten der See- bzw. Seeluftstreitkräfte, 100 Soldaten der Spezialkräfte, 100 Soldaten der Unterstützungskräfte, 100 Soldaten der Lufttransportkräfte und 100 Sanitätern. Dieses Mandat - das will ich ebenfalls unterstreichen dient auch der Sicherheit unserer Bevölkerung. Denn es ist wesentlich klüger, die Gefahr unmittelbar an der Quelle zu beseitigen, und nicht erst dann, wenn sie in wesentlich größerem Umfang die Bundesrepublik Deutschland erreicht. Deshalb bitte ich Sie, der Verlängerung des Mandats OEF, das der Terrorismusbekämpfung dient, zuzustimmen. Besten Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stimmen in diesem Hause darin überein, dass der internationale Terrorismus bekämpft werden muss. Worin wir uns unterscheiden, ist, welches der Weg ist, den wir dazu beschreiten müssen. Meine Fraktion bleibt bei der Auffassung, dass Krieg kein geeignetes Mittel ist, den Terrorismus zu bekämpfen. ({0}) Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir Terrorismus durch Kriege geradezu heranzüchten, und wir bleiben bei der Auffassung, die auch von den Sicherheitsdiensten und einigen Politikern in Deutschland geteilt wird, dass wir uns den Terrorismus durch solche Kriege geradezu in unser eigenes Land holen. Wie die indirekte Beteiligung am Irakkrieg, so ist auch die direkte Beteiligung am Krieg in Afghanistan ein Bruch des Völkerrechts. Bauern, die ihr Feld bestellen, sind von Talibankämpfern nicht zu unterscheiden. Unabhängig von der UNO-Entscheidung, die Sie bemüht haben, Herr Bundesaußenminister, gelten die Genfer Konventionen. Durch die Genfer Konventionen wird der Schutz der Zivilbevölkerung gefordert, der in Afghanistan nicht im Mindesten gewährleistet ist. Die Beteiligung an der OEF ist ein grundsätzlicher, ein fundamentaler Bruch mit einer Friedenspolitik, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein Markenzeichen Deutschlands war. ({1}) Ich rufe zwei Zeugen auf: die Kanzler Helmut Schmidt und Willy Brandt. Helmut Schmidt sagte vor einigen Tagen in einem Interview - jeder von Ihnen konnte das lesen -: … dieses Streben einiger Deutscher nach mehr Verantwortung in der Welt ist mir zutiefst unsympathisch. … Das Argument, Menschen in Not mit dem Einsatz von Waffen zu helfen, hat es bis 1990 nicht gegeben. … Entwicklungshilfe ist ein gutes Konzept, das seit Kriegsende gegolten hat. Das Völkerrecht verbietet die militärische Intervention in einem souveränen Staat, wie schwach oder stark er innerlich auch sein mag. … Der Grund für die Intervention war ausschließlich al-Qaida; und inzwischen ist al-Qaida nach Pakistan gezogen. Sollen wir demnächst auch dort einmarschieren? Meine Damen und Herren, bisher stand im Grundsatzprogramm der einen Koalitionspartei, der SPD: „Krieg darf kein Mittel der Politik sein“. - Das galt viele Jahrzehnte. Jetzt wird dieser Satz durch die Formulierung aufgehoben: „Der Einsatz militärischer Mittel bleibt für uns Ultima Ratio“. Das ist eine grundsätzliche Abkehr von der Politik Willy Brandts, ({2}) der in seiner Nobelpreisrede am 11. Dezember 1971 sagte: Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio. Auch wenn das noch nicht allgemeine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche. Dass Ihre Politik die Ultima Irratio im Sinne Brandts ist, zeigen die schrecklichen Fakten. Seit Jahresbeginn wurden in Afghanistan laut Agenturmeldungen 5 600 Menschen getötet. Zwei Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan, von Terre des Femmes eingeladen, sagten: Seit 2004 ist es schlimmer geworden. Es ist fast wieder wie unter den Taliban. In ihrer Verzweiflung wählen Frauen oft den Freitod durch Selbstverbrennung. Allein in der Stadt Herat gibt es 200 Fälle pro Jahr. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb kürzlich in einem Aufsatz: Die Arbeit humanitärer Helfer ist von Afghanistan bis Darfur aus politischen Gründen gefährlicher geworden - sie gelten mittlerweile als Kriegspartei … Wie im Irak, so ist auch in Afghanistan diese sogenannte militärische Mission komplett gescheitert. ({3}) Man kann Töten nicht durch Töten verhindern. Wir bleiben bei dieser Auffassung: Krieg ist und bleibt das falsche Mittel. Es wäre gut, wenn Sie diesen Weg wieder verließen und sich wieder zu der verlässlichen Außenpolitik der Bundesrepublik bekennen würden, die jahrzehntelang ein Markenzeichen Deutschlands war. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist unverändert meine Überzeugung und Erfahrung, dass Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan weiterhin der militärischen Absicherung bedürfen und dass internationaler Terrorismus auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Zugleich reicht es aber ganz und gar nicht, diese prinzipielle Erklärung abzugeben. Vielmehr haben wir heute konkret zu überprüfen, was die militärische Antiterroroperation Enduring Freedom bringt und inwieweit sie noch legitim, wirksam und verantwortbar ist. ({0}) Dazu muss ich sagen: Die Bundesregierung und ihre beiden Minister haben bisher zu erheblichen Teilen um dieses Thema herumgeredet. Es ist zwar wichtig, etwas zum Aufbau Afghanistans zu sagen und Wünsche zur Zukunft von Enduring Freedom zu äußern. Vor allem aber geht es aber darum, wie Enduring Freedom heute aussieht, Herr Minister. Dazu sagten Sie in den letzten Jahren notorisch nichts. ({1}) Zur völkerrechtlichen Legitimation von Enduring Freedom: Vor sechs Jahren wurde nach dem 11. September das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch genommen. Sechs Jahre danach wird - so meinen wir - diese völkerrechtliche Grundlage aber immer dünner und fragwürdiger. Jetzt weiter auf das Selbstverteidigungsrecht zu pochen, heißt, es völlig zu entgrenzen und damit das internationale Gewaltverbot im Grunde zu zersetzen. ({2}) Zum Teilauftrag Marine nur wenige Worte: Wir Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren am Horn von Afrika und haben festgestellt, dass der ursprüngliche Auftrag und die Einsatzrealität inzwischen völlig auseinandergelaufen sind. Das heißt, hier, wo es unbestritten um eine Frage kollektiver Sicherheit geht, ist ein klares UN-Mandat notwendig; anders geht es nicht. ({3}) Nun zum Teilauftrag Afghanistan, Kommando Spezialkräfte: Dass ein Großteil von Enduring Freedom inzwischen für die strategisch wichtige Aufgabe der Ausbildung von Armee und Polizei eingesetzt wird, ist gut. Allerdings ist zu fragen, warum dieser große Ausbildungsanteil nicht unter dem Dach von ISAF geleistet wird. Herr Minister, Sie haben dies zu Recht als eine Möglichkeit und Notwendigkeit angedeutet. ({4}) Den strittigen Kern stellt aber die Antiterroroperation Enduring Freedom dar. OEF war zunächst zur Vertreibung der Taliban und in den Jahren danach zum Fernhalten der Taliban notwendig. Seit jedoch nach der Ausweitung von ISAF auf das ganze Land die Gewalt in den ursprünglichen Operationsgebieten von Enduring Freedom geradezu explodiert ist, muss man verstärkt die Frage nach der Wirksamkeit stellen. Alles, was ich dazu ansonsten gehört habe, ist so beunruhigend wie eindeutig. Hochrangige Insider haben mir gegenüber die Operationsweise von Enduring Freedom mit folgenden Worten beschrieben: Es gehe nicht vorrangig darum, Gefangene zu machen, sondern darum, die Taliban zu zerschlagen; die Taliban würden mithilfe der Luftwaffe gnadenlos niedergemacht. Sehen Sie sich bitte auch die Meldungen über Enduring Freedom der letzten Tage und Wochen auf der entsprechenden Webseite an. 10. Oktober, Uruzgan: Zur Unterstützung von 60 Koalitionssoldaten wurde über 19 Stunden Luftnahunterstützung mit 13 Kampfbombern geflogen. Oder 19./20. Oktober, Musa Kala - manchen ist diese Distrikthauptstadt vielleicht bekannt -: Mehr als drei Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Eine Woche später: Sieben Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Dies alles wird mit Aufständischenbekämpfung begründet, allerdings in den Zusammenhängen von Stammesgesellschaften, wo man eben nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten, also dem Normalafghanen, der mit der Knarre herumläuft, unterscheiden kann. ({5}) In der jüngsten OEF-Unterrichtung der Bundesregierung steht folgender Satz: Nur wenn extremistischen Kräften wirkungsvoll begegnet wird, kann eine nachhaltige Befriedung des Landes gelingen. Die tatsächliche Wirksamkeit der Antiterrororganisation von Enduring Freedom ist äußerst zwiespältig. Mili12732 tärische Siege gibt es am laufenden Band. Aber zugleich werden dabei - das ist die Botschaft, die wir aus Afghanistan immer wieder hören - fortwährend Köpfe und Herzen der Bevölkerung verloren. ({6}) Deshalb muss ich feststellen: OEF ist inzwischen längst kontraproduktiv geworden. ({7}) Sie dient nicht, wie vorgesehen, der Terrorismuseindämmung, sondern facht den Terrorismus eher an. Sie ist nicht die einzige Ursache dafür, aber sie trägt dazu bei. Das schadet dem ISAF-Auftrag und dem internationalen Aufbau mehr, als es ihm nutzt. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass eine weitere Bereitstellung von deutschen KSK-Soldaten für eine solche Operation nicht mehr notwendig, legitimierbar und verantwortbar ist. Die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass militärische Sicherheitsunterstützung in Afghanistan allein unter dem Dach von ISAF stattfindet, und das nicht zuletzt im Sinne eines effektiven Multilateralismus, der eindeutig an Völkerrecht und Menschenrechte gebunden ist. Danke. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist interessant, dass die OEF zwar überwiegend außerhalb von Afghanistan stattfindet, wir aber insbesondere - das ist auch nachvollziehbar - über Afghanistan reden. Herr Kollege Nachtwei, Sie wissen, wie Sie auch bei uns als engagierter Politiker und sicherlich auch als Sachkenner Afghanistans geschätzt werden, wenn man sich überhaupt als solcher - ich beziehe mich ebenfalls mit ein - bezeichnen kann. Denn unsere Besuche dort waren zeitlich begrenzt. Ich glaube nicht, dass wir alle über repräsentative Bilder verfügen. Ich warne ein bisschen davor, immer das zu übernehmen, was uns einzelne mit auf den Weg gegeben haben. Mir lag zum Beispiel vor wenigen Tagen eine sehr interessante Untersuchung von kanadischen Instituten vor, die von den großen Tageszeitungen, der Rundfunkanstalt und der Universität von Ottawa beauftragt waren. Darin stellt sich das von den befragten Menschen aufgezeigte Bild von Afghanistan etwas anders dar, als wir es möglicherweise gegenwärtig selbst wahrnehmen und durch unsere eigenen Beiträge erzeugen. Wir müssen uns davor hüten, in dieser punktuellen Information und Darstellung die Realitäten, die sich zum Positiven entwickelt haben, zu übersehen. Ich bin dem Bundesaußenminister sehr dankbar für seine sensiblen Worte zu dem Attentat in Baghlan. Dieses Ereignis ist unvorstellbar furchtbar. Stellen Sie sich vor, eine Delegation von 18 Bundestagsabgeordneten besucht ein Institut, und sechs werden dort durch ein Attentat ermordet. Sie können sich vorstellen, welche Empfindungen heute im Saal vorherrschen würden. Meine Betroffenheit und mein Mitgefühl mit allen, die dem Anschlag zum Opfer gefallen sind, und mit ihren Familien sind sehr groß. ({0}) Ich bin der Kollegin Homburger sehr dankbar für ihren Beitrag. Für die Querelen mit der SPD habe ich ein bisschen Nachsicht. Ich weise darauf hin, Frau Kollegin, dass wir uns in den zurückliegenden Monaten mit großer Entschiedenheit des Themas Afghanistan angenommen haben. Ich glaube, dass wir etliches dazu beigetragen haben und manches - ob Strategiewechsel oder stärkeres ziviles Engagement - mit darauf zurückzuführen ist. ({1}) Wenn in unserer Öffentlichkeit das Thema Afghanistan diskutiert wird - das übrigens gegenwärtig nicht den großen Zuspruch erhält, den wir Gott sei Dank im Parlament immer noch erreichen -, dann finde ich es vernünftig, dass wir zum Beispiel unseren Parteitag zu Recht in die Lage versetzen, dieses Thema zu diskutieren, bevor Entscheidungen getroffen werden können. Schließlich wird in der Regel immer im November über dieses Mandat entschieden. Das bitte ich mit zu berücksichtigen. Ich halte es für dringend notwendig, dass wir im Bereich der Sicherheit außerhalb des Militärs weitaus größere Anstrengungen unternehmen. ({2}) Richten Sie noch einmal den Blick auf unseren Einsatz, den europäischen Einsatz und den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft im Kosovo. Das ist verglichen mit Afghanistan ein Landkreis. Gestern habe ich erfahren, dass sich die Europäische Union - das ist gut und richtig - mit 1 800 Juristen vorbereitet, dort die Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und zu sichern. Überträgt man das auf Afghanistan, wo dies dringend notwendig ist, dann wird sofort deutlich, wo die Defizite liegen. Ich fände es natürlich gut, wenn der Bundesinnenminister und die Landesinnenminister einmal ein Signal dafür setzten, dass nun alle Anstrengungen unternommen werden, um dorthin 100, 200 oder möglicherweise sogar 300 Ausbilder zu schicken. ({3}) Herr Fried hat nach einem Kurzbesuch in Afghanistan in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, er habe den Eindruck, dass dort eigentlich nur verwaltet werde und nicht mit Leidenschaft um den Erfolg gerungen werde. Damit hat er nicht ganz unrecht. Wir müssen darauf achten - dazu fordere ich das Parlament und die Ausschüsse auf -, dass wir ausreichend Druck ausüben und für eine entsprechende Dynamik sorgen. Kollege Lafontaine, wir alle haben erwartet, dass Sie unsere großen Vorbilder zitieren. Man kann die Situation natürlich immer so interpretieren, wie man es braucht. Ich habe Jahrzehnte mit Willy Brandt verbringen dürfen. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von Berlin nach dem 13. August 1961 die Amerikaner mit Nachdruck aufforderte - das hat zu Spannungen in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland bzw. Berlin geführt -, endlich Panzer zu schicken, und gesagt hat: Wir wollen ein Zeichen der Solidarität sehen, dass Westberlin nicht allein steht. Dieser große Friedenspolitiker hat damals zu Recht - darum gebeten, militärische Präsenz zu zeigen, um deutlich zu machen, wo die Grenzen sind und dass wir nicht bereit sind, einfach den Kopf hinzuhalten und ihn uns sozusagen abschlagen zu lassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Dzembritzki, kommen Sie bitte zum Schluss.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Sicherheit in Afghanistan hängt für eine gewisse Zeit noch von der militärischen Präsenz ab. Ich bitte, das nicht zu diskreditieren, sondern zu respektieren. Ohne Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich. Aber ohne Entwicklung ist auch Sicherheit nicht denkbar. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSUFraktion.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Nachtwei, es ist schon bemerkenswert, was der Ausstieg aus der Regierungsverantwortung bei Ihnen so alles bewirkt hat. ({0}) - „Rauswurf“ ist vielleicht sogar die bessere Bezeichnung. - Nicht auszudenken, welche Pirouetten Sie, wenn Sie irgendwann in die Regierungsverantwortung zurückkehrten - das möge der liebe Gott verhüten -, drehen müssten, um das darzulegen, was Sie in den ersten Jahren Ihrer Regierungszeit zu OEF haben verlauten lassen! Darauf warten wir mit Spannung, allerdings nicht auf Ihre Rückkehr in die Regierungsverantwortung. ({1}) Herr Kollege Lafontaine, es war einmal mehr interessant, zu sehen, welche Begründungsmuster Sie im Hinblick auf das Mandat aufgebaut haben. Bemerkenswert war heute, dass Sie keine eigene Begründung, sondern lediglich fremde Zitate angeführt haben. Das ist nicht gerade Ausdruck einer großen Rede. Aber es wurde klar: Es geht Ihnen nicht um die Verantwortung dieses Landes. Es geht Ihnen auch nicht um die Menschen in Afghanistan. Es geht Ihnen mit Sicherheit nicht um die Sicherheit unseres Landes. ({2}) Angesichts Ihrer Begründung muss man sagen, dass es Ihnen einmal mehr um einen populistischen Rundumschlag geht. Das geht an der Verantwortung unseres Landes vorbei. ({3}) Die von Ihnen angestoßene Debatte krankt an einem gewissen Mangel an Aufrichtigkeit. Ihre Behauptung, dass das Mandat, über dessen Verlängerung wir heute debattieren, keine völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlage habe, ist schlicht barer Unsinn. ({4}) Streuen Sie den Menschen unseres Landes doch nicht Sand in die Augen! Durch stete Wiederholung wird diese Behauptung nicht richtiger, Herr Lafontaine. Sie bleibt falsch. Lesen Sie doch einmal die Begründungen des Bundesverfassungsgerichtes! Gelegentlich bildet Lesen. Sie benutzen OEF wiederholt als pazifistisches Feigenblatt; das bietet sich möglicherweise an. Sie werden mit Ihrer Ablehnung des Mandats und Ihrer Forderung nach einem Abzug aus Afghanistan möglicherweise Ihren Zielen gerecht, nicht aber unserem Ziel, Afghanistan aufzubauen. Das wäre in meinen Augen schlicht ein Verrat an den Menschen vor Ort, ein Verrat an Afghanistan. ({5}) Wir sind in Afghanistan aber eine Verpflichtung eingegangen und werden auch in Zukunft daran festhalten, Herr Lafontaine. ({6}) Darüber hinaus verschweigen Sie einen Punkt, klammern in Ihrer Darstellung des Mandats eines völlig aus: Es ist sicherlich richtig, dass ein hohes Maß an Verbesserungsbedarf gegeben ist. Herr Nachtwei und Frau Homburger haben das immer wieder benannt, auch was die Mandatsstruktur anbelangt. Eines allerdings ist Ge12734 genstand dieses OEF-Mandates, was man nicht oft genug wiederholen kann, nämlich die Ausbildungskomponente. Sie umfasst den größten Teil dessen - der Herr Bundesminister hat das benannt -, was unter OEF stattfindet. Wenn wir tatsächlich ein Interesse in Afghanistan haben, dann besteht es in der Ausbildung der Sicherheitskräfte vor Ort, die wir mit Vehemenz betreiben müssen. Das ist ein Beitrag zur Stabilität, und dieser Beitrag wird unter OEF geleistet. Daran muss man gelegentlich erinnern. OEF ist nicht nur das, was Sie benennen. Lediglich nach Abzug zu rufen, lediglich zu behaupten, dass das Mandat völkerrechtswidrig sei, was nicht der Fall ist, ist mit Sicherheit kein Konzept. Konzeptionen müssen zusammengeführt werden, aber nicht in der Art und Weise, wie es heute die Linke versucht hat. Herzlichen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Herr Kollege zu Guttenberg, Sie müssen schon eine Frage beantworten, wenn Sie bemängeln, dass mein Kollege Lafontaine die völkerrechtliche Situation nicht korrekt beurteilt hat: Wieso fordern denn der SPD-Parteitag und der Bundesaußenminister in seiner Rede eine eigene VN-Resolution zur Operation Enduring Freedom? Das heißt, man ist sich schon klar darüber, dass die völkerrechtliche Basis, was die Vereinten Nationen angeht, mehr als dünn ist, wenn man nach sechs Jahren auf die Idee kommt, dass es eigentlich einer Resolution der Vereinten Nationen bedürfte. Das müssen Sie doch einfach zugeben. ({0}) Hier so zu tun, als ob völkerrechtlich alles klar wäre, ist eigentlich ein Werfen von Nebelkerzen. Werfen von Nebelkerzen ist auch, lieber Herr Kollege, wenn man heute besonders auf die Ausbildungskomponente von OEF abhebt. Die war nie Ziel von OEF. ({1}) OEF war immer ein Kampfeinsatz; dieser Einsatz war so geplant und wird so geführt. Dem muss man sich stellen. Es ist aus meiner Sicht völlig klar: Am Hindukusch, in Afghanistan herrscht Krieg, und Deutschland führt Krieg am Hindukusch. Das muss man in aller Deutlichkeit aussprechen und nichts anderes. Darüber können Sie nicht hinwegreden. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung Herr Kollege zu Guttenberg.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter Herr Kollege Gehrcke, was die Ausbildungskomponente anbelangt, so habe ich vorhin betont, dass sie die größte Komponente von OEF darstellt. Das ist nicht nur eine Fußnote, sondern Ausbildung ist ein Schwerpunkt der Operation Enduring Freedom. Was die völkerrechtliche Grundlage anbelangt, so würden wir, Herr Kollege Gehrcke, wahrscheinlich noch die nächste halbe Stunde hier stehen, wenn ich die Resolutionen 1386 ff., 1373, 1368, 1444 - weitere ließen sich nennen - mit Ihnen diskutieren oder wenn ich auf Art. 51 der UN-Charta und auf Art. 5 des NATO-Vertrages verweisen würde. Vor diesem Hintergrund kann die Behauptung, dass eine völkerrechtliche Grundlage nicht gegeben sei, schlichtweg nur als absurd bezeichnet werden. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6939 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/6971 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Nationale Integrationsplan Neue Wege - Neue Chancen - Drucksache 16/6281 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Kultur und Medien Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass nach diesem Tagesordnungspunkt, also in etwa 90 Minuten, eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte, sich darauf in der weiteren Zeitplanung einzurichten. Präsident Dr. Norbert Lammert Im Übrigen wäre es schön, wenn diejenigen, die dem nächsten Tagesordnungspunkt nicht folgen können oder wollen, dazu beitragen würden, dass diejenigen, die bleiben oder gerade hinzukommen, mit der notwendigen Aufmerksamkeit der Debatte folgen können. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Staatsministerin im Kanzleramt, Frau Professor Böhmer.

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In unserem Land leben mehr als 15 Millionen Menschen aus Zuwandererfamilien. Das ist immerhin ein Fünftel der Bevölkerung. Viele dieser Menschen haben ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden. Sie sind erfolgreich. Sie tragen mit ihren Fähigkeiten und mit ihren Leistungen zum Wohlstand und zur Vielfalt unseres Landes bei. Und sie schaffen Arbeitsplätze: Ich verweise auf die 600 000 Unternehmer ausländischer Herkunft in unserem Land. Aber wir müssen auch sagen: Die Integrationsprobleme haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Es gibt Menschen aus Zuwandererfamilien, die nicht genügend deutsch sprechen. Sie schneiden in Bildung und Ausbildung schwächer ab. Sie sind häufiger arbeitslos. Darunter sind viele - viel zu viele - junge Menschen. Wir können es uns nicht leisten, dass es in unserer Gesellschaft eine verlorene Generation gibt. ({0}) Nicht hinnehmbar ist, dass einige die Grundregeln unseres Zusammenlebens nicht akzeptieren. Integration braucht die Basis gemeinsamer Werte. Notwendig ist auf der Seite der Zuwanderer die Bereitschaft, sich auf ein Leben in Deutschland wirklich einzulassen. Das heißt, Ja zu unserem Grundgesetz, zu unserer Rechtsordnung und zu unserer deutschen Sprache zu sagen. Notwendig ist auf der anderen Seite, dass diejenigen, für die Deutschland Heimat ist, wirklich offen sind gegenüber denjenigen, die zu uns kommen, und sie ehrlich willkommen zu heißen. Für die Bundesregierung ist Integration eine Aufgabe von nationaler Bedeutung. Ich sage hier ganz klar: Wir haben in der Integrationspolitik umgesteuert. ({1}) Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander. Das ist der entscheidende Punkt. Wir nehmen damit die Menschen, die zu uns gekommen sind, ernst. In der Vergangenheit ist vieles nur über Beiräte geschehen. Wir binden sie gleichberechtigt ein. ({2}) Wir fordern und fördern, und wir setzen auf Teilhabe und Eigenverantwortung. Dafür steht dieser Nationale Integrationsplan. Mit ihm haben wir ein neues Kapitel in der Integration aufgeschlagen. Entscheidend war: Die Bundeskanzlerin hat alle an einen Tisch geholt. Zum ersten Integrationsgipfel kamen Vertreter aller staatlichen Ebenen: der Verbände, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Kirchen, der Religionsgemeinschaften, der Wissenschaft, des Sports, der Medien, der Kultur. Vor allen Dingen saßen die Migrantinnen und Migranten an diesem Tisch, und sie haben damit die Integrationspolitik mitgestaltet. Der 14. Juli 2006 war ein historischer Tag in unserem Land. ({3}) Er war der Startschuss für die Arbeit am Nationalen Integrationsplan. 400 Personen haben daran mitgewirkt. Zum ersten Mal haben Migrantinnen und Migranten eine aktive Rolle in der Integrationspolitik gespielt. Sie haben sich dieser Verantwortung gestellt, und das kommt in vielen Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrationsplan zum Ausdruck. Zum ersten Mal haben die Ministerpräsidenten einen gemeinsamen Beschluss zur besseren Integration vonseiten der Länder gefasst, und zum ersten Mal haben die kommunalen Spitzenverbände eine gemeinsame Erklärung zur Integration abgegeben. Wie wir wissen, geschieht Integration vor Ort. Dort entscheidet sich das Zusammenleben. Integration vor Ort muss Chefsache sein. In den Städten werden Integrationskonzepte weiterentwickelt und umgesetzt. Das schafft bessere Ausgangsbedingungen für erfolgreiche Integration in den Kommunen. ({4}) Aber wir wissen auch, dass Integration nicht verordnet und nicht allein vom Staat geleistet werden kann. Sie muss in unserer gesamten Gesellschaft wachsen und vorangebracht werden. Deshalb brauchen wir eine aktive Bürgergesellschaft. Ein besonderes Kennzeichen des Nationalen Integrationsplans sind die 400 Selbstverpflichtungen, die zeigen, dass viele dafür einstehen und Verantwortung dafür übernehmen wollen; damit leisten sie einen ganz konkreten Beitrag zur Integration in unserem Land. Die Bundesregierung hat selbst 150 Selbstverpflichtungen eingebracht. Wir stellen 750 Millionen Euro dafür bereit, dass Integration in unserem Land vorankommt. All dieses unterstreicht: Der Nationale Integrationsplan ist eine große Gemeinschaftsleistung, die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Ich möchte allen danken, die dazu beigetragen haben. Ich danke ganz besonders der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den Anstoß für den Nationalen Integrationsplan gegeben hat. Der SPD-Bundestagsfraktion danke ich für die breite Unterstützung. Bei all den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, die mit Anregungen, Impulsen, Rat und auch so mancher kritischer Anmerkung dazu beigetragen haben, dass wir den Nationalen Integrationsplan als erstes integrationspolitisches Gesamtkonzept heute hier diskutieren können, bedanke ich mich ebenfalls. Die Bundeskanzlerin hat den Nationalen Integrationsplan am 12. Juli dieses Jahres beim zweiten Integrations12736 gipfel vorgestellt. Wir sind jetzt mitten in der Umsetzung; denn wir haben bei der Integration keine Zeit zu verlieren. Der Erwerb der deutschen Sprache zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Nationalen Integrationsplan. Denn nur wer die deutsche Sprache beherrscht, wird auch Zugang zu den Chancen und Möglichkeiten, die unser Land bietet, finden. Sprache ist in diesem Zusammenhang mehr als nur Kommunikation. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat gesagt: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ Wir wollen helfen, dass diese Grenzen überwunden werden können. Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder von der Grundschule an deutsch sprechen können, sodass sie dem Unterricht wirklich folgen können. Das ist ein entscheidender Punkt im Nationalen Integrationsplan. Die Länder haben sich zur Sprachförderung in den Kindergärten und zur flächendeckenden Durchführung von Sprachstandstests verpflichtet. Gerade in diesen Tagen geht Hessen als eines der großen Bundesländer diesen wichtigen Schritt. ({5}) Für die Bundesregierung sind die Integrationskurse das entscheidende Instrument, um die Sprachförderung voranzubringen. Wir haben gesagt, dass wir die Integrationskurse verbessern wollen, und wir erfüllen dieses Versprechen. Ich habe mich über die vielen Vorschläge, die in den Nationalen Integrationsplan eingegangen sind, gefreut. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die daran aktiv mitgewirkt haben. Es gab viele Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Differenzierung nach Zielgruppen, die Erhöhung der Stundenzahl und das Angebot von Kinderbetreuung, sodass auch Mütter davon profitieren können. Die guten Vorschläge werden jetzt zügig umgesetzt. Die Integrationskursverordnung wird in Kürze auf den Weg gebracht sein. Ich bin mir sicher, dass dann auch die finanziellen Mittel vom Bundestag bereitgestellt werden. Es wäre gut, wenn wir die vorgesehenen 155 Millionen Euro zur Verfügung hätten. Von Anfang an die deutsche Sprache zu fördern, bedeutet auch, dass wir endlich die Sprachlosigkeit der Mütter überwinden müssen. Denn sie behindert in vielen Fällen die notwendige Unterstützung der Kinder. Wir haben deshalb auch einen Paradigmenwechsel vollzogen. Wir setzen nicht mehr nur auf nachholende Integration. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gehen wir in Richtung vorbereitende Integration. Es gab viel Kritik daran, dass schon im Herkunftsland erste Sprachkenntnisse erworben werden sollen. Ich halte das für richtig; denn die Frauen, die in unser Land kommen, müssen sich verständigen und teilhaben können. Sie dürfen nicht ausgeschlossen und unmündig bleiben. Deshalb sind die Weichenstellungen, die wir in Bezug auf den Erwerb der deutschen Sprache schon im Herkunftsland vorgenommen haben, so wichtig. ({6}) Wir sind uns einig: Bildung ist der Schlüssel für Integration. Es gibt dazu eine Vielzahl von Maßnahmen im Nationalen Integrationsplan. Wichtig ist, dass Schulen sich besser auf viele Kinder aus Zuwanderungsfamilien einstellen können. Wenn heute nicht mehr nur 30 Prozent der Kinder, sondern oft 70, 80 Prozent oder mehr Kinder aus Zuwanderungsfamilien in einer Klasse sind, bedeutet dies eine völlig andere Unterrichtssituation für Lehrerinnen und Lehrer. Deshalb war es so wichtig, dass die Länder gesagt haben: Wir wollen in den nächsten fünf Jahren dafür sorgen, dass alle Lehrerinnen und Lehrer über Fortbildungsmaßnahmen die Möglichkeit haben, an Sprachförderungsmaßnahmen teilzunehmen, sodass sie nachher im Unterricht wirklich diese Aufgabe leisten können, dass in jedem Fach - nicht nur in Deutsch - Sprachförderung stattfindet und die Bildungschancen sich für Kinder verbessern; denn Bildungschancen dürfen in unserem Land keine Frage der Herkunft sein. ({7}) Was mich von Anfang an ganz besonders umgetrieben hat, war die Ausbildungssituation. Es ist doch ein Alarmzeichen, wenn 40 Prozent der Jugendlichen ohne jegliche berufliche Qualifizierung bleiben. Es muss uns umtreiben, dass die Ausbildungsquote in den letzten Jahren gesunken ist, dass die Jugendlichen aus Zuwanderungsfamilien von der Verbesserung der Ausbildungssituation nicht so profitiert haben wie die deutschen Jugendlichen. Deshalb ist es so entscheidend, dass beim Ausbildungspakt das Thema Integration jetzt fest verankert ist. Es ist hoch anzuerkennen, dass Unternehmer ausländischer Herkunft gesagt haben: Wir wollen 10 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung stellen. - Die Bundesregierung sorgt mit der Initiative „Aktiv für Ausbildung“, dem Jobstarter-Programm und der Flankierung durch das Sonderprogramm EQJ dafür, dass die Chancen besser werden. Aber die Chancen müssen von den Jugendlichen und ihren Familien auch ergriffen werden. Deshalb werbe ich dafür, dass wir deutlich machen: Über Bildung und Ausbildung geht der Weg in eine gute Zukunft in unserem Land. Wir wollen dies auch den Eltern vermitteln. Deshalb brauchen wir Brückenbauer, Brückenbauer, die in den Familien - ob das die türkische Familie oder die italienische Familie ist - sagen: Schickt eure Kinder in den Kindergarten! Unterstützt sie auf dem Weg in die Schule und beim Übergang in die Ausbildung! - Wir wollen den Eltern auch helfen, indem wir ein Netzwerk „Bildungspaten“ aufbauen. Die Wirtschaft zieht mit. Wir haben die „Charta der Vielfalt“ auf den Weg gebracht. So haben wir vieles in den Nationalen Integrationsplan aufgenommen. Er ist mehr als die Summe der 400 Einzelmaßnahmen. Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir eine Aufbruchstimmung in unserem Land erzeugt. Wir wollen über neue Wege neue Chancen geben. In dieser Woche gestaltet das ZDF eine Woche der Integration mit dem Titel „Wohngemeinschaft Deutschland“. Das kann nicht bedeuten, dass es ein Kommen und Gehen ist. Eine Wohngemeinschaft muss auch Zusammenhalt bedeuten. Sie muss bedeuten, füreinander einzustehen. Sie muss bedeuten, wechselseitig Verantwortung zu übernehmen. ({8}) Ich kann Ihnen zusichern: Wir werden nicht lockerlassen, wenn es um die Umsetzung all dessen geht, was im Nationalen Integrationsplan steht. Nächstes Jahr im Herbst wird Zwischenbilanz gezogen. Wir werden dafür sorgen, dass aus dem Plan Wirklichkeit wird - für ein gutes Zusammenleben in unserem Land, damit alle die Chancen in diesem Land nutzen und an ihnen partizipieren können. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Laurischk für FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den Nationalen Integrationsplan haben wir in den vergangenen Monaten schon so manches gehört, aber heute wird zum ersten Mal im Deutschen Bundestag darüber diskutiert. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung sich des Themas annimmt. Wir sind aber skeptisch, ob der Plan auch wirklich zu den Ergebnissen führen wird, die gewünscht sind und die Frau Böhmer gerade vorgetragen hat. Daran wird der Erfolg zu messen sein. Zu den Problemen mit dem Thema Integration haben wir alle selbst beigetragen - das sollten wir nicht vergessen -; denn wir haben lange die Tatsache, ein Einwanderungsland zu sein, geleugnet und ignoriert. Lange herrschte die Fehlvorstellung, dass Ausländer wieder in ihre Heimat zurückgehen und Zuwanderer mit deutscher Staatsangehörigkeit ohnehin problemlos dazugehören. Wir haben mangelhafte rechtliche Rahmenbedingungen für Zuwanderung und Integration zu lange nicht wahrgenommen. Außerdem besteht das Problem mangelnder Kommunikation zwischen der deutschen Gesellschaft und den Zugewanderten. Die FDP-Fraktion hält es insofern für sehr wichtig, dass die Kommunikation mit den Akteuren, die den Integrationsplan aufgestellt haben, gesucht wird. Wir halten es aber für schlecht, dass dies hinter verschlossenen Türen geschieht. ({0}) Das Thema Integration geht alle an und muss öffentlich diskutiert werden. Für die FDP-Fraktion ist es inakzeptabel, dass die demokratische Vertretung des Souveräns in diesem Land, der Deutsche Bundestag mit allen Fraktionen, zur Erstellung des Nationalen Integrationsplans nicht eingeladen wurde. Die Kanzlerin nennt in ihrem Vorwort zu diesem Plan die Integration „eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit“, welche „in Zusammenarbeit mit allen staatlichen Ebenen“ umgesetzt werden müsse. Ich frage Sie: Ist der Deutsche Bundestag keine staatliche Ebene? Es gibt die demokratische Tradition in diesem Land, dass politische Entscheidungen von erheblicher Tragweite möglichst fraktionsübergreifend geregelt werden. Die Probleme der Integration werden Deutschland noch Jahrzehnte begleiten, egal welche Regierung dieses Land hat. Politische Einigkeit und damit Sicherheit für alle Bürger und Bürgerinnen wären daher ein vornehmes Ziel von Regierungshandeln gewesen. Dieses wurde leider zugunsten von Gipfeln mit Showeffekten vertan. ({1}) Führen wir es uns noch einmal vor Augen: Am 14. Juli 2006 wurde mit großem Medienauftrieb der erste Integrationsgipfel abgehalten. Der Gipfel dauerte drei Stunden, die Pressekonferenz dazu ungefähr eine Stunde. Die Teilnehmer des Integrationsgipfels hatten eine durchschnittliche Redezeit von knappen zweieinhalb Minuten. Dieser erste Gipfel, auf dem Migranten kaum zu Wort kamen, dauerte gerade einmal doppelt so lange wie die heutige Debatte. ({2}) Ist ein Integrationsgipfel also nur eine Abnickveranstaltung der Regierungspolitik ohne Beteiligung des Parlaments, und dient er leider hauptsächlich der Selbstdarstellung von Regierungspolitik mit hübscher Kulisse? Frau Böhmer, in Ihrer Einleitung zum Integrationsplan stellen Sie zwei Leitlinien und zehn Themenfelder vor, unter denen Bildung und Spracherwerb besondere Bedeutung haben. Dies halten wir für gut und wichtig. Wir haben als FDP-Fraktion ja auch den Antrag zur deutschen Sprache als Schlüssel zur Integration vorgelegt. Der Erfolg des Integrationsplans wird ganz entscheidend davon abhängen, dass wir es schaffen, alle jungen Menschen, schon die Kinder im Kindergarten, zum deutschen Spracherwerb hinzuführen. Dies gilt nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund; es gilt immer mehr auch - dessen sollten wir uns bewusst sein für deutsche Kinder. ({3}) In den Details bleibt der Plan seltsam vage. Absichtserklärungen sind aufgereiht; die Realisierung der Themenfelder steht in den Sternen. Ich habe es bereits gesagt: Wir werden den Erfolg des Plans an den Ergebnissen messen. ({4}) Angesichts der aktuellen Haushaltsdiskussion wird jedoch deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit weiter auseinanderklaffen. Das Familienministerium gibt bisher 66 Millionen Euro per annum für die „Integration junger Zuwanderinnen und Zuwanderer“ aus. Dieser Titel wurde um 58 Millionen Euro auf 8 Millionen Euro gekürzt. 44 Millionen Euro davon wurden in den Kinderund Jugendplan in einen neuen Integrationstitel verschoben. Es bleibt eine reale Kürzung um 14 Millionen Euro für die Integration junger Menschen im Haushaltsjahr 2008. Ich finde, hier wird ein falsches Zeichen gesetzt. ({5}) Außerdem verkündet die Bundesregierung stolz, dass im Finanzplanungszeitraum 750 Millionen Euro per annum für Maßnahmen der Integration zur Verfügung gestellt würden. Das soll beeindrucken. Prüft man die Zahlen jedoch nach, stellt man fest, dass der Bund künftig keinen Cent mehr - keinen Cent mehr! - für Integration ausgeben wird als bisher. Meine Damen und Herren von der Koalition, solch eine Effekthascherei ist unaufrichtig und beschämend. Wenn Sie der Auffassung sind, dass die bisherigen Ausgaben des Bundes für Integration ausreichend sind, sagen Sie das und erwecken Sie nicht den Anschein, dass der Bund demnächst mehr tun würde. Frau Böhmer, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie die im Zuwanderungsrecht bestehende Einschränkung in Bezug auf Sprachtests für zuwandernde heiratswillige Frauen für richtig halten. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in dieser Debatte gerade nicht das Signal gegeben hätten - Sie haben es heute wiederholt -, dass in dieser Frage ein unterschiedliches Maß angesetzt wird. Wir halten diese Regelung für verfassungswidrig; das haben wir im Rahmen der Zuwanderungsdebatte deutlich gesagt. Ich möchte darauf hinweisen, dass heute auch ein Entschließungsantrag der Linken vorliegt, in dem, wie ich meine, richtigerweise die Einrichtung eines unabhängigen Gremiums aus Vertretern aller Fraktionen vorgeschlagen wird, so wie wir für die Einrichtung einer Enquete-Kommission zum Thema Integration werben. Allerdings steht in diesem Entschließungsantrag auch die Forderung nach Einführung eines Mindestlohns. Ein solcher ist für die FDP nun wirklich nicht akzeptabel. Mit einem Taschenspielertrick werden wir nicht dazu bewogen, über die Einführung eines Mindestlohns zu diskutieren. ({6}) Integration kann nur gelingen, wenn wir alle diese Zielsetzung unbefangen annehmen und wechselweise Wünsche und Erwartungen aussprechen und verstehen. Integration erreicht man nicht durch Unterrichtung von oben nach unten, sondern nur dann, wenn wir nicht mehr ausgrenzen und abspalten. Integration geschieht, wenn wir uns selbst nahe sind und die Angst vor Fremden ablegen. Integration ist möglich, wenn wir integriert handeln - im Deutschen Bundestag und mit allen Bürgern und Bürgerinnen in diesem Land. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Rudolf Körper für die SPD-Fraktion. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ob der Kollege Koschyk es geahnt hätte: Ich wollte in der Tat mit einem Lob beginnen ({0}) und mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion insbesondere bei Staatsministerin Frau Maria Böhmer für die gute Zusammenarbeit im Rahmen der Integrationsfragen bedanken - nicht nur, weil sie aus Rheinland-Pfalz kommt, sondern auch deswegen, weil sie eine wirklich gute Zusammenarbeit praktiziert hat. ({1}) Daran anschließend möchte ich sagen: Die in diesem Integrationsplan vorgesehenen Maßnahmen können nur dann gelingen, wenn wir auf allen politischen Ebenen - ob auf Bundes-, Länder- oder kommunaler Ebene - zusammenarbeiten und zu den vereinbarten Zielen stehen. Angesichts der leeren Bundesratsbank zu meiner linken Seite habe ich jedoch Bedenken, ob das Interesse auf der Länderseite so groß ist, wie es dem Thema angemessen wäre. ({2}) Die Situation der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten geht eigentlich auf das Jahr 1955 zurück, in dem die ersten ausländischen Arbeitnehmer nach Deutschland gekommen sind. Im Jahre 1964 wurde der einmillionste Arbeitnehmer bzw. Gastarbeiter - es war ein Portugiese - begrüßt. Er bekam ein Begrüßungsgeschenk, ein kleines Moped. Das Erreichen dieser Zahl wurde allseits als Grund zum Feiern angesehen, bezeugte es doch die Stärke des sogenannten Wirtschaftswunders durch den damit einhergehenden Bedarf an Arbeitskräften. Die Freude bezog sich also durchaus auch auf uns selbst. Den Beteiligten war damals nicht so sehr bewusst, was Max Frisch auf den Punkt bringen sollte: Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen. Es kamen Menschen - so muss man hinzufügen -, die sich selbst nicht bloß als Gastarbeiter betrachteten, sondern als Menschen mit eigenen Bedürfnissen und einer eigenen Lebensplanung. Beispielsweise gab es im Jahr 1969 zum ersten Mal einen Bericht der Bundesanstalt für Arbeit, der Zahlen zur Lage ausländischer Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland enthielt. Meine Damen und Herren, der Begriff des „Gastarbeiters“ war eine Abwandlung des älteren Begriffes des „Saisonarbeiters“. Der gemeinsame Hintergrund beider Begriffe ist die zeitliche Begrenzung des Arbeitsaufenthaltes, die wie selbstverständlich erwartet wurde. Die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltes in Deutschland wurde im Übrigen nicht nur stillschweigend erwartet, nein, sie wurde vielmehr in den Anwerbeabkommen der ersten Zeit rechtlich verankert. Es war im Grunde genommen ein sogenanntes Rotationsprinzip vorgesehen. Es kamen viele Gastarbeiter zwischen 1955 und 1973. Auch in der DDR wurden solche Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben. Man nannte sie „Vertragsarbeiter“. Sie kamen aus bestimmten Ländern, und ihr Aufenthalt war äußerst restriktiv geregelt. Ein Familiennachzug beispielsweise war nicht möglich. Meine Damen und Herren, seit den 50er-Jahren sind Millionen von Menschen mit unterschiedlichen Motiven zu uns gekommen. Darum haben mittlerweile 15 Millionen Menschen in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund. Mit Blick auf diesen Teil unserer Bevölkerung gibt es ein paar Entwicklungen, die uns Sorge machen müssen. Der Anteil derjenigen zwischen 25 und 35 Jahren, die über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen, liegt bei den Personen mit Migrationshintergrund bei 41 Prozent. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. ({3}) - Das sagen wir gleich. - Die Ausbildungsquote bei den jugendlichen Ausländern ist leider rückläufig. Auch das ist nicht hinnehmbar. Eine pragmatische Lösung dieser Probleme, die es nicht erst seit kurzem gibt, ist leider dadurch ein Stück verzögert worden, dass lange Zeit in einem bestimmten politischen Raum nicht anerkannt worden ist, dass Deutschland eigentlich ein Einwanderungsland ist. ({4}) Mit diesem Problem haben wir zu kämpfen. ({5}) Die politische Debatte - lieber Herr Grindel, ich bin dieser Auffassung - wurde nach meinem Dafürhalten lange Zeit mit unnötigem ideologischen Ballast befrachtet, der uns nicht weitergebracht hat. Ich finde, dass wir hier glücklicherweise auf einem besseren Weg sind. ({6}) Ich begrüße ausdrücklich, dass wir einen Integrationsgipfel initiiert haben - die SPD-Bundestagsfraktion hat sich da aktiv eingebracht -, dessen Ergebnis wir jetzt in Form des nationalen Aktionsplans sehen. Meine Damen und Herren, wir müssen uns da aber ein Stück in die Selbstverpflichtung nehmen, damit die gut gemeinten Maßnahmen dann nicht nur in diesem Integrationsplan aufgeschrieben werden. ({7}) Vielmehr müssen sie auch umgesetzt werden. Es ist richtig, dass wir dies angehen. Ich wünsche mir, dass wir uns als Parlament an dem notwendigen Kontrollprozess aktiv beteiligen können. Ich will mich insbesondere bei den Kollegen Bürsch und Veit bedanken, die sich hier aktiv eingebracht haben. Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass Sprache und Sprachvermittlung eine ganz wichtige Brücke für das Gelingen der Integration darstellen. Deswegen ist es richtig, darauf den Schwerpunkt zu setzen. Es wäre auch gut, wenn wir bei den Haushaltsberatungen erreichen könnten, dass auf die 155 Millionen Euro noch etwas draufgepackt wird, um die Sprachkurse noch ein Stück effektiver zu machen. ({8}) Was ist darüber hinaus zu tun? Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema Bildung. Wir brauchen nicht nur eine qualifizierte Zuwanderung, sondern auch eine Qualifizierung der bereits hier lebenden Migrantinnen und Migranten. Daher ist es richtig und wichtig, auf die Themen Bildung und berufliche Ausbildung besonderes Augenmerk zu legen. Damit komme ich zu den Ländern. Die Länder sind für Bildung und berufliche Ausbildung weitgehend zuständig. Man kann nur hoffen, dass sie diese Forderungen und Maßnahmen durch aktive Politik unterstützen. ({9}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich will noch auf wenige Punkte zu sprechen kommen, die nach meinem Dafürhalten über diesen Nationalen Integrationsplan hinausreichen und über die wir miteinander diskutieren müssen: Erstens. Die Einbürgerung ist aus unserer Sicht nicht der Abschluss der Integration, sondern eine wichtige Voraussetzung für ihr Gelingen. Erst die Einbürgerung macht die volle gesellschaftliche und politische Teilhabe möglich. Deshalb sollten wir die Einbürgerungsbedingungen überprüfen und in der Praxis zu Erleichterungen kommen. ({10}) Zweitens. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die lange in Deutschland leben, sollten aus den gleichen Gründen das kommunale Wahlrecht erhalten. ({11}) Drittens. Wir müssen eine den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und den Bedürfnissen unserer Gesellschaft angepasste, also eine herausforderungsgerechte Zuwanderungspolitik entwerfen. Viertens sollten wir uns noch einmal - ich weiß, dass der eine oder andere darin ein Steckenpferd von Rüdiger Veit oder mir sieht - dem § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes zuwenden und ihn so ausgestalten, dass das Kindeswohl bei der Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis stärker in den Vordergrund gerückt wird. Auch das ist eine Maßnahme, die wir angehen wollen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile nun das Wort der Kollegin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätten der Nationale Integrationsplan und die zwei Integrationsgipfel zu einschneidenden Ereignissen in der Geschichte bundesdeutscher Migrationsund Integrationspolitik werden können; denn zum ersten Mal setzte sich die Politik auf höchster Ebene gemeinsam mit Vertretern von Migranten und Verbänden mit Fragen der Migration und Integration auseinander. Sie waren wichtige, nötige und seit langem überfällige Initiativen von hohem Symbolwert. Die Anerkennung von Migrantenorganisationen als Gesprächspartner auf höchster Ebene sollte dies verdeutlichen. Viele erhofften sich davon einen politischen und gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Doch nun ist die Enttäuschung groß. Der Nationale Integrationsplan kann keinen nennenswerten Beitrag dazu leisten, die Migrations- und Integrationspolitik zu modernisieren, er ist nicht geeignet, die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teilhabe aller in unserem Land lebenden Menschen zu schaffen. ({0}) Das liegt schlicht daran, dass Symbole allein nichts nützen. Die im Plan enthaltenen unverbindlichen Absichtserklärungen sind ungeeignet, die vielen Benachteiligungen und Diskriminierungen in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik abzuschaffen, unter denen Migranten besonders leiden. Für die Linke steht der Mensch als Maß aller Dinge im Vordergrund und nicht seine Nützlichkeit im wirtschaftlichen Sinne. ({1}) Deshalb sieht für uns eine wirkungsvolle Integrationspolitik anders aus. Eine gute Integrationspolitik ist zugleich eine gerechte Sozialpolitik für alle in diesem Land lebenden Menschen. ({2}) Mehr und bessere Sprach- und Integrationskurse sind sehr wohl wichtige Schritte. Sie allein werden die Migranten aber nicht vor den Hartz-Gesetzen, Arbeitsverboten und sozialen Benachteiligungen im Bildungssystem schützen. ({3}) Diese Benachteiligungen und Diskriminierungen sind nicht die Folge unzureichender Integration der Betroffenen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Benachteiligungen und Diskriminierungen sind es, die den Betroffenen ihre Integration tagtäglich erschweren. Wie kann es sein, dass wir in Ihrer Analyse der Rahmenbedingungen für die Integrationspolitik kein Wort über diese Diskriminierungen lesen? Wir finden kein Wort über Rassismus und Diskriminierungen in allen Bereichen der Gesellschaft wie Beruf, Schule, Politik und Privatleben, kein Wort über diskriminierende, ausgrenzende Gesetze und Regelungen wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die sogenannte Residenzpflicht, faktische Ausbildungs- und Arbeitsverbote, kein Wort über den weitgehenden Ausschluss von der Teilnahme an Wahlen und der damit verweigerten politischen Teilhabe in einem zentralen Demokratiebereich, kein Wort über die erschwerten Einbürgerungsregelungen, die Migranten sehr lange im Zustand der grundlegenden Ungleichbehandlung und minderer Rechte belassen, und kein Wort über ein sozial höchst selektives und Ungleichheiten verfestigendes dreigliedriges Schulsystem. Bei Ihnen ergibt sich der Eindruck, als wurzele die unzureichende Integration im Unvermögen und im Unwillen der zu Integrierenden. Sie reduzieren das Problem weitgehend auf mangelnde Deutschkenntnisse von Migranten, denen eine Bringschuld unterstellt wird. Die Mehrheitsgesellschaft habe lediglich die Aufgabe, sie dabei zu fördern und zu fordern. Doch während beim Fordern im Rahmen der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes knallharte gesetzliche Fakten geschaffen wurden, bleibt es beim Fördern im Nationalen Integrationsplan bei Handlungsempfehlungen und Absichtserklärungen. Wissen Sie, das erinnert mich irgendwie an Hartz IV und die Sozialpolitik der letzten Jahre. Beim Fordern - Zwang und Ausbeutung - war die Politik sehr effizient und erfolgreich, beim Fördern blieb es bei wohlfeilen Erklärungen. ({4}) Über aufenthaltsrechtliche Aspekte durfte auf dem Gipfel überhaupt nicht diskutiert werden. Dafür gab es in den Arbeitsgruppen überhaupt kein Mandat. Von Anfang an war klar: Während die Bundesregierung mit den Organisationen und Verbänden in Arbeitsgruppen symbolhaft über Integration debattierte, stellte sie im Bundestag mit den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die ganz unsymbolischen Weichen für die zukünftige hässliche und harte Integrationspolitik, für das, was auch Sie, Frau Böhmer, unter den neuen Paradigmenwechseln verstehen: Sanktionen statt Angebote, Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe in Grundrechte statt Ausbau von Rechten. ({5}) Ich sagte vor ein paar Minuten, dass Symbole keine notwendigen Schritte ersetzen. Besonders schlimm ist es aber, wenn das Symbolhafte die wirklichen Absichten nicht nur zu ersetzen versucht, sondern auch versucht, von ihnen abzulenken. Das Gesetzgebungsprojekt der Bundesregierung steht nicht versehentlich in einem krassen Widerspruch zu den Absichtserklärungen im Vorfeld des Gipfels und zum Plan selbst. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es nie um tatsächliche Mitbestimmung und Teilhabe ging. Migranten und deren Organisationen sollten sich als Feigenblatt für eine in Wahrheit integrationsfeindliche Politik hergeben. Die Bundesregierung hat genau jene Themen ausgeklammert, die für die Migranten wichtig waren. Wie sonst erklären Sie sich, dass zahlreiche Verbände den Gipfel boykottiert haben? ({6}) Das war in letzter Konsequenz sehr verständlich. Symbole ersetzen nicht die Tat. Symbole werden missbraucht, wenn sie von Taten ablenken sollen, die zu erklärten Zielen in Widerspruch stehen. Wer von dem Ziel der Integration redet, darf über rechtliche und soziale Gleichstellung nicht schweigen. Lassen Sie mich kurz auflisten, worüber Sie lieber geschwiegen haben: Migranten werden seit Jahrzehnten demokratische Rechte der Mitbestimmung vorenthalten. Es wird verhindert, dass sie sich an der Bildung eines demokratischen Mehrheitswillens beteiligen und mit gestalten können. Die Linke will diese Integrationshemmnisse beseitigen. Deshalb fordern wir die erleichterte Einbürgerung. Aber auch für Menschen, die keinen deutschen Pass haben, müssen Grund-, Bürger- und Menschenrechte gelten. ({7}) Die Linke will, dass politische Rechte dort gewährleistet werden, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen ist. Deshalb muss mindestens das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger eingeführt werden. Die Linke fordert strukturelle Veränderungen im Kinderbetreuungsund Bildungssystem, um die Lern- und Bildungschancen von Migranten zu verbessern; das heißt, statt des dreigliedrigen Schulsystems die Einführung eines flächenund bedarfsgerechten ganztägigen Schulangebots. ({8}) Veränderungen bedarf es auch bei der Ausbildung. Statt ausländische Unternehmer, wie Frau Böhmer das dargestellt hat, immer wieder aufzurufen, jugendliche Migranten auszubilden, fordert Die Linke, alle Unternehmen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes in die Verantwortung zu nehmen und eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage einzuführen, um allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen. Darüber hinaus fordern wir, ausländische Abschlüsse von Migranten leichter anzuerkennen. Denn sonst rauben wir diesen Menschen ihre biografischen Leistungen. Ganz besonders fordern wir die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, weil gerade Migranten überdurchschnittlich stark im Niedriglohnbereich ausgebeutet werden. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Integration von Menschen wollen, dann müssen Sie dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Nur so erreichen wir die dringend erforderliche Förderung und Stärkung der bereits laufenden und bestehenden eigenständigen Integrationsdynamik. Sie würden bemerken, dass sich alle vermeintlichen Probleme fast von selbst erledigten. Am deutlichsten macht sich dies bei der Sprache bemerkbar. Wenn ich heute von dieser Stelle und an diesem Ort zu Ihnen spreche, dann doch nicht deswegen, weil man mich in Sprachkurse gesteckt hätte. Sprache ist Herzenssache. ({9}) Ich selbst und jede Frau und jeder Mann werden so sprechen, wie es ihnen das jeweilige Lebensumfeld ermöglicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. Sprache ist nicht die erste Voraussetzung für Integration, sondern vor allem ihre tägliche Folge. Abschließend eine kurze persönliche Bemerkung. Als meine Eltern vor 35 Jahren in Deutschland ihr Zuhause fanden, war es nicht der Zwang, der Druck, der uns zum Teil der hiesigen Gesellschaft machte. Vielmehr hat man gegen Schwierigkeiten und Hindernisse gekämpft, um diese zu überwinden. Sorgen Sie sich um die Teilhabe und die soziale Gerechtigkeit für Migranten, für deutsche Staatsbürger, für Arbeitnehmer, für Frauen und für Kinder, also für alle Menschen in diesem Land! Und Sie werden erleben, dass eine gerechte Gesellschaft ohne Ausgrenzungen, ohne Gräben zwischen den Menschen auskommt. Danke sehr. ({0}) Sevim DaðdelenSevim Dağdelen

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Renate Künast ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Böhmer, ich weiß nicht, ob es Ihrerseits Chuzpe oder Naivität war, die Sie uns hier vorgeführt haben, als Sie den Nationalen Integrationsplan vorgestellt haben. Sie haben darüber geredet, dass der 14. Juli des letzten Jahres ein historisches Datum gewesen sei, weil an diesem Tage der Integrationsgipfel stattgefunden und man sich große Dinge vorgenommen habe. Sie haben in einem Punkt recht: Es war gut, dass man hochrangig angefangen hat. Es war gut, dass sich Vertreter der Ebenen Bund, Länder und Kommunen, des öffentlichen Lebens und der NGOs zusammengesetzt haben. Sie haben an einer Stelle allerdings nicht recht: Dies ist kein historisches Datum. Denn dabei - das sage ich Ihnen klipp und klar - ist wenig bzw. fast gar nichts herausgekommen. ({0}) Frau Böhmer, nicht mehr als Absichtserklärungen ist dabei herausgekommen. Schauen wir es uns einmal an! Man hat in großem Stile angefangen, und es gab viele Teilnehmer, aber als Erstes wurden die Mitglieder des Deutschen Bundestages aus den Arbeitsgruppen ausgeladen. ({1}) - Doch, das stimmt schon, meine Damen und Herren! ({2}) - Ja, vielleicht durften Sie weitermachen, aber andere wurden ausgeladen, Herr Grindel. ({3}) - Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es im O-Ton im Ohr. Hier wird auf hohem Ross geritten, und am Ende kommt - jetzt muss ich einmal vier Punkte nennen - wenig heraus. Erstens kommen 134 Selbstverpflichtungen der Bundesregierung heraus, bei denen es allein um die Fortführung von Maßnahmen der Vorgängerregierung geht. Mit denen schmücken Sie sich allerdings hier. Es ist also bedeutend weniger. Es ist ein klarer Fall von Selbstbeweihräucherung: Es sind lauter Kurse, die Sie früher bekämpft haben. Beispielhaft nenne ich den Integrationskurs, das Programm „Soziale Stadt“, Ganztagsschulprogramme, EQUAL, Xenos und KAUSA. Meine Herren von der CDU, all diese Programme laufen und hätten von den CDU-Ländern von Anfang an viel besser gefördert werden können. Dann hätten Sie sie heute nicht noch einmal als neu verkaufen müssen. ({4}) Zweitens. Nun wird über eine Charta der Vielfalt und Ähnliches geredet. Sie können viele Chartas verfassen, aber es reicht nicht, am Ende nur blumige Absichtserklärungen zu machen. Das sieht geradezu putzig aus. Ich glaube, dass der CDU-Integrationsminister aus NRW vollkommen recht hat. Ich möchte ihn zitieren, weil man es treffender nicht sagen kann. Er hat gesagt: All diese blumigen Absichtserklärungen und Selbstverpflichtungen entziehen sich jeder Evaluierung und unterliegen keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle. - Meine Damen und Herren, Programme, von denen man weiß, dass man ihren Erfolg nicht kontrollieren kann, kann auch ich schreiben. Sie bringen aber nichts. ({5}) Drittens. Der Integrationsgipfel hat einen zentralen Fehler - darauf haben auch andere schon hingewiesen -: Für die Konservativen endet Integration immer dann, wenn es darum geht, den Migrantinnen und Migranten Rechte zu geben; ({6}) das hat meine Vorrednerin bereits angesprochen. In Ihrem gesamten Integrationsplan wird der Zusammenhang zwischen Integration und Rechtssicherheit für die Betroffenen überhaupt nicht erwähnt. Dieser Zusammenhang ist im wahrsten Sinne des Wortes komplett „ausgebürgert“. ({7}) Wo steht denn etwas zum Einbürgerungsrecht? Wo steht denn etwas zur Erweiterung der Teilhaberechte? Wir kämpfen seit sehr vielen Jahren für die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Migranten. Sie wollen, dass sich die Menschen integrieren und ihren Lebensmittelpunkt hierher verlagern. Ich frage Sie: Warum erhalten diese Menschen nicht einmal das Wahlrecht auf kommunaler Ebene, um dort teilhaben und mit organisieren zu können? ({8}) Integration auf kommunaler Ebene heißt: mit die Verantwortung für das Geldausgeben zu haben. Dabei geht es auch um die Fragen: Wie spricht man die Menschen, auch die in den Problemstadtteilen, an? Wie schafft man dort Frieden, und wie sorgt man für ein Miteinander? Wie engagiert man sich für mehr Bildung? Wie schafft man es, die Communities dazu zu bewegen, miteinander zu reden, zu feiern und gemeinsam Deutsch zu lernen? Vor den Antworten auf diese Fragen haben Sie sich komplett gedrückt. Der Wille und die Fähigkeit zur Integration sind ohne sicheres Aufenthaltsrecht und ohne rechtliche Teilhabe aber nicht zu erwarten. Am Beispiel der Rütli-Schule wurde es ja deutlich. Die jungen Männer sagen: Ich? Schulabschluss? Wozu denn? Ich kriege doch nachher sowieso keine Lehrstelle. - Denn ganze Familienkohorten müssen sich von kurRenate Künast zer Duldung zu kurzer Duldung hangeln. Frau Böhmer, vor diesen Problemen haben Sie sich bei der Erarbeitung Ihres Nationalen Integrationsplans gedrückt. Deshalb ist er nicht als historisch zu bezeichnen. ({9}) - Auch Sie werden das irgendwann verstehen; so lange begründen wir das, ({10}) meine Herren von der CDU. ({11}) - Es ist gut, dass Sie diesen Zuruf gemacht haben. Ich wollte mich aber ganz besonders auf die Herren von der CDU fokussieren. ({12}) - Auch auf die CSU? Dann wird es ja noch doller. Viertens. Frau Böhmer, ich finde, wenn Sie schon die Vergangenheit ansprechen, wäre ein wenig Demut angebracht gewesen. Man darf nicht nur von den Migrantinnen und Migranten mehr Engagement verlangen; vielmehr muss auch die aufnehmende Gesellschaft ein kritisches Wort über sich selbst sagen. ({13}) Es waren nämlich die Ministerpräsidenten von der CDU, die viele Jahre lang dagegen gekämpft haben, dass die Kosten der Sprachkurse übernommen werden. ({14}) Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mir Vertreter der CDU in Kreuzberg vor 20 Jahren gesagt haben: Was? Das sollen wir noch bezahlen? Kommt gar nicht in die Tüte! - Lassen wir das Thema Sprachkurse jetzt aber beiseite. Ich möchte noch auf die Situation der Frauen eingehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie müssen sich aber ein bisschen beeilen. ({0})

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Ich beeile mich, Herr Präsident. - Die CDU hat an dieser Stelle immer gegen die Interessen der Migrantinnen gekämpft, wenn es um ihre körperliche Unversehrtheit ging; so klar muss man das sagen. ({0}) Sie haben die Einführung des humanitären Aufenthaltsrechts für ausländische Ehegattinnen abgelehnt, Sie haben beim Zuwanderungsgesetz bis zum Schluss gegen die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe gekämpft, und jetzt setzen Sie beim Thema Zwangsehen die frauenfeindliche Linie fort. ({1}) Obwohl alle Experten - von Terre des Femmes bis PAPATYA - darauf aufmerksam machen, dass die Frauen ein eigenes Aufenthaltsrecht brauchen, ducken Sie sich weg. Ich kann Ihnen, Frau Böhmer, nicht ersparen, darauf hinzuweisen: Wenn Sie das Aufenthaltsrecht anders organisiert hätten, dann wäre Sazan Bajez-Abdullah im Oktober 2005 in München nicht ermordet worden. Sie hatte nämlich kein eigenständiges humanitäres Aufenthaltsrecht. Sie hatte in einem bestimmten Bezirk eine Residenzpflicht. Sie konnte sich nicht im Münchener Frauenhaus aufhalten, weil es die „falsche“ Adresse hatte. Diesen Umstand hat ihr geschiedener Ehemann zu einem sogenannten Ehrenmord genutzt. Meine Damen und Herren, würde man endlich ein Aufenthaltsrecht für diese Frauen schaffen, würde sich zeigen, dass man Integration will. ({2}) Frau Böhmer, wenn ich Ihre Leistungen mit denen all Ihrer Vorgängerinnen - damals wurden sie noch „Ausländerbeauftragte“ genannt - vergleiche, muss ich sagen: Sie sind die schlechteste Integrationsbeauftragte, die die Bundesrepublik je hatte. ({3}) Ich würde mir von Ihnen wünschen, dass Sie für die Frauen kämpfen und sich für die Perspektive einer Einbürgerung einsetzen. Dann müssen Sie auch von der aufnehmenden Gesellschaft etwas fordern, dann müssen Sie rechtlich normieren - Bildung, Sprache, Arbeit, Einbürgerung, kommunales Wahlrecht und Teilhabe - und den Islam europäisieren. Nichts davon haben Sie getan. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, aus Ihren Worten hat man ganz klar erkennen können: Sie können es nicht verwinden, dass unter dieser Bundesregierung das Thema Integration ({0}) endlich dort angekommen ist, wo es hingehört, ({1}) nämlich ins Bundeskanzleramt, ({2}) mit einer Staatsministerin für Migration und Integration, also ganz oben auf die Prioritätenliste der Politik. Gerade Sie, die Grünen, haben bei diesem Thema in sieben Jahren Rot-Grün immer nur den Mund gespitzt wir pfeifen jetzt. Was die Integrationsbeauftragten der grünen Partei in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung an Vorschlägen unterbreitet haben, hat bei der Integration in unser Land nicht weitergeführt. Ich verweise nur auf den Vorschlag von Frau Beck, den Islam in Deutschland kirchenrechtlich anzuerkennen. Das sind Vorschläge, die nicht weitergeführt haben. Wir packen das Thema an. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie durch zwei Integrationsgipfel dieses Thema zu einem Topthema der deutschen Politik gemacht hat. Unsere Staatsministerin Maria Böhmer leistet hervorragende Arbeit ({3}) und sorgt dafür, dass bei diesem Thema nicht nur geredet, sondern gehandelt wird. Ich rate Ihnen, Frau Künast: Kommen Sie aus der Schmollecke heraus! Beteiligen Sie sich an der Diskussion über dieses Thema und verzichten Sie auf überflüssige Polemik! Die ist diesem Thema nicht angemessen. ({4}) Es war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den Nationalen Integrationsgipfel und den Nationalen Integrationsplan vorgeschlagen hat. Wir freuen uns, dass diese Anregung so schnell und erfolgreich aufgegriffen wurde. Frau Staatsministerin Böhmer hat davon gesprochen, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: ({5}) Es wird nicht über die, sondern es wird mit den Migranten gesprochen. Es ist unsere Überzeugung: Zuwanderung muss gewollt sein - von der Aufnahmegesellschaft, aber auch von den Zuwanderern selbst. Bund, Länder und Gemeinden - das ist das Historische, auf das Frau Böhmer hingewiesen hat - haben erstmals in der Geschichte unseres Landes circa 400 Selbstverpflichtungen übernommen. Dass Integration keine Aufgabe ist, die nur den Bund etwas angeht, und keine Aufgabe, die nur die Länder etwas angeht, sondern auch eine kommunale Aufgabe, zeigt das Beispiel der bayerischen Großstadt Augsburg. ({6}) So hat mein Kollege Ruck zu Recht darauf hingewiesen, dass 2007 in dieser bayerischen Großstadt erstmals mehr Kinder mit Migrationshintergrund eingeschult worden sind als einheimische Kinder. Das zeigt: Mit dem Thema Integration muss sich schon die kommunale Ebene beschäftigen, und das muss über die Länder und den Bund bis auf die europäische Ebene gehen. ({7}) Heute sagt jeder in Deutschland: Sprache ist der Schlüssel zur Integration, und wer auf Dauer in Deutschland leben will, muss Deutsch sprechen. Frau Künast, das ist ein Satz, der vor zehn Jahren in Deutschland keine Selbstverständlichkeit war. Heute ist er es. Dass er das ist, ist auch dem beharrlichen Bemühen unserer Fraktion zu verdanken. ({8}) Liebe Frau Künast, an Ihren Worten hat man eines deutlich gemerkt: Sie müssen böse sein und ein Stück weit dagegen ankämpfen, weil die Mehrheit der Deutschen heute begriffen hat, dass das, was Sie lange Zeit unter Integration verstanden haben - wovon die Grünen in ihrem letzten Integrationspapier dankenswerterweise Abstand genommen haben -, ({9}) nämlich Multikultiseligkeiten, ausgeträumt ist und ein solcher Weg nicht weiterführt. ({10}) Ich will Ihnen etwas zum Thema Frauen sagen. Stellen Sie sich doch an unsere Seite! Wir wollen, dass Schluss ist mit der Gleichgültigkeit bei Verstößen gegen die Gleichberechtigung. Das gilt im Kleinen - wenn Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen dürfen -, und das gilt im Großen: Wir wollen mit allen, auch mit rechtlichen Mitteln die Zwangsverheiratung bekämpfen. Wir wären dankbar, wenn auch die Grünen bereit wären, einen Beitrag zu einer Initiative für eine wirkliche rechtsstaatliche Bekämpfung von Zwangsverheiratung und gegen arrangierte Ehen zu leisten. Da spitzen Sie immer nur den Mund, während wir pfeifen. ({11}) Natürlich ist Integration auch ein Thema, das ein weites Feld für bürgerschaftliches Engagement bietet. Gerade mit dem Sport verbinden sich große Chancen für mehr Integration der Menschen in Deutschland. Das gilt für den Spitzensport; das gilt aber auch für den Breitensport. Wir freuen uns, wenn Gerald Asamoah und David Odonkor erfolgreich in unserer Nationalmannschaft stürmen, aber ich sage auch sehr bewusst: Kein Platz in einer deutschen Auswahlmannschaft sollte für einen Nationalspieler sein, der nicht spielen will, wenn ein Spiel in Israel ansteht. Das nicht hinzunehmen, ist auch ein Beitrag zur Integration in Deutschland. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Koschyk, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen? - Nein.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Klare Werte und klare Worte im Dialog - das ist der richtige Weg zur Integration. ({0}) Ich sage für unsere Fraktion sehr deutlich: Es ist gut und richtig, dass diese Bundesregierung mit Wolfgang Schäuble - neben dem Integrationsplan und dem Integrationsgipfel - auch eine Islamkonferenz einberufen hat; ({1}) denn Verständnis kann nur wachsen, wenn im Dialog der Religionen in Deutschland auch kritische Fragen gestellt werden. Wir danken den Kirchen, dass sie diesen schwierigen Weg mutig und entschlossen gehen. Durch die Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland werden wichtige Anstöße für einen aufrichtigen und zielführenden Dialog zwischen Muslimen und Christen gegeben. Die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. zum Verhältnis von Religion und Gewalt war ebenso bemerkenswert wie die Reaktion von 30 führenden muslimischen Geistlichen aus aller Welt. Ein ganz wichtiges Feld der Integration ist das Erwerbsleben; denn es ist keine Frage: Wer Teilhabe an beruflicher Bildung und Ausbildung sowie an beruflichen Chancen hat, dem fällt Integration leichter. Wir wollen durch die gezielte Integration gerade auch im Erwerbsleben dafür sorgen, dass diejenigen, die in unser Land kommen, unabhängig von staatlicher Unterstützung werden. Deshalb ist es richtig, Zuwanderung in unsere Sozialsysteme durch gezielte Integration zu unterbinden. Der Integration durch gleichberechtigte Beteiligung der Zuwanderer in den Betrieben, in den Sozialversicherungen, in der Wirtschaft und in den Gewerkschaften verdanken wir die meisten Erfolge hinsichtlich eines guten Zusammenlebens in Deutschland. Frau Staatsministerin Böhmer, ich bedanke mich, dass Sie auch mit Unternehmerpersönlichkeiten mit Integrationshintergrund, mit jungen Leuten, die Auswahlstipendien erhalten, und mit wichtigen Partnern im Ausland einen Dialog führen. Ich will nur an eine von Ihnen organisierte Konferenz erinnern, auf der die Bundeskanzlerin mit Bill Gates darüber gesprochen hat, was wir von Amerika lernen können. Lieber Reinhard Grindel, wir waren ebenfalls auf dieser Konferenz. Für uns war es sehr interessant, dass Bill Gates deutlich gemacht hat, dass auch die USA, die sich als ein klassisches Einwanderungsland verstehen, im Bereich der Zuwanderung von unqualifizierten und nicht an Bildung teilhabenden Zuwanderern dieselben, wenn nicht sogar größere Probleme als wir in Deutschland haben. Deshalb sage ich: Wir als Parlament werden dafür sorgen, dass die Verpflichtungen, die der Bund gemäß dem Nationalen Integrationsplan übernommen hat, auch umgesetzt werden. Ich möchte dem Kollegen Grindel herzlich dafür danken, dass er ein ganz wichtiges Thema für unsere Fraktion betreut, nämlich das Thema Integrationskurse. Ich meine, Integration ist dann gelungen, wenn sich die Menschen in Deutschland heimisch fühlen. Das darf nicht die Aufgabe der eigenen Wurzeln bedeuten. Dies wäre Assimilation. Das muss aber die Bereitschaft bedeuten, unsere Sprache zu sprechen, unsere Verfassungs- und Rechtsordnung auch innerlich anzunehmen, sie gegen Bedrohungen zu verteidigen und sich für die gewachsenen Traditionen unseres Landes innerlich zu öffnen, so wie sich auch Deutschland immer für die mitgebrachten Traditionen von Zuwanderern geöffnet hat und weiter öffnen wird. Herzlichen Dank. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Hartfrid Wolff ist der nächste Redner für die FDPFraktion. ({0})

Hartfrid Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003866, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hätte schon früher der Frage einer offensiven Integrationspolitik mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. ({0}) Frau Künast, auch das müssen Sie sich vorhalten lassen. Aber es ist gut, dass es nun begonnen wurde. Es ist dringend überfällig, dass sich die Gesellschaft über die Grundlagen ihres Zusammenlebens Gedanken macht. Die Mehrheitsgesellschaft stellt an Zuwanderer bestimmte Anforderungen, und der Bundestag als Gesetzgeber ist gut beraten, diese Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger auch angemessen zu berücksichtigen. ({1}) Integration ist ein stetiger Dialog und kann nur bei klarer Definition der Perspektiven geführt werden. Ich halte es für nicht richtig, wenn bestimmte Kreise so tun, als wären die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes an Zuwanderer nur Stammtischgeschwätz oder Islamphobie. Fraglos gibt es solche Probleme; aber jede kritische Anmerkung zum Integrationserfolg unserer Zuwanderer in solche Kategorien einzusortieren, berücksichtigt zu wenig die Beidseitigkeit der Integration. Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber hat dankenswerterweise solche Kritik artikuliert, als er eine Debatte über Moscheebauten in Deutschland angestoßen hat. Die Befürchtungen, die Huber äußerte, sollten Hartfrid Wolff ({2}) nicht einfach als islamfeindlich abgetan werden, sondern zum Nachdenken darüber anregen, wie die Akzeptanz eines verfassungstreuen Islam in Deutschland verbessert werden kann. Der Anspruch auf öffentliche Religionsausübung in würdigen Moscheen ist berechtigt. Bauten aber, die als Machtanspruch empfunden werden können, sind dafür kaum nötig. Auch Forderungen an Moscheevereine nach Öffnung, nach Kommunikation von Zielen und Veranstaltungen in deutscher Sprache, nach Achtung der rechtlichen Vorschriften, nach in Deutschland ausgebildeten Imamen oder nach Transparenz bei Willensbildung und Finanzierung sind keine Schikane, sondern berechtigter Anspruch einer Gesellschaft, die ein hohes Maß an Religionsfreiheit gewährt. ({3}) Gerade das Beherrschen der deutschen Sprache ist fundamentale Bedingung für die Akzeptanz und damit auch Integration von Zuwanderern. ({4}) Daran ändert keine Einbürgerung etwas, auch keine parallelgesellschaftliche Infrastruktur, die vielleicht ein Durchlavieren ohne Deutsch erleichtert. ({5}) Wer die sprachlichen Anforderungen reduzieren möchte oder sie gar zum Diskriminierungstatbestand erhebt, wie es die Linken gelegentlich tun, trägt lediglich dazu bei, Zuwanderer langfristig und nachhaltig von Integration und Partizipation in Deutschland fernzuhalten. Dadurch arbeitet man obskuren Mittlern in die Hände, und es kann Menschen in die Hinterzimmer der Abhängigkeit bringen. Meine Damen und Herren, die Investition in frühkindliche Bildung ist für unsere Gesellschaft zentral. Die Unionsparteien tun unserem Land insgesamt, den Familien und insbesondere der Integration von Zuwanderern keinen Dienst, wenn sie, wie unlängst in BadenWürttemberg, verpflichtende Sprachtests im Alter von vier Jahren und die Förderung der frühkindlichen Bildung auf die lange Bank schieben wollen. ({6}) Wer Kindern so den Zugang zu integrierender Bildung verwehrt, handelt unverantwortlich gegenüber diesen Kindern und ihren Familien. ({7}) Aber auch die Elterneinbindung, der Zugang zum Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Schul- und Ausbildungsabschlüsse von Zuwandererkindern und -jugendlichen müssen wichtige Bausteine der Integrationspolitik sein. Es gilt festzuhalten: Obwohl in Deutschland von Regierungsseite lange keine Anstrengungen zur Integration unternommen wurden, haben sehr viele Zuwanderer genau dies geschafft. Sie sind hier angekommen und haben unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bereichert: wirtschaftlich, kulturell und menschlich, als Arbeiter und Angestellte, als Unternehmer und Freiberufler, als Nachbarn und Freunde. Dafür gebührt ihnen Anerkennung und unsere Solidarität. Wir heißen sie willkommen. Wenn wir die Leistung dieser Menschen richtig würdigen, dann können Zuwanderer nicht immer nur als problembeladene Menschen angesehen werden, die sich selbst nicht zu helfen wissen und staatlicher Fürsorge bedürfen, sondern dann müssen sie als freie und kluge Köpfe anerkannt werden, die gerne bereit sind, sich in unsere Gesellschaft einzubringen. Hierfür sind klare Orientierungen und Erwartungen erforderlich. Integration heißt, diese Menschen mitzunehmen und teilhaben zu lassen. Integration heißt aber auch, dass diese Menschen bereit sind, sich mitnehmen zu lassen und Teil unserer Gesellschaft werden zu wollen. Auf die Umsetzung kommt es an. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael Bürsch für die SPD-Fraktion.

