Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns
gute Beratungen.
Es gibt eine Reihe von Mitteilungen zu machen, bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten.
Ich beginne mit einer rundum erfreulichen Mitteilung.
Der Kollege Dr. Konrad Schily feierte gestern seinen
70. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Die Fraktion der FDP teilt mit, dass der Kollege
Christian Ahrendt sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Michael Link
({1}) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kollege Link zum Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen ({2}), Dr. Norbert
Lammert, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Markus Meckel,
Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto ({3}),
Christoph Waitz, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Errichtung eines Freiheits- und EinheitsDenkmals
- Drucksache 16/6925 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra
Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die friedliche Revolution 1989
- Drucksache 16/6926 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Diskussionsprozess über ein Freiheits- und
Einheitsdenkmal unter breit angelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren
- Drucksache 16/6927 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:
Haltung der Bundesregierung zu den durch
die Bundeskartellbehörde festgestellten Preisund Marktabsprachen der vier großen deutschen Stromkonzerne
({4})
ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({5})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker
Schneider ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/5811 Redetext
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Priska Hinz ({1}), Kai Gehring, Krista
Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/5968 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marcus Weinberg, Ilse Aigner, Bernward
Müller ({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland
- Drucksache 16/6945 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Jüngste Entwicklungen in Pakistan
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({5}), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose verhindern
- Drucksache 16/6933 Beschlussfassung/Überweisung
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({6}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur
für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private
Arbeitsvermittlung stärken
- Drucksachen 16/1675, 16/6987 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung
bei tierischen Produkten ermöglichen
- Drucksache 16/6944 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnikfreier Produktion im Gentechnikrecht bewahren
- Drucksache 16/6943 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz
Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort
einführen
- Drucksache 16/6894 Beschlussfassung/Überweisung
Präsident Dr. Norbert Lammert
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Gesine Lötzsch,
Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Schnellstmögliche Einführung eines generellen
Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf
Bundesautobahnen
- Drucksache 16/6932 Beschlussfassung/Überweisung
ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Siebenundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
des Abgeordnetengesetzes
- Drucksache 16/6924 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({9})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 14 Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Bundesministergesetzes
- Drucksache 16/5052 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({10})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 15 a) - Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Neuregelung der
Telekommunikationsüberwachung und
anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG
- Drucksache 16/5846 - Zweite und dritte Beratung des von den
Abgeordneten Jerzy Montag, HansChristian Ströbele, Wolfgang Wieland,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform
der Telekommunikationsüberwachung
({11})
- Drucksache 16/3827 Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({12})
- Drucksache 16/6979 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({13})
Joachim Stünker
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses ({14})
zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van
Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Reform der Telefonüberwachung zügig
umsetzen
- Drucksachen 16/1421, 16/6979 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({15})
Joachim Stünker
Klaus Uwe Benneter
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried
Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von
Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit - Polizei- und Justizaufbau in Afghanistan drastisch beschleunigen
- Drucksache 16/6931 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({16})
Innenausschuss ({17})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
ZP 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts
- Drucksache 16/1830 Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses ({18})
- Drucksache 16/6980 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses ({19}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle
Präsident Dr. Norbert Lammert
Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern sozial und verantwortungsbewusst den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen
- Drucksachen 16/891, 16/6980 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Christine Lambrecht
Joachim Stünker
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörn Wunderlich
ZP 18 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes
- Drucksache 16/1829 - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend ({20})
- Drucksache 16/5444 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Helga Lopez
Jörn Wunderlich
Ekin Deligöz
- Bericht des Haushaltsausschusses ({21}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/5446 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Schmidt
Dr. Ole Schröder
Otto Fricke
Roland Claus
Anna Lührmann
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die Tagesordnungspunkte 8, 23, 28, 30, 34, 35 a, 36,
38, 39 und 40 werden abgesetzt.
Die Tagesordnungspunkte 24 - hierbei handelt es sich
um einen Antrag zur europäischen Erweiterungs- und
Nachbarschaftspolitik - und 25 - zweite und dritte Beratung des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes - werden getauscht.
Der Tagesordnungspunkt 35 b - zweite und dritte Beratung eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes - soll ohne Debatte abgeschlossen werden.
Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:
Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Verteidigungsausschuss ({22}) zur Mitberatung überwiesen werden:
Gesetzentwurf der Bundesregierung über die
elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln ({23})
- Drucksache 16/3658 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({24})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Ich darf Sie fragen, ob Sie mit den vorgetragenen Vereinbarungen einverstanden sind. - Das sieht so aus.
Dann können wir das als beschlossen festhalten.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 ({25}) und 1373
({26}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/6939 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({27})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass bei einem schrecklichen Anschlag im Norden Afghanistans, in der Nähe von Baghlan, 40 Menschen zu Tode
gekommen sind. Unter den Opfern waren - Sie wissen
es - sechs afghanische Abgeordnete; darunter auch der
frühere Handelsminister Kasimi, den viele von Ihnen bei
seinen häufigen Besuchen in Deutschland kennengelernt
haben. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich den
Hinterbliebenen der Opfer unser tiefes Mitgefühl ausBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
spreche und den vielen Verletzten, die es darüber hinaus
gegeben hat, baldige und vollständige Genesung wünsche.
({0})
Seien wir uns bewusst: Das war kein Anschlag auf einen militärischen Konvoi. Das war kein Anschlag auf
die Repräsentanten ausländischer Streitkräfte in Afghanistan. Das war ein Anschlag auf das Leben von afghanischen Männern, Frauen und Kindern. Dieser Anschlag
war möglicherweise gemeint als Anschlag auf ein gelungenes, mit deutscher Hilfe zustande gekommenes Wiederaufbauprojekt im Norden Afghanistans, das mehr als
2 000 Menschen Brot und Einkommen gesichert hat: die
Zuckerfabrik in Baghlan.
Ich erinnere daran, weil uns dieses schreckliche Ereignis mahnt, dass die Bekämpfung des fundamentalistischen Terrors in Afghanistan eine der Aufgaben bleibt,
denen sich die internationale Staatengemeinschaft in Afghanistan zu stellen hat. Bevor Sie es gleich sagen, will
ich es sagen: natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln.
({1})
Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal - damals
unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge in New
York und Washington - hier im Deutschen Bundestag
ein OEF-Mandat beschlossen. Ich darf sagen: Trotz aller Schwierigkeiten, die ich sehe, die wir sehen und über
die wir hier vielfach diskutiert haben, ist ein wichtiges
Ziel dieser Einsätze erreicht. Afghanistan ist heute nicht
mehr das Ausbildungszentrum für islamistischen Terrorismus weltweit. Aber natürlich gilt auch: Die konkrete
Gefahr durch fanatisierte Terroristen in Afghanistan ist
keineswegs gebannt.
Sie wissen: Wir haben von Anfang an unseren Beitrag
geleistet. Wir haben nicht nur mit Soldaten reagiert und
agiert; unser Ansatz war vielmehr ein politischer. Der
Schwerpunkt lag und - das darf ich gerade aufgrund der
Entscheidungen der Bundesregierung aus den jüngsten
Tagen sagen - liegt immer stärker auf dem zivilen Wiederaufbau. Darum haben wir eben nicht nur Soldaten
geschickt, sondern von Anfang an auch Entwicklungshelfer, Ingenieure, Polizeiausbilder, Regierungsberater,
Lehrer und viele andere mehr. Sie wissen: Dieser Ansatz
wird inzwischen von der internationalen Staatengemeinschaft nicht nur geteilt, sondern auch von vielen gestützt
und in gleicher Weise dort umgesetzt.
Sie haben gehört: Wir haben uns in Verfolgung unseres Afghanistan-Konzeptes entschlossen, unser Engagement neu zu justieren und stärker in die Infrastruktur, in
die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Polizei und Armee zu investieren. Mittlerweile zeigt sich das
auch deutlich an den Veränderungen der Strukturen in
Afghanistan. Ich hatte hier in diesem Hause schon einmal berichtet: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren die ISAF-Kontingente von 10 000 auf 40 000 ausgebaut. Gleichzeitig haben wir die Zahl derjenigen, die
unter dem OEF-Mandat eingesetzt werden, von 20 000
auf 10 000 halbiert.
Diese Entwicklung, die wir gerne zur Kenntnis nehmen, entlastet uns aber nicht von den Problemen, von
denen zu berichten ist, erst recht nicht von denen im
Kampf gegen ideologisch unbeugsame Terroristen. Deshalb können wir - auch wenn sich viele das wünschen auf eines dieser Instrumente internationaler Politik nicht
verzichten. Deshalb ist die kleiner gewordene OEF-Mission in Afghanistan auch im nächsten Jahr noch notwendig. Sie ist aber nicht nur wegen des Kampfes gegen Terrorismus notwendig; denn 80 Prozent der OEF-Soldaten
arbeiten bereits heute für einen der Schwerpunkte auch
unserer Ziele in Afghanistan. Das ist, wie ich gesagt
habe, die Ausbildung der afghanischen Armee und
Polizei. Wir werden unsere Ausbildungsleistung weiter verstärken. Wir sollten mit unseren NATO-Partnern - auch mit
den USA - prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zukunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusammengezogen werden können.
({2})
Ich weiß, dass es nicht nur hier im Hause kritische
und berechtigte Fragen gibt. Ich will den Fragen nicht
ausweichen. Deshalb sage ich: Natürlich darf ein solcher
OEF-Einsatz nicht dazu führen, dass unser gemeinsames
vorrangiges Ziel, nämlich den Menschen dort zu helfen,
an Glaubwürdigkeit verliert oder gar ganz verloren geht.
Darum haben wir uns mit vielen Verbündeten bei unseren Gesprächspartnern innerhalb der NATO für die Veränderung der Einsatzregeln nicht nur bei ISAF, sondern auch bei OEF eingesetzt. Die Soldaten - Sie wissen
das - sind jetzt ausdrücklich angewiesen, bei ihren Einsätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle
Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf ausgerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich
- wir werden darauf achten - konsequent umgesetzt werden.
({3})
Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv - ich
hoffe, es ist unser gemeinsames Leitmotiv für die Afghanistan-Politik; Sie kennen es - lautet, sich weder kopflos
rauszuhalten noch kopflos drinzubleiben. Und was für
den Gesamt-Afghanistan-Einsatz gilt, das gilt auch für
das OEF-Mandat: Wir wollen diese Strategie in Afghanistan weiter mit beeinflussen. Das heißt auch, jetzt nicht
Hals über Kopf aus diesem Mandat auszusteigen. Wir
werden die nächsten Monate vielmehr aktiv nutzen und
wollen eine aktive Rolle bei der Überprüfung einnehmen. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir eine
Überprüfung des Afghanistan Compact - damit meine
ich nicht nur die militärischen, sondern auch die zivilen
Anteile - im Rahmen einer Konferenz in Europa - und
falls es gewünscht wird, dann auch in Deutschland - in
der nächsten Zeit vornehmen.
({4})
Die Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz ist und
bleibt vorläufig Art. 51 der VN-Charta. Der Sicherheitsrat hat diese Bestimmung bei seinen Beschlüssen immer
wieder als Rechtsgrundlage genannt und in Anspruch
genommen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die
Mandatierung des OEF-Einsatzes - oder zunächst nur
Teile davon - durch einen eigenen Beschluss des Sicherheitsrates erfolgt. Wir werden mit unseren Partnern darüber sprechen - sprechen müssen, meine Damen und
Herren.
Ich jedenfalls baue auf eine breite Zustimmung des
Bundestages für eine Verlängerung des OEF-Mandats.
Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Soldaten. Ich
weise auch darauf hin: Darauf hofft nicht nur Präsident
Karzai, sondern darauf hofft die gesamte afghanische
Regierung. Meiner Meinung nach sollten wir versuchen,
eine möglichst breite Zustimmung für die Verlängerung
dieses OEF-Mandats hier im Deutschen Bundestag zu
erwirken.
({5})
Das Wort erhält nun die Kollegin Homburger, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin dem Bundesaußenminister für seine Worte, die er zu
diesem furchtbaren Anschlag gefunden hat, sehr dankbar. Die afghanische Regierung und das afghanische
Volk sollen wissen, dass der Deutsche Bundestag, aber
auch das deutsche Volk diesen barbarischen Anschlag
verurteilen und mit ihnen trauern.
({0})
Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit hier im
Hause die Bekämpfung des internationalen Terrorismus
weiterhin als notwendig ansieht. Das ist aber nicht primär eine militärische Aufgabe. Vielmehr sind umfassende Anstrengungen zur Beseitigung der gesellschaftlichen, sozialen und auch ökonomischen Ursachen des
Terrorismus zu treffen. Wer allerdings behauptet, der
Wiederaufbau sei schon heute ohne militärische Absicherung möglich, ist entweder gutgläubig, naiv oder will
den Menschen Sand in die Augen streuen.
({1})
Eines will ich ausdrücklich sagen: Wenn wir jetzt in unseren Bemühungen nachlassen, dann bewirkt das nicht
nur einen Rückschlag bei der Entwicklung in Afghanistan, sondern dann wird auch die Lage hier bei uns unsicherer.
({2})
Es ist ein Gebot der Vernunft, dem Politischen stets
Vorrang vor dem Militärischen zu geben. Deswegen war
der NATO-Gipfel in Riga im Januar so wichtig; denn
dort ist der Strategiewechsel beschlossen worden. Jetzt
erwarten wir - ich denke, dies tun wir gemeinsam, liebe
Kolleginnen und Kollegen - von der Bundesregierung,
dass dieser Strategiewechsel auch umgesetzt wird. Was
bedeutet dies? Es bedeutet, dass der Wiederaufbau und
die Schaffung eigener afghanischer staatlicher Strukturen bei der Polizei, in der Justiz und in den Vollzugssystemen im Zentrum der Bemühungen stehen müssen.
Vor diesem Hintergrund sage ich klipp und klar: Es
war ein grober Fehler der Koalition, die Debatte über
Afghanistan wegen parteiinterner Querelen in der SPD
in ISAF und OEF zu trennen.
({3})
Dadurch ist der völlig falsche Eindruck entstanden, OEF
stehe singulär und das Militärische stehe im Zentrum.
Das ist kontraproduktiv, und das hätten Sie, Frau Bundeskanzlerin, niemals zulassen dürfen.
Von Folgendem bin ich überzeugt: Wer über die Bekämpfung des Terrorismus und die Zukunft Afghanistans spricht, muss deutlich machen, dass er im Rahmen
eines Gesamtkonzepts handelt. Sonst wird er scheitern.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur Polizeiausbildung machen. Wir begrüßen die
Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Bemühungen in
diesem Bereich zu verstärken und auch die finanziellen
Mittel hierfür aufzustocken. Ich möchte aber deutlich sagen: Das reicht nicht aus. Es gibt nämlich noch ganz erhebliche organisatorische Probleme. Dabei geht es um
die Fragen: Haben wir überhaupt genügend Kapazitäten?
Haben wir genügend Leute ausgebildet, die wir zur
Wahrnehmung solcher Aufgaben ins Ausland entsenden
können? Wie ist die organisatorische Struktur zwischen
Bund und Ländern geregelt? - Diesen Fragen muss sich
die Bundesregierung endlich stellen. Sonst wird ein
Engagement im nötigen Umfang nicht möglich sein.
Dann wird all das ein Lippenbekenntnis bleiben. Das
können wir uns nicht erlauben.
({4})
In der Debatte der letzten Wochen ist immer wieder
der Eindruck erweckt worden, es gebe ein „gutes“ ISAFMandat, unter dem der Wiederaufbau stattfindet, und ein
„böses“ OEF-Mandat, das aufgrund des militärischen
Vorgehens hauptsächlich für die zivilen Opfer verantwortlich ist. Es wird Zeit, mit diesem Märchen aufzuräumen. Beide Mandate haben sich in den letzten Jahren
deutlich verändert, auch was ihr Verhältnis zueinander
betrifft. ISAF deckt längst ganz Afghanistan ab, und natürlich kommt es unter ISAF zu Kampfhandlungen. Umgekehrt werden 80 Prozent der Soldaten, die unter dem
OEF-Mandat zum Einsatz kommen, bei der Ausbildung
des afghanischen Militärs eingesetzt. Wer OEF in Afghanistan beenden will, der muss sagen, wer diese Aufgaben übernehmen soll; denn die Aufgaben werden bleiben.
Das bedeutet nicht, dass es keine Kritikpunkte gebe.
Wir alle wissen um die Akzeptanzprobleme der Einsätze. Deshalb haben wir stets gefordert, dass alle Anstrengungen unternommen werden müssen, um zivile
Opfer zu vermeiden, und dass vor allen Dingen auf die
kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen in Afghanistan Rücksicht zu nehmen ist. Hier gibt es Fortschritte.
So wurden für ISAF neue Verhaltensregeln festgelegt.
Als wir vor kurzem Afghanistan besucht haben, hat uns
General McNeal bestätigt, dass diese auch von der Operation Enduring Freedom in vollem Umfang übernommen worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das
wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen.
Das ist ein Erfolg der beharrlichen politischen Diskussion, die hier zu einem Umdenken geführt hat.
({5})
Es muss mit einem weiteren falschen Eindruck aufgeräumt werden. Beim OEF-Mandat geht es längst nicht
mehr nur um Afghanistan. Die meisten deutschen Soldatinnen und Soldaten werden bei der Marineoperation
am Horn von Afrika eingesetzt. Auch die NATO-geführte Seeraumüberwachung im Rahmen der Operation
Active Endeavour gehört dazu. Diese Einsätze werden
kaum thematisiert. Allerdings stellt sich, insbesondere
was die Operation am Horn von Afrika angeht, die
Frage, um was es hierbei eigentlich geht. Geht es noch
um die Bekämpfung des Terrorismus, oder hat sich die
Mission, dieses Mandats nicht faktisch weiterentwickelt,
und zwar in Richtung Sicherung der Handelswege? Ich
erwarte, dass sich die Bundesregierung diesen Fragen
endlich stellt und sie gemeinsam mit den Partnern
Deutschlands erörtert. Das ist zwingend notwendig,
wenn sie zukünftig Unterstützung erhalten möchte.
Meine Damen und Herren, ich denke, das Ziel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist unbestritten. Wir brauchen den Vorrang des Politischen vor dem
Militärischen. Ohne militärische Absicherung geht es jedoch nicht. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, auf dem weiteren Weg für die richtige Gewichtung
zu sorgen. Für die FDP-Bundestagfraktion sage ich: Wir
sind bereit, Sie dabei parlamentarisch zu unterstützen.
({6})
Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich bitte den Deutschen Bundestag um Zustimmung zum Beschluss der Bundesregierung, den Beitrag
der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus um zwölf Monate zu verlängern.
Wir haben gerade erst erlebt, dass auch wir von Anschlägen in Afghanistan direkt betroffen sind. Ich
glaube, dies hat uns deutlich vor Augen geführt: Solange
es terroristische Aktivitäten wie die, die jetzt konkret in
Afghanistan zu beobachten waren, gibt, ist es notwendig, das OEF-Mandat zur Bekämpfung des Terrorismus
zu verlängern. Dieses Mandat stellt einen Beitrag zur
Unterstützung unserer Bemühungen zur Gewährleistung
von Sicherheit und Wiederaufbau dar. OEF und ISAF
bedingen einander. OEF ist eine Grundlage für die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan. Deshalb bitte
ich Sie um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses
Mandats.
({0})
Im Rahmen des OEF-Mandats operieren wir zum einen in Afghanistan, zum anderen am Horn von Afrika;
das konzediere ich gerne, Frau Kollegin Homburger. Ich
war gerade mit Kollegen aus dem Deutschen Bundestag
in Akaba. Dort waren auch Soldaten zugegen, die im
Rahmen von OEF ihren Dienst tun. Ich kann Sie beruhigen, Frau Kollegin Homburger: Unsere Soldatinnen und
Soldaten sichern am Horn von Afrika die Seewege und
verwehren so erstens Terroristen den Zugang zu Rückzugsgebieten, und zweitens leisten sie damit einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit dieser Seepassage.
80 Prozent unseres Handels erfolgen ja über See. Sie
wissen: Es ist ein großes Seegebiet, vom Zugang zum
Roten Meer über die Küste Somalias, die Seewege vor
Jemen und Oman bis hin zur Straße von Hormus, in dem
unsere Marinesoldatinnen und -soldaten Sicherheit gewährleisten und terroristischen Aktivitäten entgegentreten. Im letzten Jahr haben sie zum Beispiel 900 Schiffe
im Hinblick auf derartige Aktivitäten untersucht. Das ist
ein Beitrag zur Terrorismusbekämpfung, aber eben auch
ein Beitrag zur Herstellung der Seesicherheit im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.
({1})
Im Rahmen der Operation Active Endeavour im Mittelmeer treten unsere Marinekräfte ebenfalls terroristischen Aktivitäten entgegen und gewährleisten auch dort
die Seesicherheit.
Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir unsere
Grundkonzeption der vernetzten Sicherheit weiter
umsetzen und durchsetzen. Die umfassende Bekämpfung des internationalen Terrorismus sowohl mit politischen, mit entwicklungspolitischen und mit polizeilichen als auch mit militärischen Maßnahmen bleibt
notwendig. Deshalb bedingen die Mandate einander.
Ich halte es für wichtig, dass es uns gelungen ist, in
Afghanistan eine Koordinierung zwischen ISAF und
OEF vorzunehmen und mit konkreten Weisungen darauf
hinzuwirken, dass alle Anstrengungen unternommen
werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Verhältnismäßigkeit ist ja ein Punkt, der gerade in den vergangenen Wochen in der Diskussion eine Rolle gespielt hat.
Wenn Sie einmal die Situation im ersten Halbjahr mit
der in diesem Halbjahr vergleichen, dann kommen auch
Sie, denke ich, zu dem Schluss: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Wir müssen aber auch terroristische Aktivitäten zu12730
rückdrängen. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden, wenn wir der Strategie der Taliban, zivile
Opfer zu verursachen, um damit die politische Diskussion zu bestimmen, entgegenwirken wollen. Deshalb ist
diese Koordinierung zwischen ISAF und OEF in Afghanistan, die wir in concreto durchsetzen konnten, so
wichtig.
Das alles sind Punkte, die aus meiner Sicht zu einer
wirkungsvollen und entschiedenen Terrorismusbekämpfung dazugehören. Wir können es uns erlauben, den Personalumfang des Mandats von 1 800 auf 1 400 Soldatinnen und Soldaten zu verringern. Dies reicht sowohl
für unseren Auftrag in Afghanistan als auch für unseren
Auftrag am Horn von Afrika als auch für unseren Auftrag im Mittelmeer im Rahmen von Active Endeavour.
Konkret besteht unsere Beteiligung aus folgenden Teilkontingenten: 1 000 Soldaten der See- bzw. Seeluftstreitkräfte, 100 Soldaten der Spezialkräfte, 100 Soldaten der
Unterstützungskräfte, 100 Soldaten der Lufttransportkräfte und 100 Sanitätern.
Dieses Mandat - das will ich ebenfalls unterstreichen dient auch der Sicherheit unserer Bevölkerung. Denn es
ist wesentlich klüger, die Gefahr unmittelbar an der
Quelle zu beseitigen, und nicht erst dann, wenn sie in
wesentlich größerem Umfang die Bundesrepublik
Deutschland erreicht. Deshalb bitte ich Sie, der Verlängerung des Mandats OEF, das der Terrorismusbekämpfung dient, zuzustimmen.
Besten Dank.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stimmen in diesem Hause darin überein, dass
der internationale Terrorismus bekämpft werden muss.
Worin wir uns unterscheiden, ist, welches der Weg ist,
den wir dazu beschreiten müssen. Meine Fraktion bleibt
bei der Auffassung, dass Krieg kein geeignetes Mittel
ist, den Terrorismus zu bekämpfen.
({0})
Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir Terrorismus durch Kriege geradezu heranzüchten, und wir bleiben bei der Auffassung, die auch von den Sicherheitsdiensten und einigen Politikern in Deutschland geteilt
wird, dass wir uns den Terrorismus durch solche Kriege
geradezu in unser eigenes Land holen.
Wie die indirekte Beteiligung am Irakkrieg, so ist
auch die direkte Beteiligung am Krieg in Afghanistan
ein Bruch des Völkerrechts. Bauern, die ihr Feld bestellen, sind von Talibankämpfern nicht zu unterscheiden. Unabhängig von der UNO-Entscheidung, die Sie
bemüht haben, Herr Bundesaußenminister, gelten die
Genfer Konventionen. Durch die Genfer Konventionen
wird der Schutz der Zivilbevölkerung gefordert, der in
Afghanistan nicht im Mindesten gewährleistet ist.
Die Beteiligung an der OEF ist ein grundsätzlicher,
ein fundamentaler Bruch mit einer Friedenspolitik, die
nach dem Zweiten Weltkrieg ein Markenzeichen
Deutschlands war.
({1})
Ich rufe zwei Zeugen auf: die Kanzler Helmut Schmidt
und Willy Brandt. Helmut Schmidt sagte vor einigen Tagen in einem Interview - jeder von Ihnen konnte das lesen -:
… dieses Streben einiger Deutscher nach mehr Verantwortung in der Welt ist mir zutiefst unsympathisch.
…
Das Argument, Menschen in Not mit dem Einsatz
von Waffen zu helfen, hat es bis 1990 nicht gegeben. … Entwicklungshilfe ist ein gutes Konzept,
das seit Kriegsende gegolten hat. Das Völkerrecht
verbietet die militärische Intervention in einem souveränen Staat, wie schwach oder stark er innerlich
auch sein mag.
…
Der Grund für die Intervention war ausschließlich
al-Qaida; und inzwischen ist al-Qaida nach Pakistan gezogen. Sollen wir demnächst auch dort einmarschieren?
Meine Damen und Herren, bisher stand im Grundsatzprogramm der einen Koalitionspartei, der SPD:
„Krieg darf kein Mittel der Politik sein“. - Das galt viele
Jahrzehnte. Jetzt wird dieser Satz durch die Formulierung aufgehoben: „Der Einsatz militärischer Mittel
bleibt für uns Ultima Ratio“. Das ist eine grundsätzliche
Abkehr von der Politik Willy Brandts,
({2})
der in seiner Nobelpreisrede am 11. Dezember 1971
sagte:
Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die
Ultima Irratio. Auch wenn das noch nicht allgemeine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den
Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche.
Dass Ihre Politik die Ultima Irratio im Sinne Brandts ist,
zeigen die schrecklichen Fakten. Seit Jahresbeginn wurden
in Afghanistan laut Agenturmeldungen 5 600 Menschen
getötet. Zwei Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan,
von Terre des Femmes eingeladen, sagten: Seit 2004 ist es
schlimmer geworden. Es ist fast wieder wie unter den Taliban. In ihrer Verzweiflung wählen Frauen oft den Freitod durch Selbstverbrennung. Allein in der Stadt Herat
gibt es 200 Fälle pro Jahr.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb kürzlich
in einem Aufsatz:
Die Arbeit humanitärer Helfer ist von Afghanistan
bis Darfur aus politischen Gründen gefährlicher geworden - sie gelten mittlerweile als Kriegspartei …
Wie im Irak, so ist auch in Afghanistan diese sogenannte militärische Mission komplett gescheitert.
({3})
Man kann Töten nicht durch Töten verhindern. Wir bleiben bei dieser Auffassung: Krieg ist und bleibt das falsche Mittel.
Es wäre gut, wenn Sie diesen Weg wieder verließen
und sich wieder zu der verlässlichen Außenpolitik der
Bundesrepublik bekennen würden, die jahrzehntelang
ein Markenzeichen Deutschlands war.
({4})
Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist unverändert meine Überzeugung und Erfahrung, dass
Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan weiterhin der
militärischen Absicherung bedürfen und dass internationaler Terrorismus auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Zugleich reicht es aber ganz und
gar nicht, diese prinzipielle Erklärung abzugeben. Vielmehr haben wir heute konkret zu überprüfen, was die
militärische Antiterroroperation Enduring Freedom
bringt und inwieweit sie noch legitim, wirksam und verantwortbar ist.
({0})
Dazu muss ich sagen: Die Bundesregierung und ihre
beiden Minister haben bisher zu erheblichen Teilen um
dieses Thema herumgeredet. Es ist zwar wichtig, etwas
zum Aufbau Afghanistans zu sagen und Wünsche zur
Zukunft von Enduring Freedom zu äußern. Vor allem
aber geht es aber darum, wie Enduring Freedom heute
aussieht, Herr Minister. Dazu sagten Sie in den letzten
Jahren notorisch nichts.
({1})
Zur völkerrechtlichen Legitimation von Enduring
Freedom: Vor sechs Jahren wurde nach dem
11. September das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch genommen. Sechs Jahre danach wird - so meinen
wir - diese völkerrechtliche Grundlage aber immer dünner und fragwürdiger. Jetzt weiter auf das Selbstverteidigungsrecht zu pochen, heißt, es völlig zu entgrenzen und
damit das internationale Gewaltverbot im Grunde zu zersetzen.
({2})
Zum Teilauftrag Marine nur wenige Worte: Wir
Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren am
Horn von Afrika und haben festgestellt, dass der ursprüngliche Auftrag und die Einsatzrealität inzwischen
völlig auseinandergelaufen sind. Das heißt, hier, wo es
unbestritten um eine Frage kollektiver Sicherheit geht,
ist ein klares UN-Mandat notwendig; anders geht es
nicht.
({3})
Nun zum Teilauftrag Afghanistan, Kommando Spezialkräfte: Dass ein Großteil von Enduring Freedom inzwischen für die strategisch wichtige Aufgabe der Ausbildung von Armee und Polizei eingesetzt wird, ist gut.
Allerdings ist zu fragen, warum dieser große Ausbildungsanteil nicht unter dem Dach von ISAF geleistet
wird. Herr Minister, Sie haben dies zu Recht als eine
Möglichkeit und Notwendigkeit angedeutet.
({4})
Den strittigen Kern stellt aber die Antiterroroperation
Enduring Freedom dar. OEF war zunächst zur Vertreibung der Taliban und in den Jahren danach zum Fernhalten der Taliban notwendig. Seit jedoch nach der Ausweitung von ISAF auf das ganze Land die Gewalt in den
ursprünglichen Operationsgebieten von Enduring Freedom geradezu explodiert ist, muss man verstärkt die
Frage nach der Wirksamkeit stellen. Alles, was ich dazu
ansonsten gehört habe, ist so beunruhigend wie eindeutig. Hochrangige Insider haben mir gegenüber die Operationsweise von Enduring Freedom mit folgenden Worten beschrieben: Es gehe nicht vorrangig darum,
Gefangene zu machen, sondern darum, die Taliban zu
zerschlagen; die Taliban würden mithilfe der Luftwaffe
gnadenlos niedergemacht.
Sehen Sie sich bitte auch die Meldungen über Enduring Freedom der letzten Tage und Wochen auf der entsprechenden Webseite an. 10. Oktober, Uruzgan: Zur
Unterstützung von 60 Koalitionssoldaten wurde über
19 Stunden Luftnahunterstützung mit 13 Kampfbombern geflogen. Oder 19./20. Oktober, Musa Kala - manchen ist diese Distrikthauptstadt vielleicht bekannt -:
Mehr als drei Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Eine
Woche später: Sieben Dutzend Tote auf der Gegnerseite.
Dies alles wird mit Aufständischenbekämpfung begründet, allerdings in den Zusammenhängen von Stammesgesellschaften, wo man eben nicht zwischen Kämpfern
und Zivilisten, also dem Normalafghanen, der mit der
Knarre herumläuft, unterscheiden kann.
({5})
In der jüngsten OEF-Unterrichtung der Bundesregierung steht folgender Satz:
Nur wenn extremistischen Kräften wirkungsvoll
begegnet wird, kann eine nachhaltige Befriedung
des Landes gelingen.
Die tatsächliche Wirksamkeit der Antiterrororganisation von Enduring Freedom ist äußerst zwiespältig. Mili12732
tärische Siege gibt es am laufenden Band. Aber zugleich
werden dabei - das ist die Botschaft, die wir aus Afghanistan immer wieder hören - fortwährend Köpfe und
Herzen der Bevölkerung verloren.
({6})
Deshalb muss ich feststellen: OEF ist inzwischen
längst kontraproduktiv geworden.
({7})
Sie dient nicht, wie vorgesehen, der Terrorismuseindämmung, sondern facht den Terrorismus eher an. Sie ist
nicht die einzige Ursache dafür, aber sie trägt dazu bei.
Das schadet dem ISAF-Auftrag und dem internationalen
Aufbau mehr, als es ihm nutzt. Daraus ergibt sich die
Konsequenz, dass eine weitere Bereitstellung von deutschen KSK-Soldaten für eine solche Operation nicht
mehr notwendig, legitimierbar und verantwortbar ist.
Die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass militärische Sicherheitsunterstützung in Afghanistan allein
unter dem Dach von ISAF stattfindet, und das nicht zuletzt im Sinne eines effektiven Multilateralismus, der
eindeutig an Völkerrecht und Menschenrechte gebunden
ist.
Danke.
({8})
Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Dzembritzki,
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist interessant,
dass die OEF zwar überwiegend außerhalb von Afghanistan stattfindet, wir aber insbesondere - das ist auch
nachvollziehbar - über Afghanistan reden. Herr Kollege
Nachtwei, Sie wissen, wie Sie auch bei uns als engagierter Politiker und sicherlich auch als Sachkenner Afghanistans geschätzt werden, wenn man sich überhaupt als
solcher - ich beziehe mich ebenfalls mit ein - bezeichnen kann. Denn unsere Besuche dort waren zeitlich begrenzt.
Ich glaube nicht, dass wir alle über repräsentative Bilder verfügen. Ich warne ein bisschen davor, immer das
zu übernehmen, was uns einzelne mit auf den Weg gegeben haben. Mir lag zum Beispiel vor wenigen Tagen eine
sehr interessante Untersuchung von kanadischen Instituten vor, die von den großen Tageszeitungen, der Rundfunkanstalt und der Universität von Ottawa beauftragt
waren. Darin stellt sich das von den befragten Menschen
aufgezeigte Bild von Afghanistan etwas anders dar, als
wir es möglicherweise gegenwärtig selbst wahrnehmen
und durch unsere eigenen Beiträge erzeugen. Wir müssen uns davor hüten, in dieser punktuellen Information
und Darstellung die Realitäten, die sich zum Positiven
entwickelt haben, zu übersehen.
Ich bin dem Bundesaußenminister sehr dankbar für
seine sensiblen Worte zu dem Attentat in Baghlan. Dieses Ereignis ist unvorstellbar furchtbar. Stellen Sie sich
vor, eine Delegation von 18 Bundestagsabgeordneten
besucht ein Institut, und sechs werden dort durch ein Attentat ermordet. Sie können sich vorstellen, welche
Empfindungen heute im Saal vorherrschen würden.
Meine Betroffenheit und mein Mitgefühl mit allen, die
dem Anschlag zum Opfer gefallen sind, und mit ihren
Familien sind sehr groß.
({0})
Ich bin der Kollegin Homburger sehr dankbar für ihren Beitrag. Für die Querelen mit der SPD habe ich ein
bisschen Nachsicht. Ich weise darauf hin, Frau Kollegin,
dass wir uns in den zurückliegenden Monaten mit großer
Entschiedenheit des Themas Afghanistan angenommen
haben. Ich glaube, dass wir etliches dazu beigetragen haben und manches - ob Strategiewechsel oder stärkeres
ziviles Engagement - mit darauf zurückzuführen ist.
({1})
Wenn in unserer Öffentlichkeit das Thema Afghanistan diskutiert wird - das übrigens gegenwärtig nicht den
großen Zuspruch erhält, den wir Gott sei Dank im Parlament immer noch erreichen -, dann finde ich es vernünftig, dass wir zum Beispiel unseren Parteitag zu Recht in
die Lage versetzen, dieses Thema zu diskutieren, bevor
Entscheidungen getroffen werden können. Schließlich
wird in der Regel immer im November über dieses Mandat entschieden. Das bitte ich mit zu berücksichtigen.
Ich halte es für dringend notwendig, dass wir im Bereich der Sicherheit außerhalb des Militärs weitaus größere Anstrengungen unternehmen.
({2})
Richten Sie noch einmal den Blick auf unseren Einsatz,
den europäischen Einsatz und den Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft im Kosovo. Das ist verglichen mit Afghanistan ein Landkreis. Gestern habe ich
erfahren, dass sich die Europäische Union - das ist gut
und richtig - mit 1 800 Juristen vorbereitet, dort die
Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und zu sichern. Überträgt man das auf Afghanistan, wo dies dringend notwendig ist, dann wird sofort deutlich, wo die Defizite
liegen. Ich fände es natürlich gut, wenn der Bundesinnenminister und die Landesinnenminister einmal ein Signal
dafür setzten, dass nun alle Anstrengungen unternommen werden, um dorthin 100, 200 oder möglicherweise
sogar 300 Ausbilder zu schicken.
({3})
Herr Fried hat nach einem Kurzbesuch in Afghanistan
in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, er habe den
Eindruck, dass dort eigentlich nur verwaltet werde und
nicht mit Leidenschaft um den Erfolg gerungen werde.
Damit hat er nicht ganz unrecht. Wir müssen darauf achten - dazu fordere ich das Parlament und die Ausschüsse
auf -, dass wir ausreichend Druck ausüben und für eine
entsprechende Dynamik sorgen.
Kollege Lafontaine, wir alle haben erwartet, dass Sie
unsere großen Vorbilder zitieren. Man kann die Situation
natürlich immer so interpretieren, wie man es braucht.
Ich habe Jahrzehnte mit Willy Brandt verbringen dürfen.
Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Willy Brandt
als Regierender Bürgermeister von Berlin nach dem
13. August 1961 die Amerikaner mit Nachdruck aufforderte - das hat zu Spannungen in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland bzw. Berlin geführt -,
endlich Panzer zu schicken, und gesagt hat: Wir wollen
ein Zeichen der Solidarität sehen, dass Westberlin nicht
allein steht. Dieser große Friedenspolitiker hat damals zu Recht - darum gebeten, militärische Präsenz zu zeigen, um deutlich zu machen, wo die Grenzen sind und
dass wir nicht bereit sind, einfach den Kopf hinzuhalten
und ihn uns sozusagen abschlagen zu lassen.
Herr Kollege Dzembritzki, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Die Sicherheit in Afghanistan hängt für eine gewisse
Zeit noch von der militärischen Präsenz ab. Ich bitte, das
nicht zu diskreditieren, sondern zu respektieren. Ohne
Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich. Aber ohne
Entwicklung ist auch Sicherheit nicht denkbar. Daran
müssen wir gemeinsam arbeiten.
Vielen Dank.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Dr. Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Nachtwei, es ist schon bemerkenswert, was der Ausstieg aus der Regierungsverantwortung bei Ihnen so alles bewirkt hat.
({0})
- „Rauswurf“ ist vielleicht sogar die bessere Bezeichnung. - Nicht auszudenken, welche Pirouetten Sie, wenn
Sie irgendwann in die Regierungsverantwortung zurückkehrten - das möge der liebe Gott verhüten -, drehen
müssten, um das darzulegen, was Sie in den ersten Jahren Ihrer Regierungszeit zu OEF haben verlauten lassen!
Darauf warten wir mit Spannung, allerdings nicht auf
Ihre Rückkehr in die Regierungsverantwortung.
({1})
Herr Kollege Lafontaine, es war einmal mehr interessant, zu sehen, welche Begründungsmuster Sie im Hinblick auf das Mandat aufgebaut haben. Bemerkenswert
war heute, dass Sie keine eigene Begründung, sondern
lediglich fremde Zitate angeführt haben. Das ist nicht
gerade Ausdruck einer großen Rede. Aber es wurde klar:
Es geht Ihnen nicht um die Verantwortung dieses Landes. Es geht Ihnen auch nicht um die Menschen in Afghanistan. Es geht Ihnen mit Sicherheit nicht um die Sicherheit unseres Landes.
({2})
Angesichts Ihrer Begründung muss man sagen, dass es
Ihnen einmal mehr um einen populistischen Rundumschlag geht. Das geht an der Verantwortung unseres Landes vorbei.
({3})
Die von Ihnen angestoßene Debatte krankt an einem
gewissen Mangel an Aufrichtigkeit. Ihre Behauptung,
dass das Mandat, über dessen Verlängerung wir heute
debattieren, keine völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlage habe, ist schlicht barer Unsinn.
({4})
Streuen Sie den Menschen unseres Landes doch nicht
Sand in die Augen! Durch stete Wiederholung wird
diese Behauptung nicht richtiger, Herr Lafontaine. Sie
bleibt falsch. Lesen Sie doch einmal die Begründungen
des Bundesverfassungsgerichtes! Gelegentlich bildet Lesen.
Sie benutzen OEF wiederholt als pazifistisches Feigenblatt; das bietet sich möglicherweise an. Sie werden
mit Ihrer Ablehnung des Mandats und Ihrer Forderung
nach einem Abzug aus Afghanistan möglicherweise Ihren Zielen gerecht, nicht aber unserem Ziel, Afghanistan
aufzubauen.
Das wäre in meinen Augen schlicht ein Verrat an den
Menschen vor Ort, ein Verrat an Afghanistan.
({5})
Wir sind in Afghanistan aber eine Verpflichtung eingegangen und werden auch in Zukunft daran festhalten,
Herr Lafontaine.
({6})
Darüber hinaus verschweigen Sie einen Punkt, klammern in Ihrer Darstellung des Mandats eines völlig aus: Es
ist sicherlich richtig, dass ein hohes Maß an Verbesserungsbedarf gegeben ist. Herr Nachtwei und Frau
Homburger haben das immer wieder benannt, auch was
die Mandatsstruktur anbelangt. Eines allerdings ist Ge12734
genstand dieses OEF-Mandates, was man nicht oft genug
wiederholen kann, nämlich die Ausbildungskomponente. Sie umfasst den größten Teil dessen - der Herr
Bundesminister hat das benannt -, was unter OEF stattfindet. Wenn wir tatsächlich ein Interesse in Afghanistan
haben, dann besteht es in der Ausbildung der Sicherheitskräfte vor Ort, die wir mit Vehemenz betreiben
müssen. Das ist ein Beitrag zur Stabilität, und dieser Beitrag wird unter OEF geleistet. Daran muss man gelegentlich erinnern. OEF ist nicht nur das, was Sie benennen.
Lediglich nach Abzug zu rufen, lediglich zu behaupten, dass das Mandat völkerrechtswidrig sei, was nicht
der Fall ist, ist mit Sicherheit kein Konzept. Konzeptionen müssen zusammengeführt werden, aber nicht in der
Art und Weise, wie es heute die Linke versucht hat.
Herzlichen Dank.
({7})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
({0})
Lieber Herr Kollege zu Guttenberg, Sie müssen schon
eine Frage beantworten, wenn Sie bemängeln, dass mein
Kollege Lafontaine die völkerrechtliche Situation nicht
korrekt beurteilt hat: Wieso fordern denn der SPD-Parteitag und der Bundesaußenminister in seiner Rede eine
eigene VN-Resolution zur Operation Enduring Freedom? Das heißt, man ist sich schon klar darüber, dass die
völkerrechtliche Basis, was die Vereinten Nationen angeht, mehr als dünn ist, wenn man nach sechs Jahren auf
die Idee kommt, dass es eigentlich einer Resolution der
Vereinten Nationen bedürfte. Das müssen Sie doch einfach zugeben.
({0})
Hier so zu tun, als ob völkerrechtlich alles klar wäre,
ist eigentlich ein Werfen von Nebelkerzen. Werfen von
Nebelkerzen ist auch, lieber Herr Kollege, wenn man
heute besonders auf die Ausbildungskomponente von
OEF abhebt. Die war nie Ziel von OEF.
({1})
OEF war immer ein Kampfeinsatz; dieser Einsatz war so
geplant und wird so geführt. Dem muss man sich stellen.
Es ist aus meiner Sicht völlig klar: Am Hindukusch, in
Afghanistan herrscht Krieg, und Deutschland führt
Krieg am Hindukusch. Das muss man in aller Deutlichkeit aussprechen und nichts anderes. Darüber können Sie
nicht hinwegreden.
({2})
Zur Erwiderung Herr Kollege zu Guttenberg.
Sehr verehrter Herr Kollege Gehrcke, was die Ausbildungskomponente anbelangt, so habe ich vorhin betont,
dass sie die größte Komponente von OEF darstellt. Das
ist nicht nur eine Fußnote, sondern Ausbildung ist ein
Schwerpunkt der Operation Enduring Freedom.
Was die völkerrechtliche Grundlage anbelangt, so
würden wir, Herr Kollege Gehrcke, wahrscheinlich noch
die nächste halbe Stunde hier stehen, wenn ich die
Resolutionen 1386 ff., 1373, 1368, 1444 - weitere ließen
sich nennen - mit Ihnen diskutieren oder wenn ich auf
Art. 51 der UN-Charta und auf Art. 5 des NATO-Vertrages verweisen würde. Vor diesem Hintergrund kann die
Behauptung, dass eine völkerrechtliche Grundlage nicht
gegeben sei, schlichtweg nur als absurd bezeichnet werden.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6939 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/6971 soll an dieselben
Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Nationale Integrationsplan
Neue Wege - Neue Chancen
- Drucksache 16/6281 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich weise schon jetzt darauf hin, dass nach diesem Tagesordnungspunkt, also in etwa 90 Minuten, eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte, sich darauf
in der weiteren Zeitplanung einzurichten.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Im Übrigen wäre es schön, wenn diejenigen, die dem
nächsten Tagesordnungspunkt nicht folgen können oder
wollen, dazu beitragen würden, dass diejenigen, die bleiben oder gerade hinzukommen, mit der notwendigen
Aufmerksamkeit der Debatte folgen können.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Staatsministerin im Kanzleramt, Frau Professor
Böhmer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In unserem Land leben mehr als 15 Millionen
Menschen aus Zuwandererfamilien. Das ist immerhin
ein Fünftel der Bevölkerung. Viele dieser Menschen haben ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden. Sie
sind erfolgreich. Sie tragen mit ihren Fähigkeiten und
mit ihren Leistungen zum Wohlstand und zur Vielfalt
unseres Landes bei. Und sie schaffen Arbeitsplätze: Ich
verweise auf die 600 000 Unternehmer ausländischer
Herkunft in unserem Land.
Aber wir müssen auch sagen: Die Integrationsprobleme haben in den vergangenen Jahren zugenommen.
Es gibt Menschen aus Zuwandererfamilien, die nicht genügend deutsch sprechen. Sie schneiden in Bildung und
Ausbildung schwächer ab. Sie sind häufiger arbeitslos.
Darunter sind viele - viel zu viele - junge Menschen.
Wir können es uns nicht leisten, dass es in unserer Gesellschaft eine verlorene Generation gibt.
({0})
Nicht hinnehmbar ist, dass einige die Grundregeln unseres Zusammenlebens nicht akzeptieren. Integration
braucht die Basis gemeinsamer Werte. Notwendig ist auf
der Seite der Zuwanderer die Bereitschaft, sich auf ein
Leben in Deutschland wirklich einzulassen. Das heißt, Ja
zu unserem Grundgesetz, zu unserer Rechtsordnung und
zu unserer deutschen Sprache zu sagen. Notwendig ist
auf der anderen Seite, dass diejenigen, für die Deutschland Heimat ist, wirklich offen sind gegenüber denjenigen, die zu uns kommen, und sie ehrlich willkommen zu
heißen. Für die Bundesregierung ist Integration eine
Aufgabe von nationaler Bedeutung. Ich sage hier ganz
klar: Wir haben in der Integrationspolitik umgesteuert.
({1})
Wir reden nicht mehr übereinander, sondern miteinander. Das ist der entscheidende Punkt. Wir nehmen
damit die Menschen, die zu uns gekommen sind, ernst.
In der Vergangenheit ist vieles nur über Beiräte geschehen. Wir binden sie gleichberechtigt ein.
({2})
Wir fordern und fördern, und wir setzen auf Teilhabe
und Eigenverantwortung. Dafür steht dieser Nationale
Integrationsplan. Mit ihm haben wir ein neues Kapitel in
der Integration aufgeschlagen. Entscheidend war: Die
Bundeskanzlerin hat alle an einen Tisch geholt. Zum
ersten Integrationsgipfel kamen Vertreter aller staatlichen Ebenen: der Verbände, der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Kirchen, der Religionsgemeinschaften, der
Wissenschaft, des Sports, der Medien, der Kultur. Vor allen Dingen saßen die Migrantinnen und Migranten an
diesem Tisch, und sie haben damit die Integrationspolitik mitgestaltet.
Der 14. Juli 2006 war ein historischer Tag in unserem
Land.
({3})
Er war der Startschuss für die Arbeit am Nationalen Integrationsplan. 400 Personen haben daran mitgewirkt.
Zum ersten Mal haben Migrantinnen und Migranten eine
aktive Rolle in der Integrationspolitik gespielt. Sie haben
sich dieser Verantwortung gestellt, und das kommt in
vielen Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrationsplan zum Ausdruck.
Zum ersten Mal haben die Ministerpräsidenten einen
gemeinsamen Beschluss zur besseren Integration vonseiten der Länder gefasst, und zum ersten Mal haben die
kommunalen Spitzenverbände eine gemeinsame Erklärung zur Integration abgegeben. Wie wir wissen, geschieht Integration vor Ort. Dort entscheidet sich das Zusammenleben. Integration vor Ort muss Chefsache sein.
In den Städten werden Integrationskonzepte weiterentwickelt und umgesetzt. Das schafft bessere Ausgangsbedingungen für erfolgreiche Integration in den Kommunen.
({4})
Aber wir wissen auch, dass Integration nicht verordnet und nicht allein vom Staat geleistet werden kann. Sie
muss in unserer gesamten Gesellschaft wachsen und vorangebracht werden. Deshalb brauchen wir eine aktive
Bürgergesellschaft.
Ein besonderes Kennzeichen des Nationalen Integrationsplans sind die 400 Selbstverpflichtungen, die zeigen, dass viele dafür einstehen und Verantwortung dafür
übernehmen wollen; damit leisten sie einen ganz konkreten Beitrag zur Integration in unserem Land. Die Bundesregierung hat selbst 150 Selbstverpflichtungen eingebracht. Wir stellen 750 Millionen Euro dafür bereit, dass
Integration in unserem Land vorankommt. All dieses unterstreicht: Der Nationale Integrationsplan ist eine große
Gemeinschaftsleistung, die wir gemeinsam auf den Weg
gebracht haben.
Ich möchte allen danken, die dazu beigetragen haben.
Ich danke ganz besonders der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den Anstoß für den Nationalen Integrationsplan gegeben hat. Der SPD-Bundestagsfraktion danke
ich für die breite Unterstützung. Bei all den Kolleginnen
und Kollegen im Deutschen Bundestag, die mit Anregungen, Impulsen, Rat und auch so mancher kritischer
Anmerkung dazu beigetragen haben, dass wir den Nationalen Integrationsplan als erstes integrationspolitisches
Gesamtkonzept heute hier diskutieren können, bedanke
ich mich ebenfalls.
Die Bundeskanzlerin hat den Nationalen Integrationsplan am 12. Juli dieses Jahres beim zweiten Integrations12736
gipfel vorgestellt. Wir sind jetzt mitten in der Umsetzung; denn wir haben bei der Integration keine Zeit zu
verlieren.
Der Erwerb der deutschen Sprache zieht sich wie
ein roter Faden durch den gesamten Nationalen Integrationsplan. Denn nur wer die deutsche Sprache beherrscht, wird auch Zugang zu den Chancen und Möglichkeiten, die unser Land bietet, finden.
Sprache ist in diesem Zusammenhang mehr als nur
Kommunikation. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein
hat gesagt: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ Wir wollen helfen, dass diese Grenzen
überwunden werden können.
Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder von der
Grundschule an deutsch sprechen können, sodass sie
dem Unterricht wirklich folgen können. Das ist ein entscheidender Punkt im Nationalen Integrationsplan. Die
Länder haben sich zur Sprachförderung in den Kindergärten und zur flächendeckenden Durchführung von
Sprachstandstests verpflichtet. Gerade in diesen Tagen
geht Hessen als eines der großen Bundesländer diesen
wichtigen Schritt.
({5})
Für die Bundesregierung sind die Integrationskurse
das entscheidende Instrument, um die Sprachförderung
voranzubringen. Wir haben gesagt, dass wir die Integrationskurse verbessern wollen, und wir erfüllen dieses
Versprechen. Ich habe mich über die vielen Vorschläge,
die in den Nationalen Integrationsplan eingegangen sind,
gefreut. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die
daran aktiv mitgewirkt haben. Es gab viele Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Differenzierung nach
Zielgruppen, die Erhöhung der Stundenzahl und das Angebot von Kinderbetreuung, sodass auch Mütter davon
profitieren können. Die guten Vorschläge werden jetzt
zügig umgesetzt.
Die Integrationskursverordnung wird in Kürze auf
den Weg gebracht sein. Ich bin mir sicher, dass dann
auch die finanziellen Mittel vom Bundestag bereitgestellt werden. Es wäre gut, wenn wir die vorgesehenen
155 Millionen Euro zur Verfügung hätten.
Von Anfang an die deutsche Sprache zu fördern, bedeutet auch, dass wir endlich die Sprachlosigkeit der
Mütter überwinden müssen. Denn sie behindert in vielen
Fällen die notwendige Unterstützung der Kinder. Wir haben deshalb auch einen Paradigmenwechsel vollzogen.
Wir setzen nicht mehr nur auf nachholende Integration.
Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gehen wir in Richtung vorbereitende Integration. Es gab viel Kritik daran, dass schon im Herkunftsland erste Sprachkenntnisse
erworben werden sollen. Ich halte das für richtig; denn
die Frauen, die in unser Land kommen, müssen sich verständigen und teilhaben können. Sie dürfen nicht ausgeschlossen und unmündig bleiben. Deshalb sind die Weichenstellungen, die wir in Bezug auf den Erwerb der
deutschen Sprache schon im Herkunftsland vorgenommen haben, so wichtig.
({6})
Wir sind uns einig: Bildung ist der Schlüssel für Integration. Es gibt dazu eine Vielzahl von Maßnahmen im
Nationalen Integrationsplan. Wichtig ist, dass Schulen
sich besser auf viele Kinder aus Zuwanderungsfamilien
einstellen können. Wenn heute nicht mehr nur
30 Prozent der Kinder, sondern oft 70, 80 Prozent oder
mehr Kinder aus Zuwanderungsfamilien in einer Klasse
sind, bedeutet dies eine völlig andere Unterrichtssituation für Lehrerinnen und Lehrer.
Deshalb war es so wichtig, dass die Länder gesagt
haben: Wir wollen in den nächsten fünf Jahren dafür
sorgen, dass alle Lehrerinnen und Lehrer über Fortbildungsmaßnahmen die Möglichkeit haben, an Sprachförderungsmaßnahmen teilzunehmen, sodass sie nachher
im Unterricht wirklich diese Aufgabe leisten können,
dass in jedem Fach - nicht nur in Deutsch - Sprachförderung stattfindet und die Bildungschancen sich für Kinder verbessern; denn Bildungschancen dürfen in unserem Land keine Frage der Herkunft sein.
({7})
Was mich von Anfang an ganz besonders umgetrieben hat, war die Ausbildungssituation. Es ist doch ein
Alarmzeichen, wenn 40 Prozent der Jugendlichen ohne
jegliche berufliche Qualifizierung bleiben. Es muss uns
umtreiben, dass die Ausbildungsquote in den letzten Jahren gesunken ist, dass die Jugendlichen aus Zuwanderungsfamilien von der Verbesserung der Ausbildungssituation nicht so profitiert haben wie die deutschen
Jugendlichen.
Deshalb ist es so entscheidend, dass beim Ausbildungspakt das Thema Integration jetzt fest verankert ist.
Es ist hoch anzuerkennen, dass Unternehmer ausländischer Herkunft gesagt haben: Wir wollen 10 000 Ausbildungsplätze mehr zur Verfügung stellen. - Die Bundesregierung sorgt mit der Initiative „Aktiv für
Ausbildung“, dem Jobstarter-Programm und der Flankierung durch das Sonderprogramm EQJ dafür, dass die
Chancen besser werden.
Aber die Chancen müssen von den Jugendlichen und
ihren Familien auch ergriffen werden. Deshalb werbe ich
dafür, dass wir deutlich machen: Über Bildung und Ausbildung geht der Weg in eine gute Zukunft in unserem
Land. Wir wollen dies auch den Eltern vermitteln. Deshalb brauchen wir Brückenbauer, Brückenbauer, die in
den Familien - ob das die türkische Familie oder die italienische Familie ist - sagen: Schickt eure Kinder in den
Kindergarten! Unterstützt sie auf dem Weg in die Schule
und beim Übergang in die Ausbildung! - Wir wollen den
Eltern auch helfen, indem wir ein Netzwerk „Bildungspaten“ aufbauen.
Die Wirtschaft zieht mit. Wir haben die „Charta der
Vielfalt“ auf den Weg gebracht.
So haben wir vieles in den Nationalen Integrationsplan aufgenommen. Er ist mehr als die Summe der
400 Einzelmaßnahmen. Mit dem Nationalen Integrationsplan haben wir eine Aufbruchstimmung in unserem Land erzeugt. Wir wollen über neue Wege neue
Chancen geben. In dieser Woche gestaltet das ZDF eine
Woche der Integration mit dem Titel „Wohngemeinschaft Deutschland“. Das kann nicht bedeuten, dass es
ein Kommen und Gehen ist. Eine Wohngemeinschaft
muss auch Zusammenhalt bedeuten. Sie muss bedeuten,
füreinander einzustehen. Sie muss bedeuten, wechselseitig Verantwortung zu übernehmen.
({8})
Ich kann Ihnen zusichern: Wir werden nicht lockerlassen, wenn es um die Umsetzung all dessen geht, was
im Nationalen Integrationsplan steht. Nächstes Jahr im
Herbst wird Zwischenbilanz gezogen. Wir werden dafür
sorgen, dass aus dem Plan Wirklichkeit wird - für ein
gutes Zusammenleben in unserem Land, damit alle die
Chancen in diesem Land nutzen und an ihnen partizipieren können.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Laurischk
für FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den
Nationalen Integrationsplan haben wir in den vergangenen Monaten schon so manches gehört, aber heute wird
zum ersten Mal im Deutschen Bundestag darüber diskutiert. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass die
Bundesregierung sich des Themas annimmt. Wir sind
aber skeptisch, ob der Plan auch wirklich zu den Ergebnissen führen wird, die gewünscht sind und die Frau
Böhmer gerade vorgetragen hat. Daran wird der Erfolg
zu messen sein.
Zu den Problemen mit dem Thema Integration haben
wir alle selbst beigetragen - das sollten wir nicht vergessen -; denn wir haben lange die Tatsache, ein Einwanderungsland zu sein, geleugnet und ignoriert. Lange
herrschte die Fehlvorstellung, dass Ausländer wieder in
ihre Heimat zurückgehen und Zuwanderer mit deutscher
Staatsangehörigkeit ohnehin problemlos dazugehören.
Wir haben mangelhafte rechtliche Rahmenbedingungen
für Zuwanderung und Integration zu lange nicht wahrgenommen. Außerdem besteht das Problem mangelnder
Kommunikation zwischen der deutschen Gesellschaft
und den Zugewanderten.
Die FDP-Fraktion hält es insofern für sehr wichtig,
dass die Kommunikation mit den Akteuren, die den Integrationsplan aufgestellt haben, gesucht wird. Wir halten
es aber für schlecht, dass dies hinter verschlossenen Türen geschieht.
({0})
Das Thema Integration geht alle an und muss öffentlich
diskutiert werden. Für die FDP-Fraktion ist es inakzeptabel, dass die demokratische Vertretung des Souveräns in
diesem Land, der Deutsche Bundestag mit allen Fraktionen, zur Erstellung des Nationalen Integrationsplans
nicht eingeladen wurde.
Die Kanzlerin nennt in ihrem Vorwort zu diesem Plan
die Integration „eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit“,
welche „in Zusammenarbeit mit allen staatlichen Ebenen“ umgesetzt werden müsse. Ich frage Sie: Ist der
Deutsche Bundestag keine staatliche Ebene? Es gibt die
demokratische Tradition in diesem Land, dass politische
Entscheidungen von erheblicher Tragweite möglichst
fraktionsübergreifend geregelt werden. Die Probleme
der Integration werden Deutschland noch Jahrzehnte begleiten, egal welche Regierung dieses Land hat. Politische Einigkeit und damit Sicherheit für alle Bürger und
Bürgerinnen wären daher ein vornehmes Ziel von Regierungshandeln gewesen. Dieses wurde leider zugunsten
von Gipfeln mit Showeffekten vertan.
({1})
Führen wir es uns noch einmal vor Augen: Am
14. Juli 2006 wurde mit großem Medienauftrieb der
erste Integrationsgipfel abgehalten. Der Gipfel dauerte
drei Stunden, die Pressekonferenz dazu ungefähr eine
Stunde. Die Teilnehmer des Integrationsgipfels hatten
eine durchschnittliche Redezeit von knappen zweieinhalb Minuten. Dieser erste Gipfel, auf dem Migranten
kaum zu Wort kamen, dauerte gerade einmal doppelt so
lange wie die heutige Debatte.
({2})
Ist ein Integrationsgipfel also nur eine Abnickveranstaltung der Regierungspolitik ohne Beteiligung des Parlaments, und dient er leider hauptsächlich der Selbstdarstellung von Regierungspolitik mit hübscher Kulisse?
Frau Böhmer, in Ihrer Einleitung zum Integrationsplan stellen Sie zwei Leitlinien und zehn Themenfelder
vor, unter denen Bildung und Spracherwerb besondere
Bedeutung haben. Dies halten wir für gut und wichtig.
Wir haben als FDP-Fraktion ja auch den Antrag zur
deutschen Sprache als Schlüssel zur Integration vorgelegt. Der Erfolg des Integrationsplans wird ganz entscheidend davon abhängen, dass wir es schaffen, alle
jungen Menschen, schon die Kinder im Kindergarten,
zum deutschen Spracherwerb hinzuführen. Dies gilt
nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund; es gilt
immer mehr auch - dessen sollten wir uns bewusst sein für deutsche Kinder.
({3})
In den Details bleibt der Plan seltsam vage. Absichtserklärungen sind aufgereiht; die Realisierung der Themenfelder steht in den Sternen. Ich habe es bereits gesagt: Wir werden den Erfolg des Plans an den
Ergebnissen messen.
({4})
Angesichts der aktuellen Haushaltsdiskussion wird
jedoch deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit weiter
auseinanderklaffen. Das Familienministerium gibt bisher
66 Millionen Euro per annum für die „Integration junger
Zuwanderinnen und Zuwanderer“ aus. Dieser Titel
wurde um 58 Millionen Euro auf 8 Millionen Euro gekürzt. 44 Millionen Euro davon wurden in den Kinderund Jugendplan in einen neuen Integrationstitel verschoben. Es bleibt eine reale Kürzung um 14 Millionen Euro
für die Integration junger Menschen im Haushaltsjahr
2008. Ich finde, hier wird ein falsches Zeichen gesetzt.
({5})
Außerdem verkündet die Bundesregierung stolz, dass
im Finanzplanungszeitraum 750 Millionen Euro per annum für Maßnahmen der Integration zur Verfügung gestellt würden. Das soll beeindrucken. Prüft man die Zahlen jedoch nach, stellt man fest, dass der Bund künftig
keinen Cent mehr - keinen Cent mehr! - für Integration
ausgeben wird als bisher.
Meine Damen und Herren von der Koalition, solch
eine Effekthascherei ist unaufrichtig und beschämend.
Wenn Sie der Auffassung sind, dass die bisherigen Ausgaben des Bundes für Integration ausreichend sind, sagen Sie das und erwecken Sie nicht den Anschein, dass
der Bund demnächst mehr tun würde.
Frau Böhmer, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie
die im Zuwanderungsrecht bestehende Einschränkung in
Bezug auf Sprachtests für zuwandernde heiratswillige
Frauen für richtig halten. Ich hätte mir gewünscht, dass
Sie in dieser Debatte gerade nicht das Signal gegeben
hätten - Sie haben es heute wiederholt -, dass in dieser
Frage ein unterschiedliches Maß angesetzt wird. Wir
halten diese Regelung für verfassungswidrig; das haben
wir im Rahmen der Zuwanderungsdebatte deutlich gesagt.
Ich möchte darauf hinweisen, dass heute auch ein
Entschließungsantrag der Linken vorliegt, in dem, wie
ich meine, richtigerweise die Einrichtung eines unabhängigen Gremiums aus Vertretern aller Fraktionen vorgeschlagen wird, so wie wir für die Einrichtung einer
Enquete-Kommission zum Thema Integration werben. Allerdings steht in diesem Entschließungsantrag
auch die Forderung nach Einführung eines Mindestlohns. Ein solcher ist für die FDP nun wirklich nicht akzeptabel. Mit einem Taschenspielertrick werden wir
nicht dazu bewogen, über die Einführung eines Mindestlohns zu diskutieren.
({6})
Integration kann nur gelingen, wenn wir alle diese
Zielsetzung unbefangen annehmen und wechselweise
Wünsche und Erwartungen aussprechen und verstehen.
Integration erreicht man nicht durch Unterrichtung von
oben nach unten, sondern nur dann, wenn wir nicht mehr
ausgrenzen und abspalten. Integration geschieht, wenn
wir uns selbst nahe sind und die Angst vor Fremden ablegen. Integration ist möglich, wenn wir integriert handeln - im Deutschen Bundestag und mit allen Bürgern
und Bürgerinnen in diesem Land.
({7})
Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Rudolf Körper
für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als ob der Kollege Koschyk
es geahnt hätte: Ich wollte in der Tat mit einem Lob beginnen
({0})
und mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion insbesondere bei Staatsministerin Frau Maria Böhmer für die
gute Zusammenarbeit im Rahmen der Integrationsfragen
bedanken - nicht nur, weil sie aus Rheinland-Pfalz
kommt, sondern auch deswegen, weil sie eine wirklich
gute Zusammenarbeit praktiziert hat.
({1})
Daran anschließend möchte ich sagen: Die in diesem
Integrationsplan vorgesehenen Maßnahmen können nur
dann gelingen, wenn wir auf allen politischen Ebenen
- ob auf Bundes-, Länder- oder kommunaler Ebene - zusammenarbeiten und zu den vereinbarten Zielen stehen.
Angesichts der leeren Bundesratsbank zu meiner linken
Seite habe ich jedoch Bedenken, ob das Interesse auf der
Länderseite so groß ist, wie es dem Thema angemessen
wäre.
({2})
Die Situation der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten geht eigentlich auf das Jahr 1955 zurück, in dem die ersten ausländischen Arbeitnehmer
nach Deutschland gekommen sind. Im Jahre 1964 wurde
der einmillionste Arbeitnehmer bzw. Gastarbeiter - es
war ein Portugiese - begrüßt. Er bekam ein Begrüßungsgeschenk, ein kleines Moped.
Das Erreichen dieser Zahl wurde allseits als Grund
zum Feiern angesehen, bezeugte es doch die Stärke des
sogenannten Wirtschaftswunders durch den damit einhergehenden Bedarf an Arbeitskräften. Die Freude bezog sich also durchaus auch auf uns selbst. Den Beteiligten war damals nicht so sehr bewusst, was Max Frisch
auf den Punkt bringen sollte:
Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.
Es kamen Menschen - so muss man hinzufügen -, die
sich selbst nicht bloß als Gastarbeiter betrachteten, sondern als Menschen mit eigenen Bedürfnissen und einer
eigenen Lebensplanung.
Beispielsweise gab es im Jahr 1969 zum ersten Mal
einen Bericht der Bundesanstalt für Arbeit, der Zahlen
zur Lage ausländischer Arbeiter in der Bundesrepublik
Deutschland enthielt.
Meine Damen und Herren, der Begriff des „Gastarbeiters“ war eine Abwandlung des älteren Begriffes des
„Saisonarbeiters“. Der gemeinsame Hintergrund beider
Begriffe ist die zeitliche Begrenzung des Arbeitsaufenthaltes, die wie selbstverständlich erwartet wurde.
Die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltes in
Deutschland wurde im Übrigen nicht nur stillschweigend erwartet, nein, sie wurde vielmehr in den Anwerbeabkommen der ersten Zeit rechtlich verankert. Es war im
Grunde genommen ein sogenanntes Rotationsprinzip
vorgesehen. Es kamen viele Gastarbeiter zwischen 1955
und 1973.
Auch in der DDR wurden solche Arbeitskräfte aus
dem Ausland angeworben. Man nannte sie „Vertragsarbeiter“. Sie kamen aus bestimmten Ländern, und ihr
Aufenthalt war äußerst restriktiv geregelt. Ein Familiennachzug beispielsweise war nicht möglich.
Meine Damen und Herren, seit den 50er-Jahren sind
Millionen von Menschen mit unterschiedlichen Motiven
zu uns gekommen. Darum haben mittlerweile
15 Millionen Menschen in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund.
Mit Blick auf diesen Teil unserer Bevölkerung gibt es
ein paar Entwicklungen, die uns Sorge machen müssen.
Der Anteil derjenigen zwischen 25 und 35 Jahren, die
über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen,
liegt bei den Personen mit Migrationshintergrund bei
41 Prozent. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand.
({3})
- Das sagen wir gleich. - Die Ausbildungsquote bei den
jugendlichen Ausländern ist leider rückläufig. Auch das
ist nicht hinnehmbar.
Eine pragmatische Lösung dieser Probleme, die es
nicht erst seit kurzem gibt, ist leider dadurch ein Stück
verzögert worden, dass lange Zeit in einem bestimmten
politischen Raum nicht anerkannt worden ist, dass
Deutschland eigentlich ein Einwanderungsland ist.
({4})
Mit diesem Problem haben wir zu kämpfen.
({5})
Die politische Debatte - lieber Herr Grindel, ich bin
dieser Auffassung - wurde nach meinem Dafürhalten
lange Zeit mit unnötigem ideologischen Ballast befrachtet, der uns nicht weitergebracht hat. Ich finde, dass wir
hier glücklicherweise auf einem besseren Weg sind.
({6})
Ich begrüße ausdrücklich, dass wir einen Integrationsgipfel initiiert haben - die SPD-Bundestagsfraktion hat
sich da aktiv eingebracht -, dessen Ergebnis wir jetzt in
Form des nationalen Aktionsplans sehen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns da aber
ein Stück in die Selbstverpflichtung nehmen, damit die
gut gemeinten Maßnahmen dann nicht nur in diesem Integrationsplan aufgeschrieben werden.
({7})
Vielmehr müssen sie auch umgesetzt werden. Es ist richtig, dass wir dies angehen.
Ich wünsche mir, dass wir uns als Parlament an dem
notwendigen Kontrollprozess aktiv beteiligen können.
Ich will mich insbesondere bei den Kollegen Bürsch und
Veit bedanken, die sich hier aktiv eingebracht haben.
Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass Sprache und
Sprachvermittlung eine ganz wichtige Brücke für das
Gelingen der Integration darstellen. Deswegen ist es
richtig, darauf den Schwerpunkt zu setzen.
Es wäre auch gut, wenn wir bei den Haushaltsberatungen erreichen könnten, dass auf die 155 Millionen
Euro noch etwas draufgepackt wird, um die Sprachkurse
noch ein Stück effektiver zu machen.
({8})
Was ist darüber hinaus zu tun? Ein weiterer wichtiger
Punkt ist das Thema Bildung. Wir brauchen nicht nur
eine qualifizierte Zuwanderung, sondern auch eine Qualifizierung der bereits hier lebenden Migrantinnen und
Migranten. Daher ist es richtig und wichtig, auf die Themen Bildung und berufliche Ausbildung besonderes
Augenmerk zu legen. Damit komme ich zu den Ländern.
Die Länder sind für Bildung und berufliche Ausbildung
weitgehend zuständig. Man kann nur hoffen, dass sie
diese Forderungen und Maßnahmen durch aktive Politik
unterstützen.
({9})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich will noch
auf wenige Punkte zu sprechen kommen, die nach meinem Dafürhalten über diesen Nationalen Integrationsplan hinausreichen und über die wir miteinander diskutieren müssen:
Erstens. Die Einbürgerung ist aus unserer Sicht nicht
der Abschluss der Integration, sondern eine wichtige Voraussetzung für ihr Gelingen. Erst die Einbürgerung
macht die volle gesellschaftliche und politische Teilhabe
möglich. Deshalb sollten wir die Einbürgerungsbedingungen überprüfen und in der Praxis zu Erleichterungen
kommen.
({10})
Zweitens. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die lange
in Deutschland leben, sollten aus den gleichen Gründen
das kommunale Wahlrecht erhalten.
({11})
Drittens. Wir müssen eine den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes und den Bedürfnissen unserer Gesellschaft
angepasste, also eine herausforderungsgerechte Zuwanderungspolitik entwerfen.
Viertens sollten wir uns noch einmal - ich weiß, dass
der eine oder andere darin ein Steckenpferd von Rüdiger
Veit oder mir sieht - dem § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes zuwenden und ihn so ausgestalten, dass das Kindeswohl bei der Entscheidung über eine Aufenthaltserlaubnis stärker in den Vordergrund gerückt wird. Auch
das ist eine Maßnahme, die wir angehen wollen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({12})
Ich erteile nun das Wort der Kollegin Sevim Dağdelen
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Eigentlich hätten der Nationale Integrationsplan
und die zwei Integrationsgipfel zu einschneidenden Ereignissen in der Geschichte bundesdeutscher Migrationsund Integrationspolitik werden können; denn zum ersten
Mal setzte sich die Politik auf höchster Ebene gemeinsam mit Vertretern von Migranten und Verbänden mit
Fragen der Migration und Integration auseinander. Sie
waren wichtige, nötige und seit langem überfällige Initiativen von hohem Symbolwert.
Die Anerkennung von Migrantenorganisationen als
Gesprächspartner auf höchster Ebene sollte dies verdeutlichen. Viele erhofften sich davon einen politischen und
gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Doch nun ist
die Enttäuschung groß. Der Nationale Integrationsplan
kann keinen nennenswerten Beitrag dazu leisten, die Migrations- und Integrationspolitik zu modernisieren, er ist
nicht geeignet, die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teilhabe aller in unserem Land lebenden Menschen zu
schaffen.
({0})
Das liegt schlicht daran, dass Symbole allein nichts
nützen. Die im Plan enthaltenen unverbindlichen
Absichtserklärungen sind ungeeignet, die vielen Benachteiligungen und Diskriminierungen in der Sozial-,
Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik abzuschaffen, unter
denen Migranten besonders leiden.
Für die Linke steht der Mensch als Maß aller Dinge
im Vordergrund und nicht seine Nützlichkeit im wirtschaftlichen Sinne.
({1})
Deshalb sieht für uns eine wirkungsvolle Integrationspolitik anders aus. Eine gute Integrationspolitik ist zugleich
eine gerechte Sozialpolitik für alle in diesem Land lebenden Menschen.
({2})
Mehr und bessere Sprach- und Integrationskurse sind
sehr wohl wichtige Schritte. Sie allein werden die Migranten aber nicht vor den Hartz-Gesetzen, Arbeitsverboten und sozialen Benachteiligungen im Bildungssystem schützen.
({3})
Diese Benachteiligungen und Diskriminierungen sind
nicht die Folge unzureichender Integration der Betroffenen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Benachteiligungen
und Diskriminierungen sind es, die den Betroffenen ihre
Integration tagtäglich erschweren.
Wie kann es sein, dass wir in Ihrer Analyse der Rahmenbedingungen für die Integrationspolitik kein Wort über
diese Diskriminierungen lesen? Wir finden kein Wort über
Rassismus und Diskriminierungen in allen Bereichen der
Gesellschaft wie Beruf, Schule, Politik und Privatleben,
kein Wort über diskriminierende, ausgrenzende Gesetze
und Regelungen wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die
sogenannte Residenzpflicht, faktische Ausbildungs- und
Arbeitsverbote, kein Wort über den weitgehenden Ausschluss von der Teilnahme an Wahlen und der damit verweigerten politischen Teilhabe in einem zentralen
Demokratiebereich, kein Wort über die erschwerten Einbürgerungsregelungen, die Migranten sehr lange im Zustand der grundlegenden Ungleichbehandlung und minderer Rechte belassen, und kein Wort über ein sozial
höchst selektives und Ungleichheiten verfestigendes
dreigliedriges Schulsystem.
Bei Ihnen ergibt sich der Eindruck, als wurzele die
unzureichende Integration im Unvermögen und im Unwillen der zu Integrierenden. Sie reduzieren das Problem
weitgehend auf mangelnde Deutschkenntnisse von Migranten, denen eine Bringschuld unterstellt wird. Die
Mehrheitsgesellschaft habe lediglich die Aufgabe, sie
dabei zu fördern und zu fordern. Doch während beim Fordern im Rahmen der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes knallharte gesetzliche Fakten geschaffen wurden,
bleibt es beim Fördern im Nationalen Integrationsplan bei
Handlungsempfehlungen und Absichtserklärungen. Wissen Sie, das erinnert mich irgendwie an Hartz IV und die
Sozialpolitik der letzten Jahre. Beim Fordern - Zwang
und Ausbeutung - war die Politik sehr effizient und erfolgreich, beim Fördern blieb es bei wohlfeilen Erklärungen.
({4})
Über aufenthaltsrechtliche Aspekte durfte auf dem
Gipfel überhaupt nicht diskutiert werden. Dafür gab es in
den Arbeitsgruppen überhaupt kein Mandat. Von Anfang
an war klar: Während die Bundesregierung mit den Organisationen und Verbänden in Arbeitsgruppen symbolhaft
über Integration debattierte, stellte sie im Bundestag mit
den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die
ganz unsymbolischen Weichen für die zukünftige hässliche und harte Integrationspolitik, für das, was auch Sie,
Frau Böhmer, unter den neuen Paradigmenwechseln verstehen: Sanktionen statt Angebote, Ausweitung von Abschiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe
in Grundrechte statt Ausbau von Rechten.
({5})
Ich sagte vor ein paar Minuten, dass Symbole keine
notwendigen Schritte ersetzen. Besonders schlimm ist es
aber, wenn das Symbolhafte die wirklichen Absichten
nicht nur zu ersetzen versucht, sondern auch versucht,
von ihnen abzulenken. Das Gesetzgebungsprojekt der
Bundesregierung steht nicht versehentlich in einem krassen Widerspruch zu den Absichtserklärungen im Vorfeld
des Gipfels und zum Plan selbst. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es nie um tatsächliche Mitbestimmung und
Teilhabe ging. Migranten und deren Organisationen sollten sich als Feigenblatt für eine in Wahrheit integrationsfeindliche Politik hergeben. Die Bundesregierung hat genau jene Themen ausgeklammert, die für die Migranten
wichtig waren. Wie sonst erklären Sie sich, dass zahlreiche Verbände den Gipfel boykottiert haben?
({6})
Das war in letzter Konsequenz sehr verständlich.
Symbole ersetzen nicht die Tat. Symbole werden
missbraucht, wenn sie von Taten ablenken sollen, die zu
erklärten Zielen in Widerspruch stehen. Wer von dem Ziel
der Integration redet, darf über rechtliche und soziale
Gleichstellung nicht schweigen. Lassen Sie mich kurz
auflisten, worüber Sie lieber geschwiegen haben: Migranten werden seit Jahrzehnten demokratische Rechte
der Mitbestimmung vorenthalten. Es wird verhindert,
dass sie sich an der Bildung eines demokratischen Mehrheitswillens beteiligen und mit gestalten können. Die
Linke will diese Integrationshemmnisse beseitigen.
Deshalb fordern wir die erleichterte Einbürgerung. Aber
auch für Menschen, die keinen deutschen Pass haben,
müssen Grund-, Bürger- und Menschenrechte gelten.
({7})
Die Linke will, dass politische Rechte dort gewährleistet werden, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen
ist. Deshalb muss mindestens das kommunale Wahlrecht
für Nicht-EU-Bürger eingeführt werden. Die Linke fordert strukturelle Veränderungen im Kinderbetreuungsund Bildungssystem, um die Lern- und Bildungschancen
von Migranten zu verbessern; das heißt, statt des dreigliedrigen Schulsystems die Einführung eines flächenund bedarfsgerechten ganztägigen Schulangebots.
({8})
Veränderungen bedarf es auch bei der Ausbildung.
Statt ausländische Unternehmer, wie Frau Böhmer das
dargestellt hat, immer wieder aufzurufen, jugendliche
Migranten auszubilden, fordert Die Linke, alle Unternehmen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes in die Verantwortung zu nehmen und eine gesetzliche
Ausbildungsplatzumlage einzuführen, um allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen.
Darüber hinaus fordern wir, ausländische Abschlüsse
von Migranten leichter anzuerkennen. Denn sonst rauben wir diesen Menschen ihre biografischen Leistungen.
Ganz besonders fordern wir die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, weil gerade Migranten überdurchschnittlich
stark im Niedriglohnbereich ausgebeutet werden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie die Integration
von Menschen wollen, dann müssen Sie dafür die Rahmenbedingungen schaffen. Nur so erreichen wir die
dringend erforderliche Förderung und Stärkung der bereits laufenden und bestehenden eigenständigen Integrationsdynamik. Sie würden bemerken, dass sich alle vermeintlichen Probleme fast von selbst erledigten.
Am deutlichsten macht sich dies bei der Sprache bemerkbar. Wenn ich heute von dieser Stelle und an diesem
Ort zu Ihnen spreche, dann doch nicht deswegen, weil
man mich in Sprachkurse gesteckt hätte. Sprache ist
Herzenssache.
({9})
Ich selbst und jede Frau und jeder Mann werden so
sprechen, wie es ihnen das jeweilige Lebensumfeld ermöglicht.
Frau Kollegin, Sie denken bitte an Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss.
Sprache ist nicht die erste Voraussetzung für Integration, sondern vor allem ihre tägliche Folge.
Abschließend eine kurze persönliche Bemerkung. Als
meine Eltern vor 35 Jahren in Deutschland ihr Zuhause
fanden, war es nicht der Zwang, der Druck, der uns zum
Teil der hiesigen Gesellschaft machte. Vielmehr hat man
gegen Schwierigkeiten und Hindernisse gekämpft, um
diese zu überwinden.
Sorgen Sie sich um die Teilhabe und die soziale Gerechtigkeit für Migranten, für deutsche Staatsbürger, für
Arbeitnehmer, für Frauen und für Kinder, also für alle
Menschen in diesem Land! Und Sie werden erleben,
dass eine gerechte Gesellschaft ohne Ausgrenzungen,
ohne Gräben zwischen den Menschen auskommt.
Danke sehr.
({0})
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Renate Künast ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Böhmer, ich weiß nicht, ob es Ihrerseits Chuzpe
oder Naivität war, die Sie uns hier vorgeführt haben, als
Sie den Nationalen Integrationsplan vorgestellt haben.
Sie haben darüber geredet, dass der 14. Juli des letzten
Jahres ein historisches Datum gewesen sei, weil an diesem Tage der Integrationsgipfel stattgefunden und man
sich große Dinge vorgenommen habe. Sie haben in einem
Punkt recht: Es war gut, dass man hochrangig angefangen hat. Es war gut, dass sich Vertreter der Ebenen Bund,
Länder und Kommunen, des öffentlichen Lebens und der
NGOs zusammengesetzt haben. Sie haben an einer Stelle
allerdings nicht recht: Dies ist kein historisches Datum.
Denn dabei - das sage ich Ihnen klipp und klar - ist wenig bzw. fast gar nichts herausgekommen.
({0})
Frau Böhmer, nicht mehr als Absichtserklärungen ist
dabei herausgekommen. Schauen wir es uns einmal an!
Man hat in großem Stile angefangen, und es gab viele
Teilnehmer, aber als Erstes wurden die Mitglieder des
Deutschen Bundestages aus den Arbeitsgruppen ausgeladen.
({1})
- Doch, das stimmt schon, meine Damen und Herren!
({2})
- Ja, vielleicht durften Sie weitermachen, aber andere
wurden ausgeladen, Herr Grindel.
({3})
- Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es im O-Ton im Ohr.
Hier wird auf hohem Ross geritten, und am Ende
kommt - jetzt muss ich einmal vier Punkte nennen - wenig heraus.
Erstens kommen 134 Selbstverpflichtungen der
Bundesregierung heraus, bei denen es allein um die
Fortführung von Maßnahmen der Vorgängerregierung
geht. Mit denen schmücken Sie sich allerdings hier. Es
ist also bedeutend weniger.
Es ist ein klarer Fall von Selbstbeweihräucherung: Es
sind lauter Kurse, die Sie früher bekämpft haben. Beispielhaft nenne ich den Integrationskurs, das Programm
„Soziale Stadt“, Ganztagsschulprogramme, EQUAL,
Xenos und KAUSA. Meine Herren von der CDU, all
diese Programme laufen und hätten von den CDU-Ländern von Anfang an viel besser gefördert werden können. Dann hätten Sie sie heute nicht noch einmal als neu
verkaufen müssen.
({4})
Zweitens. Nun wird über eine Charta der Vielfalt und
Ähnliches geredet. Sie können viele Chartas verfassen,
aber es reicht nicht, am Ende nur blumige Absichtserklärungen zu machen. Das sieht geradezu putzig aus.
Ich glaube, dass der CDU-Integrationsminister aus
NRW vollkommen recht hat. Ich möchte ihn zitieren, weil
man es treffender nicht sagen kann. Er hat gesagt: All
diese blumigen Absichtserklärungen und Selbstverpflichtungen entziehen sich jeder Evaluierung und unterliegen
keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle. - Meine
Damen und Herren, Programme, von denen man weiß,
dass man ihren Erfolg nicht kontrollieren kann, kann
auch ich schreiben. Sie bringen aber nichts.
({5})
Drittens. Der Integrationsgipfel hat einen zentralen
Fehler - darauf haben auch andere schon hingewiesen -:
Für die Konservativen endet Integration immer dann,
wenn es darum geht, den Migrantinnen und Migranten
Rechte zu geben;
({6})
das hat meine Vorrednerin bereits angesprochen. In Ihrem gesamten Integrationsplan wird der Zusammenhang
zwischen Integration und Rechtssicherheit für die Betroffenen überhaupt nicht erwähnt. Dieser Zusammenhang ist im wahrsten Sinne des Wortes komplett „ausgebürgert“.
({7})
Wo steht denn etwas zum Einbürgerungsrecht? Wo
steht denn etwas zur Erweiterung der Teilhaberechte?
Wir kämpfen seit sehr vielen Jahren für die Einführung
eines kommunalen Wahlrechts für Migranten. Sie wollen,
dass sich die Menschen integrieren und ihren Lebensmittelpunkt hierher verlagern. Ich frage Sie: Warum erhalten diese Menschen nicht einmal das Wahlrecht auf
kommunaler Ebene, um dort teilhaben und mit organisieren zu können?
({8})
Integration auf kommunaler Ebene heißt: mit die Verantwortung für das Geldausgeben zu haben. Dabei geht
es auch um die Fragen: Wie spricht man die Menschen,
auch die in den Problemstadtteilen, an? Wie schafft man
dort Frieden, und wie sorgt man für ein Miteinander?
Wie engagiert man sich für mehr Bildung? Wie schafft
man es, die Communities dazu zu bewegen, miteinander
zu reden, zu feiern und gemeinsam Deutsch zu lernen? Vor
den Antworten auf diese Fragen haben Sie sich komplett
gedrückt. Der Wille und die Fähigkeit zur Integration
sind ohne sicheres Aufenthaltsrecht und ohne rechtliche
Teilhabe aber nicht zu erwarten.
Am Beispiel der Rütli-Schule wurde es ja deutlich.
Die jungen Männer sagen: Ich? Schulabschluss? Wozu
denn? Ich kriege doch nachher sowieso keine Lehrstelle. - Denn ganze Familienkohorten müssen sich von kurRenate Künast
zer Duldung zu kurzer Duldung hangeln. Frau Böhmer,
vor diesen Problemen haben Sie sich bei der Erarbeitung
Ihres Nationalen Integrationsplans gedrückt. Deshalb ist
er nicht als historisch zu bezeichnen.
({9})
- Auch Sie werden das irgendwann verstehen; so lange
begründen wir das,
({10})
meine Herren von der CDU.
({11})
- Es ist gut, dass Sie diesen Zuruf gemacht haben. Ich
wollte mich aber ganz besonders auf die Herren von der
CDU fokussieren.
({12})
- Auch auf die CSU? Dann wird es ja noch doller.
Viertens. Frau Böhmer, ich finde, wenn Sie schon die
Vergangenheit ansprechen, wäre ein wenig Demut angebracht gewesen. Man darf nicht nur von den Migrantinnen
und Migranten mehr Engagement verlangen; vielmehr
muss auch die aufnehmende Gesellschaft ein kritisches
Wort über sich selbst sagen.
({13})
Es waren nämlich die Ministerpräsidenten von der CDU,
die viele Jahre lang dagegen gekämpft haben, dass die
Kosten der Sprachkurse übernommen werden.
({14})
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mir Vertreter der CDU in Kreuzberg vor 20 Jahren gesagt haben:
Was? Das sollen wir noch bezahlen? Kommt gar nicht in
die Tüte! - Lassen wir das Thema Sprachkurse jetzt aber
beiseite.
Ich möchte noch auf die Situation der Frauen eingehen.
Sie müssen sich aber ein bisschen beeilen.
({0})
Ja. Ich beeile mich, Herr Präsident. - Die CDU hat an
dieser Stelle immer gegen die Interessen der Migrantinnen
gekämpft, wenn es um ihre körperliche Unversehrtheit
ging; so klar muss man das sagen.
({0})
Sie haben die Einführung des humanitären Aufenthaltsrechts für ausländische Ehegattinnen abgelehnt, Sie haben
beim Zuwanderungsgesetz bis zum Schluss gegen die
Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe gekämpft, und jetzt setzen Sie beim Thema Zwangsehen
die frauenfeindliche Linie fort.
({1})
Obwohl alle Experten - von Terre des Femmes bis
PAPATYA - darauf aufmerksam machen, dass die
Frauen ein eigenes Aufenthaltsrecht brauchen, ducken
Sie sich weg. Ich kann Ihnen, Frau Böhmer, nicht ersparen, darauf hinzuweisen: Wenn Sie das Aufenthaltsrecht
anders organisiert hätten, dann wäre Sazan Bajez-Abdullah
im Oktober 2005 in München nicht ermordet worden.
Sie hatte nämlich kein eigenständiges humanitäres Aufenthaltsrecht. Sie hatte in einem bestimmten Bezirk eine
Residenzpflicht. Sie konnte sich nicht im Münchener
Frauenhaus aufhalten, weil es die „falsche“ Adresse
hatte. Diesen Umstand hat ihr geschiedener Ehemann zu
einem sogenannten Ehrenmord genutzt. Meine Damen
und Herren, würde man endlich ein Aufenthaltsrecht für
diese Frauen schaffen, würde sich zeigen, dass man Integration will.
({2})
Frau Böhmer, wenn ich Ihre Leistungen mit denen all
Ihrer Vorgängerinnen - damals wurden sie noch „Ausländerbeauftragte“ genannt - vergleiche, muss ich sagen:
Sie sind die schlechteste Integrationsbeauftragte, die die
Bundesrepublik je hatte.
({3})
Ich würde mir von Ihnen wünschen, dass Sie für die
Frauen kämpfen und sich für die Perspektive einer Einbürgerung einsetzen. Dann müssen Sie auch von der aufnehmenden Gesellschaft etwas fordern, dann müssen Sie
rechtlich normieren - Bildung, Sprache, Arbeit, Einbürgerung, kommunales Wahlrecht und Teilhabe - und den
Islam europäisieren. Nichts davon haben Sie getan.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Künast, aus Ihren Worten hat man ganz klar erkennen können: Sie können es nicht verwinden, dass unter
dieser Bundesregierung das Thema Integration
({0})
endlich dort angekommen ist, wo es hingehört,
({1})
nämlich ins Bundeskanzleramt,
({2})
mit einer Staatsministerin für Migration und Integration,
also ganz oben auf die Prioritätenliste der Politik.
Gerade Sie, die Grünen, haben bei diesem Thema in
sieben Jahren Rot-Grün immer nur den Mund gespitzt wir pfeifen jetzt. Was die Integrationsbeauftragten der
grünen Partei in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung
an Vorschlägen unterbreitet haben, hat bei der Integration in unser Land nicht weitergeführt. Ich verweise nur
auf den Vorschlag von Frau Beck, den Islam in Deutschland kirchenrechtlich anzuerkennen. Das sind Vorschläge, die nicht weitergeführt haben.
