Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erweitern:
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Börnsen ({0}), Dr. Norbert Lammert,
Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU,
der Abgeordneten Dr. h. c. Wolfgang Thierse,
Markus Meckel, Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Cornelia Pieper, HansJoachim Otto ({1}), Christoph Waitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Errichtung eines Freiheits- und EinheitsDenkmals
- Drucksache 16/6925 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die friedliche Revolution 1989
- Drucksache 16/6926 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Diskussionsprozess über ein Freiheits- und
Einheitsdenkmal unter breit angelegter Beteiligung der Öffentlichkeit initiieren
- Drucksache 16/6927 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Anträge sollen ohne Aussprache an den Ausschuss für Kultur und Medien überwiesen werden. Sind
Sie mit den Aufsetzungen und den Überweisungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
mir angesichts der geringen Zahl anwesender Parlamentarier nicht ganz sicher, ob ich im Namen der Regierung
einen langen Bericht abgeben sollte. Ich möchte aber zumindest darauf verweisen, dass wir zum ersten Mal seit
1993 eine Strategie zur biologischen Vielfalt für
Deutschland vorgelegt haben. Die Bundesrepublik
Deutschland ist Unterzeichnerin der Konvention der
Vereinten Nationen zum Schutz der biologischen Vielfalt
und wäre seit 1993 verpflichtet gewesen, eine solche
Strategie vorzulegen. Wir tun dies jetzt erstmals.
Es ist wichtig, zu betonen, dass dies keine Strategie
des Bundesumweltministeriums ist, sondern eine der gesamten Regierung. Das heißt, all die Maßnahmen, die in
dieser Strategie zum Erhalt der Artenvielfalt beschrieben
werden, verpflichten nicht nur das Bundesumweltministerium, sondern auch alle andere Fachressorts, also die
Regierung insgesamt. Das ist von Bedeutung, weil die
Strategie das eine ist, das Messen dieser Strategie an der
Realität und praktisches Verhalten aber das andere.
Die Strategie geht davon aus, dass man anhand von Indikatoren die Entwicklung der Artenvielfalt in Deutschland
Redetext
feststellen kann, also messen kann, ob es in unserem
Land hinsichtlich der Artenvielfalt Verschlechterungen
oder Verbesserungen gibt. Wir wollen darüber mindestens alle vier Jahre im Kabinett beraten. Ich finde, die
Regierung sollte jährlich einen Bericht über die Umsetzung dieser Strategie vorlegen. Wir setzen uns hier selbst
erstmalig unter Druck, Anforderungen erfüllen zu müssen. Das ist Sinn der Sache und auch notwendig; denn
wir sind Gastgeber der 9. Vertragsstaatenkonferenz der
Konvention über die biologische Vielfalt.
Die Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt
ist keine Naturschutzkonvention. Mit ihr wird vielmehr
versucht, die nachhaltige Nutzung der Natur mit dem
Schutz der Natur in Einklang zu bringen. Mit der Konvention zum Schutz der biologischen Vielfalt wird nicht
versucht, die Notwendigkeit der Nutzung zu verschleiern. Im Gegenteil: Sie weist darauf hin, von welch unglaublich großem Wert die Natur für die wirtschaftliche
Entwicklung in vielen Teilen der Erde ist, auch in
Deutschland. Mit ihr wird versucht, diesen Wert für unsere Kinder und Enkelkinder und deren Kinder und Enkelkinder zu sichern, damit die Grundlagen wirtschaftlichen Handelns und gesunden Lebens auf der Erde nicht
zerstört werden.
Deutschland profitiert in hohem Maße von der Nutzung der biologischen Vielfalt. Allein der jährliche
Marktwert der genetischen Ressourcen und der daraus
entstehenden Produkte wird weltweit auf 500 bis
800 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die pharmazeutische Industrie ist einer der großen Nutznießer. Circa
50 Prozent der heute in Deutschland gebräuchlichen
Arzneimittel basieren auf Heilpflanzen bzw. deren Inhaltsstoffen. Etwa 70 bis 90 Prozent dieser getrockneten
pflanzlichen Stoffe werden immer noch wild gesammelt
und häufig in einer Art und Weise, dass dabei die Pflanzen insgesamt zerstört werden; das kann das Aussterben
der Pflanzen zur Folge haben. Wer sich also für den Erhalt der Pflanzen einsetzt, sichert damit gleichzeitig die
Rohstoffbasis für wichtige Bestandteile von Arzneimitteln unserer pharmazeutischen Industrie. Weltweit beträgt der Umsatz an Arzneimitteln pflanzlichen Ursprungs 20 Milliarden US-Dollar.
Es ist ganz interessant, einmal in die Strategie hineinzuschauen. Wir haben versucht, deutlich zu machen,
welch riesigen wirtschaftlichen Vorteil wir durch den Erhalt von Arten haben. Mammutbäume haben uns zum
Beispiel gelehrt, wie man bessere Flamm- und Brandschutzmittel, bei dessen Gebrauch sich weniger Rauch
entwickelt, erzeugen kann. Wir haben durch den Galapagoshai gelernt, wie man aerodynamisch bessere und
leichtere Flugzeuge bauen kann, sodass weniger Treibstoff verbraucht und die Belastung der Atmosphäre reduziert wird. Die Lotusblume hat uns den Selbstreinigungseffekt auf Oberflächen gelehrt. Wir reduzieren
durch den Einsatz entsprechend ausgestatteter Farben
und Lacke den Verbrauch von Reinigungsmitteln und
vermindern die Belastung von Abwässern.
Wir erleben aber auch, dass häufig Späßchen über Artenschutz gemacht werden. Ganze Wahlkämpfe werden
über Fledermäuse geführt. Ich rate allen, die so etwas
machen, dazu, sich genau zu überlegen, was sie da tun.
Ich wünsche niemandem, dass er einmal in die Lage
kommt, Wirkstoffe von genau diesen Tieren zu benötigen, um selber überleben zu können. Es gibt Fledermäuse, deren Enzyme zur Produktion von Medikamenten gegen Schlaganfall wichtig sind. Ich rate dringend,
sich zu überlegen, ob man nicht bei populistischen Debatten über Fledermäuse sein eigenes Leben aufs Spiel
setzt. Stirbt diese Art aus, fehlen uns nämlich die Enzyme für Medikamente zur Bekämpfung von Schlaganfall. Das gilt ebenso für die vom Aussterben bedrohte
Pazifische Eibe. Verschwindet diese, fehlen uns die genetischen Ressourcen zur Produktion von Medikamenten gegen Krebs. Deswegen rate ich auch angesichts eines geneigten Publikums dazu, aufzupassen, dass man
nicht des Stammtischs wegen Dinge öffentlich propagiert, die einmal das eigene Leben kosten können.
Selbstverständlich müssen wir angesichts wachsender
Weltbevölkerung und begrenzter fossiler Rohstoffe - Kupfer ist zum Beispiel seltener als Erdöl - auch darauf achten, dass die Datenbasis der Natur möglichst umfangreich bleibt. Damit sorgen wir dafür, dass unsere Kinder
und Enkel natürliche Rohstoffe für den Ersatz sehr begrenzter fossiler Rohstoffe, die wir für die Industrieproduktion brauchen, vorfinden. In Braunschweig beispielsweise forscht das Deutsche Zentrum für Luft- und
Raumfahrt, wie man im Flugzeugbau Stahl, Aluminium
oder Kunststoff durch pflanzliche Rohstoffe ersetzen
kann. Das heißt, es kann eine ganze Menge erreicht werden, wenn wir keine Monokulturen erzeugen, sondern
für Nachhaltigkeit sorgen, indem wir die Überlebensfähigkeit der Arten verbessern und deren Zerstörung nicht
weiter so vorantreiben.
Zurzeit ist die Aussterbensrate weltweit hundert- bis
tausendfach höher als die natürliche Aussterbensrate.
Auch in unserem Land sind Arten bedroht. Wir haben
aber auch Erfolge zu verzeichnen. Einer der großen Erfolge ist die Umsetzung der Natura-2000-Richtlinie der
Europäischen Union. Wir haben immerhin rund 14 Prozent der Landfläche als FFH-Gebiete oder Vogelschutzgebiete unter Schutz gestellt, und über 40 Prozent unserer
Meeresflächen sind maritime Schutzgebiete. Eine positive Entwicklung ist auch, dass im Rhein beispielsweise
fast alle Fischarten, die vor der Industrialisierung dort gefunden wurden, heute wieder dort zu finden sind. Nur
zwei Fischarten, die vor der Industrialisierung dort lebten, gibt es dort heute nicht mehr. Das sind große Erfolge.
Insofern ist es fatal, wenn ausgerechnet Bundesländer, die davon profitieren, am kommenden Freitag im
Bundesrat diese FFH- und Vogelschutzrichtlinien unter
der Überschrift „Überbürokratisierung“ sozusagen angreifen wollen. Ich meine, dass diese Verfahren lange
dauern, liegt nicht an den Richtlinien, sondern daran,
dass die Bundesländer zum Teil bis heute - sechs Jahre
nach ihrer Verabschiedung! - die europäischen Richtlinien nicht umgesetzt haben und der Bundesrepublik
Deutschland deshalb Zwangsgeldverfahren drohen. Gott
sei dank ist das bei FFH ausgeschlossen worden.
Es ist auch völliger Unsinn, zu behaupten, diese Naturschutzrichtlinien würden wirtschaftliche EntwickBundesminister Sigmar Gabriel
lung nicht zulassen. Ich will ein dramatisches Beispiel
nennen: Das Mühlenberger Loch im Verlauf der Elbe bei
Hamburg, das zugeschüttet wurde, damit ein Flugzeug
wie der A380 landen kann, lag mitten in einem FFH-Gebiet. Natürlich werden auch die Schiffe der Meyer Werft
weiterhin über die Ems das Meer erreichen können. All
das ist im FFH-Gebiet möglich.
Wenn man Eingriffe in die Natur vornimmt, muss
man die Schäden, die der Eingriff verursacht hat, ausgleichen oder, noch besser, überkompensieren. Diese
Mühe muss man sich allerdings machen. Wenn man sie
sich nicht macht, liegt der Schluss nahe, dass alle Lippenbekenntnisse zum Heimatschutz, zum Natur- und
Umweltschutz, zum Erhalt der Schöpfung Gottes und
zur Verantwortung vor den eigenen Kindern und Enkelkindern nichts anderes als Sonntagsreden sind.
Wir glauben, dass wir mit dieser Strategie ein sehr
ambitioniertes Programm vorgelegt haben. Es ist den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Umweltministeriums und aller anderen Ressorts, aber auch den Verantwortlichen der Länder und der Kommunen sowie den
Aktivisten bei den Umweltverbänden zu verdanken, die
in einem sehr langen Prozess daran mitgearbeitet haben.
Ich will ausdrücklich dafür danken. Ich freue mich, dass
erste Bundesländer, wie beispielsweise Bayern, angekündigt haben, diese nationale Strategie in eine landesweite umzusetzen und im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeiten daran zu arbeiten. Das zeigt, dass es durchaus
Länder gibt, die diese Aufgabe offensiv angehen. Dafür
sollten wir werben.
Vielen Dank dafür, dass Sie mir Gelegenheit gegeben
haben, Ihnen das hier heute vorzustellen.
Vielen Dank, Herr Minister. - Frau Kurth, Sie haben
die erste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Bundesumweltminister, erst einmal vielen Dank für die Darstellung. Ich glaube, alle, die sich mit dem Thema ernsthaft
befassen, bedauern, dass bei diesem wichtigen Thema
nicht mehr Abgeordnete im Plenum sind.
({0})
- Wir sind auch nicht gerade ein wunderbares Vorbild.
Deshalb beziehe ich uns alle ein. Ich finde nicht, dass
man sich selber da herausreden sollte.
Aber ich will Sie etwas fragen. Sie haben eben das
doch sehr bedenkliche Vorgehen Hessens im Rahmen
der Bundesratsinitiative angesprochen und dabei betont,
dass die Biodiversitätsstrategie natürlich nur dann erfolgreich sein kann, wenn alle Ebenen gemeinsam daran
arbeiten. Meine Frage lautet: Wie schätzen Sie die Möglichkeiten der Zusammenarbeit und eines gemeinsamen
Erfolges angesichts der vorliegenden Bundesratsinitiative für die Zukunft ein?
Zunächst hoffe ich, dass die Initiative keine Mehrheit
bekommt. Ansonsten kommt es darauf an, dass die Öffentlichkeit diesem Thema mehr Aufmerksamkeit
schenkt, als das hier im Plenum der Fall ist.
({0})
Herr Heilmann, bitte.
Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen. Ich finde es richtig, dass wir in Deutschland jetzt
endlich eine Strategie für Biodiversität haben, obwohl
sie nach meiner Einschätzung zu unverbindlich ist. Sie
sagen immer: „Wir streben an.“ Ich hätte es besser gefunden, wenn da auch einmal deutlich dringestanden
hätte: „Wir verpflichten uns.“ Das wäre etwas kräftiger.
Nun zu meiner Frage. Wir haben in der letzten Sitzungswoche die kleine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz verabschiedet. Sie haben ja ausgeführt, wie wichtig die kleine Fledermaus oder der Hai oder was auch
immer ist. Sind Sie der Auffassung, dass diese kleine
Novelle - ich möchte an Ihren Fraktionskollegen Herrn
Becker erinnern - der Strategie gerecht wird, da ja bekanntermaßen nach FFH-Richtlinie geschützte Arten einem stärkerem Regime unterstellt werden als nur national geschützte Arten?
Zunächst zu Ihrer Vorbemerkung. Die Strategie enthält, glaube ich, 430 Maßnahmen und 330 Ziele. Sie
werden weltweit nichts Konkreteres finden. Bei den
430 Maßnahmen steht nicht, was wir uns wünschen oder
was wir wollen, sondern da steht, was wir tun. Da Sie für
eine der Oppositionsfraktionen sprechen, kann ich mir
Ihre Ausführungen erklären. Ein Blick über die Grenzen
wird Ihnen aber zeigen, dass es außerhalb Deutschlands
kein Land gibt, das sich so stark verpflichtet und sich
selbst so unter Druck setzt wie wir. Sicherlich werden
Sie uns in acht Jahren als Oppositionsabgeordneter fragen: Was hat die Regierung eigentlich zwei Legislaturperioden lang zur Umsetzung dieser Ziele getan?
Nun zu Ihrer Frage: Ich glaube, dass die kleine Naturschutznovelle keinerlei Probleme bei der Sicherung von
FFH-Gebieten mit sich bringen wird, weil FFH-Gebiete
und deren Schutz europäischem Recht unterliegen. Was
immer auch an öffentlichen Interpretationen da ist: Das
ist geltendes europäisches Recht. Natürlich gilt das auch
im deutschen Naturschutzrecht.
Frau Kollegin Behm.
Herr Minister, ich schließe mich den lobenden Worten
der Vorredner an. Ich finde es sehr positiv, dass Sie gesagt haben, Sie wollen jährlich einen Bericht vorlegen.
Das will ich ausdrücklich erwähnen; denn wir sind gerade heute Vormittag im Agrarausschuss mit der Tatsache konfrontiert worden, dass Berichte im Agrarbereich
- zum Beispiel der Waldzustandsbericht - nur noch alle
vier Jahre vorgelegt werden sollen. Sie haben ja ganz
deutlich gesagt: Indem wir diese Berichte erstellen, treiben wir uns selbst. - Das finde ich sehr gut.
Sie haben darauf hingewiesen, dass diese Strategie
die Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung ist. Weil
ich aus dem Agrarbereich komme, fällt mir allerdings
auf, dass sich das Ressortdenken darin sehr breit macht.
Im Vergleich zum Entwurf sind insbesondere auf Druck
der Landwirtschaft viele Aspekte, die sie betreffen, herausgefallen, sei es die Reduzierung der Anwendung von
Pflanzenschutzmitteln um 15 Prozent, sei es die Reduzierung des Nitratüberschusses auf 50 Kilogramm pro
Hektar bis 2015, oder sei es das ambitionierte Ziel, den
Anteil des Ökolandbaus bis 2010 auf 20 Prozent zu erhöhen. Außerdem findet man in der Biodiversitätsstrategie kein klares Bekenntnis, dass die Bundesregierung
den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ablehnt.
Ich bewerte es sehr kritisch, dass all das in dieser Strategie nicht mehr enthalten ist.
Meine Fragen: Wie schätzen Sie die Gefahr des Auskreuzens und Verwilderns sowie das Potenzial der Etablierung und Ausbreitung von gentechnisch veränderten
Pflanzen im Hinblick auf die biologische Vielfalt ein?
Wie bewerten Sie persönlich die aktuelle Entwicklung
im Bereich von Gentechnik und ökologischer Landwirtschaft, vor allen Dingen in Bezug auf die Freisetzungsexperimente? Es wäre hilfreich, wenn Sie mir auf diese
Fragen klare Antworten geben könnten.
Klare Antworten finden Sie in unserer Strategie. Dort
heißt es im Hinblick auf gentechnisch veränderte Organismen, dass bei der Forschung, der Entwicklung und
bei ihrem Einsatz eine Schädigung der Natur durch
GVO-Auskreuzungen ausgeschlossen werden muss.
Hierzu haben Sie und die Bundesregierung allerdings
prinzipiell unterschiedliche Auffassungen. Sie sagen generell: Finger weg von gentechnisch veränderten Organismen. - Wir sagen: Unter bestimmten Bedingungen
halten wir ihren Einsatz für zulässig. - Diese Bewertung
findet man natürlich auch in unserer Strategie, durch die
die prinzipielle Haltung der Bundesregierung zu diesem
Thema nicht verändert wird.
Ich möchte das verdeutlichen: Wenn BASF eine gentechnisch veränderte Kartoffel entwickelt und sie ausschließlich in geschlossenen Kreisläufen der chemischen
Industrie zur Produktion von Stärke einsetzt, dadurch
80 Prozent Wasser spart und gleichzeitig deutlich mehr
Stärke produziert, dann haben wir kein Problem mit der
Zulassung dieser Kartoffel. Wenn diese Kartoffel aber in
Futtermittel gelangen sollte und vielleicht noch über einen Genmarker verfügt, der Antibiotikaresistenzen hervorruft, dann sind wir selbstverständlich dagegen, diese
Kartoffel zuzulassen. Das ist ein Beispiel dafür, wie wir
mit dem Thema Gentechnik umgehen wollen. Das ist ein
anderer Umgang, als ihn sich die prinzipiellen Gegner
der Gentechnik wünschen.
Vor dem Hintergrund der dramatischen Probleme,
auch auf dem Energiesektor - Stichwort: Rohstoffe -,
glauben wir aber, dass die entsprechende Forschung zulässig sein muss, allerdings unter bestimmten Bedingungen. Auch diese Bewertung findet sich in unserer Strategie wieder. Würden wir in diese Strategie etwas anderes
schreiben als das, was die Regierung insgesamt geplant
hat, wäre das ein Widerspruch.
Zum Thema Pflanzenschutz. In der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, die unter Rot-Grün, also unter Ihrer
Beteiligung - damals haben Sie übrigens die Landwirtschaftsministerin gestellt -, verabredet wurde, hieß es:
Ziel ist es, den Stickstoffüberschuss in der Gesamtbilanz
auf 80 Kilogramm pro Hektar landwirtschaftlicher Fläche zu verringern. - Dafür gab es damals großen
Applaus. Diese Position haben wir in unsere Strategie
übernommen. In ihr steht allerdings auch, dass wir eine
weitere Reduzierung erreichen wollen. Zunächst einmal
haben wir aber die Positionierung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie übernommen, die, soweit ich weiß,
unter Ihrer Beteiligung entwickelt wurde. Von daher
glaube ich, dass sich der Landwirtschaftsminister an dieser Stelle ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt hat.
Ich möchte ein zweites Beispiel anführen. Der Kollege Seehofer hat zugestimmt, das aus Zeiten der rotgrünen Regierung stammende Ziel, den Anteil des Ökolandbaus bis 2010 auf 20 Prozent zu erhöhen, in die Strategie aufzunehmen. Ich glaube, dieses Ziel wurde im
Jahre 2000 formuliert. Unter unserer Vorgängerregierung wurde dieser Bereich allerdings nicht gerade zügig
weiterentwickelt. Zu dem Zeitpunkt, als Sie dieses Ziel
formuliert haben, hatten Sie noch zehn Jahre Zeit, um es
zu erreichen. Kollege Seehofer hat zugestimmt, dieses
Ziel in unsere Strategie aufzunehmen, obwohl er dafür
jetzt nur noch knapp drei Jahre Zeit hat.
Ich möchte auf eines hinweisen: Die Kolleginnen und
Kollegen, die an der Erarbeitung dieser Strategie mitgewirkt haben, haben sich nach meinem Eindruck aufgrund der ambitionierten Ziele nicht weggeduckt. Jetzt
wird es aber auf uns ankommen: auf das Parlament, auf
die Regierung, auf die Länder, auf die Kommunen und
auf die Zivilgesellschaft. Wir müssen bei den Entscheidungen, die wir treffen, darauf achten, dass die Ziele der
Strategie eingehalten werden, beispielsweise beim
Thema Hochwasserschutz: Der Deichrückbau muss fortgesetzt werden, da wir mehr Retentionsflächen brauchen. Es ist doch Wahnsinn, wenn ein deutscher Umweltminister zuerst mit der Kreissäge - oder was auch
immer er in der Hand hielt - Auenwälder absägt und
sich hinterher über Hochwasserschäden beklagt.
({0})
Ich weiß nicht, was da der Hintergrund war. Aber es
muss ein paar Verirrungen gegeben haben; denn natürlich ist das das Gegenteil dessen, was man tun darf.
Ich glaube, dass die eigentliche Aufgabe darin besteht, das, was hier steht, zur Leitlinie unserer Entscheidungen in der Praxis zu machen. Ich nehme an, dass das
die wesentlich schwierigere Aufgabe werden wird.
Frau Enkelmann, bitte.
Herr Minister, Sie haben das Thema Ökolandbau genannt. Da kann ich gleich anschließen. Sie haben die
Verantwortung auf den Kollegen Seehofer abgeschoben.
Im Entwurf für die Nachhaltigkeitsstrategie stand noch,
das Ziel sei, 20 Prozent Ökolandbau zu erreichen. Wie
ist es zu bewerten, wenn dieses Ziel jetzt aus Ihrer Nachhaltigkeitsstrategie gestrichen ist? Bedeutet das einen
Ausstieg? Bedeutet das eine Verschiebung?
({0})
Ich suche gerade die Stelle, an der es um die
20 Prozent geht; sie stehen natürlich weiter drin. - Vielleicht kann mir das jemand geben; dann lese ich Ihnen
das gerne vor. - Aha, hier:
Beibehaltung einer angemessenen Förderung des
ökologischen Landbaus. In der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung wird für den ökologischen Landbau ein 20 %-Ziel bis 2010 angestrebt.
Erstens. Ich habe nichts abgeschoben. Zweitens. Sie
haben das nicht gelesen. Drittens. Der Umweltverband,
der Ihnen das aufgeschrieben hat, hat es auch nicht gelesen. Wollen wir uns darauf einigen? So ist das Leben.
({0})
Frau Kollegin Kurth.
Herr Minister, noch eine Frage zum Leben. Sie haben
gesagt, dass man soziale, wirtschaftliche und ökologische Interessen zusammenführen muss; das geht alles
unter der großen Überschrift „gerechter Vorteilsausgleich“. Wir wissen, dass lokale Gruppen und indigene
Völker davon besonders betroffen sind. Da ist es ja
manchmal schwer, konkret zu werden. Was hat Ihr Haus,
was haben Sie vor/während/mit der COP 9 vor, um das
so verbindlich wie möglich umzusetzen, und in welcher
Form wollen Sie die nationalen und die internationalen
Unternehmen einbinden? Das ist ja eines der ganz großen und sehr diffizilen Themen.
Sie haben völlig recht. Eines der großen Themen der
nächsten Vertragsstaatenkonferenz ist das, was in der
UN unter dem Begriff „Access and Benefit Sharing“
läuft. Für diejenigen, die damit anders als Sie, die Sie
sich exzellent auskennen, nicht jeden Tag zu tun haben:
Wir gewinnen zum Beispiel aus den Regenwäldern der
Entwicklungsländer genetische Ressourcen und machen
daraus, wie ich vorhin beschrieben habe, Medikamente.
Die Entwicklungsländer haben aber nichts von dem Profit, der durch diese Medikamente entsteht. Wir sagen Ihnen gewissermaßen: Schütze bitte deine Regenwälder!
Verzichte auf den wirtschaftlichen Nutzen der Bewirtschaftung der Flächen der Regenwälder! Sieh zu, dass
deine Bauern ihr Lohn und Brot anders verdienen! Aber
lass die Regenwälder Regenwälder sein und lass uns die
genetischen Ressourcen nutzen, denn wir brauchen sie
für unsere Industrieproduktion! - Doch wenn die Entwicklungsländer das machen - Brasilien hat 50 Prozent
des Regenwaldes aus der Nutzung genommen - und mit
uns darüber reden möchten, wo das, was daran verdient
wird, bleibt, antworten wir ihnen: Tut uns leid; das ist
privatwirtschaftlich geregelt. - Ich glaube, dass das so
nicht weitergehen kann. Deutschland ist übrigens das
einzige Land, das seine Verpflichtung aus der Initiative
des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, gemäß der
Brasilien 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt
werden sollten, wenn es den Regenwald aus der Nutzung
nimmt, eingehalten hat. Die 200 Millionen, zu denen wir
uns verpflichtet haben, sind geflossen. Kein anderer hat
das gemacht.
Wir müssen im Mai in Bonn eine internationale Vereinbarung erreichen, in der Folgendes klar geregelt wird:
Erstens. Wie sieht ein gerechter Vorteilsausgleich aus?
Das ist komplizierte Rechtsmaterie, und dabei geht es
letztlich um Geld. Zweitens. Wie bekommen wir den
Zugang zu den genetischen Ressourcen? Brasilien hat ja
inzwischen die Konsequenz gezogen und den Export
von genetischen Ressourcen verboten. Das ist eine der
Folgen davon. Wie die technischen Verhandlungen aussehen, kann ich Ihnen aus dem Stegreif nicht sagen; wir
arbeiten gerade im Rahmen der Europäischen Union daran. Übrigens hat auch die Europäische Union lange gezögert, diesen Schritt zu gehen, und auch Deutschland ist
nicht immer an der Spitze der Bewegung gewesen. Jetzt
stehen wir in Europa unter anderem deshalb unter
Druck, weil es auch eine Verbindung zu den Klimaverhandlungen gibt und weil wir selber Gastgeber sind. Die
Europäische Union hat nun also Position bezogen. Wenn
Sie das im Detail interessiert, wäre ich dankbar, wenn
Sie damit einverstanden wären, dass wir Ihnen die Verhandlungstexte, die wir dafür vorbereitet haben, zusenden. Das tun wir gerne.
({0})
Herr Kollege Göppel.
Eine Vorbemerkung zu dieser nationalen Strategie,
Herr Minister: Ich denke, die Tiefenschärfe und die Konkretheit der Forderungen an uns selbst, an uns Deutsche,
sind international vorbildlich.
Ich möchte jetzt aber zu meiner Frage kommen. Eine
der Forderungen an uns selbst ist, im eigenen Land den
Naturschutz auf freiwilligem Wege voranzubringen. Das
Stichwort Vertragsnaturschutz steht dabei im Vordergrund. Nun ist es aber so: In allen 16 deutschen Bundesländern zusammen werden bisher 140 Millionen Euro
pro Jahr für den Vertragsnaturschutz ausgegeben. Nach
Untersuchung der landwirtschaftlichen und naturschutzbezogenen wissenschaftlichen Institute bräuchten wir
aber mindestens 600 Millionen Euro pro Jahr. Ich spreche das deshalb noch einmal an, weil die Glaubwürdigkeit der Strategie für den Naturschutz im eigenen Land
sehr eng mit dieser Tatsache zusammenhängt.