Dr. Michael Bürsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003018, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es vorweg: Durch den Nationalen Integrationsplan ist Integration im Zentrum der Politik angekommen. Sie hat damit eine politische und gesellschaftliche Dynamik erreicht, die Dank und Anerkennung verdient. In diesem Zusammenhang nenne ich ausdrücklich Frau Böhmer und die Bundesregierung; das kann an diesem Tag, glaube ich, von allen Seiten des Hauses anerkannt werden. Meine zweite Feststellung aber ist: Integration hat nicht erst am 14. Juli 2006 angefangen - das kann durch die Debatte, wie sie bisher geführt worden ist, vielleicht missverstanden worden sein -; ({0}) vielmehr hat sie in den letzten 50 Jahren stattgefunden, und zwar mit großem Erfolg. Ob die Politik das in den letzten Jahrzehnten immer richtig erkannt hat, ist eine andere Frage. Integration hat aber stattgefunden. Über 30 Millionen Menschen sind in unser Land gekommen - über 20 Millionen Menschen haben das Land verlassen -, Millionen Menschen sind von der Bürgergesellschaft integriert worden. Das hat keine großen Wellen geschlagen. Das haben die Medien und die Politik vielleicht nicht richtig wahrgenommen, aber wir können an dieser Stelle feststellen: Jawohl, Deutschland hat sich als Land der Integration erwiesen. Anders wäre es nicht möglich gewesen, die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und viele andere Menschen wie die Russlanddeutschen bei uns willkommen zu heißen. ({1}) Es verdient Dank und Anerkennung, dass das Thema Integration in der Politik angekommen ist. Dass ein Nationaler Integrationsplan vorliegt, kann ich nur begrüßen. Aus Sicht der SPD weise ich - um auch hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - darauf hin, dass es nie gelingen wird, allein vonseiten des Staates oder der Politik Integration zu fördern. Wer das glaubt, unterliegt einem Irrtum. Es wird immer eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bzw. Zivilgesellschaft notwendig sein, damit Integration gelingt. Wir werden aufseiten der Politik bzw. des Staates die Verantwortung haben, Sprachkurse bzw. Kurse zur Förderung von Jugendlichen anzubieten. An dieser Stelle beginnt die Integration oft erst. Wir müssen im Blick behalten, das zu unterstützen und zu fördern, was die Bürgergesellschaft auf diesem Gebiet leisten kann. Lassen Sie mich - weil Politik auch von Anregungen und konstruktiver Kritik lebt - einige Punkte ansprechen. Wir haben jetzt einen Plan - das ist gut -, aber es wird sich in einem Jahr zeigen, was aus diesen Absichtserklärungen geworden ist. Dass es 400 freiwillige Selbstverpflichtungen gegeben hat, klingt numerisch zunächst einmal wunderbar. Entscheidend ist aber, was drinsteckt, und noch entscheidender ist, was dabei herauskommt. In diesem Zusammenhang meine ich, Frau Böhmer - darin stimme ich mit Frau Laurischk überein -, dass spätestens jetzt das Parlament eingebunden werden sollte. Spätestens an dieser Stelle sollten wir in objektiver Form evaluieren und beurteilen, was bei den Selbstverpflichtungen herausgekommen ist. Es geht mir nicht um Hochglanzbroschüren und Erklärungen der Betroffenen nach dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“; ich will vielmehr wissen, was wirklich erreicht wurde. Die Bundesregierung soll angeben, wie viele Auszubildende mit Migrationshintergrund sie einstellt. Zurzeit ist der Anteil erschreckend niedrig; es sind 1,2 Prozent. In der Absichtserklärung werden 7 Prozent angestrebt. Die Zahl könnte noch etwas höher sein. Ich will aber in einem Jahr wissen, ob diese 7 Prozent auch erreicht worden sind. Wir können nicht nur den Mund spitzen, sondern müssen auch wirklich Ergebnisse liefern. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. ({2}) Neben dem Verfahren und der Notwendigkeit, sich in einem Jahr zur Evaluation zusammenzufinden, sind noch einige weitere Stichworte anzusprechen. Was Ausbildung und Beschäftigung angeht, haben wir den großen Block von 7 Millionen Ausländern oder 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund im Blick. Lassen Sie uns einmal genauer hinschauen - das entspricht vielleicht der speziellen Sichtweise der SPD -: Es gibt Gruppen, die es besonders schwer haben, zum Beispiel die etwa 50 000 benachteiligten Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss, die schon bei uns sind. Dies ist aus meiner Sicht der soziale Sprengstoff in den nächsten 10, 20 Jahren, wenn wir hier nichts tun. Absichtserklärungen reichen nicht. Wir müssen flexible und individuelle Antworten finden. Wir müssen diese 50 000 jungen Menschen quasi an die Hand nehmen und ihnen mit allem, was uns zur Verfügung steht, eine Chance geben; denn sonst haben sie keine Perspektive. Sie werden dann 50 oder 60 Jahre - mit Fug und Recht - in Deutschland leben und können keinen Beitrag leisten. Aber sie haben wie jeder andere in Deutschland den Anspruch auf Unterstützung. ({3}) Ich erwarte ein deutliches Zeichen, dass wir auch solche Menschen mit besonderen Problemen ernst nehmen. Ein weiteres Stichwort ist - das ist schon gefallen das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Ich halte das für einen ausgesprochen wichtigen Schlüssel zur Integration, weil es deutlich signalisiert: Jawohl, ihr sollt beteiligt sein; ihr habt die Möglichkeit zur Teilhabe. - Wir fordern - das wäre aus meiner Sicht ein mutiger Schritt - ein kommunales Wahlrecht nicht nur für EUBürger. Das ist das richtige Signal an die Menschen, die zu uns kommen. Es macht deutlich: Ihr sollt nicht nur hier leben, sondern könnt auch mitwirken und mitbestimmen. ({4}) Nun komme ich zum Stichwort „doppelte Staatsangehörigkeit“; ein schwieriges Thema, auf das Herr Grindel wahrscheinlich gleich eingehen wird. Seit 1999 befasse ich mich in meiner Fraktion mit dem Thema „doppelte Staatsangehörigkeit“. Ich habe mit großer Freude vernommen, dass Herr Koschyk gesagt hat, Integration dürfe nicht Aufgabe der eigenen Identität bedeuten. ({5}) Das ist genau richtig. ({6}) Aber warum bitte schön ist dann die doppelte Staatsangehörigkeit für Sie noch immer Teufelszeug? Das kann doch nicht sein. ({7}) Die doppelte Staatsangehörigkeit bietet doch beste Möglichkeiten, die Identität zu wahren und Brücken zwischen der alten und der neuen Heimat zu bauen. ({8}) Wir wollen dieses Thema voranbringen. Politik ist das Bohren dicker Bretter, und zwar mit Leidenschaft und Augenmaß. ({9}) Wir werden an diesem Thema dranbleiben. Die Welt hat sich in den letzten zwei Jahren auch innerhalb der Koalition verändert. Ich lebe vom Prinzip Hoffnung. Herr Koschyk, ich werde auf Ihre Ausführungen zurückkommen und Sie sozusagen dingfest machen. Ich habe schon vor sieben Jahren in der Debatte über die doppelte Staatsangehörigkeit gesagt: Beatrix, Königin der Niederlande, hat vier Staatsangehörigkeiten. ({10}) Aber niemand fürchtet den Untergang der Niederlande, weil sie vier Pässe hat. Herr Kollege Koschyk, die Bayern haben zwei Staatsangehörigkeiten. Das sollten wir also nicht so eng sehen. Seien Sie ein bisschen liberaler und toleranter und versuchen Sie, sich die Sichtweise des 21. Jahrhunderts anzueignen! Der sogenannte Doppelpass ist kein Teufelszeug. Wir sind weltoffen und kosmopolitisch. ({11}) - Darüber können wir gerne Tage und Nächte reden. Das ist kein grober Unfug, sondern der richtige Weg, um zu zeigen, dass wir weltoffen sind und Menschen zu uns lassen. Ein ähnliches Signal setzen wir auch mit der von mir propagierten Punktereglung. Nun kommt ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt. Wir brauchen - das wäre für mich die sinnvolle Fortsetzung des Integrationsplanes - ein mittel- bzw. langfristiges, nachhaltiges und stimmiges Zuwanderungskonzept, das nicht nur ökonomische Gesichtspunkte berücksichtigt. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir diese Debatte nur unter ökonomischen Gesichtspunkten führen und ausschließlich danach fragen, wer uns wirtschaftlich nutzt und wo wir Arbeitsplätze, zum Beispiel im IT-Bereich, mit Zuwanderern besetzen können. Das verkürzt die ganze Diskussion dramatisch. Dabei fällt unter den Tisch, dass wir Zuwanderung in einer globalisierten Welt dringend benötigen. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft lebendig bleibt und nicht den Anschluss an internationale Entwicklungen verliert. Es waren in der Moderne stets die Einwanderungsgesellschaften, die aufgrund neuer Ideen und neuer Impulse von Zuwanderern für Innovationen gesorgt haben. Kulturelle Vielfalt ist in der heutigen Welt aus meiner Sicht eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste Voraussetzung, und zwar auch für ökonomischen Wohlstand. Vor kurzem habe ich mit dem Innenausschuss die baltischen Länder besucht. Ich habe bemerkt, wie schwierig es ist, in diesen Aufbruchländern über das Thema Staatsbürgerschaft zu diskutieren. Es gibt in diesen Ländern noch Hunderttausende Nichtbürger, also Menschen, die gar keine Staatsangehörigkeit haben. Wir haben bei diesem Besuch gesehen, wie wichtig die Frage der Staatsbürgerschaft ist, um eine Gesellschaft zu entwickeln. Zusammenfassend: Der Integrationsplan ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich erwarte mir davon, nachdem die Absichtserklärungen nun in der Welt sind, Ergebnisse und in einem Jahr eine hervorragende, objektive Evaluation, die bestätigen wird: Jawohl, wir können Erfolge melden, vielleicht nicht an 400 Stellen, aber an 200. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun erteile ich Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach meinen Erfahrungen gibt es sehr viele und sehr engagierte Initiativen in den Ländern, in den Kommunen, in den Kiezen. Ich war übrigens gestern beim Jüdischen Kulturverein hier in Berlin. Gegründet wurde er, um jüdisches Leben in Berlin zu beleben. Dann engagierte er sich für die Integration von Spätaussiedlern. Inzwischen ist er eine lebendige Heimstatt, die verschiedene Religionen und Kulturen im multikulturellen Berlin zusammenführt. Ein Gedanke allerdings würde den Mitgliedern dieses Vereins und seiner Vorsitzenden Irene Runge nie kommen, nämlich dass Integration eine Bringepflicht von Migrantinnen und Migranten sei, die gefälligst deutsche Benimmregeln zu lernen hätten. ({0}) Ich sage nicht, dass der Integrationsgipfel das gefordert hat oder dass das im Integrationsplan steht. Aber allzu oft wird die allgemeine politische Debatte genau in diesem Gestus geführt. Integration heißt gesellschaftliche Teilhabe, und das gleichberechtigt. Deshalb fordert die Linke unter anderem ein kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und Bürger, die hier leben, aber eben nicht den EU-Status genießen. Es sind Millionen, und sie werden politisch ausgegrenzt. Zum Thema Staatsbürgerschaft wurde schon etwas gesagt. Das muss ich hier nicht vertiefen. Integration erfordert tatsächliche Chancen. Alle Bildungsstudien, nicht nur PISA, belegen: Das dreigliedrige Schulsystem grenzt aus. Auch deshalb beginnt man zum Beispiel hier im Land Berlin, dieses System aufzubrechen und integrierte Gemeinschaftsschulen zu schaffen. Wir sollten bundesweit dafür werben. ({1}) Integration heißt auch: keine Diskriminierung in der Arbeitswelt. Selbst Friedrich Wilhelm von Potsdam war mit seinem Toleranzedikt weiter als das bundesdeutsche Recht im Jahr 2007. ({2}) Er hatte gefördert und nicht borniert gefordert. Warum folgen wir eigentlich nicht seinem Erfolgsrezept? Der Nationale Integrationsplan enthält eine Fülle von Ideen, Vorschlägen und Selbstverpflichtungen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie endlich ehrlich auf Erfolg drängt und dazu spürbare eigene Beiträge leistet. Die fehlen bislang. Das nährt den Verdacht von Alibiveranstaltungen. ({3}) Ich danke jedem Sportverein, der seinen Beitrag leistet, jedem Kulturverein, jeder Kiezinitiative. Sie sind unverzichtbar. Aber solange die große Politik die großen Fragen eher umsteuert und den Hebel nicht tatsächlich umlegt, wird der Erfolg ausbleiben. Die großen Fragen heißen: mehr Demokratie, bessere Bildung, gleiche Berufschancen, auch für Migrantinnen und Migranten. ({4}) Abschließend an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der SPD gerichtet: Bekommen wir all das nicht überzeugend hin, dann nützt auch die erneute Forderung nach einem NPD-Verbotsverfahren nichts; denn die NPD nährt ihre Gefolgschaft auch mit dem Nektar völkischer Diskriminierung von Migranten und Asylsuchenden. Genau dort darf man keine Schützenhilfe geben. Kurzum und in Anlehnung an Goethes Faust: Der Worte sind zwar nie genug gewechselt, aber lasst uns nun endlich Taten sehen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion.

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Bürsch hat es angesprochen: Integration ist erfolgreich in Deutschland. Bei allen Problemen möchte ich das als Erstes betonen. Integration gelingt - jeden Tag, überall im Land. Besonders erkennbar ist das im Sport. Zu Recht ist dem Sport im Nationalen Integrationsplan ein eigenes Kapitel gewidmet. Sport bringt Menschen zusammen, ist international, vermittelt Werte wie Verantwortung, Teamgeist, Respekt und Akzeptanz von Regeln. Beim Sport ist es egal, woher du kommst, welche Hautfarbe du hast oder an welchen Gott du glaubst. Sport ist gelebte Integration, und darum wollen wir ihn weiter stärken. ({0}) Doch seine Integrationskraft entwickelt sich nicht quasi automatisch. Wir erleben - zum Glück sehr selten -, dass es bei Sportereignissen zu Gewalt und zu rassistischen Vorfällen kommt. Dem treten wir mit dem organisierten Sport gemeinsam entgegen. Ein weiteres Thema sind kulturelle und soziale Barrieren. Muslimische Mädchen etwa würden gerne häufiger Sport treiben. Es gibt Eltern, nicht nur ausländischer Herkunft, die sich den Sport der Kinder nicht so recht leisten können. Diese Probleme müssen wir angehen. Es muss möglich sein, dass alle Bürger Sportangebote wahrnehmen können. Wir müssen niedrigschwellige Angebote machen, die Sportvereine sensibilisieren und Migranten in die Organisation von Sport einbeziehen. Wir brauchen Teilhabe durch Sport, und deswegen müssen wir Teilhabe im Sport organisieren. ({1}) Der Sport übernimmt gesellschaftliche Aufgaben. Er macht das gerne und erfolgreich. Dabei dürfen wir allerdings nie vergessen, dass der Sport vor allem von den vielen Ehrenamtlichen gestaltet wird. Deren Engagement ist von unschätzbarem Wert. Sie haben wirklich unseren Dank und unsere Anerkennung verdient. ({2}) Die verbesserten Rahmenbedingungen für Ehrenamtliche - ich verweise auf die Initiative „Hilfen für Helfer“ waren da ein handfester Fortschritt. Dem Ehrenamt sind aber gewisse Grenzen gesetzt. Wir müssen die Leute auch vor einer Überbeanspruchung schützen. Manchmal kommt ein Jugendtrainer bei bestimmten Problemen oder Konflikten nicht mehr weiter. Da ist Hilfe von außen nötig. Deshalb ist eine bessere Verzahnung von Sportförderung und anderen Programmen, etwa zur sozialen Stadtentwicklung, sinnvoll. Wie erfolgreich Zusammenarbeit sein kann, zeigt beispielsweise der deutsch-türkische Treff hier in Berlin im Kreuzberger Wasserturm. Wir, die SPD-Fraktion, waren neulich mit Franz Müntefering dort. Was wir da gesehen haben, war wirklich sehr beeindruckend. Über den Sport kommen dort die Mitarbeiter mit den Jugendlichen in Kontakt. Sie helfen für die Schule, betreiben Sprachförderung, bieten Berufsorientierung an oder haben einfach einmal ein offenes Ohr für Probleme. Das ist ein starkes Projekt. Davon brauchen wir mehr in Deutschland, und das wollen wir unterstützen. ({3}) Sport hat viel mit Bildung zu tun. Auch das ist im Nationalen Integrationsplan gewürdigt. Ich habe bereits von der Wertevermittlung gesprochen; man kann auch „Herzensbildung“ sagen. Aber es geht auch um kluge Köpfe; denn Sport fördert die geistige Leistungskraft. Das sollte übrigens auch manchem von uns hier im Saal zu denken geben. Der Landessportbund betreibt Kindertagesstätten, in denen mit großem Erfolg Bewegung und Spracherwerb verbunden werden. Da sind weiterer Ausbau und Unterstützung nötig. Darum sage ich jetzt in Richtung unseres geschätzten Koalitionspartners: Dort, wo wirklich mit größtem Engagement Bildungsarbeit geleistet wird, versteht kein Mensch, warum Betreuungsgeld gefordert wird, anstatt mit aller Kraft den Kitas zu helfen. ({4}) Swen Schulz ({5}) Noch ein paar Worte zur Schule. Schüler, die mehr Sportunterricht haben, werden in anderen Fächern besser; das haben Untersuchungen gezeigt. Darum ist die Ausweitung des Sportunterrichts nötig und überfällig, übrigens auch mit Blick auf muslimische Mädchen. Die Länder müssen es zustande bringen, dass der Sportunterricht nicht ausfällt, dass, im Gegenteil, die tägliche Sportstunde eingeführt wird. Das wäre ein wirklich starker Beitrag. Am besten ist der weitere Ausbau der Ganztagsschulen. Sie werden im Nationalen Integrationsplan ausdrücklich gelobt. Dort können die Schülerinnen und Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend optimal gefördert werden, unabhängig davon, welches Leistungsniveau sie haben oder woher sie kommen. Da gibt es dann auch ausreichend Zeit, etwa für Sport und Musikangebote - für alle und ohne Hürden. Das ist ein praktischer Beitrag zur Integration. Rot-Grün hat mit dem Ganztagsschulprogramm viel bewirkt, und das muss weitergehen. Wir brauchen die qualifizierten Menschen. Es kann doch nicht wahr sein, dass so viele Jugendliche ausländischer Herkunft ohne Ausbildung bleiben und gleichzeitig händeringend gesuchte Fachkräfte aus dem Ausland hierhin geholt werden sollen. Es ist die Aufgabe des Staates und der Wirtschaft, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die hier leben, auch tatsächlich qualifiziert werden. ({6}) Dieses Land braucht Chancengleichheit, weil wir keinen Menschen verloren geben wollen und dürfen. Sport und Bildung sind wichtige Säulen der Integration; sie sind auch im Nationalen Integrationsplan enthalten. Er hat einige gute Ansätze, aber wir haben noch sehr viel an praktischer Politik vor uns. Die SPD ist dazu bereit. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Josef Philip Winkler, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte Revue passieren lässt, kann man eigentlich nur festhalten, dass von den Punkten, die umgesetzt werden sollen, kein einziger konkret genannt wurde. ({0}) Ich halte es wirklich für eine Schande, dass man das „Nationaler Integrationsplan“ nennt. Es liegen nur freiwillige Selbstverpflichtungen, die nicht überprüfbar sind, vor; gleichzeitig wird von einem historischen Datum gesprochen. Das ist absolut unglaubwürdig. ({1}) Frau Staatsministerin, Sie sagen, für den Nationalen Integrationsplan seien zusätzliche 750 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Auf die klare und konkrete Frage meiner Fraktion, wo das Geld denn liege, kamen keine klaren und konkreten Antworten. Alles Mögliche fällt darunter, zum Beispiel der Haushaltstitel des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. ({2}) Wir sind gespannt, welchen Beitrag dieser zur Integrationsförderung leisten wird. Bei der Überprüfung dessen werden wir Sie nicht im dunklen Kämmerchen alleine lassen. ({3}) Sie sind gestartet als Mutter Courage der Integration, aber das, was Sie vorgelegt haben, kommt eher von einer Mutter Beimer des Kanzleramtes: irgendwie ganz nett, aber irgendwie auch unkonkret und relativ erfolglos. ({4}) Beim kommunalen Wahlrecht gibt es keine Fortschritte. Beim Thema „zusätzliche Sprachkurse“ gibt es keine konkreten Ergebnisse. Für die 15 Millionen Euro, die Sie jetzt draufgesattelt haben, haben Sie im vorigen Jahr 75 Millionen Euro abgezogen. Kein Mensch glaubt Ihnen, dass es da Fortschritte gibt. ({5}) Ich möchte jetzt noch auf die Ungeheuerlichkeiten von Herrn Koschyk eingehen, auch wenn das der Ehre fast zu viel ist, lieber Kollege. Was Sie über meine Fraktion zum Thema Zwangsverheiratung gesagt haben, hat mich wirklich geärgert. Wir haben unter der rot-grünen Bundesregierung die Zwangsverheiratung unter Strafe gestellt. Da haben Sie nicht vorneweg mitgemacht. ({6}) Es steht bereits im Strafgesetzbuch, dass Zwangsverheiratung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird. Diesbezüglich sollten wir als demokratische Parteien zusammenhalten und uns nicht in Kleinlichkeit verlieren. Dass im Rechtsausschuss des Bundesrates Anträge von unionsregierten Ländern liegen, wonach geprügelten Frauen, die in Ehen gezwungen werden, nicht schon nach zwei Jahren, sondern erst nach vier Jahren ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gegeben werden soll, haben Sie in dem Zusammenhang wohlweislich verschwiegen! ({7}) Wenn es um das Problem der Aufenthaltserlaubnis geht, gibt es nicht nur den Fall, dass man nach Deutschland einreist und zwangsverheiratet wird. Es gibt vielmehr auch den Fall, dass man aus Deutschland heraus im Ausland zwangsverheiratet wird. Wir haben immer wieder festgestellt, dass die Union diesbezüglich überhaupt nicht zu Zugeständnissen bereit ist. Wenn man sechs Monate ins Ausland verschleppt wurde, gibt es keine Möglichkeit mehr, den ursprünglichen Aufenthaltstitel zurückzuerlangen. Da könnten Sie konkrete Hilfe leisten, da verweigern Sie sich aber, meine Damen und Herren von der Union. ({8}) Auch von Frau Staatsministerin Böhmer werden immer wieder die Sprachkurse angesprochen. Wir sind überhaupt nicht dagegen - das entspricht aber einer häufigen Verdrehung der Tatsachen -, dass die Frauen und Männer, die nach Deutschland kommen, Deutsch lernen. Es waren die Unionsländer, die sich im Vermittlungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz vehement dagegen verwahrt haben, dass sie Mittel für die Sprachförderung einstellen sollen. Wir als Grüne haben gesagt, dass wir beim gesamten Zuwanderungsgesetz nicht mitmachen, wenn die Sprachförderung nicht Teil des Gesetzespaketes ist. Wir haben dies durchgesetzt. Das ist Teil der historischen Wahrheit. ({9}) Die Folge ist, dass jetzt überwiegend der Bund die Lasten trägt, obwohl Integration vor allem auf der lokalen Ebene zu gestalten ist. Insofern fordern wir Sie auf: Loben Sie Herrn Koch nicht nur für irgendwelche Dinge, die nicht nachprüfbar sind, sondern fordern Sie ihn auf, dass er neben den Sprachkursen in den Kindergärten endlich seiner Verpflichtung nachkommt und die Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt, durch Eigenmittel verdoppelt. Das wäre ein Beitrag zu mehr Integration und zu mehr Gerechtigkeit in diesem Land. ({10}) Wir werden Sie mit dem sogenannten Nationalen Integrationsplan nicht alleine lassen. Darin sind sehr viele indirekte und unkonkrete Punkte. Wie gesagt, es sind kaum konkrete Projekte, sondern alles Dinge, die entweder schon da waren oder nicht besonders viel Arbeit kosten. Die Selbstverpflichtung von Unternehmen, nach 50 Jahren Bundesrepublik gern auch einmal Ausländer in ihre Belegschaft aufzunehmen, verkaufen Sie als „Charta der Vielfalt“. Das ist nun wirklich nicht historisch. Man müsste sich eigentlich dafür schämen, das als historisch zu verkaufen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Winkler, Sie haben gefragt: Wo bleibt das Konkrete? - Ich will Ihnen konkret sagen: Ihre Strafvorschrift zur Zwangsverheiratung, die Sie hier so hervorgehoben haben, hat bisher keine einzige Verurteilung zur Folge gehabt. ({0}) Das ist Ihre Politik: Nach außen sieht es gut aus, aber tatsächlich hilft es nicht. - So kommen wir im Kampf etwa gegen Zwangsverheiratungen nicht weiter. ({1}) Der Nationale Integrationsplan enthält nicht nur Absichtserklärungen, sondern auch - das ist einfach die Wahrheit - ganz konkrete Maßnahmen, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Als Beispiel nenne ich die Integrationskurse. Das sind nicht nur Sprachkurse, sondern darin wird auch etwas über die Kultur, die rechtlichen Grundlagen und das Wertesystem unseres Landes vermittelt. 250 000 Teilnehmer haben diese Kurse bereits besucht. Wir werden die Kurse weiter verbessern. Wir erhöhen die Stundenzahl, damit die Teilnehmer die Abschlussprüfung bestehen. Wir bieten Zielgruppenkurse für junge Mütter und Jugendliche an. Wir übernehmen Fahrtkosten und die Kosten der Kinderbetreuung, obwohl das eigentlich eher Sache der Kommunen wäre. Wir werden im Haushalt 2008 noch einmal 14 Millionen Euro mehr ausgeben und dann 154 Millionen Euro allein für diese Integrationsmaßnahme vorsehen. Kollege Körper hat gesagt, man solle noch etwas draufpacken. Darauf kann ich nur erwidern: Dann fragen Sie Finanzminister Steinbrück einmal, ob er uns das zusätzliche Geld gibt! - Das ist ein bisschen widersprüchlich. Die SPD-Innenpolitiker wollen mehr Geld für die Integrationskurse, und der SPD-Finanzminister gibt es uns nicht. Ganz überzeugend, Kollege Körper, war das nicht. Wir haben natürlich Integration gehabt, aber ich glaube, dass sie bei vielen Menschen noch nicht angekommen ist, und das ist das Entscheidende. Da müssen wir etwas tun, über formale Zuständigkeiten hinaus. Wer erlebt hat, wie gerade Frauen, die seit 17, 18 Jahren in Deutschland sind und praktisch kein Deutsch können, sich freuen, im Kurs zu sein, weil sie das erste Mal aus ihrer häuslichen Umgebung herauskommen und durch den Kurs andere Frauen mit anderen kulturellen Hintergründen kennenlernen, Kontakte knüpfen, auch über den Kurs hinaus, wer erlebt hat, wie engagiert dort im Kurs gearbeitet wird, der fragt nicht nach Zuständigkeiten, aber er fragt sich schon - das sage ich mit Blick gerade auf die Grünen und Frau Künast, die sieben Jahre zuständig gewesen wären -: Was haben Sie eigentlich in der Vergangenheit ganz konkret getan, um zum Beispiel diesen Frauen bei der Integration zu helfen? ({2}) Die konkrete Lebenssituation dieser Menschen hat Sie nicht interessiert. Sie haben sich mit Ideologien befasst, aber nicht mit der konkreten Lebenssituation der Menschen. ({3}) Frau Künast, es wäre ganz schön, wenn Sie einem Redner, der sich mit dem Beitrag der Fraktionsvorsitzenden der Grünen auseinandersetzt, nicht unbedingt den Rücken zukehrten, aber das ist eine Stilfrage. - Frau Künast hat hier gesagt, der Integrationsgipfel habe keine große Konsequenz. In Wirklichkeit ist sie natürlich neidisch, dass gerade wir als CDU/CSU das Integrationsthema besetzt haben. ({4}) Otto Schily hat in sieben Jahren gemeinsamer Regierung mit den Grünen noch nicht einmal eine Teestunde zur Integration veranstaltet, geschweige denn einen Gipfel. Das haben wir gemacht, und darauf sind wir mit Recht auch ein bisschen stolz. ({5}) Frau Künast, es wäre schon ein Gebot der Höflichkeit, wenn Sie jetzt zuhörten. - Sie haben uns in Zusammenhang mit einem „Ehrenmord“ in München vorgeworfen, dass wir wegen der Residenzpflicht im Aufenthaltsrecht - eine solche galt für das Opfer - die Frauen hier nicht richtig schützen würden. Ich habe mir den Fall eben noch einmal sehr genau angesehen. Was Sie behauptet haben, ist die glatte Unwahrheit. ({6}) Die Frau war im Frauenhaus in München; sie hätte dort auch bleiben können. Sie ist aus eigener Entscheidung nach Garching im Landkreis München zurückgegangen. Der Täter hatte seinerseits eine Residenzpflicht für die Stadt München; er hätte also gar nicht in den Landkreis gehen dürfen. Aber das Entscheidende ist: Er war geduldet. Die rot-grüne Stadtregierung von München hätte längst die Chance gehabt, ihn abzuschieben. ({7}) Insofern ist es unerhört, wenn Sie einen solchen Fall vor dem Forum des Deutschen Bundestages in dieser Weise sinnentstellen, um uns hier einen Vorwurf zu machen. ({8}) Der große Wert des Nationalen Integrationsplans besteht auch darin, dass er deutlich macht, dass wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten müssen: Bund, Länder und Gemeinden. Maria Böhmer hat hier zu Recht angesprochen, dass wir in den Kindergärten, in den Schulen und bei der beruflichen Bildung mehr machen müssen; denn mit Blick auf die demografische Entwicklung muss man feststellen: Wenn wir bei der Integration gerade der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht für eine gute Zukunft sorgen, dann hat unser Land keine gute Zukunft. Dabei kommt es auch auf ganz konkrete Einzelmaßnahmen an. Ich bin den Ländern Niedersachsen und Hamburg sehr dankbar, die im Rahmen des Integrationsgipfels ganz konkret angekündigt haben, mehr Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen Ausbildungsplatz im öffentlichen Dienst zur Verfügung zu stellen. Das ist eine doppelte Integration: Auf der einen Seite wird Jugendlichen eine berufliche Perspektive eröffnet; auf der anderen Seite legt man damit die Wurzeln dafür, dass ausländische Mitbürger bei den Behörden, in den Rathäusern auf mehr Menschen mit Migrationshintergrund stoßen. Das ist echte, ganz konkrete Integrationspolitik. ({9}) Herr Kollege Körper, lassen Sie uns doch endlich die Debatte „Einwanderungsland oder nicht?“ beenden. Wir sagen ganz bewusst: Wir sind ein Integrationsland. ({10}) Das ist ein gewaltiger Unterschied. Einwanderungsländer zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Zuwanderung steuern können. Wir konnten die Zuwanderung von Ausländern nicht steuern. Asylbewerber, Aussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge, all diese Menschen sind ohne Steuerung auf Grundlage eigener Rechte zu uns gekommen. Wir müssen uns jetzt um eine nachholende Integration bemühen, um Versäumtes aufzuholen. Der Streit um Begriffe hilft dabei nicht. Wir müssen etwas tun. Deswegen sagen wir: Wir sind ein Integrationsland. Da liegt unser Schwerpunkt. ({11}) Ich will hier gerne zitieren, was die Anwältin Seyran Ateş in ihrem neuen Buch „Der Multikulti-Irrtum“ geschrieben hat: … vor allem viele Linke glauben noch immer, der Traum von der multikulturellen Gesellschaft werde irgendwann Wirklichkeit, wenn man den Dingen nur ihren Lauf lässt. Doch das ist ein Irrtum. Multikulti, so wie es bisher gelebt wurde, ist organisierte Verantwortungslosigkeit. Mit dem Nationalen Integrationsplan übernehmen wir Verantwortung. Früher waren Ausländerbeauftragte im Arbeits- oder Frauenministerium versteckt. Unsere Integrationsbeauftragte sitzt im Bundeskanzleramt, ({12}) als Zeichen dafür, dass Integration für uns Querschnittsaufgabe und vor allen Dingen Chefsache ist. Kollege Bürsch, Sie haben gefordert, ich solle etwas zur Frage der doppelten Staatsbürgerschaft sagen. Nur in aller Kürze - auch das ist so eine formale Debatte -: Viele derjenigen, die in den letzten Wochen hier in Berlin als Türken und Kurden gewalttätige Auseinandersetzungen hatten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber sie haben trotzdem vor allem und in erster Linie eine türkische oder eine kurdische Identität. Deswegen ist es richtig, was wir sagen: Dass nur dann ein Zusammenleben in Deutschland funktioniert, wenn die Einbürgerung am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses steht, wenn wir uns auf gemeinsame Werte verständigen. Das Ganze darf nicht am Anfang, sozusagen als gute Hoffnung oder Eintrittskarte, eines Integrationsprozesses stehen, der sich dann am Ende als schwierig und meistens als erfolglos herausstellt. Frau Staatsministerin Böhmer, herzlichen Glückwunsch zu diesem Nationalen Integrationsplan. Wir werden ihn umsetzen, auch, Herr Kollege Körper - weil Sie das hier angesprochen haben -, im Bereich Bleiberecht. Wir haben hier Entscheidungen getroffen. Am häufigsten wird das Bleiberecht in Bayern und Baden-Württemberg ausgesprochen. Dort haben die Menschen Sicherheit. Die wenigsten Bleiberechte werden in Berlin ausgesprochen. Jeder hat vor seiner eigenen Tür zu kehren. Entscheidend ist - dies soll mein Schlusssatz sein -: Dieser Nationale Integrationsplan, liebe Maria Böhmer, ist in der Tat ein großer Wurf, ein Meilenstein. Aber damit er richtig erfolgreich wird, müssen wir alle in unseren Wahlkreisen vor Ort an seiner Umsetzung mitarbeiten. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Caren Marks, SPDFraktion. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Familienpolitikerin begrüße ich, dass sich die Bundesregierung und das Parlament intensiv mit dem Thema Integration beschäftigen, dabei den Dialog mit Migrantinnen und Migranten suchen und gemeinsam Handlungsfelder erarbeiten. Nach dem vielversprechenden Integrationsgipfel und dem damit einhergehenden Integrationsplan dürfen Regierung und Parlament in ihrem Handeln nicht hinter den erweckten Erwartungen zurückbleiben. ({0}) Das Themenfeld des Nationalen Integrationsplans „Von Anfang an deutsche Sprache fördern“ ist von zentraler Bedeutung. Die Überschrift enthält mehr als eine Botschaft. Sie ist ein Auftrag, den wir politisch auf allen Ebenen mit Leben füllen müssen. Das gilt für Bund, Länder und Kommunen. Es gilt, mit aller Ernsthaftigkeit daran zu arbeiten, dass sich die Chancen der Migrantenkinder wirklich verbessern. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung; denn jedes dritte Kind unter sechs Jahren hat einen Migrationshintergrund. In einigen Großstädten sind vier von zehn Jugendlichen nicht deutscher Herkunft. Viel zu viele Kinder sind vom schulischen und beruflichen Erfolg abgehängt, weil sie in den ersten Lebensjahren häufig unzureichende Deutschkenntnisse erwerben. Wir haben es heute schon oft gehört - man kann es nicht oft genug betonen -: Sprachkompetenz ist der Schlüssel zu Bildung und Integration. Deshalb muss die Sprachförderung ein zentraler Bestandteil der frühkindlichen Bildung werden. ({1}) Die sprachliche Bildung ist eine vordringliche und gemeinsame Aufgabe von Eltern, Erziehern und Pädagogen. Der frühe Besuch von Kindern in Tageseinrichtungen bietet - so heißt es im Integrationsplan - „eine besondere Chance“ für Migrantenkinder. Die natürliche Aneignung der deutschen Sprache kann so erheblich gesteigert werden. Kinder sind gern mit Kindern zusammen. Andere Kinder sind Vorbilder und gleichzeitig Freunde. Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, lernen Deutsch in der Krippe spielend, im wahrsten Sinne des Wortes. Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ist dabei wichtig, um deren Kompetenz bezüglich der Sprachentwicklung ihrer Kinder zu stärken. Positiv sind niedrigschwellige Angebote für Kinder und deren Familien, die den gezielten Erwerb der deutschen Sprache unterstützen. Projekte wie „Mama lernt Deutsch“ sind sehr erfolgreich. Wir müssen Eltern mit Migrationshintergrund motivieren bzw. darin bestärken, dass ihre Kinder frühzeitig die Vorteile einer Betreuungs- und Bildungseinrichtung nutzen. ({2}) Auch der von der SPD durchgesetzte Rechtsanspruch - er gilt ab 2013 - auf einen Betreuungsplatz ab eins wird sich positiv auf die Integration auswirken. ({3}) Das Betreuungsgeld hingegen, wie es die Union nach wie vor fordert, ist nicht nur bildungs- und gleichstellungspolitisch fatal, sondern auch integrationspolitisch. Eine monatliche Zahlung an Eltern, die ihre Kinder im Alter bis zu drei Jahren ausschließlich zu Hause betreuen, wäre auch unter Integrationsgesichtspunkten falsch. ({4}) Wir würden diesen Kindern einen Bärendienst erweisen. Ein Betreuungsgeld würde für viele der benachteiligten Familien einen hohen Anreiz setzen, ihre Kinder von frühkindlichen Bildungseinrichtungen fernzuhalten. Norwegen hat genau diese negativen Erfahrungen ge12754 macht und will das Betreuungsgeld deswegen abschaffen. Auch in Thüringen bewirkt das dortige Erziehungsgeld, dass Eltern ihre Kinder aus dem Kindergarten verstärkt abmelden. Wir sollten aus diesen Erfahrungen lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Es muss klar sein: Integration kann nicht verordnet werden. Sie braucht die Mitwirkung aller, auch der Migranten. Insbesondere den Müttern mit Migrationshintergrund kommt eine Schlüsselstellung für die Integration ihrer Kinder zu. Die Berufstätigkeit von Migrantinnen fördert nicht nur Selbstbewusstsein und finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch deren Integration. Gut integrierte Eltern, Mütter und Väter, die an der Gesellschaft teilhaben, sind Vorbilder für ihre Kinder. Auch an diesem Punkt setzt das Betreuungsgeld für Frauen falsche Anreize, nämlich nach der Geburt eines Kindes länger zu Hause zu bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Beispiele zeigen: Ein Betreuungsgeld läuft der Integration vielfältig entgegen. Es würde eine erfolgreiche Umsetzung des vielversprechenden Integrationsplanes konterkarieren. Das Betreuungsgeld ist schlicht eine „Optimierung“ des Unsinns. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6281 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke auf Drucksache 16/6976. Interfraktionell ist vereinbart, über den Entschließungsantrag abwei- chend von der Geschäftsordnung heute abzustimmen. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie- ßungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen abge- lehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis c sowie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf. Es handelt sich um Über- weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte: 42 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes ({0}) - Drucksache 16/5107 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in der Europäischen Union - Drucksache 16/6563 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Innenausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern, Laserfax- und Kopiergeräten - Drucksache 16/5776 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 5a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksache 16/5811 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz ({6}), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksache 16/5968 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller ({8}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland - Drucksache 16/6945 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 43 a bis 43 u sowie 35 b. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf zu Tagesordnungspunkt 43 d, Zweites Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes, namentlich abstimmen werden. Vor der namentlichen Abstimmung haben wir noch drei einfache Abstimmungen. Bitte begeben Sie sich erst zu den Urnen, wenn ich die namentliche Abstimmung aufrufe. Tagesordnungspunkt 43 a: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze - Drucksache 16/6540 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({10}) - Drucksache 16/6986 Berichterstattung: Abgeordneter Gerald Weiß ({11}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6992 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Anja Hajduk Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6986, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6540 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Linken angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 43 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Soziale Sicherheit von vorübergehend im Hoheitsgebiet des anderen Staates beschäftigten Personen ({13}) - Drucksache 16/6567 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({14}) - Drucksache 16/6829 Berichterstattung: Abgeordnete Katja Kipping Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6829, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6567 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent12756 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 43 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksachen 16/6293, 16/6568 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({15}) - Drucksache 16/6978 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({16}) Joachim Stünker Jörg van Essen Wolfgang Nešković Jerzy Montag Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6978, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6293 und 16/6568 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 43 d: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze - Drucksachen 16/6560, 16/6740 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({17}) - Drucksache 16/6993 Berichterstattung: Abgeordnete Patricia Lips Reinhard Schultz ({18}) Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 16/6993, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6560 und 16/6740 in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthal- tung der Fraktion Die Linke angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die absolute Mehrheit - das sind 307 Stimmen - erforder- lich. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- nen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze besetzt? - Ich eröffne die Abstimmung. Haben alle Kolleginnen und Kollegen Ihre Stimme abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich bitte Sie, sich wieder zu Ihren Plätzen zu begeben, damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie Platz, damit wir einigermaßen übersichtlich die Abstimmungen fortsetzen können. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 43 e: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Legehennenbetriebsregistergesetzes - Drucksache 16/6559 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({19}) - Drucksache 16/6862 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Ulrike Höfken Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/6862, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 16/6559 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. 1) Ergebnis Seite 12759 B Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Tagesordnungspunkt 43 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({20}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im Inneren - Die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden - zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck ({21}), Jerzy Montag, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Bundeswehr vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2006 - Drucksachen 16/563, 16/359, 16/1510 Berichterstattung: Abgeordnete Ingo Wellenreuther Wolfgang Gunkel Gisela Piltz Ulla Jelpke Wolfgang Wieland Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/563 mit dem Titel „Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im Inneren - Die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FDP und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/359 mit dem Titel „Keine Bundeswehr vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2006“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 g: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({22}) zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt MüllerSönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP EU-Waffenembargo gegen China beibehalten - Drucksachen 16/969, 16/2574 Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2574, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/969 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 h: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im Technologiebereich erneuerbarer Energien sachgerecht unterstützen - Drucksachen 16/1565, 16/3587 Berichterstattung: Abgeordneter Matthias Berninger Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3587, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1565 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 i: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({24}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz KOM ({25}) 46 endg.; Ratsdok. 6622/07 - Drucksachen 16/4819 Nr. 11, 16/5949 Berichterstattung: Abgeordneter Michael Hennrich Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Tagesordnungspunkt 43 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({26}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Wein und zur Änderung bestimmter Verordnungen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ({27}) KOM ({28}) 372 endg.; Ratsdok. 11361/07 - Drucksachen 16/6389 Nr. 1.49, 16/6863 Berichterstattung: Abgeordnete Julia Klöckner Gustav Herzog Dr. Kirsten Tackmann Ulrike Höfken Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 43 k bis 43 u. Tagesordnungspunkt 43 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29}) Sammelübersicht 286 zu Petitionen - Drucksache 16/6801 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 286 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 43 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30}) Sammelübersicht 287 zu Petitionen - Drucksache 16/6802 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 287 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31}) Sammelübersicht 288 zu Petitionen - Drucksache 16/6803 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 288 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 43 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32}) Sammelübersicht 289 zu Petitionen - Drucksache 16/6804 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 289 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 43 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33}) Sammelübersicht 290 zu Petitionen - Drucksache 16/6805 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 290 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34}) Sammelübersicht 291 zu Petitionen - Drucksache 16/6806 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 291 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 43 q: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35}) Sammelübersicht 292 zu Petitionen - Drucksache 16/6807 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 292 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen. Tagesordnungspunkt 43 r: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 293 zu Petitionen - Drucksache 16/6808 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 293 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 s: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37}) Sammelübersicht 294 zu Petitionen - Drucksache 16/6809 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 294 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünen angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Tagesordnungspunkt 43 t: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38}) Sammelübersicht 295 zu Petitionen - Drucksache 16/6810 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen von FDP und Grünen angenommen. Tagesordnungspunkt 43 u: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39}) Sammelübersicht 296 zu Petitionen - Drucksache 16/6811 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Stimmen von FDP und Linken angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes - Drucksache 16/6309 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({40}) - Drucksache 16/6828 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Peter Jahr Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Undine Kurth ({41}) Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6828, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6309 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken und der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von FDP und Linken angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu Tagesordnungspunkt 43 d zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze bekannt: Abgegebene Stimmen 553, gültige Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt 507, mit Nein haben gestimmt 0, Enthaltungen 46. Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 553; davon ja: 507 enthalten: 46 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({42}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({43}) Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Georg Brunnhuber Cajus Caesar Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({44}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({45}) Dirk Fischer ({46}) Axel E. Fischer ({47}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({48}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({49}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({50}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({51}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({52}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({53}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({54}) Stefan Müller ({55}) Bernward Müller ({56}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({57}) Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({58}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({59}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({60}) Ingo Schmitt ({61}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Erika Steinbach Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({62}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({63}) Gerald Weiß ({64}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({65}) Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({66}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({67}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({68}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({69}) Monika Griefahn Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({70}) Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({71}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({72}) Frank Hofmann ({73}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({74}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({75}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({76}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({77}) Michael Müller ({78}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({79}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({80}) Michael Roth ({81}) Ortwin Runde Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Marlene Rupprecht ({82}) Axel Schäfer ({83}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({84}) Renate Schmidt ({85}) Heinz Schmitt ({86}) Carsten Schneider ({87}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({88}) Swen Schulz ({89}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({90}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg ({91}) Heidi Wright Manfred Zöllmer Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({92}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich ({93}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({94}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({95}) Cornelia Pieper Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({96}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({97}) Volker Beck ({98}) Birgitt Bender Grietje Bettin Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Anja Hajduk Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Peter Hettlich Priska Hinz ({99}) Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Markus Kurth Undine Kurth ({100}) Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({101}) Omid Nouripour Claudia Roth ({102}) Krista Sager Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Enthaltung DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Bodo Ramelow Paul Schäfer ({103}) ({104}) Dr. Herbert Schui Frank Spieth Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionslos Gert Winkelmeier Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jüngste Entwicklungen in Pakistan Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Walter Kolbow, SPD-Fraktion. ({105})

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein bestürzender Vorgang, dass der Präsident Pakistans, Musharraf, die Demokratie außer Kraft gesetzt hat. Zu Recht befassen wir uns hier im Parlament in einer Aktuellen Stunde mit diesem bestürzenden Vorgang. Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt von der pakistanischen Führung die unverzügliche Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und das Festhalten an der angekündigten Parlamentswahl. Wir protestieren gegen die Massenverhaftungen und gegen jegliche Medienzensur. Wir äußern unseren Respekt sowohl vor der Richter- und Anwaltsbewegung mit Iftikhar Chaudhry an der Spitze als auch vor den Journalisten, die sich bei ihrer Kommentierung nicht einschüchtern lassen. ({0}) Wir unterstreichen die Kommentierung der pakistanischen Zeitung The News, in der es hieß: Der 3. November wird als weiterer dunkler Tag in die politische, rechtsstaatliche Geschichte Pakistans eingehen. - Die massiven Proteste in Pakistan gegen den Ausnahmezustand zeigen, dass die pakistanische Zivilgesellschaft erstarkt ist. Das ist positiv. Wir fordern von der pakistanischen Regierung die Freilassung der unschuldig Verhafteten, unter ihnen der Chef der oppositionellen Moslemliga, PML-N, Javed Hashmi, und die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, und wir verlangen die Freilassung der 40 festgenommenen Projektpartner der Heinrich-Böll-Stiftung. ({1}) An die internationale Gemeinschaft richten wir die Forderung, von sich aus alle Anstrengungen zu unternehmen, die dramatische Zuspitzung der seit Monaten in Pakistan herrschenden Krise einzuhegen. Es war richtig und wichtig, Herr Außenminister, dass Sie für die Bundesregierung die Ausrufung des Ausnahmezustandes in Pakistan unverzüglich kritisiert und dazu aufgefordert haben, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Wir unterstützen die Bundesregierung in diesen ihren Bemühungen. ({2}) Es erfüllt unser Parlament mit Genugtuung, dass sich die Vereinigten Staaten eingeschaltet haben und der Präsident der USA die Wiederherstellung der Demokratie eingefordert hat. Auch Javier Solana hat dies für die Europäische Union zu Recht getan. Wir befinden uns angesichts der eskalierten Lage in Pakistan in einem schwierigen Spannungsfeld. Gleichwohl hat Peter Münch recht, wenn er in der Süddeutschen Zeitung feststellt: Auch unter den zynischsten Regeln der Realpolitik macht es wenig Sinn, weiterhin einen Diktator zu unterstützen, der die Demokraten bekämpft und die Islamisten nicht besiegen kann. ({3}) Uns allen ist bewusst, dass es bei deklaratorischen Aufforderungen an die pakistanischen Machthaber nicht bleiben kann. ({4}) Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung, wie getan, die aktuellen Ereignisse in ihre Überlegungen zur bilateralen Zusammenarbeit einbezieht. Dies ist richtig und wichtig. Andererseits dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass Pakistan in der Region eine wichtige Rolle spielt. Insoweit gilt es, besonnen und politisch klug unsere nächsten Schritte zu planen. Das Abstimmen unserer Haltung insbesondere im europäischen Rahmen wissen wir bei Ihnen, Herr Außenminister, in guten Händen. Pakistan hat als Regionalmacht eine besondere und herausgehobene Verantwortung, die weit über die aktuelle innerpakistanische Machtfrage, die offensichtlich persönliche Züge trägt, hinausgeht. Das sollte von denen bedacht werden, die Einfluss auf politische Entscheidungen in Pakistan haben. Anders kann auch die G-8-Afghanistan-Pakistan-Initiative, die am 30. Mai 2007 in Potsdam verabschiedet wurde, nicht gelingen. Sicherheit, Stabilität und dauerhafter Frieden in Afghanistan und in der Region gelingen nicht mit Kriegsrecht in Pakistan. Die Mitglieder der G 8 haben sich ausdrücklich bereit erklärt, mit den Regierungen Afghanistans und Pakistans eng zusammenzuarbeiten, und zwar auf der Basis der bestehenden Mechanismen der Vereinten Nationen. Nur so wird Pakistan mit seiner 2 500 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan und als Frontstaat gegen den Terror stabilisiert werden können. Hinzu kommt das pakistanische Nuklearprogramm. Schon seit Jahren heißt es, Pakistan sei eine politisch instabile Nuklearmacht mit fernen Bergregionen, die den Terroristen als Rückzugsgebiete dienen. Es gibt alarmierende Informationen, dass die Taliban und al-Qaida Gebiete an der Grenze zu Afghanistan mehr und mehr beherrschen. Die Folgen bekommen die NATO und unsere Soldaten bei ISAF zu spüren. Pakistan ist ein Schlüssel für den Erfolg des Wiederaufbaus in Afghanistan. Pakistans Stabilität ist unabdingbar für die regionale Stabilität und die Überwindung des internationalen Terrorismus. ({5}) Auch deshalb muss Pakistan wieder demokratisch werden, die Achtung der Menschenrechte gewährleisten, eine unabhängige Justiz, eine freie Presse, demokratische Parteien, also starke Institutionen haben. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind an der Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten. Wenn der lange Marsch der PPP und anderer nach Islamabad jetzt stattfindet, dann möge er friedlich verlaufen und dann mögen die Ordnungskräfte wissen, dass man auf Demokratinnen und Demokraten nicht schießt, sondern sie unterstützt. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss diesen Putsch mit allem Nachdruck verurteilen. ({0}) Das, was hier geschieht, ist unglaublich. Wer Richter absetzt, statt sich dem Recht zu beugen, wer Rechtsanwälte mit dem Gummiknüppel traktiert, wer Menschen, die anderen helfen wollen, einsperrt, der ist kein Demokrat und - das sage ich an dieser Stelle - der kann auch kein Bündnispartner für Demokratien sein, weil dadurch nicht dauerhaft Stabilität geschaffen wird. ({1}) Ich sage das mit allem Ernst, weil wir alle wissen - Herr Kolbow hat darauf hingewiesen -, welch zentrale Rolle Pakistan für einen Erfolg bei der Stabilisierung Afghanistans spielt. Man kann auch nicht sagen, dass sich die Verbündeten der NATO hier zurückgehalten haben. Schauen Sie sich an, welche militärische Hilfe allein die USA in den letzten Jahren an die pakistanische Armee geliefert haben - 10 Milliarden Dollar; 100 Millionen Dollar jeden Monat -, mit dem Ziel, Pakistan zu stabilisieren. Um zu sehen, was das Ergebnis ist, muss man Bilanz ziehen: Das Geld ist nicht für eine massive Bekämpfung der Aufständischen in Pakistan eingesetzt worden. Die Generalität und die höheren Offiziere haben sich mit diesem Geld die Taschen vollgestopft. Sie haben das zum Teil nicht an ihre einfachen Soldaten weitergeleitet. Diese laufen heute zu den Taliban über, wodurch die ganze Regierung Musharraf lächerlich gemacht und zu diesem Schritt getrieben wurde. ({2}) Ich finde, wenn man so etwas weiß, dann muss das doch Konsequenzen haben. Ja, wir sagen: Wir wollen, dass Pakistan stabil ist. - In ein solches Land kann man dann aber doch nicht immer weiter Geld pumpen. Man kann auch nicht einfach blind das fortsetzen, was bisher gemacht worden ist. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie müssen dem Hause einmal erklären, was drei U-Boote mit der Situation in Waziristan zu tun haben und ob es in einer solchen Situation wirklich klug ist, U-Boote an ein Regime zu liefern, das so instabil ist und über ein ambitioniertes Raketenprogramm, nukleare Fähigkeiten und nukleare Waffen verfügt, und zu sagen, dass dies der Stabilisierung dieses Landes dient. Ich glaube nicht, dass dies der Stabilisierung Pakistans gedient hat. ({3}) Lieber Bundesaußenminister, wenn Sie einmal die Idee hatten, die Stabilisierung durch die U-Boote zu erreichen, dann müssen Sie heute sagen, dass das falsch war und dass Sie nicht liefern, wenn vom Militär weiterhin Politik in dieser Form gemacht wird. Wir erwarten hier eine sehr klare und sehr deutliche Ansage von Ihnen. ({4}) Ich will das auch noch einmal unter einem anderen Aspekt sagen: Wer ist denn der Gewinner dieses Prozesses? Was macht das Militärregime? Betrachten wir die großen Kräfte in der pakistanischen Gesellschaft: die Islamisten - sie werden immer stärker -, eine aufgeweckte Zivilbevölkerung und das Militär. Gegen wen geht das Militär jetzt vor? Gegen die Islamisten? Nein, es sperrt die Basisbewegung, die aufgeklärte städtische Intelligenz, all diejenigen, die für Meinungsfreiheit streiten, ein. Das heißt, es unterdrückt massiv genau die Kräfte, die die einzige Gegenmacht zu den Islamisten sein müssten. Deswegen werden die Islamisten durch diesen Putsch gestärkt und nicht geschwächt, weshalb wir Putschisten nicht in dieser Form - mit solchen Rüstungslieferungen - unterstützen dürfen. ({5}) Wir haben heute gehört, dass die Regierung erklärt hat, sie wolle im Februar Wahlen abhalten. Offensichtlich wirken die Proteste ein Stück. Aber Wahlen haben auch Voraussetzungen: Man kann keine Wahlen unter einem Ausnahmezustand abhalten. ({6}) Wahlen sind nur möglich, wenn der Richter Chaudhry wieder eingesetzt wird, wenn wieder Meinungsfreiheit herrscht, wenn alle, die inhaftiert worden sind, wieder freigelassen sind und wenn in diesem Lande die demokratischen Rechte wieder ihren Platz haben. Dazu gibt es keine Alternative. Wer die Demokratie in Pakistan unterdrückt, wird am Ende erleben, dass die Islamisten die Sieger sein werden. Dies kann und darf nicht passieren. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/ CSU-Fraktion.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Analyse und auch in der Verurteilung dessen, was in den letzten Tagen in Pakistan geschehen ist, gibt es hier im Haus, wie ich glaube - jedenfalls unter den demokratischen Fraktionen -, keine Differenzen. ({0}) Deswegen will ich das, was die Kollegen Kolbow und Trittin gesagt haben, nicht wiederholen; ich unterstreiche es ausdrücklich. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Lautstärke der Empörung, die ich für berechtigt halte, manchmal über die Hilflosigkeit hinweghelfen soll, ({1}) die aus der Erkenntnis erwächst, dass unser Einfluss in dieser Region bedauerlicherweise begrenzt ist. Die Lage in Pakistan ist außerordentlich kompliziert, und die geopolitische Bedeutung des Landes ist nicht zu unterschätzen. Pakistan spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität in Süd- und Zentralasien. Weder die Lösung des Kaschmir-Konflikts noch eine dauerhafte Befriedung in Afghanistan sind ohne eine aktive Rolle Pakistans denkbar. Auch brauchen wir für eine effektive Bekämpfung des internationalen Terrorismus eine enge Kooperation mit Islamabad. Auf die Gefahren, die mit der nuklearen Bewaffnung Pakistans verbunden sind, haben beide Vorredner ebenfalls schon hingewiesen. Das Tragische und besonders Falsche an dem Verhalten Musharrafs ist, dass er mit seinem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands gerade diejenigen bekämpft, die er für die Bekämpfung des radikalen Islamismus so dringend braucht, und damit die Voraussetzungen für das Scheitern des Projektes schafft, dem wir uns alle verpflichtet fühlen und das für unsere eigene Sicherheit enorm wichtig ist. Deswegen ist es erforderlich, dass Pakistan so schnell wie möglich wieder zu demokratischeren Verhältnissen - ich bin mir der Ambivalenz dieses Komparativs durchaus bewusst - zurückkehrt, dass der Ausnahmezustand so schnell wie möglich aufgehoben wird und die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen geschaffen werden. ({2}) Wenn wir erkennen, dass unser Einfluss begrenzt ist, dann hätte ich mir allerdings gewünscht, dass sich die europäischen Staaten stärker zusammengefunden und zu einer einheitlichen Reaktion durchgerungen hätten. ({3}) Es hat aber unterschiedliche Reaktionen gegeben. In den Niederlanden wird über das Einfrieren der Entwicklungshilfe nachgedacht; möglicherweise ist sie schon eingefroren worden. Man könnte aber auch mit guten Gründen zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen und sagen, gerade jetzt seien mehr Entwicklungshilfe, mehr zivile Zusammenarbeit und mehr Unterstützung der Zivilgesellschaft in Pakistan erforderlich. ({4}) Um widersprüchliche Signale aus Europa an Pakistan zu vermeiden, wäre es wirklich gut gewesen, wenn jeder Verantwortliche in den Regierungen in Europa die Kraft aufgebracht hätte, in der Verurteilung der Verhältnisse und der Zustände einig zu sein und zugleich die europäische Abstimmung zu suchen, damit es eine klare Antwort der Europäischen Union auf die Verhältnisse und Zustände in Pakistan gegeben hätte. ({5}) Das eigentliche Problem in Pakistan liegt aus meiner Sicht nicht allein in der Bekämpfung der Zivilgesellschaft und in der Verhängung des Ausnahmezustands; vielmehr ergibt sich das eigentliche Dilemma aus der Staatsräson Pakistans. Denn wir müssen leider beobachten, dass die Saat aufgeht, die von General Zia ul-Haq und mehreren seiner Nachfolger einschließlich Musharrafs gelegt wurde, nämlich auf eine Islamisierung Pakistans zu setzen, um auf diese Weise den Nationalismus der Paschtunen zu bekämpfen, der den Zusammenhalt des Landes gefährdet, und eine nationale Identität zu schaffen, die die Talibanisierung Pakistans befördert. Wir stehen vor der großen Herausforderung, auf diese Situation eine Antwort zu finden, eine Strategie zu entwickeln, die der weiteren Entwicklung Einhalt gebieten oder sie zumindest verlangsamen kann. Eine nicht wegzudenkende Voraussetzung dafür ist, dass die zivilgesellschaftlichen und demokratisch gesinnten Kräfte in Pakistan, die es beeindruckenderweise gibt - der Kollege Kolbow hat darauf hingewiesen -, gestärkt werden und sich unmissverständlich darauf verlassen können, dass wir an ihrer Seite sind. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Werner Hoyer, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man läuft jetzt Gefahr, Wiederholungen zu äußern. Deswegen möchte ich pauschal feststellen, dass ich die von den Kollegen bisher erhobenen Forderungen nach Aufhebung des Ausnahmezustands, Wiedereinführung der Gewaltenteilung und Ermöglichung freier und demokratischer Wahlen ausdrücklich unterstreiche. Ich unterstreiche auch die Forderung, dass der Generalpräsident seine Uniform ausziehen sollte, wie Eckart von Klaeden eben gesagt hat. ({0}) Benazir Bhutto hat die Befürchtung geäußert, Pakistan bewege sich mit großen Schritten auf eine gewaltige Katastrophe zu. Ich fürchte, es gibt Anlass, davon auszugehen, dass sie recht hat. Die beeindruckenden Mails und Faxe, die sicherlich auch viele von Ihnen von pakistanischen Kollegen bekommen, zeigen, wie verzweifelt die Lage ist. Es ist von Journalisten und Juristen gesprochen worden; ich weise ausdrücklich auch auf ParlamenDr. Werner Hoyer tarier hin. Etliche von ihnen befinden sich auf der Flucht oder sind nicht mehr frei. Auch sie fordern uns auf, in dieser Situation Flagge zu zeigen. Wir haben heute Morgen über Afghanistan gesprochen. Dabei hat auch Pakistan immer eine Rolle gespielt. Trotzdem ist es falsch, Pakistan immer nur durch die Brille unseres gegenwärtigen Afghanistan-Problems zu sehen. Pakistan ist wichtig und groß. Pakistan hat eine enorme technologische Kapazität, die uns noch Schwierigkeiten bereitet. Pakistan ist nicht nur Nuklearmacht, sondern das größte Proliferationsproblem, das wir seit vielen Jahren haben. ({1}) Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns mit diesem Thema befassen. Insofern müssen wir die gegenwärtige Situation analysieren und nüchtern betrachten. In Pakistan kommen alle Probleme der Region wie unter einem Brennglas zusammen. Wir haben es mit der Auseinandersetzung zwischen Islamisten und säkularen Kräften, Entwicklungsdefiziten enormer Dimensionen und der unbedingten Notwendigkeit, eine Atommacht staatlich stabil zu halten, zu tun. Wir sehen das unbewältigte Erbe einer Kolonialvergangenheit und nicht zuletzt - man muss das wohl so deutlich sagen - auch die Bereitschaft staatlicher Autoritäten, vor Zusammenarbeit mit Terroristen gegebenenfalls nicht zurückzuschrecken. Damit ist die Politik des Westens gegenüber Pakistan - auch wir waren daran beteiligt - in den letzten Jahren gescheitert. Oberstes Ziel war die Stabilität des Landes mit Rücksicht auf den Konflikt mit Indien und im Hinblick auf die Sicherung des Nuklearwaffenpotenzials. Deswegen wurden lange Zeit beide Augen zugedrückt, selbst als sich die pakistanische Regierung mit den Taliban zu arrangieren versuchte, was uns allen am 11. September 2001 teuer zu stehen gekommen ist. Seither geht Pakistan zwar gegen die Taliban vor, aber es spielt auch eine Doppelrolle. General Musharraf glaubt offensichtlich, dass er Stabilität und Sicherheit erzielen kann, indem er Rechtsstaat und Demokratie preisgibt. Aber das Gegenteil wird eintreten: Auf dem jetzt eingeschlagenen Weg werden alle vier genannten Elemente auf der Strecke bleiben. Für uns Liberale gilt für die Innenpolitik das Gleiche wie für die internationale Politik: Wer glaubt, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellen zu können, um Sicherheit und Stabilität zu erreichen, wird am Ende mit leeren Händen dastehen. ({2}) Wir sollten uns aber auch Gedanken darüber machen, wie es mit der internationalen Politik im Bereich der nuklearen Proliferation, der Atomrüstung, weitergeht, wenn wir den Problemfall Pakistan nicht in den Griff bekommen. Die Restoptionen, die dann politisch verbleiben, sind fatal. Es droht ein unauflösbarer Konflikt zwischen unserem Wertesystem und den Realitäten. Deshalb ist das Thema der Nichtverbreitung so außerordentlich brisant. In diesem Zusammenhang wurde zu Recht das U-Boot-Thema angesprochen. Ich halte es für sehr bedenklich, dass der Wettbewerb mit dem französischen Konkurrenten gerade mit Verzicht auf die Proliferationsklausel gewonnen werden konnte. Der Zusammenhang mit dem indisch-amerikanischen Nukleardeal ist evident, auf den sowohl in Indien als auch in Pakistan immer wieder Bezug genommen wird. Wir müssen die gewiss interessanten, aber wahrscheinlich akademisch bleibenden Überlegungen zum Thema Internationalisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufes durchaus fortsetzen. Aber wir müssen in der Abrüstungspolitik sowie bei den konkret anstehenden Projekten und Vertragswerken eine klare Position finden. Ich finde es gut, dass sich nun der Bundesaußenminister dieses Themas kraftvoll annehmen wird. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in diesen Tagen in Pakistan erleben, sollte uns nicht überraschen. Hier zerbricht eine Militärdiktatur. Sie greift zum einzigen Mittel, das sie offenbar noch hat, nämlich zum Ausnahmezustand und zu offener Gewalt. Nun kommen von überallher Rufe nach Demokratie, Freilassung der obersten Richter und der Intellektuellen sowie Freiheit für die Opposition. Diese Rufe sind richtig und wichtig. Wir schließen uns ihnen an. Aber wir müssen sehen, dass leider einige davon ziemlich verlogen sind; denn das alles hat eine lange Vorgeschichte, an der wir nicht unbeteiligt gewesen sind. Pakistan ist nicht erst seit gestern eine Militärdiktatur mit einem Putschgeneral als Präsident. Darauf müssen wir ohne Illusionen schauen. Es gibt heute kaum einen gefährlicheren Staat auf der Welt als Pakistan. Das Land hat alles, was sich zum Beispiel ein Mann wie Osama Bin Laden mit seiner alQaida nur wünschen kann: politische Instabilität, ein funktionierendes Netzwerk radikaler Islamisten, unzugängliche Trainingslager, exzellente elektronische Technologie, reguläre Luftverbindungen zum Westen und Sicherheitsdienste, die nicht immer das tun, was sie eigentlich tun sollten. Wenn al-Qaida Stoff für eine Bombe suchen sollte, dann ist Pakistan der Ort, wo er zu finden ist. Machen wir uns nichts vor: Pakistan ist heute ein Sammelbecken und Rekrutierungsgebiet für islamistische Krieger jeder Couleur, ob Taliban oder Al-QaidaKämpfer. Sie können sich dort weitgehend frei und vor Verfolgung geschützt bewegen; denn anders als in Afghanistan und im Irak findet dort die Operation Enduring Freedom nicht statt. Pakistans Streitkräfte verfügen zudem - das wurde bereits erwähnt - über 75 Atomsprengköpfe. Gleichzeitig steht das Land im Foreign Policy Magazine auf Platz 9 der Liste mit den Namen der Failed States, der gescheiterten Staaten. Das müssen wir uns einmal vorstellen: eine Atommacht als gescheiterter Staat! Die USA sollten sich fragen, wer eigentlich gefährlicher ist: der Iran, der vielleicht über 2,5 Kilogramm angereichertes Uran verfügt, oder das nun außer Kontrolle geratene Pakistan mit Hunderten oder sogar Tausenden Kilos. Das ist doch ein Unterschied. Musharraf ist außerdem nicht der erste Putschgeneral. Die USA brauchten seinen Vorgänger, Zia ul-Haq, im Krieg gegen die Sowjets und finanzierten mit Milliarden von Dollarn den Widerstand der Mudschahedin. Diese Milliarden flossen in die Taschen und in die Kriegskassen beider Generäle. Aus den afghanischen Flüchtlingen, die im Nachbarland Pakistan Zuflucht suchten, rekrutierte der berüchtigte militärische Geheimdienst ISI dann die Taliban, die anschließend wiederum zurück nach Afghanistan gingen. Nun werden die USA die Zauberlehrlinge, die sie schufen, nicht mehr los. Diese Entwicklung war abzusehen. Schlimmer noch: Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung an der jetzigen Situation; ({0}) denn sie hat dem wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terror offenbar ebenso wie die USA einen Freifahrtschein ausgestellt. Was hat sie - das frage ich die Regierung - eigentlich in Sachen Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen getan, und was hat sie gegen den von Pakistan unterstützten Terror in Kaschmir unternommen? Sie hat sich mit ihrer Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan zum Mittäter gemacht und verstößt gegen die eigenen Exportrichtlinien ebenso wie gegen den Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren. Das ist ihr Beitrag gewesen. Schlimmer noch: Seit 2001 ist Pakistan mit der Operation Enduring Freedom im Antiterrorkampf verbunden. Haben die USA eigentlich nie gemerkt, dass die Terroristen bei ihrem engsten Verbündeten zu Hause sind? Die Terroristen, die die USA angeblich über die ganze Welt verfolgen, haben ihre Rückzugsgebiete gerade bei ihrem Verbündeten, und dieser droht jetzt ein Opfer der eigenen Brut zu werden. Die USA haben sich nie groß um die Demokratie in Pakistan gekümmert. Würden sie heute die Finanzhilfe für dieses Land einstellen, könnte es so nicht länger existieren. Statt jetzt, was an sich richtig ist, nach Demokratie zu rufen, wäre es da nicht besser, vollständig die Beseitigung des Systems Musharraf zu fordern und sich ebenso von dem gescheiterten System dieses Antiterrorkampfs zu trennen? Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Bundesminister Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es gibt einfachere Reden, und es gibt schwierigere Reden. Eine Rede zur Bewertung der gegenwärtigen Entwicklung in Pakistan gehört jedenfalls nach meiner Ansicht zu den schwierigeren Reden, Herr Paech, wenn man redlich ist und wenn man Reden von dieser Stelle aus nicht dazu benutzt, um nochmals die Fehler amerikanischer Außenpolitik zu entlarven, und wenn man nicht, Jürgen Trittin, vergisst, dass wir auch in den Jahren 2001 bis 2005 unter grüner Außenpolitik versucht haben, Pakistan an uns zu binden. Das kann also nicht ganz falsch gewesen sein, auch nach deiner Ansicht nicht. Schon die Debatte bisher zeigt aus meiner Sicht: Die Bilder und Nachrichten, die uns in den vergangenen Tagen aus Pakistan erreichten, versetzen uns alle in der Tat in große Sorge. Ja, die Ausrufung des Notstands ist nicht nur ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in Pakistan, in Gefahr ist in der Tat die Stabilität im Lande insgesamt. Das ist eine schlechte Nachricht für Pakistan, aber auch eine schlechte Nachricht für die gesamte Region Südasien. Wenn Pakistan mit seinen über 160 Millionen Einwohnern in Chaos und Gewalt versinkt, dann bedroht das die gesamte politische Tektonik weit über das Land hinaus, eben auch die im Nachbarland Afghanistan. Ich sage hier ganz klar: Niemals dürfen Atomwaffen und Raketensysteme in die Hände von islamistischen Terroristen geraten. ({0}) Ich sage aber auch: Pakistans Präsident Musharraf hat sich im Kampf gegen den Terror in den vergangenen Jahren durchaus als wichtiger Verbündeter des gesamten Westens gezeigt. Er hat bis an den Rand seiner innenpolitischen Kräfte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Kampf gegen al-Qaida und fanatisierte Taliban unterstützt. Ich betone das deshalb, weil wir uns auch jetzt, in dieser schwierigen Situation in Pakistan, vor Zerrbildern hüten sollten. Der eine oder andere hat die Gelegenheit zu politischen Gesprächen mit Musharraf gehabt. Wer ihn kennt, weiß - das ist kein Freibrief; verstehen Sie es bitte nicht so -, dass dieser Mann jedenfalls kein kaltblütiger Diktator ist. Richtig ist leider auch: Der pakistanische Präsident sieht sich in seinem Land mit immer engeren Netzwerken konfrontiert, die - jetzt zitiere ich nicht ihn, sondern Benazir Bhutto - täglich Terror schüren, finanzieren und ausführen. Ich füge hinzu: Das sind eben Netzwerke, die den Staat mit brutaler Gewalt von der Wurzel her zerstören wollen. Was besagt das? Das besagt zunächst einmal, dass eine solche Situation Gegenwehr erforderlich machen kann. Das besagt auch, dass eine solche Situation EntBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier schiedenheit in den staatlichen Entscheidungen und im staatlichen Verhalten begründen, wenn nicht sogar verlangen kann. Ebenso deutlich sage ich aber: Gerade wegen der großen Herausforderung für Pakistan, die ich beschreibe, ist Pakistans Präsident mit der Ausrufung des Notstands auf einem Irrweg, ich glaube, auf einem gefährlichen Irrweg. ({1}) Der eine oder andere von Ihnen hat es angesprochen: Die Verhaftungen, der Hausarrest von Führern politischer Parteien, von Juristen, von Vertretern des öffentlichen Lebens sind genau die falschen Mittel, um die Ordnung in diesem Land zu erhalten; denn sie untergraben das Fundament, auf dem die staatliche Ordnung in Pakistan bislang noch stand. Die Notstandsmaßnahmen richten sich ganz offensichtlich - das hat auch jemand von Ihnen gesagt - gerade gegen die Kräfte, die Pakistan braucht, um eine demokratische, rechtsstaatliche und stabile Gesellschaft aufzubauen. Ich unterstreiche: Mit einer erzwungenen Friedhofsruhe ist für Pakistan der Kampf gegen die Feinde des Staates ganz sicher nicht zu gewinnen. ({2}) Gemeinsam mit vielen internationalen Partnern, vor allen Dingen aus der Europäischen Union, haben wir, die Bundesregierung, deshalb eine klare Botschaft an die Regierung in Islamabad gesandt: Allein die möglichst schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung kann aus dieser gefährlichen Krise herausführen. Das habe ich gestern auch meinem pakistanischen Kollegen in aller Offenheit am Telefon erläutert. Mit anderen Worten: Niemand bezweifelt das Recht der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische Angriffe zur Wehr zu setzen. Niemand bezweifelt die Notwendigkeit, für Stabilität und Sicherheit in Pakistan einzutreten. Aber wer nachhaltige Stabilität erreichen, wer die Menschen gegen religiöse und politische Extremisten mobilisieren will, der muss dafür zwingend den Weg von Rechtsstaat und Demokratie einschlagen. ({3}) Eine zivile Regierung, das Prinzip der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Medien, das sind die tragenden Säulen jeder Demokratie, und es sind auch die Säulen, die Pakistan vor dem Chaos bewahren. Ich erneuere deshalb meinen Appell, die vielen politischen Führer, Anwälte, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft schnellstmöglich wieder auf freien Fuß zu setzen und die Einschränkungen, vor allen Dingen der Medienfreiheit, zurückzunehmen. ({4}) Oberste Priorität muss dann sein, die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen wieder zu schaffen. Ich begrüße, dass die pakistanische Regierung angekündigt hat - der pakistanische Außenminister hat es mir gestern am Telefon noch einmal versichert -, dass die in Aussicht genommenen Wahlen tatsächlich Anfang des Jahres, also Januar/Februar 2008, stattfinden sollen. Wir werden die pakistanische Regierung und Präsident Musharraf bezüglich dieser Ankündigung beim Wort nehmen. Die unverzügliche Vorbereitung von wirklich freien und fairen Wahlen wäre jedenfalls auch aus unserer Sicht ein wichtiges Zeichen dafür, dass es der Regierung mit der Rückkehr zur Demokratie, mit der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung, die jetzt angekündigt worden sind, ernst ist. Ziel muss es sein, den Notstand so schnell wie möglich zu beenden und zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Solange dies nicht der Fall ist, werden wir auch in unseren bilateralen Beziehungen nicht ohne Weiteres zur Tagesordnung übergehen können. Das heißt konkret, dass wir unsere ohnehin restriktive Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan im Lichte der aktuellen Ereignisse überprüfen müssen. ({5}) Das heißt auch - Kollegin Wieczorek-Zeul hat das in diesen Tagen bereits angekündigt -, dass wir jedenfalls Entwicklungshilfe vorübergehend nur noch für solche Projekte gewähren, die konkret den Menschen helfen. Unsere Politik - deshalb sage ich das - richtet sich gerade nicht gegen die Menschen in Pakistan, gerade sie dürfen wir in dieser Situation nicht allein lassen. Wir müssen die Zusammenarbeit in allen Bereichen aufrecht erhalten und die suchen, die wieder zu stabileren Verhältnissen in Pakistan und der gesamten Region beitragen können. Das allerdings ist erforderlich, und ich füge hinzu: Alles andere würde ich auch für nicht verantwortlich halten. Denn uns allen muss bewusst sein: Ohne Pakistan wird es in Südasien, wird es gerade in Afghanistan keine Stabilität geben können. Ohne Pakistan wird es auch im Kampf gegen den internationalen islamistischen Terrorismus keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das war einer der wichtigen Gründe - ich bin Herrn Kolbow dankbar, dass er daran erinnert hat -, warum wir den afghanischen und den pakistanischen Außenminister im Juni gemeinsam nach Potsdam eingeladen haben, um die Kooperation zwischen den beiden Ländern zu verbessern. Meine Damen und Herren, wir haben alles in allem in einer schwierigen und, was die weitere Entwicklung angeht, schwer zu beurteilenden Lage ein ureigenes Interesse daran, dass Pakistan schnellstmöglich wieder zu Demokratie und Stabilität zurückkehrt. Genau dafür werden wir uns und werde ich mich nach Kräften einsetzen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir in diesem Hause sind uns in der Bewertung der Situation in Pakistan an den meisten Stellen sehr einig. Insofern, Herr Außenminister, kann ich die Bemerkung, die Sie gegenüber meinem Kollegen Trittin gemacht haben, nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlich unterstreicht jeder bei uns in der Fraktion die Notwendigkeit, Pakistan an uns zu binden, um es in einen positiven Prozess in der Region einzugliedern. Insofern weiß ich nicht, weshalb Sie hier versucht haben, Fronten aufzumachen, die wir in diesem Haus gar nicht haben. ({0}) Wir müssen in dieser Situation aber auch genau schauen, welche Fehler wir im Bündnis mit Pakistan machen. Die Diskussion über die Entwicklungszusammenarbeit ist da die denkbar falsche Diskussion. Die Projekte, die wir dort durchführen, helfen den Menschen tatsächlich und tragen mehr zur Stabilität bei als die anderen Dinge, auf die wir noch zu sprechen kommen müssen. ({1}) Wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, muss man sich bei allem Interesse an einem engen Bündnis mit Pakistan die Rolle des Militärs in der pakistanischen Gesellschaft genau anschauen. Da muss man auch konstatieren, dass der feste Wille von Musharraf und den Militärs, gegen den Islamismus vorzugehen, nicht in jeder der Meldungen über die Situation in Pakistan, die wir heute mitbekommen, ersichtlich ist und dass die eigentlich zu stärkenden Kräfte in Pakistan diejenigen sind, die unter dem Militär zu leiden haben. Um es einmal deutlich zu formulieren: Man hat nicht den Eindruck, dass die Islamisten im Moment Hauptadressat staatlicher Gewalt sind. ({2}) Demzufolge muss man genau hinsehen, wie sich der Umgang Deutschlands mit Pakistan entwickelt hat, darf aber auch das regionale Gesamtgefüge nicht aus dem Blick verlieren. Wenn Sie, Herr Außenminister, von der ohnehin restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutschlands gegenüber Pakistan sprechen, muss man dem einmal die konkreten Zahlen gegenüberstellen. Wir sehen, dass sich Pakistan inzwischen - die Bundesregierung hat gestern den Rüstungsexportbericht vorgelegt - in den Top Zehn befindet. ({3}) Das gibt uns zu denken. Wenn man miterlebt, welch intensiver Handelstourismus von verschiedensten Ministern der Bundesregierung in dieser Region betrieben wird - der Verteidigungsminister, aber auch andere waren da schon unterwegs -, und wenn man sieht, was da an wirtschaftlichen Interessen besteht und an Projekten inzwischen auf dem Tisch liegt, dann muss man feststellen: Es gibt im Gegenteil eine massive Anstrengung für Rüstungsgeschäfte in der Region, sowohl in Pakistan wie auch in Indien, über das wir in dem Zusammenhang natürlich mit sprechen müssen. Wir wollen und müssen Sie ermuntern, Ihre Politik zu überprüfen, weil das Restriktive in den letzten Jahren doch etwas zu kurz gekommen ist. ({4}) Ich will das beispielhaft an der Frage der U-Boot-Lieferungen an Pakistan noch einmal ausführen. Sie haben im Geheimen beschlossen, drei U-Boote nach Pakistan zu liefern: modernste Bauart, Brennstoffzelle, schwer zu erkennen, potenzielles Erstschlags- oder Zweitschlagsinstrument, selbst konventionell eine ganz erhebliche Herausforderung für die regionale Stabilität im Bereich um Pakistan herum. In einer schwierigen Situation mit Pakistan ist Indien. Sie als Bundesregierung fahren auch in der Frage der Lieferung von Eurofightern wie auch in der Frage des Nukleardeals mit Indien keine restriktive Politik, sondern vernachlässigen den Charakter der Region als Krisenregion an den Stellen, wo Wirtschaftsinteressen ziehen. Wir fragen Sie hier seit einem halben Jahr, welches nationale Interesse, welches besondere außen- und sicherheitspolitische Interesse die Bundesregierung an diesen Rüstungsdeals hat. Die Antwort verweigern Sie bis heute. Es ist deutlich: Wir können überhaupt kein außenund sicherheitspolitisches Interesse daran haben, diese Art von Systemen an pakistanische Militärs zu liefern, zumal wir wissen - vor einem halben Jahr wussten wir es auch schon -, dass niemand sagen kann, wer eigentlich am Ruder dieser U-Boote sitzen wird, wenn sie denn jemals geliefert werden. Da ist die Überprüfung, die Sie hier ankündigen, mehr als angezeigt. ({5}) Wir müssen in dem Zusammenhang auch sehen, dass die Appelle, die hier zu einer gemeinsamen europäischen Position ausgesprochen werden, eine große Herausforderung für die Linie der Bundesregierung darstellen. ({6}) Wieder am Beispiel dieser U-Boote, aber auch bei anderen Projekten muss man sich einmal anschauen, welches Wettrennen da zwischen Deutschen und Franzosen stattfindet - erlauben Sie den Ausdruck: welche Schleimspur da von Islamabad nach Rawalpindi gezogen wird - in der Konkurrenz darum, wer denn solche Systeme, über die wir hier sprechen, liefern darf. Angesichts dessen ist die erste Anstrengung, die wir von Ihnen erwarten, die, die tatsächliche Europäisierung auf Basis dessen, was im europäischen Verhaltenskodex zum Rüstungsexportbereich enthalten ist, durchzusetzen. Dann wird auch deutlich: Die restriktive Position gegenüber Pakistan mit der Einstufung dieser Region als Krisengebiet muss endlich entsprechend den Richtlinien der Bundesregierung wie auch des europäischen Verhaltenskodexes bezogen werden. Wir ermuntern Sie ausdrücklich, diesen Weg einzuschlagen. Die Zahlen sprechen aber leider eine andere Sprache. Wenn die Situation in Pakistan etwas dazu beiträgt, dass wir einen gemeinsamen Lernprozess durchmachen, dann sollte das der erste Weg sein; den können Sie schnell umsetzen. Wir warten gespannt darauf, Herr Minister. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte hat deutlich gemacht, dass wir alle anerkennen: Pakistan ist ein strategischer Schlüsselstaat - unabhängig von all den Problemen, die hier zu Recht beschrieben worden sind -, und zwar zum Ersten wegen seiner Atomwaffen und zum Zweiten wegen seiner Bedeutung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen mit der Frage: Wie sieht es jetzt aus, und hätte man das verhindern können? - Wir müssen einfach erkennen, dass der Staat Pakistan von Anfang an ein großes Identitätsproblem gehabt hat, das er bis heute nicht hat lösen können. Es ist im Wesentlichen, wenn ich es richtig sehe, eine Art Antiidentität, die den pakistanischen Staat zusammenhält. Vor allem ist man antiindisch. Man ist jetzt zunehmend antiwestlich im Allgemeinen und antiamerikanisch im Besonderen. Weil sich dieser Staat auf den Islam begründet hat, war von Anfang an der Widerspruch inhärent, den der Islam für das Staatsverständnis beinhaltet, nämlich eigentlich eine weltumfassende Umma der Gläubigen zu sein, was sich nicht einfach in eine nationalstaatliche Schublade stecken lässt. Aus der eben skizzierten Antiidentität heraus hat sich die spezielle islamische Ausprägung in Pakistan zunehmend zu einer Art Dschihad-Islamismus entwickelt. Diese schwierige Grundlage hat dazu geführt, dass das Land in den 60 Jahren seiner bisherigen Unabhängigkeitsgeschichte 30 Jahre vom Militär regiert wurde, weil das Militär wohl immer wieder die einzige Klammer war, die das Land zusammengehalten hat. Aber wir wissen aus der Entwicklung in Lateinamerika und anderswo, dass Streitkräfte in einer solchen staatstragenden Rolle selten Geburtshelfer für demokratische Verhältnisse sind. Jetzt sehen wir, dass der Ausnahmezustand die Lage noch weiter zuspitzt. Ich kann mich natürlich allen Forderungen, die hier erhoben worden sind, anschließen. Folgendes bleibt aber unabhängig von der schwierigen Problematik bestehen: Wir haben mit unseren 40 000 Soldaten der ISAF-Truppen in Afghanistan ein ganz vehementes Interesse an Stabilität in Pakistan und an einer pakistanischen Regierung, die in der Lage ist, den Kämpfernachschub nach Afghanistan unter Kontrolle zu bekommen. Wir haben natürlich - dazu will ich noch ein paar Worte in Ergänzung zu dem sagen, was der Kollege Hoyer angesprochen hat - das unmittelbare vitale Interesse, dass die Atomwaffen, über die Pakistan verfügt, nicht in die falschen Hände geraten. Diese Gefahr ist mit dem Ausnahmezustand gewachsen. Wir haben, wenn wir ehrlich sind - das hat mein Kollege von Klaeden richtigerweise gesagt -, wenig eigene Einflussmöglichkeiten als Bundesrepublik Deutschland; diese Möglichkeiten sollten wir nicht überschätzen. Die Europäische Union muss - das würde ich mir, gerade im Hinblick auf die hier angemahnte Überprüfung der Militärzusammenarbeit, wünschen - hier zu gemeinsamen Positionen finden. Sonst nützen die Forderungen, unsere Form der Kooperation zu überdenken, wenig; das muss auf europäischer Ebene überprüft werden. Ich schließe mich durchaus dem Wunsch an, bei der Militärhilfe jetzt eine Art Moratorium vorzusehen, um zu schauen, mit wem wir es nach der - hoffentlich erfolgreichen - Bewältigung der Krise in Pakistan dauerhaft zu tun haben. ({0}) Bei der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages müssen wir mittelfristig natürlich auch darüber nachdenken, welche Brücken der Sperrvertrag Ländern wie Indien, Pakistan und Israel bieten kann, in das Regime zurückzukehren oder einzutreten. Darüber wird bisher nicht allzu viel nachgedacht. Ich möchte uns alle auch dazu auffordern, hier gemeinsam Wege zu finden. ({1}) Wenigstens müsste man versuchen, aus dem indischamerikanischen Abkommen einen Weg generellerer Art zu finden, der dann auch für die anderen Länder gilt, die näher an den Atomwaffensperrvertrag herangeführt werden sollten. Nun zum Kampf gegen den Terrorismus. Es wird immer gesagt, unsere offenen Gesellschaften seien besonders anfällig. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Unsere demokratischen Werte sind die stärkste Waffe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. ({2}) Das gilt für das, was wir intern machen, und das muss mindestens mittelbar bei der Frage zum Ausdruck gebracht werden, mit welchen Partnern wir den internationalen Terrorismus bekämpfen. Deshalb bleibt es wichtig - dazu werden meine Kollegen gleich noch sprechen -, dass wir die Respektierung der Menschenrechte und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung einfordern und dass wir denen, die in Pakistan genau dafür kämpfen, unsere Solidarität zusichern. Das ist das Ergebnis dieser Aktuellen Stunde. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Pflug, SPDFraktion.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Paech hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen, dass es eigentlich keine Überraschung gewesen sei, dass Pervez Musharraf den Ausnahmezustand ausgerufen habe; das habe man aus der Historie ablesen können. In der Tat, Kollege Paech, dies ist keine Überraschung gewesen; denn bereits am 7. Oktober hat Musharraf zum ersten Mal mit der Verhängung des Ausnahmezustandes kokettiert. Das hatte allerdings einen anderen Ursprung: Damals war er sich nicht sicher, ob der von ihm ursprünglich abgesetzte Richter Chaudhry seine mögliche Wiederwahl bestätigen würde. Nun kann man solche historischen Betrachtungsweisen natürlich immer vornehmen; das kann ganz nützlich sein. Die Frage ist nur: Wann und wo beginnt man damit? Sie hätten natürlich auch sagen können: 1979, 1980 oder 1981 wurde dieses Land zum ersten Mal instabilisiert, als die Afghanen auf der Flucht vor den sowjetischen Panzern nach Pakistan gingen und den Prozess der Instabilisierung in Gang setzten bzw. fortsetzten. Ich gebe Ihnen recht: Natürlich haben die Amerikaner in Pakistan eine falsche Politik gemacht. Aber auch dazu sage ich: Sie sind wahrscheinlich nicht die Einzigen gewesen, die in den vergangenen Jahrzehnten eine falsche Politik gemacht haben. Auch andere sollen das gemacht haben. Das ist also so eine Sache mit den historischen Reminiszenzen. Ich will das aufgreifen, worauf der Außenminister eingegangen ist. Ich hatte nach dem Oktober 1999 die Gelegenheit, Pakistan zu bereisen. Das war einige Monate nach dem Militärputsch. Außenminister Steinmeier hat völlig recht: Ich habe damals nicht einen Pakistaner erlebt, der mir gesagt hätte, dass Musharraf ein blutiger Militärdiktator ist. Vielmehr waren in Pakistan gerade mit der Machtübernahme dieses Militärmachthabers große Hoffnungen verbunden; denn man sagte: Die alten, korrupten Parteieliten haben ausgedient. Sie haben das Land an den Abgrund gebracht. Er hat ja in den vergangenen Jahren durchaus versucht, ziemlich viele demokratische Elemente zu bewahren. Es gab eigentlich bis letzte Woche so etwas wie Pressefreiheit in Pakistan. Es gab keine Massenverhaftungen. Selbst die Parteien durften sich artikulieren, was allerdings für uns kein Grund sein kann, in ihm jetzt den Garanten eines Übergangs in eine demokratische Entwicklung zu sehen. Was er sich 1999 vorgenommen hatte, konnte er allerdings nicht umsetzen. Sicherlich hat dazu die Entwicklung nach dem 11. September 2001 beigetragen. Die Amerikaner haben ihn in die Antiterrorkoalition gezwungen. Damit begann natürlich das Desaster für ihn und das Land. Denn Musharraf war in der Abwägung zwischen den religiösen Strömungen, insbesondere den fundamentalistischen Strömungen, in seinem Lande einerseits und der Bündnissolidarität im Kampf gegen den Terror andererseits gezwungen, sich klar auf die Seite der Amerikaner, der Antiterrorkoalition zu stellen. Damit begann natürlich die auch für ihn selbst lebensgefährliche Auseinandersetzung mit den Radikalen im eigenen Lande und mit seinem Geheimdienst. Das, was er sich vorgenommen hatte, etwa die Integration der Religionsschulen, ist nicht ansatzweise gelungen. Als ich damals in Pakistan war, sprach man von 8 000 bis 12 000 Religionsschulen. Mittlerweile spricht man von 14 000 bis 20 000. Wenn man sich überlegt, welches Potenzial dahintersteckt - ich unterstelle einmal, dass jede Religionsschule in der Lage ist, zumindest 1 000 bis 5 000 Anhänger innerhalb kürzester Zeit zu mobilisieren, und das bei 20 000 Religionsschulen -, dann weiß man, dass innerhalb von wenigen Stunden Millionen auf die Straße zu bringen sind. Das ist in der Vergangenheit von den sogenannten demokratischen Parteien natürlich immer wieder ausgenutzt worden. Wenn sie versuchten, ihre Zwecke zu verfolgen, wurden die Anhänger auf die Straße geschickt. Wir sollten uns aber weniger mit der Vergangenheit beschäftigen und uns vielmehr die Frage stellen: Wie könnte es weitergehen? Wie sieht die Zukunft aus? Nach meiner Einschätzung gibt es vier Entwicklungsszenarien: Das erste Szenario ist gespenstisch. Der Staat zerfällt und würde ähnlich unkontrollierbar wie Afghanistan, wenn wir Afghanistan verlassen würden. Zweites Szenario: Es entsteht so etwas Ähnliches wie ein islamischer Gottesstaat. Drittes Szenario - das ist die augenblickliche Entwicklung -: Die vom Militär gestützte Regierung bleibt an der Macht, und es entwickelt sich eine harte Militärdiktatur in Pakistan. Viertes Szenario: Die Demokratisierung bringt die alten, korrupten Führungseliten wieder ins Amt. Ich denke, alle vier Alternativen sind nicht besonders erfreulich. Von daher, meine ich, sollten wir versuchen, alle unsere Möglichkeiten zu nutzen - es sind nicht viele; sie haben eher appellatorischen Charakter -, das zu fordern, was wir für notwendig halten. Von den Kolleginnen und Kollegen ist hier schon gesagt worden: Wir sollten über die Europäer an die Vereinigten Staaten appellieren, die Militärhilfe einzustellen. Präsident Bush hat ja angekündigt, dass er seine Maßnahmen überprüfen wolle. Wir sollten weiterhin appellieren, dass Pakistan alsbald zur Demokratie zurückkehrt - wobei ich einschränkend sage: zu einer demokratischen Entwicklung mit oder ohne Musharraf. In jedem Fall müssen im nächsten Jahr demokratische Wahlen abgehalten werden, an denen sich natürlich die beiden großen Parteien und andere beteiligen. Vielleicht kann es so etwas wie eine Allparteienregierung geben. Dabei will ich aber nicht darauf eingehen, ob es sinnvoll ist, dass Benazir Bhutto oder Nawaz Sharif dieser Regierung angehören. Das sind doch die Repräsentanten dieser alten korrupten Eliten. Aber es wird ohne die demokratischen Parteien nicht gehen. Vermutlich wird es auch nicht ohne die Hilfe von Musharraf gehen, der diesen Übergang mit einleiten muss. Dann ist irgendwann, meine ich, der Zeitpunkt gekommen, dass auch Musharraf zu gehen hat.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Bei der Frage, warum uns das Ganze interessiert, verweise ich auf unsere Debatte am heutigen Morgen. Pakistan kann man nicht ohne Afghanistan sehen, und Afghanistan kann man nicht ohne Pakistan sehen. Solange wir in Afghanistan engagiert sind, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auch für Pakistan zu engagieren und uns dafür einzusetzen, dass dort eine demokratische Entwicklung einsetzt und das Land und die Region sich stabilisieren. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Johannes Pflug hat recht, wenn er sagt, dass man Afghanistan und Pakistan zusammen sehen müsse. Ich teile sehr vieles von dem, was heute gesagt worden ist. Aber im Hinblick auf den Beitrag vom Kollegen Paech möchte ich schon noch sagen: Wenn man versucht, die heutige Debatte über Pakistan zu einer Debatte über Afghanistan, das militärische Engagement und die Fehler der Vergangenheit umzufunktionieren, ist das angesichts der Probleme in Pakistan auf keinen Fall angemessen und dieser Debatte nicht würdig. ({0}) - Dazu komme ich gleich. - Wenn Sie sagen, Deutschland habe sich da nicht hinreichend engagiert, ist das schlichtweg falsch. Schauen Sie sich einmal an, durch wessen Vermittlung ein wenig Bewegung in die Kaschmir-Frage gekommen ist! Diese Bundesregierung ist daran beteiligt gewesen. Schauen Sie sich einmal an, was im Bereich der Demokratisierung in Pakistan passiert ist! Dort hat sich ebenfalls unsere Bundesregierung sehr stark engagiert. Das alles kann man sicherlich verbessern; niemand ist perfekt. Aber ich glaube schon, dass wir daran einen entscheidenden Anteil gehabt haben. Ich denke, der Kollege Ruck wird dazu noch das eine oder andere sagen. Ich finde, dies ist ein Kernproblem. Es ist zu fragen: Kann man eigentlich stabile Strukturen auf Kosten von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten aufrechterhalten? Ich glaube, dazu muss man ganz deutlich sagen: Nein, das ist definitiv der falsche Weg. Unser Signal kann nicht sein, eine solche Lösung in irgendeiner Form zu unterstützen. Vielmehr müssen wir deutlich sagen, dass wir die Zukunft Pakistans nur in einer demokratischeren Entwicklung, als sie heute erkennbar ist, sehen. ({1}) Schauen Sie sich einmal an, wie Präsident Musharraf den Ausnahmezustand tatsächlich selber begründet hat: Es geht ihm um das Problem einer drohenden Destabilisierung des Landes und um das Problem, dass die Extremisten immer mehr an Macht gewinnen. Das wirft natürlich Fragen auf. Die erste Frage ist: Warum jetzt? Dass die Taliban in diesem Land mehr Einfluss gewinnen, ist keine neue Entwicklung. Weiterhin wirft das die Frage auf: Wen trifft eigentlich dieser Ausnahmezustand? Diese Frage ist hier heute schon behandelt worden. - Er trifft diejenigen, die sich für Demokratie einsetzen. Er trifft diejenigen, die sich für Rechtstaatlichkeit einsetzen. Er trifft die Anwälte, er trifft die Opposition, er trifft viele, die Musharraf eigentlich braucht, um den Kampf gegen den Extremismus gewinnen zu können. Deshalb meine ich, dass ihm klargemacht werden muss - auch in seinem eigenen Interesse -, dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass er diese Entwicklung fortsetzen kann, und dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass wir auf diese Art und Weise mehr Stabilität für das Land bekommen. Es kommt noch die Tatsache hinzu, dass nicht einmal die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Glaubensfreiheit, die in diesem Land lebt, davor gefeit ist, unter Hausarrest gestellt zu werden. Das sollte die internationale Staatengemeinschaft doch in höchstem Maße beunruhigen. ({2}) Es ist vollkommen evident - darauf ist vielfach hingewiesen worden -, dass Pakistan für uns ein wichtiger Partner ist. Pakistan ist zum Beispiel ein wichtiger Partner in der Region, wenn es um die Frage geht, wie wir Afghanistan stabilisieren können. Pakistan ist ja auch eine Atommacht. Michael Stürmer hat vorgestern in der Welt sinngemäß geschrieben: Wenn Pakistan verloren geht, dann geht auch Afghanistan verloren. Unter diesem Aspekt müssen wir die gesamte Debatte sehen. ({3}) - Es ist sehr interessant, dass diejenigen, die immer in der Vergangenheit rühren und sagen, dass in der Vergangenheit immer nur von einer Seite etwas falsch gemacht wurde, nämlich von den Amerikanern, nicht bereit sind, anzuerkennen, dass diese Region eine lange Geschichte hat. Sie geht nicht nur 60 Jahre zurück, sondern wesentlich weiter. Sehr viele Mächte, nicht nur die USA, haben sich dort in sehr unguter Form betätigt. Ich finde, man kann nicht die Verantwortung des einen betonen, aber die Verantwortung des anderen nicht nennen. Das ist aber nicht die Frage, um die es geht. Die Frage, um die es geht, ist, wie wir einen Beitrag dazu leisten können, dass es in Pakistan zu stabilen Verhältnissen kommt und die Menschenrechte geachtet werden. Es ist vor allem notwendig, nach vorne zu sehen. Wir müssen deutlich machen, dass wir das, was geschehen ist, verurteilen und an der Seite derjenigen stehen, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. Der sonst so viel gescholtene amerikanische Präsident Bush hat gesagt, dass Diktaturen ein Nährboden für wachsenden Extremismus sind. Es wäre eine Katastrophe - nicht nur für die USA oder die westliche Welt, sondern für die gesamte Region, insbesondere für Pakistan -, wenn sich dieses Wort ausgerechnet in diesem Land bewahrheiten würde. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Uta Zapf für die SPD-Fraktion.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hier ist schon so viel Richtiges über die Situation und die Hintergründe gesagt worden, dass ich das nicht noch einmal wiederholen möchte. Ganz deutlich ist geworden, dass wir alle ein Stück weit hilflos sind bezüglich der Frage, wie wir diese tiefe Krise, die uns ganz hautnah betrifft - auch, aber nicht nur wegen Afghanistan -, beilegen können bzw. einen Beitrag zur Lösung leisten können. Dass Pakistan ein Partner im Kampf gegen den Terror ist - gegen al-Qaida und die Taliban, die im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan sitzen -, ist erwähnt worden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die weitere Entwicklung Konsequenzen für die gesamte Region hat. Für uns muss angesichts dessen, was in dem nuklear bewaffneten, instabilen Staat Pakistan passiert ist, die höchste Alarmstufe gelten. In Pakistan ist nicht nur der Notstand verhängt worden, sozusagen nach den Regeln der Kunst, sondern das war schlichtweg auch ein Coup: Die Verfassung ist ausgehebelt und eine vorläufige Verfassung etabliert worden, die jederzeit geändert werden kann. Die Richter sind verjagt worden, und alle Oppositionellen werden verfolgt. Ich möchte mich auf das Szenario beziehen, das Johannes Pflug beschrieben hat. Die Szenarien sind alle nicht besonders schön, das letzte müssen wir allerdings als realistisch bezeichnen: Die verschiedenen Parteien sind nicht so aufgestellt, wie wir uns das wünschen. Benazir Bhutto ist, nachdem ihr die Absolution für ihre vergangenen Sünden versprochen wurde, zurückgekommen und hat sich als Partnerin für Musharraf angeboten. Sie ist äußerst unglaubwürdig, wenn sie jetzt plötzlich zum Widerstand aufruft und sich als die beste demokratische Oppositionelle gebärdet. Die eigentlichen Helden in Pakistan sind in der Tat die Richter und die anderen Oppositionellen, die es gewagt haben, mit aufrechtem Kreuz den Gelüsten von Musharraf entgegenzutreten. Der eigentliche Machtkampf ist ja deshalb ausgebrochen, weil Musharraf gemeint hat, dass der oberste Richter Chaudhry, sein Erzfeind, aufgrund der vergangenen Ereignisse, die hier auch schon erwähnt worden sind, seine Wiederwahl als Präsident nicht als legitim abnicken würde, er also in große Schwierigkeiten kommen würde, wenn dieser Mann nicht mundtot gemacht wird. Aber diese Menschen lassen sich nicht mundtot machen. Es gibt, wie ich finde, einige schöne Zitate von ihm, die es sich anzuhören lohnt. Chaudhry sagt: Er hat die Verfassung in Stücke gerissen. - Das ist in der Tat eine schöne bildliche Sprache, die wir uns meistens gar nicht mehr leisten. Außerdem ruft er seine Mitmenschen auf, sich für die Verfassung zu opfern. Ich möchte nicht, dass diese Menschen geopfert werden. Ich möchte vielmehr, dass wir uns überlegen, welche Möglichkeiten es gibt. Ich bin froh, dass es so viele Appelle zur Rückkehr zur Demokratie gegeben hat. In der Tat ist es notwendig, dass die Verhafteten entlassen werden, dass die Verfassung wieder in Kraft gesetzt wird, dass Wahlen angesetzt werden und dass Musharraf seine Armeeuniform auszieht. ({0}) Das alles löst aber das Problem noch nicht endgültig. Das Problem ist tiefer gehend; denn keine der Parteien, weder Musharrafs Partei noch die beiden anderen großen Parteien, hat eine politische Vorstellung, wie man dieses Land stabilisieren kann. Sie haben nur Machtvorstellungen, wie man dieses Land ausrauben oder beherrschen kann. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir alle wissen ja, dass es notwendig ist, dieses Land zu stabilisieren, und dass dies nur dann möglich ist, wenn wir die Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, in diesem Land zu leben und Demokratie zu praktizieren. Wir müssen auch bei den bisher unbeherrschbaren Gebieten wie Waziristan und Belutschistan, in denen die Taliban sitzen, ansetzen. Die dortige Entwicklung macht uns große Sorge, weil da zum Beispiel Soldaten, die keine Lust mehr hatten, gegen ihre Stammesbrüder, die als Taliban bezeichnet wurden, zu kämpfen, ihre Waffen niedergelegt haben und übergelaufen sind. Man hat über Jahrzehnte versäumt, den Menschen in diesen Gebieten eine Perspektive zu geben. Dort besteht ein Nährboden für Radikalismus und Fundamentalismus, welchen Musharraf bekämpfen sollte, aber tatsächlich nicht bekämpft. Ich denke, was ich in einer Presseerklärung von Herrn Polenz gelesen habe, ist der richtige Weg: Militärhilfe überdenken, aber die humanitäre Hilfe nicht einstellen. ({1}) Ich würde sogar dafür plädieren, sich viele Gedanken darüber zu machen, wie wir helfen können - ebenso massiv, wie wir Afghanistan, dem geschundenen Land, geholfen haben -, diese Regionen zu stabilisieren. Das ist in unserem eigenen Interesse. Ich erinnere trotz Ihres Widerspruchs daran, dass Pakistan und Afghanistan im Zusammenhang gesehen werden müssen. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst an einen Vorgang in der jüngeren Geschichte des Bundestages erinnern, nämlich an den 17. Mai 2001, an dem in den Bundestag ein Antrag eingebracht wurde, der dann mit den Stimmen aller Parteien verabschiedet wurde. In dem Antrag wurde Präsident Musharraf aufgefordert, so schnell wie möglich zur Demokratie zurückzukehren, ihm wurde aber auch vom ganzen Haus der Rücken gestärkt für die überfälligen, notwendigen Reformen in einem zerrütteten Land, das damals am Rand des Zerfalls stand, dessen Demokratie damals desavouiert war und das sich durch korruptionsbehaftete Politiker wie Benazir Bhutto und Nawaz Sharif in einer Sackgasse befand. Wir haben ihn als neuen Regierungschef Pakistans in dem Antrag auch dazu aufgefordert, dass er die Unterstützung der Taliban einstellt, dass er sich mit Indien aussöhnt und dass er eine entwicklungsorientierte Politik betreibt, die der Mehrheit der Bevölkerung dient und ihr Perspektiven verschafft. Es gibt viele Parallelen zu heute. Die Bilanz von Musharraf ist sehr durchwachsen. Ich möchte daran erinnern, dass er gerade in letzter Zeit in der Aussöhnungspolitik mit Indien große Fortschritte erzielt hat. Es gibt auch demokratische Reformen und wirtschaftlichen Erfolg, aber vieles ist nur halbherzig umgesetzt worden, und - das ist vor allem zu nennen - der wirtschaftliche Erfolg kam nicht bei der breiten Bevölkerung Pakistans an. Man muss jedoch klar sehen - das wurde heute bereits angesprochen -, dass der Krieg gegen die Terroristen in Afghanistan und der Kampf um die Wiederherstellung von Demokratie und Frieden in Afghanistan infolge des 11. September 2001 nicht nur die Bedeutung Pakistans regional und international enorm erhöht haben, sondern auch seine Probleme. Die aktuelle Situation, die sich zuspitzt, zeigt, dass die Regierung Musharraf diesen Spagat zwischen Islamisten und Feudalisten sowie echten und falschen Demokraten kaum mehr hinbekommen kann. Es wurde auch schon gesagt, dass das Land in der Vergangenheit nicht zusammengewachsen ist und die zentrifugalen Kräfte stärker denn je offen zutage treten. Das hat viele Gründe; es hat hier und da etwas mit halbherzigen Politiken zu tun. Aber auch ich glaube, dass die tieferen Ursachen dafür in fehlender Entwicklung und fehlender Perspektive für die breite Bevölkerung zu suchen sind. Ich denke an Stammesgebiete, wo noch archaische Zustände herrschen, an Großstadtslums und an feudalistische Zustände in weiten Teilen des Landes wie zum Beispiel in Pandschab. Wenn es zutrifft - das ist zweifellos der Fall -, dass die Stabilität Pakistans und eine positive Entwicklung Pakistans - keine Grabesruhe - für den Erfolg unserer Afghanistan-Mission entscheidend sind, dann ist es in der Tat richtig, den Grundgedanken des damaligen Antrags noch einmal nachzuverfolgen, nämlich dass es ohne grundlegende Reformen und ohne ein Wirtschaftswachstum, das auch den breiten Schichten der Bevölkerung zugute kommt und bis nach Waziristan und die Grenzgebiete dringt, keine Stabilität und keine positive Entwicklung in Pakistan geben kann. ({0}) Ich möchte ganz besonders zum Ausdruck bringen - die Entwicklungspolitik, die für Pakistan als einen der Hauptempfänger unserer Hilfe in all den Jahren immer eine sehr bedeutende Rolle spielte, wurde bereits angesprochen -, dass ich es für wichtig halte, dass wir uns, Frau Zapf, auf internationaler Ebene noch stärker und konzentrierter darüber Gedanken machen, wie wir die Entwicklungs- und Hilfsangebote verbessern können. Es ist richtig, dass die unabhängige Justiz wiederhergestellt werden muss. Es ist richtig, dass die Medienfreiheit wiederhergestellt werden muss. Es ist auch richtig, dass die Demokratie insgesamt wiederhergestellt werden muss. Ich bin mir mit Frau Wieczorek-Zeul darin einig, dass wir, um auch ein politisches Signal zu geben, zurzeit nicht über Neuzusagen für entwicklungspolitische Maßnahmen verhandeln. Es sind jedoch auch die Grunderkenntnisse richtig und wichtig, dass Pakistan viel stärker als bisher eine Bildungsoffensive braucht - gegebenenfalls gegen den Widerstand der Koranschulen; diesen Wunsch müssen wir mit unseren Appellen verbinden -, dass Pakistan ein viel besser als bisher funktionierendes Gesundheitssystem inklusive Familienplanung braucht, dass in Pakistan eine Landreform unabdingbar notwendig ist, dass Pakistan mithilfe von Mikrofinanzierungsinstrumenten viel mehr Wachstum von unten generieren muss und dass Pakistan Hilfe bei seiner Energieversorgung braucht. Wenn wir berechtigte Forderungen an Pakistan stellen, dann müssen wir gleichzeitig - das liegt in unserem ureigenen Interesse - den Umfang unserer Reform- und Hilfsangebote an Pakistan vergrößern. Das müssen zwei Seiten ein und derselben Medaille sein. Vielen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der deutsche Schriftsteller Klaus Mann hat in seinem Buch Der Wendepunkt einen Wendepunkt wie folgt beschrieben: Das sei ein Zeitpunkt, wo man sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss. Die eine führe in den Abgrund, die andere führe nicht notwendigerweise zum absolut Guten. Die Abzweigung, die nicht zum Abgrund führt, ermögliche aber vielleicht das Auffinden weiterer Wendepunkte. Pakistan ist ein unglaublich kompliziertes Land - auf die vielen Probleme ist in dieser Debatte zu Recht mehrfach hingewiesen worden -: ein Atomwaffenstaat; ein Staat, der in einem latenten Konflikt mit seinem großen Nachbarn Indien steht, der ebenfalls Atomwaffen besitzt; ein Staat, der Proliferation betrieben hat; ein Staat, dessen nördliche Regionen Rückzugsgebiet für Talibankämpfer sind. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass sich die Situation in diesem Staat stabilisiert. Für mich steht allerdings im Vordergrund, dass es im Interesse der Menschen in Pakistan ist, dass sich die Lage stabilisiert. ({0}) Völlig zu Recht sind einige Forderungen erhoben worden, die ich nur unterstreichen kann: die Aufhebung des Ausnahmezustands und die Entlassung der Oppositionellen, der Bürgerrechtler, der Anwälte und der Richter aus den Gefängnissen. Ich habe um kurz nach 12.30 Uhr eine Agenturmeldung gelesen, nach der Präsident und General Musharraf erklärt haben soll, dass er bereit sei, seine zweite Amtszeit als Präsident ohne Uniform anzutreten; das wäre sicherlich richtig. Es wäre zu begrüßen, wenn er das tun würde. All das sind aber nur notwendige Voraussetzungen für eine Verbesserung der Situation in Pakistan, keine hinreichenden. Es muss noch mehr getan werden. Als Mitglied des Vorstandes der deutsch-südasiatischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages war ich vor einigen Monaten gemeinsam mit unserem Kollegen Josef Winkler in Pakistan. Ich möchte Ihnen zwei Erlebnisse dieses Besuchs schildern: Mein erstes Erlebnis: Zehn Kilometer vor der wohlgeformten Hauptstadt findet sich ein großes Gebiet, das nur aus Slums besteht. Dort leben die Menschen in Lehmhütten, und die Kinder wachsen neben Tieren auf. Nachdem die deutsche Botschaft in Pakistan dort für eine vernünftig funktionierende Wasserversorgung gesorgt hatte, lautete die größte Bitte der Menschen, dass sie gerne eine Schule und damit Bildungschancen hätten. Wenn man sich vor Augen hält, dass das Schulsystem in Pakistan vor einigen Jahren aus den Händen des Staates entlassen und den Koranschulen überlassen wurde, wird einem klar, dass hier ein ganz zentraler Ansatzpunkt liegt, um Pakistan eine gute Perspektive zu eröffnen. ({1}) Bildung muss wieder zu einer staatlichen und demokratisch kontrollierten Aufgabe gemacht werden. Nicht jede Koranschule ist extremistisch geprägt; in manchen wird ganz ordentlich gearbeitet. Aber der Staat muss die Aufsicht behalten. Wenn es um Bildung geht, muss der Staat den Daumen draufhalten können. Mein zweites Erlebnis: Als wir in Karatschi waren - diese Stadt ist übrigens eine Wirtschaftsmetropole -, haben wir erfahren, dass wir die ersten deutschen Bundestagsabgeordneten waren, die in den letzten fünf Jahren dort waren. Das ist keine Kritik von mir. Allerdings möchte ich Sie bitten, daran zu denken, wenn sich die Verhältnisse in Pakistan wieder ein wenig stabilisiert haben. Dann sollten wir durch Präsenz, Besuche und Dialog deutlich machen, dass wir ein echtes Interesse daran haben, was in diesem Land passiert; das war allerdings nicht der Punkt, den ich erwähnen wollte. Eigentlich wollte ich auf die Nachwahlen hinweisen, die in Karatschi stattfanden, als wir dort waren. Pakistan hat eine demokratische Verfassung; sie ist zwar suspendiert, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Es stellt sich aber die Frage: Wie werden die Standards, die darin definiert sind, durchgesetzt? - Wir haben dort Folgendes beobachtet: Es gab einen gemäßigten und einen radikalen Kandidaten. Der gemäßigte Kandidat wurde im Wahllokal verprügelt, sein Sohn entführt, sein Fahrer vor dem Wahllokal erschossen, und die Wahlen wurden massiv gefälscht. Am Tag nach der Wahl stand in den Zeitungen, die örtliche Wahlkommission habe keinen Zweifel daran, dass das 90-Prozent-Ergebnis des radikalen Kandidaten verfassungskonform sei und dass die Wahl ordnungsgemäß verlaufen sei. Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich machen: Das, was wir tun, reicht nicht aus. Wir sagen, dass in Pakistan so früh wie möglich Wahlen stattfinden sollten, damit eine demokratisch autorisierte Regierung ihr Amt übernehmen und der Machtwechsel, der sicherlich in Phasen ablaufen muss, organisiert werden kann. Das genügt allerdings nicht. Wir müssen auch sicherstellen, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Wahlbeobachtern - warum eigentlich nicht auch aus dem Deutschen Bundestag und warum nicht in größerer Zahl? -, dass die Wahlen fair und transparent durchgeführt werden. ({2}) Das eine ist der Appell an den unbestrittenen Machthaber, jetzt zu handeln, die demokratischen Verhältnisse formal wiederherzustellen. Das andere ist, sich in der Zukunft, mehr als in der Vergangenheit, verstärkt zu engagieren. Wir sollten weniger darüber debattieren, ob wir die Entwicklungshilfe einfrieren sollen, als vielmehr darüber, wie wir sie sinnvoll weiterentwickeln können: zugunsten des Abbaus der Benachteiligung von Frauen, zugunsten des Bildungswesens und zur Verbesserung des Gesundheitswesens, damit man als normaler Pakistani, wenn man zuckerkrank ist, nicht sterben muss, weil man sich die Medikamente nicht leisten kann. In diesem Bereich müssen wir weiter arbeiten, mehr tun, mehr investieren. Dann können wir vielleicht in der Perspektive - das wird Jahrzehnte dauern - sagen: In Pakistan ist etwas gelungen, was nur sehr selten gelingt: ein islamisches Land mit einer echten Demokratie. Das liegt nicht nur in unserem Sicherheitsinteresse. Wir haben auch eine Mitverantwortung für die pakistanischen Bürger auf der einen Welt. Danke schön. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Beschäftigungschancen Älterer verbessern Reformen der Agenda 2010 nicht zurücknehmen - Drucksache 16/6644 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({1}), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beschäftigungssituation Älterer verbessern Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente sozial gestalten - Drucksache 16/6929 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Jörg Rohde von der FDPFraktion. ({3})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zum wiederholten Male beschäftigen wir uns heute mit den Chancen Älterer auf dem Arbeitsmarkt. Dass wir diese Debatten führen, liegt daran, dass leider nicht alle vom momentanen Aufschwung am Arbeitsmarkt profitieren. Denn nicht nur Krankheit, Behinderung, fehlende Kinderbetreuungsangebote oder eine schlechte Berufsausbildung sind ein Einstellungshemmnis, nein, auch das Lebensalter ist noch für zu viele ein K.-o.-Kriterium bei der Jobsuche. Woran liegt das? Hat die Politik in der Vergangenheit zu wenig für ältere Arbeitnehmer und Arbeitsuchende getan? Nein, das Gegenteil trifft zu: Die Regierungen Schröder und Merkel haben zu viel reguliert und dabei auch noch genau das Falsche getan: Mit gutgemeinten Gesetzen zur Altersteilzeit, zur Frühverrentung, zum erleichterten ALG-I-Bezug ab dem 58. Lebensjahr hat der Gesetzgeber älteren Beschäftigten etliche goldene Brücken in den Vorruhestand gebaut. Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht; denn diese Fehlanreize entziehen dem Arbeitsmarkt dringend benötigte Fachkräfte, treiben Arbeitnehmer unnötig früh in die sozialen Sicherungssysteme und führen dort zu einem immensen Ausgabenanstieg. Wer sich dann zu seiner kargen Altersrente etwas dazuverdienen möchte, stößt viel zu schnell an enge Hinzuverdienstgrenzen. ({0}) All diese Regelungen haben eines gemeinsam: Sie halten Ältere vom Arbeitsmarkt fern. Ältere Arbeitslose, die alles tun würden, um wieder in Arbeit zu kommen, scheitern bei der Jobsuche an Gesetzen, die eigentlich zu ihrem Schutz gedacht waren. Ich spreche zum Beispiel vom Kündigungsschutz: Was eigentlich gut gemeint war, steht Älteren bei der Arbeitssuche im Wege. Auch das Lebensalter als Kriterium der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen gehört abgeschafft; denn kein Arbeitgeber stellt einen Älteren ein, wenn er einen jüngeren Arbeitnehmer im unternehmerischen Notfall leichter entlassen kann. Weil der Kündigungsschutz in seiner jetzigen Form insgesamt, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ein immenses Einstellungshemmnis darstellt, sollten Arbeitsuchende nach den Vorstellungen der FDP eine Wahlmöglichkeit haben: Statt des gesetzlichen Kündigungsschutzes sollen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertraglich auf eine Abfindungsregelung einigen können. ({1}) Denn eines ist sicher, meine Damen und Herren: Besser vorübergehend einen Arbeitsplatz haben als dauerhaft arbeitslos sein. ({2}) Auch das Senioritätsprinzip, das in vielen Tarifverträgen Anwendung findet, erschwert im Zweifel die Beschäftigung Älterer. Auch hier muss abgewogen werden, ob die Schutzfunktion für einige Beschäftigte nicht gleichzeitig ein Einstellungshindernis für unzählige Jobsuchende ist. Nicht zuletzt führt die Möglichkeit zur Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen dazu, dass Betriebe und deren Angestellte gegen ihren ausdrücklichen Willen tarifvertraglichen Regelungen unterworfen und damit der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen erschwert werden. ({3}) Eine erfolgreiche Politik für mehr Beschäftigung in allen Generationen bedarf aber grundsätzlicher Anstrengungen in allen Politikbereichen. Gerade auch, um ältere Menschen erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, müssen strukturelle Hemmnisse beseitigt werden. Deutschland braucht neben einer besseren Arbeitsmarktpolitik eine Steuer-, Wirtschafts- und Tarifpolitik, die zu mehr Wachstum und damit zu mehr Arbeitsplätzen führt, und nicht beschäftigungsfeindliche Mindestlöhne. ({4}) - Doch, das glaube ich ganz sicher. Aber auch die Unternehmen und Tarifpartner sind gefordert, die Rahmenbedingungen zur Nutzung der Potenziale älterer Arbeitnehmer zu verbessern. Die Kompetenz und die Lebenserfahrung älterer Arbeitnehmer müssen stärker genutzt werden. Hierbei ist es absolut kontraproduktiv, dass innerhalb der schwarz-roten Koalition jetzt über eine Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I gesprochen wird. ({5}) Wir haben in der Vergangenheit doch bereits mehrere Vorruhestandswellen erlebt. Sobald sich die Konjunktur ein wenig abschwächt, werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer diese längere Bezugsdauer nutzen, um sich voneinander zu trennen. Das dürfen wir doch nicht zulassen, meine Damen und Herren! Stattdessen fordern wir eine maximal mögliche Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. Hier sind 3 Prozent erreichbar. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider von der Fraktion Die Linke?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Rohde, ich bemühe mich intensiv, das Konzept der FDP zu verstehen, ({0}) habe aber in einem sehr zentralen Punkt meine Schwierigkeiten. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Sie haben jetzt auch wiederholt, dass eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I im Grunde genommen dazu führt, dass die Leute dieses mehr in Anspruch nehmen. Können Sie mir erklären, warum dänische Arbeitslose im entsprechenden Alter nicht nur deutlich schneller, sondern auch in größerer Zahl vermittelt werden - selbst dann, wenn sie 60 Jahre alt und älter sind -, obwohl in Dänemark drei Jahre lang ein Arbeitslosengeld von 90 Prozent des vorherigen Gehalts gezahlt wird? ({1})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In Dänemark gibt es nicht nur dieses Gesetz, sondern auch eine andere Form der Herangehensweise an die Arbeitsvermittlung. Sie haben eben ein anderes Konzept. ({0}) Wir fordern zum Beispiel eine Kommunalisierung, dass man sich also vor Ort viel intensiver um den Einzelnen kümmert und sich bemüht, dass er wieder einen Arbeitsplatz erhält. ({1}) Dann könnte man sich auch andere Gesetze erlauben. Das gibt es aber in Deutschland leider nicht. ({2}) Deswegen fordern wir eine Gesamtdiskussion für die Arbeitsmarktpolitik und die Gesetze, die ich angesprochen habe. Wenn man diesen Kontext sieht, dann kann man den Vergleich mit Dänemark eben nicht ziehen. ({3}) Die Frau Bundeskanzlerin ist leider nicht da. Frau Wöhrl, vielleicht können Sie es ihr ausrichten. Die Frau Bundeskanzlerin ist bei diesem Thema mit ihrer Richtlinienkompetenz gefordert. Sie muss ein Machtwort sprechen. Die SPD will das Haus „Agenda 2010“ mit der Abrissbirne angreifen und reißt damit einen wichtigen Stützpfeiler ein. Das dürfen wir nicht zulassen. ({4}) Wir dürfen die erreichten Erfolge nicht riskieren. Ich hoffe, die Bundeskanzlerin wird ein entsprechendes Machtwort sprechen. ({5}) Das Ziel der Verbesserung der Situation Älterer auf dem Arbeitsmarkt ist wohl auch das einzige, das uns als FDP inhaltlich mit dem Antrag der Linken verbindet. Ein paar Worte in Ihre Richtung, Herr Schneider. Schon die Realisierung Ihres ersten Forderungspaketes in Punkt 1 würde überschlägig berechnet zig Milliarden Euro kosten. Wer soll das bitte bezahlen? Der Bund oder gar die Kommunen vor Ort? Öffentlich finanzierte Beschäftigung hat sich doch schon so oft als teures Abstellgleis für Arbeitslose erwiesen. Bleiben Sie doch bitte realistisch. Aber eine Partei, die mit Herrn Lafontaine sogar die Notwendigkeit eines demografischen Faktors in der Rentenversicherung leugnet, hat sich sowieso schon von der Realität verabschiedet. Die Umsetzung der zweiten Forderung Ihres Antrags würde den Beitrag zur Rentenversicherung stark steigen lassen; dabei setze ich natürlich voraus, dass Sie keine Rentenkürzungen wollen. In Punkt 3 fordern Sie die Erhöhung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung. Ein Bundeszuschuss fällt ja aus, da Sie das Geld unter Punkt 1 bereits ausgegeben haben. Durch die Umsetzung der Vorschläge der Linken würden die Lohnzusatzkosten in Deutschland also gesteigert und somit Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet werden. ({6}) Zu Punkt 4 - Erwerbsminderungsrenten - und Punkt 5 - erzwungene Frührenten mit Abschlägen - folgen separate Debatten. Deswegen kann ich aus Zeitgründen hier nicht darauf eingehen. Eines ist aber sicher: Ihr Antrag darf auf keinen Fall Grundlage für die Politik in Deutschland werden. ({7}) Angesichts der Gesamtsituation würde es uns als FDP sehr freuen, wenn Sie sich intensiv mit diesen Vorschlägen Punkt für Punkt befassen würden. Auch wenn wir nicht alles durchsetzen können: Jeder einzelne Schritt wäre ein Erfolg. Ich bitte Sie intensiv um konstruktive Beratung in den Ausschüssen. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Meckelburg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Lust, heute zu diesem Thema zu reden - ich bin ehrlich -, ist nicht ganz so groß, weil wir das Thema mit dieser Spagatstellung in den letzten vier Wochen dreimal, wenn nicht gar viermal diskutiert haben, auch im Ausschuss. Dennoch muss diese Debatte wohl sein, da uns zwei Anträge vorliegen. Es ist auch nichts Neues mehr, dass wir Anträge von FDP und PDS/Linke zusammen diskutieren. Aber heute kann man feststellen, dass sie nichts miteinander zu tun haben, ({0}) sondern dass Welten zwischen ihnen liegen. Wahrscheinlich liegt auch die Realität irgendwo dazwischen. ({1}) Wir wollen einmal schauen, wie wir den Spagat heute hinbekommen; denn wir wissen alle, dass am kommenden Montag dazu einige Entscheidungen in der Koalition fallen werden. Ich persönlich habe die Geduld, dies auszuhalten; aber ich bin auch gerne bereit, heute zu diesem Thema zu reden. Lassen Sie mich die Welten, die dazwischen liegen, deutlich machen. Im Antrag der Linken ist von einer Verlängerung der 58er-Regelung die Rede, die FDP will keine Verlängerung. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem Mindestlohn von 1 400 Euro lautet eine klassische Forderung der PDS; sie will so viel Geld wie möglich von dem, was die Steuerzahler erwirtschaften, sozusagen raushauen. Die FDP will dagegen einen völligen Verzicht auf Mindestlohnregelungen. Die PDS will den Kündigungsschutz möglichst ausweiten und in diesem Bereich wieder alles festzurren. Bei der FDP habe ich den Eindruck, sie wolle möglichst alles weghaben. ({2}) - Okay, dann können wir das ja diskutieren. Was die Rente mit 67 angeht, so macht sich bei der PDS niemand die Finger schmutzig. Das wäre ja fürchterlich. ({3}) Lieber sagt sie, mit 65 sei es einfacher zu machen, auch wenn alle wissen, dass es nicht geht. Die FDP hingegen will eine Neuregelung der Zuverdienstmöglichkeiten und die Grenzen hier völlig fließend machen. Auch das ist kein ganz einfacher Vorschlag. Die Bandbreite dessen, was heute diskutiert wird, ist also riesig. Lassen Sie mich zum PDS-Antrag, Herr Kollege Schneider, auch wenn Sie nach mir reden, ein paar Dinge sagen: Beide Fraktionen, sowohl FDP als auch PDS, haben wieder einmal den politischen Antragsquirl laufen lassen: ({4}) alle schon gestellten Anträge in einen Pott und einmal durchquirlen. Auf diese Weise kommen Versatzstücke von dem einen oder anderen Antrag wortwörtlich wieder in einen neuen Antrag hinein. So erreicht man natürlich auch jede Woche eine neue Debatte; in der Sache aber kommt man nicht weiter. ({5}) - Mit dem Beschließen ist es ein bisschen schwierig. Ich will das an dieser Stelle gleich sagen, Herr Rohde. Sie wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus sind. ({6}) Zählen Sie einmal durch. Ihre Anträge bekämen wir selbst dann, wenn wir sie unterstützten, leider nicht durch; das wissen Sie. ({7}) Die Tendenz ist wie immer: Die Liste im PDS-Antrag stellt die übliche Überforderung mit allem Möglichen dar. Ich habe die Beispiele eben schon genannt. Die Kosten sind auch benannt worden. Manchmal sträuben Sie sich ja ein bisschen, etwas dazu zu sagen, was das alles kostet. Diesmal haben Sie für alles eine Lösung. Aber ich bleibe dabei: Sie richten Ihre Politik für Gesamtdeutschland an dem alten Modell der DDR aus, die genau daran kaputtgegangen ist, dass sie all diese Dinge machen wollte. ({8}) Am Ende hatten die Menschen keine Arbeit mehr, und in der DDR gab es verdeckte Arbeitslosigkeit. Ich darf Sie auch daran erinnern, wie hoch das Rentenniveau war. Das alles sind doch Konsequenzen einer falschen Politik gewesen. Wir jedenfalls wollen nicht dahin zurück, Herr Schneider, auch wenn Sie aus dem Westen diese alte Politik freundlich unterstützen. ({9}) Wir wollen nicht dahin zurück, sondern wir wollen nach vorne. Wir wollen mehr Arbeitsplätze, stabile Sozialsysteme und eine Konsolidierung des Haushaltes, weil das der richtige Weg in die Zukunft Deutschlands ist. ({10}) - Das wissen Sie am besten. Das Schöne ist, dass Sie immer wissen, wo es langgeht. Aber selbstkritisch sind Sie im Grunde genommen nie. Da Sie jetzt schon Anträge stellen, die Sie zuvor viermal gequirlt haben, sage ich Ihnen Folgendes: Sie beziehen sich in der Einleitung auf einen IAB-Bericht. Sagen Sie den Leuten, die in Ihrer Fraktion quirlen, dass Sie einmal ein bisschen genauer werden sollten. Es ist nicht ganz erkennbar, was wirklich IAB-Bericht ist. Darin sind zwei Punkte richtig zitiert und mit Anführungszeichen versehen. Die „Babyboomer“Generation kommt in die Späterwerbsphase. Das ist richtig. In Ihrem Antrag heißt es weiter: Dieser birgt insbesondere für Ältere das Risiko der Verdrängung in die Erwerbslosigkeit, Prekarität und Altersarmut. Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das in dem Bericht stand, habe ich ihn durchgelesen und festgestellt, dass das Ihre Formulierung ist. Bringen Sie das nicht durcheinander! Die von Ihnen zitierten Zahlen sind von 2005. ({11}) - Es sind keine Anführungszeichen drin. Lassen Sie das doch. Ich habe den Bericht gelesen. Wenn ich zu dem Thema rede, dann muss ich mir die Mühe machen, ihn zu lesen. Sie fordern in einem Kernsatz eine offensive Beschäftigungspolitik zur Steigerung der Arbeitsnachfrage. Das hört sich gut an. Ich habe darüber nachgedacht, was das sein kann. Das ist wieder ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt. ({12}) - Das kann Herr Schneider gleich erklären. Es hört sich zwar gut an, aber ich verstehe es nicht. Es ist keine Politik. Was die im zweiten Teil enthaltene Forderung einer verbindlichen betrieblichen Gesundheitsvorsorge angeht, mit der gesundheitlicher Verschleiß vermieden werden soll, gibt es bereits das Programm der Bundesregierung „Initiative Neue Qualität der Arbeit“, in dem entsprechende Maßnahmen vorgesehen sind. Insofern kommt Ihr Antrag zu spät. Vielleicht kümmern Sie sich zwischen dem Antragquirlen auch einmal um die Politik, die in diesem Lande stattfindet. Das muss zu Ihrem Antrag genügen, weil mir sonst die Zeit wegläuft. ({13}) - Sie haben sicherlich den Quirl schon wieder für nächste Woche in Gang gesetzt. Ich komme zum FDP-Antrag. In vielen von Ihnen vorgeschlagenen Punkten sind wir uns einig, sodass wir zueinanderfinden könnten. Aber - zählen Sie ruhig durch - wir bekommen keine Mehrheit zustande. Ich gebe Ihnen den Rat, den Antrag für den Fall aller Fälle in die Schublade zu legen. Vielleicht holen wir ihn 2009 noch einmal heraus und überlegen, was wir möglicherweise gemeinsam erreichen können. ({14}) - Was heißt „Aha“? Die Schnittmenge zwischen den Vorschlägen der FDP und unseren ist größer, als es bei Ihren Vorschlägen der Fall ist. Mit Ihnen haben wir überhaupt keine Schnittmenge. Sie sind auf dem völlig falschen Weg. ({15}) Lassen Sie mich noch auf die Situation Älterer eingehen, die in Arbeit kommen sollen. Es gibt die neue Broschüre der Bundesagentur für Arbeit „Situation von Älteren am Arbeitsmarkt“ von Oktober 2007 mit den neuesten Zahlen, die ich auch Ihnen zur Lektüre empfehle. Ich lasse sie Ihnen gerne zukommen, wenn Sie sie noch nicht gelesen haben. Ich beschränke mich auf eine Kurzfassung des Inhalts, damit Sie merken, was sich auf dem Arbeitsmarkt tut. 55- bis 65-Jährige profitieren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit überdurchschnittlich vom aktuellen Wirtschaftsaufschwung. ({16}) Die wichtigsten Fakten sind - ich beziehe mich auf die Broschüre -: Das Arbeitskräfteangebot Älterer nimmt zu. Auf diesen Punkt pochen Sie immer wieder. Das ist auch so; das können wir nicht bestreiten. Die Erwerbstätigkeit und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung Älterer entwickeln sich positiv. Zwei Drittel des Beschäftigungsaufschwungs in Deutschland gehen auf Ältere zurück. Bei der Arbeitslosigkeit Älterer gibt es eine günstigere Entwicklung. Es gibt weniger Arbeitslosmeldungen Älterer über 55 Jahren. Die ArbeitslosigWolfgang Meckelburg keit geht nach dem sogenannten Ältereneffekt zu Beginn 2006 jetzt enorm zurück. Die Entwicklung zwischen 2005 und 2007 zeigt also, dass sich etwas bewegt hat. Es gibt zudem deutlich mehr Abgänge Älterer aus der Arbeitslosigkeit als vor einem Jahr, aber - auch das ist ein wichtiger Punkt - Ältere sind länger arbeitslos. Insofern werden wir über einige Punkte sprechen müssen; Sie wissen das. Dazu gehört die Frage, wie man beim Mindestlohn gewisse Standards erreicht. Wir sind bereits auf dem Weg. Die Frage muss klug behandelt werden. Zu der Frage der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I habe ich mich schon mehrfach geäußert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Barth von der FDP-Fraktion?