Wir packen das Thema an. Die CDU/CSU-Fraktion
ist der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie durch zwei Integrationsgipfel dieses Thema zu einem Topthema der
deutschen Politik gemacht hat. Unsere Staatsministerin
Maria Böhmer leistet hervorragende Arbeit
({3})
und sorgt dafür, dass bei diesem Thema nicht nur geredet, sondern gehandelt wird.
Ich rate Ihnen, Frau Künast: Kommen Sie aus der
Schmollecke heraus! Beteiligen Sie sich an der Diskussion über dieses Thema und verzichten Sie auf überflüssige Polemik! Die ist diesem Thema nicht angemessen.
({4})
Es war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den
Nationalen Integrationsgipfel und den Nationalen Integrationsplan vorgeschlagen hat. Wir freuen uns, dass
diese Anregung so schnell und erfolgreich aufgegriffen
wurde. Frau Staatsministerin Böhmer hat davon gesprochen, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat:
({5})
Es wird nicht über die, sondern es wird mit den Migranten gesprochen. Es ist unsere Überzeugung: Zuwanderung muss gewollt sein - von der Aufnahmegesellschaft,
aber auch von den Zuwanderern selbst. Bund, Länder
und Gemeinden - das ist das Historische, auf das Frau
Böhmer hingewiesen hat - haben erstmals in der Geschichte unseres Landes circa 400 Selbstverpflichtungen
übernommen. Dass Integration keine Aufgabe ist, die
nur den Bund etwas angeht, und keine Aufgabe, die nur
die Länder etwas angeht, sondern auch eine kommunale
Aufgabe, zeigt das Beispiel der bayerischen Großstadt
Augsburg.
({6})
So hat mein Kollege Ruck zu Recht darauf hingewiesen,
dass 2007 in dieser bayerischen Großstadt erstmals mehr
Kinder mit Migrationshintergrund eingeschult worden
sind als einheimische Kinder. Das zeigt: Mit dem Thema
Integration muss sich schon die kommunale Ebene beschäftigen, und das muss über die Länder und den Bund
bis auf die europäische Ebene gehen.
({7})
Heute sagt jeder in Deutschland: Sprache ist der
Schlüssel zur Integration, und wer auf Dauer in Deutschland leben will, muss Deutsch sprechen. Frau Künast,
das ist ein Satz, der vor zehn Jahren in Deutschland
keine Selbstverständlichkeit war. Heute ist er es. Dass er
das ist, ist auch dem beharrlichen Bemühen unserer
Fraktion zu verdanken.
({8})
Liebe Frau Künast, an Ihren Worten hat man eines
deutlich gemerkt: Sie müssen böse sein und ein Stück
weit dagegen ankämpfen, weil die Mehrheit der Deutschen heute begriffen hat, dass das, was Sie lange Zeit
unter Integration verstanden haben - wovon die Grünen
in ihrem letzten Integrationspapier dankenswerterweise
Abstand genommen haben -,
({9})
nämlich Multikultiseligkeiten, ausgeträumt ist und ein
solcher Weg nicht weiterführt.
({10})
Ich will Ihnen etwas zum Thema Frauen sagen. Stellen Sie sich doch an unsere Seite! Wir wollen, dass
Schluss ist mit der Gleichgültigkeit bei Verstößen gegen
die Gleichberechtigung. Das gilt im Kleinen - wenn
Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen dürfen -,
und das gilt im Großen: Wir wollen mit allen, auch mit
rechtlichen Mitteln die Zwangsverheiratung bekämpfen.
Wir wären dankbar, wenn auch die Grünen bereit wären,
einen Beitrag zu einer Initiative für eine wirkliche
rechtsstaatliche Bekämpfung von Zwangsverheiratung
und gegen arrangierte Ehen zu leisten. Da spitzen Sie
immer nur den Mund, während wir pfeifen.
({11})
Natürlich ist Integration auch ein Thema, das ein weites Feld für bürgerschaftliches Engagement bietet. Gerade mit dem Sport verbinden sich große Chancen für
mehr Integration der Menschen in Deutschland. Das gilt
für den Spitzensport; das gilt aber auch für den Breitensport. Wir freuen uns, wenn Gerald Asamoah und David
Odonkor erfolgreich in unserer Nationalmannschaft stürmen, aber ich sage auch sehr bewusst: Kein Platz in einer deutschen Auswahlmannschaft sollte für einen Nationalspieler sein, der nicht spielen will, wenn ein Spiel
in Israel ansteht. Das nicht hinzunehmen, ist auch ein
Beitrag zur Integration in Deutschland.
({12})
Herr Kollege Koschyk, möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen? - Nein.
Klare Werte und klare Worte im Dialog - das ist der
richtige Weg zur Integration.
({0})
Ich sage für unsere Fraktion sehr deutlich: Es ist gut
und richtig, dass diese Bundesregierung mit Wolfgang
Schäuble - neben dem Integrationsplan und dem Integrationsgipfel - auch eine Islamkonferenz einberufen
hat;
({1})
denn Verständnis kann nur wachsen, wenn im Dialog der
Religionen in Deutschland auch kritische Fragen gestellt
werden.
Wir danken den Kirchen, dass sie diesen schwierigen
Weg mutig und entschlossen gehen. Durch die Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ des Rats der
Evangelischen Kirche in Deutschland werden wichtige
Anstöße für einen aufrichtigen und zielführenden Dialog
zwischen Muslimen und Christen gegeben. Die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. zum Verhältnis
von Religion und Gewalt war ebenso bemerkenswert
wie die Reaktion von 30 führenden muslimischen Geistlichen aus aller Welt.
Ein ganz wichtiges Feld der Integration ist das Erwerbsleben; denn es ist keine Frage: Wer Teilhabe an
beruflicher Bildung und Ausbildung sowie an beruflichen Chancen hat, dem fällt Integration leichter. Wir
wollen durch die gezielte Integration gerade auch im Erwerbsleben dafür sorgen, dass diejenigen, die in unser
Land kommen, unabhängig von staatlicher Unterstützung werden. Deshalb ist es richtig, Zuwanderung in unsere Sozialsysteme durch gezielte Integration zu unterbinden.
Der Integration durch gleichberechtigte Beteiligung
der Zuwanderer in den Betrieben, in den Sozialversicherungen, in der Wirtschaft und in den Gewerkschaften verdanken wir die meisten Erfolge hinsichtlich eines guten
Zusammenlebens in Deutschland. Frau Staatsministerin
Böhmer, ich bedanke mich, dass Sie auch mit Unternehmerpersönlichkeiten mit Integrationshintergrund, mit
jungen Leuten, die Auswahlstipendien erhalten, und mit
wichtigen Partnern im Ausland einen Dialog führen. Ich
will nur an eine von Ihnen organisierte Konferenz erinnern, auf der die Bundeskanzlerin mit Bill Gates darüber
gesprochen hat, was wir von Amerika lernen können.
Lieber Reinhard Grindel, wir waren ebenfalls auf dieser Konferenz. Für uns war es sehr interessant, dass Bill
Gates deutlich gemacht hat, dass auch die USA, die sich
als ein klassisches Einwanderungsland verstehen, im Bereich der Zuwanderung von unqualifizierten und nicht an
Bildung teilhabenden Zuwanderern dieselben, wenn
nicht sogar größere Probleme als wir in Deutschland haben. Deshalb sage ich: Wir als Parlament werden dafür
sorgen, dass die Verpflichtungen, die der Bund gemäß
dem Nationalen Integrationsplan übernommen hat, auch
umgesetzt werden.
Ich möchte dem Kollegen Grindel herzlich dafür danken, dass er ein ganz wichtiges Thema für unsere Fraktion betreut, nämlich das Thema Integrationskurse. Ich
meine, Integration ist dann gelungen, wenn sich die Menschen in Deutschland heimisch fühlen. Das darf nicht die
Aufgabe der eigenen Wurzeln bedeuten. Dies wäre Assimilation. Das muss aber die Bereitschaft bedeuten, unsere Sprache zu sprechen, unsere Verfassungs- und
Rechtsordnung auch innerlich anzunehmen, sie gegen
Bedrohungen zu verteidigen und sich für die gewachsenen Traditionen unseres Landes innerlich zu öffnen, so
wie sich auch Deutschland immer für die mitgebrachten
Traditionen von Zuwanderern geöffnet hat und weiter
öffnen wird.
Herzlichen Dank.
({2})
Hartfrid Wolff ist der nächste Redner für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland hätte schon früher der Frage einer offensiven Integrationspolitik mehr Aufmerksamkeit widmen sollen.
({0})
Frau Künast, auch das müssen Sie sich vorhalten lassen.
Aber es ist gut, dass es nun begonnen wurde. Es ist dringend überfällig, dass sich die Gesellschaft über die
Grundlagen ihres Zusammenlebens Gedanken macht.
Die Mehrheitsgesellschaft stellt an Zuwanderer bestimmte Anforderungen, und der Bundestag als Gesetzgeber ist gut beraten, diese Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger auch angemessen zu berücksichtigen.
({1})
Integration ist ein stetiger Dialog und kann nur bei
klarer Definition der Perspektiven geführt werden. Ich
halte es für nicht richtig, wenn bestimmte Kreise so tun,
als wären die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes an Zuwanderer nur Stammtischgeschwätz oder Islamphobie. Fraglos gibt es solche Probleme; aber jede kritische Anmerkung zum Integrationserfolg unserer Zuwanderer in solche Kategorien
einzusortieren, berücksichtigt zu wenig die Beidseitigkeit der Integration.
Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber
hat dankenswerterweise solche Kritik artikuliert, als er
eine Debatte über Moscheebauten in Deutschland angestoßen hat. Die Befürchtungen, die Huber äußerte, sollten
Hartfrid Wolff ({2})
nicht einfach als islamfeindlich abgetan werden, sondern
zum Nachdenken darüber anregen, wie die Akzeptanz eines verfassungstreuen Islam in Deutschland verbessert
werden kann. Der Anspruch auf öffentliche Religionsausübung in würdigen Moscheen ist berechtigt. Bauten aber,
die als Machtanspruch empfunden werden können, sind
dafür kaum nötig. Auch Forderungen an Moscheevereine
nach Öffnung, nach Kommunikation von Zielen und Veranstaltungen in deutscher Sprache, nach Achtung der
rechtlichen Vorschriften, nach in Deutschland ausgebildeten Imamen oder nach Transparenz bei Willensbildung
und Finanzierung sind keine Schikane, sondern berechtigter Anspruch einer Gesellschaft, die ein hohes Maß an
Religionsfreiheit gewährt.
({3})
Gerade das Beherrschen der deutschen Sprache ist
fundamentale Bedingung für die Akzeptanz und damit
auch Integration von Zuwanderern.
({4})
Daran ändert keine Einbürgerung etwas, auch keine parallelgesellschaftliche Infrastruktur, die vielleicht ein
Durchlavieren ohne Deutsch erleichtert.
({5})
Wer die sprachlichen Anforderungen reduzieren möchte
oder sie gar zum Diskriminierungstatbestand erhebt, wie
es die Linken gelegentlich tun, trägt lediglich dazu bei,
Zuwanderer langfristig und nachhaltig von Integration
und Partizipation in Deutschland fernzuhalten. Dadurch
arbeitet man obskuren Mittlern in die Hände, und es
kann Menschen in die Hinterzimmer der Abhängigkeit
bringen.
Meine Damen und Herren, die Investition in frühkindliche Bildung ist für unsere Gesellschaft zentral.
Die Unionsparteien tun unserem Land insgesamt, den
Familien und insbesondere der Integration von Zuwanderern keinen Dienst, wenn sie, wie unlängst in BadenWürttemberg, verpflichtende Sprachtests im Alter von
vier Jahren und die Förderung der frühkindlichen Bildung auf die lange Bank schieben wollen.
({6})
Wer Kindern so den Zugang zu integrierender Bildung
verwehrt, handelt unverantwortlich gegenüber diesen
Kindern und ihren Familien.
({7})
Aber auch die Elterneinbindung, der Zugang zum Arbeitsmarkt und die Verbesserung der Schul- und Ausbildungsabschlüsse von Zuwandererkindern und -jugendlichen müssen wichtige Bausteine der Integrationspolitik
sein. Es gilt festzuhalten: Obwohl in Deutschland von
Regierungsseite lange keine Anstrengungen zur Integration unternommen wurden, haben sehr viele Zuwanderer
genau dies geschafft. Sie sind hier angekommen und haben unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bereichert:
wirtschaftlich, kulturell und menschlich, als Arbeiter
und Angestellte, als Unternehmer und Freiberufler, als
Nachbarn und Freunde. Dafür gebührt ihnen Anerkennung und unsere Solidarität. Wir heißen sie willkommen.
Wenn wir die Leistung dieser Menschen richtig würdigen, dann können Zuwanderer nicht immer nur als
problembeladene Menschen angesehen werden, die sich
selbst nicht zu helfen wissen und staatlicher Fürsorge bedürfen, sondern dann müssen sie als freie und kluge
Köpfe anerkannt werden, die gerne bereit sind, sich in
unsere Gesellschaft einzubringen. Hierfür sind klare Orientierungen und Erwartungen erforderlich. Integration
heißt, diese Menschen mitzunehmen und teilhaben zu
lassen. Integration heißt aber auch, dass diese Menschen
bereit sind, sich mitnehmen zu lassen und Teil unserer
Gesellschaft werden zu wollen. Auf die Umsetzung
kommt es an.
({8})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael
Bürsch für die SPD-Fraktion.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich sage es vorweg: Durch den Nationalen
Integrationsplan ist Integration im Zentrum der Politik
angekommen. Sie hat damit eine politische und gesellschaftliche Dynamik erreicht, die Dank und Anerkennung verdient. In diesem Zusammenhang nenne ich ausdrücklich Frau Böhmer und die Bundesregierung; das
kann an diesem Tag, glaube ich, von allen Seiten des
Hauses anerkannt werden.
Meine zweite Feststellung aber ist: Integration hat
nicht erst am 14. Juli 2006 angefangen - das kann durch
die Debatte, wie sie bisher geführt worden ist, vielleicht
missverstanden worden sein -;
({0})
vielmehr hat sie in den letzten 50 Jahren stattgefunden,
und zwar mit großem Erfolg. Ob die Politik das in den
letzten Jahrzehnten immer richtig erkannt hat, ist eine
andere Frage. Integration hat aber stattgefunden. Über
30 Millionen Menschen sind in unser Land gekommen
- über 20 Millionen Menschen haben das Land verlassen -, Millionen Menschen sind von der Bürgergesellschaft integriert worden. Das hat keine großen Wellen
geschlagen. Das haben die Medien und die Politik vielleicht nicht richtig wahrgenommen, aber wir können an
dieser Stelle feststellen: Jawohl, Deutschland hat sich als
Land der Integration erwiesen. Anders wäre es nicht
möglich gewesen, die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter und viele andere Menschen wie die Russlanddeutschen bei uns willkommen zu heißen.
({1})
Es verdient Dank und Anerkennung, dass das Thema
Integration in der Politik angekommen ist. Dass ein Nationaler Integrationsplan vorliegt, kann ich nur begrüßen.
Aus Sicht der SPD weise ich - um auch hier keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen - darauf hin,
dass es nie gelingen wird, allein vonseiten des Staates
oder der Politik Integration zu fördern. Wer das glaubt,
unterliegt einem Irrtum. Es wird immer eine Art Gesellschaftsvertrag zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bzw. Zivilgesellschaft notwendig sein, damit Integration gelingt. Wir werden aufseiten der Politik bzw.
des Staates die Verantwortung haben, Sprachkurse bzw.
Kurse zur Förderung von Jugendlichen anzubieten. An
dieser Stelle beginnt die Integration oft erst. Wir müssen
im Blick behalten, das zu unterstützen und zu fördern,
was die Bürgergesellschaft auf diesem Gebiet leisten
kann.
Lassen Sie mich - weil Politik auch von Anregungen
und konstruktiver Kritik lebt - einige Punkte ansprechen. Wir haben jetzt einen Plan - das ist gut -, aber es
wird sich in einem Jahr zeigen, was aus diesen Absichtserklärungen geworden ist. Dass es 400 freiwillige
Selbstverpflichtungen gegeben hat, klingt numerisch zunächst einmal wunderbar. Entscheidend ist aber, was
drinsteckt, und noch entscheidender ist, was dabei herauskommt.
In diesem Zusammenhang meine ich, Frau Böhmer
- darin stimme ich mit Frau Laurischk überein -, dass
spätestens jetzt das Parlament eingebunden werden
sollte. Spätestens an dieser Stelle sollten wir in objektiver Form evaluieren und beurteilen, was bei den Selbstverpflichtungen herausgekommen ist. Es geht mir nicht
um Hochglanzbroschüren und Erklärungen der Betroffenen nach dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“; ich
will vielmehr wissen, was wirklich erreicht wurde. Die
Bundesregierung soll angeben, wie viele Auszubildende
mit Migrationshintergrund sie einstellt. Zurzeit ist der
Anteil erschreckend niedrig; es sind 1,2 Prozent. In der
Absichtserklärung werden 7 Prozent angestrebt. Die
Zahl könnte noch etwas höher sein. Ich will aber in einem Jahr wissen, ob diese 7 Prozent auch erreicht worden sind. Wir können nicht nur den Mund spitzen, sondern müssen auch wirklich Ergebnisse liefern. Das ist
ein sehr wichtiger Punkt.
({2})
Neben dem Verfahren und der Notwendigkeit, sich in
einem Jahr zur Evaluation zusammenzufinden, sind
noch einige weitere Stichworte anzusprechen. Was Ausbildung und Beschäftigung angeht, haben wir den großen
Block von 7 Millionen Ausländern oder 15 Millionen
Menschen mit Migrationshintergrund im Blick. Lassen
Sie uns einmal genauer hinschauen - das entspricht vielleicht der speziellen Sichtweise der SPD -: Es gibt Gruppen, die es besonders schwer haben, zum Beispiel die
etwa 50 000 benachteiligten Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss, die schon bei uns sind. Dies ist aus meiner Sicht der soziale Sprengstoff in den nächsten 10,
20 Jahren, wenn wir hier nichts tun. Absichtserklärungen reichen nicht. Wir müssen flexible und individuelle
Antworten finden. Wir müssen diese 50 000 jungen
Menschen quasi an die Hand nehmen und ihnen mit allem, was uns zur Verfügung steht, eine Chance geben;
denn sonst haben sie keine Perspektive. Sie werden dann
50 oder 60 Jahre - mit Fug und Recht - in Deutschland
leben und können keinen Beitrag leisten. Aber sie haben
wie jeder andere in Deutschland den Anspruch auf Unterstützung.
({3})
Ich erwarte ein deutliches Zeichen, dass wir auch solche
Menschen mit besonderen Problemen ernst nehmen.
Ein weiteres Stichwort ist - das ist schon gefallen das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Ich
halte das für einen ausgesprochen wichtigen Schlüssel
zur Integration, weil es deutlich signalisiert: Jawohl, ihr
sollt beteiligt sein; ihr habt die Möglichkeit zur Teilhabe.
- Wir fordern - das wäre aus meiner Sicht ein mutiger
Schritt - ein kommunales Wahlrecht nicht nur für EUBürger. Das ist das richtige Signal an die Menschen, die
zu uns kommen. Es macht deutlich: Ihr sollt nicht nur
hier leben, sondern könnt auch mitwirken und mitbestimmen.
({4})
Nun komme ich zum Stichwort „doppelte Staatsangehörigkeit“; ein schwieriges Thema, auf das Herr
Grindel wahrscheinlich gleich eingehen wird. Seit 1999
befasse ich mich in meiner Fraktion mit dem Thema
„doppelte Staatsangehörigkeit“. Ich habe mit großer
Freude vernommen, dass Herr Koschyk gesagt hat, Integration dürfe nicht Aufgabe der eigenen Identität bedeuten.
({5})
Das ist genau richtig.
({6})
Aber warum bitte schön ist dann die doppelte Staatsangehörigkeit für Sie noch immer Teufelszeug? Das kann
doch nicht sein.
({7})
Die doppelte Staatsangehörigkeit bietet doch beste Möglichkeiten, die Identität zu wahren und Brücken zwischen der alten und der neuen Heimat zu bauen.
({8})
Wir wollen dieses Thema voranbringen. Politik ist das
Bohren dicker Bretter, und zwar mit Leidenschaft und
Augenmaß.
({9})
Wir werden an diesem Thema dranbleiben. Die Welt
hat sich in den letzten zwei Jahren auch innerhalb der
Koalition verändert. Ich lebe vom Prinzip Hoffnung.
Herr Koschyk, ich werde auf Ihre Ausführungen zurückkommen und Sie sozusagen dingfest machen. Ich habe
schon vor sieben Jahren in der Debatte über die doppelte
Staatsangehörigkeit gesagt: Beatrix, Königin der Niederlande, hat vier Staatsangehörigkeiten.
({10})
Aber niemand fürchtet den Untergang der Niederlande,
weil sie vier Pässe hat. Herr Kollege Koschyk, die Bayern haben zwei Staatsangehörigkeiten. Das sollten wir
also nicht so eng sehen. Seien Sie ein bisschen liberaler
und toleranter und versuchen Sie, sich die Sichtweise
des 21. Jahrhunderts anzueignen! Der sogenannte Doppelpass ist kein Teufelszeug. Wir sind weltoffen und
kosmopolitisch.
({11})
- Darüber können wir gerne Tage und Nächte reden. Das
ist kein grober Unfug, sondern der richtige Weg, um zu
zeigen, dass wir weltoffen sind und Menschen zu uns
lassen. Ein ähnliches Signal setzen wir auch mit der von
mir propagierten Punktereglung.
Nun kommt ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt.
Wir brauchen - das wäre für mich die sinnvolle Fortsetzung des Integrationsplanes - ein mittel- bzw. langfristiges, nachhaltiges und stimmiges Zuwanderungskonzept, das nicht nur ökonomische Gesichtspunkte
berücksichtigt. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir
diese Debatte nur unter ökonomischen Gesichtspunkten
führen und ausschließlich danach fragen, wer uns wirtschaftlich nutzt und wo wir Arbeitsplätze, zum Beispiel
im IT-Bereich, mit Zuwanderern besetzen können. Das
verkürzt die ganze Diskussion dramatisch. Dabei fällt
unter den Tisch, dass wir Zuwanderung in einer globalisierten Welt dringend benötigen. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft lebendig bleibt und
nicht den Anschluss an internationale Entwicklungen
verliert. Es waren in der Moderne stets die Einwanderungsgesellschaften, die aufgrund neuer Ideen und neuer
Impulse von Zuwanderern für Innovationen gesorgt haben. Kulturelle Vielfalt ist in der heutigen Welt aus meiner Sicht eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste
Voraussetzung, und zwar auch für ökonomischen Wohlstand.
Vor kurzem habe ich mit dem Innenausschuss die baltischen Länder besucht. Ich habe bemerkt, wie schwierig
es ist, in diesen Aufbruchländern über das Thema Staatsbürgerschaft zu diskutieren. Es gibt in diesen Ländern
noch Hunderttausende Nichtbürger, also Menschen, die
gar keine Staatsangehörigkeit haben. Wir haben bei diesem Besuch gesehen, wie wichtig die Frage der Staatsbürgerschaft ist, um eine Gesellschaft zu entwickeln.
Zusammenfassend: Der Integrationsplan ist ein
Schritt in die richtige Richtung. Ich erwarte mir davon,
nachdem die Absichtserklärungen nun in der Welt sind,
Ergebnisse und in einem Jahr eine hervorragende, objektive Evaluation, die bestätigen wird: Jawohl, wir können
Erfolge melden, vielleicht nicht an 400 Stellen, aber an
200.
Danke schön.
({12})
Nun erteile ich Kollegin Petra Pau, Fraktion
Die Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach meinen Erfahrungen gibt es sehr viele und sehr engagierte Initiativen in den Ländern, in den Kommunen,
in den Kiezen. Ich war übrigens gestern beim Jüdischen
Kulturverein hier in Berlin. Gegründet wurde er, um jüdisches Leben in Berlin zu beleben. Dann engagierte er
sich für die Integration von Spätaussiedlern. Inzwischen
ist er eine lebendige Heimstatt, die verschiedene Religionen und Kulturen im multikulturellen Berlin zusammenführt. Ein Gedanke allerdings würde den Mitgliedern dieses Vereins und seiner Vorsitzenden Irene Runge
nie kommen, nämlich dass Integration eine Bringepflicht
von Migrantinnen und Migranten sei, die gefälligst deutsche Benimmregeln zu lernen hätten.
({0})
Ich sage nicht, dass der Integrationsgipfel das gefordert
hat oder dass das im Integrationsplan steht. Aber allzu
oft wird die allgemeine politische Debatte genau in diesem Gestus geführt.
Integration heißt gesellschaftliche Teilhabe, und das
gleichberechtigt. Deshalb fordert die Linke unter anderem ein kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und
Bürger, die hier leben, aber eben nicht den EU-Status genießen. Es sind Millionen, und sie werden politisch ausgegrenzt. Zum Thema Staatsbürgerschaft wurde schon
etwas gesagt. Das muss ich hier nicht vertiefen.
Integration erfordert tatsächliche Chancen. Alle Bildungsstudien, nicht nur PISA, belegen: Das dreigliedrige
Schulsystem grenzt aus. Auch deshalb beginnt man zum
Beispiel hier im Land Berlin, dieses System aufzubrechen und integrierte Gemeinschaftsschulen zu schaffen.
Wir sollten bundesweit dafür werben.
({1})
Integration heißt auch: keine Diskriminierung in der
Arbeitswelt. Selbst Friedrich Wilhelm von Potsdam war
mit seinem Toleranzedikt weiter als das bundesdeutsche
Recht im Jahr 2007.
({2})
Er hatte gefördert und nicht borniert gefordert. Warum
folgen wir eigentlich nicht seinem Erfolgsrezept?
Der Nationale Integrationsplan enthält eine Fülle von
Ideen, Vorschlägen und Selbstverpflichtungen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie endlich ehrlich
auf Erfolg drängt und dazu spürbare eigene Beiträge
leistet. Die fehlen bislang. Das nährt den Verdacht von
Alibiveranstaltungen.
({3})
Ich danke jedem Sportverein, der seinen Beitrag leistet, jedem Kulturverein, jeder Kiezinitiative. Sie sind unverzichtbar. Aber solange die große Politik die großen
Fragen eher umsteuert und den Hebel nicht tatsächlich
umlegt, wird der Erfolg ausbleiben. Die großen Fragen
heißen: mehr Demokratie, bessere Bildung, gleiche Berufschancen, auch für Migrantinnen und Migranten.
({4})
Abschließend an die Adresse der Kolleginnen und
Kollegen der SPD gerichtet: Bekommen wir all das nicht
überzeugend hin, dann nützt auch die erneute Forderung
nach einem NPD-Verbotsverfahren nichts; denn die
NPD nährt ihre Gefolgschaft auch mit dem Nektar völkischer Diskriminierung von Migranten und Asylsuchenden. Genau dort darf man keine Schützenhilfe geben.
Kurzum und in Anlehnung an Goethes Faust: Der
Worte sind zwar nie genug gewechselt, aber lasst uns
nun endlich Taten sehen.
({5})
Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege
Bürsch hat es angesprochen: Integration ist erfolgreich
in Deutschland. Bei allen Problemen möchte ich das als
Erstes betonen. Integration gelingt - jeden Tag, überall
im Land. Besonders erkennbar ist das im Sport.
Zu Recht ist dem Sport im Nationalen Integrationsplan ein eigenes Kapitel gewidmet. Sport bringt Menschen zusammen, ist international, vermittelt Werte wie
Verantwortung, Teamgeist, Respekt und Akzeptanz von
Regeln. Beim Sport ist es egal, woher du kommst, welche Hautfarbe du hast oder an welchen Gott du glaubst.
Sport ist gelebte Integration, und darum wollen wir ihn
weiter stärken.
({0})
Doch seine Integrationskraft entwickelt sich nicht
quasi automatisch. Wir erleben - zum Glück sehr selten -,
dass es bei Sportereignissen zu Gewalt und zu rassistischen Vorfällen kommt. Dem treten wir mit dem organisierten Sport gemeinsam entgegen. Ein weiteres Thema
sind kulturelle und soziale Barrieren. Muslimische Mädchen etwa würden gerne häufiger Sport treiben. Es gibt
Eltern, nicht nur ausländischer Herkunft, die sich den
Sport der Kinder nicht so recht leisten können. Diese
Probleme müssen wir angehen. Es muss möglich sein,
dass alle Bürger Sportangebote wahrnehmen können.
Wir müssen niedrigschwellige Angebote machen, die
Sportvereine sensibilisieren und Migranten in die Organisation von Sport einbeziehen. Wir brauchen Teilhabe
durch Sport, und deswegen müssen wir Teilhabe im
Sport organisieren.
({1})
Der Sport übernimmt gesellschaftliche Aufgaben. Er
macht das gerne und erfolgreich. Dabei dürfen wir allerdings nie vergessen, dass der Sport vor allem von den
vielen Ehrenamtlichen gestaltet wird. Deren Engagement ist von unschätzbarem Wert. Sie haben wirklich
unseren Dank und unsere Anerkennung verdient.
({2})
Die verbesserten Rahmenbedingungen für Ehrenamtliche - ich verweise auf die Initiative „Hilfen für Helfer“ waren da ein handfester Fortschritt.
Dem Ehrenamt sind aber gewisse Grenzen gesetzt.
Wir müssen die Leute auch vor einer Überbeanspruchung schützen. Manchmal kommt ein Jugendtrainer bei
bestimmten Problemen oder Konflikten nicht mehr weiter. Da ist Hilfe von außen nötig. Deshalb ist eine bessere Verzahnung von Sportförderung und anderen Programmen, etwa zur sozialen Stadtentwicklung, sinnvoll.
Wie erfolgreich Zusammenarbeit sein kann, zeigt beispielsweise der deutsch-türkische Treff hier in Berlin im
Kreuzberger Wasserturm. Wir, die SPD-Fraktion, waren
neulich mit Franz Müntefering dort. Was wir da gesehen
haben, war wirklich sehr beeindruckend. Über den Sport
kommen dort die Mitarbeiter mit den Jugendlichen in
Kontakt. Sie helfen für die Schule, betreiben Sprachförderung, bieten Berufsorientierung an oder haben einfach
einmal ein offenes Ohr für Probleme. Das ist ein starkes
Projekt. Davon brauchen wir mehr in Deutschland, und
das wollen wir unterstützen.
({3})
Sport hat viel mit Bildung zu tun. Auch das ist im
Nationalen Integrationsplan gewürdigt. Ich habe bereits
von der Wertevermittlung gesprochen; man kann auch
„Herzensbildung“ sagen. Aber es geht auch um kluge
Köpfe; denn Sport fördert die geistige Leistungskraft.
Das sollte übrigens auch manchem von uns hier im Saal
zu denken geben. Der Landessportbund betreibt Kindertagesstätten, in denen mit großem Erfolg Bewegung und
Spracherwerb verbunden werden. Da sind weiterer Ausbau und Unterstützung nötig. Darum sage ich jetzt in
Richtung unseres geschätzten Koalitionspartners: Dort,
wo wirklich mit größtem Engagement Bildungsarbeit
geleistet wird, versteht kein Mensch, warum Betreuungsgeld gefordert wird, anstatt mit aller Kraft den Kitas
zu helfen.
({4})
Swen Schulz ({5})
Noch ein paar Worte zur Schule. Schüler, die mehr
Sportunterricht haben, werden in anderen Fächern besser; das haben Untersuchungen gezeigt. Darum ist die
Ausweitung des Sportunterrichts nötig und überfällig,
übrigens auch mit Blick auf muslimische Mädchen. Die
Länder müssen es zustande bringen, dass der Sportunterricht nicht ausfällt, dass, im Gegenteil, die tägliche
Sportstunde eingeführt wird. Das wäre ein wirklich starker Beitrag.
Am besten ist der weitere Ausbau der Ganztagsschulen. Sie werden im Nationalen Integrationsplan ausdrücklich gelobt. Dort können die Schülerinnen und
Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend optimal gefördert werden, unabhängig davon, welches Leistungsniveau sie haben oder woher sie kommen. Da gibt es
dann auch ausreichend Zeit, etwa für Sport und Musikangebote - für alle und ohne Hürden. Das ist ein praktischer Beitrag zur Integration.
Rot-Grün hat mit dem Ganztagsschulprogramm viel
bewirkt, und das muss weitergehen. Wir brauchen die
qualifizierten Menschen. Es kann doch nicht wahr sein,
dass so viele Jugendliche ausländischer Herkunft ohne
Ausbildung bleiben und gleichzeitig händeringend gesuchte Fachkräfte aus dem Ausland hierhin geholt werden sollen. Es ist die Aufgabe des Staates und der Wirtschaft, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die hier leben,
auch tatsächlich qualifiziert werden.
({6})
Dieses Land braucht Chancengleichheit, weil wir keinen Menschen verloren geben wollen und dürfen.
Sport und Bildung sind wichtige Säulen der Integration; sie sind auch im Nationalen Integrationsplan enthalten. Er hat einige gute Ansätze, aber wir haben noch
sehr viel an praktischer Politik vor uns. Die SPD ist dazu
bereit.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Josef Philip Winkler,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man die Debatte Revue passieren lässt,
kann man eigentlich nur festhalten, dass von den Punkten, die umgesetzt werden sollen, kein einziger konkret
genannt wurde.
({0})
Ich halte es wirklich für eine Schande, dass man das
„Nationaler Integrationsplan“ nennt. Es liegen nur freiwillige Selbstverpflichtungen, die nicht überprüfbar
sind, vor; gleichzeitig wird von einem historischen Datum gesprochen. Das ist absolut unglaubwürdig.
({1})
Frau Staatsministerin, Sie sagen, für den Nationalen
Integrationsplan seien zusätzliche 750 Millionen Euro in
den Haushalt eingestellt. Auf die klare und konkrete
Frage meiner Fraktion, wo das Geld denn liege, kamen
keine klaren und konkreten Antworten. Alles Mögliche
fällt darunter, zum Beispiel der Haushaltstitel des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
({2})
Wir sind gespannt, welchen Beitrag dieser zur Integrationsförderung leisten wird. Bei der Überprüfung dessen
werden wir Sie nicht im dunklen Kämmerchen alleine
lassen.
({3})
Sie sind gestartet als Mutter Courage der Integration,
aber das, was Sie vorgelegt haben, kommt eher von einer
Mutter Beimer des Kanzleramtes: irgendwie ganz nett,
aber irgendwie auch unkonkret und relativ erfolglos.
({4})
Beim kommunalen Wahlrecht gibt es keine Fortschritte. Beim Thema „zusätzliche Sprachkurse“ gibt es
keine konkreten Ergebnisse. Für die 15 Millionen Euro,
die Sie jetzt draufgesattelt haben, haben Sie im vorigen
Jahr 75 Millionen Euro abgezogen. Kein Mensch glaubt
Ihnen, dass es da Fortschritte gibt.
({5})
Ich möchte jetzt noch auf die Ungeheuerlichkeiten
von Herrn Koschyk eingehen, auch wenn das der Ehre
fast zu viel ist, lieber Kollege. Was Sie über meine Fraktion zum Thema Zwangsverheiratung gesagt haben,
hat mich wirklich geärgert. Wir haben unter der rot-grünen Bundesregierung die Zwangsverheiratung unter
Strafe gestellt. Da haben Sie nicht vorneweg mitgemacht.
({6})
Es steht bereits im Strafgesetzbuch, dass Zwangsverheiratung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird. Diesbezüglich sollten wir als demokratische Parteien zusammenhalten und uns nicht in Kleinlichkeit verlieren. Dass
im Rechtsausschuss des Bundesrates Anträge von unionsregierten Ländern liegen, wonach geprügelten Frauen,
die in Ehen gezwungen werden, nicht schon nach zwei
Jahren, sondern erst nach vier Jahren ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht gegeben werden soll, haben Sie in dem
Zusammenhang wohlweislich verschwiegen!
({7})
Wenn es um das Problem der Aufenthaltserlaubnis
geht, gibt es nicht nur den Fall, dass man nach Deutschland einreist und zwangsverheiratet wird. Es gibt vielmehr auch den Fall, dass man aus Deutschland heraus im
Ausland zwangsverheiratet wird. Wir haben immer wieder festgestellt, dass die Union diesbezüglich überhaupt
nicht zu Zugeständnissen bereit ist. Wenn man sechs
Monate ins Ausland verschleppt wurde, gibt es keine
Möglichkeit mehr, den ursprünglichen Aufenthaltstitel
zurückzuerlangen. Da könnten Sie konkrete Hilfe leisten, da verweigern Sie sich aber, meine Damen und Herren von der Union.
({8})
Auch von Frau Staatsministerin Böhmer werden immer wieder die Sprachkurse angesprochen. Wir sind
überhaupt nicht dagegen - das entspricht aber einer häufigen Verdrehung der Tatsachen -, dass die Frauen und
Männer, die nach Deutschland kommen, Deutsch lernen.
Es waren die Unionsländer, die sich im Vermittlungsverfahren zum Zuwanderungsgesetz vehement dagegen verwahrt haben, dass sie Mittel für die Sprachförderung einstellen sollen. Wir als Grüne haben gesagt, dass wir beim
gesamten Zuwanderungsgesetz nicht mitmachen, wenn
die Sprachförderung nicht Teil des Gesetzespaketes ist.
Wir haben dies durchgesetzt. Das ist Teil der historischen Wahrheit.
({9})
Die Folge ist, dass jetzt überwiegend der Bund die Lasten trägt, obwohl Integration vor allem auf der lokalen
Ebene zu gestalten ist. Insofern fordern wir Sie auf: Loben Sie Herrn Koch nicht nur für irgendwelche Dinge,
die nicht nachprüfbar sind, sondern fordern Sie ihn auf,
dass er neben den Sprachkursen in den Kindergärten
endlich seiner Verpflichtung nachkommt und die Mittel,
die der Bund zur Verfügung stellt, durch Eigenmittel
verdoppelt. Das wäre ein Beitrag zu mehr Integration
und zu mehr Gerechtigkeit in diesem Land.
({10})
Wir werden Sie mit dem sogenannten Nationalen Integrationsplan nicht alleine lassen. Darin sind sehr viele
indirekte und unkonkrete Punkte. Wie gesagt, es sind
kaum konkrete Projekte, sondern alles Dinge, die entweder schon da waren oder nicht besonders viel Arbeit kosten. Die Selbstverpflichtung von Unternehmen, nach
50 Jahren Bundesrepublik gern auch einmal Ausländer
in ihre Belegschaft aufzunehmen, verkaufen Sie als
„Charta der Vielfalt“. Das ist nun wirklich nicht historisch. Man müsste sich eigentlich dafür schämen, das als
historisch zu verkaufen.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Winkler, Sie haben gefragt: Wo bleibt das Konkrete? - Ich will Ihnen konkret sagen: Ihre Strafvorschrift zur Zwangsverheiratung, die Sie hier so hervorgehoben haben, hat bisher keine einzige Verurteilung zur
Folge gehabt.
({0})
Das ist Ihre Politik: Nach außen sieht es gut aus, aber tatsächlich hilft es nicht. - So kommen wir im Kampf etwa
gegen Zwangsverheiratungen nicht weiter.
({1})
Der Nationale Integrationsplan enthält nicht nur Absichtserklärungen, sondern auch - das ist einfach die
Wahrheit - ganz konkrete Maßnahmen, die wir gemeinsam erarbeitet haben. Als Beispiel nenne ich die Integrationskurse. Das sind nicht nur Sprachkurse, sondern
darin wird auch etwas über die Kultur, die rechtlichen
Grundlagen und das Wertesystem unseres Landes vermittelt. 250 000 Teilnehmer haben diese Kurse bereits
besucht. Wir werden die Kurse weiter verbessern. Wir
erhöhen die Stundenzahl, damit die Teilnehmer die Abschlussprüfung bestehen. Wir bieten Zielgruppenkurse
für junge Mütter und Jugendliche an. Wir übernehmen
Fahrtkosten und die Kosten der Kinderbetreuung, obwohl das eigentlich eher Sache der Kommunen wäre.
Wir werden im Haushalt 2008 noch einmal 14 Millionen
Euro mehr ausgeben und dann 154 Millionen Euro allein
für diese Integrationsmaßnahme vorsehen.
Kollege Körper hat gesagt, man solle noch etwas
draufpacken. Darauf kann ich nur erwidern: Dann fragen
Sie Finanzminister Steinbrück einmal, ob er uns das zusätzliche Geld gibt! - Das ist ein bisschen widersprüchlich. Die SPD-Innenpolitiker wollen mehr Geld für die
Integrationskurse, und der SPD-Finanzminister gibt es
uns nicht. Ganz überzeugend, Kollege Körper, war das
nicht.
Wir haben natürlich Integration gehabt, aber ich
glaube, dass sie bei vielen Menschen noch nicht angekommen ist, und das ist das Entscheidende. Da müssen
wir etwas tun, über formale Zuständigkeiten hinaus.
Wer erlebt hat, wie gerade Frauen, die seit 17,
18 Jahren in Deutschland sind und praktisch kein
Deutsch können, sich freuen, im Kurs zu sein, weil sie
das erste Mal aus ihrer häuslichen Umgebung herauskommen und durch den Kurs andere Frauen mit anderen
kulturellen Hintergründen kennenlernen, Kontakte knüpfen, auch über den Kurs hinaus, wer erlebt hat, wie engagiert dort im Kurs gearbeitet wird, der fragt nicht nach
Zuständigkeiten, aber er fragt sich schon - das sage ich
mit Blick gerade auf die Grünen und Frau Künast, die
sieben Jahre zuständig gewesen wären -: Was haben Sie
eigentlich in der Vergangenheit ganz konkret getan, um
zum Beispiel diesen Frauen bei der Integration zu helfen?
({2})
Die konkrete Lebenssituation dieser Menschen hat Sie
nicht interessiert. Sie haben sich mit Ideologien befasst,
aber nicht mit der konkreten Lebenssituation der Menschen.
({3})
Frau Künast, es wäre ganz schön, wenn Sie einem
Redner, der sich mit dem Beitrag der Fraktionsvorsitzenden der Grünen auseinandersetzt, nicht unbedingt den
Rücken zukehrten, aber das ist eine Stilfrage. - Frau
Künast hat hier gesagt, der Integrationsgipfel habe
keine große Konsequenz. In Wirklichkeit ist sie natürlich
neidisch, dass gerade wir als CDU/CSU das Integrationsthema besetzt haben.
({4})
Otto Schily hat in sieben Jahren gemeinsamer Regierung
mit den Grünen noch nicht einmal eine Teestunde zur Integration veranstaltet, geschweige denn einen Gipfel.
Das haben wir gemacht, und darauf sind wir mit Recht
auch ein bisschen stolz.
({5})
Frau Künast, es wäre schon ein Gebot der Höflichkeit, wenn Sie jetzt zuhörten. - Sie haben uns in Zusammenhang mit einem „Ehrenmord“ in München vorgeworfen, dass wir wegen der Residenzpflicht im
Aufenthaltsrecht - eine solche galt für das Opfer - die
Frauen hier nicht richtig schützen würden.
Ich habe mir den Fall eben noch einmal sehr genau
angesehen. Was Sie behauptet haben, ist die glatte Unwahrheit.
({6})
Die Frau war im Frauenhaus in München; sie hätte dort
auch bleiben können. Sie ist aus eigener Entscheidung
nach Garching im Landkreis München zurückgegangen.
Der Täter hatte seinerseits eine Residenzpflicht für die
Stadt München; er hätte also gar nicht in den Landkreis
gehen dürfen. Aber das Entscheidende ist: Er war geduldet. Die rot-grüne Stadtregierung von München hätte
längst die Chance gehabt, ihn abzuschieben.
({7})
Insofern ist es unerhört, wenn Sie einen solchen Fall vor
dem Forum des Deutschen Bundestages in dieser Weise
sinnentstellen, um uns hier einen Vorwurf zu machen.
({8})
Der große Wert des Nationalen Integrationsplans besteht auch darin, dass er deutlich macht, dass wir auf allen Ebenen zusammenarbeiten müssen: Bund, Länder
und Gemeinden. Maria Böhmer hat hier zu Recht angesprochen, dass wir in den Kindergärten, in den Schulen
und bei der beruflichen Bildung mehr machen müssen;
denn mit Blick auf die demografische Entwicklung muss
man feststellen: Wenn wir bei der Integration gerade der
Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
nicht für eine gute Zukunft sorgen, dann hat unser Land
keine gute Zukunft.
Dabei kommt es auch auf ganz konkrete Einzelmaßnahmen an. Ich bin den Ländern Niedersachsen und
Hamburg sehr dankbar, die im Rahmen des Integrationsgipfels ganz konkret angekündigt haben, mehr Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen Ausbildungsplatz
im öffentlichen Dienst zur Verfügung zu stellen. Das ist
eine doppelte Integration: Auf der einen Seite wird Jugendlichen eine berufliche Perspektive eröffnet; auf
der anderen Seite legt man damit die Wurzeln dafür, dass
ausländische Mitbürger bei den Behörden, in den Rathäusern auf mehr Menschen mit Migrationshintergrund
stoßen. Das ist echte, ganz konkrete Integrationspolitik.
({9})
Herr Kollege Körper, lassen Sie uns doch endlich die
Debatte „Einwanderungsland oder nicht?“ beenden. Wir
sagen ganz bewusst: Wir sind ein Integrationsland.
({10})
Das ist ein gewaltiger Unterschied. Einwanderungsländer zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Zuwanderung
steuern können. Wir konnten die Zuwanderung von Ausländern nicht steuern. Asylbewerber, Aussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge, all diese Menschen sind ohne Steuerung auf Grundlage eigener Rechte zu uns gekommen.
Wir müssen uns jetzt um eine nachholende Integration
bemühen, um Versäumtes aufzuholen. Der Streit um Begriffe hilft dabei nicht. Wir müssen etwas tun. Deswegen
sagen wir: Wir sind ein Integrationsland. Da liegt unser
Schwerpunkt.
({11})
Ich will hier gerne zitieren, was die Anwältin Seyran
Ateş in ihrem neuen Buch „Der Multikulti-Irrtum“ geschrieben hat:
… vor allem viele Linke glauben noch immer, der
Traum von der multikulturellen Gesellschaft werde
irgendwann Wirklichkeit, wenn man den Dingen
nur ihren Lauf lässt. Doch das ist ein Irrtum. Multikulti, so wie es bisher gelebt wurde, ist organisierte
Verantwortungslosigkeit.
Mit dem Nationalen Integrationsplan übernehmen wir
Verantwortung. Früher waren Ausländerbeauftragte im
Arbeits- oder Frauenministerium versteckt. Unsere Integrationsbeauftragte sitzt im Bundeskanzleramt,
({12})
als Zeichen dafür, dass Integration für uns Querschnittsaufgabe und vor allen Dingen Chefsache ist.
Kollege Bürsch, Sie haben gefordert, ich solle etwas
zur Frage der doppelten Staatsbürgerschaft sagen. Nur
in aller Kürze - auch das ist so eine formale Debatte -:
Viele derjenigen, die in den letzten Wochen hier in Berlin als Türken und Kurden gewalttätige Auseinandersetzungen hatten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Aber sie haben trotzdem vor allem und in erster Linie
eine türkische oder eine kurdische Identität. Deswegen
ist es richtig, was wir sagen: Dass nur dann ein Zusammenleben in Deutschland funktioniert, wenn die Einbürgerung am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses steht, wenn wir uns auf gemeinsame Werte
verständigen. Das Ganze darf nicht am Anfang, sozusagen als gute Hoffnung oder Eintrittskarte, eines Integrationsprozesses stehen, der sich dann am Ende als
schwierig und meistens als erfolglos herausstellt.
Frau Staatsministerin Böhmer, herzlichen Glückwunsch zu diesem Nationalen Integrationsplan. Wir werden ihn umsetzen, auch, Herr Kollege Körper - weil Sie
das hier angesprochen haben -, im Bereich Bleiberecht.
Wir haben hier Entscheidungen getroffen. Am häufigsten wird das Bleiberecht in Bayern und Baden-Württemberg ausgesprochen. Dort haben die Menschen Sicherheit. Die wenigsten Bleiberechte werden in Berlin
ausgesprochen. Jeder hat vor seiner eigenen Tür zu kehren.
Entscheidend ist - dies soll mein Schlusssatz sein -:
Dieser Nationale Integrationsplan, liebe Maria Böhmer,
ist in der Tat ein großer Wurf, ein Meilenstein. Aber damit er richtig erfolgreich wird, müssen wir alle in unseren Wahlkreisen vor Ort an seiner Umsetzung mitarbeiten.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegin Caren Marks, SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Familienpolitikerin begrüße ich, dass sich die Bundesregierung
und das Parlament intensiv mit dem Thema Integration
beschäftigen, dabei den Dialog mit Migrantinnen und
Migranten suchen und gemeinsam Handlungsfelder erarbeiten. Nach dem vielversprechenden Integrationsgipfel
und dem damit einhergehenden Integrationsplan dürfen
Regierung und Parlament in ihrem Handeln nicht hinter
den erweckten Erwartungen zurückbleiben.
({0})
Das Themenfeld des Nationalen Integrationsplans
„Von Anfang an deutsche Sprache fördern“ ist von zentraler Bedeutung. Die Überschrift enthält mehr als eine
Botschaft. Sie ist ein Auftrag, den wir politisch auf allen
Ebenen mit Leben füllen müssen. Das gilt für Bund,
Länder und Kommunen.
Es gilt, mit aller Ernsthaftigkeit daran zu arbeiten,
dass sich die Chancen der Migrantenkinder wirklich verbessern. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung;
denn jedes dritte Kind unter sechs Jahren hat einen Migrationshintergrund. In einigen Großstädten sind vier
von zehn Jugendlichen nicht deutscher Herkunft. Viel zu
viele Kinder sind vom schulischen und beruflichen Erfolg abgehängt, weil sie in den ersten Lebensjahren häufig unzureichende Deutschkenntnisse erwerben.
Wir haben es heute schon oft gehört - man kann es
nicht oft genug betonen -: Sprachkompetenz ist der
Schlüssel zu Bildung und Integration. Deshalb muss die
Sprachförderung ein zentraler Bestandteil der frühkindlichen Bildung werden.
({1})
Die sprachliche Bildung ist eine vordringliche und gemeinsame Aufgabe von Eltern, Erziehern und Pädagogen. Der frühe Besuch von Kindern in Tageseinrichtungen bietet - so heißt es im Integrationsplan - „eine
besondere Chance“ für Migrantenkinder. Die natürliche
Aneignung der deutschen Sprache kann so erheblich gesteigert werden. Kinder sind gern mit Kindern zusammen. Andere Kinder sind Vorbilder und gleichzeitig
Freunde. Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist,
lernen Deutsch in der Krippe spielend, im wahrsten
Sinne des Wortes.
Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ist dabei
wichtig, um deren Kompetenz bezüglich der Sprachentwicklung ihrer Kinder zu stärken. Positiv sind niedrigschwellige Angebote für Kinder und deren Familien, die
den gezielten Erwerb der deutschen Sprache unterstützen. Projekte wie „Mama lernt Deutsch“ sind sehr erfolgreich. Wir müssen Eltern mit Migrationshintergrund
motivieren bzw. darin bestärken, dass ihre Kinder frühzeitig die Vorteile einer Betreuungs- und Bildungseinrichtung nutzen.
({2})
Auch der von der SPD durchgesetzte Rechtsanspruch
- er gilt ab 2013 - auf einen Betreuungsplatz ab eins
wird sich positiv auf die Integration auswirken.
({3})
Das Betreuungsgeld hingegen, wie es die Union
nach wie vor fordert, ist nicht nur bildungs- und gleichstellungspolitisch fatal, sondern auch integrationspolitisch. Eine monatliche Zahlung an Eltern, die ihre Kinder im Alter bis zu drei Jahren ausschließlich zu Hause
betreuen, wäre auch unter Integrationsgesichtspunkten
falsch.
({4})
Wir würden diesen Kindern einen Bärendienst erweisen.
Ein Betreuungsgeld würde für viele der benachteiligten
Familien einen hohen Anreiz setzen, ihre Kinder von
frühkindlichen Bildungseinrichtungen fernzuhalten.
Norwegen hat genau diese negativen Erfahrungen ge12754
macht und will das Betreuungsgeld deswegen abschaffen. Auch in Thüringen bewirkt das dortige Erziehungsgeld, dass Eltern ihre Kinder aus dem Kindergarten
verstärkt abmelden. Wir sollten aus diesen Erfahrungen
lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Es muss klar sein: Integration kann nicht verordnet
werden. Sie braucht die Mitwirkung aller, auch der Migranten. Insbesondere den Müttern mit Migrationshintergrund kommt eine Schlüsselstellung für die Integration ihrer Kinder zu. Die Berufstätigkeit von Migrantinnen fördert nicht nur Selbstbewusstsein und finanzielle
Unabhängigkeit, sondern auch deren Integration. Gut integrierte Eltern, Mütter und Väter, die an der Gesellschaft teilhaben, sind Vorbilder für ihre Kinder. Auch an
diesem Punkt setzt das Betreuungsgeld für Frauen falsche Anreize, nämlich nach der Geburt eines Kindes länger zu Hause zu bleiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Beispiele
zeigen: Ein Betreuungsgeld läuft der Integration vielfältig entgegen. Es würde eine erfolgreiche Umsetzung des
vielversprechenden Integrationsplanes konterkarieren.
Das Betreuungsgeld ist schlicht eine „Optimierung“ des
Unsinns.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6281 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/6976. Interfraktionell
ist vereinbart, über den Entschließungsantrag abwei-
chend von der Geschäftsordnung heute abzustimmen.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei
Stimmenthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis c sowie die
Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf. Es handelt sich um Über-
weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte:
42 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Staatsangehörigkeitsgesetzes ({0})
- Drucksache 16/5107 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom
22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Entscheidungen über die Sicherstellung von Vermögensgegenständen oder Beweismitteln in
der Europäischen Union
- Drucksache 16/6563 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({2})
Innenausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern,
Laserfax- und Kopiergeräten
- Drucksache 16/5776 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 5a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in
Deutschland
- Drucksache 16/5811 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz ({6}), Kai Gehring, Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in
Deutschland
- Drucksache 16/5968 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus
Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller ({8}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg
Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch fördern - Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in
Deutschland
- Drucksache 16/6945 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({9})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 43 a bis
43 u sowie 35 b. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf
zu Tagesordnungspunkt 43 d, Zweites Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes, namentlich abstimmen werden. Vor der namentlichen Abstimmung haben wir noch drei einfache Abstimmungen. Bitte
begeben Sie sich erst zu den Urnen, wenn ich die namentliche Abstimmung aufrufe.
Tagesordnungspunkt 43 a:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 16/6540 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({10})
- Drucksache 16/6986 Berichterstattung:
Abgeordneter Gerald Weiß ({11})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6992 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Anja Hajduk
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6986,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
16/6540 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die
Stimmen der FDP bei Enthaltung der Linken angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in
der zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Australien über die Soziale Sicherheit von vorübergehend im Hoheitsgebiet des anderen
Staates beschäftigten Personen ({13})
- Drucksache 16/6567 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({14})
- Drucksache 16/6829 Berichterstattung:
Abgeordnete Katja Kipping
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6829,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6567 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke und der Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent12756
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
und anderer Gesetze
- Drucksachen 16/6293, 16/6568 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({15})
- Drucksache 16/6978 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({16})
Joachim Stünker
Jörg van Essen
Wolfgang Nešković
Jerzy Montag
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6978, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6293
und 16/6568 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 d:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksachen 16/6560, 16/6740 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({17})
- Drucksache 16/6993 Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips
Reinhard Schultz ({18})
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache
16/6993, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
den Drucksachen 16/6560 und 16/6740 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des
Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die
absolute Mehrheit - das sind 307 Stimmen - erforder-
lich. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze besetzt? - Ich
eröffne die Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen Ihre Stimme
abgegeben? - Das ist offensichtlich der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.1)
Ich bitte Sie, sich wieder zu Ihren Plätzen zu begeben,
damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie Platz,
damit wir einigermaßen übersichtlich die Abstimmungen fortsetzen können.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 43 e:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Legehennenbetriebsregistergesetzes
- Drucksache 16/6559 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({19})
- Drucksache 16/6862 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Höfken
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/6862,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 16/6559 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der
FDP-Fraktion angenommen.
1) Ergebnis Seite 12759 B
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Tagesordnungspunkt 43 f:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({20})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz,
Dr. Max Stadler, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im Inneren - Die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Wieland, Volker Beck ({21}), Jerzy Montag,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Bundeswehr vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2006
- Drucksachen 16/563, 16/359, 16/1510 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingo Wellenreuther
Wolfgang Gunkel
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/563 mit dem Titel „Kein zusätzlicher
Bundeswehreinsatz im Inneren - Die Polizei kann durch
die Bundeswehr nicht ersetzt werden“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der FDP und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/359 mit dem Titel „Keine Bundeswehr
vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2006“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 g:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({22}) zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt MüllerSönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
EU-Waffenembargo gegen China beibehalten
- Drucksachen 16/969, 16/2574 Berichterstattung:
Abgeordneter Erich G. Fritz
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/2574, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/969 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 h:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch,
Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im
Technologiebereich erneuerbarer Energien
sachgerecht unterstützen
- Drucksachen 16/1565, 16/3587 Berichterstattung:
Abgeordneter Matthias Berninger
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3587, den Antrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/1565 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD
und Linken gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung
der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 i:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit ({24}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit
und über Gesundheitsschutz und Sicherheit
am Arbeitsplatz
KOM ({25}) 46 endg.; Ratsdok. 6622/07
- Drucksachen 16/4819 Nr. 11, 16/5949 Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Hennrich
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 j:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({26}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über
die gemeinsame Marktorganisation für Wein
und zur Änderung bestimmter Verordnungen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
({27})
KOM ({28}) 372 endg.; Ratsdok. 11361/07
- Drucksachen 16/6389 Nr. 1.49, 16/6863 Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Gustav Herzog
Dr. Kirsten Tackmann
Ulrike Höfken
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses, Tagesordnungspunkte 43 k bis 43 u.
Tagesordnungspunkt 43 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({29})
Sammelübersicht 286 zu Petitionen
- Drucksache 16/6801 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 286 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({30})
Sammelübersicht 287 zu Petitionen
- Drucksache 16/6802 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 287 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({31})
Sammelübersicht 288 zu Petitionen
- Drucksache 16/6803 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 288 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 n:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({32})
Sammelübersicht 289 zu Petitionen
- Drucksache 16/6804 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 289
ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP
angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 o:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({33})
Sammelübersicht 290 zu Petitionen
- Drucksache 16/6805 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 290 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der
Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 p:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({34})
Sammelübersicht 291 zu Petitionen
- Drucksache 16/6806 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 291 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 q:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({35})
Sammelübersicht 292 zu Petitionen
- Drucksache 16/6807 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 292 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der
FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 r:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36})
Sammelübersicht 293 zu Petitionen
- Drucksache 16/6808 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 293 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen
der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 s:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37})
Sammelübersicht 294 zu Petitionen
- Drucksache 16/6809 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 294
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünen
angenommen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Tagesordnungspunkt 43 t:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38})
Sammelübersicht 295 zu Petitionen
- Drucksache 16/6810 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen
von FDP und Grünen angenommen.
Tagesordnungspunkt 43 u:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39})
Sammelübersicht 296 zu Petitionen
- Drucksache 16/6811 Wer stimmt für diese Sammelübersicht? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht ist
mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Stimmen von FDP und Linken angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes
- Drucksache 16/6309 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({40})
- Drucksache 16/6828 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Jahr
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Undine Kurth ({41})
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6828, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/6309 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken
und der FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von FDP
und Linken angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu
Tagesordnungspunkt 43 d zurück und gebe das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes
und anderer Gesetze bekannt: Abgegebene Stimmen
553, gültige Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt 507,
mit Nein haben gestimmt 0, Enthaltungen 46. Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 553;
davon
ja: 507
enthalten: 46
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({42})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({43})
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({44})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({45})
Dirk Fischer ({46})
Axel E. Fischer ({47})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({48})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({49})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({50})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({51})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({52})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({53})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({54})
Stefan Müller ({55})
Bernward Müller ({56})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({57})
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({58})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({59})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({60})
Ingo Schmitt ({61})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({62})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({63})
Gerald Weiß ({64})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({65})
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({66})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({67})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({68})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({69})
Monika Griefahn
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({70})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({71})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({72})
Frank Hofmann ({73})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({74})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({75})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({76})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({77})
Michael Müller ({78})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({79})
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({80})
Michael Roth ({81})
Ortwin Runde
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Marlene Rupprecht
({82})
Axel Schäfer ({83})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({84})
Renate Schmidt ({85})
Heinz Schmitt ({86})
Carsten Schneider ({87})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({88})
Swen Schulz ({89})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({90})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
({91})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({92})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({93})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({94})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({95})
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({96})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({97})
Volker Beck ({98})
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Peter Hettlich
Priska Hinz ({99})
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Markus Kurth
Undine Kurth ({100})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({101})
Omid Nouripour
Claudia Roth ({102})
Krista Sager
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Enthaltung
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({103})
({104})
Dr. Herbert Schui
Frank Spieth
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jüngste Entwicklungen in Pakistan
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Walter Kolbow, SPD-Fraktion.
({105})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist ein bestürzender Vorgang, dass der Präsident Pakistans, Musharraf, die Demokratie außer Kraft
gesetzt hat. Zu Recht befassen wir uns hier im Parlament
in einer Aktuellen Stunde mit diesem bestürzenden Vorgang.
Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt von der pakistanischen Führung die unverzügliche Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und das Festhalten an der angekündigten Parlamentswahl. Wir protestieren gegen die
Massenverhaftungen und gegen jegliche Medienzensur.
Wir äußern unseren Respekt sowohl vor der Richter- und
Anwaltsbewegung mit Iftikhar Chaudhry an der Spitze
als auch vor den Journalisten, die sich bei ihrer Kommentierung nicht einschüchtern lassen.
({0})
Wir unterstreichen die Kommentierung der pakistanischen Zeitung The News, in der es hieß: Der 3. November wird als weiterer dunkler Tag in die politische,
rechtsstaatliche Geschichte Pakistans eingehen. - Die
massiven Proteste in Pakistan gegen den Ausnahmezustand zeigen, dass die pakistanische Zivilgesellschaft erstarkt ist. Das ist positiv.
Wir fordern von der pakistanischen Regierung die
Freilassung der unschuldig Verhafteten, unter ihnen der
Chef der oppositionellen Moslemliga, PML-N, Javed
Hashmi, und die Vorsitzende der Menschenrechtskommission, Asma Jehangir, und wir verlangen die Freilassung der 40 festgenommenen Projektpartner der
Heinrich-Böll-Stiftung.
({1})
An die internationale Gemeinschaft richten wir die
Forderung, von sich aus alle Anstrengungen zu unternehmen, die dramatische Zuspitzung der seit Monaten in
Pakistan herrschenden Krise einzuhegen. Es war richtig
und wichtig, Herr Außenminister, dass Sie für die Bundesregierung die Ausrufung des Ausnahmezustandes in
Pakistan unverzüglich kritisiert und dazu aufgefordert
haben, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren. Wir unterstützen die Bundesregierung in diesen ihren Bemühungen.
({2})
Es erfüllt unser Parlament mit Genugtuung, dass sich die
Vereinigten Staaten eingeschaltet haben und der Präsident der USA die Wiederherstellung der Demokratie
eingefordert hat. Auch Javier Solana hat dies für die Europäische Union zu Recht getan.
Wir befinden uns angesichts der eskalierten Lage in
Pakistan in einem schwierigen Spannungsfeld. Gleichwohl hat Peter Münch recht, wenn er in der Süddeutschen Zeitung feststellt:
Auch unter den zynischsten Regeln der Realpolitik
macht es wenig Sinn, weiterhin einen Diktator zu
unterstützen, der die Demokraten bekämpft und die
Islamisten nicht besiegen kann.
({3})
Uns allen ist bewusst, dass es bei deklaratorischen
Aufforderungen an die pakistanischen Machthaber nicht
bleiben kann.
({4})
Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung, wie getan, die aktuellen Ereignisse in ihre Überlegungen zur bilateralen Zusammenarbeit einbezieht. Dies
ist richtig und wichtig. Andererseits dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass Pakistan in der Region eine wichtige Rolle spielt. Insoweit gilt es, besonnen und politisch
klug unsere nächsten Schritte zu planen. Das Abstimmen
unserer Haltung insbesondere im europäischen Rahmen
wissen wir bei Ihnen, Herr Außenminister, in guten Händen.
Pakistan hat als Regionalmacht eine besondere und
herausgehobene Verantwortung, die weit über die aktuelle innerpakistanische Machtfrage, die offensichtlich
persönliche Züge trägt, hinausgeht. Das sollte von denen
bedacht werden, die Einfluss auf politische Entscheidungen in Pakistan haben.
Anders kann auch die G-8-Afghanistan-Pakistan-Initiative, die am 30. Mai 2007 in Potsdam verabschiedet
wurde, nicht gelingen. Sicherheit, Stabilität und dauerhafter Frieden in Afghanistan und in der Region gelingen nicht mit Kriegsrecht in Pakistan. Die Mitglieder der
G 8 haben sich ausdrücklich bereit erklärt, mit den Regierungen Afghanistans und Pakistans eng zusammenzuarbeiten, und zwar auf der Basis der bestehenden Mechanismen der Vereinten Nationen.
Nur so wird Pakistan mit seiner 2 500 Kilometer langen Grenze zu Afghanistan und als Frontstaat gegen den
Terror stabilisiert werden können.
Hinzu kommt das pakistanische Nuklearprogramm.
Schon seit Jahren heißt es, Pakistan sei eine politisch instabile Nuklearmacht mit fernen Bergregionen, die den
Terroristen als Rückzugsgebiete dienen. Es gibt alarmierende Informationen, dass die Taliban und al-Qaida Gebiete an der Grenze zu Afghanistan mehr und mehr beherrschen. Die Folgen bekommen die NATO und unsere
Soldaten bei ISAF zu spüren.
Pakistan ist ein Schlüssel für den Erfolg des Wiederaufbaus in Afghanistan. Pakistans Stabilität ist unabdingbar für die regionale Stabilität und die Überwindung
des internationalen Terrorismus.
({5})
Auch deshalb muss Pakistan wieder demokratisch werden, die Achtung der Menschenrechte gewährleisten,
eine unabhängige Justiz, eine freie Presse, demokratische Parteien, also starke Institutionen haben.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind an der
Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten. Wenn
der lange Marsch der PPP und anderer nach Islamabad
jetzt stattfindet, dann möge er friedlich verlaufen und
dann mögen die Ordnungskräfte wissen, dass man auf
Demokratinnen und Demokraten nicht schießt, sondern
sie unterstützt.
({7})
Das Wort hat nun Kollege Jürgen Trittin, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss
diesen Putsch mit allem Nachdruck verurteilen.
({0})
Das, was hier geschieht, ist unglaublich. Wer Richter absetzt, statt sich dem Recht zu beugen, wer Rechtsanwälte
mit dem Gummiknüppel traktiert, wer Menschen, die anderen helfen wollen, einsperrt, der ist kein Demokrat und
- das sage ich an dieser Stelle - der kann auch kein
Bündnispartner für Demokratien sein, weil dadurch
nicht dauerhaft Stabilität geschaffen wird.
({1})
Ich sage das mit allem Ernst, weil wir alle wissen - Herr
Kolbow hat darauf hingewiesen -, welch zentrale Rolle
Pakistan für einen Erfolg bei der Stabilisierung Afghanistans spielt. Man kann auch nicht sagen, dass sich die
Verbündeten der NATO hier zurückgehalten haben.
Schauen Sie sich an, welche militärische Hilfe allein die
USA in den letzten Jahren an die pakistanische Armee
geliefert haben - 10 Milliarden Dollar; 100 Millionen
Dollar jeden Monat -, mit dem Ziel, Pakistan zu stabilisieren.
Um zu sehen, was das Ergebnis ist, muss man Bilanz
ziehen: Das Geld ist nicht für eine massive Bekämpfung
der Aufständischen in Pakistan eingesetzt worden. Die
Generalität und die höheren Offiziere haben sich mit diesem Geld die Taschen vollgestopft. Sie haben das zum
Teil nicht an ihre einfachen Soldaten weitergeleitet.
Diese laufen heute zu den Taliban über, wodurch die
ganze Regierung Musharraf lächerlich gemacht und zu
diesem Schritt getrieben wurde.
({2})
Ich finde, wenn man so etwas weiß, dann muss das
doch Konsequenzen haben. Ja, wir sagen: Wir wollen,
dass Pakistan stabil ist. - In ein solches Land kann man
dann aber doch nicht immer weiter Geld pumpen. Man
kann auch nicht einfach blind das fortsetzen, was bisher
gemacht worden ist.
Meine Damen und Herren von der Großen Koalition,
Sie müssen dem Hause einmal erklären, was drei
U-Boote mit der Situation in Waziristan zu tun haben
und ob es in einer solchen Situation wirklich klug ist,
U-Boote an ein Regime zu liefern, das so instabil ist und
über ein ambitioniertes Raketenprogramm, nukleare Fähigkeiten und nukleare Waffen verfügt, und zu sagen,
dass dies der Stabilisierung dieses Landes dient. Ich
glaube nicht, dass dies der Stabilisierung Pakistans gedient hat.
({3})
Lieber Bundesaußenminister, wenn Sie einmal die
Idee hatten, die Stabilisierung durch die U-Boote zu erreichen, dann müssen Sie heute sagen, dass das falsch
war und dass Sie nicht liefern, wenn vom Militär weiterhin Politik in dieser Form gemacht wird. Wir erwarten
hier eine sehr klare und sehr deutliche Ansage von Ihnen.
({4})
Ich will das auch noch einmal unter einem anderen
Aspekt sagen: Wer ist denn der Gewinner dieses Prozesses? Was macht das Militärregime? Betrachten wir die
großen Kräfte in der pakistanischen Gesellschaft: die Islamisten - sie werden immer stärker -, eine aufgeweckte
Zivilbevölkerung und das Militär. Gegen wen geht das
Militär jetzt vor? Gegen die Islamisten? Nein, es sperrt
die Basisbewegung, die aufgeklärte städtische Intelligenz, all diejenigen, die für Meinungsfreiheit streiten,
ein. Das heißt, es unterdrückt massiv genau die Kräfte,
die die einzige Gegenmacht zu den Islamisten sein müssten. Deswegen werden die Islamisten durch diesen
Putsch gestärkt und nicht geschwächt, weshalb wir Putschisten nicht in dieser Form - mit solchen Rüstungslieferungen - unterstützen dürfen.
({5})
Wir haben heute gehört, dass die Regierung erklärt
hat, sie wolle im Februar Wahlen abhalten. Offensichtlich wirken die Proteste ein Stück. Aber Wahlen haben
auch Voraussetzungen: Man kann keine Wahlen unter einem Ausnahmezustand abhalten.
({6})
Wahlen sind nur möglich, wenn der Richter Chaudhry
wieder eingesetzt wird, wenn wieder Meinungsfreiheit
herrscht, wenn alle, die inhaftiert worden sind, wieder
freigelassen sind und wenn in diesem Lande die demokratischen Rechte wieder ihren Platz haben. Dazu gibt es
keine Alternative. Wer die Demokratie in Pakistan unterdrückt, wird am Ende erleben, dass die Islamisten die
Sieger sein werden. Dies kann und darf nicht passieren.
({7})
Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der Analyse und auch in
der Verurteilung dessen, was in den letzten Tagen in Pakistan geschehen ist, gibt es hier im Haus, wie ich glaube
- jedenfalls unter den demokratischen Fraktionen -,
keine Differenzen.
({0})
Deswegen will ich das, was die Kollegen Kolbow und
Trittin gesagt haben, nicht wiederholen; ich unterstreiche
es ausdrücklich.
Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Lautstärke
der Empörung, die ich für berechtigt halte, manchmal
über die Hilflosigkeit hinweghelfen soll,
({1})
die aus der Erkenntnis erwächst, dass unser Einfluss in
dieser Region bedauerlicherweise begrenzt ist. Die Lage
in Pakistan ist außerordentlich kompliziert, und die geopolitische Bedeutung des Landes ist nicht zu unterschätzen. Pakistan spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität
in Süd- und Zentralasien. Weder die Lösung des Kaschmir-Konflikts noch eine dauerhafte Befriedung in Afghanistan sind ohne eine aktive Rolle Pakistans denkbar.
Auch brauchen wir für eine effektive Bekämpfung des
internationalen Terrorismus eine enge Kooperation mit
Islamabad. Auf die Gefahren, die mit der nuklearen Bewaffnung Pakistans verbunden sind, haben beide Vorredner ebenfalls schon hingewiesen.
Das Tragische und besonders Falsche an dem Verhalten Musharrafs ist, dass er mit seinem Putsch und der
Verhängung des Ausnahmezustands gerade diejenigen
bekämpft, die er für die Bekämpfung des radikalen Islamismus so dringend braucht, und damit die Voraussetzungen für das Scheitern des Projektes schafft, dem wir
uns alle verpflichtet fühlen und das für unsere eigene Sicherheit enorm wichtig ist. Deswegen ist es erforderlich,
dass Pakistan so schnell wie möglich wieder zu demokratischeren Verhältnissen - ich bin mir der Ambivalenz
dieses Komparativs durchaus bewusst - zurückkehrt,
dass der Ausnahmezustand so schnell wie möglich aufgehoben wird und die Voraussetzungen für freie und
faire Wahlen geschaffen werden.
({2})
Wenn wir erkennen, dass unser Einfluss begrenzt ist,
dann hätte ich mir allerdings gewünscht, dass sich die
europäischen Staaten stärker zusammengefunden und zu
einer einheitlichen Reaktion durchgerungen hätten.
({3})
Es hat aber unterschiedliche Reaktionen gegeben. In den
Niederlanden wird über das Einfrieren der Entwicklungshilfe nachgedacht; möglicherweise ist sie schon
eingefroren worden. Man könnte aber auch mit guten
Gründen zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen und
sagen, gerade jetzt seien mehr Entwicklungshilfe, mehr
zivile Zusammenarbeit und mehr Unterstützung der Zivilgesellschaft in Pakistan erforderlich.
({4})
Um widersprüchliche Signale aus Europa an Pakistan zu
vermeiden, wäre es wirklich gut gewesen, wenn jeder
Verantwortliche in den Regierungen in Europa die Kraft
aufgebracht hätte, in der Verurteilung der Verhältnisse
und der Zustände einig zu sein und zugleich die europäische Abstimmung zu suchen, damit es eine klare Antwort der Europäischen Union auf die Verhältnisse und
Zustände in Pakistan gegeben hätte.
({5})
Das eigentliche Problem in Pakistan liegt aus meiner
Sicht nicht allein in der Bekämpfung der Zivilgesellschaft und in der Verhängung des Ausnahmezustands;
vielmehr ergibt sich das eigentliche Dilemma aus der
Staatsräson Pakistans. Denn wir müssen leider beobachten, dass die Saat aufgeht, die von General Zia ul-Haq
und mehreren seiner Nachfolger einschließlich Musharrafs gelegt wurde, nämlich auf eine Islamisierung Pakistans zu setzen, um auf diese Weise den Nationalismus
der Paschtunen zu bekämpfen, der den Zusammenhalt
des Landes gefährdet, und eine nationale Identität zu
schaffen, die die Talibanisierung Pakistans befördert.
Wir stehen vor der großen Herausforderung, auf diese
Situation eine Antwort zu finden, eine Strategie zu entwickeln, die der weiteren Entwicklung Einhalt gebieten
oder sie zumindest verlangsamen kann. Eine nicht wegzudenkende Voraussetzung dafür ist, dass die zivilgesellschaftlichen und demokratisch gesinnten Kräfte in Pakistan, die es beeindruckenderweise gibt - der Kollege
Kolbow hat darauf hingewiesen -, gestärkt werden und
sich unmissverständlich darauf verlassen können, dass
wir an ihrer Seite sind.
({6})
Das Wort hat nun Kollege Werner Hoyer, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man läuft jetzt Gefahr, Wiederholungen zu äußern. Deswegen möchte ich pauschal feststellen, dass ich die von
den Kollegen bisher erhobenen Forderungen nach Aufhebung des Ausnahmezustands, Wiedereinführung der
Gewaltenteilung und Ermöglichung freier und demokratischer Wahlen ausdrücklich unterstreiche. Ich unterstreiche auch die Forderung, dass der Generalpräsident
seine Uniform ausziehen sollte, wie Eckart von Klaeden
eben gesagt hat.
({0})
Benazir Bhutto hat die Befürchtung geäußert, Pakistan bewege sich mit großen Schritten auf eine gewaltige
Katastrophe zu. Ich fürchte, es gibt Anlass, davon auszugehen, dass sie recht hat. Die beeindruckenden Mails
und Faxe, die sicherlich auch viele von Ihnen von pakistanischen Kollegen bekommen, zeigen, wie verzweifelt
die Lage ist. Es ist von Journalisten und Juristen gesprochen worden; ich weise ausdrücklich auch auf ParlamenDr. Werner Hoyer
tarier hin. Etliche von ihnen befinden sich auf der Flucht
oder sind nicht mehr frei. Auch sie fordern uns auf, in
dieser Situation Flagge zu zeigen.
Wir haben heute Morgen über Afghanistan gesprochen. Dabei hat auch Pakistan immer eine Rolle gespielt.
Trotzdem ist es falsch, Pakistan immer nur durch die
Brille unseres gegenwärtigen Afghanistan-Problems zu
sehen. Pakistan ist wichtig und groß. Pakistan hat eine
enorme technologische Kapazität, die uns noch Schwierigkeiten bereitet. Pakistan ist nicht nur Nuklearmacht,
sondern das größte Proliferationsproblem, das wir seit
vielen Jahren haben.
({1})
Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns mit diesem
Thema befassen.
Insofern müssen wir die gegenwärtige Situation analysieren und nüchtern betrachten. In Pakistan kommen
alle Probleme der Region wie unter einem Brennglas zusammen. Wir haben es mit der Auseinandersetzung zwischen Islamisten und säkularen Kräften, Entwicklungsdefiziten enormer Dimensionen und der unbedingten
Notwendigkeit, eine Atommacht staatlich stabil zu halten, zu tun. Wir sehen das unbewältigte Erbe einer Kolonialvergangenheit und nicht zuletzt - man muss das
wohl so deutlich sagen - auch die Bereitschaft staatlicher Autoritäten, vor Zusammenarbeit mit Terroristen
gegebenenfalls nicht zurückzuschrecken.
Damit ist die Politik des Westens gegenüber Pakistan
- auch wir waren daran beteiligt - in den letzten Jahren
gescheitert. Oberstes Ziel war die Stabilität des Landes
mit Rücksicht auf den Konflikt mit Indien und im Hinblick auf die Sicherung des Nuklearwaffenpotenzials.
Deswegen wurden lange Zeit beide Augen zugedrückt,
selbst als sich die pakistanische Regierung mit den Taliban zu arrangieren versuchte, was uns allen am
11. September 2001 teuer zu stehen gekommen ist.
Seither geht Pakistan zwar gegen die Taliban vor, aber
es spielt auch eine Doppelrolle. General Musharraf
glaubt offensichtlich, dass er Stabilität und Sicherheit erzielen kann, indem er Rechtsstaat und Demokratie preisgibt. Aber das Gegenteil wird eintreten: Auf dem jetzt
eingeschlagenen Weg werden alle vier genannten Elemente auf der Strecke bleiben.
Für uns Liberale gilt für die Innenpolitik das Gleiche
wie für die internationale Politik: Wer glaubt, Freiheit
und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellen zu können, um Sicherheit und Stabilität zu erreichen, wird am
Ende mit leeren Händen dastehen.
({2})
Wir sollten uns aber auch Gedanken darüber machen,
wie es mit der internationalen Politik im Bereich der nuklearen Proliferation, der Atomrüstung, weitergeht,
wenn wir den Problemfall Pakistan nicht in den Griff bekommen. Die Restoptionen, die dann politisch verbleiben, sind fatal. Es droht ein unauflösbarer Konflikt zwischen unserem Wertesystem und den Realitäten. Deshalb
ist das Thema der Nichtverbreitung so außerordentlich
brisant. In diesem Zusammenhang wurde zu Recht das
U-Boot-Thema angesprochen. Ich halte es für sehr bedenklich, dass der Wettbewerb mit dem französischen
Konkurrenten gerade mit Verzicht auf die Proliferationsklausel gewonnen werden konnte.
Der Zusammenhang mit dem indisch-amerikanischen Nukleardeal ist evident, auf den sowohl in Indien
als auch in Pakistan immer wieder Bezug genommen
wird. Wir müssen die gewiss interessanten, aber wahrscheinlich akademisch bleibenden Überlegungen zum
Thema Internationalisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufes durchaus fortsetzen. Aber wir müssen in der
Abrüstungspolitik sowie bei den konkret anstehenden
Projekten und Vertragswerken eine klare Position finden. Ich finde es gut, dass sich nun der Bundesaußenminister dieses Themas kraftvoll annehmen wird.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was wir in diesen Tagen in Pakistan erleben, sollte uns
nicht überraschen. Hier zerbricht eine Militärdiktatur.
Sie greift zum einzigen Mittel, das sie offenbar noch hat,
nämlich zum Ausnahmezustand und zu offener Gewalt.
Nun kommen von überallher Rufe nach Demokratie,
Freilassung der obersten Richter und der Intellektuellen
sowie Freiheit für die Opposition. Diese Rufe sind richtig und wichtig. Wir schließen uns ihnen an. Aber wir
müssen sehen, dass leider einige davon ziemlich verlogen sind; denn das alles hat eine lange Vorgeschichte, an
der wir nicht unbeteiligt gewesen sind. Pakistan ist nicht
erst seit gestern eine Militärdiktatur mit einem Putschgeneral als Präsident. Darauf müssen wir ohne Illusionen
schauen.
Es gibt heute kaum einen gefährlicheren Staat auf der
Welt als Pakistan. Das Land hat alles, was sich zum Beispiel ein Mann wie Osama Bin Laden mit seiner alQaida nur wünschen kann: politische Instabilität, ein
funktionierendes Netzwerk radikaler Islamisten, unzugängliche Trainingslager, exzellente elektronische Technologie, reguläre Luftverbindungen zum Westen und Sicherheitsdienste, die nicht immer das tun, was sie
eigentlich tun sollten. Wenn al-Qaida Stoff für eine
Bombe suchen sollte, dann ist Pakistan der Ort, wo er zu
finden ist. Machen wir uns nichts vor: Pakistan ist heute
ein Sammelbecken und Rekrutierungsgebiet für islamistische Krieger jeder Couleur, ob Taliban oder Al-QaidaKämpfer. Sie können sich dort weitgehend frei und vor
Verfolgung geschützt bewegen; denn anders als in Afghanistan und im Irak findet dort die Operation Enduring
Freedom nicht statt. Pakistans Streitkräfte verfügen
zudem - das wurde bereits erwähnt - über
75 Atomsprengköpfe.
Gleichzeitig steht das Land im Foreign Policy Magazine auf Platz 9 der Liste mit den Namen der Failed States, der gescheiterten Staaten. Das müssen wir uns einmal vorstellen: eine Atommacht als gescheiterter Staat!
Die USA sollten sich fragen, wer eigentlich gefährlicher
ist: der Iran, der vielleicht über 2,5 Kilogramm angereichertes Uran verfügt, oder das nun außer Kontrolle geratene Pakistan mit Hunderten oder sogar Tausenden
Kilos. Das ist doch ein Unterschied. Musharraf ist außerdem nicht der erste Putschgeneral. Die USA brauchten
seinen Vorgänger, Zia ul-Haq, im Krieg gegen die Sowjets und finanzierten mit Milliarden von Dollarn den Widerstand der Mudschahedin. Diese Milliarden flossen in
die Taschen und in die Kriegskassen beider Generäle.
Aus den afghanischen Flüchtlingen, die im Nachbarland
Pakistan Zuflucht suchten, rekrutierte der berüchtigte
militärische Geheimdienst ISI dann die Taliban, die anschließend wiederum zurück nach Afghanistan gingen.
Nun werden die USA die Zauberlehrlinge, die sie schufen, nicht mehr los. Diese Entwicklung war abzusehen.
Schlimmer noch: Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung an der jetzigen Situation;
({0})
denn sie hat dem wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terror offenbar ebenso wie die USA einen Freifahrtschein ausgestellt. Was hat sie - das frage ich die
Regierung - eigentlich in Sachen Menschenrechte und
Menschenrechtsverletzungen getan, und was hat sie gegen den von Pakistan unterstützten Terror in Kaschmir
unternommen? Sie hat sich mit ihrer Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan zum Mittäter gemacht und verstößt gegen die eigenen Exportrichtlinien ebenso wie gegen den Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren.
Das ist ihr Beitrag gewesen. Schlimmer noch: Seit 2001
ist Pakistan mit der Operation Enduring Freedom im Antiterrorkampf verbunden. Haben die USA eigentlich nie
gemerkt, dass die Terroristen bei ihrem engsten Verbündeten zu Hause sind? Die Terroristen, die die USA angeblich über die ganze Welt verfolgen, haben ihre Rückzugsgebiete gerade bei ihrem Verbündeten, und dieser
droht jetzt ein Opfer der eigenen Brut zu werden.
Die USA haben sich nie groß um die Demokratie in
Pakistan gekümmert. Würden sie heute die Finanzhilfe
für dieses Land einstellen, könnte es so nicht länger existieren. Statt jetzt, was an sich richtig ist, nach Demokratie zu rufen, wäre es da nicht besser, vollständig die Beseitigung des Systems Musharraf zu fordern und sich
ebenso von dem gescheiterten System dieses Antiterrorkampfs zu trennen?
Danke schön.
({1})
Das Wort hat nun Bundesminister Frank-Walter
Steinmeier.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Es gibt einfachere Reden, und es gibt schwierigere Reden. Eine Rede zur Bewertung der gegenwärtigen Entwicklung in Pakistan gehört jedenfalls nach
meiner Ansicht zu den schwierigeren Reden, Herr
Paech, wenn man redlich ist und wenn man Reden von
dieser Stelle aus nicht dazu benutzt, um nochmals die
Fehler amerikanischer Außenpolitik zu entlarven, und
wenn man nicht, Jürgen Trittin, vergisst, dass wir auch in
den Jahren 2001 bis 2005 unter grüner Außenpolitik versucht haben, Pakistan an uns zu binden. Das kann also
nicht ganz falsch gewesen sein, auch nach deiner Ansicht nicht.
Schon die Debatte bisher zeigt aus meiner Sicht: Die
Bilder und Nachrichten, die uns in den vergangenen Tagen aus Pakistan erreichten, versetzen uns alle in der Tat
in große Sorge. Ja, die Ausrufung des Notstands ist nicht
nur ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in
Pakistan, in Gefahr ist in der Tat die Stabilität im Lande
insgesamt. Das ist eine schlechte Nachricht für Pakistan,
aber auch eine schlechte Nachricht für die gesamte Region Südasien. Wenn Pakistan mit seinen über
160 Millionen Einwohnern in Chaos und Gewalt versinkt, dann bedroht das die gesamte politische Tektonik
weit über das Land hinaus, eben auch die im Nachbarland Afghanistan. Ich sage hier ganz klar: Niemals dürfen Atomwaffen und Raketensysteme in die Hände von
islamistischen Terroristen geraten.
({0})
Ich sage aber auch: Pakistans Präsident Musharraf hat
sich im Kampf gegen den Terror in den vergangenen
Jahren durchaus als wichtiger Verbündeter des gesamten
Westens gezeigt. Er hat bis an den Rand seiner innenpolitischen Kräfte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Kampf gegen al-Qaida und fanatisierte Taliban unterstützt. Ich betone das deshalb, weil wir uns
auch jetzt, in dieser schwierigen Situation in Pakistan,
vor Zerrbildern hüten sollten. Der eine oder andere hat
die Gelegenheit zu politischen Gesprächen mit
Musharraf gehabt. Wer ihn kennt, weiß - das ist kein
Freibrief; verstehen Sie es bitte nicht so -, dass dieser
Mann jedenfalls kein kaltblütiger Diktator ist.
Richtig ist leider auch: Der pakistanische Präsident
sieht sich in seinem Land mit immer engeren Netzwerken konfrontiert, die - jetzt zitiere ich nicht ihn, sondern
Benazir Bhutto - täglich Terror schüren, finanzieren und
ausführen. Ich füge hinzu: Das sind eben Netzwerke, die
den Staat mit brutaler Gewalt von der Wurzel her zerstören wollen.
Was besagt das? Das besagt zunächst einmal, dass
eine solche Situation Gegenwehr erforderlich machen
kann. Das besagt auch, dass eine solche Situation EntBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
schiedenheit in den staatlichen Entscheidungen und im
staatlichen Verhalten begründen, wenn nicht sogar verlangen kann. Ebenso deutlich sage ich aber: Gerade wegen der großen Herausforderung für Pakistan, die ich beschreibe, ist Pakistans Präsident mit der Ausrufung des
Notstands auf einem Irrweg, ich glaube, auf einem gefährlichen Irrweg.
({1})
Der eine oder andere von Ihnen hat es angesprochen:
Die Verhaftungen, der Hausarrest von Führern politischer Parteien, von Juristen, von Vertretern des öffentlichen Lebens sind genau die falschen Mittel, um die Ordnung in diesem Land zu erhalten; denn sie untergraben
das Fundament, auf dem die staatliche Ordnung in Pakistan bislang noch stand. Die Notstandsmaßnahmen
richten sich ganz offensichtlich - das hat auch jemand
von Ihnen gesagt - gerade gegen die Kräfte, die Pakistan
braucht, um eine demokratische, rechtsstaatliche und
stabile Gesellschaft aufzubauen. Ich unterstreiche: Mit
einer erzwungenen Friedhofsruhe ist für Pakistan der
Kampf gegen die Feinde des Staates ganz sicher nicht zu
gewinnen.
({2})
Gemeinsam mit vielen internationalen Partnern, vor
allen Dingen aus der Europäischen Union, haben wir, die
Bundesregierung, deshalb eine klare Botschaft an die
Regierung in Islamabad gesandt: Allein die möglichst
schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung
kann aus dieser gefährlichen Krise herausführen. Das
habe ich gestern auch meinem pakistanischen Kollegen
in aller Offenheit am Telefon erläutert.
Mit anderen Worten: Niemand bezweifelt das Recht
der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische
Angriffe zur Wehr zu setzen. Niemand bezweifelt die
Notwendigkeit, für Stabilität und Sicherheit in Pakistan
einzutreten. Aber wer nachhaltige Stabilität erreichen,
wer die Menschen gegen religiöse und politische Extremisten mobilisieren will, der muss dafür zwingend den
Weg von Rechtsstaat und Demokratie einschlagen.
({3})
Eine zivile Regierung, das Prinzip der Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Medien, das sind die tragenden Säulen jeder Demokratie,
und es sind auch die Säulen, die Pakistan vor dem Chaos
bewahren. Ich erneuere deshalb meinen Appell, die vielen politischen Führer, Anwälte, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft schnellstmöglich wieder auf
freien Fuß zu setzen und die Einschränkungen, vor allen
Dingen der Medienfreiheit, zurückzunehmen.
({4})
Oberste Priorität muss dann sein, die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen wieder zu schaffen. Ich
begrüße, dass die pakistanische Regierung angekündigt
hat - der pakistanische Außenminister hat es mir gestern
am Telefon noch einmal versichert -, dass die in Aussicht
genommenen Wahlen tatsächlich Anfang des Jahres, also
Januar/Februar 2008, stattfinden sollen. Wir werden die
pakistanische Regierung und Präsident Musharraf bezüglich dieser Ankündigung beim Wort nehmen.
Die unverzügliche Vorbereitung von wirklich freien
und fairen Wahlen wäre jedenfalls auch aus unserer
Sicht ein wichtiges Zeichen dafür, dass es der Regierung
mit der Rückkehr zur Demokratie, mit der Rückkehr zur
verfassungsmäßigen Ordnung, die jetzt angekündigt
worden sind, ernst ist.
Ziel muss es sein, den Notstand so schnell wie möglich zu beenden und zur verfassungsmäßigen Ordnung
zurückzukehren. Solange dies nicht der Fall ist, werden
wir auch in unseren bilateralen Beziehungen nicht ohne
Weiteres zur Tagesordnung übergehen können. Das heißt
konkret, dass wir unsere ohnehin restriktive Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan im Lichte der aktuellen
Ereignisse überprüfen müssen.