Unser Ziel - das ist auch das, was Sie in der Strategie
niedergelegt haben - ist ja, dass wir im durchtechnisierten zivilsatorischen Lebensgefüge der Menschen die Lebenswelt unserer Mitgeschöpfe, der Pflanzen und Tiere,
erhalten und dabei auch ihren Austausch ermöglichen,
sodass quasi zwei Lebenswelten im gleichen Raum miteinander bestehen können. Dafür sind eben diese Naturschutzmittel notwendig.
Ich bitte Sie um eine Aussage dazu, welche Strategie
die Bundesregierung hierfür vorsieht.
In der Tat sind die Mittel für den Vertragsnaturschutz
verdammt knapp geworden, unter anderem dadurch,
dass die zweite Säule der europäischen Agrarförderung
bei der Entscheidung über die europäische Finanzpolitik
ziemlich zurechtgestutzt worden ist. Ich habe das aus
zweierlei Gründen bedauert:
Der erste Grund ist, weil dies insbesondere den bäuerlichen Landwirten, den kleinen Betrieben und den naturnah arbeitenden Betrieben schadet. Hier haben sich Teile
der Agrarlobby durchgesetzt, die ausgerechnet auch
noch aus Ländern kommt, die am stärksten negativ davon betroffen sind, weil sie eine sehr kleinteilig strukturierte Wirtschaft ohne große Veredelungsbetriebe und
anderes haben.
Der zweite Grund ist, dass dadurch in der Tat Mittel
für den Vertragsnaturschutz fehlen. Hier ist es zu einem
ziemlichen Mitteleinbruch gekommen. Wir hätten es gut
gefunden, wenn jetzt von der fakultativen Modulation
Gebrauch gemacht worden wäre. Innerhalb der Bundesregierung und auch in der Debatte mit den Agrarverbänden haben wir uns nicht durchsetzen können.
Ich glaube, 2008 wird es zur Revision der europäischen Agrarförderung kommen. Wir gehen davon aus,
dass die Kommission einen Vorschlag machen wird. Ich
weiß nicht, ob er für die Mitgliedstaaten besser ist. Hinsichtlich der Flexibilität der Mittel könnte es schwieriger
werden. Hinsichtlich der Höhe vermute ist, dass die
Kommission vorschlagen wird, stärker die obligatorische Modulation einzuführen, was dazu führen wird,
dass diejenigen, die das dann nicht für den Vertragsnaturschutz nutzen, Geld verlieren.
Das wird uns sicherlich noch einmal in Zugzwang
setzen. Ich glaube aber, dass an dieser Stelle der entscheidende Hebel zur Erhöhung der Mittel für den Vertragsnaturschutz liegt. Übrigens: Auf der vorhin schon
zitierten Seite 72 der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt steht auch, dass wir einen kontinuierlichen
Ausbau der Mittel für den Vertragsnaturschutz anstreben. Entweder geht das über die zweite Säule, oder die
Bundesregierung wird darüber beraten müssen, wie sie
dafür Mittel an anderer Stelle zur Verfügung stellt. Die
Länder werden das auch tun müssen.
Aber der eigentliche Kernpunkt ist die Debatte über
die erste und zweite Säule, über fakultative und obligatorische Modulation.
Frau Kollegin Brunkhorst, bitte.
Herr Minister, Sie haben verschiedentlich darauf hingewiesen, dass Klimawandel und Artenvielfalt an der
einen oder anderen Stelle durchaus in Beziehung stehen.
In Deutschland haben wir teilweise Strategien, zum Beispiel die Biomassestrategie für die Nutzung von Energiepflanzen zur Herstellung von Strom und von Biokraftstoffen, wo es jetzt schon Engpässe gibt, wie ich
einmal ganz vornehm sagen möchte. Jedenfalls gibt es
dort zunehmend Probleme. Der tropische Regenwald ist
ein riesiges Ökosystem, und wir müssen uns Gedanken
darüber machen, dass wir mit Konzeptionen, die hier in
Europa zunächst vielversprechend sind, letztendlich
nicht anderswo negative Auswirkungen verursachen. Zu
diesem Punkt bitte ich um eine kurze Stellungnahme.
Eine zweite Frage. Wir wissen noch relativ wenig
über die Artenvielfalt; hier handelt es sich um ein riesiges Forschungsgebiet. Meine Fraktion hat sich die Mühe
gemacht, Institute zu besuchen und zu befragen. Die
Biodiversität ist ebenso wie Botanik oder Molekularbiologie nur Teilmenge anderer Forschungsgebiete. Was ist
eigentlich im Bereich der Forschung geplant? Wird man
da bündeln und unter Umständen wirklich einen eigenen
Forschungsschwerpunkt etablieren? Wie wird die Vernetzung erfolgen können?
Zum Schluss noch zur Forschung an sich: Es gibt riesige Archive mit Materialien wie getrockneten Pflanzenteilen - so etwa Samenbanken -, die zum Teil noch nicht
einmal ordnungsgemäß katalogisiert sind. Hier gibt es
einen sehr großen personellen Bedarf und einen Bedarf
an Finanzmitteln. Wird man dem in Zukunft gerecht
werden wollen, oder ist dies nicht im Fokus?
Zuerst zum letzten Teil Ihrer Frage: Sie finden auf
den Seiten 136 bis 139 die Maßnahmen zur Umsetzung
des Handlungsziels für EU/Bund, was das Thema ForBundesminister Sigmar Gabriel
schung angeht. Dort sind die Stärkung der Biodiversitätsforschung im Rahmen des 7. Rahmenprogramms der
Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration sowie eine Reihe
weiterer Maßnahmenprogramme im Bereich der Forschung, die wir verstärken wollen, aufgeführt.
Wir haben allerdings auch noch etwas anderes vor.
Die Klimadebatte hat auch dadurch an Dynamik gewonnen, dass Nicholas Stern seinen Bericht über die Kosten
des Klimaschutzes und die Kosten des Verzichts auf Klimaschutz vorgelegt hatte. Während der G-8-Umweltministerkonferenz haben wir, und auf unseren Vorschlag
hin hinterher auch die Staats- und Regierungschefs der
G 8, in Heiligendamm beschlossen, dass wir in einem
„Stern-Review“ den Wert des Naturhaushaltes und die
Kosten aufgrund drohender Gefahren und Verluste darstellen.
Damit werden wir im Bereich der maritimen Biodiversität beginnen - dies ist schwieriger als beim Klimawandel; man muss sich einzelne Segmente nacheinander anschauen -, weil hier die Gefährdung derzeit am
deutlichsten ist. Machen wir beim weltweiten Fischfang
so weiter wie bisher, wird es im Jahre 2050 auf der ganzen Welt keinen kommerziellen Fischfang mehr geben.
Was dies für die Welternährungssituation bei einer wachsenden Weltbevölkerung bedeutet, kann man sich unschwer vorstellen. In diesem Bereich wollen wir die Forschung ausbauen. Ansonsten läuft dies im Rahmen der
konkreten Programme, die ab Seite 136 der Strategie
aufgezählt sind.
Hätte die FDP-Fraktion an dieser Stelle Hinweise,
Initiativen und Ideen, was man aus ihrer Sicht mehr machen muss, wären wir natürlich hochgradig daran interessiert, mit Ihnen darüber zu reden. Ohne es genauer angesehen zu haben, kann ich mir vorstellen, dass die
Vielfalt von Biodiversität auch zu einer Vielfalt von Forschungssegmenten führt und es Sinn macht, dafür eine
gemeinsame Plattform zu finden. Wir behaupten ja nicht
von uns, wir hätten alles bis ins letzte Detail bedacht.
Vielleicht könnten Sie uns auch Ihre Erfahrungen aus
den von Ihnen angesprochenen Besuchen übermitteln.
Der erste Teil Ihrer Frage betrifft in der Tat eines der
größten Probleme, die wir weltweit haben. Es nützt relativ wenig, bei uns Biokraftstoffe herzustellen, die weniger CO2 emittieren, wenn gleichzeitig die Regenwälder
abgeholzt oder die Moore abgefackelt werden wie in Indonesien. Deswegen ist der Ausschluss von Biomasse,
die nicht aus nachhaltigem Anbau stammt, Bestandteil
all dessen, was wir im Dezember im Kabinett zu den erneuerbaren Energien, zu den Biokraftstoffen und zur erneuerbaren Wärme verabschieden wollen. Dafür wollen
wir Zertifizierungssysteme anwenden. Dies ist auch auf
europäischer Ebene vorgesehen; in der Europäischen
Union werden im Herbst entsprechende Vorschläge vorgelegt. Es gibt eine Reihe von Ländern - darunter übrigens auch Brasilien -, die bereit sind, mit uns entsprechende vertragliche Vereinbarungen zu schließen.
Man darf aber, meine ich, nicht alles ablehnen. Wenn
nachgewiesen werden kann, dass die Produkte nicht aus
Monokulturen, sondern aus nachhaltigem Anbau stammen und nicht zulasten des Regenwaldes erzeugt wurden, dann muss man auch bereit sein, sie anzunehmen.
Sonst kommt es wieder zu einer Schieflage, sodass die
Entwicklungsländer uns vorhalten, dass wir von ihnen
den Erhalt des Regenwaldes fordern, ohne unsererseits
bereit zu sein, ihre Produkte zu fairen Vertragsbedingungen abzunehmen. Ich glaube, dass wir das über den
nachhaltigen Anbau und über Zertifizierungssysteme sicherstellen können.
Im Übrigen finde ich, dass das längst in die Vereinbarungen der Welthandelsorganisation gehört hätte. Dort
gibt es zwar den größten Widerstand, aber ich stimme
der Bundeskanzlerin zu, dass es nicht angeht, die Nachhaltigkeit im Welthandel nicht zum Gegenstand der Beratungen zu machen. Es geht nicht darum, uns lästige
Konkurrenten vom Leib zu halten, sondern darum, auch
noch den nachfolgenden Generationen den Welthandel
zu ermöglichen.
Wir werden das im Zusammenhang mit dem Einsatz
erneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe
zur Bedingung machen. Das wird auch auf europäischer
Ebene der Fall sein.
Herr Kollege Kauch.
Herr Minister, zunächst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie in Ihren Ausführungen auch auf den wirtschaftlichen Wert von Naturschutz eingegangen sind und
die Nutzung der Natur in den Mittelpunkt gestellt haben.
Wir haben heute im Umweltausschuss von Kollegen der
Großen Koalition Gegenteiliges hören müssen, als es um
einen Antrag der FDP-Fraktion zu den Grundsätzen des
Naturschutzes ging.
({0})
Aber das nur am Rande. Meine Frage zielt auf das
Verhältnis der heute von Ihnen vorgestellten Strategie
zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Sie haben messbare Indikatoren angesprochen. Diese gibt es auch in der
nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat in der letzten Wahlperiode bereits darauf hingewiesen, dass insbesondere einige Indikatoren, die das Thema biologische
Vielfalt betreffen, überarbeitungsbedürftig sind. Beispielsweise wird der Flächenverbrauch in der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie gegenwärtig rein quantitativ in
der Gesamtsumme gemessen; dabei kommt es für die
Lebensräume der Arten eher auf die regionale Verteilung
und darauf an, ob es zu Zerschneidungen von Biotopen
kommt.
Deshalb lautet meine Frage, ob vor dem Hintergrund
der Biodiversitätsstrategie geplant ist, die Indikatoren
der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zu überarbeiten.
Die Bundesregierung will Ende des Monats ein erstes
Papier dazu vorlegen. Wird es schon bei dieser Gelegen12682
heit oder erst bei der späteren Überarbeitung zu Veränderungen kommen?
Wir haben die Ziele aus der Nachhaltigkeitsstrategie
übernommen. Zusätzlich haben wir Indikatoren eingeführt und ein eigenes Kapitel zur Verhinderung von Zerschneidung bestehender geschlossener Landschaftsgebiete aufgenommen. Dazu gehört auch die Verpflichtung,
dass bei Gebieten, die - nach meinem derzeitigen Kenntnisstand - größer als 100 Quadratkilometer sind, keinerlei Zersiedlung oder Zerschneidung durch Verkehrsprojekte erfolgen darf. Insofern ist diesem Thema ein
eigenes Kapitel gewidmet.
Des Weiteren wird auf die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie verwiesen, die übernommen werden sollen, und
es gibt eine Reihe von Indikatoren, mit denen wir versuchen wollen, die Messbarkeit herzustellen. Letzten
Endes müssen die Daten in eine allgemeinverbindliche
Sprache übersetzt werden, damit politischer Druck entsteht, wenn man dagegen verstößt. Mit der Messbarkeit
und dem Berichtswesen soll öffentlich dokumentiert
werden, was in diesem Bereich passiert.
Frau Bulling-Schröter, bitte.
Ich habe eine Frage zum gerechten Vorteilsausgleich.
Mir haben Ihre Ausführungen sehr gut gefallen. Es gibt
eine Reihe von Diskussionen seitens der NOGs und der
Umweltverbände, die dieses Thema in den Mittelpunkt
ihrer Arbeit stellen. Dabei geht es zum Beispiel darum,
dass kein Wald abgeholzt werden soll. Es gibt auch den
Vorschlag, Geld zu geben, wenn darauf verzichtet wird,
in Regenwaldgebieten Öl zu fördern.
Meine Fragen an Sie lauten: Gibt es von Ihrer Seite
bilaterale Gespräche über dieses Thema? Werden Sie auf
Bali - da die CO2-Reduktion beim Klimaschutz eine wesentliche Rolle spielt - den gerechten Vorteilsausgleich
als europäischen Vorschlag in die Debatte einbringen?
Gibt es also dazu einen konkreten Vorschlag Ihrerseits?
Es gibt konkrete, sehr intensive Gespräche, zum Beispiel mit Brasilien über die Fortsetzung eines schon länger existierenden Projektes. Ich glaube - das weiß ich
nicht ganz genau -, es gibt auch Bemühungen im Kongo.
In der Tat gibt es eine Schnittstelle zwischen den Klimaverhandlungen und dem Thema Biodiversität, wenn
es um die Frage geht, wie wir CO2-Senken, also Wälder,
erhalten bzw. wie wir für Wiederaufforstung sorgen können. Sie erinnern sich vielleicht, dass die Bundesregierung vorgeschlagen hat - ich glaube, das wird auch
Thema im Umweltausschuss sein -, von den 400 Millionen Euro Auktionierungserlösen 120 Millionen Euro
für internationale Klimaschutzprojekte einzusetzen. Mit
einem Teil sollte meiner Meinung nach die Beteiligung
am Erhalt und an der Wiederaufforstung von Wäldern
gefördert werden. Das ist ein Angebot, das sehr große
Aufmerksamkeit gefunden hat.
Mein Vorschlag auf europäischer Ebene und auf Bali
wird sein, dass wir beim Thema Adaption, also Anpassung an den Klimawandel, verstärkt die Möglichkeiten
nutzen, Finanzmittel aus dem Kohlenstoffmarkt zu nehmen und beispielsweise für den Erhalt von CO2-Senken
- Schutzgebiete, Wälder und Moore - einzusetzen. Nach
meinem Dafürhalten darf das nicht aus staatlichen Budgets finanziert werden, sondern letztendlich verursachergerecht, also von denjenigen, die die Klimaprobleme
verursachen. Das betrifft die Industrieproduktion. Wenn
wir CO2 einen Preis geben wollen - dazu dient der Emissionshandel -, dann müssen die Mittel auch aus dem
Kohlenstoffmarkt kommen. Wir haben die Absicht, einen Teil der 120 Millionen Euro aus dem Auktionierungsprogramm dafür einzusetzen. Die Erlöse aus der
Auktionierung sollen also nicht nur für den Technologietransfer aufgewendet werden, sondern auch an der
Schnittstelle von Anpassung an den Klimawandel,
Armutsbekämpfung und Sicherung der biologischen
Vielfalt eingesetzt werden. Das betrifft den Schutz der
Wälder, insbesondere der Regenwälder, und die Wiederaufforstung.
Wir glauben, dass das eine sehr preiswerte Form des
Klimaschutzes ist, und hoffen, dass sich auch andere daran beteiligen. Bei den Entwicklungsländern ist das auf
riesengroße Aufmerksamkeit gestoßen. Es wäre gut,
wenn die Europäische Union ein solches Programm befürwortete. Ob das bis Bali zu schaffen ist, weiß ich
nicht. Die Bundesregierung hat jedenfalls auf dem letzten Europäischen Umweltrat sehr stark dafür geworben
und ihr Programm vorgestellt.
Mir liegen noch drei Wortmeldungen vor. Diese
werde ich noch zulassen. Dann schließe ich die Regierungsbefragung, und wir kommen zur Fragestunde.
Herr Kollege Caesar, bitte.
Herr Minister, Sie haben dankenswerterweise den
Schutz und den Erhalt der Wälder angesprochen. Ich
möchte darauf gerne noch einmal eingehen; denn ich
glaube, dass das ein zentrales Thema im Hinblick auf die
Artenvielfalt und deren Erhaltung bzw. deren Wieder-
herstellung sowie den Klimaschutz und die CO2-Redu-
zierung ist. Wir haben in der Vergangenheit viele Dinge
versucht, angefangen bei dem Entwurf eines Urwald-
schutzgesetzes. Man muss aber beachten, dass alle Maß-
nahmen möglichst unbürokratisch umzusetzen sind.
Können Sie sich vorstellen, dass wir im Bereich des
Urwaldschutzes vermehrt dazu übergehen, beispiels-
weise Konzessionen, die in den betreffenden Ländern
vergeben werden, zu erwerben, damit wir für eine nach-
haltige Bewirtschaftung der dortigen Wälder sorgen
können? Wir dürfen nicht vergessen, dass Schutzgebiete
nicht nur Kernzonen in Form von Totalreservaten auf-
weisen sollten, sondern in der Fläche auch nachhaltig
bewirtschaftet werden sollten, damit der Erlös zum Le-
bensunterhalt der dort lebenden armen Bevölkerung bei-
trägt. Gleichzeitig dürfen nur die Ressourcen exportiert
werden, die aus nachhaltiger Bewirtschaftung stammen.
Dabei sollte man sicherlich - ich glaube, darin sind
wir uns einig - zusätzlich darauf achten, dass diese nach-
haltige Bewirtschaftung nicht nur nach Masse, sondern
auch nach Sorten erfolgt, damit sich die Artenvielfalt
wie gewünscht vererben kann. Teilen Sie meine Auffas-
sung, dass das a) ein sehr wichtiger Bereich ist, den wir
international voranbringen müssen, auch bei der Konfe-
renz in Bonn, und dass wir b) in diesem Bereich zusätz-
lich neue Wege gehen sollten, die so, wie von mir be-
schrieben, aussehen könnten?
Meine spontane Antwort lautet: Ja. Ich bin zwar nicht
ganz sicher, ob ich alle Konsequenzen des Vorschlags b)
überblicke, aber für mich hört sich der Vorschlag erst
einmal so an - in der Sache ist das sowieso richtig -,
dass man gerade marktwirtschaftliche Prozesse nutzen
kann, um Nachhaltigkeit durchzusetzen. Ich finde das
richtig.
Herr Kollege Heilmann.
Herr Minister, wir können uns sicherlich noch zwei,
drei Stunden trefflich darüber streiten, ob „wir verpflichten“ mehr als „wir streben an“ ist. Ich habe aber noch
weitere Nachfragen: Sind denn die Behörden angesichts
des vom SRU festgestellten dramatischen Rückgangs
von personellen und finanziellen Ressourcen nach Ihrer
Auffassung überhaupt in der Lage, die Umsetzung der
Biodiversitätsstrategie, so wie Sie sie uns vorgelegt haben, zu gewährleisten? Meinen Sie, dass die seit Jahren
vorgenommene kontinuierliche Kürzung der Mittel für
Flächenankauf, Forschung und Naturschutz der richtige
Weg ist, um diese Strategie zu realisieren? Sollte da
nicht ein bisschen mehr von Ihnen kommen?
Nächstes Jahr findet die neunte Vertragsstaatenkonferenz in Bonn statt. Darüber, dass diese vor allem zulasten des praktischen Naturschutzes finanziert wird, haben
wir in der Haushaltsdebatte schon diskutiert. Meinen
Sie, dass es der richtige Weg ist, die Mittel immer mehr
zu kürzen, wodurch die entsprechenden Stellen nicht
mehr in der Lage sind, das durchzuführen, was zum Erreichen der beabsichtigten Ziele notwendig ist? Was die
Ziele angeht, stimme ich Ihnen zu, wenn Sie sie auch
nicht verbindlich festschreiben.
Herr Kollege Heilmann, Strategien haben es - das
kennen Sie aus Ihrer Partei - so an sich, dass sie eben
nur Strategien und keine Gesetze sind. Die Frage ist, ob
man im Alltag bereit ist, immer dann, wenn es konkret
wird, diese Strategien in die Praxis umzusetzen. Eine
Strategie soll dazu dienen, Dinge öffentlich transparent
zu machen - das wollen und brauchen wir eigentlich und dann, wenn jemand davon abweicht, ihn zumindest
zu einer Begründung für sein Abweichen zu zwingen,
damit Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben,
darüber zu entscheiden, ob sie mit dieser Begründung
einverstanden sind oder ob sie diese Person bei der
nächsten Wahl dafür bestrafen wollen. Das ist das Funktionsprinzip der Demokratie im Umgang mit solchen
Strategien.
Wir können die Länder nicht dazu verpflichten, mehr
Personal einzustellen. Bei uns ist kein Personal in diesem Bereich gestrichen worden, jedenfalls nicht über das
hinaus, zu dem Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestags uns durch Abstimmung über den Haushalt angehalten haben.
Wir haben übrigens auch keine Mittel gekürzt. Wenn
in den Ländern - da haben Sie recht und darauf weist der
Sachverständigenrat hin - Sach- und Personalmittel gekürzt worden sind, dann ist das in der Tat bedenklich;
denn die Aufgaben wachsen. Wir erleben, dass bestimmte Behörden inzwischen kaum noch in der Lage
sind, beispielsweise die Abwägung von Naturschutz und
Naturnutzungsinteressen zeitgerecht in die Planfeststellungsverfahren einzubringen. Einen solchen Vorgang haben wir derzeit. In einem Fall hat ein Landesumweltminister die zuständige Behörde sogar angewiesen,
keine naturschutzfachliche Stellungnahme abzugeben.
Das halte ich für katastrophal.
Die Antwort auf Ihre Frage, ob man diese Strategie
mit weniger Personal und weniger Mitteln in den Ländern umsetzen kann, lautet: Nein, natürlich nicht. Das ist
aber eine Angelegenheit, die im Rahmen der politischen
Auseinandersetzung in den Ländern geklärt werden
muss. Alle hier vertretenen Parteien sind, glaube ich, an
irgendeiner Landesregierung beteiligt. Gilt das auch für
die Grünen?
({0})
- Entschuldigung, in Bremen sind Sie dabei.
({1})
Ich dachte eigentlich, es handele sich um Niedersachsen.
Natürlich sind alle Abgeordneten in den Länderparlamenten und auch in den kommunalen Parlamenten aufgefordert - zum Beispiel entscheidet die Kommune und
nicht das Land über eine Entlassung aus dem Landschaftsschutzgebiet -, dafür Sorge zu tragen, dass die
Politik dort umgesetzt wird.
Wenn wir uns die Länderparlamente und die Landesregierungen - auch solche, an denen Ihre Partei beteiligt
ist oder war - genauer anschauen würden, dann würden
wir vermutlich feststellen, dass wir alle in unseren Parteien Mittäter sind: Wir alle haben an den Kürzungsbeschlüssen mitgewirkt, wir alle haben Mittel reduziert,
und wir alle stehen vor dem Problem, dass solche Ziele
mit dieser Entwicklung in der Tat nicht vereinbar sind.
Da hat der Sachverständigenrat schlicht und ergreifend
recht.
Wir wollen auch denjenigen Argumentationsmaterial
zur Verfügung stellen, die vor Ort dafür streiten, dass
dieser negative Trend umgekehrt wird.
Frau Brunkhorst, Frau Kollegin Behm hat sich lange
vor Ihnen zu Wort gemeldet. Ich kann Ihre Frage nicht
mehr zulassen, weil wir zehn Minuten über der Zeit sind.
Ich bitte um Verständnis.
Das Wort zu einer letzten Frage hat Frau Kollegin
Behm.
Sowohl für den Klimaschutz als auch für den Schutz
der Biodiversität spielen die Wälder weltweit eine herausragende Rolle. Das ist keine neue Erkenntnis. Der
Deutsche Bundestag hat sich schon in der 11. Legislaturperiode damit ausführlich befasst: 1990 hat er mit seinem Abschlussbericht zum Schutz der Tropenwälder einen ganz breiten Maßnahmenkatalog vorgelegt.
Dramatisch ist allerdings, dass sich die Waldvernichtung dennoch fortgesetzt hat. Die in diesem Katalog beschriebenen Maßnahmen sind nicht ergriffen worden,
bzw. sie haben nicht gegriffen. Meine Fraktion hat deswegen einen Entwurf für ein Urwaldschutzgesetz vorgelegt, den die Regierungskoalition abgelehnt hat. Ich erinnere mich noch an die Ausschussdiskussion, in der es
hieß: Ja, wir werden FLEGT verbessern; wir müssen da
etwas machen, aber Ihr Gesetzentwurf ist nicht geeignet.
Ob das stimmt, sei einmal dahingestellt. FLEGT ist jedenfalls ein zahnloser Tiger.
Ich frage Sie: Haben Sie eine Vorstellung davon, wie
Sie dem Problem im Rahmen Ihrer Strategie oder wie
auch immer begegnen wollen? Werden Sie noch vor
COP 9 - ich glaube, es wäre wichtig, das zu tun - ein
entsprechendes Gesetz zum Schutz der Urwälder vorzulegen?
Frau Kollegin, ich wünschte mir, ich hätte die Möglichkeit, einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen. Das
Europarecht hindert uns aber schlicht und ergreifend daran. Ich kann jetzt nur wiedergeben, was ausgebildete
Juristen meines Ministeriums zu diesem Thema sagen.
Herr Flasbarth, Abteilungsleiter Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung, hätte sicherlich lieber einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt als darauf verzichtet.
Auch seine Einschätzung ist, dass wir hier in Europarecht eingreifen würden, womit wir letztlich scheitern
würden.
Derzeit versuchen wir auf europäischer Ebene, die,
wie auch ich finde, nicht zureichende europäische Regelung Schritt für Schritt zu verschärfen, zu verbessern und
im Zweifel auch für eine Novelle einzutreten. Unterhalb
dieser Ebene versuchen wir, bilaterale Verträge zu
schließen. Die Zertifizierungssysteme werden übrigens
auch da Druck entfalten.
Außerdem versuchen wir, Finanzmittel bereitzustellen, um zu helfen. Der Kollege aus der CDU/CSU-Fraktion hat einen bedenkenswerten Vorschlag gemacht: Er
hat vorgeschlagen, so etwas auf marktwirtschaftlicher
Basis, nämlich über Konzessionen, zu erreichen. Ich
fände es gut, wenn wir diese Themen sowohl im Umwelt- als auch im Landwirtschaftsausschuss vor der COP
noch einmal intensiv beraten würden.
Wenn mich jemand davon überzeugt, dass ein solches
Gesetz nicht europarechtswidrig ist, dann habe ich kein
Problem damit; übrigens die Koalitionsfraktionen auch
nicht. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen auch
über diese Frage geredet. Aus meiner Sicht ist es in der
Tat ein Problem, dass es in diesem Bereich bereits Europarecht gibt. Die Existenzberechtigung von Juristen
gründet sich auf die Tatsache, dass es zu einem rechtlichen Problem mindestens zwei Meinungen gibt. Das ist
noch nichts Ehrenrühriges; das ist erst einmal nur eine
Feststellung. In meinem Berufsstand - ich bin Lehrer gibt es mindestens drei Meinungen zu einem Problem.