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte schön.

Uwe Barth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003735, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Meckelburg, ich freue mich über so viel Zustimmung zu dem Antrag unserer Fraktion. Aber wenn Sie alles oder zumindest das meiste, was wir in unserem Antrag fordern, richtig finden, wäre es dann nicht eigentlich folgerichtig, dass Sie in der jetzigen Koalition die Führung - die Sie durch die Regierungschefin ausweislich haben - übernehmen und versuchen, das in dieser Koalition durchzusetzen? Ist es nicht eine Kapitulationserklärung, wenn Sie sagen: Wir schaffen das jetzt nicht; darum lassen wir das mal zwei Jahre liegen und machen es dann zusammen? ({0})

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sind ein bisschen blauäugig. Wenn Sie die Reihen durchzählen, werden Sie feststellen: Zurzeit gibt es für das, was Sie vorschlagen, keine Mehrheit hier im Haus. Ich habe zwar gesagt, dass unsere Positionen gewisse Schnittmengen aufweisen. Aber ich habe darauf verzichtet, ins Detail zu gehen; denn wir müssen nicht, wie ich finde, künstlich Streit mit der FDP erzeugen. Wenn Sie aber genauer hinschauen, Herr Kollege, werden Sie feststellen, dass wir eine sehr starke Kanzlerin haben. ({0}) - Sie ist heute bei der IG Metall. Solche Termine müssen auch einmal sein. Sie geht jedenfalls sogar dorthin. ({1}) Wir haben innerhalb der letzten zwei Jahre für Bewegung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt. Wir werden den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent senken. Wir sind an den Stellen, an denen wir federführend sind, auf dem richtigen Weg. ({2}) Sie sollten das zur Kenntnis nehmen und die Vorschläge dieser Koalition nicht einfach in die Schublade stecken, sondern als Ausgangspunkt für etwas Neues nehmen. Dann können wir uns sicherlich einigen. - Herzlichen Dank für Ihre Zwischenfrage. ({3}) Ich komme zum Schluss. Sie haben gestern von der Kanzlerin gehört, dass wir nicht vom Kurs der Reformpolitik abkehren werden, sondern ihn fortsetzen werden. Genau darum geht zurzeit der Streit. Schauen wir einmal, wie er ausgeht. Auf jeden Fall sind wir in den letzten zwei Jahren mit dieser Regierung wesentlich weiter vorangekommen als zuvor in den sieben Jahren unter RotGrün. Vielleicht stimmen wir zumindest darin überein. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Der nächste Redner ist der Kollege Volker Schneider für die Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Meckelburg, es wird Sie überraschen, dass ich meine Rede damit beginne, anzuerkennen, dass Menschen über 50 wieder mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Darüber freuen nicht nur Sie sich, sondern auch meine Fraktion. Wir freuen uns über jeden, der länger in Arbeit bleibt. Wir freuen uns über jeden, der über 50 ist und wieder einen Arbeitsplatz findet. ({0}) Aber, Herr Meckelburg, das ist nur ein Teil der Wirklichkeit. Den anderen haben Sie - vielleicht aus Zeitgründen - ziemlich schnell übergangen. Man könnte auch sagen, dass derzeit mit „verzerrenden Zahlen und Statistiken von interessierter politischer Seite versucht“ wird, den falschen Eindruck zu erwecken, dass sich der Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer entspannt habe. Es sollte Sie nicht verwundern, wenn Ihnen dieser Satz bekannt vorkommt. Er steht nämlich in einem Schreiben Ihres Kollegen Laumann an die Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Fraktion. Ich muss sagen: Wo Herr Laumann recht hat, hat er recht. ({1}) Nun zur anderen Seite der Medaille. Fest steht - darauf haben Sie hingewiesen, Herr Meckelburg -: Die Menschen sind nicht nur länger in Arbeit, sondern auch länger ohne Arbeit. Fest steht: Ab 50 sinkt die Erwerbsbeteiligung kontinuierlich, und der Anteil der Arbeitslosen steigt an. Fest steht: Die steigende Erwerbsbeteiligung ist zu einem guten Teil auf mehr Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung zurückzuführen. Fest steht: Nur 24,6 Prozent derjenigen, die in Rente gehen, kom12780 Volker Schneider ({2}) men aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Dieser Anteil sinkt seit über fünf Jahren. Ich weiß nicht, ob das etwas mit der Agenda 2010 zu tun hat. Fest steht: Gerade einmal jeder zehnte 64-Jährige geht einem Beruf nach. Fest steht weiter: Sieben von zehn Menschen verabschieden sich schon vor dem gesetzlichen Zugangsalter von derzeit 65 Jahren in die Rente. Angesichts dieser Realität frage ich Sie, ob es nicht höchste Zeit ist, sich von der Schnapsidee Rente mit 67 zu verabschieden. ({3}) Fest steht weiter, dass leider die zukünftige Entwicklung in diesem Bereich mittelfristig eher Risiken als Chancen aufweist. Man kann zur 58er-Regelung stehen, wie man will, aber Fakt ist, dass das Auslaufen dieser Regelung zum Ende dieses Jahres die Arbeitslosigkeit in der genannten Personengruppe stark ansteigen lassen wird. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nahmen 585 000 Personen im Oktober 2007 diese Regelung in Anspruch, 585 000 Arbeitslose, die bislang als Arbeitslose in der Statistik nicht auftauchen, aber zukünftig dort auftauchen werden. Fest steht schließlich, dass mit dem Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 60er, der Heraufsetzung des Rentenalters, der Beschränkung von Möglichkeiten des vorgezogenen Rentenzugangs sowie dem Absinken des Rentenniveaus in den nächsten Jahren - so formuliert es das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung - ein enormer Arbeitsangebotsdruck auf dem Arbeitsmarkt entstehen wird. Das heißt, Ältere fliegen wieder früher raus, finden schlechter Arbeit oder werden der Not gehorchend jeden Arbeitsplatz annehmen müssen, egal wie schlecht bezahlt, egal ob nur in Teilzeit. ({4}) Wir fordern eine Politik, die diese Tatsachen berücksichtigt. Auch für uns ist erstes und wichtigstes Ziel, die Beschäftigungslage für Ältere auf dem normalen Arbeitsmarkt wirksam zu verbessern. Dafür muss das gesamte Instrumentarium wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen genutzt werden. Dazu gehört aber auch, dass wir vor dem Hintergrund, dass bestimmte Personengruppen auf dem klassischen Arbeitsmarkt weiter chancenlos bleiben werden, für eine öffentlich finanzierte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eintreten. ({5}) Zweitens müssen wir allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Chance bieten, auch tatsächlich bis zum Renteneintrittsalter zu arbeiten, egal wie physisch und/oder psychisch belastend ihr Arbeitsplatz auch immer sein mag. Dafür gibt es Konzepte der Förderung in den Betrieben, die wir verbindlich vorschreiben wollen. Schließlich brauchen wir, weil wir trotz aller Prävention nicht verhindern können, dass Menschen aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen, Möglichkeiten des gleitenden Übergangs in die Rente, etwa die Altersteilzeit oder einen erleichterten Zugang zu Erwerbsminderungsrenten. ({6}) Ich weiß, Sie werden unseren Antrag reflexartig ablehnen, ({7}) aber ich hoffe, dass Sie wenigstens feststellen, dass es mehr im Instrumentenkasten politischer Maßnahmen gibt als die wenigen Dinge, die Sie im Moment darin haben, und dass wir darüber eine konstruktive Diskussion führen sollten. Danke schön. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Grotthaus für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen machen. Herr Meckelburg, ich finde das gut, was Sie zu der Zeit über 2009 hinaus gesagt haben und dass Sie in vielen Dingen dem Antrag der FDP eigentlich zustimmen könnten. Die Bundeskanzlerin ist heute auf dem IG-Metall-Kongress. Wenn sie dort ähnliche Worte wie Sie hier finden würde ({0}) - das bedeutet nämlich eine Einschränkung von Arbeitnehmerrechten -, dann wäre ich gespannt, wie die dort anwesenden Kolleginnen und Kollegen auf solche Ausführungen reagieren würden. ({1}) Die Zeit scheint einiges zu verklären, Herr Rohde. Die rot-grüne Regierung war es, die die Frühverrentung abgeschafft hat. ({2}) Sie wurde mit Ihrer Zustimmung vor 1998 eingeführt. Ich will zugestehen, dass die Sozialdemokraten dem damals zugestimmt haben, auch die Gewerkschaften. Sich aber heute hier hinzustellen und zu sagen, man habe damit nichts zu tun, ist schon etwas komisch. ({3}) Daran werden Sie die Bürgerinnen und Bürger messen. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rohde?

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich will den Gedanken noch zu Ende bringen. Sie haben gegen die Agenda 2010 gestimmt und gebärden sich heute hier, als wenn Sie das letzte Bollwerk für den Erhalt der Agenda 2010 wären. So nicht, Herr Rohde. Da entlassen wir Sie nicht aus der Pflicht. Wir werden immer wieder deutlich machen, wo Sie Ihre Altlasten haben, wir werden aber auch zugestehen, dass wir unsere Altlasten haben. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie nun die Zwischenfrage?

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Rohde, bitte.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Grotthaus, vielen Dank für den Hinweis. Ich bin nicht persönlich dabei gewesen - ich bin erst seit 2005 im Deutschen Bundestag -, aber ich nehme gern die Verantwortung wahr. Erinnern wir uns aber bitte gemeinsam an die damalige gute Absicht mit der Frühverrentung. Das Ziel war, jüngere Arbeitnehmer einzustellen, indem wir ältere in den Vorruhestand entlassen. Das war damals der Gedanke, dem wir alle nachgegangen sind. Aber das hat nicht funktioniert. Wenn etwas nicht funktioniert, dann muss man das einsehen und die richtigen Konsequenzen ziehen. ({0}) Würden Sie meiner Einschätzung zustimmen?

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, Sie, Herr Kollege Rohde, haben mir nicht zugehört. Ich habe gesagt, dass es die rot-grüne Regierung war, die von 1998 bis 2005 gravierende Einschnitte, die uns teilweise Mehrheiten gekostet haben, am Arbeitsmarkt gemacht und unter anderem die Frühverrentung abgeschafft hat. Sie haben damals dagegen gestimmt. Jetzt tun Sie hier so - und betonen es -, als ob Sie damals die Heilsbringer gewesen wären. ({0}) Man muss bei der Wahrheit bleiben. Das wollte ich Ihnen nur als Vorbemerkung sagen, bevor ich zu Ihrem Antrag komme. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Rohde?

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Des Kollegen Rohde immer.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bemühe mich, es bei dieser Zwischenfrage zu belassen. Sie haben zwei Bereiche angesprochen. Meine erste Zwischenfrage zielte nur auf einen ab. Wir haben gegen die Agenda 2010 gestimmt, weil aus unserer Sicht schon ihre Ursprungsfassung verwässert wurde und weil andere Instrumente, gerade bei der Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit, von uns gewünscht wurden und heute noch werden, zum Beispiel, was die Vermittlung in den Kommunen angeht. Da das, was im Vermittlungsausschuss ausgehandelt wurde - Stichwort „Optionskommunen“ -, nur teilweise unseren Vorstellungen entsprach, haben wir damals nicht zugestimmt. Auch das begründet unsere damalige Haltung. Es wird immer über sehr breit angelegte Pakete abgestimmt. In zahlreichen Punkten stimmen wir überein, und in anderen gehen unsere Meinungen auseinander. Wir hatten genügend Argumente, um dagegen zu stimmen. Würden Sie dem zustimmen?

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Kollege Rohde. ({0}) Ihre Logik ist auch da verkehrt. Sie sagen, die Ursprungsfassung sei verwässert worden. Wenn dem so sein sollte, dann ist sie im Bundesrat verwässert worden. Welche Landesregierungen haben die Agenda 2010 im Bundesrat ihrer Auffassung entsprechend verwässert? Diese Eingriffe haben mehr Einschränkungen für die Menschen in diesem Land und weniger soziale Bestandteile bewirkt. Es wurde also draufgesattelt, und zwar von Landesregierungen, die zum größten Teil von CDU und FDP gestellt werden. In Wirklichkeit ist also nicht verwässert, sondern draufgesattelt worden. Jetzt, im Nachhinein, möchte ich Ihnen, Kollege Rohde, sagen: Sie hätten damals mit Rot-Grün stimmen sollen. Sie hätten die Landesregierungen, an denen Ihre Partei beteiligt war, auffordern sollen, dem Regierungsgesetzentwurf zuzustimmen. Wenn das geschehen wäre, dann müssten Sie sich heute diese Antwort nicht gefallen lassen. ({1}) 4,65 Millionen Arbeitslose gab es 2005. 622 000 von ihnen waren unter 25 Jahre, und 576 000 von ihnen waren über 55 Jahre. Im September dieses Jahres, also zwei Jahre später, betrug die Arbeitslosenzahl - ich nenne diese Zahl bewusst - 3,54 Millionen. Mittlerweile ist diese Zahl auf unter 3,5 Millionen gesunken. 424 000 Arbeitslose sind unter 25 Jahre, 434 000 Arbeitslose sind über 55 Jahre. Das ist eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit - ich sage das hier bewusst noch einmal; das kann man im Interesse der Menschen, die in Arbeit gekommen sind, nicht oft genug sagen - um 1,107 Millionen Menschen, sprich: 23,8 Prozent. Der Antrag der FDP zielt darauf ab, mehr ältere Menschen in Arbeit zu bringen, und das ist auch gut so. Wir haben 23,5 Prozent der über 55-Jährigen in Arbeit gebracht. Das sind in absoluten Zahlen 133 000 über 55-Jährige. Außerdem sind mittlerweile knapp über 200 000 der über 50-Jährigen in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit lag 1998 - hören Sie gut zu; vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass vor 1998 nicht wir, sondern Sie an der Regierung waren - nur bei knapp 38 Prozent. Heute liegt dieser Anteil bei knapp 52 Prozent, Tendenz steigend. Das ist fürwahr eine stolze Zahl. Nun werden Sie natürlich sagen: Das ist das Verdienst der Wirtschaft. Dazu sage ich Ihnen: Da haben Sie teilweise recht. ({2}) Das ist aber auch ein Verdienst politischer Entscheidungen. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Lohnzurückhaltung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Neuaufstellungen in den Betrieben und Aufschwung in der Weltwirtschaft sind gleichrangige Faktoren, die den Arbeitsmarkt beeinflusst haben. Ich sage aber sehr deutlich: Wir lassen es nicht zu, dass Gewerkschaften und Politik für Arbeitsplatzverluste und ausschließlich die Unternehmer für den Zuwachs an Arbeitsplätzen verantwortlich gemacht werden. Es ist nicht so, dass die einen für das Negative und die anderen für das Positive zuständig sind. ({3}) Hierüber sollten auch die Wirtschaftsweisen nachdenken, die behaupten, dass die Reformen am Arbeitsmarkt mit dem Aufschwung nichts - wenn überhaupt, dann nur marginal - zu tun haben, gleichzeitig aber fordern, die Reformen nicht zurückzunehmen. Da frage ich mich: Was denn jetzt? Wenn diese Reformen mit dem Aufschwung nichts zu tun haben, dann können wir sie auch zurücknehmen. ({4}) Wir nehmen sie aber nicht zurück, weil uns sonst die verkehrte Seite applaudiert. Die von mir gerade genannten Arbeitsmarktzahlen sind gut, aber nicht ausreichend. Wir müssen noch mehr Menschen in Arbeit bringen. Wir müssen die Beschäftigungschancen der Älteren weiter verbessern. Ja, Herr Rohde und Kollegen von den Linken, darüber besteht im Hause Einigkeit. ({5}) Wie sieht der Weg aus, den wir im Gegensatz zu Ihnen gehen wollen? Die FDP hat zur heutigen Beratung einen Antrag eingebracht. Schaut man sich diesen Antrag an, stellt man fest, dass die FDP glaubt, durch die Aufgabe von Arbeitnehmerrechten erhöhe sich die Quote der Älteren im Berufsleben. Sie wollen den Verzicht auf das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, auch auf Mindestlohnvorschriften soll verzichtet werden. Herr Rohde, was möchten Sie, was möchte Ihre Fraktion denn überhaupt? ({6}) - Wettbewerb. Das heißt aber auch, dass wir nur bei Sittenwidrigkeit von Löhnen eingreifen können. Wissen Sie, was Sittenwidrigkeit in diesem Land heißt? Wir haben Tarifverträge mit Stundenlöhnen von 3,50 Euro. Wir können natürlich lange darüber diskutieren, warum Tarifvertragsparteien so etwas beschließen; dazu bin ich gern bereit. Sittenwidrig ist ein Lohn, wenn er 30 Prozent unter dem Tariflohn liegt. ({7}) Sie sind bereit, zu entscheiden, dass ein Mensch in diesem Lande mit 2,45 Euro für eine Stunde Arbeit nach Hause geht. ({8}) Sie sagen, dass Sie über Mindestlöhne überhaupt nicht diskutieren wollen. Dazu sage ich: Nein, nicht mit uns! ({9}) Im Kündigungsschutzgesetz soll es ein Optionsmodell geben, eine Abfindungsregelung statt Kündigungsschutz. Sie waren ja einmal Betriebsrat. ({10}) Eigentlich müssten Sie wissen, wie Arbeitgeber mit Menschen umgehen, die sie aus dem Betrieb ausgliedern wollen. Die Aufgabe des Kündigungsschutzgesetzes ist eine allgemein bekannte Forderung von Ihnen. Dies sind nur einige wenige Punkte aus Ihrem Antrag, bei denen bereits erkennbar wird, nach welchem Motto gehandelt werden soll: Ihr Arbeitnehmer verzichtet auf eure Rechte und eine gerechte Entlohnung, und die Arbeitgeber schauen dann, zu welchen Konditionen sie euch einstellen. Für mich ist dies schon fast menschenverachtend. In Ihrem Antrag findet sich kein Wort darüber, dass humane Arbeitsplätze auch eine längere Verweildauer von Menschen im Beruf bewirken können und dass Aus- und Weiterbildung notwendig sind, um ältere Kolleginnen und Kollegen für den Job fit zu halten. ({11}) Es findet sich auch kein Wort über faire Löhne. Stattdessen zielt die FDP darauf ab, noch mehr Abhängigkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen. Das ist nicht überraschend, so kennen wir Sie. Aber wir werden es Ihnen auch diesmal nicht durchgehen lassen. Um ältere Menschen fit für den Job zu halten, brauchen wir eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung und eine Gesundheitsförderung in den Betrieben. ({12}) Wir brauchen intelligente Schichtpläne und Personalstrukturen, die sich an der demografischen Entwicklung orientieren. Wir müssen qualifizieren und weiterbilden, und wir brauchen flexible Übergänge in den Ruhestand. Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um einerseits die Produktivität und Erfahrung Älterer noch weiter nutzen zu können und andererseits ihnen gleitende Übergänge aus dem Berufsleben in den Ruhestand zu ermöglichen. Wir dürfen die Arbeitnehmer aber nicht in die freie Wildbahn entlassen, in der sie dann keine Rechte mehr haben. ({13}) Von den Maßnahmen, die noch vor uns liegen, werden nicht nur die Arbeitnehmer profitieren, sondern auch die Unternehmen, so wie sie es bei den bisherigen Maßnahmen auch schon getan haben. Da mir die Zeit wegläuft, will ich die Maßnahmen nicht im Einzelnen aufzählen. Aber Sie kennen die Initiative „50 plus“, Sie kennen die zusätzliche Maßnahme, mit der wir ältere Menschen mit Vermittlungshindernissen in einen Job bringen, und Sie kennen auch die kommunale Job-Perspektive, mit der wir uns ausschließlich für die Menschen über 50 Jahren einsetzen. Ich habe Ihnen gerade Zahlen genannt. Diese Zahlen beweisen, dass diese Maßnahmen greifen und wir für die älteren Kolleginnen und Kollegen tatsächlich etwas getan haben. Zudem hat die SPD mit ihrem auf dem Parteitag beschlossenen Antrag „Gute Arbeit“ ein Konzept vorgelegt, das das Potenzial Älterer noch besser zu nutzen hilft. Bei allem, was diese Regierung - insbesondere auch unsere Fraktion - gemacht hat, geht es darum, die Beschäftigungsquote Älterer noch weiter zu erhöhen, das zu frühe Ausscheiden aus dem Berufsleben zu reduzieren, die Integration älterer Menschen, die arbeitslos sind, in den Arbeitsmarkt zu verbessern sowie die Beteiligung Älterer an der beruflichen Weiterbildung im Sinne präventiver Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen. „Fördern und Fordern.“ Diese Aussage galt und gilt immer noch bei der Umsetzung von Maßnahmen am Arbeitsmarkt. Nicht darin enthalten - das sage ich in Richtung der FDP - ist die Reduzierung von Arbeitnehmerrechten, und deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass wir Ihren Antrag ablehnen. Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu dem Antrag der Linken. Das sind alte Forderungen, die wir schon im Rahmen der Beratung vorheriger Anträge abgelehnt haben, garniert mit Forderungen, die wir in unserem Antrag „Gute Arbeit“ vor zehn Tagen auf unserem Parteitag verabschiedet haben. Aufgrund dieser Tatsache werden wir Ihrem neuen Antrag, den Sie hier zusammengewürfelt haben, nicht zustimmen können. Mir scheint, als glaubten Sie, Sie hätten das Urheberrecht auf bestimmte Forderungen. Dadurch lassen wir uns aber nicht beeinflussen. Die Bundesregierung und die SPD werden diesen Weg gemeinsam gehen. Dieser Weg heißt: keine Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, nicht nur für die Älteren, sondern auch für die Jüngeren. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Den werden wir weiterverfolgen. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In beiden Anträgen wird vorgegeben, die Beschäftigungschancen Älterer verbessern zu wollen. Gegen dieses Ziel kann man nichts haben - das wollen wir alle -, aber da hört die Einigkeit auch schon auf. Wenn man sich anschaut, mit welchen Mitteln und Instrumenten das jeweils erreicht werden soll, stellt man fest, dass die Spreizung da doch sehr groß ist. Die FDP setzt in uns allen bekannter Manier darauf, die Arbeitnehmerrechte zu reduzieren. Ihr Augenmerk richtet sich immer und immer wieder neu darauf, vor allen Dingen den Kündigungsschutz zurückzunehmen. ({0}) Da sind Sie einfach unbelehrbar. Wir wissen aus vielen Studien, dass der Kündigungsschutz einen viel geringeren Einfluss auf die Bereitschaft von Unternehmen hat, Einstellungen vorzunehmen, als Sie hier ideologisch begründet immer wieder behaupten. Aber auch die Vorstellungen der Linken werden nicht dazu führen, dass diejenigen, die geringere Chancen am Arbeitsmarkt haben, schneller wieder in Arbeit kommen. Ihre Vorschläge sind zu sehr darauf ausgerichtet, den Arbeitsmarkt erneut zuzubetonieren. Derzeit ist es so - das ist ein Fakt -: Ältere haben überdurchschnittlich vom konjunkturellen Aufschwung profitiert. Das sollten auch wir als Opposition einfach einmal erfreut zur Kenntnis nehmen. ({1}) Aber Fakt ist auch, dass die Arbeitslosigkeit bei Älteren in Deutschland immer noch deutlich höher ist als in jedem anderen europäischen Land. Das ist ein Hinweis darauf, dass der Jugendwahn noch nicht beseitigt worden ist, dass es also überhaupt keinen Grund gibt, die Hände in den Schoß zu legen. ({2}) Herr Grotthaus, es ist leider so, dass die Programme aus dem Hause Müntefering, die unter der Überschrift „50 plus“ firmieren, so gut wie überhaupt keine Wirkung gezeigt haben. ({3}) Ich will Ihnen das einmal an dem Programm „WeGebAU“ erläutern. 200 Millionen Euro sind für das Programm in den Haushalt eingestellt worden. Jetzt, im November, sind noch nicht einmal 10 Prozent dieser Mittel in Anspruch genommen worden. Dieses Programm ist ein Ladenhüter. Dass wir besondere Probleme haben, Ältere in den Arbeitsmarkt zu bekommen, hat ganz häufig damit zu tun, dass diese zugleich schlecht qualifiziert sind. Deswegen müssen wir die Konzentration darauf richten, umfängliche Qualifizierungsprogramme zu etablieren. Man muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass nur 5 Prozent aller Betriebe, die überhaupt Ältere einstellen, diese an Fortbildungsmaßnahmen beteiligen. ({4}) Diese Betriebe sind immer noch von demografischer Blindheit geschlagen, und da wäre Erleuchtung dringend notwendig. ({5}) Mit anderen Worten: Die Älteren profitieren. Aber sie profitieren vom Aufschwung und nicht von den arbeitsmarktpolitischen Programmen dieser Regierung. ({6}) Wenn sich der Aufschwung, so wie sich das jetzt schon andeutet, wieder abschwächt, dann wird die Arbeitslosigkeit bei Älteren zunehmen, und wir werden speziell bei dieser Gruppe eine verfestigte Arbeitslosigkeit haben. Da muss man einfach einmal sagen - ich wende mich an beide Koalitionsfraktionen -: Das Signal der Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I für Ältere ist genau das Falsche. ({7}) Damit verbessern Sie die Jobchancen für diese Gruppe nun wahrlich nicht, ganz im Gegenteil! Dieser Plan wird noch damit kombiniert, dass wir jetzt wieder über erleichterte Frühverrentungsregelungen reden. Das ist haargenau die Politik der 90er-Jahre, die dazu geführt hat, dass wir in Deutschland als Alleinstellungsmerkmal eine Beschäftigungsquote von älteren Arbeitnehmern von nur 37 Prozent hatten. Wir sind jetzt bei 52 Prozent. Den eingeschlagenen Weg zu verlassen, ist nicht nur falsch, sondern in jeder Hinsicht absurd. ({8}) Darum geht es Ihnen auch nicht. In dem Zusammenhang wende ich mich einmal an meine Freunde von den Sozialdemokraten. ({9}) Sie - das ist das, was mich so wahnsinnig ärgert - richten den Blick im Grunde auf die untere Mittelschicht, in der viele die Möglichkeit hatten, sich im Arbeitsmarkt lange Erwerbsbiografien zu verschaffen. Sie begreifen sich als Schutzmacht dieser Gruppe. Aber die sogenannte Unterschicht, in der viele nicht in der Lage waren, längere Zeit durchgängig erwerbstätig zu sein, wird deutlich schlechter behandelt. Wissen Sie, was Sie damit tun?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Sie müssen auf Ihre Redezeit achten, bitte.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. - Damit unterstützen Sie eine vorhandene Sehnsucht, die es in der Bevölkerung gibt, nämlich die eigene Identität vor allen Dingen durch eins herzustellen: durch Unterscheidbarkeit und Abgrenzung. Dieser Wunsch nach Unterscheidbarkeit ist mitverantwortlich dafür, dass wir in der Gesellschaft eine so tiefe Spaltung haben. Ich hätte gern noch etwas zu der 58er-Regelung gesagt. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das geht leider nicht mehr, Frau Kollegin.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das geht jetzt leider nicht. Wir werden über die Frage sicher weiter diskutieren. ({0}) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6644 und 16/6929 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Erster Fortschrittsbericht zur Hightechstrategie für Deutschland - Drucksache 16/6900 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für. Kultur und Medien Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) - zu dem Antrag der Abgeordneten JohannHenrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD IKT 2020: gezielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder im Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologien ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({3}), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innovationsfähigkeit stärken durch Bildungs- und Forschungsoffensive - Drucksachen 16/5900, 16/5899, 16/6923 Berichterstattung: Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher Cornelia Pieper Priska Hinz ({4}) ({5}) Bevor wir zur Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt kommen, darf ich die Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite von mir bitten, die Diskussionen hier im Saal einzustellen, damit wir den weiteren Beratungen folgen können. - Ich bedanke mich. ({6}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin nun für die Bundesregierung der Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan das Wort. ({7})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Sommer des vergangenen Jahres haben wir die Hightechstrategie für Deutschland verabschiedet. Nach einem Jahr ist in dieser Woche bei einem Innovationskongress in Berlin Bilanz über die Startphase gezogen worden. Dabei überwiegen drei Feststellungen: Erstens. Die Innovationsbedingungen in Deutschland haben sich deutlich verbessert. Zweitens. Die Unternehmen investieren mehr in Forschung und Entwicklung. Drittens. Es entstehen neue hochqualifizierte Arbeitsplätze in innovativen Unternehmen in Deutschland. ({0}) Mit diesen drei Feststellungen ist im Grunde beschrieben, was unsere Intention war, wobei völlig klar ist - auch dessen sollten wir uns bewusst sein -: Dass schon nach einem Jahr so deutliche Entwicklungen zu verzeichnen sind, hat natürlich auch mit der guten Konjunktur in Deutschland und den damit verbundenen Möglichkeiten der Unternehmen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und deutlich mehr zu investieren, zu tun. Das Wachstum der F-und-E-Investitionen hat sich - um es auch in Zahlen auszudrücken - von 2006 auf 2007 deutlich beschleunigt, und zwar, so die Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, um 7,5 Prozent. 37 Prozent der Unternehmen sagen, dass für sie Forschung und Entwicklung heute deutlich wichtiger sind als noch vor einem Jahr. Sie spüren den globalen Wettbewerb. Mehr als 40 Prozent der befragten Unternehmen beschäftigen heute mehr Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung. ({1}) Wer sich den Business-Monitor, die Befragung von 812 Managern in Deutschland, vor Augen führt, stellt fest, dass im Unterschied zu der Befragung vor etwa drei Jahren - die letzte Befragung war im Februar 2004 -, bei der nur 40 Prozent gesagt haben, es gebe ein eher gutes Klima für Innovationen, heute 83 Prozent der befragten Manager sagen, die Innovationsbedingungen in Deutschland hätten sich deutlich verbessert. Damit haben wir stimmungsmäßig das erreicht, was wir mit der Hightechstrategie für Deutschland intendieren. ({2}) Damit ist zugleich eine Priorität in der Arbeit der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen Stück um Stück konkreter geworden. Denn es gibt - auch das ist uns klar; das gilt heute und vor allen Dingen auch mit Blick auf die Zukunft - einen engen Zusammenhang zwischen der Dynamik in der Wirtschaft, die nicht nur eine Episode ist, sondern über längere Zeiträume zu halten ist, künftigem Wohlstand und heute notwendigen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Bildung und Ausbildung. Deshalb ist es im Kontext der Haushaltsberatungen übrigens ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit und die Unternehmen in Deutschland, dass wir über die bereits festgelegten Investitionen von 6 Milliarden Euro hinaus weitere Investitionen im Bundeshaushalt vorsehen. ({3}) Das erste Grundprinzip der Hightechstrategie war und ist vor allem der Aufbau strategischer Partnerschaften. Hier gilt der Satz, der immer wieder formuliert wird: Wissenschaft und Wirtschaft sind natürliche Partner in der Innovationspolitik. Allein die Innovationsallianzen, die im ersten Jahr zustande gekommen sind, konnten Investitionen der Unternehmen für F und E in Höhe von 3 Milliarden Euro mobilisieren. Wenn man die Investitionen der öffentlichen Hand zu den Investitionen der Unternehmen im Kontext der Innovationsallianzen ins Verhältnis setzt, stellt man fest, dass wir nicht nur von einem Verhältnis von 1 : 2 auszugehen haben. Vielmehr sind faktisch im ersten Jahr bei allen Innovationsallianzen auf 1 Euro der öffentlichen Hand 5 Euro der Unternehmen gekommen. Dies ist eine sehr gute Bilanz für das erste Jahr. ({4}) Zweitens. Wir haben von vornherein gesagt: Wir wollen nicht nur neue Innovationsallianzen zustande bringen. Wir wollen auch neue Instrumente schaffen, um dort, wo es noch hakt, wo das Innovationspotenzial nicht ausgeschöpft wird - das bezieht sich vor allem auf kleine und mittelständische Unternehmen -, Anreize zu schaffen. Dazu gehört die Einführung der Forschungsprämie und jetzt auch die der Forschungsprämie II, die der öffentlichen und gemeinnützigen Forschung einen echten Anreiz gibt, die Zusammenarbeit mit kleinen und mittelständischen Unternehmen zu verstärken. Drittens, die Förderinitiative KMU-innovativ, die den Unternehmen einen einfacheren und schnelleren Zugang zur Forschungsförderung eröffnet; Sie kennen die entsprechenden Klagen aus Ihren Begegnungen mit mittelständischen Unternehmen. Das Wirtschaftsministerium und wir haben gemeinsam - schwerpunktmäßig aber das Wirtschaftsministerium - einen, wie ich finde, guten neuen Ansatz zur Bündelung der Kräfte und besseren Präsentation der Fördermöglichkeiten, die vorhanden sind, gefunden. Viertens, Spitzenclusterwettbewerb, bei dem die leistungsfähigsten Cluster Deutschlands ausgesucht und deren Weg in die internationale Spitzengruppe begleitet wird. Das, was ich aus der ersten Zeit nach der Ausschreibung gehört habe, zeigt: Der Spitzenclusterwettbewerb wird eine ähnlich mobilisierende Wirkung entfalten wie die Exzellenzinitiative. ({5}) Der Hightechgründerfonds wird ausgebaut und das Programm EXIST des Wirtschaftsministeriums erweitert. Die Haushaltsmittel für die Förderung des innovativen Mittelstandes werden bis 2009 auf 670 Millionen Euro aufgestockt. Das ist die Bilanz - wohlgemerkt - der Startphase. Jetzt ist es wichtig, dass wir nach dem Start dafür Sorge tragen, dass das, was bei der Mobilisierung von Finanzinvestitionen sowie bei F und E und den Innovationsallianzen erreicht worden ist, kontinuierlich fortgesetzt wird. Der Zug ist auf der Schiene. Er gewinnt an Fahrt. Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Fahrt beschleunigt wird; denn vor uns steht das Jahr 2010, in dem wir das 3-Prozent-Ziel erreichen wollen. Wir werden nach Abschluss der Haushaltsberatungen mit dem Finanzvolumen, das im Haushalt für 2008 vorgesehen ist, für F und E einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 2,7 Prozent erreichen. Damit sind wir europaweit in der Spitzengruppe. Auch das ist ein wichtiges Signal im Kontext der Europäischen Union. Denn das, was für Deutschland gilt, gilt in gleichem Maße auch für Europa: mehr Attraktivität am Forschungsstandort Europa. ({6}) Was sind wichtige nächste Schritte? Nach dem ersten Schritt, der die Finanzen betrifft, und dem zweiten Schritt, der die Konzepte betrifft - beide müssen stimmen -, müssen wir uns im dritten und gleichberechtigten Schritt um den Fachkräftebedarf kümmern. Darüber ist in diesem Hohen Hause bereits diskutiert worden. Wir haben in Meseberg, wie ich finde, wichtige Beschlüsse hierzu getroffen. Wir brauchen ein Konzept für die Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte. Die demografische Entwicklung in Deutschland macht das notwendig. ({7}) Das muss immer mit der Qualifizierung all derer verbunden werden, die hier in Deutschland leben. Denn niemand in Deutschland versteht Zuwanderung, wenn nicht klar ist, dass jeder Jugendliche in Deutschland eine Chance hat. ({8}) Diesen Zusammenhang müssen wir sehen. Wer immer nur auf einem Bein steht, wird feststellen, dass das ein bisschen unbequem ist. ({9}) Beides ist notwendig: Qualifizierung aller und attraktiv werden für Talente aus aller Welt. Als Weiteres werden wir uns in der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode über die Frage Gedanken machen müssen - die vier betroffenen Häuser der Bundesregierung sind auf Arbeitsebene darüber im Gespräch -: Wie geht es nach 2010 weiter? Neben der institutionellen Forschungsförderung und neben der Projektförderung werden wir uns aufbauend auf der Forschungsprämie auch über die Frage weiterer Anreize Gedanken machen müssen, damit der Satz „Steuerpolitik ist Innovationspolitik“ eine klare Konkretisierung erfährt. Schließlich: Wir werden im Zusammenhang mit der Qualifizierungsinitiative die notwendigen Voraussetzungen etwa mit Blick auf technische Bildung, mit Blick auf einen höheren Anteil Studierender, mit Blick auf mehr Interesse für Naturwissenschaft und Technikwissenschaft oder mit Blick auf mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem schaffen und die nächsten Monate nutzen, um mit den Ländern und den Sozialpartnern gemeinsam neue Maßnahmen zu entwickeln, die bei einem Qualifizierungsgipfel bei der Bundeskanzlerin im Herbst 2008 verabschiedet werden. Hightechstrategie steht also nicht isoliert da, sondern sie steht im Kontext dessen, was wir an Weiterentwicklung, Modernisierung und Internationalisierung von Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung in Deutschland leisten. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat die Kollegin Cornelia Pieper für die FDPFraktion das Wort. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leitmärkte für die Zukunft definieren - diesem hohen Anspruch fühlt sich die Hightechstrategie verpflichtet. Aber, Frau Ministerin, wir dürfen uns dabei nicht verzetteln. Wir als Liberale haben immer gesagt: Deutschland muss auch den Anspruch haben, die Technologieführerschaft in wichtigen Forschungsfeldern zu übernehmen. Das sind für uns unter anderem die Bereiche Energie, Klimaforschung und Gesundheitsforschung. ({0}) Deutschland darf nicht den Fehler machen, nach dem Prinzip „viel hilft viel“ vorzugehen, lieber Herr Tauss. Wir können in der Tat auf hervorragende Leistungen aus Forschung und Entwicklung verweisen. Wir verfügen über ein reich gefülltes Portfolio an Patenten. ({1}) Ich stelle mir aber immer wieder auch die Frage, ob Sie den richtigen Nährboden schaffen, auf dem Forschungsergebnisse und Patente zu wirklichen Innovationen der Wirtschaft werden. Da habe ich meine Zweifel. ({2}) Sie alle kennen ein prominentes Beispiel: Der Wert der Entdeckung des diesjährigen Nobelpreisträgers für Physik, Peter Grünberg, wurde von der deutschen Wirtschaft nicht erkannt. Es war IBM, die sich für die Entwicklung und den Bau leistungsfähiger Festplatten in den USA eingesetzt hat und diese auch nutzte. In der „Forschungsunion Wirtschaft - Wissenschaft“ denken führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft darüber nach, wie neue Ideen schnell und unkompliziert in innovative Produkte umgesetzt werden können. Ihre Aufgabe ist es, Innovationshemmnisse zu identifizieren und zu beseitigen. Aber wo stehen wir heute, nach einem Jahr Hightechstrategie? Die Energietechnologien leiden nach wie vor unter Forschungsverboten in der Kernenergie-, der Sicherheits- und der Endlagerforschung. Doch ohne die Kernenergie werden wir unsere ambitionierten Ziele beim Klimaschutz nicht erreichen, Frau Ministerin. ({3}) Über dem Zukunftsfeld „Pflanzen“ liegt der Schleier des Gentechnikgesetzes. Der Deutsche Bundestag will heute Nacht, zwischen 4 und 5 Uhr, also morgen früh, über die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zum Gentechnikgesetz beraten. Man hat ein bisschen das Gefühl, dass Sie das verstecken wollen. Herr Seehofer hat schließlich schon einmal ein weiter gehendes Eckpunktepapier vorgelegt, nach dem Freilandversuche zugelassen und keine zusätzlich Barrieren geschaffen werden sollten. Eine Forschung ohne Bewährung auf dem Acker ist nicht innovationsfreundlich, sondern innovationshemmend. Das ist die Politik der Bundesregierung. ({4}) Beim „Innovationsfrühstück“ des Verbandes der Chemischen Industrie sind wir bewusst darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Gentechnikgesetz der Bundesregierung dazu führen wird, dass sich die Industrie andere Standorte suchen und nicht den Forschungsstandort Deutschland vorziehen wird. Das dürfen wir nicht wollen. Frau Ministerin, Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht vom Prinzip der Forschungsfreiheit, welches zu Recht im Grundgesetz verankert ist, abweichen. Als Liberale fühlen wir uns diesem Recht verpflichtet. Wir müssen zwar, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Stammzellenforschung, ethische Debatten führen, Sie müssen aber aufpassen, dass Sie nicht vom Pfad „Freiheit in der Forschung“ abweichen; denn sonst würde aus Ihrer Hightechstrategie sehr schnell eine Lowtechstrategie, Frau Ministerin. ({5}) Ich glaube, dass Ihr französischer Ministerkollege auf dem Innovationskongress mit Recht die Worte Napoleons zitierte: Es reicht nicht aus, eine gute Strategie zu haben; man muss auch wissen, wie man sie umsetzt. Die Umsetzung werden wir weiterhin kritisch beäugen. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege René Röspel für die SPD-Fraktion. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns heute hier versammelt, um das erste Jahr Hightechstrategie gemeinsam zu betrachten. Das Ziel der Hightechstrategie ist es, Wirtschaft und Wissenschaft in gemeinsamen Projekten und Kooperationen zu vernetzen, weiter voranzubringen und vor allen Dingen neue Leitmärkte zu erschließen und zu identifizieren; denn das braucht Deutschland als Hightechstandort in der Welt. ({0}) Deutschland steht als Exportweltmeister gut da. Dieser Erfolg wird aber von relativ wenigen Branchen getragen. Der Vizepräsident des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft hat das im Februar 2007 einmal so ausgedrückt: Der FuE-Standort Deutschland - also der Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland steht und fällt mit der Entwicklung im Kraftfahrzeugbau, der gut ein Drittel der FuE-Aufwendungen bestreitet. Jeder dritte Forschungseuro wird im Kfz-Bereich ausgegeben. Jeder vierte Forscher arbeitet im Automobilbereich. Dieser Erfolg kann zur Falle werden. Ein Fuhrunternehmer, der ein starkes Zugpferd hat, auf das er seinen Erfolg gründen kann, bekommt ein Problem, wenn dieses Pferd ausfällt, kränkelt, schwächelt oder gar nicht mehr existent ist. Es kann seine Existenz kosten, wenn er nicht rechtzeitig für Nachwuchs bzw. Ersatz gesorgt hat. Deshalb ist es wichtig, über die Hightechstrategie neue Innovationsbereiche zu identifizieren, in denen wir neue Technologien entwickeln und damit auch sichere neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen können. Deshalb ist die Hightechstrategie ein guter Schritt in die richtige Richtung. Im vorliegenden Fortschrittsbericht wird eine ganze Menge von Projekten genannt, die bereits begonnen haben und positiv bewertet werden können. Als Beispiel möchte ich die Umwelttechnik nennen. Frau Pieper, Sie haben gerade zu Recht gesagt, dass die Liberalen immer gefordert haben, dass Deutschland auf diesem Gebiet Technologieführer werden muss. Sie haben das nur nie realisiert. Wir haben es gemacht, als wir 1998 zusammen mit den Grünen an die Regierung gekommen sind. ({1}) In der neuen Koalition setzen wir das jetzt fort. Der Bereich der Umwelttechnik ist ein klassisches Beispiel dafür, dass Deutschland im Bereich Sonne und Wind mittlerweile an der Weltspitze steht und da vernünftige Möglichkeiten des Ausbaus hat. ({2}) 420 Millionen Euro werden wir bis 2009 in diesem Bereich investieren, um neue Technologien weiter zu heben und sie zu fördern, damit sie auf dem Weltmarkt bestehen können. ({3}) Immerhin sind wir Umwelttechnologieexporteur Nummer eins. Frau Schavan schreibt im Fortschrittsbericht richtig, dass Ökotechnik mittlerweile zum Jobmotor entwickelt worden ist. Das gilt für viele Bereiche; man kann zum Beispiel die Gesundheitsforschung und Medizintechnik nennen. Das ist eines der 17 Innovationsfelder, die sicherlich und hoffentlich jeden von uns bezüglich neuer Technologien, die wir nutzen können, betreffen werden. Im Bereich der optischen Technologien, Mikrosystemtechnologien und Werkstofftechnologien werden neue Materialien für das Exportland Deutschland entwickelt. Wenn wir diese Technologien weiterentwickeln, werden wir am Ende sehen, dass wir nicht nur den Export stärken, sondern auch eine positive Bilanz für Umwelt und Klima und am Ende für die Arbeitsplätze im Inland ziehen können. ({4}) Bei allem Lob gibt es aber auch Kritik. Wir werden die Hightechstrategie in einigen Bereichen kritisch weiter begleiten. Das betrifft das Innovationsfeld Sicherheitsforschung. Auf Seite 42 im Bericht steht - ich darf zitieren -: Ziel der Sicherheitsforschung ist es, die Freiheit der Bürger zu schützen. ({5}) Das ist falsch formuliert. Es weckt auch eine falsche Hoffnung. Ich glaube, es wäre besser wie folgt formuliert: Ziel der Sicherheitsforschung muss sein, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten und weiterzuentwickeln, und zwar ohne Freiheitsrechte der Bürger abzubauen oder einzuschränken. ({6}) Dass es ein wichtiges Spannungsfeld ist, haben wir vor zwei oder drei Wochen als SPD-Fraktion auf einer Konferenz zur Sicherheitsforschung feststellen können. Dort haben wir uns den Fragen gewidmet: Wie kann man eigentlich Sicherheit für die Bevölkerung feststellen und sicherstellen? Wo liegen die tatsächlichen Bedrohungsszenarien? Die Fokussierung auf die üblichen Punkte Terrorismus und Kriminalität ist zu kurz gegriffen. Der Sicherheitsbegriff und die Bedrohungspotenziale müssen weiter gefasst werden. Dazu gehören eben auch Naturkatastrophen; das ist unstrittig. ({7}) Es ist klar: Wir brauchen einen breiter als bisher definierten Sicherheitsbegriff. Ich persönlich glaube, dass - das haben wir, wenn wir es nicht schon vorher wussten, auf dieser Konferenz eindrücklich gelernt - die zunehmende Verwendung biometrischer Daten im öffentlichen Bereich, zum Beispiel bei Personalausweisen, nicht unbedingt mehr Sicherheit für die Gesellschaft bringt, sondern vielleicht sogar das Gegenteil. ({8}) Das gilt es bei künftigen Entscheidungen zu berücksichtigen. Ich will mich noch einem anderen Thema widmen, über das in letzter Zeit diskutiert wird, nämlich der Frage, wie es mit der finanziellen Förderung von Forschung in Deutschland weitergehen soll. Klassischerweise fördern wir in Deutschland Institutionen oder Projekte; wir geben staatliche Gelder, um Forschung zu finanzieren. Aber es wird zunehmend darüber diskutiert, inwieweit man steuerliche Anreize für solche Unternehmen entwickeln sollte, die Forschung und Entwicklung betreiben. Ich glaube, es ist wichtig, neue Innovationsfelder zu erschließen, die von der Wirtschaft ohne staatliche FörRené Röspel derung nicht entwickelt worden wären. Diese Beispiele gibt es im Umweltbereich und in vielen anderen, die sich mittlerweile als Erfolg erwiesen haben. Wir müssen Impulse geben und eine Anschubfinanzierung ermöglichen. Wichtig ist aber auch, Mitnahmeeffekte in Bereichen zu verhindern, die sowieso von der Wirtschaft erschlossen werden können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wissing?