({5})
Das heißt auch - Kollegin Wieczorek-Zeul hat das in
diesen Tagen bereits angekündigt -, dass wir jedenfalls
Entwicklungshilfe vorübergehend nur noch für solche
Projekte gewähren, die konkret den Menschen helfen.
Unsere Politik - deshalb sage ich das - richtet sich gerade nicht gegen die Menschen in Pakistan, gerade sie
dürfen wir in dieser Situation nicht allein lassen. Wir
müssen die Zusammenarbeit in allen Bereichen aufrecht
erhalten und die suchen, die wieder zu stabileren Verhältnissen in Pakistan und der gesamten Region beitragen können.
Das allerdings ist erforderlich, und ich füge hinzu: Alles andere würde ich auch für nicht verantwortlich halten. Denn uns allen muss bewusst sein: Ohne Pakistan
wird es in Südasien, wird es gerade in Afghanistan keine
Stabilität geben können. Ohne Pakistan wird es auch im
Kampf gegen den internationalen islamistischen Terrorismus keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das war einer
der wichtigen Gründe - ich bin Herrn Kolbow dankbar,
dass er daran erinnert hat -, warum wir den afghanischen
und den pakistanischen Außenminister im Juni gemeinsam nach Potsdam eingeladen haben, um die Kooperation zwischen den beiden Ländern zu verbessern.
Meine Damen und Herren, wir haben alles in allem in
einer schwierigen und, was die weitere Entwicklung angeht, schwer zu beurteilenden Lage ein ureigenes Interesse daran, dass Pakistan schnellstmöglich wieder zu
Demokratie und Stabilität zurückkehrt. Genau dafür
werden wir uns und werde ich mich nach Kräften einsetzen.
Herzlichen Dank.
({6})
Nun hat Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
in diesem Hause sind uns in der Bewertung der Situation
in Pakistan an den meisten Stellen sehr einig. Insofern,
Herr Außenminister, kann ich die Bemerkung, die Sie
gegenüber meinem Kollegen Trittin gemacht haben,
nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlich unterstreicht jeder bei uns in der Fraktion die Notwendigkeit,
Pakistan an uns zu binden, um es in einen positiven Prozess in der Region einzugliedern. Insofern weiß ich
nicht, weshalb Sie hier versucht haben, Fronten aufzumachen, die wir in diesem Haus gar nicht haben.
({0})
Wir müssen in dieser Situation aber auch genau
schauen, welche Fehler wir im Bündnis mit Pakistan machen. Die Diskussion über die Entwicklungszusammenarbeit ist da die denkbar falsche Diskussion. Die Projekte, die wir dort durchführen, helfen den Menschen
tatsächlich und tragen mehr zur Stabilität bei als die anderen Dinge, auf die wir noch zu sprechen kommen
müssen.
({1})
Wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, muss
man sich bei allem Interesse an einem engen Bündnis
mit Pakistan die Rolle des Militärs in der pakistanischen
Gesellschaft genau anschauen. Da muss man auch konstatieren, dass der feste Wille von Musharraf und den
Militärs, gegen den Islamismus vorzugehen, nicht in jeder der Meldungen über die Situation in Pakistan, die
wir heute mitbekommen, ersichtlich ist und dass die eigentlich zu stärkenden Kräfte in Pakistan diejenigen
sind, die unter dem Militär zu leiden haben. Um es einmal deutlich zu formulieren: Man hat nicht den Eindruck, dass die Islamisten im Moment Hauptadressat
staatlicher Gewalt sind.
({2})
Demzufolge muss man genau hinsehen, wie sich der
Umgang Deutschlands mit Pakistan entwickelt hat, darf
aber auch das regionale Gesamtgefüge nicht aus dem
Blick verlieren. Wenn Sie, Herr Außenminister, von der
ohnehin restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutschlands gegenüber Pakistan sprechen, muss man dem einmal die konkreten Zahlen gegenüberstellen. Wir sehen,
dass sich Pakistan inzwischen - die Bundesregierung hat
gestern den Rüstungsexportbericht vorgelegt - in den
Top Zehn befindet.
({3})
Das gibt uns zu denken. Wenn man miterlebt, welch intensiver Handelstourismus von verschiedensten Ministern der Bundesregierung in dieser Region betrieben
wird - der Verteidigungsminister, aber auch andere waren da schon unterwegs -, und wenn man sieht, was da
an wirtschaftlichen Interessen besteht und an Projekten
inzwischen auf dem Tisch liegt, dann muss man feststellen: Es gibt im Gegenteil eine massive Anstrengung für
Rüstungsgeschäfte in der Region, sowohl in Pakistan
wie auch in Indien, über das wir in dem Zusammenhang
natürlich mit sprechen müssen. Wir wollen und müssen
Sie ermuntern, Ihre Politik zu überprüfen, weil das Restriktive in den letzten Jahren doch etwas zu kurz gekommen ist.
({4})
Ich will das beispielhaft an der Frage der U-Boot-Lieferungen an Pakistan noch einmal ausführen. Sie haben
im Geheimen beschlossen, drei U-Boote nach Pakistan
zu liefern: modernste Bauart, Brennstoffzelle, schwer zu
erkennen, potenzielles Erstschlags- oder Zweitschlagsinstrument, selbst konventionell eine ganz erhebliche Herausforderung für die regionale Stabilität im Bereich um
Pakistan herum.
In einer schwierigen Situation mit Pakistan ist Indien.
Sie als Bundesregierung fahren auch in der Frage der
Lieferung von Eurofightern wie auch in der Frage des
Nukleardeals mit Indien keine restriktive Politik, sondern vernachlässigen den Charakter der Region als Krisenregion an den Stellen, wo Wirtschaftsinteressen ziehen. Wir fragen Sie hier seit einem halben Jahr, welches
nationale Interesse, welches besondere außen- und sicherheitspolitische Interesse die Bundesregierung an
diesen Rüstungsdeals hat. Die Antwort verweigern Sie
bis heute.
Es ist deutlich: Wir können überhaupt kein außenund sicherheitspolitisches Interesse daran haben, diese
Art von Systemen an pakistanische Militärs zu liefern,
zumal wir wissen - vor einem halben Jahr wussten wir
es auch schon -, dass niemand sagen kann, wer eigentlich am Ruder dieser U-Boote sitzen wird, wenn sie denn
jemals geliefert werden. Da ist die Überprüfung, die Sie
hier ankündigen, mehr als angezeigt.
({5})
Wir müssen in dem Zusammenhang auch sehen, dass
die Appelle, die hier zu einer gemeinsamen europäischen Position ausgesprochen werden, eine große Herausforderung für die Linie der Bundesregierung darstellen.
({6})
Wieder am Beispiel dieser U-Boote, aber auch bei anderen Projekten muss man sich einmal anschauen, welches
Wettrennen da zwischen Deutschen und Franzosen stattfindet - erlauben Sie den Ausdruck: welche Schleimspur
da von Islamabad nach Rawalpindi gezogen wird - in
der Konkurrenz darum, wer denn solche Systeme, über
die wir hier sprechen, liefern darf.
Angesichts dessen ist die erste Anstrengung, die wir
von Ihnen erwarten, die, die tatsächliche Europäisierung
auf Basis dessen, was im europäischen Verhaltenskodex
zum Rüstungsexportbereich enthalten ist, durchzusetzen.
Dann wird auch deutlich: Die restriktive Position gegenüber Pakistan mit der Einstufung dieser Region als Krisengebiet muss endlich entsprechend den Richtlinien der
Bundesregierung wie auch des europäischen Verhaltenskodexes bezogen werden. Wir ermuntern Sie ausdrücklich, diesen Weg einzuschlagen. Die Zahlen sprechen
aber leider eine andere Sprache.
Wenn die Situation in Pakistan etwas dazu beiträgt,
dass wir einen gemeinsamen Lernprozess durchmachen,
dann sollte das der erste Weg sein; den können Sie
schnell umsetzen. Wir warten gespannt darauf, Herr Minister.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Debatte hat deutlich gemacht, dass wir alle anerkennen: Pakistan ist ein strategischer Schlüsselstaat - unabhängig von all den Problemen, die hier zu Recht beschrieben worden sind -, und zwar zum Ersten wegen
seiner Atomwaffen und zum Zweiten wegen seiner Bedeutung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen mit der
Frage: Wie sieht es jetzt aus, und hätte man das verhindern können? - Wir müssen einfach erkennen, dass der
Staat Pakistan von Anfang an ein großes Identitätsproblem gehabt hat, das er bis heute nicht hat lösen können.
Es ist im Wesentlichen, wenn ich es richtig sehe, eine
Art Antiidentität, die den pakistanischen Staat zusammenhält. Vor allem ist man antiindisch. Man ist jetzt zunehmend antiwestlich im Allgemeinen und antiamerikanisch im Besonderen. Weil sich dieser Staat auf den
Islam begründet hat, war von Anfang an der Widerspruch inhärent, den der Islam für das Staatsverständnis
beinhaltet, nämlich eigentlich eine weltumfassende
Umma der Gläubigen zu sein, was sich nicht einfach in
eine nationalstaatliche Schublade stecken lässt. Aus der
eben skizzierten Antiidentität heraus hat sich die spezielle islamische Ausprägung in Pakistan zunehmend zu
einer Art Dschihad-Islamismus entwickelt.
Diese schwierige Grundlage hat dazu geführt, dass
das Land in den 60 Jahren seiner bisherigen Unabhängigkeitsgeschichte 30 Jahre vom Militär regiert wurde,
weil das Militär wohl immer wieder die einzige Klammer war, die das Land zusammengehalten hat. Aber wir
wissen aus der Entwicklung in Lateinamerika und anderswo, dass Streitkräfte in einer solchen staatstragenden
Rolle selten Geburtshelfer für demokratische Verhältnisse sind. Jetzt sehen wir, dass der Ausnahmezustand
die Lage noch weiter zuspitzt. Ich kann mich natürlich
allen Forderungen, die hier erhoben worden sind, anschließen.
Folgendes bleibt aber unabhängig von der schwierigen Problematik bestehen: Wir haben mit unseren
40 000 Soldaten der ISAF-Truppen in Afghanistan ein
ganz vehementes Interesse an Stabilität in Pakistan und
an einer pakistanischen Regierung, die in der Lage ist,
den Kämpfernachschub nach Afghanistan unter Kontrolle zu bekommen. Wir haben natürlich - dazu will ich
noch ein paar Worte in Ergänzung zu dem sagen, was der
Kollege Hoyer angesprochen hat - das unmittelbare
vitale Interesse, dass die Atomwaffen, über die Pakistan
verfügt, nicht in die falschen Hände geraten. Diese Gefahr ist mit dem Ausnahmezustand gewachsen.
Wir haben, wenn wir ehrlich sind - das hat mein Kollege von Klaeden richtigerweise gesagt -, wenig eigene
Einflussmöglichkeiten als Bundesrepublik Deutschland;
diese Möglichkeiten sollten wir nicht überschätzen. Die
Europäische Union muss - das würde ich mir, gerade im
Hinblick auf die hier angemahnte Überprüfung der Militärzusammenarbeit, wünschen - hier zu gemeinsamen
Positionen finden. Sonst nützen die Forderungen, unsere
Form der Kooperation zu überdenken, wenig; das muss
auf europäischer Ebene überprüft werden. Ich schließe
mich durchaus dem Wunsch an, bei der Militärhilfe jetzt
eine Art Moratorium vorzusehen, um zu schauen, mit
wem wir es nach der - hoffentlich erfolgreichen - Bewältigung der Krise in Pakistan dauerhaft zu tun haben.
({0})
Bei der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages
müssen wir mittelfristig natürlich auch darüber nachdenken, welche Brücken der Sperrvertrag Ländern wie Indien, Pakistan und Israel bieten kann, in das Regime zurückzukehren oder einzutreten. Darüber wird bisher
nicht allzu viel nachgedacht. Ich möchte uns alle auch
dazu auffordern, hier gemeinsam Wege zu finden.
({1})
Wenigstens müsste man versuchen, aus dem indischamerikanischen Abkommen einen Weg generellerer Art
zu finden, der dann auch für die anderen Länder gilt, die
näher an den Atomwaffensperrvertrag herangeführt werden sollten.
Nun zum Kampf gegen den Terrorismus. Es wird immer gesagt, unsere offenen Gesellschaften seien besonders anfällig. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Unsere demokratischen Werte sind die stärkste Waffe im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
({2})
Das gilt für das, was wir intern machen, und das muss
mindestens mittelbar bei der Frage zum Ausdruck gebracht werden, mit welchen Partnern wir den internationalen Terrorismus bekämpfen. Deshalb bleibt es wichtig
- dazu werden meine Kollegen gleich noch sprechen -,
dass wir die Respektierung der Menschenrechte und die
Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung einfordern
und dass wir denen, die in Pakistan genau dafür kämpfen, unsere Solidarität zusichern. Das ist das Ergebnis
dieser Aktuellen Stunde.
Vielen Dank.
({3})
Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Pflug, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Paech hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen,
dass es eigentlich keine Überraschung gewesen sei, dass
Pervez Musharraf den Ausnahmezustand ausgerufen
habe; das habe man aus der Historie ablesen können. In
der Tat, Kollege Paech, dies ist keine Überraschung gewesen; denn bereits am 7. Oktober hat Musharraf zum
ersten Mal mit der Verhängung des Ausnahmezustandes
kokettiert. Das hatte allerdings einen anderen Ursprung:
Damals war er sich nicht sicher, ob der von ihm ursprünglich abgesetzte Richter Chaudhry seine mögliche
Wiederwahl bestätigen würde.
Nun kann man solche historischen Betrachtungsweisen natürlich immer vornehmen; das kann ganz nützlich
sein. Die Frage ist nur: Wann und wo beginnt man damit? Sie hätten natürlich auch sagen können: 1979, 1980
oder 1981 wurde dieses Land zum ersten Mal instabilisiert, als die Afghanen auf der Flucht vor den sowjetischen Panzern nach Pakistan gingen und den Prozess der
Instabilisierung in Gang setzten bzw. fortsetzten. Ich
gebe Ihnen recht: Natürlich haben die Amerikaner in Pakistan eine falsche Politik gemacht. Aber auch dazu sage
ich: Sie sind wahrscheinlich nicht die Einzigen gewesen,
die in den vergangenen Jahrzehnten eine falsche Politik
gemacht haben. Auch andere sollen das gemacht haben. Das ist also so eine Sache mit den historischen Reminiszenzen.
Ich will das aufgreifen, worauf der Außenminister
eingegangen ist. Ich hatte nach dem Oktober 1999 die
Gelegenheit, Pakistan zu bereisen. Das war einige Monate nach dem Militärputsch. Außenminister Steinmeier
hat völlig recht: Ich habe damals nicht einen Pakistaner
erlebt, der mir gesagt hätte, dass Musharraf ein blutiger
Militärdiktator ist. Vielmehr waren in Pakistan gerade
mit der Machtübernahme dieses Militärmachthabers
große Hoffnungen verbunden; denn man sagte: Die alten, korrupten Parteieliten haben ausgedient. Sie haben
das Land an den Abgrund gebracht.
Er hat ja in den vergangenen Jahren durchaus versucht, ziemlich viele demokratische Elemente zu bewahren. Es gab eigentlich bis letzte Woche so etwas wie
Pressefreiheit in Pakistan. Es gab keine Massenverhaftungen. Selbst die Parteien durften sich artikulieren, was
allerdings für uns kein Grund sein kann, in ihm jetzt den
Garanten eines Übergangs in eine demokratische Entwicklung zu sehen.
Was er sich 1999 vorgenommen hatte, konnte er allerdings nicht umsetzen. Sicherlich hat dazu die Entwicklung nach dem 11. September 2001 beigetragen. Die
Amerikaner haben ihn in die Antiterrorkoalition gezwungen. Damit begann natürlich das Desaster für ihn
und das Land. Denn Musharraf war in der Abwägung
zwischen den religiösen Strömungen, insbesondere den
fundamentalistischen Strömungen, in seinem Lande einerseits und der Bündnissolidarität im Kampf gegen den
Terror andererseits gezwungen, sich klar auf die Seite
der Amerikaner, der Antiterrorkoalition zu stellen. Damit begann natürlich die auch für ihn selbst lebensgefährliche Auseinandersetzung mit den Radikalen im eigenen Lande und mit seinem Geheimdienst.
Das, was er sich vorgenommen hatte, etwa die Integration der Religionsschulen, ist nicht ansatzweise gelungen. Als ich damals in Pakistan war, sprach man von
8 000 bis 12 000 Religionsschulen. Mittlerweile spricht
man von 14 000 bis 20 000. Wenn man sich überlegt,
welches Potenzial dahintersteckt - ich unterstelle einmal, dass jede Religionsschule in der Lage ist, zumindest
1 000 bis 5 000 Anhänger innerhalb kürzester Zeit zu
mobilisieren, und das bei 20 000 Religionsschulen -,
dann weiß man, dass innerhalb von wenigen Stunden
Millionen auf die Straße zu bringen sind. Das ist in der
Vergangenheit von den sogenannten demokratischen
Parteien natürlich immer wieder ausgenutzt worden.
Wenn sie versuchten, ihre Zwecke zu verfolgen, wurden
die Anhänger auf die Straße geschickt.
Wir sollten uns aber weniger mit der Vergangenheit
beschäftigen und uns vielmehr die Frage stellen: Wie
könnte es weitergehen? Wie sieht die Zukunft aus? Nach
meiner Einschätzung gibt es vier Entwicklungsszenarien: Das erste Szenario ist gespenstisch. Der Staat zerfällt und würde ähnlich unkontrollierbar wie Afghanistan, wenn wir Afghanistan verlassen würden. Zweites
Szenario: Es entsteht so etwas Ähnliches wie ein islamischer Gottesstaat. Drittes Szenario - das ist die augenblickliche Entwicklung -: Die vom Militär gestützte Regierung bleibt an der Macht, und es entwickelt sich eine
harte Militärdiktatur in Pakistan. Viertes Szenario: Die
Demokratisierung bringt die alten, korrupten Führungseliten wieder ins Amt.
Ich denke, alle vier Alternativen sind nicht besonders
erfreulich. Von daher, meine ich, sollten wir versuchen,
alle unsere Möglichkeiten zu nutzen - es sind nicht
viele; sie haben eher appellatorischen Charakter -, das
zu fordern, was wir für notwendig halten.
Von den Kolleginnen und Kollegen ist hier schon gesagt worden: Wir sollten über die Europäer an die Vereinigten Staaten appellieren, die Militärhilfe einzustellen.
Präsident Bush hat ja angekündigt, dass er seine Maßnahmen überprüfen wolle.
Wir sollten weiterhin appellieren, dass Pakistan alsbald zur Demokratie zurückkehrt - wobei ich einschränkend sage: zu einer demokratischen Entwicklung mit
oder ohne Musharraf.
In jedem Fall müssen im nächsten Jahr demokratische
Wahlen abgehalten werden, an denen sich natürlich die
beiden großen Parteien und andere beteiligen. Vielleicht
kann es so etwas wie eine Allparteienregierung geben. Dabei will ich aber nicht darauf eingehen, ob es sinnvoll
ist, dass Benazir Bhutto oder Nawaz Sharif dieser Regierung angehören. Das sind doch die Repräsentanten dieser
alten korrupten Eliten. Aber es wird ohne die demokratischen Parteien nicht gehen. Vermutlich wird es auch nicht
ohne die Hilfe von Musharraf gehen, der diesen Übergang
mit einleiten muss. Dann ist irgendwann, meine ich, der
Zeitpunkt gekommen, dass auch Musharraf zu gehen hat.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Ja. - Bei der Frage, warum uns das Ganze interessiert,
verweise ich auf unsere Debatte am heutigen Morgen.
Pakistan kann man nicht ohne Afghanistan sehen, und
Afghanistan kann man nicht ohne Pakistan sehen. Solange wir in Afghanistan engagiert sind, bleibt uns nichts
anderes übrig, als uns auch für Pakistan zu engagieren
und uns dafür einzusetzen, dass dort eine demokratische
Entwicklung einsetzt und das Land und die Region sich
stabilisieren.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Johannes
Pflug hat recht, wenn er sagt, dass man Afghanistan und
Pakistan zusammen sehen müsse. Ich teile sehr vieles
von dem, was heute gesagt worden ist.
Aber im Hinblick auf den Beitrag vom Kollegen
Paech möchte ich schon noch sagen: Wenn man versucht, die heutige Debatte über Pakistan zu einer Debatte
über Afghanistan, das militärische Engagement und die
Fehler der Vergangenheit umzufunktionieren, ist das angesichts der Probleme in Pakistan auf keinen Fall angemessen und dieser Debatte nicht würdig.
({0})
- Dazu komme ich gleich. - Wenn Sie sagen, Deutschland habe sich da nicht hinreichend engagiert, ist das
schlichtweg falsch. Schauen Sie sich einmal an, durch
wessen Vermittlung ein wenig Bewegung in die Kaschmir-Frage gekommen ist! Diese Bundesregierung ist daran beteiligt gewesen. Schauen Sie sich einmal an, was
im Bereich der Demokratisierung in Pakistan passiert
ist! Dort hat sich ebenfalls unsere Bundesregierung sehr
stark engagiert. Das alles kann man sicherlich verbessern; niemand ist perfekt. Aber ich glaube schon, dass
wir daran einen entscheidenden Anteil gehabt haben. Ich denke, der Kollege Ruck wird dazu noch das eine
oder andere sagen.
Ich finde, dies ist ein Kernproblem. Es ist zu fragen:
Kann man eigentlich stabile Strukturen auf Kosten von
Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten
aufrechterhalten? Ich glaube, dazu muss man ganz deutlich sagen: Nein, das ist definitiv der falsche Weg. Unser
Signal kann nicht sein, eine solche Lösung in irgendeiner Form zu unterstützen. Vielmehr müssen wir deutlich
sagen, dass wir die Zukunft Pakistans nur in einer demokratischeren Entwicklung, als sie heute erkennbar ist, sehen.
({1})
Schauen Sie sich einmal an, wie Präsident Musharraf
den Ausnahmezustand tatsächlich selber begründet hat:
Es geht ihm um das Problem einer drohenden Destabilisierung des Landes und um das Problem, dass die Extremisten immer mehr an Macht gewinnen. Das wirft natürlich Fragen auf. Die erste Frage ist: Warum jetzt? Dass
die Taliban in diesem Land mehr Einfluss gewinnen, ist
keine neue Entwicklung. Weiterhin wirft das die Frage
auf: Wen trifft eigentlich dieser Ausnahmezustand? Diese Frage ist hier heute schon behandelt worden. - Er
trifft diejenigen, die sich für Demokratie einsetzen. Er
trifft diejenigen, die sich für Rechtstaatlichkeit einsetzen. Er trifft die Anwälte, er trifft die Opposition, er trifft
viele, die Musharraf eigentlich braucht, um den Kampf
gegen den Extremismus gewinnen zu können. Deshalb
meine ich, dass ihm klargemacht werden muss - auch in
seinem eigenen Interesse -, dass er falsch liegt, wenn er
glaubt, dass er diese Entwicklung fortsetzen kann, und
dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass wir auf diese
Art und Weise mehr Stabilität für das Land bekommen.
Es kommt noch die Tatsache hinzu, dass nicht einmal
die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und
Glaubensfreiheit, die in diesem Land lebt, davor gefeit
ist, unter Hausarrest gestellt zu werden. Das sollte die internationale Staatengemeinschaft doch in höchstem
Maße beunruhigen.
({2})
Es ist vollkommen evident - darauf ist vielfach hingewiesen worden -, dass Pakistan für uns ein wichtiger
Partner ist. Pakistan ist zum Beispiel ein wichtiger Partner in der Region, wenn es um die Frage geht, wie wir
Afghanistan stabilisieren können. Pakistan ist ja auch
eine Atommacht. Michael Stürmer hat vorgestern in der
Welt sinngemäß geschrieben: Wenn Pakistan verloren
geht, dann geht auch Afghanistan verloren. Unter diesem
Aspekt müssen wir die gesamte Debatte sehen.
({3})
- Es ist sehr interessant, dass diejenigen, die immer in
der Vergangenheit rühren und sagen, dass in der Vergangenheit immer nur von einer Seite etwas falsch gemacht
wurde, nämlich von den Amerikanern, nicht bereit sind,
anzuerkennen, dass diese Region eine lange Geschichte
hat. Sie geht nicht nur 60 Jahre zurück, sondern wesentlich weiter. Sehr viele Mächte, nicht nur die USA, haben
sich dort in sehr unguter Form betätigt. Ich finde, man
kann nicht die Verantwortung des einen betonen, aber
die Verantwortung des anderen nicht nennen.
Das ist aber nicht die Frage, um die es geht. Die
Frage, um die es geht, ist, wie wir einen Beitrag dazu
leisten können, dass es in Pakistan zu stabilen Verhältnissen kommt und die Menschenrechte geachtet werden.
Es ist vor allem notwendig, nach vorne zu sehen. Wir
müssen deutlich machen, dass wir das, was geschehen
ist, verurteilen und an der Seite derjenigen stehen, die
sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. Der sonst so viel gescholtene amerikanische Präsident Bush hat gesagt, dass Diktaturen ein Nährboden für
wachsenden Extremismus sind. Es wäre eine Katastrophe - nicht nur für die USA oder die westliche Welt,
sondern für die gesamte Region, insbesondere für Pakistan -, wenn sich dieses Wort ausgerechnet in diesem
Land bewahrheiten würde.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Uta Zapf für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Hier ist schon so viel Richtiges über die Situation
und die Hintergründe gesagt worden, dass ich das nicht
noch einmal wiederholen möchte. Ganz deutlich ist geworden, dass wir alle ein Stück weit hilflos sind bezüglich der Frage, wie wir diese tiefe Krise, die uns ganz
hautnah betrifft - auch, aber nicht nur wegen Afghanistan -, beilegen können bzw. einen Beitrag zur Lösung
leisten können.
Dass Pakistan ein Partner im Kampf gegen den Terror
ist - gegen al-Qaida und die Taliban, die im Grenzgebiet
zwischen Afghanistan und Pakistan sitzen -, ist erwähnt
worden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die weitere Entwicklung Konsequenzen für die gesamte Region
hat. Für uns muss angesichts dessen, was in dem nuklear
bewaffneten, instabilen Staat Pakistan passiert ist, die
höchste Alarmstufe gelten. In Pakistan ist nicht nur der
Notstand verhängt worden, sozusagen nach den Regeln
der Kunst, sondern das war schlichtweg auch ein Coup:
Die Verfassung ist ausgehebelt und eine vorläufige Verfassung etabliert worden, die jederzeit geändert werden
kann. Die Richter sind verjagt worden, und alle Oppositionellen werden verfolgt.
Ich möchte mich auf das Szenario beziehen, das
Johannes Pflug beschrieben hat. Die Szenarien sind alle
nicht besonders schön, das letzte müssen wir allerdings
als realistisch bezeichnen: Die verschiedenen Parteien
sind nicht so aufgestellt, wie wir uns das wünschen.
Benazir Bhutto ist, nachdem ihr die Absolution für ihre
vergangenen Sünden versprochen wurde, zurückgekommen und hat sich als Partnerin für Musharraf angeboten.
Sie ist äußerst unglaubwürdig, wenn sie jetzt plötzlich
zum Widerstand aufruft und sich als die beste demokratische Oppositionelle gebärdet.
Die eigentlichen Helden in Pakistan sind in der Tat
die Richter und die anderen Oppositionellen, die es gewagt haben, mit aufrechtem Kreuz den Gelüsten von
Musharraf entgegenzutreten. Der eigentliche Machtkampf ist ja deshalb ausgebrochen, weil Musharraf gemeint hat, dass der oberste Richter Chaudhry, sein Erzfeind, aufgrund der vergangenen Ereignisse, die hier
auch schon erwähnt worden sind, seine Wiederwahl als
Präsident nicht als legitim abnicken würde, er also in
große Schwierigkeiten kommen würde, wenn dieser
Mann nicht mundtot gemacht wird. Aber diese Menschen lassen sich nicht mundtot machen. Es gibt, wie ich
finde, einige schöne Zitate von ihm, die es sich anzuhören lohnt. Chaudhry sagt: Er hat die Verfassung in Stücke gerissen. - Das ist in der Tat eine schöne bildliche
Sprache, die wir uns meistens gar nicht mehr leisten. Außerdem ruft er seine Mitmenschen auf, sich für die Verfassung zu opfern.
Ich möchte nicht, dass diese Menschen geopfert werden. Ich möchte vielmehr, dass wir uns überlegen, welche Möglichkeiten es gibt. Ich bin froh, dass es so viele
Appelle zur Rückkehr zur Demokratie gegeben hat. In
der Tat ist es notwendig, dass die Verhafteten entlassen
werden, dass die Verfassung wieder in Kraft gesetzt
wird, dass Wahlen angesetzt werden und dass Musharraf
seine Armeeuniform auszieht.
({0})
Das alles löst aber das Problem noch nicht endgültig.
Das Problem ist tiefer gehend; denn keine der Parteien,
weder Musharrafs Partei noch die beiden anderen großen
Parteien, hat eine politische Vorstellung, wie man dieses
Land stabilisieren kann. Sie haben nur Machtvorstellungen, wie man dieses Land ausrauben oder beherrschen
kann. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir alle wissen ja, dass es notwendig ist, dieses Land zu stabilisieren, und dass dies nur dann möglich ist, wenn wir die
Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, in diesem
Land zu leben und Demokratie zu praktizieren.
Wir müssen auch bei den bisher unbeherrschbaren
Gebieten wie Waziristan und Belutschistan, in denen die
Taliban sitzen, ansetzen. Die dortige Entwicklung macht
uns große Sorge, weil da zum Beispiel Soldaten, die
keine Lust mehr hatten, gegen ihre Stammesbrüder, die
als Taliban bezeichnet wurden, zu kämpfen, ihre Waffen
niedergelegt haben und übergelaufen sind. Man hat über
Jahrzehnte versäumt, den Menschen in diesen Gebieten
eine Perspektive zu geben. Dort besteht ein Nährboden
für Radikalismus und Fundamentalismus, welchen
Musharraf bekämpfen sollte, aber tatsächlich nicht bekämpft. Ich denke, was ich in einer Presseerklärung von
Herrn Polenz gelesen habe, ist der richtige Weg: Militärhilfe überdenken, aber die humanitäre Hilfe nicht einstellen.
({1})
Ich würde sogar dafür plädieren, sich viele Gedanken
darüber zu machen, wie wir helfen können - ebenso
massiv, wie wir Afghanistan, dem geschundenen Land,
geholfen haben -, diese Regionen zu stabilisieren. Das
ist in unserem eigenen Interesse. Ich erinnere trotz Ihres
Widerspruchs daran, dass Pakistan und Afghanistan im
Zusammenhang gesehen werden müssen.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Christian Ruck für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zunächst an einen Vorgang in der jüngeren
Geschichte des Bundestages erinnern, nämlich an den
17. Mai 2001, an dem in den Bundestag ein Antrag eingebracht wurde, der dann mit den Stimmen aller Parteien
verabschiedet wurde. In dem Antrag wurde Präsident
Musharraf aufgefordert, so schnell wie möglich zur Demokratie zurückzukehren, ihm wurde aber auch vom
ganzen Haus der Rücken gestärkt für die überfälligen,
notwendigen Reformen in einem zerrütteten Land, das
damals am Rand des Zerfalls stand, dessen Demokratie
damals desavouiert war und das sich durch korruptionsbehaftete Politiker wie Benazir Bhutto und Nawaz Sharif
in einer Sackgasse befand. Wir haben ihn als neuen Regierungschef Pakistans in dem Antrag auch dazu aufgefordert, dass er die Unterstützung der Taliban einstellt,
dass er sich mit Indien aussöhnt und dass er eine entwicklungsorientierte Politik betreibt, die der Mehrheit
der Bevölkerung dient und ihr Perspektiven verschafft.
Es gibt viele Parallelen zu heute. Die Bilanz von
Musharraf ist sehr durchwachsen. Ich möchte daran erinnern, dass er gerade in letzter Zeit in der Aussöhnungspolitik mit Indien große Fortschritte erzielt hat. Es gibt
auch demokratische Reformen und wirtschaftlichen Erfolg, aber vieles ist nur halbherzig umgesetzt worden,
und - das ist vor allem zu nennen - der wirtschaftliche
Erfolg kam nicht bei der breiten Bevölkerung Pakistans
an.
Man muss jedoch klar sehen - das wurde heute bereits angesprochen -, dass der Krieg gegen die Terroristen in Afghanistan und der Kampf um die Wiederherstellung von Demokratie und Frieden in Afghanistan infolge
des 11. September 2001 nicht nur die Bedeutung Pakistans regional und international enorm erhöht haben, sondern auch seine Probleme. Die aktuelle Situation, die
sich zuspitzt, zeigt, dass die Regierung Musharraf diesen
Spagat zwischen Islamisten und Feudalisten sowie echten und falschen Demokraten kaum mehr hinbekommen
kann.
Es wurde auch schon gesagt, dass das Land in der
Vergangenheit nicht zusammengewachsen ist und die
zentrifugalen Kräfte stärker denn je offen zutage treten.
Das hat viele Gründe; es hat hier und da etwas mit halbherzigen Politiken zu tun. Aber auch ich glaube, dass die
tieferen Ursachen dafür in fehlender Entwicklung und
fehlender Perspektive für die breite Bevölkerung zu suchen sind. Ich denke an Stammesgebiete, wo noch archaische Zustände herrschen, an Großstadtslums und an feudalistische Zustände in weiten Teilen des Landes wie
zum Beispiel in Pandschab.
Wenn es zutrifft - das ist zweifellos der Fall -, dass
die Stabilität Pakistans und eine positive Entwicklung
Pakistans - keine Grabesruhe - für den Erfolg unserer
Afghanistan-Mission entscheidend sind, dann ist es in
der Tat richtig, den Grundgedanken des damaligen Antrags noch einmal nachzuverfolgen, nämlich dass es
ohne grundlegende Reformen und ohne ein Wirtschaftswachstum, das auch den breiten Schichten der Bevölkerung zugute kommt und bis nach Waziristan und die
Grenzgebiete dringt, keine Stabilität und keine positive
Entwicklung in Pakistan geben kann.
({0})
Ich möchte ganz besonders zum Ausdruck bringen - die
Entwicklungspolitik, die für Pakistan als einen der
Hauptempfänger unserer Hilfe in all den Jahren immer
eine sehr bedeutende Rolle spielte, wurde bereits angesprochen -, dass ich es für wichtig halte, dass wir uns,
Frau Zapf, auf internationaler Ebene noch stärker und
konzentrierter darüber Gedanken machen, wie wir die
Entwicklungs- und Hilfsangebote verbessern können.
Es ist richtig, dass die unabhängige Justiz wiederhergestellt werden muss. Es ist richtig, dass die Medienfreiheit wiederhergestellt werden muss. Es ist auch richtig,
dass die Demokratie insgesamt wiederhergestellt werden
muss. Ich bin mir mit Frau Wieczorek-Zeul darin einig,
dass wir, um auch ein politisches Signal zu geben, zurzeit nicht über Neuzusagen für entwicklungspolitische
Maßnahmen verhandeln.
Es sind jedoch auch die Grunderkenntnisse richtig
und wichtig, dass Pakistan viel stärker als bisher eine
Bildungsoffensive braucht - gegebenenfalls gegen den
Widerstand der Koranschulen; diesen Wunsch müssen
wir mit unseren Appellen verbinden -, dass Pakistan ein
viel besser als bisher funktionierendes Gesundheitssystem inklusive Familienplanung braucht, dass in Pakistan
eine Landreform unabdingbar notwendig ist, dass Pakistan mithilfe von Mikrofinanzierungsinstrumenten viel
mehr Wachstum von unten generieren muss und dass Pakistan Hilfe bei seiner Energieversorgung braucht.
Wenn wir berechtigte Forderungen an Pakistan stellen, dann müssen wir gleichzeitig - das liegt in unserem
ureigenen Interesse - den Umfang unserer Reform- und
Hilfsangebote an Pakistan vergrößern. Das müssen zwei
Seiten ein und derselben Medaille sein.
Vielen Dank.
({1})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Der deutsche Schriftsteller Klaus Mann hat in seinem
Buch Der Wendepunkt einen Wendepunkt wie folgt beschrieben: Das sei ein Zeitpunkt, wo man sich zwischen
zwei Möglichkeiten entscheiden muss. Die eine führe in
den Abgrund, die andere führe nicht notwendigerweise
zum absolut Guten. Die Abzweigung, die nicht zum Abgrund führt, ermögliche aber vielleicht das Auffinden
weiterer Wendepunkte.
Pakistan ist ein unglaublich kompliziertes Land - auf
die vielen Probleme ist in dieser Debatte zu Recht mehrfach hingewiesen worden -: ein Atomwaffenstaat; ein
Staat, der in einem latenten Konflikt mit seinem großen
Nachbarn Indien steht, der ebenfalls Atomwaffen besitzt; ein Staat, der Proliferation betrieben hat; ein Staat,
dessen nördliche Regionen Rückzugsgebiet für Talibankämpfer sind. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass
sich die Situation in diesem Staat stabilisiert. Für mich
steht allerdings im Vordergrund, dass es im Interesse der
Menschen in Pakistan ist, dass sich die Lage stabilisiert.
({0})
Völlig zu Recht sind einige Forderungen erhoben
worden, die ich nur unterstreichen kann: die Aufhebung
des Ausnahmezustands und die Entlassung der Oppositionellen, der Bürgerrechtler, der Anwälte und der Richter aus den Gefängnissen. Ich habe um kurz nach
12.30 Uhr eine Agenturmeldung gelesen, nach der Präsident und General Musharraf erklärt haben soll, dass er
bereit sei, seine zweite Amtszeit als Präsident ohne Uniform anzutreten; das wäre sicherlich richtig. Es wäre zu
begrüßen, wenn er das tun würde. All das sind aber nur
notwendige Voraussetzungen für eine Verbesserung der
Situation in Pakistan, keine hinreichenden. Es muss noch
mehr getan werden.
Als Mitglied des Vorstandes der deutsch-südasiatischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages
war ich vor einigen Monaten gemeinsam mit unserem
Kollegen Josef Winkler in Pakistan. Ich möchte Ihnen
zwei Erlebnisse dieses Besuchs schildern:
Mein erstes Erlebnis: Zehn Kilometer vor der wohlgeformten Hauptstadt findet sich ein großes Gebiet, das
nur aus Slums besteht. Dort leben die Menschen in
Lehmhütten, und die Kinder wachsen neben Tieren auf.
Nachdem die deutsche Botschaft in Pakistan dort für
eine vernünftig funktionierende Wasserversorgung gesorgt hatte, lautete die größte Bitte der Menschen, dass
sie gerne eine Schule und damit Bildungschancen hätten.
Wenn man sich vor Augen hält, dass das Schulsystem in
Pakistan vor einigen Jahren aus den Händen des Staates
entlassen und den Koranschulen überlassen wurde, wird
einem klar, dass hier ein ganz zentraler Ansatzpunkt
liegt, um Pakistan eine gute Perspektive zu eröffnen.
({1})
Bildung muss wieder zu einer staatlichen und demokratisch kontrollierten Aufgabe gemacht werden. Nicht jede
Koranschule ist extremistisch geprägt; in manchen wird
ganz ordentlich gearbeitet. Aber der Staat muss die Aufsicht behalten. Wenn es um Bildung geht, muss der Staat
den Daumen draufhalten können.
Mein zweites Erlebnis: Als wir in Karatschi waren
- diese Stadt ist übrigens eine Wirtschaftsmetropole -,
haben wir erfahren, dass wir die ersten deutschen Bundestagsabgeordneten waren, die in den letzten fünf Jahren dort waren. Das ist keine Kritik von mir. Allerdings
möchte ich Sie bitten, daran zu denken, wenn sich die
Verhältnisse in Pakistan wieder ein wenig stabilisiert haben. Dann sollten wir durch Präsenz, Besuche und Dialog deutlich machen, dass wir ein echtes Interesse daran
haben, was in diesem Land passiert; das war allerdings
nicht der Punkt, den ich erwähnen wollte.
Eigentlich wollte ich auf die Nachwahlen hinweisen,
die in Karatschi stattfanden, als wir dort waren. Pakistan
hat eine demokratische Verfassung; sie ist zwar suspendiert, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Es stellt
sich aber die Frage: Wie werden die Standards, die darin
definiert sind, durchgesetzt? - Wir haben dort Folgendes
beobachtet: Es gab einen gemäßigten und einen radikalen Kandidaten. Der gemäßigte Kandidat wurde im
Wahllokal verprügelt, sein Sohn entführt, sein Fahrer vor
dem Wahllokal erschossen, und die Wahlen wurden massiv gefälscht. Am Tag nach der Wahl stand in den Zeitungen, die örtliche Wahlkommission habe keinen Zweifel daran, dass das 90-Prozent-Ergebnis des radikalen
Kandidaten verfassungskonform sei und dass die Wahl
ordnungsgemäß verlaufen sei.
Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich machen:
Das, was wir tun, reicht nicht aus. Wir sagen, dass in Pakistan so früh wie möglich Wahlen stattfinden sollten,
damit eine demokratisch autorisierte Regierung ihr Amt
übernehmen und der Machtwechsel, der sicherlich in
Phasen ablaufen muss, organisiert werden kann. Das genügt allerdings nicht. Wir müssen auch sicherstellen,
zum Beispiel durch die Bereitstellung von Wahlbeobachtern - warum eigentlich nicht auch aus dem Deutschen
Bundestag und warum nicht in größerer Zahl? -, dass die
Wahlen fair und transparent durchgeführt werden.
({2})
Das eine ist der Appell an den unbestrittenen Machthaber, jetzt zu handeln, die demokratischen Verhältnisse
formal wiederherzustellen. Das andere ist, sich in der
Zukunft, mehr als in der Vergangenheit, verstärkt zu engagieren. Wir sollten weniger darüber debattieren, ob
wir die Entwicklungshilfe einfrieren sollen, als vielmehr
darüber, wie wir sie sinnvoll weiterentwickeln können:
zugunsten des Abbaus der Benachteiligung von Frauen,
zugunsten des Bildungswesens und zur Verbesserung
des Gesundheitswesens, damit man als normaler Pakistani, wenn man zuckerkrank ist, nicht sterben muss, weil
man sich die Medikamente nicht leisten kann.
In diesem Bereich müssen wir weiter arbeiten, mehr
tun, mehr investieren. Dann können wir vielleicht in der
Perspektive - das wird Jahrzehnte dauern - sagen: In Pakistan ist etwas gelungen, was nur sehr selten gelingt:
ein islamisches Land mit einer echten Demokratie. Das
liegt nicht nur in unserem Sicherheitsinteresse. Wir haben auch eine Mitverantwortung für die pakistanischen
Bürger auf der einen Welt.
Danke schön.
({3})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Beschäftigungschancen Älterer verbessern Reformen der Agenda 2010 nicht zurücknehmen
- Drucksache 16/6644 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({1}), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Beschäftigungssituation Älterer verbessern Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente sozial gestalten
- Drucksache 16/6929 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Jörg Rohde von der FDPFraktion.
({3})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Zum wiederholten Male beschäftigen wir
uns heute mit den Chancen Älterer auf dem Arbeitsmarkt. Dass wir diese Debatten führen, liegt daran, dass
leider nicht alle vom momentanen Aufschwung am Arbeitsmarkt profitieren. Denn nicht nur Krankheit, Behinderung, fehlende Kinderbetreuungsangebote oder eine
schlechte Berufsausbildung sind ein Einstellungshemmnis, nein, auch das Lebensalter ist noch für zu viele ein
K.-o.-Kriterium bei der Jobsuche.
Woran liegt das? Hat die Politik in der Vergangenheit
zu wenig für ältere Arbeitnehmer und Arbeitsuchende
getan? Nein, das Gegenteil trifft zu: Die Regierungen
Schröder und Merkel haben zu viel reguliert und dabei
auch noch genau das Falsche getan: Mit gutgemeinten
Gesetzen zur Altersteilzeit, zur Frühverrentung, zum erleichterten ALG-I-Bezug ab dem 58. Lebensjahr hat der
Gesetzgeber älteren Beschäftigten etliche goldene Brücken in den Vorruhestand gebaut. Aber gut gemeint ist
noch lange nicht gut gemacht; denn diese Fehlanreize
entziehen dem Arbeitsmarkt dringend benötigte Fachkräfte, treiben Arbeitnehmer unnötig früh in die sozialen
Sicherungssysteme und führen dort zu einem immensen
Ausgabenanstieg. Wer sich dann zu seiner kargen Altersrente etwas dazuverdienen möchte, stößt viel zu schnell
an enge Hinzuverdienstgrenzen.
({0})
All diese Regelungen haben eines gemeinsam: Sie
halten Ältere vom Arbeitsmarkt fern. Ältere Arbeitslose,
die alles tun würden, um wieder in Arbeit zu kommen,
scheitern bei der Jobsuche an Gesetzen, die eigentlich zu
ihrem Schutz gedacht waren. Ich spreche zum Beispiel
vom Kündigungsschutz: Was eigentlich gut gemeint
war, steht Älteren bei der Arbeitssuche im Wege. Auch
das Lebensalter als Kriterium der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen gehört abgeschafft; denn
kein Arbeitgeber stellt einen Älteren ein, wenn er einen
jüngeren Arbeitnehmer im unternehmerischen Notfall
leichter entlassen kann.
Weil der Kündigungsschutz in seiner jetzigen Form
insgesamt, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ein
immenses Einstellungshemmnis darstellt, sollten Arbeitsuchende nach den Vorstellungen der FDP eine Wahlmöglichkeit haben: Statt des gesetzlichen Kündigungsschutzes sollen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer
vertraglich auf eine Abfindungsregelung einigen können.
({1})
Denn eines ist sicher, meine Damen und Herren: Besser
vorübergehend einen Arbeitsplatz haben als dauerhaft
arbeitslos sein.
({2})
Auch das Senioritätsprinzip, das in vielen Tarifverträgen Anwendung findet, erschwert im Zweifel die Beschäftigung Älterer. Auch hier muss abgewogen werden,
ob die Schutzfunktion für einige Beschäftigte nicht
gleichzeitig ein Einstellungshindernis für unzählige Jobsuchende ist. Nicht zuletzt führt die Möglichkeit zur Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen dazu, dass Betriebe und deren Angestellte gegen
ihren ausdrücklichen Willen tarifvertraglichen Regelungen unterworfen und damit der Erhalt und die Schaffung
von Arbeitsplätzen erschwert werden.
({3})
Eine erfolgreiche Politik für mehr Beschäftigung in
allen Generationen bedarf aber grundsätzlicher Anstrengungen in allen Politikbereichen. Gerade auch, um ältere
Menschen erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren zu
können, müssen strukturelle Hemmnisse beseitigt werden. Deutschland braucht neben einer besseren Arbeitsmarktpolitik eine Steuer-, Wirtschafts- und Tarifpolitik,
die zu mehr Wachstum und damit zu mehr Arbeitsplätzen führt, und nicht beschäftigungsfeindliche Mindestlöhne.
({4})
- Doch, das glaube ich ganz sicher.
Aber auch die Unternehmen und Tarifpartner sind gefordert, die Rahmenbedingungen zur Nutzung der Potenziale älterer Arbeitnehmer zu verbessern. Die Kompetenz und die Lebenserfahrung älterer Arbeitnehmer
müssen stärker genutzt werden. Hierbei ist es absolut
kontraproduktiv, dass innerhalb der schwarz-roten Koalition jetzt über eine Verlängerung der Bezugsdauer des
ALG I gesprochen wird.
({5})
Wir haben in der Vergangenheit doch bereits mehrere
Vorruhestandswellen erlebt. Sobald sich die Konjunktur
ein wenig abschwächt, werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer diese längere Bezugsdauer nutzen, um sich voneinander zu trennen. Das dürfen wir doch nicht zulassen,
meine Damen und Herren! Stattdessen fordern wir eine
maximal mögliche Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. Hier sind 3 Prozent erreichbar.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schneider von der Fraktion Die Linke?
Gerne.
Herr Kollege Rohde, ich bemühe mich intensiv, das
Konzept der FDP zu verstehen,
({0})
habe aber in einem sehr zentralen Punkt meine Schwierigkeiten. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.
Sie haben jetzt auch wiederholt, dass eine längere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I im Grunde genommen
dazu führt, dass die Leute dieses mehr in Anspruch nehmen. Können Sie mir erklären, warum dänische Arbeitslose im entsprechenden Alter nicht nur deutlich schneller,
sondern auch in größerer Zahl vermittelt werden - selbst
dann, wenn sie 60 Jahre alt und älter sind -, obwohl in
Dänemark drei Jahre lang ein Arbeitslosengeld von
90 Prozent des vorherigen Gehalts gezahlt wird?
({1})
In Dänemark gibt es nicht nur dieses Gesetz, sondern
auch eine andere Form der Herangehensweise an die Arbeitsvermittlung. Sie haben eben ein anderes Konzept.
({0})
Wir fordern zum Beispiel eine Kommunalisierung,
dass man sich also vor Ort viel intensiver um den Einzelnen kümmert und sich bemüht, dass er wieder einen Arbeitsplatz erhält.
({1})
Dann könnte man sich auch andere Gesetze erlauben.
Das gibt es aber in Deutschland leider nicht.
({2})
Deswegen fordern wir eine Gesamtdiskussion für die
Arbeitsmarktpolitik und die Gesetze, die ich angesprochen habe. Wenn man diesen Kontext sieht, dann kann
man den Vergleich mit Dänemark eben nicht ziehen.
({3})
Die Frau Bundeskanzlerin ist leider nicht da. Frau
Wöhrl, vielleicht können Sie es ihr ausrichten. Die Frau
Bundeskanzlerin ist bei diesem Thema mit ihrer Richtlinienkompetenz gefordert. Sie muss ein Machtwort sprechen. Die SPD will das Haus „Agenda 2010“ mit der
Abrissbirne angreifen und reißt damit einen wichtigen
Stützpfeiler ein. Das dürfen wir nicht zulassen.
({4})
Wir dürfen die erreichten Erfolge nicht riskieren. Ich
hoffe, die Bundeskanzlerin wird ein entsprechendes
Machtwort sprechen.
({5})
Das Ziel der Verbesserung der Situation Älterer auf
dem Arbeitsmarkt ist wohl auch das einzige, das uns als
FDP inhaltlich mit dem Antrag der Linken verbindet.
Ein paar Worte in Ihre Richtung, Herr Schneider.
Schon die Realisierung Ihres ersten Forderungspaketes in Punkt 1 würde überschlägig berechnet zig Milliarden Euro kosten. Wer soll das bitte bezahlen? Der Bund
oder gar die Kommunen vor Ort? Öffentlich finanzierte
Beschäftigung hat sich doch schon so oft als teures Abstellgleis für Arbeitslose erwiesen. Bleiben Sie doch bitte
realistisch. Aber eine Partei, die mit Herrn Lafontaine sogar die Notwendigkeit eines demografischen Faktors in
der Rentenversicherung leugnet, hat sich sowieso schon
von der Realität verabschiedet.
Die Umsetzung der zweiten Forderung Ihres Antrags
würde den Beitrag zur Rentenversicherung stark steigen
lassen; dabei setze ich natürlich voraus, dass Sie keine
Rentenkürzungen wollen.
In Punkt 3 fordern Sie die Erhöhung des Beitrags zur
Arbeitslosenversicherung. Ein Bundeszuschuss fällt ja
aus, da Sie das Geld unter Punkt 1 bereits ausgegeben
haben.
Durch die Umsetzung der Vorschläge der Linken würden die Lohnzusatzkosten in Deutschland also gesteigert
und somit Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet
werden.
({6})
Zu Punkt 4 - Erwerbsminderungsrenten - und
Punkt 5 - erzwungene Frührenten mit Abschlägen - folgen separate Debatten. Deswegen kann ich aus Zeitgründen hier nicht darauf eingehen. Eines ist aber sicher: Ihr
Antrag darf auf keinen Fall Grundlage für die Politik in
Deutschland werden.
({7})
Angesichts der Gesamtsituation würde es uns als FDP
sehr freuen, wenn Sie sich intensiv mit diesen Vorschlägen Punkt für Punkt befassen würden. Auch wenn wir
nicht alles durchsetzen können: Jeder einzelne Schritt
wäre ein Erfolg. Ich bitte Sie intensiv um konstruktive
Beratung in den Ausschüssen.
Vielen Dank.
({8})
Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Meckelburg
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Lust, heute zu diesem Thema zu reden - ich bin
ehrlich -, ist nicht ganz so groß, weil wir das Thema mit
dieser Spagatstellung in den letzten vier Wochen dreimal, wenn nicht gar viermal diskutiert haben, auch im
Ausschuss. Dennoch muss diese Debatte wohl sein, da
uns zwei Anträge vorliegen.
Es ist auch nichts Neues mehr, dass wir Anträge von
FDP und PDS/Linke zusammen diskutieren. Aber heute
kann man feststellen, dass sie nichts miteinander zu tun
haben,
({0})
sondern dass Welten zwischen ihnen liegen. Wahrscheinlich liegt auch die Realität irgendwo dazwischen.
({1})
Wir wollen einmal schauen, wie wir den Spagat heute
hinbekommen; denn wir wissen alle, dass am kommenden Montag dazu einige Entscheidungen in der Koalition
fallen werden. Ich persönlich habe die Geduld, dies auszuhalten; aber ich bin auch gerne bereit, heute zu diesem
Thema zu reden.
Lassen Sie mich die Welten, die dazwischen liegen,
deutlich machen. Im Antrag der Linken ist von einer
Verlängerung der 58er-Regelung die Rede, die FDP will
keine Verlängerung. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem Mindestlohn von 1 400 Euro lautet eine klassische Forderung der PDS; sie will so viel
Geld wie möglich von dem, was die Steuerzahler erwirtschaften, sozusagen raushauen. Die FDP will dagegen
einen völligen Verzicht auf Mindestlohnregelungen. Die
PDS will den Kündigungsschutz möglichst ausweiten
und in diesem Bereich wieder alles festzurren. Bei der
FDP habe ich den Eindruck, sie wolle möglichst alles
weghaben.
({2})
- Okay, dann können wir das ja diskutieren.
Was die Rente mit 67 angeht, so macht sich bei der
PDS niemand die Finger schmutzig. Das wäre ja fürchterlich.
({3})
Lieber sagt sie, mit 65 sei es einfacher zu machen, auch
wenn alle wissen, dass es nicht geht. Die FDP hingegen
will eine Neuregelung der Zuverdienstmöglichkeiten
und die Grenzen hier völlig fließend machen. Auch das
ist kein ganz einfacher Vorschlag. Die Bandbreite dessen, was heute diskutiert wird, ist also riesig.
Lassen Sie mich zum PDS-Antrag, Herr Kollege
Schneider, auch wenn Sie nach mir reden, ein paar
Dinge sagen: Beide Fraktionen, sowohl FDP als auch
PDS, haben wieder einmal den politischen Antragsquirl
laufen lassen:
({4})
alle schon gestellten Anträge in einen Pott und einmal
durchquirlen. Auf diese Weise kommen Versatzstücke
von dem einen oder anderen Antrag wortwörtlich wieder
in einen neuen Antrag hinein. So erreicht man natürlich
auch jede Woche eine neue Debatte; in der Sache aber
kommt man nicht weiter.
({5})
- Mit dem Beschließen ist es ein bisschen schwierig. Ich
will das an dieser Stelle gleich sagen, Herr Rohde. Sie wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus sind.
({6})
Zählen Sie einmal durch. Ihre Anträge bekämen wir
selbst dann, wenn wir sie unterstützten, leider nicht
durch; das wissen Sie.
({7})
Die Tendenz ist wie immer: Die Liste im PDS-Antrag
stellt die übliche Überforderung mit allem Möglichen
dar. Ich habe die Beispiele eben schon genannt. Die Kosten sind auch benannt worden. Manchmal sträuben Sie
sich ja ein bisschen, etwas dazu zu sagen, was das alles
kostet. Diesmal haben Sie für alles eine Lösung. Aber
ich bleibe dabei: Sie richten Ihre Politik für Gesamtdeutschland an dem alten Modell der DDR aus, die
genau daran kaputtgegangen ist, dass sie all diese Dinge
machen wollte.
({8})
Am Ende hatten die Menschen keine Arbeit mehr, und in
der DDR gab es verdeckte Arbeitslosigkeit. Ich darf Sie
auch daran erinnern, wie hoch das Rentenniveau war.
Das alles sind doch Konsequenzen einer falschen Politik
gewesen. Wir jedenfalls wollen nicht dahin zurück, Herr
Schneider, auch wenn Sie aus dem Westen diese alte Politik freundlich unterstützen.
({9})
Wir wollen nicht dahin zurück, sondern wir wollen
nach vorne. Wir wollen mehr Arbeitsplätze, stabile Sozialsysteme und eine Konsolidierung des Haushaltes, weil
das der richtige Weg in die Zukunft Deutschlands ist.
({10})
- Das wissen Sie am besten. Das Schöne ist, dass Sie immer wissen, wo es langgeht. Aber selbstkritisch sind Sie
im Grunde genommen nie. Da Sie jetzt schon Anträge
stellen, die Sie zuvor viermal gequirlt haben, sage ich Ihnen Folgendes: Sie beziehen sich in der Einleitung auf
einen IAB-Bericht. Sagen Sie den Leuten, die in Ihrer
Fraktion quirlen, dass Sie einmal ein bisschen genauer
werden sollten. Es ist nicht ganz erkennbar, was wirklich
IAB-Bericht ist. Darin sind zwei Punkte richtig zitiert und
mit Anführungszeichen versehen. Die „Babyboomer“Generation kommt in die Späterwerbsphase. Das ist
richtig. In Ihrem Antrag heißt es weiter:
Dieser birgt insbesondere für Ältere das Risiko der
Verdrängung in die Erwerbslosigkeit, Prekarität
und Altersarmut.
Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das in dem Bericht stand, habe ich ihn durchgelesen und festgestellt, dass
das Ihre Formulierung ist. Bringen Sie das nicht durcheinander! Die von Ihnen zitierten Zahlen sind von 2005.
({11})
- Es sind keine Anführungszeichen drin. Lassen Sie das
doch. Ich habe den Bericht gelesen. Wenn ich zu dem
Thema rede, dann muss ich mir die Mühe machen, ihn
zu lesen.
Sie fordern in einem Kernsatz eine offensive Beschäftigungspolitik zur Steigerung der Arbeitsnachfrage. Das
hört sich gut an. Ich habe darüber nachgedacht, was das
sein kann. Das ist wieder ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt.
({12})
- Das kann Herr Schneider gleich erklären. Es hört sich
zwar gut an, aber ich verstehe es nicht. Es ist keine Politik.
Was die im zweiten Teil enthaltene Forderung einer
verbindlichen betrieblichen Gesundheitsvorsorge angeht, mit der gesundheitlicher Verschleiß vermieden
werden soll, gibt es bereits das Programm der Bundesregierung „Initiative Neue Qualität der Arbeit“, in dem
entsprechende Maßnahmen vorgesehen sind. Insofern
kommt Ihr Antrag zu spät. Vielleicht kümmern Sie sich
zwischen dem Antragquirlen auch einmal um die Politik,
die in diesem Lande stattfindet.
Das muss zu Ihrem Antrag genügen, weil mir sonst
die Zeit wegläuft.
({13})
- Sie haben sicherlich den Quirl schon wieder für
nächste Woche in Gang gesetzt.
Ich komme zum FDP-Antrag. In vielen von Ihnen
vorgeschlagenen Punkten sind wir uns einig, sodass wir
zueinanderfinden könnten. Aber - zählen Sie ruhig
durch - wir bekommen keine Mehrheit zustande. Ich
gebe Ihnen den Rat, den Antrag für den Fall aller Fälle in
die Schublade zu legen. Vielleicht holen wir ihn 2009
noch einmal heraus und überlegen, was wir möglicherweise gemeinsam erreichen können.
({14})
- Was heißt „Aha“? Die Schnittmenge zwischen den
Vorschlägen der FDP und unseren ist größer, als es bei
Ihren Vorschlägen der Fall ist. Mit Ihnen haben wir überhaupt keine Schnittmenge. Sie sind auf dem völlig falschen Weg.
({15})
Lassen Sie mich noch auf die Situation Älterer eingehen, die in Arbeit kommen sollen. Es gibt die neue
Broschüre der Bundesagentur für Arbeit „Situation von
Älteren am Arbeitsmarkt“ von Oktober 2007 mit den
neuesten Zahlen, die ich auch Ihnen zur Lektüre empfehle.
Ich lasse sie Ihnen gerne zukommen, wenn Sie sie noch
nicht gelesen haben. Ich beschränke mich auf eine Kurzfassung des Inhalts, damit Sie merken, was sich auf dem
Arbeitsmarkt tut.
55- bis 65-Jährige profitieren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit überdurchschnittlich vom aktuellen Wirtschaftsaufschwung.
({16})
Die wichtigsten Fakten sind - ich beziehe mich auf die
Broschüre -: Das Arbeitskräfteangebot Älterer nimmt
zu. Auf diesen Punkt pochen Sie immer wieder. Das ist
auch so; das können wir nicht bestreiten. Die Erwerbstätigkeit und die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung Älterer entwickeln sich positiv. Zwei Drittel des
Beschäftigungsaufschwungs in Deutschland gehen auf
Ältere zurück. Bei der Arbeitslosigkeit Älterer gibt es
eine günstigere Entwicklung. Es gibt weniger Arbeitslosmeldungen Älterer über 55 Jahren. Die ArbeitslosigWolfgang Meckelburg
keit geht nach dem sogenannten Ältereneffekt zu Beginn
2006 jetzt enorm zurück. Die Entwicklung zwischen
2005 und 2007 zeigt also, dass sich etwas bewegt hat. Es
gibt zudem deutlich mehr Abgänge Älterer aus der Arbeitslosigkeit als vor einem Jahr, aber - auch das ist ein
wichtiger Punkt - Ältere sind länger arbeitslos.
Insofern werden wir über einige Punkte sprechen
müssen; Sie wissen das. Dazu gehört die Frage, wie man
beim Mindestlohn gewisse Standards erreicht. Wir sind
bereits auf dem Weg. Die Frage muss klug behandelt
werden.
Zu der Frage der Verlängerung der Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes I habe ich mich schon mehrfach geäußert.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Barth von der FDP-Fraktion?
Ja, bitte schön.
Lieber Herr Kollege Meckelburg, ich freue mich über
so viel Zustimmung zu dem Antrag unserer Fraktion.
Aber wenn Sie alles oder zumindest das meiste, was wir in
unserem Antrag fordern, richtig finden, wäre es dann nicht
eigentlich folgerichtig, dass Sie in der jetzigen Koalition
die Führung - die Sie durch die Regierungschefin ausweislich haben - übernehmen und versuchen, das in dieser
Koalition durchzusetzen? Ist es nicht eine Kapitulationserklärung, wenn Sie sagen: Wir schaffen das jetzt nicht;
darum lassen wir das mal zwei Jahre liegen und machen
es dann zusammen?
({0})
Sie sind ein bisschen blauäugig. Wenn Sie die Reihen
durchzählen, werden Sie feststellen: Zurzeit gibt es für
das, was Sie vorschlagen, keine Mehrheit hier im Haus.
Ich habe zwar gesagt, dass unsere Positionen gewisse
Schnittmengen aufweisen. Aber ich habe darauf verzichtet, ins Detail zu gehen; denn wir müssen nicht, wie ich
finde, künstlich Streit mit der FDP erzeugen. Wenn Sie
aber genauer hinschauen, Herr Kollege, werden Sie feststellen, dass wir eine sehr starke Kanzlerin haben.
({0})
- Sie ist heute bei der IG Metall. Solche Termine müssen
auch einmal sein. Sie geht jedenfalls sogar dorthin.
({1})
Wir haben innerhalb der letzten zwei Jahre für Bewegung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt. Wir werden den
Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent
senken. Wir sind an den Stellen, an denen wir federführend sind, auf dem richtigen Weg.
({2})
Sie sollten das zur Kenntnis nehmen und die Vorschläge
dieser Koalition nicht einfach in die Schublade stecken,
sondern als Ausgangspunkt für etwas Neues nehmen.
Dann können wir uns sicherlich einigen. - Herzlichen
Dank für Ihre Zwischenfrage.
({3})
Ich komme zum Schluss. Sie haben gestern von der
Kanzlerin gehört, dass wir nicht vom Kurs der Reformpolitik abkehren werden, sondern ihn fortsetzen werden.
Genau darum geht zurzeit der Streit. Schauen wir einmal,
wie er ausgeht. Auf jeden Fall sind wir in den letzten
zwei Jahren mit dieser Regierung wesentlich weiter vorangekommen als zuvor in den sieben Jahren unter RotGrün. Vielleicht stimmen wir zumindest darin überein.
({4})
Der nächste Redner ist der Kollege Volker Schneider
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Meckelburg, es wird Sie überraschen, dass ich
meine Rede damit beginne, anzuerkennen, dass Menschen über 50 wieder mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Darüber freuen nicht nur Sie sich, sondern
auch meine Fraktion. Wir freuen uns über jeden, der länger in Arbeit bleibt. Wir freuen uns über jeden, der über
50 ist und wieder einen Arbeitsplatz findet.
({0})
Aber, Herr Meckelburg, das ist nur ein Teil der Wirklichkeit. Den anderen haben Sie - vielleicht aus Zeitgründen - ziemlich schnell übergangen. Man könnte
auch sagen, dass derzeit mit „verzerrenden Zahlen und
Statistiken von interessierter politischer Seite versucht“
wird, den falschen Eindruck zu erwecken, dass sich der
Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer entspannt habe. Es
sollte Sie nicht verwundern, wenn Ihnen dieser Satz bekannt vorkommt. Er steht nämlich in einem Schreiben
Ihres Kollegen Laumann an die Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Fraktion. Ich muss sagen: Wo Herr
Laumann recht hat, hat er recht.
({1})
Nun zur anderen Seite der Medaille. Fest steht - darauf
haben Sie hingewiesen, Herr Meckelburg -: Die Menschen sind nicht nur länger in Arbeit, sondern auch länger ohne Arbeit. Fest steht: Ab 50 sinkt die Erwerbsbeteiligung kontinuierlich, und der Anteil der Arbeitslosen
steigt an. Fest steht: Die steigende Erwerbsbeteiligung
ist zu einem guten Teil auf mehr Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung zurückzuführen. Fest steht:
Nur 24,6 Prozent derjenigen, die in Rente gehen, kom12780
Volker Schneider ({2})
men aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Dieser Anteil sinkt seit über fünf Jahren. Ich weiß
nicht, ob das etwas mit der Agenda 2010 zu tun hat. Fest
steht: Gerade einmal jeder zehnte 64-Jährige geht einem
Beruf nach. Fest steht weiter: Sieben von zehn Menschen verabschieden sich schon vor dem gesetzlichen
Zugangsalter von derzeit 65 Jahren in die Rente. Angesichts dieser Realität frage ich Sie, ob es nicht höchste
Zeit ist, sich von der Schnapsidee Rente mit 67 zu verabschieden.
({3})
Fest steht weiter, dass leider die zukünftige Entwicklung in diesem Bereich mittelfristig eher Risiken als
Chancen aufweist. Man kann zur 58er-Regelung stehen,
wie man will, aber Fakt ist, dass das Auslaufen dieser
Regelung zum Ende dieses Jahres die Arbeitslosigkeit in
der genannten Personengruppe stark ansteigen lassen
wird. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nahmen 585 000 Personen im Oktober 2007 diese Regelung
in Anspruch, 585 000 Arbeitslose, die bislang als Arbeitslose in der Statistik nicht auftauchen, aber zukünftig
dort auftauchen werden.
Fest steht schließlich, dass mit dem Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 60er, der Heraufsetzung des
Rentenalters, der Beschränkung von Möglichkeiten des
vorgezogenen Rentenzugangs sowie dem Absinken des
Rentenniveaus in den nächsten Jahren - so formuliert es
das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung - ein
enormer Arbeitsangebotsdruck auf dem Arbeitsmarkt
entstehen wird.
Das heißt, Ältere fliegen wieder früher raus, finden
schlechter Arbeit oder werden der Not gehorchend jeden
Arbeitsplatz annehmen müssen, egal wie schlecht bezahlt, egal ob nur in Teilzeit.
({4})
Wir fordern eine Politik, die diese Tatsachen berücksichtigt. Auch für uns ist erstes und wichtigstes Ziel, die
Beschäftigungslage für Ältere auf dem normalen Arbeitsmarkt wirksam zu verbessern. Dafür muss das gesamte Instrumentarium wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen genutzt werden. Dazu gehört
aber auch, dass wir vor dem Hintergrund, dass
bestimmte Personengruppen auf dem klassischen Arbeitsmarkt weiter chancenlos bleiben werden, für eine
öffentlich finanzierte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eintreten.
({5})
Zweitens müssen wir allen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern eine Chance bieten, auch tatsächlich bis
zum Renteneintrittsalter zu arbeiten, egal wie physisch
und/oder psychisch belastend ihr Arbeitsplatz auch immer sein mag. Dafür gibt es Konzepte der Förderung in
den Betrieben, die wir verbindlich vorschreiben wollen.
Schließlich brauchen wir, weil wir trotz aller Prävention
nicht verhindern können, dass Menschen aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen, Möglichkeiten des gleitenden Übergangs in die Rente, etwa die Altersteilzeit oder einen
erleichterten Zugang zu Erwerbsminderungsrenten.
({6})
Ich weiß, Sie werden unseren Antrag reflexartig ablehnen,
({7})
aber ich hoffe, dass Sie wenigstens feststellen, dass es
mehr im Instrumentenkasten politischer Maßnahmen
gibt als die wenigen Dinge, die Sie im Moment darin haben, und dass wir darüber eine konstruktive Diskussion
führen sollten.
Danke schön.
({8})
Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Grotthaus für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen machen. Herr Meckelburg, ich finde das gut, was Sie zu der
Zeit über 2009 hinaus gesagt haben und dass Sie in vielen Dingen dem Antrag der FDP eigentlich zustimmen
könnten. Die Bundeskanzlerin ist heute auf dem IG-Metall-Kongress. Wenn sie dort ähnliche Worte wie Sie hier
finden würde
({0})
- das bedeutet nämlich eine Einschränkung von Arbeitnehmerrechten -, dann wäre ich gespannt, wie die dort
anwesenden Kolleginnen und Kollegen auf solche Ausführungen reagieren würden.
({1})
Die Zeit scheint einiges zu verklären, Herr Rohde.
Die rot-grüne Regierung war es, die die Frühverrentung
abgeschafft hat.
({2})
Sie wurde mit Ihrer Zustimmung vor 1998 eingeführt.
Ich will zugestehen, dass die Sozialdemokraten dem damals zugestimmt haben, auch die Gewerkschaften. Sich
aber heute hier hinzustellen und zu sagen, man habe damit nichts zu tun, ist schon etwas komisch.
({3})
Daran werden Sie die Bürgerinnen und Bürger messen.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Rohde?
Ich will den Gedanken noch zu Ende bringen.
Sie haben gegen die Agenda 2010 gestimmt und gebärden sich heute hier, als wenn Sie das letzte Bollwerk
für den Erhalt der Agenda 2010 wären. So nicht, Herr
Rohde. Da entlassen wir Sie nicht aus der Pflicht. Wir
werden immer wieder deutlich machen, wo Sie Ihre Altlasten haben, wir werden aber auch zugestehen, dass wir
unsere Altlasten haben.
({0})
Gestatten Sie nun die Zwischenfrage?
Gerne.
Herr Rohde, bitte.
Herr Grotthaus, vielen Dank für den Hinweis. Ich bin
nicht persönlich dabei gewesen - ich bin erst seit 2005
im Deutschen Bundestag -, aber ich nehme gern die Verantwortung wahr. Erinnern wir uns aber bitte gemeinsam
an die damalige gute Absicht mit der Frühverrentung.
Das Ziel war, jüngere Arbeitnehmer einzustellen, indem
wir ältere in den Vorruhestand entlassen. Das war damals der Gedanke, dem wir alle nachgegangen sind.
Aber das hat nicht funktioniert. Wenn etwas nicht funktioniert, dann muss man das einsehen und die richtigen
Konsequenzen ziehen.
({0})
Würden Sie meiner Einschätzung zustimmen?
Ich glaube, Sie, Herr Kollege Rohde, haben mir nicht
zugehört. Ich habe gesagt, dass es die rot-grüne Regierung war, die von 1998 bis 2005 gravierende Einschnitte, die uns teilweise Mehrheiten gekostet haben,
am Arbeitsmarkt gemacht und unter anderem die Frühverrentung abgeschafft hat. Sie haben damals dagegen
gestimmt. Jetzt tun Sie hier so - und betonen es -, als ob
Sie damals die Heilsbringer gewesen wären.
({0})
Man muss bei der Wahrheit bleiben. Das wollte ich Ihnen nur als Vorbemerkung sagen, bevor ich zu Ihrem
Antrag komme.
({1})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Rohde?
Des Kollegen Rohde immer.
Ich bemühe mich, es bei dieser Zwischenfrage zu belassen.
Sie haben zwei Bereiche angesprochen. Meine erste
Zwischenfrage zielte nur auf einen ab. Wir haben gegen
die Agenda 2010 gestimmt, weil aus unserer Sicht schon
ihre Ursprungsfassung verwässert wurde und weil andere Instrumente, gerade bei der Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit, von uns gewünscht wurden und
heute noch werden, zum Beispiel, was die Vermittlung in
den Kommunen angeht. Da das, was im Vermittlungsausschuss ausgehandelt wurde - Stichwort „Optionskommunen“ -, nur teilweise unseren Vorstellungen entsprach, haben wir damals nicht zugestimmt. Auch das
begründet unsere damalige Haltung.
Es wird immer über sehr breit angelegte Pakete abgestimmt. In zahlreichen Punkten stimmen wir überein,
und in anderen gehen unsere Meinungen auseinander.
Wir hatten genügend Argumente, um dagegen zu stimmen. Würden Sie dem zustimmen?
Nein, Herr Kollege Rohde.
({0})
Ihre Logik ist auch da verkehrt. Sie sagen, die Ursprungsfassung sei verwässert worden. Wenn dem so
sein sollte, dann ist sie im Bundesrat verwässert worden.
Welche Landesregierungen haben die Agenda 2010 im
Bundesrat ihrer Auffassung entsprechend verwässert?
Diese Eingriffe haben mehr Einschränkungen für die
Menschen in diesem Land und weniger soziale Bestandteile bewirkt. Es wurde also draufgesattelt, und zwar von
Landesregierungen, die zum größten Teil von CDU und
FDP gestellt werden. In Wirklichkeit ist also nicht verwässert, sondern draufgesattelt worden.
Jetzt, im Nachhinein, möchte ich Ihnen, Kollege
Rohde, sagen: Sie hätten damals mit Rot-Grün stimmen
sollen. Sie hätten die Landesregierungen, an denen Ihre
Partei beteiligt war, auffordern sollen, dem Regierungsgesetzentwurf zuzustimmen. Wenn das geschehen wäre,
dann müssten Sie sich heute diese Antwort nicht gefallen
lassen.
({1})
4,65 Millionen Arbeitslose gab es 2005. 622 000 von
ihnen waren unter 25 Jahre, und 576 000 von ihnen waren über 55 Jahre. Im September dieses Jahres, also zwei
Jahre später, betrug die Arbeitslosenzahl - ich nenne
diese Zahl bewusst - 3,54 Millionen. Mittlerweile ist
diese Zahl auf unter 3,5 Millionen gesunken. 424 000
Arbeitslose sind unter 25 Jahre, 434 000 Arbeitslose
sind über 55 Jahre. Das ist eine Reduzierung der Arbeitslosigkeit - ich sage das hier bewusst noch einmal; das
kann man im Interesse der Menschen, die in Arbeit gekommen sind, nicht oft genug sagen - um
1,107 Millionen Menschen, sprich: 23,8 Prozent.
Der Antrag der FDP zielt darauf ab, mehr ältere Menschen in Arbeit zu bringen, und das ist auch gut so. Wir
haben 23,5 Prozent der über 55-Jährigen in Arbeit
gebracht. Das sind in absoluten Zahlen 133 000 über
55-Jährige. Außerdem sind mittlerweile knapp über
200 000 der über 50-Jährigen in einem Beschäftigungsverhältnis. Der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit lag
1998 - hören Sie gut zu; vielleicht erinnern Sie sich
noch daran, dass vor 1998 nicht wir, sondern Sie an der
Regierung waren - nur bei knapp 38 Prozent. Heute liegt
dieser Anteil bei knapp 52 Prozent, Tendenz steigend.
Das ist fürwahr eine stolze Zahl.
Nun werden Sie natürlich sagen: Das ist das Verdienst
der Wirtschaft. Dazu sage ich Ihnen: Da haben Sie teilweise recht.
({2})
Das ist aber auch ein Verdienst politischer Entscheidungen. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Lohnzurückhaltung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
Neuaufstellungen in den Betrieben und Aufschwung in
der Weltwirtschaft sind gleichrangige Faktoren, die den
Arbeitsmarkt beeinflusst haben.
Ich sage aber sehr deutlich: Wir lassen es nicht zu,
dass Gewerkschaften und Politik für Arbeitsplatzverluste und ausschließlich die Unternehmer für den Zuwachs an Arbeitsplätzen verantwortlich gemacht werden. Es ist nicht so, dass die einen für das Negative und
die anderen für das Positive zuständig sind.
({3})
Hierüber sollten auch die Wirtschaftsweisen nachdenken, die behaupten, dass die Reformen am Arbeitsmarkt
mit dem Aufschwung nichts - wenn überhaupt, dann nur
marginal - zu tun haben, gleichzeitig aber fordern, die
Reformen nicht zurückzunehmen. Da frage ich mich:
Was denn jetzt? Wenn diese Reformen mit dem Aufschwung nichts zu tun haben, dann können wir sie auch
zurücknehmen.
({4})
Wir nehmen sie aber nicht zurück, weil uns sonst die
verkehrte Seite applaudiert.
Die von mir gerade genannten Arbeitsmarktzahlen
sind gut, aber nicht ausreichend. Wir müssen noch mehr
Menschen in Arbeit bringen. Wir müssen die Beschäftigungschancen der Älteren weiter verbessern. Ja, Herr
Rohde und Kollegen von den Linken, darüber besteht im
Hause Einigkeit.
({5})
Wie sieht der Weg aus, den wir im Gegensatz zu Ihnen gehen wollen? Die FDP hat zur heutigen Beratung
einen Antrag eingebracht. Schaut man sich diesen Antrag an, stellt man fest, dass die FDP glaubt, durch die
Aufgabe von Arbeitnehmerrechten erhöhe sich die
Quote der Älteren im Berufsleben.
Sie wollen den Verzicht auf das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, auch auf
Mindestlohnvorschriften soll verzichtet werden. Herr
Rohde, was möchten Sie, was möchte Ihre Fraktion denn
überhaupt?
({6})
- Wettbewerb. Das heißt aber auch, dass wir nur bei Sittenwidrigkeit von Löhnen eingreifen können. Wissen
Sie, was Sittenwidrigkeit in diesem Land heißt? Wir haben Tarifverträge mit Stundenlöhnen von 3,50 Euro. Wir
können natürlich lange darüber diskutieren, warum Tarifvertragsparteien so etwas beschließen; dazu bin ich
gern bereit. Sittenwidrig ist ein Lohn, wenn er
30 Prozent unter dem Tariflohn liegt.
({7})
Sie sind bereit, zu entscheiden, dass ein Mensch in diesem Lande mit 2,45 Euro für eine Stunde Arbeit nach
Hause geht.
({8})
Sie sagen, dass Sie über Mindestlöhne überhaupt nicht
diskutieren wollen. Dazu sage ich: Nein, nicht mit uns!
({9})
Im Kündigungsschutzgesetz soll es ein Optionsmodell geben, eine Abfindungsregelung statt Kündigungsschutz. Sie waren ja einmal Betriebsrat.
({10})
Eigentlich müssten Sie wissen, wie Arbeitgeber mit
Menschen umgehen, die sie aus dem Betrieb ausgliedern
wollen. Die Aufgabe des Kündigungsschutzgesetzes ist
eine allgemein bekannte Forderung von Ihnen.
Dies sind nur einige wenige Punkte aus Ihrem Antrag,
bei denen bereits erkennbar wird, nach welchem Motto
gehandelt werden soll: Ihr Arbeitnehmer verzichtet auf
eure Rechte und eine gerechte Entlohnung, und die Arbeitgeber schauen dann, zu welchen Konditionen sie
euch einstellen. Für mich ist dies schon fast menschenverachtend. In Ihrem Antrag findet sich kein Wort darüber, dass humane Arbeitsplätze auch eine längere Verweildauer von Menschen im Beruf bewirken können und
dass Aus- und Weiterbildung notwendig sind, um ältere
Kolleginnen und Kollegen für den Job fit zu halten.
({11})
Es findet sich auch kein Wort über faire Löhne. Stattdessen zielt die FDP darauf ab, noch mehr Abhängigkeit für
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen.
Das ist nicht überraschend, so kennen wir Sie. Aber
wir werden es Ihnen auch diesmal nicht durchgehen lassen. Um ältere Menschen fit für den Job zu halten, brauchen wir eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung und
eine Gesundheitsförderung in den Betrieben.
({12})
Wir brauchen intelligente Schichtpläne und Personalstrukturen, die sich an der demografischen Entwicklung
orientieren. Wir müssen qualifizieren und weiterbilden,
und wir brauchen flexible Übergänge in den Ruhestand.
Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um
einerseits die Produktivität und Erfahrung Älterer noch
weiter nutzen zu können und andererseits ihnen gleitende Übergänge aus dem Berufsleben in den Ruhestand
zu ermöglichen.
Wir dürfen die Arbeitnehmer aber nicht in die freie
Wildbahn entlassen, in der sie dann keine Rechte mehr
haben.
({13})
Von den Maßnahmen, die noch vor uns liegen, werden
nicht nur die Arbeitnehmer profitieren, sondern auch die
Unternehmen, so wie sie es bei den bisherigen Maßnahmen auch schon getan haben.
Da mir die Zeit wegläuft, will ich die Maßnahmen
nicht im Einzelnen aufzählen. Aber Sie kennen die Initiative „50 plus“, Sie kennen die zusätzliche Maßnahme,
mit der wir ältere Menschen mit Vermittlungshindernissen in einen Job bringen, und Sie kennen auch die kommunale Job-Perspektive, mit der wir uns ausschließlich
für die Menschen über 50 Jahren einsetzen. Ich habe Ihnen gerade Zahlen genannt. Diese Zahlen beweisen, dass
diese Maßnahmen greifen und wir für die älteren Kolleginnen und Kollegen tatsächlich etwas getan haben.
Zudem hat die SPD mit ihrem auf dem Parteitag beschlossenen Antrag „Gute Arbeit“ ein Konzept vorgelegt, das das Potenzial Älterer noch besser zu nutzen
hilft. Bei allem, was diese Regierung - insbesondere
auch unsere Fraktion - gemacht hat, geht es darum, die
Beschäftigungsquote Älterer noch weiter zu erhöhen,
das zu frühe Ausscheiden aus dem Berufsleben zu reduzieren, die Integration älterer Menschen, die arbeitslos
sind, in den Arbeitsmarkt zu verbessern sowie die Beteiligung Älterer an der beruflichen Weiterbildung im
Sinne präventiver Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen.
„Fördern und Fordern.“ Diese Aussage galt und gilt
immer noch bei der Umsetzung von Maßnahmen am Arbeitsmarkt. Nicht darin enthalten - das sage ich in Richtung der FDP - ist die Reduzierung von Arbeitnehmerrechten, und deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass
wir Ihren Antrag ablehnen.
Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu dem Antrag der Linken. Das sind alte Forderungen, die wir
schon im Rahmen der Beratung vorheriger Anträge abgelehnt haben, garniert mit Forderungen, die wir in unserem Antrag „Gute Arbeit“ vor zehn Tagen auf unserem
Parteitag verabschiedet haben. Aufgrund dieser Tatsache
werden wir Ihrem neuen Antrag, den Sie hier zusammengewürfelt haben, nicht zustimmen können.
Mir scheint, als glaubten Sie, Sie hätten das Urheberrecht auf bestimmte Forderungen. Dadurch lassen wir
uns aber nicht beeinflussen. Die Bundesregierung und
die SPD werden diesen Weg gemeinsam gehen.
Dieser Weg heißt: keine Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, Schaffung von mehr Arbeitsplätzen,
nicht nur für die Älteren, sondern auch für die Jüngeren.
Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Den werden wir
weiterverfolgen.
({14})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Brigitte
Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In beiden Anträgen wird vorgegeben, die Beschäftigungschancen Älterer verbessern zu wollen. Gegen dieses Ziel
kann man nichts haben - das wollen wir alle -, aber da
hört die Einigkeit auch schon auf. Wenn man sich anschaut, mit welchen Mitteln und Instrumenten das jeweils erreicht werden soll, stellt man fest, dass die Spreizung da doch sehr groß ist.
Die FDP setzt in uns allen bekannter Manier darauf,
die Arbeitnehmerrechte zu reduzieren. Ihr Augenmerk
richtet sich immer und immer wieder neu darauf, vor allen Dingen den Kündigungsschutz zurückzunehmen.
({0})
Da sind Sie einfach unbelehrbar. Wir wissen aus vielen
Studien, dass der Kündigungsschutz einen viel geringeren Einfluss auf die Bereitschaft von Unternehmen hat,
Einstellungen vorzunehmen, als Sie hier ideologisch begründet immer wieder behaupten.
Aber auch die Vorstellungen der Linken werden nicht
dazu führen, dass diejenigen, die geringere Chancen am
Arbeitsmarkt haben, schneller wieder in Arbeit kommen.
Ihre Vorschläge sind zu sehr darauf ausgerichtet, den Arbeitsmarkt erneut zuzubetonieren.
Derzeit ist es so - das ist ein Fakt -: Ältere haben
überdurchschnittlich vom konjunkturellen Aufschwung
profitiert. Das sollten auch wir als Opposition einfach
einmal erfreut zur Kenntnis nehmen.
({1})
Aber Fakt ist auch, dass die Arbeitslosigkeit bei Älteren
in Deutschland immer noch deutlich höher ist als in jedem anderen europäischen Land. Das ist ein Hinweis
darauf, dass der Jugendwahn noch nicht beseitigt worden ist, dass es also überhaupt keinen Grund gibt, die
Hände in den Schoß zu legen.
({2})
Herr Grotthaus, es ist leider so, dass die Programme
aus dem Hause Müntefering, die unter der Überschrift
„50 plus“ firmieren, so gut wie überhaupt keine Wirkung
gezeigt haben.
({3})
Ich will Ihnen das einmal an dem Programm „WeGebAU“
erläutern. 200 Millionen Euro sind für das Programm in
den Haushalt eingestellt worden. Jetzt, im November,
sind noch nicht einmal 10 Prozent dieser Mittel in Anspruch genommen worden. Dieses Programm ist ein Ladenhüter.
Dass wir besondere Probleme haben, Ältere in den
Arbeitsmarkt zu bekommen, hat ganz häufig damit zu
tun, dass diese zugleich schlecht qualifiziert sind. Deswegen müssen wir die Konzentration darauf richten, umfängliche Qualifizierungsprogramme zu etablieren. Man
muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass nur
5 Prozent aller Betriebe, die überhaupt Ältere einstellen,
diese an Fortbildungsmaßnahmen beteiligen.
({4})
Diese Betriebe sind immer noch von demografischer
Blindheit geschlagen, und da wäre Erleuchtung dringend
notwendig.
({5})
Mit anderen Worten: Die Älteren profitieren. Aber sie
profitieren vom Aufschwung und nicht von den arbeitsmarktpolitischen Programmen dieser Regierung.
({6})
Wenn sich der Aufschwung, so wie sich das jetzt schon
andeutet, wieder abschwächt, dann wird die Arbeitslosigkeit bei Älteren zunehmen, und wir werden speziell
bei dieser Gruppe eine verfestigte Arbeitslosigkeit haben. Da muss man einfach einmal sagen - ich wende
mich an beide Koalitionsfraktionen -: Das Signal der
Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I für Ältere ist
genau das Falsche.
({7})
Damit verbessern Sie die Jobchancen für diese Gruppe
nun wahrlich nicht, ganz im Gegenteil!
Dieser Plan wird noch damit kombiniert, dass wir
jetzt wieder über erleichterte Frühverrentungsregelungen
reden. Das ist haargenau die Politik der 90er-Jahre, die
dazu geführt hat, dass wir in Deutschland als Alleinstellungsmerkmal eine Beschäftigungsquote von älteren Arbeitnehmern von nur 37 Prozent hatten. Wir sind jetzt
bei 52 Prozent. Den eingeschlagenen Weg zu verlassen,
ist nicht nur falsch, sondern in jeder Hinsicht absurd.
({8})
Darum geht es Ihnen auch nicht.
In dem Zusammenhang wende ich mich einmal an
meine Freunde von den Sozialdemokraten.
({9})
Sie - das ist das, was mich so wahnsinnig ärgert - richten den Blick im Grunde auf die untere Mittelschicht, in
der viele die Möglichkeit hatten, sich im Arbeitsmarkt
lange Erwerbsbiografien zu verschaffen. Sie begreifen
sich als Schutzmacht dieser Gruppe. Aber die sogenannte Unterschicht, in der viele nicht in der Lage waren, längere Zeit durchgängig erwerbstätig zu sein, wird
deutlich schlechter behandelt. Wissen Sie, was Sie damit
tun?
Frau Kollegin, Sie müssen auf Ihre Redezeit achten,
bitte.
Ich komme zum Schluss. - Damit unterstützen Sie
eine vorhandene Sehnsucht, die es in der Bevölkerung
gibt, nämlich die eigene Identität vor allen Dingen durch
eins herzustellen: durch Unterscheidbarkeit und Abgrenzung. Dieser Wunsch nach Unterscheidbarkeit ist mitverantwortlich dafür, dass wir in der Gesellschaft eine so
tiefe Spaltung haben.
Ich hätte gern noch etwas zu der 58er-Regelung gesagt.
({0})
Das geht leider nicht mehr, Frau Kollegin.
Das geht jetzt leider nicht. Wir werden über die Frage
sicher weiter diskutieren.
({0})
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem
Tagesordnungspunkt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 16/6644 und 16/6929 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b
auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Erster Fortschrittsbericht zur Hightechstrategie für Deutschland
- Drucksache 16/6900 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für. Kultur und Medien
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten JohannHenrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee
Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg
Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
IKT 2020: gezielte Forschungsförderung für
zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfelder im Bereich der Informationsund Kommunikationstechnologien ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz
({3}), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Innovationsfähigkeit stärken durch Bildungs- und Forschungsoffensive
- Drucksachen 16/5900, 16/5899, 16/6923 Berichterstattung:
Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher
Cornelia Pieper
Priska Hinz ({4})
({5})
Bevor wir zur Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt kommen, darf ich die Kolleginnen und Kollegen
auf der rechten Seite von mir bitten, die Diskussionen
hier im Saal einzustellen, damit wir den weiteren Beratungen folgen können. - Ich bedanke mich.
({6})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin nun für die Bundesregierung der Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan das Wort.
({7})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Sommer
des vergangenen Jahres haben wir die Hightechstrategie
für Deutschland verabschiedet. Nach einem Jahr ist in
dieser Woche bei einem Innovationskongress in Berlin
Bilanz über die Startphase gezogen worden. Dabei überwiegen drei Feststellungen: Erstens. Die Innovationsbedingungen in Deutschland haben sich deutlich verbessert. Zweitens. Die Unternehmen investieren mehr in
Forschung und Entwicklung. Drittens. Es entstehen neue
hochqualifizierte Arbeitsplätze in innovativen Unternehmen in Deutschland.
({0})
Mit diesen drei Feststellungen ist im Grunde beschrieben, was unsere Intention war, wobei völlig klar ist
- auch dessen sollten wir uns bewusst sein -: Dass schon
nach einem Jahr so deutliche Entwicklungen zu verzeichnen sind, hat natürlich auch mit der guten Konjunktur in Deutschland und den damit verbundenen Möglichkeiten der Unternehmen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen
und deutlich mehr zu investieren, zu tun.