Ich wäre dankbar, wenn wir einen solchen Gesetzentwurf vorlegen könnten. Lassen Sie uns darüber noch einmal nachdenken. Ich bitte darum, solche Vorschläge in
die Debatte einzubringen, wie sie seitens der CDU/CSUFraktion eben gemacht worden sind.
Vielen Dank, Herr Minister, für die Beantwortung der
Fragen. - Ich schließe die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/6903 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Wolfgang Wieland
auf:
Trifft ein Bericht des Spiegel ({0})
zu, wonach bereits im Jahr 2004 eine vorzeitige Haftentlassung von Kazem Darabi von der Bundesregierung zugesagt
wurde, wenn im Gegenzug durch die Regierung der Islamischen Republik Iran oder die Hisbollah Informationen über
das Schicksal des 1986 im Libanon verschollenen israelischen
Piloten Ron Arad mitgeteilt würden?
Herr Kollege Wieland, meine Antwort auf Ihre Frage
lautet: Auf Bitte der israelischen Regierung unterstützt
die Bundesregierung aus humanitären Erwägungen seit
vielen Jahren die Bemühungen zur Aufklärung des Falles des seit 1986 im Libanon verschollenen Ron Arad.
Unter den verschiedenen internationalen Gesprächspartnern wurde Vertraulichkeit vereinbart. Über Einzelheiten
dieser Unterstützung kann ich daher in der Öffentlichkeit
keine Aussagen machen. Dabei möchte ich unterstreichen, Herr Kollege Wieland, dass daraus nicht abzuleiten ist, dass es die in Ihrer Frage formulierte Zusage gegeben hat.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einmal Folgendes betonen: Die mit der Ausweisung und Abschiebung verbundene Entscheidung des Generalbundesanwalts über die vorzeitige Haftentlassung der von Ihnen
genannten Person beruht, wie ich in meiner Antwort auf
Ihre Frage aus der Fragestunde am 13. Juni 2007, die Sie
schriftlich bekommen haben, bereits ausgeführt habe,
auf § 456 a der Strafprozessordnung. Dieser Entscheidung liegen keine Absprachen mit iranischen Stellen
zugrunde. Die Bundesregierung hat beim Generalbundesanwalt auch sonst in keiner Weise auf ein entsprechendes Vorgehen gedrängt.
Ihre Zusatzfragen.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär Hartenbach, eine
Freilassung im Gegenzug für Informationen über Ron
Arad wäre wenigstens plausibel. Wenn Sie jetzt sagen,
das sei kein Geschäft auf Gegenseitigkeit, dann muss ich
Sie noch einmal fragen: Wieso lassen Sie nach 15 Jahren
und zwei Monaten den Hauptverurteilten im MykonosVerfahren frei, obwohl es weder erkennbare - schon gar
nicht öffentliche - Reue noch ein Geständnis der Tatbeteiligung und erst recht keinen Versuch einer Schadenswiedergutmachung gegenüber den Opfern gegeben hat?
Wieso gelten sämtliche Kriterien, die wir im Zusammenhang mit den RAF-Tätern im Frühjahr dieses Jahres
- auch unter Beteiligung Ihres Hauses - in der Öffentlichkeit breit diskutiert haben, in diesem Fall nicht? Warum gab es eine nicht nur von mir, sondern von der Öffentlichkeit generell nicht nachvollziehbare Freilassung,
für die es nach Ihrer Aussage noch nicht einmal eine internationale Gegenleistung gab?
Herr Kollege Wieland, wir gehören ja beide zu dem
soeben von Herrn Bundesminister Gabriel kritisierten
Stand der Juristen. Aber es gibt diesbezüglich eigentlich
keine Auslegungsfragen. Ich wundere mich ein bisschen,
dass Sie als ehemaliger Justizsenator und Nebenklägervertreter im Prozess „Darabi“ nicht die feine Unterscheidung zwischen einer sogenannten bedingten Entlassung
nach dem Strafgesetzbuch und der Entlassung nach
§ 456 a der Strafprozessordnung machen.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie als Justizsenator in
der Zeit zwischen Juni 2001 und Januar 2002 sehr wohl
in die Entscheidung der Ausländerbehörde Berlin über
die Ausweisung von Herrn Darabi involviert waren, die
dann am 2. Februar 2002 - also wenige Tage nachdem
Sie nicht mehr Justizsenator waren - ausgesprochen
wurde. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie da mitdiskutiert und auch sehr genau gewusst haben, dass eine
Ausweisung im Raum steht. Der § 456 a der Strafprozessordnung verlangt nur, dass eine Ausweisung ausgesprochen worden ist.
Sie wissen auch, dass das Kammergericht im
Jahr 2006 die Höchstverbüßungsdauer für den zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Darabi auf 23 Jahre
festgesetzt hat. Er wird im nächsten Jahr, im März,
glaube ich, 15 Jahre verbüßt haben.
Ich wiederhole: Vermengen Sie bitte nicht die bedingte Entlassung nach den §§ 56 ff. des Strafgesetzbuchs und die Ausweisung mit der damit verbundenen
Unterbrechung der Haft nach § 456 a der Strafprozessordnung! Dabei haben die Dinge, die Sie ansprechen,
überhaupt keine Bedeutung.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär Hartenbach, ich gebe mir große
Mühe mit der Differenzierung. Das Kammergericht hat
nicht die Höchstverbüßungszeit, sondern die Mindestverbüßungszeit - das ist ja wohl ein Unterschied - festgelegt, und zwar auf 23 Jahre. Nun wird er im Ergebnis
so behandelt, als habe man die Schwere der Schuld bei
ihm tatgerichtlich nicht festgestellt. Man hat sie aber gerade festgestellt. Das heißt, er wird im Grunde so freigelassen, als gäbe es diese Feststellung nicht. - Ich vermische hier gar nichts.
Auch der von Ihnen zitierte Paragraf der Strafprozessordnung enthält keinen Automatismus. Er besagt doch
nicht: „Ihr müsst dann irgendwie freilassen“, sondern: Ihr
könnt es tun; ihr müsst aber die Gesamtumstände berücksichtigen. - Es ist im Übrigen eine Entscheidung der Generalbundesanwaltschaft, von der die jetzige Generalbundesanwältin, wie man hört - ich sage: wie man hört -,
nicht beglückt ist, die sie aber in dem Sinne meint vorgefunden zu haben, jedenfalls eine in dem Sinne exekutive
Entscheidung.
Wenn ich Sie noch beruhigen darf: Im Land Berlin ist
es so, dass über Ausweisungen der Innensenator und
nicht der Justizsenator entscheidet, und zwar im Rahmen
seines Fachressorts, seiner Fachzuständigkeit. Dann liegt
es bei der unabhängigen Justiz. Das heißt, ein Justizsenator hat daran gar nichts zu rühren.
In einer Hinsicht war ich allerdings damit befasst, und
damit kommen wir zur Ausgangsfrage zurück. Von dem
seinerzeitigen Geheimdienstkoordinator wurde ich geradezu bekniet, an den Haftverhältnissen von Herrn Darabi
nichts zu verändern, ihn nach dem 11.9. insbesondere
nicht aus Berlin heraus zu verlegen, weil er als Gefangener im internationalen Zusammenhang mit Iran, mit der
Hisbollah wichtig sei, also genau in dem Zusammenhang, den Sie jetzt geleugnet haben.
Herr Wieland, ich bitte Sie, Ihre Worte ein bisschen
sorgfältiger zu wählen. Ich habe überhaupt nichts geleugnet. Es gibt für mich nämlich nichts zu leugnen. Ich
habe Ihnen etwas erklärt. Sie scheinen es immer noch
nicht verstanden zu haben.
Ich sage noch einmal: Sie waren damals oberster
Wächter über Herrn Darabi. Als Justizsenator hatten Sie
auch die Dienstaufsicht über die Justizvollzugsanstalt.
Das haben Sie eben selbst noch eingeräumt.
({0})
Deswegen kann ich mir schon vorstellen - ich weiß es
nicht -, dass ein Justizsenator gefragt wird, wenn die
Möglichkeit besteht, dass jemand aus seinem Zuständigkeitsbereich herausgenommen wird. Wenn eine Entscheidung zur Ausweisung schon einmal vorliegt, kann
der nächste Schritt die Entscheidung nach § 456 a der
Strafprozessordnung sein, die Haft zu beenden und diese
Person auszuweisen - aus welchen Gründen auch immer. Viele Gründe sind vorstellbar, zum Beispiel der
Grund, dass man einen weiteren Haftplatz für deutsche
Straftäter in der Justizvollzugsanstalt Tegel braucht, in
der Herr Darabi ja einen guten Platz eingenommen hat.
Es hat mich gewundert, welches Interesse Sie an dieser Sache haben. Ich gehe nun davon aus, dass es nicht
das Interesse des Abgeordneten Wieland ist,
({1})
sondern dass es ein ganz anderes Interesse an dieser
Frage gibt. Ich gehe davon aus, dass Sie sehr genau wissen, was damals Gegenstand der Verhandlungen war. Da
wissen Sie mehr als ich.
Nach dem, was mir bekannt ist, und auch nach dem,
was Frau Harms möglicherweise geäußert hat, kann ich
nur sagen: Frau Harms wird diese Entscheidung, die getroffen worden ist, tragen.
Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Wolfgang Wieland
auf:
Entspricht es den Tatsachen, dass der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert die Bundesregierung anlässlich des
Beschlusses zur vorzeitigen Haftentlassung Kazem Darabis
im Jahr 2007 ersucht hat, im Gegenzug von der Regierung der
Islamischen Republik Iran oder der Hisbollah Informationen
über das Schicksal Ron Arads zu fordern?
Diese Frage geht in die gleiche Richtung. Ich sagte
Ihnen eben schon: Die Bundesregierung war immer bemüht, zu helfen. Da aber Vertraulichkeit vereinbart worden ist, kann ich Ihnen hierzu öffentlich keine weiteren
Auskünfte geben. Sie müssten gegebenenfalls das Parlamentarische Kontrollgremium befragen und dort Ihre
Probleme vorbringen.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Kollege, Sie wissen sicherlich, dass ich zu diesem Gremium keinen Zugang habe und der Kollege, der
dort sitzt, mit mir nicht über Erkenntnisse dieses Gremiums reden darf. Dieser Hinweis geht also ins Leere. Er
ist vielleicht typisch juristisch, aber er hilft nicht wirklich.
Können Sie denn wenigstens bestätigen, dass die
Tochter von Ron Arad in die Bundesrepublik gereist ist,
um darum zu bitten, dass man Herrn Darabi nicht aus der
Hand gibt, bevor nicht das Schicksal ihres Vaters geklärt
ist?
Das kann ich Ihnen bestätigen. Die Tochter und der
Bruder von Herrn Arad waren am 16. Oktober dieses
Jahres bei der Generalbundesanwältin. Die Generalbundesanwältin hat den beiden erklärt, dass die vorgenommene Haftentlassung und Ausweisung keinerlei Fragen
anderer Art nach sich zieht.
Das wird die Tochter absolut überzeugt haben, wenn
ihr das so gesagt wurde.
Weitere Frage: Ist Ihnen bekannt, dass eine Delegation iranischer Parlamentarierinnen als Gast der Bundesrepublik Deutschland heute Vormittag in Ihrem Haus
war, dort mit Ihrem Kollegen Diwell und vorgestern mit
uns, mit Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern sowie Innenpolitikerinnen und Innenpolitikern, geredet hat
und dass diese Parlamentarierinnen zu der Frage des
Mykonos-Attentats eindeutig gesagt haben, dass der Iran
damit nichts zu tun hat, dass das eine innerkurdische
Auseinandersetzung war? Ist Ihnen bekannt, dass der
Iran nach wie vor bestreitet, Urheber dieses Attentats zu
sein, dass er sich nach wie vor nicht der Verantwortung
stellt und auch nicht, wie etwa Libyen, Entschädigungszahlungen leistet? Wie stellen Sie sich unter diesen Umständen den Empfang von Herrn Darabi im Iran vor,
wenn Sie ihn am 8. Dezember oder davor oder danach
ins Flugzeug setzen werden?
Ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie mich über
Ihre Gespräche mit iranischen Parlamentarierinnen aufgeklärt haben.
({0})
- Das finde ich auch sehr gut. - Ich weiß aber nicht, welche justiziellen Befugnisse und welche Erkenntnisse
diese fünf iranischen Parlamentarierinnen hatten. Deswegen kann ich Ihnen auch nichts dazu sagen, was mit
Herrn Darabi - der sich übrigens nicht dagegen wehrt geschieht, wenn er in den Iran kommt. Ich weiß nicht, ob
er mit Blumen empfangen wird oder sonst wie. Über das
Gespräch mit Herrn Diwell werde ich mich noch informieren. Vielleicht können Sie beim nächsten Mal eine
Frage dazu stellen, was dort besprochen worden ist.
Dann können wir uns weiter darüber unterhalten.
({1})
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der
Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der
Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Christian Ströbele
auf:
Wird die Bundesregierung nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2007 ({0}), demzufolge nach heutiger Rechtslage Wehrpflichtige während einer Berufsausbildung im sogenannten
dualen Studium nicht mehr vom Grundwehrdienst zurückgestellt werden müssen, nun gemäß dem Änderungsverlangen
des Bundesrates vom 11. Mai 2007 zu ihrem Entwurf eines
Wehrrechtsänderungsgesetzes ({1})
sowie gemäß dem einhelligen Votum der Bildungspolitiker
auch der Koalitionsfraktionen eine ausdrückliche gesetzliche
Gleichbehandlung der dual Auszubildenden mit anderen Auszubildenden anstreben, und wird die Bundesregierung schon
in ihrer Gegenäußerung zu dieser Stellungnahme des Bundesrates verdeutlichen, dass sie der ohne Gesetzesänderung drohenden Unterbrechung, weiteren Erschwerung und Attraktivitätsminderung eines dualen Studiums sowie Verzögerung des
Arbeitsmarktzugangs dieser Fachkräfte nachdrücklich entgegentreten wird?
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die Bundesregierung begrüßt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, in der die Einberufungs- und
Zurückstellungspraxis des Bundesministeriums der Verteidigung für rechtens erklärt worden ist. Die Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates wird nun
innerhalb der Bundesregierung erarbeitet und dem Bundestag zugeleitet werden.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.
Ich danke zwar zunächst für diese Beantwortung. Die
Auffassung der Bundesregierung wird aber eigentlich
nicht deutlich. Welche Auffassung haben Sie denn jetzt
dazu, wie es weitergehen soll? Welchen Tenor wird Ihre
Stellungnahme haben, die Sie dazu erarbeiten, oder gibt
es noch gar keine Auffassung?
Nachdem ich Ihnen, Herr Kollege, gerade gesagt
habe, dass eine Stellungnahme erarbeitet und abgestimmt wird, kann ich keine abschließende Prognose
über die genauere Formulierung dieser Stellungnahme
abgeben. Ich kann allerdings darauf hinweisen, dass wir
seit jeher der Auffassung gewesen sind, dass die Einberufungspraxis in Ordnung ist. Ungeachtet der gesetzlichen Regelungen wollen wir jedoch im Sinne eines pragmatischen Vorgehens darauf Wert legen, dass diejenigen,
die sich in einem dualen Ausbildungsgang, also in einem
sogenannten Masterstudiengang befinden, der sich sowohl auf eine berufliche Ausbildung als auch auf ein
Fachhochschulstudium erstreckt, zeitnah einberufen
werden - zeitnah heißt: sobald sie zum Wehrdienst herangezogen werden können -, um im Hinblick auf die relativ lang dauernde Ausbildung und das Studium zu verhindern, dass sie eine Grenze überschreiten und nicht
mehr zum Wehrdienst herangezogen werden könnten.
Das ist ein pragmatischer Ansatz.
Wir werden dann zu sehen haben, inwieweit die
Überlegungen, das Studium und die Ausbildung der jungen Männer in einem zeitnahen und kompakten Rahmen
stattfinden zu lassen, in der Gesetzgebung berücksichtigt
werden können. Wir werden das innerhalb der Bundesregierung und sicherlich auch mit Blick auf die Vorstellungen des einen oder anderen aus dem Bereich des Bundestages zu bewerten haben.
Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?
Sie dürfen noch eine Zusatzfrage stellen.
Was begrüßt denn dann eigentlich die Bundesregierung an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn sie sich noch gar keine abschließende Auffassung dazu gebildet hat? Worauf bezog sich Ihre
Anfangsbemerkung?
Herr Kollege, als Rechtsanwalt wissen Sie ja, dass
man sich immer freut, wenn man einen Prozess gewinnt.
Diesen Prozess hat die Bundesregierung gewonnen; ihre
Rechtsauffassung ist bestätigt worden. Gestatten Sie mir
deswegen, dass ich mich für die Bundesregierung freue,
dass dies so ist.
Welche Konsequenzen sich in der weiteren Verfolgung des Entwurfs eines Wehrrechtsänderungsgesetzes
aus diesem für die Bundesregierung und die Wehrverwaltung entstehenden Vorteil ergeben, wird sich zeigen.
Wir werden uns nicht allein von der Freude über einen
gewonnenen Prozess leiten lassen, sondern von der
Überlegung, welche Entscheidungen im Rahmen der
weiteren Gesetzgebung und möglicherweise in Bezug
auf administrative Maßnahmen im Hinblick auf die Bedürfnisse derjenigen, die zum Wehrdienst anstehen, aber
auch im Hinblick auf die Notwendigkeit einer funktions12688
fähigen Bundeswehr optimiert zu treffen sind. Diese
Entscheidungen werden wir dann dem Bundestag vorlegen.
Die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates wird sich daran orientieren.
Ich gehe davon aus, dass diese dem Bundestag in einem
überschaubaren Zeitraum nach Beschlussfassung in der
Bundesregierung vorgelegt werden wird.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung
der Fragen.
Die Frage 4 im Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes der Kollegin Marieluise Beck ({0}) wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers
der Finanzen auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
auf:
Wie ist der Sachstand bei der Gründung der Partnerschaften Deutschland Gesellschaft AG, PDG AG, und mit welchem
Instrumentarium soll die Objektivität der Prüfung konkreter
ÖPP-Projekte in Sachen Wirtschaftlichkeit durch die
PDG AG sichergestellt werden?
({1})
- Ja, wir wollen das gelten lassen.
Herr Kollege Hofreiter, die konzeptionellen Vorarbeiten zur Gründung der Partnerschaften Deutschland Gesellschaft AG, also PDG AG, sind weit fortgeschritten
und werden im Lichte der Stellungnahme des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung
noch weiter geprüft.
Die notwendigen Haushaltsmittel sollen im Rahmen
der parlamentarischen Beratungen des Haushaltsentwurfs 2008 bewilligt werden. Nach Abschluss der Beratungen des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 15. November 2007 soll das Bundeskabinett
das Bundesministerium der Finanzen in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung mit den Vorbereitungen zur Gründung der PDG beauftragen.
Die Objektivität im Wirtschaftlichkeitsvergleich zwischen konventioneller Beschaffung und ÖPP-Varianten
ist ein zentrales Ziel der PDG und soll in der Satzung des
Unternehmens verankert werden. Sie liegt zudem im Interesse der öffentlichen Mehrheitseigentümer. Durch geeignete rechtliche Regelungen wird sichergestellt, dass
die privaten Minderheitsgesellschafter ihr Know-how in
die Grundlagenarbeit einbringen, aber keinen Einfluss
auf konkrete Projektberatungen nehmen können.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin, für die Antwort. - Meine erste Zusatzfrage wäre: Wer sind denn die privaten Partner? Kann
man sie näher benennen? Sind zum Beispiel die Commerzbank, die Deutsche Bank oder Landesbanken dabei? Es wäre schön, wenn Sie die privaten Partner benennen könnten.
Herr Kollege, diese kann ich in der Tat im Moment
nicht benennen. Es gibt aber eine Anzahl von Interessenten, die in dem Bereich mitwirken wollen. Das liegt auf
der einen Seite natürlich an deren geschäftlichen Interessen, auf der anderen Seite aber auch an deren Erfahrungen, die sie im Bereich von Projekten in öffentlichprivater Partnerschaft schon sammeln konnten. Dazu gehören Finanzdienstleister, dazu gehören auch namhafte
Unternehmen zum Beispiel der Hoch- oder Tiefbaubranche und weitere.
Klar ist aber, dass die privaten Unternehmen nicht unmittelbar eine Beteiligung an der PDG erwerben können,
sondern nur über eine Beteiligungsgesellschaft. Die privaten Interessenten müssen sich also zu einer BT GmbH
zusammenschließen, einer eigenen Beteiligungsgesellschaft, die mittelbar unter 50 Prozent, also maximal
49,9 Prozent, der Anteile an der PDG halten kann.
Unternehmen, die sich an PDG-Vorhaben beteiligen
wollen, dürfen keine Mitarbeiter in die PDG entsenden.
Es ist also klar, dass das getrennt ist, dass die Interessen
unterschiedlich sind. Es gibt keine unmittelbare Beteiligung einzelner Unternehmen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Ich sehe anhand der Antwort Ihr eindeutiges Bemühen, das Ganze so erscheinen zu lassen, als ob die privaten Beteiligten kein Interesse hätten, auf das objektive
Beratungsergebnis Einfluss zu nehmen. Aber meinen Sie
wirklich, dass es mit der Praxis in einer Gesellschaft
übereinstimmt, dass sie keinen Einfluss nehmen?
49 Prozent private Anteilseigner haben mittelbar natürlich ein Interesse daran, dass ÖPP-Projekte positiv beurteilt werden. Wie wollen Sie ausschließen, dass sie tatsächlich Einfluss nehmen? Wie schauen die rechtlichen
Regelungen, die Sie vorschlagen, genau aus?
Herr Kollege, über die Vertragsgestaltung kann ich
Ihnen im Einzelnen zurzeit noch keine Auskünfte geben;
so weit sind wir einfach noch nicht. Selbstverständlich
ist in Rechnung zu stellen, dass es im Interesse der öffentlichen Mehrheitsanteilseigner liegt, dass durch geeignete rechtliche Regelungen sichergestellt wird, dass
die privaten Minderheitsgesellschafter keinen Einfluss
auf die konkrete Projektberatung nehmen können. Dies
wird durch die Vertragsgestaltung sichergestellt werden.
Es liegt selbstverständlich im öffentlichen Interesse,
dass eine vorurteilsfreie und keine interessengeleitete
Beratung erfolgt. Darauf werden die Mehrheitsanteilseigner in der PDG achten. Es wird geeignete rechtliche
Rahmenbedingungen dafür geben.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Britta Haßelmann
auf:
Welche Folgen für die zahlreichen steuerlichen Querverbünde in der Trägerschaft kommunaler Gebietskörperschaften
sind aus Sicht der Bundesregierung aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 22. August 2007 ({0}) zu erwarten,
wonach die Übernahme von Dauerverlusten einer selbstständigen Tochtergesellschaft im Rahmen einer kommunalen Holding steuerlich als eine verdeckte Gewinnausschüttung an die
Trägerkommune zu behandeln ist, und welche Maßnahmen
- beispielsweise einen Nichtanwendungserlass oder eine Gesetzesinitiative - plant die Bundesregierung in der Reaktion
auf das oben genannte Urteil zur Sicherung des Fortbestandes
steuerlicher Querverbünde?
Der Bundesregierung ist die Bedeutung der steuerlichen Querverbünde für die Kommunen bekannt. Sie
wird sich daher dafür einsetzen, dass das BFH-Urteil
vom 22. August 2007 von der Finanzverwaltung zunächst nicht allgemein angewendet wird. Die Folgen, die
das BFH-Urteil für diese Verbünde haben kann, und gegebenenfalls erforderliche gesetzliche Regelungen wird
die Bundesregierung mit den obersten Finanzbehörden
der Länder erörtern. Sie wird auch Gespräche mit den
kommunalen Spitzenverbänden aufnehmen.
Ihre Zusatzfrage.
Frau Präsidentin! Frau Staatssekretärin, vielen Dank
für die Beantwortung der Frage. Plant das Finanzministerium eine parlamentarische Befassung mit diesem
Thema? Ist zum Beispiel die Durchführung einer Anhörung geplant? Liegen Ihnen schon Stellungnahmen der
kommunalen Spitzenverbände vor? Inwieweit wird die
Bund-Länder-Kooperation hinsichtlich der Bewertung
dieses Urteils Einfluss auf die in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlichen rechtlichen Vorgaben zur
wirtschaftlichen Betätigung haben?
Frau Kollegin Haßelmann, die Vorarbeiten, die wir
zurzeit zusammen mit den Ländern durchführen - Bewertung des Urteils hinsichtlich seiner Auswirkungen -,
und die Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden dienen im Zweifelsfall natürlich der Vorbereitung einer gesetzlichen Regelung. Ich gehe davon aus, dass eine
gesetzliche Regelung notwendig sein wird. Ich kann
aber noch nicht sagen, in welche Richtung diese Regelung zielen wird, weil wir das Urteil bisher noch nicht
ausgewertet haben.
Dieses Urteil wird über den entschiedenen Einzelfall
hinaus vorerst nicht angewandt. Das wird auf Dauer aber
nicht haltbar sein, sodass sich der Gesetzgeber diesbezüglich Gedanken machen muss. Ein parlamentarisches
Verfahren wird selbstverständlich die Folge sein. Ich
kann aber noch nicht sagen, in welche Richtung es gehen
wird.
Davon unabhängig ist aber der zweite Teil Ihrer Frage
zu sehen. Die Frage, was den Kommunen an wirtschaftlicher Geschäftsbetätigung durch Landesrecht erlaubt
wird, ist nicht mit der steuerlichen Frage zu vermengen.
Ich kann mir vorstellen, vor welchem Hintergrund Sie
diese Frage gestellt haben, nämlich vor dem Hintergrund
der erheblichen Einschränkung der wirtschaftlichen Geschäftstätigkeit der Kommunen durch die schwarz-gelbe
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Dieser Sachverhalt ist aber getrennt von dem Urteil des Bundesfinanzhofes zu sehen, das sich nur um die steuerlichen
Fragen des Querverbundes dreht. In diesem Urteil wird
keine Aussage dazu gemacht, welche Betätigungen
Kommunen ausüben dürfen.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. In der Tat intendierte meine Frage die Beurteilung
der aus meiner Sicht dramatischen Beschneidung der
wirtschaftlichen Betätigung insbesondere in NordrheinWestfalen. Wenn man das zum Beispiel mit Bayern vergleicht, muss man feststellen, dass das eine erhebliche
Verschlechterung für die Kommunen und die Kommunalwirtschaft in Nordrhein-Westfalen bedeutet.
Frau Hendricks, mich würde interessieren, inwieweit
sich der Bundesrat mit der Frage befasst hat. Sind dem
Finanzministerium einzelne Vorstöße seitens des Bundesrates dazu bekannt?
Frau Kollegin, der Bundesrat als Teil der institutionellen Organisationsstruktur hat sich bislang noch nicht damit befasst. Selbstverständlich gibt es aber zur Frage des
steuerlichen Querverbundes schon seit längerer Zeit eine
Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder. Dieses Urteil
des Bundesfinanzhofs hat uns insofern nicht vollkommen überrascht. Wir müssen das Urteil aber bewerten.
Die Interessen sind durchaus unterschiedlich; das ist
selbstverständlich klar. Der Bundesrat als Institution hat
sich noch nicht damit befasst. Die entsprechenden Gremien des Bundes und der Länder sind allerdings im Gespräch und bleiben im Gespräch. Sie werden, sobald sie
mit der Erarbeitung so weit sind, den gesetzgebenden
Körperschaften, sowohl dem Bundestag als auch dem
Bundesrat, einen Vorschlag unterbreiten.
Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Christine Scheel
auf:
Mit welchem Modell will die Regierung Kostenneutralität
bei der Neuregelung der Entfernungspauschale ab dem ersten
Kilometer herstellen?
Frau Kollegin Scheel, die Bundesregierung plant
keine Änderung der derzeit geltenden Regelung zur Entfernungspauschale.
({0})
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Frau Staatssekretärin, das überrascht mich jetzt gerade nicht besonders. Allerdings würde mich interessieren, wie Sie denn mit den Steuerpflichtigen umgehen
werden, die in diesem Jahr einen Freibetrag haben eintragen lassen, der davon ausgeht, dass ab dem ersten Kilometer 30 Cent gewährt werden. Müssen diese Steuerpflichtigen dann im nächsten Jahr eventuell alles
zurückzahlen, oder wie soll das funktionieren?
Frau Kollegin Scheel, zunächst einmal kann man allen Steuerpflichtigen nur raten, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Denn es ist schon durch
die Finanzverwaltung von Bund und Ländern öffentlich
mitgeteilt worden und die Finanzämter sind angewiesen
worden, dass alle Steuerbescheide vorläufig ergehen.
Das heißt, ein Bürger, der jetzt überhaupt keine Aktion
ergreift, würde, falls das Verfassungsgericht der Auffassung sein wird, dass das geltende Recht nicht verfassungsgemäß ist, automatisch in seinen Rechtsstand versetzt und würde die Nachzahlung bekommen, die ihm
dann zustehen würde.
Die andere Frage, die Sie anschließen, geht von der
Bedingung aus, dass das Verfassungsgericht die jetzt
geltende Rechtslage bestätigt. In der Tat muss man sagen, dass, wenn das Bundesverfassungsgericht die geltende Rechtslage bestätigt - davon gehen wir aus -, diejenigen, die sich jetzt Freibeträge eintragen lassen, zur
Nachzahlung verpflichtet sein werden. Deswegen kann
ich nicht dazu raten, sich Freibeträge eintragen zu lassen.
Ich rate dazu, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
gelassen abzuwarten. Denn wenn das Bundesverfassungsgericht gegen den Bundestag als Gesetzgeber entscheiden sollte, dann werden die Bürger automatisch in
ihren Rechtsstand versetzt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Scheel.
Ja. - Frau Staatssekretärin, es gibt zwei Gerichte in
zwei Bundesländern, die die Auffassung der Bundesregierung und des Finanzministeriums nicht teilen. Auch
der Bundesfinanzhof hat sich bezüglich der Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme sehr kritisch geäußert. Deswegen frage ich: Haben Sie nicht großes Verständnis dafür, dass die Steuerpflichtigen hier kein Geld verlieren
wollen und auf ihrer Lohnsteuerkarte diesen Freibetrag
eintragen lassen?
Einmal angenommen, das Bundesverfassungsgericht
teilt Ihre Auffassung nicht: Das würde doch bedeuten,
dass Sie Steuerausfälle in der Größenordnung von 2 bis
3 Milliarden Euro riskieren, weil die Freibeträge, die
30 Cent ab dem ersten Kilometer berücksichtigen, eingetragen sind. Dieses Geld können Sie den Leuten ja nicht
mehr wegnehmen. Wie wollen Sie damit umgehen?
Wenn das Bundesverfassungsgericht so entscheidet,
würde das nicht nur diejenigen finanziell gesehen positiv
betreffen, die den Freibetrag haben eintragen lassen,
sondern das würde natürlich auch alle anderen finanziell
betrachtet positiv betreffen, deren Steuerbescheide von
Amts wegen für vorläufig erklärt worden sind. Um dieses Geld dann im Zweifelsfall zu bekommen, sofern das
Bundesverfassungsgericht so entscheidet, muss man also
keinerlei Aktion unternehmen. Man bekäme das Geld
auch, wenn man einfach abwartet, was das Bundesverfassungsgericht entscheidet; aber eben nur dann, wenn
das Bundesverfassungsgericht so entscheidet.
Ich darf im Übrigen auf Folgendes hinweisen: Es hat
bisher fünf Urteile von Finanzgerichten gegeben. Von
diesen fünf Urteilen haben zwei Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes geäußert. Drei haben
keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
und auch keine Vorlagebeschlüsse zum Bundesfinanzhof
gemacht. Der Bundesfinanzhof hat in einem Verfahren
im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erklärt, es bestünden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
des Gesetzes.
Dies ist aber auch nicht von der Hand zu weisen; denn
wenn von fünf Finanzgerichten, die bisher dazu geurteilt
haben, zwei so und drei anders entschieden haben, dann
liegt es auf der Hand, dass Zweifel bestehen. Wenn von
fünf Leuten zwei der einen Auffassung und drei der anderen Auffassung sind, dann bestehen immer Zweifel.
Insofern ist die Richtigkeit der Aussage, dass Zweifel an
der Verfassungsgemäßheit bestehen, nicht von der Hand
zu weisen. Ähnlich gelagert ist folgendes Beispiel: Wenn
von fünf Leuten zwei die Position A und drei die Position B vertreten, dann müsste der Sechste, der dazukommt, auch feststellen, dass zweifelhaft ist, wer hier
nun recht hat. So ähnlich hat sich der Bundesfinanzhof
verhalten. Damit ist aber noch keine Entscheidung in der
Sache getroffen. Diese bleibt dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.
Wir kommen jetzt zu Frage 8 der Kollegin Christine
Scheel:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Arbeitnehmerpauschbetrag von derzeit 920 Euro ein wichtiger
Beitrag zur Vereinfachung des Steuerrechts und zum Bürokratieabbau ist, und teilt die Regierung die Auffassung, dass vor
einer Absenkung des Pauschbetrages der Normenkontrollrat
diese zusätzlichen bürokratischen Lasten für Bürgerinnen und
Bürger, kleine und mittlere Unternehmen und für die Finanzämter bewerten müsste?
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, dass in
dem Arbeitnehmerpauschbetrag ein Beitrag zur Steuervereinfachung zu sehen ist. Nach § 4 des Gesetzes zur
Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates sind
die Ressorts verpflichtet, den Normenkontrollrat bei
Rechtsetzungsvorhaben vor der Kabinettsbefassung zu
beteiligen.
Ihre Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden,
dass Sie an dem derzeit geltenden Pauschbetrag aufgrund der dadurch gegebenen Steuervereinfachung - sie
ist ja mit Pauschbeträgen immer verbunden - nicht rütteln werden, auch dann nicht, wenn Sie im Zusammenhang mit der Kilometerpauschale, die, wie wir jetzt gehört haben, ziemlich chaotisch organisiert ist - worunter
wieder die armen Steuerpflichtigen und auch die Finanzbehörden leiden; das scheint irgendwie so die Arbeit der
Regierung zu sein; aber das sei einmal dahingestellt -,
Änderungen vornehmen? Halten Sie auch dann daran
fest? Denn wenn Sie es ändern müssten, dann würden
Sie es ja wahrscheinlich ab dem ersten Kilometer ändern. Der Finanzminister hat gefordert, dass das aufkommensneutral ist. Auch die Frau Bundeskanzlerin hat gesagt, dass es aufkommensneutral sein muss. Wie soll das
denn dann gehen?
Da die Bundesregierung - wie ich Ihnen in Beantwortung Ihrer ersten Frage gesagt habe - keine Änderungen
bei der derzeit geltenden Regelung zur Entfernungspauschale plant, ist auch eine - wie immer denkbare - Gegenfinanzierung zur Herstellung einer Aufkommensneutralität nicht notwendig.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir bestätigen, dass
es Berechnungen in Ihrem Hause gibt, aus denen hervorgeht, dass, würde man die Entfernungspauschale
beispielsweise auf 20 Cent ab dem ersten Kilometer festlegen, der Arbeitnehmerpauschbetrag auf 660 Euro gesenkt werden müsste, um eine Aufkommensneutralität
zu erreichen?
Frau Kollegin Scheel, man kann zu allen Dingen Berechnungen vorlegen. Wenn man zum Beispiel die Entfernungspauschale auf der einen und den Arbeitnehmerpauschbetrag auf der anderen Seite sieht, so erschließt es
sich einem: Das wäre natürlich ein Prinzip kommunizierender Röhren. Wenn man das eine anhebt, senkt man
das andere. Man könnte zur Herstellung einer Aufkommensneutralität natürlich auch völlig andere Maßnahmen ergreifen. Man müsste nicht zwingend den
Arbeitnehmerpauschbetrag ändern. Man könnte sich
auch andere Rechnungen vorstellen. Aber ich sage: Das
ist rein hypothetisch. Die Bundesregierung plant keine
Änderungen bei der Entfernungspauschale. Deswegen
sind auch - wie auch immer geartete - Rechnungen zur
Herstellung einer gedachten Aufkommensneutralität
nicht notwendig.
({0})
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen
beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl.
Die Frage 9 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Deswegen rufe ich die Frage 10 der Kollegin Sabine
Zimmermann auf:
In welcher Höhe wurden bisher öffentliche Finanzmittel
von EU, Bundesregierung und Bundesländern zur Schließung
von Breitbandlücken in Deutschland eingesetzt, und in welcher Höhe sollen Fördermittel für dieses Ziel jährlich bis 2013
eingesetzt werden?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Liebe Kollegin
Zimmermann, ich kann Ihnen dahin gehend Antwort geben, dass die Bundesregierung die Summe der öffentlichen Finanzmittel aus EU-, Bundes- und Landesprogrammen nicht genau ermitteln kann, da sie keinen
Zugriff auf entsprechende Daten hat. Für uns ist festzuhalten, dass wir nichtsdestoweniger auf vielfältige Weise
der Bedeutung des Breitbandinternet Rechnung tragen.
Den Schwerpunkt setzen wir bei der Erarbeitung von
Maßnahmen zur Entwicklung einer zielgerichteten Informations- und Koordinierungspolitik. Von besonderer
Bedeutung ist außerdem die Schaffung günstiger regulierungs- und frequenzpolitischer Rahmenbedingungen
für die Unternehmen, damit sie entsprechende Leistungen bereitstellen können.
Die Bundesregierung betrachtet finanzielle Förderprogramme, die dazu beitragen sollen, einen flächendeckenden Zugang zu realisieren, als Ultima Ratio. Nichtsdestotrotz besteht eine Reihe von Fördermöglichkeiten.
Es gibt Förderprogramme mit regionalpolitischem Bezug und die beiden nationalen Bund-Länder-Programme,
die GA und die neue GAK, die Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“.
Inzwischen haben sich einige Länder entschlossen,
auf Mittel aus europäischen Förderprogrammen zurückzugreifen. Um den Breitbandzugang für die Kommunen
und für die Unternehmen vor Ort zu verbessern, beziehen sie zum Beispiel Mittel aus dem Europäischen
Fonds für regionale Entwicklung, dem EFRE, oder aus
dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums, dem ELER.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke schön. - Frau Staatssekretärin, dass Sie über
keine Zahlen verfügen, stimmt mich natürlich etwas kritisch. Ich frage mich: Wie wollen Sie es schaffen, für
eine 100-prozentige Abdeckung zu sorgen, wenn Sie
nicht einmal wissen, wie viel Geld dafür überhaupt notwendig ist?
Es werden ja große Gewinne gemacht, zum Beispiel
von der Telekom. Vielleicht darf ich Ihnen ein paar Zahlen nennen: Von 2004 bis 2006 hat die Telekom im
Breitband- und im Festnetzbereich Gewinne von 14 Milliarden Euro erzielt. Meine Frage: Wie stehen Sie zu
dem Vorschlag, dass die Bundesregierung darauf einwirken sollte, dass ein Teil dieser Gewinne in den Regionen
eingesetzt wird, in denen es keinen Breitbandzugang
gibt?
Wie ich in meiner Antwort auf Ihre schriftliche Frage
bereits dargelegt habe, setzen wir nicht nur auf öffentliche Förderprogramme. Die Entwicklung im Bereich
Breitband ist positiv. Es gibt zwar noch keinen flächendeckenden Zugang, aber die Abdeckungsquote beträgt
inzwischen deutschlandweit 97,7 Prozent. Das ist, wie
ich glaube, kein schlechtes Ergebnis. Dennoch versuchen wir auf vielfältige Art und Weise, die noch vorhandene Lücke von 2,3 Prozent zu schließen.
Unter anderem findet am 12. November dieses Jahres
hier in Berlin ein Kongress des DIHK statt, zu dem wir
alle 800 Gemeinden, in denen es noch keinen Breitbandzugang gibt, eingeladen haben, um ihnen alternative
Möglichkeiten vorzustellen. Schließlich bestehen solche
alternativen Möglichkeiten, vor allem im Bereich der
Funktechnologien. Darüber hinaus gibt es das Projekt
„Breitbandatlas“ und vieles andere. Natürlich hoffen wir,
dass wir diese Situation weiter verbessern können und
dass die Deutsche Telekom überprüft, wo sie den Breitbandzugang in Zukunft ausbaut.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Im Grunde kann man also sagen, dass die Gewinne,
die in den Ballungszentren erzielt werden, in denen ein
Breitbandzugang vorhanden ist, privatisiert werden und
dass der Breitbandzugang in den ländlichen Gegenden,
in denen es ihn noch nicht gibt, mit öffentlichen Fördergeldern geschaffen werden muss. Sind Sie hier mit mir
einer Meinung?
Nein, ich bin mit Ihnen nicht einer Meinung. Ich habe
dargelegt, dass wir die öffentliche Förderung als Ultima
Ratio betrachten. Auf öffentliche Förderungen können
die Länder zugreifen. Es gibt eine Förderung durch die
GA und eine Förderung im Rahmen der Fonds auf europäischer Ebene. Das soll aber immer die Ultima Ratio
sein und nur zu dem Zweck genutzt werden, die letzten
noch vorhandenen Lücken zu schließen.
Es gibt alternative Anschlussmöglichkeiten auch für
die Fläche. Wir sehen die Notwendigkeit, die Kommunen darauf hinzuweisen, welche anderen Möglichkeiten
bestehen. Hier ist noch mehr Aufklärungsarbeit zu leisten. Um diese Aufklärungsarbeit zu betreiben, haben wir
alle Kommunen eingeladen, an dem Kongress teilzunehmen, der in der nächsten Woche in Berlin stattfindet.
Aber wir werden keinen politischen Einfluss darauf nehmen, wie die Telekom ihre Gewinne zukünftig verwendet.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Rainder
Steenblock auf:
Warum weigert sich die Bundesregierung, die Akten über
Planung und Bau der Erdgaspipeline durch die Ostsee sowie
die Unterlagen der Kreditbürgschaft des Bundes öffentlich zugänglich zu machen ({0})?
Lieber Kollege Steenblock, bei der Nord-StreamPipeline handelt es sich, wie Sie wissen, um ein privatwirtschaftliches Projekt der drei Unternehmen Gasprom,
Eon und BASF. Das heißt, ob die Pipeline gebaut wird
und wer sie zukünftig betreiben soll, ist eine Entscheidung der beteiligten Unternehmen.
Die Akten enthalten eine politische Bewertung des
Projekts. Herr Steenblock, sie sind lange genug dabei,
um zu wissen, dass eine Veröffentlichung die interne
politische Einschätzung der Bundesregierung und damit
die Position der Bundesregierung gegenüber ausländischen Partnern erkennen lassen würde. Das würde unseren zukünftigen Verhandlungsspielraum einschränken.
Für so einen Fall ist im Informationsfreiheitsgesetz geregelt, dass, wenn ein Bekanntwerden der Information
nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen haben kann, eine Einschränkung des Zugangs zu Informationen möglich ist.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wenn ich die
Bundesregierung bisher richtig verstanden habe, geht sie
davon aus, dass dieses Projekt im gemeinsamen europäischen Interesse ist. Von daher kann die Konkurrenz, die
Sie befürchten, überhaupt nicht eintreten. Sie haben Ihre
Weigerung, die Akten öffentlich zugänglich zu machen,
mit dem Informationsfreiheitsgesetz begründet; das
muss dann entweder nach § 3 oder nach § 4 geschehen.
Wenn die Bundesregierung jetzt die Veröffentlichung
der Akten eines nach ihren eigenen Aussagen unumstrittenen Projektes ablehnt, würde mich interessieren, auf
welcher Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes sie
das tun will, sprich: welche öffentlichen Belange bzw.
welche Entscheidungsprozesse sie dadurch schützen
will. Sie sind ja gemäß § 9 Informationsfreiheitsgesetz
verpflichtet, bei einer Ablehnung mitzuteilen, ob und
wann Sie bereit sind, diese Akten öffentlich zu machen.
Ist das absehbar?
Das ist nicht absehbar, und es ist auch nicht geplant.
Sie haben vollkommen recht: Das ist ein unternehmerisches Projekt mit einer europäischen Dimension; das ist,
glaube ich, unstrittig. Aber in diesen Akten ist, wie gesagt, eine interne politische Einschätzung der Bundesregierung mit niedergelegt, und es ist nicht beabsichtigt,
diese öffentlich darzulegen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, können Sie sich vorstellen, dass
die Kritik, die es in den baltischen Ländern und in Polen,
aber auch in den skandinavischen Ländern sowohl an der
Grundsatzentscheidung für das Projekt, aber auch am
Verlauf dieser Pipeline gibt, dadurch, dass die Bundesregierung nicht bereit ist, ihre Position öffentlich zu
machen, noch gestärkt wird und dass sich unsere europäischen Partner von so einem Verhalten der Bundesregierung ausgesprochen verletzt fühlen?
Ich glaube nicht, dass sie sich ausgesprochen verletzt
fühlen. Sie wissen, dass dieses Projekt in die transeuropäischen Netze aufgenommen worden ist und dem alle
Mitgliedstaaten zustimmen mussten. Es bestehen permanent Kontakte zwischen den einzelnen Ländern, und es
werden viele bilaterale Gespräche geführt, hinsichtlich
der Umweltverträglichkeitsprüfung und vielem anderen
mehr. Uns ist nicht bekannt, dass sich wegen der Nichtveröffentlichung irgendjemand beschwert hätte.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Rainder
Steenblock auf:
Wie schätzt die Bundesregierung die Konsequenzen des
deutsch-russischen Projekts für die Beziehungen zu den Ostseeanrainern und EU-Mitgliedern Polen, Estland und Lettland
vor dem Hintergrund der erheblichen Bedenken hinsichtlich
der ökologischen Verträglichkeit und besonders auf polnischer Seite hinsichtlich der gesicherten Energieversorgung
ein?
Mit Ihrer vorherigen Frage haben Sie auch schon ein
wenig das Thema der Frage 12 angesprochen.
Wir wissen, dass es bezüglich des Projekts - also
nicht bezüglich der Nichtveröffentlichung der Unterlagen, worüber wir vorhin gesprochen haben - in Polen
und in den baltischen Staaten kritische Stimmen gibt.
Aber wie gesagt: Das Europäische Parlament und auch
die Europäische Kommission haben die Pipeline am
6. September 2006 in die Liste der transeuropäischen
Energienetze aufgenommen. Das ist ein Rechtsakt, der
für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist. Weil das ein laufendes Projekt ist, besteht ein permanenter Kontakt der
Kommission mit Polen, den baltischen Staaten und auch
den anderen Ostseeanrainern.
Darüber hinaus werden alle betroffenen Staaten im
Rahmen der derzeit laufenden Durchführung der grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsstudie nach der
Espoo-Konvention regelmäßig unterrichtet. Im Rahmen
internationaler Kooperationen, wie zum Beispiel der
Helsinki-Kommission, der Kommission zum Schutz der
Meeresumwelt des Ostseegebiets, informiert die Bundesregierung die Anrainerstaaten in bilateralen Kontakten über den Fortgang des Projektes. Darüber hinaus
führt auf polnischen Wunsch eine deutsch-polnische Arbeitsgemeinschaft auf Staatssekretärsebene bilaterale
Gespräche.
Ihre erste Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie sich das Verhalten der
Regierung Estlands hinsichtlich des Trassenverlaufs ansehen, die ihren Protest gegen diese Pipeline, wie andere
europäische Länder auch, noch einmal sehr deutlich gemacht hat, werden Sie Verständnis dafür haben, dass
meine Einschätzung dieses Konsultationsprozesses deutlich anders aussieht.
Wir haben jetzt die Mitteilung bekommen, dass der
Zeitplan für die Ostseepipeline nicht zu halten ist, sondern dass er zunächst um ein halbes Jahr verschoben
wird, mit der Option, dies deutlich zu verlängern. Daraufhin gab es eine Stellungnahme der polnischen Regierung, dass das eine Chance ist, das Gesamtprojekt zu
kippen. In vielen europäischen Ländern gibt es also
deutliche Widerstandslinien dazu.
Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund den zukünftigen Zeitplan inklusive der geplanten
Umweltverträglichkeitsprüfung und der Frage, wie man
mit den Munitionsaltlasten in der Ostsee bei dem geplanten Trassenverlauf umgehen kann? Sehen Sie die Möglichkeit, andere Arbeitsformen zu entwickeln, um gerade
mit unseren östlichen Nachbarländern hier zu einem
Konsens zu kommen?
Wie ich vorhin ausgeführt habe, ist die Aufnahme des
Projektes in die Liste der TEN-Projekte ein verbindlicher Rechtsakt. Ich glaube, uns allen ist daran gelegen,
dass wir zu einer Diversifizierung der Transportwege,
also zu mehr europäischer Sicherheit, kommen. Wir wissen natürlich, dass hier an den Transport von Gas aus
neu erschlossenen Gasfeldern gedacht ist.
Uns ist aber natürlich auch bekannt, dass es Widerstände gibt - das ist ganz klar -, vor allem von polnischer Seite. Wir wissen auch von eventuellen Interessen
auf polnischer Seite - hinsichtlich der eigenen Wirtschaft und der Transitgebühren. Das ist Ihnen ebenfalls
bekannt. Es gibt aber völkerrechtliche Verpflichtungen
bezüglich der Umwelt, die bei dieser Trassenbeteiligung
eingehalten werden müssen. Deswegen wird zurzeit
auch die grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt.
Die längere Dauer ist kein Grund, dass von dem Projekt Abstand genommen werden sollte.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, um die Akzeptanz in den baltischen Ländern und in Polen zu erhöhen, wurde immer
wieder diskutiert, ob eventuell eine Abzweigung in diese
Länder realisiert werden soll und die Verfügungshoheit
über diese Abzweigung nicht der Gasprom, sondern einem internationalen Gremium unterstellt werden soll.
Gibt es solche Überlegungen auch innerhalb der Bundesregierung? Damit könnte ja die Akzeptanz erhöht werden. Wird auf solche Vorschläge, die aus Polen und dem
Es werden Gespräche geführt. Die Wünsche und Anregungen der betroffenen Anrainerstaaten sind uns natürlich bekannt. Aber es sind diesbezüglich keine Entscheidungen getroffen.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Die
Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hermann Kues.
Die Frage 13 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Elke Reinke auf:
Welche weiteren Freiwilligendienste sind neben den Jugendfreiwilligendiensten wie das freiwillige soziale Jahr/der
freiwillige soziale Dienst oder das freiwillige ökologische
Jahr/der freiwillige ökologische Dienst, welche beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt sind, und dem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst
„weltwärts“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den anderen Ministerien in
Planung, und wie sollen diese ausgestaltet sein?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Außer den im
BMFSFJ angesiedelten, gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendiensten freiwilliges soziales Jahr und freiwilliges ökologisches Jahr sowie dem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts“ des BMZ werden
derzeit keine zusätzlichen Freiwilligendienste von der
Bundesregierung geplant. Das BMI erwägt, im Rahmen
des freiwilligen sozialen Jahres ein neues Einsatzfeld im
Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes unter möglicher Trägerschaft des THW anzubieten. Gedacht ist zunächst an eine geringe Teilnehmerzahl von 20 bis
30 Freiwilligen. Das BMWF plant ein freiwilliges technisches Jahr; so lautet zumindest der Arbeitstitel. Ziel
des in 2008 anlaufenden Programms ist die Förderung
der Studierbereitschaft für technisch-naturwissenschaftliche Studiengänge durch eine mehrmonatige berufliche
Orientierung in Forschungseinrichtungen oder Unternehmen. Dieses Projekt, gedacht als Berufsorientierung
im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes - hier ist
also ein anderes Vertragsverhältnis vorgesehen -, stellt
keinen Freiwilligendienst im engeren Sinne dar.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie
unsere Befürchtungen, dass durch diese schlecht abgestimmte Ausweitung der Freiwilligendienste der konsequente Bildungsaspekt verloren geht und stattdessen
eine neue „Generation Praktikum“ herangezogen wird?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Im Gegenteil, ich halte
es für eine gute Entwicklung, dass in den unterschiedlichen Ressorts Aktivitäten entfaltet worden sind. Im Übrigen bemühen wir uns, die Dinge im Rahmen des geplanten Jugendfreiwilligengesetzes so zu koordinieren
und zu bündeln, dass es eine einheitliche Linie gibt. Entscheidend ist dabei, dass für die Jugendlichen, die einen
dieser Dienste anstreben werden, ein überzeugendes Angebot vorhanden sein wird.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Vielen Dank. - Meine weitere Frage: Was gedenken
Sie dagegen zu tun, dass bürgerschaftliches Engagement
- hier in Form der Freiwilligendienste - immer häufiger
reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt?
Dies ist unserer Auffassung nach nicht der Fall. Denn
es ist zu beachten, dass die Jugendfreiwilligendienste
eine andere Funktion, eine andere Aufgabe haben und
teilweise dazu dienen, sozialem Engagement einen besonderen Rahmen zu geben, teilweise aber auch eine
wichtige Rolle bei der Berufsfindung spielen. Insoweit
gibt es einen großen Unterschied zwischen Jugendfreiwilligendiensten und Freiwilligendiensten für Ältere, bei
denen eine andere Motivationslage gegeben ist. Wir sehen diese Gefahr überhaupt nicht.
Eine weitere Zusatzfrage stellt der Kollege Gehring.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, mich interessiert,
wie Sie die Bedenken beurteilen und auf sie erwidern,
dass von Freiwilligendienstträgern und aus den Reihen
der Opposition, aber sogar von einzelnen Abgeordneten
der Regierungsfraktionen gesagt wird, es sei nicht ganz
nachzuvollziehen, dass die Jugendfreiwilligendienste
aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes herausgelöst werden. Ist dies mit dem Ziel vereinbar, den jugendund bildungspolitischen Charakter der Freiwilligendienste zu stärken? Ich sehe da erst einmal einen Widerspruch, wenn man dies allein unter bürgerschaftlichem
Engagement abbucht. Wieso wollen Sie die Jugendfreiwilligendienste aus dem KJP herauslösen? Das ist ja eine
berechtigte Frage.
Sie haben es schon selbst angesprochen: Es geht darum, unter dem Gesamtlabel „Bürgerschaftliches Engagement“ einen Weg zu finden, der auch für die jugendlichen Interessenten von Bedeutung ist und ihnen
gegenüber eine einheitliche Ansprache ermöglicht. Insofern ist es eine Ergänzung zu vielen Aktivitäten, die auch
im Kinder- und Jugendplan verankert sind.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Kai Gehring auf:
Was sind nach Planung der Bundesregierung die Zeitpunkte für die Vorlage des neuen Gesetzentwurfs zur Novelle
zum Jugendschutzgesetz und zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens, und teilt die Bundesregierung die von einem
Abgeordneten der Fraktion der CDU/CSU geäußerte Auffassung ({0}), bei der
genannten Novelle mit Blick auf Gewaltvideos und sogenannte Killerspiele „eine große Lösung“ anstreben zu wollen
und damit in diesem Bereich über die Frage von Testkäufen
hinaus vom bisherigen Entwurf abzuweichen?