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gerne.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Röspel, Sie haben eben gefordert, steuerliche Anreize für Unternehmen zu schaffen, die besonders viel in Forschung investieren. Teilen Sie meine Auffassung, die übrigens auch von der forschungsintensiven Industrie in Deutschland geteilt wird, dass die Große Koalition mit der Unternehmensteuerreform gerade die forschenden Unternehmen in besonderem Maße zusätzlich zur Kasse bittet? ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erstens habe ich nicht gefordert, steuerliche Anreize einzuführen, sondern gesagt, dass eine Diskussion darüber ansteht. ({0}) - Ja. - Ich will Ihnen durchaus selbstkritisch ein Beispiel nennen. Am Montag ist im Rahmen der Hightechstrategie die Innovationsallianz „Lithium Ionen Batterie LIB 2015“ gestartet worden. Sicherlich ist grundsätzlich richtig, Energiespeicherung zu fördern. Dieser Bereich ist hochinteressant. Es geht zum Beispiel darum, wie wir den Strom aus Windkraftanlagen speichern. Zusammen mit einem Industriekonsortium, dem BASF, Evonik, Volkswagen und Bosch angehören, wird nun Forschung hinsichtlich der Lithium-Ionen-Batterie betrieben. Das ist ein Bereich, der schon im Markt etabliert ist - diese Technologie finden Sie beispielsweise in Ihrem Handy oder in Ihrem Laptop - und den die Wirtschaft selber weiterentwickeln könnte. ({1}) - Das hat mit der Frage etwas zu tun. Schauen Sie sich einmal die Finanzierung an! Das Industriekonsortium wird 360 Millionen Euro beisteuern, das BMBF 60 Millionen Euro. Nun kann man sich darüber unterhalten, ob Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betreiben, steuerlich stärker gefördert werden sollten. Diesbezüglich ist es hilfreich, die Bilanzen dieser Unternehmen zu betrachten. ({2}) - Nein, ich sage Ihnen eines ausdrücklich: BASF - eine der Firmen, die diesem Industriekonsortium angehören hat 2006 einen Überschuss nach Steuern von 2 Milliarden Euro erwirtschaftet, und beim Volkswagen-Konzern waren es nach Steuern 2,5 Milliarden Euro. Mit Blick auf diese Zusammenhänge halte ich es für falsch, zu fordern, diese Unternehmen auch noch steuerlich zu entlasten. ({3}) Die Antwort auf die zweite Frage. Die Unternehmensteuerreform hat für viele Unternehmen Entlastungen gebracht, und sie wird es nicht behindern, dass weiterhin Forschung und Entwicklung betrieben werden. ({4}) Deswegen muss man sehr kritisch sehen, in welchen Bereichen es nutzt und in welchen Bereichen es zu Mitnahmeeffekten führen wird. Ich glaube, dass die Mitnahmeeffekte überwiegen werden. Wir wissen, dass 88 Prozent der Forschung und Entwicklung in Deutschland von großen Konzernen, dass aber nur 12 Prozent von KMU geleistet werden. Diese müsste man eigentlich fördern. Ob wir dies über einen steuerlichen Anreiz für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten erreichen können, bezweifle ich stark, ({5}) und die Erfahrungen, die Frau Flach während einer Reise nach Kanada sammelte ({6}) und über die sie in der letzten Sitzungswoche sprach, waren interessant. Denn dort stellt es sich nicht als so gut und interessant heraus, wie Sie es uns hier gerade darzustellen versuchten. Wir sind diesbezüglich sehr offen, und es wird im nächsten Jahr Vorschläge dazu geben. Diese werden wir ernsthaft bewerten. Es darf jedoch nicht sein, dass Mitnahmeeffekte entstehen. Ziel muss es vielmehr sein, dass Politik und Wirtschaft gemeinsam Verantwortung tragen. Die Politik macht das gerade, indem sie hohe Investitionen - es sind weit mehr als 6 Milliarden Euro - für die Entwicklung neuer Technologien bereitstellt. Gerade vor dem Hintergrund solcher Gewinnzahlen, wie ich sie eben nannte, sind auch die Unternehmen gefordert, statt Arbeitsplätze abzubauen, wie sie es zurzeit machen, in mehr Personal zu investieren, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, mehr gute Ingenieure einzustellen und den Anteil an F und E über mehr Einstellungen von Menschen zu erhöhen. Dann bekommen wir nämlich viele gute Zugpferde, die Deutschland weiter nach vorne ziehen können. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dr. Petra Sitte das Wort. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Professor Schellnhuber, Umweltpreisträger, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimaberater der Kanzlerin, ist bekanntlich ein Mann klarer Worte. Auch das 21. Jahrhundert, sagte er unlängst, werde ein Jahrhundert der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft trete quasi aus der Begleitung von Dialogen heraus. Sie müsse sich mit der Politik auf Augenhöhe treffen und ernst genommen werden. Gemeinsam müsse man die sogenannten Megathemen identifizieren, und dann müsse man alle Kräfte und Ressourcen bündeln und interdisziplinär an Lösungen arbeiten. Ich denke, an diesem Anspruch muss sich auch die Hightechstrategie der Bundesregierung messen lassen. Immerhin geht es um Entscheidungen für Jahrzehnte. ({0}) Das bedeutet: Zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft muss ein Netz gespannt werden. Wie ist das Netzwerk der Hightechstrategie derzeit geflochten? Sie, Frau Ministerin - das wurde schon erwähnt -, haben strategische Partnerschaften geknüpft. Wichtigstes Gremium ist die Forschungsunion, deren Mitglieder im Wesentlichen aus Wissenschaft und Wirtschaft kommen. Nicht ganz eindeutig lässt sich der Kollege Huber von der IG Metall zuordnen. ({1}) Sie als Ministerin vertreten sozusagen die Politik. Vertreter der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sucht man hingegen vergebens, und das Parlament hatte zu keinem Zeitpunkt eine reale Chance, Einfluss auf die Gestaltung der Hightechstrategie zu nehmen. ({2}) Die Maschen dieses Netzes sind also nur zwischen Wissenschaft und Wirtschaft eng und weiten sich zur Politik deutlich. Zur Gesellschaft gibt es im Grunde genommen nur eine Masche; diese Masche kann man durchaus auch als Loch bezeichnen. Das betrachtet die Linke als gravierenden Webfehler. Wir kritisieren diesen Ansatz auch, weil durch ihn vor allem exportfähige Technologien mit Steuergeldern in Milliardenhöhe gepusht und kommerzialisiert werden. Sie, Frau Ministerin, fragen nicht: Welche Innovationen werden für die Lösung globaler Probleme wirklich benötigt? Welchen Maßstab haben wir eigentlich? Unser Maßstab sind Leitperspektiven, die sich aus der Zukunftsforschung ableiten lassen. Dazu gehören die Verbesserung der Lebensqualität, die Sicherung von wissenschaftlichen Entwicklungen und von Beschäftigung, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Naturressourcen, die Sicherung von sozialer Gerechtigkeit und von Chancengleichheit, die Förderung der kulturellen Eigenentwicklung und der Vielfalt von Gruppen und Lebensgemeinschaften, die Förderung von menschendienlichen Technologien ({3}) und die Verhinderung superriskanter Techniken und irreversibler Umweltzerstörungen. Diese Ziele sind in der Hightechstrategie nur fragmentarisch zu finden. Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil sie mit dieser Einseitigkeit zur Einengung von Forschungsfreiheit führt, ({4}) und zwar auf eine ganz andere Weise, als bisher diskutiert wurde. Die Forschung wird nämlich im Wesentlichen auf innovative Dienstleistungen für die Wirtschaft reduziert. Das haben die Väter des Grundgesetzes ganz bestimmt nicht im Auge gehabt, als sie die Forschungsfreiheit in das Grundgesetz aufgenommen haben. ({5}) - Selbstverständlich, die Mütter auch nicht. Ich glaube aber, damals war gar keine Frau dabei. ({6}) - Ach so. Hier lasse ich mich gerne belehren. Die Linke kritisiert des Weiteren, dass Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften lediglich Akzeptanzforschung zur Einführung strittiger Technologien, etwa im Sicherheits-, Nano- oder Biotechnologiebereich, betreiben sollen. Es geht aber nicht nur darum, der Gesellschaft zu erklären, worin diese Technologien bestehen, sondern es geht auch darum, zu untersuchen, was sie bewirken. Wir haben gemeinsam zu entscheiden, ob wir diese Technologien haben wollen. ({7}) Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die insbesondere in Ostdeutschland die eigentlichen Innovationstreiber sind, weiterhin ein hohes Geschäftsrisiko tragen müssen. Sie erhalten weit weniger Fördergelder als Großkonzerne, obwohl sie weit mehr Arbeitsplätze schaffen. Zudem wird der Zugang der kleinen und mittelständischen Unternehmen durch die Initiative „KMUinnovativ“ auf nur fünf Technologiefelder begrenzt. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. ({8}) Jetzt möchte ich an die Ausführungen von Herrn Röspel anknüpfen. Bei einigen Strategie- und Programmlinien fragt man sich wirklich: Wieso werfen wir hier noch Förder- bzw. Steuergelder hinterher? Das gilt beispielsweise für das Luftfahrtforschungsprogramm IV. Die deutsche Luftfahrtindustrie jammert, sie habe kein Geld zur Entwicklung emissionsarmer Triebwerke. Sie macht aber seit Jahren Rekordgewinne. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Pharmainitiative. Die Pharmabranche ist bekanntermaßen extrem renditestark. Die Nutznießer der Strategielinie „IKT 2020“ zur Erforschung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sind letztlich Konzerne der Branchen Automobilbau, Gesundheitstechnik, Maschinenbau und Softwareentwicklung. Die Linke fordert, diese Strategielinie so auszurichten, dass das Internet als Informations- und Wissensplattform viel mehr Menschen zugänglich gemacht wird. ({9}) Als ich Ihren Bericht gelesen habe, ist mir an einer Stelle fast nichts mehr eingefallen. Ich habe mich gefragt: Wieso müssen wir diesen Bereich fördern? Es wird nämlich Fördergeld in Forschungen zur Ablösung von Ölplattformen und zur Entwicklung submariner Fördertechnologien gesteckt. Man muss sich einmal fragen: Haben die Ölkonzerne dieser Welt in den letzten Jahren nicht wirklich Milliarden und Abermilliarden an Rekordgewinnen erzielt? Diskutieren wir nicht gerade darüber, dass der Preis für Superbenzin bald auf 1,50 Euro und der Preis für Diesel bald auf 1,40 Euro pro Liter steigen könnte? Diesen Bereich unterstützen wir tatsächlich mit öffentlichen Geldern! Wie Sie sehen, regt mich das auf. ({10}) Die erneuerbaren Energien werden hingegen mit nur 77,5 Millionen Euro gefördert; das halte ich für einen gravierenden Fehler. Die Bundesregierung macht sich mit Ihrer Hightechstrategie, genauso wie bei der Steuerpolitik, zur Lobbyistin der Interessen großer Unternehmen. Damit nicht genug, Frau Ministerin: Sie schaffen künstlich Märkte, indem Sie Nachfrage durch öffentliche Behörden versprechen. Das gehört bestimmt nicht zu den Kernaufgaben des Staates. - Eigentlich müssten mir die Liberalen jetzt zustimmen. ({11}) Diese Hightechstrategie muss insgesamt einen Beitrag zur innovativen Lösung komplexer globaler Widersprüche leisten. Hier schließt sich der Kreis zu Professor Schellnhuber. Technologische Innovation, sagt er nämlich weiter, reicht nicht - wir brauchen auch einen Mentalitätswandel im Verbraucherverhalten. Das heißt, Hochtechnologien sind gleichberechtigt vor dem Hintergrund sozialer, ökonomischer, ökologischer und kultureller Innovationen zu entwickeln. Vielleicht hört ja die Kanzlerin und vielleicht hören auch Sie, Frau Ministerin, tatsächlich auf den Klimaberater. Danke schön. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Hightechstrategie ist überschrieben mit der Botschaft: Ideen zünden. Da fragt man sich natürlich nach einem Jahr: Welche Ideen haben denn gezündet? Welche Instrumentarien waren eigentlich erfolgreich? Da schaue ich mir als Erstes die Forschungsprämie an. Die Forschungsprämie kann es kaum gewesen sein. Gerade die Nachfrage der kleinen und mittleren Unternehmen stockt, und diejenigen, für die die Forschungsprämie im Besonderen ausgerufen wurde, nämlich die Hochschulen, partizipieren bislang unterdurchschnittlich. ({0}) Die Fraunhofer-Gesellschaft wird 65 Prozent des Geldes abgreifen, die Universitäten nur 22 Prozent. ({1}) Das ist eine klassische Fehlzündung des wichtigen Instrumentes Forschungsprämie. ({2}) Zum Instrument Wagniskapital. Haben Sie da vielleicht etwas auf die Beine gestellt? - Herr Dr. Riesenhuber, der dort in den hinteren Reihen sitzt, grinst. ({3}) - Entschuldigung: Sie lächeln. - Beim Wagniskapital ist also auch noch nichts passiert, obwohl wir alle das gerne wollen. Meines Wissens ist es immer noch nur der von Rot-Grün ins Leben gerufene Hightech-Gründerfonds, der hier hilft. Auch die Unternehmensteuerreform hat den jungen, innovativen Unternehmen nichts gebracht. Auch hier müssen die Ideen, die man hat, gut umgesetzt werden; sonst bringen sie überhaupt nichts. ({4}) Auf dem Mikrosystemtechnik-Kongress in Dresden, Frau Schavan, haben Sie verkündet, dass Sie über Steuervergünstigungen für mehr Forschungsinnovationen nachdenken. Das soll vielleicht in der nächsten Wahlperiode umgesetzt werden. Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht als Ankündigungsministerin enden. Denn auch das 3-Prozent-Ziel wird wahrscheinlich nicht erreicht, erstens weil die Konjunktur so gut ist und zweitens weil auch die Wirtschaft, wie es Herr Oetker vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gesagt hat, das Ziel wohl nicht erreichen wird. Dann haben Sie ein Problem. ({5}) - Wenn die Anreize fehlen und wenn es die falschen Instrumentarien sind, um die Wirtschaft dazu zu bringen, zu investieren, innovativ zu sein, dann ist natürlich ein Teil der Verantwortung bei der Ministerin; das muss man klar und deutlich sagen. Priska Hinz ({6}) ({7}) Die Hightechstrategie der Bundesregierung ist zudem noch immer vor allen Dingen auf technologische Neuerungen ausgerichtet. ({8}) In Ihrer Vorstellung von anwendungsbezogener Forschung fehlt nach wie vor die sozial- und kulturwissenschaftliche Dimension. Innovation kann aber nur gelingen und nur dann nachhaltig sein, wenn die potenziellen Nutzerinnen und Nutzer einbezogen werden. Das Vertrauen in neue Technologien kann nur dann erhalten und gestärkt werden, wenn es auch Risikoforschung und Technikfolgenabschätzung gibt. Das sagen die Sozialdemokraten selbst: bei der Sicherheitsforschung. ({9}) Das wissen wir auch aus dem Bereich der Nanotechnologie. Zwei Jahre zu spät haben Sie, Frau Ministerin, einen Bericht über Veränderungsbedarf bei der Anwendung der Nanotechnologie vorgelegt, in dem Sie Handlungsbedarf konstatieren. Was wollen Sie da tun? Abwarten und vielleicht ein bisschen was klären? Auch hier gilt: Der Staat muss bei der Forschung und Entwicklung da investieren, wo es die Wirtschaft nicht tut, nämlich in Risikoabschätzung und Vorsorge. Nur dann kann die Herausforderung einer neuen Technologie wirklich so bewältigt werden, dass sie nachhaltigen Nutzen für die Gesellschaft und nicht nur Geld für einige Betriebe bringt. ({10}) Auch bei der Klimaforschung sind Sie technologisch ausgerichtet. Sie haben zwar die Idee der Grünen aufgegriffen, dass hier investiert werden und man innovativ sein muss, schauen wir uns aber einmal die Mobilitätsforschung an. Zu ihr müsste ja auch die Verhaltensforschung gehören. Was tun Sie? - Sie beschränken sich auf die Entwicklung intelligenter Leitsysteme für den Autoverkehr. ({11}) Das ist in der heutigen Zeit doch wirklich viel zu kurz gesprungen. Hieran erkennt man Ihre Schieflage bei der Hightechstrategie. ({12}) Auch bei der Pharmainitiative frage nicht nur ich mich, ob ausgerechnet die Pharmaindustrie in Deutschland so viele öffentliche Mittel braucht. Nachdem sie in den 90er-Jahren im Ausland investiert hat, weil sie kein Vertrauen in Deutschland hatte, soll sie jetzt einen Haufen Geld bekommen. Wenn schon in Deutschland eine Pharmainitiative greifen soll, dann müssen inhaltliche Maßstäbe gesetzt werden. Wenn man neue Ideen fördern will, gehört dazu vor allen Dingen der patientenorientierte Ansatz, zum Beispiel die patientenorientierte Forschung als Querschnittansatz. Hier reicht es nicht, einen Leuchtturm in der Demenzforschung zu haben; vielmehr muss das in der gesamten Pharma- und Medizinforschung Platz finden. Das lässt sich aus der von Ihnen vorgelegten Initiative bislang nicht herauslesen. Damit ist das wieder eine Schieflage bei einer wichtigen Initiative, die die Hightechstrategie ja sein soll. ({13}) Dann haben wir noch das Riesenproblem des Fachkräftemangels. Durch die gerade erschienene Innovationserhebung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung wird gezeigt: Deutsche Unternehmen investieren inzwischen zwar mehr in Forschung und Entwicklung, aber 20 Prozent der Unternehmen konnten in den letzten Monaten Stellen im Bereich Forschung und Entwicklung nicht besetzen. Auch in dem Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit der Bundesregierung wird das ausgewiesen, und in der vor Kurzem erschienenen OECD-Studie wird ebenfalls auf diesen drohenden Mangel hingewiesen. Hier gibt es vier Bereiche, in denen die Bundesregierung unmittelbar etwas tun kann: bei der Ausbildung, bei der Weiterbildung, bei dem Ausbau von Studienkapazitäten und bei der Zuwanderung. Bei der Ausbildung hat sich die Ministerin auch nach zwei Jahren noch nicht zu einer Modernisierung der Ausbildungsstrukturen durchgerungen. Bei der Weiterbildung fällt ihr nicht mehr als das Bildungssparen ein. Noch nicht einmal das ist bis heute umgesetzt. Beim Hochschulpakt musste man sie zum Jagen tragen. Jetzt ist er auch noch unterfinanziert; das heißt, nicht alle notwendigen Studienplätze werden geschaffen werden können. Bei der Zuwanderung hat die Ministerin kurz nach Verabschiedung des neuen Gesetzes schon wieder neue Vorschläge gemacht. Obwohl Sie es vorher mitbeschlossen haben, haben Sie hinterher beklagt, dass die Einkommensgrenzen jetzt zu hoch sind, Frau Schavan. Und was haben Sie hinterher dann tatsächlich erreicht? - Eine kleine Korrektur, nämlich die Erleichterung der Einwanderung von Fachkräften aus den neuen EU-Mitgliedstaaten. Hier sind Sie als Tigerin gesprungen und als Bettvorlegerin gelandet. ({14}) Es bleibt mir festzustellen: Die Hightechstrategie ist eine gute Idee, und sie könnte mit der richtigen Umsetzung nicht nur zünden, sondern sogar eine richtige Rakete werden. ({15}) Dafür bräuchten wir aber eine andere Bundesregierung. Danke schön. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ilse Aigner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hinz, das Zünden der Rakete ist mein Bild; ich halte es für nicht in Ordnung, dass Sie es übernehmen. ({0}) - Nein. Aber genauso wenig halte ich Folgendes für gut: Sie zählen im Prinzip auf der einen Seite auf, was alles geschehen ist, und bestätigen damit, was alles passiert ist. Sie haben eine ganze Reihe von Themen aufgezählt, und Sie suchen immer nur das Haar in der Suppe, das vielleicht links herum oder rechts herum etwas anders ist, und so haben es viele andere auch gemacht. ({1}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich stelle mir nur vor, wir stünden heute in einer wirtschaftlichen Entwicklung, wie wir sie leider viele Jahre hatten, als die Wirtschaftskraft eher abnahm, als die Arbeitslosigkeit stieg, als wir Jahr für Jahr überlegen mussten, woher wir das Geld bekommen bzw. wie wir die Neuverschuldung eindämmen. Stünden wir nicht vor einer Situation, in der wir es Gott sei Dank geschafft haben, die Richtung zu ändern, ({2}) in der wir mittlerweile mehr Arbeitskräfte vermittelt haben - übrigens auch hochqualifizierte ältere Arbeitskräfte -, in der es Wirtschaftswachstum gibt, dann hätten wir überhaupt nicht die Gelegenheit, uns darüber zu unterhalten, wie wir mehr Mittel in Forschung und Entwicklung investieren, und zwar mehr als 6 Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Diese Chance nutzen wir auch. Aber einfach nur das Geld in die Hand zu nehmen, ist nicht das Einzige. Wir haben auch einiges fortgesetzt, was einige - vielleicht nicht Sie persönlich - angekündigt haben, was aber finanziell gar nicht untermauert wurde. Ich erinnere nur an die Exzellenzinitiative, die ich als hervorragend erachte, ({3}) die aber vorher in keiner Weise finanziell untermauert worden war. ({4}) - Sie war in keiner Weise vorher finanziell untermauert. ({5}) Letztendlich haben erst wir das Geld tatsächlich zur Verfügung gestellt. Ich erinnere an den Hochschulpakt, liebe Frau Hinz. Zu behaupten, dass die Ministerin zum Hochschulpakt gedrängt werden musste, ist unzutreffend. ({6}) - Ich weiß ja nicht, auf welcher Veranstaltung Sie waren. Ich glaube, wir sind gemeinsam im selben Ausschuss und waren uns eigentlich immer einig, ({7}) dass dies nicht ganz einfach ist und dass man es gemeinsam mit den Ländern und nicht gegen die Länder machen muss. Das war eine Riesenleistung von unserer Ministerin Annette Schavan. ({8}) Dass wir in Zukunft 90 000 zusätzliche Studienplätze aufbauen werden, ist eine riesige Leistung. Damit bin ich bei dem, was für uns das Wichtigste ist. Wir können letztendlich in Deutschland nur mit der Ressource haushalten, die wir im größten Maße haben, nämlich mit den Menschen und dem, was sie im Kopf haben, was sie können und die der Realität umsetzen. Deshalb haben wir auf der einen Seite Geld in die Hand genommen; aber auf der anderen Seite haben wir versucht, Instrumente zu finden, um dies gemeinsam mit der Wirtschaft umzusetzen. Sie haben die Forschungsprämie angegriffen. Ich bitte Sie: Das braucht auch alles erst einmal Zeit, anzulaufen. ({9}) - Was heißt denn „nicht so“? Sie wissen genau, wie die Regularien bei der Forschungsprämie sind, dass nämlich erst einmal die Anträge geschrieben und sie erst am Ende des Projektes abgerechnet werden. Wie soll denn das so schnell funktionieren? Ich habe erst in der letzten Woche mit Fachhochschulen telefoniert. Sie werden es umsetzen, aber sie müssen sich auch erst auf die neuen Instrumente einstellen. Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob nach einem Jahr schon alles erledigt sein sollte. Vielmehr ist jetzt entscheidend, dass wir die richtigen Weichenstellungen vornehmen werden. Wir haben die Forschungsprämien und den Spitzenclusterwettbewerb auf den Weg gebracht. Hiermit werden die Strukturen mit Sicherheit so angelegt, dass sich neue, innovative Ideen herausbilden, und zwar themenoffen. Nicht wir schreiben vor, was sie zu machen haben, sondern vor Ort werden sich die Unternehmen gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen überlegen: Wo könnten die größten Zukunftsfelder sein? Wo könnten die meisten Ar12794 beitsplätze entstehen? Dies setzen wir mit einem Wettbewerb um, und das zeigt wieder, dass Wettbewerb das Beste ist, was passieren kann. ({10}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir ziehen hier nach nur einem Jahr Resümee. Viele wären froh gewesen, nach einem Jahr überhaupt ein solches Resümee ziehen zu können. ({11}) Die Ministerin hat es angesprochen: Auch in der Wirtschaft wird mehr Geld für Forschung und Entwicklung in die Hand genommen. Wie gesagt, die Zahl der Arbeitsplätze steigt. Das Beste, was wir heute tun könnten, wäre, Mut und Zuversicht auszustrahlen, den Menschen, die draußen arbeiten und die etwas im Kopf haben, Mut zuzusprechen, sich vielleicht selbstständig zu machen oder sich etwas risikobereiter in einem Unternehmen zu engagieren, damit wir auch zukünftig mehr Arbeitsplätze haben und nicht nur alles verwalten. Ich halte das für die richtige Richtung, für die wir in den nächsten Jahren - hoffentlich gibt es noch viele Jahre Exzellenzinitiative - gemeinsam arbeiten sollten. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ulrike Flach für die FDP-Fraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schavan hat uns wieder einmal in sehr beredten Worten die Hightechstrategie dargelegt. Sie haben mit dem Fortschrittsbericht den Preis für Gestaltung gewonnen und vor allen Dingen den Eindruck vermittelt, an alles gedacht zu haben. Ich will aber in diesem Zusammenhang auf ein Zitat zurückgreifen, das in diesen Wochen immer wieder durch Berlin geistert: Zu viel Weihrauch schwärzt den Heiligen, liebe Frau Schavan. Genau das versuchen Sie an dieser Stelle: ({0}) Sie decken mit Ihrer Strategie und Ihrem Zwischenbericht einfach ab, dass sich inzwischen nicht viel verändert hat. ({1}) Frau Aigner kann noch so sehr betonen, wie viel Geld zur Verfügung gestellt worden ist. Frau Bulmahn wäre hocherfreut gewesen, wenn sie nur einen Bruchteil dieser zusätzlichen Gelder erhalten hätte. Aber wir leben nun einmal in einer Zeit, in der sich die Konjunktur deutlich eintrübt. Das Wachstum hat sich verringert. Die Steuereinnahmen steigen nicht mehr, und die nach den neuesten Steuerschätzungen zu erwartenden zusätzlichen Milliarden sind im Haushalt 2008 bereits zur Hälfte verplant. Das heißt, der Spielraum wird enger. Erst dann werden Sie sich beweisen müssen. Es ist einfach, in fetten Zeiten etwas zuzulegen, Frau Schavan. Aber Sie müssen auch für die Zeiten vorsorgen, in denen es nicht so gut läuft. ({2}) Sie haben eben ein verdächtiges Wort gebraucht. Sie haben gesagt, dass eine stimmungsmäßige Verbesserung festzustellen sei. Insofern stimme ich Ihnen völlig zu: Stimmung wird uns in diesem Fall nicht helfen. ({3}) Sie haben außerdem von einer deutlichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gesprochen. Aus den Prognosen des Stifterverbandes geht hervor, dass die Zahl der in Forschung und Entwicklung Beschäftigten von 2005 auf 2006 um 3 500 Personen gestiegen ist. 2007 sollen es 2 000 zusätzliche Arbeitsplätze sein. Sie haben uns aber 1,5 Millionen zusätzliche wissensbasierte Jobs versprochen. Insofern frage ich mich - Hightech hin oder her -, wo die Relationen und der Erfolg Ihrer nicht gerade billigen Aktionen liegen. ({4}) Wir liegen zwar leistungsmäßig seit Jahren auf einem guten Niveau - das gilt übrigens auch für die Jahre, über die Sie eben so geschimpft haben, Herr Röspel -, ({5}) aber ich befürchte, dass wir die eigentlichen Schwächen nach wie vor nicht im Griff haben. Es gibt zu wenig Absolventen, zu wenig Wagniskapital, zu wenig Frauen und zu wenig Patente. All dies hat sich nicht verändert, Hightechstrategie hin oder her. Gleichzeitig leisten Sie sich Fehler, Frau Schavan, bei denen wir uns fragen: Was hilft denn alle Strategie? In diesen Tagen wird erklärt, dass die Gesundheitskarte kaum noch eine Chance hat, flächendeckend eingesetzt zu werden. Das ist der erste Fehlschlag, und zwar immerhin bei einem Leuchtturm Ihrer Strategie. Bei der Forschungsprämie bin ich völlig anderer Meinung als Sie, Frau Aigner. Wir haben es mit einer reinen Transferprämie zu tun, die bisher, wie das Ministerium angibt, ab und zu auch für Forschung verwandt wird. Was ist das für ein Konzept? ({6}) An dieser Stelle ist deutlich erkennbar, dass die Konzeption falsch ist. Was die steuerlichen Erleichterungen angeht, haben Sie mit der Unternehmensteuerreform gerade bei den forschenden Unternehmen für große Probleme gesorgt. ({7}) Sie können doch jetzt nicht plötzlich erklären, dass Sie irgendwelche Verbesserungen vornehmen wollen. Das heißt nichts anderes, als dass sich die Finanzpolitiker und die Forschungs- und Bildungspolitiker der Großen Koalition konterkarieren. ({8}) Im Endeffekt wird wenig dabei herauskommen. Lassen Sie mich zum Schluss feststellen, Frau Schavan: Sie haben selbstverständlich die Probleme erkannt, und Sie haben viel Geld im Topf, aber es ist keine relevante Arbeitsmarktverbesserung erkennbar. Die 17 von Ihnen aufgeführten Bereiche verschwimmen in wolkigen Prognosen. Ihnen liegen keine verwertbaren Zahlen für eine Verbesserung der Position Deutschlands im Rahmen eines internationalen Rankings vor. Das heißt, Sie haben nur einen geringen Teil der Hightechstrategie umsetzen können. Da werden wir noch viel tun müssen, Frau Schavan. Ich fürchte, dass in deutlich schwierigeren ökonomischen Zeiten Probleme auftreten. Die Unterstützung der FDP für den Innovationsstandort haben Sie immer. Aber Sie müssen deutlich zulegen, sonst wird das nichts geben. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion. ({0})

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In vielen Bereichen und bei vielen Zusammenarbeiten haben die Ideen schon gezündet; das kann man festhalten. Aus Visionen Innovationen und Arbeitsplätze für die Zukunft schaffen, das ist das Ziel unserer Hightechstrategie. Das haben wir in vielen Bereichen, zum Beispiel durch die Forschungsprämie, erreicht. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit von Fachhochschulen sowie kleinen und mittelständischen Betrieben beim ökologischen Bauen. Wir bekämpfen damit unter anderem die Arbeitslosigkeit. Wir sind hier erfolgreich und werden es in den kommenden Jahren auch bleiben. ({0}) Die Stärken des Mittelstandes sollten durch das CO2Gebäudesanierungsprogramm ausgebaut werden. Dabei haben wir den Heizungsbauer, den Elektriker und den Maurer genauso im Auge wie die Fachhochschule. Flexibilität und Kreativität des Mittelstandes sind hier entscheidend. Dadurch werden ganz sicher Arbeitsplätze geschaffen. Die Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen ist aber nur ein Aspekt. Wichtig ist des Weiteren, dass die Umwelt geschützt und der CO2-Ausstoß reduziert wird. 35 Prozent der Energie werden bei der Beheizung von Gebäuden verbraucht. Ich sehe das in meinem Wahlkreis besonders deutlich. Der CO2-Ausstoß muss natürlich auch durch einen entsprechenden Kraftwerksbau reduziert werden. Wir bemühen uns mit der Hightechstrategie um eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in diesem Bereich. Die deutsche Kraftwerkstechnologie ist hervorragend. Hier sind wir Weltmeister. Die Ideen haben längst gezündet. Die Wirkungsgrade deutscher Kraftwerke liegen im Durchschnitt bei 50 Prozent. Wenn man die KWK-Anlagen berücksichtigt, dann stellt man fest, dass der Wirkungsgrad sogar bei über 70 Prozent liegt. Das ist ein gutes Verkaufsargument in der Welt. Der Export boomt. Was das CO2-freie Kraftwerk angeht, sind wir mit der Hightechstrategie auf einem guten Weg. Bundesregierung und Industrie arbeiten hier zusammen. ({1}) Wir fördern zudem - das ist für uns wichtig - die erneuerbaren Energien wie die Wind-, die Bio- und die Solarenergie. Die Bundesregierung unterstützt Projekte in diesem Bereich mit insgesamt 77,5 Millionen Euro. Allein im Bereich der Bioenergie werden 10 Millionen Euro investiert. Das schafft Arbeitsplätze. Insgesamt über 175 000 Menschen haben hier einen Arbeitsplatz in qualifizierten Berufen gefunden. Das werden wir in den kommenden Jahren durch unsere Hightechstrategie ausbauen. Mit der Hightechstrategie wird auch die Clusterbildung, die strategische Partnerschaft, gefördert. Universitäten, Forschungsinstitute und die Wirtschaft arbeiten zusammen. Ich will hierfür vier Beispiele benennen. Erstens. Universitäten arbeiten mit kleinen und mittelständischen Betrieben in den Bereichen der Filtertechnik und des ökologischen Bauens zusammen. Zweitens. Die intensive Zusammenarbeit der Energieerzeuger beim CO2-freien Kraftwerk ist entscheidend, vielleicht sogar zukunftsweisend. ({2}) Drittens. Durch die gezielte Förderung der Optiktechnologie waren wir in den vergangenen Jahren erfolgreich. Wir wollen das fortsetzen. Wir sind in diesem Bereich Weltspitze. ({3}) Viertens. Durch die Förderung der Clusterbildung im Informations- und Kommunikationsbereich sind 20 000 Arbeitsplätze in den letzten Jahren entstanden. Frau Sitte, Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass allein in Dresden 11 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen wurden. Hier zünden die Ideen. Das kann man deutlich sehen. Gleiches gilt für den Bereich der Geisteswissenschaften. Es werden aber nicht nur die Wirtschaft und die Hochschulen bedacht, sondern auch die Schulen. Auch Schulprojekte werden gefördert. ({4}) Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Ich habe Schulen besucht, die sich mit der Solarenergie und der Windenergie auseinandersetzen. Die Schüler sind sehr begeistert und arbeiten sehr engagiert. Sie sehen, die Hightechstrategie schafft Tausende von Arbeitsplätzen ({5}) und eine neugierige, eine lernende Gesellschaft. Zusammenfassend kann man sagen: Die Koalition ist auf einem erfolgreichen Wege. Wir wollen durch die Hightechstrategie noch erfolgreicher werden. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir sprechen heute im Wesentlichen über die Hightechstrategie, obwohl wir auch den schönen Antrag zum Forschungsförderprogramm „IKT 2020“, den der Kollege Krummacher erarbeitet hat, zugrunde legen sollten. ({0}) - Ich freue mich immer, wenn auch die Kollegen von der SPD beteiligt sind. Zur Hightechstrategie - insofern will ich die Debatte hier durchaus weiterführen und nicht sprengen - muss ich sagen, liebe Frau Flach: Nach einem Jahr zu sagen, dass ein Forschungsförderprogramm gescheitert sei, ist ein bisschen verfrüht. Eine Forschung kann immer auch Flops erzeugen. Eine Forschung, die keine Flops erzeugt, führt zu nichts anderem als zur Reproduktion des Status quo. ({1}) Aber was wir hier haben, ({2}) ist meines Erachtens eine kluge strategische Anlage in einem extrem komplexen Gebiet. Wir haben zum ersten Mal eine integrierte Strategie, die die Ministerien und die Fachbereiche sowie die unterschiedlichen Strategieansätze umfasst. ({3}) Wir haben eine Strategie, die systematisch auf dem aufbaut, was wir wissen. ({4}) Wir haben den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit vorliegen. Die SWOT-Analyse - auf Deutsch gesprochen: die Analyse der Schwächen, Stärken, Chancen und Risiken - haben wir in der Hightechstrategie ausgewiesen. Daraus entstehen die Programme, die gezielt auf die kritischen Stellen ausgerichtet sind. Dies alles ist integriert über die Felder der Techniken, wobei wohldefinierte Prioritäten und Handlungsstrategien festgelegt sind. Das ist die eine Hälfte. Jetzt kann man über die einzelnen Programme sprechen. Ich finde es prima, dass immer wieder neue Ideen kommen. Forschung lebt von neuen Ideen. ({5}) Die Demenzforschung als Leuchtturm anzuführen, ist wichtig. Ich könnte mir vorstellen, dass wir bei unserem prächtigen und freundschaftlichen Verhältnis zu den Bundesländern gelegentlich über die gesamte klinische Forschung sprechen. Die Investitionen der Länder in die klinische Forschung belaufen sich auf über 2,5 Milliarden Euro im Jahr. Wir haben protokollierte Forschungen in Kliniken von weniger als 10 Prozent. Wenn wir dies steigern könnten, dann wäre das ein Fortschritt für unsere Forschungslandschaft, nicht nur für die Statistiken der Länder. Das würde die Wirklichkeit verändern. Ich finde es gut, dass wir neue Punkte ansprechen. Lieber Herr Röspel, wir können auch historische Debatten darüber führen, wer die Umwelttechnik wann so prächtig entwickelt hat. Wir waren schon 1989 mit großem Abstand Weltmarktführer bei der Umwelttechnik. ({6}) - Wenn Sie auch in der Opposition waren, so waren wir damals wenigstens für Ihre moralische Unterstützung dankbar. ({7}) Es gibt hier zahlreiche technologische Einzelbereiche. Was mir aber besonders wichtig erscheint - wir müssen jetzt aufpassen, was noch weiter entwickelt werden kann -, sind die Querschnittsbereiche. Frau Sitte, Sie waren ein wenig skeptisch in Bezug auf die öffentliche Nachfrage. England hat ein prächtiges Programm aufgelegt, das die öffentliche Nachfrage nach Innovationen stimuliert. Im TA-Bericht, den wir im April erhalten haben, sind die Bereiche querschnittsartig dargestellt. Es ist eine faszinierende Idee, an der öffentlichen Nachfrage, die 260 Milliarden Euro pro Jahr für Innovationen umfasst, anzusetzen. Es genügt nicht, dass sich sechs Ministerien verabreden, verstärkt neue Technologien einzukaufen - das haben sie getan -, was an sich prima ist. Es geht darum, das ganze Volumen der innovativen Beschaffung zu vergrößern. Die Querschnittsfrage zielt auch auf Normen und Standards. Mit dem DIN-Institut werden wir eine gemeinsame Strategie entwickeln. Außerdem geht es um die Frage, wie man die Normen und Standards in der Nanotechnologie dahin gehend entwickeln kann, dass Techniken verantwortbar sind. ({8}) - Ich zitiere aus dem Fortschrittsbericht. Nur am Rande sei bemerkt: Ich formuliere keinen einzigen eigenen Gedanken, ({9}) sondern ich verlasse mich auf die Weisheit der Bundesregierung, was enorm entspannt und intellektuelle Aufwendungen erspart. ({10}) Wir haben hier über wissensbasierte Dienstleistungen gesprochen und diese Sache damit zum ersten Mal wirklich systematisch behandelt. Entsprechende Ansätze gab es schon vor 15 Jahren; doch damals war die Zeit dafür noch nicht reif. Auch wenn 70 Millionen Euro, die bis 2009 für das Programm „Innovationen für Dienstleistungen“ zur Verfügung stehen, nicht viel Geld sind, besteht jedenfalls die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen, das wir uns gesetzt haben, nämlich auf dem Gebiet der wissensbasierten Dienstleistungen für dieselbe Exzellenz zu sorgen, die im Bereich der Produktion geschaffen worden ist. Diese Querschnittsbereiche sind am schwersten zu organisieren. Das zu schaffen, wird eine wichtige Aufgabe sein. Ich bin gespannt, was im Zweiten Fortschrittsbericht stehen wird. Ich finde es prima, wenn man Fortschrittsberichte sauber schreibt. Ich finde es auch prima, dass sich die Länder entschlossen haben, gemeinsam mit der Wissenschafts- und der Wirtschaftsministerkonferenz regelmäßig Berichte vorzulegen, aus denen hervorgeht, was sie zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels beitragen. Ich wäre glücklich, wenn sich die Finanzministerkonferenz die gleichen Ziele setzte und an der Erreichung dieser Ziele mit der gleichen Leidenschaft, die die Regierung sonst auszeichnet, arbeitete. ({11}) Ich freue mich über unseren Finanzminister. Er ist sehr innovativ. Ich komme auf das Wagniskapital zu sprechen, das Sie, liebe Frau Kollegin Hinz, angemahnt haben. ({12}) - Wenn Sie mir noch drei Minuten Redezeit geben, dann erläutere ich Ihnen das im Einzelnen. - Was das Wagniskapital angeht, sieht die Sache so aus: Wir haben hier - darüber haben wir das letzte Mal diskutiert - gegenüber den ersten Entwürfen der Beamten des Finanzministeriums eine Menge Fortschritte erreicht. Dank der wichtigen und vielseitigen Anregungen der Sachverständigen in der Anhörung sind wir jetzt in einer zweiten Runde konstruktiver und zielführender Gespräche, um an einigen Stellen, beispielsweise bei den Business-Angels, noch ein bisschen weiterzukommen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Flach, Sie machen mich hier gerade ein bisschen an, ({0}) soweit das plenartechnisch möglich ist. Sie haben die Verbesserung der Stimmung hier etwas kritisch apostrophiert. ({1}) - Vielen Dank. Dann sind wir uns einig: Es ist prima, dass die Stimmung besser geworden ist. Luther hat dazu Grundsätzliches gesagt, was ich aus Respekt vor dem Hohen Hause nicht wiederholen kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie sind schon zwei Minuten über die Redezeit.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich bitte sehr um Nachsicht. - Ich werde Luther nicht zitieren. Luther spricht sich für mehr Fröhlichkeit aus. Ich meine die Geschichte von dem traurigen Arsch; Sie erinnern sich. Ich verweise auf das, was entsteht, wenn wir mit dem fröhlichen Unternehmungsgeist in die Zukunft schreiten, der diese Regierung und, wie ich hoffe, insbesondere den Finanzminister auszeichnet. Lassen Sie uns gemeinsam mit dem Geist, den Frau Schavan hier gezeigt hat, an die Sache herangehen! Dann wird sich die Strahlkraft, die diese Große Koalition generell entfaltet, in der Gemeinschaft der deutschen Wissenschaftler, Forscher und Unternehmer ausbreiten. Wir haben nur noch zwei Jahre Zeit, bevor wir vielleicht wieder getrennte Wege gehen, wenn es der Wähler will. Es gilt, die Zeit bis dahin zu nutzen und Fröhlichkeit, Unternehmungsgeist, Tatkraft und Entscheidungsfreudigkeit im Land zu verbreiten. An der Erreichung dieses Ziels sollten wir gemeinsam mit Herzlichkeit und Entschlossenheit arbeiten. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In der Tat werden wir die angesprochenen Fragen fröhlichen Herzens angehen, auch die steuerlichen Fragen. Natürlich müssen wir überlegen - Geld kann man schließlich nur einmal ausgeben -, welches Projekt wir fördern und was wir in anderen Bereichen machen werden. Aber, liebe Frau Flach, ich bin dem Kollegen Riesenhuber sehr dankbar, dass er mir ein bisschen Redezeit geschenkt hat, indem er darauf verwiesen hat, dass am 1. Januar 2008 das Wagniskapitalbeteiligungsgesetz in Kraft treten wird. Das scheint der FDP entgangen zu sein. ({0}) Ich würde gerne mit euch darüber diskutieren, worüber wir mit Frau Hendricks diskutiert haben. Sie hat eine ganz hervorragende Arbeit im Bundesfinanzministerium geleistet. Man hört, dass es demnächst mit der Kollegin Kressl eine Nachfolgerin geben wird, mit der wir diese Fragen ebenfalls ganz vorurteilsfrei diskutieren können. Aber eines ist klar: Geld kann man nur einmal ausgeben. ({1}) Die Frage ist nur, ob wir es zielgerichtet ausgeben. ({2}) - Entschuldigen Sie, das war schon immer unsere Erkenntnis. Deshalb haben wir weniger Schulden aufgetürmt als ihr in eurer Regierungszeit. ({3}) Es ist völlig klar, dass die Sozialdemokraten schon immer besser mit Geld umgehen konnten als die Liberalen. Aber da war eine Zwischenfrage.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, würden Sie mich jetzt zu Wort kommen lassen? - Ich möchte Sie fragen, ob Sie diese Zwischenfrage zulassen?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich antworte uneingeschränkt mit Ja.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Tauss, ist Ihnen bekannt, ({0}) dass sich die beiden Regierungsfraktionen nicht auf ein Wagniskapitalbeteiligungsgesetz zum 1. Januar 2008 geeinigt haben, dass das Projekt vielmehr verschoben wurde?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, dieses Projekt ist, wie Sie wissen, auf einem hervorragenden Weg. Sie werden erleben, dass wir das Wagniskapitalbeteiligungsgesetz in der Form voranbringen, wie Sie es sich möglicherweise auch wünschen. ({0}) Die Debatte hat gezeigt, dass wir im Rahmen der Hightechstrategie viele wichtige Themen benennen. Die Opposition muss zwar immer ein bisschen mäkeln, aber es hat mich schon gewundert, dass sie jetzt gerade an diesen Feldern herumgemäkelt hat. Es sind in der Tat ein paar mehr - insgesamt 17 - Felder vorgestellt worden, und es ist nicht bei allen so, wie es hier dargestellt wurde. Ich will beispielsweise den Bereich der Gesundheit nennen. Diesbezüglich wurden einige Punkte angesprochen. Man kann sagen, dass man im Gesundheitsbereich nichts machen muss, weil die Pharmaindustrie gut Geld verdient. Trotzdem nehmen wir eine Pharmainitiative in Angriff. Ich finde das gut; denn ein Großteil der Pharmaunternehmen in Deutschland sind mittelständische Unternehmen, die hervorragende Produkte auf den Markt bringen. So einfach können wir es uns also nicht machen. Wir widmen uns jetzt auch den Kompetenzzentren für Demenz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist daran zu bemängeln? Dafür gibt es doch Bedarf in dieser Gesellschaft. ({1}) Wir sollten an dieser Stelle deutlich machen, dass genau die richtigen Herausforderungen in Angriff genommen werden. Zum Thema Energie. Frau Kollegin Hinz, warum kritisieren die Grünen zum Beispiel, dass wir den Klimaschutz - der Kollege Grasedieck hat das im Einzelnen vorgestellt - in den Mittelpunkt unserer Hightechstrategie stellen? In Bezug auf die innere Sicherheit gibt es in der Tat noch Fragen. Die Bürgerrechte müssen geschützt werden. Wir fragen - Kollegin Aigner hat aufmerksam zugehört, weil Herr Beckstein als Innenminister diesbezüglich manchmal anderer Auffassung war -, was zu mehr und was zu weniger Freiheit führt. ({2}) Wohin führt es, wenn wir unsere Fingerabdrücke an allen Stellen hinterlegen? Wir hatten gerade eine Konferenz, auf der wir das miteinander diskutiert haben. Ich glaube, zur Hightechstrategie gehört auch die Technikfolgenabschätzung in all diesen Bereichen. ({3}) Die anderen Punkte will ich nicht alle benennen; die Themen Nanotechnologie und Mobilität sind angesprochen worden. Das sind die Bereiche, in denen wir erfolgreich sind. Frau Kollegin Hinz, was ist dagegen einzuwenden, wenn wir uns in der Luftfahrt um neue Werkstoffe und Materialien kümmern? ({4}) - Das waren Sie? Jetzt bitte ich um Entschuldigung; das habe ich ein bisschen durcheinandergebracht. ({5}) Diese Kritik fand ich nicht fair. Gerade als PDSNachfolgepartei, die sich links nennt, sollte man wissen, dass in den USA die gesamte Subventionierung der Luftund Raumfahrtindustrie aus dem militärischen Bereich erfolgt. Die Frage ist, ob wir das wollen. Wir machen es anders. Wir fördern Maschinen und Turbinen, wir fördern die leichten Materialien, Verbundwerkstoffe und Ähnliches. Das halte ich für die intelligentere Lösung. Aber das ist auch etwas, bei dem man staatliche Förderung braucht. Von alleine wird das nicht funktionieren; dann könnten wir in diesem Bereich aufhören. ({6}) Die Initiative „Clean Sky“, bei der es um die Luftverschmutzung durch Luftverkehr geht, ist eine zentrale klimapolitische Herausforderung der nächsten Jahre. Ich will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. In anderem Zusammenhang müssen wir natürlich auch über die Hightechinitiative reden. Sie haben den Stifterverband angesprochen. Nichts dagegen! Nur, eines muss man den Herren vom Stifterverband einmal sagen: Wenn es richtig ist, dass der Fachkräftemangel die zentrale Herausforderung in den nächsten Jahren ist, dann muss man dem doch Rechnung tragen. Ich bin sicher: Das ist die zentrale Herausforderung. Wir haben es gestern im Forschungsausschuss anhand des TAB-Berichts diskutiert. Das größte Risiko für den Standort Deutschland in den nächsten Jahren sind nicht Lohnnebenkosten und hohe Löhne der unbotmäßigen Beschäftigten - das haben wir jahrelang gehört -, das größte Risiko ist vielmehr der Fachkräftemangel. Also müssen wir uns um diese Frage kümmern. Die Industrie beklagt den Ingenieurmangel. Da frage ich mich: Wo ist die Industrie, die sagt: „Jetzt nehmen wir Mittel für 50 000 Stipendien in die Hand; 25 000 jungen Frauen und 25 000 jungen Männern geben wir über Stipendien Zuschüsse zum Studium“? ({7}) Man kann nicht immer nur Vorträge darüber halten, was man tun könnte, tun müsste oder tun sollte. Ich erwarte von der deutschen Industrie jetzt endlich namhafte Beiträge statt Gejammer über Fachkräftemangel; das kann man nämlich nicht mehr hören. ({8}) Die Länder sind genauso gefordert. Das ist auch so ein Pünktchen, über das wir einmal diskutieren müssen. Ich komme aus Baden-Württemberg. Da sagte der Ministerpräsident kürzlich in einer Diskussion zum Thema „Lehrerinnen und Lehrer“, zum Thema „Wir müssen alle Talente fördern“: In Bade-Württemberg sind mehr Lehrer net drin. - Auf Deutsch: In Baden-Württemberg will man sich nicht mehr Lehrer leisten. - Diese Herangehensweise des Exportlandes Nummer eins ist eine glatte Katastrophe. Es kann doch nicht sein, dass ein Ministerpräsident heute ernsthaft sagt: „Mehr Lehrer sind nicht drin“ und in den Schulbetrieb mehr Ehrenamtliche bringen will. Das sind Dinge, die nicht passen. Das sind große Risiken für das Wirtschaftswachstum und den Standort. Aus diesem Grunde müssen wir mit denen, die in den Ländern, egal an welcher Stelle, eine Bildungspolitik betreiben, die nichts taugt, stärker diskutieren. Wir müssen vonseiten des Bundes die Impulse geben, die wir nach der Föderalismusreform in den Bereichen Wissenschaft, Hochschulen und Forschung noch geben können. Das tun wir, auch mit der Hightechinitiative. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 6 a. Interfraktionell wird Über- weisung der Vorlage auf Drucksache 16/6900 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 6 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung auf Drucksache 16/6923. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak- tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5900 mit dem Titel „IKT 2020: gezielte Forschungsförderung für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfel- der im Bereich der Informations- und Kommunika- tionstechnologien“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grü- nen, von der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5899 mit dem Titel „Innovationsfähig- keit stärken durch Bildungs- und Forschungsoffensive“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp- fehlung ist mit Stimmen von SPD, CDU/CSU, bei Ge- genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktionen Die Linke und der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Jahressteuergesetzes 2008 ({0}) - Drucksachen 16/6290, 16/6739 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksachen 16/6981, 16/7036 Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Dr. Volker Wissing Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6988 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({3}) Otto Fricke Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Steuerklasse V abschaffen - Lohnsteuerab- zug neu ordnen - zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE Entfernungspauschale vollständig anerken- nen - Verfassungsmäßigkeit und Steuerge- rechtigkeit herstellen - zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Steuervereinfachung - Lohnsteuerklassen III, IV und V abschaffen - Drucksachen 16/6396, 16/6374, 16/3023, 16/6981, 16/7036 - Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Dr. Volker Wissing c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion DIE LINKE Verbesserung der Statistik zur Lohn- und Ein- kommensteuer, Umsatzsteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer - Drucksachen 16/3025, 16/4274 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. h. c. Hans Michelbach d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten Oskar Lafontaine, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Steuerpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmäßig prüfen - Drucksachen 16/3699, 16/5693 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Frechen Zu dem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Lesung des Jahressteuergesetzes 2008 bringen wir ein Gesetzgebungsprojekt zu Ende, das der Umsetzung einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen im Steuerrecht dient. Im Vordergrund stehen neben fachlich gebotenen Einzelregelungen erneut der Bürokratieabbau und die Steuerrechtsvereinfachung. Eine für alle Bürger sichtbare Entlastung ist die Abschaffung der Kartonlohnsteuerkarte im Jahr 2010 und die damit verbundene Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale ab 2011. Von diesem modernen Verfahren profitieren auch die Arbeitgeber. Ihnen werden die Lohnsteuerabzugsmerkmale für ihre Arbeitnehmer maschinell verwertbar zur Verfügung gestellt. Dies entlastet die Unternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von rund 280 Millionen Euro. Auch die Kapitalertragsteueranmeldung wird auf ein elektronisches Verfahren umgestellt. Die Neuregelung, die erstmals für Erträge ab dem Jahr 2009 gilt, entlastet die Unternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von knapp 4 Millionen Euro. Mit dem vorliegenden Text zur Neuregelung des § 42 der Abgabenordnung - da geht es um den Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten - wird der Begriff des Missbrauchs gesetzlich klar definiert und die Beweislastverteilung zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen geregelt. Damit wird eine eindeutige Prüfungsreihenfolge zur Feststellung eines Missbrauchs und somit eine handhabbare Vorschrift geschaffen, die dazu dienen kann, auf eine Vielzahl von Einzelvorschriften zu verzichten - wenn auch der Bundesfinanzhof das in seiner Rechtsprechung so sieht. ({0}) Hervorzuheben ist ferner die künftige Umsatzsteuerbefreiung der Leistungen der Jugendhilfe. Hiermit wird der Weiterentwicklung der Leistungen und des Angebotsspektrums der Kinder- und Jugendhilfe in den letzten 20 Jahren Rechnung getragen. Damit stehen auch in diesem Steuerrechtsbereich das Kind und der präventive Schutz vor Gefahren für das Kindeswohl im Mittelpunkt. ({1}) Nicht mehr enthalten im Gesetzespaket ist die Einführung des sogenannten optionalen Anteilsverfahrens, also des Steuerklassenwahlverfahrens, für Ehegatten. Hiermit sollte schon beim Lohnsteuerabzug mit der Eintragung eines Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte den tatsächlichen Verhältnissen der Vielzahl von Arbeitnehmerehegatten besser Rechnung getragen werden. Die Koalitionsfraktionen beabsichtigen allerdings, in einem nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren, ebenfalls mit Wirkung ab 2009, ein geeigneteres Anteilssystem einzuführen. Die Bundesregierung wird selbstverständlich bei den damit verbundenen Arbeiten konstruktiv mitwirken. Das kann ich meiner Nachfolgerin schon einmal mit auf den Weg geben. ({2}) Mit der Abschaffung der zweijährigen Frist bei der Arbeitnehmerveranlagung zur Einkommensteuer wird ein Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen. Der Wegfall dieser Frist führt zu einem erheblichen Bürokratieabbau. Mit einer Änderung im Altersteilzeitgesetz wird klargestellt, dass die Steuerfreiheit der Aufstockungsleistungen zum Entgelt und zu den Rentenversicherungsbeiträgen nicht von einer Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit abhängt. Damit ist eindeutig, dass die Steuerfreiheit auch für Altersteilzeit gilt, die nach dem 31. Dezember 2009 vereinbart wird. Damit ist schon jetzt in diesem Bereich Rechtsklarheit geschaffen. Das vorliegende Gesetzespaket sieht auch die Einbeziehung der Beförderungen von Personen mit Bergbahnen in den ermäßigten Umsatzsteuersatz vor. Meiner Auffassung nach haben wir ordnungspolitisch schon überzeugendere Regelungen getroffen. ({3}) Letztlich müssen sich Produkte und Dienstleistungen ohne dauerhafte steuerliche Subventionen am Markt bewähren. Die Erfahrung zeigt, dass sie dies im Fall der Bergbahnen auch tun, da der Gesetzgeber bereits bei den parlamentarischen Beratungen des Umsatzsteuergesetzes 1967, also in der Verantwortung des Finanzministers Dr. Franz Josef Strauß, den Punkt einer umsatzsteuerlichen Begünstigung der Beförderungen mit Bergbahnen, auch vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfrage mit dem Nachbarland Österreich, erörtert und nicht aufgegriffen hatte. Unsere Bergbahnen fahren also seit Jahrzehnten mit dem Regelsteuersatz. Ich hätte mir in dieser Frage etwas mehr ordnungs- und subventionspolitische Stringenz, insbesondere in den Reihen unserer christsozialen Freunde, gewünscht. - Da musst du jetzt einmal durch, Eduard. ({4}) Mit Interesse schaue ich auf die Zusage der Branche, die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Seilbahnen im Rahmen der nächsten Tarifanpassung in Form von Fahrpreissenkungen an die Endverbraucher weiterzugeben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss sich doch einmal die Frage stellen: Was bringt dieses Jahressteuergesetz eigentlich den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land? ({0}) Was haben die Menschen davon? Diese Frage hätten auch Sie seitens der Koalitionsfraktionen sich einmal stellen müssen; denn Sie haben uns hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den sich allenfalls die Verwaltung in Deutschland freuen kann. Sie verändern das Steuerrecht an nahezu 200 Stellen und führen ganz erhebliche Erleichterungen für den Staat ein. Aber die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben Sie nicht im Blick; für diese tun Sie wieder einmal nichts. ({1}) Im Gegenteil: Sie tun nicht nur nichts, sondern machen es den Menschen in diesem Land sogar noch schwerer. Nehmen Sie § 42 der Abgabenordnung. Dies ist ein echtes Kabinettsstückchen dieser Koalition. Sie unterstellen einfach, dass es in Deutschland in zunehmendem Maße missbräuchliche Steuergestaltungen gibt, obwohl Sie dazu keinerlei Informationen haben. Um es der Verwaltung so leicht wie möglich zu machen, führen Sie eine völlig unklare gesetzliche Regelung ein. Sie setzen die Steuerzahler damit einer erheblichen Rechtsunsicherheit aus. Aber selbst das reicht Ihnen noch nicht. Zur Freude der Verwaltung und gegen die Interessen der Menschen drehen Sie auch noch die Beweislast um. Künftig muss jetzt nicht mehr die Verwaltung beweisen, dass Missbrauch vorliegt. ({2}) Nein, die Steuerzahler sollen beweisen, dass sie bestimmte Gestaltungen nicht aus steuerlichen Gründen gewählt haben. ({3}) Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht, was Sie dem Investitionsstandort Deutschland mit einem solchen Gesetz antun? Rechtssicherheit und verlässliche Steuergesetze, Kontinuität im Steuerrecht, das ist ein ganz wesentlicher Standortvorteil. Genau diesen Standortvorteil bauen Sie in der Großen Koalition systematisch ab. Ihr Jahressteuergesetz ist eine Zumutung für den Investitionsstandort Deutschland. ({4}) Wir haben eben eine Forschungsdebatte geführt. Jetzt beraten wir einen Gesetzentwurf, mit dem Sie den Forschungsstandort Deutschland weiter schwächen. ({5}) Es ist absurd, was Sie uns hier vorlegen. Sie gefährden damit Arbeitsplätze. Deswegen ist dieses Gesetz völlig ungeeignet, das Steueraufkommen zu sichern. Künftig werden Investoren bei uns darauf angewiesen sein, dass ihnen die Verwaltung vorab verbindlich mitteilt, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht. Aber das Schlimme ist: Sie haben vergessen, in Ihrem Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass die Steuerzahler einen Auskunftsanspruch gegenüber der Verwaltung haben. ({6}) Sie machen Steuergesetze für die Verwaltung und ganz bewusst gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger. ({7}) Nehmen Sie die Pendlerpauschale. Was wurde da alles versprochen! Die SPD hat große Ankündigungen gemacht. ({8}) Es war schon bemerkenswert, wie mutig sich einige aus Ihren Reihen geäußert haben, ohne vorher den Finanzminister um Erlaubnis zu fragen. ({9}) Aber die Quittung haben Sie prompt bekommen. Sie hätten dies wissen müssen, bevor Sie die Menschen unnötig verunsichern. Die Lage in Deutschland ist klar: Gesetzesänderungen im Interesse der Steuerzahler lehnt dieser Minister ab. Basta! Da ist kein Platz für Vorschläge zur Vereinfachung des Steuerrechts. Es ist auch kein Platz für Vorschläge zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Verbesserungen für die Verwaltung ja, Erleichterungen für die Bürger nein, genau das ist der Maßstab für die Finanzpolitik dieser Regierung. ({10}) Mit Ihrer Steueridentifikationsnummer greifen Sie weiter massiv in den Datenschutz ein. Sie setzen den finanzpolitischen Überwachungsstaat voll auf die Schiene. Die Union nickt alles brav ab. Von Gesetz zu Gesetz entfernen Sie sich von Ihrem Wahlprogramm. Sie beschließen diese Zumutung für Unternehmen, Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land fleißig mit. ({11}) Mit diesem Jahressteuergesetz wird das Steuerrecht weder einfacher noch transparenter. ({12}) 200 Vorschriften in 30 Gesetzen werden geändert. Das Ziel der Vereinfachung wird total verfehlt. Die Erwartungen der Menschen, dass Sie die Fehler Ihrer Unternehmensteuerreform korrigieren, waren groß. Auch das ist Ihnen nicht einmal ansatzweise gelungen. CDU/CSU und SPD haben dafür gesorgt, dass der Handel künftig Steuern auf seine Mietzahlungen leisten muss. Das ist ein aktiver Beitrag zur Schwächung des Einzelhandels in den deutschen Innenstädten. ({13}) Genau dort sind die Mieten nämlich besonders hoch. Ihre Absenkung des steuerpflichtigen Teils von 75 auf 65 Prozent - das bleibt im Übrigen weit hinter dem zurück, was die Union den Wählerinnen und Wählern versprochen hat - ist reine Kosmetik und löst nicht einmal ansatzweise das Problem. Diese Politik zeugt von einer erheblichen Arroganz gegenüber den Belangen des Einzelhandels. CDU/CSU und SPD tragen damit die volle Verantwortung für leerstehende Läden in den deutschen Innenstädten. Während Ihre Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker vor Ort um jeden Laden, der die Innenstadt belebt, kämpfen, setzen Sie mit Ihrer Substanzbesteuerung zum Kahlschlag gegen den Einzelhandel in Deutschland an. ({14}) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Chance nutzen, mit diesem Jahressteuergesetz Verbesserungen auf den Weg zu bringen. Dazu waren Sie nicht ansatzweise in der Lage. Es ist Ihnen nicht einmal gelungen, etwas für die Eheleute zu tun, um ihnen eine Alternative zur problematischen Steuerklasse V zu bieten. Auch das haben Sie nicht geschafft. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass Sie die Erleichterungen und Verbesserungen für die Bürger verschieben, vertagen und die Belastungen in die Gesetze schreiben. Die einzige Innovation, die dieses Gesetz mit sich bringt, ist die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für Bergbahnen. Das ist schon ein bemerkenswerter Schritt für eine Große Koalition. ({15}) Sie haben es bisher nicht geschafft, einen Vorschlag zur Überarbeitung des Mehrwertsteuersystems vorzulegen. Aber Sie haben mit diesem Gesetz wenigstens eines bewiesen, nämlich dass Ihr Finanzminister völlig danebenliegt, wenn er immer wieder behauptet, eine grundlegende Überarbeitung der vollen und verminderten Mehrwertsteuersätze in Deutschland sei nicht möglich. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Jahressteuergesetz 2008 enthält eine Vielzahl sinnvoller Regelungen, um unser Steuerrecht auch für die Zukunft fit zu machen. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 werden wir einen Beitrag zur weiteren Absenkung der Bürokratiekosten in diesem Land in Höhe von fast 300 Millionen Euro leisten. Natürlich sind wir vom Idealzustand noch ein ganzes Stück entfernt. Der effektivste Schutz vor missbräuchlichen Steuergestaltungen wäre immer noch ein einfaches und damit auch ein gerechtes Steuersystem. ({0}) Aber zurück zum Jahressteuergesetz 2008. Die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale und der damit verbundene Wegfall von circa 40 Millionen Papierlohnsteuerkarten wie auch die Umstellung der Anmeldung zur Kapitalertragsteuer auf das elektronische Verfahren führt zu einer bürokratischen Entlastung nicht nur beim Bürger, sondern - da haben Sie recht auch bei der Finanzverwaltung. Den Menschen in unserem Land können wir sagen, dass die datenschutzrechtlichen Bedenken, die mit der Einführung der elektronischen Lohnsteuerkarte verbunden sind, berücksichtigt wurden. Die Bürger haben mit Recht einen Anspruch darauf, dass ihre Daten nur berechtigten Personen zugänglich sind. Dafür haben wir gesorgt; dies wird sichergestellt. Den Kritikern muss gesagt werden: Es geht hier nicht um die Schaffung des gläsernen Steuerbürgers. Denn die Finanzverwaltung wird auch zukünftig mit der Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale nur die Daten erhalten, die sie bisher schon auf den papierenen Lohnsteuerkarten erhalten hat und die schon bekannt sind. Insgesamt haben wir den ursprünglichen Regierungsentwurf im parlamentarischen Verfahren geradezu einer Kernsanierung unterzogen. Nach Anhörungen und Beratungen haben wir über 40 Änderungen am ursprünglichen Gesetzentwurf vorgenommen, unter anderem auch - Herr Kollege Wissing, das hätten Sie eigentlich merken müssen - beim § 42 AO. Das zeigt vor allem auch, dass dieses Parlament die Gesetze macht, ({1}) nicht nur eine Notarfunktion hat und die Entwürfe der Bundesregierung nicht einfach nur abnickt. ({2}) Auf eine ursprünglich geplante wichtige Einzelmaßnahme mussten wir im Rahmen dieser Beratungen verzichten. Es stellte sich beim Gesetzgebungsverfahren heraus, dass das Anteilsverfahren schlicht ungeeignet ist. Besonders die notwendige Mitteilung des jeweils entsprechenden Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte und die damit verbundene Kenntniserlangung des Arbeitgebers vom Einkommen des jeweiligen Ehepartners sind aus datenschutzrechtlichen Erwägungen nicht tragbar gewesen. ({3}) Die Zielrichtung war trotzdem richtig. Wir müssen die Steuerlast der Ehepartner senken, damit auch die Frauen - sie haben in der Regel das geringere Einkommen - einer Berufstätigkeit rentabel nachgehen können. Deshalb haben wir uns zusammen mit dem Koalitionspartner entschlossen, dass wir auf eine Lösung der Probleme der Lohnsteuerklasse V hinarbeiten und diese bis zum 1. Januar 2009 finden werden. Wir werden damit eine zusätzliche Alternative zur Lohnsteuerklasse V zur Verfügung stellen. Die weiteren Beratungen werden zeigen, ob dabei auf das Durchschnittssteuersatzverfahren zurückgegriffen wird oder ob wir ein anderes Modell finden. Das Jahressteuergesetz 2008 trägt insbesondere beim Wegfall der ursprünglich geplanten massiven Begrenzung des Sonderausgabenabzuges bei der vorweggenommenen Erbfolge die Handschrift der CDU/CSUFraktion. Der Sonderausgabenabzug bei der Übertragung von GmbH-Anteilen durch den Gesellschafter-Geschäftsführer bleibt erhalten. Das ist gerade für unsere Mittelständler wichtig, von denen viele ihre Betriebe in Form einer GmbH betreiben. Im Sinne unserer Landwirte werden wir dafür sorgen, dass der Wohnteil bei der Übergabe des Hofes auch zukünftig einbezogen wird. ({4}) Uns war in diesem Zusammenhang wichtig, dass der ursprünglich vorgesehene Wegfall des Sonderausgabenabzuges nach fünf Jahren gestrichen wurde. Das bedeutet: Altverträge haben unbeschränkt Bestandsschutz. Das ist eine ganz wichtige Änderung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Für die Pauschalbesteuerung nach § 37 b des Einkommensteuergesetzes, also für den Fall, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer Zuwendungen zukommen lässt, müssen wir noch eine sinnvolle Lösung finden. Es ist kaum verständlich, dass der Arbeitgeber beispielsweise bei einer Einladung verdienter Mitarbeiter ins Stadion zwar den erheblichen Steueranteil pauschaliert abführen kann, danach aber die Sozialversicherungsbeiträge individuell berechnet und abgeführt werden müssen. Wir müssen uns in den nächsten Monaten noch einmal zusammensetzen und versuchen, auch in diesen Fällen eine Pauschalierung der Sozialversicherungsbeiträge hinzubekommen. Nur so macht die Pauschalbesteuerung nach § 37 b des Einkommensteuergesetzes Sinn. ({5}) Es bleibt festzuhalten, dass mit dem Jahressteuergesetz 2008 notwendige und richtige Änderungen, Korrekturen und Anpassungen vorgenommen wurden. Ich weiß, dass dieses Gesetz viele Einzelpunkte - es sind mehr als 200 - enthält. Ich habe Verständnis für diejenigen, die bei über 200 Änderungen zunächst einmal die Luft anhalten, vielleicht sogar stöhnen. ({6}) Das geht uns selbst nicht anders. Wer aber genau hinschaut, kann erkennen, dass das Jahressteuergesetz 2008 in wesentlichen Teilen Erleichterungen und Vereinfachungen mit sich bringt, und zwar nicht nur für die Verwaltung, sondern gerade auch für die Steuerbürger in unserem Land. Deswegen ist dieses Gesetz zu begrüßen. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gutting, das Jahressteuergesetz 2008 ist nicht mehr und nicht weniger als eine verpasste Chance zur Widerherstellung von sozialer Gerechtigkeit. ({0}) - Nein, das ist genau die richtige Einschätzung, Herr Oswald. Es ist ein dickes Gesetz, 43 Änderungen, viele redaktionelle Änderungen und spärliche Versuche zur Vereinfachung und Rechtsangleichung. An einer Stelle wurde sogar Lernfähigkeit nachgewiesen, und zwar mit der Rücknahme des Anteilsverfahrens. Herr Gutting, nach Ihren Ausführungen ist ganz klar: Die einzig vernünftige Lösung ist der konsequente Übergang zur Individualbesteuerung im Einkommensteuerrecht. Das kann man hier festhalten. ({1}) Wenn Sie das bis zum 1. Januar 2009 hinbekommen, werden Sie unsere volle Unterstützung haben. Dieser Gesetzentwurf zeigt aber auch das offensichtliche Nachgeben gegenüber dem Druck der Lobbyverbände, indem die Unternehmensteuerreform 2008, die erst ab dem 1. Januar des nächsten Jahres gilt, schon jetzt wieder verändert wird, und zwar wird die Berechnungsgrundlage für die Gewerbesteuer verändert. Der Satz für die neu aufgenommene Hinzurechnung von Mieten und Pachten wird schon jetzt von 75 auf 65 Prozent herabgesetzt. Nur nicht die Unternehmensseite zu stark belasten, das ist Ihr Credo. Nebenbei muss man natürlich bemerken, dass die Finanzbeamtinnen und -beamten mit Ihrem Gesetz sehr viel Arbeit haben werden. Ich hoffe, dass ihnen genug Zeit eingeräumt wird, sich das alles überhaupt aneignen zu können. Ihre große verpasste Chance besteht darin, dass Sie die Möglichkeit, die Entfernungspauschale wieder voll als absetzbare Werbungskosten anzuerkennen, nicht genutzt haben. ({2}) Deshalb haben wir Ihnen unseren Antrag zur Wiedereinführung vorgelegt. Ich möchte zur Verdeutlichung daran erinnern, dass die Regelung der Entfernungspauschale, wie sie bis zum 1. Januar dieses Jahres galt, dem objektiven Nettoprinzip der Besteuerung verpflichtet war. Danach sind alle Kosten, die eine Steuerzahlerin oder ein Steuerzahler hat, um ihr oder sein Einkommen zu erzielen, vom zu versteuernden Einkommen abziehbar. Es handelt sich um die real entstandenen Kosten der Berufstätigkeit. Das sind keine privaten Aufwendungen. Dessen ungeachtet definiert die Bundesregierung - die Regierungskoalition folgt ihr - das einfach neu. Sie werden nicht mehr zu Werbungskosten gezählt, sondern sind jetzt reine Privatangelegenheit. Die Begrenzung der Pendlerpauschale sei damit Subventionsabbau, so die Staatssekretärin im Petitionsausschuss am 9. Oktober dieses Jahres. Da fragt man sich natürlich: Wenn die Fahrtkosten jetzt nichts mehr mit der Erwerbstätigkeit zu tun haben und keine Werbungskosten mehr sind, wie ist denn das eigentlich mit Fachbüchern, mit Computern oder mit den Kinderbetreuungskosten, die wir ja zu den Werbungskosten neu hinzuzählen? Werden sie dann vielleicht auch im Rahmen des Subventionsabbaus im nächsten oder übernächsten Jahr gestrichen? ({3}) Das alles ist möglich. Das ist das grundsätzliche Problem. Verfassungsmäßig stellt sich zudem noch die Frage des spezifischen Umganges mit der Entfernungspauschale. Sie haben sie ja nicht vollständig gestrichen, sondern Sie sagen: Ab dem 21. Kilometer darf man sie wieder geltend machen. Dies ist eine ungerechte Behandlung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die man einfach nicht begründen kann. ({4}) Sie begeben sich verfassungsmäßig auch auf sehr, sehr dünnes Eis, weil durch die Absenkung die Gefahr besteht, dass niedrige Einkommen, die am Existenzminimum liegen - das steuerfrei zu stellen ist - besteuert werden. Auch das wird nachzuprüfen sein. ({5}) Nicht nur wir Linke, auch Fachleute und Gerichte haben Ihnen in den letzten Wochen ins Stammbuch geschrieben, dass diese Regelung nicht zu halten sein wird. Die Verfassungsmäßigkeit ist stark anzuzweifeln. Wir sind der Überzeugung, sie ist nicht gegeben. Sie verweisen in den Diskussionen nun einfach immer darauf: Wir warten einmal ab, was das Bundesverfassungsgericht sagt. Herr Steinbrück mahnt Stehvermögen an. Die SPD schob im Oktober noch folgende Begründung hinterher: Wir haben das jetzt so geregelt, weil wir die Verödung der Innenstädte beenden wollen. Da frage ich mich, ob die Gewerbeparks und die Mehrzahl der Arbeitsplätze neuerdings in den Innenstädten liegen. Das ist doch abstrus. Hier wird das umweltpolitische Argument missbraucht. ({6}) Dann fand der SPD-Parteitag statt. Die SPD kam zu der neuen Erkenntnis, dass die Entfernungspauschale so, wie sie jetzt geregelt ist, vielleicht doch nicht gerecht ist und man etwas nachbessern müsse. Herr Spiller hat das betont. Herr Struck hat im Morgenmagazin am 30. Oktober dieses Jahres gesagt: Wir überlegen. Herr Steinbrück sagte sofort: Wir brauchen eine kostenneutrale Regelung, etwas anderes gehe ja überhaupt nicht. Solche Worte habe ich bei der Unternehmensteuerreform vermisst. Da verzichten Sie locker auf Einnahmen in Höhe von 10 Milliarden Euro. ({7}) Dass Sie sich insgesamt sehr unsicher sind, zeigt jetzt der Umgang mit den Lohnsteuerkarten. Es darf nicht mehr abgesetzt werden. Sie sind sich unsicher. Dann gibt es einen Erlass, der besagt: Wer es will, kann es beim Finanzamt auf der Lohnsteuerkarte eintragen lassen. Jetzt haben wir ganz nebenbei heute früh aus der Zeitung erfahren können, dass die Koalitionsrunde das am Sonntag doch nicht so gesehen hat. Es soll in dieser Wahlperiode nicht mehr so gehandhabt werden. Herr Huber hat darauf hingewiesen, dass es sehr gefährlich sei und man diese Regelung zurücknehmen müsse - Sie haben das in der Koalitionsrunde so beschlossen -, alldieweil, wenn Sie vor dem Bundesverfassungsgericht vielleicht Recht bekommen sollten, all die Menschen, die sich das jetzt haben eintragen lassen, dann Geld an die Finanzämter zurückzahlen müssen. Das wäre dann im Wahljahr 2009. Das geht ja nun gar nicht. Da würden die Leute ja ganz kurz vor der Wahl merken, wie sie verschaukelt werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Diesen Umgang lehnen wir ab. Wir fordern Sie auf, in einer namentlichen Abstimmung heute unserem Antrag zuzustimmen und zu zeigen, dass die Wiedereinführung der Entfernungspauschale der einzig richtige Weg ist. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist Kollegin Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann diesem Gesetz an einer Stelle wirklich etwas Gutes abgewinnen. Das betrifft die Bergbahnen. Ich komme nämlich aus Bayern, und daher freue ich mich darüber. Wir haben diesen Punkt auch mehrere Jahre lang eingefordert; ({0}) denn er stärkt unseren Tourismus im Wettbewerb mit Österreich. ({1}) Wenn man sich allerdings die anderen Regelungen anschaut - ich rede jetzt nicht von irgendwelchen redaktionellen Anpassungen, sondern von den Schwerpunkten dieses Gesetzes -, dann sieht man, dass Sie mit diesem Gesetz versuchen, Ihre sehr stümperhafte Steuer- und Finanzpolitik des letzten Jahres ein Stück zu heilen. Man sieht jedoch auch, dass es Ihnen nicht wirklich gelingt. ({2}) An dieser Stelle frage ich mich, was die Finanzbeamten und Finanzbeamtinnen von den Finanzausschussmitgliedern denken, wenn es, wie es hier zu lesen ist, bei der Abgeltungssteuer wieder zu Verschlimmbesserungen kommt. Niemand versteht es. Das Ganze ist sehr komplex. Das Ministerium hat aufgrund dieser hohen Komplexität schon jetzt vorsorglich angekündigt, dass es ein Anwendungsschreiben geben werde. Die Politik, wir in diesem Hause, kennt dieses Anwendungsschreiben zwar nicht, aber es soll den Finanzbeamten diese hochkomplexe Regelung erklären. Ich halte diesen Weg weder für gangbar noch für akzeptabel. Denn es muss im Gesetz vernünftig geregelt werden und nicht in irgendwelchen Anwendungsschreiben. ({3}) Wir haben im Zusammenhang mit der Frage, wie es mit der Pendlerpauschale weitergeht, gesehen, dass hier von Einzelnen aus der Regierung bzw. aus dem Haus Regelungen vorgetragen worden sind, die beinhalten, dass sich die Menschen die Pendlerpauschale nach der alten Regelung eintragen lassen können. Frau Kollegin Höll hat gerade darauf hingewiesen, dass Herr Minister Huber - in Klammern: Bayern - heute klar gesagt hat, Herr Steinbrück solle die Beamten in den Finanzbehörden anweisen, dass es diese Möglichkeit nicht mehr geben solle. Denn man habe Sorge, dass man im Wahlkampf schlechte Karten hätte, wenn man von den Leuten Geld zurückfordern würde. Das halte ich gegenüber den Leuten für eine Unverschämtheit. Sie verunsichern, anstatt zu handeln. ({4}) Sie hätten sich bei der Pendlerpauschale um eine Lösung bemühen müssen, von der wir sicher sein können, dass sie verfassungskonform ist, und sie im Rahmen des Jahressteuergesetzes auf den Weg bringen können. Das wäre sauber gewesen, aber Sie schieben es wieder auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Letzten Endes wird die Politik dann vom Bundesverfassungsgericht und nicht mehr in diesem Hause gemacht. Das halte ich nicht für tragbar, und es schädigt unsere Demokratie und unseren Parlamentarismus insgesamt in Deutschland. ({5}) Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsparagrafen, den Sie zu regeln versucht haben, habe ich festgestellt, dass es ein Stück blanke Kosmetik ist. Wir sehen, dass dieses Hase-und-Igel-Spiel, welches es bei Steuersparmodellen immer gibt, mit diesem Paragrafen mitnichten beendet wird. Vielmehr werden Sie weiterhin hinterherhecheln. Sie lassen die Steuerpflichtigen in dieser Situation allein, weil die Rechtssicherheit nicht hergestellt wird. Sie versuchen dann irgendwie - wie Sie es machen wollen, wissen wir nicht -, die Situation zu lösen. Es wird es aber verkomplizieren, und es löst auch nicht das Problem. Ich darf daran erinnern, dass wir von grüner Seite Vorschläge dazu unterbreitet haben, die aufzeigen, wie es in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten - in diesem Fall positiv - gelöst wurde. Auch bei uns hätte man eine Meldepflicht einführen können. Dann hätten wir eine saubere Lösung, die Rechtssicherheit sowohl für die Finanzbehörden als auch für die Steuerpflichtigen und insbesondere die Unternehmen bedeuten würde. ({6}) Zur modernen Besteuerung von Verheirateten. Die Steuerklassen für Ehepaare sind antiquiert; das wissen wir. Deswegen haben Sie versucht, mit dem Anteilsverfahren ein Stück weit zu heilen. Sie haben es zurückgezogen. Das kann ich nur begrüßen, weil es überhaupt keinen Sinn gemacht hat, was Sie sich da überlegt haben. Nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen, sondern auch wegen anderer Punkte war es ein ganz unbefriedigender Zustand. Diesen Vorschlag einfach zurückzunehmen und stattdessen nichts zu tun, das ist allerdings nicht tragbar. ({7}) Ich kann Sie nur auffordern: Schaffen Sie die diskriminierende Steuerklasse V ab, und gehen Sie den Weg einer Individualbesteuerung mit einem übertragbaren Betrag beim Existenzminimum! Das ist machbar und richtig. Das wäre eine gute Regelung für die Zukunft und ein großer Schritt zur Modernisierung unseres Steuerrechts nach Gesichtspunkten, nach denen die Welt heute funktioniert. ({8}) Wir würden uns wünschen, dass Sie mehr Mut hätten. Was Sie tun, ist leider immer nur Pflasterkleberei auf völlig problematische Dinge, aber keine zukunftsgerichtete Steuerpolitik; das finden wir sehr schade. Aus diesem Grunde müssen wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Gabriele Frechen, SPD-Fraktion.