Das Wachstum der F-und-E-Investitionen hat sich - um
es auch in Zahlen auszudrücken - von 2006 auf 2007
deutlich beschleunigt, und zwar, so die Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, um 7,5 Prozent. 37 Prozent der Unternehmen sagen, dass für sie
Forschung und Entwicklung heute deutlich wichtiger
sind als noch vor einem Jahr. Sie spüren den globalen
Wettbewerb. Mehr als 40 Prozent der befragten Unternehmen beschäftigen heute mehr Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung.
({1})
Wer sich den Business-Monitor, die Befragung von
812 Managern in Deutschland, vor Augen führt, stellt
fest, dass im Unterschied zu der Befragung vor etwa drei
Jahren - die letzte Befragung war im Februar 2004 -, bei
der nur 40 Prozent gesagt haben, es gebe ein eher gutes
Klima für Innovationen, heute 83 Prozent der befragten
Manager sagen, die Innovationsbedingungen in
Deutschland hätten sich deutlich verbessert. Damit haben wir stimmungsmäßig das erreicht, was wir mit der
Hightechstrategie für Deutschland intendieren.
({2})
Damit ist zugleich eine Priorität in der Arbeit der
Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen Stück
um Stück konkreter geworden. Denn es gibt - auch das
ist uns klar; das gilt heute und vor allen Dingen auch mit
Blick auf die Zukunft - einen engen Zusammenhang
zwischen der Dynamik in der Wirtschaft, die nicht nur
eine Episode ist, sondern über längere Zeiträume zu halten ist, künftigem Wohlstand und heute notwendigen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Bildung und Ausbildung. Deshalb ist es im Kontext der
Haushaltsberatungen übrigens ein wichtiges Signal an
die Öffentlichkeit und die Unternehmen in Deutschland,
dass wir über die bereits festgelegten Investitionen von
6 Milliarden Euro hinaus weitere Investitionen im Bundeshaushalt vorsehen.
({3})
Das erste Grundprinzip der Hightechstrategie war und
ist vor allem der Aufbau strategischer Partnerschaften.
Hier gilt der Satz, der immer wieder formuliert wird:
Wissenschaft und Wirtschaft sind natürliche Partner in
der Innovationspolitik. Allein die Innovationsallianzen,
die im ersten Jahr zustande gekommen sind, konnten Investitionen der Unternehmen für F und E in Höhe von
3 Milliarden Euro mobilisieren. Wenn man die Investitionen der öffentlichen Hand zu den Investitionen der
Unternehmen im Kontext der Innovationsallianzen ins
Verhältnis setzt, stellt man fest, dass wir nicht nur von
einem Verhältnis von 1 : 2 auszugehen haben. Vielmehr
sind faktisch im ersten Jahr bei allen Innovationsallianzen auf 1 Euro der öffentlichen Hand 5 Euro der Unternehmen gekommen. Dies ist eine sehr gute Bilanz für
das erste Jahr.
({4})
Zweitens. Wir haben von vornherein gesagt: Wir wollen nicht nur neue Innovationsallianzen zustande bringen. Wir wollen auch neue Instrumente schaffen, um
dort, wo es noch hakt, wo das Innovationspotenzial nicht
ausgeschöpft wird - das bezieht sich vor allem auf kleine
und mittelständische Unternehmen -, Anreize zu schaffen. Dazu gehört die Einführung der Forschungsprämie
und jetzt auch die der Forschungsprämie II, die der öffentlichen und gemeinnützigen Forschung einen echten
Anreiz gibt, die Zusammenarbeit mit kleinen und mittelständischen Unternehmen zu verstärken.
Drittens, die Förderinitiative KMU-innovativ, die den
Unternehmen einen einfacheren und schnelleren Zugang
zur Forschungsförderung eröffnet; Sie kennen die entsprechenden Klagen aus Ihren Begegnungen mit mittelständischen Unternehmen. Das Wirtschaftsministerium
und wir haben gemeinsam - schwerpunktmäßig aber das
Wirtschaftsministerium - einen, wie ich finde, guten
neuen Ansatz zur Bündelung der Kräfte und besseren
Präsentation der Fördermöglichkeiten, die vorhanden
sind, gefunden.
Viertens, Spitzenclusterwettbewerb, bei dem die leistungsfähigsten Cluster Deutschlands ausgesucht und deren Weg in die internationale Spitzengruppe begleitet
wird. Das, was ich aus der ersten Zeit nach der Ausschreibung gehört habe, zeigt: Der Spitzenclusterwettbewerb wird eine ähnlich mobilisierende Wirkung entfalten wie die Exzellenzinitiative.
({5})
Der Hightechgründerfonds wird ausgebaut und das
Programm EXIST des Wirtschaftsministeriums erweitert. Die Haushaltsmittel für die Förderung des innovativen Mittelstandes werden bis 2009 auf 670 Millionen
Euro aufgestockt.
Das ist die Bilanz - wohlgemerkt - der Startphase.
Jetzt ist es wichtig, dass wir nach dem Start dafür Sorge
tragen, dass das, was bei der Mobilisierung von Finanzinvestitionen sowie bei F und E und den Innovationsallianzen erreicht worden ist, kontinuierlich fortgesetzt
wird. Der Zug ist auf der Schiene. Er gewinnt an Fahrt.
Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Fahrt beschleunigt wird; denn vor uns steht das Jahr 2010, in
dem wir das 3-Prozent-Ziel erreichen wollen. Wir werden nach Abschluss der Haushaltsberatungen mit dem
Finanzvolumen, das im Haushalt für 2008 vorgesehen
ist, für F und E einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt
von 2,7 Prozent erreichen. Damit sind wir europaweit in
der Spitzengruppe. Auch das ist ein wichtiges Signal im
Kontext der Europäischen Union. Denn das, was für
Deutschland gilt, gilt in gleichem Maße auch für Europa:
mehr Attraktivität am Forschungsstandort Europa.
({6})
Was sind wichtige nächste Schritte? Nach dem ersten
Schritt, der die Finanzen betrifft, und dem zweiten
Schritt, der die Konzepte betrifft - beide müssen stimmen -, müssen wir uns im dritten und gleichberechtigten
Schritt um den Fachkräftebedarf kümmern. Darüber ist
in diesem Hohen Hause bereits diskutiert worden. Wir
haben in Meseberg, wie ich finde, wichtige Beschlüsse
hierzu getroffen. Wir brauchen ein Konzept für die Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte. Die demografische Entwicklung in Deutschland macht das notwendig.
({7})
Das muss immer mit der Qualifizierung all derer verbunden werden, die hier in Deutschland leben. Denn niemand in Deutschland versteht Zuwanderung, wenn nicht
klar ist, dass jeder Jugendliche in Deutschland eine
Chance hat.
({8})
Diesen Zusammenhang müssen wir sehen. Wer immer nur auf einem Bein steht, wird feststellen, dass das
ein bisschen unbequem ist.
({9})
Beides ist notwendig: Qualifizierung aller und attraktiv
werden für Talente aus aller Welt.
Als Weiteres werden wir uns in der zweiten Hälfte
dieser Legislaturperiode über die Frage Gedanken machen müssen - die vier betroffenen Häuser der Bundesregierung sind auf Arbeitsebene darüber im Gespräch -:
Wie geht es nach 2010 weiter?
Neben der institutionellen Forschungsförderung und
neben der Projektförderung werden wir uns aufbauend
auf der Forschungsprämie auch über die Frage weiterer
Anreize Gedanken machen müssen, damit der Satz
„Steuerpolitik ist Innovationspolitik“ eine klare Konkretisierung erfährt.
Schließlich: Wir werden im Zusammenhang mit der
Qualifizierungsinitiative die notwendigen Voraussetzungen etwa mit Blick auf technische Bildung, mit Blick auf
einen höheren Anteil Studierender, mit Blick auf mehr
Interesse für Naturwissenschaft und Technikwissenschaft oder mit Blick auf mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem schaffen und die nächsten Monate nutzen,
um mit den Ländern und den Sozialpartnern gemeinsam
neue Maßnahmen zu entwickeln, die bei einem Qualifizierungsgipfel bei der Bundeskanzlerin im Herbst 2008
verabschiedet werden.
Hightechstrategie steht also nicht isoliert da, sondern
sie steht im Kontext dessen, was wir an Weiterentwicklung, Modernisierung und Internationalisierung von Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung in
Deutschland leisten.
Vielen Dank.
({10})
Nun hat die Kollegin Cornelia Pieper für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Danke, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Leitmärkte für die Zukunft definieren - diesem hohen
Anspruch fühlt sich die Hightechstrategie verpflichtet.
Aber, Frau Ministerin, wir dürfen uns dabei nicht verzetteln. Wir als Liberale haben immer gesagt: Deutschland
muss auch den Anspruch haben, die Technologieführerschaft in wichtigen Forschungsfeldern zu übernehmen.
Das sind für uns unter anderem die Bereiche Energie,
Klimaforschung und Gesundheitsforschung.
({0})
Deutschland darf nicht den Fehler machen, nach dem
Prinzip „viel hilft viel“ vorzugehen, lieber Herr Tauss.
Wir können in der Tat auf hervorragende Leistungen aus
Forschung und Entwicklung verweisen. Wir verfügen
über ein reich gefülltes Portfolio an Patenten.
({1})
Ich stelle mir aber immer wieder auch die Frage, ob
Sie den richtigen Nährboden schaffen, auf dem Forschungsergebnisse und Patente zu wirklichen Innovationen der Wirtschaft werden. Da habe ich meine Zweifel.
({2})
Sie alle kennen ein prominentes Beispiel: Der Wert
der Entdeckung des diesjährigen Nobelpreisträgers für
Physik, Peter Grünberg, wurde von der deutschen Wirtschaft nicht erkannt. Es war IBM, die sich für die Entwicklung und den Bau leistungsfähiger Festplatten in
den USA eingesetzt hat und diese auch nutzte.
In der „Forschungsunion Wirtschaft - Wissenschaft“
denken führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und
Wirtschaft darüber nach, wie neue Ideen schnell und unkompliziert in innovative Produkte umgesetzt werden
können. Ihre Aufgabe ist es, Innovationshemmnisse zu
identifizieren und zu beseitigen.
Aber wo stehen wir heute, nach einem Jahr Hightechstrategie? Die Energietechnologien leiden nach wie vor
unter Forschungsverboten in der Kernenergie-, der Sicherheits- und der Endlagerforschung. Doch ohne die
Kernenergie werden wir unsere ambitionierten Ziele
beim Klimaschutz nicht erreichen, Frau Ministerin.
({3})
Über dem Zukunftsfeld „Pflanzen“ liegt der Schleier des
Gentechnikgesetzes. Der Deutsche Bundestag will heute
Nacht, zwischen 4 und 5 Uhr, also morgen früh, über die
von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zum Gentechnikgesetz beraten. Man hat ein bisschen das Gefühl,
dass Sie das verstecken wollen. Herr Seehofer hat
schließlich schon einmal ein weiter gehendes Eckpunktepapier vorgelegt, nach dem Freilandversuche zugelassen und keine zusätzlich Barrieren geschaffen werden
sollten. Eine Forschung ohne Bewährung auf dem Acker
ist nicht innovationsfreundlich, sondern innovationshemmend. Das ist die Politik der Bundesregierung.
({4})
Beim „Innovationsfrühstück“ des Verbandes der Chemischen Industrie sind wir bewusst darauf aufmerksam
gemacht worden, dass das Gentechnikgesetz der Bundesregierung dazu führen wird, dass sich die Industrie
andere Standorte suchen und nicht den Forschungsstandort Deutschland vorziehen wird. Das dürfen wir nicht
wollen. Frau Ministerin, Sie müssen aufpassen, dass Sie
nicht vom Prinzip der Forschungsfreiheit, welches zu
Recht im Grundgesetz verankert ist, abweichen. Als
Liberale fühlen wir uns diesem Recht verpflichtet. Wir
müssen zwar, zum Beispiel im Zusammenhang mit der
Stammzellenforschung, ethische Debatten führen, Sie
müssen aber aufpassen, dass Sie nicht vom Pfad „Freiheit in der Forschung“ abweichen; denn sonst würde aus
Ihrer Hightechstrategie sehr schnell eine Lowtechstrategie, Frau Ministerin.
({5})
Ich glaube, dass Ihr französischer Ministerkollege auf
dem Innovationskongress mit Recht die Worte Napoleons zitierte: Es reicht nicht aus, eine gute Strategie zu
haben; man muss auch wissen, wie man sie umsetzt. Die
Umsetzung werden wir weiterhin kritisch beäugen.
Vielen Dank.
({6})
Nun hat das Wort der Kollege René Röspel für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben uns heute hier versammelt, um das
erste Jahr Hightechstrategie gemeinsam zu betrachten.
Das Ziel der Hightechstrategie ist es, Wirtschaft und
Wissenschaft in gemeinsamen Projekten und Kooperationen zu vernetzen, weiter voranzubringen und vor allen
Dingen neue Leitmärkte zu erschließen und zu identifizieren; denn das braucht Deutschland als Hightechstandort in der Welt.
({0})
Deutschland steht als Exportweltmeister gut da. Dieser Erfolg wird aber von relativ wenigen Branchen getragen. Der Vizepräsident des Stifterverbandes für die
Deutsche Wissenschaft hat das im Februar 2007 einmal
so ausgedrückt:
Der FuE-Standort Deutschland
- also der Forschungs- und Entwicklungsstandort
Deutschland steht und fällt mit der Entwicklung im Kraftfahrzeugbau, der gut ein Drittel der FuE-Aufwendungen bestreitet.
Jeder dritte Forschungseuro wird im Kfz-Bereich ausgegeben. Jeder vierte Forscher arbeitet im Automobilbereich.
Dieser Erfolg kann zur Falle werden. Ein Fuhrunternehmer, der ein starkes Zugpferd hat, auf das er seinen
Erfolg gründen kann, bekommt ein Problem, wenn dieses Pferd ausfällt, kränkelt, schwächelt oder gar nicht
mehr existent ist. Es kann seine Existenz kosten, wenn er
nicht rechtzeitig für Nachwuchs bzw. Ersatz gesorgt hat.
Deshalb ist es wichtig, über die Hightechstrategie
neue Innovationsbereiche zu identifizieren, in denen wir
neue Technologien entwickeln und damit auch sichere
neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen können.
Deshalb ist die Hightechstrategie ein guter Schritt in die
richtige Richtung. Im vorliegenden Fortschrittsbericht
wird eine ganze Menge von Projekten genannt, die bereits begonnen haben und positiv bewertet werden können.
Als Beispiel möchte ich die Umwelttechnik nennen.
Frau Pieper, Sie haben gerade zu Recht gesagt, dass die
Liberalen immer gefordert haben, dass Deutschland auf
diesem Gebiet Technologieführer werden muss. Sie haben das nur nie realisiert. Wir haben es gemacht, als wir
1998 zusammen mit den Grünen an die Regierung gekommen sind.
({1})
In der neuen Koalition setzen wir das jetzt fort.
Der Bereich der Umwelttechnik ist ein klassisches
Beispiel dafür, dass Deutschland im Bereich Sonne und
Wind mittlerweile an der Weltspitze steht und da vernünftige Möglichkeiten des Ausbaus hat.
({2})
420 Millionen Euro werden wir bis 2009 in diesem Bereich investieren, um neue Technologien weiter zu heben
und sie zu fördern, damit sie auf dem Weltmarkt bestehen können.
({3})
Immerhin sind wir Umwelttechnologieexporteur Nummer eins.
Frau Schavan schreibt im Fortschrittsbericht richtig,
dass Ökotechnik mittlerweile zum Jobmotor entwickelt
worden ist. Das gilt für viele Bereiche; man kann zum
Beispiel die Gesundheitsforschung und Medizintechnik
nennen. Das ist eines der 17 Innovationsfelder, die sicherlich und hoffentlich jeden von uns bezüglich neuer
Technologien, die wir nutzen können, betreffen werden.
Im Bereich der optischen Technologien, Mikrosystemtechnologien und Werkstofftechnologien werden neue
Materialien für das Exportland Deutschland entwickelt.
Wenn wir diese Technologien weiterentwickeln, werden
wir am Ende sehen, dass wir nicht nur den Export stärken, sondern auch eine positive Bilanz für Umwelt und
Klima und am Ende für die Arbeitsplätze im Inland ziehen können.
({4})
Bei allem Lob gibt es aber auch Kritik. Wir werden
die Hightechstrategie in einigen Bereichen kritisch weiter begleiten. Das betrifft das Innovationsfeld Sicherheitsforschung. Auf Seite 42 im Bericht steht - ich darf
zitieren -:
Ziel der Sicherheitsforschung ist es, die Freiheit der
Bürger zu schützen.
({5})
Das ist falsch formuliert. Es weckt auch eine falsche
Hoffnung. Ich glaube, es wäre besser wie folgt formuliert: Ziel der Sicherheitsforschung muss sein, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten und weiterzuentwickeln, und zwar ohne Freiheitsrechte der Bürger
abzubauen oder einzuschränken.
({6})
Dass es ein wichtiges Spannungsfeld ist, haben wir
vor zwei oder drei Wochen als SPD-Fraktion auf einer
Konferenz zur Sicherheitsforschung feststellen können.
Dort haben wir uns den Fragen gewidmet: Wie kann
man eigentlich Sicherheit für die Bevölkerung feststellen
und sicherstellen? Wo liegen die tatsächlichen Bedrohungsszenarien? Die Fokussierung auf die üblichen
Punkte Terrorismus und Kriminalität ist zu kurz gegriffen. Der Sicherheitsbegriff und die Bedrohungspotenziale müssen weiter gefasst werden. Dazu gehören eben
auch Naturkatastrophen; das ist unstrittig.
({7})
Es ist klar: Wir brauchen einen breiter als bisher definierten Sicherheitsbegriff. Ich persönlich glaube, dass
- das haben wir, wenn wir es nicht schon vorher wussten, auf dieser Konferenz eindrücklich gelernt - die zunehmende Verwendung biometrischer Daten im öffentlichen Bereich, zum Beispiel bei Personalausweisen, nicht
unbedingt mehr Sicherheit für die Gesellschaft bringt,
sondern vielleicht sogar das Gegenteil.
({8})
Das gilt es bei künftigen Entscheidungen zu berücksichtigen.
Ich will mich noch einem anderen Thema widmen,
über das in letzter Zeit diskutiert wird, nämlich der
Frage, wie es mit der finanziellen Förderung von Forschung in Deutschland weitergehen soll. Klassischerweise fördern wir in Deutschland Institutionen oder Projekte; wir geben staatliche Gelder, um Forschung zu
finanzieren. Aber es wird zunehmend darüber diskutiert,
inwieweit man steuerliche Anreize für solche Unternehmen entwickeln sollte, die Forschung und Entwicklung
betreiben.
Ich glaube, es ist wichtig, neue Innovationsfelder zu
erschließen, die von der Wirtschaft ohne staatliche FörRené Röspel
derung nicht entwickelt worden wären. Diese Beispiele
gibt es im Umweltbereich und in vielen anderen, die sich
mittlerweile als Erfolg erwiesen haben. Wir müssen Impulse geben und eine Anschubfinanzierung ermöglichen.
Wichtig ist aber auch, Mitnahmeeffekte in Bereichen zu
verhindern, die sowieso von der Wirtschaft erschlossen
werden können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Wissing?
Aber gerne.
Kollege Röspel, Sie haben eben gefordert, steuerliche
Anreize für Unternehmen zu schaffen, die besonders viel
in Forschung investieren. Teilen Sie meine Auffassung,
die übrigens auch von der forschungsintensiven Industrie in Deutschland geteilt wird, dass die Große Koalition mit der Unternehmensteuerreform gerade die forschenden Unternehmen in besonderem Maße zusätzlich
zur Kasse bittet?
({0})
Erstens habe ich nicht gefordert, steuerliche Anreize
einzuführen, sondern gesagt, dass eine Diskussion darüber ansteht.
({0})
- Ja. - Ich will Ihnen durchaus selbstkritisch ein Beispiel
nennen. Am Montag ist im Rahmen der Hightechstrategie die Innovationsallianz „Lithium Ionen Batterie LIB
2015“ gestartet worden. Sicherlich ist grundsätzlich
richtig, Energiespeicherung zu fördern. Dieser Bereich
ist hochinteressant. Es geht zum Beispiel darum, wie wir
den Strom aus Windkraftanlagen speichern. Zusammen
mit einem Industriekonsortium, dem BASF, Evonik,
Volkswagen und Bosch angehören, wird nun Forschung
hinsichtlich der Lithium-Ionen-Batterie betrieben.
Das ist ein Bereich, der schon im Markt etabliert ist
- diese Technologie finden Sie beispielsweise in Ihrem
Handy oder in Ihrem Laptop - und den die Wirtschaft
selber weiterentwickeln könnte.
({1})
- Das hat mit der Frage etwas zu tun. Schauen Sie sich
einmal die Finanzierung an! Das Industriekonsortium
wird 360 Millionen Euro beisteuern, das BMBF 60 Millionen Euro. Nun kann man sich darüber unterhalten, ob
Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betreiben, steuerlich stärker gefördert werden sollten. Diesbezüglich ist es hilfreich, die Bilanzen dieser Unternehmen
zu betrachten.
({2})
- Nein, ich sage Ihnen eines ausdrücklich: BASF - eine
der Firmen, die diesem Industriekonsortium angehören hat 2006 einen Überschuss nach Steuern von 2 Milliarden Euro erwirtschaftet, und beim Volkswagen-Konzern waren es nach Steuern 2,5 Milliarden Euro. Mit
Blick auf diese Zusammenhänge halte ich es für falsch,
zu fordern, diese Unternehmen auch noch steuerlich zu
entlasten.
({3})
Die Antwort auf die zweite Frage. Die Unternehmensteuerreform hat für viele Unternehmen Entlastungen
gebracht, und sie wird es nicht behindern, dass weiterhin
Forschung und Entwicklung betrieben werden.
({4})
Deswegen muss man sehr kritisch sehen, in welchen
Bereichen es nutzt und in welchen Bereichen es zu Mitnahmeeffekten führen wird. Ich glaube, dass die Mitnahmeeffekte überwiegen werden. Wir wissen, dass
88 Prozent der Forschung und Entwicklung in Deutschland von großen Konzernen, dass aber nur 12 Prozent
von KMU geleistet werden. Diese müsste man eigentlich fördern. Ob wir dies über einen steuerlichen Anreiz für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten erreichen können, bezweifle ich stark,
({5})
und die Erfahrungen, die Frau Flach während einer
Reise nach Kanada sammelte
({6})
und über die sie in der letzten Sitzungswoche sprach,
waren interessant. Denn dort stellt es sich nicht als so gut
und interessant heraus, wie Sie es uns hier gerade darzustellen versuchten.
Wir sind diesbezüglich sehr offen, und es wird im
nächsten Jahr Vorschläge dazu geben. Diese werden wir
ernsthaft bewerten. Es darf jedoch nicht sein, dass Mitnahmeeffekte entstehen. Ziel muss es vielmehr sein, dass
Politik und Wirtschaft gemeinsam Verantwortung tragen. Die Politik macht das gerade, indem sie hohe Investitionen - es sind weit mehr als 6 Milliarden Euro - für
die Entwicklung neuer Technologien bereitstellt. Gerade
vor dem Hintergrund solcher Gewinnzahlen, wie ich sie
eben nannte, sind auch die Unternehmen gefordert, statt
Arbeitsplätze abzubauen, wie sie es zurzeit machen, in
mehr Personal zu investieren, Ausbildungsplätze zur
Verfügung zu stellen, mehr gute Ingenieure einzustellen
und den Anteil an F und E über mehr Einstellungen von
Menschen zu erhöhen. Dann bekommen wir nämlich
viele gute Zugpferde, die Deutschland weiter nach vorne
ziehen können.
({7})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dr. Petra Sitte das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Professor Schellnhuber, Umweltpreisträger, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimaberater der Kanzlerin, ist bekanntlich ein Mann klarer Worte.
Auch das 21. Jahrhundert, sagte er unlängst, werde ein
Jahrhundert der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft
trete quasi aus der Begleitung von Dialogen heraus. Sie
müsse sich mit der Politik auf Augenhöhe treffen und
ernst genommen werden. Gemeinsam müsse man die sogenannten Megathemen identifizieren, und dann müsse
man alle Kräfte und Ressourcen bündeln und interdisziplinär an Lösungen arbeiten.
Ich denke, an diesem Anspruch muss sich auch die
Hightechstrategie der Bundesregierung messen lassen.
Immerhin geht es um Entscheidungen für Jahrzehnte.
({0})
Das bedeutet: Zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft muss ein Netz gespannt werden.
Wie ist das Netzwerk der Hightechstrategie derzeit geflochten? Sie, Frau Ministerin - das wurde schon erwähnt -, haben strategische Partnerschaften geknüpft.
Wichtigstes Gremium ist die Forschungsunion, deren
Mitglieder im Wesentlichen aus Wissenschaft und Wirtschaft kommen. Nicht ganz eindeutig lässt sich der Kollege Huber von der IG Metall zuordnen.
({1})
Sie als Ministerin vertreten sozusagen die Politik. Vertreter der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sucht man
hingegen vergebens, und das Parlament hatte zu keinem
Zeitpunkt eine reale Chance, Einfluss auf die Gestaltung
der Hightechstrategie zu nehmen.
({2})
Die Maschen dieses Netzes sind also nur zwischen Wissenschaft und Wirtschaft eng und weiten sich zur Politik
deutlich. Zur Gesellschaft gibt es im Grunde genommen
nur eine Masche; diese Masche kann man durchaus auch
als Loch bezeichnen. Das betrachtet die Linke als gravierenden Webfehler.
Wir kritisieren diesen Ansatz auch, weil durch ihn vor
allem exportfähige Technologien mit Steuergeldern in
Milliardenhöhe gepusht und kommerzialisiert werden.
Sie, Frau Ministerin, fragen nicht: Welche Innovationen
werden für die Lösung globaler Probleme wirklich benötigt? Welchen Maßstab haben wir eigentlich? Unser
Maßstab sind Leitperspektiven, die sich aus der Zukunftsforschung ableiten lassen.
Dazu gehören die Verbesserung der Lebensqualität, die
Sicherung von wissenschaftlichen Entwicklungen und
von Beschäftigung, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Naturressourcen, die Sicherung von
sozialer Gerechtigkeit und von Chancengleichheit, die
Förderung der kulturellen Eigenentwicklung und der Vielfalt von Gruppen und Lebensgemeinschaften, die Förderung von menschendienlichen Technologien
({3})
und die Verhinderung superriskanter Techniken und irreversibler Umweltzerstörungen. Diese Ziele sind in der
Hightechstrategie nur fragmentarisch zu finden.
Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil sie
mit dieser Einseitigkeit zur Einengung von Forschungsfreiheit führt,
({4})
und zwar auf eine ganz andere Weise, als bisher diskutiert wurde. Die Forschung wird nämlich im Wesentlichen auf innovative Dienstleistungen für die Wirtschaft
reduziert. Das haben die Väter des Grundgesetzes ganz
bestimmt nicht im Auge gehabt, als sie die Forschungsfreiheit in das Grundgesetz aufgenommen haben.
({5})
- Selbstverständlich, die Mütter auch nicht. Ich glaube
aber, damals war gar keine Frau dabei.
({6})
- Ach so. Hier lasse ich mich gerne belehren.
Die Linke kritisiert des Weiteren, dass Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften lediglich Akzeptanzforschung zur Einführung strittiger Technologien, etwa im
Sicherheits-, Nano- oder Biotechnologiebereich, betreiben sollen. Es geht aber nicht nur darum, der Gesellschaft zu erklären, worin diese Technologien bestehen,
sondern es geht auch darum, zu untersuchen, was sie bewirken. Wir haben gemeinsam zu entscheiden, ob wir
diese Technologien haben wollen.
({7})
Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil die
kleinen und mittelständischen Unternehmen, die insbesondere in Ostdeutschland die eigentlichen Innovationstreiber sind, weiterhin ein hohes Geschäftsrisiko tragen
müssen. Sie erhalten weit weniger Fördergelder als
Großkonzerne, obwohl sie weit mehr Arbeitsplätze
schaffen. Zudem wird der Zugang der kleinen und mittelständischen Unternehmen durch die Initiative „KMUinnovativ“ auf nur fünf Technologiefelder begrenzt. Das
kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
({8})
Jetzt möchte ich an die Ausführungen von Herrn
Röspel anknüpfen. Bei einigen Strategie- und Programmlinien fragt man sich wirklich: Wieso werfen wir
hier noch Förder- bzw. Steuergelder hinterher? Das gilt
beispielsweise für das Luftfahrtforschungsprogramm IV.
Die deutsche Luftfahrtindustrie jammert, sie habe kein
Geld zur Entwicklung emissionsarmer Triebwerke. Sie
macht aber seit Jahren Rekordgewinne. Das gleiche Bild
zeigt sich bei der Pharmainitiative. Die Pharmabranche
ist bekanntermaßen extrem renditestark.
Die Nutznießer der Strategielinie „IKT 2020“ zur Erforschung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sind letztlich Konzerne der Branchen
Automobilbau, Gesundheitstechnik, Maschinenbau und
Softwareentwicklung. Die Linke fordert, diese Strategielinie so auszurichten, dass das Internet als Informations- und Wissensplattform viel mehr Menschen zugänglich gemacht wird.
({9})
Als ich Ihren Bericht gelesen habe, ist mir an einer
Stelle fast nichts mehr eingefallen. Ich habe mich gefragt: Wieso müssen wir diesen Bereich fördern? Es
wird nämlich Fördergeld in Forschungen zur Ablösung
von Ölplattformen und zur Entwicklung submariner Fördertechnologien gesteckt. Man muss sich einmal fragen:
Haben die Ölkonzerne dieser Welt in den letzten Jahren
nicht wirklich Milliarden und Abermilliarden an Rekordgewinnen erzielt? Diskutieren wir nicht gerade darüber, dass der Preis für Superbenzin bald auf 1,50 Euro
und der Preis für Diesel bald auf 1,40 Euro pro Liter
steigen könnte? Diesen Bereich unterstützen wir tatsächlich mit öffentlichen Geldern! Wie Sie sehen, regt mich
das auf.
({10})
Die erneuerbaren Energien werden hingegen mit nur
77,5 Millionen Euro gefördert; das halte ich für einen
gravierenden Fehler. Die Bundesregierung macht sich
mit Ihrer Hightechstrategie, genauso wie bei der Steuerpolitik, zur Lobbyistin der Interessen großer Unternehmen. Damit nicht genug, Frau Ministerin: Sie schaffen
künstlich Märkte, indem Sie Nachfrage durch öffentliche
Behörden versprechen. Das gehört bestimmt nicht zu
den Kernaufgaben des Staates. - Eigentlich müssten mir
die Liberalen jetzt zustimmen.
({11})
Diese Hightechstrategie muss insgesamt einen Beitrag
zur innovativen Lösung komplexer globaler Widersprüche leisten. Hier schließt sich der Kreis zu Professor
Schellnhuber. Technologische Innovation, sagt er nämlich
weiter, reicht nicht - wir brauchen auch einen Mentalitätswandel im Verbraucherverhalten. Das heißt, Hochtechnologien sind gleichberechtigt vor dem Hintergrund sozialer,
ökonomischer, ökologischer und kultureller Innovationen
zu entwickeln. Vielleicht hört ja die Kanzlerin und vielleicht hören auch Sie, Frau Ministerin, tatsächlich auf den
Klimaberater.
Danke schön.
({12})
Nun hat das Wort die Kollegin Priska Hinz für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Hightechstrategie ist überschrieben mit der Botschaft:
Ideen zünden. Da fragt man sich natürlich nach einem
Jahr: Welche Ideen haben denn gezündet? Welche Instrumentarien waren eigentlich erfolgreich?
Da schaue ich mir als Erstes die Forschungsprämie
an. Die Forschungsprämie kann es kaum gewesen sein.
Gerade die Nachfrage der kleinen und mittleren Unternehmen stockt, und diejenigen, für die die Forschungsprämie im Besonderen ausgerufen wurde, nämlich die
Hochschulen, partizipieren bislang unterdurchschnittlich.
({0})
Die Fraunhofer-Gesellschaft wird 65 Prozent des Geldes
abgreifen, die Universitäten nur 22 Prozent.
({1})
Das ist eine klassische Fehlzündung des wichtigen Instrumentes Forschungsprämie.
({2})
Zum Instrument Wagniskapital. Haben Sie da vielleicht etwas auf die Beine gestellt? - Herr
Dr. Riesenhuber, der dort in den hinteren Reihen sitzt,
grinst.
({3})
- Entschuldigung: Sie lächeln. - Beim Wagniskapital ist
also auch noch nichts passiert, obwohl wir alle das gerne
wollen. Meines Wissens ist es immer noch nur der von
Rot-Grün ins Leben gerufene Hightech-Gründerfonds,
der hier hilft. Auch die Unternehmensteuerreform hat
den jungen, innovativen Unternehmen nichts gebracht.
Auch hier müssen die Ideen, die man hat, gut umgesetzt
werden; sonst bringen sie überhaupt nichts.
({4})
Auf dem Mikrosystemtechnik-Kongress in Dresden,
Frau Schavan, haben Sie verkündet, dass Sie über Steuervergünstigungen für mehr Forschungsinnovationen
nachdenken. Das soll vielleicht in der nächsten Wahlperiode umgesetzt werden. Sie müssen aufpassen, dass Sie
nicht als Ankündigungsministerin enden. Denn auch das
3-Prozent-Ziel wird wahrscheinlich nicht erreicht, erstens weil die Konjunktur so gut ist und zweitens weil
auch die Wirtschaft, wie es Herr Oetker vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft gesagt hat, das Ziel
wohl nicht erreichen wird. Dann haben Sie ein Problem.
({5})
- Wenn die Anreize fehlen und wenn es die falschen Instrumentarien sind, um die Wirtschaft dazu zu bringen,
zu investieren, innovativ zu sein, dann ist natürlich ein
Teil der Verantwortung bei der Ministerin; das muss man
klar und deutlich sagen.
Priska Hinz ({6})
({7})
Die Hightechstrategie der Bundesregierung ist zudem
noch immer vor allen Dingen auf technologische Neuerungen ausgerichtet.
({8})
In Ihrer Vorstellung von anwendungsbezogener Forschung fehlt nach wie vor die sozial- und kulturwissenschaftliche Dimension. Innovation kann aber nur gelingen und nur dann nachhaltig sein, wenn die potenziellen
Nutzerinnen und Nutzer einbezogen werden. Das Vertrauen in neue Technologien kann nur dann erhalten und
gestärkt werden, wenn es auch Risikoforschung und
Technikfolgenabschätzung gibt. Das sagen die Sozialdemokraten selbst: bei der Sicherheitsforschung.
({9})
Das wissen wir auch aus dem Bereich der Nanotechnologie. Zwei Jahre zu spät haben Sie, Frau Ministerin, einen
Bericht über Veränderungsbedarf bei der Anwendung
der Nanotechnologie vorgelegt, in dem Sie Handlungsbedarf konstatieren. Was wollen Sie da tun? Abwarten
und vielleicht ein bisschen was klären?
Auch hier gilt: Der Staat muss bei der Forschung und
Entwicklung da investieren, wo es die Wirtschaft nicht
tut, nämlich in Risikoabschätzung und Vorsorge. Nur
dann kann die Herausforderung einer neuen Technologie
wirklich so bewältigt werden, dass sie nachhaltigen Nutzen für die Gesellschaft und nicht nur Geld für einige
Betriebe bringt.
({10})
Auch bei der Klimaforschung sind Sie technologisch
ausgerichtet. Sie haben zwar die Idee der Grünen aufgegriffen, dass hier investiert werden und man innovativ
sein muss, schauen wir uns aber einmal die Mobilitätsforschung an. Zu ihr müsste ja auch die Verhaltensforschung gehören. Was tun Sie? - Sie beschränken sich
auf die Entwicklung intelligenter Leitsysteme für den
Autoverkehr.
({11})
Das ist in der heutigen Zeit doch wirklich viel zu kurz
gesprungen. Hieran erkennt man Ihre Schieflage bei der
Hightechstrategie.
({12})
Auch bei der Pharmainitiative frage nicht nur ich
mich, ob ausgerechnet die Pharmaindustrie in Deutschland so viele öffentliche Mittel braucht. Nachdem sie in
den 90er-Jahren im Ausland investiert hat, weil sie kein
Vertrauen in Deutschland hatte, soll sie jetzt einen Haufen Geld bekommen. Wenn schon in Deutschland eine
Pharmainitiative greifen soll, dann müssen inhaltliche
Maßstäbe gesetzt werden. Wenn man neue Ideen fördern
will, gehört dazu vor allen Dingen der patientenorientierte Ansatz, zum Beispiel die patientenorientierte Forschung als Querschnittansatz. Hier reicht es nicht, einen
Leuchtturm in der Demenzforschung zu haben; vielmehr
muss das in der gesamten Pharma- und Medizinforschung Platz finden. Das lässt sich aus der von Ihnen
vorgelegten Initiative bislang nicht herauslesen. Damit
ist das wieder eine Schieflage bei einer wichtigen Initiative, die die Hightechstrategie ja sein soll.
({13})
Dann haben wir noch das Riesenproblem des Fachkräftemangels. Durch die gerade erschienene Innovationserhebung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung wird gezeigt: Deutsche Unternehmen
investieren inzwischen zwar mehr in Forschung und Entwicklung, aber 20 Prozent der Unternehmen konnten in
den letzten Monaten Stellen im Bereich Forschung und
Entwicklung nicht besetzen. Auch in dem Bericht zur
technologischen Leistungsfähigkeit der Bundesregierung wird das ausgewiesen, und in der vor Kurzem erschienenen OECD-Studie wird ebenfalls auf diesen drohenden Mangel hingewiesen.
Hier gibt es vier Bereiche, in denen die Bundesregierung unmittelbar etwas tun kann: bei der Ausbildung, bei
der Weiterbildung, bei dem Ausbau von Studienkapazitäten und bei der Zuwanderung.
Bei der Ausbildung hat sich die Ministerin auch nach
zwei Jahren noch nicht zu einer Modernisierung der
Ausbildungsstrukturen durchgerungen. Bei der Weiterbildung fällt ihr nicht mehr als das Bildungssparen ein.
Noch nicht einmal das ist bis heute umgesetzt. Beim
Hochschulpakt musste man sie zum Jagen tragen. Jetzt
ist er auch noch unterfinanziert; das heißt, nicht alle notwendigen Studienplätze werden geschaffen werden können. Bei der Zuwanderung hat die Ministerin kurz nach
Verabschiedung des neuen Gesetzes schon wieder neue
Vorschläge gemacht. Obwohl Sie es vorher mitbeschlossen haben, haben Sie hinterher beklagt, dass die Einkommensgrenzen jetzt zu hoch sind, Frau Schavan. Und was
haben Sie hinterher dann tatsächlich erreicht? - Eine
kleine Korrektur, nämlich die Erleichterung der Einwanderung von Fachkräften aus den neuen EU-Mitgliedstaaten. Hier sind Sie als Tigerin gesprungen und als Bettvorlegerin gelandet.
({14})
Es bleibt mir festzustellen: Die Hightechstrategie ist
eine gute Idee, und sie könnte mit der richtigen Umsetzung nicht nur zünden, sondern sogar eine richtige Rakete werden.
({15})
Dafür bräuchten wir aber eine andere Bundesregierung.
Danke schön.
({16})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ilse Aigner für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hinz, das Zünden der Rakete ist mein Bild; ich halte es für nicht in
Ordnung, dass Sie es übernehmen.
({0})
- Nein.
Aber genauso wenig halte ich Folgendes für gut: Sie
zählen im Prinzip auf der einen Seite auf, was alles geschehen ist, und bestätigen damit, was alles passiert ist.
Sie haben eine ganze Reihe von Themen aufgezählt, und
Sie suchen immer nur das Haar in der Suppe, das vielleicht links herum oder rechts herum etwas anders ist,
und so haben es viele andere auch gemacht.
({1})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich stelle mir
nur vor, wir stünden heute in einer wirtschaftlichen Entwicklung, wie wir sie leider viele Jahre hatten, als die
Wirtschaftskraft eher abnahm, als die Arbeitslosigkeit
stieg, als wir Jahr für Jahr überlegen mussten, woher wir
das Geld bekommen bzw. wie wir die Neuverschuldung
eindämmen. Stünden wir nicht vor einer Situation, in der
wir es Gott sei Dank geschafft haben, die Richtung zu
ändern,
({2})
in der wir mittlerweile mehr Arbeitskräfte vermittelt haben - übrigens auch hochqualifizierte ältere Arbeitskräfte -, in der es Wirtschaftswachstum gibt, dann hätten
wir überhaupt nicht die Gelegenheit, uns darüber zu unterhalten, wie wir mehr Mittel in Forschung und Entwicklung investieren, und zwar mehr als 6 Milliarden
Euro in den nächsten Jahren. Diese Chance nutzen wir
auch.
Aber einfach nur das Geld in die Hand zu nehmen, ist
nicht das Einzige. Wir haben auch einiges fortgesetzt,
was einige - vielleicht nicht Sie persönlich - angekündigt haben, was aber finanziell gar nicht untermauert
wurde. Ich erinnere nur an die Exzellenzinitiative, die
ich als hervorragend erachte,
({3})
die aber vorher in keiner Weise finanziell untermauert
worden war.
({4})
- Sie war in keiner Weise vorher finanziell untermauert.
({5})
Letztendlich haben erst wir das Geld tatsächlich zur Verfügung gestellt.
Ich erinnere an den Hochschulpakt, liebe Frau Hinz.
Zu behaupten, dass die Ministerin zum Hochschulpakt
gedrängt werden musste, ist unzutreffend.
({6})
- Ich weiß ja nicht, auf welcher Veranstaltung Sie waren.
Ich glaube, wir sind gemeinsam im selben Ausschuss
und waren uns eigentlich immer einig,
({7})
dass dies nicht ganz einfach ist und dass man es gemeinsam mit den Ländern und nicht gegen die Länder machen muss. Das war eine Riesenleistung von unserer Ministerin Annette Schavan.
({8})
Dass wir in Zukunft 90 000 zusätzliche Studienplätze
aufbauen werden, ist eine riesige Leistung.
Damit bin ich bei dem, was für uns das Wichtigste ist.
Wir können letztendlich in Deutschland nur mit der Ressource haushalten, die wir im größten Maße haben, nämlich mit den Menschen und dem, was sie im Kopf haben,
was sie können und die der Realität umsetzen. Deshalb
haben wir auf der einen Seite Geld in die Hand genommen; aber auf der anderen Seite haben wir versucht, Instrumente zu finden, um dies gemeinsam mit der Wirtschaft umzusetzen.
Sie haben die Forschungsprämie angegriffen. Ich bitte
Sie: Das braucht auch alles erst einmal Zeit, anzulaufen.
({9})
- Was heißt denn „nicht so“? Sie wissen genau, wie die
Regularien bei der Forschungsprämie sind, dass nämlich
erst einmal die Anträge geschrieben und sie erst am
Ende des Projektes abgerechnet werden. Wie soll denn
das so schnell funktionieren? Ich habe erst in der letzten
Woche mit Fachhochschulen telefoniert. Sie werden es
umsetzen, aber sie müssen sich auch erst auf die neuen
Instrumente einstellen. Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob
nach einem Jahr schon alles erledigt sein sollte.
Vielmehr ist jetzt entscheidend, dass wir die richtigen
Weichenstellungen vornehmen werden. Wir haben die
Forschungsprämien und den Spitzenclusterwettbewerb
auf den Weg gebracht. Hiermit werden die Strukturen
mit Sicherheit so angelegt, dass sich neue, innovative
Ideen herausbilden, und zwar themenoffen. Nicht wir
schreiben vor, was sie zu machen haben, sondern vor Ort
werden sich die Unternehmen gemeinsam mit den Forschungseinrichtungen überlegen: Wo könnten die größten Zukunftsfelder sein? Wo könnten die meisten Ar12794
beitsplätze entstehen? Dies setzen wir mit einem
Wettbewerb um, und das zeigt wieder, dass Wettbewerb
das Beste ist, was passieren kann.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir ziehen
hier nach nur einem Jahr Resümee. Viele wären froh gewesen, nach einem Jahr überhaupt ein solches Resümee
ziehen zu können.
({11})
Die Ministerin hat es angesprochen: Auch in der Wirtschaft wird mehr Geld für Forschung und Entwicklung
in die Hand genommen. Wie gesagt, die Zahl der Arbeitsplätze steigt.
Das Beste, was wir heute tun könnten, wäre, Mut und
Zuversicht auszustrahlen, den Menschen, die draußen arbeiten und die etwas im Kopf haben, Mut zuzusprechen,
sich vielleicht selbstständig zu machen oder sich etwas
risikobereiter in einem Unternehmen zu engagieren, damit wir auch zukünftig mehr Arbeitsplätze haben und
nicht nur alles verwalten. Ich halte das für die richtige
Richtung, für die wir in den nächsten Jahren - hoffentlich gibt es noch viele Jahre Exzellenzinitiative - gemeinsam arbeiten sollten.
({12})
Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ulrike Flach
für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Schavan hat uns wieder einmal in sehr
beredten Worten die Hightechstrategie dargelegt. Sie haben mit dem Fortschrittsbericht den Preis für Gestaltung
gewonnen und vor allen Dingen den Eindruck vermittelt,
an alles gedacht zu haben.
Ich will aber in diesem Zusammenhang auf ein Zitat
zurückgreifen, das in diesen Wochen immer wieder
durch Berlin geistert: Zu viel Weihrauch schwärzt den
Heiligen, liebe Frau Schavan. Genau das versuchen Sie
an dieser Stelle:
({0})
Sie decken mit Ihrer Strategie und Ihrem Zwischenbericht einfach ab, dass sich inzwischen nicht viel verändert hat.
({1})
Frau Aigner kann noch so sehr betonen, wie viel Geld
zur Verfügung gestellt worden ist. Frau Bulmahn wäre
hocherfreut gewesen, wenn sie nur einen Bruchteil dieser zusätzlichen Gelder erhalten hätte. Aber wir leben
nun einmal in einer Zeit, in der sich die Konjunktur deutlich eintrübt. Das Wachstum hat sich verringert. Die
Steuereinnahmen steigen nicht mehr, und die nach den
neuesten Steuerschätzungen zu erwartenden zusätzlichen Milliarden sind im Haushalt 2008 bereits zur Hälfte
verplant. Das heißt, der Spielraum wird enger. Erst dann
werden Sie sich beweisen müssen. Es ist einfach, in fetten Zeiten etwas zuzulegen, Frau Schavan. Aber Sie
müssen auch für die Zeiten vorsorgen, in denen es nicht
so gut läuft.
({2})
Sie haben eben ein verdächtiges Wort gebraucht. Sie
haben gesagt, dass eine stimmungsmäßige Verbesserung
festzustellen sei. Insofern stimme ich Ihnen völlig zu:
Stimmung wird uns in diesem Fall nicht helfen.
({3})
Sie haben außerdem von einer deutlichen Entwicklung
auf dem Arbeitsmarkt gesprochen. Aus den Prognosen
des Stifterverbandes geht hervor, dass die Zahl der in
Forschung und Entwicklung Beschäftigten von 2005 auf
2006 um 3 500 Personen gestiegen ist. 2007 sollen es
2 000 zusätzliche Arbeitsplätze sein. Sie haben uns aber
1,5 Millionen zusätzliche wissensbasierte Jobs versprochen. Insofern frage ich mich - Hightech hin oder her -,
wo die Relationen und der Erfolg Ihrer nicht gerade billigen Aktionen liegen.
({4})
Wir liegen zwar leistungsmäßig seit Jahren auf einem
guten Niveau - das gilt übrigens auch für die Jahre, über
die Sie eben so geschimpft haben, Herr Röspel -,
({5})
aber ich befürchte, dass wir die eigentlichen Schwächen
nach wie vor nicht im Griff haben. Es gibt zu wenig Absolventen, zu wenig Wagniskapital, zu wenig Frauen und
zu wenig Patente. All dies hat sich nicht verändert, Hightechstrategie hin oder her.
Gleichzeitig leisten Sie sich Fehler, Frau Schavan, bei
denen wir uns fragen: Was hilft denn alle Strategie? In
diesen Tagen wird erklärt, dass die Gesundheitskarte
kaum noch eine Chance hat, flächendeckend eingesetzt
zu werden. Das ist der erste Fehlschlag, und zwar immerhin bei einem Leuchtturm Ihrer Strategie.
Bei der Forschungsprämie bin ich völlig anderer Meinung als Sie, Frau Aigner. Wir haben es mit einer reinen
Transferprämie zu tun, die bisher, wie das Ministerium
angibt, ab und zu auch für Forschung verwandt wird.
Was ist das für ein Konzept?
({6})
An dieser Stelle ist deutlich erkennbar, dass die Konzeption falsch ist.
Was die steuerlichen Erleichterungen angeht, haben
Sie mit der Unternehmensteuerreform gerade bei den
forschenden Unternehmen für große Probleme gesorgt.
({7})
Sie können doch jetzt nicht plötzlich erklären, dass Sie
irgendwelche Verbesserungen vornehmen wollen. Das
heißt nichts anderes, als dass sich die Finanzpolitiker
und die Forschungs- und Bildungspolitiker der Großen
Koalition konterkarieren.
({8})
Im Endeffekt wird wenig dabei herauskommen.
Lassen Sie mich zum Schluss feststellen, Frau
Schavan: Sie haben selbstverständlich die Probleme erkannt, und Sie haben viel Geld im Topf, aber es ist keine
relevante Arbeitsmarktverbesserung erkennbar. Die 17
von Ihnen aufgeführten Bereiche verschwimmen in wolkigen Prognosen. Ihnen liegen keine verwertbaren Zahlen für eine Verbesserung der Position Deutschlands im
Rahmen eines internationalen Rankings vor. Das heißt,
Sie haben nur einen geringen Teil der Hightechstrategie
umsetzen können. Da werden wir noch viel tun müssen,
Frau Schavan.
Ich fürchte, dass in deutlich schwierigeren ökonomischen Zeiten Probleme auftreten. Die Unterstützung der
FDP für den Innovationsstandort haben Sie immer. Aber
Sie müssen deutlich zulegen, sonst wird das nichts geben.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dieter Grasedieck,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In vielen Bereichen und bei vielen Zusammenarbeiten haben die Ideen schon gezündet; das kann man
festhalten. Aus Visionen Innovationen und Arbeitsplätze
für die Zukunft schaffen, das ist das Ziel unserer Hightechstrategie. Das haben wir in vielen Bereichen, zum
Beispiel durch die Forschungsprämie, erreicht. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit von Fachhochschulen sowie kleinen und mittelständischen Betrieben beim ökologischen Bauen. Wir bekämpfen damit unter anderem
die Arbeitslosigkeit. Wir sind hier erfolgreich und werden es in den kommenden Jahren auch bleiben.
({0})
Die Stärken des Mittelstandes sollten durch das CO2Gebäudesanierungsprogramm ausgebaut werden. Dabei
haben wir den Heizungsbauer, den Elektriker und den
Maurer genauso im Auge wie die Fachhochschule. Flexibilität und Kreativität des Mittelstandes sind hier entscheidend. Dadurch werden ganz sicher Arbeitsplätze
geschaffen. Die Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen ist aber nur ein Aspekt.
Wichtig ist des Weiteren, dass die Umwelt geschützt
und der CO2-Ausstoß reduziert wird. 35 Prozent der Energie werden bei der Beheizung von Gebäuden verbraucht.
Ich sehe das in meinem Wahlkreis besonders deutlich.
Der CO2-Ausstoß muss natürlich auch durch einen entsprechenden Kraftwerksbau reduziert werden. Wir bemühen uns mit der Hightechstrategie um eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in diesem Bereich. Die
deutsche Kraftwerkstechnologie ist hervorragend. Hier
sind wir Weltmeister. Die Ideen haben längst gezündet.
Die Wirkungsgrade deutscher Kraftwerke liegen im
Durchschnitt bei 50 Prozent. Wenn man die KWK-Anlagen berücksichtigt, dann stellt man fest, dass der Wirkungsgrad sogar bei über 70 Prozent liegt. Das ist ein
gutes Verkaufsargument in der Welt. Der Export boomt.
Was das CO2-freie Kraftwerk angeht, sind wir mit der
Hightechstrategie auf einem guten Weg. Bundesregierung und Industrie arbeiten hier zusammen.
({1})
Wir fördern zudem - das ist für uns wichtig - die erneuerbaren Energien wie die Wind-, die Bio- und die Solarenergie. Die Bundesregierung unterstützt Projekte in
diesem Bereich mit insgesamt 77,5 Millionen Euro. Allein im Bereich der Bioenergie werden 10 Millionen
Euro investiert. Das schafft Arbeitsplätze. Insgesamt
über 175 000 Menschen haben hier einen Arbeitsplatz in
qualifizierten Berufen gefunden. Das werden wir in den
kommenden Jahren durch unsere Hightechstrategie ausbauen.
Mit der Hightechstrategie wird auch die Clusterbildung, die strategische Partnerschaft, gefördert. Universitäten, Forschungsinstitute und die Wirtschaft arbeiten
zusammen. Ich will hierfür vier Beispiele benennen. Erstens. Universitäten arbeiten mit kleinen und mittelständischen Betrieben in den Bereichen der Filtertechnik und
des ökologischen Bauens zusammen.
Zweitens. Die intensive Zusammenarbeit der Energieerzeuger beim CO2-freien Kraftwerk ist entscheidend,
vielleicht sogar zukunftsweisend.
({2})
Drittens. Durch die gezielte Förderung der Optiktechnologie waren wir in den vergangenen Jahren erfolgreich. Wir wollen das fortsetzen. Wir sind in diesem Bereich Weltspitze.
({3})
Viertens. Durch die Förderung der Clusterbildung im
Informations- und Kommunikationsbereich sind 20 000
Arbeitsplätze in den letzten Jahren entstanden. Frau
Sitte, Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass allein
in Dresden 11 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen wurden. Hier zünden die Ideen. Das kann man
deutlich sehen. Gleiches gilt für den Bereich der Geisteswissenschaften.
Es werden aber nicht nur die Wirtschaft und die
Hochschulen bedacht, sondern auch die Schulen. Auch
Schulprojekte werden gefördert.
({4})
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Ich habe Schulen besucht, die sich mit der Solarenergie und der Windenergie
auseinandersetzen. Die Schüler sind sehr begeistert und
arbeiten sehr engagiert.
Sie sehen, die Hightechstrategie schafft Tausende von
Arbeitsplätzen
({5})
und eine neugierige, eine lernende Gesellschaft. Zusammenfassend kann man sagen: Die Koalition ist auf einem
erfolgreichen Wege. Wir wollen durch die Hightechstrategie noch erfolgreicher werden.
({6})
Ich gebe dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Wir sprechen heute im Wesentlichen über die Hightechstrategie, obwohl wir auch
den schönen Antrag zum Forschungsförderprogramm
„IKT 2020“, den der Kollege Krummacher erarbeitet
hat, zugrunde legen sollten.
({0})
- Ich freue mich immer, wenn auch die Kollegen von der
SPD beteiligt sind.
Zur Hightechstrategie - insofern will ich die Debatte
hier durchaus weiterführen und nicht sprengen - muss
ich sagen, liebe Frau Flach: Nach einem Jahr zu sagen,
dass ein Forschungsförderprogramm gescheitert sei, ist
ein bisschen verfrüht. Eine Forschung kann immer auch
Flops erzeugen. Eine Forschung, die keine Flops erzeugt, führt zu nichts anderem als zur Reproduktion des
Status quo.
({1})
Aber was wir hier haben,
({2})
ist meines Erachtens eine kluge strategische Anlage in
einem extrem komplexen Gebiet. Wir haben zum ersten
Mal eine integrierte Strategie, die die Ministerien und
die Fachbereiche sowie die unterschiedlichen Strategieansätze umfasst.
({3})
Wir haben eine Strategie, die systematisch auf dem aufbaut, was wir wissen.
({4})
Wir haben den Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit vorliegen. Die SWOT-Analyse - auf
Deutsch gesprochen: die Analyse der Schwächen, Stärken, Chancen und Risiken - haben wir in der Hightechstrategie ausgewiesen. Daraus entstehen die Programme,
die gezielt auf die kritischen Stellen ausgerichtet sind.
Dies alles ist integriert über die Felder der Techniken,
wobei wohldefinierte Prioritäten und Handlungsstrategien festgelegt sind. Das ist die eine Hälfte.
Jetzt kann man über die einzelnen Programme sprechen. Ich finde es prima, dass immer wieder neue Ideen
kommen. Forschung lebt von neuen Ideen.
({5})
Die Demenzforschung als Leuchtturm anzuführen, ist
wichtig. Ich könnte mir vorstellen, dass wir bei unserem
prächtigen und freundschaftlichen Verhältnis zu den
Bundesländern gelegentlich über die gesamte klinische
Forschung sprechen. Die Investitionen der Länder in die
klinische Forschung belaufen sich auf über 2,5 Milliarden Euro im Jahr. Wir haben protokollierte Forschungen
in Kliniken von weniger als 10 Prozent. Wenn wir dies
steigern könnten, dann wäre das ein Fortschritt für unsere Forschungslandschaft, nicht nur für die Statistiken
der Länder. Das würde die Wirklichkeit verändern.
Ich finde es gut, dass wir neue Punkte ansprechen.
Lieber Herr Röspel, wir können auch historische Debatten darüber führen, wer die Umwelttechnik wann so
prächtig entwickelt hat. Wir waren schon 1989 mit großem Abstand Weltmarktführer bei der Umwelttechnik.
({6})
- Wenn Sie auch in der Opposition waren, so waren wir
damals wenigstens für Ihre moralische Unterstützung
dankbar.
({7})
Es gibt hier zahlreiche technologische Einzelbereiche.
Was mir aber besonders wichtig erscheint - wir müssen
jetzt aufpassen, was noch weiter entwickelt werden kann -,
sind die Querschnittsbereiche.
Frau Sitte, Sie waren ein wenig skeptisch in Bezug
auf die öffentliche Nachfrage. England hat ein prächtiges
Programm aufgelegt, das die öffentliche Nachfrage nach
Innovationen stimuliert. Im TA-Bericht, den wir im
April erhalten haben, sind die Bereiche querschnittsartig
dargestellt. Es ist eine faszinierende Idee, an der öffentlichen Nachfrage, die 260 Milliarden Euro pro Jahr für Innovationen umfasst, anzusetzen. Es genügt nicht, dass
sich sechs Ministerien verabreden, verstärkt neue Technologien einzukaufen - das haben sie getan -, was an
sich prima ist. Es geht darum, das ganze Volumen der innovativen Beschaffung zu vergrößern.
Die Querschnittsfrage zielt auch auf Normen und
Standards. Mit dem DIN-Institut werden wir eine gemeinsame Strategie entwickeln. Außerdem geht es um
die Frage, wie man die Normen und Standards in der Nanotechnologie dahin gehend entwickeln kann, dass
Techniken verantwortbar sind.
({8})
- Ich zitiere aus dem Fortschrittsbericht. Nur am Rande
sei bemerkt: Ich formuliere keinen einzigen eigenen Gedanken,
({9})
sondern ich verlasse mich auf die Weisheit der Bundesregierung, was enorm entspannt und intellektuelle Aufwendungen erspart.
({10})
Wir haben hier über wissensbasierte Dienstleistungen
gesprochen und diese Sache damit zum ersten Mal wirklich systematisch behandelt. Entsprechende Ansätze gab
es schon vor 15 Jahren; doch damals war die Zeit dafür
noch nicht reif. Auch wenn 70 Millionen Euro, die bis
2009 für das Programm „Innovationen für Dienstleistungen“ zur Verfügung stehen, nicht viel Geld sind, besteht
jedenfalls die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen, das wir
uns gesetzt haben, nämlich auf dem Gebiet der wissensbasierten Dienstleistungen für dieselbe Exzellenz zu sorgen, die im Bereich der Produktion geschaffen worden
ist.
Diese Querschnittsbereiche sind am schwersten zu organisieren. Das zu schaffen, wird eine wichtige Aufgabe
sein. Ich bin gespannt, was im Zweiten Fortschrittsbericht stehen wird. Ich finde es prima, wenn man Fortschrittsberichte sauber schreibt. Ich finde es auch prima,
dass sich die Länder entschlossen haben, gemeinsam mit
der Wissenschafts- und der Wirtschaftsministerkonferenz
regelmäßig Berichte vorzulegen, aus denen hervorgeht,
was sie zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels beitragen. Ich
wäre glücklich, wenn sich die Finanzministerkonferenz
die gleichen Ziele setzte und an der Erreichung dieser
Ziele mit der gleichen Leidenschaft, die die Regierung
sonst auszeichnet, arbeitete.
({11})
Ich freue mich über unseren Finanzminister. Er ist sehr
innovativ.
Ich komme auf das Wagniskapital zu sprechen, das
Sie, liebe Frau Kollegin Hinz, angemahnt haben.
({12})
- Wenn Sie mir noch drei Minuten Redezeit geben, dann
erläutere ich Ihnen das im Einzelnen. - Was das Wagniskapital angeht, sieht die Sache so aus: Wir haben hier
- darüber haben wir das letzte Mal diskutiert - gegenüber den ersten Entwürfen der Beamten des Finanzministeriums eine Menge Fortschritte erreicht. Dank der
wichtigen und vielseitigen Anregungen der Sachverständigen in der Anhörung sind wir jetzt in einer zweiten
Runde konstruktiver und zielführender Gespräche, um
an einigen Stellen, beispielsweise bei den Business-Angels, noch ein bisschen weiterzukommen.
Herr Kollege!
Frau Flach, Sie machen mich hier gerade ein bisschen
an,
({0})
soweit das plenartechnisch möglich ist. Sie haben die
Verbesserung der Stimmung hier etwas kritisch apostrophiert.
({1})
- Vielen Dank. Dann sind wir uns einig: Es ist prima,
dass die Stimmung besser geworden ist.
Luther hat dazu Grundsätzliches gesagt, was ich aus
Respekt vor dem Hohen Hause nicht wiederholen kann.
Herr Kollege, Sie sind schon zwei Minuten über die
Redezeit.
Frau Präsidentin, ich bitte sehr um Nachsicht. - Ich
werde Luther nicht zitieren. Luther spricht sich für mehr
Fröhlichkeit aus. Ich meine die Geschichte von dem
traurigen Arsch; Sie erinnern sich.
Ich verweise auf das, was entsteht, wenn wir mit dem
fröhlichen Unternehmungsgeist in die Zukunft schreiten,
der diese Regierung und, wie ich hoffe, insbesondere
den Finanzminister auszeichnet. Lassen Sie uns gemeinsam mit dem Geist, den Frau Schavan hier gezeigt hat,
an die Sache herangehen! Dann wird sich die Strahlkraft,
die diese Große Koalition generell entfaltet, in der Gemeinschaft der deutschen Wissenschaftler, Forscher und
Unternehmer ausbreiten. Wir haben nur noch zwei Jahre
Zeit, bevor wir vielleicht wieder getrennte Wege gehen,
wenn es der Wähler will. Es gilt, die Zeit bis dahin zu
nutzen und Fröhlichkeit, Unternehmungsgeist, Tatkraft
und Entscheidungsfreudigkeit im Land zu verbreiten. An
der Erreichung dieses Ziels sollten wir gemeinsam mit
Herzlichkeit und Entschlossenheit arbeiten.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jörg
Tauss, SPD-Fraktion.
({0})
In der Tat werden wir die angesprochenen Fragen
fröhlichen Herzens angehen, auch die steuerlichen Fragen. Natürlich müssen wir überlegen - Geld kann man
schließlich nur einmal ausgeben -, welches Projekt wir
fördern und was wir in anderen Bereichen machen werden. Aber, liebe Frau Flach, ich bin dem Kollegen
Riesenhuber sehr dankbar, dass er mir ein bisschen Redezeit geschenkt hat, indem er darauf verwiesen hat,
dass am 1. Januar 2008 das Wagniskapitalbeteiligungsgesetz in Kraft treten wird. Das scheint der FDP entgangen zu sein.
({0})
Ich würde gerne mit euch darüber diskutieren, worüber wir mit Frau Hendricks diskutiert haben. Sie hat eine
ganz hervorragende Arbeit im Bundesfinanzministerium
geleistet. Man hört, dass es demnächst mit der Kollegin
Kressl eine Nachfolgerin geben wird, mit der wir diese
Fragen ebenfalls ganz vorurteilsfrei diskutieren können.
Aber eines ist klar: Geld kann man nur einmal ausgeben.
({1})
Die Frage ist nur, ob wir es zielgerichtet ausgeben.
({2})
- Entschuldigen Sie, das war schon immer unsere Erkenntnis. Deshalb haben wir weniger Schulden aufgetürmt als ihr in eurer Regierungszeit.
({3})
Es ist völlig klar, dass die Sozialdemokraten schon immer besser mit Geld umgehen konnten als die Liberalen.
Aber da war eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Tauss, würden Sie mich jetzt zu Wort
kommen lassen? - Ich möchte Sie fragen, ob Sie diese
Zwischenfrage zulassen?
Ich antworte uneingeschränkt mit Ja.
Herr Kollege Tauss, ist Ihnen bekannt,
({0})
dass sich die beiden Regierungsfraktionen nicht auf ein
Wagniskapitalbeteiligungsgesetz zum 1. Januar 2008 geeinigt haben, dass das Projekt vielmehr verschoben
wurde?
Lieber Herr Kollege, dieses Projekt ist, wie Sie wissen, auf einem hervorragenden Weg. Sie werden erleben,
dass wir das Wagniskapitalbeteiligungsgesetz in der
Form voranbringen, wie Sie es sich möglicherweise
auch wünschen.
({0})
Die Debatte hat gezeigt, dass wir im Rahmen der
Hightechstrategie viele wichtige Themen benennen. Die
Opposition muss zwar immer ein bisschen mäkeln, aber
es hat mich schon gewundert, dass sie jetzt gerade an
diesen Feldern herumgemäkelt hat. Es sind in der Tat ein
paar mehr - insgesamt 17 - Felder vorgestellt worden,
und es ist nicht bei allen so, wie es hier dargestellt
wurde.
Ich will beispielsweise den Bereich der Gesundheit
nennen. Diesbezüglich wurden einige Punkte angesprochen. Man kann sagen, dass man im Gesundheitsbereich
nichts machen muss, weil die Pharmaindustrie gut Geld
verdient. Trotzdem nehmen wir eine Pharmainitiative in
Angriff. Ich finde das gut; denn ein Großteil der Pharmaunternehmen in Deutschland sind mittelständische Unternehmen, die hervorragende Produkte auf den Markt
bringen. So einfach können wir es uns also nicht machen.
Wir widmen uns jetzt auch den Kompetenzzentren für Demenz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist daran zu
bemängeln? Dafür gibt es doch Bedarf in dieser Gesellschaft.
({1})
Wir sollten an dieser Stelle deutlich machen, dass genau
die richtigen Herausforderungen in Angriff genommen
werden.
Zum Thema Energie. Frau Kollegin Hinz, warum kritisieren die Grünen zum Beispiel, dass wir den Klimaschutz - der Kollege Grasedieck hat das im Einzelnen
vorgestellt - in den Mittelpunkt unserer Hightechstrategie stellen?
In Bezug auf die innere Sicherheit gibt es in der Tat
noch Fragen. Die Bürgerrechte müssen geschützt werden. Wir fragen - Kollegin Aigner hat aufmerksam zugehört, weil Herr Beckstein als Innenminister diesbezüglich manchmal anderer Auffassung war -, was zu mehr
und was zu weniger Freiheit führt.
({2})
Wohin führt es, wenn wir unsere Fingerabdrücke an allen Stellen hinterlegen? Wir hatten gerade eine Konferenz, auf der wir das miteinander diskutiert haben.
Ich glaube, zur Hightechstrategie gehört auch die
Technikfolgenabschätzung in all diesen Bereichen.
({3})
Die anderen Punkte will ich nicht alle benennen; die
Themen Nanotechnologie und Mobilität sind angesprochen worden. Das sind die Bereiche, in denen wir erfolgreich sind.
Frau Kollegin Hinz, was ist dagegen einzuwenden,
wenn wir uns in der Luftfahrt um neue Werkstoffe und
Materialien kümmern?
({4})
- Das waren Sie? Jetzt bitte ich um Entschuldigung; das
habe ich ein bisschen durcheinandergebracht.
({5})
Diese Kritik fand ich nicht fair. Gerade als PDSNachfolgepartei, die sich links nennt, sollte man wissen,
dass in den USA die gesamte Subventionierung der Luftund Raumfahrtindustrie aus dem militärischen Bereich
erfolgt. Die Frage ist, ob wir das wollen. Wir machen es
anders. Wir fördern Maschinen und Turbinen, wir fördern die leichten Materialien, Verbundwerkstoffe und
Ähnliches. Das halte ich für die intelligentere Lösung.
Aber das ist auch etwas, bei dem man staatliche Förderung braucht. Von alleine wird das nicht funktionieren;
dann könnten wir in diesem Bereich aufhören.
({6})
Die Initiative „Clean Sky“, bei der es um die Luftverschmutzung durch Luftverkehr geht, ist eine zentrale klimapolitische Herausforderung der nächsten Jahre. Ich
will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen.
In anderem Zusammenhang müssen wir natürlich
auch über die Hightechinitiative reden. Sie haben den
Stifterverband angesprochen. Nichts dagegen! Nur, eines
muss man den Herren vom Stifterverband einmal sagen:
Wenn es richtig ist, dass der Fachkräftemangel die zentrale Herausforderung in den nächsten Jahren ist, dann
muss man dem doch Rechnung tragen. Ich bin sicher:
Das ist die zentrale Herausforderung. Wir haben es gestern im Forschungsausschuss anhand des TAB-Berichts
diskutiert. Das größte Risiko für den Standort Deutschland in den nächsten Jahren sind nicht Lohnnebenkosten
und hohe Löhne der unbotmäßigen Beschäftigten - das
haben wir jahrelang gehört -, das größte Risiko ist vielmehr der Fachkräftemangel. Also müssen wir uns um
diese Frage kümmern.
Die Industrie beklagt den Ingenieurmangel. Da frage
ich mich: Wo ist die Industrie, die sagt: „Jetzt nehmen
wir Mittel für 50 000 Stipendien in die Hand; 25 000
jungen Frauen und 25 000 jungen Männern geben wir
über Stipendien Zuschüsse zum Studium“?
({7})
Man kann nicht immer nur Vorträge darüber halten, was
man tun könnte, tun müsste oder tun sollte. Ich erwarte
von der deutschen Industrie jetzt endlich namhafte Beiträge statt Gejammer über Fachkräftemangel; das kann
man nämlich nicht mehr hören.
({8})
Die Länder sind genauso gefordert. Das ist auch so
ein Pünktchen, über das wir einmal diskutieren müssen.
Ich komme aus Baden-Württemberg. Da sagte der Ministerpräsident kürzlich in einer Diskussion zum Thema
„Lehrerinnen und Lehrer“, zum Thema „Wir müssen alle
Talente fördern“: In Bade-Württemberg sind mehr Lehrer net drin. - Auf Deutsch: In Baden-Württemberg will
man sich nicht mehr Lehrer leisten. - Diese Herangehensweise des Exportlandes Nummer eins ist eine glatte
Katastrophe. Es kann doch nicht sein, dass ein Ministerpräsident heute ernsthaft sagt: „Mehr Lehrer sind nicht
drin“ und in den Schulbetrieb mehr Ehrenamtliche bringen will. Das sind Dinge, die nicht passen. Das sind
große Risiken für das Wirtschaftswachstum und den
Standort.
Aus diesem Grunde müssen wir mit denen, die in den
Ländern, egal an welcher Stelle, eine Bildungspolitik betreiben, die nichts taugt, stärker diskutieren. Wir müssen
vonseiten des Bundes die Impulse geben, die wir nach
der Föderalismusreform in den Bereichen Wissenschaft,
Hochschulen und Forschung noch geben können. Das
tun wir, auch mit der Hightechinitiative.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 6 a. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/6900 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 6 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung auf Drucksache 16/6923.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5900
mit dem Titel „IKT 2020: gezielte Forschungsförderung
für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfel-
der im Bereich der Informations- und Kommunika-
tionstechnologien“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und
CDU/CSU bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grü-
nen, von der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP
angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/5899 mit dem Titel „Innovationsfähig-
keit stärken durch Bildungs- und Forschungsoffensive“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussemp-
fehlung ist mit Stimmen von SPD, CDU/CSU, bei Ge-
genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung
der Fraktionen Die Linke und der FDP angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Jahressteuergesetzes 2008 ({0})
- Drucksachen 16/6290, 16/6739 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksachen 16/6981, 16/7036 Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Dr. Volker Wissing
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6988 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({3})
Otto Fricke
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Steuerklasse V abschaffen - Lohnsteuerab-
zug neu ordnen
- zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE
Entfernungspauschale vollständig anerken-
nen - Verfassungsmäßigkeit und Steuerge-
rechtigkeit herstellen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christine
Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Steuervereinfachung - Lohnsteuerklassen III,
IV und V abschaffen
- Drucksachen 16/6396, 16/6374, 16/3023,
16/6981, 16/7036 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Dr. Volker Wissing
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Dr. Axel Troost, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor
Gysi und der Fraktion DIE LINKE
Verbesserung der Statistik zur Lohn- und Ein-
kommensteuer, Umsatzsteuer und Erbschaft-
und Schenkungsteuer
- Drucksachen 16/3025, 16/4274 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. h. c. Hans Michelbach
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({6}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Oskar Lafontaine,
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Steuerpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmäßig prüfen
- Drucksachen 16/3699, 16/5693 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Frechen
Zu dem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Mit der heutigen Lesung des Jahressteuergesetzes 2008 bringen wir ein Gesetzgebungsprojekt zu
Ende, das der Umsetzung einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen im Steuerrecht dient. Im Vordergrund stehen neben fachlich gebotenen Einzelregelungen erneut
der Bürokratieabbau und die Steuerrechtsvereinfachung.
Eine für alle Bürger sichtbare Entlastung ist die Abschaffung der Kartonlohnsteuerkarte im Jahr 2010 und
die damit verbundene Einführung der elektronischen
Lohnsteuerabzugsmerkmale ab 2011. Von diesem modernen Verfahren profitieren auch die Arbeitgeber. Ihnen werden die Lohnsteuerabzugsmerkmale für ihre
Arbeitnehmer maschinell verwertbar zur Verfügung gestellt. Dies entlastet die Unternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von rund 280 Millionen Euro.
Auch die Kapitalertragsteueranmeldung wird auf ein
elektronisches Verfahren umgestellt. Die Neuregelung,
die erstmals für Erträge ab dem Jahr 2009 gilt, entlastet
die Unternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von
knapp 4 Millionen Euro.
Mit dem vorliegenden Text zur Neuregelung des § 42
der Abgabenordnung - da geht es um den Missbrauch
von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten - wird der
Begriff des Missbrauchs gesetzlich klar definiert und die
Beweislastverteilung zwischen der Finanzverwaltung
und den Steuerpflichtigen geregelt. Damit wird eine eindeutige Prüfungsreihenfolge zur Feststellung eines Missbrauchs und somit eine handhabbare Vorschrift geschaffen, die dazu dienen kann, auf eine Vielzahl von
Einzelvorschriften zu verzichten - wenn auch der Bundesfinanzhof das in seiner Rechtsprechung so sieht.
({0})
Hervorzuheben ist ferner die künftige Umsatzsteuerbefreiung der Leistungen der Jugendhilfe. Hiermit wird
der Weiterentwicklung der Leistungen und des Angebotsspektrums der Kinder- und Jugendhilfe in den letzten 20 Jahren Rechnung getragen. Damit stehen auch in
diesem Steuerrechtsbereich das Kind und der präventive
Schutz vor Gefahren für das Kindeswohl im Mittelpunkt.
({1})
Nicht mehr enthalten im Gesetzespaket ist die Einführung des sogenannten optionalen Anteilsverfahrens,
also des Steuerklassenwahlverfahrens, für Ehegatten.
Hiermit sollte schon beim Lohnsteuerabzug mit der
Eintragung eines Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte
den tatsächlichen Verhältnissen der Vielzahl von Arbeitnehmerehegatten besser Rechnung getragen werden. Die Koalitionsfraktionen beabsichtigen allerdings,
in einem nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren,
ebenfalls mit Wirkung ab 2009, ein geeigneteres Anteilssystem einzuführen. Die Bundesregierung wird
selbstverständlich bei den damit verbundenen Arbeiten
konstruktiv mitwirken. Das kann ich meiner Nachfolgerin schon einmal mit auf den Weg geben.
({2})
Mit der Abschaffung der zweijährigen Frist bei der
Arbeitnehmerveranlagung zur Einkommensteuer wird
ein Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen. Der Wegfall
dieser Frist führt zu einem erheblichen Bürokratieabbau.
Mit einer Änderung im Altersteilzeitgesetz wird klargestellt, dass die Steuerfreiheit der Aufstockungsleistungen zum Entgelt und zu den Rentenversicherungsbeiträgen nicht von einer Förderung durch die Bundesagentur
für Arbeit abhängt. Damit ist eindeutig, dass die Steuerfreiheit auch für Altersteilzeit gilt, die nach dem
31. Dezember 2009 vereinbart wird. Damit ist schon
jetzt in diesem Bereich Rechtsklarheit geschaffen.
Das vorliegende Gesetzespaket sieht auch die Einbeziehung der Beförderungen von Personen mit Bergbahnen in den ermäßigten Umsatzsteuersatz vor. Meiner
Auffassung nach haben wir ordnungspolitisch schon
überzeugendere Regelungen getroffen.
({3})
Letztlich müssen sich Produkte und Dienstleistungen
ohne dauerhafte steuerliche Subventionen am Markt bewähren. Die Erfahrung zeigt, dass sie dies im Fall der
Bergbahnen auch tun, da der Gesetzgeber bereits bei den
parlamentarischen Beratungen des Umsatzsteuergesetzes 1967, also in der Verantwortung des Finanzministers
Dr. Franz Josef Strauß, den Punkt einer umsatzsteuerlichen Begünstigung der Beförderungen mit Bergbahnen,
auch vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfrage mit
dem Nachbarland Österreich, erörtert und nicht aufgegriffen hatte. Unsere Bergbahnen fahren also seit Jahrzehnten mit dem Regelsteuersatz. Ich hätte mir in dieser
Frage etwas mehr ordnungs- und subventionspolitische
Stringenz, insbesondere in den Reihen unserer christsozialen Freunde, gewünscht. - Da musst du jetzt einmal
durch, Eduard.
({4})
Mit Interesse schaue ich auf die Zusage der Branche,
die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Seilbahnen im Rahmen der nächsten Tarifanpassung in Form
von Fahrpreissenkungen an die Endverbraucher weiterzugeben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Man muss sich doch einmal die Frage stellen: Was bringt
dieses Jahressteuergesetz eigentlich den Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Land?
({0})
Was haben die Menschen davon? Diese Frage hätten
auch Sie seitens der Koalitionsfraktionen sich einmal
stellen müssen; denn Sie haben uns hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, über den sich allenfalls die Verwaltung
in Deutschland freuen kann.
Sie verändern das Steuerrecht an nahezu 200 Stellen
und führen ganz erhebliche Erleichterungen für den
Staat ein. Aber die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
haben Sie nicht im Blick; für diese tun Sie wieder einmal
nichts.
({1})
Im Gegenteil: Sie tun nicht nur nichts, sondern machen
es den Menschen in diesem Land sogar noch schwerer.
Nehmen Sie § 42 der Abgabenordnung. Dies ist ein
echtes Kabinettsstückchen dieser Koalition. Sie unterstellen einfach, dass es in Deutschland in zunehmendem
Maße missbräuchliche Steuergestaltungen gibt, obwohl
Sie dazu keinerlei Informationen haben. Um es der Verwaltung so leicht wie möglich zu machen, führen Sie
eine völlig unklare gesetzliche Regelung ein. Sie setzen
die Steuerzahler damit einer erheblichen Rechtsunsicherheit aus. Aber selbst das reicht Ihnen noch nicht.
Zur Freude der Verwaltung und gegen die Interessen der
Menschen drehen Sie auch noch die Beweislast um.
Künftig muss jetzt nicht mehr die Verwaltung beweisen,
dass Missbrauch vorliegt.
({2})
Nein, die Steuerzahler sollen beweisen, dass sie bestimmte Gestaltungen nicht aus steuerlichen Gründen
gewählt haben.
({3})
Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht,
was Sie dem Investitionsstandort Deutschland mit einem
solchen Gesetz antun? Rechtssicherheit und verlässliche
Steuergesetze, Kontinuität im Steuerrecht, das ist ein
ganz wesentlicher Standortvorteil. Genau diesen Standortvorteil bauen Sie in der Großen Koalition systematisch ab. Ihr Jahressteuergesetz ist eine Zumutung für
den Investitionsstandort Deutschland.
({4})
Wir haben eben eine Forschungsdebatte geführt. Jetzt
beraten wir einen Gesetzentwurf, mit dem Sie den Forschungsstandort Deutschland weiter schwächen.
({5})
Es ist absurd, was Sie uns hier vorlegen.
Sie gefährden damit Arbeitsplätze. Deswegen ist dieses Gesetz völlig ungeeignet, das Steueraufkommen zu
sichern. Künftig werden Investoren bei uns darauf angewiesen sein, dass ihnen die Verwaltung vorab verbindlich mitteilt, was in Deutschland erlaubt ist und was
nicht. Aber das Schlimme ist: Sie haben vergessen, in Ihrem Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass die Steuerzahler einen Auskunftsanspruch gegenüber der Verwaltung
haben.
({6})
Sie machen Steuergesetze für die Verwaltung und ganz
bewusst gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bürger.
({7})
Nehmen Sie die Pendlerpauschale. Was wurde da alles versprochen! Die SPD hat große Ankündigungen gemacht.
({8})
Es war schon bemerkenswert, wie mutig sich einige aus
Ihren Reihen geäußert haben, ohne vorher den Finanzminister um Erlaubnis zu fragen.
({9})
Aber die Quittung haben Sie prompt bekommen. Sie hätten dies wissen müssen, bevor Sie die Menschen unnötig
verunsichern.
Die Lage in Deutschland ist klar: Gesetzesänderungen im Interesse der Steuerzahler lehnt dieser Minister
ab. Basta! Da ist kein Platz für Vorschläge zur Vereinfachung des Steuerrechts. Es ist auch kein Platz für
Vorschläge zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Verbesserungen für die Verwaltung ja, Erleichterungen für die Bürger nein, genau das ist der
Maßstab für die Finanzpolitik dieser Regierung.
({10})
Mit Ihrer Steueridentifikationsnummer greifen Sie
weiter massiv in den Datenschutz ein. Sie setzen den
finanzpolitischen Überwachungsstaat voll auf die
Schiene. Die Union nickt alles brav ab. Von Gesetz zu
Gesetz entfernen Sie sich von Ihrem Wahlprogramm. Sie
beschließen diese Zumutung für Unternehmen, Wirtschaft sowie die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
fleißig mit.
({11})
Mit diesem Jahressteuergesetz wird das Steuerrecht
weder einfacher noch transparenter.
({12})
200 Vorschriften in 30 Gesetzen werden geändert. Das
Ziel der Vereinfachung wird total verfehlt. Die Erwartungen der Menschen, dass Sie die Fehler Ihrer Unternehmensteuerreform korrigieren, waren groß. Auch das
ist Ihnen nicht einmal ansatzweise gelungen.
CDU/CSU und SPD haben dafür gesorgt, dass der
Handel künftig Steuern auf seine Mietzahlungen leisten
muss. Das ist ein aktiver Beitrag zur Schwächung des
Einzelhandels in den deutschen Innenstädten.
({13})
Genau dort sind die Mieten nämlich besonders hoch.
Ihre Absenkung des steuerpflichtigen Teils von 75 auf
65 Prozent - das bleibt im Übrigen weit hinter dem zurück, was die Union den Wählerinnen und Wählern versprochen hat - ist reine Kosmetik und löst nicht einmal
ansatzweise das Problem. Diese Politik zeugt von einer
erheblichen Arroganz gegenüber den Belangen des Einzelhandels.
CDU/CSU und SPD tragen damit die volle Verantwortung für leerstehende Läden in den deutschen Innenstädten. Während Ihre Kommunalpolitikerinnen und
Kommunalpolitiker vor Ort um jeden Laden, der die Innenstadt belebt, kämpfen, setzen Sie mit Ihrer Substanzbesteuerung zum Kahlschlag gegen den Einzelhandel in
Deutschland an.
({14})
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Chance nutzen,
mit diesem Jahressteuergesetz Verbesserungen auf den
Weg zu bringen. Dazu waren Sie nicht ansatzweise in
der Lage. Es ist Ihnen nicht einmal gelungen, etwas für
die Eheleute zu tun, um ihnen eine Alternative zur problematischen Steuerklasse V zu bieten. Auch das haben
Sie nicht geschafft. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass
Sie die Erleichterungen und Verbesserungen für die Bürger verschieben, vertagen und die Belastungen in die
Gesetze schreiben.
Die einzige Innovation, die dieses Gesetz mit sich
bringt, ist die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für
Bergbahnen. Das ist schon ein bemerkenswerter Schritt
für eine Große Koalition.
({15})
Sie haben es bisher nicht geschafft, einen Vorschlag zur
Überarbeitung des Mehrwertsteuersystems vorzulegen.
Aber Sie haben mit diesem Gesetz wenigstens eines bewiesen, nämlich dass Ihr Finanzminister völlig danebenliegt, wenn er immer wieder behauptet, eine grundlegende Überarbeitung der vollen und verminderten
Mehrwertsteuersätze in Deutschland sei nicht möglich.
({16})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Das Jahressteuergesetz 2008 enthält eine
Vielzahl sinnvoller Regelungen, um unser Steuerrecht
auch für die Zukunft fit zu machen. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 werden wir einen Beitrag zur weiteren
Absenkung der Bürokratiekosten in diesem Land in
Höhe von fast 300 Millionen Euro leisten.
Natürlich sind wir vom Idealzustand noch ein ganzes
Stück entfernt. Der effektivste Schutz vor missbräuchlichen Steuergestaltungen wäre immer noch ein einfaches
und damit auch ein gerechtes Steuersystem.
({0})
Aber zurück zum Jahressteuergesetz 2008. Die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale
und der damit verbundene Wegfall von circa 40 Millionen Papierlohnsteuerkarten wie auch die Umstellung der
Anmeldung zur Kapitalertragsteuer auf das elektronische Verfahren führt zu einer bürokratischen Entlastung
nicht nur beim Bürger, sondern - da haben Sie recht auch bei der Finanzverwaltung.
Den Menschen in unserem Land können wir sagen,
dass die datenschutzrechtlichen Bedenken, die mit der
Einführung der elektronischen Lohnsteuerkarte verbunden sind, berücksichtigt wurden. Die Bürger haben mit
Recht einen Anspruch darauf, dass ihre Daten nur berechtigten Personen zugänglich sind. Dafür haben wir
gesorgt; dies wird sichergestellt.
Den Kritikern muss gesagt werden: Es geht hier nicht
um die Schaffung des gläsernen Steuerbürgers. Denn die
Finanzverwaltung wird auch zukünftig mit der Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale nur
die Daten erhalten, die sie bisher schon auf den papierenen Lohnsteuerkarten erhalten hat und die schon bekannt
sind.
Insgesamt haben wir den ursprünglichen Regierungsentwurf im parlamentarischen Verfahren geradezu einer
Kernsanierung unterzogen. Nach Anhörungen und Beratungen haben wir über 40 Änderungen am ursprünglichen Gesetzentwurf vorgenommen, unter anderem auch
- Herr Kollege Wissing, das hätten Sie eigentlich merken müssen - beim § 42 AO.
Das zeigt vor allem auch, dass dieses Parlament die
Gesetze macht,
({1})
nicht nur eine Notarfunktion hat und die Entwürfe der
Bundesregierung nicht einfach nur abnickt.
({2})
Auf eine ursprünglich geplante wichtige Einzelmaßnahme mussten wir im Rahmen dieser Beratungen verzichten. Es stellte sich beim Gesetzgebungsverfahren
heraus, dass das Anteilsverfahren schlicht ungeeignet ist.
Besonders die notwendige Mitteilung des jeweils entsprechenden Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte und
die damit verbundene Kenntniserlangung des Arbeitgebers vom Einkommen des jeweiligen Ehepartners sind
aus datenschutzrechtlichen Erwägungen nicht tragbar
gewesen.
({3})
Die Zielrichtung war trotzdem richtig. Wir müssen
die Steuerlast der Ehepartner senken, damit auch die
Frauen - sie haben in der Regel das geringere Einkommen - einer Berufstätigkeit rentabel nachgehen können.
Deshalb haben wir uns zusammen mit dem Koalitionspartner entschlossen, dass wir auf eine Lösung der Probleme der Lohnsteuerklasse V hinarbeiten und diese bis
zum 1. Januar 2009 finden werden. Wir werden damit
eine zusätzliche Alternative zur Lohnsteuerklasse V zur
Verfügung stellen. Die weiteren Beratungen werden zeigen, ob dabei auf das Durchschnittssteuersatzverfahren
zurückgegriffen wird oder ob wir ein anderes Modell
finden.
Das Jahressteuergesetz 2008 trägt insbesondere beim
Wegfall der ursprünglich geplanten massiven Begrenzung des Sonderausgabenabzuges bei der vorweggenommenen Erbfolge die Handschrift der CDU/CSUFraktion. Der Sonderausgabenabzug bei der Übertragung von GmbH-Anteilen durch den Gesellschafter-Geschäftsführer bleibt erhalten. Das ist gerade für unsere
Mittelständler wichtig, von denen viele ihre Betriebe in
Form einer GmbH betreiben. Im Sinne unserer Landwirte werden wir dafür sorgen, dass der Wohnteil bei der
Übergabe des Hofes auch zukünftig einbezogen wird.
({4})
Uns war in diesem Zusammenhang wichtig, dass der ursprünglich vorgesehene Wegfall des Sonderausgabenabzuges nach fünf Jahren gestrichen wurde. Das bedeutet: Altverträge haben unbeschränkt Bestandsschutz. Das
ist eine ganz wichtige Änderung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf.
Für die Pauschalbesteuerung nach § 37 b des Einkommensteuergesetzes, also für den Fall, dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer Zuwendungen zukommen lässt, müssen wir noch eine sinnvolle Lösung
finden. Es ist kaum verständlich, dass der Arbeitgeber
beispielsweise bei einer Einladung verdienter Mitarbeiter ins Stadion zwar den erheblichen Steueranteil pauschaliert abführen kann, danach aber die Sozialversicherungsbeiträge individuell berechnet und abgeführt
werden müssen. Wir müssen uns in den nächsten Monaten noch einmal zusammensetzen und versuchen, auch
in diesen Fällen eine Pauschalierung der Sozialversicherungsbeiträge hinzubekommen. Nur so macht die Pauschalbesteuerung nach § 37 b des Einkommensteuergesetzes Sinn.
({5})
Es bleibt festzuhalten, dass mit dem Jahressteuergesetz 2008 notwendige und richtige Änderungen, Korrekturen und Anpassungen vorgenommen wurden. Ich
weiß, dass dieses Gesetz viele Einzelpunkte - es sind
mehr als 200 - enthält. Ich habe Verständnis für diejenigen, die bei über 200 Änderungen zunächst einmal die
Luft anhalten, vielleicht sogar stöhnen.
({6})
Das geht uns selbst nicht anders.
Wer aber genau hinschaut, kann erkennen, dass das
Jahressteuergesetz 2008 in wesentlichen Teilen Erleichterungen und Vereinfachungen mit sich bringt, und zwar
nicht nur für die Verwaltung, sondern gerade auch für
die Steuerbürger in unserem Land. Deswegen ist dieses
Gesetz zu begrüßen.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Gutting, das Jahressteuergesetz 2008 ist nicht mehr
und nicht weniger als eine verpasste Chance zur Widerherstellung von sozialer Gerechtigkeit.
({0})
- Nein, das ist genau die richtige Einschätzung, Herr
Oswald.
Es ist ein dickes Gesetz, 43 Änderungen, viele redaktionelle Änderungen und spärliche Versuche zur Vereinfachung und Rechtsangleichung. An einer Stelle wurde
sogar Lernfähigkeit nachgewiesen, und zwar mit der
Rücknahme des Anteilsverfahrens. Herr Gutting, nach
Ihren Ausführungen ist ganz klar: Die einzig vernünftige
Lösung ist der konsequente Übergang zur Individualbesteuerung im Einkommensteuerrecht. Das kann man hier
festhalten.