Herr Kollege Gehring, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Für die Bundesregierung ist Kinder- und Jugendmedienschutz ein ganz besonders wichtiges Anliegen.
Hier besteht auch mit den Ländern völlige Übereinstimmung. Ein effektiver Schutz hat oberste Priorität. Gemeinsames Ziel ist es, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor schädlichen Einflüssen zu verbessern.
Seit dem 30. Oktober 2007 liegt der Endbericht „Analyse des Jugendmedienschutzsystems - Jugendschutzgesetz und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag“ des HansBredow-Instituts vor. Es gilt nun, diesen Bericht - er
umfasst 387 Seiten - auszuwerten. Sobald Bund und
Länder Einvernehmen über die notwendigen Änderungen im Jugendschutzgesetz des Bundes und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder erzielt haben,
sind diese mit Blick auf die Konvergenz der verzahnten
Medienregelungswerke des Bundes und der Länder zeitgleich gemeinsam zu novellieren. Dennoch meinen wir,
dass bereits feststehende Erkenntnisse nicht ignoriert
werden dürfen, sondern dass sie auf die Handlungsebene
transportiert werden müssen. Denn in einigen entscheidenden Punkten hat sich der Bedarf an einer Änderung
der Jugendschutzvorschriften bereits nach Vorlage des
vom Hans-Bredow-Institut Anfang Juni 2007 vorgelegten Berichts „Das deutsche Jugendschutzsystem im Bereich der Video- und Computerspiele“ gezeigt. Insofern
wird das Sofortprogramm des Bundesjugendministeriums und des Jugendministeriums NRW für einen verbesserten Jugendmedienschutz bestätigt. Dies gilt auch
nicht zuletzt für die Notwendigkeit, verbesserte Rahmenbedingungen für die zuständigen Kontrollbehörden
vor Ort zu schaffen.
Der Entwurf eines ersten Gesetzes zur Änderung des
Jugendschutzgesetzes ist nach der öffentlichen Diskussion zurückgestellt worden. Zunächst soll bei dem von
Frau Bundesfamilienministerin einberufenen runden
Tisch zum Jugendschutzgesetz und zur Verbesserung des
gesetzlichen Vollzugs am 28. November 2007 geklärt
werden, welche Rahmenbedingungen für einen wirksamen Vollzug für die zuständigen Kontrollbehörden zu
schaffen sind.
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Hintergrund für
meine schriftliche Frage und meine Nachfrage ist, dass
die Bundesfamilienministerin ihren Gesetzentwurf zur
Novelle des Jugendschutzgesetzes nach massiven öffentlichen Protesten zurückziehen musste, insbesondere weil
sie Kinder als Testkäufer und damit ein Stück weit auch
als Lückenbüßer für fehlende oder mangelnde staatliche
Kontrollen vor Ort einsetzen wollte. Sie haben darauf
verwiesen, dass Sie zu einem runden Tisch einladen wollen, zu dem Sie auch die Oppositionsfraktionen einladen.
Wir sind gesprächsbereit und werden daran teilnehmen.
Mich interessiert in diesem Zusammenhang die Gesprächsgrundlage für den runden Tisch. Werden wir
noch einmal über die Gesetzesnovelle reden, oder geht
es sozusagen nur um Umsetzungsdefizite vor Ort? Des
Weiteren interessiert mich der Teilnehmerinnen- und
Teilnehmerkreis. Werden zum Beispiel der Hotel- und
Gaststättenverband, der Einzelhandelsverband oder die
Kommunen mit am Tisch sitzen? Denn insbesondere die
DEHOGA und andere Verbände müssen stark in die
Pflicht genommen werden. Ist der runde Tisch als einmalige Veranstaltung geplant, oder bildet er den Auftakt
zu einer Gesprächsreihe?
Zunächst einmal: Der Gesetzentwurf ist nicht zurückgezogen worden; vielmehr hat das Kabinett seinerzeit
entschieden, die Beratung zurückzustellen. Das wird
beim runden Tisch zu erörtern sein. Ob andere Instrumente vorgeschlagen werden, die ebenso geeignet sind,
bleibt abzuwarten. Ich gebe Ihnen völlig recht: Sich über
den Jugendschutz Gedanken zu machen und Normen
einzufordern, die man dann nicht überprüft, macht wenig
Sinn. Es wird auch über die zeitliche Abfolge zu reden
sein.
Der runde Tisch ist ein informelles Treffen. Wir meinen, dass er eine gute Methode ist, um bei einem Thema,
das offenkundig die Öffentlichkeit aufwühlt, zu Ergebnissen zu kommen. Daran sollen Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, der Bundesländer, die hier federführend sind, sowie unterschiedlicher Bundesressorts
teilnehmen. Wir haben natürlich auch das Parlament eingeladen, sich daran zu beteiligen. Es werden zudem Vertreter der Wirtschaft, der Spitzenverbände, der Fachverbände sowie der Kinder- und Jugendschutzverbände
teilnehmen, die sich in der Anhörung seinerzeit geäußert
und in der öffentlichen Debatte Position bezogen haben,
genauso wie andere wichtige Akteure, die auf diesem
Feld aktiv sind.
Ich gehe davon aus, dass der runde Tisch ein-, zweimal tagt. Nach dem ersten Mal wird man weitersehen
und im parlamentarischen Raum erörtern, wie mit den
Ergebnissen des runden Tisches umzugehen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ich habe vor allen Dingen den Medien entnommen,
dass Sie Kernbestandteile Ihres Entwurfs leider zurückstellen mussten, und zwar nach einem Machtwort der
Bundeskanzlerin. Vor diesem Hintergrund interessiert
mich, ob Sie in die Gespräche des runden Tisches eigene, neue Vorschläge für einen verbesserten Kinderund Jugendschutz sowie zur Behebung der Umsetzungsdefizite einbringen werden.
Um auf Ihre Antwort auf meine erste Frage zurückzukommen: Mich interessiert, ob im weiteren Verfahren
die Ergebnisse der Evaluation des Berichtes zum
Jugendmedienschutz, der vor kurzem vorgelegt wurde
- Sie haben das erwähnt -, in der Novelle Berücksichtigung finden.
Diese Bundeskanzlerin neigt nicht zu Machtworten;
das wissen Sie auch, Herr Kollege Gehring.
({0})
Man hat vielmehr die Beratungen zurückgestellt. Wir
wollen nun in einem Zwischenschritt, mit dem runden
Tisch, zügig zu Ergebnissen kommen, sodass abschließend entschieden werden kann, wie damit umgegangen
werden soll. Die vorliegende umfängliche Studie des
Hans-Bredow-Instituts muss in aller Ruhe ausgewertet
werden. Darüber muss mit Fachleuten gesprochen werden. Es muss zudem politisch erörtert werden, welche
Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Erst dann ist ein
Gesetzgebungsverfahren möglich. Das wird ein längerer
Prozess sein. Gleichzeitig muss erörtert werden, ob man
so lange mit dem Umsetzen der Ergebnisse in dem Bereich warten will, für den bereits Vorschläge vorliegen.
Das wird auch mit den Jugendministern zu erörtern sein.
Wir kommen nun zur Frage 16 des Kollegen Gehring:
In welcher Höhe veranschlagt die Bundesregierung die zu
erwartenden Kosten für die von ihr geplante Einführung eines
Betreuungsgeldes, welche laut aktuellen Presseberichten im
Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige enthalten ist?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich antworte wie folgt: Eine Formulierung zum Betreuungsgeld im Rahmen der anstehenden Änderung des
SGB VIII wird den Festlegungen des Koalitionsausschusses folgen. Finanzielle Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte werden sich hieraus nicht ableiten
lassen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gehring? Bitte.
Mich interessiert, welches Verhalten die Bundesregierung von einer armen, bildungsfernen Familie oder einer
stark benachteiligten Familie mit Migrationshintergrund
erwartet, wenn diese vor die Wahl gestellt wird, entweder das Kind in eine Krippe oder in eine Kindertagesstätte zu geben - der Besuch solcher Einrichtungen kostet die Eltern in der Regel Geld - oder 150 Euro für die
Betreuung des Kindes zu Hause zu erhalten. Es würde
mich interessieren, wie Sie in diesem Zusammenhang
die Erfahrungen insbesondere aus Thüringen bewerten;
wir haben dazu viel in den Medien gelesen. Ich frage
auch vor dem Hintergrund, dass die Ministerin hier im
Bundestag in Plenardebatten immer wieder deutlich gemacht hat, dass sie ein Betreuungsgeld als eine - Zitat „bildungspolitische Katastrophe“ einschätzen würde.
Sie wissen, dass der Beschluss des Koalitionsausschusses vorsieht, dass über eine finanzielle Förderung
ab 2013 - da ist unter anderem das Betreuungsgeld genannt - nachgedacht werden soll. Wir werden also eine
Menge Zeit haben, in Ruhe über Vorteile, Nachteile und
mögliche Auswirkungen zu diskutieren. Diese Zeit wird
notwendig sein, um das mit Fachleuten im Einzelnen zu
erörtern. Ich glaube des Weiteren, dass man zwischen einer grundsätzlichen, politischen Diskussion und einer
gesetzestechnischen Debatte, in der erörtert wird, wie etwas ganz konkret umgesetzt werden soll, unterscheiden
muss, zumal eine erhebliche Zeitspanne vor uns liegt.
Das erklärt, warum die Akzente unterschiedlich gesetzt
werden.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht
der Fall.
Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Krista Sager werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 19 der Frau Kollegin Lenke:
Inwieweit gibt es hinsichtlich des Anteils derjenigen Kinder, die Kindertageseinrichtungen besuchen oder im Rahmen
der Tagespflege betreut werden, Unterschiede zwischen denjenigen Bundesländern, in denen Landeserziehungsgeld gewährt wird, und solchen, die diese Leistung nicht vorsehen,
und welche Schlüsse zieht die Bundesregierung hieraus?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Das Landeserziehungsgeld wird nach Kenntnis der Bundesregierung in
fünf Bundesländern gezahlt. Untersuchungen über Zusammenhänge zwischen der Zahlung von Landeserziehungsgeld und dem Besuch von Kindertageseinrichtungen sind der Bundesregierung nicht bekannt. Es gibt
Mutmaßungen über einen solchen Zusammenhang, aber
die sind für eine abschließende Bewertung sicherlich
nicht zielführend; denn zum einen zahlen die Länder das
Erziehungsgeld unter unterschiedlichen Konditionen,
sodass eine Vergleichbarkeit praktisch nicht gegeben ist,
zum anderen sagen auch Vorher-nachher-Vergleiche wenig aus, solange nicht gleichzeitig untersucht wird, welche Motive Eltern hatten, ihr Kind in eine Einrichtung zu
schicken oder das nicht zu tun.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, der
Bundesregierung lägen keine Erkenntnisse vor. Mir liegt
die Erkenntnis des Thüringer Landesamtes für Statistik
vom Oktober vor, wonach die Besuchsquote von Kindern im Alter von zwei bis unter drei Jahren um
6,1 Prozent zurückgegangen ist. Was sagen Sie zu diesem Rückgang, der in keiner anderen Altersgruppe sonst
stattfindet?
Die statistische Zahl ist der Bundesregierung durchaus bekannt. Man muss allerdings wissen - das darf man
nicht unter den Tisch fallen lassen -, dass die Besuchsquoten für die beiden früheren Altersjahrgänge leicht gestiegen sind. Insofern lässt sich kein Trend ablesen. Der
Rückgang liegt deutlich unter 10 Prozent. Deswegen
kann man keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich glaube
allerdings schon, dass man die Entwicklung weiter beobachten muss.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, dann würde ich Ihnen gerne über
die Entwicklung aus Norwegen, das 1998 die Zahlung
des Betreuungsgeldes eingeführt hat, berichten. 80 Prozent der Familien mit einem nicht westlichen Einwanderungshintergrund haben das Betreuungsgeld in Anspruch
genommen und ihre Kinder nicht in Betreuungseinrichtungen geschickt. Wir wissen alle, dass das Erlernen der
Sprache für Kinder ganz wichtig ist, gerade für Kinder
von Menschen, die nicht ihr ganzes Leben in Norwegen
gewohnt haben und die norwegische Sprache nicht perfekt beherrschen. Ich würde gern noch bemerken, -
Frau Kollegin, Sie stellen eine Frage?
Ich möchte meine Frage dadurch unterfüttern, dass
ich Ihnen sage, dass die norwegische Regierung die feste
Absicht hat, das Betreuungsgeld wieder abzuschaffen,
wenn der Bedarf an Kindergartenplätzen gedeckt ist,
weil die Erfahrungen im sozialen Bereich sehr schlecht
sind. Stimmen Sie mir da zu?
Ich muss zunächst einmal sagen: Was die Bewertung
bestimmter statistischer Zahlen angeht, ist eine Vergleichbarkeit eigentlich nicht zulässig - das können Sie
auch auf die unterschiedlichen Ergebnisse in den fünf
Bundesländern, von denen ich gesprochen habe, beziehen -; denn die Betreuungsangebote sind sehr unterschiedlich, und sie werden unterschiedlich wahrgenommen. Da gibt es also große Differenzen. Das zeigt ganz
offenkundig, dass man sich das genauer anschauen
muss. Auch die Rahmenbedingungen muss man analysieren.
Wie Sie wissen, hat Norwegen eine ganz andere Infrastruktur im Hinblick auf Kinderbetreuung und auch
ein ganz anderes Förderinstrumentarium. Daher sind die
dortigen Verhältnisse mit denen bei uns überhaupt nicht
vergleichbar. Wenn man zu vernünftigen Schlussfolgerungen kommen will, dann muss man belastbare Vergleiche anstellen. Das gilt sowohl für unsere Bundesländer
als auch für Nachbarländer.
Herr Kollege Grund, bitte.
Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, können Sie mir
bestätigen, dass statistische Zahlen über Betreuungsformen - ich denke sowohl an Formen der häuslichen Betreuung als auch an staatliche Betreuungsangebote noch lange nichts über die Qualität der Betreuung aussagen?
Können Sie mir außerdem bestätigen, dass die Zahl
der Familien mit nicht westlichem Hintergrund in Thüringen bei weit unter 2 Prozent liegt, weswegen die Zahlen aus skandinavischen Ländern mit denen aus
Deutschland und damit auch aus Thüringen nicht vergleichbar sind?
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das im Wesentlichen bestätigen. Ich habe ja darauf hingewiesen, dass
statistische Zahlen allein keine Vergleichbarkeit ermöglichen. Man muss alle Daten zugrunde legen; man muss
auch unterschiedliche Motive und unterschiedliche
Strukturen berücksichtigen und bewerten. Erst wenn
man das getan hat, kann man eine objektive Einschätzung vornehmen. Das zeigt im Übrigen noch einmal
ganz deutlich, dass wir durchaus intensiven Beratungsbedarf haben. So wie das Ganze bis jetzt angelegt ist, haben wir dafür die notwendige Zeit.
Die Frage 20 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Zur
Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 21 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter:
Welche Ergebnisse der nach Aussagen der Bayerischen
Staatsregierung ({0}) für die erste
Jahreshälfte 2007 geplanten erneuten Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchungen, NKU, des Projekts zweite
S-Bahn-Stammstrecke in München, die mit einem Bundeszuschuss von 799,98 Millionen Euro das größte Nahverkehrsprojekt in Deutschland darstellt und dessen Verkehrsbedeutung weit über München hinausreicht, liegen inzwischen vor,
und welche Auswirkungen hat dieses Ergebnis auf die Förderfähigkeit des Projekts nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Dr. Hofreiter,
ich kann Ihnen dazu Folgendes mitteilen: Dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung liegt
die Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchungen
noch nicht vor. Die Auswirkungen der Aktualisierung
der Nutzen-Kosten-Untersuchungen auf die Förderfähigkeit des Projektes können somit noch nicht bewertet
werden. Eine positive Nutzen-Kosten-Untersuchung ist
jedoch die Voraussetzung dafür, eine Förderung aus dem
Bereich der Bundesfinanzhilfen im Rahmen des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes zu erhalten.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, erst einmal vielen Dank für die Antwort. Gibt es eine Schätzung, bis wann das vorliegen
wird? Ihre Angabe muss jetzt nicht auf den Tag genau
sein, aber eine Monatsangabe wäre schön.
Ich verstehe Ihr Anliegen sehr gut; schließlich sollte
die Förderung ab 2008 erfolgen. Ich kann noch nicht beurteilen, woran es hakt, dass die Ergebnisse dieser Untersuchung noch nicht vorliegen. Wir sind bereit, nach
ihrem Vorliegen so schnell wie möglich zu arbeiten, damit das wie geplant umgesetzt werden kann.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass bereits
die alte Nutzen-Kosten-Analyse einen Faktor von nur
1,01 erbracht hat und dass mittlerweile Abschichtungen
bei der Anmeldung des Projekts erfolgt sind, die erwarten lassen, dass der Nutzen-Kosten-Faktor weiter sinken
wird?
Gibt es eine Alternativplanung? Denn nach allem,
was zu befürchten und zu erwarten ist - und von anderen
Leuten auch erhofft wird -, wird dieses Projekt nicht
mehr mit dem Faktor 1,01 zu realisieren sein.
Herr Dr. Hofreiter, es ist gerade die Aufgabe der
neuen Nutzen-Kosten-Untersuchung, zu belegen, dass
dieses Projekt mit Blick auf die Förderfähigkeit gefördert werden kann. Sonst würden wir diese Runde nicht
ein zweites Mal drehen.
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Klaus Hofbauer,
die Fragen 24 und 25 des Kollegen Jürgen Koppelin und
die Frage 26 der Kollegin Veronika Bellmann werden
schriftlich beantwortet.
Wir sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau
Staatssekretärin, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter Altmaier zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Sevim Dağdelen
auf:
Handelt es sich bei dem kursierenden Arbeitsentwurf
„Nationaler Aktionsplan der Bundesrepublik Deutschland
zur Bekämpfung von Rassismus, Rassendiskriminierung,
Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene
Intoleranz“ vom Oktober 2007 ({0}) um einen
offiziellen Entwurf der Bundesregierung, der jetzt von den
Verbänden und Nichtregierungsorganisationen diskutiert werden soll, oder welchen Status hat dieses Papier?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich beantworte diese
Frage wie folgt: Es handelt sich bei diesem Entwurf, der
den einschlägigen Nichtregierungsorganisationen vorliegt und bei ihnen zirkuliert, um einen im Ressortkreis
der Bundesregierung abgestimmten Arbeitsentwurf für
einen Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz. Ein
offizieller Entwurf der Bundesregierung liegt erst dann
vor, wenn das Kabinett darüber beschlossen hat. Ein solcher Beschluss ist für die erste Dezemberhälfte vorgesehen.
Haben Sie eine Nachfrage? - Bitte sehr.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr
Altmaier, es ist schon einmal gut, dass wir den Status
dieses Papiers geklärt haben, das wohl nach der Plenardebatte zum Antrag der Linksfraktion zu einem Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus am Abend des
20. September 2007 an die betreffenden Organisationen
herausgegangen ist - und zwar ohne ein entsprechendes
Anschreiben -, dass dies ein Entwurf ist, auf den sie reagieren sollen.
Meine Frage ist folgende: Es gab in den Stellungnahmen sowohl vom Forum Menschenrechte als auch von
der Aktion Courage zu dem Entwurf, über den wir reden,
massive Kritik. Laut dieser Kritik verdient der Entwurf
nicht den Titel „Aktionsplan“, da keines der angeführten
Kriterien für einen nationalen Aktionsplan - sprich: Problembeschreibung, Maßnahmen, Umsetzung, Evaluation erfüllt sei. Wie steht die Bundesregierung zu dieser fundamentalen Kritik der Fachleute?
Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn einige wenige
Organisationen im Rahmen einer solchen Diskussion
fundamentale Kritik üben. Die Bundesregierung macht
sich diese Kritik nicht zu eigen. Allerdings werden sämtliche inhaltlichen Vorschläge, die von diesen Nichtregierungsorganisationen gemacht werden, von der Bundesregierung sorgfältig geprüft werden. Das Ergebnis wird
Eingang in die endgültige Version des Berichtes finden,
wie er dann in der ersten Dezemberhälfte vom Kabinett
beschlossen werden wird.
Haben Sie eine zweite Nachfrage? - Bitte sehr.
Trifft zu, Herr Kollege Altmaier, was Kollegin
Fograscher in ihrer zu der Plenardebatte vom
20. September zu Protokoll gegebenen Rede geäußert
hat, nämlich dass das Forum gegen Rassismus, dessen
Geschäftsstelle beim Bundesinnenministerium angesiedelt ist, als nationaler runder Tisch im Sinne der
Grundsätze der Europäischen Stelle zur Beobachtung
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit fungiert und
mittlerweile rund 80 Organisationen, darunter 60 bundesweit bzw. überregional tätige Nichtregierungsorganisationen, umfasst? Trifft es ferner zu, dass für diesen
Bereich federführend die Abteilung V des Bundesinnenministeriums - die Abteilung Innere Sicherheit - zuständig ist, dass sie letztlich diese AG leitet, und in dieser
AG keine Abstimmungen zugelassen sind?
Es ist richtig, dass Frau Fograscher dies so dargelegt
hat, wobei ich jetzt nicht jeden einzelnen Punkt verifizieren kann, weil mir das Protokoll nicht vorliegt.
Es ist auch richtig, dass wir im Rahmen einer vielfältigen Abstimmung mit den Akteuren der Zivilgesell12700
schaft und im Rahmen ständiger Debatten über diesen
Aktionsplan auf der letzten Sitzung des Forums gegen
Rassismus am 29. und 30. Oktober 2007 eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema hatten. Dort hatten die
Nichtregierungsorganisationen - das sind einige, wie Sie
wahrscheinlich wissen - die Möglichkeit, Kommentare
abzugeben sowie Ergänzungs- und Änderungsvorschläge zu machen. Diese Möglichkeit bestand nicht nur
in der Sitzung dieses Forums, sondern sie besteht die
ganze Zeit, auch jetzt noch. Die Bundesregierung muss
letztendlich im Rahmen ihrer Verantwortung entscheiden, welche dieser Vorschläge und Änderungsanträge sie
aufgreift.
Zu einer Zusatzfrage Frau Kollegin Zimmermann,
bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe eine ganz konkrete Frage: Wann gedenkt die Bundesregierung, die Ergebnisse der UN-Weltkonferenz, die 2001 in Durban
stattgefunden hat, endlich ins Deutsche zu übersetzen
und zu publizieren? In der inoffiziellen Übersetzung
- das wird Ihnen sicherlich bekannt sein - wird teilweise
eine rassistische Sprache verwendet, werden zum Beispiel Sinti und Roma als „Zigeuner“ bezeichnet.
Das ist mir, ehrlich gesagt, nicht bekannt. Ich bitte
auch um Verständnis dafür, dass ich die Frage, ob und,
wenn ja, für wann eine solche Übersetzung geplant ist,
jetzt nicht beantworten kann. Die Antwort wird Ihnen
aber schriftlich nachgereicht.
Damit rufe ich die Frage 28 der Kollegin Sevim
Dağdelen auf:
Welchen Status hat das für den 23. November 2007 geplante abschließende Fachgespräch zum Entwurf des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus beim Deutschen Institut
für Menschenrechte, und inwieweit sind angesichts des engen
Zeitplans eine grundlegende Auseinandersetzung, Diskussion
und Einflussnahme seitens der Nichtregierungsorganisationen
mit bzw. auf den Entwurf überhaupt noch möglich, wenn der
Nationale Aktionsplan bis spätestens 31. Dezember 2007
({0})
an die Vereinten Nationen übersandt werden soll?
Sie wissen, Frau Kollegin, dass entsprechend dem
Durbaner Programme of Action die UN-Mitgliedstaaten
aufgefordert sind, einen Nationalen Aktionsplan vorzulegen. Ein solcher wird im Dezember im Kabinett beschlossen werden. Er wird mit der Zivilgesellschaft diskutiert und gemeinsam erstellt. Das Deutsche Institut für
Menschenrechte, DIMR, hat sich dankenswerterweise
bereit erklärt, diese Diskussion mit den einschlägigen zivilgesellschaftlichen Akteuren zu führen. Sie hat umfänglich stattgefunden.
Es handelt sich bei dem Gespräch am 23. November
um ein abschließendes Gespräch, wie Sie selbst treffend
bemerkt haben. Wir sind der Auffassung, dass es nach
der großen Zahl von Gesprächen, die bislang stattgefunden haben, irgendwann einmal geboten ist, die Diskussion abzuschließen; denn wir wollen, wie Sie wissen,
den Aktionsplan nach einer entsprechenden Beschlussfassung im Kabinett bis Ende des Jahres an die UN übermitteln.
Die bislang geführten Diskussionen mit den Nichtregierungsorganisationen haben im Übrigen strukturell
wie inhaltlich bereits Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsentwurfs gehabt. Ich muss allerdings zum Ausdruck
bringen, dass es die Entscheidung der Exekutive ist, welche Anregungen letztendlich übernommen werden; denn
der Nationale Aktionsplan ist ein Programm der Exekutive, und das soll er nach dem Willen der Vereinten Nationen auch sein. Dennoch sind und bleiben wir, wie in
der Vergangenheit auch, jederzeit gesprächsbereit.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine Zusatzfrage. - Es ist wirklich begrüßenswert, dass Sie so gesprächsbereit sind. Das wünschen wir uns als Oppositionsfraktion von dieser Bundesregierung auch immer.
Eine der wichtigen Besonderheiten der Weltkonferenz
und der Selbstverpflichtungen der Regierungen - Herr
Altmaier, Sie werden sich daran erinnern, auch wenn es
lange zurückliegt; das war 2001 - war, dass man mit den
beteiligten Gruppen, die zum Thema Rassismus arbeiten, ein Konsultationsverfahren verabredet und mit ihnen zusammen das Ganze entwickelt. Wie soll das geschehen, wenn die Bundesregierung über sechs Jahre
braucht, um einen Entwurf zu erarbeiten, und gleichzeitig davon ausgeht, dass der Entwurf am 20. September
vorgelegt wird - NGOs haben ganz andere Ressourcen
zur Verfügung als eine Bundesregierung - und am
23. November ein abschließendes Gespräch geführt
wird, weil am 12. Dezember die Kabinettsentscheidung
ansteht und bis spätestens 31. Dezember der Entwurf an
die UN gehen soll? Ist die Bundesregierung für den Fall,
dass es weitere Stellungnahmen geben wird, die Kritik
und auch Anregungen beinhalten werden, bereit, den
Zeitplan zu verändern, um ein besseres Ergebnis zugunsten eines Vorgehens gegen Rassismus im Land zu erzielen?
Es wird, Frau Kollegin, Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass die jetzige Bundesregierung erst seit ihrem Amtsantritt Verantwortung
trägt. Das ist ein überschaubarer Zeitraum, in dem wir
uns bemüht haben, eine möglichst breite Diskussion in
Gang zu setzen und zu führen. Erfreulich viele haben
sich an dieser Diskussion beteiligt. Sie werden aus Ihrer
eigenen Praxis wissen, dass es eine Zeit für DiskussioParl. Staatssekretär Peter Altmaier
nen und eine Zeit für Entscheidungen gibt. Wir halten es
für wichtig, dass wir, auch um die Ernsthaftigkeit unseres Engagements gegenüber den Vereinten Nationen
deutlich zu machen, an unserem Vorhaben festhalten,
diesen Aktionsplan bis Ende des Jahres zu übermitteln.