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch dieser Entwurf eines Jahressteuergesetzes erstreckt sich über die gesamte Bandbreite des Steuerrechts. Viele Änderungen sind redaktioneller Art, enthalten Klarstellungen oder Rechtsbereinigungen. Der Gesetzgeber reagiert auf Entscheidungen, die nicht im Sinne des Gesetzgebers sind, und hebt überflüssige Vorschriften auf. Trotz des großen Umfangs ist es uns gelungen, dabei drei Grundsätze zu beachten: den Abbau unnötiger Bürokratie, die Bekämpfung missbräuchlicher oder unerwünschter Steuergestaltung sowie Verlässlichkeit und Steuergerechtigkeit. Zum Abbau unnötiger Bürokratie gehört ohne Zweifel die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Im Zeitalter der elektronischen Vernetzung hat die Papierlohnsteuerkarte ausgedient. Das ist nicht nur eine Erleichterung für die Arbeitgeber, sondern auch für die Arbeitnehmer und Steuerpflichtigen. Ein wichtiger Schritt ist die Umstellung der Kapitalertragsteueranmeldung auf ein elektronisches Verfahren, die Datenübermittlung hinsichtlich der Einkommensersatzleistungen und der Wegfall überflüssiger Daten in den Rentenbezugsmitteilungen. All das hat Herr Dr. Wissing offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Eine deutliche Vereinfachung stellt auch die Aufhebung der Haftung von leistenden Unternehmen bei der Umsatzsteuer dar. Die Vorschrift zur Steuerfreiheit der Aufstockungsbeträge im Rahmen der Altersteilzeit über den 31. Dezember 2009 hinaus sorgt bei den Betroffenen für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Zur Vereinfachung und Vertrauensbildung, was das Verhältnis von Steuerbürger und Staat angeht, trägt sicherlich auch bei, dass Nachweise über Kinderbetreuungskosten und haushaltsnahe Dienstleistungen nur noch aufbewahrt, aber nicht mehr mit der Steuererklärung eingereicht werden müssen. ({0}) Die von der Regierung vorgeschlagene Abschaffung des Lohnsteuerjahresausgleichs durch die Arbeitgeber haben wir abgelehnt. Diese Regelung träfe Arbeitnehmer, die in ihrer Steuererklärung keine Werbungskosten und auch sonst nichts abzugsfähig geltend machen können. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten dann auf relativ kleine Beträge verzichten oder eine Steuererklärung machen. Wir sagen: Der Bürokratieaufwand steht hierzu in keinem angemessenen Verhältnis. Deshalb haben wir diese Regelung zurückgenommen. ({1}) Zur Steuergerechtigkeit gehört für mich ebenfalls die Bekämpfung von missbräuchlicher, aber auch von unerwünschter Steuergestaltung. Zu diesem Zweck gab und gibt es § 42 der Abgabenordnung, der in seiner jetzigen Form sicherlich ein eher stumpfes Schwert ist. ({2}) Die Formulierung, die im Gesetzentwurf der Regierung enthalten war, ist in der Sachverständigenanhörung heftig kritisiert worden. Allerdings ist von den Sachverständigen nicht das Ziel der Bekämpfung missbräuchlicher Steuergestaltung kritisiert worden, ({3}) sondern, dass wir im Gesetzentwurf den unbestimmten Rechtsbegriff „ungewöhnlich“ verwendet haben. Jetzt haben wir eine Definition gefunden, die den gerichtsfesten Begriff „unangemessen“ enthält. Ich denke, dadurch haben wir § 42 AO zielgerichteter gestalten können. Laut Herrn Dr. Wissing ist die Masse der Steuerpflichtigen von § 42 AO betroffen. Ja, theoretisch sind alle betroffen. Doch in der Praxis wird nur eine winzige Anzahl von Steuerpflichtigen in ihrem Steuerleben jemals mit dem Missbrauchstatbestand in Verbindung gebracht werden. ({4}) Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistung führen wir auf die vom Gesetzgeber ursprünglich vorgesehenen Kernbereiche zurück, nämlich auf Land- und Forstwirtschaft und auf Betriebsvermögen. Die Fünfjahresfrist lehnen wir aus Vertrauensschutzgründen ab; Herr Gutting hat dies schon gesagt. Wir haben uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, die Ehegattenbesteuerung neu zu regeln; das stimmt. Aber wir wollen nicht wie Sie, liebe Kolleginnen von rechts und links, die Steuerklassen abschaffen und den Ehegatten die Wahlmöglichkeiten nehmen, wie sie ihre Steuerlast verteilt haben wollen. Wir wollen den Ehegatten eine Option anbieten, die sie nutzen können, wenn sie es denn wollen. Mit diesem Gesetzentwurf ist es uns nicht gelungen, aber wir sind sicher: Zum 1. Januar 2009 werden wir das Durchschnittssteuersatzverfahren oder ein besseres Verfahren im Gesetz stehen haben. ({5}) Ganz wichtig: Mit diesem Gesetzentwurf lösen wir auch die EK-02-Problematik. Wir bieten damit den ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen an, das unversteuerte Eigenkapital aus der Zeit des Anrechnungsverfahrens unabhängig von einer Ausschüttung mit 3 Prozent abzugelten. Das bringt nicht nur der Finanzverwaltung, sondern auch den Steuerpflichtigen erhebliche Erleichterung. Verschenkt wird hierbei übrigens nichts, weil die Beträge ab 2019 ohnehin steuerfrei hätten ausgeschüttet werden können. Es gibt Wohnungsgesellschaften, deren Augenmerk nicht darauf liegt, Gewinne auszuschütten oder Bestände zu verkaufen, sondern darauf, diese zu halten und preiswerten, bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Diesen Unternehmen - kommunalen Unternehmen, kirchlichen Unternehmen, Wohnungsgenossenschaften - räumen wir ein Wahlrecht ein, von dem sie Gebrauch machen können, sodass sie bis 2019 warten können. Ich denke, damit kommen wir unserer sozialpolitischen Verantwortung nach. Ein paar Sätze zu den Anträgen, die heute mit beraten werden. Die Intention des Antrags der Linken, Einkommensmillionäre regelmäßig zu prüfen, kann ich nachvollziehen, aber nicht ihre Leidenschaft für neue Gesetze. Gesetze haben wir, wir müssen sie nur anwenden. Die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion zur Eigenheimpauschale ist eben von anderer Seite deutlich gemacht worden; dazu brauche ich also nichts mehr zu sagen. Zum Schluss möchte ich mich bedanken: bei den Kollegen meiner Fraktion, die mich bei diesem umfangreichen Gesetzentwurf unterstützt haben, bei Herrn Gutting und seinen Kollegen von unserem Koalitionspartner, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium und ganz besonders bei Staatssekretärin Frau Dr. Hendricks. Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks, da dies das letzte Jahressteuergesetz ist, das ich als Berichterstatterin mit Ihnen zusammen verabschieden darf, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich für die letzten fünf Jahre bei Ihnen zu bedanken. ({6}) Sie waren zu jeder Zeit bei allen Problemen eine faire, kollegiale und äußerst kompetente Staatssekretärin und Kollegin. Mir hat die Zusammenarbeit viel Spaß gemacht. Herzlichen Dank! ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Otto Bernhardt. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer der Rede von Herrn Bernhardt nicht folgen möchte, hat noch sieben Minuten die Chance, die Unterhaltungen außerhalb des Saales, in der Lobby, fortzusetzen. Herr Kollege Bernhardt, Sie haben das Wort.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass das Jahressteuergesetz 2008 einen Beitrag zum Abbau von Bürokratiekosten leistet. Mehr als 300 Millionen Euro an Bürokratiekosten werden durch dieses Gesetz abgebaut. ({0}) Der zweite Punkt. Natürlich gab es jede Menge Chancen, im Rahmen dieses Gesetzes Geld auszugeben; es wurden uns wirklich genug Wünsche vorgetragen. Aber die Große Koalition redet nicht nur von Haushaltssanierung, wir betreiben sie konsequent, wohlwissend, dass das nicht immer populär ist. Deshalb stelle ich fest: Dieses Gesetz führt nicht zu Mehrausgaben. Wenn wir uns einmal die Ansprüche anschauen, erkennen wir, dass das ein großer Erfolg ist. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will in aller Kürze einige ganz wenige Punkte dieses Gesetzentwurfes ansprechen. Der erste Punkt ist die viel diskutierte Neufassung des § 42 der Abgabenordnung. Ursprünglich gab es im Referentenentwurf in der Tat eine Formulierung - ich sage das so deutlich -, mit der wir nicht leben konnten. Sie hätte dazu geführt, dass, wenn jemand irgendetwas tut, wodurch er weniger Steuern zahlen muss, er hätte beweisen müssen, dass es auch andere als steuerliche Gründe dafür gibt, dass er dies getan hat. Das führte so weit, dass der Kollege Brüderle gesagt hat: Wer in Zukunft im Dezember heiratet, muss also nachweisen, dass es dafür nicht nur steuerliche Gründe gab. Wir haben jetzt eine Formulierung gefunden, die die Zustimmung der entsprechenden Verbände gefunden hat, ({2}) eine Formulierung, Herr Kollege Thiele, mit der man sicher leben kann. Ich verhehle aber nicht, dass wir im Gegensatz zu unserem Koalitionspartner keine Änderung gebraucht hätten. Wir hätten, so wie der Präsident des Bundesgerichtshofes, auch ohne leben können. ({3}) Ich sage aber: Mit dieser Formulierung können wir leben; deshalb haben wir ihr zugestimmt. Ich nenne einen zweiten Punkt, der zu heftigen Diskussionen geführt hat. Ich weiß noch nicht, ob wir hier schon am Ende sind. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform haben wir die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer verändert. Bisher wurden 50 Prozent der als Betriebsausgabe abzugsfähigen Dauerschuldzinsen der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer wieder hinzugerechnet; ab dem 1. Januar 2008 werden es 25 Prozent aller Zinsen und Zinsanteile bei Leasing, Pachten usw. sein. Um es ganz klar zu sagen: Mit dieser Veränderung wollten wir nicht mehr Einnahmen für die Kommunen. Deshalb haben wir einen Freibetrag von 100 000 Euro geschaffen, sodass es hier wirklich um plus/minus null geht. Es geht nur um eine Absicherung der Grundlage und um eine gerechtere Grundlage, um das klar zu sagen. ({4}) Nun haben wir festgestellt, dass der Finanzanteil von 75 Prozent bei Mieten, Pachten usw. etwas über der Wirklichkeit liegt. Man erreicht nur dann 75 Prozent, wenn man relativ hohe Zinsen und Laufzeiten hat. Ich finde es mutig von der Großen Koalition, dass sie die Sorgen des Einzelhandels und auch der Gastronomie in den Innenstädten ernst nimmt und gesagt hat: Wir verändern diesen Maßstab, bevor das Gesetz in Kraft ist. Wir reduzieren den Anteil von 75 Prozent auf 65 Prozent. Die Kritiker sollen erkennen: Wir sind bereit, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und kurzfristig die rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. ({5}) In der Praxis bedeutet dies, dass in Zukunft Jahresmieten von 150 000 Euro - das ist eine Menge; das sind nämlich über 12 000 Euro im Monat - noch voll unter die Freigrenze fallen, wenn man keine sonstigen Finanzierungskosten hat. Wenn jemand Kredite von 500 000 Euro hat - das ist für die meisten Mittelständler ein ziemlich hoher Betrag -, dann kann er aufgrund der Freigrenze noch Mieten von 8 000 bis 9 000 Euro im Monat ertragen, ohne einen Cent zu zahlen. Deshalb sage ich allen Kritikern: Sie müssen erstens berücksichtigen, dass wir einen Freibetrag geschaffen haben. Zweitens müssen Sie berücksichtigen, dass Personengesellschaften und Einzelunternehmen - das ist das Typische im Mittelstand - die gezahlte Gewerbesteuer bekanntlich mit der Einkommensteuer verrechnen können, sodass auch hier keine unangemessenen Belastungen entstehen. ({6}) Ich spreche einen letzten Punkt an, meine Damen und Herren. Eine Formulierung im Regierungsentwurf führte zu Befürchtungen bei den Kreditinstituten, insbesondere bei den Sparkassen und Volksbanken, dass man in Zukunft, wenn man bei einer Bank gleichzeitig Kredite und ein Sparguthaben hat, nicht in den Genuss der Abgeltungsteuer von 25 Prozent komme. Wir alle bekamen Briefe aus den Wahlkreisen, in denen stand, wir zwängen jetzt die Leute, zwei Banken zu haben, eine für die Kredite und eine für das Guthaben. Es ist in der Praxis übrigens gar nicht so leicht, dann zwei Banken zu haben; dies nur als kleiner Zwischensatz. Wir haben jetzt eine Formulierung geschaffen, mit der dieses Problem gelöst wird. Unserem Lösungsvorschlag haben alle Bankenverbände zugestimmt, sodass ich sage: Entwarnung. Auch hier hat sich gezeigt, dass das Parlament bereit ist, kritische Einwände aufzunehmen. Ich stimme den Kollegen zu, die gesagt haben: Das Verfahren zum Abschluss des Jahressteuergesetzes hat erneut gezeigt, dass Gesetze in Deutschland vom Parlament gemacht werden. - Das wird bei diesem Gesetz besonders deutlich. ({7}) Abschließend sage ich auch im Namen des größeren Teils der Koalition ({8}) Staatssekretärin Hendricks ein herzliches Dankeschön für die konstruktive Zusammenarbeit über viele Jahre. Sie werden uns fehlen, Frau Hendricks. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Glück bei Ihrer neuen Aufgabe. Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit! ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuer- gesetzes 2008. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6981, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa- chen 16/6290 und 16/6739 in der Ausschussfassung an- zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi- tion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom- men. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6994. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU bei Enthaltungen der Fraktion Die Linke und Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/6981 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6396 mit dem Titel „Steuerklasse V abschaffen - Lohnsteuerabzug neu ord- nen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist bei Gegenstimmen der FDP mit den übri- gen Stimmen des Hauses angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6374 mit dem Ti- tel „Entfernungspauschale vollständig anerkennen - Ver- fassungsmäßigkeit und Steuergerechtigkeit herstellen“. Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstim- mung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.1) Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Noch Tagesordnungspunkt 7 b. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6981 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3023 mit dem Titel „Steuervereinfachung Lohnsteuerklassen III, IV und V abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 7 c. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verbesserung der Statistik zur Lohn- und Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4274, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ 3025 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 7 d. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Steuerpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmäßig prüfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5693, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3699 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider ({0}), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose verhindern - Drucksache 16/6933 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke. ({1}) 1) Ergebnis Seite 12812 B

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wusste, dass dieses Thema weniger interessiert als die namentliche Abstimmung. Aber es ist wichtig, insbesondere für die älteren Arbeitslosen in Deutschland. Es gibt im Augenblick eine gesetzliche Regelung, die sogenannte 58er-Regelung, die den älteren Arbeitslosen drei Varianten als Wahlmöglichkeiten lässt. Sie können darum bitten, nach wie vor vermittelt zu werden, was sehr schwierig ist, wie Sie wissen. Sie können ALG II bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente beziehen. Oder sie können eine gekürzte Rente beantragen, die sie vorzeitig bekommen. Diese Rente kann aber bis zu 18 Prozent gesenkt werden. Sie bleibt auch gekürzt, egal ob die Betreffenden 65, 70 oder 80 Jahre alt sind. Das alles ist zweifellos keine geniale Regelung. Wie Sie wissen, sind wir gegen das ALG II. Aber darum geht es heute nicht, sondern darum, dass diese Regelung am 31. Dezember 2007 ausläuft. Danach hat ein arbeitsloser Mann bzw. eine arbeitslose Frau, der bzw. die über 58 Jahre alt ist, nur noch die Möglichkeit, eine vorzeitige Verrentung zu beantragen, und zwar mit entsprechenden Abschlägen bei der Rente, die dauerhaft gelten, egal ob man das 70. oder das 80. Lebensjahr erreicht. Ich halte das für ein Unding und für grundgesetzwidrig, ({0}) weil wir in eine gesetzliche Situation kommen, in der wir ältere Arbeitslose zwingen, dauerhaft eine gekürzte Rente in Anspruch zu nehmen. Wir verlangen ja nicht viel. Wir wollen nur, dass Sie die bisherige Regelung fortsetzen, dass Sie sie nicht auslaufen lassen. Sie sollen also nichts Neues schaffen. 2005 sollte diese Regelung schon einmal auslaufen. Damals wurde beschlossen, die Geltungsdauer dieser Regelung bis Ende 2007 zu verlängern. Nun stehen wir wieder vor derselben Frage. Ich erkenne durchaus an, dass es inzwischen Bewegung gibt. Monitor hat bekanntlich darüber berichtet. Danach gibt es 350 000 Betroffene. Ich glaube, die SPD will eine Lösung, wenn ich die Meldungen in den Zeitungen richtig verstehe, nicht aber die Union; das ist das Problem. Was gestern in der Leipziger Volkszeitung stand, nährte die Hoffnung, dass Herr Ramsauer etwas Positives gesagt hat. Aber dann erklärte dessen Sprecherin, das sei nicht so gemeint gewesen. Nun muss ich die Frage aufwerfen: Warum wollen Sie den älteren Arbeitslosen diese Chance nicht geben? Ich verstehe das einfach nicht. Und das bei Ihrer Philosophie! Sie wollen angeblich mehr Ältere in Arbeit bringen und meinen, man könne viel länger arbeiten und brauchte eine Rente erst mit 67 Jahren. Gleichzeitig wollen Sie die Betreffenden frühverrenten, und das mit Abzügen. Das ist nicht hinnehmbar und ist noch nicht einmal logisch. ({1}) Ich bin zwar kein Konservativer, aber auch wenn man konservative Politik betreibt, muss diese zumindest in sich logisch sein. Hier widersprechen Sie dem, wofür Sie ansonsten vermeintlich eintreten. Obwohl Sie unseren Antrag schon abgelehnt hatten, haben wir ihn noch einmal eingebracht, damit wir in der öffentlichen Diskussion bleiben, damit sich die Öffentlichkeit interessiert. Ich bekomme so viele Briefe von Betroffenen, die nicht mehr wissen, was sie nun machen sollen. Sobald sie eine Arge betreten, werden sie aufgefordert, einen Antrag zu stellen. Aber sie wissen nicht, ob sie diesen zurückziehen können, wenn es eine neue Regelung gibt. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben keine Zeit. Sie müssen diesen älteren Arbeitslosen so schnell wie möglich Sicherheit geben. Ich hoffe, dass es in die richtige Richtung geht. ({2}) Ich bitte Sie zudem, sich nicht neue Quälereien auszudenken. Sie sollten davon Abstand nehmen, jemanden zum Beispiel zu zwingen, einen ganz miesen 1-Euro-Job anzunehmen. Das ist bei den über 58-Jährigen gerade nicht nötig. Belassen Sie es doch zumindest bei Ihrer bisherigen Regelung! Das ist doch nicht zu viel verlangt. Wir verlangen noch nicht einmal eine neue Regelung, sondern nur, dass Sie die Geltungsdauer der bisherigen Regelung verlängern, damit ältere Arbeitslose weiterhin Wahlmöglichkeiten haben. Ansonsten läuft die Regelung am 1. Januar 2008 aus. Ich weiß nicht, ob die von Monitor genannte Zahl stimmt. Es werden unterschiedliche Zahlen angeführt. Aber ich weiß, dass es jedes Jahr eine neue Gruppe von über 58-Jährigen gibt, die in das Arbeitslosengeld II fallen und dann die Wahl haben oder eben nicht mehr. Ich bitte Sie um eines, nämlich nicht eine gesetzliche Regelung zuzulassen, die den älteren Arbeitslosen klipp und klar sagt: Es gibt nur einen Weg - sonst musst du eben dürsten und hungern, und wir zahlen keine Miete -, du musst deine Frühverrentung beantragen und dein Leben lang eine gekürzte Rente hinnehmen. Noch ein Gesichtspunkt ist dabei wichtig. Die Rente kann so niedrig sein, dass der Betreffende davon nicht leben kann. Dann bekommt er keine Grundsicherung für das Alter, weil man ihm dann wiederum sagt: Du bist noch gar kein Rentner, sondern erst Frührentner. Deshalb bekommst du die Grundsicherung nicht. - Dann muss er oder sie Sozialhilfe beantragen. Das ist doch eine Zumutung. Sie würden das nicht wollen, ich würde das nicht wollen, und deshalb sollten wir das auch den 58-Jährigen und den Älteren nicht zumuten. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat beschäftigen wir uns jetzt innerhalb von vier Wochen zum zweiten Mal hier im Plenum mit dieser Problematik. Dadurch wird sie - das gestehe ich zu - insgesamt nicht einfacher, aber es verändert sich auch durch diese Diskussion im Grunde genommen nichts. Die Fraktion Die Linke vermittelt mit dem vorliegenden Antrag, der zum zweiten Mal vorgelegt wird, und dem Begriff „Zwangsverrentung“ den Eindruck, als ginge es darum, breite Massen der Bevölkerung zwangsweise in ein System zu überführen, in das sie gar nicht wollen. Das ist falsch. Richtig ist: Die 58er-Regelung läuft - da gebe ich Ihnen, Herr Dr. Gysi, recht - in der jetzigen Form zum Ende dieses Jahres aus. Das führt dazu, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II von den Arbeitsagenturen bei Erreichen der Altersgrenze und Erfüllen der jeweiligen Voraussetzungen zur Beantragung einer Altersrente auch mit Abschlägen aufgefordert werden können. Die Rente ist vorrangig in Anspruch zu nehmen, weil das Arbeitslosengeld II von seiner Systematik her nachrangig ist. Eine Ausnahme gilt in der Tat für die Personen, die nun bis zum 31. Dezember dieses Jahres von der 58erRegelung Gebrauch machen. Diese haben die Möglichkeit, bis zum Schluss im bestehenden System zu bleiben. Wie viele Menschen jedoch nach dem 1. Januar 2008 real von der Aufforderung betroffen sind, Rente zu beantragen, ist völlig offen. Die genannten Zahlen sind überhaupt nicht belegt und beruhen auf Vermutungen. ({0}) - Das ist eine Schätzzahl. ({1}) - Trotzdem geschätzt. - Die Allermeisten werden von sich aus die Rente auch mit Abschlägen in Anspruch nehmen; denn sie haben dann durchschnittlich mehr Geld, als das Arbeitslosengeld II ausmacht. Sie können 350 Euro hinzuverdienen, ab 65 Jahren sogar unbegrenzt. Wie ich schon vor vier Wochen an dieser Stelle gesagt habe, bleibt die Bereitschaft zu Korrekturen bestehen. Die Grundsätze, auf dem dieses System basiert, müssen klar sein. Diese Grundsätze haben sich in meinen Augen in den letzten vier Wochen nicht verändert.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schneider würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine lasse ich zu.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. Sie sagten eben, der Arbeitslose werde aufgefordert, einen Antrag auf Rente zu stellen. Das ist korrekt. Ist es weiter korrekt, dass für den Fall, dass der Arbeitslose dies verweigert, die Antragstellung durch das Amt erfolgen kann? Würden Sie mir folgen, dass dann, wenn in diesem Fall die fehlende Einwilligung des Arbeitslosen durch das Amt ersetzt wird, ein Zustand des Zwangs eintritt? Jedenfalls definiert der Große Brockhaus das so. ({0})

Karl Schiewerling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003839, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So steht es in der Tat im Gesetz, weil man, als es verabschiedet wurde, von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist. ({0}) Das Gesetz will bei diesem Punkt deutlich machen, dass zunächst einmal jeder seine eigenen Rentenanwartschaften einzusetzen hat, so wie jemand, der nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, sondern sich anderweitig abgesichert hat, zunächst einmal sein Vermögen einsetzen muss, wenn er Hilfe des Staates in Anspruch nehmen will. Ich sage Ihnen aber, dass wir kein Interesse daran haben, dass eine solche Situation eintritt. Selbst dann, wenn das nicht anders zu organisieren ist, müssen wir bei den Grundprinzipien des SGB II bleiben, weil wir sonst das Gesamtsystem ändern müssten. ({1}) Zu diesen Grundsätzen gehört das Prinzip der Nachrangigkeit, auf das ich gerade hingewiesen habe. Es gilt weiterhin der Grundsatz, dass zunächst jeder Einzelne seinen Beitrag zu leisten hat, bevor er einen Anspruch auf Transferleistungen des Staates hat. Schafft er das aus eigener Kraft nicht, hat er Anrecht auf Unterstützung; wir nennen das „Subsidiarität“. Es ist ja nicht so, dass wir die Probleme der Menschen, die in einer Situation sind, wie Sie sie beschrieben haben, nicht sehen können. Sie wissen, dass wir an der Lösung dieser Probleme arbeiten, übrigens auch ohne diese Debatte. Wir werden weiterhin alles unternehmen, um die Menschen so zu fördern, dass sie nicht in der Grundsicherung bleiben, sondern aus dem Bezug von Leistungen des Staates oder anderen Transferleistungen herauskommen. Wir müssen den Aufschwung nutzen, um insbesondere ältere Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Über 100 000 Menschen, die älter als 55 Jahre sind, haben in den letzten zwölf Monaten den Weg aus der Erwerbslosigkeit gefunden, entweder in Beschäftigung, in Qualifizierung oder in Rente. Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten festgestellt, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass der Aufschwung zum Erliegen kommt oder dass gar eine Rezession bevorsteht. Ich mache darauf aufmerksam, dass bei der Bundesagentur für Arbeit zurzeit 1 Million offene Stellen gemeldet sind. Wenn wir alle Möglichkeiten und alle Systeme unseres Staates nutzen wollen, dann haben wir die Perspektive, die älteren Menschen in diesen Stellen unterzubringen. ({2}) Konzentrieren wir uns also darauf, wie wir den Menschen helfen können! Eine immer wichtigere Rolle auf dem Arbeitsmarkt spielen nämlich ältere Arbeitnehmer mit ihren Erfahrungen, mit ihren Lebens- und Berufserfahrungen. Die Kopplung von Erfahrung und Können macht die Älteren interessant für die Unternehmen. Das hilft den Menschen nachhaltig. Sie können selber ihren Lebensunterhalt bestreiten, was übrigens - losgelöst von allen materiellen Fragen - vor allen Dingen eine Frage der Menschenwürde ist. ({3}) Mit mehr Älteren im aktiven Arbeitsprozess entschärfen wir Schritt für Schritt auch die wachsende Gefahr der Altersarmut - ich will hier in keiner Weise kleinreden, dass die damit verbundenen Probleme auf uns zukommen -, der wir begegnen müssen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Aktivitäten und Initiativen erinnern, die der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann in Angriff nimmt. Ich habe großes Verständnis für die Menschen, die Angst haben, ihre Ersparnisse für das Alter aufbrauchen zu müssen. Diese Angst nehmen wir ernst. Wir müssen dafür sorgen, dass die Freibeträge für die Altersvorsorge eine angemessene Höhe haben. Auch aus diesen Erträgen lassen sich Zeiten des Übergangs von Arbeitslosigkeit in die Rente gestalten. ({4}) Ich habe gesagt, dass wir daran arbeiten, Menschen aus dem SGB-II-Bezug herauszuholen. Wir fördern bestimmte Personengruppen. „Jobperspektive“ ist der Name eines Programms, das jetzt aufgelegt wird und seine Wirkung entfalten soll. Initiative „50 plus“ hilft bereits, Menschen in Arbeit zu bringen. Lassen Sie mich zur Klarstellung zusammenfassen: Erstens. Wir arbeiten zusammen mit unserem Koalitionspartner an einer Lösung des Problems des Übergangs vom Arbeitslosengeld II in Rente. Zweitens. Wir halten genau so klar am Prinzip der Nachrangigkeit fest. Drittens. Wir konzentrieren uns auf die wesentliche Aufgabenstellung, nämlich ältere Arbeitnehmer verstärkt im Betrieb und somit in Lohn und Brot unterzubringen, damit sie durch eigener Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Davon haben alle etwas, am meisten die Betroffenen selbst. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 7 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Antrag der Fraktion Die Linke „Entfernungspauschale vollständig anerkennen - Verfassungsmäßigkeit und Steuergerechtigkeit herstellen“ bekannt: Abgegebene Stimmen 526. Mit Ja haben gestimmt 435, mit Nein haben gestimmt 40, Enthaltungen 51. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 526; davon ja: 435 nein: 40 enthalten: 51 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Peter Albach Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Georg Brunnhuber Cajus Caesar Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Erich G. Fritz Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Johann-Henrich Krummacher Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Friedrich Merz Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Bernward Müller ({14}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({15}) Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({18}) Andreas Schmidt ({19}) Ingo Schmitt ({20}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Thomas Strobl ({21}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({22}) Gerald Weiß ({23}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({24}) Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Niels Annen Rainer Arnold Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({26}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Dr. Gerhard Botz Willi Brase Bernhard Brinkmann ({27}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({28}) Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({29}) Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({30}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({33}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Michael Müller ({36}) Gesine Multhaupt Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({37}) Maik Reichel Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({38}) Michael Roth ({39}) Marlene Rupprecht ({40}) Axel Schäfer ({41}) Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Dr. Frank Schmidt Ulla Schmidt ({42}) Silvia Schmidt ({43}) Heinz Schmitt ({44}) Carsten Schneider ({45}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner ({46}) Swen Schulz ({47}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({48}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg ({49}) Heidi Wright Manfred Zöllmer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({50}) Volker Beck ({51}) Birgitt Bender Grietje Bettin Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz ({52}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Markus Kurth Undine Kurth ({53}) Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({54}) Omid Nouripour Claudia Roth ({55}) Krista Sager Irmingard Schewe-Gerigk Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Nein DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Diether Dehm Dr. Dagmar Enkelmann Diana Golze Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Jan Korte Michael Leutert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Wolfgang Nešković Petra Pau Elke Reinke Paul Schäfer ({56}) ({57}) Dr. Herbert Schui Frank Spieth Jörn Wunderlich fraktionslos Gert Winkelmeier Enthaltung FDP Jens Ackermann Daniel Bahr ({58}) Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Patrick Döring Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich ({59}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Miriam Gruß Joachim Günther ({60}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Hellmut Königshaus Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Patrick Meinhardt Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({61}) Gisela Piltz Frank Schäffler Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Hartfrid Wolff ({62}) DIE LINKE Katja Kipping Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion. ({63})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende dieses Jahres läuft die sogenannte 58er-Regelung aus, die bewirkt, dass ältere arbeitslose Erwerbsfähige, die nicht mehr arbeitsbereit sind und der Vermittlung nicht mehr zur Verfügung stehen, bis zum Regelrenteneintrittsalter Transferleistungen bekommen können, zunächst ALG I, später ALG II. Wichtig ist, dass Personen, soweit sie nach § 65 Abs. 4 SGB II anspruchsberechtigt sind, nicht gezwungen sind, vorzeitig in Rente zu gehen. Das ändert sich zu Beginn des nächsten Jahres grundlegend. Wer dann einen Antrag auf ALG II stellt, wird darauf verwiesen werden, zunächst seine gesetzliche Rente zu beantragen. Diese neue Rechtslage - das will ich im Namen meiner Fraktion ganz klar sagen - ist ein Problem, das gelöst werden muss, denn es führt zu ungewollten Ergebnissen. Rentenpolitisch benachteiligt diese neue Rechtslage Frauen, Menschen mit Behinderungen, langjährig Versicherte, die ihre Rente mit Abschlägen vorzeitig in Anspruch nehmen müssen. Das ursprünglich als Privileg gedachte Recht der Frühverrentung verkehrt sich dadurch in sein Gegenteil. Das Privileg wird für die Betroffenen zur Last. Aber auch arbeitsmarktpolitisch treten unerwünschte Wirkungen ein, denn für alle auf diesem Wege frühverrenteten Menschen gelten nach gegenwärtiger Rechtslage enge Zuverdienstgrenzen. Sie dürfen zum Beispiel, wenn sie über dem Grundsicherungsniveau liegen, neben ihrer Rente nur maximal 350 Euro hinzuverdienen. Das führt nach Auffassung unserer Fraktion im Ergebnis dazu, dass die Betroffenen regelrecht aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt werden. Eine erneute Beschäftigungsaufnahme wird uninteressant, und die Betroffenen können nicht wirklich frei entscheiden, ob und in welchem Umfang sie weiterhin erwerbstätig sein und verdienen wollen. Das gilt nach der strengen Logik des Gesetzes sogar für „Aufstocker“, also Personen, die durch die ausgeübte Tätigkeit durchaus beweisen, dass sie arbeiten wollen. Sie müssen dann wohl zumindest eine Teilrente mit den entsprechenden Wirkungen beim Zuverdienst beantragen. Das nachzuvollziehen, kann ich jedem Kollegen hier nur empfehlen. Das ist wirklich ein rentenpolitischer Hochseilakt und im Ergebnis nicht wirklich sinnvoll. ({0}) Der Antrag der Linken greift diese Problematik auf, enthält aber keinerlei Lösungsvorschlag. So konkret, wie Sie, Herr Kollege Gysi, es gesagt haben, steht es nicht im Antrag. Sie waren in der Vergangenheit mit der Drucksache 16/5902 schon einmal konkreter. Aber heute fordern Sie die Regierung lediglich auf. Das ist aus unserer Sicht doch ein bisschen dünn und kann aus diesem Grunde unsere Zustimmung nicht finden. Wir haben eine grundsätzlich andere Vorstellung von der Herangehensweise an die Thematik des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rente. Das habe ich hier schon wiederholt vorgestellt. Ein Wahlrecht zum Renteneintritt ab dem 60. Lebensjahr bei Vorliegen der Grundsicherungsfreiheit ermöglicht einen flexiblen Übergang in die Rente. Der Wegfall der Zuverdienstgrenzen, den wir wollen, schafft gleichzeitig Anreize, weiter erwerbstätig zu bleiben. Einen Zwang, in Rente zu gehen, gibt es beim FDPModell nicht, auch nicht für Arbeitssuchende. Das ist dann schon eine Durchbrechung des Grundsatzes der Nachrangigkeit. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Durchbrechung zu rechtfertigen ist. Ich meine, sie ist es. Denn zum einen findet - wie der Kollege Schiewerling eingeräumt hat - mit § 65 Abs. 4 SGB II bereits heute eine Durchbrechung des in § 2 SGB II formulierten Grundsatzes statt. Zum anderen würde eine derart unterschiedliche Behandlung von Leistungsempfängern - einige werden gezwungen, ihre Rente mit Abschlägen einzusetzen, andere nicht - eine willkürliche Differenzierung seitens des Gesetzgebers darstellen. Das ist - darin stimme ich Ihnen, Herr Gysi, zu - vermutlich verfassungswidrig. Es sollte auch nicht außer Acht gelassen werden, dass, wenn man alles zusammen betrachtet, eine zusätzliche Belastung für die öffentlichen Haushalte oder die Rentenversicherung nicht entsteht. Denn diejenigen - das hat Herr Schiewerling zu Recht gesagt -, die deutlich über dem Grundsicherungsniveau liegen, werden in einer solchen Situation ihre Rente ohnehin aus freier Entscheidung heraus beantragen. Für Personen, die einen Rentenanspruch unter Grundsicherungsniveau besitzen, wird die Solidargemeinschaft ohnehin auf Dauer einen Zuschuss zu ihrem Unterhalt bezahlen müssen. Der entscheidende Punkt - das will ich Ihnen, Herr Kollege Schiewerling, noch einmal sagen - ist: Als wir als FDP-Fraktion in der Vergangenheit dafür eingetreten sind, die 58er-Regelung auslaufen zu lassen, ging es uns nicht darum, eine Entlastung des Haushaltes herbeizuführen. Vielmehr ging es uns darum, die Menschen, die mit der 58er-Regelung an den Rand der Gesellschaft geschoben worden sind, wieder in die Mitte der Gesellschaft und des Arbeitsmarktes zu holen. ({1}) Das Entscheidende ist nämlich, dass die Betroffenen wieder auf dem Arbeitsmarkt zu sehen sind, Angebote der Vermittlung erhalten und von den Argen und Optionskommunen im Falle fortgesetzter Arbeitsverweigerung, also der Ablehnung von Angeboten, auch mit Sanktionen belegt werden können. Am Ende geht es darum, wieder Teilhabe am Arbeitsleben zu schaffen. Das wird auf diesem Wege möglich. Dieses übergeordnete Ziel rechtfertigt aus unserer Sicht die Ausnahme. Damit ist aber auch klar - ich komme zum Schluss -, wann der Verzicht auf die Durchsetzung des Nachrangigkeitsgrundsatzes ein Ende findet. Leistungsberechtigte nach § 41 SGB XII müssen sehr wohl ihre Rente einsetzen, bevor sie - eventuell ergänzend - steuerfinanzierte Sozialleistungen in Anspruch nehmen können. In der Kürze der Zeit kann ich hier nur einen Weg andeuten. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden dazu bald einen eigenen Antrag vorlegen. Es steht aber ohne Zweifel fest, dass dieses Problem gelöst werden muss. Es darf nicht zu der sich jetzt andeutenden Änderung der Rechtslage ab dem 1. Januar 2008 kommen; das will ich für meine Fraktion sehr deutlich sagen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Fraktion. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben vor vier Wochen über dieses Thema schon einmal ausführlich diskutiert; übrigens ein Stück weit auch heute Nachmittag, als es um die Chancen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und um flexible Übergänge vom Arbeitsleben in die Rente ging. Ich werde gleich in meinem Vortrag auf diese schon einmal geführte Debatte zurückkommen. Herr Gysi, Sie haben völlig recht. Man kann schlichtweg nicht ignorieren, dass definitiv ab dem 1. Januar 2008 eine ganz bestimmte Gruppe von älteren erwerbslosen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Problem haben wird, das für sie dauerhaft Nachteile beinhaltet. Jetzt kann man natürlich sagen: Wer Abschläge hinnimmt, der geht vorzeitig, und insgesamt hat er die gleiche Rentenleistung, die nur länger gestreckt ist. Nur kann man nie voraussagen, wie lang diese Rentenleistung gestreckt ist. In der Tat ist es so, dass Menschen, die vorzeitig in die Rente gehen müssen, Abschläge hinnehmen. Wir haben die Abschlagsregelung im Rentenrecht eigentlich als individuelle Möglichkeit vorgesehen, vorzeitig zu gehen, und zwar freiwillig vorzeitig zu gehen. ({0}) Wir haben sie nie als Instrument zur Druckausübung, sondern als Instrument der Freiwilligkeit begriffen. ({1}) Hier ergibt sich eine andere Situation; das muss man ganz klar konstatieren. Wenn Menschen, die aus dem Arbeitslosengeld-I-Bezug kommen und die rentenrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen, dann wird der sofort negativ beschieden, weil Ansprüche aus anderen Systemen vorhanden sind. Das ist ein Problem. Das SGB II - Fördern und Fordern - sieht nämlich nicht in erster Linie das Hinausdrängen aus der Vermittlung, egal wohin, vor, sondern im Wesentlichen das Vermitteln in Arbeit. Diese Leistungen können ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Hintergrund der rentenrechtlichen Voraussetzungen dann nicht mehr in Anspruch nehmen. Das halte ich für ein ordnungspolitisches Problem. Das müssen wir lösen. ({2}) Völlig klar ist - darüber ist mit mir nicht zu diskutieren, übrigens auch nicht mit der SPD-Bundestagsfraktion -, dass das Nachrangigkeitsprinzip gelten muss. Solidarität ist keine Einbahnstraße, bei der die Allgemeinheit für etwas aufkommt, obwohl der Einzelne leistungsfähig ist, sondern Solidarität ist immer in zwei Richtungen zu sehen. Man muss aber einmal fragen, ob ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Situation nicht tatsächlich einen Anspruch haben auf eine besondere Solidarität der Gesellschaft und der Allgemeinheit, übrigens auch der Steuerzahlerinnen und der Steuerzahler. Ich sage: Ja, den haben sie. Eine rentenrechtliche Voraussetzung für einen normalen Arbeitnehmer ist eine Versicherungsdauer von 35 Jahren. Vor dem Hintergrund kann ich einen solchen Arbeitnehmer bitten oder auffordern, unter Umständen auch nachhaltig auffordern - möglicherweise kann man da auch ersatzweise tätig werden -, Rente zu beanspruchen. Ich erinnere nun an die Diskussion, die wir um die Rente mit 67 geführt haben. Damals haben wir gemeinsam festgelegt: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die langjährig versichert sind, haben - so war unsere Sicht, als wir das beschlossen haben - ein besonderes Schutzbedürfnis. Denen räumen wir das Privileg ein, nach 45 Jahren ohne Abschläge gehen zu können. Wir haben also schon einmal formuliert, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, langjährig Versicherte unserer besonderen Solidarität bedürfen. An dieser Stelle nun kippen wir das oder sind zumindest in der Gefahr, ab 1. Januar eine Lösung zu haben, bei der wir diese besondere Solidarität, die wir langjährig Versicherten, solchen, die langjährig in Systeme eingezahlt haben, die langjährig Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung waren, eigentlich zugestehen müssen, nicht zugestehen. Ich bin nicht der Meinung, Herr Gysi, dass man die 58er-Regelung einfach so weitergelten lassen sollte. ({3}) Wenn man keine andere Lösung hätte, dann wäre es wahrscheinlich am sinnvollsten, die 58er-Regelung einfach zu verlängern. Wir sollten allerdings versuchen, eine andere Lösung zu finden. Die 58er-Regelung ist vor dem Hintergrund der Nachrangigkeit absolut richtig. Aber wir müssen sie, vielleicht auch in Kombination mit dem richtigen Ansinnen, das Arbeitslosengeld I zu verlängern, zielgenauer gestalten; denn sie ermöglicht zumindest im Moment noch durchaus eine Praxis des Vorruhestandes, der Frühverrentung. ({4}) Wir wollen diese Praxis nicht. Denn der Wegfall der Vorruhestandspraxis hat unter anderem dazu geführt, dass die Quote der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jetzt noch in Arbeit sind, deutlich angestiegen ist, und das halte ich für richtig. Wir haben es den Unternehmen nicht mehr so leicht gemacht, sich ihrer sozialen Verantwortung gegenüber älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu entziehen. ({5}) Es ist schwieriger geworden, sie aus den Arbeitsprozessen herauszudrängen. Wenn wir darüber diskutieren, was wir mit dem betroffenen Personenkreis machen, gelten zwei Prämissen, die sehr zielgerichtet beachtet werden müssen: Die erste Prämisse ist die Nachrangigkeit, die wir mit Sicherheit nicht aufgeben dürfen. Die zweite Prämisse ist, dass es nicht wieder eine Vorruhestandspraxis geben darf. Wenn wir diese beiden Grundprämissen beachten, muss eine Lösung, möglichst bis zum 31. Dezember dieses Jahres, zu finden sein. ({6}) Vorschläge dazu gibt es; sie sind vom Ministerium erarbeitet worden. Ich fordere den Koalitionspartner sehr deutlich auf, sich diese noch einmal ganz genau unter dem Aspekt anzuschauen, welche Wirkung sie tatsächlich haben. Sind diese Vorschläge zum Beispiel dazu geeignet, wieder eine Vorruhestands- oder Frühverrentungspraxis einzuführen? Ich sage Ihnen: So, wie sie formuliert sind, sind sie dazu nicht geeignet. ({7}) Herr Gysi, in den Vorschlägen gibt es in der Tat die Formulierung, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in eine solche Situation kommen, unmittelbar in Arbeit vermittelt werden müssen. Ich habe ausdrücklich dafür plädiert - es kann ja durchaus sein, dass man für einen Arbeitnehmer in dieser Situation keine Arbeit hat -, dass es auch eine Arbeitsgelegenheit sein kann. Denn das schützt ausdrücklich davor, dass man tatsächlich aufgefordert wird, die Rente zu beantragen. Dann hat der Arbeitnehmer nach wie vor, wie jetzt, die Wahlmöglichkeit, den angebotenen Job oder die angebotene Arbeitsgelegenheit - natürlich im Rahmen der Zumutbarkeitskriterien; da gebe ich Ihnen recht - anzunehmen oder vorzeitig Rente zu beantragen. Jedenfalls liegt dann die Wahlmöglichkeit bei dem Betroffenen und nicht beim Sachbearbeiter oder beim Fallmanager. Für die Abschlagsregelung in der Rentenversicherung war immer Grundvoraussetzung: Die Entscheidung liegt bei dem Betroffenen und bei sonst niemandem. Das muss auch jetzt Prämisse sein. Dafür plädieren wir. Wir sind also der festen Überzeugung, dass wir keine Fortführung der 58er-Regelung brauchen, aber eine Regelung, die ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die arbeitslos geworden sind, davor schützt, zwangsweise in Rente geschickt zu werden. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Grünen waren die erste Fraktion, die auf die Ungerechtigkeit der Zwangsverrentung Langzeitarbeitsloser aufmerksam gemacht hat. Bereits im Mai haben wir die Bundesregierung aufgefordert, den unhaltbaren Zustand zu beenden, dass zum Beispiel 60-jährige Arbeitslosengeld-II-Bezieher ab 2008 gegen ihren Willen - und das nenne ich zwangsweise - in Rente geschickt werden können, und zwar mit einem Abschlag von 18 Prozent. Das werden wir nicht hinnehmen. ({0}) Dazu lautet die generöse Geste des Kollegen Brauksiepe, damit hätten sie aktuell mehr Geld zur Verfügung, als wenn sie Arbeitslosengeld II beziehen. Herr Brauksiepe, das ist wirklich zynisch; denn diese Aussage stimmt doch nur bis zum 65. Lebensjahr. Gott sei Dank sterben die Menschen nicht mit 65, sondern leben durchschnittlich 15 Jahre länger. Das heißt, bei einer Rente von 1 000 Euro erleiden sie in 15 Jahren eine Rentenkürzung von über 32 000 Euro. Das wollen Sie doch nicht allen Ernstes als etwas Soziales verkaufen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition! ({1}) Darum bin ich froh, dass bei der zweiten Lesung unseres damaligen Antrages einige in der Großen Koalition doch etwas nachdenklicher wurden. Schön, dass Ihnen die Opposition, unterstützt durch Verdi und den Sozialverband Deutschland, nun endlich Beine macht; denn das ist bitter nötig. Stellen Sie sich doch einmal vor, wie es einem 60-jährigen Beschäftigten geht, der zu Niedriglöhnen arbeitet und bei Vollzeitarbeit weniger als Hartz IV verdient. Wenn der dann die ihm zustehende Aufstockung beantragt und ihm gesagt wird, dass er aufgrund des Nachrangigkeitsprinzips seine vorzeitige Rente mit Abschlägen von 18 Prozent beantragen muss, dann bricht doch für diesen Menschen die Welt zusammen. Das können Sie doch wirklich nicht wollen. Aber bei der CDU/CSU ist irgendwie Ruhe. ({2}) Dieser Mensch zeigt doch, dass er arbeiten will, sogar für einen Hungerlohn. Und den wollen Sie gegen seinen Willen zwangsverrenten? Ich halte das wirklich für schäbig. ({3}) Unsere einfache Forderung lautet: Jeder Mensch, der das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hat und über keinen Arbeitsplatz verfügt, aber erwerbstätig sein will und kann, darf nicht gegen seinen Willen verrentet werden. Ist das eigentlich zu viel verlangt? ({4}) Nun haben Sie, Herr Kollege Schaaf, in der zweiten Lesung unseres Antrages und jetzt gerade wieder eine Sensibilität für dieses Thema deutlich gemacht. Sie sehen Handlungsbedarf; das ist gut so. Aber eine Einzelfallprüfung, wie sie vorgeschlagen wurde, wird das Problem nicht lösen. Wenn allein 2008 bis zu 20 000 Personen vom Arbeitslosengeld II in eine Rente mit Abschlägen gehen müssen, dann ist das kein individuelles Problem. Auch der Vorschlag, dass Personen, die nur noch sechs Monate vor der Altersrente stehen, von der Zwangsverrentung verschont bleiben sollen, ist nicht zielführend. Das ist doch nur ein Trostpflaster. Ihr Signal heißt: Wer nicht mehr gebraucht wird, wird ausgesteuert. Die Leistungsverpflichtung liegt am Ende bei den Ländern und den Kommunen. Aber wirklich angeschmiert sind doch die älteren Arbeitslosen. Zuerst werden sie aus dem Betrieb entfernt, später folgt ohne Vermittlung und Förderung ein Aussteuern aus dem Leistungsbezug der BA. Wenn sie dann bis zum Rentenalter aufstockende Sozialhilfe beantragen müssen und gespart haben, dann sollen sie ihr Vermögen bis auf einen Schonbetrag von 1 600 Euro aufbrauchen. Diese Herangehensweise ist geradezu empörend. Ich nenne das zynisch. Wir Grüne fordern die Bundesregierung erneut dazu auf: Springen Sie über Ihren Schatten! Verhindern Sie die Zwangsverrentung durch gesetzliche Änderungen! Der Vorschlag der Linksfraktion ist - so muss ich sagen sehr allgemein formuliert. Da waren Sie schon ein bisschen weiter; das stimmt. Wir selbst haben in unserem Antrag konkret gefordert, dass das Nachrangigkeitsprinzip erst dann eintreten darf, wenn es nicht zu Abschlägen bei der Rente kommt. Wir stimmen aber um der Sache willen dem Antrag der Linken zu, damit die Bundesregierung endlich handelt. Wir wollen, dass den erwerbslosen Menschen im Alter nicht auch noch ihre Würde genommen wird. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6933. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und mitberatend an den Rechtsausschuss und den Finanzausschuss. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition so beschlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Drucksache 16/6933 nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen ({0}) - Drucksachen 16/6564, 16/6650 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({1}) - Drucksache 16/6896 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Brüning Birgit Homburger Paul Schäfer ({2}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6909 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Kahrs Susanne Jaffke Jürgen Koppelin Roland Claus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben wir in diesem Parlament über drei Auslandseinsätze der Soldaten der Bundeswehr zu beraten. Man muss sich vor Augen führen, dass alle Auslandseinsätze, die unsere Soldaten bewerkstelligen, mit Risiko für Leib und Leben verbunden sind. Dieser Staat verlangt von seinen Soldatinnen und Soldaten - sei es beim Gelöbnis, sei es im Rahmen der Vereidigung -, dass sie bereit sind, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Dazu gehört dann auch der Einsatz des Lebens und der Gesundheit. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, das ist der entscheidende Grund, dass es dann der Fürsorgepflicht des Staates entspricht, dass die Soldatinnen und Soldaten oder die zivilen Mitarbeiter, die eine Beeinträchtigung ihrer Gesundheit erfahren, nicht nur auf Versorgung verwiesen werden, sondern auch einen Anspruch, ein Recht auf Weiterbeschäftigung erhalten. Deshalb finde ich es richtig, dass der Pflicht zur tapferen Verteidigung das Recht auf Weiterbeschäftigung im Falle der Gesundheitsbeeinträchtigung gegenübersteht. Darum bitte ich heute im Interesse der Soldatinnen und Soldaten, aber auch im Interesse der zivilen Mitarbeiter, die im Einsatz eine entsprechende Gesundheitsbeeinträchtigung erfahren, um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. ({0}) Meine Damen und Herren, gerade die Anschläge, die auf unsere Soldaten in diesem Jahr verübt worden sind, haben uns aus meiner Sicht die Notwendigkeit einer derartigen Regelung wieder vor Augen geführt. Mit diesem Gesetzentwurf betreten wir dienstrechtliches Neuland. - Das ist wahr; darum hat das Ganze auch etwas gedauert. - Wir haben ein Einsatzversorgungsgesetz. Das ist eine, wie ich finde, gute Regelung. Aber durch das Eröffnen dieser beruflichen Perspektive trotz der schweren Verletzungen bieten wir den Betroffenen auch eine emotionale Unterstützung für ihre wichtige Aufgabe. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Punkt. Denn wenn man den Einsatz von Leib und Leben verlangt, haben wir geradezu die Verpflichtung, ihnen dann einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu geben. Meine Damen und Herren, das Gesetz sieht vor, dass nach einer Schutzzeit im Anschluss an eine entspreBundesminister Dr. Franz Josef Jung chende Verletzung, wo dann niemand entlassen werden darf, ein Übernahmeanspruch im Soldatenstatus oder für zivile Mitarbeiter im Beamtenverhältnis oder gegebenenfalls im Arbeitsverhältnis besteht. Diese Umsetzung war bei den geltenden Dienst- und Versorgungsrechtsstrukturen - wie ich gerade gesagt habe - keine einfache Aufgabe. Deshalb möchte ich mich bei allen Ressorts herzlich bedanken, die hier kreativ und konstruktiv daran mitgewirkt haben, dass wir heute einen derartigen Gesetzentwurf verabschieden können. Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt war natürlich die Regelung für die Streitkräfte, weil der hohe Anteil der zeitlich befristeten Dienstverhältnisse hier eine besondere Rolle spielt. Aber auch ziviles Personal und Mitarbeiter anderer Ressorts - das haben wir in diesem Jahr erlebt - können von derartigen Anschlägen betroffen sein. Deshalb wird auch dieser Personenkreis durch dieses Gesetz mit abgesichert. Ich denke, dass diese Regelung, wie ich sie gerade ausgeführt habe, der Fürsorgepflicht unseres Staates entspricht. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, unsere Soldatinnen und Soldaten sowie unsere zivilen Mitarbeiter, die im Auslandseinsatz eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung erfahren, die dann aber in der Lage sind, wieder einer beruflichen Beschäftigung nachzugehen, nicht nur hinsichtlich der Versorgung zu vertrösten, sondern ihnen auch eine berufliche Perspektive und ein Recht auf Weiterbeschäftigung zu geben. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu dieser Gesetzesinitiative. ({1}) Ich denke, die Soldatinnen und Soldaten sowie alle, die in gefährlichen Auslandseinsätzen im Interesse unseres Landes tätig sind, haben diese Unterstützung verdient. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Besten Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Auslandseinsätze mit erheblichen Gefahren für Soldatinnen und Soldaten, aber auch für das Zivilpersonal verbunden sind, haben wir in der Vergangenheit mehrfach - auch schon in diesem Jahr - erleben müssen. Wir erinnern uns: Im Mai kamen drei Soldaten der Bundeswehr in Kunduz ums Leben, wenige Monate später BKA-Beamte in Kabul. Neben den Getöteten gibt es eine Vielzahl von verletzten Soldatinnen und Soldaten, Beamten und Angestellten, nicht nur beim Einsatz in Afghanistan, sondern ebenso bei anderen Einsätze der Bundeswehr im Ausland. Im Anschluss an Verletzungen und Tötungen kam es immer wieder zu sozialen Härten, meistens deshalb, weil gesetzliche Grundlagen, die den besonderen Umständen von Einsätzen im Ausland Rechnung trugen, fehlten. Bereits vor mehr als einem Jahrzehnt wurden die ersten versorgungsrechtlichen Regelungen geschaffen. Die Verabschiedung des Einsatzversorgungsgesetzes durch den Deutschen Bundestag vor drei Jahren war ein Meilenstein. Mit diesem Einsatzversorgungsgesetz wurde durch den Deutschen Bundestag zwar eine Regelung geschaffen, aber zunächst nur für diejenigen, die bei einem Einsatz im Ausland gesundheitlich so sehr geschädigt werden, dass ihre Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 Prozent gemindert ist und sie ihr Dienstverhältnis verlassen müssen. Obwohl die bereits vom Gesetzgeber durchgeführten versorgungsrechtlichen Regelungen von 1995 und 2004 zu einer deutlichen Verbesserung der Situation der im Auslandseinsatz verletzten Personen geführt haben, ist es weiterhin notwendig, Nachteile für diesen Personenkreis abzustellen. Ich denke, es ist gut, dass diesbezüglich in diesem Hause große Einigkeit herrscht. Der vorliegende Entwurf eines Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes ist der noch fehlende Baustein für eine umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und Angestellten des Bundes, der dem erhöhten Risiko von Auslandseinsätzen Rechnung trägt. Dies ist ein notwendiger und der Fürsorge für das eingesetzte Personal geschuldeter Schritt. Nach Inkrafttreten des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes haben die während eines Einsatzes im Ausland Geschädigten ein Recht auf Weiterbeschäftigung; der Herr Minister hat das gerade schon erläutert. Der Staat kommt hierdurch seiner Pflicht nach, all diejenigen adäquat abzusichern, die er in gefährliche Auslandseinsätze entsendet. Dieses Gesetz wird nicht nur dem betroffenen Personenkreis mehr soziale Sicherheit geben; dieses Gesetz wird darüber hinaus motivationsfördernd wirken. Die Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivilpersonen, die im Interesse unseres Landes an gefährlichen Einsätzen im Ausland teilnehmen, wissen nun, dass sie im Falle einer Verletzung eine ordentliche, besondere Versorgung erhalten, oder, so sie dies vorziehen, eine angemessene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der Bundeswehr. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Gesetzentwurf einen Anspruch der Geschädigten auf eine für die Weiterbeschäftigung notwendige berufliche Qualifizierung enthält. Insgesamt stellt der vorliegende Gesetzentwurf eine zweifelsfrei notwendige Regelung dar. Die Bundesrepublik Deutschland kommt damit ihrer Pflicht im Rahmen der Fürsorge nach, Personen, die bei Einsätzen im Ausland verletzt werden, optimal abzusichern. Die FDPFraktion stimmt dem Gesetzentwurf uneingeschränkt zu. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Petra Heß von der SPDFraktion.

Petra Heß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003553, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einmal daran erinnern: Am 19. Mai dieses Jahres wurde uns allen erneut auf tragische Weise bewusst, dass die Soldaten und Zivilisten bei Auslandseinsätzen einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt sind: In der nordafghanischen Stadt Kunduz starben bei einem Selbstmordanschlag drei Soldaten der Reserve, zwei wurden schwer und drei weitere Soldaten leicht verletzt. Fest steht: In absehbarer Zukunft wird sich an der Gefahrenlage für die Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten wenig ändern. Fest steht auch: Die Zahl der Auslandseinsätze der Bundeswehr und der Einsätze von Zivilisten im Rahmen des Wiederaufbaus und der Krisenprävention wird auf absehbare Zeit kaum geringer werden. Das verlangt den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, aber auch den zivilen Helfern vor Ort im Einsatz physisch, vor allem aber psychisch eine Menge ab. Dennoch erfüllen unsere Soldaten ihre Pflicht auch am Hindukusch vorbildlich und mit gleichbleibender Präzision. Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland als Dienstherr der Soldaten und zivilen Helfer in besonderem Maße verpflichtet, Hinterbliebene wie auch Verletzte oder traumatisch Geschädigte optimal abzusichern. Wenn wir, das Parlament, Soldaten in Einsätze auf der ganzen Welt schicken, dann müssen sie die absolute Gewissheit haben, dass sie und ihre Angehörigen im Unglücksfall bestens abgesichert und versorgt sind. ({0}) Sonst verbietet es sich, sie überhaupt in den Einsatz zu schicken. Die Liste der im Einsatz getöteten, verwundeten, verunglückten oder traumatisch geschädigten Soldatinnen und Soldaten und ziviler Mitarbeiter ist lang. Bereits 2004 hat daher der Bundestag durch das Einsatzversorgungsgesetz eine angemessene finanzielle Versorgung für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz verletzt oder geschädigt wurden, sichergestellt. Aber eine Frage bleibt offen: Was passiert mit einem Soldaten, der aufgrund einer Verletzung im Auslandseinsatz in seiner Erwerbsfähigkeit stark eingeschränkt ist? Gehört er zur Gruppe der Berufssoldaten, wird er meist in den Ruhestand versetzt und erhält sein Ruhegehalt. Das ist mitunter noch hinnehmbar. Aber was ist mit den Soldatinnen und Soldaten auf Zeit oder den freiwillig länger dienenden Grundwehrdienstleistenden oder auch den zivilen Beschäftigen und den Reservisten? Diese Soldaten und Mitarbeiter stehen möglicherweise vor dem beruflichen Aus. Häufig dürften die zu erwartenden Rentenleistungen und gegebenenfalls die Beschädigtenversorgung nicht ausreichen, um einen angemessenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber es geht nicht nur um die Versorgung. Viele Versehrte wollen neben der finanziellen Entschädigung vor allem eines: Sie wollen weiter am geregelten Erwerbsleben teilnehmen. Mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz wird genau diesem Wunsch nach Teilhabe entsprochen. Den Betroffenen soll nach einem Einsatzunfall alternativ zur Versorgung auch eine berufliche Perspektive eröffnet werden. Dieses Gesetz ist also eine notwendige Ergänzung zum Einsatzversorgungsgesetz. Insbesondere für alle Nichtberufssoldaten eröffnet es eine berufliche Perspektive nach einem Einsatzunfall. Die Regelung sieht für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten Folgendes vor: In einer sogenannten Schutzzeit soll die erforderliche gesundheitliche Wiederherstellung erfolgen. Soldatinnen und Soldaten, deren reguläre Dienstzeit noch während der Schutzzeit enden würde, werden in ein Wehrdienstverhältnis besonderer Art überführt und behalten so ihre Ansprüche gegenüber dem Dienstherren. Geschädigte erhalten während der Schutzzeit einen Anspruch auf berufliche Qualifikation. Damit soll sichergestellt werden, dass die Betroffenen eine qualifizierte Weiterbeschäftigung beim Bund antreten oder möglichst dauerhaft wieder am Arbeitsleben teilhaben können. Um dem verfassungsrechtlich geforderten Leistungsprinzip beim Zugang zu öffentlichen Ämtern Rechnung zu tragen, ist eine sechsmonatige Probezeit vorgesehen. Zum Eintritt in ein Beamtenverhältnis ist der Erwerb der jeweiligen Laufbahnbefähigung notwendig. Vergleichbare Regelungen sind für das Zivilpersonal des Bundes vorgesehen. Auch das muss man an dieser Stelle noch einmal betonen. Nach Ablauf der Schutzzeit erhält der Geschädigte bei einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung als Berufssoldat, Beamter auf Lebenszeit oder in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis beim Bund. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Einsatzgeschädigte von dem neuen Gesetz vollumfänglich erfasst werden, wenn sie ihren Einsatzunfall nach dem 1. Dezember 2002 erlitten haben und sich noch im Dienst befinden. Ferner wurden Sonderregelungen für eine Wiedereinstellung in den Fällen konzipiert, in denen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses erkannt worden ist. Diese Sonderregelungen sind wichtig und dringend notwendig, um insbesondere der Problematik der posttraumatischen Belastungsstörungen gerecht werden zu können. Schließlich soll das neue Gesetz auch die Versorgung noch einmal erheblich verbessern, indem die sogenannte einmalige Unfallentschädigung künftig schneller gezahlt wird. Mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz wird eine Lücke bei der Absicherung der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Helfer auf eine ausgewogene Weise geschlossen. Die Betroffenen erhalten nicht nur mehr Rechtssicherheit, sondern auch eine emotionale Stütze und eine persönliche Anerkennung ihrer Leistung als Soldatin oder Soldat. Das größte Plus auf der Habenseite der Bundeswehr sind ja die Menschen in den Streitkräften. ({1}) Die Soldatinnen und Soldaten haben in den letzten Jahren der Transformation viel geleistet. Sie haben die Transformation der Bundeswehr geschultert, und - davon konnte ich mich selbst überzeugen - sie haben das größtenteils mustergültig bewältigt. Auch die Einsätze dieser neuen Einsatz- und Konfliktregulierungsarmee wurden mit hoher Professionalität und großer Bereitschaft von jedem einzelnen Soldaten getragen. Diese Leistungen verdienen nicht nur unsere Bewunderung, sie müssen auch und viel mehr angemessen gewürdigt werden. Hier spielt das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz eine ganz entscheidende Rolle. Ein Soldat oder eine Soldatin, die nicht nur finanziell versorgt werden, sondern auch weiterhin aktiv am Berufsleben teilhaben können, erfahren damit nämlich Anerkennung und Rehabilitierung. Das Einsatzversorgungsgesetz war richtig und notwendig. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz ergänzt dieses nun in vorbildlicher Weise, indem es neben der finanziellen Versorgung die Alternative einer beruflichen Perspektive aufzeigt. Wie gesagt, wir zeigen damit den betroffenen Soldatinnen und Soldaten, dass wir ihre Leistungen für unser Land anerkennen, ihren Einsatz würdigen und ihrer Person den gebührenden Respekt zollen. Ich halte diese Anerkennung für enorm wichtig und notwendig; denn die Soldaten, die bereit sind, notfalls unter Einsatz ihres Lebens unser Land zu verteidigen, haben einen Anspruch darauf, dass sich Staat und Gesellschaft schützend vor sie stellen. Ihr Dienst ist nämlich ein ehrenhafter Dienst, und wir sollten ihnen den Rückhalt geben, den sie beim Ausüben ihres Dienstes brauchen und den sie von uns auch zu Recht erwarten können. Der Schutz von Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenwürde sind herausragende Kennzeichen unserer Verfassung, gleichzeitig aber auch die Markenzeichen der eigenständigen Tradition der Bundeswehr. Sie bieten Orientierung beim täglichen Dienst, aber sind genauso Maßstab für jeden militärischen Einsatz zur Wahrung von Frieden und Freiheit. Für diese schützenswerten Vorgaben unseres Grundgesetzes stehen unsere Soldaten ein. Deshalb müssen sie sich auch darauf verlassen können, dass unsere Gesellschaft hinter ihnen steht. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz unterstreicht meiner Meinung nach in hervorragender Weise diesen gesellschaftlichen Rückhalt und die Verantwortung, die wir für unsere Soldatinnen und Soldaten haben. Wer in der Bundeswehr dient, der steht nicht irgendwo im luftleeren Raum, sondern mitten in unserer Gesellschaft. Dies wird mit dem neuen Gesetz einmal mehr deutlich. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das wir heute hier verabschieden, ist überfällig. Ich stimme Ihnen, Herr Minister, und auch den anderen Kollegen, die hier gesprochen haben, ausdrücklich zu: Es ist die logische Ergänzung des Einsatzversorgungsgesetzes aus dem Jahre 2004. Ich stimme auch zu, dass es uns nicht nur um finanzielle Entschädigungen gehen darf, sondern wir den Menschen, die im Einsatz zu Schaden gekommen sind und aufgrund schwerer Verletzung eine andere Verwendung brauchen, auch eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bieten bzw. eine neue berufliche Perspektive eröffnen müssen. Ich denke, hierüber gibt es im Hause eine große Übereinstimmung. Vielleicht sollten wir auch ein klein wenig ein Auge darauf haben, wie dieses Gesetz umgesetzt wird. Es kann ja nicht darum gehen, den Menschen irgendeine Verwendung zukommen zu lassen, sondern es sollte darum gehen, sie entsprechend ihren Fähigkeiten und Erfahrungen einzusetzen. Ein Staat - ich glaube, das ist unser aller Grundsatz -, der Menschen in gefährliche Auslandseinsätze schickt, hat eine Fürsorgepflicht, nicht zuletzt für diejenigen, die dabei Schaden nehmen. Liebe Kolleginnen und Kollege, um dieses Gesetz musste wie auch um das Einsatzversorgungsgesetz aus dem Jahre 2004 gerungen werden. Dabei stellt man ein Grundmuster fest: Die Betroffenen werden aktiv, Interessenvereinigungen wie der Deutsche Bundeswehr-Verband engagieren sich heftig, der Wehrbeauftragte meldet sich, die Öffentlichkeit wird nach und nach sensibilisiert, bevor Entscheidendes geschieht. Das ist ein Punkt - ohne dass ich jetzt ein Haar in der Suppe finden möchte -, der für mich angesichts der Fälle einen schalen Beigeschmack hinterlässt: Warum ist das der normale Gang der Dinge, bevor den Betroffenengruppen wirklich geholfen wird? Und wenn das der Gang der Dinge ist, warum dauert es dann so lange? Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben 1992 begonnen. Wir haben jetzt 2007. Man soll nicht alles über einen Kamm scheren, aber an der Stelle fühle ich mich schon ein bisschen an die Bundeswehr- und NVA-Soldaten erinnert, die an Radargeräten eingesetzt, dabei lebensgefährlichen Strahlungen ausgesetzt waren und sehr lange auf Entschädigungen warten mussten. Heute haben wir es mit dem Problem zu tun - die Kollegin Heß hat es auch schon angesprochen -, dass Soldaten nach Auslandseinsätzen an posttraumatischen Belastungsstörungen erkranken. Diese müssen zeitgleich gegen die Krankheit und - so empfinden sie es in vielen Fällen - gegen bürokratische Ignoranz angehen, wenn sie Unterstützungsleistungen für die notwendige Behandlung der Krankheit einfordern. Auch hier geht es, wie wir immer so schön sagen, um schnelle und unbüro12822 Paul Schäfer ({0}) kratische Hilfe. Wir sollten uns als Nächstes mit aller Konsequenz daran machen, dass den Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen eine ausreichende Versorgung zuteil wird. ({1}) Noch einmal, meine Damen und Herren: Es geht darum, dass man frühzeitig Überlegungen anstellt, welche möglichen Folgen zum Beispiel Entscheidungen zur Entsendung deutscher Streitkräfte haben können und wie man damit umzugehen gedenkt. Für uns Linke lautet indes die oberste Mahnung: Militäreinsätze sind immer gefährlich. Deshalb müssen wir alles daransetzen, sie zu vermeiden, um gar nicht erst in die Lage zu kommen, von nachsorgenden Gesetzen Gebrauch machen zu müssen. Noch brauchen wir aber ein solches Gesetz, und zwar im Interesse der Betroffenen. Ich finde, es ist gut, dass dieses Gesetz, wenn ich das richtig sehe, von diesem Haus einmütig verabschiedet wird; denn auch die Fraktion Die Linke stimmt diesem Gesetzentwurf ohne Wenn und Aber zu. Danke. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende Oktober dieses Jahres waren 6 837 Soldatinnen und Soldaten zur Friedenssicherung im Einsatz, davon 3 143 im Rahmen von ISAF, im Wesentlichen in Afghanistan, aber auch im Südsudan; bei diesen 37 im Südsudan handelte es sich um Militärbeobachter - über sie werden wir heute Abend noch sprechen -, die zwar unbewaffnet, nichtsdestotrotz aber in einer sehr riskanten Situation sind. Wenn es um die Auslandseinsätze der Bundeswehr geht, wird oft übersehen, dass auch Hunderte von Zivilbediensteten des Bundes in Krisenregionen ihren Dienst tun: Bedienstete des Auswärtigen Dienstes, des Bundesnachrichtendienstes, der Bundespolizei und solche, die zu internationalen Organisationen entsandt wurden. Wenn die Bundesregierung - im Falle von Soldaten auch das Parlament - Menschen in besonders riskante Situationen schickt, ist die besondere Verantwortung und Fürsorge der Politik eine Selbstverständlichkeit - eigentlich. Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an die früheren schlimmen Unfälle, die geschehen sind: So ist im Jahre 1999 ein Oberstabsarzt im Kosovo mit seinem Transportpanzer von einer Brücke gestürzt. Als Ende 2002 in Kabul ein Bundeswehrhubschrauber abstürzte, gab es sieben Tote. Damals wurden wir darauf gestoßen, wie der sogenannte qualifizierte Dienstunfall definiert wurde: Nach dem Motto „Das hätte auch in Deutschland passieren können“ wurden die Unfälle nicht als Dienstunfall anerkannt. So eine absurde Interpretation hat es gegeben. Das war für uns der Anstoß, das Einsatzversorgungsgesetz zu erarbeiten, das der Bundestag im Jahre 2004 einstimmig verabschiedet hat. Das war der erste wichtige Schritt, den wir unternommen haben, um die Versorgung der in besonderer Auslandsverwendung verletzten Soldatinnen und Soldaten sowie Beamtinnen und Beamten den gewachsenen Risiken anzupassen. Heute geht es um den zweiten wichtigen Baustein in diesem Zusammenhang. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz schafft einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung von Soldatinnen und Soldaten und von Zivilbeschäftigten des Bundes, die in einer besonderen Auslandsverwendung verletzt werden. Das ist ein großer Fortschritt, vor allem für Nichtberufssoldaten und befristet Beschäftigte. In der Schutzzeit sollen die Einsatzgeschädigten gegen ihren Willen weder entlassen noch in den Ruhestand versetzt werden können. Um eine Weiterbeschäftigung beim Bund oder die Eingliederung in das Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern, sollen sie in dieser Schutzzeit die entsprechende berufliche Weiterqualifikation erhalten. Wie alle anderen Fraktionen begrüßen auch wir diesen Gesetzentwurf ausdrücklich. Ich möchte an dieser Stelle ganz besonders denjenigen danken, die großen Druck gemacht haben. In der Tat müssen wir aus Sicht der Politik insgesamt feststellen, dass dieser Gesetzentwurf vor allem ohne den Druck des Bundeswehr-Verbandes nicht so schnell auf den Weg gebracht worden wäre. Dieser Druck war ausgesprochen hilfreich. Mit dem Gesetzentwurf, der heute verabschiedet wird, ist unsere Arbeit eindeutig noch nicht getan. Selbstverständlich werden wir die Umsetzung dieses Gesetzes so gut wie möglich begleiten. Gleichzeitig werden wir uns mit dem schwierigen Komplex der posttraumatischen Belastungsstörung von Soldaten und Soldatinnen beschäftigen. Allzu oft - das ist bisher die Erfahrung müssen daran erkrankte Soldaten heutzutage in dieser für sie sehr belastenden Situation in einen Rechtsstreit mit ihrem Dienstherrn treten, damit diese Belastungsstörung als Wehrdienstbeschädigung anerkannt wird. Dieses ist so nicht hinnehmbar; da stehen wir genauso in der Verantwortung, eine gute Regelung zu finden. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort Monika Brüning von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Monika Brüning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003511, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine neue Erkenntnis, dass sich die Bundeswehr seit den 90er-Jahren in der Transformation befindet. Angesichts geänderter Rahmenbedingungen heißt deutsche Sicherheitspolitik mehr denn je, Verantwortung in Europa und in der Welt zu übernehmen. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in vielfältigen Einsatzgebieten unter schwierigsten Rahmenbedingungen hervorragende Arbeit. Hiervon konnte ich mich gerade erst in der vergangenen Woche bei meinem Besuch beim UNIFIL-Einsatzkontingent im Libanon persönlich überzeugen. Neben unseren Soldatinnen und Soldaten sind aber auch zivile Beschäftigte der Bundeswehr und des Bundes in den Konfliktregionen und Krisengebieten der Welt tätig. Wir wissen, militärische und zivile Auslandsverwendungen in diesen Gebieten sind nicht mit normalen dienstlichen Tätigkeiten gleichzusetzen. Auf die gesteigerten Gefährdungslagen haben wir, der Deutsche Bundestag, wiederholt reagiert. Mit dem Einsatzversorgungsgesetz wurde im Jahre 2004 eine versorgungsrechtliche Regelung getroffen, durch die eine angemessene finanzielle Versorgung nach einem Einsatzunfall im Ausland sichergestellt wird. Für die Betroffenen - häufig noch sehr junge Menschen - reicht der Verweis auf eine finanzielle Versorgung allein aber nicht aus. Sie möchten eine alternative berufliche Perspektive haben und nicht dauerhaft aus dem Berufsleben ausscheiden. Wenn sie diese erhalten, hat das nicht zuletzt auch eine positive psychologische Wirkung auf die Betroffenen und ihre Angehörigen. Mit dem vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes wird eine notwendige Ergänzung zum bisherigen Einsatzversorgungsgesetz vorgenommen. Er trägt dem erhöhten Risiko im Auslandseinsatz Rechnung und bildet den fehlenden Baustein für eine umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und Angestellten des Bundes. Herr Minister, ich möchte Ihnen und Ihrem Ministerium herzlich Dank sagen, dass Sie nun, nach längerer Zeit, dieses Gesetz endlich zur Verabschiedung vorgelegt haben. Das ganze Haus wird ihm zustimmen, denn auch die CDU/CSU-Fraktion wird sich hier nicht enthalten oder gar Nein dazu sagen. Ganz besonders wichtig ist auch, dass in diesem Gesetz nicht nur der Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung, Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung und eine Schutzzeit für die gesundheitliche Wiederherstellung vorgesehen sind, sondern auch die posttraumatische Belastungsstörung als besonderes Problem Berücksichtigung fand. In dem Gesetzentwurf sind Regelungen für eine Wiedereinstellung in den Fällen vorgesehen, in denen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses erkannt wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind es den Betroffenen und ihren Angehörigen schuldig, ihre Einsatztätigkeit für unser Land zu würdigen. Ich denke, mit dem vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes sind wir auch im Bereich der Versorgung in der sicherheitspolitischen Gegenwart angekommen. Ich denke, dass wir die Abstimmung jetzt positiv vornehmen können. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich beende die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen. Der Vertei- digungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 16/6896, den Gesetzentwurf der Bun- desregierung auf den Drucksachen 16/6564 und 16/6650 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Irmingard Schewe-Gerigk, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein transparentes, mittelstandsfreundliches, innovationsoffenes und soziales Vergaberecht - Drucksache 16/6786 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen - Drucksache 16/6791 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische Anliegen und Tariftreue durchsetzen - Drucksache 16/6930 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Kerstin Andreae von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! … wir erleben, dass es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in zunehmendem Maße eine Wettbewerbsverzerrung gibt, die einen umtreiben muss. Das ist nicht von mir, sondern das hat Kurt Beck auf dem Hamburger Parteitag der SPD Ende Oktober gesagt. Auch im Koalitionsvertrag kündigt die Große Koalition an, dass sie das Vergaberecht reformieren bzw. vereinfachen will. Auch steht da zum Beispiel, dass man die Vergabe öffentlicher Aufträge an den Ausbildungsstand der Unternehmen knüpfen soll. Wir sagen: Wir müssen die Änderung des Vergaberechts angehen; das ist dringend notwendig. Die öffentliche Hand vergibt jährlich Aufträge mit einem Gegenwert von mehr als 300 Milliarden Euro. Hinzu kommen weitere 60 Milliarden Euro für Aufträge, die öffentliche Unternehmen ordern. Insgesamt sind das 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist eine Größenordnung, bei der wir die Marktmacht der öffentlichen Hand nutzen können, um politische Zielvorgaben umzusetzen und um zum Beispiel auch kleineren und mittelständischen Unternehmen zu helfen - darauf werde ich gleich noch eingehen -, an diesen Vergabeverfahren teilzunehmen. ({0}) Wir wollen Rechtssicherheit. Heute besteht das Problem, dass die gewählten Vertreter in den Gemeinden bei der Vergabe zwar bestimmte Kriterien berücksichtigt sehen wollen, die Verwaltung aber nicht darauf eingeht und diese Wünsche mit Verweis auf die Rechtsunsicherheit ablehnt. Die Bundesregierung muss hier Rechtssicherheit schaffen. Internationales Recht und internationale Standards dürfen nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen missachtet werden. Mit großen Worten treten ja immer wieder Mitglieder der Bundesregierung auf und verkünden soziale und umweltpolitische Ziele, vor allem im Ausland. Mit ihren wirtschaftlichen Entscheidungen muss sie aber dafür auch selber eintreten. Das gilt für den Bereich der gerechten Globalisierung genauso wie für den Kampf gegen die Kinderarbeit. Vielleicht haben Sie die Diskussion über das Thema Natursteine aus Indien verfolgt, bei deren Herstellung oft auf Kinderarbeit zurückgegriffen wird. Es muss möglich sein, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen - in welcher Größenordnung auch immer - Kriterien vorzugeben, gemäß denen Unternehmen, die entsprechende Zulieferer haben, abgelehnt werden dürfen. ({1}) Gemäß den EU-Regeln ist die Berücksichtigung sozialer Belange ja zulässig. In Deutschland haben wir aber das Problem, dass diese nach deutschem Recht als sachfremde Kriterien gelten. Das wollen wir ändern. Wir wollen die Berücksichtigung von sozialen Kriterien entsprechend der EURichtlinie ermöglichen und Rechtssicherheit für die Vergabestellen schaffen. Das wollen im Übrigen nicht nur wir, sondern auch der Deutsche Städtetag fordert das schon lange. Es geht uns aber auch um Vereinfachung. Vereinfachung heißt, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmen einen leichteren Zugang zu den Vergabeverfahren bekommen. Entsprechende Vorschläge liegen vor, die Sie angehen können. Dazu gehört das Präqualifizierungsverfahren. Warum ermöglichen wir Unternehmen nicht, sich ähnlich wie beim TÜV generell für ein ganzes Jahr - was dann regelmäßig überprüft werden kann - für die Teilnahme an einem Vergabeverfahren qualifizieren zu können, statt bei jedem Vergabeverfahren aufs Neue dazu verpflichtet zu sein? Mit einem solchen Präqualifizierungsverfahren würden laut einem Gutachten des DIHK die Bürokratiekosten für die Unternehmen um 30 Prozent gesenkt. Ein weiterer Vorschlag betrifft die Mindestbearbeitungszeit. Wir müssen für die Erstellung von Angeboten eine Mindestzeitspanne zwischen Bekanntgabe und Abgabefrist einführen, um den Unternehmen die Teilnahme an den Vergabeverfahren zu ermöglichen. Schließlich brauchen wir einheitliche Schwellenwerte. Es gibt unterschiedliche Schwellenwerte in den einzelnen Ländern der EU. Auch an dieser Stelle ist eine Vereinfachung durch die Einführung einheitlicher Schwellenwerte notwendig. ({2}) Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie die Debatte verlaufen wird. Sie werden darauf hinweisen, dass Sie die Reform des Vergaberechts in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Leider sind schon über zwei Jahre vergangen, ohne dass Sie mit der Umsetzung dieses Vorhabens begonnen haben. Transparency International hat der Bundesrepublik zum Thema Korruption ein sehr schlechtes Urteil ausgeKerstin Andreae stellt. Es ist dringend notwendig, dass wir uns auch dieses Themas annehmen. Sie brauchen einen Weckruf. Sie verschlafen die Reform des Vergaberechts. Die Folge ist, dass reine Wirtschaftlichkeitserwägungen soziale Zielsetzungen aushebeln. Reformieren Sie das Vergaberecht unter der Maßgabe, die EU-Richtlinie umzusetzen, Erleichterungen für den Mittelstand zu schaffen und Korruption zu bekämpfen! Dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Verschlafen Sie das nicht weiter! Das Vergaberecht muss reformiert werden. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Albert Rupprecht von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Die Anträge der Grünen - das ist meiner Meinung nach auch aus Ihrer Rede hervorgegangen, Frau Andreae -, aber auch die Anträge der Linken, die zum öffentlichen Vergabewesen in Deutschland vorliegen, wollen das Vergabewesen im Kern verändern. Im Zentrum stehen die Abkehr vom Prinzip der wirtschaftlichen Leistungserbringung und eine Hinwendung zu einem völlig anderen Prinzip, nämlich vergabefremde, allgemeine politische Ziele einzuführen. Bisher gilt im deutschen Vergabewesen, dass ein Unternehmen, das sich an die Gesetze hält und leistungsfähig ist, den Zuschlag bekommt, wenn es das wirtschaftlichste Angebot abgibt. Die Anträge der Grünen und der Linken wollen ein ordnungspolitisches Gegenprinzip aufbauen. Nach Ihrer Vorstellung soll künftig jede vergebende Stelle selbst beliebig weitere Kriterien festlegen. Das heißt in der Konsequenz: 12 000 Kommunen, 2 000 Städte, 300 Landkreise sowie Autobahndirektionen, Wasserwirtschaftsämter, alle Ministerien usw. legen in Zukunft selbst fest, welche zusätzlichen Kriterien für die Vergabe gelten sollen. Soweit nicht gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen wird, ist letztendlich alles erlaubt. Fachleute reden davon, dass 800 neue Kriterien denkbar sind, die in Zukunft im Vergabewesen eingeführt werden könnten. Das heißt nach Adam Riese: Alle vergebenden Stellen in Deutschland zusammen könnten bis zu 12 Millionen neue Varianten der öffentlichen Vergabe einführen. Frau Andreae, in Ihrem Antrag ist von Vereinfachung die Rede. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das ist, milde ausgedrückt, lachhaft. ({0}) Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums hat aus großer Sorge wegen dieser Diskussion ein Sondergutachten erstellt und eingehend gewarnt. Statt für eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des Vergabewesens sorgen Sie für eine Zersplitterung und eine drastische Zunahme der Bürokratie. Sie fordern schlichtweg jede Vergabestelle auf, sich nach Belieben ein eigenes Vergabepaket zusammenzustellen. ({1}) Wie der Wissenschaftliche Beirat in seiner Studie umfassend dargelegt hat, wären die Folgen höhere Kosten, mehr Korruption, mehr Vetternwirtschaft und dramatisch mehr Bürokratie. Wir versprechen den Anwendern seit Jahren eine Vereinfachung des Vergabewesens und den Abbau von Bürokratie. Aber Sie wollen in dramatischem Ausmaß den gegenteiligen Weg beschreiten. Das ist und bleibt ein Irrweg. Vernünftig hingegen ist, dass wir vergabefremde Aspekte - wie es im Übrigen bisher schon im GWB geregelt ist - nur in Ausnahmefällen in das Vergabewesen aufnehmen. Sie werden aufgenommen, wenn sie strengen Kriterien entsprechen. Erstens. Wenn das politische Ziel durch eine Regelung in einem anderen Gesetz besser erreicht werden kann, dann hat es im Vergabewesen nichts zu suchen. Es darf zudem keine Doppelgesetzgebung geben. Wir haben Tausende Paragrafen in der Umweltgesetzgebung. Warum müssen wir alle dort aufgeführten ökologischen Ziele auch noch in das Vergabeverfahren hineinpressen? Zweitens. Genauso wie es bereits im geltenden Gesetz formuliert ist, müssen in Zukunft die Bundesebene und die Landesebene die Kompetenz haben, über die Aufnahme vergabefremder Aspekte zu beschließen. Anderenfalls droht die befürchtete Zersplitterung des Systems. Es macht keinen Sinn, dass sich jede Vergabestelle ein eigenes Vergabepaket zusammenbastelt. Drittens. Der bürokratische Mehraufwand muss gering sein. Dies muss durch eine Standardkostenmessung nachgewiesen werden. Viertens. Das originäre Ziel des Vergabewesens, den günstigen, wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen Hand zu organisieren, darf dadurch in keiner Weise beeinträchtigt werden. Wir müssen uns hier noch ein ganzes Stück mehr anstrengen. Die Einkaufskosten der öffentlichen Hand können und müssen gesenkt werden. Der Wissenschaftliche Beirat vertritt in seinem Gutachten die Meinung, dass die Einkaufskosten bis zu 10 Prozent gesenkt werden können, ohne die Leistungen der öffentlichen Hand zu verringern. Das spart Steuergelder - und nicht wenige. Das öffentliche Vergabewesen in Deutschland hat - Frau Andreae hat es bereits angesprochen - ein Volumen von 360 Milliarden Euro. Das sind 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Eine Senkung der Kosten um 10 Prozent würde die öffentliche Hand um 36 Milliarden Euro entlasten. Das ist in der Tat ein politisches Ziel, für dessen Erreichen es sich zu arbeiten lohnt. Wir schaffen das Albert Rupprecht ({2}) aber nicht mit Vorschlägen, die die Zersplitterung des Vergabewesens und die Erhöhung der Bürokratiekosten zur Folge haben. Wir schaffen es auch nicht mit mehr Vetternwirtschaft. Wir schaffen es nur mit einem funktionierenden Wettbewerb und einer Vereinfachung des Systems. Die Koalitionspartner haben sich im Koalitionsvertrag sehr zurückhaltend für die Erweiterung um vergabefremde Aspekte ausgesprochen. Auf Seite 106 des Vertrages wurde formuliert, dass Unternehmen bevorzugt werden können, die ausbilden. Das war’s dann aber auch. Die Regierungskoalition hat darüber hinaus im Koalitionsvertrag andere Schwerpunkte gesetzt als die Opposition in ihren Anträgen. Wir haben eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung des Vergabewesens und eine Vereinfachung des Vergaberechts vereinbart. Zum Ersten die mittelstandsgerechte Ausgestaltung: Im Koalitionsvertrag haben wir hierzu formuliert, dass wir eine stärkere Vergabe in Fach- und Teillosen anstreben. Hierzu muss § 97 Abs. 3 GWB geändert werden. Generalunternehmervergaben sollen auf die Fälle reduziert werden, in denen sie nachweislich vorteilhaft sind. Der Bundesrechnungshof hat ermittelt, dass Generalunternehmervergaben im Schnitt 15 Prozent teurer sind als Fach- und Teillosvergaben. Der Mittelstand beklagt - zu Recht - massiv, dass Generalunternehmervergaben häufig zu einer temporären Monopolstellung führen. Der Generalunternehmer diktiert dann den mittelständischen Subunternehmern Preise und Konditionen. Im Ergebnis bedeutet dies für den Mittelstand: verzögerte Zahlungseingänge, schlechte Preise und kaum die Möglichkeit, Eigenkapital zu bilden. In der ersten Krise marschieren die Mittelständler massenhaft in die Insolvenz. ({3}) Was wir wollen, ist eine Bezahlung nach Leistung und nicht nach Marktmacht. Deswegen ist in der Tat die Stärkung der Fach- und Teillosvergabe das Herzstück einer notwendigen Vergaberechtsreform. ({4}) Zum Zweiten: Das Vergabewesen muss vereinfacht werden. Bei der Vereinfachungsdebatte gibt es zwei Grundtypen: Die einen sagen, das Kaskadensystem soll abgeschafft werden, alle Verdingungsordnungen und alle Gesetze sollen in ein Vergabegesetz gepackt werden. Ich persönlich glaube nicht, dass dies den Anwendern hilft. Entscheidend ist für die Anwender nicht die Anzahl der Paragrafen, entscheidend ist nicht die Anzahl der Seiten im Gesetzestext, sondern entscheidend sind der Inhalt und der zeitliche Aufwand bei der Erstellung eines Angebots. Die Fragen für den Unternehmer sind: Wie viele Stunden sitze ich daran, die benötigten Unterlagen zusammenzustellen, wie viel Kilogramm Papier muss ich bei der Vergabestelle abgeben? Für die Anwender ist nicht die Rechtsästhetik die entscheidende Frage, sondern der zeitliche Aufwand in der praktischen Anwendung. Genau deshalb haben wir die betroffenen Ministerien gebeten, einen vollkommen neuen Weg in der Vereinfachung zu gehen und den zeitlichen Aufwand der Prozesskette mit dem Standardkostenmodell zu untersuchen. Es geht den Anwendern darum, den zeitlichen Aufwand der Prozesskette zu verringern. Diese Untersuchungen wurden im Wirtschaftsministerium und im Bauministerium abgeschlossen; entsprechende Ergebnisse liegen nun vor. Auf dieser Basis wird derzeit ein Referentenentwurf erstellt und zwischen den Häusern abgestimmt. Ich gehe davon aus, dass dieser in den nächsten Wochen im Kabinett beschlossen und uns dann für die parlamentarische Beratung zugeleitet werden wird. ({5}) Der nächste Schritt im deutschen Vergabewesen muss eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung und die Vereinfachung sein. Die Anträge der Grünen und auch der Linken bringen im Gegenteil eine dramatische Zunahme an Bürokratie und eine Zersplitterung des deutschen Vergabewesens, statt es zu vereinfachen. Das Grundanliegen, uferlos neue Kriterien in das Vergabewesen aufzunehmen, ist der vollkommen falsche Ansatz. Deswegen sind die Anträge abzulehnen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Martin Zeil von der FDP-Fraktion. ({0})