({1})
Wenn Sie das bis zum 1. Januar 2009 hinbekommen,
werden Sie unsere volle Unterstützung haben.
Dieser Gesetzentwurf zeigt aber auch das offensichtliche Nachgeben gegenüber dem Druck der Lobbyverbände, indem die Unternehmensteuerreform 2008, die erst
ab dem 1. Januar des nächsten Jahres gilt, schon jetzt wieder verändert wird, und zwar wird die Berechnungsgrundlage für die Gewerbesteuer verändert. Der Satz für
die neu aufgenommene Hinzurechnung von Mieten und
Pachten wird schon jetzt von 75 auf 65 Prozent herabgesetzt. Nur nicht die Unternehmensseite zu stark belasten,
das ist Ihr Credo.
Nebenbei muss man natürlich bemerken, dass die
Finanzbeamtinnen und -beamten mit Ihrem Gesetz sehr
viel Arbeit haben werden. Ich hoffe, dass ihnen genug
Zeit eingeräumt wird, sich das alles überhaupt aneignen
zu können.
Ihre große verpasste Chance besteht darin, dass Sie
die Möglichkeit, die Entfernungspauschale wieder voll
als absetzbare Werbungskosten anzuerkennen, nicht genutzt haben.
({2})
Deshalb haben wir Ihnen unseren Antrag zur Wiedereinführung vorgelegt.
Ich möchte zur Verdeutlichung daran erinnern, dass
die Regelung der Entfernungspauschale, wie sie bis zum
1. Januar dieses Jahres galt, dem objektiven Nettoprinzip
der Besteuerung verpflichtet war. Danach sind alle Kosten, die eine Steuerzahlerin oder ein Steuerzahler hat, um
ihr oder sein Einkommen zu erzielen, vom zu versteuernden Einkommen abziehbar. Es handelt sich um die
real entstandenen Kosten der Berufstätigkeit. Das sind
keine privaten Aufwendungen. Dessen ungeachtet definiert die Bundesregierung - die Regierungskoalition
folgt ihr - das einfach neu. Sie werden nicht mehr zu
Werbungskosten gezählt, sondern sind jetzt reine Privatangelegenheit. Die Begrenzung der Pendlerpauschale sei
damit Subventionsabbau, so die Staatssekretärin im Petitionsausschuss am 9. Oktober dieses Jahres.
Da fragt man sich natürlich: Wenn die Fahrtkosten
jetzt nichts mehr mit der Erwerbstätigkeit zu tun haben
und keine Werbungskosten mehr sind, wie ist denn das
eigentlich mit Fachbüchern, mit Computern oder mit den
Kinderbetreuungskosten, die wir ja zu den Werbungskosten neu hinzuzählen? Werden sie dann vielleicht auch
im Rahmen des Subventionsabbaus im nächsten oder
übernächsten Jahr gestrichen?
({3})
Das alles ist möglich. Das ist das grundsätzliche Problem.
Verfassungsmäßig stellt sich zudem noch die Frage
des spezifischen Umganges mit der Entfernungspauschale. Sie haben sie ja nicht vollständig gestrichen, sondern Sie sagen: Ab dem 21. Kilometer darf man sie wieder geltend machen. Dies ist eine ungerechte Behandlung
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die man einfach
nicht begründen kann.
({4})
Sie begeben sich verfassungsmäßig auch auf sehr, sehr
dünnes Eis, weil durch die Absenkung die Gefahr besteht, dass niedrige Einkommen, die am Existenzminimum liegen - das steuerfrei zu stellen ist - besteuert
werden. Auch das wird nachzuprüfen sein.
({5})
Nicht nur wir Linke, auch Fachleute und Gerichte haben Ihnen in den letzten Wochen ins Stammbuch geschrieben, dass diese Regelung nicht zu halten sein wird.
Die Verfassungsmäßigkeit ist stark anzuzweifeln. Wir
sind der Überzeugung, sie ist nicht gegeben.
Sie verweisen in den Diskussionen nun einfach immer darauf: Wir warten einmal ab, was das Bundesverfassungsgericht sagt. Herr Steinbrück mahnt Stehvermögen an. Die SPD schob im Oktober noch folgende
Begründung hinterher: Wir haben das jetzt so geregelt,
weil wir die Verödung der Innenstädte beenden wollen.
Da frage ich mich, ob die Gewerbeparks und die Mehrzahl der Arbeitsplätze neuerdings in den Innenstädten
liegen. Das ist doch abstrus. Hier wird das umweltpolitische Argument missbraucht.
({6})
Dann fand der SPD-Parteitag statt. Die SPD kam zu
der neuen Erkenntnis, dass die Entfernungspauschale so,
wie sie jetzt geregelt ist, vielleicht doch nicht gerecht ist
und man etwas nachbessern müsse. Herr Spiller hat das
betont. Herr Struck hat im Morgenmagazin am
30. Oktober dieses Jahres gesagt: Wir überlegen. Herr
Steinbrück sagte sofort: Wir brauchen eine kostenneutrale Regelung, etwas anderes gehe ja überhaupt nicht.
Solche Worte habe ich bei der Unternehmensteuerreform
vermisst. Da verzichten Sie locker auf Einnahmen in
Höhe von 10 Milliarden Euro.
({7})
Dass Sie sich insgesamt sehr unsicher sind, zeigt jetzt
der Umgang mit den Lohnsteuerkarten. Es darf nicht
mehr abgesetzt werden. Sie sind sich unsicher. Dann gibt
es einen Erlass, der besagt: Wer es will, kann es beim
Finanzamt auf der Lohnsteuerkarte eintragen lassen.
Jetzt haben wir ganz nebenbei heute früh aus der Zeitung
erfahren können, dass die Koalitionsrunde das am Sonntag doch nicht so gesehen hat. Es soll in dieser Wahlperiode nicht mehr so gehandhabt werden. Herr Huber hat
darauf hingewiesen, dass es sehr gefährlich sei und man
diese Regelung zurücknehmen müsse - Sie haben das in
der Koalitionsrunde so beschlossen -, alldieweil, wenn
Sie vor dem Bundesverfassungsgericht vielleicht Recht
bekommen sollten, all die Menschen, die sich das jetzt
haben eintragen lassen, dann Geld an die Finanzämter
zurückzahlen müssen. Das wäre dann im Wahljahr 2009.
Das geht ja nun gar nicht. Da würden die Leute ja ganz
kurz vor der Wahl merken, wie sie verschaukelt werden.
Diesen Umgang lehnen wir ab. Wir fordern Sie auf, in
einer namentlichen Abstimmung heute unserem Antrag
zuzustimmen und zu zeigen, dass die Wiedereinführung
der Entfernungspauschale der einzig richtige Weg ist.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nächste Rednerin ist Kollegin Christine Scheel für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann diesem Gesetz an einer Stelle wirklich etwas
Gutes abgewinnen. Das betrifft die Bergbahnen. Ich
komme nämlich aus Bayern, und daher freue ich mich
darüber. Wir haben diesen Punkt auch mehrere Jahre
lang eingefordert;
({0})
denn er stärkt unseren Tourismus im Wettbewerb mit
Österreich.
({1})
Wenn man sich allerdings die anderen Regelungen
anschaut - ich rede jetzt nicht von irgendwelchen redaktionellen Anpassungen, sondern von den Schwerpunkten
dieses Gesetzes -, dann sieht man, dass Sie mit diesem
Gesetz versuchen, Ihre sehr stümperhafte Steuer- und
Finanzpolitik des letzten Jahres ein Stück zu heilen. Man
sieht jedoch auch, dass es Ihnen nicht wirklich gelingt.
({2})
An dieser Stelle frage ich mich, was die Finanzbeamten und Finanzbeamtinnen von den Finanzausschussmitgliedern denken, wenn es, wie es hier zu lesen ist, bei der
Abgeltungssteuer wieder zu Verschlimmbesserungen
kommt. Niemand versteht es. Das Ganze ist sehr komplex.
Das Ministerium hat aufgrund dieser hohen Komplexität schon jetzt vorsorglich angekündigt, dass es ein
Anwendungsschreiben geben werde. Die Politik, wir in
diesem Hause, kennt dieses Anwendungsschreiben zwar
nicht, aber es soll den Finanzbeamten diese hochkomplexe Regelung erklären. Ich halte diesen Weg weder für
gangbar noch für akzeptabel. Denn es muss im Gesetz
vernünftig geregelt werden und nicht in irgendwelchen
Anwendungsschreiben.
({3})
Wir haben im Zusammenhang mit der Frage, wie es
mit der Pendlerpauschale weitergeht, gesehen, dass hier
von Einzelnen aus der Regierung bzw. aus dem Haus
Regelungen vorgetragen worden sind, die beinhalten,
dass sich die Menschen die Pendlerpauschale nach der
alten Regelung eintragen lassen können. Frau Kollegin
Höll hat gerade darauf hingewiesen, dass Herr Minister
Huber - in Klammern: Bayern - heute klar gesagt hat,
Herr Steinbrück solle die Beamten in den Finanzbehörden anweisen, dass es diese Möglichkeit nicht mehr geben solle. Denn man habe Sorge, dass man im Wahlkampf schlechte Karten hätte, wenn man von den Leuten
Geld zurückfordern würde. Das halte ich gegenüber den
Leuten für eine Unverschämtheit. Sie verunsichern, anstatt zu handeln.
({4})
Sie hätten sich bei der Pendlerpauschale um eine Lösung bemühen müssen, von der wir sicher sein können,
dass sie verfassungskonform ist, und sie im Rahmen des
Jahressteuergesetzes auf den Weg bringen können. Das
wäre sauber gewesen, aber Sie schieben es wieder auf
eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Letzten Endes wird die Politik dann vom Bundesverfassungsgericht und nicht mehr in diesem Hause gemacht.
Das halte ich nicht für tragbar, und es schädigt unsere
Demokratie und unseren Parlamentarismus insgesamt in
Deutschland.
({5})
Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsparagrafen,
den Sie zu regeln versucht haben, habe ich festgestellt,
dass es ein Stück blanke Kosmetik ist. Wir sehen, dass
dieses Hase-und-Igel-Spiel, welches es bei Steuersparmodellen immer gibt, mit diesem Paragrafen mitnichten
beendet wird. Vielmehr werden Sie weiterhin hinterherhecheln. Sie lassen die Steuerpflichtigen in dieser Situation allein, weil die Rechtssicherheit nicht hergestellt
wird. Sie versuchen dann irgendwie - wie Sie es machen
wollen, wissen wir nicht -, die Situation zu lösen. Es
wird es aber verkomplizieren, und es löst auch nicht das
Problem.
Ich darf daran erinnern, dass wir von grüner Seite
Vorschläge dazu unterbreitet haben, die aufzeigen, wie
es in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten - in
diesem Fall positiv - gelöst wurde. Auch bei uns hätte
man eine Meldepflicht einführen können. Dann hätten
wir eine saubere Lösung, die Rechtssicherheit sowohl
für die Finanzbehörden als auch für die Steuerpflichtigen
und insbesondere die Unternehmen bedeuten würde.
({6})
Zur modernen Besteuerung von Verheirateten. Die
Steuerklassen für Ehepaare sind antiquiert; das wissen
wir. Deswegen haben Sie versucht, mit dem Anteilsverfahren ein Stück weit zu heilen. Sie haben es zurückgezogen. Das kann ich nur begrüßen, weil es überhaupt
keinen Sinn gemacht hat, was Sie sich da überlegt haben.
Nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen, sondern
auch wegen anderer Punkte war es ein ganz unbefriedigender Zustand. Diesen Vorschlag einfach zurückzunehmen und stattdessen nichts zu tun, das ist allerdings nicht
tragbar.
({7})
Ich kann Sie nur auffordern: Schaffen Sie die diskriminierende Steuerklasse V ab, und gehen Sie den Weg
einer Individualbesteuerung mit einem übertragbaren
Betrag beim Existenzminimum! Das ist machbar und
richtig. Das wäre eine gute Regelung für die Zukunft
und ein großer Schritt zur Modernisierung unseres Steuerrechts nach Gesichtspunkten, nach denen die Welt
heute funktioniert.
({8})
Wir würden uns wünschen, dass Sie mehr Mut hätten.
Was Sie tun, ist leider immer nur Pflasterkleberei auf
völlig problematische Dinge, aber keine zukunftsgerichtete Steuerpolitik; das finden wir sehr schade. Aus diesem Grunde müssen wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Danke schön.
({9})
Ich gebe das Wort der Kollegin Gabriele Frechen,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch dieser Entwurf eines Jahressteuergesetzes erstreckt
sich über die gesamte Bandbreite des Steuerrechts. Viele
Änderungen sind redaktioneller Art, enthalten Klarstellungen oder Rechtsbereinigungen. Der Gesetzgeber reagiert auf Entscheidungen, die nicht im Sinne des Gesetzgebers sind, und hebt überflüssige Vorschriften auf.
Trotz des großen Umfangs ist es uns gelungen, dabei
drei Grundsätze zu beachten: den Abbau unnötiger Bürokratie, die Bekämpfung missbräuchlicher oder unerwünschter Steuergestaltung sowie Verlässlichkeit und
Steuergerechtigkeit.
Zum Abbau unnötiger Bürokratie gehört ohne Zweifel die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Im Zeitalter der elektronischen Vernetzung
hat die Papierlohnsteuerkarte ausgedient. Das ist nicht
nur eine Erleichterung für die Arbeitgeber, sondern auch
für die Arbeitnehmer und Steuerpflichtigen. Ein
wichtiger Schritt ist die Umstellung der Kapitalertragsteueranmeldung auf ein elektronisches Verfahren, die
Datenübermittlung hinsichtlich der Einkommensersatzleistungen und der Wegfall überflüssiger Daten in den
Rentenbezugsmitteilungen. All das hat Herr Dr. Wissing
offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen.
Eine deutliche Vereinfachung stellt auch die Aufhebung der Haftung von leistenden Unternehmen bei der
Umsatzsteuer dar. Die Vorschrift zur Steuerfreiheit der
Aufstockungsbeträge im Rahmen der Altersteilzeit über
den 31. Dezember 2009 hinaus sorgt bei den Betroffenen
für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Zur Vereinfachung und Vertrauensbildung, was das Verhältnis von
Steuerbürger und Staat angeht, trägt sicherlich auch bei,
dass Nachweise über Kinderbetreuungskosten und haushaltsnahe Dienstleistungen nur noch aufbewahrt, aber
nicht mehr mit der Steuererklärung eingereicht werden
müssen.
({0})
Die von der Regierung vorgeschlagene Abschaffung
des Lohnsteuerjahresausgleichs durch die Arbeitgeber
haben wir abgelehnt. Diese Regelung träfe Arbeitnehmer, die in ihrer Steuererklärung keine Werbungskosten
und auch sonst nichts abzugsfähig geltend machen können. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten dann auf relativ kleine Beträge verzichten oder eine
Steuererklärung machen. Wir sagen: Der Bürokratieaufwand steht hierzu in keinem angemessenen Verhältnis.
Deshalb haben wir diese Regelung zurückgenommen.
({1})
Zur Steuergerechtigkeit gehört für mich ebenfalls die
Bekämpfung von missbräuchlicher, aber auch von unerwünschter Steuergestaltung. Zu diesem Zweck gab und
gibt es § 42 der Abgabenordnung, der in seiner jetzigen
Form sicherlich ein eher stumpfes Schwert ist.
({2})
Die Formulierung, die im Gesetzentwurf der Regierung
enthalten war, ist in der Sachverständigenanhörung heftig kritisiert worden. Allerdings ist von den Sachverständigen nicht das Ziel der Bekämpfung missbräuchlicher
Steuergestaltung kritisiert worden,
({3})
sondern, dass wir im Gesetzentwurf den unbestimmten
Rechtsbegriff „ungewöhnlich“ verwendet haben. Jetzt
haben wir eine Definition gefunden, die den gerichtsfesten Begriff „unangemessen“ enthält. Ich denke, dadurch
haben wir § 42 AO zielgerichteter gestalten können.
Laut Herrn Dr. Wissing ist die Masse der Steuerpflichtigen von § 42 AO betroffen. Ja, theoretisch sind
alle betroffen. Doch in der Praxis wird nur eine winzige
Anzahl von Steuerpflichtigen in ihrem Steuerleben jemals mit dem Missbrauchstatbestand in Verbindung gebracht werden.
({4})
Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistung
führen wir auf die vom Gesetzgeber ursprünglich vorgesehenen Kernbereiche zurück, nämlich auf Land- und
Forstwirtschaft und auf Betriebsvermögen. Die Fünfjahresfrist lehnen wir aus Vertrauensschutzgründen ab; Herr
Gutting hat dies schon gesagt.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, die
Ehegattenbesteuerung neu zu regeln; das stimmt. Aber
wir wollen nicht wie Sie, liebe Kolleginnen von rechts
und links, die Steuerklassen abschaffen und den Ehegatten die Wahlmöglichkeiten nehmen, wie sie ihre Steuerlast verteilt haben wollen. Wir wollen den Ehegatten
eine Option anbieten, die sie nutzen können, wenn sie es
denn wollen. Mit diesem Gesetzentwurf ist es uns nicht
gelungen, aber wir sind sicher: Zum 1. Januar 2009 werden wir das Durchschnittssteuersatzverfahren oder ein
besseres Verfahren im Gesetz stehen haben.
({5})
Ganz wichtig: Mit diesem Gesetzentwurf lösen wir
auch die EK-02-Problematik. Wir bieten damit den ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen an, das
unversteuerte Eigenkapital aus der Zeit des Anrechnungsverfahrens unabhängig von einer Ausschüttung
mit 3 Prozent abzugelten. Das bringt nicht nur der Finanzverwaltung, sondern auch den Steuerpflichtigen erhebliche Erleichterung. Verschenkt wird hierbei übrigens nichts, weil die Beträge ab 2019 ohnehin steuerfrei
hätten ausgeschüttet werden können.
Es gibt Wohnungsgesellschaften, deren Augenmerk
nicht darauf liegt, Gewinne auszuschütten oder Bestände
zu verkaufen, sondern darauf, diese zu halten und preiswerten, bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Diesen Unternehmen - kommunalen Unternehmen, kirchlichen
Unternehmen, Wohnungsgenossenschaften - räumen wir
ein Wahlrecht ein, von dem sie Gebrauch machen können, sodass sie bis 2019 warten können. Ich denke, damit kommen wir unserer sozialpolitischen Verantwortung nach.
Ein paar Sätze zu den Anträgen, die heute mit beraten
werden. Die Intention des Antrags der Linken, Einkommensmillionäre regelmäßig zu prüfen, kann ich nachvollziehen, aber nicht ihre Leidenschaft für neue Gesetze. Gesetze haben wir, wir müssen sie nur anwenden.
Die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion zur Eigenheimpauschale ist eben von anderer Seite deutlich gemacht worden; dazu brauche ich also nichts mehr zu sagen.
Zum Schluss möchte ich mich bedanken: bei den Kollegen meiner Fraktion, die mich bei diesem umfangreichen Gesetzentwurf unterstützt haben, bei Herrn Gutting
und seinen Kollegen von unserem Koalitionspartner, bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium
und ganz besonders bei Staatssekretärin Frau
Dr. Hendricks. Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks, da dies
das letzte Jahressteuergesetz ist, das ich als Berichterstatterin mit Ihnen zusammen verabschieden darf,
möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich für die letzten
fünf Jahre bei Ihnen zu bedanken.
({6})
Sie waren zu jeder Zeit bei allen Problemen eine faire,
kollegiale und äußerst kompetente Staatssekretärin und
Kollegin. Mir hat die Zusammenarbeit viel Spaß gemacht. Herzlichen Dank!
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Otto
Bernhardt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer der Rede von
Herrn Bernhardt nicht folgen möchte, hat noch sieben
Minuten die Chance, die Unterhaltungen außerhalb des
Saales, in der Lobby, fortzusetzen.
Herr Kollege Bernhardt, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass das
Jahressteuergesetz 2008 einen Beitrag zum Abbau von
Bürokratiekosten leistet. Mehr als 300 Millionen Euro
an Bürokratiekosten werden durch dieses Gesetz abgebaut.
({0})
Der zweite Punkt. Natürlich gab es jede Menge Chancen, im Rahmen dieses Gesetzes Geld auszugeben; es
wurden uns wirklich genug Wünsche vorgetragen. Aber
die Große Koalition redet nicht nur von Haushaltssanierung, wir betreiben sie konsequent, wohlwissend, dass
das nicht immer populär ist. Deshalb stelle ich fest: Dieses Gesetz führt nicht zu Mehrausgaben. Wenn wir uns
einmal die Ansprüche anschauen, erkennen wir, dass das
ein großer Erfolg ist.
({1})
Meine Damen und Herren, ich will in aller Kürze einige ganz wenige Punkte dieses Gesetzentwurfes ansprechen. Der erste Punkt ist die viel diskutierte Neufassung
des § 42 der Abgabenordnung. Ursprünglich gab es im
Referentenentwurf in der Tat eine Formulierung - ich
sage das so deutlich -, mit der wir nicht leben konnten.
Sie hätte dazu geführt, dass, wenn jemand irgendetwas
tut, wodurch er weniger Steuern zahlen muss, er hätte
beweisen müssen, dass es auch andere als steuerliche
Gründe dafür gibt, dass er dies getan hat. Das führte so
weit, dass der Kollege Brüderle gesagt hat: Wer in Zukunft im Dezember heiratet, muss also nachweisen, dass
es dafür nicht nur steuerliche Gründe gab.
Wir haben jetzt eine Formulierung gefunden, die die
Zustimmung der entsprechenden Verbände gefunden
hat,
({2})
eine Formulierung, Herr Kollege Thiele, mit der man sicher leben kann. Ich verhehle aber nicht, dass wir im Gegensatz zu unserem Koalitionspartner keine Änderung
gebraucht hätten. Wir hätten, so wie der Präsident des
Bundesgerichtshofes, auch ohne leben können.
({3})
Ich sage aber: Mit dieser Formulierung können wir leben; deshalb haben wir ihr zugestimmt.
Ich nenne einen zweiten Punkt, der zu heftigen Diskussionen geführt hat. Ich weiß noch nicht, ob wir hier
schon am Ende sind. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform haben wir die Bemessungsgrundlage für die
Gewerbesteuer verändert. Bisher wurden 50 Prozent der
als Betriebsausgabe abzugsfähigen Dauerschuldzinsen der
Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer wieder hinzugerechnet; ab dem 1. Januar 2008 werden es 25 Prozent aller Zinsen und Zinsanteile bei Leasing, Pachten
usw. sein. Um es ganz klar zu sagen: Mit dieser Veränderung wollten wir nicht mehr Einnahmen für die Kommunen. Deshalb haben wir einen Freibetrag von 100 000
Euro geschaffen, sodass es hier wirklich um plus/minus
null geht. Es geht nur um eine Absicherung der Grundlage und um eine gerechtere Grundlage, um das klar zu
sagen.
({4})
Nun haben wir festgestellt, dass der Finanzanteil von
75 Prozent bei Mieten, Pachten usw. etwas über der
Wirklichkeit liegt. Man erreicht nur dann 75 Prozent,
wenn man relativ hohe Zinsen und Laufzeiten hat. Ich
finde es mutig von der Großen Koalition, dass sie die
Sorgen des Einzelhandels und auch der Gastronomie in
den Innenstädten ernst nimmt und gesagt hat: Wir verändern diesen Maßstab, bevor das Gesetz in Kraft ist. Wir
reduzieren den Anteil von 75 Prozent auf 65 Prozent.
Die Kritiker sollen erkennen: Wir sind bereit, die Sorgen
der Menschen ernst zu nehmen und kurzfristig die rechtlichen Konsequenzen zu ziehen.
({5})
In der Praxis bedeutet dies, dass in Zukunft Jahresmieten von 150 000 Euro - das ist eine Menge; das sind
nämlich über 12 000 Euro im Monat - noch voll unter
die Freigrenze fallen, wenn man keine sonstigen Finanzierungskosten hat. Wenn jemand Kredite von 500 000
Euro hat - das ist für die meisten Mittelständler ein
ziemlich hoher Betrag -, dann kann er aufgrund der Freigrenze noch Mieten von 8 000 bis 9 000 Euro im Monat
ertragen, ohne einen Cent zu zahlen.
Deshalb sage ich allen Kritikern: Sie müssen erstens
berücksichtigen, dass wir einen Freibetrag geschaffen
haben. Zweitens müssen Sie berücksichtigen, dass Personengesellschaften und Einzelunternehmen - das ist
das Typische im Mittelstand - die gezahlte Gewerbesteuer bekanntlich mit der Einkommensteuer verrechnen
können, sodass auch hier keine unangemessenen Belastungen entstehen.
({6})
Ich spreche einen letzten Punkt an, meine Damen und
Herren. Eine Formulierung im Regierungsentwurf führte
zu Befürchtungen bei den Kreditinstituten, insbesondere
bei den Sparkassen und Volksbanken, dass man in Zukunft, wenn man bei einer Bank gleichzeitig Kredite und
ein Sparguthaben hat, nicht in den Genuss der Abgeltungsteuer von 25 Prozent komme. Wir alle bekamen
Briefe aus den Wahlkreisen, in denen stand, wir zwängen jetzt die Leute, zwei Banken zu haben, eine für die
Kredite und eine für das Guthaben. Es ist in der Praxis
übrigens gar nicht so leicht, dann zwei Banken zu haben;
dies nur als kleiner Zwischensatz.
Wir haben jetzt eine Formulierung geschaffen, mit der
dieses Problem gelöst wird. Unserem Lösungsvorschlag
haben alle Bankenverbände zugestimmt, sodass ich
sage: Entwarnung. Auch hier hat sich gezeigt, dass das
Parlament bereit ist, kritische Einwände aufzunehmen.
Ich stimme den Kollegen zu, die gesagt haben: Das Verfahren zum Abschluss des Jahressteuergesetzes hat erneut gezeigt, dass Gesetze in Deutschland vom Parlament gemacht werden. - Das wird bei diesem Gesetz
besonders deutlich.
({7})
Abschließend sage ich auch im Namen des größeren
Teils der Koalition
({8})
Staatssekretärin Hendricks ein herzliches Dankeschön
für die konstruktive Zusammenarbeit über viele Jahre.
Sie werden uns fehlen, Frau Hendricks. Wir wünschen
Ihnen weiterhin viel Glück bei Ihrer neuen Aufgabe.
Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit!
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuer-
gesetzes 2008.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6981, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 16/6290 und 16/6739 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi-
tion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der
Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom-
men.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6994. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
CDU/CSU bei Enthaltungen der Fraktion Die Linke und
Gegenstimmen der FDP abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/6981
fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6396 mit dem Titel
„Steuerklasse V abschaffen - Lohnsteuerabzug neu ord-
nen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist bei Gegenstimmen der FDP mit den übri-
gen Stimmen des Hauses angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6374 mit dem Ti-
tel „Entfernungspauschale vollständig anerkennen - Ver-
fassungsmäßigkeit und Steuergerechtigkeit herstellen“.
Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstim-
mung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze
an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekanntgegeben.1)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort.
Noch Tagesordnungspunkt 7 b. Schließlich empfiehlt
der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6981 die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/3023 mit dem Titel „Steuervereinfachung Lohnsteuerklassen III, IV und V abschaffen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 c. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Verbesserung der Statistik zur
Lohn- und Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4274,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/
3025 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen vom
Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke
angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 d. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Steuerpflichtige mit mehr als
500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmäßig
prüfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5693, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3699 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und
FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Schneider ({0}), Klaus Ernst, Dr. Lothar
Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose verhindern
- Drucksache 16/6933 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi,
Fraktion Die Linke.
({1})
1) Ergebnis Seite 12812 B
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich wusste, dass dieses Thema weniger interessiert als die namentliche Abstimmung. Aber es ist wichtig, insbesondere für die älteren Arbeitslosen in Deutschland. Es gibt im Augenblick eine gesetzliche Regelung,
die sogenannte 58er-Regelung, die den älteren Arbeitslosen drei Varianten als Wahlmöglichkeiten lässt. Sie können darum bitten, nach wie vor vermittelt zu werden,
was sehr schwierig ist, wie Sie wissen. Sie können
ALG II bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente beziehen. Oder sie können eine gekürzte Rente beantragen,
die sie vorzeitig bekommen. Diese Rente kann aber bis
zu 18 Prozent gesenkt werden. Sie bleibt auch gekürzt,
egal ob die Betreffenden 65, 70 oder 80 Jahre alt sind.
Das alles ist zweifellos keine geniale Regelung. Wie Sie
wissen, sind wir gegen das ALG II. Aber darum geht es
heute nicht, sondern darum, dass diese Regelung am
31. Dezember 2007 ausläuft. Danach hat ein arbeitsloser
Mann bzw. eine arbeitslose Frau, der bzw. die über
58 Jahre alt ist, nur noch die Möglichkeit, eine vorzeitige
Verrentung zu beantragen, und zwar mit entsprechenden
Abschlägen bei der Rente, die dauerhaft gelten, egal ob
man das 70. oder das 80. Lebensjahr erreicht. Ich halte
das für ein Unding und für grundgesetzwidrig,
({0})
weil wir in eine gesetzliche Situation kommen, in der
wir ältere Arbeitslose zwingen, dauerhaft eine gekürzte
Rente in Anspruch zu nehmen. Wir verlangen ja nicht
viel. Wir wollen nur, dass Sie die bisherige Regelung
fortsetzen, dass Sie sie nicht auslaufen lassen. Sie sollen
also nichts Neues schaffen.
2005 sollte diese Regelung schon einmal auslaufen.
Damals wurde beschlossen, die Geltungsdauer dieser
Regelung bis Ende 2007 zu verlängern. Nun stehen wir
wieder vor derselben Frage. Ich erkenne durchaus an,
dass es inzwischen Bewegung gibt. Monitor hat bekanntlich darüber berichtet. Danach gibt es 350 000 Betroffene. Ich glaube, die SPD will eine Lösung, wenn ich
die Meldungen in den Zeitungen richtig verstehe, nicht
aber die Union; das ist das Problem. Was gestern in der
Leipziger Volkszeitung stand, nährte die Hoffnung, dass
Herr Ramsauer etwas Positives gesagt hat. Aber dann erklärte dessen Sprecherin, das sei nicht so gemeint gewesen.
Nun muss ich die Frage aufwerfen: Warum wollen Sie
den älteren Arbeitslosen diese Chance nicht geben? Ich
verstehe das einfach nicht. Und das bei Ihrer Philosophie! Sie wollen angeblich mehr Ältere in Arbeit bringen
und meinen, man könne viel länger arbeiten und
brauchte eine Rente erst mit 67 Jahren. Gleichzeitig wollen Sie die Betreffenden frühverrenten, und das mit Abzügen. Das ist nicht hinnehmbar und ist noch nicht einmal logisch.
({1})
Ich bin zwar kein Konservativer, aber auch wenn man
konservative Politik betreibt, muss diese zumindest in
sich logisch sein. Hier widersprechen Sie dem, wofür Sie
ansonsten vermeintlich eintreten.
Obwohl Sie unseren Antrag schon abgelehnt hatten,
haben wir ihn noch einmal eingebracht, damit wir in der
öffentlichen Diskussion bleiben, damit sich die Öffentlichkeit interessiert. Ich bekomme so viele Briefe von
Betroffenen, die nicht mehr wissen, was sie nun machen
sollen. Sobald sie eine Arge betreten, werden sie aufgefordert, einen Antrag zu stellen. Aber sie wissen nicht,
ob sie diesen zurückziehen können, wenn es eine neue
Regelung gibt. Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben keine Zeit. Sie müssen diesen älteren Arbeitslosen so schnell wie möglich Sicherheit geben. Ich
hoffe, dass es in die richtige Richtung geht.
({2})
Ich bitte Sie zudem, sich nicht neue Quälereien auszudenken. Sie sollten davon Abstand nehmen, jemanden
zum Beispiel zu zwingen, einen ganz miesen 1-Euro-Job
anzunehmen. Das ist bei den über 58-Jährigen gerade
nicht nötig. Belassen Sie es doch zumindest bei Ihrer
bisherigen Regelung! Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Wir verlangen noch nicht einmal eine neue Regelung,
sondern nur, dass Sie die Geltungsdauer der bisherigen
Regelung verlängern, damit ältere Arbeitslose weiterhin
Wahlmöglichkeiten haben. Ansonsten läuft die Regelung
am 1. Januar 2008 aus.
Ich weiß nicht, ob die von Monitor genannte Zahl
stimmt. Es werden unterschiedliche Zahlen angeführt.
Aber ich weiß, dass es jedes Jahr eine neue Gruppe von
über 58-Jährigen gibt, die in das Arbeitslosengeld II fallen und dann die Wahl haben oder eben nicht mehr.
Ich bitte Sie um eines, nämlich nicht eine gesetzliche
Regelung zuzulassen, die den älteren Arbeitslosen klipp
und klar sagt: Es gibt nur einen Weg - sonst musst du
eben dürsten und hungern, und wir zahlen keine Miete -,
du musst deine Frühverrentung beantragen und dein Leben lang eine gekürzte Rente hinnehmen.
Noch ein Gesichtspunkt ist dabei wichtig. Die Rente
kann so niedrig sein, dass der Betreffende davon nicht
leben kann. Dann bekommt er keine Grundsicherung für
das Alter, weil man ihm dann wiederum sagt: Du bist
noch gar kein Rentner, sondern erst Frührentner. Deshalb bekommst du die Grundsicherung nicht. - Dann
muss er oder sie Sozialhilfe beantragen. Das ist doch
eine Zumutung. Sie würden das nicht wollen, ich würde
das nicht wollen, und deshalb sollten wir das auch den
58-Jährigen und den Älteren nicht zumuten.
({3})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Tat beschäftigen wir uns jetzt innerhalb von vier Wochen
zum zweiten Mal hier im Plenum mit dieser Problematik. Dadurch wird sie - das gestehe ich zu - insgesamt
nicht einfacher, aber es verändert sich auch durch diese
Diskussion im Grunde genommen nichts.
Die Fraktion Die Linke vermittelt mit dem vorliegenden Antrag, der zum zweiten Mal vorgelegt wird, und
dem Begriff „Zwangsverrentung“ den Eindruck, als
ginge es darum, breite Massen der Bevölkerung zwangsweise in ein System zu überführen, in das sie gar nicht
wollen. Das ist falsch. Richtig ist: Die 58er-Regelung
läuft - da gebe ich Ihnen, Herr Dr. Gysi, recht - in der
jetzigen Form zum Ende dieses Jahres aus. Das führt
dazu, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II von den Arbeitsagenturen bei Erreichen der Altersgrenze und Erfüllen der jeweiligen Voraussetzungen zur Beantragung einer Altersrente auch mit Abschlägen aufgefordert
werden können. Die Rente ist vorrangig in Anspruch zu
nehmen, weil das Arbeitslosengeld II von seiner Systematik her nachrangig ist.
Eine Ausnahme gilt in der Tat für die Personen, die
nun bis zum 31. Dezember dieses Jahres von der 58erRegelung Gebrauch machen. Diese haben die Möglichkeit, bis zum Schluss im bestehenden System zu bleiben.
Wie viele Menschen jedoch nach dem 1. Januar 2008
real von der Aufforderung betroffen sind, Rente zu beantragen, ist völlig offen. Die genannten Zahlen sind überhaupt nicht belegt und beruhen auf Vermutungen.
({0})
- Das ist eine Schätzzahl.
({1})
- Trotzdem geschätzt. - Die Allermeisten werden von
sich aus die Rente auch mit Abschlägen in Anspruch
nehmen; denn sie haben dann durchschnittlich mehr
Geld, als das Arbeitslosengeld II ausmacht. Sie können
350 Euro hinzuverdienen, ab 65 Jahren sogar unbegrenzt. Wie ich schon vor vier Wochen an dieser Stelle
gesagt habe, bleibt die Bereitschaft zu Korrekturen bestehen. Die Grundsätze, auf dem dieses System basiert,
müssen klar sein. Diese Grundsätze haben sich in meinen Augen in den letzten vier Wochen nicht verändert.
Herr Kollege Schneider würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Eine lasse ich zu.
Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. Sie sagten
eben, der Arbeitslose werde aufgefordert, einen Antrag
auf Rente zu stellen. Das ist korrekt. Ist es weiter korrekt, dass für den Fall, dass der Arbeitslose dies verweigert, die Antragstellung durch das Amt erfolgen kann?
Würden Sie mir folgen, dass dann, wenn in diesem Fall
die fehlende Einwilligung des Arbeitslosen durch das
Amt ersetzt wird, ein Zustand des Zwangs eintritt? Jedenfalls definiert der Große Brockhaus das so.
({0})
So steht es in der Tat im Gesetz, weil man, als es verabschiedet wurde, von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist.
({0})
Das Gesetz will bei diesem Punkt deutlich machen, dass
zunächst einmal jeder seine eigenen Rentenanwartschaften einzusetzen hat, so wie jemand, der nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist, sondern sich anderweitig abgesichert hat, zunächst einmal sein Vermögen
einsetzen muss, wenn er Hilfe des Staates in Anspruch
nehmen will. Ich sage Ihnen aber, dass wir kein Interesse
daran haben, dass eine solche Situation eintritt. Selbst
dann, wenn das nicht anders zu organisieren ist, müssen
wir bei den Grundprinzipien des SGB II bleiben, weil
wir sonst das Gesamtsystem ändern müssten.
({1})
Zu diesen Grundsätzen gehört das Prinzip der Nachrangigkeit, auf das ich gerade hingewiesen habe. Es gilt
weiterhin der Grundsatz, dass zunächst jeder Einzelne
seinen Beitrag zu leisten hat, bevor er einen Anspruch
auf Transferleistungen des Staates hat. Schafft er das aus
eigener Kraft nicht, hat er Anrecht auf Unterstützung;
wir nennen das „Subsidiarität“. Es ist ja nicht so, dass
wir die Probleme der Menschen, die in einer Situation
sind, wie Sie sie beschrieben haben, nicht sehen können.
Sie wissen, dass wir an der Lösung dieser Probleme arbeiten, übrigens auch ohne diese Debatte. Wir werden
weiterhin alles unternehmen, um die Menschen so zu
fördern, dass sie nicht in der Grundsicherung bleiben,
sondern aus dem Bezug von Leistungen des Staates oder
anderen Transferleistungen herauskommen.
Wir müssen den Aufschwung nutzen, um insbesondere ältere Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung
zu bringen. Über 100 000 Menschen, die älter als
55 Jahre sind, haben in den letzten zwölf Monaten den
Weg aus der Erwerbslosigkeit gefunden, entweder in Beschäftigung, in Qualifizierung oder in Rente. Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten festgestellt, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass der
Aufschwung zum Erliegen kommt oder dass gar eine
Rezession bevorsteht. Ich mache darauf aufmerksam,
dass bei der Bundesagentur für Arbeit zurzeit 1 Million
offene Stellen gemeldet sind. Wenn wir alle Möglichkeiten und alle Systeme unseres Staates nutzen wollen,
dann haben wir die Perspektive, die älteren Menschen in
diesen Stellen unterzubringen.
({2})
Konzentrieren wir uns also darauf, wie wir den Menschen helfen können! Eine immer wichtigere Rolle auf
dem Arbeitsmarkt spielen nämlich ältere Arbeitnehmer
mit ihren Erfahrungen, mit ihren Lebens- und Berufserfahrungen. Die Kopplung von Erfahrung und Können
macht die Älteren interessant für die Unternehmen. Das
hilft den Menschen nachhaltig. Sie können selber ihren
Lebensunterhalt bestreiten, was übrigens - losgelöst von
allen materiellen Fragen - vor allen Dingen eine Frage
der Menschenwürde ist.
({3})
Mit mehr Älteren im aktiven Arbeitsprozess entschärfen wir Schritt für Schritt auch die wachsende Gefahr der
Altersarmut - ich will hier in keiner Weise kleinreden,
dass die damit verbundenen Probleme auf uns zukommen -, der wir begegnen müssen. Ich möchte in diesem
Zusammenhang an die Aktivitäten und Initiativen erinnern, die der nordrhein-westfälische Arbeitsminister
Karl-Josef Laumann in Angriff nimmt.
Ich habe großes Verständnis für die Menschen, die
Angst haben, ihre Ersparnisse für das Alter aufbrauchen
zu müssen. Diese Angst nehmen wir ernst. Wir müssen
dafür sorgen, dass die Freibeträge für die Altersvorsorge
eine angemessene Höhe haben. Auch aus diesen Erträgen lassen sich Zeiten des Übergangs von Arbeitslosigkeit in die Rente gestalten.
({4})
Ich habe gesagt, dass wir daran arbeiten, Menschen
aus dem SGB-II-Bezug herauszuholen. Wir fördern bestimmte Personengruppen. „Jobperspektive“ ist der
Name eines Programms, das jetzt aufgelegt wird und
seine Wirkung entfalten soll. Initiative „50 plus“ hilft bereits, Menschen in Arbeit zu bringen.
Lassen Sie mich zur Klarstellung zusammenfassen:
Erstens. Wir arbeiten zusammen mit unserem Koalitionspartner an einer Lösung des Problems des Übergangs vom Arbeitslosengeld II in Rente.
Zweitens. Wir halten genau so klar am Prinzip der
Nachrangigkeit fest.
Drittens. Wir konzentrieren uns auf die wesentliche
Aufgabenstellung, nämlich ältere Arbeitnehmer verstärkt im Betrieb und somit in Lohn und Brot unterzubringen, damit sie durch eigener Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Davon haben alle
etwas, am meisten die Betroffenen selbst.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 7 und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
zum Antrag der Fraktion Die Linke „Entfernungspauschale vollständig anerkennen - Verfassungsmäßigkeit
und Steuergerechtigkeit herstellen“ bekannt: Abgegebene Stimmen 526. Mit Ja haben gestimmt 435, mit Nein
haben gestimmt 40, Enthaltungen 51. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 526;
davon
ja: 435
nein: 40
enthalten: 51
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Albach
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Johann-Henrich
Krummacher
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({9})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Bernward Müller ({14})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({15})
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({18})
Andreas Schmidt ({19})
Ingo Schmitt ({20})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Thomas Strobl ({21})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({22})
Gerald Weiß ({23})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({24})
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Niels Annen
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Dr. Gerhard Botz
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({28})
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({29})
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({30})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Michael Müller ({36})
Gesine Multhaupt
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({37})
Maik Reichel
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({38})
Michael Roth ({39})
Marlene Rupprecht
({40})
Axel Schäfer ({41})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Dr. Frank Schmidt
Ulla Schmidt ({42})
Silvia Schmidt ({43})
Heinz Schmitt ({44})
Carsten Schneider ({45})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
({46})
Swen Schulz ({47})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({48})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
({49})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({50})
Volker Beck ({51})
Birgitt Bender
Grietje Bettin
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Priska Hinz ({52})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Markus Kurth
Undine Kurth ({53})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({54})
Omid Nouripour
Claudia Roth ({55})
Krista Sager
Irmingard Schewe-Gerigk
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Nein
DIE LINKE
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Eva Bulling-Schröter
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Dr. Dagmar Enkelmann
Diana Golze
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Jan Korte
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Petra Pau
Elke Reinke
Paul Schäfer ({56})
({57})
Dr. Herbert Schui
Frank Spieth
Jörn Wunderlich
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthaltung
FDP
Jens Ackermann
Daniel Bahr ({58})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Patrick Döring
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({59})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther ({60})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({61})
Gisela Piltz
Frank Schäffler
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Hartfrid Wolff ({62})
DIE LINKE
Katja Kipping
Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich
Kolb, FDP-Fraktion.
({63})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ende dieses Jahres läuft die sogenannte 58er-Regelung
aus, die bewirkt, dass ältere arbeitslose Erwerbsfähige,
die nicht mehr arbeitsbereit sind und der Vermittlung
nicht mehr zur Verfügung stehen, bis zum Regelrenteneintrittsalter Transferleistungen bekommen können, zunächst ALG I, später ALG II.
Wichtig ist, dass Personen, soweit sie nach
§ 65 Abs. 4 SGB II anspruchsberechtigt sind, nicht gezwungen sind, vorzeitig in Rente zu gehen. Das ändert
sich zu Beginn des nächsten Jahres grundlegend. Wer
dann einen Antrag auf ALG II stellt, wird darauf verwiesen werden, zunächst seine gesetzliche Rente zu beantragen.
Diese neue Rechtslage - das will ich im Namen meiner Fraktion ganz klar sagen - ist ein Problem, das gelöst
werden muss, denn es führt zu ungewollten Ergebnissen.
Rentenpolitisch benachteiligt diese neue Rechtslage
Frauen, Menschen mit Behinderungen, langjährig Versicherte, die ihre Rente mit Abschlägen vorzeitig in Anspruch nehmen müssen. Das ursprünglich als Privileg
gedachte Recht der Frühverrentung verkehrt sich dadurch in sein Gegenteil. Das Privileg wird für die Betroffenen zur Last.
Aber auch arbeitsmarktpolitisch treten unerwünschte
Wirkungen ein, denn für alle auf diesem Wege frühverrenteten Menschen gelten nach gegenwärtiger Rechtslage enge Zuverdienstgrenzen. Sie dürfen zum Beispiel,
wenn sie über dem Grundsicherungsniveau liegen, neben ihrer Rente nur maximal 350 Euro hinzuverdienen.
Das führt nach Auffassung unserer Fraktion im Ergebnis
dazu, dass die Betroffenen regelrecht aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt werden. Eine erneute Beschäftigungsaufnahme wird uninteressant, und die Betroffenen
können nicht wirklich frei entscheiden, ob und in welchem Umfang sie weiterhin erwerbstätig sein und verdienen wollen.
Das gilt nach der strengen Logik des Gesetzes sogar
für „Aufstocker“, also Personen, die durch die ausgeübte
Tätigkeit durchaus beweisen, dass sie arbeiten wollen.
Sie müssen dann wohl zumindest eine Teilrente mit den
entsprechenden Wirkungen beim Zuverdienst beantragen. Das nachzuvollziehen, kann ich jedem Kollegen
hier nur empfehlen. Das ist wirklich ein rentenpolitischer Hochseilakt und im Ergebnis nicht wirklich sinnvoll.
({0})
Der Antrag der Linken greift diese Problematik auf,
enthält aber keinerlei Lösungsvorschlag. So konkret, wie
Sie, Herr Kollege Gysi, es gesagt haben, steht es nicht
im Antrag. Sie waren in der Vergangenheit mit der
Drucksache 16/5902 schon einmal konkreter. Aber heute
fordern Sie die Regierung lediglich auf. Das ist aus unserer Sicht doch ein bisschen dünn und kann aus diesem
Grunde unsere Zustimmung nicht finden.
Wir haben eine grundsätzlich andere Vorstellung von
der Herangehensweise an die Thematik des Übergangs
vom Erwerbsleben in die Rente. Das habe ich hier schon
wiederholt vorgestellt. Ein Wahlrecht zum Renteneintritt
ab dem 60. Lebensjahr bei Vorliegen der Grundsicherungsfreiheit ermöglicht einen flexiblen Übergang in die
Rente. Der Wegfall der Zuverdienstgrenzen, den wir
wollen, schafft gleichzeitig Anreize, weiter erwerbstätig
zu bleiben.
Einen Zwang, in Rente zu gehen, gibt es beim FDPModell nicht, auch nicht für Arbeitssuchende. Das ist
dann schon eine Durchbrechung des Grundsatzes der
Nachrangigkeit. Es stellt sich die Frage, ob eine solche
Durchbrechung zu rechtfertigen ist. Ich meine, sie ist es.
Denn zum einen findet - wie der Kollege Schiewerling
eingeräumt hat - mit § 65 Abs. 4 SGB II bereits heute eine
Durchbrechung des in § 2 SGB II formulierten Grundsatzes statt. Zum anderen würde eine derart unterschiedliche
Behandlung von Leistungsempfängern - einige werden
gezwungen, ihre Rente mit Abschlägen einzusetzen, andere nicht - eine willkürliche Differenzierung seitens des
Gesetzgebers darstellen. Das ist - darin stimme ich Ihnen,
Herr Gysi, zu - vermutlich verfassungswidrig.
Es sollte auch nicht außer Acht gelassen werden,
dass, wenn man alles zusammen betrachtet, eine zusätzliche Belastung für die öffentlichen Haushalte oder die
Rentenversicherung nicht entsteht. Denn diejenigen
- das hat Herr Schiewerling zu Recht gesagt -, die deutlich über dem Grundsicherungsniveau liegen, werden in
einer solchen Situation ihre Rente ohnehin aus freier
Entscheidung heraus beantragen. Für Personen, die einen Rentenanspruch unter Grundsicherungsniveau besitzen, wird die Solidargemeinschaft ohnehin auf Dauer einen Zuschuss zu ihrem Unterhalt bezahlen müssen.
Der entscheidende Punkt - das will ich Ihnen, Herr
Kollege Schiewerling, noch einmal sagen - ist: Als wir
als FDP-Fraktion in der Vergangenheit dafür eingetreten
sind, die 58er-Regelung auslaufen zu lassen, ging es uns
nicht darum, eine Entlastung des Haushaltes herbeizuführen. Vielmehr ging es uns darum, die Menschen, die
mit der 58er-Regelung an den Rand der Gesellschaft geschoben worden sind, wieder in die Mitte der Gesellschaft und des Arbeitsmarktes zu holen.
({1})
Das Entscheidende ist nämlich, dass die Betroffenen
wieder auf dem Arbeitsmarkt zu sehen sind, Angebote
der Vermittlung erhalten und von den Argen und Optionskommunen im Falle fortgesetzter Arbeitsverweigerung, also der Ablehnung von Angeboten, auch mit
Sanktionen belegt werden können. Am Ende geht es darum, wieder Teilhabe am Arbeitsleben zu schaffen. Das
wird auf diesem Wege möglich. Dieses übergeordnete
Ziel rechtfertigt aus unserer Sicht die Ausnahme.
Damit ist aber auch klar - ich komme zum Schluss -,
wann der Verzicht auf die Durchsetzung des Nachrangigkeitsgrundsatzes ein Ende findet. Leistungsberechtigte nach § 41 SGB XII müssen sehr wohl ihre Rente
einsetzen, bevor sie - eventuell ergänzend - steuerfinanzierte Sozialleistungen in Anspruch nehmen können.
In der Kürze der Zeit kann ich hier nur einen Weg andeuten. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden dazu bald einen eigenen Antrag vorlegen. Es steht aber ohne Zweifel
fest, dass dieses Problem gelöst werden muss. Es darf
nicht zu der sich jetzt andeutenden Änderung der
Rechtslage ab dem 1. Januar 2008 kommen; das will ich
für meine Fraktion sehr deutlich sagen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben vor vier Wochen über dieses Thema schon einmal
ausführlich diskutiert; übrigens ein Stück weit auch
heute Nachmittag, als es um die Chancen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und um flexible Übergänge vom Arbeitsleben in die Rente ging. Ich werde
gleich in meinem Vortrag auf diese schon einmal geführte Debatte zurückkommen.
Herr Gysi, Sie haben völlig recht. Man kann schlichtweg nicht ignorieren, dass definitiv ab dem 1. Januar
2008 eine ganz bestimmte Gruppe von älteren erwerbslosen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Problem haben wird, das für sie dauerhaft Nachteile beinhaltet. Jetzt kann man natürlich sagen: Wer Abschläge
hinnimmt, der geht vorzeitig, und insgesamt hat er die
gleiche Rentenleistung, die nur länger gestreckt ist. Nur kann man nie voraussagen, wie lang diese Rentenleistung gestreckt ist. In der Tat ist es so, dass Menschen,
die vorzeitig in die Rente gehen müssen, Abschläge hinnehmen.
Wir haben die Abschlagsregelung im Rentenrecht eigentlich als individuelle Möglichkeit vorgesehen, vorzeitig zu gehen, und zwar freiwillig vorzeitig zu gehen.
({0})
Wir haben sie nie als Instrument zur Druckausübung,
sondern als Instrument der Freiwilligkeit begriffen.
({1})
Hier ergibt sich eine andere Situation; das muss man
ganz klar konstatieren. Wenn Menschen, die aus dem
Arbeitslosengeld-I-Bezug kommen und die rentenrechtlichen Voraussetzungen erfüllen, einen Antrag auf
Arbeitslosengeld II stellen, dann wird der sofort negativ
beschieden, weil Ansprüche aus anderen Systemen vorhanden sind. Das ist ein Problem. Das SGB II - Fördern
und Fordern - sieht nämlich nicht in erster Linie das Hinausdrängen aus der Vermittlung, egal wohin, vor, sondern im Wesentlichen das Vermitteln in Arbeit. Diese
Leistungen können ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Hintergrund der rentenrechtlichen
Voraussetzungen dann nicht mehr in Anspruch nehmen.
Das halte ich für ein ordnungspolitisches Problem. Das
müssen wir lösen.
({2})
Völlig klar ist - darüber ist mit mir nicht zu diskutieren, übrigens auch nicht mit der SPD-Bundestagsfraktion -, dass das Nachrangigkeitsprinzip gelten muss.
Solidarität ist keine Einbahnstraße, bei der die Allgemeinheit für etwas aufkommt, obwohl der Einzelne leistungsfähig ist, sondern Solidarität ist immer in zwei
Richtungen zu sehen. Man muss aber einmal fragen, ob
ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser
Situation nicht tatsächlich einen Anspruch haben auf
eine besondere Solidarität der Gesellschaft und der Allgemeinheit, übrigens auch der Steuerzahlerinnen und der
Steuerzahler. Ich sage: Ja, den haben sie.
Eine rentenrechtliche Voraussetzung für einen normalen Arbeitnehmer ist eine Versicherungsdauer von
35 Jahren. Vor dem Hintergrund kann ich einen solchen
Arbeitnehmer bitten oder auffordern, unter Umständen
auch nachhaltig auffordern - möglicherweise kann man
da auch ersatzweise tätig werden -, Rente zu beanspruchen.
Ich erinnere nun an die Diskussion, die wir um die
Rente mit 67 geführt haben. Damals haben wir gemeinsam festgelegt: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die langjährig versichert sind, haben - so war
unsere Sicht, als wir das beschlossen haben - ein besonderes Schutzbedürfnis. Denen räumen wir das Privileg
ein, nach 45 Jahren ohne Abschläge gehen zu können. Wir haben also schon einmal formuliert, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, langjährig Versicherte unserer besonderen Solidarität bedürfen.
An dieser Stelle nun kippen wir das oder sind zumindest in der Gefahr, ab 1. Januar eine Lösung zu haben,
bei der wir diese besondere Solidarität, die wir langjährig Versicherten, solchen, die langjährig in Systeme eingezahlt haben, die langjährig Beitragszahlerinnen und
Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung waren,
eigentlich zugestehen müssen, nicht zugestehen.
Ich bin nicht der Meinung, Herr Gysi, dass man die
58er-Regelung einfach so weitergelten lassen sollte.
({3})
Wenn man keine andere Lösung hätte, dann wäre es
wahrscheinlich am sinnvollsten, die 58er-Regelung einfach zu verlängern. Wir sollten allerdings versuchen,
eine andere Lösung zu finden. Die 58er-Regelung ist vor
dem Hintergrund der Nachrangigkeit absolut richtig.
Aber wir müssen sie, vielleicht auch in Kombination mit
dem richtigen Ansinnen, das Arbeitslosengeld I zu verlängern, zielgenauer gestalten; denn sie ermöglicht zumindest im Moment noch durchaus eine Praxis des Vorruhestandes, der Frühverrentung.
({4})
Wir wollen diese Praxis nicht. Denn der Wegfall der Vorruhestandspraxis hat unter anderem dazu geführt, dass
die Quote der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jetzt noch in Arbeit sind, deutlich angestiegen
ist, und das halte ich für richtig. Wir haben es den Unternehmen nicht mehr so leicht gemacht, sich ihrer sozialen
Verantwortung gegenüber älteren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern zu entziehen.
({5})
Es ist schwieriger geworden, sie aus den Arbeitsprozessen herauszudrängen.
Wenn wir darüber diskutieren, was wir mit dem betroffenen Personenkreis machen, gelten zwei Prämissen,
die sehr zielgerichtet beachtet werden müssen: Die erste
Prämisse ist die Nachrangigkeit, die wir mit Sicherheit
nicht aufgeben dürfen. Die zweite Prämisse ist, dass es
nicht wieder eine Vorruhestandspraxis geben darf. Wenn
wir diese beiden Grundprämissen beachten, muss eine
Lösung, möglichst bis zum 31. Dezember dieses Jahres,
zu finden sein.
({6})
Vorschläge dazu gibt es; sie sind vom Ministerium erarbeitet worden. Ich fordere den Koalitionspartner sehr
deutlich auf, sich diese noch einmal ganz genau unter dem
Aspekt anzuschauen, welche Wirkung sie tatsächlich haben. Sind diese Vorschläge zum Beispiel dazu geeignet,
wieder eine Vorruhestands- oder Frühverrentungspraxis
einzuführen? Ich sage Ihnen: So, wie sie formuliert sind,
sind sie dazu nicht geeignet.
({7})
Herr Gysi, in den Vorschlägen gibt es in der Tat die
Formulierung, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in eine solche Situation kommen, unmittelbar in Arbeit vermittelt werden müssen. Ich habe ausdrücklich dafür plädiert - es kann ja durchaus sein, dass
man für einen Arbeitnehmer in dieser Situation keine
Arbeit hat -, dass es auch eine Arbeitsgelegenheit sein
kann. Denn das schützt ausdrücklich davor, dass man
tatsächlich aufgefordert wird, die Rente zu beantragen.
Dann hat der Arbeitnehmer nach wie vor, wie jetzt, die
Wahlmöglichkeit, den angebotenen Job oder die angebotene Arbeitsgelegenheit - natürlich im Rahmen der Zumutbarkeitskriterien; da gebe ich Ihnen recht - anzunehmen oder vorzeitig Rente zu beantragen. Jedenfalls liegt
dann die Wahlmöglichkeit bei dem Betroffenen und
nicht beim Sachbearbeiter oder beim Fallmanager. Für
die Abschlagsregelung in der Rentenversicherung war
immer Grundvoraussetzung: Die Entscheidung liegt bei
dem Betroffenen und bei sonst niemandem. Das muss
auch jetzt Prämisse sein. Dafür plädieren wir.
Wir sind also der festen Überzeugung, dass wir keine
Fortführung der 58er-Regelung brauchen, aber eine Regelung, die ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die arbeitslos geworden sind, davor schützt, zwangsweise in Rente geschickt zu werden.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({8})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Grünen waren die erste Fraktion, die auf die Ungerechtigkeit der Zwangsverrentung Langzeitarbeitsloser
aufmerksam gemacht hat. Bereits im Mai haben wir die
Bundesregierung aufgefordert, den unhaltbaren Zustand
zu beenden, dass zum Beispiel 60-jährige Arbeitslosengeld-II-Bezieher ab 2008 gegen ihren Willen - und das
nenne ich zwangsweise - in Rente geschickt werden
können, und zwar mit einem Abschlag von 18 Prozent.
Das werden wir nicht hinnehmen.
({0})
Dazu lautet die generöse Geste des Kollegen
Brauksiepe, damit hätten sie aktuell mehr Geld zur Verfügung, als wenn sie Arbeitslosengeld II beziehen. Herr
Brauksiepe, das ist wirklich zynisch; denn diese Aussage
stimmt doch nur bis zum 65. Lebensjahr. Gott sei Dank
sterben die Menschen nicht mit 65, sondern leben durchschnittlich 15 Jahre länger. Das heißt, bei einer Rente
von 1 000 Euro erleiden sie in 15 Jahren eine Rentenkürzung von über 32 000 Euro. Das wollen Sie doch nicht
allen Ernstes als etwas Soziales verkaufen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition!
({1})
Darum bin ich froh, dass bei der zweiten Lesung unseres damaligen Antrages einige in der Großen Koalition
doch etwas nachdenklicher wurden. Schön, dass Ihnen
die Opposition, unterstützt durch Verdi und den Sozialverband Deutschland, nun endlich Beine macht; denn
das ist bitter nötig. Stellen Sie sich doch einmal vor, wie
es einem 60-jährigen Beschäftigten geht, der zu Niedriglöhnen arbeitet und bei Vollzeitarbeit weniger als
Hartz IV verdient. Wenn der dann die ihm zustehende
Aufstockung beantragt und ihm gesagt wird, dass er aufgrund des Nachrangigkeitsprinzips seine vorzeitige
Rente mit Abschlägen von 18 Prozent beantragen muss,
dann bricht doch für diesen Menschen die Welt zusammen. Das können Sie doch wirklich nicht wollen. Aber
bei der CDU/CSU ist irgendwie Ruhe.
({2})
Dieser Mensch zeigt doch, dass er arbeiten will, sogar
für einen Hungerlohn. Und den wollen Sie gegen seinen
Willen zwangsverrenten? Ich halte das wirklich für schäbig.
({3})
Unsere einfache Forderung lautet: Jeder Mensch, der
das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hat und über keinen Arbeitsplatz verfügt, aber erwerbstätig sein will und
kann, darf nicht gegen seinen Willen verrentet werden.
Ist das eigentlich zu viel verlangt?
({4})
Nun haben Sie, Herr Kollege Schaaf, in der zweiten
Lesung unseres Antrages und jetzt gerade wieder eine
Sensibilität für dieses Thema deutlich gemacht. Sie sehen Handlungsbedarf; das ist gut so. Aber eine Einzelfallprüfung, wie sie vorgeschlagen wurde, wird das Problem nicht lösen. Wenn allein 2008 bis zu 20 000
Personen vom Arbeitslosengeld II in eine Rente mit Abschlägen gehen müssen, dann ist das kein individuelles
Problem. Auch der Vorschlag, dass Personen, die nur
noch sechs Monate vor der Altersrente stehen, von der
Zwangsverrentung verschont bleiben sollen, ist nicht
zielführend. Das ist doch nur ein Trostpflaster.
Ihr Signal heißt: Wer nicht mehr gebraucht wird, wird
ausgesteuert. Die Leistungsverpflichtung liegt am Ende
bei den Ländern und den Kommunen. Aber wirklich angeschmiert sind doch die älteren Arbeitslosen. Zuerst
werden sie aus dem Betrieb entfernt, später folgt ohne
Vermittlung und Förderung ein Aussteuern aus dem
Leistungsbezug der BA. Wenn sie dann bis zum Rentenalter aufstockende Sozialhilfe beantragen müssen und
gespart haben, dann sollen sie ihr Vermögen bis auf
einen Schonbetrag von 1 600 Euro aufbrauchen. Diese
Herangehensweise ist geradezu empörend. Ich nenne das
zynisch.
Wir Grüne fordern die Bundesregierung erneut dazu
auf: Springen Sie über Ihren Schatten! Verhindern Sie
die Zwangsverrentung durch gesetzliche Änderungen!
Der Vorschlag der Linksfraktion ist - so muss ich sagen sehr allgemein formuliert. Da waren Sie schon ein bisschen weiter; das stimmt. Wir selbst haben in unserem
Antrag konkret gefordert, dass das Nachrangigkeitsprinzip erst dann eintreten darf, wenn es nicht zu Abschlägen
bei der Rente kommt. Wir stimmen aber um der Sache
willen dem Antrag der Linken zu, damit die Bundesregierung endlich handelt. Wir wollen, dass den erwerbslosen Menschen im Alter nicht auch noch ihre Würde
genommen wird.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 16/6933. Die Fraktion Die Linke
wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und
zwar federführend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales und mitberatend an den Rechtsausschuss und den
Finanzausschuss. Die Abstimmung über den Antrag auf
Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor.
Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition so beschlossen.
Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 16/6933 nicht ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen ({0})
- Drucksachen 16/6564, 16/6650 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({1})
- Drucksache 16/6896 Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Brüning
Birgit Homburger
Paul Schäfer ({2})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6909 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Susanne Jaffke
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesverteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben
wir in diesem Parlament über drei Auslandseinsätze der
Soldaten der Bundeswehr zu beraten. Man muss sich vor
Augen führen, dass alle Auslandseinsätze, die unsere
Soldaten bewerkstelligen, mit Risiko für Leib und Leben
verbunden sind. Dieser Staat verlangt von seinen Soldatinnen und Soldaten - sei es beim Gelöbnis, sei es im
Rahmen der Vereidigung -, dass sie bereit sind, das
Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu
verteidigen. Dazu gehört dann auch der Einsatz des Lebens und der Gesundheit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke,
das ist der entscheidende Grund, dass es dann der Fürsorgepflicht des Staates entspricht, dass die Soldatinnen
und Soldaten oder die zivilen Mitarbeiter, die eine Beeinträchtigung ihrer Gesundheit erfahren, nicht nur auf
Versorgung verwiesen werden, sondern auch einen Anspruch, ein Recht auf Weiterbeschäftigung erhalten.
Deshalb finde ich es richtig, dass der Pflicht zur tapferen Verteidigung das Recht auf Weiterbeschäftigung im
Falle der Gesundheitsbeeinträchtigung gegenübersteht.
Darum bitte ich heute im Interesse der Soldatinnen und
Soldaten, aber auch im Interesse der zivilen Mitarbeiter,
die im Einsatz eine entsprechende Gesundheitsbeeinträchtigung erfahren, um Ihre Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.
({0})
Meine Damen und Herren, gerade die Anschläge, die
auf unsere Soldaten in diesem Jahr verübt worden sind,
haben uns aus meiner Sicht die Notwendigkeit einer derartigen Regelung wieder vor Augen geführt.
Mit diesem Gesetzentwurf betreten wir dienstrechtliches Neuland. - Das ist wahr; darum hat das Ganze auch
etwas gedauert. - Wir haben ein Einsatzversorgungsgesetz. Das ist eine, wie ich finde, gute Regelung. Aber
durch das Eröffnen dieser beruflichen Perspektive trotz
der schweren Verletzungen bieten wir den Betroffenen
auch eine emotionale Unterstützung für ihre wichtige
Aufgabe. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Punkt.
Denn wenn man den Einsatz von Leib und Leben verlangt, haben wir geradezu die Verpflichtung, ihnen dann
einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu geben.
Meine Damen und Herren, das Gesetz sieht vor, dass
nach einer Schutzzeit im Anschluss an eine entspreBundesminister Dr. Franz Josef Jung
chende Verletzung, wo dann niemand entlassen werden
darf, ein Übernahmeanspruch im Soldatenstatus oder für
zivile Mitarbeiter im Beamtenverhältnis oder gegebenenfalls im Arbeitsverhältnis besteht.
Diese Umsetzung war bei den geltenden Dienst- und
Versorgungsrechtsstrukturen - wie ich gerade gesagt
habe - keine einfache Aufgabe. Deshalb möchte ich
mich bei allen Ressorts herzlich bedanken, die hier kreativ und konstruktiv daran mitgewirkt haben, dass wir
heute einen derartigen Gesetzentwurf verabschieden
können.
Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt war natürlich die Regelung für die Streitkräfte, weil der hohe Anteil der zeitlich befristeten Dienstverhältnisse hier eine
besondere Rolle spielt. Aber auch ziviles Personal und
Mitarbeiter anderer Ressorts - das haben wir in diesem
Jahr erlebt - können von derartigen Anschlägen betroffen sein. Deshalb wird auch dieser Personenkreis durch
dieses Gesetz mit abgesichert.
Ich denke, dass diese Regelung, wie ich sie gerade
ausgeführt habe, der Fürsorgepflicht unseres Staates entspricht. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, unsere
Soldatinnen und Soldaten sowie unsere zivilen Mitarbeiter,
die im Auslandseinsatz eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung erfahren, die dann aber in der Lage sind, wieder einer beruflichen Beschäftigung nachzugehen, nicht
nur hinsichtlich der Versorgung zu vertrösten, sondern
ihnen auch eine berufliche Perspektive und ein Recht auf
Weiterbeschäftigung zu geben. Deshalb bitte ich Sie um
Zustimmung zu dieser Gesetzesinitiative.
({1})
Ich denke, die Soldatinnen und Soldaten sowie alle,
die in gefährlichen Auslandseinsätzen im Interesse unseres Landes tätig sind, haben diese Unterstützung verdient. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf.
Besten Dank.
({2})
Ich gebe das Wort der Kollegin Birgit Homburger,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass Auslandseinsätze mit erheblichen Gefahren für
Soldatinnen und Soldaten, aber auch für das Zivilpersonal verbunden sind, haben wir in der Vergangenheit
mehrfach - auch schon in diesem Jahr - erleben müssen.
Wir erinnern uns: Im Mai kamen drei Soldaten der Bundeswehr in Kunduz ums Leben, wenige Monate später
BKA-Beamte in Kabul. Neben den Getöteten gibt es
eine Vielzahl von verletzten Soldatinnen und Soldaten,
Beamten und Angestellten, nicht nur beim Einsatz in Afghanistan, sondern ebenso bei anderen Einsätze der Bundeswehr im Ausland.
Im Anschluss an Verletzungen und Tötungen kam es
immer wieder zu sozialen Härten, meistens deshalb, weil
gesetzliche Grundlagen, die den besonderen Umständen
von Einsätzen im Ausland Rechnung trugen, fehlten. Bereits vor mehr als einem Jahrzehnt wurden die ersten versorgungsrechtlichen Regelungen geschaffen. Die Verabschiedung des Einsatzversorgungsgesetzes durch den
Deutschen Bundestag vor drei Jahren war ein Meilenstein.
Mit diesem Einsatzversorgungsgesetz wurde durch den
Deutschen Bundestag zwar eine Regelung geschaffen,
aber zunächst nur für diejenigen, die bei einem Einsatz im
Ausland gesundheitlich so sehr geschädigt werden, dass
ihre Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 Prozent gemindert ist und sie ihr Dienstverhältnis verlassen müssen.
Obwohl die bereits vom Gesetzgeber durchgeführten
versorgungsrechtlichen Regelungen von 1995 und 2004
zu einer deutlichen Verbesserung der Situation der im
Auslandseinsatz verletzten Personen geführt haben, ist
es weiterhin notwendig, Nachteile für diesen Personenkreis abzustellen. Ich denke, es ist gut, dass diesbezüglich in diesem Hause große Einigkeit herrscht.
Der vorliegende Entwurf eines Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes ist der noch fehlende Baustein für
eine umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und
Angestellten des Bundes, der dem erhöhten Risiko von
Auslandseinsätzen Rechnung trägt. Dies ist ein notwendiger und der Fürsorge für das eingesetzte Personal geschuldeter Schritt.
Nach Inkrafttreten des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes haben die während eines Einsatzes im Ausland
Geschädigten ein Recht auf Weiterbeschäftigung; der
Herr Minister hat das gerade schon erläutert. Der Staat
kommt hierdurch seiner Pflicht nach, all diejenigen adäquat abzusichern, die er in gefährliche Auslandseinsätze entsendet. Dieses Gesetz wird nicht nur dem betroffenen Personenkreis mehr soziale Sicherheit geben;
dieses Gesetz wird darüber hinaus motivationsfördernd
wirken. Die Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivilpersonen, die im Interesse unseres Landes an gefährlichen Einsätzen im Ausland teilnehmen, wissen nun, dass
sie im Falle einer Verletzung eine ordentliche, besondere
Versorgung erhalten, oder, so sie dies vorziehen, eine angemessene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der Bundeswehr.
Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch,
dass der Gesetzentwurf einen Anspruch der Geschädigten auf eine für die Weiterbeschäftigung notwendige berufliche Qualifizierung enthält.
Insgesamt stellt der vorliegende Gesetzentwurf eine
zweifelsfrei notwendige Regelung dar. Die Bundesrepublik Deutschland kommt damit ihrer Pflicht im Rahmen
der Fürsorge nach, Personen, die bei Einsätzen im Ausland verletzt werden, optimal abzusichern. Die FDPFraktion stimmt dem Gesetzentwurf uneingeschränkt zu.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Petra Heß von der SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich möchte noch einmal daran erinnern: Am
19. Mai dieses Jahres wurde uns allen erneut auf tragische Weise bewusst, dass die Soldaten und Zivilisten bei
Auslandseinsätzen einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt sind: In der nordafghanischen Stadt Kunduz starben
bei einem Selbstmordanschlag drei Soldaten der Reserve, zwei wurden schwer und drei weitere Soldaten
leicht verletzt.
Fest steht: In absehbarer Zukunft wird sich an der Gefahrenlage für die Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten wenig ändern. Fest steht auch: Die Zahl der
Auslandseinsätze der Bundeswehr und der Einsätze von
Zivilisten im Rahmen des Wiederaufbaus und der Krisenprävention wird auf absehbare Zeit kaum geringer
werden. Das verlangt den Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr, aber auch den zivilen Helfern vor Ort im
Einsatz physisch, vor allem aber psychisch eine Menge
ab. Dennoch erfüllen unsere Soldaten ihre Pflicht auch
am Hindukusch vorbildlich und mit gleichbleibender
Präzision.
Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland als
Dienstherr der Soldaten und zivilen Helfer in besonderem Maße verpflichtet, Hinterbliebene wie auch Verletzte oder traumatisch Geschädigte optimal abzusichern. Wenn wir, das Parlament, Soldaten in Einsätze
auf der ganzen Welt schicken, dann müssen sie die absolute Gewissheit haben, dass sie und ihre Angehörigen im
Unglücksfall bestens abgesichert und versorgt sind.
({0})
Sonst verbietet es sich, sie überhaupt in den Einsatz zu
schicken.
Die Liste der im Einsatz getöteten, verwundeten, verunglückten oder traumatisch geschädigten Soldatinnen
und Soldaten und ziviler Mitarbeiter ist lang. Bereits
2004 hat daher der Bundestag durch das Einsatzversorgungsgesetz eine angemessene finanzielle Versorgung
für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz verletzt
oder geschädigt wurden, sichergestellt.
Aber eine Frage bleibt offen: Was passiert mit einem
Soldaten, der aufgrund einer Verletzung im Auslandseinsatz in seiner Erwerbsfähigkeit stark eingeschränkt ist?
Gehört er zur Gruppe der Berufssoldaten, wird er meist
in den Ruhestand versetzt und erhält sein Ruhegehalt.
Das ist mitunter noch hinnehmbar. Aber was ist mit den
Soldatinnen und Soldaten auf Zeit oder den freiwillig
länger dienenden Grundwehrdienstleistenden oder auch
den zivilen Beschäftigen und den Reservisten? Diese
Soldaten und Mitarbeiter stehen möglicherweise vor
dem beruflichen Aus. Häufig dürften die zu erwartenden
Rentenleistungen und gegebenenfalls die Beschädigtenversorgung nicht ausreichen, um einen angemessenen
Lebensunterhalt zu bestreiten.
Aber es geht nicht nur um die Versorgung. Viele Versehrte wollen neben der finanziellen Entschädigung vor
allem eines: Sie wollen weiter am geregelten Erwerbsleben teilnehmen. Mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz wird genau diesem Wunsch nach Teilhabe entsprochen. Den Betroffenen soll nach einem Einsatzunfall
alternativ zur Versorgung auch eine berufliche Perspektive eröffnet werden. Dieses Gesetz ist also eine notwendige Ergänzung zum Einsatzversorgungsgesetz. Insbesondere für alle Nichtberufssoldaten eröffnet es eine
berufliche Perspektive nach einem Einsatzunfall.
Die Regelung sieht für die betroffenen Soldatinnen
und Soldaten Folgendes vor: In einer sogenannten
Schutzzeit soll die erforderliche gesundheitliche Wiederherstellung erfolgen. Soldatinnen und Soldaten, deren
reguläre Dienstzeit noch während der Schutzzeit enden
würde, werden in ein Wehrdienstverhältnis besonderer
Art überführt und behalten so ihre Ansprüche gegenüber
dem Dienstherren. Geschädigte erhalten während der
Schutzzeit einen Anspruch auf berufliche Qualifikation.
Damit soll sichergestellt werden, dass die Betroffenen
eine qualifizierte Weiterbeschäftigung beim Bund antreten oder möglichst dauerhaft wieder am Arbeitsleben
teilhaben können.
Um dem verfassungsrechtlich geforderten Leistungsprinzip beim Zugang zu öffentlichen Ämtern Rechnung
zu tragen, ist eine sechsmonatige Probezeit vorgesehen.
Zum Eintritt in ein Beamtenverhältnis ist der Erwerb der
jeweiligen Laufbahnbefähigung notwendig. Vergleichbare Regelungen sind für das Zivilpersonal des Bundes
vorgesehen. Auch das muss man an dieser Stelle noch
einmal betonen.
Nach Ablauf der Schutzzeit erhält der Geschädigte
bei einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit
von mindestens 50 Prozent einen Rechtsanspruch auf
Weiterbeschäftigung als Berufssoldat, Beamter auf Lebenszeit oder in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis
beim Bund.
Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Einsatzgeschädigte von dem neuen Gesetz vollumfänglich
erfasst werden, wenn sie ihren Einsatzunfall nach dem
1. Dezember 2002 erlitten haben und sich noch im
Dienst befinden. Ferner wurden Sonderregelungen für
eine Wiedereinstellung in den Fällen konzipiert, in denen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses erkannt worden ist. Diese
Sonderregelungen sind wichtig und dringend notwendig, um insbesondere der Problematik der posttraumatischen Belastungsstörungen gerecht werden zu können.
Schließlich soll das neue Gesetz auch die Versorgung
noch einmal erheblich verbessern, indem die sogenannte einmalige Unfallentschädigung künftig schneller gezahlt wird.
Mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz wird eine
Lücke bei der Absicherung der Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Helfer auf eine ausgewogene Weise
geschlossen. Die Betroffenen erhalten nicht nur mehr
Rechtssicherheit, sondern auch eine emotionale Stütze
und eine persönliche Anerkennung ihrer Leistung als
Soldatin oder Soldat.
Das größte Plus auf der Habenseite der Bundeswehr
sind ja die Menschen in den Streitkräften.
({1})
Die Soldatinnen und Soldaten haben in den letzten Jahren der Transformation viel geleistet. Sie haben die
Transformation der Bundeswehr geschultert, und - davon konnte ich mich selbst überzeugen - sie haben das
größtenteils mustergültig bewältigt. Auch die Einsätze
dieser neuen Einsatz- und Konfliktregulierungsarmee
wurden mit hoher Professionalität und großer Bereitschaft von jedem einzelnen Soldaten getragen. Diese
Leistungen verdienen nicht nur unsere Bewunderung, sie
müssen auch und viel mehr angemessen gewürdigt werden. Hier spielt das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz
eine ganz entscheidende Rolle. Ein Soldat oder eine Soldatin, die nicht nur finanziell versorgt werden, sondern
auch weiterhin aktiv am Berufsleben teilhaben können,
erfahren damit nämlich Anerkennung und Rehabilitierung.
Das Einsatzversorgungsgesetz war richtig und notwendig. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz ergänzt
dieses nun in vorbildlicher Weise, indem es neben der finanziellen Versorgung die Alternative einer beruflichen
Perspektive aufzeigt. Wie gesagt, wir zeigen damit den
betroffenen Soldatinnen und Soldaten, dass wir ihre
Leistungen für unser Land anerkennen, ihren Einsatz
würdigen und ihrer Person den gebührenden Respekt
zollen.
Ich halte diese Anerkennung für enorm wichtig und
notwendig; denn die Soldaten, die bereit sind, notfalls
unter Einsatz ihres Lebens unser Land zu verteidigen,
haben einen Anspruch darauf, dass sich Staat und Gesellschaft schützend vor sie stellen. Ihr Dienst ist nämlich ein ehrenhafter Dienst, und wir sollten ihnen den
Rückhalt geben, den sie beim Ausüben ihres Dienstes
brauchen und den sie von uns auch zu Recht erwarten
können.
Der Schutz von Frieden, Freiheit, Demokratie und
Menschenwürde sind herausragende Kennzeichen unserer Verfassung, gleichzeitig aber auch die Markenzeichen der eigenständigen Tradition der Bundeswehr. Sie
bieten Orientierung beim täglichen Dienst, aber sind genauso Maßstab für jeden militärischen Einsatz zur Wahrung von Frieden und Freiheit. Für diese schützenswerten Vorgaben unseres Grundgesetzes stehen unsere
Soldaten ein. Deshalb müssen sie sich auch darauf verlassen können, dass unsere Gesellschaft hinter ihnen
steht.
Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz unterstreicht
meiner Meinung nach in hervorragender Weise diesen
gesellschaftlichen Rückhalt und die Verantwortung, die
wir für unsere Soldatinnen und Soldaten haben. Wer in
der Bundeswehr dient, der steht nicht irgendwo im luftleeren Raum, sondern mitten in unserer Gesellschaft.
Dies wird mit dem neuen Gesetz einmal mehr deutlich.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz, das wir heute hier verabschieden, ist überfällig. Ich
stimme Ihnen, Herr Minister, und auch den anderen Kollegen, die hier gesprochen haben, ausdrücklich zu: Es ist
die logische Ergänzung des Einsatzversorgungsgesetzes
aus dem Jahre 2004.
Ich stimme auch zu, dass es uns nicht nur um finanzielle Entschädigungen gehen darf, sondern wir den
Menschen, die im Einsatz zu Schaden gekommen sind
und aufgrund schwerer Verletzung eine andere Verwendung brauchen, auch eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bieten bzw. eine neue berufliche Perspektive eröffnen müssen. Ich denke, hierüber gibt es im Hause eine
große Übereinstimmung. Vielleicht sollten wir auch ein
klein wenig ein Auge darauf haben, wie dieses Gesetz
umgesetzt wird. Es kann ja nicht darum gehen, den Menschen irgendeine Verwendung zukommen zu lassen, sondern es sollte darum gehen, sie entsprechend ihren Fähigkeiten und Erfahrungen einzusetzen.
Ein Staat - ich glaube, das ist unser aller Grundsatz -,
der Menschen in gefährliche Auslandseinsätze schickt,
hat eine Fürsorgepflicht, nicht zuletzt für diejenigen, die
dabei Schaden nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollege, um dieses Gesetz
musste wie auch um das Einsatzversorgungsgesetz aus
dem Jahre 2004 gerungen werden. Dabei stellt man ein
Grundmuster fest: Die Betroffenen werden aktiv, Interessenvereinigungen wie der Deutsche Bundeswehr-Verband
engagieren sich heftig, der Wehrbeauftragte meldet sich,
die Öffentlichkeit wird nach und nach sensibilisiert, bevor
Entscheidendes geschieht. Das ist ein Punkt - ohne dass
ich jetzt ein Haar in der Suppe finden möchte -, der für
mich angesichts der Fälle einen schalen Beigeschmack
hinterlässt: Warum ist das der normale Gang der Dinge,
bevor den Betroffenengruppen wirklich geholfen wird?
Und wenn das der Gang der Dinge ist, warum dauert es
dann so lange? Die Auslandseinsätze der Bundeswehr haben 1992 begonnen. Wir haben jetzt 2007.
Man soll nicht alles über einen Kamm scheren, aber
an der Stelle fühle ich mich schon ein bisschen an die
Bundeswehr- und NVA-Soldaten erinnert, die an Radargeräten eingesetzt, dabei lebensgefährlichen Strahlungen
ausgesetzt waren und sehr lange auf Entschädigungen
warten mussten.
Heute haben wir es mit dem Problem zu tun - die
Kollegin Heß hat es auch schon angesprochen -, dass
Soldaten nach Auslandseinsätzen an posttraumatischen
Belastungsstörungen erkranken. Diese müssen zeitgleich
gegen die Krankheit und - so empfinden sie es in vielen
Fällen - gegen bürokratische Ignoranz angehen, wenn
sie Unterstützungsleistungen für die notwendige Behandlung der Krankheit einfordern. Auch hier geht es,
wie wir immer so schön sagen, um schnelle und unbüro12822
Paul Schäfer ({0})
kratische Hilfe. Wir sollten uns als Nächstes mit aller
Konsequenz daran machen, dass den Menschen mit
posttraumatischen Belastungsstörungen eine ausreichende Versorgung zuteil wird.
({1})
Noch einmal, meine Damen und Herren: Es geht darum, dass man frühzeitig Überlegungen anstellt, welche
möglichen Folgen zum Beispiel Entscheidungen zur
Entsendung deutscher Streitkräfte haben können und wie
man damit umzugehen gedenkt.
Für uns Linke lautet indes die oberste Mahnung: Militäreinsätze sind immer gefährlich. Deshalb müssen wir
alles daransetzen, sie zu vermeiden, um gar nicht erst in
die Lage zu kommen, von nachsorgenden Gesetzen Gebrauch machen zu müssen. Noch brauchen wir aber ein
solches Gesetz, und zwar im Interesse der Betroffenen.
Ich finde, es ist gut, dass dieses Gesetz, wenn ich das
richtig sehe, von diesem Haus einmütig verabschiedet
wird; denn auch die Fraktion Die Linke stimmt diesem
Gesetzentwurf ohne Wenn und Aber zu.
Danke.
({2})
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ende Oktober dieses Jahres waren 6 837 Soldatinnen
und Soldaten zur Friedenssicherung im Einsatz, davon
3 143 im Rahmen von ISAF, im Wesentlichen in Afghanistan, aber auch im Südsudan; bei diesen 37 im Südsudan handelte es sich um Militärbeobachter - über sie
werden wir heute Abend noch sprechen -, die zwar unbewaffnet, nichtsdestotrotz aber in einer sehr riskanten
Situation sind.
Wenn es um die Auslandseinsätze der Bundeswehr
geht, wird oft übersehen, dass auch Hunderte von Zivilbediensteten des Bundes in Krisenregionen ihren Dienst
tun: Bedienstete des Auswärtigen Dienstes, des Bundesnachrichtendienstes, der Bundespolizei und solche, die
zu internationalen Organisationen entsandt wurden.
Wenn die Bundesregierung - im Falle von Soldaten auch
das Parlament - Menschen in besonders riskante Situationen schickt, ist die besondere Verantwortung und Fürsorge der Politik eine Selbstverständlichkeit - eigentlich.
Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an die
früheren schlimmen Unfälle, die geschehen sind: So ist
im Jahre 1999 ein Oberstabsarzt im Kosovo mit seinem
Transportpanzer von einer Brücke gestürzt. Als Ende
2002 in Kabul ein Bundeswehrhubschrauber abstürzte,
gab es sieben Tote. Damals wurden wir darauf gestoßen,
wie der sogenannte qualifizierte Dienstunfall definiert
wurde: Nach dem Motto „Das hätte auch in Deutschland
passieren können“ wurden die Unfälle nicht als Dienstunfall anerkannt. So eine absurde Interpretation hat es
gegeben. Das war für uns der Anstoß, das Einsatzversorgungsgesetz zu erarbeiten, das der Bundestag im
Jahre 2004 einstimmig verabschiedet hat. Das war der
erste wichtige Schritt, den wir unternommen haben, um
die Versorgung der in besonderer Auslandsverwendung
verletzten Soldatinnen und Soldaten sowie Beamtinnen
und Beamten den gewachsenen Risiken anzupassen.
Heute geht es um den zweiten wichtigen Baustein in
diesem Zusammenhang. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz schafft einen Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung von Soldatinnen und Soldaten und von Zivilbeschäftigten des Bundes, die in einer besonderen
Auslandsverwendung verletzt werden. Das ist ein großer
Fortschritt, vor allem für Nichtberufssoldaten und befristet Beschäftigte. In der Schutzzeit sollen die Einsatzgeschädigten gegen ihren Willen weder entlassen noch in
den Ruhestand versetzt werden können. Um eine Weiterbeschäftigung beim Bund oder die Eingliederung in das
Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern, sollen sie
in dieser Schutzzeit die entsprechende berufliche Weiterqualifikation erhalten.
Wie alle anderen Fraktionen begrüßen auch wir diesen Gesetzentwurf ausdrücklich. Ich möchte an dieser
Stelle ganz besonders denjenigen danken, die großen
Druck gemacht haben. In der Tat müssen wir aus Sicht
der Politik insgesamt feststellen, dass dieser Gesetzentwurf vor allem ohne den Druck des Bundeswehr-Verbandes nicht so schnell auf den Weg gebracht worden
wäre. Dieser Druck war ausgesprochen hilfreich.
Mit dem Gesetzentwurf, der heute verabschiedet
wird, ist unsere Arbeit eindeutig noch nicht getan.
Selbstverständlich werden wir die Umsetzung dieses Gesetzes so gut wie möglich begleiten. Gleichzeitig werden
wir uns mit dem schwierigen Komplex der posttraumatischen Belastungsstörung von Soldaten und Soldatinnen
beschäftigen. Allzu oft - das ist bisher die Erfahrung müssen daran erkrankte Soldaten heutzutage in dieser
für sie sehr belastenden Situation in einen Rechtsstreit
mit ihrem Dienstherrn treten, damit diese Belastungsstörung als Wehrdienstbeschädigung anerkannt wird. Dieses ist so nicht hinnehmbar; da stehen wir genauso in der
Verantwortung, eine gute Regelung zu finden.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort Monika Brüning von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine neue Erkenntnis,
dass sich die Bundeswehr seit den 90er-Jahren in der
Transformation befindet. Angesichts geänderter Rahmenbedingungen heißt deutsche Sicherheitspolitik mehr
denn je, Verantwortung in Europa und in der Welt zu
übernehmen.
Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in vielfältigen Einsatzgebieten unter schwierigsten Rahmenbedingungen hervorragende Arbeit. Hiervon konnte ich mich
gerade erst in der vergangenen Woche bei meinem Besuch beim UNIFIL-Einsatzkontingent im Libanon persönlich überzeugen. Neben unseren Soldatinnen und
Soldaten sind aber auch zivile Beschäftigte der Bundeswehr und des Bundes in den Konfliktregionen und Krisengebieten der Welt tätig. Wir wissen, militärische und
zivile Auslandsverwendungen in diesen Gebieten sind
nicht mit normalen dienstlichen Tätigkeiten gleichzusetzen.
Auf die gesteigerten Gefährdungslagen haben wir, der
Deutsche Bundestag, wiederholt reagiert. Mit dem Einsatzversorgungsgesetz wurde im Jahre 2004 eine versorgungsrechtliche Regelung getroffen, durch die eine angemessene finanzielle Versorgung nach einem
Einsatzunfall im Ausland sichergestellt wird. Für die Betroffenen - häufig noch sehr junge Menschen - reicht
der Verweis auf eine finanzielle Versorgung allein aber
nicht aus. Sie möchten eine alternative berufliche Perspektive haben und nicht dauerhaft aus dem Berufsleben
ausscheiden. Wenn sie diese erhalten, hat das nicht zuletzt auch eine positive psychologische Wirkung auf die
Betroffenen und ihre Angehörigen.
Mit dem vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes wird eine notwendige Ergänzung
zum bisherigen Einsatzversorgungsgesetz vorgenommen. Er trägt dem erhöhten Risiko im Auslandseinsatz
Rechnung und bildet den fehlenden Baustein für eine
umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und Angestellten des Bundes.
Herr Minister, ich möchte Ihnen und Ihrem Ministerium herzlich Dank sagen, dass Sie nun, nach längerer
Zeit, dieses Gesetz endlich zur Verabschiedung vorgelegt haben. Das ganze Haus wird ihm zustimmen, denn
auch die CDU/CSU-Fraktion wird sich hier nicht enthalten oder gar Nein dazu sagen.
Ganz besonders wichtig ist auch, dass in diesem Gesetz nicht nur der Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung, Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung und
eine Schutzzeit für die gesundheitliche Wiederherstellung vorgesehen sind, sondern auch die posttraumatische
Belastungsstörung als besonderes Problem Berücksichtigung fand. In dem Gesetzentwurf sind Regelungen für
eine Wiedereinstellung in den Fällen vorgesehen, in denen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses erkannt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind es den Betroffenen und ihren Angehörigen schuldig, ihre Einsatztätigkeit für unser Land zu würdigen. Ich denke, mit dem
vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes sind wir auch im Bereich der Versorgung in der
sicherheitspolitischen Gegenwart angekommen.
Ich denke, dass wir die Abstimmung jetzt positiv vornehmen können.
({0})
Ich beende die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung
der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen. Der Vertei-
digungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 16/6896, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf den Drucksachen 16/6564 und 16/6650 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Irmingard Schewe-Gerigk, Christine
Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für ein transparentes, mittelstandsfreundliches, innovationsoffenes und soziales Vergaberecht
- Drucksache 16/6786 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene
durchsetzen
- Drucksache 16/6791 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische
Anliegen und Tariftreue durchsetzen
- Drucksache 16/6930 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Kerstin Andreae von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren!
… wir erleben, dass es bei der Vergabe öffentlicher
Aufträge in zunehmendem Maße eine Wettbewerbsverzerrung gibt, die einen umtreiben muss.