Das heißt, dass er vorher im Kabinett beschlossen werden muss. Die Diskussion, die wir über mehrere Monate
intensiv geführt haben, auf der einen Seite und die Entscheidung, die wir Anfang/Mitte Dezember treffen werden, auf der anderen Seite bedingen zwangsläufig den
hohen Zeitaufwand.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Altmaier,
Themenschwerpunkte des Nationalen Aktionsplans sollten laut UN-Weltkonferenz 2001 auch Kolonialismus,
historische Schuld und Entwicklungszusammenarbeit
sein. Bemerkenswerterweise haben die Organisationen,
die den Arbeitsentwurf vom BMI bekommen haben, bemängelt, dass diese Themen dort völlig ausgeblendet
worden sind. Können Sie uns erklären, aus welchem
Grund die Bundesregierung diese Themen in dem Entwurf nicht behandelt?
Es handelt sich hier um eine indikative, nicht um eine
abschließende und schon gar nicht um eine verbindliche
Aufzählung. Es ist, glaube ich, selbstverständlich, dass
jedes Land, das sich mit einem eigenen Aktionsplan beteiligt, die aus seiner Sicht wichtigen Akzente setzt. Das
ist uns, wie wir glauben, auch vor dem Hintergrund der
geschichtlichen Situation und der aktuellen Probleme in
der Bundesrepublik Deutschland, sehr gut gelungen. Insofern sehen wir hier kein Defizit.
Frau Kollegin Zimmermann, Sie haben eine Zusatzfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe dazu eine Nachfrage. Es existieren ja sogenannte Guidelines bzw. Eckpunkte zur Erstellung eines nationalen Aktionsplans.
Warum entspricht der Entwurf der Bundesregierung in
keiner Weise den hier vorgeschlagenen Eckpunkten?
Diese Frage kann ich nicht beantworten; denn nach
unserer festen Auffassung orientiert sich der Entwurf
sehr wohl an diesen Eckpunkten. Das wird auch im Duktus des Entwurfes ausgesprochen deutlich.
Wir kommen nun zur Frage 29 des Kollegen Omid
Nouripour:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der am
30. Oktober 2007 im Rahmen einer Studie vorgestellten Kritik
des Deutschen Instituts für Menschenrechte am Verhalten der
EU-Staaten bei der Behandlung und Rettung von Bootsflüchtlingen an den südlichen EU-Außengrenzen?
Herr Kollege Nouripour, Sie wissen selbst, dass dieses sehr umfangreiche Gutachten eine breit angelegte
flüchtlings- und menschenrechtliche Aufbereitung der
Problematik der gemischten Migrationsströme auf dem
Seeweg in die EU enthält. Dieses Thema ist von großer
Aktualität und von rechtlicher Komplexität. Deshalb ist
es auch verständlich, dass sich die Bundesregierung sehr
intensiv mit dem Gutachten und der von ihm behandelten Problematik auseinandersetzt.
Dies gilt ungeachtet der Frage, ob die im Gutachten
vertretenen Positionen im Ergebnis geteilt werden. Eine
Stellungnahme zu den rechtlichen Überlegungen ist zum
jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich, weil die Prüfung
des Gutachtens andauert und derzeit Gespräche in den
zuständigen Ministerien auch mit Vertretern des Deutschen Instituts für Menschenrechte geführt werden.
Im Hinblick auf die im Gutachten geäußerte Kritik
am Verhalten einzelner EU-Staaten - das war ja der wesentliche Aspekt Ihrer Frage - ist die Bundesregierung
zu einer Stellungnahme deshalb nicht imstande, weil ihr
dazu keine eigenen nachprüfbaren Informationen vorliegen. Wir vertrauen insoweit auf die Tätigkeit der EUKommission und der zuständigen Behörden in den betreffenden Ländern.
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär
Altmaier, in dieser Studie gibt es relativ deutliche Bezüge auf die Europäische Menschenrechtskonvention
wie auch auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Eine der
strittigsten Thesen sagte ja aus - diese These war zumindest strittig, solange es diese Studie noch nicht gab -,
dass das Refoulement-Verbot auch auf hoher See gilt.
Nun haben Sie gesagt, die Bundesregierung überprüfe
das Gutachten. Wann können wir beispielsweise zu dieser Fragestellung ein Ergebnis erwarten? Wann werden
Sie beurteilen, ob die Studie rechtlich richtig ist?
Soweit es sich um die rechtlichen Probleme handelt,
können Sie davon ausgehen, dass wir dies in der gebotenen Gründlichkeit, aber auch in der gebotenen Schnelligkeit tun. Ich kann mich nicht auf eine oder zwei Wochen festlegen; aber ich gehe davon aus, dass wir bis
Ende dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres zu einem
Ergebnis kommen werden.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herzlichen Dank. - Meine zweite Frage bezieht sich
auf die Schnelligkeit, die Sie angesprochen haben. Dabei
geht es dann vielleicht doch um einen Zeitraum von zwei
bis drei Monaten. Sie haben auf eine von mir gestellte
mündliche Frage am 13. Juni ausgeführt, dass die Verpflichtungen des Völkerrechts, insbesondere des internationalen Seerechts und des Flüchtlingsrechts, unbedingt
einzuhalten seien. Was ist vor dem Hintergrund der Katastrophe im Atlantik mit mehr als 45 Toten in einem
Boot, von der wir heute gehört haben, seit dem 13. Juni
bis heute seitens der Bundesregierung konkret unternommen worden?
Zum einen ist die Antwort auf Ihre damalige Frage uneingeschränkt richtig: Diese Verpflichtungen sind einzuhalten, von den zuständigen Stellen in allererster Linie
des jeweiligen Mitgliedstaates. Sie sind auch dann einzuhalten, wenn beispielsweise Angehörige der Bundespolizei oder der deutschen Polizei etwa an Einsätzen im Rahmen der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX
teilnehmen. Sie wissen, dass es solche Einsätze gegeben
hat. Mir ist kein Fall bekannt, bei dem einem deutschen
Teilnehmer an solchen Einsätzen von wem auch immer in
irgendeiner Weise der Vorwurf gemacht worden wäre,
dass er solche Verpflichtungen nicht eingehalten hätte.
Insofern hat die Bundesregierung an dieser Stelle keinen
Grund zu irgendeiner Form von Selbstkritik.
Das, was Sie im Hinblick auf die tragischen Vorkommnisse der letzten Tage ansprechen, bestätigt das,
was ich vorhin gesagt habe: Sie werden verstehen, dass
die Bundesregierung nicht imstande ist und es für falsch
hält, sich vor dem Hintergrund von Presseveröffentlichungen über die Frage zu äußern, ob und in welcher
Form andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihrerseits ihren Verpflichtungen gerecht geworden sind. Sie
selbst haben darauf hingewiesen, dass alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union Unterzeichnerstaaten der
Europäischen Menschenrechtskonvention sind. Darin
sind entsprechende Rechtsschutzmechanismen vorgesehen. Es gibt die Verantwortlichkeit der Europäischen
Kommission in Brüssel als Hüterin der europäischen
Verträge. Wir gehen davon aus, dass alle Beteiligten dieser Verantwortung gerecht werden.
Wir kommen zur Frage 30 des Kollegen Nouripour:
Welchen Stellenwert hat aus Sicht der Bundesregierung
die Ausbildung des an den EU-Außengrenzen zur Grenzsicherung eingesetzten Polizeipersonals der EU-Mitgliedstaaten in
Fragen des Schutzes von Menschen- und Flüchtlingsrechten?
Die Frage 30 schließt sich in gewisser Weise an die
vorherige Frage an. Hierzu kann ich Ihnen sagen, dass
man zunächst einmal klarstellen muss, dass der Schutz
und die Sicherung der Außengrenzen natürlich in der
originären Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten
liegen und von diesen unter Einhaltung der entsprechenden Verpflichtungen wahrgenommen werden müssen.
Was Deutschland angeht, so sind die Sicherung und
der Schutz von Flüchtlings- und Menschenrechten integrale Bestandteile der Ausbildung der Bundespolizei.
Dies gilt im Besonderen auch für diejenigen Angehörigen der Bundespolizei, die im Rahmen von Operationen
der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes eingesetzt werden,
etwa auf See, wie dies bei der Operation Nautilus der
Fall war.
Die europäische Agentur selbst unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von nationalen Grenzschutzbeamten und legt unter anderem gemeinsame
Ausbildungsnormen fest. Bei diesen gemeinsamen Ausbildungsnormen spielt der Schutz der Menschenrechte in
den Lehrplänen von FRONTEX eine tragende Rolle.
Dies gilt sowohl für den Bereich der Fortbildung, speziell für die schnellen Eingreifteams, die sogenannten
RABITs, die wir unter deutschem Vorsitz in einem Beschluss der Europäischen Union eingerichtet haben und
die für schnelle Einsätze zur Verfügung stehen, als auch
für das neue FRONTEX -Arbeitsprogramm für das Jahr
2008.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär Altmaier, von Ihnen ist ausgeführt
worden, dass es bisher keinerlei Vorwürfe gegen deutsche Beamte im Rahmen der FRONTEX-Einsätze gebe.
Etwas anderes wollte ich nicht behaupten.
Nichtsdestotrotz: Wenn man sich beispielsweise im
Internet auf den Foren umschaut, auf denen sich diese
Personen austauschen, muss man feststellen, dass es
große Unklarheiten die Aufgabenstellung betreffend
gibt, dass es auch große Unklarheiten mit Blick auf das
Europäische Parlament gibt, Stichwort demokratische
Kontrolle und Transparenz dessen, was FRONTEX
macht.
Teilen Sie die Auffassung, dass auf der einen Seite die
demokratische Kontrolle von FRONTEX und auf der anderen Seite die Klarheit der Aufgabenstellung für diejenigen, die diese Aufgaben übernehmen sollen, deutlich
verbesserungswürdig sind?
Wir müssen diese beiden Bereiche trennen. Die Aufgabenstellung von FRONTEX bei den jeweiligen Operationen wird im Mandat von FRONTEX festgelegt. In der
Vergangenheit hat es Kritik daran gegeben, dass die Rettung von Flüchtlingen in diesem Mandat nicht explizit
als Ziel der Operation festgelegt ist. Das schließt aber
nicht aus - ganz im Gegenteil -, dass Menschen, die sich
in Not oder sogar Lebensgefahr befinden, von
FRONTEX-Mitarbeitern gerettet werden. Dies ist ausdrücklich klargestellt worden. Ich habe das auch in der
letzten Sitzung des Innenausschusses noch einmal ausdrücklich ausgeführt.
Das gilt im Übrigen für alle: In einer Situation, wo
Gefahr für Leib und Leben von Personen besteht, müssen alle die gebotene Hilfe leisten. Dies wird selbstverständlich auch von FRONTEX getan, ohne dass das im
Mandat explizit formuliert werden muss.
Die zweite Frage richtet sich auf die parlamentarische
Kontrolle von FRONTEX durch die zuständigen Gremien der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union.
Wie Sie wissen, informiert die Bundesregierung, so oft
dies gewünscht wird und so oft Anlass dazu besteht, das
Parlament hier in Deutschland über die Tätigkeit von
FRONTEX und über den Ablauf von Missionen. Ich
habe auch im Europa-Ausschuss, dem Sie angehören,
mehrfach zu dieser Problematik vorgetragen. Im Übrigen wird im Europäischen Parlament ebenfalls über
diese Fragestellungen debattiert und diskutiert.
Ich gehe davon aus, dass nicht zuletzt das Inkrafttreten des Änderungsvertrages, der maßgeblich unter deutscher Präsidentschaft auf den Weg und voran gebracht
worden ist, dazu beitragen wird, dass die parlamentarische Legitimation und Kontrolle erheblich verstärkt werden können.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja, ich habe noch eine Frage zu dem, was Sie über die
Flüchtlingsschutzmechanismen in den einzelnen Mitgliedstaaten gesagt haben. Herr Staatssekretär Altmaier,
Sie erwähnten, das sei eine nationale Angelegenheit. Das
stimmt.
Gleichzeitig haben wir die Situation, dass Menschenrechtsverletzungen von Beitrittskandidaten richtigerweise sehr stark und sehr häufig von der Bundesregierung
und Deutschland auch in der Öffentlichkeit angesprochen
werden.
Wir haben derzeit massive Vorwürfe von Pro Asyl auf
dem Tisch liegen betreffend Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen sowohl auf See als auch in
Aufnahmelagern in Griechenland. Gibt es dazu Aktivitäten der Bundesregierung in Richtung der griechischen
Administration, oder sind Menschenrechtsverletzungen
nicht mehr ansprechbar, wenn ein Land in die EU hineingekommen ist?
Herr Kollege, Sie vermischen zwei Dinge: Das eine
sind die Vorwürfe, die auf dem Tisch liegen. Diese müssen selbstverständlich geprüft werden. Ich gehe davon
aus, dass die dazu berufenen nationalen und europäischen Institutionen diese Vorwürfe sehr ernsthaft prüfen
werden. Das gilt sowohl für das Land, dem eine solche
Verletzung vorgeworfen wird, als auch für die Einrichtungen der Europäischen Union, insbesondere die Europäische Kommission. Die Bundesregierung tut alles, was
sie auf Arbeitsebene tun kann, um in den zuständigen
Gremien etwa der Europäischen Union an dieser Arbeit
mitzuwirken. Das Zweite ist die Frage, ob ein solcher
Verstoß tatsächlich vorliegt. Das kann man - das ist
nachvollziehbar - erst nach einer solchen Prüfung entscheiden. Wenn ein solcher Verstoß vorliegt, stellt sich
selbstverständlich die Frage, was man tun kann, um ihn
abzustellen.
Sie werden verstehen, dass - das möchte noch einmal
ganz deutlich sagen - sich die Bundesregierung an einer
Vorverurteilung von Mitgliedstaaten der Europäischen
Union, die allesamt Rechtsstaaten sind und die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben,
nicht beteiligen möchte.
Wir kommen zur Frage 31 des Kollegen HansChristian Ströbele:
Wie entsprachen die Bundesregierung bzw. nachgeordnete
Behörden einer Anfrage von US-amerikanischen Behörden
aus dem ersten Halbjahr 2002, anhand einer mitgesandten Datensammlung mit circa 200 Namen und Fingerabdrücken von
Guantánamo-Häftlingen zu überprüfen, ob Erkenntnisse zu
diesen Personen bei deutschen Behörden vorliegen, und zu
wie vielen Personen dieser Liste sind Erkenntnisse an USamerikanische Behörden übermittelt worden?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Ströbele, ich
kann Ihre Frage wie folgt beantworten: Der Legal Attaché des FBI an der US-Botschaft in Berlin hat dem Bundeskriminalamt mit Schreiben vom 22. März 2002 eine
CD mit 197 Fingerabdrucksätzen von auf Guantánamo
Bay festgehaltenen Personen mit der Bitte übersandt,
diese mit den beim BKA gespeicherten Fingerabdrücken
zu vergleichen. Das BKA hat dem FBI mit Schreiben
vom 5. April 2002 mitgeteilt, dass im BKA identische
Fingerabdrücke zu drei der übermittelten Fingerabdrucksätze vorliegen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ist von deutscher Seite lediglich
diese Information an die US-Behörden weitergegeben
worden, oder sind darüber hinaus Informationen über
weitere vorliegende Erkenntnisse über die drei Identifizierten mitgeteilt worden, und wenn ja, welche Erkenntnisse?
Herr Kollege Ströbele, es liegt in der Natur der Sache,
dass im Rahmen der internationalen Polizeizusammenarbeit nach Erkenntnissen gefragt worden ist, die zu diesen
Personen vorliegen. Bei uns ist geprüft worden, welche
Erkenntnisse vorliegen und aufgrund welcher Erkenntnisse in Deutschland eine erkennungsdienstliche Behandlung stattgefunden hat. Sie können davon ausgehen,
dass über solche Erkenntnisse mit den amerikanischen
Kollegen gesprochen worden ist. Ich bitte um Verständnis, dass ich Einzelheiten dazu an dieser Stelle nicht mitteilen kann.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, ist die Übermittlung von weiteren
Erkenntnissen an die US-Behörden an Bedingungen geknüpft worden, etwa, dass, wenn den betroffenen Personen in Guantánamo diese Erkenntnisse vorgehalten werden, keine Folter angewandt werden darf und keine
folterähnlichen Bedingungen herrschen dürfen?
Herr Kollege Ströbele, soweit mir bekannt ist - Sie
wissen, dass sich dieser Vorgang nicht unter der Verantwortung dieser Bundesregierung abgespielt hat -, gab es
keinerlei Anzeichen dafür, dass die Erkenntnisse, die
übermittelt worden sind, in irgendeinem Zusammenhang
mit der Ausübung oder Anwendung von Folter stehen
würden.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs
und der Fragestunde. Herr Staatssekretär Altmeier, ich
danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu den durch
die Bundeskartellbehörde festgestellten Preisund Marktabsprachen der vier großen deutschen Stromkonzerne
Als erstem Redner erteile ich nun das Wort dem Kollegen Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr verehrte Damen und Herren! Der Spiegel erklärte
am Montag RWE, Eon, Vattenfall und EnBW zum Kartell der Abkassierer. Er bezieht sich auf ein 30-seitiges
Papier der Bundeskartellbehörde. Danach haben diese
Konzerne den Strommarkt jahrelang schamlos missbraucht. Führende Manager sollen sich in geheimen Zirkeln abgesprochen haben, sensible Marktdaten und Strategien wurden ausgetauscht, Absprachen zum Vorgehen
auf den Strom- und Gasmärkten wurden getroffen. Der
Marktpreis für Strom soll maßgeblich beeinflusst worden sein. Wie ernst diese Vorwürfe sind, hat das Bundeskartellamt am Montag in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses bestätigt.
Einmal zur Klarstellung: Seit dem Jahr 2000 ist der
Strom um 50 Prozent teurer geworden. Das bedeutet für
eine Familie jährliche Mehrkosten in Höhe von 300 bis
500 Euro. Die vier Konzerne dagegen haben seit 2000
einen Profit von 90 Milliarden Euro gemacht; allein im
letzten Jahr waren es 17,2 Milliarden Euro. Renditen
von 20 bis 30 Prozent bei Produkten der Daseinsvorsorge sind mit nichts zu rechtfertigen. Das ist Diebstahl
per Steckdose.
({0})
Ich frage die Bundesregierung: Wann gedenken Sie
diesem Treiben ein Ende zu machen? Wann werden Sie
wirksam in das Energiekartell eingreifen? Wie lange soll
diese Abzocke noch dauern? Heute ist es der Strom,
morgen das Wasser, und übermorgen nehmen sie uns die
Luft.
Die Bundeskanzlerin wünscht sich eine transparente
Preispolitik. Schön, aber davon sinken die Strompreise
nicht. Ich sage: Handeln Sie endlich! Sie wissen seit einem Jahr von den Missbrauchsvorwürfen und handeln
nicht. Fakt ist: Bisher haben Sie das Energiekartell nur
unterstützt. Ich hätte gedacht, dass jemand von der Regierungsbank heute hierzu Stellung nehmen würde.
Sie haben die Strompreiskontrolle abgeschafft. Sie
fördern eine Kraftwerksplanung, die die Macht des
Stromkartells für die nächsten 40 Jahre zementiert. Die
EU-Kommission hat erkannt, dass man die Kartellstrukturen zerschlagen soll. Was machen Sie? Sie sind auch in
diesem Fall schlauer als der Papst und blockieren mit
dem Kanzlerinnenveto die Kommission in ihrer Absicht.
CDU, CSU und SPD zeichnen sich vor allem durch eines aus: In dem Maße, in dem ihre soziale Verantwortung sinkt, steigen die Strompreise.
Vielleicht liegt das auch daran, dass man bei den
Christ- oder Sozialdemokraten Karriere machen kann,
wenn man vorher fleißig für Energiekonzerne tätig war.
Oder war es umgekehrt? Erst wenn man bei der SPD
war, kommt man bei RWE, der Ruhrkohle AG und Eon
unter. Wirtschaftsminister Glos war jahrelang bei Eon
Bayern im Beirat. Herr Clement ist im RWE-Aufsichtsrat, und sein Vorgänger, Herr Müller, hat gerade als Vorsitzender der Ruhrkohle AG mit dem Steinkohleausstieg
ein Milliardengeschäft eingeläutet, und das Ganze auf
Kosten der Steuerzahler.
({1})
Tatsache ist, dass die Strompreise trotz anderer Verlautbarungen und Versprechungen der Regierung immer
schneller steigen. Manche Bürgerinnen und Bürger
könnten auf die Idee kommen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Vielleicht sollte zukünftig auf der Stromrechnung die Nähe einzelner Bundestagskollegen zum
Energiekartell ausgewiesen werden oder die Konzernnähe auf dem Stimmzettel zur Wahl.
({2})
Eines ist aber klar: So geht es nicht weiter.
({3})
Bitte halten Sie uns jetzt nicht noch einen Vortrag über
die Kartellrechtsnovelle. Denn sie wird - wie andere
Dinge auch - keine Auswirkungen haben und nicht zu
Strompreissenkungen führen.
({4})
Ich sage Ihnen: Die Linke fordert ganz konkrete
Schritte: Erstens: Zerschlagung des Energiekartells. Die
Konzerne müssen entmachtet werden.
({5})
- Genau so, Herr Obermeier. - Die Energieversorgung
gehört in die Hand der Kommunen.
({6})
Zweitens: wirksame Preisaufsicht über Strom- und
Gastarife und ein Klagerecht von Verbraucherschützern.
({7})
Drittens: verpflichtende Sozialtarife für private Haushalte mit geringem Einkommen und Anhebung der
Hartz-IV-Sätze.
({8})
Viertens: Offenlegung der Stromhandelspreise, um
Missbrauch durch Energieversorger zu unterbinden.
Fünftens - ich sage Ihnen das immer wieder -: die Überführung der Stromnetze und Gasnetze in die öffentliche
Hand. Ich verspreche Ihnen, wir werden Sie so lange vor
uns hertreiben, bis Sie diese Forderungen erfüllt haben.
Vielen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Fuchs
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen! Wenn ich der Linken so
zuhöre, dann kriege ich noch mehr graue Haare, als ich
schon habe; denn Sie gehen einfach hin und behaupten,
dass das, was im Spiegel steht, so stimmt, dass das Tatsachen sind. Ich zitiere:
Der Vorsitzende der Monopolkommission - sagt
Ihnen etwas, Herr Jürgen Basedow - hat heute
Morgen bekräftigt, dass ihm keine Tatsachen bekannt sind, die den Vorwurf der Preisabsprache beweisen.
- Ich halte mich da lieber an Fakten als an irgendwelche
Artikel im Spiegel; tut mir leid.
({0})
Gegenwärtig befinden Sie sich ausschließlich im
Reich der Vermutungen,
({1})
und das ist ein bedeutender Unterschied. Auch für die
deutsche Wirtschaft gilt: In dubio pro reo. Anders sollten
wir es nicht handhaben. Aber natürlich fällt Ihnen das
schwer. Statt mit ernsthaften Argumenten in die Sachdiskussion einzusteigen, zetteln Sie lieber Ihre üblichen
Schlammschlachten an, bei denen Sie Gelegenheit haben, Ihre Verschwörungstheorien zu verbreiten.
({2})
Als Populismusweltmeister, der Sie sind, fällt Ihnen
substanziell grundsätzlich sowieso nichts ein.
({3})
Sie wittern Verrat, unheimliche Mächte und unterstellen
den Menschen grundsätzlich etwas Falsches, schon gar
nicht, dass sie sich selbst helfen können; das fällt Ihnen
nicht ein. Sie möchten wieder zurück zur VEB Strom
und Gas. Das wollen wir nicht.
({4})
Wir wollen keine Verstaatlichung, Herr Hill, wie Sie es
gerade gesagt haben.
({5})
Wir wollen keine sozialistische Gleichmacherei. Wir
wollen auch keinen staatlichen Dirigismus, mit dem Sie
- das haben Sie bewiesen - ein Land zugrunde gerichtet
haben,
({6})
wofür die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland heute
noch bluten müssen. Für Ihre sozialistische Gleichmacherei müssen wir heute noch bluten.
({7})
Ich habe auch keine Lust, mir Ihre Gruselkabinettvorschläge aus der prästalinistischen Zeit hier weiter anzuhören.
({8})
Meine Damen und Herren, die Monopolkommission
hat gestern ihr Sondergutachten zum Energiesektor vorgelegt. Die Kommission bemängelt, dass auf den Märkten der leitungsgebundenen Energieversorgung kein
funktionierender Wettbewerb entsteht bzw. vorhanden
ist. Da hat sie recht. Wir sind aufgefordert, dafür zu sorgen, dass da so viel Wettbewerb wie möglich hineinkommt. Damit haben wir mit der GWB-Novelle begonnen. Das ist genau der richtige Weg. Wir müssen seriös
an die Sache herangehen und dafür sorgen, dass auf diesem Sektor endlich so viel Wettbewerb wie möglich ent12706
steht. Die Große Koalition ist sich hier ihrer Verantwortung voll und ganz bewusst.
({9})
Wir brauchen eine konsequente europaweite Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte. Das ist eine der Voraussetzungen dafür, dass wir die Monopole in diesem
Bereich, die es überall gibt, knacken. Daran müssen wir
arbeiten, und das tun wir gemeinsam.
Wir müssen uns auch noch einmal mit der Leipziger
Börse beschäftigen; denn die Leipziger Börse wird zum
Teil von vier Oligopolisten gefüttert. Da muss man überlegen, ob der Angebotsbereich richtig funktioniert, ob da
genügend Angebot ist. Das ist zu untersuchen; wir werden das tun.
Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir
marktwirtschaftliche Preise in diesem Sektor haben, wobei wir fairerweise immer akzeptieren müssen, dass ein
Großteil der Preiserhöhungen, die Sie eben erwähnt haben, Herr Kollege Hill,
({10})
vom Jahre 2000 bis heute staatlich induziert ist. Die
Stichworte lauten: EEG, KWK etc.
({11})
Wir sollten fairerweise zugeben: 40 Prozent des
Strompreises sind staatliche Steuern und Abgaben. Das
sollten auch Sie zugeben. Sie wollen das ja auch. Sie
wollen den staatlichen Anteil sogar weiter erhöhen.
Denn in dem Moment, in dem man die Kernkraftwerke
abschaltet - auch das fordern Sie permanent -,
({12})
werden die Strompreise steigen.
({13})
Haben Sie Ihren Wählern eigentlich schon einmal gesagt, dass Sie die Strompreise erhöhen wollen? Wenn
man die Kernkraftwerke abschalten würde, würde nämlich genau das passieren.
({14})
Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass wir marktwirtschaftliche Strompreise bekommen.
({15})
Wir müssen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihren Strom bezahlen können und dass die Mietnebenkosten die Miete nicht übertrumpfen; diese Gefahr
besteht nämlich sehr wohl.
({16})
Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass die Unternehmen Strompreise haben, die sie wettbewerbsfähig machen.
Die Bundeskanzlerin hat gestern auf dem Steinkohletag in Essen völlig zu Recht gesagt, dass wir einen breit
gefächerten Energiemix brauchen. Zu diesem Energiemix gehören erneuerbare Energien, dazu gehören vernünftig funktionierende Gaskraftwerke, und dazu gehören moderne Kohlekraftwerke. Wir dürfen auch die
Braunkohle, die einzige natürliche Ressource, die wir in
Deutschland haben, nicht außer Acht lassen. Wichtig ist
außerdem, dass wir die Kernkraftwerke nicht abschalten,
({17})
sondern die günstigste, sauberste und in Deutschland nebenbei auch sicherste Technologie erhalten.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat nun die Kollegin Gudrun Kopp für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Schon der Titel der heutigen Aktuellen Stunde ist nicht
korrekt.
({0})
Die Linke spricht von „festgestellten Preis- und Marktabsprachen“. Ich kann nur davor warnen, irgendwelche
Dinge als „festgestellt“ zu deklarieren. Es sind - das ist
übrigens schlimm genug - vermutete Preisabsprachen,
also Hinweise, die dringend geprüft werden müssen. Es
muss festgestellt werden, ob es an dem ist oder nicht.