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem zum Teil zu Recht vorgetragenen Verriss der Anträge der beiden Antragsteller hat Herr Kollege Rupprecht versucht, ein bisschen davon abzulenken, dass Sie von der Regierungskoalition sehr stark mit der Umsetzung all dessen im Verzug sind, was Sie uns heute wieder vorgetragen haben. Die Bundesregierung hat vor etwa zehn Monaten auf eine Kleine Anfrage der FDPFraktion geantwortet, dass sie schnellstmöglich die Schwerpunkte auf Vereinfachung, Vereinheitlichung, Entbürokratisierung, mehr Transparenz und Wettbewerb legen will. Das sind wirklich noble Ziele, die Sie vorgetragen haben, aber sie wurden bis heute nur angekündigt und nicht erreicht. ({0}) Dabei ist ein effizientes und praktikables Vergaberecht wichtig, um eine optimale Allokation der staatlichen Mittel zu gewährleisten. Was wir im Moment haben, ist ein zersplittertes, kompliziertes Vergaberecht. Das führt nicht nur zu Fehlern, sondern auch zu GeldverMartin Zeil schwendung, wie wir aus den Berichten der Rechnungshöfe zur Genüge wissen. Die Bundesregierung hatte das Wirtschaftsministerium aufgefordert, bis Ende 2006 entsprechende Gesetzgebungsvorschläge vorzulegen. Das sollte im Rahmen der GWB-Novelle erfolgen. Nun schreiben wir bald Ende 2007, und es ist bei den Ankündigungen geblieben. Wir haben gesehen, dass die Oppositionsparteien - sicherlich mit sehr unterschiedlicher Zielrichtung - das Thema zwar immer wieder auf die Tagesordnung bringen, es Ihnen von der Koalition aber nicht gelingen will, uns endlich einmal etwas vorzulegen. So kommt es zu solchen Fehlvorstellungen, wie sie im Antrag der Linksfraktion enthalten sind. Frau Lötzer, Ihre Fraktion tritt dafür ein, dass aktuelle Themen wie Mindestlohn usw. bei einer Neuregelung des Vergaberechts berücksichtigt werden. Doch das zu regeln, kann sicherlich nicht Aufgabe des Vergaberechts sein. ({1}) - Sie hätten die Vorschläge, die wir vor einem Jahr gemacht haben, einmal zur Kenntnis nehmen sollen. Wir haben bei der Regierung angefragt, aber bisher, wie gesagt, keine Initiative gesehen. Wir müssen feststellen, dass die Bundesregierung mittelstandsfeindlich handelt. Sie hat einigen unserer Vorschläge zwar zugestimmt, aber sie hat bisher nichts vorgelegt. Es ist zum Beispiel dringend notwendig, die vergaberechtlichen Regelungen auf Bundes- und Landesebene endlich zu vereinheitlichen; ({2}) denn sehr viele Differenzierungen machen Schwierigkeiten. Auch das Thema „Schwellenwerte“ ignoriert die Bundesregierung bereits seit Jahren. Nach Ansicht vieler Experten sind die bisherigen Schwellenwerte erheblich zu hoch angesetzt. Auch hier wäre ein bisschen mehr Einsatz in Brüssel dringend notwendig. Es gab auch einmal Überlegungen der Bundesregierung zur Förderung der mittelständischen Wirtschaft im Vergaberecht durch die effektive Durchsetzung des Grundsatzes der Losvergabe und der Wettbewerbsmöglichkeiten bei der Vergabe von Aufträgen an Unterauftragnehmer. Davon ist bisher aber nichts zu sehen. Für den Bereich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge wurde das Präqualifikationsverfahren entwickelt und eingeführt, das von der Praxis als deutliche Entbürokratisierung wahrgenommen wird. Auf meine damalige Frage hat die Bundesregierung geantwortet - das war vor etwa einem Jahr -: Wir müssen weiter prüfen, ob wir das übertragen können. Jetzt hören Sie einmal auf, zu prüfen, und machen Sie endlich einmal was! ({3}) Maßnahmen zur Stärkung der transparenten und diskriminierungsfreien Vergabe öffentlicher Aufträge wurden ebenso angestrebt. Es ist ein Trauerspiel und ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass hier wieder nicht gehandelt worden ist. Die Unternehmen, die den Aufschwung in den letzten Jahren trotz Ihrer Regierungsarbeit bewerkstelligt haben, haben einfach mehr Einsatz von Ihrer Seite verdient. Auch durch das Sachverständigengutachten ist Ihnen ins Stammbuch geschrieben worden: Ihnen fehlt die wirtschaftspolitische Leitlinie. Das kann man auch bei diesem Thema erkennen. Die Unternehmensteuerreform ist verkorkst. Beim Erbschaftsteuerrecht hat es einen Wortbruch gegeben. Es gibt zunehmend protektionistische Tendenzen, statt den Wettbewerb zu fördern. Die GWB-Novelle ist untauglich. Hinzu kommt das Hickhack bei der Beendigung des Postmonopols. - Die Anzahl Ihrer marktwirtschaftsfeindlichen Baustellen nimmt kein Ende. Es wäre dringend notwendig, dass Sie wenigstens im Bereich des Vergaberechts - das Thema sollte vergleichsweise unstrittig sein - endlich einmal von Ihrer Selbstblockade herunterkommen und hier etwas Vernünftiges vorlegen. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz von der SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Egal was man sich anschaut - ob die Praxis, Vorgänge im eigenen Wahlkreis oder auch kritische Fernsehbeiträge -: Es fällt auf, dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, insbesondere von Bauaufträgen, immer wieder Dinge geschehen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Zum Beispiel ist die Situation in Nordrhein-Westfalen so, dass viele öffentliche Bauaufträge nach wie vor ohne jede Berücksichtigung schon bestehender sozialer Kriterien, etwa die Zahlung von Mindestlöhnen am Bau oder die Durchführung von Ausbildungsaktivitäten - diese Frage wurde eben angesprochen -, vergeben werden. Die Konsequenz, die die dortige Landesregierung daraus zieht, ist allerdings ganz merkwürdig: Während neun andere Regierungen in ihren Vergaberichtlinien geregelt haben, wie man mit der Zahlung von Mindestlohn und anderen wichtigen sozialpolitischen Fragestellungen umgeht, hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, wo eine solche Regelung zum ersten Mal eingeführt wurde, sie auch als erstes wieder abgeschafft, und zwar auf der Grundlage eines Gutachtens, in dem festgestellt worden ist, dass sich kein Mensch daran hält. Dies ist ein interessanter Vorgang, der Anlass zum Nachdenken gibt. Ich glaube aber, man sollte die Flinte nicht ins Korn werfen, sondern sollte sich überlegen, welche Möglichkeiten es eigentlich von der Beaufsichtigung des öffentlichen Vergabewesens bis hin zu der Frage gibt, was die Gewerbeaufsicht eigentlich auf dem Bau macht. Es gilt Reinhard Schultz ({0}) festzuhalten, dass gute Vorschriften natürlich auch einer gewissen Kontrolle und Nachvollziehbarkeit bedürfen. Das Spannungsfeld zwischen einer preisgünstigen Beschaffung aufgrund eines geordneten Vergabewesens auf der einen Seite und der gleichzeitigen Festlegung von Mindestbedingungen in Sachen Fairness im Geschäftsverkehr zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen auf der anderen Seite muss von uns vernünftig aufgelöst werden. Natürlich darf das Vergabewesen nicht ein Sammelsurium von Wertvorstellungen werden, bei dem die Frage der Preisfindung nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. ({1}) Natürlich dient das Vergabewesen in erster Linie dazu, festzustellen, wie das Preis-Leistungs-Verhältnis bei konkreten und vernünftigen Vorgaben ist. Aber daneben ist es zur Vermeidung von Dumping-Wettbewerb auch wichtig, Mindeststandards wie die Einhaltung von Mindestlöhnen und eine angemessene Ausbildungsquote bei den anbietenden Unternehmen zu berücksichtigen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man verstärkt zu Öffnungsklauseln in Bezug auf Nebenangebote kommt, wodurch sozusagen eine pfiffigere Lösung gleichwertig neben die angefragte Regellösung gestellt wird. Das sind aber Punkte, um die in der Großen Koalition noch gerungen wird. ({2}) - Liebe Kerstin Andreae, da ich Sie so vor mir sitzen sehe, hätte ich fast „rot-grüne Koalition“ gesagt. Aber ich meine natürlich die rot-schwarze Koalition. In einer Großen Koalition mit einer derartigen Bandbreite, wie wir sie haben, gibt es ausgesprochen viele Gemeinsamkeiten, aber es gibt natürlich auch Felder, wo sich die ordnungspolitischen Vorstellungen aneinander reiben und wo man etwas länger für die Abstimmung braucht. Wir haben nach der Koalitionsvereinbarung sehr schnell alles das, was die EU-Richtlinien vorgeben, in deutsches Recht umgesetzt, wenn es mit relativ geringem Aufwand möglich war. Es ist also nicht so, dass überhaupt nichts geschehen ist. Es gibt einen Gesetzentwurf, in dem aus meiner Sicht Transparenz, Mittelstandsfreundlichkeit, weitere EUrechtliche Vorgaben, eine generelle Vereinfachung, aber auch die Anwendung gleicher Begriffe für gleiche Sachverhalte, damit der Anbieter überhaupt versteht, was der Auftraggeber gemeint hat, sowie die effiziente Gestaltung von Rechtsschutzverfahren weitgehend enthalten sind. Dies ist auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs geschehen, den es schon gab, der aber wegen der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 der Diskontinuität unterlag. Er bildet aber nach wie vor im Wesentlichen die Grundlage. ({3}) Es bleibt aber ein umstrittener Bereich. Auch aus Sicht der Arbeitswelt muss eine vernünftige Behandlung der Arbeitnehmer zum Beispiel am Bau gewährleistet sein. Es ist kein Geheimnis, dass es da noch Klärungsbedarf und sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt. Es gibt den verständlichen Ansatz, nach dem eine Ausschreibung nur der Preisfindung dient; das ist ein klarer, ordoliberaler Ansatz. Dann gibt es Ansätze, wonach die öffentliche Hand auch eine gewisse Vorbildfunktion wahrzunehmen hat und mindestens das zu erfüllen hat, was sie von anderen auch erwartet, nämlich die Einhaltung von Mindestlöhnen sowie ein Mindestmaß an Ausbildungsaktivitäten. Insofern hoffe ich, dass wir uns da zeitnah verständigen werden. Denn aus den betroffenen Branchen kommt die berechtigte Kritik, wie es sein kann, dass der Gesetzgeber mindestens ein Jahr braucht, um eine relativ überschaubare Fragestellung zu lösen. Die Hauptprobleme liegen allerdings nicht in den bundesgesetzlichen Rahmenvorstellungen. Sie liegen im Wesentlichen in den Verdingungsordnungen, die im Rahmen eines Selbstverwaltungsprozesses entstehen und für die man nur sehr schwer die letzten Details vorgeben kann. Aber auch dort ist etwas geschehen. Wir haben vereinbart - das Wirtschaftsministerium hat es veranlasst -, dass das Standardkostenmodell sozusagen als Prüfraster über typische Vergabevorgänge gelegt wird. Daraus gibt es Ergebnisse, die den Ausschüssen, die die Verdingungsordnungen erarbeiten und beschließen, in einem Gutachten zugeleitet worden sind. Wir hoffen, dass dadurch das Tempo erhöht wird. In diesen Ausschüssen gibt es sehr unterschiedliche Interessen. Dort geht es nicht nur um die Frage: Ist es gerechtfertigt, in einer Ausschreibung soziale Fragestellungen zu berücksichtigen? Dabei spielen auch sehr unterschiedliche wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Die Vorstellungen darüber „Was ist kostenrelevant und was nicht? Was ist einfach und was nicht?“ sind dort sehr unterschiedlich. Die Bundesregierung hat ihre Schularbeiten gemacht. Sie hat ein Gutachten angefertigt, hat es den Beteiligten zur Verfügung gestellt und wird, wie ich weiß, immer wieder den Finger in die Wunde legen - wir sollten uns daran beteiligen -, damit die Verdingungsordnungen, die weitgehend einer Selbstverwaltung unterliegen, von den zuständigen Ausschüssen so schnell wie möglich verabschiedet werden. Fast genauso schwierig ist es natürlich mit der Vereinheitlichung von Bundesvergaberecht und Landesvergaberecht. Wo die Musik spielt, wo die Länderverwaltungen und insbesondere die Kommunen berührt sind - 70 Prozent aller öffentlichen Infrastrukturaufträge werden von Kommunen vergeben -, da regelt sich vieles im Wesentlichen durch Landesrecht. Da hat das Bundesrecht eine gewisse Leitfunktion, aber die Details werden auf Landesebene festgelegt. Wie wir gehört haben, haben die neuen Länder zum Beispiel im Bereich Mindestlohn ordentlich vorgelegt; ein Land macht aber einen Rückzieher. Reinhard Schultz ({4}) Dort zu einer Vereinheitlichung zu kommen, ist außerordentlich schwierig und bedarf natürlich eines gewissen Zeitraums für Verhandlungen. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir uns hier verständigen - neuerdings Herr Rupprecht und ich oder auch sonst wer -; das bedarf eines sehr komplizierten Prozesses mit sehr unterschiedlichen Philosophien auch auf Länderebene. Ich kann nur dahin gehend appellieren, dass wir, was das Tempo angeht, Druck machen und die Ressortabstimmung im Kabinett zu Ende bringen. Denn eines ist völlig richtig: Alle beteiligten Branchen - die Baubranche, die Freiberufler und alle, die auf öffentliche Aufträge angewiesen sind - warten darauf - das ist von allen zu Recht angemahnt worden -, dass das Vergaberecht deutlich verschlankt wird, deutlich mittelstandsfreundlicher wird. ({5}) Aber viele warten auch darauf, dass die notwendigen sozialen Akzente im Vergaberecht gesetzt werden, wenn es um die Vermeidung von Lohndumping geht. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich will einmal daran erinnern: Bereits im April 2002 hat der Bundestag ein Tariftreuegesetz verabschiedet und die Tariftreue im Vergaberecht verankert. Das wurde damals im Bundesrat blockiert. Die Länder haben gesagt: Wir regeln das in Ländergesetzen. ({0}) Jetzt haben wir einen Zersplitterungszustand, Kollege Rupprecht, der dringend durch eine bundeseinheitliche Regelung aufgehoben werden muss. In einigen Ländern gibt es Regelungen, die aber völlig unterschiedlich sind. Das geht bis hin zu den Kommunen. Tatsächlich kommt noch hinzu - der Kollege hat gerade darauf hingewiesen -, dass Ihre Wirtschaftsministerin in NRW als Erste ein solches Vergaberecht mit der Begründung rückgängig gemacht hat, dass man sich nicht daran halten würde. Schaffen wir doch vielleicht demnächst das Strafrecht ab! Das wäre folgerichtig, weil wir nicht alle Diebe fangen; das wäre sozusagen die Konsequenz. ({1}) Daher sage ich auch: Geiz ist nicht geil! Bei 300 Milliarden Euro Auftragsvolumen im Jahr, Kollege Rupprecht, kann Geiz nicht das Kriterium für die öffentliche Vergabe sein, wie Sie es hier in den Vordergrund Ihrer Rede gestellt haben. Geiz macht im Gegenteil arm. Diese leidvolle Erfahrung machen mehr und mehr Beschäftigte gerade bei Aufträgen der öffentlichen Hand, beispielsweise in den Bereichen Behördenpost, Gebäudereinigung, Müllabfuhr oder auch Sicherheit. Geiz zerstört in diesem Sinne Demokratie, weil Tarifautonomie ein Grundbestandteil unserer Demokratie ist. ({2}) Durch Arbeit zu Armutslöhnen wird die Würde der Menschen getroffen. Geiz zerstört auch die Umwelt und verhindert ökologische Innovationen. Ökologische Kriterien sind notwendig, Kollege Rupprecht; denn beispielsweise nur 0,5 Prozent des Stroms, den die Bundesbehörden beziehen, sind Ökostrom. Geiz bei der öffentlichen Auftragsvergabe verschärft nicht nur in Deutschland, sondern auch international den Druck auf Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Menschen. Davon zeugen die Berichte über Kinderarbeit in Steinbrüchen Indiens und Chinas sowie über Hungerlöhne und die Verletzung von Gewerkschaftsrechten in den Sweatshops transnationaler Konzerne. Vor diesem Hintergrund ist es beschämend, dass Sie außer Ankündigungen hier noch nichts zustande gebracht haben. Die EU-Richtlinie ermöglicht ausdrücklich ökologische und soziale Kriterien im Vergaberecht; aber Sie kommen nicht zu Potte. Gestern hat der rot-rote Berliner Senat eine Novellierung des Berliner Vergabegesetzes beschlossen. Er wird mit der Ausweitung der Tariftreue auf alle Branchen bundesweiter Vorreiter werden. Ein besonderes Novum: Erstmals wird auch ein Mindestlohn von 7,50 Euro bei öffentlichen Aufträgen festgeschrieben. ({3}) Vereinheitlichen wir doch in diesem Sinne die Vergabekriterien bundesweit, Kollege Rupprecht und Kollege Zeil! Es geht nicht um wahllose Kriterien; aber aus unserer Sicht gehören genauso die Förderung der Gleichstellung von Frauen, die betriebliche Ausbildung, ökologische Standards und der Schutz von Kernarbeitsnormen dazu, ebenso die Mittelstandsfreundlichkeit. Wir meinen allerdings, dass dem am besten mit einem zweistufigen Vergabeverfahren Rechnung getragen wird. Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie wollen faire Arbeit ermöglichen. Ein solches Vergaberecht würde einen Schritt in diese Richtung gehen. Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und auch Herr Zeil, in der Auseinandersetzung um einen gesetzlichen Mindestlohn treten Sie hier immer als die wahren Hüter der Tarifautonomie auf. ({4}) Man empfindet es immer als verkehrte Welt, wenn Sie sich zum Fürsprecher der Tarifautonomie machen. Beweisen Sie doch einmal, dass Sie tatsächlich hinter diesen Werten stehen! Hier haben Sie die Möglichkeit dazu, indem Sie Tariftreue im Vergaberecht verankern. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6786, 16/6791 und 16/6930 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften ({0}) - Drucksachen 16/5576, 16/5848 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 16/6874 - Berichterstattung: Abgeordnete Leo Dautzenberg Frank Schäffler b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Christine Scheel, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Offene Immobilienfonds - Marktstabilität sichern, Anlegervertrauen stärken - Drucksachen 16/661, 16/6874 Berichterstattung: Abgeordnete Leo Dautzenberg Frank Schäffler Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks das Wort.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Durch das Investmentänderungsgesetz wollen wir die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Fondsbranche in Deutschland steigern und die Innovationsfähigkeit fördern, ohne den notwendigen Anlegerschutz zu vernachlässigen. Wir deregulieren die Fondsbranche: Die Regelungsdichte des Gesetzes wird auf EU-Vorgaben zurückgeführt. Wir entlasten die Branche von Kosten im Verwaltungsbereich in Höhe von rund 8 Millionen Euro. Wir modernisieren die offenen Immobilienfonds, um sie für die Zukunft zu stärken. Die Schwächen der bisherigen Regulierung von offenen Immobilienfonds werden identifiziert und beseitigt. Im Regierungsentwurf sind zu diesem Zweck zielgenauere Maßnahmen als im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vorgesehen, der heute ebenfalls auf der Tagesordnung steht. Wir fördern Produktinnovationen durch neue AssetKlassen wie Infrastruktursondervermögen und sonstige Sondervermögen. Infrastruktursondervermögen können in öffentlich-private Partnerschaftsprojekte, sogenannte ÖPPProjekte, investieren, in eine Anlageform, die Investmentfonds bislang verschlossen war. Privatanleger, die wegen der hohen Anlagesummen bisher keinen Zugang zum ÖPPMarkt hatten, können durch Infrastruktursondervermögen an den Entwicklungschancen des ÖPP-Marktes mittelbar partizipieren. Sonstige Sondervermögen können anders als herkömmliche Fonds in innovative Finanzprodukte wie zum Beispiel Edelmetalle oder unverbriefte Unternehmensbeteiligungen investieren. Wir verbessern den Anlegerschutz und die Corporate Governance. Deshalb stärken wir die Unabhängigkeit der Aufsichtsräte von Fondsgesellschaften und die Unabhängigkeit der Depotbanken. Wir schützen außerdem die Anleger in Fondssparpläne: Die Vorausbelastung des Anlegers mit Vertriebskosten ist bei Fondssparplänen sowohl mit inländischen als auch mit ausländischen Fonds beschränkt. Unsere Maßnahmen dienen der Stärkung des Finanzstandortes Deutschland und dem Anlegerschutz, was auch die Expertenanhörung des Finanzausschusses bestätigt hat. Es bestanden allerdings unterschiedliche Standpunkte bezüglich der Frage, wie das Ziel der Standortförderung mit dem des Anlegerschutzes in ein angemessenes Verhältnis zu setzen ist. Das ist natürlich bei jeder Finanzmarktgesetzgebung eine Gratwanderung. Deshalb haben intensive Beratungen zwischen den Berichterstattern der Koalitionsfraktionen und den Vertretern des Bundesministeriums der Finanzen stattgefunden. Die Koalitionsfraktionen haben schließlich einen sehr guten Gesamtkompromiss gefunden ({0}) und eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen, die den Entwurf aus dem Bundesministerium der Finanzen weiter verbessern und eine gelungene Balance zwischen den Interessen der Fondsbranche und dem notwendigen Anlegerschutz herstellen. Dazu gehören insbesondere weitere Geschäftsmöglichkeiten von institutionellen Anlegern in Spezialfonds, die Möglichkeit für Immobilienfonds, im Ausland über mehrstöckige Immobiliengesellschaften zu investieren, sowie weitere Vereinfachungen bei der Veröffentlichung von Fondsberichten. Als entwicklungspolitisches Signal ist die Beteiligung von Kleinanlegern an Mikrofinanzfonds zugelassen worden, die die Vergabe von Mikrokrediten an Klein- und Kleinstunternehmer in Entwicklungs- und Schwellenländern refinanziert. So werden in Deutschland neue Wege beschritten, damit sich breite Bevölkerungsschichten gezielt an der weltweiten Armutsbekämpfung beteiligen können. Mit diesen Rahmenbedingungen kann sich der Fondsstandort Deutschland mit anderen Standorten in Europa messen. Der Gesetzgeber hat wie immer eine hervorragende Arbeit geleistet. Jetzt ist die Fondsbranche gefordert, die neuen Freiheiten und Instrumente im Interesse von Standort und Anlegern zu nutzen. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von der FDP-Fraktion. ({0})

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden. So hatten Sie von der Union und der SPD es wörtlich in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, ({0}) und da lagen Sie eigentlich auch richtig. ({1}) Doch Ihnen ist im vorliegenden Gesetzentwurf die Umsetzung dieser richtigen Erkenntnis nicht gelungen. ({2}) Tatsächlich haben Sie sich mit Hängen und Würgen zu einem Ihrer letzten kleinen Schritte im Bereich der Finanzmarktgesetzgebung gerettet. Bei dem Gesetzgebungsverfahren zum Wagniskapital und zur sogenannten Risikobegrenzung gelingt Ihnen das schon nicht mehr. Das ist aber auch nicht schlimm; denn Sie rücken immer weiter nach links, und mit Links kann man keine zukunftsfähige Finanzpolitik in Deutschland machen. ({3}) Es war ja schon bei Ihrer letzten Koalitionsrunde so: Hinterher waren alle froh, dass nichts herausgekommen ist. Bei Ihren Finanzmarktgesetzen ist es genauso: Wenn Sie sich am Ende einigen, werden wir ein Wagniskapitalgesetz haben, das am Markt vorbeigeht, und ein Risikobegrenzungsgesetz, das seine Wirkung am Markt erzielen wird. Investitionen in Deutschland werden verhindert und Arbeitsplätze vernichtet. Zum vorliegenden Gesetzentwurf: Sie machen damit Ihrem Namen als Koalition der verpassten Chancen wieder alle Ehre. Eine durchgreifende Liberalisierung gehen Sie nicht an. Damit wird der Fondsstandort Deutschland im internationalen Vergleich nicht gestärkt und kann seinen Rückstand insbesondere gegenüber Luxemburg nicht aufholen. Der Exodus der Investmentbranche aus Deutschland wird sich fortsetzen. Erst waren es die Publikumsfonds, und bald sind es die Spezialfonds. Gerade das Luxemburger Spezialfondsgesetz zeigt doch ganz aktuell, wie hilflos der deutsche Gesetzgeber reagiert. Im Jahressteuergesetz 2008, das wir heute im Deutschen Bundestag beraten haben, wird wieder einmal eine Spezialvorschrift aufgenommen, um die Abwanderung großer Vermögen zu verhindern. Vor allem im Bereich der alternativen Investments tun Sie nichts. Sie verziehen sich lieber auf den Zuschauerplatz und schauen, wie der Finanzplatz Deutschland den Anschluss gegenüber unseren internationalen Wettbewerbern verliert. Die schlafen nämlich nicht, sondern setzen sich aktiv für ihren Finanzplatz vor Ort ein. Vor kurzem berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass der Bürgermeister von London eigens nach China gereist war, um einen chinesischen Staatsfonds davon zu überzeugen, seine Europazentrale in London zu errichten. So sieht aktive Finanzplatzförderung aus! Sie zeichnen dagegen eine Schimäre an die Wand. Dabei macht China um den deutschen Investitionsstandort einen ganz großen Bogen. Nehmen Sie das Beispiel Hedgefonds: Wenn wir die Bestimmungen etwas praxisgerechter fassen - es geht hier nicht darum, eine umfassende Deregulierung einzuleiten -, dann gelingt es uns vielleicht, Deutschland als Standort für Hedgefonds voranzubringen. ({4}) Es ist doch besser, möglichst viele Fonds dafür zu gewinnen, sich dem deutschen Investmentrecht und der deutschen Finanzaufsicht zu unterstellen, ({5}) anstatt sich in Offshoregebieten anzusiedeln. ({6}) Nur wenn wir selbst ein gewichtiger Standort sind, können wir in der internationalen Diskussion erfolgreich auf Transparenz dringen. Nur wenn in Deutschland selbst Kapitalsammelstellen entstehen, weil wir hier attraktive Investitionsbedingungen haben, bekommen wir auch Kapital für die deutsche Wirtschaft. Auch Sie sehen den Bedarf, aber bei Ihnen gehen die Gedanken dann in Richtung eines staatlichen Schutzfonds. Damit setzt die Große Koalition den Beschluss des SPD-Parteitages zum demokratischen Sozialismus um. ({7}) Sie müssen auch einmal auf den Markt setzen und müssen nicht alles durch staatliche Eingriffe regeln! Schützen Sie die Eigentümer und nicht die bezahlten Vorstände! ({8}) Mit Ihrem Gesetzentwurf verfehlen Sie aber auch die weiteren Ziele. Sie stärken den Verbraucherschutz nicht, weil die Transaktionskosten für die Anleger weiter im Dunkeln bleiben. Die von Ihnen eingefügte Regelung ist völlig unzureichend. Mit Ihrem Gesetz schaden Sie aber auch den Investmentfonds im Wettbewerb mit Zertifikaten und Versicherungen, wenn Sie die Kostenvorausbelastung unverhältnismäßig einschränken. Das wurde in der Anhörung ganz offen debattiert. Sie tun das sehenden Auges. Dass Sie dadurch Anlegerentscheidungen beeinflussen, nehmen Sie billigend in Kauf. Auch daran sieht man: Bei dieser Koalition ist Stillstand wirklich noch das Beste, was sie für dieses Land tun kann. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie beispielsweise das Silicon Valley für Hochtechnologie steht, so steht Luxemburg für eine erfolgreiche Fondsindustrie. Unser Nachbarland ist unbestritten Europas führendes Investmentfondszentrum. ({0}) Wer den deutschen Fondsstandort stärken will, muss sich daher unweigerlich mit den Entwicklungen in Luxemburg auseinandersetzen. ({1}) Das haben wir getan; auch wenn Sie, Herr Kollege Schäffler, hier das Gegenteil behauptet haben. Anhaltspunkte dafür sind im Entwurf des Investmentänderungsgesetzes zu finden. Dieser Gesetzentwurf steht heute zur Verabschiedung an. Ich betone nochmals: Das ist keine Kopie der Luxemburger Verhältnisse, sondern unsere eigene Antwort auf die Entwicklungen in der Fondsbranche seit Inkrafttreten des Investmentmodernisierungsgesetzes im Januar 2004. Luxemburg war ein wichtiges Vergleichsland, nicht aber alleiniger Maßstab. Herr Kollege Schäffler, liebe Kollegen von der FDP, uns ging es bei dem Gesetzentwurf nicht um eine Reform der Hedgefondsgesetzgebung, sondern um eine Förderung des deutschen Spezial- und Publikumsfondsstandortes auf breiter Basis. Im Kern verfolgt der heute vorliegende Gesetzentwurf erstens das Ziel, bestehende Investmentprodukte konkurrenzfähiger zu machen, zweitens, die Innovationsfähigkeit des deutschen Fondsstandorts zu stärken, und drittens, überflüssige Regulierungen abzubauen. Dies war bereits mit dem Regierungsentwurf beabsichtigt. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen wurde allerdings deutlich, dass einige der im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen nicht dazu geeignet waren, die oben skizzierten Ziele zu erreichen. Daher hat die Koalition einige Verbesserungen am Regierungsentwurf durchgeführt. Erlauben Sie mir, diese kurz vorzustellen: Sehen wir uns zunächst das Ziel „Innovationsfähigkeit des Fondsstandortes Deutschland stärken“ an. Diesbezüglich war der Regierungsentwurf eine gute Vorlage. Zwei neue Fondsprodukte werden auf dem deutschen Markt eingeführt: zum einen das Infrastruktursondervermögen und zum anderen das sogenannte sonstige Sondervermögen. Das Infrastruktursondervermögen ermöglicht die Erschließung neuer finanzieller Ressourcen für öffentlich-private Partnerschaften, indem es den Markt auch für private Anleger öffnet. Besonders begrüßen wir die Einführung der sogenannten sonstigen Sondervermögen. Das ist wichtig, um neu entstehende Finanzinstrumente schnell und flexibel in den gesetzlichen Rahmen aufnehmen zu können. Ein solches neues Finanzinstrument ist der Mikrofinanzpublikumsfonds. Mit unserem Koalitionspartner haben wir vereinbart, die Klasse „sonstige Sondervermögen“ für dieses Produkt zu öffnen. Das heißt, demnächst können Mikrofinanzpublikumsfonds in Deutschland aufgelegt und vertrieben werden. Das ist nicht nur ein wichtiges entwicklungspolitisches Signal, sondern auch ein interessantes Angebot an die Fondsproduzenten und -anleger in Deutschland. ({2}) Auf der einen Seite wollen heute viele Menschen aus ethischen Gründen einen Teil ihrer Geldanlage für Mikrofinanzierungen in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen. Auf der anderen Seite stehen beispielsweise die KfW als unser Bundesförderinstitut, die Kirchenbanken und auch private Investmenthäuser bereit. Sie warten darauf, sich derartige Produkte endlich nicht mehr in Luxemburg genehmigen lassen zu müssen, sondern sie auch in Deutschland auflegen und anbieten zu können. Gute neue Produkte allein reichen allerdings nicht aus, um den deutschen Fondsstandort zu stärken. Auch bereits bestehende Fondsprodukte müssen regelmäßig auf den Prüfstand. Unfreiwillig auf den Prüfstand kam bereits vor zwei Jahren der deutsche offene Immobilienfonds, als zunächst bei der Deka Immobilien Investment GmbH und später auch bei der DB Real Estate einzelne Produkte in Liquiditätsengpässe kamen. Diese TurbulenLeo Dautzenberg zen sind mittlerweile überwunden. Die Kapitalanlagegesellschaften haben selbst ein Maßnahmenpaket erarbeitet, mit dem künftig verhindert werden soll, dass Großanleger, institutionelle Anleger den offenen Immobilienfonds nur zum Parken von Geld, also als Geldmarktfonds, nutzen, wofür diese Fondsprodukte von der Struktur her nicht geeignet sind. Angesichts der bereits fruchtenden Selbstregulierungsmaßnahmen der Branche halte ich es für richtig, dass die Regierung im Entwurf des Investmentänderungsgesetzes nur behutsame ergänzende Maßnahmen vorgesehen hat, um den offenen Immobilienfonds krisenfester zu machen. Der offene Immobilienfonds soll allerdings nicht nur krisenfest, sondern auch gegenüber ausländischen Immobilieninvestmentvehikeln konkurrenzfähig gemacht werden. ({3}) Deshalb haben wir vereinbart, dass offene Immobilienfonds künftig nicht nur in einstufige, sondern auch in mehrstufige Immobiliengesellschaften investieren dürfen, wenn die Beteiligung zu 100 Prozent erfolgt. Diese Öffnung ist notwendig, weil die Investition in gute ausländische Immobilien heute oftmals nur noch über mehrstufige Konstruktionen möglich ist. In besonderem Wettbewerb mit dem Luxemburger Fondsstandort steht der deutsche Spezialfonds. Die Luxemburger haben den Spezialfonds in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Deshalb war uns klar: Wir müssen hier deutlich nachholen, wenn wir vermeiden wollen, dass Deutschland für Spezialfonds als Produktionsstandort künftig keine Rolle mehr spielt. ({4}) Wir haben daher die Liberalisierungsmaßnahmen, die bereits im Regierungsentwurf vorhanden waren, um einige wichtige Punkte ergänzt. Meine Damen und Herren der FDP, ich verstehe daher überhaupt nicht, wie Sie behaupten können, dass aufgrund dieses Gesetzes nun die Spezialfonds aus Deutschland abwandern würden. Ganz im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass auf dieser neuen gesetzlichen Grundlage gerade der Spezialfonds den Wettbewerb mit Luxemburg nicht zu scheuen braucht. Zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Fondsbranche müssen allerdings nicht nur die Marktbedingungen denen ausländischer Fondsprodukte angeglichen werden. Die Wettbewerbsvoraussetzungen deutscher Fonds müssen auch mit denen inländischer Konkurrenzprodukte wie beispielsweise der Versicherungen übereinstimmen. In diesem Punkt konnten wir bezüglich der Kostenvorausbelastung von Fondssparplänen und Versicherungen mit unserem Koalitionspartner leider keine Einigung erzielen. Für die Union bleibt es aber Ziel, alle Vorsorge- und Anlageprodukte in Deutschland mit den gleichen Ausgangsvoraussetzungen auszustatten. Wir werden das Thema daher mittelfristig sicher wieder auf die Agenda setzen. Sehen wir uns nun abschließend das dritte Ziel an, das wir mit dem Investmentänderungsgesetz erreichen wollen. Es geht um den Versuch der Deregulierung. Für das Investmentgesetz bedeutet das konkret: Die Bürokratie soll auf das von der EU vorgeschriebene notwendige Maß zurückgeführt werden. Durch den Regierungsentwurf wurde hier gute Arbeit geleistet. So ist es beispielsweise richtig, dass Kapitalanlagegesellschaften künftig nicht mehr als Kreditinstitute fungieren und daher die höheren Anforderungen für Kreditinstitute bezüglich der Aufsicht nicht mehr erfüllen müssen. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch wichtig, dass die Deutsche Bundesbank weiterhin in der Lage bleibt, die Finanzmarktstabilität im Bereich der Kapitalanlagegesellschaften umfassend zu überwachen. Dafür haben wir im Gesetzentwurf Sorge getragen. Bezüglich der Deregulierung gelingt es uns mit dem Gesetzentwurf vor allem, die Branche von unnötigen Informationspflichten zu befreien. Dazu gehört beispielsweise der Verzicht auf die bislang vorgeschriebene Doppelveröffentlichung von Jahres- und Halbjahresberichten. Künftig müssen die Berichte nur noch im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Wir haben dafür im Gleichklang zum Transparenzrichtlinienumsetzungsgesetz eine Übergangsvorschrift bis zum 31. Dezember 2008 eingebaut. Das halte ich für sachgerecht, so wie wir insbesondere die Printmedien als Informationsquelle für den normalen Anleger in Zukunft nicht vernachlässigen dürfen. Zusammenfassend darf ich zum heute zur Verabschiedung stehenden Entwurf zur Änderung des Investmentgesetzes sagen: Das Gesetz - inspiriert, aber nicht getrieben durch die Entwicklung in Luxemburg - ist ein guter Beitrag und bildet eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung des Finanzstandortes Deutschland, weil es erstens Finanzinnovationen einführt, zweitens bestehende Investmentprodukte konkurrenzfähiger macht und drittens überflüssige Regulierungen abbaut. Ich werbe deshalb nachdrücklich um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll. Deswegen hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Gerhard Schick von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Gerhard Schick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003837, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes hat ganz unterschiedliche Aspekte; das ist jetzt schon angeklungen. Es geht um die Reaktion auf die Krise bei den offenen Immobilienfonds, die jetzt schon einige Zeit zurückliegt. Es geht um die Einführung einer neuen Fondsklasse, der Infrastruktursondervermögen, auch PPP-Fonds genannt, durch die die Finanzierung von öffentlich-privaten Partnerschaften bei der Infrastrukturfi12834 nanzierung ermöglicht werden soll. Schließlich geht es um die Einführung sonstiger Sondervermögen; Herr Dautzenberg hat es gerade schon gesagt. Da ist im Kern die Frage des Mikrofinanzpublikumsfonds geregelt. Darüber hinaus gibt es zwei Ziele, die die Große Koalition mit dem Gesetzentwurf verfolgt. Das eine ist das Stichwort Deregulierung, und das andere ist ausweislich der Regierungsbegründung, Anlegerschutz und Corporate Governance zu stärken. Ich will mich auf diesen letzten Bereich konzentrieren, weil man sonst zu allem nichts sagen würde, wenn man zu jedem ein klein wenig sagen würde. Hier setzt auch unsere Kritik an: Es gibt keine richtige Abwägung zwischen den Anleger- und Anlegerinneninteressen auf der einen Seite und den Interessen der Anbieter auf der anderen Seite. Um was geht es? Wir haben es mit offenen Fonds zu tun. Anleger geben einer Kapitalanlagegesellschaft ihr Geld und wollen, dass mit diesem Geld in ihrem Sinne gewirtschaftet wird. Insofern besteht ein Interessenkonflikt. Denn man kann mit dem Geld, das einem ein anderer anvertraut, auch zu dessen Lasten wirtschaften. Deswegen haben wir eine Reihe von Regelungen. Wir meinen, dass diesbezüglich mehr notwendig gewesen wäre, und es war im ursprünglichen Referentenentwurf auch mehr vorgesehen. Sie sind aber leider im Rückwärtsgang unterwegs gewesen und haben gute Regelungen, die schon drin waren, zurückgenommen. Konkret: Es gibt eine Gesamtkostenquote, und jeder normale Mensch würde meinen, dass in einer Gesamtkostenquote alles, also das Gesamte, abgebildet ist. Tatsächlich sind jedoch zwei wesentliche Kostenkomponenten nicht drin, und dies findet man auch nicht in dem vereinfachten Verkaufsprospekt, den man sich vielleicht noch anschaut. Vielmehr gibt es auf den vielen Seiten des Fondsprospekts einen Hinweis, dass dem nicht so ist. Wir glauben, da, wo Gesamtkosten drauf steht, müssen auch die Gesamtkosten drin sein, oder es muss - wenn man dies nicht für möglich hält - zumindest klar gesagt werden, dass es eben nicht die Gesamtkosten sind. Dabei sind zwei Kategorien wichtig: Das eine sind die Transaktionskosten, die beim häufigen Umschlag des Fondsvermögens zulasten der Anlegerinnen und Anleger entstehen. Da hätten wir uns gewünscht: Wenn man schon sagt, dass diese nicht ausgewiesen werden können - ich bezweifle, dass dies nicht möglich ist -, dann muss zumindest die Umschlagsrate ausgewiesen werden - dies tun andere Länder -, damit man, wenn man den Eindruck hat, dass die Kosten für den Fonds steigen, kontrollieren kann, ob dies an einer erhöhten Umschlaghäufigkeit gelegen haben kann. Manche Fonds haben eine höhere Umschlaghäufigkeit; das steht drauf, und dann ist es gerechtfertigt. Andere Fonds haben diese nicht, und dann muss der Anleger die Möglichkeit haben, dies herauszufinden. ({0}) Das andere ist eine Frage, die Sie nicht richtig beantworten. Es geht darum, was Sie im Aufsichtsrat der Kapitalanlagegesellschaft zum Thema unabhängiges Mitglied geregelt haben. Warum haben wir einen Aufsichtsrat? Wir haben ihn, damit er die Interessen der Anlegerinnen und Anleger auch im Rahmen der Anlageentscheidungen durchsetzt. Nun soll es ein unabhängiges Mitglied geben. Allerdings haben Sie die Qualifikation, die ein unabhängiges Mitglied ausmacht, wieder aus dem Gesetzentwurf herausgenommen, und damit ist die Position dieser Person, die in dem Interessenkonflikt zwischen der Kapitalanlagegesellschaft einerseits und den Anlegerinnen und Anlegern andererseits deren Stimme einnehmen soll, überhaupt nicht geklärt. In dem Bereich sind Sie deutlich zurückgerudert. Damit ist eines ganz klar: Im Hinblick auf die Anlegerinnen und Anlegern haben Sie zwischen dem Referentenentwurf und dem Gesetzentwurf in den Rückwärtsgang geschaltet und haben damit eine Chance verpasst und das Ziel, das Sie in der Begründung nennen, nämlich den Anlegerinnen- und Anlegerschutz deutlich zu stärken, verfehlt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Nina Hauer von der SPD-Fraktion.

Nina Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist ein starker Standort für Investmentfonds. Das sieht man an dem Interesse der institutionellen Anleger, der Banken, der Versicherungen, aber auch anderer Investoren, und das sieht man auch an dem zunehmenden Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, in Fonds ihre Altersvorsorge aufzubauen oder in Fonds ihr Vermögen zu vermehren. Es ist eine gute Alternative für all diejenigen, die sich vor großen Risiken schützen wollen, weil es mit Fonds im Gegensatz zu Aktien leichter ist, die Risiken auszugleichen. ({0}) Wir als Politiker müssen etwas dafür tun, dass dieser Standort auch attraktiv bleibt. Wir befinden uns nicht nur mit Luxemburg, sondern auch mit anderen Standorten in Konkurrenz, und wir wollen mit diesem Gesetzentwurf dazu beitragen, dass wir für institutionelle Anleger, die nach Deutschland kommen, wettbewerbsfähig sind und bleiben. Das heißt, wir wollen es mit der Regelungsdichte nicht übertreiben, sondern das richtige Maß zwischen einer sinnvollen Regulierung und der notwendigen Freiheit finden. Wir wollen hinsichtlich der offenen Immobilienfonds eine klare Regelung, um Ereignisse, wie sie vor einigen Monaten in der Branche passiert sind, zu verhindern. Wir möchten die Möglichkeit schaffen, hier neue Produkte zu erfinden und zuzulassen, und wir wollen für die Anlegerinnen und Anleger Sicherheit und Transparenz schaffen. Denn nur dann bleibt der Fondsstandort Deutschland attraktiv, und nur dann kann er das leisten, was wir in wirtschaftlicher Hinsicht und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger brauchen. Wir haben im Bereich des Anlegerschutzes einiges getan. Durch die Pflicht zur Bestellung eines unabhängigen Aufsichtsratsmitglieds soll sichergestellt werden, dass die Anleger einen eigenen Ansprechpartner bzw. eine eigene Ansprechpartnerin im Aufsichtsrat haben. Kapitalanlagegesellschaften sollen ihre Transaktionskosten so gestalten, dass der Anleger nicht unnötig belastet wird. Ich teile die Auffassung, die Sie, Herr Dr. Schick, zur Umschlagshäufigkeit und zu den Kosten geäußert haben, nicht. Denn ich glaube, dass wir es auf dem Gebiet des Finanzmarkts mit Informationen manchmal übertreiben. Anleger müssen davor geschützt werden, dass ihnen unnötige Kosten aufgebürdet werden, Kosten, die sie nicht verstehen und nicht kontrollieren können. Einen Prospekt mit weiteren Daten zu füllen, die nicht nachvollziehbar sind und Kosten ausweisen, die es eigentlich zu verhindern gilt, das halte ich, ehrlich gesagt, für nicht sinnvoll. ({1}) Mit Blick auf die professionellen Anleger haben wir festgestellt, dass wir einige Hürden, die wir aufgebaut haben, guten Gewissens abbauen können. Zum Beispiel wird es das unabhängige Aufsichtsratsmitglied in Spezialfonds nicht geben. Ich denke, es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass Anleger an dieser Stelle nicht privat investieren. Wir haben die Spezialfonds von bestimmten Pflichten befreit, um ihnen mehr Möglichkeiten zu geben, mit ihrem Vermögen zu wirtschaften. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit zwischen unterschiedlichen Produkten, zwischen solchen aus dem Ausland und solchen aus dem Inland, gewährleistet ist. Hier kann ich Ihre Position, Herr Schäffler, nicht nachvollziehen. Wenn die FDP die Wahl hat, entweder Anlegerschutz zu betreiben oder die Interessen der Fondsindustrie zu vertreten, dann greifen Sie in eine andere Schublade und sagen: Wir vertreten die Interessen der Fondsindustrie. Früher hat es die Kostenvorausbelastung möglich gemacht, denjenigen, die Fonds verkaufen, Provisionen zu zahlen. Das hat natürlich den Verkauf der betreffenden Fonds, die im Ausland aufgelegt wurden, attraktiver gemacht. Aus der Sicht der Vermittler kann ich das verstehen. Es ist aber nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die Kostenvorausbelastung dann auch beim Verkauf anderer Fonds zuzulassen, damit hier ebenfalls Provisionen gezahlt werden können und damit die Verkäufer inländischer Fonds gegenüber Versicherungen und gegenüber den Verkäufern ausländischer Fonds nicht benachteiligt werden. Das wäre so, als würden Sie einem Autoverkäufer, der die Autos von zwei verschiedenen Firmen verkauft, aber von einer Firma höhere Provisionen bekommt und deswegen lieber Autos dieser Firma verkauft, sagen: Jetzt legt der Gesetzgeber fest, dass die Autos beider Firmen gleich sind, damit Sie beide Autos gleichermaßen verkaufen. ({2}) Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Anleger und Anlegerinnen faire Preise bekommen und dass die Spielregeln klar sind. ({3}) Wir haben klargestellt, dass die Kostenvorausbelastung in dieser Form nicht erlaubt ist und dass die Kosten nicht auf den Anfangszeitraum der Investition beschränkt werden dürfen, sondern über die gesamte Laufzeit zu verteilen sind. Dadurch schaffen wir Wettbewerbsgleichheit. Wir sorgen dafür, dass die Kosten für die Anleger nicht zu hoch sind. Selbstverständlich geben wir der Fondsindustrie die Möglichkeit, den Vermittlern und allen anderen, die ihre Produkte verkaufen, höhere Provisionen zu zahlen. Gar nichts spricht dagegen. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, in der Fondsbranche für eine Kostenentlastung zu sorgen. Wenn wir diesen Gesetzentwurf verabschieden, wird es möglich, neue Wege zu beschreiten, zum Beispiel bei der Finanzierung öffentlich-privater Partnerschaften. Ferner gibt es das neue Instrument des Mikrofinanzfonds, das vor allem für erfahrene Anleger geeignet ist; dabei handelt es sich nämlich um ein extrem risikobehaftetes Produkt. In Zukunft wird es denjenigen, die sich mit Mikrofinanzkrediten in der sogenannten Dritten Welt engagieren wollen, möglich sein, dieses Produkt in Deutschland zu kaufen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Hauer, denken Sie an die Zeit, bitte.

Nina Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben einen Gesetzentwurf, mit dem wir den Standort Deutschland als Fondsstandort und als Anlegerschutzstandort stärken. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874, den Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 16/5576 und 16/5848 - in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7008? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung der Fraktion der FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7007? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Zustimmung von Bündnis 90/ Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke. Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/661 mit dem Titel „Offene Immobilienfonds - Marktstabilität sichern, Anlegervertrauen stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther ({1}), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Recht der Sportwetten neu ordnen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemeinwohlbelange sichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther ({2}), Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Liberalisierung des Sportwettenmarkts in Deutschland einleiten und europakonformes Konzessionsmodell vorlegen - Drucksachen 16/1674, 16/3506, 16/6838 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Riegert Dagmar Freitag Katrin Kunert Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Klaus Riegert von der CDU/ CSU-Fraktion.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schauen wir uns die Vorschläge der FDP einmal an! Der Glücksund Wettspielmarkt wird liberalisiert, die Einnahmeseite verbessert und gleichzeitig Spielsucht unterbunden und bekämpft, die diffizile rechtliche Problematik und die internationale Dimension werden generös geregelt - klingt ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. So einfach ist die Welt leider nicht. ({0}) Wir nehmen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wie auch dessen Begründung sehr ernst. ({1}) Die Vermeidung bzw. Eindämmung der Spielsucht hat für uns einen hohen Wert. Wir wollen Menschen vor persönlichen Schicksalsschlägen und dem Ruin durch Spielsucht möglichst schützen. ({2}) Liberalisierung um jeden Preis ist mit uns nicht zu machen. ({3}) Wir messen der Beibehaltung des staatlichen Monopols eine hohe Priorität zu - unter Einbeziehung der internationalen Entwicklungen und technischen Möglichkeiten. Das Glücksspiel in ganz Europa expandiert. Der Glückspielmarkt in Deutschland hat ein jährliches Volumen von rund 27 bis 30 Milliarden Euro. Das ist immerhin das dreifache Volumen des deutschen Buchmarktes und fast der Umsatz des Bekleidungsmarktes. Jede Woche setzen Lottospieler rund 159 Millionen Euro ein, was einem Pro-Kopf-Umsatz von 1,93 Euro in der Woche entspricht. Den größten Anteil am Volumen des deutschen Glücksspielmarktes haben die Spielbanken mit einem Volumen von rund 9 Milliarden Euro; das sind knapp 30 Prozent. Danach folgt der Deutsche Lotto- und Totoblock mit „6 aus 49“ und Oddset mit einem Anteil von rund 8,1 Milliarden Euro. Die Sportwetten spielen hier zurzeit eine eher untergeordnete Rolle. Meine Damen und Herren, gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es zwei Alternativen: Dem Gesetzgeber ist freigestellt, durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols sicherzustellen, dass eine effektive Suchtbekämpfung und eine Begrenzung der Wettleidenschaft erfolgt, oder er kann durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltungen private Wettunternehmen zulassen. ({4}) Die Ministerpräsidenten und damit die Länder bzw., wie Kollege Danckert formulieren würde, die Länderparlamente sind zuständig. ({5}) Alle 16 Landesregierungen haben sich für eine Beibehaltung des staatlichen Monopols ausgesprochen. In 14 Länderparlamenten hat die erste Lesung stattgefunden. Sie haben auf der Grundlage des Urteils das staatliche Lotteriemonopol weiterentwickelt, und sie halten aus ordnungsrechtlichen Erwägungen das staatliche Monopol für geeignet, die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen ordnungsrechtlichen Ziele zu realisieren. Die EU-Kommission hat nach Prüfung des Entwurfs des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen das Recht Deutschlands nicht infrage gestellt, Glücksspiele aufgrund des Allgemeininteresses, des Verbraucherschutzes, des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Spielsucht zu beschränken.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Riegert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Parr?

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Riegert, ich entnehme einer Pressemitteilung der CDU-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein vom 10. Oktober 2007 - das war also unmittelbar vor unserer Debatte -, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU in Schleswig-Holstein folgende Ausführungen gemacht hat: Mit jeder Stellungnahme aus Brüssel wird deutlicher, dass Ministerpräsident Carstensen und die CDU-Landtagsfraktion mit ihren Zweifeln an diesem Staatsvertrag von Beginn an Recht hatten. Weiterhin steht in der Pressemitteilung: Das ohnehin schon unzumutbare rechtliche Chaos im Bereich der Sportwetten werde damit noch zunehmen. Gleiches gelte für die sich bereits jetzt abzeichnende Absenkung der aus den Glücksspielen erwirtschafteten Fördermittel für Sport und kulturelle Zwecke. Wie bewerten Sie die Aussagen Ihres Kollegen aus Schleswig-Holstein? ({0})

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Parr, ich werde nachher noch auf die Diskussion im nordrhein-westfälischen Landtag eingehen. Ich halte es aber nicht für zielführend, dass wir hier die Diskussion des Landtages Schleswig-Holstein führen. Tatsache ist: Dort hat sich die Landesregierung für den Staatsvertrag entschieden, ({0}) und es hat eine erste Lesung stattgefunden. Sie können davon ausgehen, dass der Staatsvertrag dort entsprechend der ersten Lesung auch in der zweiten und dritten Lesung bestätigt wird. Ich fahre fort. Im EU-Vertrag ist explizit vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten frei sind, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen. Die Beschränkungen müssen nur verhältnismäßig sein und dem Anliegen gerecht werden, die Gelegenheit zum Spiel zu vermeiden. Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Parr. ({1}) Ich darf Sie daran erinnern, dass der nordrhein-westfälische Landtag dem Staatsvertrag am 24. Oktober 2007, also gerade erst, zugestimmt hat - und dies auch mit den Stimmen der FDP. ({2}) Dazu habe ich ein interessantes Zitat gefunden. Landtagskollege Witzel hat die Verfassungs- und Europakonformität des Staatsvertrages in der Landtagsdebatte hervorgehoben. ({3}) Ich kenne Kollegen Witzel nicht, aber möglicherweise kennt Detlef Parr ihn; denn Witzel ist FDP-Mitglied. ({4}) Ich zitiere Ralf Witzel: Mit dem Entwurf des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen sowie dem Ausführungsgesetz in Nordrhein-Westfalen wird das staatliche Sportwettenmonopol … entsprechend den aktuellen politischen und rechtlichen Vorgaben einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Glücksspiel in den Mitgliedstaaten auf eine verfassungskonforme Grundlage gestellt. ({5}) Wir sind über Parteitagsbeschlüsse nicht immer glücklich, wie jüngste Beispiele zeigen, aber hier hat wohl einmal die FDP parteiinternen Klärungsbedarf, lieber Detlef Parr. ({6}) Über eines müssen wir uns allerdings klar sein: Eine Beibehaltung des Monopols unter Beachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichts wird zu einem Rückgang der staatlichen Einnahmen führen. Damit verbunden ist eine geringere Ausschüttung an die Destinatäre Kultur, Sport und Umwelt. Hier müssen wir, aber insbesondere die Länder, uns darüber Gedanken machen, wie wir die wirtschaftliche Basis unseres gemeinnützigen Sports erhalten. Der Sportwettenmarkt in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren gewaltig verändert. Das staatliche Unternehmen Oddset verzeichnet seit Jahren Umsatzeinbußen, weil private Anbieter aggressiv und teilweise illegal in den Markt drängen. Das hat auch zu strukturellen Änderungen und einem veränderten Wettverhalten geführt. Der FDP-Antrag verknüpft die Forderung nach gesetzlich normierter und kontrollierter Zulassung privater Anbieter von Sportwetten mit einer Fülle von Bedingungen, nämlich erstens den nationalen Markt für Sportwetten auch im Vergleich zum Ausland konkurrenzfähig zu machen, zweitens ohne Einschränkung einen Teil der Einnahmen - was immer das heißen mag - den Destinatären zuzuweisen, drittens gleichzeitig die Spielsucht zu bekämpfen, viertens dem Jugendschutz Rechnung zu tragen und fünftens Folge- und Begleitkriminalität zu vermeiden. Das ist eine verheißungsvolle Aufzählung. Die Realisierung dürfte aber kaum möglich sein. ({7}) Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und, wie ich glaube, auch für die SPD-Fraktion hat die Neuordnung des Glücksspiel- und Wettspielmarktes klare Prioritäten: Die Spielsucht und Spielleidenschaft müssen wirksam bekämpft werden, wobei die Prävention Vorrang hat. Die Finanzierung des gemeinnützigen Sports muss - notfalls auch auf anderen Wegen - sichergestellt werden. An diesen Grundsätzen sollten die Zielsetzungen einer Ordnung des Wett- und Glücksspielmarktes ausgerichtet werden. Das heißt: Staatsvertrag statt Kommerzmodell. Zuständig sind und bleiben die Länder. Danke schön. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDPFraktion. ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine Diskussion geführt, die wir heute vorläufig abschließen. Noch nie ist ein Bundesverfassungsgerichtsurteil dermaßen unterschiedlich und falsch interpretiert worden, sowohl von der Bundesregierung als auch von den Landesregierungen. Die Bundesregierung hat dieses Urteil sehr selektiv zur Kenntnis genommen - Kollege Klaus Riegert hat sich ebenfalls in diesem Sinne geäußert -, indem sie von den Alternativen, die das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt hat, nur eine Version, nämlich das Festhalten am Monopol, herausstellt. Dabei wird die zweite Möglichkeit übersehen, nämlich die Öffnung und Liberalisierung des Marktes auf der Grundlage von Konzessionsmodellen oder dem Herausnehmen von Sportwetten aus dem Glücksspielstaatsvertrag. Als Reaktion darauf haben die Länder mit Kanonen auf Spatzen geschossen und den gesamten Glücksspielstaatsvertrag überarbeitet und neu formuliert. Das alles geschah völlig ohne Not, da das Bundesverfassungsgericht ein Sportwettenurteil ausgesprochen hat, nicht mehr und nicht weniger. Die Konsequenzen sind schon heute ablesbar. Welt Online hat am 18. Oktober folgende Zahlen für Berlin, also nur für einen kleinen Teil der Bundesrepublik, veröffentlicht: im nächsten Jahr 30 Millionen Euro weniger aus dem Glücksspiel- und Lotteriebetrieb für Sportvereine, Kunstaktionen und Sozialprojekte, 12 Millionen Euro weniger Einnahmen aus der Lotteriesteuer, 900 000 Euro weniger aus dem Gewinnanteil der Nordwestdeutschen Klassenlotterie und 14 Millionen Euro weniger Einnahmen aus der Spielbankabgabe. - Bundesweit wird mit 1 Milliarde Euro Einnahmeausfällen gerechnet, weil wichtige Werbewege wie Telefonanrufe oder Mailings ab dem 1. Januar 2008 verboten sind, wenn dieser Termin überhaupt noch zu halten sein wird. Denn in einigen Bundesländern kriselt es gewaltig, weil sich einige Abgeordnete ihrer Verantwortung für die eingeleitete Fehlentwicklung durch stures Festhalten am Staatsmonopol nach und nach bewusst werden, weil einige Ausführungsgesetze in Brüssel noch notifiziert werden müssen - das wird nicht überall gelingen; in Schleswig-Holstein zum Beispiel sollen auf Antrag der FDP noch Anhörungen stattfinden; Ähnliches gilt für Baden-Württemberg und andere Bundesländer - und weil die Entwicklung in den Nachbarländern zusätzliches Nachdenken erzwingt. So kommt in Frankreich Bewegung in die Szene. Präsident Sarkozy kann sich eine kontrollierte Öffnung des Wettmarktes vorstellen. Er will das Staatsmonopol bei Fußballwetten aufheben. Die regierende Partei in Schweden hat entschieden, das staatliche Glücksspielmonopol nicht weiter zu unterstützen und die Regelungen von England oder Italien zu übernehmen. Damit nicht genug: Wir alle kennen die eindeutigen Stellungnahmen der Europäischen Kommission. Diese müssten eigentlich auch in Düsseldorf angekommen sein. Es ist bedauerlich, dass man das unterschiedlich bewertet, und zwar nicht nur in der FDP, sondern auch in der SPD und der Union. In den Bundesländern gibt es sehr unterschiedliche Positionen von Union und SPD. Ich werde später auf die Position der nordrhein-westfälischen SPD eingehen. ({0}) Wir alle kennen jedenfalls die europarechtliche Lage. Der Staatsvertrag widerspricht in wesentlichen Teilen Europarecht. Alle kundigen Thebaner wissen: Dieser Vertrag wird nicht lange überleben. Er ist eine Totgeburt. Das geben auch die Befürworter eines Staatsmonopols zu, allerdings - mutig - nur hinter vorgehaltener Hand. Sie spielen auf Zeit, Zeit, in der Arbeitsplätze verloren gehen und neue Wettbewerbsstrukturen zerschlagen werden. Das ist mehr als fahrlässig. Das Bundeskartellamt ist dabei, die Rote Karte zu zücken; auch das ist eine Adresse erster Güte. Die Wettbewerbshüter verweisen auf ein Urteil des EuGH, wonach bei Verstößen nationalen Rechts gegen Gemeinschaftsrecht den betroffenen Unternehmen das entsprechende Verhalten untersagt werden kann. Geldbußen sind möglich. Teuer für die Bundesländer können auch Schadenersatzansprüche werden. Der Staatsvertrag wird diesbezügliche Klagen nach sich ziehen, nicht nur der privaten Anbieter und Spielevermittler. Vielmehr erwägt auch die Deutsche Fußball Liga vor dem Hintergrund neuer Rechtsunsicherheiten den Gang zu den Gerichten. Prominentester Mitstreiter ist Franz Beckenbauer, der heute einen runden Tisch gefordert hat, um noch in letzter Minute Korrekturen vorzunehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Parr, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Riegert? ({0})

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Riegert.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Kollege Parr, da ich damit gerechnet habe, dass Sie auf Herrn Beckenbauer verweisen werden: Können Sie den Kolleginnen und Kollegen im Hause erläutern, warum Herr Beckenbauer das Monopol nicht erhalten will?

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Riegert, er will das Monopol nicht erhalten, weil er ein Wettbewerbsfreund ist, ({0}) weil er möchte, dass auf dem Sportwettenmarkt - und nur dort - die freien, privaten Anbieter eine Chance bekommen. Damit wäre dem Sport allgemein gedient, nicht nur dem Fußball. Sie kennen die Alternativen, die der DFB in einem Papier aufgezeigt hat. Ich mache meinen Mitstreitern im Sportausschuss den Vorwurf, dass sie nicht einmal den Versuch gemacht haben, die Alternativen zum staatlichen Wettmonopol ernsthaft zu prüfen und zu vergleichen, um dann zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen. Das, was die Ministerpräsidenten zurzeit betreiben, ist Harakiripolitik. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wenn Herr Parr das genehmigt.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Klaus Riegert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001847, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie dem Hohen Hause bestätigen, dass in dem Bericht, den Sie gerade hochgehalten haben, steht: Der Bayern-Präsident fürchtet eine zunehmende Benachteiligung der Bundesliga im europäischen Vergleich. Dann steht darin: Beckenbauer schätzt, dass etwa 200 bis 300 Millionen Euro Werbegelder aus Deutschland abgezogen werden und direkt an die Konkurrenz-Ligen in England, Spanien und Italien gehen, wo private Wettanbieter erlaubt sind. Das steht doch ein bisschen im Widerspruch zu der Aussage, dass das allgemein dem Sport zugute kommt.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist die Seite des Profifußballs, die richtig beschrieben ist. Die Seite des Breitensports, die Seite der Kulturaktivitäten und die Seite anderer Gemeinwohlbelange habe ich anhand der rückläufigen Zahlen des Landes Berlin deutlich gemacht. Sie selber haben auf Oddset hingewiesen. Auch deren Zahlen sinken. Wir in Nordrhein-Westfalen haben zum Beispiel das Problem, dass wegen sinkender Einnahmen aus den Glücksspielen die Sportstiftung dort nicht mehr finanziert werden kann und deshalb durch steuerliche Zuschüsse unterstützt werden muss. Das ist ein Alarmsignal erster Güte, das auch dieses Hohe Haus zur Kenntnis nehmen sollte. Ich will nun zu den Ministerpräsidenten kommen. Der gierige Blick der Ministerpräsidenten auf gleichbleibend hohe Einnahmen aus den Zweckerträgen der Lotteriesteuer geht aus unserer Sicht ins Leere. Verlorene Kunden des Staatsmonopols werden nicht in den staatlichen Schoß zurückkehren. Aktuelle Studien weisen nach, dass vielmehr der Grau- und der Schwarzmarkt aufblühen werden. Der zweite Lösungsweg, den das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt hat, ist aus unserer Sicht der einzig richtige und die einzige Alternative, die man ergreifen sollte, um Rechtssicherheit zu schaffen, Spielsuchtgefahren angemessen zu begrenzen und sogar zusätzliche Mittel für die Finanzierung des Sports und anderer Gemeinwohlbelange zu generieren. Konkrete Regulierungsmodelle liegen vor und warten auf ihre Umsetzung. Deswegen: Hände weg vom Glücksspielvertrag! Beschränken wir uns auf eine Neuordnung des Sportwettenmarktes, wie vom Bundesverfassungsgericht gefor12840 dert, und stellen wir uns jetzt schon auf ein Scheitern der Länderinitiative und darauf ein, mit einem unverzüglichen Moratorium für den Staatsvertrag und einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz die Problematik der Sportwetten aus dem Glücksspielrecht der Länder herauszunehmen und dem Bund in Form eines Konzessionsmodells oder einer gewerberechtlichen Lösung zu übertragen. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Martin Gerster von der SPD-Fraktion. ({0})

Martin Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003758, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin, ehrlich gesagt, noch immer erstaunt und schockiert, mit welch harten Bandagen und mit welcher Beharrlichkeit Lobbyisten versuchen, dass der Sportwettenmarkt in Deutschland liberalisiert wird. Wir erinnern uns: Ganze Anzeigenserien wurden in den deutschen Tageszeitungen, in den Zeitschriften, ja sogar im Fernsehen und Radio geschaltet; wir haben die Plakate in den Straßen gesehen; Kongresse und Tagungen wurden und werden mit dem einen Ziel veranstaltet, den Sportwettenmarkt in Deutschland zu liberalisieren. Das zeigt, wie viel Geld dahintersteckt, und das zeigt letztendlich auch, wie gefährlich das Geschäft mit Sportwetten und Glücksspielen insgesamt ist. ({0}) Ich füge hinzu: Es ist beschämend, dass sich eine Fraktion des Deutschen Bundestages so vor den Karren von Lobbyisten spannen lässt. ({1}) Da werden Veranstaltungen und Tagungen der FDP von privaten Wettanbietern unterstützt und bezahlt, wie wir es bei der letzten Debatte erfahren haben. Die FDP ist sich auch nicht zu schade, hier wieder die Debatte zu führen, obwohl wir auf einem guten Weg sind und sich die Bundesländer mitten im Ratifizierungsprozess befinden. Falsches wird durch Wiedervorlage nicht besser. ({2}) Gerade in diesen Tagen wird deutlich, wie wichtig dieses Thema ist und wie gut es ist, dass wir uns hier zusammen mit den Ländern auf dem richtigen Weg befinden. Insider aus dem Tennis behaupten, dass seit Jahren Wettbetrug in großem Stil betrieben wird. Dabei geht es nicht nur um einen Spieler, sondern um sehr viele Spiele und sehr viele Spieler und Spielerinnen. Der WDR spricht von einem Millionengeschäft, bei dem verdächtige Spieler weit mehr Geld eingestrichen haben, als sie bei einem Turniersieg gewonnen hätten. Die größten Gewinne sind laut diesem Bericht mit Live-Wetten erzielt worden, also mit Wetten während der Tennisspiele, bei denen man beispielsweise darauf wetten konnte, wer den nächsten Satz gewinnt oder ob jemand durch Verletzung aufgibt. Dem muss man einen Riegel vorschieben. Was hier geschehen ist, ist letztendlich auch für mich der beste Beweis dafür, dass eine Liberalisierung des Sportwettenmarktes in Deutschland der falsche Weg ist. ({3}) Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es geht nicht darum, Sportwetten generell zu verbieten. Sportwetten: Ja - aber bitte schön in einem regulierten Markt, weil wir den Sport vor Betrug schützen müssen. Wir befinden uns hier im Übrigen in Übereinstimmung mit dem organisierten Sport. Erst in der letzten Debatte konnten wir aufzählen, wie viele Sportverbände, Sportvereine, sogar Sportlerinnen und Sportler sich zu Wort melden und darum bitten, dass wir den regulierten Markt erhalten. ({4}) Herr Parr, Franz Beckenbauer wurde von Ihnen angesprochen. Auch ich bin dafür, dass die deutschen Vereine in der Champions League gut abschneiden und wettbewerbsfähig sind. Auch mir tut es weh, dass der VfB Stuttgart so schlecht abgeschnitten hat. Aber in der Abwägung, entweder über private Wetten Millionen für die Champions League einzunehmen oder den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Spielsucht zu gewährleisten, ist mir Letzteres bedeutend wichtiger. ({5}) Das Hauptargument für den regulierten Markt ist eben: Wir müssen diejenigen schützen, die gerne wetten, und zwar vor der Spielsucht, die mit dem Glücksspiel verbunden ist. Das ergibt sich für mich aus Art. 2 des Grundgesetzes, wonach wir Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung tragen. Spielsucht ist nachweislich eine weitverbreitete Krankheit. Mit einer gesetzlichen Regelung für den Glücksspielbereich kommen wir der Pflicht nach, unsere Bürger, vor allem unsere Kinder und Jugendlichen, vor dieser gesundheitlichen Gefahr zu schützen, indem wir klare Regeln setzen. ({6}) Übrigens hat im Landtag von Baden-Württemberg gestern die erste Lesung des entsprechenden Gesetzentwurfes stattgefunden. Die dortige FDP-Fraktion hat wie alle anderen Fraktionen signalisiert: Wir werden zustimmen. - So kräftig sind die Muskeln der FDP in BadenWürttemberg also nicht, wie Sie noch in der letzten Debatte angedeutet haben. Herzlichen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat jetzt das Wort für die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das FDP-Präsidium hat im September den Bundesrat aufgefordert, eine länderübergreifende Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer marktwirtschaftlichen Neuordnung des Sportwettenrechts einzusetzen. Der Bundesrat ist der Forderung des FDP-Präsidiums offensichtlich nicht gefolgt. Aber ich kann Sie trösten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Der Bundesrat folgt auch nicht immer den Aufforderungen unseres Parteivorstandes. ({0}) So weit sind wir mit dem Linksruck in unserem Land doch noch nicht. ({1}) Der Staatsvertrag wurde von allen Ländern unterzeichnet. Die FDP, die in drei Bundesländern an der Regierung beteiligt ist, hat diesem Staatsvertrag in allen drei Ländern zugestimmt. Hier haben Sie also ein Glaubwürdigkeitsproblem, meine Damen und Herren von der FDP. Eigentlich müssten Sie Ihren Antrag in Anbetracht der Entscheidung Ihrer Parteikollegen in den Ländern still und leise zurückziehen. ({2}) - Danke schön. In Ihrem Antrag fordern Sie, das staatliche Wettmonopol zu verscherbeln, weil Ihnen die Wettlobby im Nacken sitzt und das ganz große Geschäft wittert. In Deutschland liegt der Wettspieleinsatz pro Kopf bei 33 Dollar, in Großbritannien bei 627 Dollar und in Hongkong sogar bei 1 848 Dollar. Da verstehe ich natürlich, dass in den Augen der Lobbyisten die Dollarzeichen nur so blitzen. In Deutschland kann man einen zweistelligen Milliardenbetrag erwirtschaften, wie eine Studie des Kölner Institutes Sport + Markt prognostiziert hat. Leider steht dem nur noch - so klagen die Wettlobbyisten - das staatliche Wettmonopol im Wege. Wir sagen: Das ist richtig und gut so. ({3}) Als Wolf im Schafspelz kommt die FDP daher, wenn sie in ihrem Antrag die Kriterien für die Vergabe von Konzessionen streng formuliert, zum Beispiel persönliche Zuverlässigkeit, fachliche Eignung, effektiver Jugendschutz usw. Bemerkenswert finde ich die Formulierung in einer FDP-Presseerklärung, dass - ich zitiere - „der Zustand rechtlicher Unsicherheit … eines Rechtsstaates nicht würdig und für die Betroffenen“ - gemeint ist die Wettlobby - „schlichtweg unzumutbar ist“. Solch einen Satz habe ich noch nie von der FDP gehört, wenn es um die zunehmende rechtliche Unsicherheit von Millionen von Beschäftigten geht, die durch prekäre Arbeitsverhältnisse in immer schlimmere Lebenslagen gedrängt werden. ({4}) Die Tränen, die Sie für die Wettlobby vergießen, lassen 99 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land kalt, und das zu Recht. Wir als Linke sehen im staatlichen Wettmonopol die beste Voraussetzung, um die von Ihnen aufgeschriebenen Kriterien - die wohl allerdings nicht ganz ernst gemeint sind - zu erfüllen. ({5}) Eine Kommerzialisierung macht nur die Wettbüros reich und treibt die Menschen in die Arme von Zockern, denen das Schicksal der Spielerinnen und Spieler gleichgültig ist. ({6}) Ich bin keine Freundin von Glücksspielen, weil ich mehr Menschen kenne, die durch Glücksspiel unglücklich geworden sind, als Menschen, die dadurch glücklich geworden sind. Wir als Linke lehnen den Antrag der FDP ab und gehen davon aus, dass die Bundesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nutzt, um die Wettsucht konsequent zu bekämpfen und illegale Wetten weit intensiver als bisher zu verfolgen. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Abgeordnete Winfried Hermann für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Parr, ein Kompliment will ich Ihnen vorab machen: Es ist Ihnen gelungen, dass wir uns hier im Plenum zweimal mit derselben Sache, nur in unterschiedlichen Varianten der Texte, befassen. Sie haben sich selbst nicht ganz ernst genommen, als Sie gesagt haben, wir hätten uns nie ernsthaft damit auseinandergesetzt. Wir hatten hier zwei ernsthafte Debatten, und im Ausschuss haben wir auch noch einmal ernsthaft diskutiert und die Argumente abgearbeitet. ({0}) Das haben Sie immerhin erreicht. Aber, Kollege Parr, Folgendes möchte ich Ihnen auch noch mit auf den Weg geben: Früher hat die FDP für die Freiheit der Menschen gekämpft, heute kämpft sie für die Freiheit der Spielwetten. Das ist der qualitative Unterschied. ({1}) Man fragt sich allen Ernstes, warum und mit welcher Penetranz die FDP gerade bei diesem Thema für die Liberalisierung kämpft. Sie sagen - das gebe ich Ihnen gern zu -, dass Sie nicht eine totale Liberalisierung, sondern eine lizenzierte Konzessionsabgabe einführen und den Markt ordnen wollen, aber man hat doch, wenn man die Liste der Kriterien liest, den Eindruck, dass dies nur gemeinnützige Alibi-Kriterien sind. Fakt ist, dass ein Markt geöffnet werden soll. Kollege Parr, als Mitglied einer Partei der Marktwirtschaft muss man schon auch einmal darüber nachdenken, was ein Marktmodell hergibt und wozu es taugt. In Bereichen, in denen nicht genügend Produktion vorhanden ist und man über den Marktmechanismus und die Nachfrage die Produktion stimulieren und damit die Versorgung verbessern will, ist der Markt genau das richtige Modell. Aber in einer Situation, in der schon ein gigantisches Potenzial vorhanden ist und in der man Sorge hat, dass noch mehr Sportwetten angeboten werden und Spielsucht erzeugt wird, darf man nicht mit dem Marktmodell argumentieren und darf man auch nicht mit einem neuen Konzessionsmodell dafür sorgen, dass noch mehr Spiele und verrückte Wetten stattfinden können. Da ist allerhöchste Vorsicht angesagt und meines Erachtens staatliche Verantwortung gefragt. ({2}) Ich bin froh, dass nach reichlichen Diskussionen in den Landtagen - die von Ihnen vorgetragene Position hat natürlich auch in den Landtagen Widerhall gefunden und den Landesregierungen alle Bundesländer - auch die, in denen Sie beteiligt sind - schlussendlich gesagt haben, dass das ein gefährliches Feld ist und das staatliche Monopol daher gerechtfertigt ist. Aber wir müssen uns an die eigene Nase fassen und zukünftig mehr gegen Spielsucht tun; wir dürfen nicht nur ein Einnahmeinstrument schaffen, das lediglich dazu da ist, dem Sport und der Kultur Mittel zuzuführen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, der Kollege Parr würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Kollege Parr ist heute sehr nett. - Bitte schön.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hermann, wie beurteilen Sie denn die Äußerung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, nach der eine konsistente Suchtbekämpfung durch den Staatsvertrag nicht möglich ist, er abgelehnt wird und - ich zitiere - Rechtssicherheit und ein klug geregelter Glücksspielmarkt die Voraussetzungen dafür sind, dass die Zweckabgaben möglichst konstant bleiben? Was ist denn ein klug geregelter Glücksspielmarkt? Handelt es sich dabei um das Festhalten am Monopol?