Das ist nicht von mir, sondern das hat Kurt Beck auf dem
Hamburger Parteitag der SPD Ende Oktober gesagt.
Auch im Koalitionsvertrag kündigt die Große Koalition
an, dass sie das Vergaberecht reformieren bzw. vereinfachen will. Auch steht da zum Beispiel, dass man die Vergabe öffentlicher Aufträge an den Ausbildungsstand der
Unternehmen knüpfen soll.
Wir sagen: Wir müssen die Änderung des Vergaberechts angehen; das ist dringend notwendig. Die öffentliche Hand vergibt jährlich Aufträge mit einem Gegenwert von mehr als 300 Milliarden Euro. Hinzu kommen
weitere 60 Milliarden Euro für Aufträge, die öffentliche
Unternehmen ordern. Insgesamt sind das 16 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Das ist eine Größenordnung, bei
der wir die Marktmacht der öffentlichen Hand nutzen
können, um politische Zielvorgaben umzusetzen und um
zum Beispiel auch kleineren und mittelständischen Unternehmen zu helfen - darauf werde ich gleich noch eingehen -, an diesen Vergabeverfahren teilzunehmen.
({0})
Wir wollen Rechtssicherheit. Heute besteht das Problem, dass die gewählten Vertreter in den Gemeinden bei
der Vergabe zwar bestimmte Kriterien berücksichtigt sehen wollen, die Verwaltung aber nicht darauf eingeht
und diese Wünsche mit Verweis auf die Rechtsunsicherheit ablehnt. Die Bundesregierung muss hier Rechtssicherheit schaffen. Internationales Recht und internationale Standards dürfen nicht aus rein wirtschaftlichen
Gründen missachtet werden.
Mit großen Worten treten ja immer wieder Mitglieder
der Bundesregierung auf und verkünden soziale und umweltpolitische Ziele, vor allem im Ausland. Mit ihren
wirtschaftlichen Entscheidungen muss sie aber dafür
auch selber eintreten. Das gilt für den Bereich der gerechten Globalisierung genauso wie für den Kampf gegen die Kinderarbeit. Vielleicht haben Sie die Diskussion über das Thema Natursteine aus Indien verfolgt, bei
deren Herstellung oft auf Kinderarbeit zurückgegriffen
wird. Es muss möglich sein, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen - in welcher Größenordnung auch immer - Kriterien vorzugeben, gemäß denen Unternehmen,
die entsprechende Zulieferer haben, abgelehnt werden
dürfen.
({1})
Gemäß den EU-Regeln ist die Berücksichtigung sozialer Belange ja zulässig.
In Deutschland haben wir aber das Problem, dass
diese nach deutschem Recht als sachfremde Kriterien
gelten. Das wollen wir ändern. Wir wollen die Berücksichtigung von sozialen Kriterien entsprechend der EURichtlinie ermöglichen und Rechtssicherheit für die Vergabestellen schaffen. Das wollen im Übrigen nicht nur
wir, sondern auch der Deutsche Städtetag fordert das
schon lange.
Es geht uns aber auch um Vereinfachung. Vereinfachung heißt, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmen einen leichteren Zugang zu den Vergabeverfahren bekommen. Entsprechende Vorschläge liegen vor,
die Sie angehen können. Dazu gehört das Präqualifizierungsverfahren. Warum ermöglichen wir Unternehmen
nicht, sich ähnlich wie beim TÜV generell für ein ganzes
Jahr - was dann regelmäßig überprüft werden kann - für
die Teilnahme an einem Vergabeverfahren qualifizieren
zu können, statt bei jedem Vergabeverfahren aufs Neue
dazu verpflichtet zu sein? Mit einem solchen Präqualifizierungsverfahren würden laut einem Gutachten des
DIHK die Bürokratiekosten für die Unternehmen um
30 Prozent gesenkt.
Ein weiterer Vorschlag betrifft die Mindestbearbeitungszeit. Wir müssen für die Erstellung von Angeboten
eine Mindestzeitspanne zwischen Bekanntgabe und Abgabefrist einführen, um den Unternehmen die Teilnahme
an den Vergabeverfahren zu ermöglichen.
Schließlich brauchen wir einheitliche Schwellenwerte.
Es gibt unterschiedliche Schwellenwerte in den einzelnen
Ländern der EU. Auch an dieser Stelle ist eine Vereinfachung durch die Einführung einheitlicher Schwellenwerte
notwendig.
({2})
Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie die Debatte verlaufen wird. Sie werden darauf hinweisen, dass Sie die
Reform des Vergaberechts in den Koalitionsvertrag aufgenommen haben. Leider sind schon über zwei Jahre
vergangen, ohne dass Sie mit der Umsetzung dieses Vorhabens begonnen haben.
Transparency International hat der Bundesrepublik
zum Thema Korruption ein sehr schlechtes Urteil ausgeKerstin Andreae
stellt. Es ist dringend notwendig, dass wir uns auch dieses Themas annehmen.
Sie brauchen einen Weckruf. Sie verschlafen die Reform des Vergaberechts. Die Folge ist, dass reine Wirtschaftlichkeitserwägungen soziale Zielsetzungen aushebeln. Reformieren Sie das Vergaberecht unter der
Maßgabe, die EU-Richtlinie umzusetzen, Erleichterungen für den Mittelstand zu schaffen und Korruption zu
bekämpfen! Dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Verschlafen Sie das nicht weiter! Das Vergaberecht muss reformiert werden.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Albert Rupprecht von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte
Herren! Die Anträge der Grünen - das ist meiner Meinung nach auch aus Ihrer Rede hervorgegangen, Frau
Andreae -, aber auch die Anträge der Linken, die zum
öffentlichen Vergabewesen in Deutschland vorliegen,
wollen das Vergabewesen im Kern verändern. Im Zentrum stehen die Abkehr vom Prinzip der wirtschaftlichen
Leistungserbringung und eine Hinwendung zu einem
völlig anderen Prinzip, nämlich vergabefremde, allgemeine politische Ziele einzuführen.
Bisher gilt im deutschen Vergabewesen, dass ein Unternehmen, das sich an die Gesetze hält und leistungsfähig ist, den Zuschlag bekommt, wenn es das wirtschaftlichste Angebot abgibt. Die Anträge der Grünen und der
Linken wollen ein ordnungspolitisches Gegenprinzip
aufbauen. Nach Ihrer Vorstellung soll künftig jede vergebende Stelle selbst beliebig weitere Kriterien festlegen.
Das heißt in der Konsequenz: 12 000 Kommunen, 2 000
Städte, 300 Landkreise sowie Autobahndirektionen, Wasserwirtschaftsämter, alle Ministerien usw. legen in Zukunft selbst fest, welche zusätzlichen Kriterien für die
Vergabe gelten sollen.
Soweit nicht gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen
wird, ist letztendlich alles erlaubt. Fachleute reden davon, dass 800 neue Kriterien denkbar sind, die in Zukunft im Vergabewesen eingeführt werden könnten. Das
heißt nach Adam Riese: Alle vergebenden Stellen in
Deutschland zusammen könnten bis zu 12 Millionen
neue Varianten der öffentlichen Vergabe einführen.
Frau Andreae, in Ihrem Antrag ist von Vereinfachung
die Rede. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das ist,
milde ausgedrückt, lachhaft.
({0})
Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums hat aus großer Sorge wegen dieser Diskussion ein
Sondergutachten erstellt und eingehend gewarnt. Statt
für eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des Vergabewesens sorgen Sie für eine Zersplitterung und eine
drastische Zunahme der Bürokratie. Sie fordern schlichtweg jede Vergabestelle auf, sich nach Belieben ein eigenes Vergabepaket zusammenzustellen.
({1})
Wie der Wissenschaftliche Beirat in seiner Studie umfassend dargelegt hat, wären die Folgen höhere Kosten,
mehr Korruption, mehr Vetternwirtschaft und dramatisch mehr Bürokratie. Wir versprechen den Anwendern
seit Jahren eine Vereinfachung des Vergabewesens und
den Abbau von Bürokratie. Aber Sie wollen in dramatischem Ausmaß den gegenteiligen Weg beschreiten. Das
ist und bleibt ein Irrweg.
Vernünftig hingegen ist, dass wir vergabefremde Aspekte - wie es im Übrigen bisher schon im GWB geregelt ist - nur in Ausnahmefällen in das Vergabewesen
aufnehmen. Sie werden aufgenommen, wenn sie strengen Kriterien entsprechen.
Erstens. Wenn das politische Ziel durch eine Regelung in einem anderen Gesetz besser erreicht werden
kann, dann hat es im Vergabewesen nichts zu suchen. Es
darf zudem keine Doppelgesetzgebung geben. Wir haben Tausende Paragrafen in der Umweltgesetzgebung.
Warum müssen wir alle dort aufgeführten ökologischen
Ziele auch noch in das Vergabeverfahren hineinpressen?
Zweitens. Genauso wie es bereits im geltenden Gesetz formuliert ist, müssen in Zukunft die Bundesebene
und die Landesebene die Kompetenz haben, über die
Aufnahme vergabefremder Aspekte zu beschließen. Anderenfalls droht die befürchtete Zersplitterung des Systems. Es macht keinen Sinn, dass sich jede Vergabestelle
ein eigenes Vergabepaket zusammenbastelt.
Drittens. Der bürokratische Mehraufwand muss gering sein. Dies muss durch eine Standardkostenmessung
nachgewiesen werden.
Viertens. Das originäre Ziel des Vergabewesens, den
günstigen, wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen
Hand zu organisieren, darf dadurch in keiner Weise beeinträchtigt werden.
Wir müssen uns hier noch ein ganzes Stück mehr anstrengen. Die Einkaufskosten der öffentlichen Hand können und müssen gesenkt werden. Der Wissenschaftliche
Beirat vertritt in seinem Gutachten die Meinung, dass
die Einkaufskosten bis zu 10 Prozent gesenkt werden
können, ohne die Leistungen der öffentlichen Hand zu
verringern. Das spart Steuergelder - und nicht wenige.
Das öffentliche Vergabewesen in Deutschland hat - Frau
Andreae hat es bereits angesprochen - ein Volumen von
360 Milliarden Euro. Das sind 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Eine Senkung der Kosten um 10 Prozent
würde die öffentliche Hand um 36 Milliarden Euro entlasten. Das ist in der Tat ein politisches Ziel, für dessen
Erreichen es sich zu arbeiten lohnt. Wir schaffen das
Albert Rupprecht ({2})
aber nicht mit Vorschlägen, die die Zersplitterung des
Vergabewesens und die Erhöhung der Bürokratiekosten
zur Folge haben. Wir schaffen es auch nicht mit mehr
Vetternwirtschaft. Wir schaffen es nur mit einem funktionierenden Wettbewerb und einer Vereinfachung des
Systems.
Die Koalitionspartner haben sich im Koalitionsvertrag sehr zurückhaltend für die Erweiterung um vergabefremde Aspekte ausgesprochen. Auf Seite 106 des Vertrages wurde formuliert, dass Unternehmen bevorzugt
werden können, die ausbilden. Das war’s dann aber
auch.
Die Regierungskoalition hat darüber hinaus im Koalitionsvertrag andere Schwerpunkte gesetzt als die Opposition in ihren Anträgen. Wir haben eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung des Vergabewesens und eine
Vereinfachung des Vergaberechts vereinbart.
Zum Ersten die mittelstandsgerechte Ausgestaltung:
Im Koalitionsvertrag haben wir hierzu formuliert, dass
wir eine stärkere Vergabe in Fach- und Teillosen anstreben. Hierzu muss § 97 Abs. 3 GWB geändert werden.
Generalunternehmervergaben sollen auf die Fälle reduziert werden, in denen sie nachweislich vorteilhaft sind.
Der Bundesrechnungshof hat ermittelt, dass Generalunternehmervergaben im Schnitt 15 Prozent teurer sind als
Fach- und Teillosvergaben.
Der Mittelstand beklagt - zu Recht - massiv, dass Generalunternehmervergaben häufig zu einer temporären
Monopolstellung führen. Der Generalunternehmer diktiert dann den mittelständischen Subunternehmern Preise
und Konditionen. Im Ergebnis bedeutet dies für den Mittelstand: verzögerte Zahlungseingänge, schlechte Preise
und kaum die Möglichkeit, Eigenkapital zu bilden. In
der ersten Krise marschieren die Mittelständler massenhaft in die Insolvenz.
({3})
Was wir wollen, ist eine Bezahlung nach Leistung und
nicht nach Marktmacht. Deswegen ist in der Tat die Stärkung der Fach- und Teillosvergabe das Herzstück einer
notwendigen Vergaberechtsreform.
({4})
Zum Zweiten: Das Vergabewesen muss vereinfacht
werden. Bei der Vereinfachungsdebatte gibt es zwei
Grundtypen: Die einen sagen, das Kaskadensystem soll
abgeschafft werden, alle Verdingungsordnungen und alle
Gesetze sollen in ein Vergabegesetz gepackt werden. Ich
persönlich glaube nicht, dass dies den Anwendern hilft.
Entscheidend ist für die Anwender nicht die Anzahl der
Paragrafen, entscheidend ist nicht die Anzahl der Seiten
im Gesetzestext, sondern entscheidend sind der Inhalt
und der zeitliche Aufwand bei der Erstellung eines Angebots. Die Fragen für den Unternehmer sind: Wie viele
Stunden sitze ich daran, die benötigten Unterlagen zusammenzustellen, wie viel Kilogramm Papier muss ich
bei der Vergabestelle abgeben? Für die Anwender ist
nicht die Rechtsästhetik die entscheidende Frage, sondern der zeitliche Aufwand in der praktischen Anwendung.
Genau deshalb haben wir die betroffenen Ministerien
gebeten, einen vollkommen neuen Weg in der Vereinfachung zu gehen und den zeitlichen Aufwand der Prozesskette mit dem Standardkostenmodell zu untersuchen. Es geht den Anwendern darum, den zeitlichen
Aufwand der Prozesskette zu verringern. Diese Untersuchungen wurden im Wirtschaftsministerium und im
Bauministerium abgeschlossen; entsprechende Ergebnisse liegen nun vor. Auf dieser Basis wird derzeit ein
Referentenentwurf erstellt und zwischen den Häusern
abgestimmt. Ich gehe davon aus, dass dieser in den
nächsten Wochen im Kabinett beschlossen und uns dann
für die parlamentarische Beratung zugeleitet werden
wird.
({5})
Der nächste Schritt im deutschen Vergabewesen muss
eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung und die Vereinfachung sein. Die Anträge der Grünen und auch der Linken bringen im Gegenteil eine dramatische Zunahme an
Bürokratie und eine Zersplitterung des deutschen Vergabewesens, statt es zu vereinfachen. Das Grundanliegen,
uferlos neue Kriterien in das Vergabewesen aufzunehmen, ist der vollkommen falsche Ansatz. Deswegen sind
die Anträge abzulehnen.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Martin Zeil von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
dem zum Teil zu Recht vorgetragenen Verriss der Anträge der beiden Antragsteller hat Herr Kollege
Rupprecht versucht, ein bisschen davon abzulenken,
dass Sie von der Regierungskoalition sehr stark mit der
Umsetzung all dessen im Verzug sind, was Sie uns heute
wieder vorgetragen haben. Die Bundesregierung hat vor
etwa zehn Monaten auf eine Kleine Anfrage der FDPFraktion geantwortet, dass sie schnellstmöglich die
Schwerpunkte auf Vereinfachung, Vereinheitlichung,
Entbürokratisierung, mehr Transparenz und Wettbewerb
legen will. Das sind wirklich noble Ziele, die Sie vorgetragen haben, aber sie wurden bis heute nur angekündigt
und nicht erreicht.
({0})
Dabei ist ein effizientes und praktikables Vergaberecht wichtig, um eine optimale Allokation der staatlichen Mittel zu gewährleisten. Was wir im Moment haben, ist ein zersplittertes, kompliziertes Vergaberecht.
Das führt nicht nur zu Fehlern, sondern auch zu GeldverMartin Zeil
schwendung, wie wir aus den Berichten der Rechnungshöfe zur Genüge wissen.
Die Bundesregierung hatte das Wirtschaftsministerium aufgefordert, bis Ende 2006 entsprechende Gesetzgebungsvorschläge vorzulegen. Das sollte im Rahmen
der GWB-Novelle erfolgen. Nun schreiben wir bald
Ende 2007, und es ist bei den Ankündigungen geblieben.
Wir haben gesehen, dass die Oppositionsparteien - sicherlich mit sehr unterschiedlicher Zielrichtung - das
Thema zwar immer wieder auf die Tagesordnung bringen, es Ihnen von der Koalition aber nicht gelingen will,
uns endlich einmal etwas vorzulegen. So kommt es zu
solchen Fehlvorstellungen, wie sie im Antrag der Linksfraktion enthalten sind. Frau Lötzer, Ihre Fraktion tritt
dafür ein, dass aktuelle Themen wie Mindestlohn usw.
bei einer Neuregelung des Vergaberechts berücksichtigt
werden. Doch das zu regeln, kann sicherlich nicht Aufgabe des Vergaberechts sein.
({1})
- Sie hätten die Vorschläge, die wir vor einem Jahr gemacht haben, einmal zur Kenntnis nehmen sollen. Wir
haben bei der Regierung angefragt, aber bisher, wie gesagt, keine Initiative gesehen.
Wir müssen feststellen, dass die Bundesregierung
mittelstandsfeindlich handelt. Sie hat einigen unserer
Vorschläge zwar zugestimmt, aber sie hat bisher nichts
vorgelegt. Es ist zum Beispiel dringend notwendig, die
vergaberechtlichen Regelungen auf Bundes- und Landesebene endlich zu vereinheitlichen;
({2})
denn sehr viele Differenzierungen machen Schwierigkeiten.
Auch das Thema „Schwellenwerte“ ignoriert die
Bundesregierung bereits seit Jahren. Nach Ansicht vieler
Experten sind die bisherigen Schwellenwerte erheblich
zu hoch angesetzt. Auch hier wäre ein bisschen mehr
Einsatz in Brüssel dringend notwendig.
Es gab auch einmal Überlegungen der Bundesregierung zur Förderung der mittelständischen Wirtschaft im
Vergaberecht durch die effektive Durchsetzung des
Grundsatzes der Losvergabe und der Wettbewerbsmöglichkeiten bei der Vergabe von Aufträgen an Unterauftragnehmer. Davon ist bisher aber nichts zu sehen.
Für den Bereich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge
wurde das Präqualifikationsverfahren entwickelt und
eingeführt, das von der Praxis als deutliche Entbürokratisierung wahrgenommen wird. Auf meine damalige
Frage hat die Bundesregierung geantwortet - das war
vor etwa einem Jahr -: Wir müssen weiter prüfen, ob wir
das übertragen können. Jetzt hören Sie einmal auf, zu
prüfen, und machen Sie endlich einmal was!
({3})
Maßnahmen zur Stärkung der transparenten und diskriminierungsfreien Vergabe öffentlicher Aufträge wurden ebenso angestrebt. Es ist ein Trauerspiel und ein Armutszeugnis für die Bundesregierung, dass hier wieder
nicht gehandelt worden ist. Die Unternehmen, die den
Aufschwung in den letzten Jahren trotz Ihrer Regierungsarbeit bewerkstelligt haben, haben einfach mehr
Einsatz von Ihrer Seite verdient. Auch durch das Sachverständigengutachten ist Ihnen ins Stammbuch geschrieben worden: Ihnen fehlt die wirtschaftspolitische
Leitlinie. Das kann man auch bei diesem Thema erkennen. Die Unternehmensteuerreform ist verkorkst. Beim
Erbschaftsteuerrecht hat es einen Wortbruch gegeben. Es
gibt zunehmend protektionistische Tendenzen, statt den
Wettbewerb zu fördern. Die GWB-Novelle ist untauglich. Hinzu kommt das Hickhack bei der Beendigung des
Postmonopols. - Die Anzahl Ihrer marktwirtschaftsfeindlichen Baustellen nimmt kein Ende.
Es wäre dringend notwendig, dass Sie wenigstens im
Bereich des Vergaberechts - das Thema sollte vergleichsweise unstrittig sein - endlich einmal von Ihrer
Selbstblockade herunterkommen und hier etwas Vernünftiges vorlegen.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Egal was man sich anschaut - ob die Praxis, Vorgänge
im eigenen Wahlkreis oder auch kritische Fernsehbeiträge -: Es fällt auf, dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, insbesondere von Bauaufträgen, immer
wieder Dinge geschehen, die einem die Haare zu Berge
stehen lassen. Zum Beispiel ist die Situation in Nordrhein-Westfalen so, dass viele öffentliche Bauaufträge
nach wie vor ohne jede Berücksichtigung schon bestehender sozialer Kriterien, etwa die Zahlung von Mindestlöhnen am Bau oder die Durchführung von Ausbildungsaktivitäten - diese Frage wurde eben angesprochen -,
vergeben werden.
Die Konsequenz, die die dortige Landesregierung
daraus zieht, ist allerdings ganz merkwürdig: Während
neun andere Regierungen in ihren Vergaberichtlinien geregelt haben, wie man mit der Zahlung von Mindestlohn
und anderen wichtigen sozialpolitischen Fragestellungen
umgeht, hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, wo eine solche Regelung zum ersten Mal eingeführt
wurde, sie auch als erstes wieder abgeschafft, und zwar
auf der Grundlage eines Gutachtens, in dem festgestellt
worden ist, dass sich kein Mensch daran hält. Dies ist ein
interessanter Vorgang, der Anlass zum Nachdenken gibt.
Ich glaube aber, man sollte die Flinte nicht ins Korn
werfen, sondern sollte sich überlegen, welche Möglichkeiten es eigentlich von der Beaufsichtigung des öffentlichen Vergabewesens bis hin zu der Frage gibt, was die
Gewerbeaufsicht eigentlich auf dem Bau macht. Es gilt
Reinhard Schultz ({0})
festzuhalten, dass gute Vorschriften natürlich auch einer
gewissen Kontrolle und Nachvollziehbarkeit bedürfen.
Das Spannungsfeld zwischen einer preisgünstigen
Beschaffung aufgrund eines geordneten Vergabewesens
auf der einen Seite und der gleichzeitigen Festlegung
von Mindestbedingungen in Sachen Fairness im Geschäftsverkehr zwischen öffentlicher Hand und Unternehmen auf der anderen Seite muss von uns vernünftig
aufgelöst werden.
Natürlich darf das Vergabewesen nicht ein Sammelsurium von Wertvorstellungen werden, bei dem die Frage
der Preisfindung nur noch eine untergeordnete Rolle
spielt.
({1})
Natürlich dient das Vergabewesen in erster Linie dazu,
festzustellen, wie das Preis-Leistungs-Verhältnis bei
konkreten und vernünftigen Vorgaben ist. Aber daneben
ist es zur Vermeidung von Dumping-Wettbewerb auch
wichtig, Mindeststandards wie die Einhaltung von Mindestlöhnen und eine angemessene Ausbildungsquote bei
den anbietenden Unternehmen zu berücksichtigen. Ich
kann mir durchaus vorstellen, dass man verstärkt zu Öffnungsklauseln in Bezug auf Nebenangebote kommt, wodurch sozusagen eine pfiffigere Lösung gleichwertig neben die angefragte Regellösung gestellt wird. Das sind
aber Punkte, um die in der Großen Koalition noch gerungen wird.
({2})
- Liebe Kerstin Andreae, da ich Sie so vor mir sitzen
sehe, hätte ich fast „rot-grüne Koalition“ gesagt. Aber
ich meine natürlich die rot-schwarze Koalition.
In einer Großen Koalition mit einer derartigen Bandbreite, wie wir sie haben, gibt es ausgesprochen viele
Gemeinsamkeiten, aber es gibt natürlich auch Felder, wo
sich die ordnungspolitischen Vorstellungen aneinander
reiben und wo man etwas länger für die Abstimmung
braucht. Wir haben nach der Koalitionsvereinbarung
sehr schnell alles das, was die EU-Richtlinien vorgeben,
in deutsches Recht umgesetzt, wenn es mit relativ geringem Aufwand möglich war. Es ist also nicht so, dass
überhaupt nichts geschehen ist.
Es gibt einen Gesetzentwurf, in dem aus meiner Sicht
Transparenz, Mittelstandsfreundlichkeit, weitere EUrechtliche Vorgaben, eine generelle Vereinfachung, aber
auch die Anwendung gleicher Begriffe für gleiche Sachverhalte, damit der Anbieter überhaupt versteht, was der
Auftraggeber gemeint hat, sowie die effiziente Gestaltung von Rechtsschutzverfahren weitgehend enthalten
sind. Dies ist auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs
geschehen, den es schon gab, der aber wegen der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 der Diskontinuität unterlag. Er bildet aber nach wie vor im Wesentlichen die
Grundlage.
({3})
Es bleibt aber ein umstrittener Bereich. Auch aus
Sicht der Arbeitswelt muss eine vernünftige Behandlung
der Arbeitnehmer zum Beispiel am Bau gewährleistet
sein. Es ist kein Geheimnis, dass es da noch Klärungsbedarf und sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt. Es
gibt den verständlichen Ansatz, nach dem eine Ausschreibung nur der Preisfindung dient; das ist ein klarer,
ordoliberaler Ansatz. Dann gibt es Ansätze, wonach die
öffentliche Hand auch eine gewisse Vorbildfunktion
wahrzunehmen hat und mindestens das zu erfüllen hat,
was sie von anderen auch erwartet, nämlich die Einhaltung von Mindestlöhnen sowie ein Mindestmaß an Ausbildungsaktivitäten.
Insofern hoffe ich, dass wir uns da zeitnah verständigen werden. Denn aus den betroffenen Branchen kommt
die berechtigte Kritik, wie es sein kann, dass der Gesetzgeber mindestens ein Jahr braucht, um eine relativ überschaubare Fragestellung zu lösen. Die Hauptprobleme
liegen allerdings nicht in den bundesgesetzlichen Rahmenvorstellungen. Sie liegen im Wesentlichen in den
Verdingungsordnungen, die im Rahmen eines Selbstverwaltungsprozesses entstehen und für die man nur sehr
schwer die letzten Details vorgeben kann.
Aber auch dort ist etwas geschehen. Wir haben vereinbart - das Wirtschaftsministerium hat es veranlasst -,
dass das Standardkostenmodell sozusagen als Prüfraster
über typische Vergabevorgänge gelegt wird. Daraus gibt
es Ergebnisse, die den Ausschüssen, die die Verdingungsordnungen erarbeiten und beschließen, in einem
Gutachten zugeleitet worden sind. Wir hoffen, dass dadurch das Tempo erhöht wird.
In diesen Ausschüssen gibt es sehr unterschiedliche
Interessen. Dort geht es nicht nur um die Frage: Ist es gerechtfertigt, in einer Ausschreibung soziale Fragestellungen zu berücksichtigen? Dabei spielen auch sehr unterschiedliche wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Die
Vorstellungen darüber „Was ist kostenrelevant und was
nicht? Was ist einfach und was nicht?“ sind dort sehr unterschiedlich.
Die Bundesregierung hat ihre Schularbeiten gemacht.
Sie hat ein Gutachten angefertigt, hat es den Beteiligten
zur Verfügung gestellt und wird, wie ich weiß, immer
wieder den Finger in die Wunde legen - wir sollten uns
daran beteiligen -, damit die Verdingungsordnungen, die
weitgehend einer Selbstverwaltung unterliegen, von den
zuständigen Ausschüssen so schnell wie möglich verabschiedet werden.
Fast genauso schwierig ist es natürlich mit der Vereinheitlichung von Bundesvergaberecht und Landesvergaberecht. Wo die Musik spielt, wo die Länderverwaltungen
und insbesondere die Kommunen berührt sind - 70 Prozent aller öffentlichen Infrastrukturaufträge werden von
Kommunen vergeben -, da regelt sich vieles im Wesentlichen durch Landesrecht. Da hat das Bundesrecht eine
gewisse Leitfunktion, aber die Details werden auf Landesebene festgelegt. Wie wir gehört haben, haben die
neuen Länder zum Beispiel im Bereich Mindestlohn ordentlich vorgelegt; ein Land macht aber einen Rückzieher.
Reinhard Schultz ({4})
Dort zu einer Vereinheitlichung zu kommen, ist außerordentlich schwierig und bedarf natürlich eines gewissen Zeitraums für Verhandlungen. Dabei geht es
nicht nur darum, dass wir uns hier verständigen - neuerdings Herr Rupprecht und ich oder auch sonst wer -; das
bedarf eines sehr komplizierten Prozesses mit sehr unterschiedlichen Philosophien auch auf Länderebene.
Ich kann nur dahin gehend appellieren, dass wir, was
das Tempo angeht, Druck machen und die Ressortabstimmung im Kabinett zu Ende bringen. Denn eines ist
völlig richtig: Alle beteiligten Branchen - die Baubranche, die Freiberufler und alle, die auf öffentliche Aufträge angewiesen sind - warten darauf - das ist von allen
zu Recht angemahnt worden -, dass das Vergaberecht
deutlich verschlankt wird, deutlich mittelstandsfreundlicher wird.
({5})
Aber viele warten auch darauf, dass die notwendigen sozialen Akzente im Vergaberecht gesetzt werden, wenn es
um die Vermeidung von Lohndumping geht.
Vielen Dank.
({6})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich will
einmal daran erinnern: Bereits im April 2002 hat der
Bundestag ein Tariftreuegesetz verabschiedet und die
Tariftreue im Vergaberecht verankert. Das wurde damals
im Bundesrat blockiert. Die Länder haben gesagt: Wir
regeln das in Ländergesetzen.
({0})
Jetzt haben wir einen Zersplitterungszustand, Kollege
Rupprecht, der dringend durch eine bundeseinheitliche
Regelung aufgehoben werden muss. In einigen Ländern
gibt es Regelungen, die aber völlig unterschiedlich sind.
Das geht bis hin zu den Kommunen.
Tatsächlich kommt noch hinzu - der Kollege hat gerade darauf hingewiesen -, dass Ihre Wirtschaftsministerin in NRW als Erste ein solches Vergaberecht mit der
Begründung rückgängig gemacht hat, dass man sich
nicht daran halten würde. Schaffen wir doch vielleicht
demnächst das Strafrecht ab! Das wäre folgerichtig, weil
wir nicht alle Diebe fangen; das wäre sozusagen die
Konsequenz.
({1})
Daher sage ich auch: Geiz ist nicht geil! Bei
300 Milliarden Euro Auftragsvolumen im Jahr, Kollege
Rupprecht, kann Geiz nicht das Kriterium für die öffentliche Vergabe sein, wie Sie es hier in den Vordergrund
Ihrer Rede gestellt haben. Geiz macht im Gegenteil arm.
Diese leidvolle Erfahrung machen mehr und mehr Beschäftigte gerade bei Aufträgen der öffentlichen Hand,
beispielsweise in den Bereichen Behördenpost, Gebäudereinigung, Müllabfuhr oder auch Sicherheit. Geiz zerstört in diesem Sinne Demokratie, weil Tarifautonomie
ein Grundbestandteil unserer Demokratie ist.
({2})
Durch Arbeit zu Armutslöhnen wird die Würde der
Menschen getroffen.
Geiz zerstört auch die Umwelt und verhindert ökologische Innovationen. Ökologische Kriterien sind notwendig, Kollege Rupprecht; denn beispielsweise nur
0,5 Prozent des Stroms, den die Bundesbehörden beziehen, sind Ökostrom.
Geiz bei der öffentlichen Auftragsvergabe verschärft
nicht nur in Deutschland, sondern auch international den
Druck auf Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Menschen. Davon zeugen die Berichte über Kinderarbeit in Steinbrüchen Indiens und Chinas sowie über
Hungerlöhne und die Verletzung von Gewerkschaftsrechten in den Sweatshops transnationaler Konzerne.
Vor diesem Hintergrund ist es beschämend, dass Sie außer Ankündigungen hier noch nichts zustande gebracht
haben. Die EU-Richtlinie ermöglicht ausdrücklich ökologische und soziale Kriterien im Vergaberecht; aber Sie
kommen nicht zu Potte.
Gestern hat der rot-rote Berliner Senat eine Novellierung des Berliner Vergabegesetzes beschlossen. Er wird
mit der Ausweitung der Tariftreue auf alle Branchen
bundesweiter Vorreiter werden. Ein besonderes Novum:
Erstmals wird auch ein Mindestlohn von 7,50 Euro bei
öffentlichen Aufträgen festgeschrieben.
({3})
Vereinheitlichen wir doch in diesem Sinne die Vergabekriterien bundesweit, Kollege Rupprecht und Kollege
Zeil!
Es geht nicht um wahllose Kriterien; aber aus unserer
Sicht gehören genauso die Förderung der Gleichstellung
von Frauen, die betriebliche Ausbildung, ökologische
Standards und der Schutz von Kernarbeitsnormen dazu,
ebenso die Mittelstandsfreundlichkeit. Wir meinen allerdings, dass dem am besten mit einem zweistufigen Vergabeverfahren Rechnung getragen wird.
Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie wollen faire
Arbeit ermöglichen. Ein solches Vergaberecht würde einen Schritt in diese Richtung gehen.
Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und auch
Herr Zeil, in der Auseinandersetzung um einen gesetzlichen Mindestlohn treten Sie hier immer als die wahren
Hüter der Tarifautonomie auf.
({4})
Man empfindet es immer als verkehrte Welt, wenn Sie
sich zum Fürsprecher der Tarifautonomie machen. Beweisen Sie doch einmal, dass Sie tatsächlich hinter diesen Werten stehen! Hier haben Sie die Möglichkeit dazu,
indem Sie Tariftreue im Vergaberecht verankern.
Danke schön.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6786, 16/6791 und 16/6930 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b
auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Investmentgesetzes und zur
Anpassung anderer Vorschriften ({0})
- Drucksachen 16/5576, 16/5848 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 16/6874 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Frank Schäffler
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({2}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick,
Christine Scheel, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Offene Immobilienfonds - Marktstabilität sichern, Anlegervertrauen stärken
- Drucksachen 16/661, 16/6874 Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Frank Schäffler
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara
Hendricks das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Durch das Investmentänderungsgesetz wollen wir
die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Fondsbranche in Deutschland steigern und die Innovationsfähigkeit
fördern, ohne den notwendigen Anlegerschutz zu vernachlässigen. Wir deregulieren die Fondsbranche: Die
Regelungsdichte des Gesetzes wird auf EU-Vorgaben
zurückgeführt. Wir entlasten die Branche von Kosten im
Verwaltungsbereich in Höhe von rund 8 Millionen Euro.
Wir modernisieren die offenen Immobilienfonds, um
sie für die Zukunft zu stärken. Die Schwächen der bisherigen Regulierung von offenen Immobilienfonds werden
identifiziert und beseitigt. Im Regierungsentwurf sind zu
diesem Zweck zielgenauere Maßnahmen als im Antrag
von Bündnis 90/Die Grünen vorgesehen, der heute ebenfalls auf der Tagesordnung steht.
Wir fördern Produktinnovationen durch neue AssetKlassen wie Infrastruktursondervermögen und sonstige
Sondervermögen. Infrastruktursondervermögen können in
öffentlich-private Partnerschaftsprojekte, sogenannte ÖPPProjekte, investieren, in eine Anlageform, die Investmentfonds bislang verschlossen war. Privatanleger, die wegen
der hohen Anlagesummen bisher keinen Zugang zum ÖPPMarkt hatten, können durch Infrastruktursondervermögen
an den Entwicklungschancen des ÖPP-Marktes mittelbar
partizipieren. Sonstige Sondervermögen können anders als
herkömmliche Fonds in innovative Finanzprodukte wie
zum Beispiel Edelmetalle oder unverbriefte Unternehmensbeteiligungen investieren.
Wir verbessern den Anlegerschutz und die Corporate
Governance. Deshalb stärken wir die Unabhängigkeit
der Aufsichtsräte von Fondsgesellschaften und die Unabhängigkeit der Depotbanken. Wir schützen außerdem
die Anleger in Fondssparpläne: Die Vorausbelastung des
Anlegers mit Vertriebskosten ist bei Fondssparplänen sowohl mit inländischen als auch mit ausländischen Fonds
beschränkt.
Unsere Maßnahmen dienen der Stärkung des Finanzstandortes Deutschland und dem Anlegerschutz, was
auch die Expertenanhörung des Finanzausschusses bestätigt hat. Es bestanden allerdings unterschiedliche
Standpunkte bezüglich der Frage, wie das Ziel der
Standortförderung mit dem des Anlegerschutzes in ein
angemessenes Verhältnis zu setzen ist. Das ist natürlich
bei jeder Finanzmarktgesetzgebung eine Gratwanderung. Deshalb haben intensive Beratungen zwischen den
Berichterstattern der Koalitionsfraktionen und den Vertretern des Bundesministeriums der Finanzen stattgefunden. Die Koalitionsfraktionen haben schließlich einen
sehr guten Gesamtkompromiss gefunden
({0})
und eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen, die den
Entwurf aus dem Bundesministerium der Finanzen weiter verbessern und eine gelungene Balance zwischen den
Interessen der Fondsbranche und dem notwendigen Anlegerschutz herstellen.
Dazu gehören insbesondere weitere Geschäftsmöglichkeiten von institutionellen Anlegern in Spezialfonds,
die Möglichkeit für Immobilienfonds, im Ausland über
mehrstöckige Immobiliengesellschaften zu investieren,
sowie weitere Vereinfachungen bei der Veröffentlichung
von Fondsberichten. Als entwicklungspolitisches Signal
ist die Beteiligung von Kleinanlegern an Mikrofinanzfonds zugelassen worden, die die Vergabe von Mikrokrediten an Klein- und Kleinstunternehmer in Entwicklungs- und Schwellenländern refinanziert. So werden in
Deutschland neue Wege beschritten, damit sich breite
Bevölkerungsschichten gezielt an der weltweiten Armutsbekämpfung beteiligen können.
Mit diesen Rahmenbedingungen kann sich der Fondsstandort Deutschland mit anderen Standorten in Europa
messen. Der Gesetzgeber hat wie immer eine hervorragende Arbeit geleistet. Jetzt ist die Fondsbranche gefordert, die neuen Freiheiten und Instrumente im Interesse
von Standort und Anlegern zu nutzen.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren!
Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden.
So hatten Sie von der Union und der SPD es wörtlich in
Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart,
({0})
und da lagen Sie eigentlich auch richtig.
({1})
Doch Ihnen ist im vorliegenden Gesetzentwurf die
Umsetzung dieser richtigen Erkenntnis nicht gelungen.
({2})
Tatsächlich haben Sie sich mit Hängen und Würgen zu
einem Ihrer letzten kleinen Schritte im Bereich der Finanzmarktgesetzgebung gerettet.
Bei dem Gesetzgebungsverfahren zum Wagniskapital
und zur sogenannten Risikobegrenzung gelingt Ihnen
das schon nicht mehr. Das ist aber auch nicht schlimm;
denn Sie rücken immer weiter nach links, und mit Links
kann man keine zukunftsfähige Finanzpolitik in
Deutschland machen.
({3})
Es war ja schon bei Ihrer letzten Koalitionsrunde so: Hinterher waren alle froh, dass nichts herausgekommen ist.
Bei Ihren Finanzmarktgesetzen ist es genauso: Wenn Sie
sich am Ende einigen, werden wir ein Wagniskapitalgesetz haben, das am Markt vorbeigeht, und ein Risikobegrenzungsgesetz, das seine Wirkung am Markt erzielen
wird. Investitionen in Deutschland werden verhindert
und Arbeitsplätze vernichtet.
Zum vorliegenden Gesetzentwurf: Sie machen damit
Ihrem Namen als Koalition der verpassten Chancen wieder alle Ehre. Eine durchgreifende Liberalisierung gehen
Sie nicht an. Damit wird der Fondsstandort Deutschland
im internationalen Vergleich nicht gestärkt und kann seinen Rückstand insbesondere gegenüber Luxemburg
nicht aufholen.
Der Exodus der Investmentbranche aus Deutschland
wird sich fortsetzen. Erst waren es die Publikumsfonds,
und bald sind es die Spezialfonds. Gerade das Luxemburger Spezialfondsgesetz zeigt doch ganz aktuell, wie
hilflos der deutsche Gesetzgeber reagiert. Im Jahressteuergesetz 2008, das wir heute im Deutschen Bundestag
beraten haben, wird wieder einmal eine Spezialvorschrift aufgenommen, um die Abwanderung großer Vermögen zu verhindern.
Vor allem im Bereich der alternativen Investments tun
Sie nichts. Sie verziehen sich lieber auf den Zuschauerplatz und schauen, wie der Finanzplatz Deutschland den
Anschluss gegenüber unseren internationalen Wettbewerbern verliert. Die schlafen nämlich nicht, sondern
setzen sich aktiv für ihren Finanzplatz vor Ort ein.
Vor kurzem berichtete die Frankfurter Allgemeine
Zeitung, dass der Bürgermeister von London eigens nach
China gereist war, um einen chinesischen Staatsfonds
davon zu überzeugen, seine Europazentrale in London
zu errichten. So sieht aktive Finanzplatzförderung aus!
Sie zeichnen dagegen eine Schimäre an die Wand.
Dabei macht China um den deutschen Investitionsstandort einen ganz großen Bogen.
Nehmen Sie das Beispiel Hedgefonds: Wenn wir die
Bestimmungen etwas praxisgerechter fassen - es geht
hier nicht darum, eine umfassende Deregulierung einzuleiten -, dann gelingt es uns vielleicht, Deutschland als
Standort für Hedgefonds voranzubringen.
({4})
Es ist doch besser, möglichst viele Fonds dafür zu gewinnen, sich dem deutschen Investmentrecht und der
deutschen Finanzaufsicht zu unterstellen,
({5})
anstatt sich in Offshoregebieten anzusiedeln.
({6})
Nur wenn wir selbst ein gewichtiger Standort sind,
können wir in der internationalen Diskussion erfolgreich
auf Transparenz dringen. Nur wenn in Deutschland
selbst Kapitalsammelstellen entstehen, weil wir hier attraktive Investitionsbedingungen haben, bekommen wir
auch Kapital für die deutsche Wirtschaft.
Auch Sie sehen den Bedarf, aber bei Ihnen gehen die
Gedanken dann in Richtung eines staatlichen Schutzfonds. Damit setzt die Große Koalition den Beschluss
des SPD-Parteitages zum demokratischen Sozialismus
um.
({7})
Sie müssen auch einmal auf den Markt setzen und müssen nicht alles durch staatliche Eingriffe regeln! Schützen Sie die Eigentümer und nicht die bezahlten Vorstände!
({8})
Mit Ihrem Gesetzentwurf verfehlen Sie aber auch die
weiteren Ziele. Sie stärken den Verbraucherschutz nicht,
weil die Transaktionskosten für die Anleger weiter im
Dunkeln bleiben. Die von Ihnen eingefügte Regelung ist
völlig unzureichend.
Mit Ihrem Gesetz schaden Sie aber auch den Investmentfonds im Wettbewerb mit Zertifikaten und Versicherungen, wenn Sie die Kostenvorausbelastung unverhältnismäßig einschränken. Das wurde in der Anhörung
ganz offen debattiert. Sie tun das sehenden Auges. Dass
Sie dadurch Anlegerentscheidungen beeinflussen, nehmen Sie billigend in Kauf.
Auch daran sieht man: Bei dieser Koalition ist Stillstand wirklich noch das Beste, was sie für dieses Land
tun kann.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie beispielsweise das Silicon Valley für Hochtechnologie steht, so steht Luxemburg für eine erfolgreiche Fondsindustrie. Unser Nachbarland ist unbestritten
Europas führendes Investmentfondszentrum.
({0})
Wer den deutschen Fondsstandort stärken will, muss sich
daher unweigerlich mit den Entwicklungen in Luxemburg auseinandersetzen.
({1})
Das haben wir getan; auch wenn Sie, Herr Kollege
Schäffler, hier das Gegenteil behauptet haben. Anhaltspunkte dafür sind im Entwurf des Investmentänderungsgesetzes zu finden. Dieser Gesetzentwurf steht heute zur
Verabschiedung an.
Ich betone nochmals: Das ist keine Kopie der Luxemburger Verhältnisse, sondern unsere eigene Antwort auf
die Entwicklungen in der Fondsbranche seit Inkrafttreten
des Investmentmodernisierungsgesetzes im Januar 2004.
Luxemburg war ein wichtiges Vergleichsland, nicht aber
alleiniger Maßstab. Herr Kollege Schäffler, liebe Kollegen von der FDP, uns ging es bei dem Gesetzentwurf
nicht um eine Reform der Hedgefondsgesetzgebung,
sondern um eine Förderung des deutschen Spezial- und
Publikumsfondsstandortes auf breiter Basis.
Im Kern verfolgt der heute vorliegende Gesetzentwurf erstens das Ziel, bestehende Investmentprodukte
konkurrenzfähiger zu machen, zweitens, die Innovationsfähigkeit des deutschen Fondsstandorts zu stärken,
und drittens, überflüssige Regulierungen abzubauen.
Dies war bereits mit dem Regierungsentwurf beabsichtigt. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen
wurde allerdings deutlich, dass einige der im Entwurf
vorgesehenen Maßnahmen nicht dazu geeignet waren,
die oben skizzierten Ziele zu erreichen. Daher hat die
Koalition einige Verbesserungen am Regierungsentwurf
durchgeführt. Erlauben Sie mir, diese kurz vorzustellen:
Sehen wir uns zunächst das Ziel „Innovationsfähigkeit des Fondsstandortes Deutschland stärken“ an. Diesbezüglich war der Regierungsentwurf eine gute Vorlage.
Zwei neue Fondsprodukte werden auf dem deutschen
Markt eingeführt: zum einen das Infrastruktursondervermögen und zum anderen das sogenannte sonstige Sondervermögen. Das Infrastruktursondervermögen ermöglicht die Erschließung neuer finanzieller Ressourcen für
öffentlich-private Partnerschaften, indem es den Markt
auch für private Anleger öffnet. Besonders begrüßen wir
die Einführung der sogenannten sonstigen Sondervermögen. Das ist wichtig, um neu entstehende Finanzinstrumente schnell und flexibel in den gesetzlichen Rahmen
aufnehmen zu können.
Ein solches neues Finanzinstrument ist der Mikrofinanzpublikumsfonds. Mit unserem Koalitionspartner
haben wir vereinbart, die Klasse „sonstige Sondervermögen“ für dieses Produkt zu öffnen. Das heißt, demnächst können Mikrofinanzpublikumsfonds in Deutschland aufgelegt und vertrieben werden. Das ist nicht nur
ein wichtiges entwicklungspolitisches Signal, sondern
auch ein interessantes Angebot an die Fondsproduzenten
und -anleger in Deutschland.
({2})
Auf der einen Seite wollen heute viele Menschen aus
ethischen Gründen einen Teil ihrer Geldanlage für Mikrofinanzierungen in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen. Auf der anderen Seite stehen beispielsweise die KfW als unser Bundesförderinstitut, die
Kirchenbanken und auch private Investmenthäuser bereit. Sie warten darauf, sich derartige Produkte endlich
nicht mehr in Luxemburg genehmigen lassen zu müssen,
sondern sie auch in Deutschland auflegen und anbieten
zu können.
Gute neue Produkte allein reichen allerdings nicht
aus, um den deutschen Fondsstandort zu stärken. Auch
bereits bestehende Fondsprodukte müssen regelmäßig
auf den Prüfstand. Unfreiwillig auf den Prüfstand kam
bereits vor zwei Jahren der deutsche offene Immobilienfonds, als zunächst bei der Deka Immobilien Investment
GmbH und später auch bei der DB Real Estate einzelne
Produkte in Liquiditätsengpässe kamen. Diese TurbulenLeo Dautzenberg
zen sind mittlerweile überwunden. Die Kapitalanlagegesellschaften haben selbst ein Maßnahmenpaket erarbeitet, mit dem künftig verhindert werden soll, dass
Großanleger, institutionelle Anleger den offenen Immobilienfonds nur zum Parken von Geld, also als Geldmarktfonds, nutzen, wofür diese Fondsprodukte von der
Struktur her nicht geeignet sind. Angesichts der bereits
fruchtenden Selbstregulierungsmaßnahmen der Branche
halte ich es für richtig, dass die Regierung im Entwurf
des Investmentänderungsgesetzes nur behutsame ergänzende Maßnahmen vorgesehen hat, um den offenen Immobilienfonds krisenfester zu machen.
Der offene Immobilienfonds soll allerdings nicht nur
krisenfest, sondern auch gegenüber ausländischen Immobilieninvestmentvehikeln konkurrenzfähig gemacht
werden.
({3})
Deshalb haben wir vereinbart, dass offene Immobilienfonds künftig nicht nur in einstufige, sondern auch in
mehrstufige Immobiliengesellschaften investieren dürfen, wenn die Beteiligung zu 100 Prozent erfolgt. Diese
Öffnung ist notwendig, weil die Investition in gute ausländische Immobilien heute oftmals nur noch über mehrstufige Konstruktionen möglich ist.
In besonderem Wettbewerb mit dem Luxemburger
Fondsstandort steht der deutsche Spezialfonds. Die Luxemburger haben den Spezialfonds in den letzten Jahren
stetig weiterentwickelt. Deshalb war uns klar: Wir müssen hier deutlich nachholen, wenn wir vermeiden wollen, dass Deutschland für Spezialfonds als Produktionsstandort künftig keine Rolle mehr spielt.
({4})
Wir haben daher die Liberalisierungsmaßnahmen, die
bereits im Regierungsentwurf vorhanden waren, um einige wichtige Punkte ergänzt. Meine Damen und Herren
der FDP, ich verstehe daher überhaupt nicht, wie Sie behaupten können, dass aufgrund dieses Gesetzes nun die
Spezialfonds aus Deutschland abwandern würden. Ganz
im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass auf dieser
neuen gesetzlichen Grundlage gerade der Spezialfonds
den Wettbewerb mit Luxemburg nicht zu scheuen
braucht.
Zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Fondsbranche müssen allerdings nicht nur die Marktbedingungen denen ausländischer Fondsprodukte angeglichen werden. Die Wettbewerbsvoraussetzungen deutscher Fonds müssen auch mit denen inländischer
Konkurrenzprodukte wie beispielsweise der Versicherungen übereinstimmen. In diesem Punkt konnten wir
bezüglich der Kostenvorausbelastung von Fondssparplänen und Versicherungen mit unserem Koalitionspartner
leider keine Einigung erzielen. Für die Union bleibt es
aber Ziel, alle Vorsorge- und Anlageprodukte in
Deutschland mit den gleichen Ausgangsvoraussetzungen
auszustatten. Wir werden das Thema daher mittelfristig
sicher wieder auf die Agenda setzen.
Sehen wir uns nun abschließend das dritte Ziel an, das
wir mit dem Investmentänderungsgesetz erreichen wollen. Es geht um den Versuch der Deregulierung. Für das
Investmentgesetz bedeutet das konkret: Die Bürokratie
soll auf das von der EU vorgeschriebene notwendige
Maß zurückgeführt werden. Durch den Regierungsentwurf wurde hier gute Arbeit geleistet. So ist es beispielsweise richtig, dass Kapitalanlagegesellschaften künftig
nicht mehr als Kreditinstitute fungieren und daher die
höheren Anforderungen für Kreditinstitute bezüglich der
Aufsicht nicht mehr erfüllen müssen.
In diesem Zusammenhang ist allerdings auch wichtig,
dass die Deutsche Bundesbank weiterhin in der Lage
bleibt, die Finanzmarktstabilität im Bereich der Kapitalanlagegesellschaften umfassend zu überwachen. Dafür
haben wir im Gesetzentwurf Sorge getragen.
Bezüglich der Deregulierung gelingt es uns mit dem
Gesetzentwurf vor allem, die Branche von unnötigen
Informationspflichten zu befreien. Dazu gehört beispielsweise der Verzicht auf die bislang vorgeschriebene
Doppelveröffentlichung von Jahres- und Halbjahresberichten. Künftig müssen die Berichte nur noch im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Wir
haben dafür im Gleichklang zum Transparenzrichtlinienumsetzungsgesetz eine Übergangsvorschrift bis zum
31. Dezember 2008 eingebaut. Das halte ich für sachgerecht, so wie wir insbesondere die Printmedien als Informationsquelle für den normalen Anleger in Zukunft
nicht vernachlässigen dürfen.
Zusammenfassend darf ich zum heute zur Verabschiedung stehenden Entwurf zur Änderung des Investmentgesetzes sagen: Das Gesetz - inspiriert, aber nicht getrieben durch die Entwicklung in Luxemburg - ist ein guter
Beitrag und bildet eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung des Finanzstandortes Deutschland, weil es
erstens Finanzinnovationen einführt, zweitens bestehende Investmentprodukte konkurrenzfähiger macht und
drittens überflüssige Regulierungen abbaut.
Ich werbe deshalb nachdrücklich um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({5})
Die Rede der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll. Deswegen hat
jetzt das Wort der Kollege Dr. Gerhard Schick von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes hat ganz unterschiedliche Aspekte; das ist jetzt schon
angeklungen. Es geht um die Reaktion auf die Krise bei
den offenen Immobilienfonds, die jetzt schon einige Zeit
zurückliegt. Es geht um die Einführung einer neuen
Fondsklasse, der Infrastruktursondervermögen, auch
PPP-Fonds genannt, durch die die Finanzierung von öffentlich-privaten Partnerschaften bei der Infrastrukturfi12834
nanzierung ermöglicht werden soll. Schließlich geht es
um die Einführung sonstiger Sondervermögen; Herr
Dautzenberg hat es gerade schon gesagt. Da ist im Kern
die Frage des Mikrofinanzpublikumsfonds geregelt.
Darüber hinaus gibt es zwei Ziele, die die Große Koalition mit dem Gesetzentwurf verfolgt. Das eine ist das
Stichwort Deregulierung, und das andere ist ausweislich
der Regierungsbegründung, Anlegerschutz und Corporate Governance zu stärken.
Ich will mich auf diesen letzten Bereich konzentrieren, weil man sonst zu allem nichts sagen würde, wenn
man zu jedem ein klein wenig sagen würde. Hier setzt
auch unsere Kritik an: Es gibt keine richtige Abwägung
zwischen den Anleger- und Anlegerinneninteressen auf
der einen Seite und den Interessen der Anbieter auf der
anderen Seite.
Um was geht es? Wir haben es mit offenen Fonds zu
tun. Anleger geben einer Kapitalanlagegesellschaft ihr
Geld und wollen, dass mit diesem Geld in ihrem Sinne
gewirtschaftet wird. Insofern besteht ein Interessenkonflikt. Denn man kann mit dem Geld, das einem ein anderer anvertraut, auch zu dessen Lasten wirtschaften. Deswegen haben wir eine Reihe von Regelungen. Wir meinen, dass diesbezüglich mehr notwendig gewesen wäre,
und es war im ursprünglichen Referentenentwurf auch
mehr vorgesehen. Sie sind aber leider im Rückwärtsgang
unterwegs gewesen und haben gute Regelungen, die
schon drin waren, zurückgenommen.
Konkret: Es gibt eine Gesamtkostenquote, und jeder
normale Mensch würde meinen, dass in einer Gesamtkostenquote alles, also das Gesamte, abgebildet ist. Tatsächlich sind jedoch zwei wesentliche Kostenkomponenten nicht drin, und dies findet man auch nicht in dem
vereinfachten Verkaufsprospekt, den man sich vielleicht
noch anschaut. Vielmehr gibt es auf den vielen Seiten
des Fondsprospekts einen Hinweis, dass dem nicht so ist.
Wir glauben, da, wo Gesamtkosten drauf steht, müssen auch die Gesamtkosten drin sein, oder es muss
- wenn man dies nicht für möglich hält - zumindest klar
gesagt werden, dass es eben nicht die Gesamtkosten
sind.
Dabei sind zwei Kategorien wichtig: Das eine sind
die Transaktionskosten, die beim häufigen Umschlag des
Fondsvermögens zulasten der Anlegerinnen und Anleger
entstehen. Da hätten wir uns gewünscht: Wenn man
schon sagt, dass diese nicht ausgewiesen werden können
- ich bezweifle, dass dies nicht möglich ist -, dann muss
zumindest die Umschlagsrate ausgewiesen werden
- dies tun andere Länder -, damit man, wenn man den
Eindruck hat, dass die Kosten für den Fonds steigen,
kontrollieren kann, ob dies an einer erhöhten Umschlaghäufigkeit gelegen haben kann. Manche Fonds haben
eine höhere Umschlaghäufigkeit; das steht drauf, und
dann ist es gerechtfertigt. Andere Fonds haben diese
nicht, und dann muss der Anleger die Möglichkeit haben, dies herauszufinden.
({0})
Das andere ist eine Frage, die Sie nicht richtig beantworten. Es geht darum, was Sie im Aufsichtsrat der Kapitalanlagegesellschaft zum Thema unabhängiges Mitglied geregelt haben.
Warum haben wir einen Aufsichtsrat? Wir haben ihn,
damit er die Interessen der Anlegerinnen und Anleger
auch im Rahmen der Anlageentscheidungen durchsetzt.
Nun soll es ein unabhängiges Mitglied geben. Allerdings
haben Sie die Qualifikation, die ein unabhängiges Mitglied ausmacht, wieder aus dem Gesetzentwurf herausgenommen, und damit ist die Position dieser Person, die
in dem Interessenkonflikt zwischen der Kapitalanlagegesellschaft einerseits und den Anlegerinnen und Anlegern
andererseits deren Stimme einnehmen soll, überhaupt
nicht geklärt.
In dem Bereich sind Sie deutlich zurückgerudert. Damit ist eines ganz klar: Im Hinblick auf die Anlegerinnen
und Anlegern haben Sie zwischen dem Referentenentwurf und dem Gesetzentwurf in den Rückwärtsgang geschaltet und haben damit eine Chance verpasst und das
Ziel, das Sie in der Begründung nennen, nämlich den
Anlegerinnen- und Anlegerschutz deutlich zu stärken,
verfehlt.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nina Hauer von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland ist ein starker Standort für Investmentfonds. Das sieht man an dem Interesse der institutionellen Anleger, der Banken, der Versicherungen, aber auch
anderer Investoren, und das sieht man auch an dem zunehmenden Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, in
Fonds ihre Altersvorsorge aufzubauen oder in Fonds ihr
Vermögen zu vermehren. Es ist eine gute Alternative für
all diejenigen, die sich vor großen Risiken schützen wollen, weil es mit Fonds im Gegensatz zu Aktien leichter
ist, die Risiken auszugleichen.
({0})
Wir als Politiker müssen etwas dafür tun, dass dieser
Standort auch attraktiv bleibt. Wir befinden uns nicht nur
mit Luxemburg, sondern auch mit anderen Standorten in
Konkurrenz, und wir wollen mit diesem Gesetzentwurf
dazu beitragen, dass wir für institutionelle Anleger, die
nach Deutschland kommen, wettbewerbsfähig sind und
bleiben. Das heißt, wir wollen es mit der Regelungsdichte nicht übertreiben, sondern das richtige Maß zwischen einer sinnvollen Regulierung und der notwendigen
Freiheit finden. Wir wollen hinsichtlich der offenen Immobilienfonds eine klare Regelung, um Ereignisse, wie
sie vor einigen Monaten in der Branche passiert sind, zu
verhindern. Wir möchten die Möglichkeit schaffen, hier
neue Produkte zu erfinden und zuzulassen, und wir wollen für die Anlegerinnen und Anleger Sicherheit und
Transparenz schaffen.
Denn nur dann bleibt der Fondsstandort Deutschland
attraktiv, und nur dann kann er das leisten, was wir in
wirtschaftlicher Hinsicht und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger brauchen.
Wir haben im Bereich des Anlegerschutzes einiges
getan. Durch die Pflicht zur Bestellung eines unabhängigen Aufsichtsratsmitglieds soll sichergestellt werden,
dass die Anleger einen eigenen Ansprechpartner bzw.
eine eigene Ansprechpartnerin im Aufsichtsrat haben.
Kapitalanlagegesellschaften sollen ihre Transaktionskosten so gestalten, dass der Anleger nicht unnötig belastet wird.
Ich teile die Auffassung, die Sie, Herr Dr. Schick, zur
Umschlagshäufigkeit und zu den Kosten geäußert haben,
nicht. Denn ich glaube, dass wir es auf dem Gebiet des
Finanzmarkts mit Informationen manchmal übertreiben.
Anleger müssen davor geschützt werden, dass ihnen unnötige Kosten aufgebürdet werden, Kosten, die sie nicht
verstehen und nicht kontrollieren können. Einen Prospekt mit weiteren Daten zu füllen, die nicht nachvollziehbar sind und Kosten ausweisen, die es eigentlich zu
verhindern gilt, das halte ich, ehrlich gesagt, für nicht
sinnvoll.
({1})
Mit Blick auf die professionellen Anleger haben wir
festgestellt, dass wir einige Hürden, die wir aufgebaut
haben, guten Gewissens abbauen können. Zum Beispiel
wird es das unabhängige Aufsichtsratsmitglied in Spezialfonds nicht geben. Ich denke, es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass Anleger an dieser Stelle nicht privat
investieren. Wir haben die Spezialfonds von bestimmten
Pflichten befreit, um ihnen mehr Möglichkeiten zu geben, mit ihrem Vermögen zu wirtschaften. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit
zwischen unterschiedlichen Produkten, zwischen solchen aus dem Ausland und solchen aus dem Inland, gewährleistet ist.
Hier kann ich Ihre Position, Herr Schäffler, nicht
nachvollziehen. Wenn die FDP die Wahl hat, entweder
Anlegerschutz zu betreiben oder die Interessen der
Fondsindustrie zu vertreten, dann greifen Sie in eine andere Schublade und sagen: Wir vertreten die Interessen
der Fondsindustrie.
Früher hat es die Kostenvorausbelastung möglich gemacht, denjenigen, die Fonds verkaufen, Provisionen zu
zahlen. Das hat natürlich den Verkauf der betreffenden
Fonds, die im Ausland aufgelegt wurden, attraktiver gemacht. Aus der Sicht der Vermittler kann ich das verstehen. Es ist aber nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die
Kostenvorausbelastung dann auch beim Verkauf anderer
Fonds zuzulassen, damit hier ebenfalls Provisionen gezahlt werden können und damit die Verkäufer inländischer Fonds gegenüber Versicherungen und gegenüber
den Verkäufern ausländischer Fonds nicht benachteiligt
werden.
Das wäre so, als würden Sie einem Autoverkäufer,
der die Autos von zwei verschiedenen Firmen verkauft,
aber von einer Firma höhere Provisionen bekommt und
deswegen lieber Autos dieser Firma verkauft, sagen:
Jetzt legt der Gesetzgeber fest, dass die Autos beider Firmen gleich sind, damit Sie beide Autos gleichermaßen
verkaufen.
({2})
Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, dafür
zu sorgen, dass die Anleger und Anlegerinnen faire
Preise bekommen und dass die Spielregeln klar sind.
({3})
Wir haben klargestellt, dass die Kostenvorausbelastung in dieser Form nicht erlaubt ist und dass die Kosten
nicht auf den Anfangszeitraum der Investition beschränkt werden dürfen, sondern über die gesamte Laufzeit zu verteilen sind. Dadurch schaffen wir Wettbewerbsgleichheit. Wir sorgen dafür, dass die Kosten für
die Anleger nicht zu hoch sind. Selbstverständlich geben
wir der Fondsindustrie die Möglichkeit, den Vermittlern
und allen anderen, die ihre Produkte verkaufen, höhere
Provisionen zu zahlen. Gar nichts spricht dagegen. Es ist
aber nicht unsere Aufgabe, in der Fondsbranche für eine
Kostenentlastung zu sorgen.
Wenn wir diesen Gesetzentwurf verabschieden, wird
es möglich, neue Wege zu beschreiten, zum Beispiel bei
der Finanzierung öffentlich-privater Partnerschaften.
Ferner gibt es das neue Instrument des Mikrofinanzfonds, das vor allem für erfahrene Anleger geeignet ist;
dabei handelt es sich nämlich um ein extrem risikobehaftetes Produkt. In Zukunft wird es denjenigen, die sich
mit Mikrofinanzkrediten in der sogenannten Dritten
Welt engagieren wollen, möglich sein, dieses Produkt in
Deutschland zu kaufen.
Frau Kollegin Hauer, denken Sie an die Zeit, bitte.
Wir haben einen Gesetzentwurf, mit dem wir den
Standort Deutschland als Fondsstandort und als Anlegerschutzstandort stärken.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer
Vorschriften. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen
16/5576 und 16/5848 - in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen
Mehrheitsverhältnissen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7008? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist bei Zustimmung der Fraktion der FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7007? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP bei Zustimmung von Bündnis 90/
Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke.
Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss unter Nr. 2
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/661 mit dem Titel „Offene
Immobilienfonds - Marktstabilität sichern, Anlegervertrauen stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther ({1}), Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Recht der Sportwetten neu ordnen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemeinwohlbelange sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr,
Joachim Günther ({2}), Jens Ackermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Liberalisierung des Sportwettenmarkts in
Deutschland einleiten und europakonformes Konzessionsmodell vorlegen
- Drucksachen 16/1674, 16/3506, 16/6838 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Riegert
Dagmar Freitag
Katrin Kunert
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Klaus Riegert von der CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schauen
wir uns die Vorschläge der FDP einmal an! Der Glücksund Wettspielmarkt wird liberalisiert, die Einnahmeseite
verbessert und gleichzeitig Spielsucht unterbunden und
bekämpft, die diffizile rechtliche Problematik und die internationale Dimension werden generös geregelt - klingt
ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. So einfach
ist die Welt leider nicht.
({0})
Wir nehmen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wie auch dessen Begründung sehr ernst.
({1})
Die Vermeidung bzw. Eindämmung der Spielsucht hat
für uns einen hohen Wert. Wir wollen Menschen vor persönlichen Schicksalsschlägen und dem Ruin durch
Spielsucht möglichst schützen.
({2})
Liberalisierung um jeden Preis ist mit uns nicht zu machen.
({3})
Wir messen der Beibehaltung des staatlichen Monopols
eine hohe Priorität zu - unter Einbeziehung der internationalen Entwicklungen und technischen Möglichkeiten.
Das Glücksspiel in ganz Europa expandiert. Der
Glückspielmarkt in Deutschland hat ein jährliches Volumen von rund 27 bis 30 Milliarden Euro. Das ist immerhin das dreifache Volumen des deutschen Buchmarktes
und fast der Umsatz des Bekleidungsmarktes.
Jede Woche setzen Lottospieler rund 159 Millionen Euro ein, was einem Pro-Kopf-Umsatz von 1,93 Euro
in der Woche entspricht. Den größten Anteil am Volumen des deutschen Glücksspielmarktes haben die Spielbanken mit einem Volumen von rund 9 Milliarden Euro;
das sind knapp 30 Prozent. Danach folgt der Deutsche
Lotto- und Totoblock mit „6 aus 49“ und Oddset mit einem Anteil von rund 8,1 Milliarden Euro. Die Sportwetten spielen hier zurzeit eine eher untergeordnete Rolle.
Meine Damen und Herren, gemäß dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts gibt es zwei Alternativen:
Dem Gesetzgeber ist freigestellt, durch eine konsequente
Ausgestaltung des Wettmonopols sicherzustellen, dass
eine effektive Suchtbekämpfung und eine Begrenzung
der Wettleidenschaft erfolgt, oder er kann durch eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Veranstaltungen private Wettunternehmen zulassen.
({4})
Die Ministerpräsidenten und damit die Länder bzw., wie
Kollege Danckert formulieren würde, die Länderparlamente sind zuständig.
({5})
Alle 16 Landesregierungen haben sich für eine Beibehaltung des staatlichen Monopols ausgesprochen. In
14 Länderparlamenten hat die erste Lesung stattgefunden. Sie haben auf der Grundlage des Urteils das staatliche Lotteriemonopol weiterentwickelt, und sie halten
aus ordnungsrechtlichen Erwägungen das staatliche Monopol für geeignet, die vom Bundesverfassungsgericht
vorgegebenen ordnungsrechtlichen Ziele zu realisieren.
Die EU-Kommission hat nach Prüfung des Entwurfs
des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen das Recht
Deutschlands nicht infrage gestellt, Glücksspiele aufgrund des Allgemeininteresses, des Verbraucherschutzes, des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Spielsucht zu beschränken.
Herr Kollege Riegert, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Parr?
Gerne.
Bitte, Herr Parr.
Herr Kollege Riegert, ich entnehme einer Pressemitteilung der CDU-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein vom 10. Oktober 2007 - das war also unmittelbar
vor unserer Debatte -, dass der Fraktionsvorsitzende der
CDU in Schleswig-Holstein folgende Ausführungen gemacht hat:
Mit jeder Stellungnahme aus Brüssel wird deutlicher, dass Ministerpräsident Carstensen und die
CDU-Landtagsfraktion mit ihren Zweifeln an diesem Staatsvertrag von Beginn an Recht hatten.
Weiterhin steht in der Pressemitteilung:
Das ohnehin schon unzumutbare rechtliche Chaos
im Bereich der Sportwetten werde damit noch zunehmen. Gleiches gelte für die sich bereits jetzt abzeichnende Absenkung der aus den Glücksspielen
erwirtschafteten Fördermittel für Sport und kulturelle Zwecke.
Wie bewerten Sie die Aussagen Ihres Kollegen aus
Schleswig-Holstein?
({0})
Lieber Kollege Parr, ich werde nachher noch auf die
Diskussion im nordrhein-westfälischen Landtag eingehen. Ich halte es aber nicht für zielführend, dass wir hier
die Diskussion des Landtages Schleswig-Holstein führen. Tatsache ist: Dort hat sich die Landesregierung für
den Staatsvertrag entschieden,
({0})
und es hat eine erste Lesung stattgefunden. Sie können
davon ausgehen, dass der Staatsvertrag dort entsprechend der ersten Lesung auch in der zweiten und dritten
Lesung bestätigt wird.
Ich fahre fort.
Im EU-Vertrag ist explizit vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten frei sind, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und das angestrebte
Schutzniveau zu bestimmen. Die Beschränkungen müssen nur verhältnismäßig sein und dem Anliegen gerecht
werden, die Gelegenheit zum Spiel zu vermeiden.
Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Parr.
({1})
Ich darf Sie daran erinnern, dass der nordrhein-westfälische Landtag dem Staatsvertrag am 24. Oktober 2007,
also gerade erst, zugestimmt hat - und dies auch mit den
Stimmen der FDP.
({2})
Dazu habe ich ein interessantes Zitat gefunden. Landtagskollege Witzel hat die Verfassungs- und Europakonformität des Staatsvertrages in der Landtagsdebatte hervorgehoben.
({3})
Ich kenne Kollegen Witzel nicht, aber möglicherweise
kennt Detlef Parr ihn; denn Witzel ist FDP-Mitglied.
({4})
Ich zitiere Ralf Witzel:
Mit dem Entwurf des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen sowie dem Ausführungsgesetz in Nordrhein-Westfalen wird das staatliche Sportwettenmonopol … entsprechend den aktuellen politischen
und rechtlichen Vorgaben einschließlich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum
Glücksspiel in den Mitgliedstaaten auf eine verfassungskonforme Grundlage gestellt.
({5})
Wir sind über Parteitagsbeschlüsse nicht immer
glücklich, wie jüngste Beispiele zeigen, aber hier hat
wohl einmal die FDP parteiinternen Klärungsbedarf, lieber Detlef Parr.
({6})
Über eines müssen wir uns allerdings klar sein: Eine
Beibehaltung des Monopols unter Beachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichts wird zu einem Rückgang
der staatlichen Einnahmen führen. Damit verbunden ist
eine geringere Ausschüttung an die Destinatäre Kultur,
Sport und Umwelt. Hier müssen wir, aber insbesondere
die Länder, uns darüber Gedanken machen, wie wir die
wirtschaftliche Basis unseres gemeinnützigen Sports erhalten. Der Sportwettenmarkt in Deutschland hat sich in
den vergangenen Jahren gewaltig verändert. Das staatliche Unternehmen Oddset verzeichnet seit Jahren Umsatzeinbußen, weil private Anbieter aggressiv und teilweise
illegal in den Markt drängen. Das hat auch zu strukturellen Änderungen und einem veränderten Wettverhalten
geführt.
Der FDP-Antrag verknüpft die Forderung nach gesetzlich normierter und kontrollierter Zulassung privater
Anbieter von Sportwetten mit einer Fülle von Bedingungen, nämlich erstens den nationalen Markt für Sportwetten auch im Vergleich zum Ausland konkurrenzfähig zu
machen, zweitens ohne Einschränkung einen Teil der
Einnahmen - was immer das heißen mag - den Destinatären zuzuweisen, drittens gleichzeitig die Spielsucht zu
bekämpfen, viertens dem Jugendschutz Rechnung zu
tragen und fünftens Folge- und Begleitkriminalität zu
vermeiden. Das ist eine verheißungsvolle Aufzählung.
Die Realisierung dürfte aber kaum möglich sein.
({7})
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und, wie ich
glaube, auch für die SPD-Fraktion hat die Neuordnung
des Glücksspiel- und Wettspielmarktes klare Prioritäten:
Die Spielsucht und Spielleidenschaft müssen wirksam
bekämpft werden, wobei die Prävention Vorrang hat. Die
Finanzierung des gemeinnützigen Sports muss - notfalls
auch auf anderen Wegen - sichergestellt werden.
An diesen Grundsätzen sollten die Zielsetzungen einer Ordnung des Wett- und Glücksspielmarktes ausgerichtet werden. Das heißt: Staatsvertrag statt Kommerzmodell. Zuständig sind und bleiben die Länder.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDPFraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine
Diskussion geführt, die wir heute vorläufig abschließen.
Noch nie ist ein Bundesverfassungsgerichtsurteil dermaßen unterschiedlich und falsch interpretiert worden, sowohl von der Bundesregierung als auch von den Landesregierungen. Die Bundesregierung hat dieses Urteil sehr
selektiv zur Kenntnis genommen - Kollege Klaus
Riegert hat sich ebenfalls in diesem Sinne geäußert -, indem sie von den Alternativen, die das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt hat, nur eine Version, nämlich
das Festhalten am Monopol, herausstellt. Dabei wird die
zweite Möglichkeit übersehen, nämlich die Öffnung und
Liberalisierung des Marktes auf der Grundlage von Konzessionsmodellen oder dem Herausnehmen von Sportwetten aus dem Glücksspielstaatsvertrag.
Als Reaktion darauf haben die Länder mit Kanonen
auf Spatzen geschossen und den gesamten Glücksspielstaatsvertrag überarbeitet und neu formuliert. Das alles
geschah völlig ohne Not, da das Bundesverfassungsgericht ein Sportwettenurteil ausgesprochen hat, nicht
mehr und nicht weniger.
Die Konsequenzen sind schon heute ablesbar. Welt
Online hat am 18. Oktober folgende Zahlen für Berlin,
also nur für einen kleinen Teil der Bundesrepublik, veröffentlicht: im nächsten Jahr 30 Millionen Euro weniger
aus dem Glücksspiel- und Lotteriebetrieb für Sportvereine, Kunstaktionen und Sozialprojekte, 12 Millionen
Euro weniger Einnahmen aus der Lotteriesteuer,
900 000 Euro weniger aus dem Gewinnanteil der Nordwestdeutschen Klassenlotterie und 14 Millionen Euro
weniger Einnahmen aus der Spielbankabgabe. - Bundesweit wird mit 1 Milliarde Euro Einnahmeausfällen gerechnet, weil wichtige Werbewege wie Telefonanrufe
oder Mailings ab dem 1. Januar 2008 verboten sind,
wenn dieser Termin überhaupt noch zu halten sein wird.
Denn in einigen Bundesländern kriselt es gewaltig,
weil sich einige Abgeordnete ihrer Verantwortung für
die eingeleitete Fehlentwicklung durch stures Festhalten
am Staatsmonopol nach und nach bewusst werden, weil
einige Ausführungsgesetze in Brüssel noch notifiziert
werden müssen - das wird nicht überall gelingen; in
Schleswig-Holstein zum Beispiel sollen auf Antrag der
FDP noch Anhörungen stattfinden; Ähnliches gilt für
Baden-Württemberg und andere Bundesländer - und
weil die Entwicklung in den Nachbarländern zusätzliches Nachdenken erzwingt. So kommt in Frankreich Bewegung in die Szene. Präsident Sarkozy kann sich eine
kontrollierte Öffnung des Wettmarktes vorstellen. Er
will das Staatsmonopol bei Fußballwetten aufheben. Die
regierende Partei in Schweden hat entschieden, das
staatliche Glücksspielmonopol nicht weiter zu unterstützen und die Regelungen von England oder Italien zu
übernehmen.
Damit nicht genug: Wir alle kennen die eindeutigen
Stellungnahmen der Europäischen Kommission. Diese
müssten eigentlich auch in Düsseldorf angekommen
sein. Es ist bedauerlich, dass man das unterschiedlich bewertet, und zwar nicht nur in der FDP, sondern auch in
der SPD und der Union. In den Bundesländern gibt es
sehr unterschiedliche Positionen von Union und SPD.
Ich werde später auf die Position der nordrhein-westfälischen SPD eingehen.
({0})
Wir alle kennen jedenfalls die europarechtliche Lage.
Der Staatsvertrag widerspricht in wesentlichen Teilen
Europarecht. Alle kundigen Thebaner wissen: Dieser
Vertrag wird nicht lange überleben. Er ist eine Totgeburt.
Das geben auch die Befürworter eines Staatsmonopols
zu, allerdings - mutig - nur hinter vorgehaltener Hand.
Sie spielen auf Zeit, Zeit, in der Arbeitsplätze verloren
gehen und neue Wettbewerbsstrukturen zerschlagen
werden. Das ist mehr als fahrlässig.
Das Bundeskartellamt ist dabei, die Rote Karte zu zücken; auch das ist eine Adresse erster Güte. Die Wettbewerbshüter verweisen auf ein Urteil des EuGH, wonach
bei Verstößen nationalen Rechts gegen Gemeinschaftsrecht den betroffenen Unternehmen das entsprechende
Verhalten untersagt werden kann. Geldbußen sind möglich. Teuer für die Bundesländer können auch Schadenersatzansprüche werden. Der Staatsvertrag wird diesbezügliche Klagen nach sich ziehen, nicht nur der privaten
Anbieter und Spielevermittler. Vielmehr erwägt auch die
Deutsche Fußball Liga vor dem Hintergrund neuer
Rechtsunsicherheiten den Gang zu den Gerichten. Prominentester Mitstreiter ist Franz Beckenbauer, der heute
einen runden Tisch gefordert hat, um noch in letzter Minute Korrekturen vorzunehmen.
Herr Kollege Parr, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Riegert?
({0})
Gerne.
({0})
Bitte schön, Herr Riegert.
Lieber Herr Kollege Parr, da ich damit gerechnet
habe, dass Sie auf Herrn Beckenbauer verweisen werden: Können Sie den Kolleginnen und Kollegen im
Hause erläutern, warum Herr Beckenbauer das Monopol
nicht erhalten will?
Herr Kollege Riegert, er will das Monopol nicht erhalten, weil er ein Wettbewerbsfreund ist,
({0})
weil er möchte, dass auf dem Sportwettenmarkt - und
nur dort - die freien, privaten Anbieter eine Chance bekommen. Damit wäre dem Sport allgemein gedient,
nicht nur dem Fußball. Sie kennen die Alternativen, die
der DFB in einem Papier aufgezeigt hat. Ich mache meinen Mitstreitern im Sportausschuss den Vorwurf, dass
sie nicht einmal den Versuch gemacht haben, die Alternativen zum staatlichen Wettmonopol ernsthaft zu prüfen
und zu vergleichen, um dann zu vernünftigen Entscheidungen zu kommen. Das, was die Ministerpräsidenten
zurzeit betreiben, ist Harakiripolitik.
({1})
Wenn Herr Parr das genehmigt.
Gerne.
Bitte schön.
Würden Sie dem Hohen Hause bestätigen, dass in
dem Bericht, den Sie gerade hochgehalten haben, steht:
Der Bayern-Präsident fürchtet eine zunehmende
Benachteiligung der Bundesliga im europäischen
Vergleich.
Dann steht darin:
Beckenbauer schätzt, dass etwa 200 bis 300 Millionen Euro Werbegelder aus Deutschland abgezogen
werden und direkt an die Konkurrenz-Ligen in England, Spanien und Italien gehen, wo private Wettanbieter erlaubt sind.
Das steht doch ein bisschen im Widerspruch zu der Aussage, dass das allgemein dem Sport zugute kommt.
Das ist die Seite des Profifußballs, die richtig beschrieben ist. Die Seite des Breitensports, die Seite der
Kulturaktivitäten und die Seite anderer Gemeinwohlbelange habe ich anhand der rückläufigen Zahlen des Landes Berlin deutlich gemacht. Sie selber haben auf Oddset
hingewiesen. Auch deren Zahlen sinken. Wir in Nordrhein-Westfalen haben zum Beispiel das Problem, dass
wegen sinkender Einnahmen aus den Glücksspielen die
Sportstiftung dort nicht mehr finanziert werden kann und
deshalb durch steuerliche Zuschüsse unterstützt werden
muss. Das ist ein Alarmsignal erster Güte, das auch dieses Hohe Haus zur Kenntnis nehmen sollte.
Ich will nun zu den Ministerpräsidenten kommen. Der
gierige Blick der Ministerpräsidenten auf gleichbleibend
hohe Einnahmen aus den Zweckerträgen der Lotteriesteuer geht aus unserer Sicht ins Leere. Verlorene Kunden des Staatsmonopols werden nicht in den staatlichen
Schoß zurückkehren. Aktuelle Studien weisen nach, dass
vielmehr der Grau- und der Schwarzmarkt aufblühen werden. Der zweite Lösungsweg, den das Bundesverfassungsgericht aufgezeigt hat, ist aus unserer Sicht der einzig richtige und die einzige Alternative, die man ergreifen
sollte, um Rechtssicherheit zu schaffen, Spielsuchtgefahren angemessen zu begrenzen und sogar zusätzliche Mittel
für die Finanzierung des Sports und anderer Gemeinwohlbelange zu generieren. Konkrete Regulierungsmodelle
liegen vor und warten auf ihre Umsetzung.
Deswegen: Hände weg vom Glücksspielvertrag! Beschränken wir uns auf eine Neuordnung des Sportwettenmarktes, wie vom Bundesverfassungsgericht gefor12840
dert, und stellen wir uns jetzt schon auf ein Scheitern der
Länderinitiative und darauf ein, mit einem unverzüglichen Moratorium für den Staatsvertrag und einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz die Problematik der Sportwetten aus dem Glücksspielrecht der Länder
herauszunehmen und dem Bund in Form eines Konzessionsmodells oder einer gewerberechtlichen Lösung zu
übertragen.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
({0})
Das Wort hat der Kollege Martin Gerster von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin, ehrlich gesagt, noch immer erstaunt und schockiert,
mit welch harten Bandagen und mit welcher Beharrlichkeit Lobbyisten versuchen, dass der Sportwettenmarkt in
Deutschland liberalisiert wird. Wir erinnern uns: Ganze
Anzeigenserien wurden in den deutschen Tageszeitungen, in den Zeitschriften, ja sogar im Fernsehen und Radio geschaltet; wir haben die Plakate in den Straßen gesehen; Kongresse und Tagungen wurden und werden mit
dem einen Ziel veranstaltet, den Sportwettenmarkt in
Deutschland zu liberalisieren. Das zeigt, wie viel Geld
dahintersteckt, und das zeigt letztendlich auch, wie gefährlich das Geschäft mit Sportwetten und Glücksspielen
insgesamt ist.
({0})
Ich füge hinzu: Es ist beschämend, dass sich eine
Fraktion des Deutschen Bundestages so vor den Karren
von Lobbyisten spannen lässt.
({1})
Da werden Veranstaltungen und Tagungen der FDP von
privaten Wettanbietern unterstützt und bezahlt, wie wir
es bei der letzten Debatte erfahren haben. Die FDP ist
sich auch nicht zu schade, hier wieder die Debatte zu
führen, obwohl wir auf einem guten Weg sind und sich
die Bundesländer mitten im Ratifizierungsprozess befinden. Falsches wird durch Wiedervorlage nicht besser.
({2})
Gerade in diesen Tagen wird deutlich, wie wichtig
dieses Thema ist und wie gut es ist, dass wir uns hier zusammen mit den Ländern auf dem richtigen Weg befinden. Insider aus dem Tennis behaupten, dass seit Jahren
Wettbetrug in großem Stil betrieben wird. Dabei geht es
nicht nur um einen Spieler, sondern um sehr viele Spiele
und sehr viele Spieler und Spielerinnen. Der WDR
spricht von einem Millionengeschäft, bei dem verdächtige Spieler weit mehr Geld eingestrichen haben, als sie
bei einem Turniersieg gewonnen hätten. Die größten Gewinne sind laut diesem Bericht mit Live-Wetten erzielt
worden, also mit Wetten während der Tennisspiele, bei
denen man beispielsweise darauf wetten konnte, wer den
nächsten Satz gewinnt oder ob jemand durch Verletzung
aufgibt. Dem muss man einen Riegel vorschieben. Was
hier geschehen ist, ist letztendlich auch für mich der
beste Beweis dafür, dass eine Liberalisierung des Sportwettenmarktes in Deutschland der falsche Weg ist.
({3})
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es geht nicht
darum, Sportwetten generell zu verbieten. Sportwetten:
Ja - aber bitte schön in einem regulierten Markt, weil
wir den Sport vor Betrug schützen müssen. Wir befinden
uns hier im Übrigen in Übereinstimmung mit dem organisierten Sport. Erst in der letzten Debatte konnten wir
aufzählen, wie viele Sportverbände, Sportvereine, sogar
Sportlerinnen und Sportler sich zu Wort melden und darum bitten, dass wir den regulierten Markt erhalten.
({4})
Herr Parr, Franz Beckenbauer wurde von Ihnen angesprochen. Auch ich bin dafür, dass die deutschen Vereine
in der Champions League gut abschneiden und wettbewerbsfähig sind. Auch mir tut es weh, dass der
VfB Stuttgart so schlecht abgeschnitten hat. Aber in der
Abwägung, entweder über private Wetten Millionen für
die Champions League einzunehmen oder den Schutz
von Kindern und Jugendlichen vor Spielsucht zu gewährleisten, ist mir Letzteres bedeutend wichtiger.
({5})
Das Hauptargument für den regulierten Markt ist
eben: Wir müssen diejenigen schützen, die gerne wetten,
und zwar vor der Spielsucht, die mit dem Glücksspiel
verbunden ist. Das ergibt sich für mich aus Art. 2 des
Grundgesetzes, wonach wir Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung tragen. Spielsucht ist nachweislich eine weitverbreitete Krankheit. Mit einer gesetzlichen Regelung für den Glücksspielbereich kommen
wir der Pflicht nach, unsere Bürger, vor allem unsere
Kinder und Jugendlichen, vor dieser gesundheitlichen
Gefahr zu schützen, indem wir klare Regeln setzen.
({6})
Übrigens hat im Landtag von Baden-Württemberg
gestern die erste Lesung des entsprechenden Gesetzentwurfes stattgefunden. Die dortige FDP-Fraktion hat wie
alle anderen Fraktionen signalisiert: Wir werden zustimmen. - So kräftig sind die Muskeln der FDP in BadenWürttemberg also nicht, wie Sie noch in der letzten Debatte angedeutet haben.
Herzlichen Dank.
({7})
Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat jetzt das Wort
für die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Das FDP-Präsidium hat im September den Bundesrat aufgefordert, eine länderübergreifende
Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer marktwirtschaftlichen Neuordnung des Sportwettenrechts einzusetzen.
Der Bundesrat ist der Forderung des FDP-Präsidiums offensichtlich nicht gefolgt. Aber ich kann Sie trösten,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Der Bundesrat folgt auch nicht immer den Aufforderungen unseres Parteivorstandes.
({0})
So weit sind wir mit dem Linksruck in unserem Land
doch noch nicht.
({1})
Der Staatsvertrag wurde von allen Ländern unterzeichnet. Die FDP, die in drei Bundesländern an der Regierung beteiligt ist, hat diesem Staatsvertrag in allen
drei Ländern zugestimmt. Hier haben Sie also ein Glaubwürdigkeitsproblem, meine Damen und Herren von der
FDP. Eigentlich müssten Sie Ihren Antrag in Anbetracht
der Entscheidung Ihrer Parteikollegen in den Ländern
still und leise zurückziehen.
({2})
- Danke schön.
In Ihrem Antrag fordern Sie, das staatliche Wettmonopol zu verscherbeln, weil Ihnen die Wettlobby im Nacken sitzt und das ganz große Geschäft wittert. In
Deutschland liegt der Wettspieleinsatz pro Kopf bei
33 Dollar, in Großbritannien bei 627 Dollar und in
Hongkong sogar bei 1 848 Dollar. Da verstehe ich natürlich, dass in den Augen der Lobbyisten die Dollarzeichen nur so blitzen. In Deutschland kann man einen
zweistelligen Milliardenbetrag erwirtschaften, wie eine
Studie des Kölner Institutes Sport + Markt prognostiziert
hat. Leider steht dem nur noch - so klagen die Wettlobbyisten - das staatliche Wettmonopol im Wege. Wir sagen: Das ist richtig und gut so.
({3})
Als Wolf im Schafspelz kommt die FDP daher, wenn
sie in ihrem Antrag die Kriterien für die Vergabe von
Konzessionen streng formuliert, zum Beispiel persönliche Zuverlässigkeit, fachliche Eignung, effektiver Jugendschutz usw.
Bemerkenswert finde ich die Formulierung in einer
FDP-Presseerklärung, dass - ich zitiere - „der Zustand
rechtlicher Unsicherheit … eines Rechtsstaates nicht
würdig und für die Betroffenen“ - gemeint ist die Wettlobby - „schlichtweg unzumutbar ist“.
Solch einen Satz habe ich noch nie von der FDP gehört, wenn es um die zunehmende rechtliche Unsicherheit von Millionen von Beschäftigten geht, die durch
prekäre Arbeitsverhältnisse in immer schlimmere Lebenslagen gedrängt werden.
({4})
Die Tränen, die Sie für die Wettlobby vergießen, lassen
99 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land
kalt, und das zu Recht.
Wir als Linke sehen im staatlichen Wettmonopol die
beste Voraussetzung, um die von Ihnen aufgeschriebenen Kriterien - die wohl allerdings nicht ganz ernst gemeint sind - zu erfüllen.
({5})
Eine Kommerzialisierung macht nur die Wettbüros reich
und treibt die Menschen in die Arme von Zockern, denen das Schicksal der Spielerinnen und Spieler gleichgültig ist.
({6})
Ich bin keine Freundin von Glücksspielen, weil ich mehr
Menschen kenne, die durch Glücksspiel unglücklich geworden sind, als Menschen, die dadurch glücklich geworden sind.
Wir als Linke lehnen den Antrag der FDP ab und gehen davon aus, dass die Bundesregierung das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts nutzt, um die Wettsucht konsequent zu bekämpfen und illegale Wetten weit intensiver als bisher zu verfolgen.
Vielen Dank.
({7})
Jetzt hat der Abgeordnete Winfried Hermann für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Parr, ein Kompliment will ich
Ihnen vorab machen: Es ist Ihnen gelungen, dass wir uns
hier im Plenum zweimal mit derselben Sache, nur in unterschiedlichen Varianten der Texte, befassen. Sie haben
sich selbst nicht ganz ernst genommen, als Sie gesagt haben, wir hätten uns nie ernsthaft damit auseinandergesetzt. Wir hatten hier zwei ernsthafte Debatten, und im
Ausschuss haben wir auch noch einmal ernsthaft diskutiert und die Argumente abgearbeitet.
({0})
Das haben Sie immerhin erreicht.
Aber, Kollege Parr, Folgendes möchte ich Ihnen auch
noch mit auf den Weg geben: Früher hat die FDP für die
Freiheit der Menschen gekämpft, heute kämpft sie für
die Freiheit der Spielwetten. Das ist der qualitative Unterschied.
({1})
Man fragt sich allen Ernstes, warum und mit welcher Penetranz die FDP gerade bei diesem Thema für die Liberalisierung kämpft.