Seien Sie mit Ihrem Populismus also bitte ein bisschen
vorsichtiger.
Wir haben zweifellos ein riesengroßes Wettbewerbsproblem. Das wurde auch in den Gutachten festgestellt,
die uns jetzt vorliegen; Herr Kollege Fuchs hat das Sondergutachten der Monopolkommission gerade erwähnt.
In der Tat haben wir noch immer zu wenig Wettbewerb,
obwohl wir in bestimmten Bereichen schon vorangekommen sind.
Die Netze stellen nicht das Problem dar, auch das hat
die Monopolkommission dargestellt. Sie hat gesagt, dass
durch die Regulierung der Anteil der Netzgebühren von
vormals 38 auf aktuell 31 Prozent gesunken ist. Immerhin, auch das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Im
Gutachten der Monopolkommission heißt es außerdem,
dass eine eigentumsrechtliche Entflechtung zum jetzigen
Zeitpunkt verfrüht wäre und nicht den gewünschten
Push zur Schaffung von mehr Wettbewerb zur Folge
hätte. Ich finde, auch das sollten wir beachten.
Selbstverständlich stellt sich die Frage, was zu tun ist.
Das Hauptproblem besteht darin, die Erzeugung mögGudrun Kopp
lichst so zu strukturieren, dass viele neue Anbieter auf
den Markt kommen. Darauf müssen wir setzen. Hier
sind wir in wettbewerblicher Hinsicht gefordert, nicht
staatlich-zentralistisch, Herr Kollege Hill. Das ist der
völlig falsche Weg.
Wenn man über Preisabsprachen spricht, muss man
berücksichtigen: Zwei Drittel der Erzeugungskapazitäten liegen bei den Konzernen RWE und Eon. Diese beiden Konzerne haben natürlich Möglichkeiten, Einfluss
zu nehmen.
({1})
Von daher ist es sehr wichtig, auf mehr Wettbewerb zu
setzen und dafür zu sorgen, dass mehr Erzeuger auf dem
Markt sind. Ich kann nur immer wieder sagen: Die Kapazität der Grenzkuppelstellen muss dringend erweitert
werden; darauf müssen wir ein Auge haben. Wir brauchen neue Anbieter, wenn wir mehr Wettbewerb schaffen und die wechselwilligen Strom- und Gaskunden weiterhin zum Wechsel ihres Anbieters motivieren wollen.
Das ist aber längst nicht alles. Der Kollege Fuchs
sprach die Börse an. Hier brauchen wir Regeln für mehr
Transparenz. Wir müssen mehr über die Stillstandszeiten
der Kraftwerke erfahren. Diese Daten müssen zeitnah
zur Verfügung stehen, damit es weniger Möglichkeiten
gibt, direkt Einfluss zu nehmen.
Auch das ist absolut erforderlich. Aber, Herr Kollege
Fuchs, am Montag haben wir bei der Anhörung zur
GWB-Novelle gehört, dass das, was Sie vorhaben, allenfalls Placebos sein werden und nicht den gewünschten
Erfolg haben wird.
({2})
Es gibt natürlich einige Elemente der Novelle, die man
durchaus erwägen kann, etwa die Beweislastumkehr.
Aber das, was Sie sich von der Novelle erhoffen: sektorspezifisch, also für eine Branche, eine Wettbewerbsnorm
einzuführen, und dies auch noch zeitlich befristet, bis
2012, das ist Theorie und hat mit der Praxis nichts zu
tun; das hat die Anhörung am vergangenen Montag noch
einmal erbracht.
Wichtig ist uns als FDP-Bundestagsfraktion die Stärkung des Bundeskartellamtes. Wir haben immer gesagt:
Markt braucht Regeln, und es muss auch überprüft werden, dass die Regeln eingehalten werden.
({3})
Wir haben im Wirtschaftsausschuss gerade verschiedene
Anträge beraten. Wir haben - andere Fraktionen auch noch einmal den Antrag eingebracht, die Zahl der Stellen beim Bundeskartellamt erheblich zu erhöhen, und
zwar um circa 20. Dieser Stellenaufwuchs finanziert sich
durch die hohen Bußgeldeinnahmen, die das Bundeskartellamt hat, von selbst; das ist eigentlich ein Win-winSpiel. Leider haben die Regierungsfraktionen dieses Ansinnen abgelehnt. Wenn wir den Wettbewerb stärken
wollen und wenn wir die Regeln dafür entsprechend setzen wollen, dann brauchen wir diese Kontrolle, und die
Wettbewerbshüter Nummer eins, das Bundeskartellamt,
müssen uns diesen Stellenaufwuchs wert sein.
Insofern kann ich nur sagen: Wir sind insgesamt auf
einem recht guten Weg. Wir sind aber längst nicht weit
genug. Wir haben noch vieles an kleineren und größeren
Maßnahmen auf den Weg zu bringen, und wir müssen
dies mit Konsequenz tun und nicht mit Populismus. Die
Bürger merken das nämlich, und dann müssen Sie den
Bürgern erklären, warum ihre Strom- und ihre Gasrechnung ständig steigen. Daran müssen wir arbeiten: den
Wettbewerb stärken und auf gar keinen Fall in Richtung
Staat arbeiten. Es hat sich häufig genug gezeigt, dass immer mehr Staat immer mehr Probleme bringt.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist nun der Kollege Rolf
Hempelmann für die SPD-Fraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wir haben eine Aktuelle Stunde, deren Thema - das haben wir eben gehört - von dem Einbringer nicht ganz
korrekt wiedergegeben worden ist. In dem Zeitungsbericht, um den es geht, wurde nicht festgestellt, dass es
Preisabsprachen gegeben habe, sondern es wurden Verdachtsmomente geschildert, für die es gleichwohl - das
sage ich auch - starke Indizien gibt.
({0})
Es stimmt: Die SPD-Fraktion hat die Anhörung am
Montag genutzt, um den Präsidenten des Bundeskartellamts zu fragen: Gab es geheime Absprachen zwischen
Energieunternehmen? Sind sensible Geschäftsgeheimnisse ausgetauscht worden? Gab es Preisabsprachen?
Herr Heitzer hat in dieser Sitzung von starken Indizien
gesprochen. Er hat aber ausdrücklich festgestellt, dass es
bisher keine Beweise im juristischen Sinne gebe. Insofern sollten wir sagen: Grundlage unserer Debatte
({1})
über den Wettbewerb auf dem deutschen Strom- und
Gasmarkt sollte vor allen Dingen das sein, was in Gutachten festgestellt worden ist, mit denen wir uns ja vor
und in der Anhörung am Montag befasst haben.
Wir hätten uns gewünscht, dass das Gutachten der
Monopolkommission nicht gestern, sondern einen Tag
früher vorgestellt worden wäre. In ihm kommt eines sehr
deutlich heraus: Ja, in der Tat, wir haben noch keinen zufriedenstellenden Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt.
Das ist der erste Teil der Nachricht. Der zweite Teil:
Aber die Situation hat sich in den letzten Jahren durch
das Tätigwerden von Politik deutlich verbessert. Mit
„Tätigwerden von Politik“ meine ich zum Teil die rot12708
grüne Bundesregierung, zum Teil aber auch die jetzige
Große Koalition.
Die Monopolkommission verweist ausdrücklich darauf, dass es gut und richtig war, etwa die operationelle
und rechtliche Entflechtung vorzunehmen, und dass das
dazu geführt hat, dass es hinsichtlich eines diskriminierungsfreien Netzzuganges Fortschritte gegeben hat und
dass die Zahl der Wechsel von Lieferanten gesteigert
wurde. Man sollte das zur Kenntnis nehmen und sich
darüber freuen.
Die Monopolkommission sagt auch, dass die von uns
gegründete Bundesnetzagentur eine gute Arbeit macht,
und zwar insofern - das ist eben schon angeklungen -,
als das Netz eben keine Wettbewerbsbarriere mehr ist
und wir hier auf einem sehr guten Weg sind. Sie macht
aber auch darauf aufmerksam - das ist auch in den Stellungnahmen am Montag deutlich geworden -, dass wir
hier noch sehr viel mehr tun müssen. Die Monopolkommission nennt Stichworte. Ich sage dazu, dass manches
von dem, was sie vorschlägt, von der Politik schon auf
den Weg gebracht wird.
Die Verbesserung des Zugangs zum Gasnetz hinkt der
Verbesserung des Zugangs zum Stromnetz in der Tat
hinterher. Gerade in jüngster Zeit ist die Bundesnetzagentur hier aber vorangegangen. Wir dürfen damit rechnen, dass sich die Situation gerade hier zeitnah verbessert. Oder die Beseitigung von Netzengpässen: Wir
haben ein Infrastrukturbeschleunigungsgesetz verabschiedet, bei dem wir feststellen, dass wir das eine oder
andere noch weiterentwickeln müssen, um zu tatsächlichen Beschleunigungen im Genehmigungs- und Planungsverfahren zu kommen. Da sind wir dran.
Eine ganze Reihe anderer Dinge ist vorgeschlagen
worden. Das gilt übrigens nicht für die eigentumsrechtliche Entflechtung, den Vorschlag der Linken. Das ist
nicht die Politik und der Vorschlag der Monopolkommission.
({2})
Wenn man das Ganze ein wenig nüchterner betrachtet, dann muss man feststellen: Ja, das Problem ist schon
seit Jahren erkannt. Ja, es wird gehandelt. - Viele der
Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, wirken aber
mittel- oder auch längerfristig; das ist nun einmal so.
Wenn man Rahmenbedingungen beispielsweise für mehr
Liquidität und mehr Kraftwerke setzt, dann wirkt sich
das erst dann auf den Wettbewerb aus, wenn diese auch
geplant und gebaut wurden. Die Kraftwerksanschlussverordnung, die wir verabschiedet haben und die übrigens auch gelobt wird, dient genau diesem Zweck.
Meine Damen und Herren, es bleibt die GWB-Novelle. Am Montag ist deutlich geworden, dass dies die
einzige Maßnahme ist, von der man sich eine kurzfristige Wirkung versprechen darf.
({3})
Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen und auch
kritische Stimmen; das ist klar. Niemand hat uns aber ein
anderes Instrument genannt, das ähnlich kurzfristig Wirkungen entfalten kann. Deswegen wird die Koalition
diese GWB-Novelle mit dem einen oder anderen Bedenken im Detail zeitnah verabschieden. Ich denke, dass wir
uns noch in dieser Woche inhaltlich verständigen können.
Von daher: Ja, wir sind auf dem Weg. Ja, die Vorwürfe, die im Spiegel verbreitet worden sind, sind ernst
zu nehmen. Zunächst einmal sind es aber Vorwürfe.
Sollten sie sich bestätigen, dann wird das sicherlich nicht
nur Schadensersatzforderungen gegenüber den Unternehmen zur Konsequenz haben. Lassen Sie uns ansonsten bei unserer Arbeit bleiben. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg.
({4})
Nun hat die Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Fuchs und Herr Hempelmann: Sie fragen
ernsthaft, ob es richtig ist, von Preisabsprachen und kartellmäßigem Vorgehen zu sprechen?
Der Spiegel-Artikel fußt auf einem 30-seitigen Bericht des Kartellamtes. Wenn Sie gestern die Sendung
Frontal 21 im Fernsehen gesehen haben, dann wissen
Sie, dass dort aus diesem Bericht zitiert wurde. Die Liste
der Vorwürfe, die hier vorgebracht wird, liest sich wie
eine Liste aus dem Lehrbuch für Marktmissbrauch. Es
wird von Preismanipulationen und -absprachen in Geheimzirkeln, vom Austausch sensibler Geschäftsgeheimnisse, von detaillierten Absprachen über das Vorgehen,
von kartellrechtlich unzulässigen Kooperationen, von
keiner gegenseitigen Konkurrenz, sondern einem Unterlaufen des Wettbewerbs durch Absprachen und von
Preismanipulationen an der Strombörse gesprochen.
Tun Sie mir jetzt einen Gefallen: Halten Sie sich nicht
damit auf, dass die Linke vielleicht einen juristisch unsauberen Titel für diese Aktuelle Stunde gewählt hat,
sondern gehen Sie diesen Vorwürfen nach, schauen Sie
sich an, was dort passiert, und überlegen Sie sich, was
Sie dagegen tun können!
({0})
Sie sagen nun, Sie brächten die GWB-Novelle auf
den Weg. Die Anhörungen werden - das ist immer so sehr unterschiedlich interpretiert. Wir behaupten, dass
die Mehrheit der Experten bei der Anhörung gesagt hat,
die in der GWB-Novelle enthaltenen Maßnahmen brächten nichts. Dies gilt auch für die Beweislastumkehr und
den Sofortvollzug, weil wir nicht einmal wissen, welcher
Kostenbegriff zugrunde liegt. Wie wollen Sie denn eine
Beweislastumkehr hinbekommen, wenn die Unternehmen zwar beweisen müssen, dass die Preise korrekt sind,
aber darauf verweisen können, dass dies nicht von heute
auf morgen geht, und von daher mit den Beweisen so
lange brauchen, dass ein Sofortvollzug unmöglich ist?
Das eigentlich Kritische bei dieser GWB-Novelle ist
die Preisdeckelung. Wir müssen als Opposition Seit’ an
Seit’ gegen Sie kämpfen, wenn Sie jetzt anfangen, Preise
zu deckeln und damit Marktmechanismen außer Kraft zu
setzen.
({1})
Marktmechanismus heißt Preisbildung durch Angebot
und Nachfrage, und Marktmechanismus heißt Wettbewerb. Mit Ihrer Preisdeckelung verhindern Sie aber den
Marktzutritt von neuen Anbietern. Das ist kein Wettbewerb.
({2})
Überhaupt wird der Ruf nach staatlicher Preisaufsicht
immer dann laut, wenn die Preise ansteigen. Das ist sehr
populär; man kann dann sagen, man gehe jetzt daran und
führe staatliche Preisaufsichten ein. Wir brauchen aber
Strukturveränderungen. Dazu liegen Vorschläge auf dem
Tisch, im Übrigen aus Ihren Reihen. Die Zerschlagung
bei den großen Energieversorgern kommt aus Ihren Reihen; das ist ein guter Vorschlag.
({3})
Der hessische Wirtschaftsminister Rhiel hat angekündigt, er werde im Bundesrat einen Vorschlag vorlegen.
Unterstützen Sie dies, bringen Sie einen eigenen Vorschlag ein, gehen Sie dieses Thema an!
Es geht darum, wie wir Wettbewerb auf den Energiemärkten hinbekommen. Hierbei ist ein Thema, monopolistische und oligopolistische Strukturen zu zerschlagen,
wenn es sein muss. In diesem Fall heißt Zerschlagen, an
die Energieversorger heranzugehen. Dem sollten Sie
sich einmal stellen.
({4})
Das Zweite, das diskutiert wird, ist die Entflechtung.
Auch hier verstehe ich Sie nicht. Ich bin davon überzeugt, dass die Entflechtung kommen wird. Über kurz
oder lang werden wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die EU-Kommission eine Entflechtung bei
den Übertragungsnetzen vorschreibt. Es ist richtig, bei
diesen Netzen eine Entflechtung vorzunehmen, weil von
diesen Netzen der Zugang auf Teilmärkte abhängt. Wenn
ein Energieversorger das Netz selber kontrolliert, dann
kontrolliert er den Zugang zu den Märkten. Das heißt, er
kontrolliert den Zugang von anderen Anbietern, also von
Wettbewerbern, in diese Netze. Deshalb muss man hier
entflechten. Unterstützen Sie die EU dabei, anstatt zu
bremsen und auszusitzen!
({5})
Letzter Punkt: Die Monopolkommission hat vorgeschlagen, den Neubau von Kraftwerken durch die Energieversorger zu unterbinden. Ja, das kann richtig sein.
Wenn die jetzigen Energieversorger neue Kraftwerke
bauen können, dann perpetuieren sie damit ihre Marktmacht.
Dies sind drei ganz konkrete Punkte, die Sie angehen
könnten. Aber was machen Sie? Sie sprechen sich für
eine Preisdeckelung durch die GWB-Novelle aus und argumentieren, mit ihr habe man ein kurzfristig wirksames
Instrument an der Hand. Na, bravo! Dies zieht doch
keine langfristigen Strukturveränderungen nach sich.
Hier ist diskutiert worden, dass wir Wettbewerb auf
den Energiemärkten brauchen.
({6})
- Ja, damit haben wir angefangen. Wir haben die Liberalisierung der Energiemärkte vorangebracht, wenn auch
mit Webfehlern, keine Frage. Die Webfehler werden angegangen. Wir haben die Bundesnetzagentur, wir haben
die Anreizregulierung.
({7})
Aber wir brauchen bei der Liberalisierung auf den
Energiemärkten weitere Schritte - allerdings nicht so
kleine wie die in der GWB-Novelle -, um Wettbewerb
auf den Energiemärkten zu erreichen. Die Vorschläge
liegen auf dem Tisch. Wettbewerb heißt transparente
Märkte, informierte Verbraucher, funktionierende Marktmechanismen. Wir brauchen vor allem deswegen Wettbewerb, weil wir die Energiewende nur dann hinbekommen, wenn es auf dem Energiemarkt neue Anbieter gibt.
Die alten Energieversorger - die großen Vier - sind
keine Verbündeten bei der Energiewende. Wir brauchen
neue Anbieter. Deswegen appelliere ich an Sie, Wettbewerb zuzulassen. Wettbewerb braucht Wettbewerber,
aber nicht Instrumente, die den Markt zumachen. Mit der
GWB-Novelle machen Sie jedoch genau dies, und
Strukturveränderungen nehmen Sie nicht in Angriff.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Julia Klöckner für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich sind wir uns alle einig, dass erhöhte Strompreise, die die Verbraucherinnen und Verbraucher, aber
auch die Unternehmen belasten - Strompreiserhöhungen
machen gerade den Unternehmen in energieintensiven
Branchen wenig Spaß -, nicht sehr witzig sind.
Im Gegenteil: Steigende Energiekosten rufen in der
Tat auch Politiker auf die Bühne. Ich denke, wir sollten
im Deutschen Bundestag seriös bleiben.
({0})
Ich halte es nicht gerade für seriös, Presseberichte reflexartig zum Anlass zu nehmen - wie es mehrfach der
Fall war -, eine Aktuelle Stunde zu beantragen, wenngleich bereits in der vergangenen Woche eine zu diesem
Thema durchgeführt wurde.
({1})
Ich halte es auch nicht für seriös, Presseberichte, die
Indizien enthalten, in denen aber noch keine Fakten und
Beweise dargelegt wurden, im Deutschen Bundestag als
Beweise wahrzunehmen. Wir machen uns zum Gespött
der Menschen, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, solchen Indizien nachzugehen und die Unterlagen zu prüfen. Ich weiß, dass Seriosität nicht gerade die Stärke der
Linksfraktion ist, weil Sie auch sonst nichts vorzuweisen
haben.
({2})
Sie können davon ausgehen, dass wir bzw. die Bundesregierung uns mit vielen klugen Menschen ans Werk
machen. Damit haben wir auch schon begonnen. Aber es
hilft nicht, wenn man Forderungen erhebt, die kurzfristig
nicht zu Lösungen führen.
({3})
Es ist vielmehr wichtig, so vorzugehen, wie es die Bundesregierung tut. Ich kann Sie nur auffordern, der Kartellrechtsnovelle letztendlich zuzustimmen; denn der
Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Glos, die Beweislastumkehr einzuführen, ist der richtige Weg. Das
heißt, dass die Konzerne künftig begründen müssen, warum sie ihre Tarife anheben. Das ist ein wichtiger Teil eines ganzen Maßnahmenbündels.
Warum ist Wettbewerb letztlich der richtige Weg?
Wettbewerb ist eine der grundlegenden Voraussetzungen
für einen guten Verbraucherschutz.
({4})
Damit komme ich zu Bundesverbraucherschutzminister
Horst Seehofer; denn auch der Verbraucherschutz ist ein
wichtiger Aspekt. Es geht nicht um eine Neiddebatte gegen irgendwelche Konzerne, sondern darum, von den
Verbrauchern in unserem Land auszugehen, die im Energiebereich auf die Grundversorgung angewiesen sind.
({5})
Letztlich zahlt der Endkunde die Zeche.
Deshalb sagen wir ganz klar: Wettbewerb ist für uns
die richtige Antwort, aber erst einmal muss der Weg für
Wettbewerb geebnet werden.
({6})
- Ihre Frage, wie lange noch, ist wunderbar, aber man
kann nicht einfach dazwischenrufen, ohne die Realität
im Blick zu haben.
({7})
Das heißt, Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Es
stehen Vorschläge im Raum: Trennung von Netz und
Produktion, Zerschlagung der Konzerne und das Verbot
der Erweiterung von Erzeugungskapazitäten. Das alles
sind Überlegungen, über die wir sprechen müssen. Es
kann aber nicht sein, dass wir zu kurz springen und Anhörungen ignorieren.
({8})
- Natürlich ist es nicht neu. Sie hätten das unter RotGrün gerne machen können.
({9})
Uns geht es um die Energieversorgung und Energiesicherheit in Deutschland und um die Grundversorgung
in diesem Bereich. Es kann nicht unser Ansinnen sein,
unsere eigenen Unternehmen in Deutschland zu schwächen und zu zerschlagen und die Chancen für andere
Wettbewerber aus dem Ausland zu stärken, ihrerseits
größere Unternehmen zu bilden.
({10})
Wichtig ist, das Kartellrecht zu stärken
({11})
und die Beweislast umzukehren. Michael Glos und die
Bundesregierung haben wichtige Schritte eingeleitet.
Die Kraftwerks-Netzanschlussverordnung, durch die innerdeutsche Netzengpässe durch befristete Zugänge von
Bewerbern bzw. prioritäre Zugänge überwunden werden. Das ist ein guter Punkt. Dass wir die anreizorientierte Regulierung der Netzentgelte planen, die auch eingeführt werden, ist der zweite wichtige Schritt.
Jetzt geht es aber um die Kartellrechtsnovelle. Sie fordern lauthals, dass Träumereien umgesetzt werden, sind
aber nicht bereit, den ersten Schritt zu einem längeren
Lauf mit uns zu gehen.
({12})
Das ist die Wahrheit, die wir unseren Bürgerinnen und
Bürgern draußen im Lande mitteilen sollten. Wo Sie gefragt sind, sind Sie nicht bereit, zu springen,
({13})
sondern beschränken sich wieder auf Schwarzweißmalerei und driften letztlich in Populismus ab.
Gehen Sie den Weg mit uns mit! Wir werden sehen,
dass es der richtige Weg ist.
({14})
Das Wort hat nun die Kollegin Ulla Lötzer für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Noch
einmal kurz zu Folgendem, weil Frau Andreae und andere darauf schon ausführlich eingegangen sind: Das
Bundeskartellamt hat in der Anhörung am Montag den
30-seitigen Bericht ausdrücklich bestätigt. Herr Heitzer
hat darauf hingewiesen, dass es Indizien für Preisabsprachen gibt. Auch die EU-Kommission geht davon aus und
wird auf dieser Grundlage Schritte unternehmen. Vor der
Realität der Preiserhöhungen seit der Liberalisierung
können wir die Augen nicht verschließen. Sie ist so offensichtlich, dass man endlich einmal genauer hinschauen sollte,
({0})
auch auf die Folgen. Das wäre Seriosität.
Schuldnerberatungsstellen und Sozialverbände melden, dass zunehmend mehr Familien mit niedrigem Einkommen infolge dieser Politik der Strom abgestellt wird,
weil sie ihn nicht mehr bezahlen können. Das heißt: Familien ohne Kühlschrank, ohne Waschmaschine, ohne
Kochmöglichkeit und ohne Licht, von Radio und Fernsehen ganz zu schweigen. Diese Familien sitzen wegen
dieser Preispolitik im Dunkeln, während die anderen
Monopolgewinne in Milliardenhöhe scheffeln, so Eon
allein im ersten Halbjahr 2007 5,4 Milliarden Euro. Das
ist das Ergebnis Ihrer Politik bzw. Ihrer Ungleichheitspolitik, Herr Fuchs.
({1})
Was tun Sie von der Bundesregierung? Denen, die im
Dunkeln sitzen, sagen Sie in einer Antwort auf eine
Kleine Anfrage meiner Fraktion, sie seien selber schuld;
sie müssten eben besser mit ihrem Geld haushalten. Die
großen vier Energiekonzerne dagegen werden gepäppelt.
Sie sind das Ergebnis Ihrer Liberalisierungspolitik, der
Liberalisierung der Energiemärkte.
({2})
Herr Fuchs behauptet, die Lösung des Problems sei, die
Liberalisierung europaweit zu forcieren. Aber dadurch
wird das Problem nicht gelöst, sondern auf ganz Europa
ausgedehnt.
({3})
Die Herausbildung der großen Vier ist das Ergebnis
Ihrer Politik. Sie haben zugeschaut und mit der Ministererlaubnis die Herausbildung dieser vier noch gefördert.
Erst dadurch konnte Eon die Ruhrgas AG schlucken. Die
Einsetzung einer Regulierungsbehörde wurde verschleppt. Die staatliche Preisaufsicht wurde abgeschafft,
und zwar mit der Folge - auch das gehört zur Wahrheit,
Frau Andreae -, dass nun die großen Vier noch einmal
zulangen. So will Eon die Preise zum 1. Januar 2008
noch einmal um bis zu 10 Prozent anheben, und alle machen mit. Auch das ist eine Folge der Abschaffung der
staatlichen Preisaufsicht.
({4})
Bezahlbare Energiepreise oder sogar eine ökologische
Energiewende sind eben nicht das Ziel Ihrer Politik. Sie
wollen nationale Energiechampions. Dafür nehmen Sie
die Extraprofite der großen Vier in Kauf. Sie tun nichts
dagegen.
Frau Wöhrl, Sie haben erklärt, die Bundesregierung
habe die Kartellrechtsnovelle auf den Weg gebracht. Das
kann nicht Ihr Ernst sein. Frau Kopp hat recht: Diese
Kartellrechtsnovelle ist - das hat die Anhörung am
Montag deutlich gemacht; darin waren sich alle Sachverständigen einig - nicht die Lösung dieses Problems. Herr
Professor Möschel brachte es am deutlichsten auf den
Punkt. Er hat gesagt, diese Novelle sei eine reine Abwehrgesetzgebung, um wirksame Maßnahmen gegen das
Kartell zu verhindern. Die Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes setzt erst dann ein, wenn die Preise mehr
als 10 Prozent von konkurrierenden, billigeren Angeboten abweichen. Aber wo es keinen Wettbewerb gibt, gibt
es keine Abweichungen. Bei Preisabsprachen stellt sich
erst recht die Frage, welches die Bezugsgröße für die
Abweichung sein soll. Was hilft dagegen die Beweislastumkehr, die Sie einführen wollen?
({5})
Frau Merkel hat eine schärfere Gangart angekündigt
und - man höre und staune - Transparenz eingefordert.
Transparenz, was den Machtmissbrauch der großen Vier
und seine Folgen angeht, haben wir eigentlich genug.
Die brauchen wir nicht. Wir brauchen Handeln gegen die
Macht und zur Zerschlagung der Macht der Konzerne im
Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und der
Wirtschaft - übrigens nicht nur der privaten -, anstatt
dass wir uns länger von den Konzernen auf der Nase herumtanzen lassen.
({6})
Herr Hempelmann, die Verbraucherinnen und Verbraucher können nicht noch einmal zehn Jahre warten,
um festzustellen, dass Ihre Maßnahmen nicht gegriffen
haben und erst dann schärfere Maßnahmen getroffen
werden. Jetzt ist Handeln gefragt.