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ehrlich gesagt, Herr Kollege Parr, weiß ich nicht, woraus Sie zitiert haben. Ich vermute, dass Sie irgendeinen Landtagsabgeordneten aus einer Debatte zitiert haben, so wie der Kollege vorher aus Ihrer Fraktion zitiert hat. Wir sollten uns nicht vorhalten, dass es in Fraktionen unterschiedliche Meinungen gibt, dass in den Landtagen anders diskutiert wurde. ({0}) Festhalten muss man, was am Schluss herauskommt. Am Schluss unserer grünen Debatte kommt heraus: Der Staatsvertrag ist das richtige Instrument. Aber wir erwarten von den Ländern, dass sie aktiv mehr gegen Spielsucht tun. Insofern gebe ich dem Kollegen - wahrscheinlich ist er aus Nordrhein-Westfalen - recht, dass der Staatsvertrag allein nicht ausreicht und dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, an der die FDP beteiligt ist, zu wenig gegen Spielsucht tut. Das war wohl der Hintergrund der Kritik. Insofern kann ich ihn verstehen. Ich will das Ganze überhaupt nicht kleinreden. Es gab auch in unserer Fraktion die Überlegung: Könnte ein Konzessionsmodell eine Möglichkeit sein? Wir haben diskutiert und am Schluss gesagt: Nein, das ist für diesen Bereich das falsche Modell. Wir wollen in diesem Bereich kein Wachstum durch Markt schaffen, wir wollen hier eine klare Begrenzung. Wir wollen auch nicht das Argument des Einnahmeausfalls als Vorwand dafür nehmen, die Schleusen zu öffnen und der Spielsucht, die nach unserer Meinung bekämpft werden muss, sozusagen Tür und Tor zu öffnen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, in dieser Debatte wird das Richtige gesagt. Es ist ja auch nicht die erste Debatte. Aus grüner Sicht ist der Staatsvertrag, so wie er jetzt zustande gekommen ist, eine gute Sache. Ich sage aber deutlich dazu: Der Vertrag ist das eine, die praktische Anti-Spielsucht-Politik ist das andere. Ich erwarte von den Lotto-Toto-Gesellschaften, dass sie sich entsprechend verhalten und in ihrer Werbung entsprechend zurückhaltend sind. Ich erwarte übrigens auch vom Sport, der jahrzehntelang davon profitiert hat, dass er dieses Modell und auch diese Politik mitträgt und unterstützt; denn die Einzigen im Sport, die sozusagen den anderen Weg gesucht haben und Sie vorgeschickt haben, waren genau die Profiorganisationen - Fußballliga, Vereine -, die gehofft haben, über die Privatisierung neues Geld zu schöpfen. Das sind nicht die armen Breitensportler, sondern die, die sowieso schon viel zu viel Geld haben und viel zu viel Geld verbraten. Die wollten sich eine zusätzliche Einnahmequelle schaffen. Wir geben uns dafür nicht her. Die FDP ist dafür offenbar ein Sprachrohr. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Irgendwie - das gestehe ich ganz offen - tut der Kollege Parr mir leid. ({0}) Er versucht, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hier eine bestimmte Position deutlich zu machen - für die FDP immer wieder mannhaft -, ({1}) und dann muss er sich von uns auch noch beschimpfen lassen. ({2}) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 hat in der Tat zwei Wege aufgewiesen: eine Regelung durch einen Staatsvertrag, für den die 16 Bundesländer zuständig sind, zu treffen oder - das war ein Novum in dieser Entscheidung - eine neue Bundeskompetenz zu nutzen, die dann beim Bundeswirtschaftsminister angesiedelt ist, und damit eine konzessionierte und liberalisierte Regelung zu ermöglichen. Das sind die beiden Wege. Die Länder haben sich dafür entschieden, lieber Kollege Parr, das Staatsmonopol zu regeln. Sie haben sich sehr viel Zeit dafür gelassen. Das Urteil ist vom 28. März 2006, und noch ist der Staatsvertrag nicht ratifiziert; er wird ratifiziert werden. Dieser Fall ist deshalb interessant, sicherlich auch für die Öffentlichkeit, weil er zeigt, wie Politik läuft. Sie setzen sich hier vehement für eine Liberalisierung des Sportwettenmarkts ein, und die FDP in den Bundesländern - das ist hier schon mehrfach angeklungen - macht genau das Gegenteil: ({3}) In den Ländern, in denen sie Regierungsverantwortung mitträgt, setzt sie sich für das Staatsmonopol ein. ({4}) Das ist eine schizophrene Situation. Lieber Kollege Parr, sie tun mir wirklich leid - ich meine das ganz ernst -, weil Sie hier sozusagen als einsamer Rufer für die Bundes-FDP auftreten und in den Ländern genau das Gegenteil passiert. Die Position der Länder ist ganz verständlich. Es geht dabei um sehr viel Geld: 4,5 Milliarden Euro pro Jahr werden im Bereich der Glücksspiele, bei Toto und Lotto sowie bei Sportwetten, an die öffentliche Hand verteilt. Man ist in NRW auch deshalb so schnell gewesen, weil dieses Land ein großes Stück vom Kuchen erhält, nämlich 900 Millionen Euro. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür, dass sich die FDP und ihr Innenminister Wolf, der für Sport zuständig ist, für diese Regelung ausgesprochen haben. Bayern und Baden-Württemberg, die zusammen mit NRW fast zwei Drittel dieser 4,5 Milliarden Euro erhalten, sind natürlich auch dafür. Jetzt nähere ich mich Ihrer Auffassung, Herr Kollege Parr. Hier hat sich die Union der Position von Klaus Riegert und Dagmar Freitag sowie der AG Sport, des Fachausschusses, angeschlossen: Wenn die Länder die Initiative ergreifen, dann sollen sie das auch regeln. Das heißt nicht, dass wir sicher sind, dass es zum Erfolg führt; aber die Bundesländer tragen dafür die Verantwortung. ({5}) - Ja, ich sage gar nicht, dass wir so weit voneinander entfernt sind. - Ich glaube, dass die Bundesländer hier eine große Verantwortung zu tragen haben; denn sie haben mit dem neuen Staatsvertrag, der jetzt ratifiziert wird, nicht nur den kleinen Bereich der Sportwetten geregelt, sondern zugleich - das ist ein wenig untergegangen - die Bereiche Toto und Lotto. Nun sind die Geschütze schon an allen Ecken und Enden aufgestellt. Die Rechtsprechung in diesem Bereich war schon bisher sehr uneinheitlich. Gerade hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof zugelassen, dass Bet and Win im Internet Wetten anbietet; der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat auch so entschieden. Es gibt ganz unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen. Die Lage ist also unübersichtlich. Hinzu kommt die Position der EU-Kommission, die immer wieder Hinweise gegeben hat. Wir befinden uns hier in einer problematischen Situation. Die Länder wollen mit dem Staatsvertrag die Suchtgefahr bekämpfen. Das Glücksspiel, bei dem die Suchtgefahr nachweislich am größten ist, nämlich bei den Einarmigen Banditen - dadurch kommt unheimlich viel Geld in die Kasse -, ist staatlich erlaubt. Das ist ein ziemlicher Widerspruch. ({6}) Nun wird möglicherweise Folgendes passieren - es ist eine Gefahr, die ich sehe -: Durch eine Entscheidung der EU, des Europäischen Gerichtshofs, könnte dieser Staatsvertrag sozusagen außer Kraft gesetzt werden. Dann befänden wir uns in der unangenehmen Situation - darauf haben Sie noch nicht aufmerksam gemacht -, dass nicht nur das Monopol für Sportwetten einkassiert wird, sondern in gleicher Weise das Monopol von Toto und Lotto. Dann würde das Geld fehlen, das wir dringend für unseren Sport brauchen. Uns fehlten dann 500 Millionen Euro für den Breitensport. ({7}) Insofern hoffe ich, dass die Länder dies gut bedacht haben und, wenn das alles den Bach runtergeht, bereit sein werden, die fehlenden Einnahmen aus Toto und Lotto, die der Breitensport dringend braucht, zu ersetzen. Da bin ich allerdings sehr gespannt auf die Reaktionen. ({8}) Wir befinden uns hier in einer schwierigen Lage. Wir haben uns dafür entschieden, dass die Länder, die die Verantwortung tragen wollen, sie auch übernehmen. Wir haben keinen Gebrauch von der Bundeskompetenz gemacht. Wir werden sehen, wie sich die Dinge in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Dr. Peter Danckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003066, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die FDP, die das Ganze in den Ländern hätte verhindern können, hat das nicht getan. Das ist die Wahrheit, Herr Kollege Parr. Insofern sind Sie in einer wenig beneidenswerten Situation. Ich kann Ihnen aber bestätigen: Sie haben das hier immer wieder mannhaft ausgehalten. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich hätte Ihnen fast bestätigt, dass Sie die Redezeit weit überzogen haben. Ich schließe hiermit die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus- schusses auf Drucksache 16/6838. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ableh- nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1674 mit dem Titel „Recht der Sportwetten neu ord- nen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemein- wohlbelange sichern“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP bei Zustimmung des übrigen Hauses. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3506 mit dem Titel „Libera- lisierung des Sportwettenmarkts in Deutschland einlei- ten und europakonformes Konzessionsmodell vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a und b so- wie Zusatzpunkt 8 auf: 13 a) -Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung - Drucksache 16/6539 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) - Drucksache 16/6983 Berichterstattung: Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk - Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6989 - Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({2}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel Bahr ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus fortführen und ausbauen - zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beitragsfreie Entgeltumwandlung - Erst prüfen, dann entscheiden - Drucksachen 16/6433, 16/6606, 16/6983 Berichterstattung: Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private Arbeitsvermittlung stärken - Drucksachen 16/1675, 16/6987 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, darüber eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dann eröffne ich hiermit die Aussprache und gebe das Wort der Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPDFraktion. ({5})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Sachverständigenanhörung am Montag hat klar bestätigt: Wir sind bei der Förderung der Betriebsrente auf dem richtigen Weg. ({0}) Beinahe einmütig wurde begrüßt, dass die Große Koalition die betriebliche Altersvorsorge durch die unbefristete Sozialabgabenfreiheit bei der Entgeltumwandlung weiter fördern und ihren Verbreitungsgrad in Deutschland voranbringen will. Beschäftigte können nun auch nach 2008 einen Teil ihres Bruttoentgelts steuer- und sozialabgabenfrei im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge ansparen. Ohne den vorliegenden Gesetzentwurf wäre diese attraktive Möglichkeit Ende 2008 ausgelaufen. Ich freue mich, dass auch die FDP ihre Zustimmung geben will ({1}) und wir somit im Bundestag eine breite Basis für den Gesetzentwurf haben. ({2}) Die Linksfraktion und die Grünen wollen sich allerdings verweigern. ({3}) Sie kritisieren, dass die Abgabenfreiheit nicht vertretbare Ausfälle in den gesetzlichen Sozialkassen zur Folge habe. Das, was die Opposition jetzt an Argumenten vorbringt, sind keineswegs neue Problemstellungen. Schon 2001, als wir gemeinsam mit den Grünen die abgabenfreie Entgeltumwandlung auf den Weg gebracht haben, war klar, dass es zu Ausfällen in den gesetzlichen Sozialversicherungen kommen wird. Da drängt sich doch eine Frage geradezu auf: Warum, liebe Kolleginnen von den Grünen - Kollegen sind ja nicht mehr anwesend -, haben Sie die Abgabenfreiheit überhaupt mit uns beschlossen, ({4}) wenn Sie so große Zweifel an ihrer Richtigkeit haben? Ziehen Sie sich jetzt bitte nicht auf die Befristung des Gesetzes bis 2008 zurück; denn das ist total unglaubwürdig. ({5}) Wären Sie schon 2001 so überzeugt von den von Ihnen heute kritisierten negativen Auswirkungen gewesen, so hätten Sie das Gesetz überhaupt nicht beschließen dürfen. ({6}) Ansonsten hätten Sie sieben Jahre billigend in Kauf genommen, dass die Förderung der betrieblichen Altersvorsorge die gesetzlichen Sozialkassen Geld kostet. ({7}) Warum - so frage ich Sie - haben Sie nicht schon 2001 im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine Prüfung der Verteilungswirkungen beantragt? Warum, liebe Kolleginnen von den Grünen, kommen Sie erst jetzt mit dieser Forderung in Ihrem Antrag? ({8}) Es ist Ihr gutes Recht, sich von unserer gemeinsamen Regierungsvergangenheit zu verabschieden. Aber glaubwürdig sollte man dabei schon bleiben. Glaubwürdigkeit, liebe Kolleginnen von den Grünen, sehe ich bei Ihnen nicht. Im Gegenteil: Das, was Sie hier vorlegen, ist eine politische Kehrtwende ersten Ranges. ({9}) Wie sieht es aber tatsächlich mit den Verteilungswirkungen durch den Ausfall der Sozialabgaben aus? Zahlen Rentnerinnen und Rentner, die nicht privat oder über ihren Betrieb vorgesorgt haben, die Zeche? Genau das behaupten ja die Grünen und die Linksfraktion. In der Anhörung ist sehr deutlich geworden - auch die Bundesregierung hat dies in ihrem Bericht in der letzten Ausschusssitzung bestätigt -: Die Ausfälle bei den gesetzlichen Sozialkassen sind vertretbar. Dies bestätigt übrigens auch die hauptsächlich betroffene Organisation, nämlich die gesetzliche Rentenversicherung. Sie sagt, die Beibehaltung der Sozialabgabenfreiheit werde einen vermutlich nicht übermäßig großen Effekt auf die gesetzliche Rentenversicherung haben. Wer übrigens genaue Berechnungen fordert, wie die Grünen jetzt in ihrem Antrag, kann lange warten; denn solche Berechnungen sind überhaupt nicht möglich. Man kann immer nur schätzen und spekulieren, ({10}) da niemand weiß, wie sich die Menschen verhalten, wenn die Abgabenfreiheit wegfällt und die Entgeltumwandlung sich entsprechend verteuert. Die Praktiker vor Ort, also die Betriebsräte, die Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeberverbände und Wissenschaftler, gehen davon aus, dass es logischerweise zu Ausweichreaktionen kommen würde. Verträge könnten gekündigt und das Geld in dann attraktivere Anlagemöglichkeiten gesteckt werden. Abgesehen davon, dass bei Wegfall der Beitragsfreiheit Millionen Verträge mit großem bürokratischem Aufwand umgeschrieben und Tarifverträge neu ausgehandelt werden müssten, ist es also mehr als frag12846 lich, ob unter dem Strich wirklich ein dickes Plus für die gesetzlichen Sozialkassen stünde. Wir haben das Für und Wider schon bei Einführung der abgabenfreien Entgeltumwandlung sehr genau abgewogen. Für uns steht heute fest: Die Förderung der betrieblichen Altersvorsorge ist der richtige Weg. ({11}) Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion: Auch Sie wettern gegen die Abgabenfreiheit. Das ist schon bemerkenswert. ({12}) Die Gewerkschaften wollen das Gesetz. Sie lehnen es ab und distanzieren sich dadurch deutlich von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. ({13}) Dabei lassen Sie doch sonst keine Gelegenheit aus, sich als die einzigen und wahren Verfechter gewerkschaftlicher Interessen im Bundestag zu präsentieren. Meine Damen und Herren, die Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte haben es in der Anhörung auf den Punkt gebracht: Die abgabenfreie Entgeltumwandlung hilft insbesondere Klein- und Mittelverdienern, Lücken in der gesetzlichen Rente zu schließen. ({14}) - Die sollten Ihnen bei Ihrem Abstimmungsverhalten auch kommen. - Diese Menschen haben nämlich nichts von der Steuerbefreiung; sie zahlen ja keine oder nur in sehr geringem Maße Steuern. Sie profitieren deshalb ganz besonders von der Sozialabgabenfreiheit. Das bringt ihnen Pi mal Daumen 20 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, um es deutlich zu sagen: Sie stellen sich heute gegen die Interessen von rund 9 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die tarifvertraglich geregelt für das Alter vorsorgen. ({15}) Wir hingegen stehen an der Seite dieser Menschen und geben ihnen die Planungssicherheit, die sie für ihre Altersvorsorge brauchen. ({16}) Ich will noch einmal darauf hinweisen: Über 65 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben in Deutschland inzwischen Anwartschaften auf eine betriebliche Altersvorsorge. ({17}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, die wir auf jeden Fall fortsetzen. ({18}) Mit dem heutigen Gesetzentwurf fördern wir nicht nur die Betriebsrente, wir stärken auch die staatlich geförderte private Altersvorsorge, die Riesterrente. Auch dies ist die konsequente Fortführung erfolgreicher sozialdemokratischer Politik. Seit 2002 haben sich rund 9,7 Millionen Menschen entschlossen, mithilfe staatlicher Förderung privat vorzusorgen. Mit der heutigen Gesetzesänderung werden wir die 10-Millionen-Grenze locker knacken; denn wir machen die Riesterrente noch attraktiver. Für alle ab 2008 geborenen Kinder erhöhen wir die jährliche Zulage von 185 Euro auf 300 Euro. ({19}) Ich fasse zusammen: Die große Koalition gibt den vielen Millionen Menschen, die in Deutschland betriebliche Altersvorsorge betreiben, Planungssicherheit. Wir ermuntern Arbeitgeber und Beschäftigte, weiterhin die tariflich fixierte Altersvorsorge zu nutzen. Wir stärken die Riesterrente und verlängern darüber hinaus die Regelung zum Vermittlungsgutschein. Wir verabschieden heute ein Maßnahmenpaket, das gut ist für die Beschäftigten in Deutschland. Deshalb: Stimmen Sie zu! ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Fortführung der abgabenfreien Entgeltumwandlung, zur Erhöhung des Kinderzuschlages bei der Riesterrente und zur Neuregelung bei der Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine für private Arbeitsvermittler entspricht Forderungen, die die FDP schon lange vertritt, zeitweilig als einzige Fraktion in diesem Hause. ({0}) Frau Hiller-Ohm, als Sie die Grünen für ihr Unterlassen in der Vergangenheit beschimpft haben, kam mir Folgendes in den Sinn: Noch im März dieses Jahres hat es der zuständige Minister abgelehnt, die abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus zu verlängern. Jetzt haben Sie sich hier hingestellt und so getan, als ob die Verlängerung immer eine klare Sache gewesen wäre. Ich halte fest: Nur die FDP hat die Bedeutung dieses Instruments immer erkannt und seit Jahren eine Verlängerung über 2008 hinaus gefordert. ({1}) Allerdings könnte der Gesetzentwurf in einigen Punkten weitergehend sein. Sie haben aber die Möglichkeit, insbesondere was die Vermittlungsgutscheine anbelangt, durch Zustimmung zu den vorliegenden FDP-Anträgen sozusagen in letzter Minute Verbesserungen mit auf den Weg zu bringen. Auf die abgabenfreie Entgeltumwandlung will ich jetzt nicht näher eingehen. Die Anhörung hat gezeigt, dass die Fortführung der Abgabenfreiheit sinnvoll und notwendig ist, wenn man dieses Instrument auch in Zukunft haben will. Ich glaube, dass wir diese Form der zusätzlichen Altersvorsorge brauchen, weil sie in Zukunft wesentlich dazu beitragen wird, den Lebensstandard der Ruheständler zu sichern. Das ist angesichts erkennbarer Versorgungslücken sehr wichtig. Der Bericht „Situation und Entwicklung der betrieblichen Altersvorsorge in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst 2001 bis 2006“ unterstreicht meine Aussage. Man muss berücksichtigen, dass ein Auslaufen der Abgabenfreiheit und die damit einhergehende doppelte Beitragspflicht zur Krankenversicherung in der Einzahlungs- und Auszahlungsphase die Entgeltumwandlung für die Versicherten völlig unattraktiv machen würde und vor allen Dingen eine Schlechterstellung gegenüber privaten Vorsorgemöglichkeiten bedeuten würde. Das war schon immer vollkommen klar. Ich kann nicht verstehen - das möchte ich noch einmal sagen -, dass einige in diesem Hause zwischenzeitlich daran gezweifelt haben. Das Instrument der Abgabenfreiheit kann man nicht einfach durch eine steuerliche Förderung ersetzen, weil gerade Geringverdiener von der Beitragsfreiheit profitieren, nicht aber von Steuererleichterungen. Deswegen ist dieses Instrument wichtig. Kritisch wurde angemerkt, dass finanzielle Auswirkungen der Abgabenfreiheit auf die Rentenversicherung zu verzeichnen wären. Das ist eine Abwägungsentscheidung. Für die Fortführung spricht, dass bei Auslaufen der Abgabenfreiheit Ausweichreaktionen zu erwarten wären. Wenn zum Beispiel ein Arbeitgeber eine rein arbeitgeberfinanzierte Betriebsrente anbieten würde, würden auch keine Sozialabgaben gezahlt werden. Die Aufhebung der Abgabenfreiheit würde nur zu einer marginalen Anhebung des Rentenwertes führen. Durch Veränderungen des Rentenniveaus wird am Ende nur derjenige benachteiligt sein, der es jetzt versäumt, eine entsprechende Vorsorge im Wege der Entgeltumwandlung auf den Weg zu bringen. Alle anderen profitieren. Das gesetzliche Rentenniveau wird zwar niedriger sein. Sie stocken ihre Rente aber auf und gleichen im Wege der zusätzlichen Altersvorsorge durch die Entgeltumwandlung mehr als aus. Ich habe für die FDP auch im Ausschuss schon deutlich gemacht, dass wir uns wünschen, Gewinnbeteiligungen künftig stärker als bisher für die Altersvorsorge und für Entgeltumwandlungen heranzuziehen, und zwar gerade deswegen, weil Gewinnbeteiligungen unregelmäßiges Einkommen sind. Sie sind - anders als das laufende Einkommen - nicht verplant und bieten echten Spielraum für zusätzliche Altersvorsorge. Das ist in der Anhörung von einigen Sachverständigen als zukunftsweisend bezeichnet worden. Die Große Koalition war noch nicht so weit. Aber ich sage Ihnen voraus: Früher oder später werden auch Sie auf diesen Weg einschwenken. Wir begrüßen die Erhöhung der Riester-Förderung für Kinder. Die Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine hätten wir uns im Sinne eines Wegfalls der Deckelung besser vorgestellt, weil wir wissen, dass gerade jetzt, wo wir an den Kern verhärteter Arbeitslosigkeit herangehen, Vermittler sehr viel mehr Aufwand betreiben müssen, um neue Arbeitsverhältnisse zu begründen. Da macht es keinen Sinn, eine - wenn auch leicht erhöhte - Deckelung bei den Vermittlungsgutscheinen beizubehalten. Hier muss angesichts des jeweiligen individuellen Sachverhalts auch eine höhere Dotierung möglich sein. Im Ergebnis werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen, auch wenn er hinter dem Bestmöglichen zurückbleibt. ({2}) Aber, wie gesagt, durch Zustimmung zu den vorgelegten Anträgen der FDP-Bundestagsfraktion können Sie das mangelhafte Paket der Großen Koalition etwas aufwerten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Peter Weiß hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das System der Alterssicherung in Deutschland wird heute ein gutes Stück zukunftsfester gemacht. Die Große Koalition löst damit zentrale Zusagen aus ihrem Regierungsprogramm ein. Sicherheit für das Alter zu schaffen, das ist ein Markenzeichen dieser Großen Koalition, auf das wir stolz sein können. ({0}) Das System der Alterssicherung in der Zukunft ruht auf drei Säulen: Die erste Säule ist die gesetzliche Rentenversicherung, die wieder sicher finanziert wird. Das ist eine wichtige Botschaft an die Rentnerinnen und Rentner in unserem Land. Wir werden in diesem Jahr voraussichtlich wieder eine Rücklage aufbauen, die nach dem Ergebnis des Schätzerkreises von vergangener Woche zum Jahresende auf 0,72 Monatsausgaben ansteigen wird. Die zweite Säule ist die private kapitalgedeckte Altersvorsorge in Form der Riesterrente, die wir noch attraktiver machen, indem die Förderung des Staates für jedes ab Januar 2008 geborene Kind auf 300 Euro jährlich erhöht wird. Peter Weiß ({1}) Die dritte Säule ist die betriebliche Altersvorsorge, der wir durch die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung nochmals deutlichen Auftrieb geben. Die Umstellung der Altervorsorge in Deutschland auf ein Drei-Säulen-System erforderte bei vielen zunächst ein Umdenken und viel Überzeugungsarbeit. Aber wir können heute feststellen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land verstanden haben, um was es geht, und dass sie entsprechend handeln. Heute kam die Nachricht: Im dritten Quartal 2007 gibt es jetzt über 9,7 Millionen abgeschlossene Riester-Verträge. Die Tendenz ist weiter steigend, sodass wir dieses Jahr auf jeden Fall noch die 10-Millionen-Marke erreichen werden. Für Familien mit Kindern machen wir das RiesterSparen noch attraktiver, weil es künftig 300 Euro Förderung pro Kind gibt. Künftig kann eine vierköpfige Familie bei einem Mindestbeitrag von 2 100 Euro insgesamt 908 Euro jährlich an staatlicher Förderung erhalten. ({2}) Ich finde, eine solche beachtliche staatliche Förderung ist ein Wort. Eigentlich sollte keine Familie in Deutschland darauf verzichten, dieses Geld bei unserem Finanzminister abzuholen. Die betriebliche Altersvorsorge hat in den letzten Jahren ebenfalls einen deutlichen Aufschwung genommen. Im Jahr 2002 haben nur 38 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft in Deutschland in einem System betrieblicher Altersversorgung vorgesorgt. 2004 waren es bereits 46 Prozent. Mittlerweile sind es über 50 Prozent. Rechnet man die Zusatzversorgungssysteme im öffentlichen Dienst hinzu, so haben heute über 65 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland eine Betriebsrentenanwartschaft. Dieser Anstieg beruht zum Großteil auf der Teilnahme an der Bruttoentgeltumwandlung. Diese Entgeltumwandlung ist gerade für Bezieher niedriger Einkommen interessant, wie uns zum Beispiel die Experten bei der Anhörung am Montag dieser Woche bestätigt haben: „Gerade Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen haben aufgrund der Beitragsfreiheit den höheren Nutzen, die höhere Rendite aus der beitragsfreien Entgeltumwandlung.“ Dies erklärte zum Beispiel Gert Nachtigal von der BDA. Und Klaus Stiefermann von der Arbeitsgemeinschaft betrieblicher Altersvorsorge erklärte, „dass in weiten Teilen auch die Bezieher niedriger Einkommen erreicht worden seien“. Die 2002 eingeführte Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung war zunächst sozusagen ein Sonderangebot zur Steigerung der betrieblichen Altersvorsorge und bis zum Jahr 2008 begrenzt. Aber - Frau ScheweGerigk sollte jetzt zuhören, weil sie immer wieder fragt, warum wir davon abgehen, dass 2008 Schluss ist ({3}) die mittlerweile, übrigens mit Ihrer Zustimmung, Frau Schewe-Gerigk, erfolgten Veränderungen bei den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen der Rentnerinnen und Rentner hätten in Zukunft zu einer Doppelverbeitragung geführt ({4}) und damit die Entgeltumwandlung als eine Form der Altersvorsorge für die Betreffenden finanziell völlig uninteressant gemacht. ({5}) Die Warnungen aus der betrieblichen Praxis dazu sind eindeutig, und daran ist nichts herumzudeuteln: „Kommt jetzt die Doppelverbeitragung, hat diese Entgeltumwandlung keine Perspektive mehr“, erklärte zum Beispiel Herr Scheurer von der BASF. ({6}) Gleiches hörten wir von Personalchefs anderer großer Unternehmen. Deshalb handeln wir als Große Koalition heute, indem wir die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung unbefristet beschließen, damit möglichst bald noch mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland einen zusätzlichen Betriebsrentenanspruch erwerben können. ({7}) Mit dem Gesetz zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung, das wir heute beschließen, wird die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge massiv gestärkt. Der Staat unterstützt mit zusätzlichen Leistungen die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie der Betriebe. Vor einigen Monaten hat die OECD diesem neuen Mix der deutschen Altersvorsorge in einem Gutachten ein hohes Lob gezollt: Deutschland hat in den vergangenen Jahren im Vergleich zu den meisten OECD-Ländern umfassende Strukturreformen im Rentensystem beschlossen und so wichtige Fortschritte auf dem Weg zur Nachhaltigkeit des Systems gemacht. Zusätzlich hat die Gutachterin erklärt, viele andere Länder Europas sollten sich ein Beispiel an dem deutschen Reformwerk in der Altersversorgung nehmen. Dann würden auch sie für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein zukunftsfesteres System schaffen. ({8}) Nun, es gibt diesen schönen Spruch: Lob ist die verstärkte Form der Bitte. - Dem kommen wir heute als Gesetzgeber nach, indem wir zwei weitere gute Entscheidungen oben draufsetzen und die zweite und dritte Säule Peter Weiß ({9}) unseres Altersversorgungssystems zusätzlich stärken und unterstützen. Des Weiteren regeln wir in diesem Gesetz die Vermittlungsgutscheine neu; es ist schon darauf hingewiesen worden, was das bedeutet. Darüber hinaus regeln wir für eine Übergangszeit erneut das Saisonkurzarbeitergeld für die Gerüstbauer. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist für jeden von uns ein bisschen belämmernd, wie oft uns Bürgerinnen und Bürger fragen: Sagen Sie einmal, ist unsere Altersversorgung eigentlich wirklich noch sicher? ({10}) Ich will, insbesondere wenn Herr Dr. Kolb dazwischenruft, dazu keine neuen Sprüche erfinden. Aber ich möchte zusammenfassend betonen: Unsere gesetzliche Rentenversicherung schreibt wieder Plus und bildet Rücklagen. In der zweiten und dritten Säule machen wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem Land ein wirklich attraktives Angebot an staatlichen Förderungen, und zwar zusätzlich zu dem, was sie aus ihrem eigenen Geldbeutel erbringen. Daran wird deutlich, dass wir es damit ernst meinen, die Altersvorsorge auf sichere Beine zu stellen. Ich kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land nur auffordern: Nutzen Sie die Chance, die Ihnen der Staat mit dem neuen Gesetz zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung gibt. Dann können Sie sicher sein, dass Sie im Alter etwas auf der Seite haben, von dem sich anständig leben lässt. ({11}) Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu uns spricht jetzt für die Linke der Kollege Volker Schneider. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kurz nach seiner Verabschiedung als Arbeitsminister erklärte Walter Riester im Rückblick auf die Rentenreform 2001: Jede Rentnerin und jeder Rentner wird jetzt und in Zukunft mehr Rente erhalten als nach altem Recht. Ich glaube, über diesen Satz können weder die heutigen noch die zukünftigen Rentner lachen. Denn das, was hier als Reform bezeichnet wurde, hatte zunächst vor allem eine Folge: eine Senkung des Sicherungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung. Weil das so ist, hat man ergänzend eine zweite Säule, die private Vorsorge, und eine dritte Säule, die betriebliche Vorsorge, geschaffen und erklärt, dies sei alternativlos. Nur am Rande sei erwähnt: Vor kurzem hat die Große Koalition im Zusammenhang mit einem Antrag zum Alterssicherungsbericht selbst eingeräumt, dass auch unter Ausnutzung dieser Möglichkeiten vielen Menschen Altersarmut droht. Die Linke sieht die Privatisierung der Altersrisiken als alles andere als alternativlos an. ({0}) Was die Privatisierung der Altersvorsorge betrifft, wird Ihre Begeisterung wahrscheinlich vor allen Dingen von Versicherungsunternehmen geteilt. Weil Sie die Betriebsrenten so schnell auf das Gleis bringen wollten, haben Sie eine Anschubfinanzierung beschlossen. Was das betrifft, finde ich jeden Angriff gegen die Grünen völlig daneben. Denn es ist üblich, so vorzugehen, wenn man will, dass sich etwas schneller entwickelt. Das war ja auch erfolgreich. Herr Kolb hat darauf hingewiesen, dass Franz Müntefering noch im März dieses Jahres erklärt hat: Das Ziel ist erreicht, und die Förderung kann, wie vorgesehen, zum 31. Dezember 2008 auslaufen. - Was sich zwischen März und Juni dieses Jahres geändert hat und zur Folge hatte, dass auch der Minister seine Meinung ändert, ist sein großes Geheimnis. ({1}) - Möglicherweise. Diese Regelung beinhaltet eine Reihe von Risiken, die auch hier ganz kurz angesprochen worden sind - allerdings geht man immer schnell darüber hinweg -: Erstens. Es entstehen neue Versorgungslücken. Denn jeder Betriebsrentner zahlt niedrigere Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung. Ob dies durch die höheren Betriebsrenten wieder ausgeglichen wird, ist überhaupt nicht gewährleistet. Seriöse Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund besagen: ({2}) Wenn ein Mann über 40 und wenn eine Frau über 30 eintritt, dann ist das Ganze ein Minusgeschäft. Zweitens. Diese sogenannte Reform hat auf jeden Fall niedrigere Rentenanpassungen zur Folge. Denn durch die Beitragsbefreiung wird die Höhe der sozialversicherungspflichtigen Löhne gemindert. Das wirkt sich übrigens selbst auf die Sozialhilfe aus. Ich frage mich, warum die Sozialhilfeempfänger diese Reform mitfinanzieren müssen. Drittens. Die Beitragsbefreiung nutzt natürlich nur denen, die Betriebsrentenverträge abgeschlossen haben. Die Belastungen tragen aber alle, auch diejenigen, die gar keine Betriebsrentenverträge abschließen können, sei es aus gesetzlichen Gründen - hier denke ich an Volker Schneider ({3}) Selbstständige und Arbeitslose -, sei es, weil sie dafür schlicht kein Geld haben. Viertens. Die Beitragsbefreiung führt zu Beitragsausfällen in allen Sozialversicherungszweigen. Ob es sich um 2 Milliarden Euro in allen Zweigen der Sozialversicherung insgesamt oder um 2 Milliarden Euro allein in der Rentenversicherung handelt, spielt eigentlich keine Rolle. Diese Beitragsausfälle müssen ausgeglichen werden, sei es durch Beitragserhöhungen oder durch Leistungsminderungen. In einer gemeinsamen Presseerklärung haben das Bundesarbeitsministerium und das Bundesfinanzministerium noch Ende des Jahres 2006 die Auffassung vertreten, dass nicht nur die Beitragsausfälle in der Sozialversicherung Probleme aufwerfen, sondern dass die Beitragsfreiheit innerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung zu Verteilungseffekten führt, die auf Dauer nicht akzeptabel sind. Das war, ist und bleibt richtig. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne eine gesicherte Datenbasis zur Verteilungswirkung, Frau Hiller-Ohm, will die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, die beitragsfreie Entgeltumwandlung fortsetzen. Damit wird, das wissen Sie, je nach Inanspruchnahme der Beitragsumwandlung das Rentenniveau insgesamt um 2 bis 4 Prozent reduziert, so die Wissenschaft. Das wirkt sich nicht nur auf die künftigen Rentner und Rentnerinnen aus, sondern auch auf die 20 Millionen heutigen, die sich für Ihren Vorschlag bedanken werden. Der Gesetzentwurf der Koalition wird als soziale Tat verkauft. Aber wo sozial draufsteht, muss nicht sozial drin sein, und das ist es hier auch nicht, wie ich Ihnen begründen werde. Denn klar ist: Die Benachteiligung von Erwerbsgeminderten, von Selbstständigen, von Erwerbslosen nimmt zu, und auch das unterdurchschnittliche Rentenniveau von Frauen wird weiter abgesenkt. Frauen arbeiten häufig in außertariflichen Arbeitsverhältnissen, verdienen weniger als Männer. Sie können sich die Entgeltumwandlung häufig nicht leisten, weil sie das Geld aktuell brauchen; sie können es nicht für die Rente zurücklegen. Diese Frauen bekommen eine niedrigere Rente, obwohl sie an der Entgeltumwandlung nicht partizipieren können. Ich finde, das ist eine ziemliche Katastrophe. ({0}) Frau Hiller-Ohm, Sie haben gesagt, die Grünen hätten hier eine Kehrtwende gemacht. Ich frage mich, wo Sie das nachgelesen haben wollen. Wissen Sie, wer eine Kehrtwende gemacht hat? Das ist Arbeitsminister Müntefering, der bis Mitte des Jahres gesagt hat: Natürlich geht das nicht. - Wir haben als Anschubfinanzierung die Entgeltumwandlung sozialabgabenfrei gemacht. ({1}) - Da waren Sie noch nicht dabei; das hätten Sie ihm einmal sagen sollen! - Als Anschubfinanzierung hat das funktioniert; deshalb muss das jetzt, da die Betriebsrenten angezogen sind, beendet werden.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß zulassen?

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gerne; der Herr Weiß hatte ja vorhin eine so kurze Redezeit. ({0}) - Ach, ich habe genug Redezeit.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, nach dem, was Sie vorgetragen haben, frage ich Sie: Warum haben die Grünen und warum haben Sie persönlich als Bundestagsabgeordnete damals die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung überhaupt eingeführt, wenn das alles falsch gewesen sein soll? ({0}) Zweitens. Wenn Sie jetzt wahrscheinlich antworten, Sie hätten das deswegen mitgemacht, weil das bis 2008 zeitlich befristet war, frage ich Sie: Warum haben Sie dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz und damit einer Regelung zugestimmt, dass die Rentnerinnen und Rentner auf Betriebsrenten volle Krankenkassenbeiträge zu zahlen haben? Warum haben Sie zugestimmt, dass sie auf Betriebsrenten volle Pflegeversicherungsbeiträge zu zahlen haben? Damit hat die Entgeltumwandlung nicht mehr die Attraktivität, die sie 2002 hatte, als sie eingeführt wurde.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Zu Ihrer ersten Frage. Ich dachte, ich hätte Ihnen schon eindeutig gesagt: Das war eine Anschubfinanzierung, um die Betriebsrenten attraktiver zu machen. Das ist geschehen, und deshalb wird es jetzt beendet. Das zur ersten Frage. ({0}) - Das können Sie anders sehen. Aber lassen Sie mich jetzt sprechen! Zur zweiten Frage. Wissen Sie, das mit der Doppelverbeitragung ist ein Argument, das ist unglaublich. Bei der normalen gesetzlichen Rente ist es auch so, dass das aus verbeitragtem Geld erfolgt. Für alle anderen Altersvorsorgen, außer wenn Sie privat eine Lebensversicherung abschließen, erfolgt das auch aus verbeitragtem Geld. Diejenigen, die das leisten können, sollen das auch leisten. Sie wissen, es gibt eine ganze Reihe von Klagen dagegen, dass die Betriebsrente der Krankenversicherungspflicht unterliegt. All diese Klagen sind niedergeschlagen worden. Die Gerichte haben gesagt: Das ist so in Ordnung. ({1}) - Jetzt mache wieder ich weiter. ({2}) Die Bundesregierung macht mit ihrem Gesetzentwurf Geschenke an Gutverdienende, an Kernbelegschaften. Diese Geschenke - das kritisiere ich, Herr Weiß - bezahlt sie nicht aus der eigenen Tasche, sondern dies geht zulasten der Sozialversicherten: 2,5 Milliarden Euro pro Jahr aus der Sozialversicherungskasse, in die alle Erwerbstätigen einzahlen. ({3}) Wenn Sie Geschenke machen wollen, dann hätten Sie sie aus Steuermitteln zahlen sollen. Das wäre eine andere Situation gewesen. ({4}) Solange die Koalition die Verteilungswirkung nicht hinlänglich klärt - Frau Hiller-Ohm, Sie spekulieren da; das wissen Sie ja nicht -, bleibt für uns der ungute Eindruck, dass hier nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ verfahren wird, die Folgen interessieren Sie nicht. Verantwortliche Politik sieht für uns anders aus. ({5}) Sie werben - das habe ich hier schriftlich - um die Gewinner des Aufschwungs und machen neue Geschenke an die Gutverdienenden. Um die Kosten aufgrund des sinkenden Alterseinkommens der Ärmeren sollen sich doch die zukünftigen Generationen von Politiker und Politikerinnen kümmern. So gehen Sie vor. Auch das finden wir nicht in Ordnung. Erst prüfen und dann entscheiden, das wäre der richtige Weg. Sie wissen auch, dass gar nicht alle Versicherten umwandeln dürfen. Die Deutsche Rentenversicherung hat in der Anhörung sehr differenziert dargelegt, welche Versichertengruppen von der Entgeltumwandlung ausgeschlossen sind, weil sie entweder nicht teilnehmen dürfen, nicht teilnehmen können oder nicht teilnehmen wollen. Auch dieser sachlichen Darlegung ist in der Anhörung nicht widersprochen worden. Komplett ungeklärt ist die Beteiligung von Geringverdienern. Natürlich meinen auch wir, dass es für die teilzeitbeschäftigte Verkäuferin theoretisch vorteilhaft sein könnte, wenn sie an der Entgeltumwandlung teilnehmen würde. ({6}) Ob sich Menschen in unteren Einkommensgruppen so verhalten, wissen wir nicht definitiv. Es liegen zwar Zahlen von 2005 vor, die besagen, dass das in diesem Bereich weniger angenommen wird, aber wir wissen - das können Sie einmal studieren; Sie haben ja auch die Daimler AG zu der Sachverständigenanhörung eingeladen -, dass die Daimler AG in ihrem Bericht geschrieben hat: Erwartungsgemäß steigt mit dem Einkommen die Teilnahmequote. - So sieht deren Bilanz aus. Daimler bestätigt also das, was die Grünen sagen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Niemand von uns kann diese Frage genau beantworten. ({7}) Gerade deshalb plädieren wir an die rentenpolitische Verantwortung aller Fraktionen und fordern Sie auf, unserem Entschließungsantrag, den wir mit dem Bericht vorgelegt haben, zuzustimmen. ({8}) Dadurch würden wir mehr Klarheit schaffen. Wir wollen den Bericht. Deshalb bitte ich Sie zumindest um Ihre Zustimmung zu diesem Entschließungsantrag. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Förde- rung der betrieblichen Altersversorgung. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un- ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6983, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6539 in der Ausschussfassung anzuneh- men. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der FDP gegen die Stimmen von der Linken und Bünd- nis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ist mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher ange- nommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7009. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- schließungsantrag ist bei Zustimmung durch Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke und Enthaltung der FDP ab- gelehnt. Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 13 b. Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 16/6983 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der FDP auf Drucksache 16/6433 mit dem Titel: „Abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus fortführen und ausbauen“. Wer stimmt für die Beschluss- empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Ablehnung durch die FDP und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Un- ter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6606 mit dem Titel „Beitragsfreie Ent- geltumwandlung - Erst prüfen, dann entscheiden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim- men? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfeh- lung bei Zustimmung durch Koalition und FDP, Gegen- stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatzpunkt 8. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6987, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1675 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Ge- genstimmen der FDP-Fraktion und Zustimmung durch die übrigen Fraktionen angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Sabine Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Stärkung der sozialen und ökologischen Ver- antwortung von Unternehmen - Drucksachen 16/3557, 16/5844 - Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt von den Kollegen Philipp Mißfelder, Garrelt Duin, Katja Mast, Heinz-Peter Haustein, Ulla Lötzer und Kerstin Andreae werden zu Protokoll gegeben.1) Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 1) Anlage 8 zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ({0}) - Drucksachen 16/6520, 16/6738 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1}) - Drucksache 16/6984 Berichterstattung: Abgeordneter Rolf Stöckel - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/7018 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Waltraud Lehn Dr. Claudia Winterstein Anja Hajduk Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag haben wir mit der Union vereinbart, die Organisationsstrukturen und die Finanzgrundlage der landwirtschaftlichen Sozialversicherung so weiterzuentwickeln, dass dieses eigenständige Leistungssystem auch in Zukunft zu vertretbaren Beiträgen der Versicherten und zustimmungsfähigen Bundeszuschüssen erhalten werden kann. Die Notwendigkeit dieser Organisationsreform ist einerseits vor dem Hintergrund des Strukturwandels in der Land- und Forstwirtschaft wie auch im Garten- und Landschaftsbau, aber andererseits auch aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots hinsichtlich des Umgangs mit den Versichertenbeiträgen und den Steuermitteln unbestritten. Der Bericht des Bundesrechnungshofs vom Juli 2007 macht dies eindrucksvoll deutlich. Wir erkennen ausdrücklich an, dass es bereits mit dem letzten Gesetz zur Modernisierung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 17. Juli 2001 Fusionen und Personalanpassungsmaßnahmen gegeben hat. Dennoch nimmt die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nach wie vor jedes Jahr um 3 Prozent ab, und entsprechend sinken die Versichertenzahlen. Die im Jahr 2001 erfolgte Reduzierung auf neun regionale Träger reicht allein nicht aus, um das Ziel einer nachhaltigen zukunftssicheren Struktur zu erreichen. Der unserer Meinung nach für alle Beteiligten akzeptable Kompromiss trägt diesem gemeinsamen Ziel Rechnung, nämlich die landwirtschaftliche Sozialversicherung langfristig eigenständig zu sichern. Das entspricht nicht nur den Forderungen der Berufsverbände und des Deutschen Bauernverbandes, sondern auch denen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Diese Notwendigkeit besteht auch unabhängig von der Einbeziehung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in die Reform der gesetzlichen Unfallversicherung. Unser Ziel war eigentlich, einen einheitlichen Bundesträger für die Landwirtschaft und den Gartenbau zu schaffen. Das war nicht durchsetzbar. Eine mehrheitliche Unterstützung der Länder zu einem Bundesträger wäre selbst bei Beibehaltung der bisherigen Standorte nicht erreichbar gewesen. Diese Blockade der Länder ist nur durch ein zustimmungsfreies Gesetz zu umgehen; ansonsten hätte die Gefahr bestanden, die Organisationsfrage der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in dieser Legislaturperiode ungelöst zu lassen. Der Bund stellt in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt bis zu 800 Millionen Euro für die landwirtschaftliche Unfallversicherung bereit. Der Bund kommt seiner Verantwortung nach. Aber die Auffassung der Länder, dass die Organisation grundsätzlich in Ordnung sei und man die Kosten dafür - immerhin 120 Millionen Euro jährlich bei einer Umlage von 840 Millionen Euro - verkraften könne, wenn nur der Bundeszuschuss erhöht würde, ist völlig unakzeptabel. Mit dieser Position setzen die Länder die Eigenständigkeit der landwirtschaftlichen Sozialversicherung aufs Spiel. Wir werden die drei Spitzenverbände der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu einer Spitzenorganisation zusammenfassen. Die Koalition hat sich nach der erfolgten Anhörung und der Kritik sowie den Vorschlägen aus den Berufs- und Interessenverbänden darauf verständigt, über die bereits im Entwurf vorgesehenen Aufgabenverlagerungen hinaus eine Reihe von Aufgaben wie die Prävention oder den Forderungseinzug aus Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsgründen von den Regionalträgern auf den zukünftigen Spitzenverband zu übertragen. Wir erkennen ausdrücklich an, dass im Bereich des Gartenbaus bereits ein sektoraler Bundesträger mit einem einheitlichen Beitragsmaßstab geschaffen wurde. Dieser Beitragsmaßstab erfüllt schon die Vorgaben des neuen Gesetzes. Erhebliche Mittel bringt der Bund für eine besondere Abfindung von Kleinrenten auf. Diese Aktion wird zu einer erheblichen Reduzierung der Kosten führen. Der Erfolg der Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung hängt aber wesentlich von der Inanspruchnahme dieser befristeten Abfindungsaktion ab. Daher sind alle Beteiligten der Branche aufgerufen, die Maßnahmen bekannt zu machen und intensiv über diese Möglichkeiten zu beraten. Eine Verlängerung der Sonderabfindungsaktion wird nicht möglich sein. Das muss allen Beteiligten klar sein. Mit dem so geänderten Gesetzentwurf haben wir substanzielle Vorschläge aus den Verbänden und aus den Reihen der Fachausschüsse durchsetzen können. Ein ungelöstes Problem bleibt allerdings unserer Auffassung nach die fehlende Verlängerung der Stichtagsregelung der Zusatzversorgung für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition auch im Finanzund im Haushaltsausschuss, lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir in den vor uns liegenden Sitzungswochen noch eine Lösung für diese Gerechtigkeitslücke finden. ({0}) Ich möchte mich bei allen Beteiligten der Koalition, in den Fachausschüssen, der Ministerien, aber auch der Verbände herzlich für die gute Zusammenarbeit und das Ergebnis bedanken. Wir haben das Mögliche erreicht. ({1}) Jetzt liegt der Ball bei den Trägern und den Ländern. Die Träger müssen die Umsetzung des Gesetzentwurfs konstruktiv unterstützen. Die Länder müssen ihre Aufsichtspflichten wahrnehmen und Verstöße gegebenenfalls sanktionieren. Die Reform muss greifen. Wer die Umsetzung des Gesetzentwurfs blockiert, der untergräbt die eigenständige landwirtschaftliche Sozialversicherung. Herzlichen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP spricht jetzt der Kollege Dr. Edmund Peter Geisen. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute wird ein Gesetzentwurf verabschiedet, der erstens den Steuerzahler sehr viel Geld kosten wird, bei dem zweitens schon jetzt klar ist, dass in ein paar Jahren die nächste Reform ansteht, und der drittens sein Ziel, die Landwirte nicht noch stärker zu belasten, nicht erreichen wird. ({0}) Dieser Gesetzentwurf zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist, wie Sie schon eben gehört haben, ein fauler Kompromiss, mit dem niemand zufrieden sein kann, weder der Bund noch die Länder noch die Steuerzahler und schon gar nicht die Landwirte. Ich stelle fest, dass nur wenige Forderungen des Berufsstandes und der Opposition in den Gesetzentwurf eingeflossen sind. Selbst im Änderungsantrag von Schwarz-Rot: Fehlanzeige. Es werden vollmundige Versprechen gemacht und wieder gebrochen wie bei der Beteiligung der landwirtschaftlichen Krankenkassen an den Bundesmitteln für versicherungsfremde Leistungen. Ich stelle weiter fest, dass der Lastenausgleich nicht zufriedenstellend geregelt ist, besonders was die GartenbauBerufsgenossenschaft angeht. ({1}) Die meisten Änderungsanträge des Bundesrates werden ignoriert. Die Zustimmungspflicht des Bundesrates wird umgangen. Ich stelle des Weiteren fest, dass das Personal der regionalen Träger immer stärker verunsichert wird. Die Anpassung des Leistungskatalogs ist lückenhaft. Das gesamte LSV-System bleibt instabil. Es bleiben viele Probleme ungelöst, die geradezu nach der nächsten Reform schreien. ({2}) Mehr hat uns die schwarz-rote Agrarsozialpolitik unter dem Obersozialpolitiker Horst Seehofer nicht gebracht. ({3}) Es geht doch ganz einfach darum, die landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsfest zu machen. Das erreichen Sie angesichts des dramatischen Strukturwandels in der Landwirtschaft weder mit einer faktisch gar nicht zu realisierenden 20-prozentigen Reduzierung der Verwaltungskosten noch mit einer teuren, ineffektiven Abfindungsaktion und erst recht nicht mit einer Minireform im Leistungskatalog. ({4}) Das erreichen Sie nur, wenn Sie wirklich reformieren und konsequent das gesamte System vom Umlage- auf ein Kapitaldeckungsverfahren umstellen. ({5}) Die Reformschwäche von Minister Seehofer geht sowohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haushalts und damit aller Steuerzahler. Die Abfindungsaktion für Kleinrenten ist unwirksam und reine Geldverschwendung. Dafür gibt es Beispiele in der Vergangenheit. In den nächsten beiden Jahren werden 800 Millionen Euro plus Eigenmittel der Träger in ein längst nicht mehr finanzierbares System gesteckt. Dann wundern sich alle, wenn sie 2010 - das wurde bereits zugegeben - erneut vor leeren Kassen stehen. Die FDP-Fraktion setzt sich stattdessen mit ihrem Vorschlag zur Systemumstellung für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit Steuermitteln ein. Interessant ist das Thema auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Alle vorhergehenden Gesetze waren zustimmungspflichtig. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme gefordert, seine umfangreichen Änderungswünsche ausreichend zu berücksichtigen und einzuarbeiten. Anderenfalls sei die Anrufung des Vermittlungsausschusses, so der Bundesrat, unausweichlich, Föderalismusreform I hin oder her. Darauf eingegangen ist die Koalition kaum. Es ist bezeichnend, dass die Landwirte unter Schwarz-Rot immer wieder mit faulen Kompromissen leben müssen. ({6}) An diesem vergleichbar kleinen Reformvorhaben zeigt sich die ganze Schwäche der sogenannten Großen Koalition. ({7}) Wie gesagt, diese Reform schreit schon jetzt nach Reformen. Das ist Flickschusterei am Rande der Verfassungsmäßigkeit. ({8}) Am besten wäre es, wenn Sie das Gesetz sofort einstampften. Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf auf jeden Fall ab. Danke schön. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Max Straubinger für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die soziale Sicherung der Menschen auf dem Land und insbesondere der Landwirte hat bei der Bundesregierung und vor allem bei Bundesminister Horst Seehofer einen hohen Stellenwert, der an der Erarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs wesentlich beteiligt war. Dieses Gesetz stellt einen großartigen Fortschritt bei der Sicherung der Menschen in der Landwirtschaft dar. Es bedeutet, dass wir zum eigenständigen System der sozialen Absicherung der Bäuerinnen und Bauern stehen. Die Weiterentwicklung ist natürlich unter dem Gesichtspunkt des Strukturwandels in der Landwirtschaft zu sehen. Dem wollen und können wir uns nicht verschließen. Wir werden dem Strukturwandel in den sozialen Sicherungssystemen der Landwirtschaft Rechnung tragen. Anlass ist sicherlich der Bericht des Bundesrechnungshofes, in dem die Schaffung effizienterer Strukturen angemahnt wird. Die effizienteren Strukturen sollen die landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsfest machen. Die Ziele der Reformen sind klar und eindeutig definiert. Wir wollen für die Bäuerinnen und Bauern, für die aktiven Landwirte mindestens Beitragssatzstabilität erreichen; wir wollen sogar erreichen, dass die Beiträge zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung in Zukunft sinken ({0}) und damit die Bäuerinnen und Bauern entlastet werden. ({1}) Ich bin überzeugt, dass wir dies mit diesem Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, erreichen. Das tun wir mit verschiedensten Maßnahmen, die auch mit Leistungseinschränkungen einhergehen, aber vom Berufsstand mit erarbeitet worden sind und mitgetragen werden. Deshalb danke ich sehr herzlich dem Berufsstand und dem Bauernverband, der schwierige Entscheidungen in die Organisation hineinträgt. ({2}) Wir werden mit dem Herauskauf von Kleinrenten vor allen Dingen erreichen, dass zukünftig die Verwaltungsaufgaben in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft weniger werden und damit die Verwaltungskosten geringer werden. An dieser Stelle gilt unser Dank unserem Bundesminister Horst Seehofer; denn es ist nicht einfach, bei schwierigsten finanziellen Gegebenheiten Mittel für unsere Bäuerinnen und Bauern aufzubringen. In dieser Bundesregierung gab es stetig Zuschüsse für die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft in einem Umfang von 200 Millionen Euro. Zusätzlich werden für diese Herauskaufaktion zweimal 200 Millionen Euro bereitgestellt, und zwar in den Jahren 2008 und 2009. Ich bin überzeugt, dass dies ein Beitrag zu zukünftiger Beitragssatzstabilität sein wird. ({3}) Herr Kollege Geisen, Sie bemängeln, dass keine Kapitaldeckung eingeführt wird. Sie bleiben aber die Antwort auf eine Frage schuldig. ({4}) - Doch. - Wenn nur die Altrenten abgelöst würden, wären Finanzmittel in Höhe von fast 3 Milliarden Euro notwendig. Wie wollen Sie das finanzieren? Sie haben in keiner Weise einen Finanzierungsvorschlag vorgelegt. Nur nach der Kapitaldeckung zu rufen, aber keine Vorschläge zur Finanzierung zu unterbreiten, ist unredlich. Deshalb ist meines Erachtens unser Vorschlag dazu geeignet, die Zukunftsfähigkeit zu erreichen. ({5}) Ein weiterer Punkt ist, dass Leistungen im Bereich der Haushaltshilfen eingeschränkt werden. Ich glaube, das ist vertretbar. Bei den Altenteilern und bei den Unternehmern erfolgt eine weitere Einschränkung, nämlich dass zukünftig erst bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 Prozent eine Rente fällig wird - das wird weitere Einsparungen für das System bedeuten -, eine Einschränkung wohlgemerkt nur für die Unternehmer, nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Landwirtschaft. Die Verlängerung der Wartezeit auf 36 Wochen für die Geltendmachung eines Anspruchs wird ebenfalls zu einer Beitragsentlastung führen. All diese Einschränkungen sind dazu geeignet, so glaube ich, dass ein leistungsfähiges System erhalten bleibt, auf das sich die Bäuerinnen und Bauern in der Vergangenheit verlassen konnten und auf das sie sich vor allen Dingen in der Zukunft verlassen können. Deshalb bitten wir um Zustimmung. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Linke. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, für ein Sozialversicherungssystem in der Landwirtschaft zu sorgen, das erstens im Ernstfall wirklich hilft bzw. dazu beiträgt, Ernstfälle möglichst wirksam zu vermeiden, zweitens auf einem bezahlbaren, solidarischen und gerechten Beitragssystem basiert und drittens effizient und aufgabengerecht verwaltet wird. Diese Aufgaben werden aus unserer Sicht durch den Gesetzentwurf nicht erfüllt. Auch nach der Expertenanhörung gibt es viele Kritikpunkte. Allein der Bundesrat hat 37 Einwände vorgetragen. Wir teilen nicht alle. Aber natürlich wäre es sinnvoll gewesen, vor einer erneuten Reform die Wirkung der Reform von 2001 neutral zu evaluieren. Obwohl das in Ihrem Koalitionsvertrag steht, ist es nicht erfolgt. Ein Ziel der Organisationsreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist die Anpassung an den Strukturwandel in der Landwirtschaft. Die Rechnung scheint einfach: Weniger Betriebe brauchen weniger Verwaltung. Das mit einem zusätzlichen Spitzenverband erreichen zu wollen, ist geradezu absurd. Das ist auch das Ergebnis der Anhörung vor zwei Wochen. Der geplante Lastenausgleich zwischen den Unfallversicherungsträgern wird die Akzeptanz des Systems zudem nicht deutlich verschlechtern. Für den Gartenbau und die landwirtschaftlichen Betriebe im Norden und im Osten werden die Beiträge steigen, obwohl nachweislich gerade hier das betriebliche Unfallrisiko deutlich geringer ist als in anderen Bereichen und in anderen Regionen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Linke will ein Solidarsystem, aber ein gerechtes. Wir brauchen daher ein risikoorientiertes Beitragssystem statt die Beibehaltung der ungerechten Berechnung der Beiträge nach der bewirtschafteten Fläche. ({0}) Es wäre auch deutlich demokratischer, wenn die Selbstverwaltung die Chance hätte, ein entsprechendes Solidarsystem selbst vorzuschlagen. Auch die Leistungseinschränkungen in der Unfallversicherung - sie sind benannt worden - werden die finanziellen Probleme des Systems überhaupt nicht lösen. Wie gerechtfertigt ist eigentlich ein zwangsbeitragsfinanziertes Versicherungssystem, wenn ständig steigenden Beiträgen immer weniger Leistungen gegenüberstehen? Wir sind überzeugt: Wer bezahlbare Beiträge will, der muss sich zur Beibehaltung der Unterstützung aus Bundesmitteln bekennen. ({1}) Heftig umstritten sind auch die Angebote zur Kapitalisierung von Kleinrenten; das ist bereits gesagt worden. Wer als Berechnungsgrundlage das vergangene Jahrtausend nutzt, muss sich nicht wundern, wenn das unattraktive Angebot nicht angenommen wird. Auch da werden keine Einspareffekte erzielt. Als weiteres Ziel der Organisationsreform wird die Verwaltungsreduzierung genannt. Das kann sinnvoll sein. Ein System zu entwickeln, das noch näher an den Interessen der Versicherten orientiert ist, wäre durchaus vernünftig. Aber auch hier bedeutet Organisationsreform zuallererst Personalabbau. Aus Altersgründen werden bis 2020 15 Prozent der circa 6 500 Beschäftigten ausscheiden. Für die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen fordert die Linke, die Personalvertretungen frühzeitig und vor allen Dingen wirksam in alle Überlegungen zu neuen Organisationskonzepten einzubeziehen. ({2}) Um es zusammenzufassen: Keines der angeblichen Ziele des Gesetzentwurfs wird erreicht. Die in Aussicht gestellten Kosteneinsparungen zugunsten des Haushalts des Ministeriums sind absolut unrealistisch. Die Beiträge vieler Betriebe werden nicht sinken, sondern steigen. Mit dem Spitzenverband wird keine Verwaltungsreduzierung gelingen. Die Organisationsreform wird wieder einmal vor allen Dingen Personalabbau bedeuten. Das Versicherungssystem wird durch dieses Gesetz nicht zukunftsfester. Es ist schon jetzt abzusehen, dass es zwischen dem Spitzenverband und den neun Versicherungsträgern ein endloses Gerangel um die Kompetenzen geben wird. Daher wäre es doch sicher sinnvoll gewesen, vor Einbringung dieses Gesetzentwurfs zu prüfen, wie sinnvoll die Verteilung der Aufgaben zwischen Spitzenverband und Trägern wirklich ist. Unter dem Strich bleibt unsere Kritik. Die Linke wird dem Gesetzentwurf daher nicht zustimmen. Gleichzeitig wage ich - da kann ich mich der FDP nur anschließen ({3}) einmal eine Voraussage: In wenigen Jahren werden wir uns tatsächlich mit der Reform der Reform beschäftigen. Das kann eigentlich nicht unsere Aufgabe sein. Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Cornelia Behm das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man konnte in den letzten zwei Jahren des Öfteren den Eindruck gewinnen, dass im Agrarministerium der Deutsche Bauernverband die Politik macht. Ich muss sagen: In viel stärkerem Maße gilt das für die Agrarpolitik der Union hier im Bundestag. Ein deutlicher Beleg dafür ist das LSV-Modernisierungsgesetz; denn die Union hat genau die Forderungen in das Gesetz hineinverhandelt, die vorher im Forderungskatalog des Deutschen Bauernverbandes standen. Angesichts der Kürze meiner Redezeit will ich mich im Wesentlichen auf dieses Thema beschränken. Da sind zum einen die zusätzlichen Einschränkungen im Leistungskatalog. Hierbei handelt es sich um Sozialabbau, der durch die versprochenen Beitragssenkungen keineswegs aufgewogen wird. Das lehnen wir Grüne strikt ab. Ich bezweifle außerdem stark, dass ein landwirtschaftlicher Unternehmer eine um ein knappes Drittel geminderte Erwerbsfähigkeit ohne Weiteres wegsteckt, vor allem dass er sie ohne Erwerbseinbußen kompensieren kann. Schließlich geht es auf den Höfen Gott sei Dank im Wesentlichen noch nicht um Büroarbeit, sondern vor allen Dingen um körperlichen Einsatz. Auch die Streichung der Unfallversicherungsleistungen für Altenteiler lehnen wir ab; denn derzeit ist der Standard der Heilbehandlung und der Rehabilitation in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung höher als in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung; in Letztere würden sie aber geschoben werden. Das würde bedeuten, dass verunglückte Altenteiler künftig schlechter behandelt werden als beispielsweise ihre Söhne und Töchter. ({0}) Außerdem wissen Sie, Herr Bleser, und die anderen Kollegen ganz genau, dass die Altersrente der Landwirte nicht auskömmlich ist, dass sie vielmehr nur eine Grundrente ist. In diesem Zusammenhang ergeben Unfallrenten für verunfallte Altenteiler durchaus Sinn. ({1}) Wenn ein Altenteiler zukünftig keine Leistungen der Unfallversicherung mehr bekommt, dann wird er auch kaum noch im Familienbetrieb aushelfen. Dies aber würde sowohl den Traditionen der bäuerlichen Familienbetriebe widersprechen als auch der Landwirtschaft insgesamt schaden. Nun lässt das Gesetz aber, wie wir alle wissen, ein Schlupfloch; denn wenn Altenteiler einen Arbeitsvertrag abschließen, bleiben sie unfallversichert. Voraussichtlich werden also die meisten Betriebe für ihre Altenteiler solche Verträge abschließen. Aber damit wird die beitragssenkende Wirkung dieser Gesetzesänderung letztendlich sehr begrenzt sein. Beachtlich ist lediglich der Beitrag zum Bürokratieaufbau. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein besonders starkes Stück - Herr Geisen hat es schon erwähnt -, dass die Große Koalition bei den Beratungen zum Gesetz die Anliegen des Gartenbaus fast völlig ignoriert hat ({2}) - „fast“ habe ich gesagt -, obwohl Agrarminister Seehofer der Branche entsprechende Zusagen gemacht hatte. Offensichtlich war der starke Arm des Deutschen Bauernverbandes doch stärker als der des Ministers, der offenbar zu viel Zeit und Kraft im bayerischen Parteiwahlkampf verschlissen hat. Es bleibt also dabei, dass der Gartenbau in den Lastenausgleich zwischen den regionalen Trägern der LUV einbezogen wird, obwohl er bereits als Bundesträger organisiert ist. Ich meine, dass diejenigen, die ihre Hausaufgaben schon gemacht haben, jetzt nochmals zu Solidaritätsleistungen gezwungen werden. Das ist nicht angemessen. Ein weiterer Mangel des Gesetzentwurfes ist die unzureichende Gewährung und Berücksichtigung von Personalvertretungsrechten. Diesbezüglich hätte dringend nachgebessert werden müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige wenige, aber aus meiner Sicht gewichtige Gründe, deretwegen wir dieses Gesetz ablehnen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt kommt die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion an die Reihe. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon viel gesagt worden. Ich möchte zuerst auf meine Vorredner eingehen. Herr Geisen, Sie haben gesagt, die FDP-Fraktion sehe nicht, dass diese Reform greifen werde. Ich sage Ihnen: Diese Reform wird greifen! Ich fordere seit 1991 einen Bundesträger. Woran ist es gescheitert? An den Bundesländern! Heute haben wir einen starken Spitzenverband, der Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch, und der Bund hat die Möglichkeit, zu kontrollieren und einzugreifen. Zentrale Aufgaben liegen beim Spitzenverband. Das ist gut, und diese Reform wird greifen. ({0}) Aber Sie kommen wieder mit Ihren alten Kamellen vom kapitalgedeckten Verfahren. ({1}) Wenn die Damen und Herren, die oben auf der Zuschauertribüne sitzen, wüssten, wie lange wir darüber diskutiert haben und dass jeder Fachmann und jeder Wissenschaftler gesagt hat, das könne überhaupt nicht funktionieren! Wir haben immer nur auf Ihre Antwort gewartet, Herr Geisen. Woher hätten Sie denn das Geld für das kapitalgedeckte Verfahren genommen? Das war nicht klar.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Wolff, möglicherweise möchte Herr Geisen Ihnen jetzt die Antwort in einer Frage verpackt geben. Möchten Sie das zulassen?

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön. ({0})

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau Kollegin Wolff, sind Sie erstens mit mir einer Meinung, dass die Altlasten ein gesamtgesellschaftliches Problem sind, ja oder nein? Das müssen wir zuerst klären. Zweitens. Sind Sie der Meinung, dass die Zukunftssicherung im Umlageverfahren bei der immer kleiner werdenden Solidargemeinschaft der jungen aktiven Landwirte überhaupt möglich ist? Wenn wir das geklärt haben, dann, denke ich, können wir uns über das andere unterhalten. Mir ist klar, dass man natürlich nicht mit den Altlasten in eine Umstellung von dem heutigen System auf ein kapitalgedecktes System hineingehen kann. Das wurde immer falsch diskutiert. Das ist so nie vorgeschlagen worden. Vielen Dank. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Geisen, die Altlasten wollen Sie da natürlich nicht einbeziehen. Sollen das die Steuerzahler noch einmal zahlen? Das kann ja wohl nicht wahr sein, beim allerbesten Willen nicht! ({0}) Kollegin Tackmann hat davon gesprochen, dass der Spitzenverband absurd ist. Ich habe erklärt, welche Aufgaben auf den Spitzenverband verlagert werden. Der Bund, die Ministerien haben die Möglichkeit, hier zuzugreifen. Wir müssen sehen, dass auch eine Streckung der Umlagekosten in Betracht kommt. Ich nenne hier den Träger Mittel- und Ostdeutschland, MOD. Der Träger für den Gartenbau und der Träger MOD sind von der Umlage natürlich am meisten betroffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir, wenn wir 2,14 Milliarden Euro in dieses Sondersystem Landwirtschaftliche Sozialversicherung stecken, nicht erwarten, dass eine Umlage, in vier Jahren von 14 auf 27 Millionen Euro steigend, aus dem System heraus aufgebracht werden kann? ({1}) Ich denke, so viel Solidarität kann man erwarten. ({2}) Man kann den Steuerzahlern auch erklären, dass hier im System umgeschichtet wird. ({3}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Satz sagen. Mein Herz hing natürlich besonders an Waltraud Wolff ({4}) der Stelle, wo wir für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Sicherungen einziehen konnten. Das ist uns auch gelungen. Wir haben davon auszugehen, dass in der Zukunft 20 Prozent der Verwaltungskosten gespart werden. ({5}) Dabei muss Aus- und Fortbildung natürlich ausgenommen werden. Auch das haben wir geschafft. Wir wollen nicht, dass Lehrstellen gestrichen werden. Wir haben es geschafft, dass im Gesetz steht: Zentrale Aufgaben vom Spitzenverband können dezentral bei den Trägern erledigt werden. ({6}) Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir den Arbeitsplatzabbau nach dem geltenden Fusionstarifvertrag sozialverträglich gestalten. ({7}) Die Kolleginnen und Kollegen können uns an der Stelle ein kleines bisschen dankbar sein. Das Kernstück der ganzen Aktion ist die Abfindung der Kleinstrenten. Mein Appell an die Länder und an die Leute, die die Beratung machen, lautet: Sobald dieses Gesetz beschlossen ist, muss an dieser Stelle Hand angelegt werden! Die Abfindungsaktion muss sofort in Kraft gesetzt werden, damit wir schnellstmöglich von den Kosten herunterkommen. Wir geben der LSV mit diesem Gesetz die Möglichkeit, vernünftige Strukturen zu schaffen. Jetzt liegt es bei den Trägern und den Aufsichtsbehörden, diese Zeit zu nutzen. Denn eines kann ich Ihnen sagen: Ich kann mir nach neun Jahren Arbeit mit diesem Thema nicht vorstellen, dass es für die landwirtschaftliche Sozialversicherung noch einmal eine solche Möglichkeit geben wird. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Debatte spricht die Kollegin Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich das Recht der Opposition, Quatsch zu reden; ({0}) aber man kann auch maßlos übertreiben. ({1}) Liebe Kollegin Behm, zum Stichwort Sozialabbau: Wir haben nach Lösungen gesucht, und wir haben sie gefunden. ({2}) Unter Ihrer grünen Ministerin wurden die Bundesmittel gekürzt, aber keine weiteren Lösungen gefunden. ({3}) Die Vorgabe aus unserem Koalitionsvertrag war, eine angemessene Beitragsbelastung und innerlandwirtschaftliche Solidarität zu erreichen. Es ist deutlich geworden, dass das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern in eine massive Schieflage geraten ist, dass wir also Handlungsbedarf hatten. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich unserem Bundesminister Seehofer für die Unterstützung. ({4}) Ich danke dafür, dass neben den aktiven Betrieben auch Bundesminister Seehofer Verantwortung trägt. Der Bund unterstützt seit 1963 die aktiven Betriebe; Bundesminister Seehofer unterstützt sie in diesem Jahr mit 200 Millionen Euro. ({5}) Das ist nicht selbstverständlich. ({6}) Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich den Vertreter des BMAS, Herrn Staatssekretär Tiemann, loben. Ich danke außerdem den Arbeitsgruppen Arbeit und Soziales und meiner eigenen Arbeitsgruppe. Zudem danke ich Gitta Connemann, die heute abwesend ist; sie ist sprachlos, aber nur vorübergehend, weil sie krank ist. ({7}) Sie trägt den gefundenen Kompromiss ausdrücklich mit. Ich werbe wie viele Kolleginnen und Kollegen vor mir ausdrücklich für die Abfindungsaktion. Ich denke, es ist ein finanzieller Kraftakt, wenn der Bund zusätzlich zweimal 200 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um den Altrentenbestand zu verringern. Ich finde es schon bemerkenswert, wenn ein Berufsverband wie der Bauernverband viel mehr Leistungseinschränkungen fordert, als wir heute beschließen. Wir haben es schon mehrfach gehört: In Zukunft hat man nur dann einen Anspruch auf Unfallrente, wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 30 Prozent vorliegt; die Wartezeit bei neuen Unfallrenten wird auf 26 Wochen verlängert. Besonders wichtig ist mir, dass - Kollegin Wolff hat es betont - aus drei SpitzenverbänMarlene Mortler den einer wird. Der neue Spitzenverband wird in Zukunft alle Aufgaben übernehmen und sie besser und billiger erledigen. Ich finde es richtig, dass das tägliche operative Geschäft in der Verantwortung der regionalen Träger bleibt. Ich finde es auch richtig, dass alle Träger bis 2010 ihren Beitragsmaßstab risikoorientiert umstellen müssen und dass die Verwaltungskosten bis 2014 um 20 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2004 gesenkt werden müssen. Ein Wort zum Lastenausgleich: Unsere Anschlussregelung spiegelt den bisherigen 79er-Schlüssel wider. Wenn der Bund zusätzliches Geld in die Hand nimmt, dann ist es mehr als gerecht und fair, dass 3,2 Prozent des gesamten Umlagevolumens zu den Trägern in strukturschwächeren Gegenden fließen. ({8}) Wer hier auf Freiwilligkeit gesetzt hat, der glaubt als Erwachsener noch an den Weihnachtsmann. Bei aller Freude über den gefundenen Kompromiss