Sie sagen - das gebe ich Ihnen gern zu -, dass Sie
nicht eine totale Liberalisierung, sondern eine lizenzierte
Konzessionsabgabe einführen und den Markt ordnen
wollen, aber man hat doch, wenn man die Liste der Kriterien liest, den Eindruck, dass dies nur gemeinnützige
Alibi-Kriterien sind. Fakt ist, dass ein Markt geöffnet
werden soll. Kollege Parr, als Mitglied einer Partei der
Marktwirtschaft muss man schon auch einmal darüber
nachdenken, was ein Marktmodell hergibt und wozu es
taugt. In Bereichen, in denen nicht genügend Produktion
vorhanden ist und man über den Marktmechanismus und
die Nachfrage die Produktion stimulieren und damit die
Versorgung verbessern will, ist der Markt genau das
richtige Modell. Aber in einer Situation, in der schon ein
gigantisches Potenzial vorhanden ist und in der man
Sorge hat, dass noch mehr Sportwetten angeboten werden und Spielsucht erzeugt wird, darf man nicht mit dem
Marktmodell argumentieren und darf man auch nicht mit
einem neuen Konzessionsmodell dafür sorgen, dass noch
mehr Spiele und verrückte Wetten stattfinden können.
Da ist allerhöchste Vorsicht angesagt und meines Erachtens staatliche Verantwortung gefragt.
({2})
Ich bin froh, dass nach reichlichen Diskussionen in
den Landtagen - die von Ihnen vorgetragene Position hat
natürlich auch in den Landtagen Widerhall gefunden und den Landesregierungen alle Bundesländer - auch
die, in denen Sie beteiligt sind - schlussendlich gesagt
haben, dass das ein gefährliches Feld ist und das staatliche Monopol daher gerechtfertigt ist. Aber wir müssen
uns an die eigene Nase fassen und zukünftig mehr gegen
Spielsucht tun; wir dürfen nicht nur ein Einnahmeinstrument schaffen, das lediglich dazu da ist, dem Sport und
der Kultur Mittel zuzuführen.
Herr Kollege, der Kollege Parr würde Ihnen gerne
eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?
Der Kollege Parr ist heute sehr nett. - Bitte schön.
Herr Kollege Hermann, wie beurteilen Sie denn die
Äußerung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
nach der eine konsistente Suchtbekämpfung durch den
Staatsvertrag nicht möglich ist, er abgelehnt wird und
- ich zitiere - Rechtssicherheit und ein klug geregelter
Glücksspielmarkt die Voraussetzungen dafür sind, dass
die Zweckabgaben möglichst konstant bleiben? Was ist
denn ein klug geregelter Glücksspielmarkt? Handelt es
sich dabei um das Festhalten am Monopol?
Ehrlich gesagt, Herr Kollege Parr, weiß ich nicht, woraus Sie zitiert haben. Ich vermute, dass Sie irgendeinen
Landtagsabgeordneten aus einer Debatte zitiert haben,
so wie der Kollege vorher aus Ihrer Fraktion zitiert hat.
Wir sollten uns nicht vorhalten, dass es in Fraktionen unterschiedliche Meinungen gibt, dass in den Landtagen
anders diskutiert wurde.
({0})
Festhalten muss man, was am Schluss herauskommt.
Am Schluss unserer grünen Debatte kommt heraus: Der
Staatsvertrag ist das richtige Instrument. Aber wir erwarten von den Ländern, dass sie aktiv mehr gegen Spielsucht tun. Insofern gebe ich dem Kollegen - wahrscheinlich ist er aus Nordrhein-Westfalen - recht, dass der
Staatsvertrag allein nicht ausreicht und dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen, an der die FDP beteiligt ist, zu wenig gegen Spielsucht tut. Das war wohl der
Hintergrund der Kritik. Insofern kann ich ihn verstehen.
Ich will das Ganze überhaupt nicht kleinreden. Es gab
auch in unserer Fraktion die Überlegung: Könnte ein
Konzessionsmodell eine Möglichkeit sein? Wir haben
diskutiert und am Schluss gesagt: Nein, das ist für diesen
Bereich das falsche Modell. Wir wollen in diesem Bereich kein Wachstum durch Markt schaffen, wir wollen
hier eine klare Begrenzung. Wir wollen auch nicht das
Argument des Einnahmeausfalls als Vorwand dafür nehmen, die Schleusen zu öffnen und der Spielsucht, die
nach unserer Meinung bekämpft werden muss, sozusagen Tür und Tor zu öffnen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, in dieser Debatte wird das Richtige gesagt. Es ist ja auch nicht die
erste Debatte. Aus grüner Sicht ist der Staatsvertrag, so
wie er jetzt zustande gekommen ist, eine gute Sache. Ich
sage aber deutlich dazu: Der Vertrag ist das eine, die
praktische Anti-Spielsucht-Politik ist das andere.
Ich erwarte von den Lotto-Toto-Gesellschaften, dass
sie sich entsprechend verhalten und in ihrer Werbung
entsprechend zurückhaltend sind. Ich erwarte übrigens
auch vom Sport, der jahrzehntelang davon profitiert hat,
dass er dieses Modell und auch diese Politik mitträgt und
unterstützt; denn die Einzigen im Sport, die sozusagen
den anderen Weg gesucht haben und Sie vorgeschickt
haben, waren genau die Profiorganisationen - Fußballliga, Vereine -, die gehofft haben, über die Privatisierung neues Geld zu schöpfen. Das sind nicht die armen
Breitensportler, sondern die, die sowieso schon viel zu
viel Geld haben und viel zu viel Geld verbraten. Die
wollten sich eine zusätzliche Einnahmequelle schaffen.
Wir geben uns dafür nicht her. Die FDP ist dafür offenbar ein Sprachrohr.
Vielen Dank.
({2})
Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Irgendwie - das gestehe ich ganz offen - tut der Kollege Parr
mir leid.
({0})
Er versucht, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hier eine bestimmte Position deutlich zu machen
- für die FDP immer wieder mannhaft -,
({1})
und dann muss er sich von uns auch noch beschimpfen
lassen.
({2})
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
28. März 2006 hat in der Tat zwei Wege aufgewiesen:
eine Regelung durch einen Staatsvertrag, für den die
16 Bundesländer zuständig sind, zu treffen oder - das
war ein Novum in dieser Entscheidung - eine neue Bundeskompetenz zu nutzen, die dann beim Bundeswirtschaftsminister angesiedelt ist, und damit eine konzessionierte und liberalisierte Regelung zu ermöglichen.
Das sind die beiden Wege. Die Länder haben sich dafür
entschieden, lieber Kollege Parr, das Staatsmonopol zu
regeln. Sie haben sich sehr viel Zeit dafür gelassen. Das
Urteil ist vom 28. März 2006, und noch ist der Staatsvertrag nicht ratifiziert; er wird ratifiziert werden.
Dieser Fall ist deshalb interessant, sicherlich auch für
die Öffentlichkeit, weil er zeigt, wie Politik läuft. Sie
setzen sich hier vehement für eine Liberalisierung des
Sportwettenmarkts ein, und die FDP in den Bundesländern - das ist hier schon mehrfach angeklungen - macht
genau das Gegenteil:
({3})
In den Ländern, in denen sie Regierungsverantwortung
mitträgt, setzt sie sich für das Staatsmonopol ein.
({4})
Das ist eine schizophrene Situation.
Lieber Kollege Parr, sie tun mir wirklich leid - ich
meine das ganz ernst -, weil Sie hier sozusagen als einsamer Rufer für die Bundes-FDP auftreten und in den
Ländern genau das Gegenteil passiert. Die Position der
Länder ist ganz verständlich. Es geht dabei um sehr viel
Geld: 4,5 Milliarden Euro pro Jahr werden im Bereich
der Glücksspiele, bei Toto und Lotto sowie bei Sportwetten, an die öffentliche Hand verteilt. Man ist in NRW
auch deshalb so schnell gewesen, weil dieses Land ein
großes Stück vom Kuchen erhält, nämlich 900 Millionen Euro. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür,
dass sich die FDP und ihr Innenminister Wolf, der für
Sport zuständig ist, für diese Regelung ausgesprochen
haben. Bayern und Baden-Württemberg, die zusammen
mit NRW fast zwei Drittel dieser 4,5 Milliarden Euro erhalten, sind natürlich auch dafür.
Jetzt nähere ich mich Ihrer Auffassung, Herr Kollege
Parr. Hier hat sich die Union der Position von Klaus
Riegert und Dagmar Freitag sowie der AG Sport, des
Fachausschusses, angeschlossen: Wenn die Länder die
Initiative ergreifen, dann sollen sie das auch regeln. Das
heißt nicht, dass wir sicher sind, dass es zum Erfolg
führt; aber die Bundesländer tragen dafür die Verantwortung.
({5})
- Ja, ich sage gar nicht, dass wir so weit voneinander
entfernt sind. - Ich glaube, dass die Bundesländer hier
eine große Verantwortung zu tragen haben; denn sie haben mit dem neuen Staatsvertrag, der jetzt ratifiziert
wird, nicht nur den kleinen Bereich der Sportwetten geregelt, sondern zugleich - das ist ein wenig untergegangen - die Bereiche Toto und Lotto.
Nun sind die Geschütze schon an allen Ecken und Enden aufgestellt. Die Rechtsprechung in diesem Bereich
war schon bisher sehr uneinheitlich. Gerade hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof zugelassen, dass Bet and
Win im Internet Wetten anbietet; der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat auch so entschieden. Es gibt ganz
unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen. Die Lage
ist also unübersichtlich. Hinzu kommt die Position der
EU-Kommission, die immer wieder Hinweise gegeben
hat.
Wir befinden uns hier in einer problematischen Situation. Die Länder wollen mit dem Staatsvertrag die
Suchtgefahr bekämpfen. Das Glücksspiel, bei dem die
Suchtgefahr nachweislich am größten ist, nämlich bei
den Einarmigen Banditen - dadurch kommt unheimlich
viel Geld in die Kasse -, ist staatlich erlaubt. Das ist ein
ziemlicher Widerspruch.
({6})
Nun wird möglicherweise Folgendes passieren - es
ist eine Gefahr, die ich sehe -: Durch eine Entscheidung
der EU, des Europäischen Gerichtshofs, könnte dieser
Staatsvertrag sozusagen außer Kraft gesetzt werden.
Dann befänden wir uns in der unangenehmen Situation
- darauf haben Sie noch nicht aufmerksam gemacht -,
dass nicht nur das Monopol für Sportwetten einkassiert
wird, sondern in gleicher Weise das Monopol von Toto
und Lotto. Dann würde das Geld fehlen, das wir dringend für unseren Sport brauchen. Uns fehlten dann
500 Millionen Euro für den Breitensport.
({7})
Insofern hoffe ich, dass die Länder dies gut bedacht haben und, wenn das alles den Bach runtergeht, bereit sein
werden, die fehlenden Einnahmen aus Toto und Lotto,
die der Breitensport dringend braucht, zu ersetzen. Da
bin ich allerdings sehr gespannt auf die Reaktionen.
({8})
Wir befinden uns hier in einer schwierigen Lage. Wir
haben uns dafür entschieden, dass die Länder, die die
Verantwortung tragen wollen, sie auch übernehmen. Wir
haben keinen Gebrauch von der Bundeskompetenz gemacht. Wir werden sehen, wie sich die Dinge in den
nächsten Wochen und Monaten entwickeln.
Herr Kollege!
Die FDP, die das Ganze in den Ländern hätte verhindern können, hat das nicht getan. Das ist die Wahrheit,
Herr Kollege Parr. Insofern sind Sie in einer wenig beneidenswerten Situation. Ich kann Ihnen aber bestätigen:
Sie haben das hier immer wieder mannhaft ausgehalten.
Vielen Dank.
({0})
Ich hätte Ihnen fast bestätigt, dass Sie die Redezeit
weit überzogen haben.
Ich schließe hiermit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus-
schusses auf Drucksache 16/6838. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/1674 mit dem Titel „Recht der Sportwetten neu ord-
nen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemein-
wohlbelange sichern“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen gegen
die Stimmen der Fraktion der FDP bei Zustimmung des
übrigen Hauses.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/3506 mit dem Titel „Libera-
lisierung des Sportwettenmarkts in Deutschland einlei-
ten und europakonformes Konzessionsmodell vorlegen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a und b so-
wie Zusatzpunkt 8 auf:
13 a) -Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung
- Drucksache 16/6539 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0})
- Drucksache 16/6983 Berichterstattung:
Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk
- Bericht des Haushaltsausschusses ({1})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6989 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel Bahr
({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Abgabenfreie Entgeltumwandlung über
2008 hinaus fortführen und ausbauen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beitragsfreie Entgeltumwandlung - Erst
prüfen, dann entscheiden
- Drucksachen 16/6433, 16/6606, 16/6983 Berichterstattung:
Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk
ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian
Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur
für Arbeit marktgerecht ausgestalten - private
Arbeitsvermittlung stärken
- Drucksachen 16/1675, 16/6987 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.
Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, darüber
eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen
Widerspruch.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dann eröffne ich hiermit die Aussprache und gebe das
Wort der Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPDFraktion.
({5})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Sachverständigenanhörung am Montag hat klar bestätigt: Wir sind bei der Förderung der Betriebsrente auf dem richtigen Weg.
({0})
Beinahe einmütig wurde begrüßt, dass die Große Koalition die betriebliche Altersvorsorge durch die unbefristete Sozialabgabenfreiheit bei der Entgeltumwandlung
weiter fördern und ihren Verbreitungsgrad in Deutschland voranbringen will. Beschäftigte können nun auch
nach 2008 einen Teil ihres Bruttoentgelts steuer- und sozialabgabenfrei im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge ansparen. Ohne den vorliegenden Gesetzentwurf
wäre diese attraktive Möglichkeit Ende 2008 ausgelaufen. Ich freue mich, dass auch die FDP ihre Zustimmung
geben will
({1})
und wir somit im Bundestag eine breite Basis für den
Gesetzentwurf haben.
({2})
Die Linksfraktion und die Grünen wollen sich allerdings verweigern.
({3})
Sie kritisieren, dass die Abgabenfreiheit nicht vertretbare Ausfälle in den gesetzlichen Sozialkassen zur Folge
habe. Das, was die Opposition jetzt an Argumenten vorbringt, sind keineswegs neue Problemstellungen. Schon
2001, als wir gemeinsam mit den Grünen die abgabenfreie Entgeltumwandlung auf den Weg gebracht haben,
war klar, dass es zu Ausfällen in den gesetzlichen Sozialversicherungen kommen wird.
Da drängt sich doch eine Frage geradezu auf: Warum,
liebe Kolleginnen von den Grünen - Kollegen sind ja
nicht mehr anwesend -, haben Sie die Abgabenfreiheit
überhaupt mit uns beschlossen,
({4})
wenn Sie so große Zweifel an ihrer Richtigkeit haben?
Ziehen Sie sich jetzt bitte nicht auf die Befristung des
Gesetzes bis 2008 zurück; denn das ist total unglaubwürdig.
({5})
Wären Sie schon 2001 so überzeugt von den von Ihnen
heute kritisierten negativen Auswirkungen gewesen, so
hätten Sie das Gesetz überhaupt nicht beschließen dürfen.
({6})
Ansonsten hätten Sie sieben Jahre billigend in Kauf genommen, dass die Förderung der betrieblichen Altersvorsorge die gesetzlichen Sozialkassen Geld kostet.
({7})
Warum - so frage ich Sie - haben Sie nicht schon 2001
im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine Prüfung
der Verteilungswirkungen beantragt? Warum, liebe Kolleginnen von den Grünen, kommen Sie erst jetzt mit dieser Forderung in Ihrem Antrag?
({8})
Es ist Ihr gutes Recht, sich von unserer gemeinsamen
Regierungsvergangenheit zu verabschieden. Aber glaubwürdig sollte man dabei schon bleiben. Glaubwürdigkeit, liebe Kolleginnen von den Grünen, sehe ich bei Ihnen nicht. Im Gegenteil: Das, was Sie hier vorlegen, ist
eine politische Kehrtwende ersten Ranges.
({9})
Wie sieht es aber tatsächlich mit den Verteilungswirkungen durch den Ausfall der Sozialabgaben aus? Zahlen Rentnerinnen und Rentner, die nicht privat oder über
ihren Betrieb vorgesorgt haben, die Zeche? Genau das
behaupten ja die Grünen und die Linksfraktion. In der
Anhörung ist sehr deutlich geworden - auch die Bundesregierung hat dies in ihrem Bericht in der letzten Ausschusssitzung bestätigt -: Die Ausfälle bei den gesetzlichen Sozialkassen sind vertretbar. Dies bestätigt
übrigens auch die hauptsächlich betroffene Organisation,
nämlich die gesetzliche Rentenversicherung. Sie sagt,
die Beibehaltung der Sozialabgabenfreiheit werde einen
vermutlich nicht übermäßig großen Effekt auf die gesetzliche Rentenversicherung haben.
Wer übrigens genaue Berechnungen fordert, wie die
Grünen jetzt in ihrem Antrag, kann lange warten; denn
solche Berechnungen sind überhaupt nicht möglich.
Man kann immer nur schätzen und spekulieren,
({10})
da niemand weiß, wie sich die Menschen verhalten,
wenn die Abgabenfreiheit wegfällt und die Entgeltumwandlung sich entsprechend verteuert. Die Praktiker vor
Ort, also die Betriebsräte, die Gewerkschaften, aber auch
Arbeitgeberverbände und Wissenschaftler, gehen davon
aus, dass es logischerweise zu Ausweichreaktionen
kommen würde. Verträge könnten gekündigt und das
Geld in dann attraktivere Anlagemöglichkeiten gesteckt
werden. Abgesehen davon, dass bei Wegfall der Beitragsfreiheit Millionen Verträge mit großem bürokratischem Aufwand umgeschrieben und Tarifverträge neu
ausgehandelt werden müssten, ist es also mehr als frag12846
lich, ob unter dem Strich wirklich ein dickes Plus für die
gesetzlichen Sozialkassen stünde.
Wir haben das Für und Wider schon bei Einführung
der abgabenfreien Entgeltumwandlung sehr genau abgewogen. Für uns steht heute fest: Die Förderung der betrieblichen Altersvorsorge ist der richtige Weg.
({11})
Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von
der Linksfraktion: Auch Sie wettern gegen die Abgabenfreiheit. Das ist schon bemerkenswert.
({12})
Die Gewerkschaften wollen das Gesetz. Sie lehnen es ab
und distanzieren sich dadurch deutlich von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland.
({13})
Dabei lassen Sie doch sonst keine Gelegenheit aus, sich
als die einzigen und wahren Verfechter gewerkschaftlicher Interessen im Bundestag zu präsentieren.
Meine Damen und Herren, die Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte haben es in der Anhörung auf den
Punkt gebracht: Die abgabenfreie Entgeltumwandlung
hilft insbesondere Klein- und Mittelverdienern, Lücken
in der gesetzlichen Rente zu schließen.
({14})
- Die sollten Ihnen bei Ihrem Abstimmungsverhalten
auch kommen. - Diese Menschen haben nämlich nichts
von der Steuerbefreiung; sie zahlen ja keine oder nur in
sehr geringem Maße Steuern. Sie profitieren deshalb
ganz besonders von der Sozialabgabenfreiheit. Das
bringt ihnen Pi mal Daumen 20 Prozent.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, um es deutlich zu sagen: Sie stellen sich heute gegen die Interessen von rund 9 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die tarifvertraglich geregelt
für das Alter vorsorgen.
({15})
Wir hingegen stehen an der Seite dieser Menschen
und geben ihnen die Planungssicherheit, die sie für ihre
Altersvorsorge brauchen.
({16})
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Über
65 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben in Deutschland inzwischen Anwartschaften
auf eine betriebliche Altersvorsorge.
({17})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, die wir auf jeden Fall fortsetzen.
({18})
Mit dem heutigen Gesetzentwurf fördern wir nicht
nur die Betriebsrente, wir stärken auch die staatlich geförderte private Altersvorsorge, die Riesterrente. Auch
dies ist die konsequente Fortführung erfolgreicher sozialdemokratischer Politik.
Seit 2002 haben sich rund 9,7 Millionen Menschen
entschlossen, mithilfe staatlicher Förderung privat vorzusorgen. Mit der heutigen Gesetzesänderung werden
wir die 10-Millionen-Grenze locker knacken; denn wir
machen die Riesterrente noch attraktiver. Für alle ab
2008 geborenen Kinder erhöhen wir die jährliche Zulage
von 185 Euro auf 300 Euro.
({19})
Ich fasse zusammen: Die große Koalition gibt den
vielen Millionen Menschen, die in Deutschland betriebliche Altersvorsorge betreiben, Planungssicherheit. Wir
ermuntern Arbeitgeber und Beschäftigte, weiterhin die
tariflich fixierte Altersvorsorge zu nutzen. Wir stärken
die Riesterrente und verlängern darüber hinaus die Regelung zum Vermittlungsgutschein.
Wir verabschieden heute ein Maßnahmenpaket, das
gut ist für die Beschäftigten in Deutschland. Deshalb:
Stimmen Sie zu!
({20})
Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der vorliegende Gesetzentwurf zur Fortführung der abgabenfreien Entgeltumwandlung, zur Erhöhung des Kinderzuschlages bei der Riesterrente und zur Neuregelung
bei der Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine für
private Arbeitsvermittler entspricht Forderungen, die die
FDP schon lange vertritt, zeitweilig als einzige Fraktion
in diesem Hause.
({0})
Frau Hiller-Ohm, als Sie die Grünen für ihr Unterlassen in der Vergangenheit beschimpft haben, kam mir
Folgendes in den Sinn: Noch im März dieses Jahres hat
es der zuständige Minister abgelehnt, die abgabenfreie
Entgeltumwandlung über 2008 hinaus zu verlängern.
Jetzt haben Sie sich hier hingestellt und so getan, als ob
die Verlängerung immer eine klare Sache gewesen wäre.
Ich halte fest: Nur die FDP hat die Bedeutung dieses Instruments immer erkannt und seit Jahren eine Verlängerung über 2008 hinaus gefordert.
({1})
Allerdings könnte der Gesetzentwurf in einigen Punkten weitergehend sein. Sie haben aber die Möglichkeit,
insbesondere was die Vermittlungsgutscheine anbelangt, durch Zustimmung zu den vorliegenden FDP-Anträgen sozusagen in letzter Minute Verbesserungen mit
auf den Weg zu bringen.
Auf die abgabenfreie Entgeltumwandlung will ich
jetzt nicht näher eingehen. Die Anhörung hat gezeigt,
dass die Fortführung der Abgabenfreiheit sinnvoll und
notwendig ist, wenn man dieses Instrument auch in Zukunft haben will. Ich glaube, dass wir diese Form der zusätzlichen Altersvorsorge brauchen, weil sie in Zukunft
wesentlich dazu beitragen wird, den Lebensstandard der
Ruheständler zu sichern. Das ist angesichts erkennbarer
Versorgungslücken sehr wichtig.
Der Bericht „Situation und Entwicklung der betrieblichen Altersvorsorge in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst 2001 bis 2006“ unterstreicht meine Aussage. Man muss berücksichtigen, dass ein Auslaufen der
Abgabenfreiheit und die damit einhergehende doppelte
Beitragspflicht zur Krankenversicherung in der Einzahlungs- und Auszahlungsphase die Entgeltumwandlung
für die Versicherten völlig unattraktiv machen würde
und vor allen Dingen eine Schlechterstellung gegenüber
privaten Vorsorgemöglichkeiten bedeuten würde. Das
war schon immer vollkommen klar. Ich kann nicht verstehen - das möchte ich noch einmal sagen -, dass einige
in diesem Hause zwischenzeitlich daran gezweifelt haben.
Das Instrument der Abgabenfreiheit kann man nicht
einfach durch eine steuerliche Förderung ersetzen, weil
gerade Geringverdiener von der Beitragsfreiheit profitieren, nicht aber von Steuererleichterungen. Deswegen ist
dieses Instrument wichtig.
Kritisch wurde angemerkt, dass finanzielle Auswirkungen der Abgabenfreiheit auf die Rentenversicherung
zu verzeichnen wären. Das ist eine Abwägungsentscheidung. Für die Fortführung spricht, dass bei Auslaufen
der Abgabenfreiheit Ausweichreaktionen zu erwarten
wären. Wenn zum Beispiel ein Arbeitgeber eine rein arbeitgeberfinanzierte Betriebsrente anbieten würde, würden auch keine Sozialabgaben gezahlt werden. Die Aufhebung der Abgabenfreiheit würde nur zu einer
marginalen Anhebung des Rentenwertes führen. Durch
Veränderungen des Rentenniveaus wird am Ende nur
derjenige benachteiligt sein, der es jetzt versäumt, eine
entsprechende Vorsorge im Wege der Entgeltumwandlung auf den Weg zu bringen. Alle anderen profitieren.
Das gesetzliche Rentenniveau wird zwar niedriger sein.
Sie stocken ihre Rente aber auf und gleichen im Wege
der zusätzlichen Altersvorsorge durch die Entgeltumwandlung mehr als aus.
Ich habe für die FDP auch im Ausschuss schon deutlich gemacht, dass wir uns wünschen, Gewinnbeteiligungen künftig stärker als bisher für die Altersvorsorge und
für Entgeltumwandlungen heranzuziehen, und zwar gerade deswegen, weil Gewinnbeteiligungen unregelmäßiges Einkommen sind. Sie sind - anders als das laufende
Einkommen - nicht verplant und bieten echten Spielraum für zusätzliche Altersvorsorge. Das ist in der Anhörung von einigen Sachverständigen als zukunftsweisend bezeichnet worden. Die Große Koalition war noch
nicht so weit. Aber ich sage Ihnen voraus: Früher oder
später werden auch Sie auf diesen Weg einschwenken.
Wir begrüßen die Erhöhung der Riester-Förderung für
Kinder. Die Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine
hätten wir uns im Sinne eines Wegfalls der Deckelung
besser vorgestellt, weil wir wissen, dass gerade jetzt, wo
wir an den Kern verhärteter Arbeitslosigkeit herangehen,
Vermittler sehr viel mehr Aufwand betreiben müssen,
um neue Arbeitsverhältnisse zu begründen. Da macht es
keinen Sinn, eine - wenn auch leicht erhöhte - Deckelung bei den Vermittlungsgutscheinen beizubehalten.
Hier muss angesichts des jeweiligen individuellen Sachverhalts auch eine höhere Dotierung möglich sein.
Im Ergebnis werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen, auch wenn er hinter dem Bestmöglichen zurückbleibt.
({2})
Aber, wie gesagt, durch Zustimmung zu den vorgelegten
Anträgen der FDP-Bundestagsfraktion können Sie das
mangelhafte Paket der Großen Koalition etwas aufwerten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Der Kollege Peter Weiß hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das System der Alterssicherung in Deutschland
wird heute ein gutes Stück zukunftsfester gemacht. Die
Große Koalition löst damit zentrale Zusagen aus ihrem
Regierungsprogramm ein. Sicherheit für das Alter zu
schaffen, das ist ein Markenzeichen dieser Großen Koalition, auf das wir stolz sein können.
({0})
Das System der Alterssicherung in der Zukunft ruht
auf drei Säulen:
Die erste Säule ist die gesetzliche Rentenversicherung, die wieder sicher finanziert wird. Das ist eine
wichtige Botschaft an die Rentnerinnen und Rentner in
unserem Land. Wir werden in diesem Jahr voraussichtlich wieder eine Rücklage aufbauen, die nach dem Ergebnis des Schätzerkreises von vergangener Woche zum
Jahresende auf 0,72 Monatsausgaben ansteigen wird.
Die zweite Säule ist die private kapitalgedeckte Altersvorsorge in Form der Riesterrente, die wir noch attraktiver machen, indem die Förderung des Staates für
jedes ab Januar 2008 geborene Kind auf 300 Euro jährlich erhöht wird.
Peter Weiß ({1})
Die dritte Säule ist die betriebliche Altersvorsorge,
der wir durch die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit der
Entgeltumwandlung nochmals deutlichen Auftrieb geben.
Die Umstellung der Altervorsorge in Deutschland auf
ein Drei-Säulen-System erforderte bei vielen zunächst
ein Umdenken und viel Überzeugungsarbeit. Aber wir
können heute feststellen, dass die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in unserem Land verstanden haben,
um was es geht, und dass sie entsprechend handeln.
Heute kam die Nachricht: Im dritten Quartal 2007 gibt es
jetzt über 9,7 Millionen abgeschlossene Riester-Verträge. Die Tendenz ist weiter steigend, sodass wir dieses
Jahr auf jeden Fall noch die 10-Millionen-Marke erreichen werden.
Für Familien mit Kindern machen wir das RiesterSparen noch attraktiver, weil es künftig 300 Euro Förderung pro Kind gibt. Künftig kann eine vierköpfige Familie bei einem Mindestbeitrag von 2 100 Euro insgesamt
908 Euro jährlich an staatlicher Förderung erhalten.
({2})
Ich finde, eine solche beachtliche staatliche Förderung
ist ein Wort. Eigentlich sollte keine Familie in Deutschland darauf verzichten, dieses Geld bei unserem Finanzminister abzuholen.
Die betriebliche Altersvorsorge hat in den letzten Jahren ebenfalls einen deutlichen Aufschwung genommen.
Im Jahr 2002 haben nur 38 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft in Deutschland in einem System betrieblicher Altersversorgung vorgesorgt. 2004 waren es bereits 46 Prozent. Mittlerweile
sind es über 50 Prozent. Rechnet man die Zusatzversorgungssysteme im öffentlichen Dienst hinzu, so haben
heute über 65 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland eine Betriebsrentenanwartschaft. Dieser Anstieg beruht zum Großteil auf der Teilnahme an der Bruttoentgeltumwandlung.
Diese Entgeltumwandlung ist gerade für Bezieher
niedriger Einkommen interessant, wie uns zum Beispiel
die Experten bei der Anhörung am Montag dieser Woche
bestätigt haben: „Gerade Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen haben aufgrund der Beitragsfreiheit den
höheren Nutzen, die höhere Rendite aus der beitragsfreien Entgeltumwandlung.“ Dies erklärte zum Beispiel
Gert Nachtigal von der BDA. Und Klaus Stiefermann
von der Arbeitsgemeinschaft betrieblicher Altersvorsorge erklärte, „dass in weiten Teilen auch die Bezieher
niedriger Einkommen erreicht worden seien“.
Die 2002 eingeführte Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung war zunächst sozusagen ein Sonderangebot zur Steigerung der betrieblichen Altersvorsorge
und bis zum Jahr 2008 begrenzt. Aber - Frau ScheweGerigk sollte jetzt zuhören, weil sie immer wieder fragt,
warum wir davon abgehen, dass 2008 Schluss ist ({3})
die mittlerweile, übrigens mit Ihrer Zustimmung, Frau
Schewe-Gerigk, erfolgten Veränderungen bei den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen der Rentnerinnen
und Rentner hätten in Zukunft zu einer Doppelverbeitragung geführt
({4})
und damit die Entgeltumwandlung als eine Form der Altersvorsorge für die Betreffenden finanziell völlig uninteressant gemacht.
({5})
Die Warnungen aus der betrieblichen Praxis dazu sind
eindeutig, und daran ist nichts herumzudeuteln: „Kommt
jetzt die Doppelverbeitragung, hat diese Entgeltumwandlung keine Perspektive mehr“, erklärte zum Beispiel Herr Scheurer von der BASF.
({6})
Gleiches hörten wir von Personalchefs anderer großer
Unternehmen.
Deshalb handeln wir als Große Koalition heute, indem wir die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung unbefristet beschließen, damit möglichst bald noch
mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland einen zusätzlichen Betriebsrentenanspruch erwerben können.
({7})
Mit dem Gesetz zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung, das wir heute beschließen, wird die
zweite und dritte Säule der Altersvorsorge massiv gestärkt. Der Staat unterstützt mit zusätzlichen Leistungen
die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie der Betriebe.
Vor einigen Monaten hat die OECD diesem neuen
Mix der deutschen Altersvorsorge in einem Gutachten
ein hohes Lob gezollt:
Deutschland hat in den vergangenen Jahren im Vergleich zu den meisten OECD-Ländern umfassende
Strukturreformen im Rentensystem beschlossen
und so wichtige Fortschritte auf dem Weg zur
Nachhaltigkeit des Systems gemacht.
Zusätzlich hat die Gutachterin erklärt, viele andere Länder Europas sollten sich ein Beispiel an dem deutschen
Reformwerk in der Altersversorgung nehmen. Dann
würden auch sie für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein zukunftsfesteres System schaffen.
({8})
Nun, es gibt diesen schönen Spruch: Lob ist die verstärkte Form der Bitte. - Dem kommen wir heute als Gesetzgeber nach, indem wir zwei weitere gute Entscheidungen oben draufsetzen und die zweite und dritte Säule
Peter Weiß ({9})
unseres Altersversorgungssystems zusätzlich stärken
und unterstützen.
Des Weiteren regeln wir in diesem Gesetz die Vermittlungsgutscheine neu; es ist schon darauf hingewiesen worden, was das bedeutet. Darüber hinaus regeln wir
für eine Übergangszeit erneut das Saisonkurzarbeitergeld für die Gerüstbauer.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist für jeden von uns ein bisschen belämmernd, wie oft uns Bürgerinnen und Bürger fragen: Sagen Sie einmal, ist unsere
Altersversorgung eigentlich wirklich noch sicher?
({10})
Ich will, insbesondere wenn Herr Dr. Kolb dazwischenruft, dazu keine neuen Sprüche erfinden. Aber ich
möchte zusammenfassend betonen: Unsere gesetzliche
Rentenversicherung schreibt wieder Plus und bildet
Rücklagen. In der zweiten und dritten Säule machen wir
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem
Land ein wirklich attraktives Angebot an staatlichen
Förderungen, und zwar zusätzlich zu dem, was sie aus
ihrem eigenen Geldbeutel erbringen. Daran wird deutlich, dass wir es damit ernst meinen, die Altersvorsorge
auf sichere Beine zu stellen.
Ich kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
unserem Land nur auffordern: Nutzen Sie die Chance,
die Ihnen der Staat mit dem neuen Gesetz zur Förderung
der betrieblichen Altersversorgung gibt. Dann können
Sie sicher sein, dass Sie im Alter etwas auf der Seite haben, von dem sich anständig leben lässt.
({11})
Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem
Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({12})
Zu uns spricht jetzt für die Linke der Kollege Volker
Schneider.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kurz nach seiner Verabschiedung als Arbeitsminister erklärte Walter Riester im Rückblick auf die Rentenreform
2001:
Jede Rentnerin und jeder Rentner wird jetzt und in
Zukunft mehr Rente erhalten als nach altem Recht.
Ich glaube, über diesen Satz können weder die heutigen
noch die zukünftigen Rentner lachen. Denn das, was hier
als Reform bezeichnet wurde, hatte zunächst vor allem
eine Folge: eine Senkung des Sicherungsniveaus in der
gesetzlichen Rentenversicherung. Weil das so ist, hat
man ergänzend eine zweite Säule, die private Vorsorge,
und eine dritte Säule, die betriebliche Vorsorge, geschaffen und erklärt, dies sei alternativlos.
Nur am Rande sei erwähnt: Vor kurzem hat die Große
Koalition im Zusammenhang mit einem Antrag zum Alterssicherungsbericht selbst eingeräumt, dass auch unter
Ausnutzung dieser Möglichkeiten vielen Menschen Altersarmut droht.
Die Linke sieht die Privatisierung der Altersrisiken
als alles andere als alternativlos an.
({0})
Was die Privatisierung der Altersvorsorge betrifft, wird
Ihre Begeisterung wahrscheinlich vor allen Dingen von
Versicherungsunternehmen geteilt. Weil Sie die Betriebsrenten so schnell auf das Gleis bringen wollten, haben Sie eine Anschubfinanzierung beschlossen. Was das
betrifft, finde ich jeden Angriff gegen die Grünen völlig
daneben. Denn es ist üblich, so vorzugehen, wenn man
will, dass sich etwas schneller entwickelt. Das war ja
auch erfolgreich.
Herr Kolb hat darauf hingewiesen, dass Franz
Müntefering noch im März dieses Jahres erklärt hat: Das
Ziel ist erreicht, und die Förderung kann, wie vorgesehen, zum 31. Dezember 2008 auslaufen. - Was sich zwischen März und Juni dieses Jahres geändert hat und zur
Folge hatte, dass auch der Minister seine Meinung ändert, ist sein großes Geheimnis.
({1})
- Möglicherweise.
Diese Regelung beinhaltet eine Reihe von Risiken,
die auch hier ganz kurz angesprochen worden sind - allerdings geht man immer schnell darüber hinweg -:
Erstens. Es entstehen neue Versorgungslücken. Denn
jeder Betriebsrentner zahlt niedrigere Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung. Ob dies durch die höheren
Betriebsrenten wieder ausgeglichen wird, ist überhaupt
nicht gewährleistet. Seriöse Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung Bund besagen:
({2})
Wenn ein Mann über 40 und wenn eine Frau über 30 eintritt, dann ist das Ganze ein Minusgeschäft.
Zweitens. Diese sogenannte Reform hat auf jeden Fall
niedrigere Rentenanpassungen zur Folge. Denn durch
die Beitragsbefreiung wird die Höhe der sozialversicherungspflichtigen Löhne gemindert. Das wirkt sich übrigens selbst auf die Sozialhilfe aus. Ich frage mich, warum
die Sozialhilfeempfänger diese Reform mitfinanzieren
müssen.
Drittens. Die Beitragsbefreiung nutzt natürlich nur
denen, die Betriebsrentenverträge abgeschlossen haben.
Die Belastungen tragen aber alle, auch diejenigen, die
gar keine Betriebsrentenverträge abschließen können,
sei es aus gesetzlichen Gründen - hier denke ich an
Volker Schneider ({3})
Selbstständige und Arbeitslose -, sei es, weil sie dafür
schlicht kein Geld haben.
Viertens. Die Beitragsbefreiung führt zu Beitragsausfällen in allen Sozialversicherungszweigen. Ob es sich
um 2 Milliarden Euro in allen Zweigen der Sozialversicherung insgesamt oder um 2 Milliarden Euro allein in
der Rentenversicherung handelt, spielt eigentlich keine
Rolle. Diese Beitragsausfälle müssen ausgeglichen werden, sei es durch Beitragserhöhungen oder durch Leistungsminderungen.
In einer gemeinsamen Presseerklärung haben das
Bundesarbeitsministerium und das Bundesfinanzministerium noch Ende des Jahres 2006 die Auffassung vertreten, dass nicht nur die Beitragsausfälle in der Sozialversicherung Probleme aufwerfen, sondern dass die
Beitragsfreiheit innerhalb des Systems der gesetzlichen
Rentenversicherung zu Verteilungseffekten führt, die auf
Dauer nicht akzeptabel sind. Das war, ist und bleibt richtig.
Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab.
({4})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin
Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ohne eine gesicherte Datenbasis zur Verteilungswirkung, Frau Hiller-Ohm, will die Bundesregierung mit
dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, die beitragsfreie
Entgeltumwandlung fortsetzen. Damit wird, das wissen
Sie, je nach Inanspruchnahme der Beitragsumwandlung
das Rentenniveau insgesamt um 2 bis 4 Prozent reduziert, so die Wissenschaft. Das wirkt sich nicht nur auf
die künftigen Rentner und Rentnerinnen aus, sondern
auch auf die 20 Millionen heutigen, die sich für Ihren
Vorschlag bedanken werden.
Der Gesetzentwurf der Koalition wird als soziale Tat
verkauft. Aber wo sozial draufsteht, muss nicht sozial
drin sein, und das ist es hier auch nicht, wie ich Ihnen
begründen werde. Denn klar ist: Die Benachteiligung
von Erwerbsgeminderten, von Selbstständigen, von Erwerbslosen nimmt zu, und auch das unterdurchschnittliche Rentenniveau von Frauen wird weiter abgesenkt.
Frauen arbeiten häufig in außertariflichen Arbeitsverhältnissen, verdienen weniger als Männer. Sie können
sich die Entgeltumwandlung häufig nicht leisten, weil
sie das Geld aktuell brauchen; sie können es nicht für die
Rente zurücklegen. Diese Frauen bekommen eine niedrigere Rente, obwohl sie an der Entgeltumwandlung nicht
partizipieren können. Ich finde, das ist eine ziemliche
Katastrophe.
({0})
Frau Hiller-Ohm, Sie haben gesagt, die Grünen hätten
hier eine Kehrtwende gemacht. Ich frage mich, wo Sie
das nachgelesen haben wollen. Wissen Sie, wer eine
Kehrtwende gemacht hat? Das ist Arbeitsminister
Müntefering, der bis Mitte des Jahres gesagt hat: Natürlich geht das nicht. - Wir haben als Anschubfinanzierung die Entgeltumwandlung sozialabgabenfrei gemacht.
({1})
- Da waren Sie noch nicht dabei; das hätten Sie ihm einmal sagen sollen! - Als Anschubfinanzierung hat das
funktioniert; deshalb muss das jetzt, da die Betriebsrenten angezogen sind, beendet werden.
Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Weiß zulassen?
Sehr gerne; der Herr Weiß hatte ja vorhin eine so
kurze Redezeit.
({0})
- Ach, ich habe genug Redezeit.
Frau Kollegin Schewe-Gerigk, nach dem, was Sie
vorgetragen haben, frage ich Sie: Warum haben die Grünen und warum haben Sie persönlich als Bundestagsabgeordnete damals die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwandlung überhaupt eingeführt, wenn das alles falsch
gewesen sein soll?
({0})
Zweitens. Wenn Sie jetzt wahrscheinlich antworten,
Sie hätten das deswegen mitgemacht, weil das bis 2008
zeitlich befristet war, frage ich Sie: Warum haben Sie
dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz und damit einer
Regelung zugestimmt, dass die Rentnerinnen und Rentner auf Betriebsrenten volle Krankenkassenbeiträge zu
zahlen haben? Warum haben Sie zugestimmt, dass sie
auf Betriebsrenten volle Pflegeversicherungsbeiträge zu
zahlen haben? Damit hat die Entgeltumwandlung nicht
mehr die Attraktivität, die sie 2002 hatte, als sie eingeführt wurde.
Zu Ihrer ersten Frage. Ich dachte, ich hätte Ihnen
schon eindeutig gesagt: Das war eine Anschubfinanzierung, um die Betriebsrenten attraktiver zu machen. Das
ist geschehen, und deshalb wird es jetzt beendet. Das zur
ersten Frage.
({0})
- Das können Sie anders sehen. Aber lassen Sie mich
jetzt sprechen!
Zur zweiten Frage. Wissen Sie, das mit der Doppelverbeitragung ist ein Argument, das ist unglaublich. Bei
der normalen gesetzlichen Rente ist es auch so, dass das
aus verbeitragtem Geld erfolgt. Für alle anderen Altersvorsorgen, außer wenn Sie privat eine Lebensversicherung abschließen, erfolgt das auch aus verbeitragtem
Geld. Diejenigen, die das leisten können, sollen das auch
leisten. Sie wissen, es gibt eine ganze Reihe von Klagen
dagegen, dass die Betriebsrente der Krankenversicherungspflicht unterliegt. All diese Klagen sind niedergeschlagen worden. Die Gerichte haben gesagt: Das ist so
in Ordnung.
({1})
- Jetzt mache wieder ich weiter.
({2})
Die Bundesregierung macht mit ihrem Gesetzentwurf
Geschenke an Gutverdienende, an Kernbelegschaften.
Diese Geschenke - das kritisiere ich, Herr Weiß - bezahlt sie nicht aus der eigenen Tasche, sondern dies geht
zulasten der Sozialversicherten: 2,5 Milliarden Euro pro
Jahr aus der Sozialversicherungskasse, in die alle Erwerbstätigen einzahlen.
({3})
Wenn Sie Geschenke machen wollen, dann hätten Sie sie
aus Steuermitteln zahlen sollen. Das wäre eine andere
Situation gewesen.
({4})
Solange die Koalition die Verteilungswirkung nicht hinlänglich klärt - Frau Hiller-Ohm, Sie spekulieren da; das
wissen Sie ja nicht -, bleibt für uns der ungute Eindruck,
dass hier nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ verfahren wird, die Folgen interessieren Sie nicht. Verantwortliche Politik sieht für uns anders aus.
({5})
Sie werben - das habe ich hier schriftlich - um die
Gewinner des Aufschwungs und machen neue Geschenke an die Gutverdienenden. Um die Kosten aufgrund des sinkenden Alterseinkommens der Ärmeren
sollen sich doch die zukünftigen Generationen von Politiker und Politikerinnen kümmern. So gehen Sie vor.
Auch das finden wir nicht in Ordnung. Erst prüfen und
dann entscheiden, das wäre der richtige Weg.
Sie wissen auch, dass gar nicht alle Versicherten umwandeln dürfen. Die Deutsche Rentenversicherung hat
in der Anhörung sehr differenziert dargelegt, welche
Versichertengruppen von der Entgeltumwandlung ausgeschlossen sind, weil sie entweder nicht teilnehmen dürfen, nicht teilnehmen können oder nicht teilnehmen wollen. Auch dieser sachlichen Darlegung ist in der
Anhörung nicht widersprochen worden.
Komplett ungeklärt ist die Beteiligung von Geringverdienern. Natürlich meinen auch wir, dass es für die
teilzeitbeschäftigte Verkäuferin theoretisch vorteilhaft
sein könnte, wenn sie an der Entgeltumwandlung teilnehmen würde.
({6})
Ob sich Menschen in unteren Einkommensgruppen so
verhalten, wissen wir nicht definitiv. Es liegen zwar Zahlen von 2005 vor, die besagen, dass das in diesem Bereich weniger angenommen wird, aber wir wissen - das
können Sie einmal studieren; Sie haben ja auch die
Daimler AG zu der Sachverständigenanhörung eingeladen -, dass die Daimler AG in ihrem Bericht geschrieben hat: Erwartungsgemäß steigt mit dem Einkommen
die Teilnahmequote. - So sieht deren Bilanz aus. Daimler bestätigt also das, was die Grünen sagen.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Niemand
von uns kann diese Frage genau beantworten.
({7})
Gerade deshalb plädieren wir an die rentenpolitische
Verantwortung aller Fraktionen und fordern Sie auf, unserem Entschließungsantrag, den wir mit dem Bericht
vorgelegt haben, zuzustimmen.
({8})
Dadurch würden wir mehr Klarheit schaffen.
Wir wollen den Bericht. Deshalb bitte ich Sie zumindest um Ihre Zustimmung zu diesem Entschließungsantrag.
({9})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Förde-
rung der betrieblichen Altersversorgung.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un-
ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/6983, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 16/6539 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und
der FDP gegen die Stimmen von der Linken und Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
ist mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher ange-
nommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/7009. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent-
schließungsantrag ist bei Zustimmung durch Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke und Enthaltung der FDP ab-
gelehnt.
Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 13 b. Wir
setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung
des Ausschusses auf Drucksache 16/6983 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der FDP auf Drucksache 16/6433 mit dem Titel:
„Abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus
fortführen und ausbauen“. Wer stimmt für die Beschluss-
empfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist bei Ablehnung durch die FDP
und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Un-
ter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/6606 mit dem Titel „Beitragsfreie Ent-
geltumwandlung - Erst prüfen, dann entscheiden“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstim-
men? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfeh-
lung bei Zustimmung durch Koalition und FDP, Gegen-
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatzpunkt 8. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6987, den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/1675 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Ent-
haltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Ge-
genstimmen der FDP-Fraktion und Zustimmung durch
die übrigen Fraktionen angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Sabine
Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Stärkung der sozialen und ökologischen Ver-
antwortung von Unternehmen
- Drucksachen 16/3557, 16/5844 -
Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt von den
Kollegen Philipp Mißfelder, Garrelt Duin, Katja Mast,
Heinz-Peter Haustein, Ulla Lötzer und Kerstin Andreae
werden zu Protokoll gegeben.1)
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
1) Anlage 8
zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ({0})
- Drucksachen 16/6520, 16/6738 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1})
- Drucksache 16/6984 Berichterstattung:
Abgeordneter Rolf Stöckel
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/7018 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Waltraud Lehn
Dr. Claudia Winterstein
Anja Hajduk
Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag haben wir mit der Union vereinbart, die
Organisationsstrukturen und die Finanzgrundlage der
landwirtschaftlichen Sozialversicherung so weiterzuentwickeln, dass dieses eigenständige Leistungssystem
auch in Zukunft zu vertretbaren Beiträgen der Versicherten und zustimmungsfähigen Bundeszuschüssen erhalten
werden kann. Die Notwendigkeit dieser Organisationsreform ist einerseits vor dem Hintergrund des Strukturwandels in der Land- und Forstwirtschaft wie auch im
Garten- und Landschaftsbau, aber andererseits auch aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots hinsichtlich des
Umgangs mit den Versichertenbeiträgen und den Steuermitteln unbestritten. Der Bericht des Bundesrechnungshofs vom Juli 2007 macht dies eindrucksvoll deutlich.
Wir erkennen ausdrücklich an, dass es bereits mit dem
letzten Gesetz zur Modernisierung der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 17. Juli 2001 Fusionen und
Personalanpassungsmaßnahmen gegeben hat. Dennoch
nimmt die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nach
wie vor jedes Jahr um 3 Prozent ab, und entsprechend
sinken die Versichertenzahlen. Die im Jahr 2001 erfolgte
Reduzierung auf neun regionale Träger reicht allein nicht
aus, um das Ziel einer nachhaltigen zukunftssicheren
Struktur zu erreichen.
Der unserer Meinung nach für alle Beteiligten akzeptable Kompromiss trägt diesem gemeinsamen Ziel Rechnung, nämlich die landwirtschaftliche Sozialversicherung langfristig eigenständig zu sichern. Das entspricht
nicht nur den Forderungen der Berufsverbände und des
Deutschen Bauernverbandes, sondern auch denen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Diese Notwendigkeit besteht auch unabhängig von der Einbeziehung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in die
Reform der gesetzlichen Unfallversicherung.
Unser Ziel war eigentlich, einen einheitlichen Bundesträger für die Landwirtschaft und den Gartenbau zu
schaffen. Das war nicht durchsetzbar. Eine mehrheitliche
Unterstützung der Länder zu einem Bundesträger wäre
selbst bei Beibehaltung der bisherigen Standorte nicht
erreichbar gewesen. Diese Blockade der Länder ist nur
durch ein zustimmungsfreies Gesetz zu umgehen; ansonsten hätte die Gefahr bestanden, die Organisationsfrage der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in dieser Legislaturperiode ungelöst zu lassen.
Der Bund stellt in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt bis zu 800 Millionen Euro für die landwirtschaftliche Unfallversicherung bereit. Der Bund kommt seiner
Verantwortung nach. Aber die Auffassung der Länder,
dass die Organisation grundsätzlich in Ordnung sei und
man die Kosten dafür - immerhin 120 Millionen Euro
jährlich bei einer Umlage von 840 Millionen Euro - verkraften könne, wenn nur der Bundeszuschuss erhöht
würde, ist völlig unakzeptabel. Mit dieser Position setzen die Länder die Eigenständigkeit der landwirtschaftlichen Sozialversicherung aufs Spiel.
Wir werden die drei Spitzenverbände der landwirtschaftlichen Sozialversicherung zu einer Spitzenorganisation zusammenfassen. Die Koalition hat sich nach der
erfolgten Anhörung und der Kritik sowie den Vorschlägen aus den Berufs- und Interessenverbänden darauf verständigt, über die bereits im Entwurf vorgesehenen Aufgabenverlagerungen hinaus eine Reihe von Aufgaben
wie die Prävention oder den Forderungseinzug aus Effizienz- und Wirtschaftlichkeitsgründen von den Regionalträgern auf den zukünftigen Spitzenverband zu übertragen.
Wir erkennen ausdrücklich an, dass im Bereich des
Gartenbaus bereits ein sektoraler Bundesträger mit einem einheitlichen Beitragsmaßstab geschaffen wurde.
Dieser Beitragsmaßstab erfüllt schon die Vorgaben des
neuen Gesetzes.
Erhebliche Mittel bringt der Bund für eine besondere
Abfindung von Kleinrenten auf. Diese Aktion wird zu
einer erheblichen Reduzierung der Kosten führen. Der
Erfolg der Reform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung hängt aber wesentlich von der Inanspruchnahme
dieser befristeten Abfindungsaktion ab. Daher sind alle
Beteiligten der Branche aufgerufen, die Maßnahmen bekannt zu machen und intensiv über diese Möglichkeiten
zu beraten. Eine Verlängerung der Sonderabfindungsaktion wird nicht möglich sein. Das muss allen Beteiligten
klar sein.
Mit dem so geänderten Gesetzentwurf haben wir substanzielle Vorschläge aus den Verbänden und aus den
Reihen der Fachausschüsse durchsetzen können. Ein ungelöstes Problem bleibt allerdings unserer Auffassung
nach die fehlende Verlängerung der Stichtagsregelung
der Zusatzversorgung für Arbeitnehmer in der Land- und
Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition auch im Finanzund im Haushaltsausschuss, lassen Sie uns gemeinsam
dafür sorgen, dass wir in den vor uns liegenden Sitzungswochen noch eine Lösung für diese Gerechtigkeitslücke finden.
({0})
Ich möchte mich bei allen Beteiligten der Koalition,
in den Fachausschüssen, der Ministerien, aber auch der
Verbände herzlich für die gute Zusammenarbeit und das
Ergebnis bedanken. Wir haben das Mögliche erreicht.
({1})
Jetzt liegt der Ball bei den Trägern und den Ländern. Die
Träger müssen die Umsetzung des Gesetzentwurfs konstruktiv unterstützen. Die Länder müssen ihre Aufsichtspflichten wahrnehmen und Verstöße gegebenenfalls
sanktionieren.
Die Reform muss greifen. Wer die Umsetzung des
Gesetzentwurfs blockiert, der untergräbt die eigenständige landwirtschaftliche Sozialversicherung.
Herzlichen Dank.
({2})
Für die FDP spricht jetzt der Kollege Dr. Edmund
Peter Geisen.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Heute wird ein Gesetzentwurf verabschiedet, der erstens
den Steuerzahler sehr viel Geld kosten wird, bei dem
zweitens schon jetzt klar ist, dass in ein paar Jahren die
nächste Reform ansteht, und der drittens sein Ziel, die
Landwirte nicht noch stärker zu belasten, nicht erreichen
wird.
({0})
Dieser Gesetzentwurf zur Modernisierung des Rechts
der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist, wie Sie
schon eben gehört haben, ein fauler Kompromiss, mit
dem niemand zufrieden sein kann, weder der Bund noch
die Länder noch die Steuerzahler und schon gar nicht die
Landwirte.
Ich stelle fest, dass nur wenige Forderungen des Berufsstandes und der Opposition in den Gesetzentwurf
eingeflossen sind. Selbst im Änderungsantrag von
Schwarz-Rot: Fehlanzeige. Es werden vollmundige Versprechen gemacht und wieder gebrochen wie bei der Beteiligung der landwirtschaftlichen Krankenkassen an den
Bundesmitteln für versicherungsfremde Leistungen. Ich
stelle weiter fest, dass der Lastenausgleich nicht zufriedenstellend geregelt ist, besonders was die GartenbauBerufsgenossenschaft angeht.
({1})
Die meisten Änderungsanträge des Bundesrates werden
ignoriert. Die Zustimmungspflicht des Bundesrates wird
umgangen.
Ich stelle des Weiteren fest, dass das Personal der regionalen Träger immer stärker verunsichert wird. Die
Anpassung des Leistungskatalogs ist lückenhaft. Das gesamte LSV-System bleibt instabil. Es bleiben viele Probleme ungelöst, die geradezu nach der nächsten Reform
schreien.
({2})
Mehr hat uns die schwarz-rote Agrarsozialpolitik unter
dem Obersozialpolitiker Horst Seehofer nicht gebracht.
({3})
Es geht doch ganz einfach darum, die landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsfest zu machen. Das
erreichen Sie angesichts des dramatischen Strukturwandels in der Landwirtschaft weder mit einer faktisch gar
nicht zu realisierenden 20-prozentigen Reduzierung der
Verwaltungskosten noch mit einer teuren, ineffektiven
Abfindungsaktion und erst recht nicht mit einer Minireform im Leistungskatalog.
({4})
Das erreichen Sie nur, wenn Sie wirklich reformieren
und konsequent das gesamte System vom Umlage- auf
ein Kapitaldeckungsverfahren umstellen.
({5})
Die Reformschwäche von Minister Seehofer geht sowohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haushalts und damit aller Steuerzahler. Die Abfindungsaktion
für Kleinrenten ist unwirksam und reine Geldverschwendung. Dafür gibt es Beispiele in der Vergangenheit. In
den nächsten beiden Jahren werden 800 Millionen Euro
plus Eigenmittel der Träger in ein längst nicht mehr finanzierbares System gesteckt. Dann wundern sich alle,
wenn sie 2010 - das wurde bereits zugegeben - erneut
vor leeren Kassen stehen. Die FDP-Fraktion setzt sich
stattdessen mit ihrem Vorschlag zur Systemumstellung
für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit
Steuermitteln ein.
Interessant ist das Thema auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Alle vorhergehenden Gesetze waren zustimmungspflichtig. Der Bundesrat hat in
seiner Stellungnahme gefordert, seine umfangreichen
Änderungswünsche ausreichend zu berücksichtigen und
einzuarbeiten. Anderenfalls sei die Anrufung des Vermittlungsausschusses, so der Bundesrat, unausweichlich,
Föderalismusreform I hin oder her. Darauf eingegangen
ist die Koalition kaum.
Es ist bezeichnend, dass die Landwirte unter
Schwarz-Rot immer wieder mit faulen Kompromissen
leben müssen.
({6})
An diesem vergleichbar kleinen Reformvorhaben zeigt
sich die ganze Schwäche der sogenannten Großen Koalition.
({7})
Wie gesagt, diese Reform schreit schon jetzt nach Reformen. Das ist Flickschusterei am Rande der Verfassungsmäßigkeit.
({8})
Am besten wäre es, wenn Sie das Gesetz sofort einstampften. Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzentwurf auf jeden Fall ab.
Danke schön.
({9})
Jetzt spricht Max Straubinger für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die soziale Sicherung der Menschen auf dem Land und
insbesondere der Landwirte hat bei der Bundesregierung
und vor allem bei Bundesminister Horst Seehofer einen
hohen Stellenwert, der an der Erarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs wesentlich beteiligt war. Dieses Gesetz stellt einen großartigen Fortschritt bei der Sicherung
der Menschen in der Landwirtschaft dar. Es bedeutet,
dass wir zum eigenständigen System der sozialen Absicherung der Bäuerinnen und Bauern stehen. Die Weiterentwicklung ist natürlich unter dem Gesichtspunkt des
Strukturwandels in der Landwirtschaft zu sehen. Dem
wollen und können wir uns nicht verschließen. Wir werden dem Strukturwandel in den sozialen Sicherungssystemen der Landwirtschaft Rechnung tragen.
Anlass ist sicherlich der Bericht des Bundesrechnungshofes, in dem die Schaffung effizienterer Strukturen angemahnt wird. Die effizienteren Strukturen sollen
die landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsfest
machen. Die Ziele der Reformen sind klar und eindeutig
definiert. Wir wollen für die Bäuerinnen und Bauern, für
die aktiven Landwirte mindestens Beitragssatzstabilität
erreichen; wir wollen sogar erreichen, dass die Beiträge
zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung in Zukunft
sinken
({0})
und damit die Bäuerinnen und Bauern entlastet werden.
({1})
Ich bin überzeugt, dass wir dies mit diesem Gesetz, das
wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, erreichen. Das tun wir mit verschiedensten Maßnahmen, die
auch mit Leistungseinschränkungen einhergehen, aber
vom Berufsstand mit erarbeitet worden sind und mitgetragen werden. Deshalb danke ich sehr herzlich dem Berufsstand und dem Bauernverband, der schwierige Entscheidungen in die Organisation hineinträgt.
({2})
Wir werden mit dem Herauskauf von Kleinrenten vor
allen Dingen erreichen, dass zukünftig die Verwaltungsaufgaben in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft weniger werden und damit die Verwaltungskosten
geringer werden. An dieser Stelle gilt unser Dank unserem Bundesminister Horst Seehofer; denn es ist nicht
einfach, bei schwierigsten finanziellen Gegebenheiten
Mittel für unsere Bäuerinnen und Bauern aufzubringen.
In dieser Bundesregierung gab es stetig Zuschüsse für
die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft in einem
Umfang von 200 Millionen Euro. Zusätzlich werden für
diese Herauskaufaktion zweimal 200 Millionen Euro bereitgestellt, und zwar in den Jahren 2008 und 2009. Ich
bin überzeugt, dass dies ein Beitrag zu zukünftiger Beitragssatzstabilität sein wird.
({3})
Herr Kollege Geisen, Sie bemängeln, dass keine Kapitaldeckung eingeführt wird. Sie bleiben aber die Antwort auf eine Frage schuldig.
({4})
- Doch. - Wenn nur die Altrenten abgelöst würden, wären Finanzmittel in Höhe von fast 3 Milliarden Euro notwendig. Wie wollen Sie das finanzieren? Sie haben in
keiner Weise einen Finanzierungsvorschlag vorgelegt.
Nur nach der Kapitaldeckung zu rufen, aber keine Vorschläge zur Finanzierung zu unterbreiten, ist unredlich.
Deshalb ist meines Erachtens unser Vorschlag dazu geeignet, die Zukunftsfähigkeit zu erreichen.
({5})
Ein weiterer Punkt ist, dass Leistungen im Bereich
der Haushaltshilfen eingeschränkt werden. Ich glaube,
das ist vertretbar. Bei den Altenteilern und bei den Unternehmern erfolgt eine weitere Einschränkung, nämlich
dass zukünftig erst bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 Prozent eine Rente fällig wird - das wird
weitere Einsparungen für das System bedeuten -, eine
Einschränkung wohlgemerkt nur für die Unternehmer,
nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
der Landwirtschaft. Die Verlängerung der Wartezeit auf
36 Wochen für die Geltendmachung eines Anspruchs
wird ebenfalls zu einer Beitragsentlastung führen.
All diese Einschränkungen sind dazu geeignet, so
glaube ich, dass ein leistungsfähiges System erhalten
bleibt, auf das sich die Bäuerinnen und Bauern in der
Vergangenheit verlassen konnten und auf das sie sich vor
allen Dingen in der Zukunft verlassen können. Deshalb
bitten wir um Zustimmung.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, für
ein Sozialversicherungssystem in der Landwirtschaft zu
sorgen, das erstens im Ernstfall wirklich hilft bzw. dazu
beiträgt, Ernstfälle möglichst wirksam zu vermeiden,
zweitens auf einem bezahlbaren, solidarischen und gerechten Beitragssystem basiert und drittens effizient und
aufgabengerecht verwaltet wird. Diese Aufgaben werden aus unserer Sicht durch den Gesetzentwurf nicht erfüllt.
Auch nach der Expertenanhörung gibt es viele Kritikpunkte. Allein der Bundesrat hat 37 Einwände vorgetragen. Wir teilen nicht alle. Aber natürlich wäre es sinnvoll gewesen, vor einer erneuten Reform die Wirkung
der Reform von 2001 neutral zu evaluieren. Obwohl das
in Ihrem Koalitionsvertrag steht, ist es nicht erfolgt.
Ein Ziel der Organisationsreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist die Anpassung an den Strukturwandel in der Landwirtschaft. Die Rechnung scheint
einfach: Weniger Betriebe brauchen weniger Verwaltung. Das mit einem zusätzlichen Spitzenverband erreichen zu wollen, ist geradezu absurd. Das ist auch das Ergebnis der Anhörung vor zwei Wochen.
Der geplante Lastenausgleich zwischen den Unfallversicherungsträgern wird die Akzeptanz des Systems
zudem nicht deutlich verschlechtern. Für den Gartenbau
und die landwirtschaftlichen Betriebe im Norden und im
Osten werden die Beiträge steigen, obwohl nachweislich
gerade hier das betriebliche Unfallrisiko deutlich geringer ist als in anderen Bereichen und in anderen Regionen.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Linke will
ein Solidarsystem, aber ein gerechtes. Wir brauchen daher ein risikoorientiertes Beitragssystem statt die Beibehaltung der ungerechten Berechnung der Beiträge nach
der bewirtschafteten Fläche.
({0})
Es wäre auch deutlich demokratischer, wenn die Selbstverwaltung die Chance hätte, ein entsprechendes Solidarsystem selbst vorzuschlagen.
Auch die Leistungseinschränkungen in der Unfallversicherung - sie sind benannt worden - werden die finanziellen Probleme des Systems überhaupt nicht lösen.
Wie gerechtfertigt ist eigentlich ein zwangsbeitragsfinanziertes Versicherungssystem, wenn ständig steigenden Beiträgen immer weniger Leistungen gegenüberstehen? Wir sind überzeugt: Wer bezahlbare Beiträge will,
der muss sich zur Beibehaltung der Unterstützung aus
Bundesmitteln bekennen.
({1})
Heftig umstritten sind auch die Angebote zur Kapitalisierung von Kleinrenten; das ist bereits gesagt worden.
Wer als Berechnungsgrundlage das vergangene Jahrtausend nutzt, muss sich nicht wundern, wenn das unattraktive Angebot nicht angenommen wird. Auch da werden
keine Einspareffekte erzielt.
Als weiteres Ziel der Organisationsreform wird die
Verwaltungsreduzierung genannt. Das kann sinnvoll
sein. Ein System zu entwickeln, das noch näher an den
Interessen der Versicherten orientiert ist, wäre durchaus
vernünftig. Aber auch hier bedeutet Organisationsreform
zuallererst Personalabbau. Aus Altersgründen werden
bis 2020 15 Prozent der circa 6 500 Beschäftigten ausscheiden. Für die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen fordert die Linke, die Personalvertretungen frühzeitig und vor allen Dingen wirksam in alle Überlegungen
zu neuen Organisationskonzepten einzubeziehen.
({2})
Um es zusammenzufassen: Keines der angeblichen
Ziele des Gesetzentwurfs wird erreicht. Die in Aussicht
gestellten Kosteneinsparungen zugunsten des Haushalts
des Ministeriums sind absolut unrealistisch. Die Beiträge vieler Betriebe werden nicht sinken, sondern steigen. Mit dem Spitzenverband wird keine Verwaltungsreduzierung gelingen. Die Organisationsreform wird
wieder einmal vor allen Dingen Personalabbau bedeuten. Das Versicherungssystem wird durch dieses Gesetz
nicht zukunftsfester.
Es ist schon jetzt abzusehen, dass es zwischen dem
Spitzenverband und den neun Versicherungsträgern ein
endloses Gerangel um die Kompetenzen geben wird.
Daher wäre es doch sicher sinnvoll gewesen, vor Einbringung dieses Gesetzentwurfs zu prüfen, wie sinnvoll
die Verteilung der Aufgaben zwischen Spitzenverband
und Trägern wirklich ist.
Unter dem Strich bleibt unsere Kritik. Die Linke wird
dem Gesetzentwurf daher nicht zustimmen. Gleichzeitig
wage ich - da kann ich mich der FDP nur anschließen ({3})
einmal eine Voraussage: In wenigen Jahren werden wir
uns tatsächlich mit der Reform der Reform beschäftigen.
Das kann eigentlich nicht unsere Aufgabe sein.
Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Jetzt hat die Kollegin Cornelia Behm das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Man konnte in den letzten zwei Jahren des Öfteren den Eindruck gewinnen, dass im Agrarministerium
der Deutsche Bauernverband die Politik macht. Ich muss
sagen: In viel stärkerem Maße gilt das für die Agrarpolitik der Union hier im Bundestag. Ein deutlicher Beleg
dafür ist das LSV-Modernisierungsgesetz; denn die
Union hat genau die Forderungen in das Gesetz hineinverhandelt, die vorher im Forderungskatalog des Deutschen Bauernverbandes standen. Angesichts der Kürze
meiner Redezeit will ich mich im Wesentlichen auf dieses Thema beschränken.
Da sind zum einen die zusätzlichen Einschränkungen
im Leistungskatalog. Hierbei handelt es sich um Sozialabbau, der durch die versprochenen Beitragssenkungen
keineswegs aufgewogen wird. Das lehnen wir Grüne
strikt ab. Ich bezweifle außerdem stark, dass ein landwirtschaftlicher Unternehmer eine um ein knappes Drittel geminderte Erwerbsfähigkeit ohne Weiteres wegsteckt, vor allem dass er sie ohne Erwerbseinbußen
kompensieren kann. Schließlich geht es auf den Höfen
Gott sei Dank im Wesentlichen noch nicht um Büroarbeit, sondern vor allen Dingen um körperlichen Einsatz.
Auch die Streichung der Unfallversicherungsleistungen für Altenteiler lehnen wir ab; denn derzeit ist der
Standard der Heilbehandlung und der Rehabilitation in
der landwirtschaftlichen Unfallversicherung höher als in
der landwirtschaftlichen Krankenversicherung; in Letztere würden sie aber geschoben werden. Das würde bedeuten, dass verunglückte Altenteiler künftig schlechter
behandelt werden als beispielsweise ihre Söhne und
Töchter.
({0})
Außerdem wissen Sie, Herr Bleser, und die anderen Kollegen ganz genau, dass die Altersrente der Landwirte
nicht auskömmlich ist, dass sie vielmehr nur eine Grundrente ist. In diesem Zusammenhang ergeben Unfallrenten für verunfallte Altenteiler durchaus Sinn.
({1})
Wenn ein Altenteiler zukünftig keine Leistungen der
Unfallversicherung mehr bekommt, dann wird er auch
kaum noch im Familienbetrieb aushelfen. Dies aber
würde sowohl den Traditionen der bäuerlichen Familienbetriebe widersprechen als auch der Landwirtschaft insgesamt schaden. Nun lässt das Gesetz aber, wie wir alle
wissen, ein Schlupfloch; denn wenn Altenteiler einen
Arbeitsvertrag abschließen, bleiben sie unfallversichert.
Voraussichtlich werden also die meisten Betriebe für
ihre Altenteiler solche Verträge abschließen. Aber damit
wird die beitragssenkende Wirkung dieser Gesetzesänderung letztendlich sehr begrenzt sein. Beachtlich ist lediglich der Beitrag zum Bürokratieaufbau.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein besonders
starkes Stück - Herr Geisen hat es schon erwähnt -, dass
die Große Koalition bei den Beratungen zum Gesetz die
Anliegen des Gartenbaus fast völlig ignoriert hat
({2})
- „fast“ habe ich gesagt -, obwohl Agrarminister
Seehofer der Branche entsprechende Zusagen gemacht
hatte. Offensichtlich war der starke Arm des Deutschen
Bauernverbandes doch stärker als der des Ministers, der
offenbar zu viel Zeit und Kraft im bayerischen Parteiwahlkampf verschlissen hat. Es bleibt also dabei, dass
der Gartenbau in den Lastenausgleich zwischen den regionalen Trägern der LUV einbezogen wird, obwohl er
bereits als Bundesträger organisiert ist. Ich meine, dass
diejenigen, die ihre Hausaufgaben schon gemacht haben,
jetzt nochmals zu Solidaritätsleistungen gezwungen werden. Das ist nicht angemessen.
Ein weiterer Mangel des Gesetzentwurfes ist die unzureichende Gewährung und Berücksichtigung von Personalvertretungsrechten. Diesbezüglich hätte dringend
nachgebessert werden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige
wenige, aber aus meiner Sicht gewichtige Gründe, deretwegen wir dieses Gesetz ablehnen.
({3})
Jetzt kommt die Kollegin Waltraud Wolff für die
SPD-Fraktion an die Reihe.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist schon viel gesagt worden. Ich möchte
zuerst auf meine Vorredner eingehen. Herr Geisen, Sie
haben gesagt, die FDP-Fraktion sehe nicht, dass diese
Reform greifen werde. Ich sage Ihnen: Diese Reform
wird greifen! Ich fordere seit 1991 einen Bundesträger.
Woran ist es gescheitert? An den Bundesländern! Heute
haben wir einen starken Spitzenverband, der Gesetzentwurf liegt auf dem Tisch, und der Bund hat die Möglichkeit, zu kontrollieren und einzugreifen. Zentrale Aufgaben liegen beim Spitzenverband. Das ist gut, und diese
Reform wird greifen.
({0})
Aber Sie kommen wieder mit Ihren alten Kamellen
vom kapitalgedeckten Verfahren.
({1})
Wenn die Damen und Herren, die oben auf der Zuschauertribüne sitzen, wüssten, wie lange wir darüber diskutiert haben und dass jeder Fachmann und jeder Wissenschaftler gesagt hat, das könne überhaupt nicht
funktionieren! Wir haben immer nur auf Ihre Antwort
gewartet, Herr Geisen. Woher hätten Sie denn das Geld
für das kapitalgedeckte Verfahren genommen? Das war
nicht klar.
Frau Kollegin Wolff, möglicherweise möchte Herr
Geisen Ihnen jetzt die Antwort in einer Frage verpackt
geben. Möchten Sie das zulassen?
Aber gern.
Bitte schön.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau Kollegin Wolff, sind Sie erstens mit mir einer Meinung, dass
die Altlasten ein gesamtgesellschaftliches Problem sind,
ja oder nein? Das müssen wir zuerst klären.
Zweitens. Sind Sie der Meinung, dass die Zukunftssicherung im Umlageverfahren bei der immer kleiner werdenden Solidargemeinschaft der jungen aktiven Landwirte überhaupt möglich ist? Wenn wir das geklärt
haben, dann, denke ich, können wir uns über das andere
unterhalten.
Mir ist klar, dass man natürlich nicht mit den Altlasten in eine Umstellung von dem heutigen System auf ein
kapitalgedecktes System hineingehen kann. Das wurde
immer falsch diskutiert. Das ist so nie vorgeschlagen
worden.
Vielen Dank.
({0})
Lieber Herr Kollege Geisen, die Altlasten wollen Sie
da natürlich nicht einbeziehen. Sollen das die Steuerzahler noch einmal zahlen? Das kann ja wohl nicht wahr
sein, beim allerbesten Willen nicht!
({0})
Kollegin Tackmann hat davon gesprochen, dass der
Spitzenverband absurd ist. Ich habe erklärt, welche Aufgaben auf den Spitzenverband verlagert werden. Der
Bund, die Ministerien haben die Möglichkeit, hier zuzugreifen. Wir müssen sehen, dass auch eine Streckung der
Umlagekosten in Betracht kommt. Ich nenne hier den
Träger Mittel- und Ostdeutschland, MOD. Der Träger
für den Gartenbau und der Träger MOD sind von der
Umlage natürlich am meisten betroffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir, wenn
wir 2,14 Milliarden Euro in dieses Sondersystem Landwirtschaftliche Sozialversicherung stecken, nicht erwarten, dass eine Umlage, in vier Jahren von 14 auf
27 Millionen Euro steigend, aus dem System heraus aufgebracht werden kann?
({1})
Ich denke, so viel Solidarität kann man erwarten.
({2})
Man kann den Steuerzahlern auch erklären, dass hier im
System umgeschichtet wird.
({3})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einen Satz sagen. Mein Herz hing natürlich besonders an
Waltraud Wolff ({4})
der Stelle, wo wir für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Sicherungen einziehen konnten. Das ist uns
auch gelungen. Wir haben davon auszugehen, dass in der
Zukunft 20 Prozent der Verwaltungskosten gespart werden.
({5})
Dabei muss Aus- und Fortbildung natürlich ausgenommen werden. Auch das haben wir geschafft. Wir wollen
nicht, dass Lehrstellen gestrichen werden. Wir haben es
geschafft, dass im Gesetz steht: Zentrale Aufgaben vom
Spitzenverband können dezentral bei den Trägern erledigt werden.
({6})
Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind,
wenn wir den Arbeitsplatzabbau nach dem geltenden Fusionstarifvertrag sozialverträglich gestalten.
({7})
Die Kolleginnen und Kollegen können uns an der
Stelle ein kleines bisschen dankbar sein.
Das Kernstück der ganzen Aktion ist die Abfindung
der Kleinstrenten. Mein Appell an die Länder und an die
Leute, die die Beratung machen, lautet: Sobald dieses
Gesetz beschlossen ist, muss an dieser Stelle Hand angelegt werden! Die Abfindungsaktion muss sofort in Kraft
gesetzt werden, damit wir schnellstmöglich von den
Kosten herunterkommen.
Wir geben der LSV mit diesem Gesetz die Möglichkeit, vernünftige Strukturen zu schaffen. Jetzt liegt es bei
den Trägern und den Aufsichtsbehörden, diese Zeit zu
nutzen. Denn eines kann ich Ihnen sagen: Ich kann mir
nach neun Jahren Arbeit mit diesem Thema nicht vorstellen, dass es für die landwirtschaftliche Sozialversicherung noch einmal eine solche Möglichkeit geben
wird.
({8})
Zum Abschluss der Debatte spricht die Kollegin
Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich
das Recht der Opposition, Quatsch zu reden;
({0})
aber man kann auch maßlos übertreiben.
({1})
Liebe Kollegin Behm, zum Stichwort Sozialabbau:
Wir haben nach Lösungen gesucht, und wir haben sie gefunden.
({2})
Unter Ihrer grünen Ministerin wurden die Bundesmittel
gekürzt, aber keine weiteren Lösungen gefunden.
({3})
Die Vorgabe aus unserem Koalitionsvertrag war, eine
angemessene Beitragsbelastung und innerlandwirtschaftliche Solidarität zu erreichen. Es ist deutlich geworden, dass das Verhältnis von Beitragszahlern zu
Leistungsempfängern in eine massive Schieflage geraten
ist, dass wir also Handlungsbedarf hatten.
Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich unserem Bundesminister Seehofer für die Unterstützung.
({4})
Ich danke dafür, dass neben den aktiven Betrieben auch
Bundesminister Seehofer Verantwortung trägt. Der Bund
unterstützt seit 1963 die aktiven Betriebe; Bundesminister Seehofer unterstützt sie in diesem Jahr mit 200 Millionen Euro.
({5})
Das ist nicht selbstverständlich.
({6})
Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich den
Vertreter des BMAS, Herrn Staatssekretär Tiemann, loben. Ich danke außerdem den Arbeitsgruppen Arbeit und
Soziales und meiner eigenen Arbeitsgruppe. Zudem
danke ich Gitta Connemann, die heute abwesend ist; sie
ist sprachlos, aber nur vorübergehend, weil sie krank ist.
({7})
Sie trägt den gefundenen Kompromiss ausdrücklich mit.
Ich werbe wie viele Kolleginnen und Kollegen vor
mir ausdrücklich für die Abfindungsaktion. Ich denke, es
ist ein finanzieller Kraftakt, wenn der Bund zusätzlich
zweimal 200 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um
den Altrentenbestand zu verringern.
Ich finde es schon bemerkenswert, wenn ein Berufsverband wie der Bauernverband viel mehr Leistungseinschränkungen fordert, als wir heute beschließen. Wir haben es schon mehrfach gehört: In Zukunft hat man nur
dann einen Anspruch auf Unfallrente, wenn eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 30 Prozent
vorliegt; die Wartezeit bei neuen Unfallrenten wird auf
26 Wochen verlängert. Besonders wichtig ist mir, dass
- Kollegin Wolff hat es betont - aus drei SpitzenverbänMarlene Mortler
den einer wird. Der neue Spitzenverband wird in Zukunft alle Aufgaben übernehmen und sie besser und billiger erledigen.
Ich finde es richtig, dass das tägliche operative Geschäft in der Verantwortung der regionalen Träger bleibt.
Ich finde es auch richtig, dass alle Träger bis 2010 ihren
Beitragsmaßstab risikoorientiert umstellen müssen und
dass die Verwaltungskosten bis 2014 um 20 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2004 gesenkt werden müssen.
Ein Wort zum Lastenausgleich: Unsere Anschlussregelung spiegelt den bisherigen 79er-Schlüssel wider.
Wenn der Bund zusätzliches Geld in die Hand nimmt,
dann ist es mehr als gerecht und fair, dass 3,2 Prozent
des gesamten Umlagevolumens zu den Trägern in strukturschwächeren Gegenden fließen.
({8})
Wer hier auf Freiwilligkeit gesetzt hat, der glaubt als Erwachsener noch an den Weihnachtsmann.
Bei aller Freude über den gefundenen Kompromiss
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen, trotz aller Freude.
- ich komme zum Schluss; ich bin auf der Zielgeraden, Frau Präsidentin - gibt es einen Wermutstropfen.
Wir wissen, dass die landwirtschaftliche Krankenversicherung wie alle gesetzlichen Krankenversicherungen
Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen erhält, unter anderem für die beitragsfreie Mitversicherung
von Kindern. Nun sollen diese Bundesmittel ausgerechnet für die Berufsgruppe mit dem größten Kindersegen
ab 2009 wegfallen.
Frau Kollegin, jetzt wäre das Ziel überschritten.
Die Bundesregierung hat ein Herz für Kinder. Sie hat
ihr Herz für Kinder neu entdeckt. Das muss für alle Kinder gelten, auch für Kinder von Bauern.
In diesem Sinne appelliere ich am Schluss an unsere
zuständige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und
werbe darum, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
({0})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung.
Es liegen Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung von den Kolleginnen und Kolle-
gen Dr. Peter Jahr, Klaus Brähmig, Katharina Landgraf,
Volkmar Uwe Vogel und Maria Michalk vor.1)
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6984,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den
Drucksachen 16/6520 und 16/6738 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
({0})
- Ich glaube, dass das eine nicht erlaubte Äußerung der
Bundesregierung war. Aber möglicherweise hat das eher
damit zu tun, dass man sich, auch wenn man auf der Regierungsbank sitzt, ein bisschen fit halten muss. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher
angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7010. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der
Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die FDP
und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard
Schewe-Gerigk, Volker Beck ({1}), Alexander
Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Geschlechtersensible und effiziente Haushaltspolitik einführen
- Drucksache 16/6792 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
Hier ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
ren. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
ginnen Ingrid Fischbach, Christel Humme, Ina Lenke,
Dr. Gesine Lötzsch und Irmingard Schewe-Gerigk.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6792 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie ein-
verstanden? - Dann ist so beschlossen.
1) Anlagen 2 bis 4
2) Anlage 9
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 17 a und b
auf:
a) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten
Nationen im Sudan ({3}) auf Grundlage
der Resolution 1590 ({4}) des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen vom 24. März 2005
und weiterer Mandatsverlängerungen durch
den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/6940 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der AU/UN Hybrid Operation in Darfur
({6}) auf Grundlage der Resolution
1769 ({7}) des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen vom 31. Juli 2007
- Drucksache 16/6941 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({8})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Damit sind Sie einverstanden.
Dann eröffne ich jetzt die Aussprache und gebe das
Wort Staatsminister Gernot Erler für die Bundesregierung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das internationale Engagement im Sudan befindet sich
in einer entscheidenden Phase. Im Südsudan steckt das
Friedensabkommen derzeit in einer ernsthaften Krise.
Die südsudanesische Regierung hat seit Oktober ihre
Teilnahme an der Einheitsregierung in Khartoum ausgesetzt. Beide Seiten werfen sich vor, wichtige Elemente
des Abkommens nicht umzusetzen.
Wir sehen dies mit Besorgnis; denn das Friedensabkommen CPA ist und bleibt die Grundlage für den politischen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau des gesamten Landes.
Der Friedensmission UNMIS kommt daher weiterhin
die zentrale Rolle zur Stabilisierung zu. Seit 2005 unterstützt UNMIS die Umsetzung des Friedensabkommens.
Deutsche Soldaten leisten als Militärbeobachter und
Stabsoffiziere hier einen wichtigen und anerkannten Beitrag.
UNMIS wird weiter an Bedeutung gewinnen, auch
mit Blick auf die für 2009 geplanten Wahlen und das für
2011 vorgesehene Referendum, welches über den Status
des Südsudan entscheiden soll. Auch aus diesem Grund
hat der UN-Sicherheitsrat am 31. Oktober das Mandat
der Mission erneut um weitere sechs Monate verlängert.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Verlängerung der
Bundeswehrbeteiligung ein sinnvoller und notwendiger
Beitrag zum internationalen Engagement im Sudan.
Natürlich steht die Entwicklung im Südsudan in einem Zusammenhang mit der humanitären Katastrophe in
Darfur. Aber hier gibt es eine gute Entwicklung. Die
Vereinten Nationen und die Afrikanische Union haben
nach langer Vorarbeit beschlossen, eine gemeinsam geführte Friedensmission in Darfur, UNAMID, einzurichten. UNAMID soll die Umsetzung des DPA, des DarfurFriedensabkommens, vom vergangenen Jahr unterstützen. Zudem soll die Mission die Zivilbevölkerung vor
bewaffneten Angriffen schützen und die humanitäre
Hilfe gewährleisten.
Die Vorbereitungen für UNAMID sind im vollen
Gange. Spätestens zum 31. Dezember soll sie die Aufgaben der bisherigen Mission der Afrikanischen Union,
AMIS, in Darfur übernehmen, die diese Aufgabe leider
bisher nicht leisten konnte.
Wir sind der Meinung, dass Deutschland auch hierzu
- wie zu AMIS - einen Beitrag leisten sollte. Nach dem
Antrag der Bundesregierung sollen bis zu 250 Soldatinnen und Soldaten bei UNAMID eingesetzt werden. Sie
werden vor allen Dingen in unterstützenden Bereichen
tätig werden, so beim Lufttransport und bei anderen logistischen Aufgaben.
Damit schließen wir an unser bisheriges Engagement
für die AMIS-Mission an, für die bisher bis zu 200 Soldaten zur Verfügung gestellt worden sind. Das Bundestagsmandat für AMIS endet am 15. Dezember und soll
nicht verlängert werden. Das neue UNAMID-Mandat
soll dieses mit Inkrafttreten am 15. November quasi ablösen.
Noch ein Wort zum Verfahren, liebe Kolleginnen und
Kollegen: UNAMID und UNMIS gehören politisch und
operativ zusammen. Daher wollen wir in Zukunft eine
Synchronisierung der beiden Bundestagsmandate erreichen. Aus diesem Grund wird die konstitutive Zustimmung des Bundestages jeweils bis zum 15. August 2008
beantragt, das heißt, bis zwei Wochen nach Auslaufen
des aktuellen UNAMID-Mandats des Sicherheitsrates
und bis dreieinhalb Monate nach Auslaufen des aktuellen UNMIS-Sicherheitsmandates.
Wir gehen dabei davon aus, dass der UN-Sicherheitsrat beide Mandate verlängert, sodass die völkerrechtliche Grundlage stets gegeben sein wird. Sollte der Sicherheitsrat das UNMIS-Mandat in der Zwischenzeit
inhaltlich relevant ändern, werden wir den Bundestag
selbstverständlich erneut befassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schutzmandate
sind unverzichtbar wichtig. Aber entscheidend ist der
politische Prozess. Hier gibt es ebenfalls Grund zur
Hoffnung. Nach langer Zeit ist der Darfur-FriedensproStaatsminister Gernot Erler
zess wieder angelaufen. Ende Oktober hat es erste Verhandlungen in Libyen gegeben. Leider haben daran
wichtige Rebellengruppen nicht teilgenommen. Sie sind
teilweise zu Gesprächen erst bereit, wenn es zu einer
Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur kommt. Wir
müssen uns also auf einen längeren Prozess einstellen.
Oberstes Ziel ist aber ein baldiger Waffenstillstand.
Die Bundesregierung will den Friedensprozess auch
finanziell unterstützen. Das Auswärtige Amt hat bereits
350 000 Euro für sogenannte Quick-Impact-Projekte zugesagt, die die Verhandlungen flankieren sollen. Denn
gerade jetzt ist es wichtig, dass die Bevölkerung in Darfur einen praktischen Fortschritt, eine Art Friedensdividende, sieht.
Es gibt also diese Verhandlungschance. Ich bitte Sie:
Lassen Sie uns diese Verhandlungschance gemeinsam
nutzen und sie durch die Verabschiedung der Fortsetzung des UNAMID- bzw. UNMIS-Mandates absichern!
({0})
In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu den
Anträgen der Bundesregierung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin
Marina Schuster.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin heute mehrmals gefragt worden, ob
ich meine Rede nicht zu Protokoll geben möchte. Ich bin
sehr froh, dass die Debatte stattfindet; denn ich finde,
wir würden unserer Verantwortung gegenüber unseren
Soldaten nicht gerecht, wenn wir die Reden zu diesem
Tagesordnungspunkt komplett zu Protokoll geben würden.
({0})
Nun zum Mandat. Herr Erler hat es erwähnt: Die lang
erwartete UNAMID-Hybrid-Mission ist jetzt endlich da.
Sie ist das, was nach langem Ringen auf internationaler
Ebene durchsetzbar war. Das ist das robuste Mandat, an
das sich alle Hoffnungen knüpfen, die Hoffnungen von
uns Parlamentariern, aber auch die Hoffnungen der Zivilbevölkerung im Sudan.
Nachdem die AU-Truppen schlecht ausgestattet auf
verlorenem Posten in der Wüste standen, sind die Erwartungen an die Vereinten Nationen und diese Mission natürlich sehr hoch. Ich möchte gleich zu Beginn meiner
Rede warnen: An dem Erfolg dieser Mission müssen
sich die Vereinten Nationen messen lassen. Deswegen
müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Truppen so ausgestattet sind, dass dieser Auftrag auch erfüllt werden
kann.
Jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Punkt,
nämlich zu dem Antrag selbst. Kernaufgabe ist es - das
hat Herr Erler erwähnt -, neben den laufenden Friedensverhandlungen - ich zitiere die umgehende und wirksame Umsetzung des Darfur-Friedensabkommens vom 5. Mai 2006 … zu
unterstützen.
Genau das ist aber die Krux; denn dieses Friedensabkommen wurde nur von einer Rebellentruppe und der
Regierung unterzeichnet. Das ist kein breiter Kompromiss, kein Friedensabkommen, wie wir es bräuchten.
Nach wie vor fehlt - Herr Erler, Sie haben darauf hingewiesen - eine politische Lösung, eine politische Perspektive. Eines steht fest: Ohne die politische Einigung
wird es keine dauerhafte Sicherheit geben.
Auf der politischen Gesprächsebene wird die Situation immer unüberschaubarer. Mittlerweile gibt es
26 Rebellengruppen, und jede fühlt sich als legitimierter
Ansprechpartner der AU und der Vereinten Nationen.
Daher wurde die Konferenz in Libyen - Sie haben darauf hingewiesen - von Absagen überschattet. Ich appelliere an die Bundesregierung, den politischen Prozess
nicht aus den Augen zu verlieren und sich auf diesem
Gebiet zu engagieren. Die deutsche G-8-Präsidentschaft
ist noch nicht vorbei.
({1})
Ich habe allerdings noch offene Fragen. Im Mandatsantrag heißt es, dass bis zu 250 deutsche Soldaten in der
Region Darfur eingesetzt werden sollen. Ich erinnere daran, dass die Region Darfur so groß wie Frankreich ist.
Ich möchte schon wissen, wo genau und wie die Soldaten eingesetzt werden sollen. Das Gleiche gilt für die
deutschen Polizeibeamten. Welche Aufgaben werden sie
ausüben, und wo genau werden sie eingesetzt?
Ein weiterer kritischer Punkt - Sie haben ihn zu Beginn Ihrer Rede erwähnt - ist der Nord-Süd-Friedensvertrag. Als die SPLM angekündigt hat, die Regierung in
Khartoum zu verlassen, hatte ich die große Sorge, dass
der ganze Friedensprozess kippt. Das zeigt, wie gefährlich die Situation ist. Jetzt findet zwar eine umfassende
Kabinettsumbildung statt; es ist aber immer noch nicht
klar, ob die Regierung die Arbeit auch aufnehmen wird.
Nach wie vor hat dieser Nord-Süd-Friedensvertrag
neuralgische Punkte. 2008 soll die Volkszählung stattfinden. Das bedarf einer Vorbereitung. Wie sieht es dann
mit der Region Abyei aus? Wird sie zum Norden oder
zum Süden gerechnet? Wie wird gezählt, und wer ist bei
den Wahlen 2009 wahlberechtigt? 2011 steht das Referendum an. Dann entscheidet sich, ob sich der Südsudan
abspaltet. Wenn der Süden bis dahin keine positiven
Auswirkungen der Friedensdividende spürt, dann ist
eine Abspaltung sehr wahrscheinlich. Wir müssen überlegen, was das für die Region bedeuten würde. Dabei
müssen wir auch die Interessen der Nachbarstaaten im
Blick haben: Äthiopien, Eritrea, Tschad, aber auch
Ägypten. Den regionalen Ansatz dürfen wir nicht aus
den Augen verlieren. Diesbezüglich appelliere ich noch
einmal an die Bundesregierung.