Es liegen zwar keine Entflechtungsforderungen der
Monopolkommission, wohl aber solche der EU-Kommission auf dem Tisch. Hören Sie endlich auf, diese zu
blockieren! Das wäre ein notwendiger Schritt. Der bezahlbare Zugang zu Energie und die ökologische Wende
sind eine Überlebensnotwendigkeit. Deshalb müssen
endlich Maßnahmen nicht nur gegen Kartellabsprachen,
sondern auch gegen die Kartellbildung selber getroffen
werden. Das heißt, Rekommunalisierung, Überführung
des Netzes in die öffentliche Hand.
({7})
Das heißt aber auch, als kurzfristige Maßnahme die
staatliche Preisaufsicht wieder einzuführen.
Danke.
({8})
Nächster Redner ist nun der Kollege Manfred
Zöllmer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Offensichtlich haben die großen Stromkonzerne
einen bekannten Werbespruch für sich in „Gier ist geil“
abgewandelt.
({0})
Nachdem wir uns in der letzten Sitzungswoche mit der
neuerlichen Ankündigung von Strompreiserhöhungen
beschäftigen mussten, die in der Tat nicht durch die Herstellungskosten begründet wurden, geht es jetzt um den
Vorwurf illegaler Preisabsprachen und Preismanipulationen. Die Leidtragenden dieser Strategie der großen Konzerne sind die Verbraucherinnen und Verbraucher in
Deutschland.
Detailliert beschreibt der Spiegel in dieser Woche das
Gebaren der großen Vier, wie es sich nach Ermittlungen
durch das Bundeskartellamt und Untersuchungen durch
die EU-Kommissarin vorerst darstellt. Dieses 30-seitige
Dossier ist nun bekannt geworden. Insgesamt geht es
aber darum, 60 000 beschlagnahmte Seiten auszuwerten.
Wenn sich diese Vorwürfe bestätigen, dann wäre dies in
der Tat ein dreister Griff in das Portemonnaie der Verbraucherinnen und Verbraucher und gleichzeitig ein unverzeihlicher Verstoß gegen die Grundregeln der sozialen Marktwirtschaft.
In Deutschland gilt zu Recht das Prinzip der Unschuldsvermutung. Wir haben aber bereits gehört, dass
der Präsident des Bundeskartellamtes von deutlichen Indizien spricht und den großen Unternehmen eine Manipulation der Preise vorwirft. Die Ermittlungsarbeit liegt
bei den zuständigen Behörden. Es muss daher sehr
schnell ermittelt werden, was an diesen Vorwürfen dran
ist.
Zum Gutachten der Monopolkommission ist schon einiges gesagt worden. Auf 283 Seiten hat die Kommission die Situation auf diesen Märkten analysiert. Sie hat
festgestellt, dass in Deutschland nicht von einem - in
Anführungszeichen - „funktionsfähigen Wettbewerb“ gesprochen werden kann und diese Feststellung begründet.
Es wird auf Markteintrittsbarrieren für neue Unternehmen verwiesen, und es wird beklagt, dass ein grenzüberschreitender Handel aufgrund zu geringer Kapazitäten
kaum stattfindet. Sehr kritisch wird die Verflechtungssituation analysiert.
Eine faire Preisgestaltung im Energiebereich bekommen wir nur, wenn wir Wettbewerb haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, Wettbewerb in
der sozialen Marktwirtschaft. Es ist bereits deutlich geworden, dass diese Bundesregierung für den Wettbewerb
viel getan und eine ganze Menge auf den Weg gebracht
hat.
({1})
Dort, liebe Kollegin Lötzer, wo es diesen Wettbewerb
nicht gibt, wird es zukünftig eine verschärfte Missbrauchsaufsicht geben. Das ist gut und richtig so. Die
Kraftwerks-Netzanschlussverordnung wird dafür sorgen,
dass die Markteintrittsbarrieren für Wettbewerber gesenkt werden.
Ich bin sehr dafür, dass wir die Anregungen der Monopolkommission, die Zugänge für echte Newcomer zu verbessern, aufgreifen. Wir sollten auch die Rolle der Stadtwerke für den Wettbewerb stärker im Blick behalten. Eine
Stärkung der Stadtwerke verbessert den Wettbewerb und
liegt damit im Interesse einer wohlverstandenen Verbraucherpolitik. Eine stringente Wettbewerbspolitik ist aus
meiner Sicht die beste Verbraucherpolitik, die wir machen können.
Sie von der Opposition sollten vielleicht auch einmal
zur Kenntnis nehmen: Die Monopolkommission würdigt
zu Recht die Wettbewerbsfortschritte, die bisher erreicht
worden sind, und stellt wörtlich fest: „Die mit der Netzregulierung bislang gemachten Erfahrungen sind als
weitgehend positiv zu bewerten.“ Nehmen Sie das als
Opposition doch einfach einmal zur Kenntnis!
({2})
Darüber hinaus weist die Monopolkommission zu
Recht darauf hin - ich habe das auch schon in meiner
letzten Rede gesagt -, dass uns die Entflechtungsdiskussion nicht weiterbringt. Sie fordert, liebe Kollegin
Andreae, die Wirkung des Regulierungsrahmens, der
erst 2005 in Kraft getreten ist - wir haben das damals gemeinsam auf den Weg gebracht -, abzuwarten. Das ist
vernünftig.
In meiner letzten Rede habe ich darauf hingewiesen,
dass die Strombörse in Leipzig ein großes Problem darstellt, dass dort wenig Transparenz herrscht. Es wird nur
ein geringer Teil der Strommenge über die Börse gehandelt. Dies steht in keinem Verhältnis zu der Bedeutung,
die dieser Preis für den Endpreis des Stromes hat. Ich
persönlich halte den Vorschlag der Monopolkommission, eine verbesserte Marktüberwachung einzuführen,
für sehr sinnvoll. Es muss darum gehen, den bösen Verdacht der Preismanipulation zu untersuchen und zukünftig zu unterbinden. Wer nichts zu verbergen hat, kann
sich gegen Überwachung und Transparenz nicht ernsthaft wehren.
Hier geht es natürlich auch darum, entsprechende
Sanktionen zu verhängen. Die Geschädigten dieser Manipulation - wenn sie sich denn als zutreffend erweist wären die Verbraucherinnen und Verbraucher in der
Bundesrepublik. Ihnen ist das Geld entzogen worden.
Dieses Geld gehört den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Sie müssen entschädigt werden. Das ist eine ganz
wichtige Forderung in diesem Zusammenhang.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat nun der Kollege Franz Obermeier für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Auch in
einer sozialen Marktwirtschaft reguliert ein freier Markt
über Angebot und Nachfrage den Preis.
({0})
Wenn über den Strommarkt also leicht Milliardengewinne erzielt werden können - von „Profitgier“ ist die
Rede -, dann stellt sich die Frage: Warum hat sich in
Deutschland in den zurückliegenden Jahren seit der Liberalisierung kein neuer Kreis von Stromproduzenten
aufgebaut?
({1})
Warum ist es nicht gelungen, Neuinvestoren in unserem
Land in diesem hochprofitablen Markt zu implementieren? Diese Frage müssen wir uns stellen. Auch ich
möchte die Frage stellen, warum Investitionen von
neuen Playern in Deutschland nicht in dem Maße getätigt worden sind, wie es wünschenswert wäre.
Es ist unstrittig: Der Strompreis in Deutschland ist zu
hoch: Den Schaden zahlen sämtliche Verbraucher einschließlich der Wirtschaft. Das macht stromintensiven
Betrieben das Leben schwer. Im Vergleich zu anderen
Ländern stimmt hier einiges nicht. Allerdings sollten
wir, die Politik, es uns nicht zu leicht machen. Für
39 Prozent dessen, was die Verbraucher zahlen, sind wir
hier in diesem Parlament verantwortlich. Das müssen
wir der Ehrlichkeit halber immer wieder sagen.
Die Rahmenbedingungen für Stromerzeugungsanlagen in Deutschland sind meiner Meinung nach so, dass
es für ausländische und für inländische Investoren nicht
genügend lukrativ ist, hier einzusteigen. Das ist das eine.
Das andere ist: Es wird so getan, auch von Ihnen,
Frau Andreae, als hätten die Verbraucher nicht die Möglichkeit, den Anbieter zu wechseln. Der Anbieterwechsel
ist für den Verbraucher relativ komfortabel möglich; der
muss nicht viel machen. Die Preisdifferenzen in den zurückliegenden Jahren waren ja nicht unbedeutend. Wir
hatten Anbieter, die zu um mehrere Cent niedrigeren
Preisen angeboten haben, und trotzdem haben unsere
Bürger von der Möglichkeit des Wechsels keinen Gebrauch gemacht. Da scheint aber eine Veränderung auf
dem Weg zu sein. Denn in diesem Jahr haben bereits
520 000 Anschlussnehmer ihren Stromlieferanten gewechselt. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen,
dass da einiges in Bewegung ist - und zwar im positiven
Sinne - und die Anschlussnehmer sich tatsächlich überlegen, ob sie nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen sollten.
Ich möchte noch schnell auf ein anderes Phänomen
eingehen. Dass wir in Deutschland mehr Player, mehr
Produzenten brauchen, damit der Markt funktioniert, ist
das eine. Das andere ist, dass wir uns - wenn wir einen
funktionierenden Markt wollen, und den wollen wir in
diesem Haus wohl alle - Instrumente überlegen müssen,
mit denen die Grenzkuppelstellen ausgebaut und die Leitungen vor und hinter diesen Kuppelstellen leistungsfähig gestaltet werden können. Ohne diese grenzüberschreitende Möglichkeit wird es in Deutschland und auf
dem europäischen Strommarkt keinen funktionierenden
Wettbewerb geben.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas zu Frau
Andreae sagen. Frau Andreae, Sie haben so getan, als
wären Sie nie an der Regierung gewesen.
({2})
Frau Lötzer hat gesagt, seit der Liberalisierung sei der
Strompreis gestiegen.
({3})
Das stimmt auch nicht.
({4})
Der Strompreis ist nach der Liberalisierung gesunken.
({5})
Ab 2000 ist der Strompreis wieder gestiegen.
({6})
Warum hat Rot-Grün dann ab 2000 - bis 2005 waren Sie
noch an der Regierung - nichts getan?
({7})
- Gegen die Bundesnetzagentur sage ich gar nichts, die
funktioniert auch. Es war aber klar, dass es fundamentaler Veränderungen bedurfte, und man hätte fünf Jahre
Zeit gehabt, denn die Tendenzen waren ab 2000 klar erkennbar.
({8})
Ordnungsrecht ist manchmal gut, aber in diesem Punkt
ist es nicht gut. Verbessern wir die Rahmenbedingungen
für die Stromerzeugung in Deutschland, dann erreichen
wir sicherlich ein vernünftiges Ergebnis für unsere Verbraucher!
Herzlichen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Garrelt Duin für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will mich bei Frau Klöckner, die uns jetzt leider
schon verlassen will,
({0})
ausdrücklich für das bedanken, was sie in ihrer Rede hat
anklingen lassen, dass es nämlich nicht darum gehen
kann, möglichst populistisch in der einen oder anderen
Richtung auf aktuelle Meldungen oder Zeitungsartikel
- zum Beispiel im Spiegel - zu reagieren. Manche haben
offensichtlich die Vorstellung - oder möchten sie für ihre
Politik nutzen -, dass es sofort mafiöse Strukturen hat,
wenn sich führende Vertreter von Unternehmen treffen.
({1})
Manche möchten gerne glauben, dass jede Energiepreiserhöhung das Ergebnis dunkler Machenschaften ist. Umgekehrt füge ich im Sinne von Frau Klöckner ausdrücklich hinzu: Es ist ganz billiger Populismus, wenn man in
diesen Wochen - insbesondere als zuständiger Minister
in einem Bundesland, in dem demnächst gewählt wird Begriffe wie „Zerschlagung von Konzernen“ benutzt;
die Linkspartei und leider auch die Grünen haben diese
Begriffe heute ebenfalls benutzt. Damit soll nur Wasser
auf die eigenen Mühlen geleitet werden, es ist aber kein
konstruktiver Beitrag zur Lösung der Probleme.
({2})
Wir wollen deutlich machen und nicht verschweigen,
dass es natürlich um das Problem der künstlichen Verknappung geht.
({3})
Es geht um das Problem des fehlenden Wettbewerbs.
({4})
Frau Lötzer, Sie haben von Familien gesprochen, die
durch die Strompreiserhöhung in eine schwierige Lage
kommen. Dazu sage ich Ihnen: Sie sind nicht die Einzigen, die das wissen.
({5})
Bei allen Abgeordneten - davon gehe ich aus - sitzen
Familien in der Bürgersprechstunde und schildern, dass
sie sich vernünftigerweise eine Wohnung mit einer bezahlbaren Miete gesucht haben, aber aufgrund der Nebenkostenentwicklung in der letzten Zeit in Schwierigkeiten kommen. Bei den Nebenkosten handelt es sich
nämlich - das Stichwort ist vorhin schon gefallen - im
Grunde um eine zweite Miete.
Aber die Antwort darauf kann doch nicht einfach
sein: Dann muss Hartz IV erhöht werden. - Wir müssen
dazu kommen, mit den Versorgern über intelligente neue
Preismodelle nachzudenken, meine Damen und Herren.
({6})
Warum soll es bei uns nicht möglich sein, über eine Vereinbarung zu sprechen - deswegen finde ich die Idee des
Energiepaktes durchaus richtig -, nach der die ersten
Kilowattstunden zu einem anderen Preis angeboten werden, um bei Familien mit niedrigem Einkommen - darum geht es uns ja - eine entsprechende Entlastung herbeizuführen?
({7})
Das ist ein sehr viel intelligenterer Weg, als bei jeder Sitzung, bei jedem Thema, egal worum es eigentlich geht,
zu sagen: „Die Hartz-IV-Sätze müssen steigen“, wie
Herr Hill das vorhin wieder gemacht hat.
({8})
Ich will auf einen Punkt hinweisen, der in dieser Diskussion bisher kaum eine Rolle gespielt hat. Der Standort Deutschland gerät für bestimmte Gewerbe und Branchen aufgrund der Preissteigerungen massiv unter
Druck. Bei Aluminium haben wir eine solche Entwicklung leider schon zu einem Teil erlebt. Aber auch Chlor,
Chemie, Papier, Stahl, Zement sind wichtige Branchen
für unser Land. Wir wissen, dass es dort wirklich zu großen Problemen kommt und Arbeitsplätze massiv gefährdet sind. Es wird über Standortverlegungen nachgedacht,
weil die Stromkosten in diesen Branchen zum Teil höher
sind als die Lohnkosten. Deswegen sollte uns das Thema
auch an dieser Stelle bewegen, und wir sollten nach Lösungen suchen.
({9})
Die Ursachen, liebe Kollegin Kopp, liegen nicht darin, wie Sie das in der letzten Debatte gesagt haben, dass
lediglich der Staat zu viel draufschlage.
({10})
Man hat in dieser Debatte schon die unmöglichsten Argumente gehört, zum Glück nicht heute. Immer wieder
heißt es, dass die Steigerung des Ölpreises für die Steigerung des Strompreises verantwortlich sei, dass der Ausstieg aus der Atomenergie, Herr Fuchs, Ursache für die
Entwicklung sei oder dadurch jedenfalls Preissteigerungen drohen würden, dass die Ökosteuer Ursache sei usw.
Das ist nicht der Fall.
Ich möchte an Ihre Adresse einmal Folgendes sagen:
Wir haben uns 1998 - das war noch unter einem FDPWirtschaftsminister - dafür entschieden, dass wir mehr
Wettbewerb wollen. Im Laufe der Zeit danach ist eines
klar geworden: Ihre Denke „Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht“ funktioniert nicht. Deswegen war es
richtig, dass wir unter Rot-Grün die Bundesnetzagentur
und die Anreizregulierung auf den Weg gebracht haben.
Ich glaube, dass das GWB dazugehört und dass es damit
in die richtige Richtung geht.
({11})
Nur, einen Fehler dürfen wir nicht machen; ich bitte
Sie wirklich, darüber einmal nachzudenken. Wenn wir
nach Alternativen in diesem Wettbewerb suchen, dann
spielen meiner Meinung nach die Stadtwerke dabei eine
große Rolle. Es sind aber meist die Vertreter Ihrer Partei,
die in jedem zweiten Kommunalparlament oder auch
überall sagen: Wir müssen darüber nachdenken, ob es
nicht Private besser machen können, und wir müssen
darüber nachdenken, ob wir nicht unsere Stadtwerke
bzw. unsere Anteile daran verkaufen.
({12})
Dieser Weg führt nicht zu mehr Wettbewerb, sondern er
führt in die Sackgasse, wie wir bei der aktuellen Entwicklung sehen.
({13})
Wir müssen die Stadtwerke und die öffentliche Hand in
diesem Bereich stärken und dürfen sie nicht zerschlagen.
Es ist völlig falsch, da über eine Zerschlagung nachzudenken, wie Sie das immer tun.
Herzlichen Dank.
({14})
Nächster Redner ist nun der Kollege Kurt Segner für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren muss der
Verbraucher immer tiefer in die Tasche greifen, um seine
Energiekosten zu finanzieren. Die Liberalisierung des
deutschen Energiemarktes im Jahr 1996 hatte das Ziel,
mehr Wettbewerb im Strommarkt zu schaffen. Damit
sollten auch mehr Vorteile für den Verbraucher erreicht
werden.
Was ist in den letzten Jahren passiert? Die vier großen
Energiekonzerne haben den Strommarkt unter sich aufgeteilt und damit den Wettbewerb größtenteils verhindert. In den letzten Tagen konnte man lesen, dass einige
Großkonzerne zum Jahreswechsel die Preise wieder anheben. Anfang der Woche - wir haben das heute schon
des Öfteren gehört - wurde in den Medien über geheime
Absprachen der Energiekonzerne berichtet. Ziel der Absprachen soll es gewesen sein, den Wettbewerb auszuhebeln und die eigenen Gewinne zu erhöhen. Mit solchen
Schlagzeilen wird das Vertrauen der Verbraucher in die
deutsche Energiewirtschaft zerstört.
Natürlich haben die betroffenen Konzerne die geheimen Absprachen bestritten. Wir sollten auch heute keine
Vorverurteilungen vornehmen. Das Bundeskartellamt
und die EU-Wettbewerbsaufsicht werden die Vorwürfe
aufklären. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, dann
müssen die Konzerne die volle Härte des Gesetzes spüren.
({0})
Dass auf dem deutschen Energiemarkt zu wenig Wettbewerb herrscht,
({1})
ist schon länger bekannt. Welche Probleme sich aus dem
fehlenden Wettbewerb für den Verbraucher ergeben,
wurde bereits in der letzten Sitzungswoche in einer
Aktuellen Stunde diskutiert. Insofern ist die heutige
Aktuelle Stunde, die wieder von der Linkspartei beantragt wurde, eigentlich überflüssig.
({2})
Auch die Forderung der Linken, die Strom- und Gasnetze zu verstaatlichen, ist abzulehnen.
({3})
Dafür sprechen historische Beispiele. Durch Verstaatlichung werden weder Investitionen noch Leistungsfähigkeit noch Effizienz gesteigert.
({4})
Meine Damen und Herren, wir bekennen uns zur
sozialen Marktwirtschaft.
({5})
Zur sozialen Marktwirtschaft gehört, dass Unternehmen
Gewinne machen; sie müssen sogar Gewinne machen.
Das gilt auch für die Energiewirtschaft. Gewinne sind
notwendig, damit in effiziente Kraftwerke und leistungsfähige Leitungsnetze investiert wird. Dies dient nicht nur
dem Klimaschutz, sondern auch der Versorgungssicherheit des Verbrauchers.
Zur sozialen Marktwirtschaft gehört seit Ludwig
Erhard auch, dass der Wettbewerb kontrolliert und der
Verbraucher vor Preistreiberei marktbeherrschender Unternehmen geschützt wird. Deshalb ist es richtig, dass
wir für die Energiewirtschaft das Wettbewerbsrecht verschärfen.
Eine weitere wichtige Maßnahme ist die KraftwerksNetzanschlussverordnung. Durch diese Verordnung werden der Marktzugang neuer Anbieter und der Bau neuer
Kraftwerke erleichtert.
Der Markt braucht mehr Anbieter, damit der Wettbewerb besser funktioniert. Aber ich sage Ihnen auch: Der
Verbraucher muss bereit sein, neue Kraftwerke zu akzeptieren.
({6})
Wir müssen den Verbraucher ebenso dazu motivieren
- dies wurde heute schon angesprochen -, den Anbieter
zu wechseln. An dieser Stelle möchte ich den Verbraucherzentralen für deren Kampagne, in der der Verbraucher aufgefordert wird, seinen Anbieter zu wechseln, ein
Lob aussprechen.
Ich schließe mit den Worten: Wenn wir mehr Anbieter, mehr Strom und mehr Markt haben, kommt dies dem
Verbraucher zugute.
Danke schön.
({7})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Klaus Barthel für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben vor 14 Tagen die gleiche Diskussion geführt.
Ich wundere mich, warum es noch einmal zu dieser Diskussion gekommen ist
({0})
und wie der Anlass, Herr Hill, zu dem passt, was hier
vorgetragen wird. Denn wenn es stimmt, was Sie sagen,
nämlich dass es, wie die Bundeskartellbehörde festgestellt hat, zu Preis- und Marktabsprachen gekommen ist,
dann ist die Bundeskartellbehörde am Zug, dagegen vorzugehen. Dafür hat sie gesetzliche Mittel, und diese
muss sie dann anwenden.
({1})
Dabei kommt es nicht auf die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage und erst recht nicht auf all die
Punkte an, die hier gebetsmühlenartig von verschiedenen Seiten immer wieder vorgetragen werden. Denn
wenn es diese Absprachen gibt, dann helfen weder eine
Verstaatlichung des Netzes noch eine eigentümerrechtliche Entbündelung noch eine Senkung der politischen
Kosten noch eine längere Laufzeit von Atomkraftwerken. Solche Diskussionen zu benutzen, um gewissermaßen all die Säue, die es gibt, wieder durchs Dorf zu
treiben, bringt uns keinen Zentimeter weiter.
({2})
Fakt ist erstens: Unser Energiesystem befindet sich im
Umbau: einerseits in einer Liberalisierungsphase und andererseits in einem ökologischen Umbau. Wir sagen hier
nicht, dass es für alle Ewigkeit billigen Strom geben
muss.
({3})
Wir bekennen uns dazu, dass dieser Umbau auch Kosten
verursacht.
Deswegen bringt es auch nichts, immer wieder staatliche Lasten zu beklagen. Denn jeder, der das tut, müsste
sagen, wie er sie senken will: Wollen wir einen verringerten Mehrwertsteuersatz? Wer soll diese Ausfälle bezahlen, und wie rechtfertigen wir das? Wollen wir die
Ökosteuer senken und damit Löcher in der Rentenkasse
aufreißen? Wollen wir das Einspeisungsgesetz im Hinblick auf erneuerbare Energien abschaffen und damit
den Umbau unseres Energiesystems blockieren? Was
soll also diese Diskussion?
Schauen wir uns zum Beispiel das EEG an, das die
Stromerzeuger benutzen, um Preiserhöhungen zu begründen. Sage und schreibe 0,1 Cent pro Kilowattstunde
Strom wird die Erhöhung, die EEG-bedingt ist, im
nächsten Jahr ausmachen. Das sind 30 Cent pro Haushalt
und Monat.
({4})
Die Preiserhöhung, die Eon angekündigt hat, ist 15-mal
so hoch. Damit zu kommen, ist doch absurd.
({5})
Die EEG-Kosten werden schon jetzt überproportional
abkassiert, weil sie nicht entsprechend den tatsächlichen
Regelungen erhoben werden. Schon jetzt senken die erneuerbaren Energien die Energiekosten insgesamt in der
Volkswirtschaft um 5 Milliarden Euro im Jahr.
({6})
Fakt ist zweitens, dass die Privatisierung und die Liberalisierung der Energiemärkte eben nicht automatisch
niedrigere Preise und Innovationen hervorbringen; das
ist schon richtig. Aber deswegen in einer Einheitsfront
von Herrn Möschel, den Grünen und den Linken zu sagen: „Jetzt steigen halt die Preise, weil diese Liberalisierung nun einmal Oligopole hervorbringt, und nur wenn
die Preise steigen, gehen auch andere in den Markt“,
({7})
ist Teil einer Verelendungsstrategie; so muss ich sagen,
Frau Andreae. Ich muss mich schon sehr darüber wundern, dass man sagt: Jetzt lassen wir erst einmal die
Preise ad ultimum hochgehen,
({8})
damit dann Wettbewerb entsteht, und schauen zu, was
die hier treiben. Deswegen machen wir keine GWB-Novelle, die genau das verhindern soll, dass diese MarktKlaus Barthel
macht jetzt benutzt wird, um Preise hochzutreiben. - Ich
habe die Papiere schon gelesen, die in der Anhörung
vorgelegt sind.
Fakt ist drittens auch - das hat der Kollege Zöllmer
hier schon angesprochen -, dass die Netzregulierung erfolgreich ist und eine Kostensenkung von 13 Prozent im
Netz gebracht hat. Das heißt, die eingeleitete Regulierung funktioniert. Aber sie hat keine Auswirkung auf
den Erzeugungsbereich, weil dieser nicht reguliert ist.
({9})
Deshalb bringt eine Verstaatlichung der Netze oder ein
Ownership-Unbundling überhaupt nichts, weil dadurch
das Problem des Erzeugungsbereichs nicht angegangen
wird.
Es bringt auch nichts, den Großen zu verbieten, neue
Kraftwerke zu bauen. Wie sollen denn neue Produktionskapazitäten, moderne und regenerative Kraftwerke
auf den Markt kommen, wenn diejenigen, die das Geld
haben, gehindert werden, diese Investitionen zu tätigen?
({10})
Die Strategie muss also sein: erstens die Netzregulierung konsequent fortsetzen, dabei aber die kleinen Wettbewerber, insbesondere die Stadtwerke, nicht kaputt zu
machen. Das heißt auch, dass wir die Regulierung noch
nachjustieren müssen
({11})
- Garrelt Duin hat darauf hingewiesen -, weil Ungleiches durch die Regulierungsbehörde nicht gleich behandelt werden kann. Man muss da einmal über so etwas
wie asymmetrische Regulierung nachdenken.
Zweitens. Die Länder müssen die Kommunen befähigen, für kommunale Energiedienstleister stark genug zu
sein und Wettbewerb zu schaffen.
Drittens. Die wettbewerbsrechtlichen Instrumente
müssen geschärft werden.
({12})
Denn wir haben im Energiemarkt nicht eine solche
Situation wie auf anderen Märkten. Deswegen brauchen
wir diese Übergangsregelung im Wettbewerbsgesetz.
Eine Sondersituation rechtfertigt Sonderinstrumente.
Viertens. Wir müssen den Umbau vorantreiben, anstatt Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen. Der Umbau durch regenerative Energien hat vom Jahr 2005 auf
2006 bereits die Kapazität eines Atomkraftwerks ersetzt.
Das zeigt, wie erfolgreich dieser Weg ist.
Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern!
Fünftens. Wir müssen uns dem unbequemen Dilemma stellen - das will ich auch noch sagen -, wie man
es unter einen Hut kriegen will
Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten.
- denn da werden die Volksreden von vorher schnell
wieder vergessen -, auf der einen Seite wettbewerbsfähige Energieunternehmen in Deutschland zu haben, die
auch europaweit wettbewerbsfähig sind, und auf der anderen Seite unsere Verbraucherinnen und Verbraucher
vor Abzockerei zu schützen.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Wir sind am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für morgen, Donnerstag, 8. November, 9 Uhr,
ein.
Ich schließe die Sitzung.