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen, trotz aller Freude.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- ich komme zum Schluss; ich bin auf der Zielgeraden, Frau Präsidentin - gibt es einen Wermutstropfen. Wir wissen, dass die landwirtschaftliche Krankenversicherung wie alle gesetzlichen Krankenversicherungen Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen erhält, unter anderem für die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern. Nun sollen diese Bundesmittel ausgerechnet für die Berufsgruppe mit dem größten Kindersegen ab 2009 wegfallen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, jetzt wäre das Ziel überschritten.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat ein Herz für Kinder. Sie hat ihr Herz für Kinder neu entdeckt. Das muss für alle Kinder gelten, auch für Kinder von Bauern. In diesem Sinne appelliere ich am Schluss an unsere zuständige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und werbe darum, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Es liegen Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un- serer Geschäftsordnung von den Kolleginnen und Kolle- gen Dr. Peter Jahr, Klaus Brähmig, Katharina Landgraf, Volkmar Uwe Vogel und Maria Michalk vor.1) Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6984, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6520 und 16/6738 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. ({0}) - Ich glaube, dass das eine nicht erlaubte Äußerung der Bundesregierung war. Aber möglicherweise hat das eher damit zu tun, dass man sich, auch wenn man auf der Regierungsbank sitzt, ein bisschen fit halten muss. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7010. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die FDP und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck ({1}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geschlechtersensible und effiziente Haushaltspolitik einführen - Drucksache 16/6792 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Finanzausschuss Haushaltsausschuss Hier ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattie- ren. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle- ginnen Ingrid Fischbach, Christel Humme, Ina Lenke, Dr. Gesine Lötzsch und Irmingard Schewe-Gerigk.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6792 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie ein- verstanden? - Dann ist so beschlossen. 1) Anlagen 2 bis 4 2) Anlage 9 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 17 a und b auf: a) Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan ({3}) auf Grundlage der Resolution 1590 ({4}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - Drucksache 16/6940 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN Hybrid Operation in Darfur ({6}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({7}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 - Drucksache 16/6941 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({8}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Damit sind Sie einverstanden. Dann eröffne ich jetzt die Aussprache und gebe das Wort Staatsminister Gernot Erler für die Bundesregierung.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das internationale Engagement im Sudan befindet sich in einer entscheidenden Phase. Im Südsudan steckt das Friedensabkommen derzeit in einer ernsthaften Krise. Die südsudanesische Regierung hat seit Oktober ihre Teilnahme an der Einheitsregierung in Khartoum ausgesetzt. Beide Seiten werfen sich vor, wichtige Elemente des Abkommens nicht umzusetzen. Wir sehen dies mit Besorgnis; denn das Friedensabkommen CPA ist und bleibt die Grundlage für den politischen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau des gesamten Landes. Der Friedensmission UNMIS kommt daher weiterhin die zentrale Rolle zur Stabilisierung zu. Seit 2005 unterstützt UNMIS die Umsetzung des Friedensabkommens. Deutsche Soldaten leisten als Militärbeobachter und Stabsoffiziere hier einen wichtigen und anerkannten Beitrag. UNMIS wird weiter an Bedeutung gewinnen, auch mit Blick auf die für 2009 geplanten Wahlen und das für 2011 vorgesehene Referendum, welches über den Status des Südsudan entscheiden soll. Auch aus diesem Grund hat der UN-Sicherheitsrat am 31. Oktober das Mandat der Mission erneut um weitere sechs Monate verlängert. Vor diesem Hintergrund ist auch die Verlängerung der Bundeswehrbeteiligung ein sinnvoller und notwendiger Beitrag zum internationalen Engagement im Sudan. Natürlich steht die Entwicklung im Südsudan in einem Zusammenhang mit der humanitären Katastrophe in Darfur. Aber hier gibt es eine gute Entwicklung. Die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union haben nach langer Vorarbeit beschlossen, eine gemeinsam geführte Friedensmission in Darfur, UNAMID, einzurichten. UNAMID soll die Umsetzung des DPA, des DarfurFriedensabkommens, vom vergangenen Jahr unterstützen. Zudem soll die Mission die Zivilbevölkerung vor bewaffneten Angriffen schützen und die humanitäre Hilfe gewährleisten. Die Vorbereitungen für UNAMID sind im vollen Gange. Spätestens zum 31. Dezember soll sie die Aufgaben der bisherigen Mission der Afrikanischen Union, AMIS, in Darfur übernehmen, die diese Aufgabe leider bisher nicht leisten konnte. Wir sind der Meinung, dass Deutschland auch hierzu - wie zu AMIS - einen Beitrag leisten sollte. Nach dem Antrag der Bundesregierung sollen bis zu 250 Soldatinnen und Soldaten bei UNAMID eingesetzt werden. Sie werden vor allen Dingen in unterstützenden Bereichen tätig werden, so beim Lufttransport und bei anderen logistischen Aufgaben. Damit schließen wir an unser bisheriges Engagement für die AMIS-Mission an, für die bisher bis zu 200 Soldaten zur Verfügung gestellt worden sind. Das Bundestagsmandat für AMIS endet am 15. Dezember und soll nicht verlängert werden. Das neue UNAMID-Mandat soll dieses mit Inkrafttreten am 15. November quasi ablösen. Noch ein Wort zum Verfahren, liebe Kolleginnen und Kollegen: UNAMID und UNMIS gehören politisch und operativ zusammen. Daher wollen wir in Zukunft eine Synchronisierung der beiden Bundestagsmandate erreichen. Aus diesem Grund wird die konstitutive Zustimmung des Bundestages jeweils bis zum 15. August 2008 beantragt, das heißt, bis zwei Wochen nach Auslaufen des aktuellen UNAMID-Mandats des Sicherheitsrates und bis dreieinhalb Monate nach Auslaufen des aktuellen UNMIS-Sicherheitsmandates. Wir gehen dabei davon aus, dass der UN-Sicherheitsrat beide Mandate verlängert, sodass die völkerrechtliche Grundlage stets gegeben sein wird. Sollte der Sicherheitsrat das UNMIS-Mandat in der Zwischenzeit inhaltlich relevant ändern, werden wir den Bundestag selbstverständlich erneut befassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schutzmandate sind unverzichtbar wichtig. Aber entscheidend ist der politische Prozess. Hier gibt es ebenfalls Grund zur Hoffnung. Nach langer Zeit ist der Darfur-FriedensproStaatsminister Gernot Erler zess wieder angelaufen. Ende Oktober hat es erste Verhandlungen in Libyen gegeben. Leider haben daran wichtige Rebellengruppen nicht teilgenommen. Sie sind teilweise zu Gesprächen erst bereit, wenn es zu einer Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur kommt. Wir müssen uns also auf einen längeren Prozess einstellen. Oberstes Ziel ist aber ein baldiger Waffenstillstand. Die Bundesregierung will den Friedensprozess auch finanziell unterstützen. Das Auswärtige Amt hat bereits 350 000 Euro für sogenannte Quick-Impact-Projekte zugesagt, die die Verhandlungen flankieren sollen. Denn gerade jetzt ist es wichtig, dass die Bevölkerung in Darfur einen praktischen Fortschritt, eine Art Friedensdividende, sieht. Es gibt also diese Verhandlungschance. Ich bitte Sie: Lassen Sie uns diese Verhandlungschance gemeinsam nutzen und sie durch die Verabschiedung der Fortsetzung des UNAMID- bzw. UNMIS-Mandates absichern! ({0}) In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu den Anträgen der Bundesregierung. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Marina Schuster. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin heute mehrmals gefragt worden, ob ich meine Rede nicht zu Protokoll geben möchte. Ich bin sehr froh, dass die Debatte stattfindet; denn ich finde, wir würden unserer Verantwortung gegenüber unseren Soldaten nicht gerecht, wenn wir die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt komplett zu Protokoll geben würden. ({0}) Nun zum Mandat. Herr Erler hat es erwähnt: Die lang erwartete UNAMID-Hybrid-Mission ist jetzt endlich da. Sie ist das, was nach langem Ringen auf internationaler Ebene durchsetzbar war. Das ist das robuste Mandat, an das sich alle Hoffnungen knüpfen, die Hoffnungen von uns Parlamentariern, aber auch die Hoffnungen der Zivilbevölkerung im Sudan. Nachdem die AU-Truppen schlecht ausgestattet auf verlorenem Posten in der Wüste standen, sind die Erwartungen an die Vereinten Nationen und diese Mission natürlich sehr hoch. Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede warnen: An dem Erfolg dieser Mission müssen sich die Vereinten Nationen messen lassen. Deswegen müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Truppen so ausgestattet sind, dass dieser Auftrag auch erfüllt werden kann. Jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Punkt, nämlich zu dem Antrag selbst. Kernaufgabe ist es - das hat Herr Erler erwähnt -, neben den laufenden Friedensverhandlungen - ich zitiere die umgehende und wirksame Umsetzung des Darfur-Friedensabkommens vom 5. Mai 2006 … zu unterstützen. Genau das ist aber die Krux; denn dieses Friedensabkommen wurde nur von einer Rebellentruppe und der Regierung unterzeichnet. Das ist kein breiter Kompromiss, kein Friedensabkommen, wie wir es bräuchten. Nach wie vor fehlt - Herr Erler, Sie haben darauf hingewiesen - eine politische Lösung, eine politische Perspektive. Eines steht fest: Ohne die politische Einigung wird es keine dauerhafte Sicherheit geben. Auf der politischen Gesprächsebene wird die Situation immer unüberschaubarer. Mittlerweile gibt es 26 Rebellengruppen, und jede fühlt sich als legitimierter Ansprechpartner der AU und der Vereinten Nationen. Daher wurde die Konferenz in Libyen - Sie haben darauf hingewiesen - von Absagen überschattet. Ich appelliere an die Bundesregierung, den politischen Prozess nicht aus den Augen zu verlieren und sich auf diesem Gebiet zu engagieren. Die deutsche G-8-Präsidentschaft ist noch nicht vorbei. ({1}) Ich habe allerdings noch offene Fragen. Im Mandatsantrag heißt es, dass bis zu 250 deutsche Soldaten in der Region Darfur eingesetzt werden sollen. Ich erinnere daran, dass die Region Darfur so groß wie Frankreich ist. Ich möchte schon wissen, wo genau und wie die Soldaten eingesetzt werden sollen. Das Gleiche gilt für die deutschen Polizeibeamten. Welche Aufgaben werden sie ausüben, und wo genau werden sie eingesetzt? Ein weiterer kritischer Punkt - Sie haben ihn zu Beginn Ihrer Rede erwähnt - ist der Nord-Süd-Friedensvertrag. Als die SPLM angekündigt hat, die Regierung in Khartoum zu verlassen, hatte ich die große Sorge, dass der ganze Friedensprozess kippt. Das zeigt, wie gefährlich die Situation ist. Jetzt findet zwar eine umfassende Kabinettsumbildung statt; es ist aber immer noch nicht klar, ob die Regierung die Arbeit auch aufnehmen wird. Nach wie vor hat dieser Nord-Süd-Friedensvertrag neuralgische Punkte. 2008 soll die Volkszählung stattfinden. Das bedarf einer Vorbereitung. Wie sieht es dann mit der Region Abyei aus? Wird sie zum Norden oder zum Süden gerechnet? Wie wird gezählt, und wer ist bei den Wahlen 2009 wahlberechtigt? 2011 steht das Referendum an. Dann entscheidet sich, ob sich der Südsudan abspaltet. Wenn der Süden bis dahin keine positiven Auswirkungen der Friedensdividende spürt, dann ist eine Abspaltung sehr wahrscheinlich. Wir müssen überlegen, was das für die Region bedeuten würde. Dabei müssen wir auch die Interessen der Nachbarstaaten im Blick haben: Äthiopien, Eritrea, Tschad, aber auch Ägypten. Den regionalen Ansatz dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Diesbezüglich appelliere ich noch einmal an die Bundesregierung. ({2}) Ich komme zum Schluss. Diese Mission ist der Hoffnungsstrang. Es muss aber klar gesagt werden, dass wir die Komplexität und Herausforderung dieses Einsatzes nicht unterschätzen dürfen. Alle Kollegen, die vor Ort waren - ich sehe hier einige -, wissen, wie schwierig diese geografischen und logistischen Herausforderungen sind. Es gibt kaum befestigte Straßen; alles muss über den Lufttransport erfolgen. Insofern ist eine kritische Frage, wer dann die Hubschrauber stellen wird. Ich erwarte die Antworten der Bundesregierung, und unsere Soldaten erwarten sie ebenfalls. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beteiligung der Bundeswehr an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS, mit Militärbeobachtern und Personal in Stäben und im Hauptquartier ist ein wichtiger Bestandteil der Gesamtanstrengungen der Bundesregierung zur Friedenskonsolidierung im Südsudan. Wir bitten um die Fortsetzung des Mandats mit bis zu 75 Soldaten. Wir haben dort derzeit 38 Soldaten im Einsatz. Ich hatte vorige Woche zusammen mit Kollegen in Akaba Gelegenheit, mit einigen dieser Soldaten zu sprechen. Ich kann nur noch einmal unterstreichen, was Kollege Erler hier gerade zum Ausdruck gebracht hat: Die Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens gestaltet sich zurzeit zunehmend schwierig. Die Soldaten haben Sorgen im Hinblick auf die Entwicklung geäußert, auch und insbesondere bezogen auf die Grenzsituation und die Situation der Ölfelder. Dennoch, glaube ich, ist der Aufbau von Verwaltungsstrukturen im Südsudan notwendig. Zahlreiche Flüchtlinge sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Rückverlegung von Truppen beider Seiten hat ein Stück weit Fortschritte gemacht. Unabhängig davon bitten wir um Zustimmung zu einem neuen Mandat, für die Unterstützung von UNAMID. Sie wissen, dass AMIS ihren Auftrag insofern nicht erfüllen konnte, weil die Kräfte nicht ausreichten, um Sicherung, Stabilität und eine friedliche Entwicklung zu gewährleisten und die Gräueltaten, die dort teilweise täglich passieren, zu unterbinden. Deshalb unterstützen wir das neue Mandat der Vereinten Nationen, UNAMID. Der Sicherheitsrat hat es für zunächst zwölf Monate beschlossen, um eine wirksame Umsetzung des Darfur-Friedensabkommens zu gewährleisten. Kollegin Schuster, bezogen auf das, was Sie gerade angesprochen haben, will ich auf Folgendes hinweisen: Wir hatten bisher ein Mandat AMIS mit 200 Soldaten. ({0}) Wir bitten jetzt um ein Mandat mit bis zu 250 Soldaten, wobei wir die Vorstellung haben, dass wir in etwa 50 Soldaten in die Stäbe geben, die dort Verbindungs-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben wahrzunehmen haben, und dass wir bis zu 200 Soldaten in der Lufttransportunterstützung einsetzen. Denn das ist ein wichtiger Punkt, um letztlich das, was Sie angesprochen haben, zu gewährleisten. Sie wissen, dass der Gesamtumfang von UNAMID rund 26 000 Soldaten betragen soll, wobei man hier differenzieren muss. 26 000 heißt im Klartext: rund 19 500 Soldaten und 6 500 Polizisten. Das ist in etwa die Gesamtkonzeption, wie sie jetzt von den Vereinten Nationen beschlossen worden ist. Ich denke, es ist wichtig, dass wir unseren unterstützenden Beitrag leisten, um endlich in dieser leidgeprüften Region, in Darfur, Stabilität und friedliche Entwicklung zu erreichen. ({1}) Wir bitten Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des Mandats UNMIS bezogen auf den Südsudan - dessen Aufgaben habe ich hier gerade vorgetragen und um Zustimmung zu der Beteiligung der Bundeswehr an der gemeinsam von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union geführten Mission UNAMID in Darfur. Afrika ist der Nachbarkontinent von Europa. Wir haben, denke ich, ein Interesse daran, auch mit Blick auf die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, dass es eine stabile und friedliche Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent gibt. Gerade Darfur ist ein typisches Beispiel. Dort werden Menschenrechte mit Füßen getreten und täglich Gräueltaten verübt. Es ist richtig, dass die Europäische Union und konkret auch wir hier unsere Unterstützung leisten. Deshalb bitten wir Sie um Ihre Unterstützung für dieses neue Mandat mit einer Obergrenze von bis zu 250 Soldaten. Besten Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin, schönen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die regelmäßigen Debatten über Mandate und Mandatsverlängerungen zwingen uns dazu, jedes Mal wieder den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Das gilt sowohl für die Kolleginnen und Kollegen, die zustimmen, als auch für die Kolleginnen und Kollegen, die ablehnen. Man ist gezwungen, jedes Mal die eigenen Argumente noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. ({0}) Es gibt Entscheidungen, die zumindest in einzelnen Fraktionen unumstritten sind; dazu gehört bei uns die Entscheidung zu Afghanistan. Und es gibt Entscheidungen, die umstrittener und differenzierter zu betrachten sind; dazu gehört zweifelsohne die Entscheidung zum Sudan. ({1}) Ich möchte unseren Abwägungsprozess ein Stück weit transparent machen und erläutern, warum wir zu welchen Entscheidungen kommen. Meine Fraktion wird nicht zustimmen. Ein Teil meiner Fraktion wird sich der Stimme enthalten, und ein anderer Teil wird dagegen stimmen. Warum das so ist, möchte ich Ihnen nahebringen. Vielleicht wägen auch Sie ein Stück weit mit ab. Ich glaube, es ist völlig klar, dass kein Mensch über die ungeheure Anzahl von Menschen, die im Sudan ermordet worden ist - ich benutze bewusst die Formulierung „ermordet worden ist“ - hinwegsehen kann. Keiner kann darüber hinwegsehen, was an Vertreibungen und Gewalt im Sudan ausgelöst worden ist. Keiner kann darüber hinwegsehen, welche unsichere, instabile Situation es in den Flüchtlingslagern gibt. All dies sind Faktoren, die ernsthaft in Rechnung gestellt werden müssen. Ich glaube auch, dass man die Destabilisierung, die vom Sudan auf ihn selbst und auf seine Nachbarländer ausgeht, ernsthaft in Rechnung stellen muss. Ich stelle natürlich auch immer in Rechnung - das ist mir selbst und meiner Fraktion nämlich wichtig -, ob ein klares Mandat der Vereinten Nationen vorliegt oder nicht. Das ist zwar hier der Fall, muss aber nicht heißen, dass jedes Mandat der Vereinten Nationen dann auch politisch von den einzeln handelnden politischen Kräften geteilt werden muss. Man kann auch zur Auffassung gelangen, dass man eine andere Position einnimmt; aber man muss es in Rechnung stellen. Ferner muss in Rechnung gestellt werden - diesbezüglich teile ich den Optimismus vom Kollegen Erler nicht; ich wäre froh, wenn Sie recht hätten und ich unrecht hätte -, dass wir es im Sudan mit enorm großen neuen Gefahren zu tun bekommen werden. Die Lostrennungstendenzen nicht nur im Süden des Sudans sind stärker geworden. Solche Lostrennungstendenzen gibt es auch in Darfur; das ist bekannt. Die Rebellengruppen - falls man diesen Begriff überhaupt verwenden kann haben sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Die Regierung im Sudan hat keine vernünftigen Lehren aus all dem gezogen. Die Handlungsweise der sudanesischen Regierung ist und bleibt kritikwürdig. Dazu kommt - das ist zwar nicht Gegenstand des Mandats, aber man hat es mit einzubeziehen - die Truppenstationierung im Tschad, die mit der Situation in Darfur im Zusammenhang steht. Es handelt sich hier um Truppen der Europäischen Union. Wenn man genauer hinschaut, so stellt man fest, dass es hauptsächlich französische Truppen sind; es sind nur wenig andere dabei. Ob es besonders klug ist, dass die ehemalige Kolonialmacht den Hauptteil der Truppen stellt, wage ich zu bezweifeln. ({2}) - Ich halte es für falsch. - Natürlich steht auch das Problem im Hintergrund, dass sich die Kämpfe wiederum um Naturressourcen wie Öl und Gas im Sudan drehen. Wenn man all dies gegeneinander abwägt, gibt es in der Tat Argumente, die für die Stationierung sprechen. Aber es gibt tatsächlich auch Argumente, die dagegen sprechen, weil der Beweis, dass mit einer Militäraktion Stabilität einziehen wird, nicht erbracht ist. Es wurde hier zumindest einmal von den Kolleginnen und Kollegen, die von Militäraktionen als dem letzten Mittel gesprochen haben, die Meinung vertreten: Wenn es nur einen Hauch fraglich bleibt, ob ein Einsatz von Militär sinnvoll ist, dann muss man sich entscheiden, nicht zuzustimmen. Das ist die Verantwortung, die man trägt. Man trägt allerdings auch dann eine Verantwortung, der man gerecht werden muss, wenn man Nein sagt, was, wie ich glaube, hier die richtige und angemessene Entscheidung ist. Eine letzte Bemerkung: Herr Verteidigungsminister, ich hoffe, dass wir nicht binnen kurzer Zeit erneut über eine Aufstockung der Truppen werden diskutieren müssen. Wenn das ganze Schlamassel im Sudan so abläuft, wie ich es befürchte, spricht allerdings sehr viel dafür. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Hybridmission in Darfur beschlossen hat. ({0}) Ich sage zunächst einmal mit Nachdruck: Ich finde es richtig, dass diese Mission mit Kapitel VII der UNCharta begründet wird. Somit haben die dort eingesetzten Soldaten das Recht und den Auftrag, Menschen in Not vor Mord und Vertreibung zu schützen. Das sage ich nicht, weil ich diese Entwicklung für gut halte. Wir haben aber doch erlebt, was ein zahlenmäßig ungenügend ausgestattetes Mandat, die nicht ausrei12864 chende Kompetenz der AU-Truppe und ihre absolut lächerliche Ausstattung bewirkt haben. ({1}) Dadurch wurden der Konflikt und das Morden nicht beendet. Im Gegenteil, dadurch wurden diejenigen, die schlichten wollten, zum Objekt der Empörung und letztlich auch zum Objekt militärischer Angriffe gemacht. Das darf nie wieder passieren. Deswegen ist es richtig, dass das Mandat für UNAMID in dieser Weise erteilt worden ist. ({2}) Ich finde es auch richtig, dass sich Deutschland daran beteiligt. Herr Jung, wenn es nicht schon so spät wäre, hätte ich Ihnen die Frage gestellt: Wie oft sind eigentlich die AMIS-Leute in letzter Zeit zum Einsatz gekommen? Ich würde mir wünschen, dass diese 250 Menschen, die die nötigen Kapazitäten und Fähigkeiten haben, in Darfur tatsächlich zum Schutz der Menschen, die von Vertreibung, Vergewaltigung und Mord bedroht sind, eingesetzt werden. Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf den Südsudan, mit dem ich eine Erinnerung aus meiner Zeit als Minister in Niedersachsen verbinde: Damals mussten wir Entwicklungsprojekte im Süden des Landes beenden; Herr Fischer weiß das. ({3}) 30 Jahre lang gab es dort Krieg. Durch das Abkommen von Naviasha hat man es jetzt geschafft, für Frieden zu sorgen. Es handelt sich dabei allerdings um einen instabilen Frieden, einen Frieden mit Risiken und mit Problemen. Jetzt richten die Konfliktparteien gemeinsam die Bitte an die Vereinten Nationen: Wir wollen, dass der 30-jährige Krieg nicht wieder ausbricht, aber wir trauen uns gegenseitig nicht. Deshalb möchten wir, dass ihr das überwacht. Schickt uns Militärbeobachter, damit wir uns an unsere Vereinbarung halten. Ich sage Ihnen: Was gibt es für Menschen, die Frieden sichern und Krieg verhindern wollen, Richtigeres, als sich daran aktiv zu beteiligen? Es ist einfach Unsinn - ich sage das bewusst mit Zurückhaltung, lieber Wolfgang Gehrcke; Sie wissen, dass ich Sie aufgrund Ihrer differenzierenden Betrachtungsweise schätze und ernst nehme -, den Einsatz unbewaffneter Militärbeobachter, die mit Zustimmung der Konfliktparteien verhindern sollen, dass der Krieg wieder ausbricht, mit imperialistischen Kriegen um Rohöl gleichzusetzen. ({4}) Lieber Wolfgang Gehrcke, ich finde, hier hätten Sie Mut haben sollen; denn so, wie es jetzt läuft, geht es mit Ihnen nicht weiter. ({5}) Ich habe mir einmal Folgendes angesehen: Bei der Abstimmung im Jahr 2006 haben 31 Ihrer 56 Abgeordneten dagegen gestimmt, 7 haben sich enthalten, 18 haben es vorgezogen, gar nicht erst zu erscheinen. ({6}) - Sie waren nicht da. - 2007 haben wieder die üblichen 31 - ich weiß, Sie gehören nicht dazu - mit Nein gestimmt. Diesmal haben sich 15 enthalten, und 10 haben gefehlt. Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren von der Linkspartei, ich glaube, Sie sollten sich einen Ruck geben! ({7}) Die Verweigerung der aktiven Beteiligung an solchen Friedenseinsätzen, die Blauhelmeinsätze waren, ist eine höchst arrogante. ({8}) Sie läuft nämlich im Ergebnis darauf hinaus, dass die reichen Nationen zwar für solche Einsätze zahlen, aber die armen Länder den Kopf hinhalten sollen. ({9}) Ich finde, das ist eine arrogante Position. Ich finde, diejenigen, die im Namen der internationalen Staatengemeinschaft dafür sorgen, dass dieser Krieg im Südsudan nicht wieder ausbricht, verdienen unsere Anerkennung und unsere gemeinsame Unterstützung - auch und gerade wenn man sich als links bezeichnet. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede der Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die Unionsfraktion.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt den beiden UN-Mandaten UNMIS, Resolution 1590, und UNAMID, Resolution 1769, uneingeschränkt zu und unterstützt die Bundesregierung in ihrem Bemühen, Frieden in Darfur zu schaffen. Darfur ist die Geschichte verbrannter Dörfer, mas- senhafter Vergewaltigungen und Verstümmelungen, ethnischer Säuberung. Darfur ist auch die Ge- schichte hilflosen Zuschauens, kraftloser UN-Reso- 1) Anlage 10 Hartwig Fischer ({0}) lutionen, von Waffenlieferungen durch andere Länder und chaotischen „Friedensberatungen“. Die Fakten über Darfur sind bekannt; aber dennoch wurde der Völkermord nicht zur Weltnachricht. Das Fehlen „echter Bilder“ mag dabei eine Rolle gespielt haben. Die Regierung in Khartoum verhindert regelmäßig den Zugang in das Gebiet für Journalisten und immer häufiger auch für Hilfsorganisationen. So stand es vorgestern in der niederländischen Zeitung Trouw. Meine Damen und Herren, ich bin nicht ganz so optimistisch wie Herr Staatsminister Erler, wenn ich daran denke, dass die Friedensverhandlungen bereits nach einem Tag auf Dezember verschoben worden sind, weil die Rebellenorganisationen sich nicht einig sind. Das Sterben geht also weiter und das Leiden auch. Ich bin auch nicht optimistisch, dass es nur annähernd ein Einlenken der Zentralregierung in Khartoum geben könnte. Denn wer sich die aktuelle UN-Resolution ansieht - ich stimme mit den Kollegen überein, dass es richtig ist, dass es eine Resolution gemäß Kapitel VII ist -, der sieht auch, dass in einem Absatz steht, dass die UN verlangen, dass alle Bombenangriffe eingestellt werden und dass die für derartige Angriffe verwendeten Luftfahrzeuge nicht mit Symbolen der Vereinten Nationen gekennzeichnet werden. Das ist eindeutig eine Verurteilung der Regierung; denn die Rebellen verfügen nicht über Flugzeuge. Es geht weiter damit, dass die Regierung Baschir gestern den UN-Koordinator für die humanitäre Hilfe, Herrn Ibrahim Wael al-Hadsch, ausgewiesen hat, weil er berichtet hatte, dass die Zentralregierung 1 000 Flüchtlinge mit Waffengewalt aus dem Lager Nyala verlegt hat entgegen allen Vereinbarungen. Die Regierung hat sich in den letzten Monaten zudem geweigert, die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofes gegen zwei Kriegsverbrecher im Sudan anzuerkennen, und war nicht bereit, die Auslieferung vorzunehmen. Ich persönlich sage: Auch ich bin enttäuscht, dass gestern nach einem Empfang für Herrn Baschir Herr Mbeki, der Staatspräsident von Südafrika, ausschließlich die Rebellen aufgefordert hat, die Gewalt einzustellen. Diese Aufforderung muss sich nach meiner Überzeugung auch an die Regierung richten. ({1}) Es wird von 200 000 Toten gesprochen. Es sind weit mehr, sagen uns die Hilfsorganisationen. Jeden Tag sterben in jedem der Lager weiter Kinder, insbesondere unter Fünfjährige. Ich hoffe - man kann wirklich nur noch Hoffnungen damit verbinden -, dass diese wirklich ausgezeichnete Resolution, die jetzt auch von den Chinesen, die immer noch Waffen liefern, mit unterstützt worden ist, umgesetzt werden kann. Ich habe allerdings gewisse Zweifel, weil es bei der Truppenstellerkonferenz sehr hakt und bereits erhebliche Verzögerungen gegeben hat. Innerhalb von 30 Tagen nach der Verabschiedung der Resolution am 30. Juli 2007 sollte berichtet werden, wie diese Truppenstellerkonferenz vorangeht. Man war der Auffassung, dass nach weiteren 30 Tagen die finanziellen und die materiellen Dinge geklärt sind. All dies ist bisher nicht geschehen. Ich sage Ihnen: Wenn wir ein weiteres halbes Jahr debattieren - sei es auch auf UNEbene -, dann hat die Weltgemeinschaft wieder einmal bei einem Krisenherd versagt. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6940 und 16/6941 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Sibylle Laurischk, Horst Friedrich ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Integrierte Planung für Schiene und Straße im Rheingraben - Gesamtverkehrskonzept Südbaden - Drucksache 16/6638 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Wir nehmen die Reden des Kollegen Peter Weiß ({2}) für die Unionsfraktion, der Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter für die SPD, des Kollegen Ernst Burgbacher für die FDP, der Kollegin Dorothée Menzner für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro- tokoll.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6638 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen - Drucksache 16/6942 Beschlussfassung Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Florian Toncar, Michael Link ({3}), Jens Ackermann und weiterer Abgeordneter vor. 1) Anlage 11 Vizepräsidentin Petra Pau Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das betrifft die Rede der Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion, die Rede der Kollegin Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-Fraktion, die Rede des Kollegen Florian Toncar für die FDP-Fraktion, die Rede des Kollegen Michael Leutert für die Fraktion Die Linke und die Rede des Kollegen Volker Beck ({4}) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1) Außerdem liegt eine Reihe von Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung von Mitgliedern der FDP-Fraktion vor, welche ebenfalls zu Protokoll genom- men werden.2) Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6942 mit dem Titel: „Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen“. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Florian Toncar, Michael Link ({5}), Jens Ackermann und weiterer Abgeordneter vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/7044? - Die Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6942? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Antrag einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Katja Kipping, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst vom SGB II regeln - Drucksache 16/6928 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Wir neh- men allerdings wiederum die Reden der Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll. Dies betrifft die Rede der Kollegin Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion, die Rede der Kollegin Renate Gradistanac von der SPD- Fraktion, die Rede der Kollegin Ina Lenke von der FDP- Fraktion, die Rede der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke und den Beitrag der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk aus der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.3) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6928 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage 1) Anlage 15 2) Anlage 5 3) Anlage 13 federführend im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beraten werden soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist diese Über- weisung ebenfalls beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 ({8}) - Drucksache 16/6566 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 ({9}) - Drucksache 16/6384 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({10}) - Drucksache 16/6972 Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Andreae - Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6973 - Berichterstattung: Abgeordnete Kurt J. Rossmanith Volker Kröning Roland Claus Anna Lührmann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zu- kunftsgerichtet gestalten - RAG-Börsen- gang an marktwirtschaftlichen Grundsät- zen ausrichten - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen Rechts überführen - Börsengang verhin- dern - Drucksachen 16/5422, 16/6392, 16/6972 - Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Andreae Vizepräsidentin Petra Pau Zu dem Entwurf eines Steinkohlefinanzierungsgeset- zes der Bundesregierung sowie zu dem der Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegt je ein Entschließungsan- trag der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war auch hier eine halbe Stunde vorgesehen. Nun nehmen wir die Beiträge der Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion und Rolf Hempelmann von der SPD-Fraktion zu Protokoll.1) Das Wort erhält der Kollege Paul Friedhoff für die FDP-Fraktion. ({13})

Paul K. Friedhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000588, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu dieser vorgerückten Stunde kommen wir nun zu einem Thema, das wahrlich einen besseren Debattenplatz verdient hätte; denn wir entscheiden heute - wir diskutieren nicht mehr, sondern entscheiden tatsächlich - über die Abwicklung von 800 Jahren deutscher Industriegeschichte in Form der Beendigung des subventionierten deutschen Steinkohlebergbaus sowie, wie Sie alle wissen, über Subventionen in Höhe von 38 Milliarden Euro. Das darüber nicht mehr zu reden sein muss, sondern dass sämtliche Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden sollen, enttäuscht mich ein wenig. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass solche wichtigen Themen, bei denen es um so viel Geld geht, in der Vergangenheit so behandelt worden sind, wie dies jetzt der Fall ist. ({0}) Wir erinnern uns: Der industrielle Aufstieg Deutschlands im 19. Jahrhundert war untrennbar mit dem deutschen Steinkohlenbergbau verbunden. Nach dem Krieg, als alles in Schutt und Asche lag, war es die deutsche Steinkohle, die den Wiederaufbau in Deutschland erst ermöglichte. Dies war der Stoff, auf dem Deutschland aufbauen konnte. ({1}) Es gilt auch heute noch, den Kumpeln aus der damaligen Zeit dafür zu danken. ({2}) Mit der Internationalisierung des Handels und dem immer preisgünstigeren Transport von Gütern über die Weltmeere erwuchs der deutschen Steinkohle eine Kon- kurrenz, die sie wettbewerbsunfähig machte. Das führte seit den 60er-Jahren in Deutschland zu ihrer Subventio- nierung, zunächst mit der Begründung, die Energiever- sorgung in Deutschland sei sonst nicht gesichert. Doch ein Blick auf die weltweiten Lagerstätten, in denen Steinkohle wesentlich preiswerter abgebaut werden kann, zeigt schnell, dass wir in Deutschland nur über etwa 3 Prozent der Weltkohlevorräte verfügen und dass diese hier nur sehr teuer abbaubar sind. Dennoch wurde 1) Anlage 14 weiterhin das Argument der Versorgungssicherheit vorgeschoben, um Arbeitsplätze zu erhalten. Allerdings waren dies teure Arbeitsplätze für den Steuerzahler: Schon 1990 wurde jeder Arbeitsplatz im Bergbau mit 76 000 DM subventioniert; heute sind es etwa 76 000 Euro. Wir müssen also viel mehr an Subventionen bezahlen, als die Kumpels verdienen. Insgesamt sind bis heute rund 130 Milliarden Euro aus Steuermitteln in die Steinkohle geflossen. Jetzt kommen noch die bereits angesprochenen 38 Milliarden Euro hinzu. ({3}) Hinzu kommen aber auch noch Dauerschäden an der Natur und an Gebäuden in den Bergbauregionen. Den Kumpeln und den Steuerzahlern ist das Märchen von der Versorgungssicherheit immer wieder erzählt worden. Damit wurde der Strukturwandel hin zu moderneren Technologien an der Ruhr nicht gefördert, sondern behindert. Das Geld, das in dunkle Schächte floss, fehlte an anderer Stelle. Das einst starke Bundesland NRW fiel in die Mittelmäßigkeit zurück. Die Folgen bekämpft die heutige Düsseldorfer Koalition aus CDU und FDP. Diese ist es auch, die den Ausstieg, den wir heute beschließen wollen, erzwungen hat. ({4}) Das Märchen von der Versorgungssicherheit wird heute nicht mehr aufrechterhalten. Darüber freuen wir uns. Dieses Märchen hat sich 25 Jahre lang gehalten; Gott sei Dank ist es jetzt vorbei. Wenn nun ein neues Märchen von der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Steinkohle aufkommt und es tatsächlich wahr werden sollte, haben wir Liberalen selbstverständlich nichts dagegen. Wir haben nichts gegen einen unsubventionierten Bergbau, weder 2012 noch später. Aber wir glauben nicht daran; denn wir sind Realisten. Erstens fordern wir deshalb: Der Bergbau sollte bereits 2012 auslaufen, damit nicht noch weitere 12 Milliarden Euro an Steuergeldern sinnlos ausgegeben werden. ({5}) Denn in diesen letzten sechs Jahren mit durchschnittlich noch 5 000 Bergleuten würden jährlich Kosten in Höhe von 400 000 Euro pro Beschäftigten anfallen. Das kann man sich kaum vorstellen. ({6}) Aus der Sicht des Steuerzahlers ist es eben nicht sozial verträglich, sondern unerträglich, wenn dieses Geld nicht in öffentliche Infrastruktur investiert wird. Dass dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten als die, die im Bergbau noch erhalten werden, dürfte jedem klar sein, der sich ein wenig mit diesem Thema beschäftigt. Zweitens fordern wir, den Subventionsmodus von dem Kostenerstattungsprinzip auf ein Prämienmodell pro Tonne umzustellen, um Anreize für höhere Effizienz zu geben und damit Subventionen einzusparen. ({7}) Drittens soll das Vermögen der THS in Form ihres Wohnungsbestandes, den letztlich auch der Steuerzahler finanziert hat - das ist ebenfalls ein wichtiges Thema, dem sich möglicherweise auch der Rechnungshof einmal zuwenden sollte -, nach unserer Meinung nicht in eine Gewerkschaftskasse fließen, sondern dem Steuerzahler zurückgegeben werden. ({8}) Die FDP-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen, ({9}) weil wir damit unsere langjährige Forderung nach einem Ende des Subventionsbergbaus erfüllt sehen. Wir gehen aber davon aus, dass das Ende des Subventionsbergbaus nicht erst 2018 kommen wird, Herr Hempelmann; denn an dieses Datum glauben wirklich nur die Märchenerzähler von damals. Ich danke Ihnen. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir nehmen die Reden des Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion und des Kollegen Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion, der Kollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen zu Protokoll.1) Außerdem liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Axel Berg vor, die ebenfalls zu Protokoll genommen wird.2) Ich schließe die Aussprache. Damit kommen wir zur Abstimmung über die von der Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Stein- kohlefinanzierungsgesetzes. Der Ausschuss für Wirt- schaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6972, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/6566 und 16/6384 zusammenzuführen und unverändert anzuneh- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge- gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der 1) Anlage 14 2) Anlage 6 Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7012? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7011. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag gegen die Stimmen der Antragsteller mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der FDP abgelehnt. Wir setzten die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 16/6972 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5422 mit dem Titel „Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zukunftsgerichtet gestalten - RAG-Börsengang an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen. Wir sind noch immer bei Tagesordnungspunkt 21 b. Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6392 mit dem Titel „Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen Rechts überführen - Börsengang verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Antragsteller angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Maisch, Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Umweltqualitätsnormen im Bereich Wasserpolitik - Forderungen des Europäischen Parlaments aufgreifen und ausweiten - Drucksache 16/6636 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Wir nehmen die Reden des Kollegen Ulrich Petzold für die Unionsfraktion, der Kollegin Petra Bierwirth für die SPD-Fraktion, des Kollegen Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion, der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.3) 3) Anlage 15 Vizepräsidentin Petra Pau Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6636 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge ({1}) - Drucksache 16/5845 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2}) - Drucksache 16/6956 Berichterstattung: Abgeordnete Günter Baumann Maik Reichel Dr. Max Stadler Jan Korte Wolfgang Wieland - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6990 - Berichterstattung: Abgeordnete Bettina Hagedorn Dr. Michael Luther Otto Fricke Roland Claus Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Wir nehmen die Reden der Kollegen Klaus Brähmig und Jochen-Konrad Fromme für die Unions- fraktion, des Kollegen Maik Reichel für die SPD-Frak- tion, des Kollegen Dr. Max Stadler für die FDP-Frak- tion, des Kollegen Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und meine Rede zu Protokoll.1) Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes. Der Innenaus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6956, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 16/5845 in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenom- men. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - 1) Anlage 16 Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion der Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7013. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist damit gegen die Stimmen der Antragsteller und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union weiterentwickeln - Drucksachen 16/5425, 16/6977 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Stephan Eisel Axel Schäfer ({5}) Markus Löning Dr. Diether Dehm Rainder Steenblock Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Axel Schäfer für die SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man am 8. November eine Debatte über die Zukunft Europas, insbesondere was die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik anbelangt, führt, dann ist es richtig und notwendig, sich daran zu erinnern, dass sich morgen vor genau 18 Jahren die friedliche Revolution in Deutschland mit dem Fall der Mauer durchzusetzen begann. Damit endete zugleich das 20. Jahrhundert, das mit dem Ersten Weltkrieg begann und mit dem Mauerfall seinen Abschluss fand, ein Jahrhundert, das zur einen Hälfte durch Kriege und Diktaturen und zur anderen Hälfte durch das gänzlich Neue, nämlich durch die Europäische Gemeinschaft und den europäischen Integrationsprozess, geprägt war. Dieses Neue stellte ein Gegenbild zum Krieg dar und stand für ein friedliches Zusammenleben. Die Kinder der friedlichen Revolution, also diejenigen, die vor 18 Jahren geboren wurden, sind volljährig. Der Transformationsprozess steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns im12870 Axel Schäfer ({0}) mer wieder dessen vergewissern - deshalb ist es gut, dass wir heute hier diese Diskussion führen -, wohin wir in Europa in Zukunft wollen. Wir müssen die Geschichte kritisch aufarbeiten und die Probleme konkret benennen, die wir jetzt anpacken müssen. Ich sage ganz offen, ohne Schwarzmalerei und ohne Pessimismus: Das Jahr 2008 wird, was die Erweiterung und Zusammenarbeit in Europa anbelangt, ein Entscheidungsjahr sein. Die Frage wird sein, ob es gelingt, in Europa voranzukommen, oder ob Europa in einigen Bereichen scheitern wird. Im nächsten Jahr müssen 27 Staaten fähig sein, etwa 45 parlamentarische Verfahren zur Ratifizierung des Reformvertrages, den die große Mehrheit dieses Hauses will und den sie ein Stück mitentwickelt hat, durchzuführen. Wir brauchen in Südosteuropa - manche sprechen vom Westbalkan - Fortschritte, keine Rückschritte, die möglicherweise wieder kriegerische Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Wir brauchen auch in den Ländern, die der Europäischen Union beitreten wollen - Türkei und Kroatien; ich denke auch an eine Perspektive für Mazedonien -, erkennbare Wandlungen. Seien wir ehrlich: Es entwickelt sich nicht alles zum Besseren, und es geht nicht alles voran, sondern man fühlt sich manchmal wie im Paternoster. Gott sei Dank ändert sich etwas in diesen Ländern, wenn sie eine europäische Perspektive haben; aber leider entwickeln sie sich manchmal zur selben Zeit ein Stück zurück. Das heißt, scheinbar überwundene Probleme treten wieder auf. Deshalb haben gerade wir Deutsche in Europa im kommenden Jahr eine ganz besondere Verantwortung. ({1}) Wenn wir diese Verantwortung wahrnehmen wollen, dann ist es wichtig, dass wir die Fundamente Europas nicht infrage stellen. Das erste Fundament, was die Beitritte anbelangt, ist: Jedes europäische Land kann beantragen, der EU beizutreten, wenn es die Werte der Europäischen Union teilt und für ihre Durchsetzung eintritt. Das ist die Grundlage. Deshalb möchte ich den Kolleginnen und Kollegen der FDP meine Reverenz erweisen und an den Altmeister Genscher erinnern. Als es in den 90er-Jahren bei der Behandlung dieser Fragen sehr heftig wurde - schon damals hat man darüber diskutiert, wer der Europäischen Gemeinschaft noch beitreten könnte und sollte -, hat Genscher gesagt: Lasst uns in Europa bei dem Prinzip bleiben, dass wir bestimmte Fragen nicht stellen, wenn wir wissen, dass wir sie nicht beantworten können. Ich denke, es wäre falsch, eine Finalitätsdebatte, also eine Debatte über die Frage, welches europäische Land eigentlich nicht dazu gehören sollte, zu führen. Das zu bedenken, ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Das heißt in puncto Verhandlungen mit der Türkei und mit Kroatien: Wir müssen diese Verhandlungen mit dem Ziel führen, dass sie erfolgreich sind, und nicht mit der Maßgabe, dass nur irgendetwas dabei herauskommt. ({2}) Ich sage zu Kroatien ganz bewusst: Der Erweiterungsprozess, den wir im 21. Jahrhundert begonnen haben - Stichwort „zehn plus zwei plus eins“; „zehn“ bezieht sich auf die Beitritte, die 2004 stattgefunden haben; danach sind zwei weitere Länder, Bulgarien und Rumänien, beigetreten; ein weiteres Land, Kroatien, soll folgen -, muss noch in diesem Jahrzehnt abgeschlossen werden. Ich glaube, das ist eine besondere Verpflichtung für uns. ({3}) Natürlich dürfen wir jetzt nicht diejenigen Länder ausgrenzen, von denen wir heute seriöserweise nicht sagen können, welche Beitrittsperspektive sie haben. Das heißt speziell für Südosteuropa, unser wichtigstes Projekt: Wir müssen alles tun, wir müssen alle zur Verfügung stehenden Ressourcen, Mittel und sämtliche Manund Womanpower einsetzen, damit die Lage dort stabil bleibt und die Entwicklung voranschreitet. Ich erwarte, auch von der Kommission, dass man sich sehr wohl darauf einstellt, ein Stückchen mehr zu tun, um zu zeigen, dass die Arbeit gelingt und dass es keinen Rückschritt gibt. Meine stille Hoffnung ist - ich möchte sie gern laut äußern -, dass die Kommission ihrer Verantwortung auf andere Art und Weise gerecht wird. Es reicht nicht, 27 Kommissarinnen und Kommissare zu haben, die für 27 verschiedene Ressorts zuständig sind. Es wäre gut, wenn einer oder zwei von ihnen ständig in Südosteuropa sind. Der Erfolg dieses Beitrittsprozesses ist für das Gelingen der Europäischen Gemeinschaft auf mittlere Sicht nämlich das Wichtigste. Daher müssen wir dort sowohl mit Personen als auch mit Mitteln und vielen Projekten in ganz anderer Weise präsent sein, als es bisher der Fall ist, um den Menschen zu zeigen: Der Weg nach Europa bedeutet Fortschritt und ist nicht mit neuen Schlaglöchern gepflastert. Der Bereich Nachbarschaftspolitik ist natürlich etwas schwieriger. Es ist gut, dass wir über das Positionspapier der Grünen diskutieren. Es ist klar: Die Staaten im Vorderen Orient oder in Nordafrika haben nach unserem Verständnis keine europäische Beitrittsperspektive, weil sie keine europäischen Staaten sind. ({4}) Wir müssen die Formen der Zusammenarbeit mit diesen Staaten - die Projekte, die wir entwickeln, und die Vereinbarungen, die wir treffen - so gestalten, dass sie für diese Länder attraktiv sind, eine Innovation darstellen und nicht nur „business as usual“ sind. Was die andere Seite, die europäischen Beitrittsaspiranten, angeht, ist es vielleicht noch ein wenig wichtiger, über Prioritäten zu sprechen. Es wird darauf ankommen, dass wir helfen, die dort manchmal ganz schwierigen Ausprägungen alter Strukturen in Richtung Demokratie zu überwinden. Wir haben dabei vier Punkte im Auge, die ich hier noch einmal deutlich machen möchte: Wir brauchen in diesen Bereichen Vereinbarungen über eine wirtschaftliche Entwicklung. Wir brauchen Regelungen, insbesondere was Energie anbelangt. Wir Axel Schäfer ({5}) müssen natürlich die Mobilität von Menschen fördern. Wir müssen versuchen, Nachhaltigkeit im Umweltbereich zu unterstützen. Das sind die wesentlichen Elemente dieser Strategie. Wie wir wissen, haben wir uns mit dem neuen Reformvertrag, den wir ratifizieren wollen, dazu verpflichtet, die Nachbarschaftspolitik zu einer wichtigen europäischen Aufgabe zu machen. Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/ Die Grünen haben hier dankenswerterweise einen sehr umfangreichen Antrag vorgelegt. ({6}) An diesem Antrag werden wir uns in Zukunft, lieber Jürgen Trittin, sicherlich abarbeiten, auch in Diskussionen. Es ist völlig klar: Zum Schluss werden wir eine Entscheidung treffen. Auch ich als Sprecher der Arbeitsgruppe „Angelegenheiten der Europäischen Union“ der sozialdemokratischen Fraktion werde daran mitarbeiten, dass in diesem Parlament eine tragfähige und breite Grundlage zustande kommt. Dem Antrag heute zuzustimmen, halte ich aufgrund der gegenwärtigen Situation nicht für richtig. Aber es ist wichtig, dass wir die Diskussion heute wie vereinbart führen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir nehmen die Rede des Kollegen Michael Link für die FDP-Fraktion zu Protokoll1). Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Eisel für die Unionsfraktion. ({0})

Dr. Stephan Eisel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003886, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir debattieren über die europäische Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik aufgrund eines Antrages der Grünen. In diesem Antrag der Grünen sind viele bedenkenswerte Überlegungen enthalten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, er hat drei entscheidende Schwächen. Diese entscheidenden Schwächen beschreiben zugleich die Herausforderungen an die europäische Politik. Erstens. Wir befinden uns in einer Phase, in der die Vertiefung und die Konsolidierung in der Europäischen Union Vorrang vor der Erweiterung haben. ({0}) Die Umsetzung des europäischen Reformvertrages - nicht nur die Ratifizierung - hat jetzt Priorität. Denn wenn die Europäische Union intern nicht handlungsfähig ist und bleibt, kann sie die anstehenden Probleme nicht lösen. Im Übrigen bleibt sie dann auch nicht attraktiv für die Nachbarn. Die Europäische Union muss stark und intern 1) Anlage 17 handlungsfähig als Vorraussetzung für ihre Erweiterung bleiben. Die zweite Schwäche bezieht sich auf die Erweiterungspolitik an sich. Diesbezüglich müssen wir überlegen, ob wir noch die richtige Grundhaltung verfolgen. Wir haben eine Situation, in der die Europäische Union den Aspiranten eine To-do-Liste vorlegt, die abgearbeitet werden muss, um Mitglied der Europäischen Union zu werden. Dadurch geraten wir leicht in eine Situation, in der Reformen in den entsprechenden Ländern nicht um ihrer selbst willen durchgeführt werden, sondern nur wegen der Anforderungen der Europäischen Union. So entstehen keine nachhaltigen Reformen. ({1}) Da kann man einmal die Beispiele Ungarn, Tschechische Republik und Polen heranziehen. Die Menschen dort haben die Demokratie um ihrer selbst willen eingeführt und nicht deswegen, weil sie eine To-do-Liste bekamen. Daraus hat sich dann der Beitrittsanspruch ergeben. In dieser Woche hat uns die Europäische Kommission Fortschrittsberichte vorgelegt, in denen über alle Länder mit viel Skepsis hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit der Reformen berichtet wird. Wenn wir diese Fortschrittsberichte ernst nehmen, dann müssen wir Wert darauf legen, dass Reformen nicht nur durchgeführt werden, weil die Europäische Union dies als Beitrittsvoraussetzung fordert, sondern weil die Reformen in den Ländern selbst von der Bevölkerung nachhaltig getragen werden. Ich sage das insbesondere mit Blick auf die Türkei. ({2}) Der dritte Punkt, der uns in der Europapolitik beschäftigt und im Antrag der Grünen nicht schlüssig behandelt wird, betrifft die europäische Nachbarschaftspolitik. Im EU-Vertrag steht ganz klar, dass jeder europäische Staat das Recht hat, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wir kommen nicht darum herum, die Frage zu beantworten, was denn ein europäischer Staat ist. Es gehört auch die geografische Komponente dazu. Aber wir haben auch die Verpflichtung, dass mit denjenigen, die nicht in eine Beitrittssituation kommen werden, eine gute Nachbarschaftspolitik betrieben wird. Aber das ist eine zweiseitige Angelegenheit. Auch das will ich an einem Beispiel deutlich machen: an dem besonderen Verhältnis zu Russland. Ich sage in aller Deutlichkeit, dass das, was in diesem Bereich vonseiten Russlands zurzeit passiert, keine gute Nachbarschaftspolitik ist. ({3}) Ich nenne nur die Stichworte „Rindfleisch und Polen“ sowie „Lufthansa und Überflugrechte“. Ich habe aber auch keinerlei Verständnis für das Verhalten des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, der eine gemeinsame Reaktion der Europäischen Union auf das Verhalten Russlands in Bezug auf die Überflugrechte zunichte gemacht hat. Ich habe dafür kein Verständnis. ({4}) - Herr Kollege Trittin, ganz ruhig bleiben! ({5}) - Wenn Sie mir zustimmen, ist das eine erfreuliche Angelegenheit. ({6}) Ihre Zustimmung wird im Protokoll aufgenommen. Ich will noch ein drittes Beispiel nennen. Wenn Russland jetzt einseitig die Importzölle auf finnisches Rohholz in völlig unangemessener Weise erhöht, ist auch das keine gute Nachbarschaftspolitik. Unser europapolitischer Kurs muss klar sein: Vertiefung als Voraussetzung und vor Erweiterung, Erweiterung aufgrund selbsttragender Reformen und Nachbarschaftspolitik auch als eine Anforderung an die Nachbarn im Verhalten gegenüber uns in der Europäischen Union. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Dr. Keskin das Wort. ({0})

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jedes Mitglied des Deutschen Bundestages wird wohl den Antragstellern zustimmen, wenn sie die Erweiterungspolitik der Europäischen Union als eine Erfolgsgeschichte bezeichnen, die die historische Teilung Europas aufgehoben hat. Alle Erweiterungsrunden der EU haben in der Tat maßgeblich mit zu den friedlichsten Jahrzehnten in der Geschichte des Kontinents beigetragen. Der Fraktion Die Linke ist aber genauso wichtig, dass bei der Erweiterung der EU auch die soziale Dimension berücksichtigt wird. Ich kann mich durchaus mit einigen der im Antrag aufgeführten konkreten Forderungen an die künftige Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der EU identifizieren. Die Fraktion Die Linke unterstützt die Förderung regionaler Kooperationen und einen generellen Verzicht auf die Festlegung von Beitrittsdaten. Auch wir unterstützen mit Nachdruck, wie die Antragsteller, die Wiedervereinigung Zyperns unter der Schirmherrschaft der UNO. Jedoch müssen auch einige kritische Anmerkungen gestattet sein. So wird die Osterweiterung von den Antragstellern schlichtweg idealisiert: Sie habe zur Transformation der Staaten Süd-, Mittel- und Osteuropas in stabile Demokratien und funktionierende Marktwirtschaften beigetragen. In diesem Zusammenhang wird von mehr Wachstum gesprochen. Hierbei ist aber ganz entscheidend, wem dieses Wachstum zugute kommt. So ist etwa der Anstieg des deutschen Exportwachstums im Zuge der Erweiterung zwar eine erfreuliche Tatsache. Aber wenn bei den deutschen Arbeitnehmern hiervon nur wenig ankommt und sich die Lebenshaltungskosten in den neuen Mitgliedstaaten drastisch erhöhen, ist es offenkundig, dass nur der Reichtum weniger Betroffener gesteigert wird. Zwar wird in diesem Antrag im Teil zur Nachbarschaftspolitik das Ziel benannt, die Armut zu verringern und einen gemeinsamen Raum des Wohlstands zu schaffen. Die Frage, mit welchen Maßnahmen und mit welchen Mitteln dieses Ziel zu erreichen sei, bleibt aber unbeantwortet. Europäische Nachbarschaftspolitik darf nicht darauf begrenzt sein, lediglich Hürden für die wirtschaftliche Zusammenarbeit aus dem Weg zu räumen, damit Großkonzerne möglichst große Profite erlangen. Die Linke stellt sowohl in den EU-Staaten als auch in den Nachbarstaaten der EU die soziale Komponente in den Mittelpunkt ihrer Europapolitik. Nicht die Interessen der Großkonzerne müssen im Zentrum europäischer Nachbarschaftspolitik stehen, sondern die Bekämpfung der Armut und die Schaffung von Wohlstand für möglichst breite Teile der Bevölkerung. Die Linke fordert eine gleichberechtigte europäische Nachbarschaftspolitik, bei der unsere Nachbarstaaten nicht bevormundet werden sollen, sondern miteinander reden dürfen. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Jürgen Trittin das Wort. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben einen Antrag vorgelegt, mit dem wir die Bundesregierung aufgefordert haben, das Konzept einer europäischen Nachbarschaftspolitik weiterzuentwickeln, eine EU-Zentralasien-Politik auszuformulieren und sich mit Nachdruck um das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland zu kümmern. Als ich die Rede des Kollegen Schäfer hörte, konnte ich nicht verstehen, warum die SPD-Fraktion heute unseren Antrag ablehnen möchte. Das meiste, was Sie, Herr Schäfer, gesagt haben, steht in unserem Antrag. ({0}) Ich habe es aber verstanden, als ich Herrn Eisel gehört habe. Ich finde, es ist eine interessante Kontroverse, die sich hier innerhalb der Großen Koalition auftut. Weil Sie sich nicht einig sind, müssen Sie sich jetzt darauf verständigen, unseren Antrag abzulehnen. In Bezug auf Russland habe ich mir natürlich die Frage gestellt, warum ein Bundesverkehrsminister gleich klein beigeben musste, nur weil ein Ministerpräsident anruft. Das war falsch. Wichtiger ist mir aber, dass hier ein Gegensatz zwischen Vertiefung und Erweiterung hergestellt wird. Das war schon vor zehn Jahren falsch; das ist immer noch falsch. ({1}) Ich möchte Ihnen erläutern, warum das falsch ist. Es wird hier so getan, als ob es Gegensätze gäbe. Dabei befinden wir uns in der Situation, dass wir gleichzeitig beides - Vertiefung und Erweiterung - vorantreiben müssen. Die Europäische Union hat beides getan. Sicherlich war es richtig - Herr Eisel, auch Sie haben das gesagt -, dass die polnische Gesellschaft darauf gedrängt hat, Bestandteil der westlichen Gemeinschaft, der NATO und der Europäischen Union, zu werden, dass sie für Demokratie gestritten hat. ({2}) Glauben Sie aber im Ernst, dass die polnische Gesellschaft ohne die Beitrittsperspektive etwa die Grundregeln des europäischen Umweltrechts übernommen hätte? Nein, das hätte sie nicht getan. Die polnische Gesellschaft wollte Bestandteil der Europäischen Union sein, weil diese Union eine Gemeinschaft von Demokraten ist. Dies hat sie dazu gebracht, den Weg der Vertiefung im eigenen Land zu gehen. ({3}) Jetzt kann man immer nach der Endlichkeit des Prozesses fragen. Ich glaube, wenn man Vertiefung und Erweiterung getrennt voneinander diskutiert, dann beraubt man die Europäische Union ihrer Kernidee. Die Kernidee der Europäischen Union war, auf diesem Kontinent Krieg unmöglich zu machen. Diese Friedensidee macht den Kern der Europäischen Union aus. ({4}) Wenn Sie sagen, dieser Gründungsimpetus sei überflüssig geworden, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie doch einmal nach Georgien. Schauen Sie, was dort, direkt vor unserer Haustür, gerade passiert. Aus einem regionalen Konflikt, einem Konflikt regionaler Minderheiten, mit einem unbequemen Nachbarn, der sich in dieser Frage außerordentlich falsch verhält, entstehen plötzlich Massenproteste gegen eine Bewegung, die über Massenproteste an die Macht gekommen ist; die Machthaber wissen sich nicht besser zu helfen, als zu diktatorischen Mitteln zu greifen und den Ausnahmezustand auszurufen. Wenn Sie von der Union diese Logik fortsetzen und sagen, dass solche Gesellschaften keine grundsätzliche Beitrittsperspektive erhalten sollen, dann geben Sie die Idee der friedensstiftenden Funktion der Europäischen Union auf. ({5}) Deshalb finde ich Ihren Ansatz so gefährlich. Mit Ihrer Haltung verabschieden Sie sich von dem Koalitionsvertrag, der vorsah, der Türkei eine Beitrittsperspektive zu geben, ohne zu wissen, wo das endet. Aber es gibt diese Beitrittsperspektive, weil sie als ein Schritt gilt, die Türkei zu demokratisieren und Europa ein Stück friedlicher und demokratischer zu machen. Wer heute sagt, es solle keine Erweiterung, sondern nur eine Vertiefung geben, wird die Europäische Union des Kerns ihrer Grundidee berauben. Deswegen ist es falsch, wenn Sie heute unseren Antrag ablehnen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Thomas Silberhorn das Wort. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand in der Großen Koalition diskutiert über das Thema der Vertiefung und der Erweiterung der Europäischen Union, indem er dies als einen Gegensatz ansieht. Nur, nach der Debatte, die wir in den letzten Jahren über den Verfassungsvertrag und jetzt über den Vertrag von Lissabon geführt haben, wird man einsehen müssen, dass die Erweiterung wohl kaum ein Weg zu mehr Vertiefung sein kann, dass aber umgekehrt die Vertiefung der europäischen Integration ein Weg dazu ist, in der Europäischen Union wieder erweiterungsfähig zu werden. ({0}) Deswegen handelt es sich bei dem Thema der Vertiefung und der Erweiterung nicht um einen Gegensatz, sondern schlicht um eine Frage der Prioritätensetzung. Jetzt geht es darum, dass wir den Vertrag von Lissabon, der demnächst unterzeichnet werden soll und ratifiziert werden muss, tatsächlich mit Leben erfüllen, dass die Europäische Union die neuen Kompetenzen, die ihr darin übertragen werden, kraftvoll wahrnimmt, dass wir aber gleichzeitig dem Subsidiaritätsprinzip zum Durchbruch verhelfen, das in diesem Vertragstext verschärft wird und das in die Kontrolle der nationalen Parlamente gelegt wird. Wir müssen doch sehen, dass wir in einer Europäischen Union von 27 Mitgliedstaaten eine wachsende Heterogenität und eine zunehmende Betonung nationaler und regionaler Interessen zu verzeichnen haben. Deswegen tut es jetzt not, dass wir mit dem Vertrag von Lissabon die Balance zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten neu austarieren. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass die Europäische Union wieder erweiterungsfähig wird. Deswegen brauchen wir jetzt eine Phase der Konsolidierung. Was die Beitrittskandidaten bzw. die Staaten angeht, die Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union abschließen wollen, sind uns diese Woche die Fort12874 schritts- und Monitoringberichte vorgelegt worden - mit ernüchternden Ergebnissen. Der Stand der Reformen bleibt in nahezu allen Staaten weit hinter den Erwartungen zurück. Die Reformen sind zu langsam, zu oberflächlich und zu wenig substanziiert. Deswegen muss man hier schon einfordern, dass diese Staaten auch den politischen Willen aufbringen, aus eigener Kraft zu reformieren, eigene Anstrengungen zu unternehmen. Es ist nicht ausreichend, dass die Kommission mit Vorleistungen reagiert. Die vielen Vorleistungen, die schon erbracht worden sind, haben ganz offenkundig nicht die gewünschten Anreize gesetzt, sondern ganz im Gegenteil vielleicht sogar dazu beigetragen, dass die Reformanstrengungen auf breiter Front erlahmt sind. Deswegen trägt die Kommission eine gewisse Mitverantwortung dafür, dass es in diesen Staaten zu Stagnation gekommen ist. Es genügt eben nicht, nur Defizite festzustellen und dann keine Konsequenzen daraus zu ziehen. Wir müssen, so meine ich, weniger Nachsicht üben und mehr darauf dringen, dass unsere Nachbarstaaten ihre Hausaufgaben erledigen. Dass wir nicht weiter politische Rabatte gewähren, ist eine Forderung, um unsere Glaubwürdigkeit in der Erweiterungspolitik zu erhalten; denn die Rabatte, die in der Vergangenheit gewährt worden sind - ich will die entsprechenden Staaten nicht nennen -, beschäftigen uns bis heute. Das zeigt uns, dass die Glaubwürdigkeit der Verhandlungsstrategie der Kommission im Rahmen der Erweiterungspolitik zu wünschen übrig lässt. Lassen Sie mich zur Nachbarschaftspolitik nur sagen: Ich unterstütze das Anliegen, das in dem Antrag der Grünen zum Ausdruck kommt, dass wir stärker zwischen Staaten im Süden und im Osten der Europäischen Union differenzieren müssen, aber nicht im Sinne eines Antagonismus zwischen südlichen Anrainern und östlichen Anrainern, sondern deswegen, weil wir den spezifischen Interessen der jeweiligen Staaten besser gerecht werden müssen. Dabei müssen wir darauf achten, dass wir die Staaten im Süden der Europäischen Union, die keine Beitrittsperspektive haben, noch enger an uns binden. Der Barcelona-Prozess ist bei weitem nicht so weit gediehen, wie wir uns das wünschen würden. Ich halte allerdings auch die Idee einer Mittelmeerunion für nicht gerade überzeugend. Das ist eine Duplizierung des Barcelona-Prozesses mit Vorschlägen für die Schaffung vieler neuer Einrichtungen, deren Sinn sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Ich glaube, wir sollten im Gegenteil darauf achten, dass wir den Barcelona-Prozess wiederbeleben. Das ist eine Aufgabe der ganzen Europäischen Union. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen: Wenn ich von einer Phase der Konsolidierung spreche, dann bedeutet das nicht, dass wir in der Europäischen Union in der Frage der Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik nichts tun sollten. Das bedeutet vielmehr, dass wir konsolidieren und ein stabiles Fundament in unseren Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten herstellen, damit wir darauf langfristig aufbauen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union weiterentwikkeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6977, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5425 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - zu der Verordnung der Bundesregierung Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung - zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verpackungsverordnung sachgerecht novellieren - Weichen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirtschaft in Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weg vom Öl im Kunststoffbereich - Chance der Novelle der Verpackungsverordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe schließen - Drucksachen 16/6400, 16/6487 Nr. 2.2, 16/6598, 16/3140, 16/6982 Berichterstattung: Abgeordnete Michael Brand Horst Meierhofer Eva Bulling-Schröter Sylvia Kotting-Uhl Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Vizepräsidentin Petra Pau Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatssekretär Michael Müller.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manche hier im Raum erinnern sich noch daran, wie wir Ende der 80er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre die Idee der Kreislaufwirtschaft entwickelt haben. Diese Idee von damals hat aus meiner Sicht heute eine noch größere Aktualität. Denn wir werden in den nächsten Jahrzehnten ganz ohne Zweifel immer deutlicher spüren, dass der intelligente und effiziente Umgang mit Energierohstoffen und -materialien die Schlüsselfrage für wirtschaftlichen Erfolg sein wird. Insofern waren wir mit der damaligen Idee bereits Vorreiter. Ich will aber nicht verhehlen, dass wir schon damals die eine oder andere Idee hätten weiterentwickeln können. Wir werden sie nun aber in der Zukunft weiterentwickeln. Die Idee der Verpackungsverordnung war ein wichtiger Einstieg in die Kreislaufwirtschaft. Heute sind wir dabei, sie zu einer ressourcenschonenden Materialwirtschaft weiterzuentwickeln. - Übrigens sehe ich darin einen der wichtigen Märkte der Zukunft. Sie ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft. Deshalb kann man diesen Weg nur weitergehen. ({0}) Auf diesem Fundament wird sich in der Zukunft die nationale Umweltpolitik immer stärker aufbauen. Wir sind dabei - wie Sie wissen - ein Vorbild, ein Pionier für andere Länder. Wir haben in der Europäischen Union und bei anderen Staaten mit unserer Rechtsetzung bis heute wichtige Weichen gestellt. Jetzt geht es darum, auf der einen Seite natürlich Schwachstellen zu suchen, aber auf der anderen Seite vor allem an diesem Weg festzuhalten und ihn weiterzuentwickeln. Der Kern ist und bleibt: Wir wollen den Einsatz von Materialien vom wirtschaftlichen Wachstum entkoppeln und, soweit es geht, die Verwertungskaskaden steigern. Das ist ein richtiger Ansatz, den wir in der Bundesrepublik führend gemacht haben und den wir jetzt verstärken müssen. Mit der Verpackungsverordnung ist es uns gelungen, den Einsatz von Verpackungsmaterial von der wirtschaftlichen Entwicklung zu entkoppeln. Wir haben damit bei Verpackungsabfällen in der Bundesrepublik eine wichtige Vorreiterrolle eingenommen. Das funktioniert aber nur, wenn die stoffliche Verwertung immer hochwertiger wird und die Materialkreisläufe dadurch geschlossen werden. Die Voraussetzung ist hierfür eine flächendeckende haushaltsnahe Erfassung von Verkaufsverpackungen. Wir haben in der Bundesrepublik in diesem Bereich eine Menge geschafft - das darf man nicht vergessen -, weil die Bürger bei diesem System mitmachen. Dafür müssen wir auch einmal danken. ({1}) Im Übrigen ist die Verpackungsverordnung schon deshalb wichtig, weil nach allen Umfragen das Umweltbewusstsein in Deutschland sehr stark mit dem System der Eigenbeteiligung in der Abfallwirtschaft zusammenhängt. Ein Großteil des Umweltbewusstseins in unserem Land ergibt sich aus der unmittelbaren Beteiligung, beispielsweise beim getrennten Sammeln von Abfällen. Deshalb darf dieser Weg nicht aufgegeben werden. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung und das Bewusstsein für die persönliche Verantwortung für die Umwelt zu stärken. Weil das so ist, müssen wir alles tun, um die Trittbrettfahrerei zu beenden; darum geht es heute. Natürlich können wir uns Weiterentwicklungen der Verpackungsverordnung vorstellen. Ohne Zweifel haben viele von uns gute Ideen. Heute geht es aber primär darum, die Trittbrettfahrer, die sich nicht an den Kosten beteiligen und dadurch für Wettbewerbsverzerrungen sorgen, in die Pflicht zu nehmen. Trittbrettfahrerei können wir nicht akzeptieren; denn sie gefährdet letztlich die Erfassungssysteme. ({2}) Deshalb muss eine Novelle her. Die vorliegende Novelle beinhaltet drei wichtige Punkte: erstens die Verpflichtung, Verpackungen, die bei privaten Haushalten anfallen, bei dualen Systemen zu lizenzieren, zweitens die Vollständigkeitserklärung, um die notwendige Transparenz zu schaffen und den Vollzug zu erleichtern, und drittens die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und den dualen Systemen, um dadurch auch den Wettbewerb zu verbessern. Dies sind aus meiner Sicht wichtige Punkte, wenn es darum geht, das System zu stabilisieren. Jeder, der es weiterentwickeln will, kann das nur dann tun, wenn wir es heute stabilisieren. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, die Verordnung zu akzeptieren. Ich kann jetzt nicht sehr viel zu dem FDP-Antrag sagen, obwohl Sie eine Reihe von Einwendungen gegen dieses System vorgebracht haben. Ich möchte aber eine Anmerkung machen: Wenn Sie hinsichtlich der Produktverantwortung Regelungen wünschen, die über das hinausgehen, was wir jetzt haben, entwickeln Sie diese Regelungen! Wir werden sie vorurteilsfrei prüfen. In anderen Punkten sind wir zwar anderer Auffassung, dies aber halte auch ich für einen wichtigen Punkt. Wo immer es möglich ist, die Produktverantwortung zu erweitern, machen wir das gerne. Sie müssen aber schon konkrete Vorschläge machen. Das, was bisher vorliegt, ist leider zu allgemein. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Horst Meierhofer. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, es freut mich, dass Sie in unserem Antrag auch etwas Positives gesehen haben und gesagt haben, diese Sache wäre es wert, sie weiterzuverfolgen. ({0}) - Das hat er ganz am Ende gesagt. So habe ich es jedenfalls verstanden, auch wenn die Rede nicht sehr inhaltsschwanger war. Es geht darum, dass mit der Novelle zur Verpackungsverordnung, die jetzt vorliegt, eben nicht versucht wird, den Wettbewerb zu garantieren; sie wird den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Systemen, den Selbstentsorgern auf der einen Seite und den dualen Systemen auf der anderen Seite, vielmehr kaputt machen. Sie wird nicht zu besseren ökologischen Ergebnissen und vor allem nicht zu besseren ökonomischen Ergebnissen führen. ({1}) Da Sie diesen Punkt angesprochen haben, hätte es mich gefreut, wenn Herr Gabriel anwesend gewesen wäre. Man kann den Leuten nicht ihre lieb gewonnene Mülltrennung wegnehmen, weil sie der Beweis dafür ist, dass die Leute gelernt haben, wie man sich ökologisch richtig verhält. Wenn man die Menschen wie ferngesteuerte oder dressierte kleine Püppchen behandelt, zeigt man, dass man die Bevölkerung nicht so ernst nimmt, wie es der Fall sein müsste. ({2}) Es ist nämlich nicht so, dass jeder, der seinen Müll trennt, damit automatisch einen Beitrag zum Umweltschutz leistet. Das ist in den einzelnen Regionen Deutschlands ganz unterschiedlich. In Neukölln kann ich mit Mülltrennung nicht das bewirken, was ich im Bayerischen Wald bewirken kann. Wir wissen, dass es regionale Unterschiede gibt, weil die Menschen nicht überall gleich gut trennen. Wenn in den Restmülltonnen fast genauso viele Wertstoffe landen wie Restmüll in den Wertstofftonnen, erreicht man gar nichts. Dann gaukelt man den Leuten nur vor, sie täten etwas für den Umweltschutz. Ob das realistisch ist oder nicht, ist dann egal. Herr Gabriel hat das schön umschrieben: Tempolimit ist wie Mülltrennung; nach dem Motto: Auch beim Tempolimit kann jeder Bürger zeigen, dass er ganz individuell etwas zu tun vermag. Man muss aber fair bleiben: Die Bedeutung für den Klimaschutz ist begrenzt. - Im Umkehrschluss heißt das, dass auch der Effekt der Mülltrennung begrenzt ist. ({3}) Wenn man das weiß, ist es absurd, die Leute - ich muss es leider so deutlich sagen - für dumm zu verkaufen. Das finde ich nicht fair und nicht anständig. ({4}) Es gibt aber auch Hoffnung, zum Beispiel im Wirtschaftsministerium. Der Staatssekretär Dr. Pfaffenbach hat dazu gesagt: Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Regelungen der Verpackungsverordnung grundlegend überdacht werden müssen. ({5}) Wenn nach 16 Jahren immer noch Unsicherheiten bestehen, welche Verpackungen welcher Tonne zuzuordnen sind, stimmt etwas im System nicht. Dann sagt er: Letztlich sollte die Entsorgung grundsätzlich dem Wettbewerb überlassen bleiben. Das ist übrigens genau das Gegenteil dessen, was Sie mit der Trennung zwischen neuen Systemen und Selbstentsorgern schaffen. Neue Sortier- und Verwertungstechniken werfen zudem die Frage auf, ob es nicht einfacher und billiger geht. Die Antwort lautet: Ja, es kann einfacher und billiger gehen. Aber das genaue Gegenteil geschieht. ({6}) Das ist, glaube ich, nicht nur ein Schritt, um den jetzigen Status quo und die haushaltsnahe Erfassung, für die wir alle sind, zu retten. Man zementiert vielmehr einen Zustand, der nicht so leicht umzukehren ist. Man hat eben nicht die Möglichkeit, in einer bereits von allen erwarteten sechsten Novelle der Verpackungsverordnung - wie gut dieses System ist, zeigt sich, wenn man es jedes oder jedes zweite Jahr novellieren muss - das zu erreichen, was man will. Das Gegenteil geschieht. Auch Wirtschaftsminister Glos will den Grünen Punkt abschaffen. Das steht beispielsweise im Capital. Man fragt sich schon, wofür die Große Koalition und die Bundesregierung stehen. Diese Geschichte hat man bereits vor zwei Wochen erlebt. ({7}) - Vielleicht hat er einfach nur an der Stelle das Gehirn eingeschaltet und festgestellt, dass seine Ideen besser sind. ({8}) Es ist leider schade - da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Kelber -, dass der Wirtschaftsminister so spät reagiert hat. Er ist, glaube ich, erst dann zum Zug gekommen, als er festgestellt hat, dass die Bäcker und ihre Bäckertüten ein Problem darstellen. Da ist er vielleicht aufgrund seines Hintergrunds als Müllermeister auf die Idee gekommen, dass er hier unter Umständen etwas von seinem Geschäft verlieren könnte. Vielleicht ist er desweHorst Meierhofer gen darauf gekommen; zumindest ist er auf die richtige Idee gekommen. ({9}) - Sie ist relativ gering. ({10}) - Sie können gern eine Zwischenfrage stellen. ({11}) Ich zeige Ihnen, dass genau das das Zeichen dafür ist, dass das System krank ist. Man muss eine unendliche Zahl von Ausnahmetatbeständen schaffen, um vernünftige Ideen umzusetzen. Mit Sahne beschmierte Papiertüten sollten nicht in den gelben Sack oder ins Altpapier geworfen werden. Das macht keinen Sinn, weder ökologisch noch ökonomisch. Aber jeder verlangt, ein grünes Pünktchen darauf zu machen. Dann fühlen sich die Leute gut. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob ich ein Plastikentchen oder eine Shampooflasche, die aus dem gleichen Material hergestellt ist, in den gelben Sack hineinwerfe. Doch auf der Shampooflasche ist der Grüne Punkt, auf dem Pürzel des Plastikentchens vielleicht nicht. Deswegen darf es auch nicht in den Sack. Wenn die Leute es trotzdem machen, dann sagt man, es sei ein intelligenter Fehlwurf. ({12}) Wer an der Stelle noch glaubt, dass es sich um ein vernünftiges Konzept handelt, der sollte sich bitte den Antrag der FDP durchlesen. Ich empfehle Ihnen allen, ihn anzunehmen. Der Antrag der Grünen, Frau Maisch, hat einige gute Ansätze. Er führt nur leider nicht zum Ziel, da es an vielen Orten momentan noch keine grüne Tonne gibt. Dort, wo es keine grüne Tonne gibt, wird das Problem mit dem Biokunststoff leider auch nicht gelöst. Ich kann Sie nur bitten, zur Vernunft zu kommen und gegen Ihren eigenen Vorschlag zu stimmen. Danke. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die Unionsfraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen: Dass wir zu so später Stunde über ein Thema sprechen, das Millionen von Familien in privaten Haushalten und Hunderttausende von Betrieben und alle Kommunen in Deutschland betrifft, das zeigt zum einen, dass der Deutsche Bundestag ein wirkliches Arbeitsparlament ist. Zum anderen zeigt es die weitreichenden Folgen einer Verordnung, die immer wieder die Gemüter erregt und zu Diskussionen führt. Ich will jetzt nicht nur auf die lustige Art und Weise auf die erwähnten Plastikenten abstellen; denn dies ist ein ernstes Thema, weil es einen Teil unseres täglichen Lebens betrifft. ({0}) Die Verpackungsverordnung ist deshalb von so weitreichender Bedeutung, weil jedes Kind von Schokolade bis Spielzeug zunächst die Verpackung sieht und weil jede Familie und jeder Single beim täglichen Einkauf mit Verpackungen zu tun hat, die später einer ordentlichen Verwertung zugeführt werden sollen und müssen. Wir als CDU/CSU stehen zu der haushaltsnahen Sammlung. Das tun wir aus guten Gründen. Erstens. Das System ist ökologisch, weil es Ressourcen schont. Zweitens. Es ist ökonomisch, vor allem dann, wenn Wettbewerb seine faire Chance hat. Drittens. Das System ist bürgerfreundlich, wenn es in enger Abstimmung mit den Kommunen den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher gerecht wird. Die CDU/CSU hatte bereits im Dezember 2005 darauf gedrängt, die Stabilisierung der haushaltsnahen Sammlung anzugehen. Nachdem Kollege Müller für die Bundesregierung dies im Ausschuss sehr befürwortet hatte, gab es von seinem Kollegen Staatssekretär Machnig zunächst widersprechende Verlautbarungen. Wir in der Union waren jedenfalls überrascht und erfreut, dass der Novellierungsprozess schlussendlich begonnen wurde. Wir wissen auch um den Anteil der Umweltministerkonferenz und der Länder, die hier wertvolle Hinweise gegeben haben. Etwas bedauerlich hat sich die praktische Umsetzung des Novellierungsverfahrens in puncto Offenheit und Transparenz dargestellt. Sofern wir uns noch einmal mit dieser oder einer nächsten Novelle befassen sollten, wäre eine bessere Information des Parlaments sicher angemessen. Auch das muss in dieser Beratung angesprochen werden. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem Entsorgung und Verwertung von Verpackungen heute sowohl im privaten Bereich der Haushalte als auch im gewerblichen Bereich, zum Beispiel in Gaststätten, Krankenhäusern und Kasernen, auf dem sehr grundlegenden Prinzip der individuellen Produktverantwortung - Herr Staatssekretär Müller, Sie haben es angesprochen - beruhen, hat dieser Entwurf dieses Prinzip im Bereich der Verpackungsentsorgung gestrichen und an seine Stelle eine Pflicht zur Beteiligung an dualen Systemen gesetzt. Neben dieser faktischen Zwangsmitgliedschaft in einem der dualen Systeme hat der Entwurf eine weitere Zwangsmitgliedschaft eingeführt, nämlich an der Stelle, an der nun alle dualen Systeme gemeinsam die Ausschreibungen koordinieren sollen. Dass uns als Union das Streichen der Produktverantwortung durch den Umweltminister umweltpolitisch schwerfällt, nachdem die Vorgänger gerade dieses Prinzip hochgehalten haben, ist sicher auch für den Koalitionspartner nachvollziehbar. Die Auffassung, dass Zwangsmitgliedschaften nicht den allerbesten Lösungsansatz darstellen, teilen wir sicher mit der SPD und den anderen Fraktionen des Hohen Hauses. Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: Nachdem Bundesminister Gabriel nur in einem solchen Systemwechsel die Stabilisierung der haushaltsnahen Sammlung umsetzen will, folgen die Koalitionsfraktionen dem verantwortlichen Minister. Alle in dieser Koalition und viele darüber hinaus teilen den Grundsatz, dass wir eine ökologisch verantwortungsvolle und ökonomisch vernünftige Verpackungsentsorgung dauerhaft garantieren wollen. ({2}) Nachdem zur Anhörung des Bundestages am 10. Oktober schriftlich und mündlich ernsthafte Bedenken am Entwurf geäußert wurden, haben wir uns in der CDU/CSU zunächst noch einmal zu einer Absetzung der Novelle von der Tagesordnung durchgerungen; Herr Kollege Meierhofer hat das eben in seinem Beitrag angesprochen. Es ging uns in den Gesprächen mit dem Koalitionspartner darum, sicherzustellen, die Novelle so rechtssicher zu halten, dass uns - und mehr noch den Bürgerinnen und Bürgern - nicht aufgrund rechtlicher Risiken die haushaltsnahe Sammlung sozusagen um die Ohren fliegt. Nachdem uns die SPD gemeinsam mit den Beamten von Minister Gabriel nochmals deutlich gemacht hat, dass sie auch in Kenntnis der geäußerten Bedenken keine Veranlassung für eine Änderung der Novelle sieht, stimmen wir als CDU/CSU dieser Novelle heute zu. Nun wird diese Novelle in den kommenden Wochen nochmals auf Herz und Nieren geprüft werden, wenn die ebenfalls mit großem Sachverstand ausgestatteten Länder mit dem Entwurf befasst sein werden. Vom Ergebnis dieser Beratungen wird auch abhängen, ob diese Novelle das Schicksal der Vorgänger erleben wird, nämlich anders aus dem Bundesrat herauszukommen, als sie hineingegangen waren. Insofern bleibt auch abzuwarten, ob die optimistische Annahme aus dem Hause Gabriel zutreffen wird, dass es keine nennenswerten Änderungsanträge zu diesem Entwurf geben werde. Ich will dazusagen, dass wir diesbezüglich ganz unterschiedliche Signale hören. Vor dem Hintergrund der sicherlich fortlaufenden Diskussionen in den Ländern will ich für die CDU/CSUFraktion gerne nochmals festhalten: Wir alle hier wollen unseriöse Verrechnungen und den Missbrauch der dualen Systeme beenden. Auch das ist unter anderem ein Grund für diese Novelle: Wir alle hier wollen, dass für Leistungen gezahlt wird. Deshalb sind wir für die weitestmögliche Eindämmung von Trittbrettfahrern. Das BMU hat dazu den Weg eines völligen Systemwechsels gewählt, und das ist als federführendes Ressort sein gutes Recht. Bei einem solch einschneidenden Systemwechsel mit einer Marktauswirkung von Hunderten von Millionen Euro muss allerdings sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass die daraus zwangsläufig entstehende faktische Beendigung der bisher erstrangig vorgesehenen Selbstentsorgung rechtliche Probleme aufwerfen kann, die nicht wir hier im Parlament entscheiden werden: Dies werden im Streitfalle die Gerichte zu entscheiden haben, und deshalb legen wir als CDU/CSU Wert auf die Feststellung, dass Bundesminister Gabriel auch in diesem Punkt so klar für diese Novelle einsteht und die Verantwortung dafür übernimmt, dass die haushaltsnahe Sammlung nicht zusammenbricht, weil die rechtlichen Risiken kontrollierbar seien. Obwohl nun noch weitere Themen wie der Einbruch der Mehrwegquote, die umstrittene Praxis der Handelslizenzierung, die umstrittene Verrechnung von Pfandmengen, die Umdeklarierung von Transportverpackungen, die Missbräuche bei diätetischen Getränken außen vor geblieben sind, so ist der Ansatz der Sicherung der haushaltsnahen Sammlung bei allen strittigen Details im Ansatz sehr zu begrüßen. Allen Beteiligten war klar, dass die Reparatur der aufgerissenen Löcher auf dem ökologischen Weg der haushaltsnahen Sammlung mit dieser Novelle noch nicht vollständig erledigt werden konnte. Dennoch sollte versucht werden, die bestehenden Löcher auf diesem Entsorgungsweg zu reparieren. Sofern wir keine weiteren Schlaglöcher aufgerissen haben, werden wir mit dieser Novelle einen großen Teil unserer Ziele erreichen. Die Union ist die Erfinderin der haushaltsnahen Sammlung. Unser damaliger Umweltminister Töpfer und seine Nachfolgerin, die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben diesen erfolgreichen Weg eingeschlagen. Nun wollen wir die getrennte Sammlung in den Haushalten fortsetzen. Wir werden auch weiterhin alle Schritte, die zur Sicherung dieses guten Weges notwendig sind, unterstützen. Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Rede der Kollegin Eva Bulling-Schröter nehmen wir zu Protokoll.1) Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen! Nach dieser enthusiastischen Rede des Kollegen Brand hat man als Rednerin der Opposition fast das Gefühl, gar nicht mehr viel sagen zu müssen; denn Kritik wurde schon aus Ihren eigenen Reihen geäußert. Trotzdem will ich noch einige Worte zur Novelle der Verpackungsverordnung sagen. Anfang der 90er-Jahre - anders als Staatssekretär Müller erinnere ich mich nicht mehr so genau daran - hat sich Deutschland als Pionier auf den Weg von der Wegwerf- in die Kreislauf- wirtschaft gemacht. Jetzt, 15 Jahre später, ist es höchste 1) Anlage 18 Zeit, dieses System einer Revision zu unterziehen, da es sich in seiner heutigen Form überlebt hat. ({0}) Eine ökologische Lenkungswirkung der Lizenzgebühren ist längst nicht mehr feststellbar. Im Gegenteil, wenn man aufmerksam einkaufen geht, kann man beobachten, dass die Verpackungen wieder aufwendiger gestaltet werden und dass Produktverantwortung nicht als Ressourcenschonung beim Produkt- und Verpackungsdesign verstanden wird, sondern dass das duale System im Moment lediglich die Entrichtung einer Entsorgungsgebühr bedeutet. Das ist nicht unsere Vorstellung von ökologischer Produktverantwortung. ({1}) Den Bürgerinnen und Bürgern erschließt sich noch immer nicht genau, was in die gelbe Tonne und in den gelben Sack gehört. Als Beispiel nenne ich eine Kunststoffflasche, die aus demselben Material wie eine Schüssel besteht: Das eine ist eine Verpackung, das andere nicht, das eine trägt den grünen Punkt, das andere nicht. Mit gesundem Menschenverstand ist das nicht nachzuvollziehen. ({2}) Die Lösung, die mit der Verpackungsverordnung gefunden wurde - sie besteht darin, das den Kommunen aufzubürden -, ist nicht nur nicht praktikabel, sondern auch noch ungerecht. ({3}) Die Kommunen haben dafür kein Geld und werden das deshalb nicht in der Form, in der Sie es sich wünschen, praktizieren. Angesichts der ökologischen und ökonomischen Schwierigkeiten bedauern wir, dass die Bundesregierung die Verpackungsverordnung nicht grundlegend zu einer Wertstoffabgabe weiterentwickelt, sondern versucht hat, ein System zu reparieren, das in seiner derzeitigen Form nicht zu reparieren ist. Die Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung verhindert den Wettbewerb um ökologische Innovationen, bringt keinen ökologischen Fortschritt und wird den Anforderungen der Zukunft, vor allem bei der Rohstoffsicherung, nicht gerecht. ({4}) Sie verspielen die Chance, dass Deutschland bei der Entwicklung einer nachhaltigen Ressourcenpolitik eine Vorreiterrolle einnimmt. Das ist enttäuschend. Zum Antrag der FDP. Ich glaube, mit diesem Antrag können wir für mehr Wettbewerb sorgen, allerdings nur für mehr Wettbewerb um niedrigere Entsorgungskosten. Das ist aber nur die halbe Miete. Wir brauchen auch einen Wettbewerb um die ökologisch beste Lösung, also um die Lösung, die die Ressourcen am meisten schont. ({5}) Wir haben in unserem Antrag umfangreiche Vorschläge gemacht, wie wir in eine echte Kreislaufwirtschaft einsteigen könnten; ich empfehle Ihnen unseren Antrag als Lektüre. Die Biokunststoffe sind ein erster Schritt hin zu einer sinnvollen Kreislaufwirtschaft. Ich glaube, dass die Novelle der Verpackungsverordnung all das nicht leisten kann. Wir müssen weg vom grünen Punkt und vom gelben Sack und hin zu einer echten Rohstoff- bzw. Wertstoffabgabe, die die Firmen belohnt, die ökologisch sinnvoll wirtschaften und so wenige Ressourcen wie möglich einsetzen. Ich danke Ihnen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Gerd Bollmann das Wort. ({0})

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Meierhofer, bevor ich es vergesse: Die besagte Bäckertüte für sechs Brötchen verursacht Kosten von 0,036 Cent, also pro Brötchen 0,006 Cent. Auch wieder etwas dazugelernt! ({0}) Verpackungsnovelle, die fünfte, und es wird sicher nicht die letzte Novelle sein; denn - das sollte gesagt werden - es handelt sich bei der fünften Novelle auch um eine Reparaturnovelle, durch die Fehlentwicklungen und Gefahren gebannt werden. Ziel ist, die getrennte Haushaltssammlung zu sichern und eine bessere Kontrolle und Durchführbarkeit zu erreichen. Wir wollen aber auch Zeit gewinnen für eine gründliche und vorurteilsfreie Prüfung der Regelungen und möglicher grundsätzlicher Änderungen. Ich bin überzeugt, dass diese Novelle die genannten Anforderungen im Grundsatz erfüllt. ({1}) Das Hauptziel, die getrennte haushaltsnahe Erfassung und Sammlung zu sichern, wird erreicht. Ich weiß, es gibt Stimmen, die die getrennte Haushaltssammlung grundsätzlich infrage stellen. In vielen Medienberichten wird der Eindruck erweckt, dass eine mechanische Trennung längst möglich und billiger sei. Diese Darstellungen sind jedoch in ihrer Gesamtaussage falsch. Natürlich kann Abfall maschinell getrennt werden, und für den Abfall aus dem gelben Sack geschieht dies ja auch. Aber wenn Abfall in einer einzigen Tonne gesammelt wird, Verpackungen gemeinsam mit gebrauchten Windeln, Essensresten und anderen feuchten Abfällen, dann funktioniert die mechanische Trennung in heutigen Anlagen nicht mehr. Wir haben noch in der letzten Wahlperiode, im Dezember 2004, eine Anhörung zu diesem Thema gehabt. Alle Experten, die oben auf dem Podium waren, haben - bis auf eine Ausnahme, nämlich die Firma, die den entsprechenden Versuch in NordrheinWestfalen gemacht hat - bestätigt, dass diese Verfahren noch nicht so weit sind; dass die Restfeuchte einfach zu stark ist, um eine mechanische Trennung durchzuführen. ({2}) Es wäre ein erheblicher Rückschritt, das Vorhandene abzuschaffen, während eine Alternative erst mühsam aufgebaut werden muss. Eine solche Vorgehensweise lehnen wir ab. Im Gegenteil, die Kreislaufwirtschaft muss gestärkt werden. ({3}) Dabei haben wir schon viel erreicht. Ich will nur erwähnen, dass die getrennte Erfassung von Altglas und Altpapier flächendeckend funktioniert. Durch die stoffliche Verwertung von Metallen, Glas, Papier und aus Erdöl hergestellten Kunststoffen lässt sich erheblich mehr Energie einsparen als durch die Verbrennung. Dies ist auch die Meinung des BUND, und wir teilen diese Meinung. Die getrennte Erfassung ist und bleibt ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und zum effizienten Umgang mit Ressourcen. Mit der jetzt vorgelegten Novelle stabilisieren wir das vorhandene System und bekommen die Zeit, weiter gehende Änderungen gründlich zu prüfen. Auch wir Sozialdemokraten haben weiter gehende Vorstellungen im Bereich der Abfallwirtschaft. Die Entsorgung und Sammlung des privaten Hausmülls gehört für uns zur Daseinsvorsorge. Wir sind für eine Stärkung der kommunalen Abfallwirtschaft und gegen weitere Privatisierungen. ({4}) Eine Ausschreibung der Sammlung für gebrauchte Verkaufsverpackungen durch die Kommunen würden wir begrüßen. Ebenfalls ist eine Zuständigkeit der Städte und Kreise für die Sammlung überlegenswert. Allerdings - dies betone ich - darf dies im Gegensatz zu den Vorstellungen, die andere geäußert haben, nicht zulasten der Kommunen gehen. Die Herstellerverantwortung muss erhalten bleiben. Eine Abwälzung der Sammlungskosten auf die Bürger über Gebühren lehnen wir ab. Die Position der Kommunen und damit der Bürger wird bereits mit der jetzigen Novelle verbessert. Es ist begrüßenswert, dass die Abstimmungserklärungen klarer geregelt werden und die Stellung von Sicherheitsleistungen ausgeweitet wird. Die Kommunen werden vor der Vergabe angehört; ebenso werden die kommunalen Spitzenverbände angehört. - Ich sehe, dass meine Zeit hier praktisch abgelaufen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Redezeit. ({0})

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb vielleicht noch eines: Wir haben Zeit, Änderungen gründlich zu prüfen. Zu diesem Zweck wird das Umweltministerium ein Planspiel durchführen. Ich bin dafür, alle weiter gehenden und jetzt umstrittenen Punkte dann in Ruhe zu erörtern. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Mit dieser interessanten Information schließe ich die Aussprache. ({0}) Wir nehmen sechs Erklärungen nach § 31 unserer Ge- schäftsordnung zu Protokoll1) und kommen zur Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/6982. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/6982, der Verord- nung der Bundesregierung auf Drucksache 16/6400 zur Änderung der Verpackungsverordnung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfrak- tionen angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6598 mit dem Titel: „Verpa- ckungsverordnung sachgerecht novellieren - Weichen stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirt- schaft in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal- tungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 16/3140 mit dem Titel: „Weg vom Öl im Kunst- stoffbereich - Chance der Novelle der Verpackungsver- ordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreis- läufe schließen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenom- men. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 d auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Regio- nalisierungsgesetzes 1) Anlage 7 Vizepräsidentin Petra Pau - Drucksache 16/6310 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1}) - Drucksache 16/6975 Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring - Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/6991 - Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Frank Schmidt Dr. Claudia Winterstein Roland Claus Anna Lührmann b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effizienteren Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs ({3}) - Drucksache 16/1435 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4}) - Drucksache 16/2807 - Berichterstattung: Abgeordnete Enak Ferlemann c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verwendung der Regionalisierungsmittel of- fenlegen - Drucksachen 16/652, 16/2807 - Berichterstattung: Abgeordnete Enak Ferlemann d) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dorothee Menzner, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes - Drucksache 16/4858 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6}) - Drucksache 16/5771 Berichterstattung: Abgeordneter Georg Brunnhuber - Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/5772 - Berichterstattung: Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Frank Schmidt Dr. Claudia Winterstein Roland Claus Anna Lührmann Wir nehmen die Reden des Kollegen Klaus Hofbauer für die Unionsfraktion, des Kollegen Sören Bartol für die SPD-Fraktion, des Kollegen Patrick Döring für die FDP-Fraktion, der Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke, des Kollegen Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Parla- mentarischen Staatssekretärs Achim Großmann zu Pro- tokoll.1) Tagesordnungspunkt 27 a. Wir kommen zur Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Re- gionalisierungsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/6975, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6310 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal- tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- tung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 27 b. Wir kommen nun zur Ab- stimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen zur effizienteren Finanzierung des öf- fentlichen Nahverkehrs. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/2807, den Ge- setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1435 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal- tungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 c: Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verwendung der Re- 1) Anlage 19 Vizepräsidentin Petra Pau gionalisierungsmittel offenlegen“. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2807, den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/652 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Ge- genprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stim- men der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über den Ge- setzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes. Der Ausschuss für Ver- kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5771, den Ge- setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4858 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - Drucksache 16/6737 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8}) - Drucksache 16/6957 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Max Lehmer Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Kirsten Tackmann b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser, Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neuordnung des Berichtswesens - Drucksachen 16/5421, 16/6492 - Berichterstattung: Abgeordnete Marlene Mortler Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Cornelia Behm Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier von der SPD-Fraktion, des Kollegen Hans- Michael Goldmann von der FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke, der Kollegin Cornelia Behm von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen und der Parlamentarischen Staatssekretärin Ursula Heinen zu Protokoll1) und kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6957, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6737 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Neuordnung des Berichtswesens“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6492, den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD auf Drucksache 16/5421 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts - Drucksache 16/6541 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({10}) - Drucksache 16/6985 - Berichterstattung: Abgeordneter Jörg Rohde Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Max Straubinger von der Unionsfraktion, des Kollegen Anton Schaaf von der SPD-Fraktion, des Kollegen Jörg Rohde von der FDP-Fraktion, des Kollegen Volker Schneider von der Fraktion Die Linke und des Kollegen Markus 1) Anlage 20 Vizepräsidentin Petra Pau Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro- tokoll1) und kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- derung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6985, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- sache 16/6541 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD- Fraktion und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Frak- tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkt 32 a und 32 b sowie die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: 32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes - Drucksache 16/6814 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({11}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des EG-Gentechnik-Durchführungsgesetzes - Drucksache 16/6557 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({12}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer 1) Anlage 21 Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung bei tierischen Produkten ermöglichen - Drucksache 16/6944 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({13}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnikfreier Produktion im Gentechnikrecht bewahren - Drucksache 16/6943 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Wir nehmen den Beitrag des Kollegen Dr. Max Lehmer für die Unionsfraktion, der Kollegin Eva Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion, der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion, der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/6814, 16/6557, 16/6944 und 16/6943 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. November 2007, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.