({2})
Ich komme zum Schluss. Diese Mission ist der Hoffnungsstrang. Es muss aber klar gesagt werden, dass wir
die Komplexität und Herausforderung dieses Einsatzes
nicht unterschätzen dürfen. Alle Kollegen, die vor Ort
waren - ich sehe hier einige -, wissen, wie schwierig
diese geografischen und logistischen Herausforderungen
sind. Es gibt kaum befestigte Straßen; alles muss über
den Lufttransport erfolgen. Insofern ist eine kritische
Frage, wer dann die Hubschrauber stellen wird.
Ich erwarte die Antworten der Bundesregierung, und
unsere Soldaten erwarten sie ebenfalls.
({3})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Jung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beteiligung der Bundeswehr an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS, mit Militärbeobachtern und Personal in Stäben und im Hauptquartier ist ein
wichtiger Bestandteil der Gesamtanstrengungen der
Bundesregierung zur Friedenskonsolidierung im Südsudan.
Wir bitten um die Fortsetzung des Mandats mit bis zu
75 Soldaten. Wir haben dort derzeit 38 Soldaten im Einsatz. Ich hatte vorige Woche zusammen mit Kollegen in
Akaba Gelegenheit, mit einigen dieser Soldaten zu sprechen. Ich kann nur noch einmal unterstreichen, was Kollege Erler hier gerade zum Ausdruck gebracht hat: Die
Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens gestaltet
sich zurzeit zunehmend schwierig. Die Soldaten haben
Sorgen im Hinblick auf die Entwicklung geäußert, auch
und insbesondere bezogen auf die Grenzsituation und
die Situation der Ölfelder. Dennoch, glaube ich, ist der
Aufbau von Verwaltungsstrukturen im Südsudan notwendig. Zahlreiche Flüchtlinge sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Rückverlegung von Truppen beider
Seiten hat ein Stück weit Fortschritte gemacht.
Unabhängig davon bitten wir um Zustimmung zu
einem neuen Mandat, für die Unterstützung von
UNAMID. Sie wissen, dass AMIS ihren Auftrag insofern nicht erfüllen konnte, weil die Kräfte nicht ausreichten, um Sicherung, Stabilität und eine friedliche Entwicklung zu gewährleisten und die Gräueltaten, die dort
teilweise täglich passieren, zu unterbinden. Deshalb unterstützen wir das neue Mandat der Vereinten Nationen,
UNAMID. Der Sicherheitsrat hat es für zunächst zwölf
Monate beschlossen, um eine wirksame Umsetzung des
Darfur-Friedensabkommens zu gewährleisten.
Kollegin Schuster, bezogen auf das, was Sie gerade
angesprochen haben, will ich auf Folgendes hinweisen:
Wir hatten bisher ein Mandat AMIS mit 200 Soldaten.
({0})
Wir bitten jetzt um ein Mandat mit bis zu 250 Soldaten,
wobei wir die Vorstellung haben, dass wir in etwa
50 Soldaten in die Stäbe geben, die dort Verbindungs-,
Beratungs- und Unterstützungsaufgaben wahrzunehmen
haben, und dass wir bis zu 200 Soldaten in der Lufttransportunterstützung einsetzen. Denn das ist ein wichtiger
Punkt, um letztlich das, was Sie angesprochen haben, zu
gewährleisten.
Sie wissen, dass der Gesamtumfang von UNAMID
rund 26 000 Soldaten betragen soll, wobei man hier differenzieren muss. 26 000 heißt im Klartext: rund 19 500
Soldaten und 6 500 Polizisten. Das ist in etwa die Gesamtkonzeption, wie sie jetzt von den Vereinten Nationen beschlossen worden ist. Ich denke, es ist wichtig,
dass wir unseren unterstützenden Beitrag leisten, um
endlich in dieser leidgeprüften Region, in Darfur, Stabilität und friedliche Entwicklung zu erreichen.
({1})
Wir bitten Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des Mandats UNMIS bezogen auf den Südsudan - dessen Aufgaben habe ich hier gerade vorgetragen und um Zustimmung zu der Beteiligung der Bundeswehr
an der gemeinsam von den Vereinten Nationen und der
Afrikanischen Union geführten Mission UNAMID in
Darfur.
Afrika ist der Nachbarkontinent von Europa. Wir haben, denke ich, ein Interesse daran, auch mit Blick auf
die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, dass es
eine stabile und friedliche Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent gibt. Gerade Darfur ist ein typisches
Beispiel. Dort werden Menschenrechte mit Füßen getreten und täglich Gräueltaten verübt. Es ist richtig, dass die
Europäische Union und konkret auch wir hier unsere
Unterstützung leisten. Deshalb bitten wir Sie um Ihre
Unterstützung für dieses neue Mandat mit einer Obergrenze von bis zu 250 Soldaten.
Besten Dank.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin, schönen Dank. - Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich finde, die regelmäßigen Debatten
über Mandate und Mandatsverlängerungen zwingen uns
dazu, jedes Mal wieder den eigenen Standpunkt zu überprüfen. Das gilt sowohl für die Kolleginnen und Kollegen, die zustimmen, als auch für die Kolleginnen und
Kollegen, die ablehnen. Man ist gezwungen, jedes Mal
die eigenen Argumente noch einmal auf den Prüfstand
zu stellen.
({0})
Es gibt Entscheidungen, die zumindest in einzelnen
Fraktionen unumstritten sind; dazu gehört bei uns die
Entscheidung zu Afghanistan. Und es gibt Entscheidungen, die umstrittener und differenzierter zu betrachten
sind; dazu gehört zweifelsohne die Entscheidung zum
Sudan.
({1})
Ich möchte unseren Abwägungsprozess ein Stück weit
transparent machen und erläutern, warum wir zu welchen Entscheidungen kommen. Meine Fraktion wird
nicht zustimmen. Ein Teil meiner Fraktion wird sich der
Stimme enthalten, und ein anderer Teil wird dagegen
stimmen. Warum das so ist, möchte ich Ihnen nahebringen. Vielleicht wägen auch Sie ein Stück weit mit ab.
Ich glaube, es ist völlig klar, dass kein Mensch über
die ungeheure Anzahl von Menschen, die im Sudan ermordet worden ist - ich benutze bewusst die Formulierung „ermordet worden ist“ - hinwegsehen kann. Keiner
kann darüber hinwegsehen, was an Vertreibungen und
Gewalt im Sudan ausgelöst worden ist. Keiner kann darüber hinwegsehen, welche unsichere, instabile Situation
es in den Flüchtlingslagern gibt. All dies sind Faktoren,
die ernsthaft in Rechnung gestellt werden müssen.
Ich glaube auch, dass man die Destabilisierung, die
vom Sudan auf ihn selbst und auf seine Nachbarländer
ausgeht, ernsthaft in Rechnung stellen muss. Ich stelle
natürlich auch immer in Rechnung - das ist mir selbst
und meiner Fraktion nämlich wichtig -, ob ein klares
Mandat der Vereinten Nationen vorliegt oder nicht. Das
ist zwar hier der Fall, muss aber nicht heißen, dass jedes
Mandat der Vereinten Nationen dann auch politisch von
den einzeln handelnden politischen Kräften geteilt werden muss. Man kann auch zur Auffassung gelangen, dass
man eine andere Position einnimmt; aber man muss es in
Rechnung stellen.
Ferner muss in Rechnung gestellt werden - diesbezüglich teile ich den Optimismus vom Kollegen Erler
nicht; ich wäre froh, wenn Sie recht hätten und ich unrecht hätte -, dass wir es im Sudan mit enorm großen
neuen Gefahren zu tun bekommen werden. Die Lostrennungstendenzen nicht nur im Süden des Sudans sind
stärker geworden. Solche Lostrennungstendenzen gibt
es auch in Darfur; das ist bekannt. Die Rebellengruppen
- falls man diesen Begriff überhaupt verwenden kann haben sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Die Regierung im Sudan hat keine vernünftigen
Lehren aus all dem gezogen. Die Handlungsweise der
sudanesischen Regierung ist und bleibt kritikwürdig.
Dazu kommt - das ist zwar nicht Gegenstand des
Mandats, aber man hat es mit einzubeziehen - die Truppenstationierung im Tschad, die mit der Situation in Darfur im Zusammenhang steht. Es handelt sich hier um
Truppen der Europäischen Union. Wenn man genauer
hinschaut, so stellt man fest, dass es hauptsächlich französische Truppen sind; es sind nur wenig andere dabei.
Ob es besonders klug ist, dass die ehemalige Kolonialmacht den Hauptteil der Truppen stellt, wage ich zu bezweifeln.
({2})
- Ich halte es für falsch. - Natürlich steht auch das Problem im Hintergrund, dass sich die Kämpfe wiederum
um Naturressourcen wie Öl und Gas im Sudan drehen.
Wenn man all dies gegeneinander abwägt, gibt es in
der Tat Argumente, die für die Stationierung sprechen.
Aber es gibt tatsächlich auch Argumente, die dagegen
sprechen, weil der Beweis, dass mit einer Militäraktion
Stabilität einziehen wird, nicht erbracht ist. Es wurde
hier zumindest einmal von den Kolleginnen und Kollegen, die von Militäraktionen als dem letzten Mittel gesprochen haben, die Meinung vertreten: Wenn es nur einen Hauch fraglich bleibt, ob ein Einsatz von Militär
sinnvoll ist, dann muss man sich entscheiden, nicht zuzustimmen. Das ist die Verantwortung, die man trägt.
Man trägt allerdings auch dann eine Verantwortung, der
man gerecht werden muss, wenn man Nein sagt, was,
wie ich glaube, hier die richtige und angemessene Entscheidung ist.
Eine letzte Bemerkung: Herr Verteidigungsminister,
ich hoffe, dass wir nicht binnen kurzer Zeit erneut über
eine Aufstockung der Truppen werden diskutieren müssen. Wenn das ganze Schlamassel im Sudan so abläuft,
wie ich es befürchte, spricht allerdings sehr viel dafür.
Herzlichen Dank.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Jürgen Trittin das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Hybridmission in Darfur beschlossen
hat.
({0})
Ich sage zunächst einmal mit Nachdruck: Ich finde es
richtig, dass diese Mission mit Kapitel VII der UNCharta begründet wird. Somit haben die dort eingesetzten Soldaten das Recht und den Auftrag, Menschen in
Not vor Mord und Vertreibung zu schützen.
Das sage ich nicht, weil ich diese Entwicklung für gut
halte. Wir haben aber doch erlebt, was ein zahlenmäßig
ungenügend ausgestattetes Mandat, die nicht ausrei12864
chende Kompetenz der AU-Truppe und ihre absolut lächerliche Ausstattung bewirkt haben.
({1})
Dadurch wurden der Konflikt und das Morden nicht beendet. Im Gegenteil, dadurch wurden diejenigen, die
schlichten wollten, zum Objekt der Empörung und letztlich auch zum Objekt militärischer Angriffe gemacht.
Das darf nie wieder passieren. Deswegen ist es richtig,
dass das Mandat für UNAMID in dieser Weise erteilt
worden ist.
({2})
Ich finde es auch richtig, dass sich Deutschland daran
beteiligt. Herr Jung, wenn es nicht schon so spät wäre,
hätte ich Ihnen die Frage gestellt: Wie oft sind eigentlich
die AMIS-Leute in letzter Zeit zum Einsatz gekommen?
Ich würde mir wünschen, dass diese 250 Menschen, die
die nötigen Kapazitäten und Fähigkeiten haben, in Darfur tatsächlich zum Schutz der Menschen, die von Vertreibung, Vergewaltigung und Mord bedroht sind, eingesetzt werden.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf den Südsudan, mit dem ich eine Erinnerung aus meiner Zeit als
Minister in Niedersachsen verbinde: Damals mussten
wir Entwicklungsprojekte im Süden des Landes beenden; Herr Fischer weiß das.
({3})
30 Jahre lang gab es dort Krieg. Durch das Abkommen
von Naviasha hat man es jetzt geschafft, für Frieden zu
sorgen. Es handelt sich dabei allerdings um einen instabilen Frieden, einen Frieden mit Risiken und mit Problemen. Jetzt richten die Konfliktparteien gemeinsam die
Bitte an die Vereinten Nationen: Wir wollen, dass der
30-jährige Krieg nicht wieder ausbricht, aber wir trauen
uns gegenseitig nicht. Deshalb möchten wir, dass ihr das
überwacht. Schickt uns Militärbeobachter, damit wir uns
an unsere Vereinbarung halten.
Ich sage Ihnen: Was gibt es für Menschen, die Frieden
sichern und Krieg verhindern wollen, Richtigeres, als
sich daran aktiv zu beteiligen? Es ist einfach Unsinn - ich
sage das bewusst mit Zurückhaltung, lieber Wolfgang
Gehrcke; Sie wissen, dass ich Sie aufgrund Ihrer differenzierenden Betrachtungsweise schätze und ernst
nehme -, den Einsatz unbewaffneter Militärbeobachter,
die mit Zustimmung der Konfliktparteien verhindern
sollen, dass der Krieg wieder ausbricht, mit imperialistischen Kriegen um Rohöl gleichzusetzen.
({4})
Lieber Wolfgang Gehrcke, ich finde, hier hätten Sie Mut
haben sollen; denn so, wie es jetzt läuft, geht es mit Ihnen nicht weiter.
({5})
Ich habe mir einmal Folgendes angesehen: Bei der Abstimmung im Jahr 2006 haben 31 Ihrer 56 Abgeordneten
dagegen gestimmt, 7 haben sich enthalten, 18 haben es
vorgezogen, gar nicht erst zu erscheinen.
({6})
- Sie waren nicht da. - 2007 haben wieder die üblichen
31 - ich weiß, Sie gehören nicht dazu - mit Nein gestimmt. Diesmal haben sich 15 enthalten, und 10 haben
gefehlt.
Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und
Herren von der Linkspartei, ich glaube, Sie sollten sich
einen Ruck geben!
({7})
Die Verweigerung der aktiven Beteiligung an solchen
Friedenseinsätzen, die Blauhelmeinsätze waren, ist eine
höchst arrogante.
({8})
Sie läuft nämlich im Ergebnis darauf hinaus, dass die
reichen Nationen zwar für solche Einsätze zahlen, aber
die armen Länder den Kopf hinhalten sollen.
({9})
Ich finde, das ist eine arrogante Position. Ich finde, diejenigen, die im Namen der internationalen Staatengemeinschaft dafür sorgen, dass dieser Krieg im Südsudan
nicht wieder ausbricht, verdienen unsere Anerkennung
und unsere gemeinsame Unterstützung - auch und gerade wenn man sich als links bezeichnet.
({10})
Die Rede der Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin
nehmen wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt den beiden
UN-Mandaten UNMIS, Resolution 1590, und UNAMID,
Resolution 1769, uneingeschränkt zu und unterstützt die
Bundesregierung in ihrem Bemühen, Frieden in Darfur
zu schaffen.
Darfur ist die Geschichte verbrannter Dörfer, mas-
senhafter Vergewaltigungen und Verstümmelungen,
ethnischer Säuberung. Darfur ist auch die Ge-
schichte hilflosen Zuschauens, kraftloser UN-Reso-
1) Anlage 10
Hartwig Fischer ({0})
lutionen, von Waffenlieferungen durch andere Länder und chaotischen „Friedensberatungen“. Die
Fakten über Darfur sind bekannt; aber dennoch
wurde der Völkermord nicht zur Weltnachricht.
Das Fehlen „echter Bilder“ mag dabei eine Rolle
gespielt haben. Die Regierung in Khartoum verhindert regelmäßig den Zugang in das Gebiet für Journalisten und immer häufiger auch für Hilfsorganisationen.
So stand es vorgestern in der niederländischen Zeitung
Trouw.
Meine Damen und Herren, ich bin nicht ganz so optimistisch wie Herr Staatsminister Erler, wenn ich daran
denke, dass die Friedensverhandlungen bereits nach einem Tag auf Dezember verschoben worden sind, weil
die Rebellenorganisationen sich nicht einig sind. Das
Sterben geht also weiter und das Leiden auch. Ich bin
auch nicht optimistisch, dass es nur annähernd ein Einlenken der Zentralregierung in Khartoum geben könnte.
Denn wer sich die aktuelle UN-Resolution ansieht - ich
stimme mit den Kollegen überein, dass es richtig ist,
dass es eine Resolution gemäß Kapitel VII ist -, der sieht
auch, dass in einem Absatz steht, dass die UN verlangen,
dass alle Bombenangriffe eingestellt werden und dass
die für derartige Angriffe verwendeten Luftfahrzeuge
nicht mit Symbolen der Vereinten Nationen gekennzeichnet werden. Das ist eindeutig eine Verurteilung der
Regierung; denn die Rebellen verfügen nicht über Flugzeuge.
Es geht weiter damit, dass die Regierung Baschir gestern den UN-Koordinator für die humanitäre Hilfe,
Herrn Ibrahim Wael al-Hadsch, ausgewiesen hat, weil er
berichtet hatte, dass die Zentralregierung 1 000 Flüchtlinge mit Waffengewalt aus dem Lager Nyala verlegt hat entgegen allen Vereinbarungen. Die Regierung hat sich
in den letzten Monaten zudem geweigert, die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofes gegen zwei
Kriegsverbrecher im Sudan anzuerkennen, und war nicht
bereit, die Auslieferung vorzunehmen.
Ich persönlich sage: Auch ich bin enttäuscht, dass
gestern nach einem Empfang für Herrn Baschir Herr
Mbeki, der Staatspräsident von Südafrika, ausschließlich
die Rebellen aufgefordert hat, die Gewalt einzustellen.
Diese Aufforderung muss sich nach meiner Überzeugung auch an die Regierung richten.
({1})
Es wird von 200 000 Toten gesprochen. Es sind weit
mehr, sagen uns die Hilfsorganisationen. Jeden Tag sterben in jedem der Lager weiter Kinder, insbesondere unter Fünfjährige. Ich hoffe - man kann wirklich nur noch
Hoffnungen damit verbinden -, dass diese wirklich ausgezeichnete Resolution, die jetzt auch von den Chinesen,
die immer noch Waffen liefern, mit unterstützt worden
ist, umgesetzt werden kann. Ich habe allerdings gewisse
Zweifel, weil es bei der Truppenstellerkonferenz sehr
hakt und bereits erhebliche Verzögerungen gegeben hat.
Innerhalb von 30 Tagen nach der Verabschiedung der
Resolution am 30. Juli 2007 sollte berichtet werden, wie
diese Truppenstellerkonferenz vorangeht. Man war der
Auffassung, dass nach weiteren 30 Tagen die finanziellen und die materiellen Dinge geklärt sind. All dies ist
bisher nicht geschehen. Ich sage Ihnen: Wenn wir ein
weiteres halbes Jahr debattieren - sei es auch auf UNEbene -, dann hat die Weltgemeinschaft wieder einmal
bei einem Krisenherd versagt.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6940 und 16/6941 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Sibylle Laurischk, Horst Friedrich
({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Integrierte Planung für Schiene und Straße im
Rheingraben - Gesamtverkehrskonzept Südbaden
- Drucksache 16/6638 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Wir nehmen die Reden des Kollegen Peter Weiß ({2}) für die Unionsfraktion, der Kollegin Rita
Schwarzelühr-Sutter für die SPD, des Kollegen Ernst
Burgbacher für die FDP, der Kollegin Dorothée Menzner
für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Kerstin
Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro-
tokoll.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6638 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen
- Drucksache 16/6942 Beschlussfassung
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Florian Toncar, Michael Link ({3}), Jens
Ackermann und weiterer Abgeordneter vor.
1) Anlage 11
Vizepräsidentin Petra Pau
Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das
betrifft die Rede der Kollegin Erika Steinbach für die
CDU/CSU-Fraktion, die Rede der Kollegin Professor
Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-Fraktion, die
Rede des Kollegen Florian Toncar für die FDP-Fraktion,
die Rede des Kollegen Michael Leutert für die Fraktion
Die Linke und die Rede des Kollegen Volker Beck
({4}) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1)
Außerdem liegt eine Reihe von Erklärungen nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung von Mitgliedern der
FDP-Fraktion vor, welche ebenfalls zu Protokoll genom-
men werden.2)
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6942
mit dem Titel: „Bei der 62. Generalversammlung der
Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen“. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Florian Toncar,
Michael Link ({5}), Jens Ackermann und weiterer
Abgeordneter vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/7044? - Die Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/6942? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist dieser Antrag einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Kirsten Tackmann, Katja Kipping, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit
sicherstellen und losgelöst vom SGB II regeln
- Drucksache 16/6928 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({6})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für
die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Wir neh-
men allerdings wiederum die Reden der Kolleginnen
und Kollegen zu Protokoll. Dies betrifft die Rede der
Kollegin Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion,
die Rede der Kollegin Renate Gradistanac von der SPD-
Fraktion, die Rede der Kollegin Ina Lenke von der FDP-
Fraktion, die Rede der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
von der Fraktion Die Linke und den Beitrag der Kollegin
Irmingard Schewe-Gerigk aus der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6928 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage
1) Anlage 15
2) Anlage 5
3) Anlage 13
federführend im Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend beraten werden soll. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist diese Über-
weisung ebenfalls beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 ({8})
- Drucksache 16/6566 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung
der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 ({9})
- Drucksache 16/6384 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
({10})
- Drucksache 16/6972 Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae
- Bericht des Haushaltsausschusses ({11}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6973 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kurt J. Rossmanith
Volker Kröning
Roland Claus
Anna Lührmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K.
Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zu-
kunftsgerichtet gestalten - RAG-Börsen-
gang an marktwirtschaftlichen Grundsät-
zen ausrichten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine
Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE
Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen
Rechts überführen - Börsengang verhin-
dern
- Drucksachen 16/5422, 16/6392, 16/6972 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae
Vizepräsidentin Petra Pau
Zu dem Entwurf eines Steinkohlefinanzierungsgeset-
zes der Bundesregierung sowie zu dem der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD liegt je ein Entschließungsan-
trag der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war auch
hier eine halbe Stunde vorgesehen. Nun nehmen wir die
Beiträge der Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer von der
CDU/CSU-Fraktion und Rolf Hempelmann von der
SPD-Fraktion zu Protokoll.1)
Das Wort erhält der Kollege Paul Friedhoff für die
FDP-Fraktion.
({13})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu dieser vorgerückten Stunde kommen wir nun zu einem Thema, das wahrlich einen besseren Debattenplatz
verdient hätte; denn wir entscheiden heute - wir diskutieren nicht mehr, sondern entscheiden tatsächlich - über
die Abwicklung von 800 Jahren deutscher Industriegeschichte in Form der Beendigung des subventionierten
deutschen Steinkohlebergbaus sowie, wie Sie alle wissen, über Subventionen in Höhe von 38 Milliarden Euro.
Das darüber nicht mehr zu reden sein muss, sondern dass
sämtliche Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden
sollen, enttäuscht mich ein wenig. Ich kann mich nicht
daran erinnern, dass solche wichtigen Themen, bei denen es um so viel Geld geht, in der Vergangenheit so behandelt worden sind, wie dies jetzt der Fall ist.
({0})
Wir erinnern uns: Der industrielle Aufstieg Deutschlands im 19. Jahrhundert war untrennbar mit dem deutschen Steinkohlenbergbau verbunden. Nach dem Krieg,
als alles in Schutt und Asche lag, war es die deutsche
Steinkohle, die den Wiederaufbau in Deutschland erst
ermöglichte. Dies war der Stoff, auf dem Deutschland
aufbauen konnte.
({1})
Es gilt auch heute noch, den Kumpeln aus der damaligen
Zeit dafür zu danken.
({2})
Mit der Internationalisierung des Handels und dem
immer preisgünstigeren Transport von Gütern über die
Weltmeere erwuchs der deutschen Steinkohle eine Kon-
kurrenz, die sie wettbewerbsunfähig machte. Das führte
seit den 60er-Jahren in Deutschland zu ihrer Subventio-
nierung, zunächst mit der Begründung, die Energiever-
sorgung in Deutschland sei sonst nicht gesichert. Doch
ein Blick auf die weltweiten Lagerstätten, in denen
Steinkohle wesentlich preiswerter abgebaut werden
kann, zeigt schnell, dass wir in Deutschland nur über
etwa 3 Prozent der Weltkohlevorräte verfügen und dass
diese hier nur sehr teuer abbaubar sind. Dennoch wurde
1) Anlage 14
weiterhin das Argument der Versorgungssicherheit vorgeschoben, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Allerdings waren dies teure Arbeitsplätze für den
Steuerzahler: Schon 1990 wurde jeder Arbeitsplatz im
Bergbau mit 76 000 DM subventioniert; heute sind es
etwa 76 000 Euro. Wir müssen also viel mehr an Subventionen bezahlen, als die Kumpels verdienen. Insgesamt sind bis heute rund 130 Milliarden Euro aus Steuermitteln in die Steinkohle geflossen. Jetzt kommen noch
die bereits angesprochenen 38 Milliarden Euro hinzu.
({3})
Hinzu kommen aber auch noch Dauerschäden an der Natur und an Gebäuden in den Bergbauregionen.
Den Kumpeln und den Steuerzahlern ist das Märchen
von der Versorgungssicherheit immer wieder erzählt
worden. Damit wurde der Strukturwandel hin zu moderneren Technologien an der Ruhr nicht gefördert, sondern
behindert. Das Geld, das in dunkle Schächte floss, fehlte
an anderer Stelle. Das einst starke Bundesland NRW fiel
in die Mittelmäßigkeit zurück.
Die Folgen bekämpft die heutige Düsseldorfer Koalition aus CDU und FDP. Diese ist es auch, die den Ausstieg, den wir heute beschließen wollen, erzwungen hat.
({4})
Das Märchen von der Versorgungssicherheit wird
heute nicht mehr aufrechterhalten. Darüber freuen wir
uns. Dieses Märchen hat sich 25 Jahre lang gehalten;
Gott sei Dank ist es jetzt vorbei. Wenn nun ein neues
Märchen von der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Steinkohle aufkommt und es tatsächlich wahr
werden sollte, haben wir Liberalen selbstverständlich
nichts dagegen. Wir haben nichts gegen einen unsubventionierten Bergbau, weder 2012 noch später. Aber wir
glauben nicht daran; denn wir sind Realisten.
Erstens fordern wir deshalb: Der Bergbau sollte bereits 2012 auslaufen, damit nicht noch weitere 12 Milliarden Euro an Steuergeldern sinnlos ausgegeben werden.
({5})
Denn in diesen letzten sechs Jahren mit durchschnittlich
noch 5 000 Bergleuten würden jährlich Kosten in Höhe
von 400 000 Euro pro Beschäftigten anfallen. Das kann
man sich kaum vorstellen.
({6})
Aus der Sicht des Steuerzahlers ist es eben nicht sozial
verträglich, sondern unerträglich, wenn dieses Geld
nicht in öffentliche Infrastruktur investiert wird. Dass
dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten
als die, die im Bergbau noch erhalten werden, dürfte jedem klar sein, der sich ein wenig mit diesem Thema beschäftigt.
Zweitens fordern wir, den Subventionsmodus von
dem Kostenerstattungsprinzip auf ein Prämienmodell
pro Tonne umzustellen, um Anreize für höhere Effizienz
zu geben und damit Subventionen einzusparen.
({7})
Drittens soll das Vermögen der THS in Form ihres
Wohnungsbestandes, den letztlich auch der Steuerzahler
finanziert hat - das ist ebenfalls ein wichtiges Thema,
dem sich möglicherweise auch der Rechnungshof einmal
zuwenden sollte -, nach unserer Meinung nicht in eine
Gewerkschaftskasse fließen, sondern dem Steuerzahler
zurückgegeben werden.
({8})
Die FDP-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen,
({9})
weil wir damit unsere langjährige Forderung nach einem
Ende des Subventionsbergbaus erfüllt sehen. Wir gehen
aber davon aus, dass das Ende des Subventionsbergbaus
nicht erst 2018 kommen wird, Herr Hempelmann; denn
an dieses Datum glauben wirklich nur die Märchenerzähler von damals.
Ich danke Ihnen.
({10})
Wir nehmen die Reden des Kollegen Dr. Joachim
Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion und des Kollegen
Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion, der Kollegin
Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke und der Kollegin
Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen zu Protokoll.1) Außerdem liegt eine Erklärung nach
§ 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Axel
Berg vor, die ebenfalls zu Protokoll genommen wird.2)
Ich schließe die Aussprache.
Damit kommen wir zur Abstimmung über die von der
Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Stein-
kohlefinanzierungsgesetzes. Der Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6972,
die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/6566 und
16/6384 zusammenzuführen und unverändert anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? -
Dann ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der
1) Anlage 14
2) Anlage 6
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7012? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der
Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/7011. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist der Entschließungsantrag gegen die
Stimmen der Antragsteller mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion der FDP abgelehnt.
Wir setzten die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie
auf Drucksache 16/6972 fort. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5422 mit dem Titel „Ausstieg aus der Steinkohle
zügig und zukunftsgerichtet gestalten - RAG-Börsengang an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist
diese Beschlussempfehlung angenommen.
Wir sind noch immer bei Tagesordnungspunkt 21 b.
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6392 mit dem Titel „Ruhrkohle AG in eine
Stiftung öffentlichen Rechts überführen - Börsengang
verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen
der Antragsteller angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Umweltqualitätsnormen im Bereich Wasserpolitik - Forderungen des Europäischen Parlaments aufgreifen und ausweiten
- Drucksache 16/6636 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Wir nehmen die Reden des Kollegen Ulrich Petzold
für die Unionsfraktion, der Kollegin Petra Bierwirth für
die SPD-Fraktion, des Kollegen Horst Meierhofer für
die FDP-Fraktion, der Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke und der Kollegin Nicole Maisch
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.3)
3) Anlage 15
Vizepräsidentin Petra Pau
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6636 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und
zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige
politische Häftlinge ({1})
- Drucksache 16/5845 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({2})
- Drucksache 16/6956 Berichterstattung:
Abgeordnete Günter Baumann
Maik Reichel
Dr. Max Stadler
Jan Korte
Wolfgang Wieland
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6990 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bettina Hagedorn
Dr. Michael Luther
Otto Fricke
Roland Claus
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke vor. Wir nehmen die Reden der Kollegen Klaus
Brähmig und Jochen-Konrad Fromme für die Unions-
fraktion, des Kollegen Maik Reichel für die SPD-Frak-
tion, des Kollegen Dr. Max Stadler für die FDP-Frak-
tion, des Kollegen Wolfgang Wieland für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und meine Rede zu Protokoll.1)
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes. Der Innenaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/6956, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 16/5845 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenom-
men.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
1) Anlage 16
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der
Fraktion der Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion
angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
16/7013. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist damit gegen die Stimmen der Antragsteller und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der FDP-Fraktion mit den Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({4}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik
der Europäischen Union weiterentwickeln
- Drucksachen 16/5425, 16/6977 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stephan Eisel
Axel Schäfer ({5})
Markus Löning
Dr. Diether Dehm
Rainder Steenblock
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Axel Schäfer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man am 8. November eine Debatte über die Zukunft Europas, insbesondere was die Erweiterungs- und
Nachbarschaftspolitik anbelangt, führt, dann ist es richtig und notwendig, sich daran zu erinnern, dass sich morgen vor genau 18 Jahren die friedliche Revolution in
Deutschland mit dem Fall der Mauer durchzusetzen begann. Damit endete zugleich das 20. Jahrhundert, das
mit dem Ersten Weltkrieg begann und mit dem Mauerfall seinen Abschluss fand, ein Jahrhundert, das zur einen Hälfte durch Kriege und Diktaturen und zur anderen
Hälfte durch das gänzlich Neue, nämlich durch die Europäische Gemeinschaft und den europäischen Integrationsprozess, geprägt war. Dieses Neue stellte ein Gegenbild zum Krieg dar und stand für ein friedliches
Zusammenleben.
Die Kinder der friedlichen Revolution, also diejenigen, die vor 18 Jahren geboren wurden, sind volljährig.
Der Transformationsprozess steckt jedoch noch in den
Kinderschuhen. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns im12870
Axel Schäfer ({0})
mer wieder dessen vergewissern - deshalb ist es gut,
dass wir heute hier diese Diskussion führen -, wohin wir
in Europa in Zukunft wollen. Wir müssen die Geschichte
kritisch aufarbeiten und die Probleme konkret benennen,
die wir jetzt anpacken müssen.
Ich sage ganz offen, ohne Schwarzmalerei und ohne
Pessimismus: Das Jahr 2008 wird, was die Erweiterung
und Zusammenarbeit in Europa anbelangt, ein Entscheidungsjahr sein. Die Frage wird sein, ob es gelingt, in Europa voranzukommen, oder ob Europa in einigen Bereichen scheitern wird. Im nächsten Jahr müssen 27 Staaten
fähig sein, etwa 45 parlamentarische Verfahren zur Ratifizierung des Reformvertrages, den die große Mehrheit
dieses Hauses will und den sie ein Stück mitentwickelt
hat, durchzuführen.
Wir brauchen in Südosteuropa - manche sprechen
vom Westbalkan - Fortschritte, keine Rückschritte, die
möglicherweise wieder kriegerische Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Wir brauchen auch in den Ländern,
die der Europäischen Union beitreten wollen - Türkei und
Kroatien; ich denke auch an eine Perspektive für Mazedonien -, erkennbare Wandlungen. Seien wir ehrlich: Es
entwickelt sich nicht alles zum Besseren, und es geht
nicht alles voran, sondern man fühlt sich manchmal wie
im Paternoster. Gott sei Dank ändert sich etwas in diesen
Ländern, wenn sie eine europäische Perspektive haben;
aber leider entwickeln sie sich manchmal zur selben Zeit
ein Stück zurück. Das heißt, scheinbar überwundene
Probleme treten wieder auf.
Deshalb haben gerade wir Deutsche in Europa im
kommenden Jahr eine ganz besondere Verantwortung.
({1})
Wenn wir diese Verantwortung wahrnehmen wollen,
dann ist es wichtig, dass wir die Fundamente Europas
nicht infrage stellen. Das erste Fundament, was die Beitritte anbelangt, ist: Jedes europäische Land kann beantragen, der EU beizutreten, wenn es die Werte der Europäischen Union teilt und für ihre Durchsetzung eintritt.
Das ist die Grundlage. Deshalb möchte ich den Kolleginnen und Kollegen der FDP meine Reverenz erweisen
und an den Altmeister Genscher erinnern. Als es in den
90er-Jahren bei der Behandlung dieser Fragen sehr heftig wurde - schon damals hat man darüber diskutiert,
wer der Europäischen Gemeinschaft noch beitreten
könnte und sollte -, hat Genscher gesagt: Lasst uns in
Europa bei dem Prinzip bleiben, dass wir bestimmte Fragen nicht stellen, wenn wir wissen, dass wir sie nicht beantworten können.
Ich denke, es wäre falsch, eine Finalitätsdebatte, also
eine Debatte über die Frage, welches europäische Land
eigentlich nicht dazu gehören sollte, zu führen. Das zu
bedenken, ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Das
heißt in puncto Verhandlungen mit der Türkei und mit
Kroatien: Wir müssen diese Verhandlungen mit dem Ziel
führen, dass sie erfolgreich sind, und nicht mit der Maßgabe, dass nur irgendetwas dabei herauskommt.
({2})
Ich sage zu Kroatien ganz bewusst: Der Erweiterungsprozess, den wir im 21. Jahrhundert begonnen haben - Stichwort „zehn plus zwei plus eins“; „zehn“ bezieht sich auf die Beitritte, die 2004 stattgefunden haben;
danach sind zwei weitere Länder, Bulgarien und Rumänien, beigetreten; ein weiteres Land, Kroatien, soll folgen -, muss noch in diesem Jahrzehnt abgeschlossen
werden. Ich glaube, das ist eine besondere Verpflichtung
für uns.
({3})
Natürlich dürfen wir jetzt nicht diejenigen Länder
ausgrenzen, von denen wir heute seriöserweise nicht sagen können, welche Beitrittsperspektive sie haben. Das
heißt speziell für Südosteuropa, unser wichtigstes Projekt: Wir müssen alles tun, wir müssen alle zur Verfügung stehenden Ressourcen, Mittel und sämtliche Manund Womanpower einsetzen, damit die Lage dort stabil
bleibt und die Entwicklung voranschreitet.
Ich erwarte, auch von der Kommission, dass man sich
sehr wohl darauf einstellt, ein Stückchen mehr zu tun,
um zu zeigen, dass die Arbeit gelingt und dass es keinen
Rückschritt gibt. Meine stille Hoffnung ist - ich möchte
sie gern laut äußern -, dass die Kommission ihrer Verantwortung auf andere Art und Weise gerecht wird. Es
reicht nicht, 27 Kommissarinnen und Kommissare zu
haben, die für 27 verschiedene Ressorts zuständig sind.
Es wäre gut, wenn einer oder zwei von ihnen ständig in
Südosteuropa sind. Der Erfolg dieses Beitrittsprozesses
ist für das Gelingen der Europäischen Gemeinschaft auf
mittlere Sicht nämlich das Wichtigste. Daher müssen wir
dort sowohl mit Personen als auch mit Mitteln und vielen Projekten in ganz anderer Weise präsent sein, als es
bisher der Fall ist, um den Menschen zu zeigen: Der
Weg nach Europa bedeutet Fortschritt und ist nicht mit
neuen Schlaglöchern gepflastert.
Der Bereich Nachbarschaftspolitik ist natürlich etwas
schwieriger. Es ist gut, dass wir über das Positionspapier
der Grünen diskutieren. Es ist klar: Die Staaten im Vorderen Orient oder in Nordafrika haben nach unserem
Verständnis keine europäische Beitrittsperspektive, weil
sie keine europäischen Staaten sind.
({4})
Wir müssen die Formen der Zusammenarbeit mit diesen
Staaten - die Projekte, die wir entwickeln, und die Vereinbarungen, die wir treffen - so gestalten, dass sie für
diese Länder attraktiv sind, eine Innovation darstellen
und nicht nur „business as usual“ sind.
Was die andere Seite, die europäischen Beitrittsaspiranten, angeht, ist es vielleicht noch ein wenig wichtiger,
über Prioritäten zu sprechen. Es wird darauf ankommen,
dass wir helfen, die dort manchmal ganz schwierigen
Ausprägungen alter Strukturen in Richtung Demokratie
zu überwinden. Wir haben dabei vier Punkte im Auge,
die ich hier noch einmal deutlich machen möchte:
Wir brauchen in diesen Bereichen Vereinbarungen
über eine wirtschaftliche Entwicklung. Wir brauchen
Regelungen, insbesondere was Energie anbelangt. Wir
Axel Schäfer ({5})
müssen natürlich die Mobilität von Menschen fördern.
Wir müssen versuchen, Nachhaltigkeit im Umweltbereich zu unterstützen. Das sind die wesentlichen Elemente dieser Strategie. Wie wir wissen, haben wir uns
mit dem neuen Reformvertrag, den wir ratifizieren wollen, dazu verpflichtet, die Nachbarschaftspolitik zu einer
wichtigen europäischen Aufgabe zu machen.
Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen haben hier dankenswerterweise einen sehr
umfangreichen Antrag vorgelegt.
({6})
An diesem Antrag werden wir uns in Zukunft, lieber
Jürgen Trittin, sicherlich abarbeiten, auch in Diskussionen. Es ist völlig klar: Zum Schluss werden wir eine Entscheidung treffen. Auch ich als Sprecher der Arbeitsgruppe „Angelegenheiten der Europäischen Union“ der
sozialdemokratischen Fraktion werde daran mitarbeiten,
dass in diesem Parlament eine tragfähige und breite
Grundlage zustande kommt. Dem Antrag heute zuzustimmen, halte ich aufgrund der gegenwärtigen Situation
nicht für richtig. Aber es ist wichtig, dass wir die Diskussion heute wie vereinbart führen.
Vielen Dank.
({7})
Wir nehmen die Rede des Kollegen Michael Link für
die FDP-Fraktion zu Protokoll1). Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Eisel für die Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir debattieren über die europäische Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik aufgrund eines Antrages der Grünen. In diesem Antrag der
Grünen sind viele bedenkenswerte Überlegungen enthalten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen,
er hat drei entscheidende Schwächen. Diese entscheidenden Schwächen beschreiben zugleich die Herausforderungen an die europäische Politik.
Erstens. Wir befinden uns in einer Phase, in der die
Vertiefung und die Konsolidierung in der Europäischen
Union Vorrang vor der Erweiterung haben.
({0})
Die Umsetzung des europäischen Reformvertrages - nicht
nur die Ratifizierung - hat jetzt Priorität. Denn wenn die
Europäische Union intern nicht handlungsfähig ist und
bleibt, kann sie die anstehenden Probleme nicht lösen.
Im Übrigen bleibt sie dann auch nicht attraktiv für die
Nachbarn. Die Europäische Union muss stark und intern
1) Anlage 17
handlungsfähig als Vorraussetzung für ihre Erweiterung
bleiben.
Die zweite Schwäche bezieht sich auf die Erweiterungspolitik an sich. Diesbezüglich müssen wir überlegen, ob wir noch die richtige Grundhaltung verfolgen.
Wir haben eine Situation, in der die Europäische Union
den Aspiranten eine To-do-Liste vorlegt, die abgearbeitet werden muss, um Mitglied der Europäischen Union
zu werden. Dadurch geraten wir leicht in eine Situation,
in der Reformen in den entsprechenden Ländern nicht
um ihrer selbst willen durchgeführt werden, sondern nur
wegen der Anforderungen der Europäischen Union. So
entstehen keine nachhaltigen Reformen.
({1})
Da kann man einmal die Beispiele Ungarn, Tschechische Republik und Polen heranziehen. Die Menschen
dort haben die Demokratie um ihrer selbst willen eingeführt und nicht deswegen, weil sie eine To-do-Liste bekamen. Daraus hat sich dann der Beitrittsanspruch ergeben.
In dieser Woche hat uns die Europäische Kommission
Fortschrittsberichte vorgelegt, in denen über alle Länder
mit viel Skepsis hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und
Nachhaltigkeit der Reformen berichtet wird. Wenn wir
diese Fortschrittsberichte ernst nehmen, dann müssen
wir Wert darauf legen, dass Reformen nicht nur durchgeführt werden, weil die Europäische Union dies als Beitrittsvoraussetzung fordert, sondern weil die Reformen
in den Ländern selbst von der Bevölkerung nachhaltig
getragen werden. Ich sage das insbesondere mit Blick
auf die Türkei.
({2})
Der dritte Punkt, der uns in der Europapolitik beschäftigt und im Antrag der Grünen nicht schlüssig behandelt wird, betrifft die europäische Nachbarschaftspolitik. Im EU-Vertrag steht ganz klar, dass jeder
europäische Staat das Recht hat, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wir kommen nicht darum herum,
die Frage zu beantworten, was denn ein europäischer
Staat ist. Es gehört auch die geografische Komponente
dazu. Aber wir haben auch die Verpflichtung, dass mit
denjenigen, die nicht in eine Beitrittssituation kommen
werden, eine gute Nachbarschaftspolitik betrieben wird.
Aber das ist eine zweiseitige Angelegenheit. Auch
das will ich an einem Beispiel deutlich machen: an dem
besonderen Verhältnis zu Russland. Ich sage in aller
Deutlichkeit, dass das, was in diesem Bereich vonseiten
Russlands zurzeit passiert, keine gute Nachbarschaftspolitik ist.
({3})
Ich nenne nur die Stichworte „Rindfleisch und Polen“
sowie „Lufthansa und Überflugrechte“. Ich habe aber
auch keinerlei Verständnis für das Verhalten des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, der eine gemeinsame Reaktion der Europäischen Union auf das Verhalten Russlands in Bezug auf die Überflugrechte zunichte
gemacht hat. Ich habe dafür kein Verständnis.
({4})
- Herr Kollege Trittin, ganz ruhig bleiben!
({5})
- Wenn Sie mir zustimmen, ist das eine erfreuliche Angelegenheit.
({6})
Ihre Zustimmung wird im Protokoll aufgenommen.
Ich will noch ein drittes Beispiel nennen. Wenn Russland jetzt einseitig die Importzölle auf finnisches Rohholz in völlig unangemessener Weise erhöht, ist auch das
keine gute Nachbarschaftspolitik.
Unser europapolitischer Kurs muss klar sein: Vertiefung als Voraussetzung und vor Erweiterung, Erweiterung aufgrund selbsttragender Reformen und Nachbarschaftspolitik auch als eine Anforderung an die
Nachbarn im Verhalten gegenüber uns in der Europäischen Union.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege
Dr. Keskin das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Jedes Mitglied des Deutschen Bundestages wird
wohl den Antragstellern zustimmen, wenn sie die Erweiterungspolitik der Europäischen Union als eine Erfolgsgeschichte bezeichnen, die die historische Teilung Europas aufgehoben hat. Alle Erweiterungsrunden der EU
haben in der Tat maßgeblich mit zu den friedlichsten
Jahrzehnten in der Geschichte des Kontinents beigetragen. Der Fraktion Die Linke ist aber genauso wichtig,
dass bei der Erweiterung der EU auch die soziale Dimension berücksichtigt wird.
Ich kann mich durchaus mit einigen der im Antrag
aufgeführten konkreten Forderungen an die künftige Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der EU identifizieren. Die Fraktion Die Linke unterstützt die Förderung
regionaler Kooperationen und einen generellen Verzicht
auf die Festlegung von Beitrittsdaten. Auch wir unterstützen mit Nachdruck, wie die Antragsteller, die Wiedervereinigung Zyperns unter der Schirmherrschaft der
UNO.
Jedoch müssen auch einige kritische Anmerkungen
gestattet sein. So wird die Osterweiterung von den Antragstellern schlichtweg idealisiert: Sie habe zur Transformation der Staaten Süd-, Mittel- und Osteuropas in
stabile Demokratien und funktionierende Marktwirtschaften beigetragen. In diesem Zusammenhang wird
von mehr Wachstum gesprochen. Hierbei ist aber ganz
entscheidend, wem dieses Wachstum zugute kommt. So
ist etwa der Anstieg des deutschen Exportwachstums im
Zuge der Erweiterung zwar eine erfreuliche Tatsache.
Aber wenn bei den deutschen Arbeitnehmern hiervon
nur wenig ankommt und sich die Lebenshaltungskosten
in den neuen Mitgliedstaaten drastisch erhöhen, ist es offenkundig, dass nur der Reichtum weniger Betroffener
gesteigert wird.
Zwar wird in diesem Antrag im Teil zur Nachbarschaftspolitik das Ziel benannt, die Armut zu verringern
und einen gemeinsamen Raum des Wohlstands zu schaffen. Die Frage, mit welchen Maßnahmen und mit welchen Mitteln dieses Ziel zu erreichen sei, bleibt aber unbeantwortet. Europäische Nachbarschaftspolitik darf
nicht darauf begrenzt sein, lediglich Hürden für die wirtschaftliche Zusammenarbeit aus dem Weg zu räumen,
damit Großkonzerne möglichst große Profite erlangen.
Die Linke stellt sowohl in den EU-Staaten als auch in
den Nachbarstaaten der EU die soziale Komponente in
den Mittelpunkt ihrer Europapolitik. Nicht die Interessen
der Großkonzerne müssen im Zentrum europäischer
Nachbarschaftspolitik stehen, sondern die Bekämpfung
der Armut und die Schaffung von Wohlstand für möglichst breite Teile der Bevölkerung.
Die Linke fordert eine gleichberechtigte europäische
Nachbarschaftspolitik, bei der unsere Nachbarstaaten
nicht bevormundet werden sollen, sondern miteinander
reden dürfen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Jürgen Trittin das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben einen Antrag vorgelegt, mit dem wir die Bundesregierung aufgefordert haben, das Konzept einer europäischen Nachbarschaftspolitik weiterzuentwickeln, eine
EU-Zentralasien-Politik auszuformulieren und sich mit
Nachdruck um das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland zu kümmern.
Als ich die Rede des Kollegen Schäfer hörte, konnte
ich nicht verstehen, warum die SPD-Fraktion heute unseren Antrag ablehnen möchte. Das meiste, was Sie,
Herr Schäfer, gesagt haben, steht in unserem Antrag.
({0})
Ich habe es aber verstanden, als ich Herrn Eisel gehört
habe. Ich finde, es ist eine interessante Kontroverse, die
sich hier innerhalb der Großen Koalition auftut. Weil Sie
sich nicht einig sind, müssen Sie sich jetzt darauf verständigen, unseren Antrag abzulehnen.
In Bezug auf Russland habe ich mir natürlich die
Frage gestellt, warum ein Bundesverkehrsminister
gleich klein beigeben musste, nur weil ein Ministerpräsident anruft. Das war falsch.
Wichtiger ist mir aber, dass hier ein Gegensatz zwischen Vertiefung und Erweiterung hergestellt wird. Das
war schon vor zehn Jahren falsch; das ist immer noch
falsch.
({1})
Ich möchte Ihnen erläutern, warum das falsch ist. Es
wird hier so getan, als ob es Gegensätze gäbe. Dabei befinden wir uns in der Situation, dass wir gleichzeitig beides - Vertiefung und Erweiterung - vorantreiben müssen. Die Europäische Union hat beides getan.
Sicherlich war es richtig - Herr Eisel, auch Sie haben
das gesagt -, dass die polnische Gesellschaft darauf gedrängt hat, Bestandteil der westlichen Gemeinschaft, der
NATO und der Europäischen Union, zu werden, dass sie
für Demokratie gestritten hat.
({2})
Glauben Sie aber im Ernst, dass die polnische Gesellschaft ohne die Beitrittsperspektive etwa die Grundregeln des europäischen Umweltrechts übernommen
hätte? Nein, das hätte sie nicht getan. Die polnische Gesellschaft wollte Bestandteil der Europäischen Union
sein, weil diese Union eine Gemeinschaft von Demokraten ist. Dies hat sie dazu gebracht, den Weg der Vertiefung im eigenen Land zu gehen.
({3})
Jetzt kann man immer nach der Endlichkeit des Prozesses fragen. Ich glaube, wenn man Vertiefung und Erweiterung getrennt voneinander diskutiert, dann beraubt
man die Europäische Union ihrer Kernidee. Die Kernidee der Europäischen Union war, auf diesem Kontinent
Krieg unmöglich zu machen. Diese Friedensidee macht
den Kern der Europäischen Union aus.
({4})
Wenn Sie sagen, dieser Gründungsimpetus sei überflüssig geworden, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie
doch einmal nach Georgien. Schauen Sie, was dort, direkt vor unserer Haustür, gerade passiert. Aus einem regionalen Konflikt, einem Konflikt regionaler Minderheiten, mit einem unbequemen Nachbarn, der sich in dieser
Frage außerordentlich falsch verhält, entstehen plötzlich
Massenproteste gegen eine Bewegung, die über Massenproteste an die Macht gekommen ist; die Machthaber
wissen sich nicht besser zu helfen, als zu diktatorischen
Mitteln zu greifen und den Ausnahmezustand auszurufen.
Wenn Sie von der Union diese Logik fortsetzen und
sagen, dass solche Gesellschaften keine grundsätzliche
Beitrittsperspektive erhalten sollen, dann geben Sie die
Idee der friedensstiftenden Funktion der Europäischen
Union auf.
({5})
Deshalb finde ich Ihren Ansatz so gefährlich. Mit Ihrer
Haltung verabschieden Sie sich von dem Koalitionsvertrag, der vorsah, der Türkei eine Beitrittsperspektive zu
geben, ohne zu wissen, wo das endet. Aber es gibt diese
Beitrittsperspektive, weil sie als ein Schritt gilt, die Türkei zu demokratisieren und Europa ein Stück friedlicher
und demokratischer zu machen.
Wer heute sagt, es solle keine Erweiterung, sondern
nur eine Vertiefung geben, wird die Europäische Union
des Kerns ihrer Grundidee berauben. Deswegen ist es
falsch, wenn Sie heute unseren Antrag ablehnen.
({6})
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Thomas
Silberhorn das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Niemand in der Großen Koalition diskutiert über das
Thema der Vertiefung und der Erweiterung der Europäischen Union, indem er dies als einen Gegensatz ansieht.
Nur, nach der Debatte, die wir in den letzten Jahren über
den Verfassungsvertrag und jetzt über den Vertrag von
Lissabon geführt haben, wird man einsehen müssen,
dass die Erweiterung wohl kaum ein Weg zu mehr Vertiefung sein kann, dass aber umgekehrt die Vertiefung
der europäischen Integration ein Weg dazu ist, in der Europäischen Union wieder erweiterungsfähig zu werden.
({0})
Deswegen handelt es sich bei dem Thema der Vertiefung
und der Erweiterung nicht um einen Gegensatz, sondern
schlicht um eine Frage der Prioritätensetzung.
Jetzt geht es darum, dass wir den Vertrag von Lissabon, der demnächst unterzeichnet werden soll und ratifiziert werden muss, tatsächlich mit Leben erfüllen, dass
die Europäische Union die neuen Kompetenzen, die ihr
darin übertragen werden, kraftvoll wahrnimmt, dass wir
aber gleichzeitig dem Subsidiaritätsprinzip zum Durchbruch verhelfen, das in diesem Vertragstext verschärft
wird und das in die Kontrolle der nationalen Parlamente
gelegt wird. Wir müssen doch sehen, dass wir in einer
Europäischen Union von 27 Mitgliedstaaten eine wachsende Heterogenität und eine zunehmende Betonung nationaler und regionaler Interessen zu verzeichnen haben.
Deswegen tut es jetzt not, dass wir mit dem Vertrag von
Lissabon die Balance zwischen der Europäischen Union
und den Mitgliedstaaten neu austarieren. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass die Europäische Union wieder
erweiterungsfähig wird. Deswegen brauchen wir jetzt
eine Phase der Konsolidierung.
Was die Beitrittskandidaten bzw. die Staaten angeht,
die Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union
abschließen wollen, sind uns diese Woche die Fort12874
schritts- und Monitoringberichte vorgelegt worden - mit
ernüchternden Ergebnissen. Der Stand der Reformen
bleibt in nahezu allen Staaten weit hinter den Erwartungen zurück. Die Reformen sind zu langsam, zu oberflächlich und zu wenig substanziiert.
Deswegen muss man hier schon einfordern, dass
diese Staaten auch den politischen Willen aufbringen,
aus eigener Kraft zu reformieren, eigene Anstrengungen
zu unternehmen. Es ist nicht ausreichend, dass die Kommission mit Vorleistungen reagiert. Die vielen Vorleistungen, die schon erbracht worden sind, haben ganz offenkundig nicht die gewünschten Anreize gesetzt,
sondern ganz im Gegenteil vielleicht sogar dazu beigetragen, dass die Reformanstrengungen auf breiter Front
erlahmt sind. Deswegen trägt die Kommission eine gewisse Mitverantwortung dafür, dass es in diesen Staaten
zu Stagnation gekommen ist. Es genügt eben nicht, nur
Defizite festzustellen und dann keine Konsequenzen daraus zu ziehen.
Wir müssen, so meine ich, weniger Nachsicht üben
und mehr darauf dringen, dass unsere Nachbarstaaten
ihre Hausaufgaben erledigen. Dass wir nicht weiter politische Rabatte gewähren, ist eine Forderung, um unsere
Glaubwürdigkeit in der Erweiterungspolitik zu erhalten;
denn die Rabatte, die in der Vergangenheit gewährt worden sind - ich will die entsprechenden Staaten nicht nennen -, beschäftigen uns bis heute. Das zeigt uns, dass die
Glaubwürdigkeit der Verhandlungsstrategie der Kommission im Rahmen der Erweiterungspolitik zu wünschen übrig lässt.
Lassen Sie mich zur Nachbarschaftspolitik nur sagen:
Ich unterstütze das Anliegen, das in dem Antrag der
Grünen zum Ausdruck kommt, dass wir stärker zwischen Staaten im Süden und im Osten der Europäischen
Union differenzieren müssen, aber nicht im Sinne eines
Antagonismus zwischen südlichen Anrainern und östlichen Anrainern, sondern deswegen, weil wir den spezifischen Interessen der jeweiligen Staaten besser gerecht
werden müssen. Dabei müssen wir darauf achten, dass
wir die Staaten im Süden der Europäischen Union, die
keine Beitrittsperspektive haben, noch enger an uns binden. Der Barcelona-Prozess ist bei weitem nicht so weit
gediehen, wie wir uns das wünschen würden. Ich halte
allerdings auch die Idee einer Mittelmeerunion für nicht
gerade überzeugend. Das ist eine Duplizierung des Barcelona-Prozesses mit Vorschlägen für die Schaffung vieler neuer Einrichtungen, deren Sinn sich nicht auf den
ersten Blick erschließt.
Ich glaube, wir sollten im Gegenteil darauf achten,
dass wir den Barcelona-Prozess wiederbeleben. Das ist
eine Aufgabe der ganzen Europäischen Union.
({1})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen:
Wenn ich von einer Phase der Konsolidierung spreche,
dann bedeutet das nicht, dass wir in der Europäischen
Union in der Frage der Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik nichts tun sollten. Das bedeutet vielmehr,
dass wir konsolidieren und ein stabiles Fundament in unseren Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten herstellen, damit wir darauf langfristig aufbauen können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union weiterentwikkeln“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6977, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5425 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Dann ist
die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0})
- zu der Verordnung der Bundesregierung
Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Meierhofer, Michael Kauch, Angelika
Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Verpackungsverordnung sachgerecht novellieren - Weichen stellen für eine moderne
Abfall- und Verpackungswirtschaft in
Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Weg vom Öl im Kunststoffbereich - Chance
der Novelle der Verpackungsverordnung
nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe schließen
- Drucksachen 16/6400, 16/6487 Nr. 2.2,
16/6598, 16/3140, 16/6982 Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Horst Meierhofer
Eva Bulling-Schröter
Sylvia Kotting-Uhl
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu
Vizepräsidentin Petra Pau
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staatssekretär Michael Müller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manche
hier im Raum erinnern sich noch daran, wie wir Ende
der 80er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre die Idee der
Kreislaufwirtschaft entwickelt haben. Diese Idee von damals hat aus meiner Sicht heute eine noch größere Aktualität. Denn wir werden in den nächsten Jahrzehnten
ganz ohne Zweifel immer deutlicher spüren, dass der intelligente und effiziente Umgang mit Energierohstoffen
und -materialien die Schlüsselfrage für wirtschaftlichen
Erfolg sein wird. Insofern waren wir mit der damaligen
Idee bereits Vorreiter. Ich will aber nicht verhehlen, dass
wir schon damals die eine oder andere Idee hätten weiterentwickeln können. Wir werden sie nun aber in der
Zukunft weiterentwickeln.
Die Idee der Verpackungsverordnung war ein wichtiger Einstieg in die Kreislaufwirtschaft. Heute sind wir
dabei, sie zu einer ressourcenschonenden Materialwirtschaft weiterzuentwickeln. - Übrigens sehe ich darin einen der wichtigen Märkte der Zukunft. Sie ist auch eine
wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft. Deshalb kann man diesen Weg nur weitergehen.
({0})
Auf diesem Fundament wird sich in der Zukunft die
nationale Umweltpolitik immer stärker aufbauen. Wir
sind dabei - wie Sie wissen - ein Vorbild, ein Pionier für
andere Länder. Wir haben in der Europäischen Union
und bei anderen Staaten mit unserer Rechtsetzung bis
heute wichtige Weichen gestellt. Jetzt geht es darum, auf
der einen Seite natürlich Schwachstellen zu suchen, aber
auf der anderen Seite vor allem an diesem Weg festzuhalten und ihn weiterzuentwickeln.
Der Kern ist und bleibt: Wir wollen den Einsatz von
Materialien vom wirtschaftlichen Wachstum entkoppeln
und, soweit es geht, die Verwertungskaskaden steigern.
Das ist ein richtiger Ansatz, den wir in der Bundesrepublik führend gemacht haben und den wir jetzt verstärken
müssen.
Mit der Verpackungsverordnung ist es uns gelungen,
den Einsatz von Verpackungsmaterial von der wirtschaftlichen Entwicklung zu entkoppeln. Wir haben damit bei Verpackungsabfällen in der Bundesrepublik eine
wichtige Vorreiterrolle eingenommen. Das funktioniert
aber nur, wenn die stoffliche Verwertung immer hochwertiger wird und die Materialkreisläufe dadurch geschlossen werden.
Die Voraussetzung ist hierfür eine flächendeckende
haushaltsnahe Erfassung von Verkaufsverpackungen.
Wir haben in der Bundesrepublik in diesem Bereich eine
Menge geschafft - das darf man nicht vergessen -, weil
die Bürger bei diesem System mitmachen. Dafür müssen
wir auch einmal danken.
({1})
Im Übrigen ist die Verpackungsverordnung schon
deshalb wichtig, weil nach allen Umfragen das Umweltbewusstsein in Deutschland sehr stark mit dem System
der Eigenbeteiligung in der Abfallwirtschaft zusammenhängt.
Ein Großteil des Umweltbewusstseins in unserem
Land ergibt sich aus der unmittelbaren Beteiligung, beispielsweise beim getrennten Sammeln von Abfällen.
Deshalb darf dieser Weg nicht aufgegeben werden. Das
ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, das
Umweltbewusstsein in der Bevölkerung und das Bewusstsein für die persönliche Verantwortung für die Umwelt zu stärken.
Weil das so ist, müssen wir alles tun, um die Trittbrettfahrerei zu beenden; darum geht es heute. Natürlich
können wir uns Weiterentwicklungen der Verpackungsverordnung vorstellen. Ohne Zweifel haben viele von
uns gute Ideen. Heute geht es aber primär darum, die
Trittbrettfahrer, die sich nicht an den Kosten beteiligen
und dadurch für Wettbewerbsverzerrungen sorgen, in die
Pflicht zu nehmen. Trittbrettfahrerei können wir nicht
akzeptieren; denn sie gefährdet letztlich die Erfassungssysteme.
({2})
Deshalb muss eine Novelle her. Die vorliegende Novelle beinhaltet drei wichtige Punkte: erstens die Verpflichtung, Verpackungen, die bei privaten Haushalten
anfallen, bei dualen Systemen zu lizenzieren, zweitens
die Vollständigkeitserklärung, um die notwendige Transparenz zu schaffen und den Vollzug zu erleichtern, und
drittens die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen
den Kommunen und den dualen Systemen, um dadurch
auch den Wettbewerb zu verbessern. Dies sind aus meiner Sicht wichtige Punkte, wenn es darum geht, das System zu stabilisieren. Jeder, der es weiterentwickeln will,
kann das nur dann tun, wenn wir es heute stabilisieren.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, die Verordnung zu
akzeptieren.
Ich kann jetzt nicht sehr viel zu dem FDP-Antrag sagen, obwohl Sie eine Reihe von Einwendungen gegen
dieses System vorgebracht haben. Ich möchte aber eine
Anmerkung machen: Wenn Sie hinsichtlich der Produktverantwortung Regelungen wünschen, die über das hinausgehen, was wir jetzt haben, entwickeln Sie diese Regelungen! Wir werden sie vorurteilsfrei prüfen. In anderen Punkten sind wir zwar anderer Auffassung, dies aber
halte auch ich für einen wichtigen Punkt. Wo immer es
möglich ist, die Produktverantwortung zu erweitern, machen wir das gerne. Sie müssen aber schon konkrete Vorschläge machen. Das, was bisher vorliegt, ist leider zu
allgemein.
Vielen Dank.
({3})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Horst
Meierhofer.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär, es freut mich, dass Sie in unserem
Antrag auch etwas Positives gesehen haben und gesagt
haben, diese Sache wäre es wert, sie weiterzuverfolgen.
({0})
- Das hat er ganz am Ende gesagt. So habe ich es jedenfalls verstanden, auch wenn die Rede nicht sehr inhaltsschwanger war.
Es geht darum, dass mit der Novelle zur Verpackungsverordnung, die jetzt vorliegt, eben nicht versucht
wird, den Wettbewerb zu garantieren; sie wird den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Systemen, den
Selbstentsorgern auf der einen Seite und den dualen Systemen auf der anderen Seite, vielmehr kaputt machen.
Sie wird nicht zu besseren ökologischen Ergebnissen
und vor allem nicht zu besseren ökonomischen Ergebnissen führen.
({1})
Da Sie diesen Punkt angesprochen haben, hätte es
mich gefreut, wenn Herr Gabriel anwesend gewesen
wäre. Man kann den Leuten nicht ihre lieb gewonnene
Mülltrennung wegnehmen, weil sie der Beweis dafür ist,
dass die Leute gelernt haben, wie man sich ökologisch
richtig verhält. Wenn man die Menschen wie ferngesteuerte oder dressierte kleine Püppchen behandelt, zeigt
man, dass man die Bevölkerung nicht so ernst nimmt,
wie es der Fall sein müsste.
({2})
Es ist nämlich nicht so, dass jeder, der seinen Müll
trennt, damit automatisch einen Beitrag zum Umweltschutz leistet. Das ist in den einzelnen Regionen
Deutschlands ganz unterschiedlich. In Neukölln kann
ich mit Mülltrennung nicht das bewirken, was ich im
Bayerischen Wald bewirken kann. Wir wissen, dass es
regionale Unterschiede gibt, weil die Menschen nicht
überall gleich gut trennen. Wenn in den Restmülltonnen
fast genauso viele Wertstoffe landen wie Restmüll in den
Wertstofftonnen, erreicht man gar nichts. Dann gaukelt
man den Leuten nur vor, sie täten etwas für den Umweltschutz. Ob das realistisch ist oder nicht, ist dann egal.
Herr Gabriel hat das schön umschrieben: Tempolimit ist
wie Mülltrennung; nach dem Motto: Auch beim Tempolimit kann jeder Bürger zeigen, dass er ganz individuell
etwas zu tun vermag. Man muss aber fair bleiben: Die
Bedeutung für den Klimaschutz ist begrenzt. - Im Umkehrschluss heißt das, dass auch der Effekt der Mülltrennung begrenzt ist.
({3})
Wenn man das weiß, ist es absurd, die Leute - ich muss
es leider so deutlich sagen - für dumm zu verkaufen.
Das finde ich nicht fair und nicht anständig.
({4})
Es gibt aber auch Hoffnung, zum Beispiel im Wirtschaftsministerium. Der Staatssekretär Dr. Pfaffenbach
hat dazu gesagt:
Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Regelungen der Verpackungsverordnung grundlegend
überdacht werden müssen.
({5})
Wenn nach 16 Jahren immer noch Unsicherheiten
bestehen, welche Verpackungen welcher Tonne zuzuordnen sind, stimmt etwas im System nicht.
Dann sagt er:
Letztlich sollte die Entsorgung grundsätzlich dem
Wettbewerb überlassen bleiben.
Das ist übrigens genau das Gegenteil dessen, was Sie mit
der Trennung zwischen neuen Systemen und Selbstentsorgern schaffen.
Neue Sortier- und Verwertungstechniken werfen zudem die Frage auf, ob es nicht einfacher und billiger
geht. Die Antwort lautet: Ja, es kann einfacher und billiger gehen. Aber das genaue Gegenteil geschieht.
({6})
Das ist, glaube ich, nicht nur ein Schritt, um den jetzigen Status quo und die haushaltsnahe Erfassung, für die
wir alle sind, zu retten. Man zementiert vielmehr einen
Zustand, der nicht so leicht umzukehren ist. Man hat
eben nicht die Möglichkeit, in einer bereits von allen erwarteten sechsten Novelle der Verpackungsverordnung
- wie gut dieses System ist, zeigt sich, wenn man es jedes oder jedes zweite Jahr novellieren muss - das zu erreichen, was man will. Das Gegenteil geschieht.
Auch Wirtschaftsminister Glos will den Grünen
Punkt abschaffen. Das steht beispielsweise im Capital.
Man fragt sich schon, wofür die Große Koalition und die
Bundesregierung stehen. Diese Geschichte hat man bereits vor zwei Wochen erlebt.
({7})
- Vielleicht hat er einfach nur an der Stelle das Gehirn
eingeschaltet und festgestellt, dass seine Ideen besser
sind.
({8})
Es ist leider schade - da gebe ich Ihnen recht, Herr Kollege Kelber -, dass der Wirtschaftsminister so spät reagiert hat. Er ist, glaube ich, erst dann zum Zug gekommen, als er festgestellt hat, dass die Bäcker und ihre Bäckertüten ein Problem darstellen. Da ist er vielleicht aufgrund seines Hintergrunds als Müllermeister auf die Idee
gekommen, dass er hier unter Umständen etwas von seinem Geschäft verlieren könnte. Vielleicht ist er desweHorst Meierhofer
gen darauf gekommen; zumindest ist er auf die richtige
Idee gekommen.
({9})
- Sie ist relativ gering.
({10})
- Sie können gern eine Zwischenfrage stellen.
({11})
Ich zeige Ihnen, dass genau das das Zeichen dafür ist,
dass das System krank ist. Man muss eine unendliche
Zahl von Ausnahmetatbeständen schaffen, um vernünftige Ideen umzusetzen. Mit Sahne beschmierte Papiertüten sollten nicht in den gelben Sack oder ins Altpapier
geworfen werden. Das macht keinen Sinn, weder ökologisch noch ökonomisch. Aber jeder verlangt, ein grünes
Pünktchen darauf zu machen. Dann fühlen sich die
Leute gut.
Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob ich ein
Plastikentchen oder eine Shampooflasche, die aus dem
gleichen Material hergestellt ist, in den gelben Sack hineinwerfe. Doch auf der Shampooflasche ist der Grüne
Punkt, auf dem Pürzel des Plastikentchens vielleicht
nicht. Deswegen darf es auch nicht in den Sack. Wenn
die Leute es trotzdem machen, dann sagt man, es sei ein
intelligenter Fehlwurf.
({12})
Wer an der Stelle noch glaubt, dass es sich um ein
vernünftiges Konzept handelt, der sollte sich bitte den
Antrag der FDP durchlesen. Ich empfehle Ihnen allen,
ihn anzunehmen. Der Antrag der Grünen, Frau Maisch,
hat einige gute Ansätze. Er führt nur leider nicht zum
Ziel, da es an vielen Orten momentan noch keine grüne
Tonne gibt. Dort, wo es keine grüne Tonne gibt, wird das
Problem mit dem Biokunststoff leider auch nicht gelöst.
Ich kann Sie nur bitten, zur Vernunft zu kommen und gegen Ihren eigenen Vorschlag zu stimmen.
Danke.
({13})
Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die
Unionsfraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen: Dass
wir zu so später Stunde über ein Thema sprechen, das
Millionen von Familien in privaten Haushalten und Hunderttausende von Betrieben und alle Kommunen in
Deutschland betrifft, das zeigt zum einen, dass der Deutsche Bundestag ein wirkliches Arbeitsparlament ist.
Zum anderen zeigt es die weitreichenden Folgen einer
Verordnung, die immer wieder die Gemüter erregt und
zu Diskussionen führt.
Ich will jetzt nicht nur auf die lustige Art und Weise
auf die erwähnten Plastikenten abstellen; denn dies ist
ein ernstes Thema, weil es einen Teil unseres täglichen
Lebens betrifft.
({0})
Die Verpackungsverordnung ist deshalb von so weitreichender Bedeutung, weil jedes Kind von Schokolade bis
Spielzeug zunächst die Verpackung sieht und weil jede
Familie und jeder Single beim täglichen Einkauf mit
Verpackungen zu tun hat, die später einer ordentlichen
Verwertung zugeführt werden sollen und müssen.
Wir als CDU/CSU stehen zu der haushaltsnahen
Sammlung. Das tun wir aus guten Gründen. Erstens. Das
System ist ökologisch, weil es Ressourcen schont. Zweitens. Es ist ökonomisch, vor allem dann, wenn Wettbewerb seine faire Chance hat. Drittens. Das System ist
bürgerfreundlich, wenn es in enger Abstimmung mit den
Kommunen den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und
Verbraucher gerecht wird.
Die CDU/CSU hatte bereits im Dezember 2005 darauf
gedrängt, die Stabilisierung der haushaltsnahen Sammlung anzugehen. Nachdem Kollege Müller für die Bundesregierung dies im Ausschuss sehr befürwortet hatte,
gab es von seinem Kollegen Staatssekretär Machnig zunächst widersprechende Verlautbarungen. Wir in der
Union waren jedenfalls überrascht und erfreut, dass der
Novellierungsprozess schlussendlich begonnen wurde.
Wir wissen auch um den Anteil der Umweltministerkonferenz und der Länder, die hier wertvolle Hinweise gegeben haben.
Etwas bedauerlich hat sich die praktische Umsetzung
des Novellierungsverfahrens in puncto Offenheit und
Transparenz dargestellt. Sofern wir uns noch einmal mit
dieser oder einer nächsten Novelle befassen sollten,
wäre eine bessere Information des Parlaments sicher angemessen. Auch das muss in dieser Beratung angesprochen werden.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem Entsorgung und Verwertung von Verpackungen heute sowohl
im privaten Bereich der Haushalte als auch im gewerblichen Bereich, zum Beispiel in Gaststätten, Krankenhäusern und Kasernen, auf dem sehr grundlegenden Prinzip
der individuellen Produktverantwortung - Herr Staatssekretär Müller, Sie haben es angesprochen - beruhen, hat
dieser Entwurf dieses Prinzip im Bereich der Verpackungsentsorgung gestrichen und an seine Stelle eine
Pflicht zur Beteiligung an dualen Systemen gesetzt.
Neben dieser faktischen Zwangsmitgliedschaft in einem der dualen Systeme hat der Entwurf eine weitere
Zwangsmitgliedschaft eingeführt, nämlich an der Stelle,
an der nun alle dualen Systeme gemeinsam die Ausschreibungen koordinieren sollen. Dass uns als Union
das Streichen der Produktverantwortung durch den Umweltminister umweltpolitisch schwerfällt, nachdem die
Vorgänger gerade dieses Prinzip hochgehalten haben, ist
sicher auch für den Koalitionspartner nachvollziehbar.
Die Auffassung, dass Zwangsmitgliedschaften nicht den
allerbesten Lösungsansatz darstellen, teilen wir sicher
mit der SPD und den anderen Fraktionen des Hohen
Hauses.
Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt:
Nachdem Bundesminister Gabriel nur in einem solchen
Systemwechsel die Stabilisierung der haushaltsnahen
Sammlung umsetzen will, folgen die Koalitionsfraktionen dem verantwortlichen Minister. Alle in dieser Koalition und viele darüber hinaus teilen den Grundsatz, dass
wir eine ökologisch verantwortungsvolle und ökonomisch vernünftige Verpackungsentsorgung dauerhaft garantieren wollen.
({2})
Nachdem zur Anhörung des Bundestages am
10. Oktober schriftlich und mündlich ernsthafte Bedenken am Entwurf geäußert wurden, haben wir uns in der
CDU/CSU zunächst noch einmal zu einer Absetzung der
Novelle von der Tagesordnung durchgerungen; Herr
Kollege Meierhofer hat das eben in seinem Beitrag angesprochen. Es ging uns in den Gesprächen mit dem Koalitionspartner darum, sicherzustellen, die Novelle so
rechtssicher zu halten, dass uns - und mehr noch den
Bürgerinnen und Bürgern - nicht aufgrund rechtlicher
Risiken die haushaltsnahe Sammlung sozusagen um die
Ohren fliegt.
Nachdem uns die SPD gemeinsam mit den Beamten
von Minister Gabriel nochmals deutlich gemacht hat,
dass sie auch in Kenntnis der geäußerten Bedenken
keine Veranlassung für eine Änderung der Novelle sieht,
stimmen wir als CDU/CSU dieser Novelle heute zu.
Nun wird diese Novelle in den kommenden Wochen
nochmals auf Herz und Nieren geprüft werden, wenn die
ebenfalls mit großem Sachverstand ausgestatteten Länder mit dem Entwurf befasst sein werden. Vom Ergebnis
dieser Beratungen wird auch abhängen, ob diese Novelle
das Schicksal der Vorgänger erleben wird, nämlich anders aus dem Bundesrat herauszukommen, als sie hineingegangen waren. Insofern bleibt auch abzuwarten,
ob die optimistische Annahme aus dem Hause Gabriel
zutreffen wird, dass es keine nennenswerten Änderungsanträge zu diesem Entwurf geben werde. Ich will dazusagen, dass wir diesbezüglich ganz unterschiedliche Signale hören.
Vor dem Hintergrund der sicherlich fortlaufenden
Diskussionen in den Ländern will ich für die CDU/CSUFraktion gerne nochmals festhalten: Wir alle hier wollen
unseriöse Verrechnungen und den Missbrauch der dualen Systeme beenden. Auch das ist unter anderem ein
Grund für diese Novelle: Wir alle hier wollen, dass für
Leistungen gezahlt wird. Deshalb sind wir für die weitestmögliche Eindämmung von Trittbrettfahrern.
Das BMU hat dazu den Weg eines völligen Systemwechsels gewählt, und das ist als federführendes Ressort
sein gutes Recht. Bei einem solch einschneidenden Systemwechsel mit einer Marktauswirkung von Hunderten
von Millionen Euro muss allerdings sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass die daraus zwangsläufig entstehende faktische Beendigung der bisher erstrangig vorgesehenen Selbstentsorgung rechtliche Probleme aufwerfen kann, die nicht wir hier im Parlament
entscheiden werden: Dies werden im Streitfalle die Gerichte zu entscheiden haben, und deshalb legen wir als
CDU/CSU Wert auf die Feststellung, dass Bundesminister Gabriel auch in diesem Punkt so klar für diese Novelle einsteht und die Verantwortung dafür übernimmt,
dass die haushaltsnahe Sammlung nicht zusammenbricht, weil die rechtlichen Risiken kontrollierbar seien.
Obwohl nun noch weitere Themen wie der Einbruch
der Mehrwegquote, die umstrittene Praxis der Handelslizenzierung, die umstrittene Verrechnung von Pfandmengen, die Umdeklarierung von Transportverpackungen,
die Missbräuche bei diätetischen Getränken außen vor
geblieben sind, so ist der Ansatz der Sicherung der haushaltsnahen Sammlung bei allen strittigen Details im Ansatz sehr zu begrüßen.
Allen Beteiligten war klar, dass die Reparatur der aufgerissenen Löcher auf dem ökologischen Weg der haushaltsnahen Sammlung mit dieser Novelle noch nicht
vollständig erledigt werden konnte. Dennoch sollte versucht werden, die bestehenden Löcher auf diesem Entsorgungsweg zu reparieren. Sofern wir keine weiteren
Schlaglöcher aufgerissen haben, werden wir mit dieser
Novelle einen großen Teil unserer Ziele erreichen.
Die Union ist die Erfinderin der haushaltsnahen
Sammlung. Unser damaliger Umweltminister Töpfer
und seine Nachfolgerin, die heutige Bundeskanzlerin
Angela Merkel, haben diesen erfolgreichen Weg eingeschlagen. Nun wollen wir die getrennte Sammlung in
den Haushalten fortsetzen. Wir werden auch weiterhin
alle Schritte, die zur Sicherung dieses guten Weges notwendig sind, unterstützen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksamkeit.
({3})
Die Rede der Kollegin Eva Bulling-Schröter nehmen
wir zu Protokoll.1)
Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen!
Nach dieser enthusiastischen Rede des Kollegen Brand
hat man als Rednerin der Opposition fast das Gefühl, gar
nicht mehr viel sagen zu müssen; denn Kritik wurde
schon aus Ihren eigenen Reihen geäußert.
Trotzdem will ich noch einige Worte zur Novelle der
Verpackungsverordnung sagen. Anfang der 90er-Jahre
- anders als Staatssekretär Müller erinnere ich mich
nicht mehr so genau daran - hat sich Deutschland als
Pionier auf den Weg von der Wegwerf- in die Kreislauf-
wirtschaft gemacht. Jetzt, 15 Jahre später, ist es höchste
1) Anlage 18
Zeit, dieses System einer Revision zu unterziehen, da es
sich in seiner heutigen Form überlebt hat.
({0})
Eine ökologische Lenkungswirkung der Lizenzgebühren ist längst nicht mehr feststellbar. Im Gegenteil,
wenn man aufmerksam einkaufen geht, kann man beobachten, dass die Verpackungen wieder aufwendiger gestaltet werden und dass Produktverantwortung nicht als
Ressourcenschonung beim Produkt- und Verpackungsdesign verstanden wird, sondern dass das duale System
im Moment lediglich die Entrichtung einer Entsorgungsgebühr bedeutet. Das ist nicht unsere Vorstellung von
ökologischer Produktverantwortung.
({1})
Den Bürgerinnen und Bürgern erschließt sich noch
immer nicht genau, was in die gelbe Tonne und in den
gelben Sack gehört. Als Beispiel nenne ich eine Kunststoffflasche, die aus demselben Material wie eine Schüssel besteht: Das eine ist eine Verpackung, das andere
nicht, das eine trägt den grünen Punkt, das andere nicht.
Mit gesundem Menschenverstand ist das nicht nachzuvollziehen.
({2})
Die Lösung, die mit der Verpackungsverordnung gefunden wurde - sie besteht darin, das den Kommunen aufzubürden -, ist nicht nur nicht praktikabel, sondern auch
noch ungerecht.
({3})
Die Kommunen haben dafür kein Geld und werden das
deshalb nicht in der Form, in der Sie es sich wünschen,
praktizieren.
Angesichts der ökologischen und ökonomischen
Schwierigkeiten bedauern wir, dass die Bundesregierung
die Verpackungsverordnung nicht grundlegend zu einer
Wertstoffabgabe weiterentwickelt, sondern versucht hat,
ein System zu reparieren, das in seiner derzeitigen Form
nicht zu reparieren ist. Die Fünfte Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung verhindert den Wettbewerb um ökologische Innovationen, bringt keinen
ökologischen Fortschritt und wird den Anforderungen
der Zukunft, vor allem bei der Rohstoffsicherung, nicht
gerecht.
({4})
Sie verspielen die Chance, dass Deutschland bei der Entwicklung einer nachhaltigen Ressourcenpolitik eine Vorreiterrolle einnimmt. Das ist enttäuschend.
Zum Antrag der FDP. Ich glaube, mit diesem Antrag
können wir für mehr Wettbewerb sorgen, allerdings nur
für mehr Wettbewerb um niedrigere Entsorgungskosten.
Das ist aber nur die halbe Miete. Wir brauchen auch einen Wettbewerb um die ökologisch beste Lösung, also
um die Lösung, die die Ressourcen am meisten schont.
({5})
Wir haben in unserem Antrag umfangreiche Vorschläge gemacht, wie wir in eine echte Kreislaufwirtschaft einsteigen könnten; ich empfehle Ihnen unseren
Antrag als Lektüre. Die Biokunststoffe sind ein erster
Schritt hin zu einer sinnvollen Kreislaufwirtschaft. Ich
glaube, dass die Novelle der Verpackungsverordnung all
das nicht leisten kann. Wir müssen weg vom grünen
Punkt und vom gelben Sack und hin zu einer echten
Rohstoff- bzw. Wertstoffabgabe, die die Firmen belohnt,
die ökologisch sinnvoll wirtschaften und so wenige Ressourcen wie möglich einsetzen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Gerd
Bollmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Meierhofer, bevor ich es vergesse: Die besagte Bäckertüte für sechs Brötchen verursacht Kosten von
0,036 Cent, also pro Brötchen 0,006 Cent. Auch wieder
etwas dazugelernt!
({0})
Verpackungsnovelle, die fünfte, und es wird sicher
nicht die letzte Novelle sein; denn - das sollte gesagt
werden - es handelt sich bei der fünften Novelle auch
um eine Reparaturnovelle, durch die Fehlentwicklungen
und Gefahren gebannt werden. Ziel ist, die getrennte
Haushaltssammlung zu sichern und eine bessere Kontrolle und Durchführbarkeit zu erreichen. Wir wollen
aber auch Zeit gewinnen für eine gründliche und vorurteilsfreie Prüfung der Regelungen und möglicher grundsätzlicher Änderungen.
Ich bin überzeugt, dass diese Novelle die genannten
Anforderungen im Grundsatz erfüllt.
({1})
Das Hauptziel, die getrennte haushaltsnahe Erfassung
und Sammlung zu sichern, wird erreicht. Ich weiß, es
gibt Stimmen, die die getrennte Haushaltssammlung
grundsätzlich infrage stellen. In vielen Medienberichten
wird der Eindruck erweckt, dass eine mechanische Trennung längst möglich und billiger sei. Diese Darstellungen sind jedoch in ihrer Gesamtaussage falsch. Natürlich
kann Abfall maschinell getrennt werden, und für den
Abfall aus dem gelben Sack geschieht dies ja auch.
Aber wenn Abfall in einer einzigen Tonne gesammelt
wird, Verpackungen gemeinsam mit gebrauchten Windeln, Essensresten und anderen feuchten Abfällen, dann
funktioniert die mechanische Trennung in heutigen Anlagen nicht mehr. Wir haben noch in der letzten Wahlperiode, im Dezember 2004, eine Anhörung zu diesem
Thema gehabt. Alle Experten, die oben auf dem Podium
waren, haben - bis auf eine Ausnahme, nämlich die
Firma, die den entsprechenden Versuch in NordrheinWestfalen gemacht hat - bestätigt, dass diese Verfahren
noch nicht so weit sind; dass die Restfeuchte einfach zu
stark ist, um eine mechanische Trennung durchzuführen.
({2})
Es wäre ein erheblicher Rückschritt, das Vorhandene
abzuschaffen, während eine Alternative erst mühsam
aufgebaut werden muss. Eine solche Vorgehensweise
lehnen wir ab. Im Gegenteil, die Kreislaufwirtschaft
muss gestärkt werden.
({3})
Dabei haben wir schon viel erreicht. Ich will nur erwähnen, dass die getrennte Erfassung von Altglas und Altpapier flächendeckend funktioniert. Durch die stoffliche
Verwertung von Metallen, Glas, Papier und aus Erdöl
hergestellten Kunststoffen lässt sich erheblich mehr
Energie einsparen als durch die Verbrennung. Dies ist
auch die Meinung des BUND, und wir teilen diese Meinung. Die getrennte Erfassung ist und bleibt ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz und zum effizienten Umgang mit Ressourcen.
Mit der jetzt vorgelegten Novelle stabilisieren wir das
vorhandene System und bekommen die Zeit, weiter gehende Änderungen gründlich zu prüfen. Auch wir Sozialdemokraten haben weiter gehende Vorstellungen im
Bereich der Abfallwirtschaft. Die Entsorgung und Sammlung des privaten Hausmülls gehört für uns zur Daseinsvorsorge. Wir sind für eine Stärkung der kommunalen
Abfallwirtschaft und gegen weitere Privatisierungen.
({4})
Eine Ausschreibung der Sammlung für gebrauchte Verkaufsverpackungen durch die Kommunen würden wir
begrüßen. Ebenfalls ist eine Zuständigkeit der Städte
und Kreise für die Sammlung überlegenswert. Allerdings - dies betone ich - darf dies im Gegensatz zu den
Vorstellungen, die andere geäußert haben, nicht zulasten
der Kommunen gehen. Die Herstellerverantwortung
muss erhalten bleiben. Eine Abwälzung der Sammlungskosten auf die Bürger über Gebühren lehnen wir ab. Die
Position der Kommunen und damit der Bürger wird bereits mit der jetzigen Novelle verbessert. Es ist begrüßenswert, dass die Abstimmungserklärungen klarer geregelt werden und die Stellung von Sicherheitsleistungen
ausgeweitet wird. Die Kommunen werden vor der Vergabe angehört; ebenso werden die kommunalen Spitzenverbände angehört. - Ich sehe, dass meine Zeit hier praktisch abgelaufen ist.
Die Redezeit.
({0})
Deshalb vielleicht noch eines: Wir haben Zeit, Änderungen gründlich zu prüfen. Zu diesem Zweck wird das
Umweltministerium ein Planspiel durchführen. Ich bin
dafür, alle weiter gehenden und jetzt umstrittenen Punkte
dann in Ruhe zu erörtern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Mit dieser interessanten Information schließe ich die
Aussprache.
({0})
Wir nehmen sechs Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung zu Protokoll1) und kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/6982.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/6982, der Verord-
nung der Bundesregierung auf Drucksache 16/6400 zur
Änderung der Verpackungsverordnung zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfrak-
tionen angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/6598 mit dem Titel: „Verpa-
ckungsverordnung sachgerecht novellieren - Weichen
stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirt-
schaft in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal-
tungen? - Damit ist diese Beschlussempfehlung
angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 16/3140 mit dem Titel: „Weg vom Öl im Kunst-
stoffbereich - Chance der Novelle der Verpackungsver-
ordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreis-
läufe schließen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist damit angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 d auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Regio-
nalisierungsgesetzes
1) Anlage 7
Vizepräsidentin Petra Pau
- Drucksache 16/6310 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({1})
- Drucksache 16/6975 Berichterstattung:
Abgeordneter Patrick Döring
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/6991 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Dr. Frank Schmidt
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter,
Peter Hettlich, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effizienteren Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs ({3})
- Drucksache 16/1435 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({4})
- Drucksache 16/2807 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Enak Ferlemann
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung ({5}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter
Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verwendung der Regionalisierungsmittel of-
fenlegen
- Drucksachen 16/652, 16/2807 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Enak Ferlemann
d) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert,
Dorothee Menzner, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Eisenbahnkreuzungsgesetzes
- Drucksache 16/4858 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ({6})
- Drucksache 16/5771 Berichterstattung:
Abgeordneter Georg Brunnhuber
- Bericht des Haushaltsausschusses ({7}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/5772 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Dr. Frank Schmidt
Dr. Claudia Winterstein
Roland Claus
Anna Lührmann
Wir nehmen die Reden des Kollegen Klaus Hofbauer
für die Unionsfraktion, des Kollegen Sören Bartol für
die SPD-Fraktion, des Kollegen Patrick Döring für die
FDP-Fraktion, der Kollegin Heidrun Bluhm für die
Fraktion Die Linke, des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Parla-
mentarischen Staatssekretärs Achim Großmann zu Pro-
tokoll.1)
Tagesordnungspunkt 27 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Re-
gionalisierungsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 16/6975, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/6310 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der
SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 b. Wir kommen nun zur Ab-
stimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen zur effizienteren Finanzierung des öf-
fentlichen Nahverkehrs. Der Ausschuss für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/2807, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/1435 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthal-
tungen? - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 c: Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verwendung der Re-
1) Anlage 19
Vizepräsidentin Petra Pau
gionalisierungsmittel offenlegen“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/2807, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/652 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Ge-
genprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der
Fall. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stim-
men der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des
Eisenbahnkreuzungsgesetzes. Der Ausschuss für Ver-
kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5771, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache
16/4858 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen
der Antragsteller abgelehnt. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz
- Drucksache 16/6737 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({8})
- Drucksache 16/6957 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Max Lehmer
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Kirsten Tackmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ({9}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser,
Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier,
Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neuordnung des Berichtswesens
- Drucksachen 16/5421, 16/6492 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Marlene Mortler
Dr. Wilhelm Priesmeier
Hans-Michael Goldmann
Cornelia Behm
Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Dr. Wilhelm
Priesmeier von der SPD-Fraktion, des Kollegen Hans-
Michael Goldmann von der FDP-Fraktion, der Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke, der
Kollegin Cornelia Behm von der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen und der Parlamentarischen Staatssekretärin
Ursula Heinen zu Protokoll1) und kommen damit zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der gesetzlichen
Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6957, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/6737 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Gibt
es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion,
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29 b: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel
„Neuordnung des Berichtswesens“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6492, den Antrag der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD auf Drucksache 16/5421 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der
Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes
und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts
- Drucksache 16/6541 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({10})
- Drucksache 16/6985 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg Rohde
Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Max
Straubinger von der Unionsfraktion, des Kollegen Anton
Schaaf von der SPD-Fraktion, des Kollegen Jörg Rohde
von der FDP-Fraktion, des Kollegen Volker Schneider
von der Fraktion Die Linke und des Kollegen Markus
1) Anlage 20
Vizepräsidentin Petra Pau
Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro-
tokoll1) und kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer
Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts.
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6985,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/6541 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Die
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-
Fraktion und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkt 32 a und 32 b sowie
die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:
32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Gentechnikgesetzes
- Drucksache 16/6814 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({11})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des EG-Gentechnik-Durchführungsgesetzes
- Drucksache 16/6557 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({12})
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
1) Anlage 21
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung bei
tierischen Produkten ermöglichen
- Drucksache 16/6944 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({13})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnikfreier Produktion im Gentechnikrecht bewahren
- Drucksache 16/6943 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz ({14})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Wir nehmen den Beitrag des Kollegen Dr. Max
Lehmer für die Unionsfraktion, der Kollegin Eva
Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion, der Kollegin
Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion, der
Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die
Linke und der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/6814, 16/6557, 16/6944 und 16/6943
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 9. November 2007,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.